Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/27/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Lisa Paus (Minister:in)

Politiker ID: 11004127

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Regierungsbefragung zu Zeiten des Krieges: Ich glaube, es ist nicht nur nicht einfach, sondern es ist eigentlich kaum möglich, in einer Minute Fragen dazu zu beantworten, was wir tun können, um diesen furchtbaren völkerrechtswidrigen Krieg zu stoppen. Denn die brutale Realität ist: Wir können diesen Krieg nicht mit einfachen Antworten stoppen. Das kann allein der russische Präsident. Daher ist es mir wichtig, hier heute im Namen der Bundesregierung eben nicht schnelle, einfache Antworten zu geben, sondern in dieser komplexen Lage, in der wir uns befinden, deutlich zu machen, was unsere Abwägungen sind, und vor allem ehrlich zu sein. Denn wir können in diesen Zeiten nur handeln, wenn wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern agieren, wenn wir entschlossen agieren und pragmatisch sind. So können wir dazu beitragen, Leid zu mindern, die Ukraine zu stützen, sie bei ihrem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen und vor allen Dingen uns gemeinsam mit unseren internationalen Partnern geschlossen gegen das russische Regime aufzustellen. Deswegen haben wir – das ist bekannt – in den letzten Wochen fünf Sanktionspakete gemeinsam beschlossen. Es sind Sanktionspakete, die, wenn es sein muss, auf Dauer tragen können, und zwar nicht nur für die Europäische Union, sondern auch für die Wertegemeinschaft international, die diese Haltung teilt. Wir haben in den letzten Wochen alles dafür getan, unsere Hilfe für die Ukraine auszubauen: finanziell, vor allen Dingen humanitär und auch mit Waffen. Da das Waffenthema eines der Themen war, das alle hier im Parlament, die Öffentlichkeit, die ganze Welt bewegt hat, möchte ich eingangs darauf fokussieren. Es ist wichtig, gerade hier im Hohen Haus deutlich zu machen, was unsere Abwägungen sind und vor allen Dingen welche Schritte wir gehen und was wir dann auch einhalten können. Denn Versprechen allein sind schnell gemacht; man hat dann eine schnelle Überschrift in der Zeitung generiert. Aber das Entscheidende ist doch, dass diese Waffenlieferungen auch ankommen müssen. Es geht nicht darum, dass wir uns besser fühlen, dass wir glauben, an einem Tag einmal etwas Richtiges gesagt oder getan zu haben, sondern das Entscheidende ist, dass wir die Ukraine, die mutigen Menschen dort vor Ort bei ihrem Kampf für ihre Freiheit, für ihren Frieden und für unsere europäische Sicherheitsordnung so unterstützen, dass sie damit auch wirklich Unterstützung erfahren. ({0}) Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Wir stehen als größtes Land der Europäischen Union dabei in einer besonderen Verantwortung. Zu Recht fragen viele kleinere Länder: Wie genau können wir das machen? Wie genau können wir das machen, die nicht die finanziellen Mittel haben, die nicht die Schlagkraft haben, die nicht die diplomatischen Vertretungen weltweit haben? Daher war es für uns so wichtig, dass wir uns bei diesen Waffenlieferungen mit unseren Partnern entsprechend abstimmen und immer gemeinsame Schritte gehen. Wir haben am Anfang einen bestimmten Weg gewählt; denn in einem Krieg, der mit allen Regeln, auf die wir uns verständigt hatten, bricht, kann man nicht voraussehen: Rational gesehen müsste das russische Regime Folgendes tun. – Nein, wir wissen nicht, was der nächste Schritt ist. Deswegen haben wir uns entschieden, als wir am Anfang hier im Bundestag deutlich gemacht haben: „Ja, auch wir liefern Waffen“, dass wir nicht groß darüber sprechen. Man kann nun rückwirkend fragen: War das sinnvoll? War das nicht sinnvoll? Es war damals unsere Entscheidung in der Verantwortung dafür, dass diejenigen, die diese Waffen dann transportieren, nicht angegriffen werden oder dass die Waffen überhaupt ihr Ziel erreichen können. ({1}) Uns ist klar – das haben wir weltweit erlebt; das erlebe ich auch als Außenministerin –, dass dann natürlich viele Fragen kommen. Deswegen möchte ich jetzt, wo die Waffen, die wir geliefert haben, angekommen sind, im Namen der Bundesregierung einmal deutlich machen, was wir geliefert haben – ohne zu stark ins Detail zu gehen –: Tausende Panzerfäuste, Flugabwehrraketen vom Typ Stinger, Fliegerfäuste vom Typ Strela, im zweistelligen Millionenbereich Munition, Bunkerfäuste, Maschinengewehre, Panzerabwehrrichtminen, im sechsstelligen Bereich Handgranaten, Sprengladungen. Darüber hinaus haben wir, als wir keine eigenen Bestände mehr hatten, eine Industrieliste aufgelegt, die die Lieferung weiterer Panzerminen und vor allen Dingen Allite- - ({2}) – da haben Sie wieder was für Twitter – ({3}) Artilleriemunition vorsieht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD Wir haben vor allen Dingen am 6. April, als die Brutalität dieses Krieges noch einmal auf ganz dramatische Art und Weise zugeschlagen hat, gesagt: Wir müssen jetzt als NATO-Partner anders reagieren. – Deswegen hatten wir am 6. April – wir alle wissen, was das für ein Tag war; da hatten wir hier eine andere Abstimmung – ein gemeinsames NATO-Außenministertreffen. In meiner Verantwortung als Außenministerin dieses Landes und G‑7-Vorsitz haben wir uns am Abend davor mit unseren G‑7-Partnern verständigt: „Wir müssen diese Lieferung besser koordinieren“; denn wir haben festgestellt: Niemand hat alles. Unsere Länder haben nicht wie Russland in den letzten Jahren massiv aufgerüstet, weil wir an die Friedensordnung geglaubt haben. Wir haben ab dem 6. April – und zwar nicht in aller Öffentlichkeit, sondern so, dass es funktioniert – einen Ringtausch vorbereitet, der zum Zweck hat, dass die Materialien, die wir brauchen, also auch Panzer sowjetischer Bauart, die sofort bedient werden können, dann von unseren Partnern geliefert werden können. Wir füllen dann die Lücken, die bei anderen Armeen dadurch entstehen. Das ist Sinn und Zweck dieses Ringtausches: gemeinsam zu agieren und nicht zu sagen, wer schneller oder wer besser ist, sondern gemeinsam das zu leisten, was wir jetzt, dieser Tage leisten können. ({4}) Darüber hinaus – das haben Sie gestern mitbekommen – hat die Verteidigungsministerin – auch wieder nicht als Schnellschuss – bei einem gemeinsamen Treffen mit den anderen Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsministern erklärt, dass wir zusätzlich Gepard-Flugabwehrpanzer liefern werden. Ja, das ist ein weiterer Schritt, und das ist der Schritt, den wir jetzt gemeinsam gehen können. Zugleich bereiten wir mit den Niederländern – aber ich kann da noch nicht ins Detail gehen – ein Projekt vor, in dem wir unsere Materialien, Munition und Ausbildung zusammenbringen. Auch hier zeigt sich wieder: Nicht ein Land hat komplett alles, was man liefern kann, sondern nur zusammen können wir etwas erreichen. Zugleich ist – das hat meine Reise ins Baltikum unterstrichen – unsere große Herausforderung, dass wir unser eigenes Bündnisgebiet sichern müssen. Hier in Berlin fühlen wir uns wohl. Da sagen wir: Die Grenze ist Tausende von Kilometern entfernt. – Aber wenn man im Baltikum steht, wenn man auf die andere Seite wirklich rübergucken kann, wenn man sich vergegenwärtigt, was eigentlich der Suwalki-Korridor ist, nämlich eine ganz schmale Strecke, wo das Baltikum abgeschnitten werden kann, dann können wir nicht einfach sagen: „Ja, ja, wir sind schon da, wenn was passieren sollte“, sondern dann haben wir die Verantwortung, unsere baltischen Freunde und Nachbarn, die wie wir schon einmal einen Freiheitskampf für uns alle gekämpft haben, zu unterstützen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Auch das ist jetzt unsere gemeinsame Herausforderung. ({0}) Letzter Satz, weil die Lage eben so komplex ist: Wir tragen als eines der größten Industrieländer dieser Welt eine Verantwortung. Dieser Krieg betrifft die ganze Welt, egal ob man bei den Sanktionen mitmacht oder nicht, egal ob man an eine internationale regelbasierte Ordnung glaubt oder nicht. Aber wir als Industrieländer haben die Verantwortung, andere Länder nicht aus dem Blick zu verlieren. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die mit in der Sahelzone waren. Wir erleben auf dramatische Art und Weise: Neben diesem brutalen Krieg wird es eine Ernährungskrise, einen Ernährungskampf geben, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– der mitten in die Klimakrise reinschlägt. Das müssen wir gemeinsam angehen: pragmatisch und mit der Verantwortung, dass auch Deutschland eine Führungsrolle hat. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, erst einmal herzlichen Dank für die Ausführungen, auch wenn ich vielleicht für die Zukunft sagen möchte, dass das eine Regierungsbefragung und keine Regierungserklärung sein sollte. Wenn das den Sinn und Zweck noch erfüllen soll, dann müssen wir schon die Gelegenheit haben, auch Fragen zu stellen; vieles teilen wir ja inhaltlich. ({0}) Sie haben auf den Entscheidungsprozess hingewiesen, der die Lieferung schwerer Waffen betrifft, hatten sich selber zu dieser Frage prominent geäußert und schon vor 14 Tagen gesagt, es gebe keine Ausreden. Jetzt hat es dennoch weitere 14 Tage gebraucht – seit dem 6. April sind 20 Tage vergangen –, bis die Bundesregierung bereit war, Gepard-Panzer zu liefern. Wie ist Ihre Einschätzung? Hätte man das nicht früher machen können, und wäre es nicht effektiver, nicht sozusagen das komplexeste und schwierigste Panzersystem zu liefern, bei dem man mindestens ein halbes Jahr Einweisung braucht, um es bedienen zu können? Wäre es nicht einfacher, ein einfaches Panzersystem, beispielsweise einen Schützenpanzer, zu liefern, und stellen Sie das für die Ukraine in Aussicht?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sie können antworten.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Sie haben vollkommen recht mit der Zeit. Da das jetzt drei Fragen in einer waren und ich diese Minute jetzt einhalten möchte, können wir vielleicht bei der Nachfrage noch welche mitnehmen. Ich habe als Außenministerin dieses Landes am 6. April gesagt, dass wir die Lieferung schwerer Waffen mit erörtern; das war ja Sinn und Zweck dieses gemeinsamen Treffens der NATO-Außenministerinnen und -Außenminister. Ich habe gerade versucht, zu erläutern, dass wir da gemeinsam mit den anderen Partnern den Startschuss dafür gegeben haben, die Lieferung schwerer Waffen vorzubereiten, und zwar im Ringtausch. Sie haben Schützenpanzer angesprochen. Wir alle wissen, dass wir auch die nicht einfach so liefern könnten. Wir müssen jetzt das bereitstellen und liefern, was sofort zum Einsatz kommen kann, nämlich Panzer sowjetischer Bauart. Wir ersetzen dann im Ringtausch die Panzer, die wir den Partnern bereitstellen können.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Eine Nachfrage?

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In Bezug auf die Lieferung schwerer Waffen, insbesondere von Panzern, hat der Bundeskanzler einen Zusammenhang hergestellt, und da interessiert mich Ihre Meinung. Er hat nämlich den Eindruck erweckt, dass die Lieferung dieser schweren Waffen die Gefahr eines Atomkrieges herbeiführen könnte. Teilen Sie diese Auffassung? Und wenn Sie diese Auffassung teilen: Welche Rolle hat das bei Ihrer Entscheidungsfindung gespielt? Welche Bedeutung messen Sie den Beistandszusagen bei, die wir uns in der NATO in Artikel 5 des Nordatlantikvertrages gegeben haben? Ist das auch ein Maßstab für die Frage, ob wir eintreten und ob wir uns als NATO – wie Sie gerade gesagt haben – im Suwalki Gap verteidigen, oder ist das kein Maßstab an dieser Stelle?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Ich beantworte angesichts der Zeit zunächst die erste Frage. Mit Blick darauf, was passieren könnte – das habe ich eingangs versucht zu sagen –: Wir wissen es nicht. Niemand in diesem Hohen Haus – ich glaube, niemand auf der Welt, außer Herr Putin selbst – kann zu hundert Prozent sagen: Wenn wir jenen Schritt gehen, dann passiert am nächsten Tag dieses. – Deswegen können wir auch nichts komplett ausschließen. Wir haben die Verantwortung, auf der einen Seite immer die Risiken deutlich zu machen und auf der anderen Seite keine Panik zu schüren. Es ist ja Sinn und Zweck dieses hybriden Krieges, andere Länder in Verunsicherung zu bringen, andere Länder zu spalten. Daher ist es so wichtig und richtig, immer wieder abzuwägen; das habe ich im Baltikum für die deutsche Bundesregierung deutlich gemacht. Völkerrechtlich ist die Lieferung dessen, was wir hier beschließen – unabhängig davon, wie groß, wie klein, ob rechts- oder linksherum gedreht –, kein Kriegseintritt, weil wir das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung, das in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen verbrieft ist, unterstützen. Da Herr Putin deutlich gemacht hat, dass ihn die Charta der Vereinten Nationen nicht mehr so herzlich interessiert, wird er sich wahrscheinlich auch nicht an jede Völkerrechtsnorm entsprechend halten. Deswegen ist das, was Herr Putin denkt, was ein Schritt sein könnte, allein im Ermessen dieses Präsidenten. So brutal ist die Realität. Deswegen haben wir auch gemeinsam gesagt: Überhaupt Waffen zu liefern, ist ein Schritt, den wir abwägen, und wir haben ihn als richtig empfunden, weil wir die Ukraine nicht alleinlassen dürfen und wollen. Wir halten diesen Schritt der Waffenlieferung – wobei wir nichts komplett ausschließen können – für den richtigen Schritt. Denn ansonsten müssten wir der Ukraine sagen: Kämpft ihr alleine! – Und das wollen wir nicht tun. Wir stehen in Solidarität an der Seite der Ukraine. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich habe noch eine weitere Frage gesehen, von Jürgen Hardt.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. – Frau Bundesministerin, ich finde, dass Sie auf die Frage meines Kollegen Wadephul nicht vollends eingegangen sind. Deswegen will ich es noch einmal präzisieren. Wir haben vor wenigen Tagen ein Interview des Bundeskanzlers gelesen, in dem er gesagt hat, man könne oder wolle keine schweren Waffen liefern, weil dies die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg berge. ({0}) – So habe ich es verstanden; so hat es die deutsche Öffentlichkeit verstanden. Was hat es an neuen Erkenntnissen gegeben in den letzten zehn Tagen, dass die Bundesregierung jetzt doch zu dem, wie wir finden, richtigen Schritt kommt, auch bereit zu sein, schwere Waffen zu liefern? ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, Sie können antworten.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Mir liegt auf der Zunge, zu sagen: Zu Zitaten sage ich an dieser Stelle nichts, wenn ich das Zitat jetzt nicht schwarz auf weiß hier habe; aber es wurde eben schon von anderen darauf hingewiesen, die das Zitat direkt vor sich haben. Ich weiß, was der Bundeskanzler in diesem Interview gesagt hat und was wir im Kabinett gemeinsam vereinbart haben: dass wir gemeinsam mit unseren Verbündeten das tun müssen und werden und jetzt auch tun, was wir können, damit wir angesichts der weiteren Eskalation, angesichts der strategischen Neuausrichtung der Russen die Ukraine unterstützen können. Deswegen liefern wir die Gepard-Panzer, wie gestern von der Verteidigungsministerin verkündet worden ist.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Gibt es weitere Fragen? – Es gibt noch eine Frage von Mario Czaja. ({0})

Mario Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ist es denn so, dass der Bundeskanzler mit dieser Aussage Panik geschürt hat? ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Nein. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Huber.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die Zulassung der Frage. – Frau Ministerin, zum Themenkomplex der Gepard-Lieferungen hätte ich schon eine Frage, und zwar deshalb, weil die Bundeswehr selbst Bedarf hat. Bei der Luftabwehr im Nahbereich des Heeres gehören Gepard-Systeme genauso dazu wie Ozelot-Systeme, von denen die Bundeswehr nur noch 19 Systeme hat, die mit Stinger-Raketen bewaffnet sind. Gepard sind andere Systeme – das ist richtig –, aber die Bundeswehr braucht sie auch selber. Von daher ist das Thema der Lieferung dieser Waffen schon ein sensibles. Dazu hätte ich die Frage: Haben Sie Kenntnis, auch aus ihren Beratungen mit den Bündnispartnern, dass beispielsweise auch die Briten oder die Amerikaner, die letztendlich in der NATO dominierend sind, diese Systeme in dieser Dimension liefern oder liefern werden, und, wenn nicht, warum nicht?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Danke für die Frage. – Mit Blick auf das, was Sie beschrieben haben: So ist es. Auch im Baltikum konnten wir sehen, dass wir von Ozelot nicht sehr viele haben und dass wir das vor allen Dingen auch in die NATO eingemeldet haben. Genau das ist diese Abwägung, die wir immer wieder treffen müssen, bei jeder einzelnen Frage, was wir liefern können. Deswegen haben wir mit Blick auf die Gepard-Panzer deutlich gemacht: Wir werden die Ausfuhrgenehmigung erteilen. Das ist etwas, das die Industrie entsprechend liefern kann und das nicht aus eigenen Beständen kommt. Mit Blick auf andere Länder: Wie gesagt, wir gehen im Gleichschritt mit den anderen Ländern, und derzeit liefert kein anderes westliches Land Schützenpanzer.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich lasse jetzt noch zwei Fragesteller zu. Dann werden wir in der Liste der angemeldeten Fragesteller weitergehen. Jürgen Trittin ist der nächste Fragesteller zu diesem Themenbereich.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundesministerin, es ist so ein bisschen eingerissen, dass viele jetzt Details von Waffensystemen diskutieren. ({0}) Ich würde versuchen, Ihnen eine andere Frage zu stellen. Diese Frage lautet: Was ist eigentlich Ziel dessen, was wir dort in der Ukraine betreiben, auch mit diesen Waffenlieferungen? Würden Sie der Aussage Ihres amerikanischen Kollegen Antony Blinken zustimmen, der in Kiew gesagt hat: „Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Ukrainer die Fähigkeit haben, die russische Aggression abzuwehren und ihre Position an einem künftigen Verhandlungstisch zu stärken“? Das heißt, dass das Militär dazu dienen muss, eine politische Lösung zur Beendigung dieses Krieges herbeizuführen. ({1})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Ja, und das ist auch kein Zufall. Wie gesagt, wir stimmen uns sehr, sehr eng mit unseren Bündnispartnern ab; denn es macht überhaupt keinen Sinn, dass ein Akteur – insbesondere wenn wir von Ländern sprechen, die große Verantwortung in dieser Welt tragen – das eine macht, und das andere Land macht das Gegenteil. Deswegen braucht es dann manchmal auch zwei, drei Tage länger, um sich mit allen entsprechend abzustimmen. Eben ist auch die Frage gestellt worden: Was bedeutet das für die eigenen Bestände? Ich hatte das eingangs gesagt: Zum Glück – das ist jedenfalls meine persönliche Haltung – haben wir uns auf keinen Angriffskrieg, aber auch auf keinen Verteidigungskrieg in dem Maßstab vorbereitet, dass wir in den letzten Jahren nur hochgerüstet haben. Wir haben an die regelbasierte internationale Ordnung geglaubt. Deswegen steht jedes Land vor der Herausforderung, zu sagen: Nicht alle westlichen Bündnispartner haben alles, was man theoretisch jetzt bräuchte und einsetzen könnte. Auch wir erreichen bei dem, was wir für unsere Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit in die NATO einmelden, nicht das absolute Ziel: Jedes Land gibt 50 Prozent seines Haushaltes für Militär aus. Nein, wir wägen auch da immer ab: Was braucht es für Verteidigung? Offensichtlich werden wir als Bundesrepublik Deutschland nachsteuern, weil wir feststellen: Wir brauchen in Zukunft mehr für Verteidigung. Deswegen ist es jetzt so entscheidend, dass wir gemeinsam mit den anderen Akteuren liefern, und zwar so, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– dass wir eine politische Antwort geben können, und zwar zur Unterstützung der Ukraine. Die Ukraine ist einzig und allein die Akteurin, die darüber entscheidet, wie die Zukunft ihres Landes ist. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die letzte Frage in dieser Runde: Herr Keuter.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Bundesministerin, aus Ihrem Hause sind verstörende Töne zu hören: Man wolle Russland isolieren, man werde die Ukraine einseitig unterstützen, auch mit Waffen, und dies sei nicht als Kriegseintritt zu werten. Ich frage Sie: Wie stellen Sie sich die strategischen Ziele vor? Wie kann dieser Konflikt beendet werden, insbesondere mit der Interessenswahrung aller Seiten in der Ostukraine und in der Krim? Und: Wie stellt sich die Bundesrepublik perspektivisch den künftigen Umgang mit Russland vor?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Das mag Sie verstören, aber offensichtlich verstört es weltweit nicht so viele; denn 141 Staaten dieser Welt haben gemeinsam beschlossen, dass wir diesen Weg gehen, das russische Regime zu isolieren, ({0}) und zwar mit harten Sanktionen und auch mit Waffenlieferungen. Denn das einzige Interesse, das ich als deutsche Außenministerin, das diese Bundesrepublik, das wir als Partnerinnen und Partner haben, ist, dass die Menschen in der Ukraine – im Westen und im Osten des Landes, im Norden und im Süden des Landes, in kleinen und in großen Städten, an der Küste oder im Binnenland – in Frieden leben können, ({1}) so wie Sie das können mit Ihrer Familie, so wie ich das kann mit meiner Familie und so wie das alle Menschen in Europa können sollten. Dafür trägt Russland allein, der russische Präsident, die Verantwortung, und deswegen treffen ihn persönlich und sein Umfeld unsere Sanktionen. Ich habe wiederholt deutlich gemacht: Das ist nicht gegen die Menschen in Russland gerichtet, sondern Putin trägt dafür die Verantwortung, dass er die Zukunft seines eigenen Landes mit zerstört. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Wir kommen zum nächsten angemeldeten Fragesteller. Dr. Karamba Diaby hat das Wort, SPD-Fraktion.

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Bundesministerin, neben den Krisen und Herausforderungen, die Sie erwähnt haben, dürfen wir ja die Situation in anderen Teilen der Welt nicht vergessen. Sie haben zu Recht die Situation in der Sahelzone erwähnt, wo wir gemeinsam unterwegs waren. Daher meine Frage an Sie: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bezüglich einer Afrika-Strategie der Bundesregierung? Denn die Krisen, die wir gesehen haben, und unsere Begegnungen mit den Menschen, den NGOs – Frauenorganisationen und andere – geben wirklich Anlass, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie eine Afrika-Strategie dieser Bundesregierung aussehen könnte. Deshalb diese Frage an Sie.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Vielen Dank auch für die Frage und vielen Dank für die Reisebegleitung, ebenso an die Kollegen Erndl, Dağdelen, Lechte, Spellerberg und Widmann-Mauz. Da hier die Antwortzeit begrenzt ist, empfehle ich sehr, vielleicht noch mal mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Denn wenn man die Brutalität, mit der die weiteren Krisen dort zuschlagen, selber erlebt – und das bei 47 Grad im Schatten –, dann ist das, glaube ich, noch mal eine andere Dimension. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag waren auch beim World Food Programme; ein zusätzlicher Termin, bei dem ich nicht persönlich dabei war. Sie haben mir beschrieben, was es bedeutet, dass jetzt dieser Krieg auf eine Ernährungskrise trifft, die im Sahel ohnehin schon da ist, weil im letzten Jahr die Ernte ausgefallen ist und weil die Klimafolgen auf brutale Art und Weise spürbar sind. Sie haben selber beschrieben – ich gebe das hier nur wieder –, wie es aussieht, wenn eine Palette, die vom World Food Programme eigentlich als Ernährungsration für eine Familie für die nächsten Monate gedacht war, jetzt halbiert werden muss. Deswegen sehe ich es für uns jetzt akut als zentralen Bestandteil an – das werden wir auch im Ergänzungshaushalt verantworten –, -

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– zusätzliche Mittel für das World Food Programme, zusätzliche humanitäre Mittel, bereitzustellen. Denn ansonsten werden wir diese Hungersnot im Sahel und an anderen Orten dieser Welt nicht abwenden können. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage, Herr Diaby.

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne. – Frau Ministerin, mich interessieren natürlich auch die weiteren Überlegungen zur Afrika-Strategie. Sie haben hier einen Punkt genannt. Mich würde sehr interessieren: Was beinhaltet die Afrika-Strategie der Bundesregierung für die nächsten Jahre? Denn wir sind am Anfang einer Wahlperiode. Da haben wir doch die Möglichkeit, diese Strategie noch mal anzugehen.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Im Rahmen der nationalen Sicherheitsstrategie werden wir eine China-Strategie formulieren und gemeinsam mit dem Entwicklungsministerium und den anderen federführenden Ministerien auch die Afrika-Strategie noch mal neu ausrichten. Aber das Allerwichtigste dieser Tage ist – deswegen bin ich auf die akuten Punkte eingegangen –, dass wir eine Verantwortung für Afrika in diesem Moment haben. Man könnte ja auch eine andere strategische Entscheidung treffen und sagen: Wir fokussieren uns allein auf die Sicherheit in Europa, auf unsere Energiesicherheit, auf unsere Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, auf unsere soziale Sicherheit. – Das wird auch ein riesengroßer Kraftakt. Aber unsere Strategie und Anstrengung ist, genau in diesem Moment zu sagen: Wir haben jetzt umso mehr eine Verantwortung für Afrika: im Klimabereich – weil Sie die Themen angesprochen haben; da trifft es am stärksten zu, und zwar jetzt –, in der Frage der Ernährungssicherheit, in der Sicherheitsfrage. Über Mali und unser Engagement in Niger werden wir später noch diskutieren. Wir haben dort auch eine sicherheitspolitische Verantwortung, weil dort eben nicht nur die Klimakrise auf die Ernährungskrise trifft, sondern weil es dort auch terroristische Organisationen gibt. Und da tragen wir eine Verantwortung, uns weiter zu engagieren. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Es gibt eine weitere Nachfrage dazu von dem Kollegen Thomas Erndl.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben gerade die Sicherheitsfrage in Mali angesprochen. Sicherheit ist die Grundlage für die Entwicklung, auch für Investitionen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch unser Ziel, vor der europäischen Haustür stabile Zustände zu haben. Mit Blick auf die Mandate, deren Verlängerung in Kürze hier im Haus zur Diskussion ansteht, ist klar: Die Franzosen ziehen sich aus Mali zurück, und unser UN-Mandat kann in dieser Form dann nicht mehr ausreichend sein; wir können da einfach nicht mehr so weitermachen. Ihre Kabinettskollegin, die Verteidigungsministerin, hat vor wenigen Wochen gesagt – ich darf zitieren –: Ich kann mir eine Fortsetzung der Ausbildungsmission in Mali nicht vorstellen. – Dazu meine Frage: Was folgt denn nun aus dem Dilemma, dass wir in Mali einerseits gut ausgebildete Streitkräfte brauchen, die auch die Terrorgruppen bekämpfen können, um die fragile Sicherheitslage in den Griff zu bekommen, und wir es auf der anderen Seite mit Putschisten zu tun haben, die auch mit Russland kooperieren? Was folgt aus diesem Dilemma?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Danke auch für Ihre Frage und vor allen Dingen für das Betonen des Dilemmas; denn genau das habe ich eingangs deutlich zu machen versucht. Man kann in solchen Situationen zwischen Schwarz und Weiß wählen und sagen: Mali ist uns komplett egal; das haben sie jetzt davon, dass sie eine Regierung haben, die durch einen Putsch an die Macht gekommen ist und mit russischen Akteuren kooperiert. – Uns beiden, uns allen, der ganzen Reisedelegation wurde ja deutlich gemacht, dass man als Übergangsregierung nicht im Sinn hat, darüber Auskunft zu geben, was man mit russischen Akteuren eigentlich zusammen macht. Also könnten wir sagen, wenn man nur in Schwarz-Weiß und einfachen Antworten denkt: Gut, dann gehen wir komplett raus. – Oder man könnte sagen: Wir ignorieren einfach, dass das eine Regierung ist, die mit unserem Demokratieverständnis bricht; wir bleiben drin. – Ich glaube, dass der abwägende Weg der richtige ist, nämlich deutlich zu machen: Wer so mit unseren Werten bricht, den können wir nicht bedingungslos unterstützen. Deswegen werden wir EUTM – das haben wir auf europäischer Ebene bereits deutlich gemacht – so nicht fortführen. Auf der anderen Seite können wir uns nicht komplett aus Mali zurückziehen, weil wir dann die Zivilbevölkerung, die wir ja alle getroffen haben, komplett im Stich lassen. Das ist aus meiner Sicht verantwortungslos. Deswegen werden wir jetzt vorbereiten und überlegen, wie wir unser MINUSMA-Engagement so ausweiten können, dass wir in dieser Mission bleiben können – mit allen Rahmenbedingungen, die es dafür braucht.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Eine Nachfrage, Herr Erndl?

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Ich möchte genau da einhaken, bei MINUSMA. Wir sehen, dass sich die Sicherheitslage trotz der Instrumente dramatisch verschlechtert hat. Glauben Sie, dass der Ansatz, den MINUSMA hier bietet, angesichts der Größe des Landes und der dramatischen Herausforderungen noch der richtige ist? Sind wir tatsächlich bereit, ist die Bundesregierung bereit, die Lücken, die zum Beispiel die Franzosen hinterlassen, adäquat aufzufüllen? Was können wir hier einbringen, um tatsächlich eine schlagkräftigte Mission vor Ort zu haben?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Auch wenn wir sagen: „Wir müssen jetzt mehr in Verteidigung investieren“, was ich absolut unterstütze und wofür ich werbe – das sage ich auch mit Blick auf die spätere Debatte –, ist es nicht so, dass alles falsch ist, was wir in der Vergangenheit gesagt haben. Das sehen wir auch in Mali. Ein Land wird nicht allein durch die Ausbildung von Streitkräften automatisch zu einer Demokratie; sondern militärisches Engagement muss immer in politisches Handeln eingebettet sein. Und es kommen weitere Fragen hinzu. Wenn man eine der ärmsten Regionen dieser Welt ist, dann stellen sich eben auch Fragen wie: Was bedeutet eigentlich Ernährungssicherheit? Deswegen werden wir – ich glaube, auch das teilen wir – mit MINUSMA nicht alle Probleme Malis lösen; das können wir gar nicht. Vielmehr ist der Auftrag dieser Mission der Vereinten Nationen, überhaupt zum Beispiel Lebensmittelhilfe und die Unterstützung der Zivilbevölkerung garantieren zu können und überhaupt in einem Mindeststandard sicherzustellen, dass Frauen sich auf den Markt trauen können, ohne Angst haben zu müssen, sofort vergewaltigt, verschleppt oder ermordet zu werden. Wir sehen, dass die Herausforderungen zunehmen, erst recht, wenn die Franzosen abziehen. Deswegen arbeiten wir, die Verteidigungsministerin und ich, daran, wie diese Lücken, die durch den Abzug der Franzosen entstehen, zum Beispiel mit Blick auf die Kampfhubschrauber, durch andere Akteure gefüllt werden können.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Aber hier sind auch die Vereinten Nationen in der Verantwortung, diese Lücke zu schließen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen Fragesteller lasse ich noch zu: Herrn Kollegen Reichardt von der AfD-Fraktion.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, wir haben schon während des Krieges auf dem Balkan erlebt, dass unter einem grünen Außenminister im Rahmen einer Salamitaktik so lange immer weiter eskaliert wurde, bis am Ende deutsche Bombenflugzeuge in einen Krieg auf dem Balkan eingegriffen haben. ({0}) Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Können Sie hier dem Parlament erklären und damit auch dem deutschen Volk versprechen, dass es weder zu Lande, zu Wasser noch in der Luft zu einem Kampfeinsatz deutscher Truppen in der Ukraine kommen wird? Ich frage das insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie ja gesagt haben: Wir haben dort Ziele zu erreichen. – Was ist, wenn wir diese Ziele mit den Waffenlieferungen, die Sie unterstützen, nicht erreichen können?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Vielleicht zum ersten Teil Ihrer Frage bzw. Anmerkung. Auch das unterscheidet offensichtlich Ihre Partei von meiner Partei: Wir agieren in Situationen, wo sich die Welt komplett verändert hat, so, dass wir fragen: Was ist die Verantwortung den Menschen in unserem Land, aber eben auch unseren europäischen Freunden und Nachbarn und der Zivilbevölkerung gegenüber? Und ja, deswegen haben wir damals gesagt: Wenn wir die Möglichkeit haben, einen Völkermord zu verhindern, dann werden wir alles dafür tun, ({0}) auch wenn es vorher nicht im grünen Parteiprogramm gestanden hat. ({1}) Das Gleiche gilt für die jetzige Situation. Wenn die Ukraine zu Recht danach fragt, was wir tun können, damit nicht unschuldige Menschen bombardiert werden, dann stelle ich mir doch die Frage: Was kann Deutschland leisten? Und zu Ihrer Frage mit Blick auf die deutsche Beteiligung in der Ukraine: Ich finde das eine unglaublich schwierige Abwägung. Und manchmal wacht man nachts um drei auf – ich glaube, das geht vielen hier so – und denkt: Meine Güte, diese Menschen sind im Stahlwerk eingeschlossen. Können wir den Luftraum nicht sichern? – Aber dann denkt man eine weitere Minute nach und weiß: Dann wären wir Kriegspartei. Diese Abwägung immer zu treffen, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– das ist meine Verantwortung, das verlangt der Eid, den ich hier geschworen habe. Deswegen liefern wir Waffen so, dass wir nicht selber als NATO in diesen Krieg eingreifen, aber die Ukraine so unterstützen können, dass möglichst –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– wenige Menschen zu Tode kommen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der Kollege Reichardt hat auch noch eine kurze Nachfrage. Bitte. ({0})

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe Ihnen die Frage gestellt, ob Sie vor diesem Parlament erklären können und damit auch dem deutschen Volk heute sagen können, ({0}) dass es nicht zu einem Einsatz –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Bitte eine Frage stellen. Sie haben für die Frage 30 Sekunden Zeit.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– deutscher Truppen zu Lande, zu Wasser und in der Luft in der Ukraine kommen wird. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Auch wenn Sie lauter fragen, ist es mein Recht, an dieser Stelle zu antworten, wie ich möchte. ({0}) Und ich habe sehr deutlich gemacht, dass wir nicht Kriegspartei in diesem Krieg werden. Und deswegen gehen wir die Schritte, die wir gehen. Und wenn sich die Frage vielleicht auf Mali bezieht: Genau so treffen wir auch dort immer wieder die Abwägung, in der Verantwortung für unsere deutschen Soldaten und für die deutsche Bevölkerung – auch wenn Mali jetzt nicht so nahe an unseren Grenzen liegt –, aber eben auch in der Verantwortung für diese Welt. Wir sind Teil der internationalen Gemeinschaft; wir sind Teil der internationalen Ordnung. Und wenn wir das internationale Recht hochhalten, dann erfüllen wir auch unsere Verpflichtung, unsere Versprechen, die wir gegeben haben, sei es in Mali oder sei es in der Ukraine. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank. – Der nächste angemeldete Fragesteller ist Jürgen Braun, AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, seit etwa vier Wochen wird Israel von der brutalsten Anschlagsserie der vergangenen 20 Jahre erschüttert. Zuletzt wurden drei Menschen bei einem Anschlag mitten in Tel Aviv erschossen, sieben weitere schwer verletzt. Warum werden junge Araber zu Terroristen? Nicht zuletzt auch, weil es angebliche Menschenrechtsorganisationen gibt, durch die verurteilte Täter und ihre Familien Zuwendungen erhalten, rechtlich wie finanziell. Bereits im Oktober stufte die israelische Regierung sechs arabische NGOs aufgrund ihrer Verbindungen zur PFLP als Terrororganisationen ein. Israelischen Medien zufolge sollen Sie bei Ihrer Israel-Reise bekräftigt haben, die deutsche Regierung nehme die israelische Einschätzung ernst. Sie werden zitiert: Mittel des Auswärtigen Amts sollten nicht in unerwünschte Kanäle fließen. – Wie gedenken Sie sicherzustellen, dass künftig keine weiteren Mittel des Auswärtigen Amts an NGOs mit eindeutiger Verbindung zum Terrorismus fließen?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Das wird in Zukunft nicht passieren, und das ist auch in der Vergangenheit nicht passiert, sondern wir prüfen all unsere Geldflüsse, mit welchen NGOs wir zusammenarbeiten. Mit den NGOs, die Sie jetzt angesprochen haben, arbeiten nicht nur Deutschland, sondern auch die internationale Gemeinschaft, viele europäische Partner seit Jahren zusammen. Wie die bisherige deutsche Bundesregierung hat die neue deutsche Bundesregierung mit Blick auf die Einschätzung der israelischen Regierung gesagt: ({0}) Wir möchten gerne wissen, um welche Akteure es genau geht. – Wir sind nicht davon überzeugt, dass es diese Verbindungen gibt. Darüber habe ich auch mit meinem israelischen Außenministerkollegen vor Ort gesprochen. Das ist auch bei denen selber in der weiteren Prüfung, und im Rahmen dieser Prüfung sind wir im ständigen Austausch mit der israelischen Regierung. So wie wir in Deutschland Finanzmittel nach klaren Kriterien vergeben – nach klaren Kriterien mit Blick auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und natürlich Gewaltfreiheit –, tun wir das auch überall im Ausland. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Braun, Sie haben eine Nachfrage.

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – Im vergangenen Herbst als Terrororganisation eingestuft wurde auch Addameer. Addameer erlangte traurige Berühmtheit, als einer ihrer Mitarbeiter, der Araber Samer Arbid, im August 2019 an einer Terrorattacke beteiligt war, der das 17‑jährige jüdische Mädchen Rina Shnerb zum Opfer fiel. Diese arabische NGO wird seit Jahren von der Heinrich-Böll-Stiftung und damit indirekt vom Auswärtigen Amt mitfinanziert. ({0}) Gedenkt die Bundesregierung, die Finanzierung parteinaher Stiftungen wie der Heinrich-Böll-Stiftung an Bedingungen zu knüpfen, um sicherzustellen, dass die Mittel des Auswärtigen Amts auch nicht über Umwege an Terrororganisationen fließen?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Wir gedenken das nicht nur zu tun, wir tun das. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Gibt es weitere Fragen zum Thema? – Das sehe ich nicht. Dann ist die nächste Fragestellerin, die angemeldet ist, Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben in der letzten Zeit ja zwei sehr viel beachtete Reisen durchgeführt, einmal in die Sahelzone – dazu haben wir gerade schon gesprochen – und auch ins Baltikum; Sie hatten es anfangs ausgeführt. Sie haben dann gesagt, dass es nicht ausreicht, zu sagen: Wir werden schon da sein, wenn etwas passiert. – In Ihrer auch sehr beachteten Rede zur Sicherheitsstrategie, die ich jedem und jeder nur ans Herz legen kann, haben Sie gesagt: Wir müssen über die Stolperdrahtlogik nachdenken. – Mit welchen Schlussfolgerungen sind Sie von Ihrer Baltikum-Reise zurückgekehrt?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Mit vielen. Das ist jetzt schwierig in eine Minute zu packen, weil unsere Baustellen riesig sind; auch darüber werden wir nachher noch gemeinsam sprechen. Wenn wir mit Blick auf den Zustand der Bundeswehr und die Ausstattung der Bundeswehr feststellen, dass wir Lead Nation sind, aber zentrale Fähigkeiten, die wir zum Beispiel für Übungen brauchen, nicht gewährleisten können, dann sehen wir, dass wir wahnsinnig großen Nachholbedarf haben. Zugleich dürfen wir aber – das ist mir wichtig, das werden wir nachher auch noch diskutieren – nicht nur mit Blick auf unsere eigenen Streitkräfte nachdenken. Das zeigt uns diese dramatische Situation ja gerade: Wenn wir ein Bündnis sind, dann müssen wir im Bündnis agieren können. Das heißt, das, was wir an NATO-Fähigkeiten leisten, muss in Zukunft besser abgestimmt sein und werden. Daran arbeiten wir nicht nur im Rahmen der nationalen Sicherheitsstrategie, sondern auch im Rahmen des Strategischen Kompasses der EU. Bisher galt die Stolperdrahtlogik; das bedeutet: Wenn es einen Angriff von russischer Seite gäbe – man konnte sich das bisher nicht so vorstellen –, dann kommt der Vormarsch der russischen Truppen sehr bald ins Stocken und wir sorgen dafür, dass sie nicht weiter vordringen können. – Wir sehen in Butscha und anderen Orten: Das darf niemals passieren! Wenn Orte erst mal eingenommen sind, dann passieren schlimmste Menschenrechtsverletzungen. Das heißt, vom ersten Moment an –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– müssen wir das Baltikum verteidigen können, und das heißt, wir müssen dort aus meiner Sicht auch unsere Präsenz in Zukunft verstärken, aber gemeinsam mit der NATO. Das werden wir beim NATO-Gipfel dann gemeinsam auf den Weg bringen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Brugger, Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, vielen Dank für Ihre Ausführungen. – Ich glaube, was wir dort an Rückversicherungsmaßnahmen in so kurzer Zeit geleistet haben –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die Frage bitte.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– und die Eindrücke, von denen Sie hier berichtet haben, sind wichtig. Mit Blick auf die Debatte, die Sie gerade angesprochen haben, die wir heute hier im Parlament noch zum Sondervermögen führen werden, wollte ich Sie fragen, inwiefern Sie den Sicherheitsbegriff der NATO teilen, der ja doch ein sehr moderner und umfassender ist, und inwiefern wir das Sondervermögen auch in diesem Sinne verstehen sollten. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Da wird gerade reingerufen, dass die Grünen die Bündnisfähigkeit und die Strategie der NATO stärken wollen. Ich meine, es ist immer gut, wenn man sich vertieft in Themen einarbeitet – das gilt für alle hier im Haus – und wenn man Erkenntnisgewinne hat. Wenn man schon alles weiß, dann braucht man sich nicht weiter hineinzuvertiefen. Das, was in der NATO-Strategie in den letzten Jahren angelegt war, ist total richtig. Es ist eine politische Antwort. Deswegen bin auch ich als Außenministerin da und nicht alleine die Verteidigungsministerin: weil wir all das militärische Handeln im Rahmen der NATO politisch einbetten, weil es eine rein militärische Antwort nicht geben kann. Deswegen geht es in dem neuen Strategiepapier, das wir verankern, auch genau um die Frage politischer Verantwortung, zum Beispiel um Abrüstung, und zwar auch in den Zeiten, wo Russland die Abrüstungsverträge zertrümmert hat – anders kann man das derzeit gar nicht beschreiben –; aber gerade in solchen Momenten wird es für eine NATO-Strategie, die auf zehn Jahre angelegt ist, wichtig sein, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– das Thema Abrüstung mit zu verankern. Und an all die großen Freunde von feministischer Außenpolitik: Ich bin sicher, auch diese wird in der Strategie vorkommen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Eine Nachfrage hat Herr Keuter.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Bundesministerin, Ihre Rede im Baltikum ist gerade angesprochen worden. Sie haben am 20. April im Baltikum geäußert: „Deutschland lässt die russischen Energieimporte komplett auslaufen.“ Sie haben das auch schon für Öl zum Ende des Jahres angekündigt. Meine Frage ist: Halten Sie das dem deutschen Volk gegenüber für verantwortlich? Wenn wir heute an die Tankstellen fahren, sehen wir explodierende Kraftstoffpreise. Die Erdgasspeicher für etwa 25 Milliarden Kubikmeter Gas sind nahezu leer. Der nächste Winter wird mit Sicherheit irgendwann kommen. Die Frage ist: Vertreten Sie hier die Interessen des deutschen Volkes? Und haben Sie ein Risikomanagement vor Augen? Angenommen, die Russen würden sagen: Frau Baerbock, wenn Sie die Gas- und Öllieferungen auslaufen lassen wollen, dann kommt es auf ein halbes Jahr mehr oder weniger nicht an, und wir drehen euch jetzt die Leitung zu. – Für Polen hat es schon einen Lieferstopp gegeben. Die Frage ist: Sind Sie darauf vorbereitet? Was für Konsequenzen hätte das für Deutschland?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Ja, das sind wir; ansonsten würden wir es ja nicht tun. Und mit Blick auf Polen: Auch da sind wir gemeinsam in den Gesprächen. Robert Habeck war gerade in Polen. Auf die Szenarien, die jetzt eintreten, sind auch die Polen vorbereitet – mit unserer gemeinsamen Unterstützung. Deswegen ist es so wichtig, dass wir alle Schritte in der Europäischen Union gemeinsam gehen, und deswegen hat diese Bundesregierung sich dafür eingesetzt, dass wir den Komplettausstieg aus fossiler Energie als Europäerinnen und Europäer gemeinsam tun und nicht singulär als ein nationales Land – mit Blick auf die Sicherheit unserer Menschen. Vielleicht als Denksportaufgabe: Ihre Logik wäre ja: Dann tun wir jetzt gar nichts. Dann sagen wir gegenüber Russland: Das ist schon okay, was ihr da macht. Wir finden es zwar nicht ganz in Ordnung, dass ihr einmarschiert; aber es hat keine Konsequenzen. – Was würde das für die Sicherheit der Deutschen, was würde das für die Sicherheit der Europäerinnen und Europäer bedeuten? Ich glaube in der Abwägung, mit Blick auf Moldau und Transnistrien zum Beispiel, dass das die nächsten Ziele sind, und auch das Baltikum.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Es war absolut richtig, deutlich zu machen: Das hat Konsequenzen, und zwar massive, selbst wenn sie uns wirtschaftlich was kosten. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die letzte Frage, die ich zu diesem Themenbereich zulasse, ist von dem Kollegen Lechte.

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Vizepräsidentin. – Frau Bundesministerin, ich möchte noch mal auf die nationale Sicherheitsstrategie eingehen. Welche Auswirkungen hatte der Ukrainekrieg denn jetzt schon auf die nationale Sicherheitsstrategie, die wir im Koalitionsvertrag neu verankert hatten, und wie werden wir das innerhalb der Bundesregierung organisatorisch abbilden?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Da die Auftaktveranstaltung für die nationale Sicherheitsstrategie nach Ausbruch des Krieges stattfand – das hatte ich in meiner Rede bereits deutlich gemacht –, haben manche Aspekte, die wir vorher im Koalitionsvertrag nicht so prioritär vorgesehen hatten, jetzt natürlich eine andere Bedeutung – das ist das, was Frau Brugger gerade angesprochen hatte –, zum Beispiel die Verstärkung der Ostflanke. Da werden wir in Zukunft eine andere Verantwortung wahrnehmen, als wir uns das in diesem Land vielleicht noch vor zwei Jahren vorgestellt haben. Das Gleiche – das hatte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt – gilt mit Blick auf die nukleare Teilhabe. Wir haben bereits deutlich gemacht, F-35 zu beschaffen. Es gibt aber auch noch viele andere Bereiche. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist mir wichtig: Das ist eine Frage einer vernetzten Sicherheit. Was wir garantieren wollen, ist menschliche Sicherheit. Deswegen müssen wir auch die Sicherheit, in Freiheit leben zu können, verteidigen. Das bedeutet auch, die Zivilgesellschaft zu stärken. Das bedeutet auch, die Kultur zu stärken. Und das bedeutet auch, die vielen Krisen, die wir bereits angesprochen haben, mitzudenken.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Auch diese werden dort verankert sein. Zum Fahrplan sage ich gleich auf Ihre Nachfrage noch was.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Lechte, Nachfrage?

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, dann frage ich noch mal nach, damit die Frau Ministerin die Antwortzeit durch mich bekommt. – Vielen Dank. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Wir hatten die Auftaktveranstaltung – Danke an die Kolleginnen und Kollegen, die damals mit im Saal waren – und werden dies in einem Prozess weiterführen. Nicht nur, dass wir zum ersten Mal eine nationale Sicherheitsstrategie formulieren, sondern es geht hier auch um die Identität unseres Landes. Alte Gewohnheiten sind über Bord geworfen worden. Das heißt, wir diskutieren jetzt nicht nur darüber: „Wie wollen wir uns militärisch aufstellen?“; denn die Menschen in diesem Land haben Angst: ökonomische Angst, militärische Angst. Ich glaube, viele von ihnen diskutieren am Abendbrottisch darüber: Was bedeutet das eigentlich? Was sind eigentlich diese „Tier“-Panzer, die vorher niemand kannte? Jetzt reden wir über Gepards, Leos und Marder. Das sind doch Fragen, die wir hier früher überhaupt nicht diskutiert haben. – Deswegen ist es mir wichtig, dass wir einen weiten Prozess machen: nicht nur mit Thinktanks, nicht nur mit Ihnen hier im Parlament, sondern auch mit Workshops zu ganz konkreten Themen wie Cybersicherheit: Ist das innere Sicherheit? Ist das äußere Sicherheit? Auch das werden wir diskutieren müssen. Wir werden vor allen Dingen auch eine Tour raus ins Land machen, wo wir mit Menschen, die ausgelost und eingeladen werden – das haben wir auch zu anderen Themen schon gemacht –, gemeinsam diskutieren: Was bedeutet Sicherheit im Jahr 2022 für uns, aber auch für unsere Kinder? ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und die nächste angemeldete Fragestellerin ist Clara Anne Bünger, Fraktion Die Linke.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, es wird hier jetzt viel über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine gesprochen. Sie haben viel von Abwägung und von Schutz von Menschenleben gesprochen. Das ist sehr wichtig und sehr richtig. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch in Afghanistan nach wie vor viele Menschen in extremer Gefahr sind. Acht Monate nach der Machtübernahme der Taliban sind nicht mal die Hälfte der Menschen, die eine Schutzzusage durch Deutschland hatten, nach Deutschland in Sicherheit gebracht worden. Und: Aus einer Antwort aus Ihrem Ministerium auf eine Kleine Anfrage von mir geht hervor, dass Menschen, die bereits eine Aufnahmezusage durch Deutschland hatten, gestorben sind. Es ist doch eine schier unerträgliche Vorstellung, dass Menschen, die eigentlich Schutz in Deutschland bekommen hätten, in Afghanistan von den Taliban ermordet wurden. Wie erklären Sie sich das, und warum stockt die Aufnahme für Menschen, die eine Aufnahmezusage haben, immer noch? Ist das nicht auch ein Versagen Ihres Ministeriums?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Bei jedem einzelnen Fall, den wir nicht schnell genug bearbeiten können, müssen wir uns immer wieder fragen: Wie können wir schneller und besser werden? Ich möchte hier überhaupt nichts schönreden. Fakt ist, dass wir einen riesengroßen Berg von Anfragen im Auswärtigen Amt haben, der sich, seitdem die Taliban die Herrschaft in Afghanistan übernommen haben, aufgetürmt hat. Wir haben unter Hochdruck versucht, diesen Berg zu reduzieren. Deswegen stimmen die Zahlen, die Sie gerade zitiert haben, nicht; denn in den letzten Wochen konnten wir viele weitere Menschen aus Afghanistan herausholen, aber eben noch nicht alle, die eine Zusage bekommen haben. Deswegen müssen wir hier gemeinsam mehr tun. Wir hatten eine Veranstaltung mit der Zivilgesellschaft, bei der die Innenministerin und ich noch mal deutlich gemacht haben, dass wir § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz stärker anwenden wollen als in der Vergangenheit. Hier hat es in der Vergangenheit bei Einzelfällen negative Aussagen gegeben. Das werden wir anders machen. Entsprechend der Zusage, die wir der Zivilgesellschaft dort gegeben haben, werden wir über § 22 Satz 2 -

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– insbesondere die Schutzbedürftigen, Frauen, Menschenrechtsverteidigerinnen, die nicht auf der alten Liste standen, jetzt herausholen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Das werden wir weiter verstärkt tun, so wie wir es in den letzten Wochen schon getan haben. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Bünger, Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. – Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Sie haben ja schon an vielen Stellen betont, dass Ihnen das Schicksal dieser Menschen am Herzen liegt. Aber es wäre doch besser, wenn Ihre Beteuerungen auch in Taten umgesetzt und Sie substanziell helfen würden. Es ist zum Beispiel so, dass einige Familien in Afghanistan ihre Häuser noch vor Abzug der westlichen Truppen als Safe Houses zum Schutz der Ortskräfte und anderer Menschen zur Verfügung gestellt haben. Diese Menschen sind jetzt in konkreter Gefahr. Es handelt sich dabei um 80 Personen; eine entsprechende Anfrage liegt auch Ihrem Ministerium vor. Bisher gibt es von Ihrem Ministerium keine Unterstützung. Diese Menschen befinden sich aber in akuter Lebensgefahr. Da müsste aus meiner Sicht auch aus Ihrem Ministerium ein Entgegenkommen stattfinden. Meine Frage an Sie: Werden Sie diesen 80 Personen – das ist ja eine begrenzte Personenzahl – ein Angebot zur Unterstützung machen? – Vielen Dank.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Da müssten wir vielleicht gleich noch mal präzisieren, was Sie mit „Unterstützung“ meinen, da ich jetzt nicht weiß, auf welche 80 Menschen Sie sich beziehen und ob diese im Safe House bleiben oder ob sie ausreisen sollen. Das sind ja große Unterschiede. Wir unterstützen beides: Wir unterstützen diejenigen, die sagen: Wir bleiben vor Ort. – Das betrifft sowohl Menschen aus der Zivilgesellschaft als auch internationale Organisationen vor Ort. Das tun wir auf der einen Seite: Wir unterstützen Safe Houses vor Ort – falls das Ihre Frage war. Wenn die Menschen ausreisen sollen – das wäre ein anderer Bereich –, dann ist die Frage, ob sie auf den Listen mit lokal Beschäftigten standen. Auf viele, die jetzt bedroht sind, trifft das nicht zu; das ist die besondere Herausforderung. Deswegen bringt es nichts, allein auf die Liste zu schauen. Im Dezember war es mir wichtig, deutlich zu machen: Die besonders Schutzbedürftigen, das sind eben Frauen, das sind Journalistinnen, das sind auch Menschenrechtsverteidiger. Die müssen wir über § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz zusätzlich rausholen können. Und: Ja, daran arbeiten wir. Es gibt weitere Fälle; darum muss man gar nicht herumreden. Es gibt Fälle, die wir nicht erfasst haben. Viele von Ihnen, aus fast allen Fraktionen, reichen ja diese Einzelfälle bei uns ein.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Das ist wichtig, und darum müssen wir uns einzeln kümmern. Aber – letzter Satz –: Ich kann die Menschen da nicht ausfliegen. So furchtbar das ist: Die Taliban entscheiden, wer rauskann. Deswegen müssen wir – ich sage das hier deutlich –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzter Satz.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– mit Katar, mit Pakistan zusammenarbeiten, die immer wieder erreicht haben, dass Menschen über die Grenze kommen können. Auch das werden wir weiterhin tun. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Eine weitere Frage zu diesem Thema hat der Kollege Sichert.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es geht ja hier um den Schutz von Menschen vor radikalislamischen Regimes. In dem Zusammenhang haben wir es ja nicht nur mit dem Thema Afghanistan zu tun. Momentan bombardiert die Türkei Gebiete im Norden des Irak. Als die Türkei Gebiete im Norden Syriens bombardiert hat, haben Sie ganz klar gefordert, die Rüstungsexporte aus Deutschland in Richtung Türkei sofort zu stoppen. Sie haben auch gesagt, dass man über wirtschaftliche Sanktionen gegenüber der Türkei nachdenken muss. Jetzt haben wir genau die gleiche Situation. Aber Sie sind jetzt nicht mehr, wie damals, nur Grünenvorsitzende, sondern Sie sind jetzt Außenministerin; Sie können also auch Entscheidungen treffen. Meine Frage an Sie ist: Wie stehen Sie jetzt zu einem Verbot von Waffenexporten in die Türkei bzw. zu wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Türkei wegen deren völkerrechtswidrigem Angriff auf Gebiete im Irak?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Die Rechtslage hängt ja nicht davon ab, ob man Grünenvorsitzende oder Außenministerin ist. Wir haben ein klares völkerrechtliches Verständnis davon, was souveräne Staaten tun dürfen: Sie dürfen sich selbst verteidigen, so wie das jedes Land auf dieser Welt darf; aber sie müssen immer humanitäres Völkerrecht und internationales Recht achten. Und wenn das nicht der Fall ist – sei es seitens der Türkei oder anderer Staaten –, dann muss man das deutlich benennen und kritisieren; das habe ich auch in der Vergangenheit deutlich gesagt. Zu den jüngsten Vorfällen im Nordirak. Wieder haben wir noch nicht bestätigte Berichte; aber es muss deutlich gemacht werden, warum es Angriffe gegeben hat. Es muss deutlich gemacht werden, dass humanitäres Völkerrecht und internationales Recht nicht gebrochen worden sind. Wenn das doch der Fall ist, dann müssen wir das – das tun wir als deutsche Bundesregierung auch – kritisieren. Mit Blick auf die Rüstungsexporte haben wir ja bereits von der Vorgängerregierung eine sehr restriktive Haltung.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Da hat es kein Umschwenken gegeben, sondern wir führen genau diese restriktive Haltung fort. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für die Möglichkeit einer Nachfrage. – Eine ganz konkrete Nachfrage an der Stelle: Das heißt, wenn tatsächlich nachgewiesen wird und Sie dann die Erkenntnis haben, dass die Türkei Gebiete im Norden des Iraks völkerrechtswidrig bombardiert hat, dann werden Sie sich in der Bundesregierung für einen Stopp der Lieferung von sämtlichen Rüstungsgütern an die Türkei starkmachen und gegebenenfalls auch wirtschaftliche Sanktionen in Erwägung ziehen. Sehe ich das richtig?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Bereits seit 2016 erfolgt die Prüfung von Einzelfällen vonseiten der Vorgängerregierung, auch im Einklang mit den anderen EU-Staaten. Es hat keine Exporte von Rüstungsgütern gegeben, die dort eingesetzt werden. Wir haben deutlich gemacht, dass auch alle anderen Ausfuhren sehr, sehr kritisch zu begutachten sind, wenngleich die Türkei ein NATO-Mitglied ist; das möchte ich an dieser Stelle einmal deutlich machen. Weil die Lage auch hier wieder komplex ist, möchte ich außerdem deutlich machen, dass die Türkei – so kritisch ich es sehe, dass sie sich den Sanktionen gegen Russland nicht anschließt – im Schwarzen Meer einen wirklich wichtigen Beitrag dazu leistet, dass dort keine russischen Kriegsschiffe durchfahren können. Auch hier muss man wieder beide Seiten betrachten. Aber: Die Genehmigungen von Exporten in die Türkei sind jetzt schon auf historisch niedrigstem Niveau, und es wird nur noch das geliefert, was im Rahmen bereits abgeschlossener Verträge überhaupt geliefert werden muss. Es wird angesichts dieser Situation keine neuen Exporte geben. Ich möchte einmal deutlich machen: Es gibt keinen Rabatt auf Menschenrechte, weder in dieser Situation noch im Vorwahlkampf. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste angemeldete Fragestellerin ist die Kollegin Anikó Merten, FDP-Fraktion.

Anikó Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005150, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, in diesen Tagen erreichen uns sehr beunruhigende Nachrichten von mehreren Explosionen in der moldauischen Region Transnistrien. Sie haben es vorhin schon mal kurz anklingen lassen, aber ich würde das gerne noch einmal vertiefen: Wie bewerten Sie das Risiko einer Ausweitung des Konflikts auf die Republik Moldau vor dem Hintergrund dieser jüngsten Berichte und nach den Äußerungen des russischen Vizeaußenministers zu einer friedlichen Lösung im Transnistrien-Streit und bei dessen gleichzeitiger Betonung, die gesamte Schwarzmeerküste unter russische Kontrolle zu bringen?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Ich sehe das enorm kritisch. Das war auch einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, diese Moldau-Unterstützungskonferenz relativ akut auf den Weg zu bringen. Es ging dort ja nicht nur darum, bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. Die Energielieferung war ein anderer wichtiger Bereich, weil Moldau mit Blick auf die Energieversorgung von Transnistrien abhängig ist. Es ging aber auch um Grenzschutz und Sicherheit. Viele Länder haben mitgemacht und haben jetzt Verantwortung übernommen, um dort federführend einzusteigen. Die Staatspräsidentin war ja gerade auch noch mal zu Gesprächen vor Ort und hat deutlich gemacht, dass die Sorgen, die sie vor ein paar Wochen hatten, durch die jüngsten Vorfälle nicht geringer geworden sind. Auch sie kann nicht abschließend beurteilen, von wem das ausgegangen ist. Die transnistrischen Akteure hatten ja eigentlich in den Tagen zuvor deutlich gemacht, dass sie zum Beispiel auch Ukrainerinnen und Ukrainer, die dorthin geflohen sind, unterstützen. Ich hoffe sehr, dass es bei dieser Haltung bleibt. Deswegen kann man zum jetzigen Stand nicht sagen, ob es eine False-Flag-Operation war –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Ministerin, kommen Sie zum Schluss.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

– oder wer der Akteur ist. Aber die Lage ist wirklich besorgniserregend, und deswegen stehen wir auch hier an der Seite von Moldau. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage. – Sehe ich eine weitere Nachfrage zu dem Thema? – Jetzt müssen Sie sich einig werden: Annette Widmann-Mauz und Tilman Kuban haben sich faktisch gleichzeitig gemeldet. – Dann fangen wir mit Frau Widmann-Mauz an. Dann folgt Herr Kuban.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wir haben gerade das Thema Transnistrien angesprochen. In diesem Kontext würde mich interessieren: Wie bewerten Sie die Wünsche aus der Ukraine, aus Moldau und aus Georgien nach einer Beitrittsperspektive für eine EU-Mitgliedschaft? Welche weiteren Schritte planen Sie diesbezüglich?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Das tue ich auch wieder nicht alleine. Das hören Sie jetzt bei jeder Frage; aber ich glaube, genau das ist das Wichtige. Wir haben ja in den vergangenen Zeiten manchmal erlebt, dass vonseiten der deutschen Bundesregierung gesagt wurde: Wir machen das jetzt so und gucken mal, was die anderen machen. Ich glaube, dass es gerade bei solchen Fragen zentral ist, dass man erst mit allen bespricht, wie wir diesen Weg gemeinsam als Europäische Union gehen können. Die EU-Kommissionspräsidentin hat ja bereits den Fragebogen an die Ukraine übermittelt. Wir alle hier im Saal wissen, glaube ich, dass das eine Situation ist, die es so nie zuvor gegeben hat, dass wir uns aber hüten sollten, Dinge zu versprechen, die wir nicht halten können. Wir können mit Blick auf den Beitritt nicht sagen: „Wir lassen jetzt mal alles außen vor, weil das ein Beitritt zum Binnenmarkt ist“; denn wir haben nicht nur Artikel 5 des NATO-Vertrags zu beachten, sondern auch eine Beistandsklausel im EU-Vertrag. Das muss man alles mit berücksichtigen. Ich habe ja bereits deutlich gemacht, dass das Europäische Haus der Ukraine natürlich offen steht und dass die Ukraine – mit Blick auf die Frage, wo sie hingehört – im Herzen Europas verankert ist. Aber wir müssen gemeinsam sehen, was das auch für andere Länder bedeutet, gerade auf dem westlichen Balkan, die jetzt unverzüglich ihre Verhandlungen eröffnen müssen. Albanien und Nordmazedonien, da drängt es wirklich. Wir dürfen diese Region nicht aus den Augen verlieren.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage, Frau Widmann-Mauz. – Dann Herr Kuban, und dann Frau Akbulut. Aber erst mal Herr Kuban.

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wir sind beim Themenkomplex Moldau, und wir sehen, dass dort die Inflation in erheblichem Maße steigt – sie liegt jetzt bei 18 Prozent – und dass sich der Gaspreis vervierfacht hat. Sie haben bei der Geberkonferenz hier in Berlin deutlich gemacht, dass wir überwiegend mit Krediten helfen. Ich glaube, dass wir auch mit direkter Budgethilfe viel mehr tun müssen. Das ist ein Land, das vor immensen Herausforderungen steht. Es droht möglicherweise auch ein Angriff auf Odessa, sodass weitere Flüchtlingsströme in Moldau ankommen. Es ist ein Land mit 2,5 Millionen Einwohnern, das schon über 100 000 Menschen aufgenommen hat. Wenn man das mit Deutschland vergleicht, wären es über 3,5 Millionen Menschen, die wir hier aufgenommen hätten. Die Frage ist: Müssen wir nicht mehr tun? Sind Sie bereit, weitere Budgethilfen für die Republik Moldau zu gewähren?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Es freut mich, das aus den Reihen der CDU zu hören: mehr Menschen aufzunehmen. Mit Blick auf die Budgethilfe: Wir haben ungebundene Kredite bereitgestellt, aber auch deutlich gemacht, dass wir auch Budgethilfe leisten können. Ich möchte an der Stelle noch mal sagen: Die Bundesregierung entscheidet ja nicht allein über den nächsten Haushalt und auch nicht über den Ergänzungshaushalt. Wir haben hier noch ein paar Debatten darüber mit Blick auf die Schuldenbremse und anderes. Wir haben hier jetzt viele Themen angesprochen, und eines davon ist die Ernährungssicherheit. Wir werden in der humanitären Hilfe unsere Anstrengungen nicht nur verdoppeln müssen. Wir sehen die Herausforderungen in der Ukraine, und wir sehen das Sondervermögen. Wir sehen auch das, was Sie zu Recht ansprechen – und da bin ich als Außenministerin voll dabei –: Auch in Moldau müssen wir mehr tun. Dann müssen wir dafür aber auch gemeinsam die finanziellen Mittel auf den Weg bringen; das sage ich jetzt, auch wenn ich nicht die Finanzministerin bin. Wenn wir gemeinsam dafür Lösungen finden – und zwar so, dass wir vielleicht alte Brandmauern überwinden können –, dann würde das, glaube ich, nicht nur Moldau helfen, sondern auch der Sicherheit der – unserer eigenen – Europäischen Union. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Fragestellerin, noch zu diesem Thema, ist die Kollegin Akbulut, Fraktion Die Linke.

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich wollte meine Frage zum Themenkomplex Türkei stellen, wie ich sie auch angemeldet hatte.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Mit dem Themenkomplex sind wir jetzt schon durch.

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber es geht um feministische Außenpolitik.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Da sind wir jetzt trotzdem schon durch. Ich muss hier ein kleines bisschen auch auf die Ordnung achten. ({0}) Von daher könnten wir diesen Themenkomplex für die nächste Befragung der Bundesregierung berücksichtigen. Zudem besteht immer die Möglichkeit der Nachfrage, und ich lasse ziemlich viele Nachfragen zu. Dann kommen wir weiter in der Runde. Ich weiß, dass sich zu diesem Komplex noch die Kollegin Dr. Jurisch gemeldet hat.

Dr. Ann Veruschka Jurisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005094, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben schon über die europäische Perspektive und die Annäherung der Ukraine, Moldaus und Georgiens an die EU gesprochen. Sie haben auch schon etwas zur aktuellen Thematik gesagt. Aber was können wir denn kurzfristig und auch mittelfristig tun, um diese Annäherungsbestrebungen und auch die Sicherheit, die die EU diesen Ländern gibt, zu unterstützen? Dann direkt noch die Anschlussfrage: Wie können wir eigentlich die Aufnahmekapazität der EU verbessern? Was können wir als Deutschland tun, damit wir da besser werden? – Vielen Dank.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Also, bei den drei genannten Ländern sollten wir genau miteinander besprechen, was es für Möglichkeiten gibt, auch in den Vorstufen. Aber das Wichtigste, das wir jetzt für die Ukraine tun können, ist, alles dafür zu tun, dass dieser furchtbare Krieg aufhört. Das ist ja das größte Hindernis für jegliche weitere Schritte. Mit Blick auf Georgien und auch Moldau müssen wir dafür sorgen, dass das Ganze nicht überschwappt auf diese Länder. Ich möchte, um einmal vom Thema Waffen wegzukommen, noch deutlich machen: Wir müssen auch weiter investieren. Das ist in der Ukraine derzeit natürlich wahnsinnig schwierig. Deswegen unterstützen wir dort auch mit direkter Wirtschaftshilfe. Aber in Moldau und auch in Georgien sieht das anders aus, gerade in Moldau. Das, was wir über die Moldau-Unterstützungsplattform in der Energieversorgung bereitstellen, bedeutet eben auch, dass deutsche Firmen und europäische Firmen dort reingehen und die erneuerbaren Energien ausbauen. Das Gleiche gilt für den westlichen Balkan. Wenn wir die Souveränität dieser Staaten nicht nur stärken wollen, sondern wenn wir auch dafür sorgen wollen, dass die Einflussnahme von Russland abnimmt, dann müssen wir mit Blick auf die Energieabhängigkeit, die derzeit noch besteht, dafür sorgen, dass diese Staaten unabhängig werden, so wie wir das auch tun.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Eine Nachfrage noch?

Dr. Ann Veruschka Jurisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005094, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. Die Beitrittsperspektive für die Ukraine: Wie können wir das noch besser vorbereiten, sodass sich dieser Prozess verstetigt und vielleicht auch beschleunigt?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Wie gesagt: Die EU-Kommissionspräsidentin hat gerade erst den Fragebogen abgeschickt. Normalerweise braucht man zwei Jahre dafür, ihn zu beantworten. Mit dieser Situation, mit dieser Herausforderung werden wir jetzt gemeinsam mit unseren europäischen Partnern umgehen. Wir wollen deutlich machen: Die Ukraine gehört zu Europa. – Zugleich ist das ja kein Selbstzweck, sondern es geht auch um die Frage: Welche rechtlichen Schritte sind mit dem Beitrittsprozess verbunden, und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Es geht darum, dass wir das in dieser Situation, die es so noch nie gegeben hat, gemeinsam lösen können. Ich möchte noch mal unterstreichen: Es darf auf keinen Fall passieren, dass wir im Frühsommer Albanien und Nordmazedonien sagen: Ach, das haben wir jetzt nicht so gemeint. – Da gibt es nämlich ein Land, das hier blockiert, und ich setze gerade meine Anstrengungen darauf, dass diese Blockade beendet wird. Das dürfen wir nicht machen; denn auch dann hat Putin hier einen Teilerfolg erreicht. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass dort die Beitrittsverhandlungen entsprechend beginnen können, parallel zur Unterstützung der Ukraine mit ihrer europäischen Perspektive.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen unabhängig werden, unabhängig von russischen Energien, aber auch insgesamt unabhängig von schmutzigen Energien. Deswegen ist es gut, dass wir schon bald nicht mehr auf russische Öllieferungen angewiesen sein werden. ({0}) Dies wurde möglich aufgrund deutsch-polnischer Zusammenarbeit und europäischer Solidarität, und es ist ein großer Erfolg von Bundesminister Habeck, dem ich sehr herzlich gratulieren möchte; denn die polnische Regierung hat zugesagt, die Raffinerie in Schwedt in Ostdeutschland mit Öl zu beliefern. Sie war als letzte von russischem Öl abhängig. ({1}) Solidarisch sein heißt, dass wir jetzt auch unsererseits an der Seite von Polen und Bulgarien stehen, denen Putin heute den Gashahn abgedreht hat. Diese Drohung stand schon länger im Raum, und daher haben beide Länder ihre Gasspeicher gut gefüllt. Aber lassen Sie uns das nicht auf die leichte Schulter nehmen; Bulgarien zum Beispiel war zu 90 Prozent von russischem Erdgas abhängig. Und wir wissen nicht, was Gazprom als Nächstes einfällt, was sie als Nächstes tun wollen, um Zahlungen in Rubel durchzupressen. Dieses Anliegen scheint ihnen ja sehr wichtig zu sein. Es gibt keine absolute Sicherheit. Unsere Energieversorgung ist in jeder Hinsicht ein Risiko, für uns und auch für unseren Planeten. Viele sagen: Was wollt ihr schon wieder mit dem Bericht des Weltklimarates? Warum das? – Das ist kein NGO-Bericht, sondern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit haben mitgewirkt, und Regierungsvertreter aus allen Staaten der Erde haben diesen Bericht bestätigt. Sie wissen von diesem Bericht. Er ist relevant für uns alle. Ich möchte mit einer guten Nachricht einsteigen, auch die gibt es: Weltweit sind die Kosten für die Erneuerbaren, für Energie aus Sonne und Wind, in den letzten zehn Jahren um 85 Prozent gesunken. ({2}) Das ist gut. Aber umgekehrt ist es umso fataler und umso unverständlicher, dass wir weiterhin in der fossilen Welt feststecken, dass unsere Investitionen in fossile Energien die in erneuerbare Energien übersteigen. Das Spiegelbild dieses Feststeckens, dieser Abhängigkeit sind unsere CO2-Emissionen. Die steigen rasant nach oben; es gibt keine Atempause. Wenn wir den Ausbau der fossilen Infrastrukturen weltweit jetzt so verwirklichen, wie er geplant ist, dann überschreiten wir das 1,5-Grad-Ziel, die Grenze, die wir uns gesetzt haben und die wir eigentlich einhalten wollten. Wir können natürlich auch das wieder leugnen und sagen: 3 oder 4 Grad Erwärmung, was bedeutet das schon? So schlimm wird es schon nicht kommen. – Aber, meine Damen und Herren, dieser konsequente Selbstbetrug reicht tiefer als die Russlandpolitik der letzten Jahre. Er ist auch in diesem Fall eine Gefahr für uns. Bei einer Klimaerwärmung von 2 Grad sind bis zu 3 Milliarden Menschen auf der Welt von chronischem Wassermangel bedroht. Bei einer Erhitzung von 4 Grad ist jede zweite Art weltweit vom Aussterben bedroht. Ich könnte noch weitermachen: Dürre, Katastrophen. Ich möchte es zusammenfassen mit einem Satz von Amina Mohammed, Vizegeneralsekretärin der Vereinten Nationen: Die Menschheit befindet sich in einer Spirale der Selbstzerstörung Dieses Szenario beinhaltet noch mehr Kriege, noch mehr Menschenrechtsverletzungen, noch mehr Vertreibungen. Das ist letztlich das maximale Sicherheitsrisiko. Und diese Spirale können wir nur gemeinsam aufhalten. Wir müssen jetzt unsere CO2-Emissionen rapide senken. Der jetzige Wert muss der Peak sein, den wir erreicht haben. Deswegen verabschieden wir in diesen Wochen die größte Ausbauoffensive bei erneuerbaren Energien seit Bestehen des EEG. Das wird zentral sein für das Erreichen unserer Klimaziele. ({3}) Aber ich will auch klar sagen: Es geht in erster Linie um den Ausbau erneuerbarer Energien; das ist der wichtige Baustein. Aber es geht auch um Effizienz und um Energiesparen. Denn am grünsten ist jede Kilowattstunde, die wir nicht verbrauchen. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn wir wirklich eine klimaneutrale Wirtschaft wollen, können wir nicht nur die Technologie ändern, die wir anwenden, wir müssen auch unser Verhalten ändern, unsere Verfahren ändern. Deswegen ist es richtig, dass wir im Entlastungspaket auch höhere Effizienzstandards beim Bauen verabschiedet haben, und wir sollten, wir müssen noch weitergehen. Wir brauchen auch Vorgaben für die Wirtschaft, damit sie diesen Turn schafft, damit sie wettbewerbsfähig ist und bleibt. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lage muss ernst sein, wenn sogar der ADAC seine Mitglieder zum Spritsparen aufruft, wenn sogar in dieser Stunde die CSU-Landtagsfraktion über die 10-H-Abstandsregelung für Windkraftanlagen berät. Aber, es kann nicht bei Appellen und bei Beratungen bleiben. Wir müssen ins Handeln kommen. ({6}) Im Übrigen muss die 10-H-Regelung abgeschafft werden. Vielen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute hier über Klimaschutz debattieren, dann denke ich auch an unseren langjährigen Kollegen Josef Göppel, der heute vor zwei Wochen viel zu früh verstorben ist. Als Kämpfer für die Bewahrung der Schöpfung hat er sich in diesem Haus weit über Fraktionsgrenzen hinweg großen Respekt erworben. ({0}) Das würdigen Sie mit Ihrem Applaus. Ich will mit einem Zitat aus seiner letzten Rede beginnen, die er im Juni 2017 hier im Bundestag gehalten hat. Er sagte dort – als Förster –: Ich habe in meinem Leben durch Beobachtung eines gelernt: Immer dann, wenn man sich mit einer Maßnahme den Kreisläufen der Natur nähert, dann liegt man richtig; denn das, was sich in der Natur über Jahrmillionen herausgebildet hat, zum Beispiel die Rhythmen der Natur, können wir mit den erneuerbaren Energien aufgreifen. Ich denke dabei insbesondere an die Stabilität, die in der Bewegung der Natur liegt. Wenn wir uns diesen neuen IPCC-Bericht vor Augen führen, dann müssen wir feststellen: Diese Stabilität ist nicht nur bedroht, sie ist schon heute betroffen, sie ist schon heute verletzt. Die Folgen der Klimakrise sind schon heute verheerend. Sie werden noch verheerender sein, wenn die Erwärmung 1,5 Grad übersteigt, und noch verheerender, als vor Jahren von den Wissenschaftlern des IPCC und weltweit angenommen. Deshalb ist die eindrückliche und eindeutige Botschaft dieses Berichts: Die Zeit zu handeln, ist jetzt. ({1}) Das sage ich auch deshalb so ausdrücklich, weil wir jetzt betroffen sind und in besonderer Weise damit befasst sind, eine gemeinsame internationale Antwort zu geben auf Putins Krieg in Solidarität mit der Ukraine, in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft. Das muss sein. Das hat mit vielem zu tun. Es hat auch mit Energie zu tun. Bei der Frage, wie wir bei der Energieversorgung in Deutschland und in Europa kurzfristig von russischen Importen wegkommen, wird es sicherlich auch Umwege geben müssen. Aber wir müssen es von vornherein mit dem Handeln auf allen Ebenen verzahnen. Deshalb ist gerade die internationale Gemeinschaft gefragt, den Prozess des Pariser Abkommens weiterzuführen. Das wird schwierig, wenn nur ein Land aus der internationalen Gemeinschaft ausschert und wenn darüber hinaus Probleme drohen. Aber es muss weitergehen. Das ist ein Prozess souveräner Staaten, der schwierig ist. Es geht immer nur mit gemeinsamen Vereinbarungen. Um ihn anzutreiben, brauchen wir jetzt eine Allianz von Vorreitern, die sich gemeinsam Standards setzen, die gemeinsam weitergehen, die gemeinsam Partnerschaften auf den Weg bringen, die Technologien austauschen, die bei der Energie zusammenarbeiten, etwa in Industrieregionen und windreichen Regionen, wo nicht die Frage im Vordergrund steht, wie man Abhängigkeiten aufbauen kann, sondern wo Partnerschaften auf Augenhöhe zum Nutzen aller Seiten, zum gemeinsamen Voranbringen nachhaltiger Entwicklung eingegangen werden. In diesem Kontext sehe ich die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, ({2}) die in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde und die jetzt konsequent fortgeführt werden muss. Dazu gehört der Ausbau der erneuerbaren Energien, der beschleunigt werden muss, der in aller Breite vorangebracht werden muss, natürlich bei Sonne und Wind, aber auch mit den Potenzialen der Geothermie, mit der Nutzung der Biomasse und ihrer Potenziale. Das kann gerade jetzt, in dieser Krise, dazu beitragen, Gas schnell zu ersetzen. Es darf den erneuerbaren Energien nicht das Wasser abgegraben werden. Auch die Wasserkraft wird weiter einen wichtigen Beitrag leisten. Das ist unser Maßstab bei den Beratungen, die jetzt anstehen. Das muss ergänzt werden durch die Wasserstoffstrategie und durch Partnerschaften bei der Infrastruktur. Die LNG-Terminals, die jetzt beschleunigt vorangebracht werden, müssen die Blaupause für beschleunigte Verfahren sein. Es muss alles schneller werden; wir hatten das gerade bei den Verkehrswegen. Es geht um Stromtrassen, um die Infrastruktur generell, um den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das muss beschleunigt vorangebracht werden. Die Zeit zum Handeln ist jetzt, international, im Kontext der Europäischen Union und bei uns in Deutschland. Herzlichen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält Dr. Nina Scheer das Wort. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Situation des Klimawandels ist dramatisch. Damit die Temperatur nicht um mehr als 1,5 Grad, geschweige denn 2 Grad, gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigt, müssen die globalen CO2-Emissionen spätestens in drei Jahren sinken. Für 1,5 Grad muss die Treibhausgasmenge schon 2030 um 43 Prozent gegenüber 2019 zurückgehen. Dem IPCC zufolge erhöht jedes Weniger an Maßnahmen das Risiko, die Wende für Jahrzehnte zum Stagnieren zu bringen. Es ist also ein Wettlauf mit der Zeit. Insofern ist es mit Blick auf den Klimaschutz nach dem Prinzip „Global denken und lokal handeln“ für uns ein zentrales Vorhaben der kommenden Wochen, die Hemmnisse zu beseitigen, die heute mit den aktuellen Rahmenbedingungen einem beschleunigten Umstieg im Weg stehen. Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen dürfen nicht Jahre dauern; sie dürfen höchstens Monate dauern. ({0}) Repowering muss eine Selbstverständlichkeit sein. Es müssen deutliche Vereinfachungen für Kommunen, für Landwirte, für Bürgerenergiegesellschaften und für weitere Akteure geschaffen werden. Das muss einfach selbstverständlich werden. ({1}) Hier muss auch in Richtung Europäische Kommission deutlich ausgesprochen werden: Gerade in diesen Zeiten kann es nicht sein, dass Maßnahmen zur Beschleunigung der Energiewende und damit des Klimaschutzes im beihilferechtlichen Notifizierungsverfahren hängen. Das kann nicht sein. ({2}) Europäischer Handlungsbedarf besteht zudem, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, bei der Umrüstung des Erdgasnetzes auf Wasserstoff. Wir laufen zurzeit in Parallelstrukturen hinein, die uns letztendlich auch eine soziale Schieflage bescheren können, wenn dann bei dem veralteten Netz nur noch wenige übrig bleiben. Auch das ist eine enorm große Herausforderung. ({3}) Verhinderte Energiewende- und Klimaschutzmaßnahmen sind immer auch verhinderte Friedensoptionen. Auch die Energiepreissituation verlangt ebendiesen beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien, auch wenn erst gestern Abend erneut eine Einigung auf Entlastungsmaßnahmen in der Ampelkoalition gelungen ist. Klar ist und bleibt: Wir haben eine Preiskrise, die unseren weltweiten Abhängigkeiten von fossilen Energieressourcen und nichts anderem geschuldet ist. Zudem beschäftigen uns Auswirkungen – und die kommen obendrauf – des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und dessen Folgewirkungen auf unsere Energieversorgung. Neben der Loslösung von russischen Importen muss auch hier gelten: Wir brauchen den schnellstmöglichen Umstieg auf erneuerbare Energien, auch im Interesse von Energiesicherheit. Auch wenn es im Zeitalter der erneuerbaren Energien Importe geben wird, werden und dürfen sie keine neuen, einseitigen Importabhängigkeiten auslösen. ({4}) Erneuerbare Energien sind überall verfügbar und werden durch immer fortschreitende Optimierung der sektorkoppelnden technischen Möglichkeiten auch immer günstiger und vielfältiger einsetzbar. Von 2010 bis 2019 sind die Kosten pro Einheit für Solarenergie um 85 Prozent gesunken, für Windenergie um 55 Prozent. Wir erleben allerdings zugleich, dass die Produktionsstätten seit Jahren aus Deutschland abwandern. Es sind uns über die letzten Jahre schon rund 100 000, wenn nicht sogar 130 000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien verloren gegangen. So kann es nicht weitergehen. ({5}) Hier muss aus der Perspektive einer Industrienation und eines Energiewendepionierlandes, das wir sind, dringend eine Kehrtwende eingeleitet werden, um Wertschöpfung zu sichern und Klimaschutz aktiv mitgestalten zu können. Deswegen arbeiten wir mit Hochdruck an einem Bündel von Gesetzen, dem Oster- und Sommerpaket. Die Umstellung der Energieversorgung ist dabei zwar keine abschließende – wir haben auch andere Bereiche; das ist klar –, aber eine notwendige Voraussetzung, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Auch dem G‑7-Vorsitz Deutschlands kommt dabei natürlich eine herausragende Bedeutung zu. Ich möchte einmal kurz auf die Bedeutung des Außenhandels eingehen. Außenhandel muss in jeder Hinsicht Teil der Lösung und darf nicht Teil des Problems sein. Wenn aber Energiewende- und Klimaschutztechnologien verdrängt werden, da der Markt die Vermeidung von CO2 und andere Nachhaltigkeitsziele nicht ausreichend anerkennt, besteht auch hier Handlungsbedarf. Wir gehen das etwa mit dem Grenzausgleichsmechanismus an. Aber das ist nicht ausreichend; wir müssen weitere Maßnahmen ergreifen. Rahmenbedingungen zum grenzüberschreitenden Handeln müssen gewährleisten, dass Energiewende- und Klimaschutztechnologien keinen Nachteil, sondern einen Vorteil erfahren. Klimaschutz und Energiewende im internationalen wie im nationalen Kontext sind immer auch eine Gerechtigkeitsfrage. Die meisten Armutsrisiken werden in der Nichtverfügbarkeit von Energie bestehen. Ich komme zum Schluss. Unsere Solidarität mit der Ukraine sollte bereits jetzt auch umfassen, dass eine Säule des Wiederaufbaus der Ukraine der Umstieg auf erneuerbare Energien in der Ukraine ist. ({6}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Für die AfD-Fraktion erhält jetzt das Wort Karsten Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Zu Weihnachten singen zumindest christliche Kinder das schöne Lied „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“. Mit gleicher Zuverlässigkeit beschert uns das IPCC, der selbsterklärte Weltklimarat, einen weiteren seiner apokalyptischen Berichte – noch einen und noch einen und noch einen –, diesmal mit dem Bericht der Arbeitsgruppe III, der wohlfeile Anleitungen enthält, wie man die bösen Treibhausgasemissionen doch noch vermindern könnte. Doch anders als im berühmten Weihnachtslied, welches Hoffnung und Segen verspricht, kommen die IPCC-Berichte nicht mit Hoffnung und Segen, sondern mit düstersten Prophezeiungen über den immer schneller kommenden und sicheren Weltuntergang, der uns allen droht, wenn wir diesen Vorgaben nicht sofort und unumkehrbar, ohne Rücksicht auf Verluste, koste es, was es wolle, folgen. So wie die Kirche im Mittelalter die Menschen mit dem Fegefeuer in Angst und Schrecken versetzte, so sind es heute Weltuntergangspropheten, die grünen Kommunisten, die die Menschen mittels Angst umerziehen wollen. Könnte man das Wort „Weltuntergang“ steigern, würde das IPCC genau das tun. Da das nicht geht, beschränkt es sich darauf, die zukünftige Welt in immer düstereren Farben zu malen – und das unverdrossen immer und immer wieder. Die grünen Kommunisten, ihre Mitläufer und die von ihnen gesteuerten Leitmedien gewähren diesem wissenschaftlich verbrämten Unsinn ({0}) jedes Mal wieder ein Riesenpodium und posaunen alles ungeprüft in die Welt. ({1}) Sie nutzen die Klimaideologie – ich sagte es bereits vor drei Jahren – als ein Vehikel, um letztendlich sozialistisch-kommunistische Verhältnisse einzuführen, mit all den Annehmlichkeiten, ({2}) die Sozialismus immer und überall mit sich brachte: Verelendung, Unfreiheit, Umerziehung von Menschen zu obrigkeitshörigen Sklaven, Millionen Tote. ({3}) Dabei wäre es gerade im Zeitalter des Internets ein Leichtes, die bisherigen Prognosen einer Überprüfung zu unterziehen. ({4}) Welche Weltuntergänge sind in den vergangenen 50 Jahren prophezeit worden, und was davon ist eingetreten? Das wäre eine leichte Übung für jeden seriösen Wissenschaftler, wenn er weiterhin als seriös gelten will. Doch machen das das IPCC und die ihm zuarbeitenden Wissenschaftler oder die Medien? Macht das die Regierung, ({5}) die ihre extrem teuren und zerstörerischen Maßnahmen entsprechend begründet, obwohl sie eine Verantwortung gegenüber ihren Steuerzahlern und auch der ganzen Bevölkerung hat? – Sie machen es nicht, weil sich dann zeigen würde, dass nicht eine der Prophezeiungen eingetroffen ist; so wie Tausende Wissenschaftler der Hypothese widersprechen, dass die menschengemachten CO2-Emissionen das Klima maßgeblich beeinflussen. Haben einige von ihnen speziell beleuchtet, welche Horrorprognosen der letzten 50 Jahre denn wirklich eingetreten sind? – Wie zu erwarten war: keine, keine einzige! ({6}) Weder gab es eine kommende Eiszeit, noch gab es Millionen Hungertote ({7}) wegen zunehmendem Ressourcenmangel an fossilen Brennstoffen, weder, weder. Doch statt nun zu sagen: „Wir lagen falsch“, passten die Weltuntergangspropheten ihre Prophezeiungen einfach an. Aus einer Eiszeit wurde die Klimaerwärmung, aus dieser dann die Klimakrise. Weil die fossilen Energieträger partout nicht zur Neige gehen wollten, wurden sie zu schwersten Umweltsündern erklärt. Und weil nichts sichtbar ist, was die Wirkung des verhassten CO2 auf das Weltklima belegt, weil nicht mal die anderen Länder – jene, die nicht von dieser Wohlstandsverwahrlosung wie Deutschland und die EU befallen sind – den Pariser Vorgaben folgen und stattdessen ihre Emissionen munter und ungebremst erhöhen, werden Pseudobeweise vorgelegt, zum Beispiel die Behauptung des Umweltministeriums, Orkanstürme, Überschwemmungen, Dürren oder längere Trockenperioden infolge des Klimawandels nähmen zu. Das ist zwar, wenn man Klimazeitmaßstäbe anlegen würde, grottenfalsch, wird aber gern genutzt, um den Menschen so viel Angst zu machen, dass sie freiwillig auf vollkommen unnütze Techniken umsteigen, wie sie das IPCC in seinem jüngsten Bericht empfiehlt, als da wären: Wasserstoff, E‑Mobilität, Energiegewinnung aus riesigen, umweltzerstörenden Windindustrieanlagen und Solarfeldern. Hauptsache teuer, Hauptsache ineffizient, Hauptsache unbrauchbar, aber gut geeignet, um jede Menge Geld zu verbrennen. ({8}) Und die Regierung brüstet sich einmal mehr, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gibt ein schönes Sprichwort: Schreibe nichts der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist. – Das mag für einen Teil der Altparteienabgeordneten zutreffen. ({9}) Die Strippenzieher allerdings, die Konstrukteure des sogenannten Great Resets sind nicht dumm. Sie gehen sehr gezielt vor, um erstens Milliarden an Profiten zu kassieren und zweitens die Menschen in einen Zustand zu führen, den Herr Schwab mit folgenden Worten beschrieb: Sie werden nichts besitzen, und sie werden glücklich damit sein. Wir als AfD möchten auch, dass Menschen glücklich sind. Voraussetzungen dafür sind aber aus unserer Sicht – im Gegensatz zu den grünen Kommunisten – Freiheit, Demokratie und Wohlstand. Dafür steht die AfD, und dafür wird sie immer stehen. Vielen Dank. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält für die FDP-Fraktion Olaf in der Beek das Wort. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein neuer Bericht des Weltklimarates liegt vor, und die Wissenschaft warnt weiter vor den gravierenden Folgen des Klimawandels. Er zeigt aber auch: Den kleinen Spielraum, den wir noch haben, müssen wir nun wirklich nutzen. Es stehen große Herausforderungen an. Aber lassen Sie uns diese auch als Chancen begreifen und sie mit dem angehen, was Deutschland schon immer stark gemacht hat: mit der Innovationskraft und der Kreativität unserer Menschen. ({0}) Das IPCC, also der Weltklimarat, sagt, dass neueste Technologien und effiziente Instrumente verstärkt genutzt werden sollten. Wir haben in Deutschland kluge Köpfe, denen diese Umsetzung gelingen wird. Der Weltklimarat benennt dabei etwa technische Negativemissionen oder auch den Emissionshandel. Auch die Wirtschaft hat längst begriffen, dass gehandelt werden muss. Ich kann Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Viele Unternehmen sind schon wesentlich weiter, als das hier im politischen Berlin manchmal angekommen ist und als wir wahrhaben wollen. Daher ist unsere Aufgabe vor allem, diese schon seit Langem begonnene ökonomische Umstellung bestmöglich durch gute Rahmenbedingungen zu unterstützen. Bundesfinanzminister Lindner hat bereits angekündigt, bis 2026 allein 200 Milliarden Euro für Klimaschutz und Transformation bereitzustellen. ({1}) Das begrüßen wir ausdrücklich; denn so wollen wir die wirtschaftlichen Veränderungen unterstützen. Der verantwortungsvolle, zielgerichtete und effiziente Einsatz dieser Mittel versteht sich von selbst. Damit wollen wir auch die Rahmenbedingungen schaffen, um noch mehr privates Kapital für den Klimaschutz zu mobilisieren. ({2}) Die aktuellen Herausforderungen machen den Umgang mit dem Klimawandel natürlich nicht einfacher; denn nicht nur der IPCC-Bericht, sondern auch das Agieren Russlands muss bei der Energieversorgung und damit auch beim Klimaschutz zu einem Umdenken führen. Die Lösung und der Schlüssel sind und bleiben der Ausbau der erneuerbaren Energien. ({3}) Der Begriff „Freiheitsenergien“ wurde dabei völlig zu Recht verwendet. Nur der schnelle Ausbau dieser Freiheitsenergien wird uns in Zukunft unabhängiger von Energieimporten aller Art machen. Damit das gelingt, haben wir einiges zu tun; denn die Umstellung auf Klimaneutralität scheitert häufig nicht am Willen der Beteiligten, sie scheitert an der Überregulierung in unserem Staat. Bürokratie und Verwaltung dürfen der Klimawende nicht im Wege stehen. Sie müssen helfen, sie müssen auch der Beschleuniger sein. Die neuesten Gesetzesvorhaben zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien werden wir nicht nur konstruktiv begleiten, sondern die Ampel wird hier auch vorantreiben. Doch nicht Gesetze allein sorgen für Veränderung. Kein Windrad wird von allein aufgebaut, liebe Kolleginnen und Kollegen; keine Solaranlage kommt automatisch aufs Dach. Wenn wir wirklich klimaneutral werden wollen, müssen wir zum Beispiel auch Bausteine wie den Fachkräftemangel endlich in den Griff bekommen. Gerade Handwerkerinnen und Handwerker sind unsere Klimaschützer vor Ort. ({4}) Aber natürlich brauchen wir auch den Rückhalt aller, wenn wir erfolgreichen Klimaschutz betreiben wollen. Die Belastungen müssen sich deshalb in Grenzen halten. Die Ampel arbeitet hier an weiteren konkreten Lösungen. Ein zentraler Baustein zur Entlastung wird auch das Klimageld sein. Natürlich müssen wir auch über die internationale Dimension des Klimaschutzes reden. Unser Wirken für mehr internationale Vereinbarungen ist wichtiger denn je. Natürlich kann und wird Deutschland der Welt zeigen, dass auch als Industrienation die Transformation hin zur Klimaneutralität möglich ist. Diese Verantwortung haben wir, und dieser Verantwortung werden wir auch gerecht. Dazu hat sich die Ampelregierung einiges vorgenommen. Auf europäischer Ebene wollen wir den Emissionshandel auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausweiten. Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem globalen Emissionshandel. Nicht nur dazu kann ein internationaler Klimaklub einen wichtigen Beitrag leisten. Abschließend muss man sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns die Herausforderungen annehmen, aber gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen, also mit der gesamten Gesellschaft. Dann werden wir diese mit der notwendigen Zielstrebigkeit meistern. Davon bin ich überzeugt, und das ist auch das Credo der neuen Bundesregierung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort Ralph Lenkert für Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind zu langsam. Wir sind nicht konsequent. Wir übernehmen zu wenig Verantwortung. Wir suchen Gründe, wir reden, wir zerreden. Und das Schlimmste: Wir handeln nicht, obwohl wir die letzten Generationen sind, die den Klimawandel eingrenzen können und müssen. Die Durchschnittstemperatur in Deutschland erhöht sich derzeit alle zehn Jahre um 0,4 Grad. Das vergangene Jahrzehnt war bereits 1,9 Grad wärmer als das klimatologische Mittel. Warum reden wir heute in einer Aktuellen Stunde erneut über bekannte Erkenntnisse, statt konkrete Maßnahmen zu verabschieden? Wir sind zu langsam bei der Verkehrswende. Wir brauchen mehr Busse, Straßenbahnen, mehr Züge und mehr elektrifizierte Bahnstrecken, damit man nicht nur in Berlin, Leipzig oder Jena, sondern auch in Sömmerda, Bad Sulza oder Kleinneuhausen endlich ohne eigenes Automobil sein kann. ({0}) Zwingen wir Volkswagen, Elektrobusse, Straßenbahnen und Wasserstoffzüge zu bauen. ({1}) Wir sind nicht konsequent beim Umbau unseres Energiesystems. ({2}) Brechen wir die Macht der Energiekonzerne, damit Strom-, Gas- und Wärmesysteme zusammenwirken, statt in Konkurrenz Ressourcen zu verschwenden. ({3}) Wir brauchen dringend Energiespeicher und Wasserstoffelektrolyse. Stärken wir kommunale Stadtwerke. Wir brauchen dezentrale, regionale Stromspeicher, flexible Bioenergie, mehr Wind- und Solaranlagen, Geothermie und auch Abwärmenutzung. Wir übernehmen keine Verantwortung gegenüber gefährlichen Spekulationen, sinnloser Verschwendung und Klimaanpassung. Die Linke fordert eine Finanztransaktionsteuer. Das verringert Hochfrequenzhandel, spart Strom und Ressourcen für Hochleistungsrechner der Banken. ({4}) Verbieten wir Bitcoin. Bitcoin schürfen und Transfer verbrauchen mehr Strom als die gesamte Schweiz. Verhindern wir Immobilienspekulationen und Luxussanierungen. Die vernichten dringend benötigten Wohnraum. Wir brauchen die energetische Sanierung mit ausreichender Förderung für Warmmietenneutralität, damit Mieten bezahlbar sind. ({5}) Bauen wir unsere Städte um zu Schwammstädten, koppeln wir Hochwasserschutz mit Wasserspeicherung gegen Dürren, begrünen wir Stadtquartiere gegen Hitzesommer. Wir suchen Gründe, warum einfache Maßnahmen nicht gehen. Verabschieden wir endlich ein Tempolimit, verbieten wir Kurzstreckenflüge unter 500 Kilometern, und binden wir Industriesubventionen an Auflagen zum Klimaschutz. ({6}) Wir reden über Kreislaufwirtschaft, statt, wo es möglich ist, Wegwerfprodukte zu verbieten. Die Linke fordert Mindestnutzungszeiten für Produkte und Reparaturgarantien. Zwingen wir die Industrie, Waschmaschinen zu bauen, die zehn Jahre halten. Zwingen wir sie zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen, wechselbaren Akkus, zu verpflichtenden Upgrades nach Jahren und, Kolleginnen und Kollegen, auch zu einheitlichen Ladegeräten für Handys, Tablets und Laptops. ({7}) Ja, wir zerreden die Probleme durch die Energiewende. Wir brauchen die Akzeptanz der Menschen auch für Windkraftanlagen. Die Linke fordert 15 000 bis 20 000 Euro für Standortkommunen je Windkraftanlage und Jahr. Wir brauchen endlich bundesweit einheitliche Netzentgelte und Industrietarife, die Flexibilität beim Energieverbrauch belohnen. Und: Wir brauchen eine Energiepreisaufsicht gegen die Spekulation. ({8}) Wir handeln nicht entschlossen. Wir müssen den Energie- und Ressourcenverbrauch senken, wegkommen von permanentem Konsumwachstum. Wir brauchen Mehrweg statt Einweg, brauchen regionale Produktionsketten für kurze Transportwege, für regionale Wertschöpfung und für Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Dann sinkt die Abhängigkeit von Importen, und Menschen müssen weniger pendeln. Kolleginnen und Kollegen, Ostern war ich im Sauerland. Tote Wälder wie im Harz, Kahlschläge wegen Stürmen, Dürre und Borkenkäfern in jedem Tal, auf jedem Berg. Das Gleiche sehen wir im Thüringer Schiefergebirge und im nordostdeutschen Flachland. Ich habe Angst, dass wir den Waldumbau nicht rechtzeitig schaffen, dass Starkregen den Boden wegspült und in Kopplung mit Hitzewellen eine Wiederaufforstung misslingt. Ich habe Sorge, dass wir die letzte Generation sind, die grüne Wälder in Deutschland kennt. Der Worte sind genug gewechselt, wir müssen handeln. Vielen Dank. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Weltklimarat hat seinen Bericht vor drei Wochen veröffentlicht. Wäre es vor drei Monaten gewesen, wäre das die Topschlagzeile in der „Tagesschau“ gewesen. Vor drei Wochen ist es unter „ferner liefen“ gelaufen, weil der Krieg in der Ukraine alles andere überdeckt. Deswegen ist es gut, dass wir als Koalitionsfraktionen diesen Punkt auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung des Deutschen Bundestages gesetzt haben, um darüber zu reden. Ein Krieg in der Ukraine führt natürlich nicht dazu, dass der Klimawandel gestoppt wird. Diese Themen werden wir weiter behandeln müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Der Krieg in der Ukraine macht ja noch einmal deutlich, dass wir uns viel, viel dringender und deutlicher von russischen fossilen Energien befreien müssen. ({1}) Es kann auch nicht sein – das kann nur für den Übergang geduldet werden –, dass wir das ersetzen durch fossile Energien aus anderen Ländern. Das darf nicht dazu führen, dass wir mit fossiler Energie betriebene Kraftwerke länger laufen lassen; denn wir müssen aufpassen, dass es hier keine Lock-in-Effekte gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Was wir stattdessen tun müssen, ist, die erneuerbaren Energien deutlich schneller auszubauen. ({2}) UN-Generalsekretär Guterres hatte anlässlich der Veröffentlichung vor drei Wochen gesagt, wir seien auf der Überholspur Richtung Klimadesaster. Ich befürchte, Guterres hat recht. Lassen Sie uns im übertragenen Sinn doch ein Tempolimit für die CO2-Belastung auf den Weg bringen. Für ein solches Tempolimit übernimmt sicherlich auch die FDP Verantwortung und hat Interesse daran. Wir müssen jetzt konsequent erneuerbare Energien ausbauen. Dieser Bericht zeigt auch, dass Sonnenenergie, Windkraft und das Wiederaufforsten Königswege auf dem Klimapfad hin zu erneuerbaren Energien sein können. Jede dieser Optionen hat das Potenzial, 10 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Das sind doch konkrete Zukunftsperspektiven und Hoffnungsperspektiven, die dieser Bericht gibt. Die entsprechenden Maßnahmen müssen wir jetzt auch umsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Jawohl, Herr Kollege Jung, ich höre Ihre Rede hier mit Genugtuung, sehe aber auch, wie Unionspolitiker an anderer Stelle handeln. Man hätte die 10-H-Regelung in Bayern abschaffen können. ({4}) Stattdessen wird heute ein Popanz aufgeführt in Bayern. ({5}) Die bayerische CSU-Landtagsfraktion beschäftigt sich jetzt mit einem Gesetzentwurf, der Nachbesserungen und Abschwächungen dieser Regelung zum Ziel hat. Wie ich höre, gibt es harte Diskussionen in der CSU-Landtagsfraktion. Herr Lenz – Sie sprechen ja noch nach mir –, vielleicht können Sie gleich hier verkünden, dass die 10‑H-Regelung fällt. Das wäre eine gute Nachricht. ({6}) Sie kriegen dann auch großen Applaus von mir und von der linken Seite des Hauses. Also nutzen Sie diese Gelegenheit doch, kassieren Sie die 10-H-Regelung! Auch wenn ich auf andere Bundesländer wie NRW gucke, wo die Union noch Verantwortung trägt, muss ich feststellen, dass hier der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gerade freie Fahrt hat. Auch hier gibt es viele Stoppschilder. Auch hier brauchen wir einen Regierungswechsel, damit es in Nordrhein-Westfalen zum verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien kommt, ({7}) und zwar nicht nur für mehr Klimaschutz. Erneuerbare Energien sind, wenn wir sie richtig einsetzen, auch immer ein Weg für Kommunen, Wertschöpfung und neue Einnahmequellen zu generieren. Wenn wir Bürgerenergieprojekte richtig machen, können auch Bürgerinnen und Bürger von preiswerten erneuerbaren Energien profitieren. Das ist ein wirtschaftspolitisches Projekt und nicht nur ein ökologisches Projekt, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Wir müssen gemeinsam die Industrie der erneuerbaren Energien hier in Deutschland halten. ({9}) Das gilt für die Solarindustrie, die Windkraftindustrie, die Batteriespeicherindustrie und die Halbleiterindustrie. Das sind Schlüsselindustriezweige für die Energiewende, für den Klimaschutz. Hier müssen wir gucken, dass wir das so machen wie bei Intel und Tesla: möglichst schnell Schlüsselindustrien ansiedeln, um eine Perspektive zu schaffen. Dann schafft die Energiewende auch neue, gute Arbeitsplätze in diesem Land. ({10}) Das, was sich die Ampelkoalition vorgenommen hat, ist ein großes Projekt, dessen Umsetzung durch den Ukrainekrieg noch erschwert wird. Aber wir sind dazu verpflichtet, hier erfolgreich zu sein. Die Energiewende bringt Zukunftstechnologie. Die Energiewende ist das, was wir auf den Weg bringen. Dafür werden wir in den nächsten Wochen mit Osterpaket und Sommerpaket kämpfen. In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf! ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält das Wort der Kollege Dr. Thomas Gebhart. ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Weltklimarat hat uns in diesen Tagen einmal mehr sehr deutlich gemacht, dass die Maßnahmen, die die Staaten dieser Welt bisher ergriffen haben, eben nicht ausreichen, um den Klimawandel auf ein Maß zu begrenzen, das als verantwortbar gilt. Es ist völlig klar: Wir müssen weltweit mehr tun für den Klimaschutz. Und es ist völlig klar: Wir brauchen mehr Tempo. Es muss schneller vorangehen, als dies bisher der Fall war. Wenn wir einmal kurz auf die Situation in Deutschland blicken, dann können wir schon feststellen, dass wir in den letzten Jahren einiges erreicht haben. Das Ziel war es, bis 2020 die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, und wir können sagen: Wir haben dieses Ziel erreicht. ({0}) Aber jetzt gilt es natürlich, nach vorne zu blicken. Jetzt gilt es, konsequent den Weg Richtung Treibhausgasneutralität weiterzugehen. Das nächste große Ziel lautet: Bis 2030 65 Prozent Reduktion – ein ambitioniertes Ziel, übrigens ein Ziel, das sich bereits die vorherige Bundesregierung gesetzt hat. Die Ampelregierung hat dieses Ziel übernommen. Und ich sage: Wir werden Sie ausdrücklich dabei unterstützen, dieses Ziel zu erreichen. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, Ziele sind das eine. Das andere – und das ist am Ende das, was zählt, was entscheidend ist – sind die konkreten Maßnahmen, um die Ziele tatsächlich zu erreichen; es geht vor allem auch um die Art und Weise, wie Klimaschutz ganz konkret gemacht wird. Wir stehen dafür, dass wir Klimaschutz auf eine Art und Weise betreiben, dass Deutschland auch in den nächsten Jahren ein ökonomisch starkes Land bleibt, dass wir Wohlstand generieren, dass es sozial gerecht zugeht. Nur wenn uns das gelingt – wenn wir Umwelt und Wirtschaft und Soziales in Einklang bringen –, nur dann haben wir eine Chance auf dauerhafte Akzeptanz im eigenen Land, und nur dann haben wir eine Chance, dass uns auch andere Länder auf diesem Weg folgen und dass wir für sie attraktiv sind mit dem, was wir beim Klimaschutz machen. Der Weltklimarat hat uns dazu, wie ich finde, wichtige Hinweise gegeben. Der Schlüssel sind technologische Innovationen. Deshalb: Lassen Sie uns vorangehen bei erneuerbaren Energien, bei Energieeffizienz, bei der Wasserstoffstrategie, aber auch – und auch das steht in diesem Bericht sehr deutlich drin – bei Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Deutschland sollte an dieser Stelle nicht nur offen sein, sondern wir sollten es aktiv angehen, am besten in Form internationaler Kooperationen. Auch das ist aus meiner Sicht ein ganz zentraler Punkt. Meine Damen und Herren, eine wichtige, eine konkrete Maßnahme, um hier in Deutschland beim Klimaschutz voranzukommen, ist die Förderung von klimafreundlichem Bauen. Wenn man sich ansieht, wie die Politik der Ampelregierung in diesen ersten Wochen und Monaten aussieht, dann muss man an dieser Stelle leider ein paar Fragezeichen machen. Im Januar gab es den KfW-Förderstopp. Dann wurde die Förderung am 20. April, also vor einer Woche, wieder aufgenommen, und nach wenigen Stunden gab es erneut einen Förderstopp. Das ist nicht nur das krasse Gegenteil von Planungssicherheit, sondern es ist auch ein Rückschritt hinsichtlich des Klimaschutzes, meine Damen und Herren. Das haben uns übrigens heute Morgen die Sachverständigen im Ausschuss sehr klar gesagt. ({2}) Die Folge ist, dass viele Familien es sich finanziell schlicht und ergreifend gar nicht leisten können, so klimafreundlich zu planen und zu bauen, wie es möglich wäre, und die Folge ist, dass mehr Emissionen entstehen, als eigentlich notwendig wären. Das ist bitter; das ist falsch. Deswegen fordere ich Sie an der Stelle auch auf: Handeln Sie, und ändern Sie an dieser Stelle, an diesem Punkt ganz konkret Ihre Politik! Herzlichen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner: Stefan Seidler.

Stefan Seidler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005219

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr noch als andere Teile unseres Landes ist der Norden vom Anstieg des Meeresspiegels und von den Folgen des Klimawandels bedroht. Wenn hier aus einer Ecke Weihnachtslieder zitiert werden, frage ich mich: Erinnern Sie sich aus Ihrer Schulzeit auch an Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“? Darin muss der nordfriesische Deichgraf Hauke Haien die Bauern eindringlich vor der Flut warnen und die Notwendigkeit neuer und besserer Deiche anmahnen. ({0}) Sie glaubten ihm aber nicht. Und auch uns erreichen heute immer neue Warnungen durch die Wissenschaft, dass die Emissionen gesenkt werden müssen und dass Naturkatastrophen uns verstärkt bedrohen. Darum will ich auch heute mahnen; denn es wird Zeit. Es wird viel zu wenig für den Küstenschutz getan. ({1}) Die Westküste braucht bessere Deiche, die Ostküste umfangreichere Entwässerungssysteme für unsere Förden. Nur fortwährender Schutz vor Erosion und dem Anstieg des Meeresspiegels wird unseren Norden, wie wir ihn kennen, erhalten können. In Dänemark, das aufgrund seiner Küstenlage noch stärker betroffen ist, hat die Regierung die Investitionen in den Küstenschutz bereits verdoppelt. Bei uns jedoch sind die Bundesmittel etwa zur Ertüchtigung unserer Deiche hin zu Klimadeichen nicht ausreichend. Ich fordere daher die Bundesregierung auf, die Stärkung der Deiche und Sperrwerke als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen und die bislang nur 70‑prozentige Beteiligung des Bundes an Küstenschutzmaßnahmen zu erhöhen. ({2}) Auch die Mittel für Forschungsprojekte zu umweltverträglichen und effektiveren Küstenschutzmaßnahmen müssen vom Bund stärker unterstützt werden. Ich fürchte, dass die bis zu 25 Millionen Euro pro Jahr aus dem GAK-Sonderrahmenplan 2009 bis 2025 tatsächlich nicht genug sind. Wenn wir nicht im Vorfeld in Schutz und Prävention investieren, zahlen wir später den Preis für die Zerstörungen durch Hochwasser und Erosion.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Stefan Seidler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005219

„Der Schimmelreiter“ endet in einer Katastrophe: Der alte Deich bricht; eine Jahrhundertflut begräbt das Land und die Menschen. Storms Erzählung ist Fiktion – doch wir heute sind konfrontiert mit der Realität. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin in der Debatte: Kathrin Henneberger, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir heute über die sich verschärfende Dürre und den ausbleibenden Regen in Deutschland diskutieren, leiden die Menschen in großen Teilen Indiens, Bangladeschs und Pakistans aktuell unter einer extremen Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 50 Grad. Eine solche Hitzewelle im Frühjahr ist sehr ungewöhnlich; sie ist lebensbedrohlich für Menschen, besonders für Schwangere, für kleine Kinder und für alte Menschen. Verstärkte Hitzewellen, wie sie jetzt in Indien und Pakistan auftreten, werden schon bald zur neuen, grausamen Realität gehören. Meist betreffen sie die Gemeinden, die am wenigsten bis gar nichts zur Klimakrise beigetragen haben. Deshalb liegt die historische Verantwortung, ernsthaft zu handeln, ({0}) immer noch und immer dringender bei uns. Es gibt keine Entschuldigung für unterlassene Maßnahmen gegen die Klimakrise! ({1}) In Deutschland werden wir mit den Auswirkungen der Klimakrise sowohl auf unsere Ökosysteme als auch auf unser Leben immer heftiger konfrontiert. Aktuell haben wir zu wenig Niederschlag, leiden große Teile Deutschlands unter einer Dürre, ({2}) mit besonders harten Auswirkungen auf unsere Waldökosysteme und auf unsere Landwirtschaft. Im letzten Sommer mussten wir Starkniederschläge und eine Jahrhundertflut erleben, die dritte in den letzten 20 Jahren. Wetterextreme werden immer häufiger. Wir sind es den Menschen schuldig, sie zu schützen, sie darauf vorzubereiten und sie mit Finanzmitteln für Klimakatastrophenschutz zu unterstützen. ({3}) Um die Klimakrise aufzuhalten, müssen wir global denken, global handeln. Abkommen, die den Klimaschutz global ausbremsen, dürfen nicht mehr existieren. Damit meine ich natürlich den Energiecharta-Vertrag, ein Schutzabkommen für die fossile Industrie, für fossile Investitionen. Auch im letzten Bericht des UN-Weltklimarates, des IPCC, wurde der Energiecharta-Vertrag als ein Hindernis für eine klimagerechte Transformation genannt. Zum Beispiel hat der Kohlekonzern RWE auf Grundlage des Energiecharta-Vertrages die Niederlande wegen ihres Kohleausstiegs verklagt. Deswegen hat ein Klimaschutzbremser wie der Energiecharta-Vertrag keine Existenzberechtigung mehr. Als Zweites müssen wir aber auch einen sehr kritischen Blick auf die internationale Finanzierung von zukünftigen fossilen Projekten werfen. Aktuell möchte der Energiekonzern Total eine neue Pipeline von Uganda über Tansania bis zum Indischen Ozean bauen, die East African Crude Oil Pipeline, „EACOP“ genannt. Diese würde auch am Victoriasee entlangführen, von dem Millionen von Menschen abhängig sind. Die Förderung und der Transport des Erdöls riskiert die Wasserversorgung der Region. Klima- und Menschenrechtsaktivistinnen und ‑aktivisten, die dort versuchen, gegen das Projekt aktiv zu sein, müssen Repressionen fürchten. Wir sollten ihnen aber sehr genau zuhören. Ihre Forderungen sind: Die EACOP darf nicht gebaut werden. Deutsche und europäische Banken dürfen für den Bau der Erdölpipeline kein Geld zur Verfügung stellen. Diese koloniale Ausbeutung muss enden. ({4}) Die Förderung von Öl, Gas und Kohle schürt in vielen Regionen dieser Welt bereits massive Konflikte, genauso wie es die Auswirkungen der Klimakrise tun. Die Klimakrise aufzuhalten und von den Fossilen unabhängig zu werden, bedeutet die Grundlage für Friedenssicherung unserer Zukunft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich geboren wurde, lag die Konzentration von CO2 noch knapp unter 350 ppm. Im vergangenen Jahr wurde die Marke von 415 ppm überschritten. ({5}) Die Ursache der Klimakrise ist zweifellos die Nutzung der fossilen Energien. Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Gas, Öl und Kohle gehören der Vergangenheit an. ({6}) Unsere Maßnahmen, um die Klimakrise aufzuhalten, müssen die Wirkung haben, dass es allen Menschen auf der Erde gut geht, dass alle eine gute Zukunft haben werden. Wir werden in dieser Legislaturperiode in allen Sektoren Notbremsen dafür ziehen und die Grundlagen für eine klimagerechte Zukunft schaffen. Egal ob Bergrecht oder Verkehrswegeplan: Alles gehört auf den Klimaprüfstand. Unsere Gesetze müssen reformiert werden, aktualisiert für das Zeitalter der Klimakrise, in dem wir jetzt leben. ({7}) Zu bequem wäre die Annahme, dass technologische Wunder uns in 5, 10 oder 20 Jahren davor retten, in die Klimakatastrophe reinzurasen. Ob die Kipppunkte unseres globalen Klimasystems überschritten werden, entscheidet sich heute.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist unsere Entscheidung, wie wir jetzt handeln, welche Maßnahmen wir ergreifen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Henneberger.

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Am Ende möchte ich einen Dank aussprechen an die Klimagerechtigkeitsbewegung, besonders an die Menschenrechts-, Umwelt- und Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Henneberger, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Der letzte Satz! ({0})

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– das mache ich, danke – in anderen Regionen der Welt, die trotz der Drohung tödlicher Repressionen sich gegen die Nutzung fossiler Ressourcen wehren. Vielen Dank euch! ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der IPCC-Sonderbericht, der jetzt gerade herauskam, hat sehr viele spannende Arbeiten, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den letzten Jahren zusammengetragen haben, aufbereitet. Vieles von dem, was wir darin lesen können, haben die Debattenbeiträge, die wir bisher gehört haben – zumindest die allermeisten – schon sehr klug und ausdifferenziert dargestellt. Der IPCC-Sonderbericht ist Grundlage für eine ganze Reihe von Berechnungen. Unter anderem gab es in „Nature“ gerade einen Artikel von Professor Meinshausen, in dem er durchgerechnet hat, ob wir mit dem aktuellen globalen Budget das, was wir uns eigentlich im Pariser Abkommen vorgenommen haben, nämlich erst mal das 2-Grad-Ziel zu erreichen, schaffen. Er sagt: Ja, mit dem, was wir aktuell an sogenannten Pledges haben, also mit dem, auf das die Staaten sich geeinigt haben, was sie bei den COPs vorbringen, werden wir die 2 Grad einhalten können. Das ist eigentlich schon mal gut. Aber er führt auch sehr genau aus, dass wir auch einhalten müssen, was wir zusagen, dass wir die Ziele, die wir uns geben, auch erreichen müssen. Dazu braucht es jede Menge Dinge, insbesondere – das ist ein sehr spannender Teil des IPCC-Berichts – braucht es dazu innovative, neue Technologien, mit denen wir Dinge umsetzen können und mit denen wir in Zukunft nicht nur CO2 in der Produktion reduzieren, sondern es auch einsparen. ({0}) Der IPCC-Bericht macht noch auf etwas anderes aufmerksam. Er spricht darüber: Wie ist es eigentlich um das globale Budget bestellt? Wie viel globales Budget haben wir noch zur Verfügung, um – und das ist ja unser Ziel – das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen? Es geht also nicht um 2 Grad, sondern – darauf hat sich diese Bundesregierung committet und das meiner Meinung nach auch völlig zu Recht – wir müssen möglichst das 1,5‑Grad-Ziel erreichen. Das Interessante an diesem IPCC-Bericht ist, dass er diese Methodik noch mal neu aufgreift und zu einem anderen Ergebnis als die vorhergehenden Berichte kommt. Er sagt nämlich, dass wir nicht – wie laut seinem Vorgängerbericht – 2068 weltweit treibhausgasneutral sein müssen; er schiebt das auf die Mitte der 2070er-Jahre. In der letzten Zeit gab es ein paar Pressestimmen, in denen es hieß: Mensch, super! Dann haben wir quasi mehr Zeit und können mehr erreichen. – Ich halte das für einen ganz gewagten Trugschluss. Ich glaube, die Ukrainekrise zeigt die Notwendigkeit auf, jetzt schnell Maßnahmen zu beschließen, Maßnahmen auch in der Regierung schnell umzusetzen und Deutschland darauf vorzubereiten. Dieser Krieg sorgt aktuell dafür, dass wir alles überdenken müssen, was mit der Versorgung mit Gas, Öl und Kohle in den letzten Jahrzehnten zusammenhängt. Er zeigt, dass wir jetzt handeln müssen und dass wir jetzt vor allen Dingen schnell dafür sorgen müssen, dass Dinge einfach umgesetzt werden. Wir stehen vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Eine betrifft die erneuerbaren Energien. Es stellt sich die Frage: Wie schnell kommen wir da vorwärts? Wie schnell schaffen wir es, den Ausbau zu forcieren? Und ja, weltweit sind erneuerbare Energien – das zeigen zum Beispiel Berechnungen der IEA – beinahe – nicht nur beinahe, sondern in vielen Ländern sind sie es jetzt schon – konkurrenzfähig, sind sogar günstiger als fossile Energien. Das ist ein gutes Signal, ein gutes Zeichen. In Deutschland sehen wir aber, dass große Probleme darin liegen, dass wir Bürokratie aufgebaut haben, dass wir dafür gesorgt haben, dass zu wenig Flächen zur Verfügung stehen, dass wir an den Stellen, an denen es nötig wäre, nicht schnell gut vorwärtskommen. Wir als Koalition und Bundesregierung haben uns auf den Weg gemacht, diese Hürden abzubauen. Ich glaube, dass das jetzt ganz zentral ist. Denn – meine Vorrednerin hat es so schön ausgedrückt – was wir jetzt tun müssen, ist, der Welt zu zeigen, dass alle Menschen davon profitieren: durch Wachstum, durch Vorankommen, dadurch, dass sie neue, billigere Energiequellen haben. Das tun wir nur durch innovative Leistung. Das tun wir nur dadurch, dass wir beweisen, dass wir Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß voneinander entkoppeln und dass die Menschen in anderen Ländern Perspektiven haben. Ich glaube – deswegen bin ich für diesen Beitrag so dankbar –, wenn wir das beweisen können, ist viel geschafft. Aber es gibt einen Teil – darüber müssen wir, glaube ich, noch mal sehr intensiv mit der Bevölkerung reden –, den dieser IPCC- wie kein anderer Bericht davor hervorhebt, und das ist die Rolle der Negativemissionen. Wir müssen CCS nutzen. Wir müssen dafür sorgen, dass Wälder weiter ausgebaut werden, dass nachhaltige Holznutzung passiert und dass Böden ertüchtigt werden, mehr CO2 zu binden. Wir müssen vor allen Dingen CO2 nicht nur reduzieren, sondern auch speichern, und das zeigt dieser Bericht. ({1}) Ich bin sehr froh, dass unsere Ministerin im BMBF, dass aber auch das Wirtschaftsministerium, dass die ganze Regierung sich auf diesen Weg macht. Ich freue mich darauf, das noch weiter auszugestalten. Das wird auf jeden Fall spannend. Ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg, meine Damen und Herren. Vielen Dank. Ich glaube, wir schaffen das zusammen. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Andreas Lenz, Fraktion CDU/CSU.

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die momentan stattfindenden Krisen zeigen, dass wir in der Energiepolitik und in der Klimapolitik immer langfristig denken, zuweilen aber auch kurzfristig und pragmatisch handeln müssen. Dabei dürfen wir das große Ziel aber natürlich nie aus den Augen verlieren: Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine Menschheitsaufgabe, der wir uns stellen müssen. Klar ist: Es gibt viel zu tun, global, aber auch national. Wir müssen jetzt umso entschlossener ins Handeln kommen. Klar ist aber auch: Es wurde in den letzten Jahren viel gemacht. Um eines ganz deutlich auszusprechen: Wir werden es der Ampelkoalition nicht durchgehen lassen, dass die Defizite immer in der Vergangenheit gesucht werden, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. ({0}) Bis dato ist es ja so, dass die Ampelkoalition nur eine Ankündigungskoalition ist. ({1}) Der Bericht zeigt auf, dass die Netto-Treibhausgasemissionen in den letzten zehn Jahren global dramatisch angestiegen sind. Im Gegensatz dazu sind die Emissionen in Deutschland übrigens gesunken. Trotz Wirtschaftswachstum haben wir in Deutschland weniger CO2 emittiert. Wir haben in den letzten Jahren kräftig dekarbonisiert, ({2}) wir haben aber nicht deindustrialisiert. Wir haben die erneuerbaren Energien aus Deutschland heraus global marktfähig gemacht; das sagt ja auch der Bericht – ich zitiere –: „Die Stückkosten … emissionsarmer Technologien sind seit 2010 kontinuierlich gesunken.“ Wir haben die Klimaschutzziele für das Jahr 2020 erreicht, übrigens nicht nur wegen Corona. Das alles waren wir und nicht Sie von der Ampel. Wir brauchen jetzt natürlich trotzdem ein Mehr an Einsparungen, aber auch ein Mehr an erneuerbaren Energien. Dabei werden wir alle Potenziale brauchen, auch die Biomasse, auch die Wasserkraft und besonders auch die Geothermie, beispielsweise im Bereich der Wärmeerzeugung. Sie von der Ampel unterscheiden im geplanten Osterpaket im Moment zwischen Erneuerbaren erster und zweiter Klasse: Wind gut, Wasserkraft schlecht, PV gut, Biomasse schlecht. ({3}) Das ist kontraproduktiv, gerade in der jetzigen Krise. Wir wollen alle Erneuerbaren, und wir brauchen auch alle Erneuerbaren, um das klar zu sagen. ({4}) Der Bericht zeigt übrigens auch, dass wir CO2-Speichermöglichkeiten – das sogenannte CCS – brauchen, um die Ziele zu erreichen, genauso wie das Nutzen von CO2, das CCU. ({5}) Er sagt auch, dass die Entnahme von CO2 – CDR – notwendig sein wird. Das fordert bei der Ampel – wir haben es gerade gehört – die FDP. Im Koalitionsvertrag steht dazu leider nichts. ({6}) Sie wollen doch durch die Aktuelle Stunde nur davon ablenken, dass Sie in der Ampel überhaupt keinen gemeinsamen Plan beim Klimaschutz haben. ({7}) Von dem, was die FDP in der letzten Legislatur zum CO2-Zertifikatehandel gesagt hat, sieht und hört man ja im Moment auch nichts mehr. ({8}) Der Bericht betont übrigens auch das Potenzial bei der CO2-Einsparung im Gebäudesektor. Hier haben Sie durch Ihr Förderchaos gerade eine verheerende Verunsicherung verursacht. Sie haben einen Scherbenhaufen bei der Wohnungswirtschaft und bei denen, die sich ein Eigenheim errichten wollen, verursacht. ({9}) Das geht auch auf Ihr Konto. ({10}) Es ist doch so, dass Energieeffizienz, aber auch der Gebäudebereich bei Ihnen aus ideologischen Gründen überhaupt keine Rolle spielen. ({11}) Letztlich brauchen wir auch einen massiven Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Wasserstoff darf nicht nur der Champagner der Energiewende sein, er muss sozusagen das Leitungswasser der Energiewende werden. ({12}) Klimaschutz kann nur global funktionieren. Wir brauchen globale Partnerschaften; das sagt der Bericht auch ganz klar. Hier gilt es ebenfalls, unsere Anstrengungen weiterzuführen. Internationale Zusammenarbeit bleibt ein ganz entscheidender Faktor. Wir werden Sie an Ihren Taten, am Erreichten messen und nicht am Angekündigten. Herzlichen Dank. ({13})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte: Robin Mesarosch, SPD-Fraktion. ({0})

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Herr Lenz, wenn die Ampelkoalition so schlecht wäre, wie Sie sagen – was sie nicht ist –, dann wäre sie immer noch besser als die Union, die wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels 16 Jahre lang hier verhindert hat und es in Bayern immer noch tut. ({0}) Aber lassen Sie mich zu meinen Punkten kommen. Viele sagen uns: Wir müssen unsere Art, zu leben, ändern, um unsere Erde zu schützen. Ich sage: Wir müssen unsere Erde schützen, um unsere Art, zu leben, behalten zu können. ({1}) Warum ist das ein großer Unterschied? Zu dem Wir gehören viele, die wenig Geld haben. Diese Leute sind nicht das Problem für das Klima. Den Klimawandel befeuern vor allem Leute, die viel Geld haben. Denjenigen mit wenig Geld zu sagen, sie sollen ihr Leben ändern, ist zynisch. ({2}) Sie werden am stärksten unter dem Klimawandel leiden und am wenigsten dazu beigetragen haben. Natürlich: In unserem Land leben mehr Leute, denen es gut geht; das soll auch so bleiben. Aber ihnen zu sagen, sie sollen ihr Leben ändern, ist im Ergebnis zu wirkungslos. Sie wollen verständlicherweise, dass es ihnen weiterhin gut geht. Da birgt jede Veränderung ein Risiko. Und zu wenige Leute sind bereit, Risiken einzugehen, um den Klimawandel aufzuhalten. Deswegen kann die Forderung aus meiner Sicht nur sein: Lasst uns unsere Art, zu leben, behalten und verbessern. ({3}) Damit das gelingen kann, müssen wir aber unbedingt unser Klima schützen; das sagt uns der Bericht des Weltklimarats. Schützen wir unser Klima nicht, erwarten uns in den nächsten Jahrzehnten regelmäßig und oft Naturkatastrophen. Dann erwarten uns Hitzewellen, die für ältere Menschen gefährlich sein werden. Uns erwarten Millionen Geflüchtete, die ihre Heimat verlieren und bei uns Schutz suchen werden. Nebenbei wird uns das alles Milliarden kosten, die uns für andere wichtige Vorhaben fehlen werden. Das ist kein Film, das ist Wissenschaft. Vieles davon hat auch schon längst begonnen. In einer solchen Welt wird es uns unmöglich sein, so zu leben wie heute. Es ist also klar: Wir müssen unsere Erde schützen, wenn wir so weiterleben wollen wie bisher. Zwei Jahre haben wir noch, steht im Bericht des Weltklimarats. Nach 2025 dürfen unsere Treibhausgasemissionen weltweit nicht mehr steigen, und ab dann müssen wir Jahr für Jahr unsere Emissionen deutlich reduzieren. ({4}) Nur dann bleibt unsere Erde – Zitat – lebenswert, will sagen: Nur dann können wir unsere Art, zu leben, behalten. Selbstverständlich kann man den Klimaratsbericht auch so lesen: Doch, wir müssen unsere Art, zu leben, ändern; so geht es überhaupt nicht weiter. – Was stimmt nun? Es kommt darauf an, was wir unter „unsere Art, zu leben“ verstehen. Plastikverpackungen, Benzin und Massentierhaltung sind für mich keine Eckpfeiler meiner Art, zu leben; nicht weil ich diese Dinge nicht nutzen würde, sondern weil es einfach nur Dinge sind. Wichtiger ist doch, welche Idee dahinter steckt. Zu meiner Art, zu leben, gehören, neben anderem Komfort, Freiheit und Genuss. Das können mir Plastikverpackungen, Benzin und Massentierhaltung ermöglichen. Dies können mir aber auch andere Dinge ermöglichen. Möglicherweise sind andere Dinge sogar noch besser und klimaverträglich. ({5}) Ein Beispiel: Benzin ist knapp und irgendwann aufgebraucht. Seit Jahren wird es immer teurer. Mit Elektromotoren werden wir in naher Zukunft viel günstiger und unbegrenzt mobil sein können, und das auch noch klimaverträglich. Fazit: Der Staat sollte uns niemals vorschreiben, nach welcher Art wir zu leben haben. ({6}) Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Der Staat sollte uns aber die Rahmenbedingungen geben, nach unserer Art leben zu können. Wir haben ja schon gesehen: Durch den Klimawandel verlieren wir diese Möglichkeit. Also müssen wir alle den Klimawandel aufhalten. Was ist zu tun? Vieles; wir haben es gehört. Ich will zwei Aspekte besonders hervorheben. Erstens. Wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen, müssen wir unsere Entscheidungsfreiheit als Einzelne behalten. Wir dürfen uns den Alltag aber auch nicht schwer machen. Wenn ich zum Beispiel nach klimaverträglichen Lebensmitteln oder Klamotten umständlich in speziellen Läden suchen muss, mache ich das meistens nicht. So geht es vielen; das ist menschlich. Unser Ziel muss daher sein: In jedem Laden in Deutschland kriegen wir ausschließlich klima- und sozialverträglich hergestellte Produkte. Da liegt die Last nicht mehr bei uns, sondern beim Hersteller. ({7}) Da gehört die Verantwortung hin: Wer etwas produziert, muss gewährleisten, dass er sorgsam mit unserem Planeten und unseren Mitmenschen umgeht. Punkt! ({8}) Mein zweiter Punkt. Vielen sind die Gefahren des Klimawandels inzwischen bewusst. Wir haben ein kleiner werdendes Verständnisproblem; es sitzt hier. Wir haben aber ein großes Umsetzungsproblem bei den Lösungen. Mich macht es wütend, wie lange wir brauchen, um Windkrafträder und Photovoltaikanlagen aufzustellen, obwohl eine große Mehrheit dahintersteht. Darum werden wir das in der Ampelkoalition radikal beschleunigen. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mache ich. – Ein wichtiger Schritt sind die Gesetze im Osterpaket. Mehr folgt. Man kann verzweifeln, wenn man den Bericht des Weltklimarats liest. Wir dürfen es aber nicht. ({0}) Wir arbeiten an Lösungen. Haben Sie vielen Dank. ({1})

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat unzähliges menschliches Leid verursacht. Er hat die Friedens- und Stabilitätsordnung in Europa und auch die Wirkung des Völkerrechts zerstört. Wir sind in eine neue Phase eingetreten. Es ist eine Zeitenwende, wie der Bundeskanzler neulich an dieser Stelle gesagt hat. Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. ({0}) Und deshalb unternehmen wir alles dafür, um der Ukraine zur Seite zu stehen. In der Vergangenheit gab es Zeiten, da wurde die deutsche Geschichte bemüht für Nichtstun. Jetzt wissen wir: Aus der deutschen Geschichte ergibt sich eine Verantwortung dafür, dass wir handeln in Deutschland und Europa. ({1}) Der Angriffskrieg Russlands verändert auch die internationale Ordnung. Die globale Governance verändert auch die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland, wie wir erkennen müssen. Auch die Frage der Bündnis- und Landesverteidigung spielt heute eine größere Rolle, als wir alle wenige Jahre zuvor geglaubt haben. Es geht nicht um eine Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik; ({2}) aber wir müssen erkennen, dass die Bundeswehr nicht in dem Zustand ist, in dem sie sein muss angesichts des veränderten Risikoprofils. ({3}) Es geht nicht um eine Militarisierung der Außenpolitik, aber um eines: Man muss kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Und deshalb muss die Bundeswehr ertüchtigt werden. ({4}) Die Bundesregierung reagiert auf die Zeitenwende in vielerlei Hinsicht, auch mit dem jetzt hier eingebrachten „Sondervermögen Bundeswehr“. Auf die Anforderung des Bundeskanzlers hin habe ich als fachlich zuständiger Minister ein Sondervermögen vorgeschlagen. Die Alternative, etwa Steuern zu erhöhen, würde nicht nur aus ordnungspolitischen Gründen, sondern auch angesichts der makroökonomischen Situation gefährlich sein. ({5}) Also haben wir uns für den Weg eines Sondervermögens entschieden, um 15 Jahre Vernachlässigung unserer Streitkräfte schnell zu beenden. Es ist eine Kraftanstrengung. Ja, dieses Sondervermögen wird mit Krediten finanziert. Aber in dieser Zeit, in dieser Lage ist es anders nicht möglich, den Realitäten gerecht zu werden. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns dazu entschieden, Ihnen vorzuschlagen, dieses Sondervermögen in Artikel 87a des Grundgesetzes, also in der Wehrverfassung, zu verankern. Damit wird schon über den Standort in der Verfassung deutlich, welchem Zweck es dient, nämlich der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und insbesondere der Stärkung unserer Streitkräfte. Das soll aber niemanden zu der Fehlannahme veranlassen, dass die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit unseres Landes ausschließlich durch eine Stärkung der Streitkräfte erfolgen könnte. ({7}) Diese Bundesregierung fühlt sich nämlich dem Ansatz vernetzter Sicherheit verbunden. Sosehr wir mit diesem Sondervermögen insbesondere die Streitkräfte stärken, wissen wir, dass eine große Priorität auch bei Diplomatie und internationaler Krisenprävention liegen muss. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen konstruktive Gespräche mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich bin dafür dankbar. Manches öffentliche Störgeräusch hat es gelegentlich gegeben; die tatsächlichen Gespräche finden kollegial und sachorientiert statt. Dafür bin ich dankbar, und so kenne ich die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion auch von vielen anderen Gelegenheiten. ({9}) Eines aber muss ich sagen: Es handelt sich hier um eine Entscheidung historischen Charakters. Möglicherweise wird man dereinst, zurückschauend auf unsere Gegenwart, diese Richtungsentscheidung im Zusammenhang mit der vom Bundeskanzler angesprochenen Zeitenwende und die Einrichtung dieses Sondervermögens in einem historischen Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss nennen. Und wenn diese Entscheidung tatsächlich einen solchen Charakter hat, dann mag ich mir nicht vorstellen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einer gemeinsamen Einigung nur teilweise zustimmt und nicht komplett und geschlossen. ({10}) Ich will schließen mit einer Bemerkung. Wir sprechen hier und heute über die materielle Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und insbesondere die unserer Streitkräfte. Das allein wird aber nicht reichen. Unterziehen wir uns bitte einer kritischen Selbstprüfung. Ein früherer Bundespräsident sprach in Bezug auf unser Verhältnis zu den Streitkräften einmal von „freundlichem Desinteresse“. Möglicherweise ist das noch zu nett gesagt. Als aktiv Wehrübender und Reserveoffizier habe ich mehr als einmal auf Dienststellen mit Kameradinnen und Kameraden Kontakt gehabt, die nach Dienstschluss gefragt haben, ob sie in Uniform nach Hause fahren oder ob sie Zivilkleidung anlegen sollen, weil sie in der Straßenbahn möglicherweise schief angeschaut oder gar schief angesprochen würden. Das zeigt: Es gibt gegenüber unseren Streitkräften und jenen, die unser Land verteidigen, ihm in Uniform dienen, nicht nur eine materielle Vernachlässigung, sondern auch eine ideelle Vernachlässigung. Und dementsprechend müssen wir nicht nur die Bundeswehr mit Geld und einem Sondervermögen stärken, sondern wir müssen den Soldatinnen und Soldaten auch die Wertschätzung dieser Gesellschaft entgegenbringen. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute genau vor zwei Monaten war es, als der Bundeskanzler hier im Deutschen Bundestag angesichts des Ukrainekrieges eine Zeitenwende angekündigt hat, ein Sondervermögen angekündigt hat, mehr Investitionen in die Bundeswehr angekündigt und daran appelliert hat, dass wir gemeinsam den Auftrag annehmen, in dieser schwierigen Situation zusammenzustehen und dem Angriffskrieg Russlands, dem Angriffskrieg Putins die Stirn zu bieten. Seitdem hat sich die Lage in der Ukraine dramatisch verschlechtert: Kriegsverbrechen werden begangen, Zivilisten gezielt getötet, Vernichtungsdrohungen ausgesprochen. Genau deswegen ist es richtig, dass wir uns auch in diesen Tagen – morgen in einer Debatte, aber auch heute am Rande des Plenums – darüber unterhalten, ob Deutschland zukünftig noch mehr unternehmen kann und auch bereit ist, im Bereich der Waffenlieferungen mehr zu unternehmen und schwere Waffen in die Ukraine zu liefern. Meine Damen und Herren, ich hätte es mir nicht vorstellen können, dass es diese Generation von Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist, die über eine so schwere Frage wie die Lieferung von schweren Waffen und über die Frage von Krieg und Frieden mitten in Europa mitentscheiden muss. Aber es ist unser gemeinsamer Auftrag, die Selbstverteidigung der Ukraine zu stärken. ({0}) Deswegen will ich an der Stelle auch sagen: Wir wollen gemeinsam mit den Ampelfraktionen die Entscheidung mittragen, dass schwere Waffen an die Ukraine geliefert werden. Das ist unser gemeinsamer Auftrag, um für Frieden in Europa zu sorgen, meine Damen und Herren. ({1}) Ich verstehe übrigens jeden – ich sage auch das ausdrücklich –, der dies mit großer Skepsis begleitet, und ich verstehe auch jeden, der auf die Frage „Will man schwere Waffen liefern?“ eher mit Nein antworten würde. Aber ich sage auch sehr deutlich: In dieser Phase ist es notwendig, diese schweren Waffen zu liefern, und deswegen muss unsere gemeinsame Antwort darauf sein: Ja, wir sind als Deutschland bereit, mehr zu helfen als bisher, mehr zu tun und die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung zu stärken. ({2}) Ich darf erinnern, dass der Bundeskanzler uns in seiner Rede am 27. Februar mit seiner Zeitenwende positiv überrascht hat. Damit war auch eine Reihe von Erwartungen verbunden, die mit Regierungshandeln zu tun haben. Leider müssen wir feststellen, dass Sie, Herr Finanzminister, auch heute hinter diesen Erwartungen zurückgeblieben sind. Die Tatsache und der Hinweis darauf, dass wir über viele Punkte gemeinsam in Verhandlungen stehen, dürfen doch nicht als Argument zählen, dass sich in dem Gesetz, das Sie hier vorstellen, wesentliche Teile der Ankündigung des Kanzlers, die wir unterstützen, nicht wiederfinden lassen. ({3}) Wir brauchen Klarheit, ob Sie bereit sind, diese Ankündigungen auch umzusetzen. Herr Bundeskanzler, Sie haben vom „Sondervermögen Bundeswehr“ gesprochen, Sie haben von Rüstungsvorhaben gesprochen. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Dann erwarten wir aber auch, dass genau diese Rüstungsvorhaben im Grundgesetz die nötige Antwort finden. 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, das heißt doch nichts anderes als 100 Milliarden Sonderschulden für die Streitkräfte, und zwar 100 Milliarden für Aufrüstung der Streitkräfte und für nichts anderes, meine Damen und Herren. ({4}) Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede auch davon gesprochen, dass wir zukünftig nun Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in unsere Verteidigung investieren werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn an diesem Satz eigentlich so missverständlich, dass es der Bundesfinanzminister in seinen Haushaltsplanungen schlichtweg nicht berücksichtigen kann? Herr Bundesfinanzminister, Sie haben heute im Bundeskabinett einen sogenannten Ergänzungshaushalt vorgelegt: 40 Milliarden zusätzliche Schulden. Auch in diesem Haushalt findet sich kein Aufwuchs des Verteidigungsministeriums. Es profitiert nicht von Ihren Milliarden, die Sie heute vorgestellt haben. ({5}) Das 2-Prozent-Ziel findet sich auch in diesem Haushaltsentwurf nicht. ({6}) Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie glauben, Sie könnten das Versprechen des Bundeskanzlers gegenüber der Öffentlichkeit, ab sofort das 2‑Prozent-Ziel überzuerfüllen, ausschließlich damit einlösen, dass Sie 100 Milliarden neue Schulden aufnehmen und ansonsten den Verteidigungshaushalt inflationsbereinigt reduzieren, dann werden Sie uns nicht an Ihrer Seite haben. ({7}) Ich sage das hier auch in Richtung der Verteidigungsministerin und der SPD. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat hier vor Kurzem in seiner Haushaltsrede davon gesprochen, dass man nachfolgenden Generationen nicht vorschreiben will, wie hoch die Rüstungsausgaben sein sollen. Das wurde öffentlich als eine klare Absage an das 2‑Prozent-Ziel interpretiert. Ich will Sie alle daran erinnern: Zeitenwende bedeutet keine Einmalzahlung an die Bundeswehr, sondern einen Dauerauftrag an unsere Verteidigungsfähigkeit. ({8}) Und ich gebe auch diesen Hinweis, weil wir in der Tat – ich kann das bestätigen – in guten Gesprächen darüber sind, ob man eine Einigung erzielen kann – aber das Ergebnis, ob es zu einer Einigung kommt, ist offen –: Wir haben die Punkte, die angesprochen worden sind, bisher noch nicht gelöst. Wir haben weitere Gespräche an dieser Stelle vereinbart, und zu diesen Gesprächen gehört auch, dass wir uns über eine solide Haushaltspolitik unterhalten. Schuldenmachen alleine ist noch keine solide Haushaltspolitik. Herr Bundesfinanzminister, Sie können mit uns weiter über die Frage verhandeln, ob 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, für die Streitkräfte aufgenommen werden. Aber Sie müssen auch mit uns darüber reden, wie wir diese 100 Milliarden wieder tilgen. Schuldentilgung ist ein Grundprinzip solider Haushaltspolitik, und auch daran erinnern wir Sie. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist für die Bundesregierung die Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der russische Präsident Putin hat mit seinem Überfall auf die Ukraine die Friedensordnung in Europa zertrümmert. Gewissheiten und Vereinbarungen, auf denen das freie und friedliche Leben von Millionen Menschen in Europa aufgebaut war, sind zerstört. Heute kämpfen 40 Millionen Ukrainer um ihr Leben. Dieses Land kämpft um die Existenz. Gefallene und Ermordete zeigen uns, was auf dem Spiel steht, sollte Putin diesen Krieg gewinnen. Niemand weiß, was dann das nächste Ziel wäre. Und wer mit Menschen an der Ostflanke der NATO spricht, der kann spüren, welche Sorgen da bestehen, dass sie die Nächsten wären, die überfallen werden und die dann nicht standhalten können. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir sind dazu aufgefordert, sowohl unseren Verbündeten, unseren Alliierten, beizustehen, aber auch dafür zu sorgen, dass wir hier in Deutschland sicher leben können, meine Damen und Herren. ({0}) Auf diesen brutalen Angriffskrieg hat die Bundesregierung mit großer Entschlossenheit, aber eben auch mit Besonnenheit reagiert. Und es ist das Gebot der Stunde, entschlossen, aber eben auch besonnen zu sein, damit diese furchtbare Situation, dieser furchtbare Krieg nicht eskaliert. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes schuldig. Und wer sich ernsthaft umhört, der bekommt genau das gesagt: Bitte achtet darauf, dass dieser Krieg kein dritter Weltkrieg wird. Bitte sorgt dafür, dass es nicht zu einer Eskalation kommt. – Genauso werden wir auch in Zukunft in der Bundesregierung handeln. ({1}) Auf diese veränderte Situation haben wir durch Waffenlieferungen in die Ukraine reagiert; aber wir müssen auch hier in Deutschland darauf reagieren, und zwar indem wir unsere eigene Wehrhaftigkeit stärken. Diese Zeitenwende, die mittlerweile international ein Begriff ist, muss mit Leben gefüllt werden. Sie darf nicht nur ein Begriff sein, und deswegen ist es so wichtig, dass mit diesem von Olaf Scholz, vom Bundeskanzler angekündigten Sondervermögen unsere Bundeswehr endlich so ausgestattet wird, dass sie ihre Aufgabe erfüllen kann, die Landes- und Bündnisverteidigung auch zu gewährleisten. Das ist über Jahre hinweg zusammengespart worden, sodass Inspekteure der Bundeswehr darüber reden, dass wir blank sind – das mag zugespitzt sein; aber den Kern trifft das. Und damit muss endlich Schluss sein! ({2}) Diese 100 Milliarden werden dringend gebraucht, und sie werden nicht alleine für Aufrüstung gebraucht, Herr Dobrindt. Nein, sie werden auch für andere Dinge gebraucht: dafür, dass wir endlich dafür sorgen können, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die Schutzausrüstung haben, die sie brauchen. ({3}) Gehen Sie doch mal hin zu der Truppe! Sprechen Sie doch mal mit Soldatinnen und Soldaten! Dann bekommen Sie erzählt, was alles fehlt. ({4}) Deswegen: Es geht nicht nur um Aufrüstung; es geht auch um Ausrüstung. Es geht darum, dass dieses geschehen kann, dass in langfristigen Großprojekten gekauft und angeschafft wird, genauso wie Munition und vieles andere mehr. Ich will Ihnen mal einige Beispiele nennen, woran man diese riesige Lücke erkennen kann zwischen dem, was auf dem Papier für die Bundeswehr steht, und dem, was wir tatsächlich zur Verfügung haben. Wir haben zum Beispiel auf dem Papier 350 Schützenpanzer Puma. Davon sind 150 tatsächlich einsatzbereit. ({5}) 150 sind nur einsatzbereit, ({6}) weil die entsprechenden Möglichkeiten nicht gegeben sind, um sie beispielsweise instand zu setzen, wenn das erforderlich ist. Beim Kampfhubschrauber Tiger sieht es nicht anders aus: ({7}) Von 51 Maschinen können gerade mal 9 abheben. Und bei der Munition, die wir dringend brauchen, um unserer Verantwortung in der NATO nachkommen zu können, müssen 20 Milliarden eingesetzt werden. Das ist erforderlich, und das können wir über dieses Sondervermögen gewährleisten. Dann werden wir auch die 2‑Prozent-Quote der NATO erfüllen können. ({8}) – Herr Frei, Sie haben völlig recht; davon wird einiges aus dem Haushalt erfüllt. Ich habe aber auch die Möglichkeit, über dieses Sondervermögen dringend notwendige Anschaffungen vorzunehmen und das Geld, das im Haushalt vorgesehen ist, dann beispielsweise für diese Ausrüstung einzusetzen, so wie wir es jetzt auch ganz aktuell gemacht haben. Da will ich recht herzlich Danke denjenigen sagen, die im Haushaltsausschuss und im Verteidigungsausschuss so flexibel waren, obwohl wir ja noch immer in einer vorläufigen Haushaltsführung sind, dass es schnell gelungen ist, 2,4 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um den Kauf dieser Schutzausrüstung endlich möglich zu machen. Das war geplant für 2031, weil man nicht das Geld zur Verfügung hatte – 2031! So lange sollten die Soldatinnen und Soldaten darauf warten, endlich diese Schutzausrüstung zu haben. Jetzt ist es gelungen, auch weil wir diese Perspektive haben, schnell zuzugreifen und dafür zu sorgen, dass das gewährleistet ist. ({9}) Meine Damen und Herren, diese Zeitenwende, über die mit diesem großen Anspruch auch zu Recht so geredet wird, ({10}) hat auch dazu geführt, dass wir viel ernsthafter endlich über Militär, endlich über Verteidigung, endlich über Sicherheitsfragen sprechen. Genau diese Ernsthaftigkeit brauchen wir auch, wenn es jetzt um das Sondervermögen von 100 Milliarden geht. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie genau diese Ernsthaftigkeit in dieser Woche an den Tag legen und dem gemeinsamen Antrag der Ampelkoalition jetzt doch zustimmen. ({11}) Genau diese Ernsthaftigkeit brauchen wir jetzt auch bei den Beratungen, wenn es um das Sondervermögen geht. Es geht nicht, einfach aus parteitaktischen Spielchen zu sagen: Es dürfen da nur fünf oder nur sieben zustimmen. ({12}) Ich weiß doch, dass bei Ihnen, in den Reihen der Union, fast alle Abgeordneten ohne Wenn und Aber hinter der Bundeswehr stehen. Zeigen Sie das auch, ({13}) indem Sie dieser Möglichkeit über das Sondervermögen zustimmen! Vielen Dank. ({14})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte ist Peter Boehringer, AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Wir beraten heute einen heiklen Gesetzentwurf, der zwar in der materiellen Absicht – Auflösung des sehr langjährigen Investitionsstaus bei der Bundeswehr – begrüßenswert ist – wir unterstützen dieses Ziel –, der aber haushaltsrechtlich und auch verfassungsrechtlich bedenklich ist. Zunächst: Wir sind grundsätzlich gegen Sondervermögen, weil sie die reguläre transparente Entscheidungsfindung des Bundestages über den Haushalt beeinträchtigen. ({0}) Und nun gar noch eine Absicherung über eine Grundgesetzänderung – präzedenzlos! Dieses Sondervermögen wird so nicht nur – Zitat des Finanzministers – „neben der Schuldenbremse“ stehen, sondern letzten Endes neben dem Haushalt. Die Verfassung wird missbraucht, wenn man eine konkrete Budgetzahl ins Grundgesetz schreibt und so ohne Not einen illegitimen Nebenhaushalt begründet. So etwas macht man nicht, völlig ungeachtet des Ziels der ordentlichen Ausrüstung der Bundeswehr, die die AfD seit Jahren recht einsam fordert. ({1}) Ausgerechnet eine linke Regierung will hier etwas tun, das wir zuletzt vor 130 Jahren gesehen haben: Unter Bismarck wurde der Militäretat für mehrere Jahre festgeschrieben, das sogenannte Septennatsystem. Ausgerechnet die Ampel will nun in ähnlicher Weise die demokratische Kontrolle einschränken. ({2}) Ich sage nicht „abschaffen“; ich sage „einschränken“. Die 100 Milliarden Bundeswehrmittel gehören regulär, ohne Einführung eines Sondervermögens, in den Kernhaushalt eingestellt. ({3}) Und es ist doch gar keine Frage: Die Mehrheit für diese Investition, wie wir sie seit Jahren fordern, wäre hier im Haus problemlos gesichert. Es gäbe dafür auf lange Jahre 80 Prozent Mehrheit und Zustimmung hier im Haus; Sie bräuchten keine Grundgesetzänderung. ({4}) Lassen Sie uns also ehrlich sein: Diese Konstruktion dient ausschließlich der Umgehung der Schuldenbremse. Das Sondervermögen bekommt sogar eine eigene Kreditaufnahmemöglichkeit, ohne festgelegte Tilgungsfristen – jeweils noch nicht – und ohne Anrechnung auf die verfassungsrechtlichen Schuldenobergrenzen. Nur darum geht es; nur darum wurde diese Konstruktion gewählt. Schon seit 2020 setzt die Regierung die Schuldenbremse immer wieder ausnahmsweise aus und nutzt die Mittel auch noch zweckentfremdet. Das ist permanenter Rechtsbruch, der aber irgendwie, außer der AfD, niemanden stört. Und auch heute ist wieder eine Zweckentfremdung der Mittel angelegt; denn diese dürfen nach dem Gesetzentwurf mit dem Namen „Bundeswehrsondervermögensgesetz“ leider nicht nur zugunsten der Bundeswehr, sondern auch für die Aufrüstung von nicht näher definierten Partnerstaaten ausgegeben werden, § 2. All das ist überflüssig und intransparent. Der Kernhaushalt spiegelt so zunehmend nur noch einen Teil der Wirklichkeit. Die Sozialisten und Umverteiler hier im Haus werden das begrüßen; denn natürlich regiert es sich mit verschleierten und ausgelagerten Schulden viel einfacher. So machen Sie es ja auch schon beim Klimafonds, beim ESM und bei den EU-Schuldenprogrammen. Wegen der Kausalkette von mehr Schuldenmonetisierung der EZB zu hoher Inflation ist das aber fatal; wir haben bereits asoziale 7 Prozent Teuerung. Die Waffen, die dann frühestens ab Sommer – frühestens, eher Herbst oder nächstes Jahr oder übernächstes Jahr – aus dem Sondervermögen finanziert werden, werden den Ausgang des Ukrainekriegs nicht beeinflussen. Der Ukrainekrieg dient zwar als Anlass für ein Umsteuern bei der seit Jahren vernachlässigten Ausstattung der Bundeswehr; die Notwendigkeit dafür ist jedoch uralt und keine Folge des Ukrainekriegs, überhaupt nicht. ({5}) Wer etwas anderes behauptet und eben doch einen Bezug zur Ukraine herstellt – und das ist ja eben hier schon reichlich geschehen –, der liegt nicht nur haushalterisch falsch. Frau Ministerin Lambrecht und Herr Dobrindt, Sie haben sich ja nach Pressemitteilung auf die Lieferung schwerer Waffen geeinigt; das ging ja auch alles ganz ohne Sondervermögen. Es geht ohne Sondervermögen. Nicht nur haushalterisch liegen Sie darum falsch, sondern Sie sollten dann auch erklären, dass man die jahrzehntealte deutsche Staatsdoktrin aufgeben will, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Das aber wäre dann für Deutschland nicht nur ein haushalterisch falscher, sondern zugleich ein hochgefährlicher Weg. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin in der Debatte ist für die Bundesregierung die Bundesministerin Annalena Baerbock. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine besondere Debatte heute, und auch die finale Lesung wird eine besondere Lesung sein, nicht nur angesichts dieses furchtbaren Krieges, den die Vorredner bereits angesprochen haben, nicht nur, weil wir hier nicht jeden Tag eine Grundgesetzänderung vornehmen, sondern weil viele Menschen und viele Hauptstädte in Europa, aber auch darüber hinaus auf uns schauen. Bei diesem Sondervermögen geht es eben nicht nur um 100 Milliarden Euro hier bei uns, sondern auch um unsere zukünftige Verantwortung in Europa und in unserem gemeinsamen Bündnis. Es geht um die Sicherheit von uns und zukünftiger Generationen und die Sicherheit unserer Bündnispartner und ihrer zukünftigen Generationen. Unsere Bündnispartner haben es uns erst ermöglicht, in unserem Land in den letzten Jahrzehnten in Frieden aufzuwachsen, ({0}) Generationen wie meiner in Westdeutschland, die ein ganzes Leben lang im Friedensprojekt Europa aufwuchsen. Unsere Partner haben in den letzten Jahrzehnten viel in unsere Sicherheit investiert; dafür sind wir dankbar. „Zeitenwende“ bedeutet aber auch, dass wir nicht nur dankbar sind, sondern dass wir in dem Moment, in dem andere Investitionen von uns in ihre Sicherheit brauchen, etwas zurückgeben. ({1}) Daher ist für uns wirklich entscheidend, dass wir dieses Sondervermögen im Grundgesetz eben nicht nur für unsere Streitkräfte definieren, sondern auch zur Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. ({2}) Viele Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa schauen genau darauf, nämlich ob wir unserer Bündnisverantwortung gerecht werden. Ich möchte noch mal unterstreichen, was Vorrednerinnen und Vorredner – und so habe ich auch Sie verstanden, Herr Dobrindt – gesagt haben: Das ist kein Moment für parteitaktische Spielchen. – Wenn wir ehrlich sind – damit spreche ich alle an, die ehrlich zu sich sein können –, hat jede Partei, jede Fraktion hier ihr Päckchen zu tragen. Wichtig ist doch, das, was man in der Vergangenheit vielleicht nicht erkannt hat, in Zukunft richtig zu machen, und zwar gemeinsam. ({3}) Deswegen ist eine Grundgesetzänderung auch eine gemeinsame Verantwortung. Wir haben das in diesem Hohen Haus schon öfter gemacht – damals in anderen Rollen –, Opposition und Regierung zusammen, als Europa uns brauchte, so in der Eurokrise. Wir haben es geschafft, nicht auf uns als Fraktionen und Parteien zu schauen, sondern auf die Verantwortung Deutschlands in Europa. ({4}) Es freut mich sehr, dass wir signalisiert bekommen haben, dass wir diesen Weg jetzt gemeinsam gehen. Sie hatten ein paar Fragen angesprochen – einige stehen auch in der Zeitung –, auf die ich, ergänzend zu dem, was meine Kollegen schon gesagt haben, gerne eingehen möchte. Eine Frage bezieht sich auf Aufrüstung und Ausrüstung. Ich glaube, das ist kein Gegensatz, sondern gehört ganz eng zusammen; Frau Lambrecht, die Verteidigungsministerin, hat das bereits angesprochen. Wenn wir im Baltikum sind, dann erkennen wir: Wir müssen in Zukunft mehr an der Ostflanke tun. Aber wenn man da vor Ort ist und sich umhört – man wagt gar nicht, das hier auszusprechen; die Soldatinnen und Soldaten auf der Tribüne wissen das; denn sie gehen jeden Tag mit dieser Herausforderung um –, dann stellt man fest, dass wir eben nicht einfach nur sagen können: „Wir verstärken jetzt unsere Enhanced Forward Presence in der Battlegroup“, sondern dafür eben auch die Ausrüstung brauchen. Wenn man dann sieht, dass die Ozelots, die vorhin angesprochen worden sind, derzeit in der Battlegroup verankert sind, zugleich aber auch in der VJTF der NATO gemeldet sind, dann muss man einfach sagen: Wir können die Dinge nicht zweimal melden, sondern müssen mehr Mittel in die Ausrüstung geben. Das Gleiche gilt für den digitalen Funk – Sie lachen da –: ({5}) Wenn man jetzt eine Übung macht und wir die Lead Nation sind, der Funkverkehr aber nicht verschlüsselt ist, dann stehen wir vor einer Riesenherausforderung, und die wird einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir jetzt gemeinsam vor allen Dingen in die Beseitigung der Ausrüstungsdefizite der Vergangenheit investieren. ({6}) Wir haben nicht den Luxus, zu sagen: Ostflanke oder NATO-Fähigkeiten oder internationale Einsätze. Alles gehört in dieser komplexen Welt zusammen. Wir tragen weiterhin Verantwortung im Rahmen des Peacekeeping der Vereinten Nationen, und da haben wir das gleiche Problem; Frau Lambrecht hat es angesprochen. Eigentlich könnten wir es uns ganz einfach machen und sagen: Wenn die Franzosen gehen, dann stellen wir die Kampfhubschrauber. Leider funktionieren aber nur 9 von den 51 Tiger-Kampfhubschraubern. Deswegen ist der Weg eben nicht so einfach, und deswegen müssen wir uns jetzt den Kopf zerbrechen, wie wir in der VN-Mission bleiben können. Das Sondervermögen dient auch dafür, damit wir in Zukunft unserer internationalen Verantwortung in den Vereinten Nationen gerecht werden können. ({7}) Es freut mich sehr, dass wir hier so eine ernsthafte Debatte führen. Dank auch an die Außen- und Sicherheitspolitiker der Union – wir haben ja schon viel darüber gesprochen –; denn Zeit für Pappkameraden ist nicht. Ich möchte hier noch einmal sagen, weil ich in der Öffentlichkeit manchmal diese Argumente höre: Es geht bei diesem Sondervermögen nicht um humanitäre Hilfe. Die ist absolut notwendig; dafür stellen wir aber einen Ergänzungshaushalt auf. Es geht hier um harte Sicherheitsmaßnahmen im Sinne der vernetzten Sicherheit, im Sinne der Anrechenbarkeit von NATO-Fähigkeiten, die wir leisten müssen. Sie haben gefragt: Warum stehen nicht die 2 Prozent im Gesetzentwurf? – Wenn sie da stehen würden, dann würden wir sie ja auch ins Grundgesetz schreiben. Und wollen wir wirklich jedes Jahr 2 Prozent investieren? ({8}) Was ist in dem Jahr, wo wir die F-35 kaufen? Da sind es vielleicht mehr als 2 Prozent. Wollen Sie dann an diesem Tag das Grundgesetz ändern? Und wollen Sie es in dem Jahr, wo es weniger ist, dann wieder ändern? ({9}) Nein, was wir machen, ist eine Kombination daraus, unserer NATO-Verpflichtung gerecht zu werden und zugleich mit dem Sondervermögen die Lücken zu schließen, die in der Vergangenheit leider gerissen worden sind. ({10}) Ein letzter Satz dazu, warum die Debatte so wichtig ist. Wir haben erlebt: Es geht nicht nur um immer mehr Geld. Warum wir manche Lücken haben, liegt am Beschaffungswesen und vor allen Dingen am Bewirtschaftungswesen. Man fragt sich jetzt: Warum passt die eine Panzerschraube eigentlich nicht zur anderen Panzerschraube? ({11}) Auch das sind Dinge, die wir in dieser Debatte gemeinsam angehen müssen. Das ist hart, das ist ernsthaft; aber das ist die Verantwortung unserer Zeit für unsere Generation und für zukünftige Generationen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern für alle in Europa – Nord und Süd und West und Ost. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Amira Mohamed Ali für die Fraktion Die Linke. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige Krieg Putins bringt unvorstellbares Leid für die Menschen in der Ukraine. Bei uns in Deutschland wächst die Angst, dass sich dieser Krieg ausweiten könnte. Die Konsequenz, die die Bundesregierung aber aus diesem schrecklichen Krieg zieht, nämlich ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für das Militär bereitzustellen, ist absolut falsch. ({0}) Denn das wird den Krieg in der Ukraine nicht beenden, und es wird auch nicht zu mehr Sicherheit für uns führen. Das Einzige, zu was es führen wird, ist, dass die Aktienkurse der Rüstungskonzerne in die Höhe gehen, dass dort die Profite steigen; das ist die Wahrheit. Aber, Kolleginnen und Kollegen, diesen Irrsinn werden wir als Linke nicht mitmachen. ({1}) Fakt ist: Bereits heute geben die NATO-Staaten mehr als 17‑mal so viel für Militär aus wie Russland, und das hat Putin nicht abgeschreckt. Er hat trotzdem diesen schrecklichen Krieg begonnen. Wie kommt man darauf, dass noch mehr Geld für das deutsche Militär irgendetwas ändern sollte? Und: Russland ist eine Atommacht; daran möchte ich mal erinnern. Wer glaubt, dass Wettrüsten hier zu einer Entspannung der Lage beiträgt, der ist einfach im Irrtum, Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Noch nie in der Geschichte der Menschheit hat ein Wettrüsten Frieden und Sicherheit gebracht, im Gegenteil. Erinnern wir uns an das Jahr 1983; die Älteren werden sich erinnern. Da gab es eine Falschmeldung über einen US‑Atomschlag gegen die UdSSR. Ein Atomkrieg ist nur deswegen vermieden worden, weil ein sowjetischer Offizier Befehlsverweigerung begangen hat. Denken Sie mal daran! ({3}) Fakt ist auch: Schon heute pumpt Deutschland jedes Jahr mehr und mehr ins Militär, aktuell 50 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Für Familien, Senioren, Frauen und Jugend gibt es gerade einmal ein Viertel davon, nämlich 13 Milliarden Euro. Sie behaupten jetzt, die Bundeswehr bräuchte noch mehr Geld, um endlich einsatzfähig zu werden. Das ist falsch. Die Bundeswehr ist nicht wegen zu wenig Geld kaum einsatzfähig, sondern wegen des grottenschlechten Managements; das ist die Wahrheit. ({4}) Ein Beispiel: 210 Millionen Euro wurden ausgegeben für Sturmgewehre, die im Einsatz nicht geradeaus schießen können. ({5}) Die Firma Heckler & Koch musste dafür nicht mal Schadenersatz leisten, weil die Kaufverträge so ausgestaltet waren, dass sie dafür nicht haftet. Kolleginnen und Kollegen, wer verhandelt denn solche Verträge? ({6}) Und in dieses schwarze Loch „Rüstungsetat“ sollen jetzt einfach weitere Milliarden Steuergelder versenkt werden? Nein! Erklären Sie erst mal, wohin die vielen Milliarden bisher geflossen sind, Herr Scholz! ({7}) Mit diesen 100 Milliarden Euro könnte man sehr viel Sinnvolles tun. Dieses Geld würde reichen, um alle Schulen in Deutschland zu sanieren, alle maroden Brücken und Straßen zu modernisieren ({8}) und dazu noch allen Rentnerinnen und Rentnern ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen ({9}) durch eine deutliche Rentenerhöhung und armutsfeste Mindestrenten. Zusätzlich könnte man auch noch allen Kindern an allen Schulen und Kitas jeden Tag ein kostenloses Mittagessen zur Verfügung stellen. ({10}) All das wäre mit 100 Milliarden Euro möglich. Aber daran denken Sie nicht einmal. Der versprochene Pflegebonus ist übrigens auch noch nicht ausgezahlt worden. Ich frage mich wirklich: Was ist das eigentlich für eine verantwortungslose Politik? Kleinste Versprechen werden nicht eingehalten. Aber nun sollen 100 Milliarden Euro zusätzlich für Flugzeuge, bewaffnete Kampfdrohnen und Panzer lockergemacht werden? Ich finde das wirklich unglaublich. ({11}) Sie müssen sich überhaupt nicht wundern, dass immer mehr Menschen in unserem Land nicht einmal mehr zur Wahl gehen, weil sie jedes Vertrauen in Politik verloren haben. ({12}) – Ja, ich kann verstehen, dass Sie das sehr ungern hören; es ist aber die Wahrheit. ({13}) Eines möchte ich Ihnen noch sagen: Wir als Linke, als die Sozialopposition in diesem Land, werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Danke schön. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Marco Buschmann das Wort.

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Kollegin Mohamed Ali hat vorhin die Bundeswehr, unsere Streitkräfte, ein „schwarzes Loch“ genannt. ({0}) Ich möchte hier persönlich erklären: Ich schäme mich dafür, dass in diesem Hause in Anwesenheit von Vertretern der Bundeswehr so über unsere Bundeswehr gesprochen wird. – Sie als Angehörige der Bundeswehr verteidigen das Territorium, Sie verteidigen das Bündnis. Sie sind kein schwarzes Loch. Sie sind die Garantie für unsere Sicherheit. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Buschmann, das habe ich nicht gesagt. Ich habe vom Etat gesprochen. Es ist eine Tatsache, dass es Missmanagement gegeben hat. Das ist ein Grund, warum unsere Soldatinnen und Soldaten keine vernünftige Ausrüstung haben, warum es nicht genug warme Socken gibt. Finden Sie das respektvoll? ({0}) Man muss doch erst mal schauen, wo das Geld hingeflossen ist. Dass Sie das, was ich hier kritisiert habe, jetzt instrumentalisieren wollen, um zu behaupten, ich hätte keinen Respekt vor der Bundeswehr, ist einfach eine Unverschämtheit. Genossinnen und Genossen von mir sind in der Bundeswehr. Das lasse ich mir nicht nachsagen! Danke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Karsten Klein für die FDP-Fraktion. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation, die die Ampel am Anfang dieser Legislaturperiode bei der Bundeswehr vorgefunden hat, war eine Situation, die mit großen Defiziten behaftet war: bei Ausstattung, Ausrüstung, Motivation und Anerkennung der Soldatinnen und Soldaten, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, nach 16 Jahren Unionskanzlerschaft vor allem auch beim Abschreckungspotenzial unserer Streitkräfte. ({0}) Die aktuelle internationale Lage und gerade auch die Situation in der Ukraine haben den Blick auf diese enormen Defizite noch mal geschärft. Wir haben in der Ampelkoalition schon erste Schritte eingeleitet, um genau diese Defizite abzustellen. Im Gegensatz zu dem, was Herr Kollege Dobrindt hier behauptet hat, haben wir die Mittel für die Ausrüstung im Kernhaushalt der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode schon um 10 Milliarden Euro angehoben. Auch sind erste Reformschritte bei der Bundeswehr ergriffen worden, um das Beschaffungswesen zu verbessern. ({1}) Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Bewaffnung von Drohnen auf den Weg gebracht. ({2}) Und wir haben 2,4 Milliarden Euro für die Vollausstattung der Soldatinnen und Soldaten auf den Weg gebracht – eine enorme Leistung und ein respektvolles Zeichen an unsere Soldatinnen und Soldaten, das Sie in der letzten Legislaturperiode haben fehlen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Jetzt bringt diese Koalition mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro einen Turbolift auf den Weg, um aus dieser Situation herauszukommen. Wir Freien Demokraten fordern schwere Waffen für die Ukraine. Aber, Herr Kollege Dobrindt, wer schwere Waffen für die Ukraine fordert, der muss sie auch der Bundeswehr gönnen. ({4}) Viele Projekte, die Ihre Verteidigungsminister/-innen angekündigt haben, zum Beispiel das Nachfolgeprojekt zum Tornado, waren doch niemals durchfinanziert im Verteidigungshaushalt. Das ermöglicht jetzt dieses Sondervermögen, und deshalb erwarte ich, dass Sie der Errichtung dieses Sondervermögens zustimmen. ({5}) In dieser historischen Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, sollten Sie sich Ihrer Verantwortung stellen: ({6}) gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, gegenüber den Menschen in diesem Land und gegenüber den Kindern in diesem Land. Denn die werden Ihnen irgendwann mal die Frage stellen, wo Sie waren, wo Sie in dieser historischen Situation standen, in der es darum ging, die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und dieses Landes wiederherzustellen, liebe Union. ({7}) Die Ampel schafft mit dem Sondervermögen die Voraussetzung, diese Verteidigungsfähigkeit, das Abschreckungspotenzial wiederherzustellen. Wir strecken Ihnen die Hand aus. Ergreifen Sie diese Hand, ({8}) nicht für uns von der Ampel, nicht für sich, wie ich es von einigen aus Ihren Reihen schon gehört habe, sondern für die Menschen, für den Frieden und die Freiheit in Europa, in Deutschland und auch in der Ukraine! Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Mathias Middelberg das Wort. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte aufgreifen, was die beiden Bundesministerinnen hier angesprochen haben. Wir führen hier eine sehr ernste Debatte, und wir erleben eine Zeitenwende, die wir wahrscheinlich alle nicht so gerne erlebt hätten. Es ist richtig, was der Bundeskanzler vor gut acht Wochen von diesem Pult aus gesagt hat. Frau Baerbock hat es eben angesprochen: Wir müssen uns alle ein Stück weit bewegen. – Aber wenn ich jetzt mal die Diskussion der letzten Wochen vor dem geistigen Auge Revue passieren lasse und die Diskussion um das Sondervermögen hier verfolge, dann muss ich doch feststellen, dass meine Fraktion sich eigentlich am wenigsten bewegen muss. Wir liegen nämlich voll auf der Linie des Bundeskanzlers. ({0}) Ich erkenne sehr an, dass sich hier viele bewegt haben – gerade Sie, Frau Baerbock; ich sage das sehr anerkennend. Das ist alles in Ordnung, das ist auch richtig so. Aber wenn Sie so eine Feststellung treffen, dann müssen Sie vor allen Dingen in Ihrer eigenen Fraktion und dann muss auch der Bundeskanzler in seiner Fraktion dafür Sorge tragen, dass die Leute sich auf ihn, auf seine Positionen zubewegen; denn da werden seine Positionen, die er vor acht Wochen hier ausgesprochen hat, eben gerade nicht geteilt. Ich werde Ihnen das gleich noch genauer sagen. ({1}) Frau Lambrecht – das fand ich nun wirklich witzig – hat hier gesagt, man müsse den Begriff „Zeitenwende“ jetzt mit Substanz füllen, und sich an unsere Fraktion gewandt. Das war jetzt aber wirklich ein Scherz, Frau Lambrecht. ({2}) Das kann gar nicht ernst gemeint sein. ({3}) Wenn einer das, was der Bundeskanzler hier vor acht Wochen klar und deutlich angekündigt hat, wirklich zu hundert Prozent erfüllen will, dann ist es die Bundestagsfraktion von CDU und CSU – aber wirklich zu hundert Prozent! ({4}) Der Bundeskanzler hat hier von einem „Sondervermögen Bundeswehr“ gesprochen und nicht von einem „Sondervermögen Sicherheit“, einem „Sondervermögen Bündnisfähigkeit“ oder irgend so etwas. Deswegen legen wir Wert darauf, auch schon was die Formulierung im Grundgesetz angeht, dass klargestellt wird, dass die Mittel, die wir hierfür extra und außerordentlich freigeben, am Ende auch bei unseren Streitkräften, bei unserer Bundeswehr landen. Diese Stärkung der Bundeswehr ist auch der beste Beitrag zur Stärkung unserer Bündnisfähigkeit. ({5}) Ich will Ihnen, Frau Baerbock, gerne glauben, was Sie gesagt haben. Aber es gibt hier auch andere Aussagen von Leuten in diesem Parlament, die nicht ganz ungewichtig sind, beispielsweise des SPD-Fraktionsvorsitzenden, des Kollegen Mützenich. Er hat hier vor einigen Wochen in der Generaldebatte fast das Gegenteil dessen, was der Kanzler gesagt hat, erklärt. Er hat die Bereiche „humanitäre Hilfe“, „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ und „Abrüstung“ genannt und sagte wortwörtlich: Wir wollen diese Bereiche genauso gestärkt sehen wie die Investitionen in die Bundeswehr … Angesichts dessen und angesichts der Ankündigung des Kollegen Kindler, die zivile Krisenprävention und andere Dinge aus diesen Mitteln zu finanzieren, haben wir manifeste Zweifel, ob Sie die Mittel wirklich zur Stärkung der Bundeswehr und auch zur Stärkung der Bündnisfähigkeit verwenden wollen; ({6}) das sage ich ganz deutlich. Deswegen legen wir Wert auf klare Formulierungen schon im Grundgesetz. Das, was Sie heute in den Bundestag eingebracht haben, ist so für uns nicht zustimmungsfähig. ({7}) – Ja, ich sage Ihnen ganz klar: So, wie es heute formuliert ist, wie es heute eingebracht wurde und vorliegt, ist es nicht zustimmungsfähig. ({8}) Es gibt einen weiteren Punkt. Dieser betrifft die 2 Prozent, von denen der Bundeskanzler ausdrücklich gesprochen hat. Er hat gesagt: Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren. ({9}) Klare Aussage des Bundeskanzlers! Da müssen wir uns keinen Millimeter auf ihn zubewegen. Da sind wir voll auf der Linie des Bundeskanzlers. Da unterstützen wir ihn zu hundert Prozent. Klare Aussage von Herrn Mützenich – ich zitiere auch ihn –: … die SPD ist nach wie vor der Auffassung, dass zur Kriegsverhinderung mehr gehört als immer größere Rüstungsausgaben, ({10}) und schon gar nicht gehört dazu, nachfolgenden Generationen vorzuschreiben, wie hoch diese Ausgaben zu sein haben … Entschuldigung, wenn ich hier feststelle: Das ist das exakte Gegenteil ({11}) dessen, was der Bundeskanzler hier gesagt hat. ({12}) Wir legen schon Wert darauf, dass wir, wenn Sie es mit der Zeitenwende wirklich ernst meinen, das dann auch hier gesetzgeberisch exekutieren. Wir stehen dafür zur Verfügung. Aber wir stehen für Lösungen zur Verfügung, die wirklich das umsetzen, was der Bundeskanzler hier vor acht Wochen angekündigt hat. Dazu haben wir applaudiert – aus Überzeugung. Aber wir wollen das dann auch konsequent so umgesetzt wissen. Herzlichen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Achim Post für die SPD-Fraktion. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Debatte im Deutschen Bundestag ist wichtig, zweifelsohne. Aber nicht in jeder Debatte im Deutschen Bundestag geht es um grundlegende, ja historische Weichenstellungen so wie heute. Deswegen sollten alle hier, sollten wir alle hier über das nachdenken und über das reden, worum es wirklich geht: Es geht um ein Sondervermögen für die Bundeswehr. Es geht darum, die Bundeswehr zu ertüchtigen, zu verstärken und handlungsfähiger zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist es wert, darüber ganz in Ruhe, ganz seriös, ganz ordentlich zu diskutieren. ({0}) Wir wissen doch alle: Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg gegen das ukrainische Volk, ein Krieg gegen die Menschlichkeit, und verantwortlich dafür sind nur Putin und seine Schergen, sonst niemand, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir sind – einige Vorrednerinnen und Vorredner haben die Situation angesprochen – in der wahrscheinlich schwierigsten sicherheitspolitischen Bedrohungslage für Deutschland und für ganz Europa seit 1945. Da sollten wir uns in der Debatte auch mal mäßigen und hier nicht so tun, als wüsste man alles besser und hätte es von vornherein gewusst, Herr Middelberg. ({2}) Da würde ich ein bisschen vorsichtiger sein mit Blick auf die Riege der Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsminister der CDU. Drei Viertel der Verteidigungsminister in der Bundesrepublik Deutschland gehörten nämlich Ihrer Partei an. Also ein bisschen mehr Demut wäre angebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Und noch etwas. Putins Aggression will zweierlei: Ja, er will die Ukraine erobern, und zwar komplett. Aber er will auch die Demokratie beschädigen, schwächen, kleiner machen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich dafür, dass wir Haltung zeigen, dass wir uns starkmachen mit unseren Werten, mit unseren Überzeugungen und mit unserem Zusammenhalt. Auch das ist ein wichtiger Punkt in einer solch schwierigen Lage, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich habe dem, was der Bundeskanzler vor acht Wochen gesagt hat, genau zugehört – wie übrigens auch dem, was mein Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich gesagt hat, ({4}) aber auch dem, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gesagt hat. Ich darf Sie zitieren, Herr Merz. Sie haben gesagt: „Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das war eine gute Regierungserklärung.“ Das ist doch mal ein Satz. Mit dem kann ich arbeiten. Mit dem können wir alle arbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich finde nämlich auch: Das war eine sehr gute Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Deshalb: Machen Sie doch weiter mit solch klaren Sätzen, und versuchen Sie das, was wir versuchen! Alexander Dobrindt hat es doch versucht in seiner Rede. Natürlich können wir und werden wir in diesem Hause darüber reden, wie das Geld für die Bundeswehr sinnvoll ausgegeben wird. Natürlich werden wir darüber reden, wie wir Tilgung organisieren. Natürlich werden wir hier in diesem Hause darüber reden, wie wir die parlamentarische Kontrolle organisieren. ({6}) Zusammengefasst: Das Angebot meiner Fraktion an Sie ist ganz klar: Wir möchten, dass Sie mitmachen bei einem überparteilichen Grundkonsens für die Sicherheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben ein klares Angebot auf den Tisch gelegt. Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal bei der Bundesregierung, beim Bundeskanzler, bei Christian Lindner, bei Annalena Baerbock und bei Christine Lambrecht dafür, dass sie in den letzten Wochen dieses grundlegende sicherheitspolitische Projekt nach vorne gebracht haben. ({7}) Ganz am Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, muss man sich entscheiden. Man muss sich in solchen Debatten entscheiden, was man will. Will man konstruktiv mitmachen – ich nehme den einen oder anderen wahr, der das will –, oder, Herr Merz, will man bei dem bleiben, was Sie beim letzten Mal gesagt haben. Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen: Staatstheater oder Staatsräson? ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Ich habe neulich eine sehr treffende Kurzanalyse über unser Land gelesen. Darin hieß es: Deutschland hat die Wahrnehmung seiner Sicherheitsinteressen an die NATO outgesourct, seine Produktion an China und seine Energiegewinnung an Russland. – Natürlich ist das jetzt etwas vereinfacht dargestellt, aber es trifft doch ziemlich ins Schwarze; denn unser Land ist in existenziellen Fragen von anderen Nationen abhängig. Insofern begrüßen wir, dass diese Bundesregierung jetzt endlich aufgewacht ist und begreift, wie dringend notwendig eine adäquat ausgestattete Bundeswehr für die Sicherheit und Souveränität unseres Landes ist. Den eingeschlagenen Weg, hierfür 100 Milliarden Euro neue Schulden zu machen und nicht endlich einmal den Rotstift bei der Ausgabenpolitik anzusetzen, kritisieren wir allerdings deutlich. Sie hätten auch einfach den Wehretat dauerhaft erhöhen können. Das wäre haushälterisch sauber und den Bürgern gegenüber ehrlicher. ({0}) Insofern kann ich den Ausführungen meines Kollegen Peter Boehringer umfänglich zustimmen. Was uns darüber hinaus noch beschäftigt, ist natürlich das Beschaffungswesen. Egal ob Sturmgewehre, Transporthubschrauber, Tankschiffe oder die Nobelrestaurierung der „Gorch Fock“ – in der deutschen Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, dass die Bundeswehr in Sachen Beschaffung ein Fass ohne Boden ist und das Steuergeld auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Herr Kollege Buschmann, bevor Sie sich wieder aufregen: Es ist Steuergeld, das ist nicht unser Geld. Wir müssen auf jeden Euro achten. ({1}) Eine Reform des Beschaffungswesens ist daher dringend erforderlich. Das haben wir in der letzten Legislatur immer wieder angemahnt, und diese Forderung halten wir nach wie vor aufrecht. Allerdings muss der Ehrlichkeit halber auch gesagt werden: Neben dem Beschaffungswesen waren es auch immer wieder unterschiedliche Zielkonflikte, die militärische Beschaffungsprojekte belastet haben. Einer der größten zeichnet sich auch jetzt wieder beim Sondervermögen ab. Es ist absolut nachvollziehbar, dass die Bundesregierung angesichts der aktuellen Lage auf marktverfügbare, fertige Produkte setzt, um die Bundeswehr schnellstmöglich kaltstartfähig zu machen. Doch das bedeutet aktuell, dass Deutschland im Bereich der größten Rüstungsvorhaben vornehmlich auf Produkte aus Übersee setzt. Beispielsweise soll der Tornado-Nachfolger die amerikanische F‑35 von Lockheed Martin werden. Und nach aktuellen Berichten will die Bundesregierung auch 60 Chinook-Hubschrauber der amerikanischen Firma Boeing kaufen. ({2}) Der Eurofighter, von dem auch ein paar wenige auf der Einkaufsliste stehen, wird immerhin noch in Deutschland gebaut. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass beim Sondervermögen die Standortpolitik und das Bekenntnis zur deutschen Wirtschaft gar keine Rolle spielen. Nochmals: Auch wir sehen die Notwendigkeit eines konsequenten Handelns bei der Ausrüstung der Bundeswehr klar und deutlich. Aber es muss auch gesagt werden, dass wir uns mit den von der Regierung ins Auge gefassten Projekten in neue Abhängigkeiten begeben und uns damit finanziell auf Jahrzehnte hinaus festlegen. Wir befürchten, dass es mit dem Sondervermögen zu einem weiteren Verlust wehrtechnischer Fähigkeiten in Deutschland kommt und damit auch zu einem weiteren Verlust von Arbeitsplätzen und schlussendlich auch von deutscher Souveränität. Die AfD-Bundestagsfraktion will das Gütesiegel „made in Germany“ und die Souveränität dieses Landes erhalten, und dafür werden wir uns in den Beratungen auch einsetzen. Danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler das Wort. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Welt ist seit dem schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine andere. Damit wurden drei Jahrzehnte europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur aufgekündigt, und zwar einseitig durch die brutale Invasion von Wladimir Putin. Deswegen stellen sich für uns in Deutschland und für mich sowie meine Fraktion jetzt viele sicherheits- und außenpolitische Fragen neu. Natürlich müssen wir auch klären, welche Aufgaben, welche Funktionen und welche Möglichkeiten die Bundeswehr jetzt und in Zukunft haben soll. Deswegen ist unsere Fraktion auch sehr klar: Wir brauchen in diesen Zeiten eine gut ausgestatte Bundeswehr und eine Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Genau dafür dient dieses Sondervermögen. ({0}) Klar ist, dass Sicherheitspolitik in diesen Zeiten natürlich auch eine vernetzte Sicherheitspolitik sein muss. Diesen Sicherheitsbegriff hat auch nicht diese neue Regierung erfunden; das war auch schon ein Sicherheitsbegriff, den die alte Regierung unter Kanzlerin Merkel verfolgt hat und den übrigens auch die NATO verfolgt. Es war schon immer so, dass NATO-Ausgaben, die natürlich die Streitkräfte, aber darüber hinaus auch weitere Bereiche betreffen, in die Quote eingerechnet werden. Das machen sehr viele Länder in der NATO genauso, weil das auch sinnvoll ist. Wir erleben gerade viele Cyberangriffe auf Deutschland – auf Windenergieanlagen, auf kritische Infrastruktur –, und natürlich ist klar: Die Abwehr gegen Cyberangriffe ist in unserem sicherheitspolitischen Interesse, und darin müssen wir investieren. ({1}) Die Außenministerin hat es angesprochen: Natürlich brauchen wir in Deutschland auch einen modernen Digitalfunk bei der Bundeswehr und eine moderne Verschlüsselungstechnik für unsere Sicherheitsinstitutionen. Die Mittel für die Ertüchtigung von Partnerstaaten, wie zum Beispiel für die Waffenlieferungen an die Ukraine, werden nicht aus dem Etat der Bundeswehr finanziert, sind im Rahmen der NATO-Quote aber natürlich anrechenbar. Das Sondervermögen für Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr soll eben in die Ausgaben, die unter die NATO-Quote fallen, einbezogen werden. Ich will noch einmal sagen – auch zur Union, zu Herrn Middelberg –: Mittel für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung vom Auswärtigen Amt und vom Bundesentwicklungsministerium waren auch in der Regierung Merkel schon anrechnungsfähig auf die NATO-Quote und wurden auch von der Regierung Merkel nach Brüssel, an die NATO, gemeldet. Ich verstehe nicht, warum Sie das jetzt hier infrage stellen. ({2}) Die Verteidigungsministerinnen und ‑minister der letzten 16 Jahre waren Franz Josef Jung, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Thomas de Maizière, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Bundeswehretat ist in dieser Zeit erheblich gestiegen – von 32 Milliarden Euro in 2014 auf jetzt 50 Milliarden Euro –, und die Bundesverteidigungsministerin hat beschrieben, in welch bescheidener, zum Teil desolaten Lage die Ausrüstung und Ausstattung sind, so bescheiden, dass jetzt nur ganz wenige Waffen aus den Beständen der Bundeswehr geliefert werden können. Herr Middelberg, Sie sagen, unsere Fraktion wäre die einzige Fraktion, die sich bei diesem Verfahren nicht bewegen würde. Ich würde mir einfach mehr Demut und mehr Selbstreflexion wünschen, wenn wir auf die letzten 16 Jahre Verteidigungspolitik der Union blicken. ({3}) Worum es jetzt auch gehen muss, ist, dass wir nicht über symbolische und abstrakte Quoten diskutieren, sondern darüber reden, wie wir diese 100 Milliarden Euro, die sehr viel Geld sind, sinnvoll ausgeben. Deswegen darf es hier auch keine Schnellschüsse geben, sondern wir brauchen in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern und den Bündnispartnern in der NATO sehr konkrete Entscheidungen: Welche Fähigkeiten braucht die Bundeswehr? Wer soll das machen? – Und es muss auch klar sein: Was macht Deutschland? Was machen andere Partner? – Das muss sehr gut abgestimmt sein, und am besten macht man das in gemeinsamen Projekten. Dafür braucht man am besten auch ein Beschaffungswesen, wie es das in den letzten 16 Jahren eben nicht gab. Das Beschaffungswesen muss dazu führen, dass wir sinnvoll Geld einsetzen, dabei aber nicht die Dividenden der Rüstungsindustrie erhöhen. Das kann nicht das Ziel bei diesem Sondervermögen sein. ({4}) Deswegen sind wir dafür, dass komplexe und große Beschaffungsprojekte darüber finanziert werden und dass wir das, was bei der Bundeswehr mit der Taskforce schon begonnen wurde, auch weiterführen. Das können erste Schritte sein. Wir sind noch lange nicht am Ende dabei, das Beschaffungswesen der Bundeswehr neu aufzustellen, damit wirklich sinnvolle Beschaffungsprojekte organisiert werden. Wir begrüßen es sehr, dass sich die Union jetzt dem gemeinsamen Antrag der Ampel anschließt, sodass wir morgen ein sehr starkes gemeinsames Signal an Deutschland, an Europa und in die Welt senden, dass wir die Ukraine gemeinsam und solidarisch humanitär, finanziell, aber auch mit Waffenlieferungen unterstützen. ({5}) Ich wünsche mir sehr, dass wir bei diesem Sondervermögen in den nächsten Wochen in gemeinsamen Gesprächen zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Das Kabinett hat dafür einen guten Beschluss vorgelegt, und die Frage ist jetzt eben: Wollen Sie hier in die Verantwortung gehen, oder wird nachher Parteitaktik bestimmen? Diese Entscheidung müssen Sie treffen. Wir sind zu Gesprächen bereit. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kindler! Herr Kollege Post! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unionsfraktion ist – das hat sie von Anfang an gesagt, in der ersten Debatte vor zwei Monaten – zu konstruktiven Gesprächen über die von Ihnen geplante Verfassungsänderung bereit, und diese Bereitschaft besteht fort, auch wenn die heutige Debatte eine Einigung schwieriger gemacht hat. Das will ich Ihnen kurz erläutern. Wir müssen die Sache sozusagen erst einmal vom Kopf auf die Füße stellen. Wir und insbesondere Sie als Regierungskoalition sind gemeinsam der Auffassung, dass die Bundeswehr mehr Geld benötigt. Sie haben eine Mehrheit in diesem Haus, können das Haushaltsrecht bestimmen und haben einen Bundeskanzler. Verabschieden Sie einen Bundeshaushalt mit Ihrer Mehrheit, der die Bundeswehr hinreichend ausstattet! Es ist Ihre Koalition, es ist Ihre Mehrheit. Sie haben jederzeit die Möglichkeit dazu. ({0}) Wir sehen das nicht in den Haushaltsentwürfen; wir sehen das nirgendwo. Sie haben sich entschlossen, gemeinsam zu regieren – alles in Ordnung. Wir sind in der Opposition und kontrollieren das, wie es die Aufgabe der Opposition ist. Aber Sie haben dazu offensichtlich nicht die hinreichende Kraft. ({1}) – Wenn es hier mit „Staatsräson“ und „Staatstheater“ losgeht, will ich nur sagen: Da bin ich hier schon fast bei vaterlandslosen Gesellen. – Sie wollen hier jetzt eine Regelung aufstellen, dass wir in jedem Falle zuzustimmen haben. Das ist nicht unsere Verantwortung. ({2}) Wir bieten seit acht Wochen Gespräche über die Bundeswehr an, über das Beschaffungswesen, über das, was Sie anschaffen wollen, über einen Tilgungsplan, über eine Formulierung im deutschen Grundgesetz. Kein einziges Gespräch hat mit mir als Verteidigungspolitiker hier stattgefunden. Es hat heute ein zweites Gespräch gegeben. Es sind acht Wochen vergangen, und wir lassen uns nicht mit diesen markigen Sprüchen unter Druck setzen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wadephul.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte fortfahren. ({0}) Zum Thema Demut: Es ist völlig klar, dass die CDU/CSU-Fraktion und auch meine Partei eine Verantwortung für den Zustand der Bundeswehr haben; das ist vollkommen klar. ({1}) – Ja, natürlich; wir haben dieses Land 16 Jahre regiert. – Wenn Sie den Äußerungen meines Fraktionsvorsitzenden in den letzten Tagen mit einem Rückblick auch auf die Verteidigungs- und die Außenpolitik, die auch in unserer Verantwortung lagen, zugehört hätten, ({2}) dann wüssten Sie, dass es da an Selbstkritik nicht gemangelt hat, und das teilt meine Fraktion. Friedrich Merz hat richtige Worte dazu gefunden. Wir schauen uns das mit Selbstkritik an. ({3}) Aber, Herr Kollege Dürr, hier stehen so viele Glashäuser herum, darüber würde jeder Gärtnereibetrieb froh sein. ({4}) Sie sitzen auch in einem Glashaus! 2009 bis 2013 haben wir gemeinsam regiert. ({5}) Herr Fricke hat damals von uns verlangt, dass gekürzt wird. Gemeinsam haben wir bei der Bundeswehr am stärksten gekürzt, wir gemeinsam. Die FDP-Fraktion – Herr Fricke konzediert das – hat keinen Anlass, hier irgendwie den Eindruck zu erwecken, dass die FDP nicht eine Mitverantwortung trägt. ({6}) Die grüne Fraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode ein ums andere Mal klipp und klar gesagt, dass 2 Prozent für Verteidigungsausgaben nicht geht, dass das eine völlig unverantwortliche Festlegung ist, dass die Grünen niemals 2 Prozent mittragen können. Und jetzt können wir nicht schnell genug Ihre Verfassungsänderung mittragen. Sie sitzen auch im Glashaus, liebe Grünen. ({7}) Seien Sie dann ebenso demütig. ({8}) Ich muss sagen – in aller Freundschaft, Kollege Post –, dass Sie, insbesondere Frau Verteidigungsministerin, uns hier jetzt den Zustand der Bundeswehr vorbeten, schlägt dem Fass den Boden aus. ({9}) Ich habe in der letzten Legislaturperiode, wie hier jeder weiß, dasselbe Amt bekleidet und ein ums andere Mal bei den Haushaltsberatungen darum gerungen – im Grunde mit Ihren Worten –, dass wir mehr Geld für die Bundeswehr bereitstellen. Und wer hat das verhindert? Die SPD. Finanzminister Scholz hat eine Erhöhung nicht mitgetragen, und die SPD-Fraktion in diesem Haus hat sich gegen die 2 Prozent gewandt. ({10}) Das ist Ihre Verantwortung. Deswegen sage ich Ihnen jetzt: Hier haben alle Anlass, das auch selbstkritisch zu betrachten. ({11}) Es ist doch ganz einfach. Wenn im Grundgesetz steht, dass das Geld ausschließlich in die Ausrüstung der Streitkräfte fließt, so wie es der Bundeskanzler gesagt hat – er hat nicht von einem erweiterten Sicherheitsbegriff gesprochen, der richtig ist, Herr Kindler, das ist doch vollkommen klar, er hat vom Bundeswehrvermögen gesprochen; da hat der Kollege Middelberg vollkommen recht –, wenn es einen Tilgungsplan gibt, wenn eine Reform des Beschaffungswesens stattfindet – das hat Finanzminister Lindner zu Recht gesagt – und wenn die Union bei der Verwendung der Mittel eingebunden ist – wir haben von Anfang an gesagt: es gibt keinen Blankoscheck –, wenn diese Bedingungen mit uns endlich einmal besprochen werden, dann wird man am Ende darüber reden können. Aber wenn Sie hier sozusagen eine Kommandoaktion machen, uns in der Sache nicht beteiligen, und am Ende sagen, wir würden nur Staatstheater machen und der Staatsräson nicht gerecht werden: Das werden wir nicht mitmachen. So ist es, und danach sollten Sie sich richten. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Britta Haßelmann das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geschätzter Kollege Wadephul, da Sie meine Frage nicht zugelassen haben, was Ihr gutes Recht ist, versuche ich es mit einer Kurzintervention. Ich schätze Sie sehr, das wissen Sie auch. Wir kennen uns lange aus der Zusammenarbeit der letzten Jahre im Parlament. Ich möchte einen Rat geben: die Fraktion der Union nicht auf eine parteitaktische Position festzulegen. ({0}) Ihre Argumentation zu Beginn Ihrer Rede, Herr Wadephul, war: Sie sind jetzt in der Regierung; wir sind in der Opposition. Wenn Sie glauben, dass mehr Geld für die Bundeswehr gebraucht wird, stellen Sie es doch in den Haushalt ein. – Ich frage mich: Wo ist die Ernsthaftigkeit der Lage? Wo ist die Ernsthaftigkeit der Situation? ({1}) Seit dem 24. Februar, dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine, sehen wir alle ({2}) die furchtbare Situation, die Gräueltaten, die Kriegsverbrechen, die Tatsache, dass die Ukraine angewiesen ist auf Unterstützung, humanitär, wirtschaftlich, und militärische Mittel. Wir wissen, wie desaströs die Ausstattung der Bundeswehr ist. Und wir wissen, dass Sie 16 Jahre die Bundesminister der Verteidigung gestellt haben. ({3}) Dann können Sie doch an diesem Pult sich nicht einen schlanken Fuß machen ({4}) und ernsthaft sagen: Sie sind Regierung. Wir sind Opposition. Regeln Sie die Frage der Sicherheits- und Friedensordnung, die Frage der Sicherheitsstandards und unserer gemeinsamen Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit allein. ({5}) Da habe ich und sicher viele Menschen im Land eine andere Erwartung an die Union. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wadephul, ich bitte noch einen Moment um Geduld. Ich habe jetzt entschieden, dass ich zwei Kurzinterventionen zulasse und Sie dann natürlich auch die doppelte Zeit zur Erwiderung haben. – Das Wort hat der Kollege Fricke zu einer Kurzintervention.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wadephul, da ich wenig von dem Spruch halte: „Suche nach dem Schuldigen“ – das ist so typisch deutsch; ich glaube, im Parlament muss man nach Lösungen suchen – will ich drei Dinge festhalten. Erstens. Sie haben mich richtig zitiert. Ich beschäftige mich nun schon lange mit dem Haushalt; deswegen sage ich an dieser Stelle auch: Das ist so. Das sind die Zahlen, und so sind die Fakten. Und jeder, der hier im Raume ist, kann sich fragen, wie er abgestimmt hat. Zweitens. Ich möchte Sie darauf hinweisen – ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist –: Der Finanzminister hat ausdrücklich gesagt, wie die Situation in den letzten 15 Jahren war. Er hat ganz bewusst nicht gesagt, was seit 2013 passiert ist. Ich sage das, um noch einmal deutlich zu machen, was meine Fraktion anstrebt: nämlich in dieser wichtigen Zeit, wo wir eben keine Zweidrittelmehrheit haben, zu einem gemeinsamen Ergebnis, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Deswegen habe ich – drittens – eine Bitte um Antwort. Wenn Sie sagen, mit Ihnen habe niemand gesprochen, dann sage ich: Okay, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir miteinander sprechen. Ich freue mich auch, wenn ich mit meinem Kollegen Haase, dem haushaltspolitischen Sprecher Ihrer Fraktion, an dieser Stelle spreche. Für mich ist nur eines bisher nicht ganz klar gewesen: Ich dachte, mit der Regierung wird bei Ihnen alleine auf der Ebene des Fraktionsvorsitzenden gesprochen. Wenn Sie jetzt sagen: Nein, wir können auch hier im Parlament bis ins kleinste Details reden, dann bin ich als Parlamentarier – und bin ich mir sicher: wir alle – dazu auch gerne bereit. Ich hatte es bisher anders verstanden. Das mag ja ein Irrtum meinerseits sein. Das sage ich ganz deutlich. Wenn ich den Fraktionsvorsitzenden sehe, dann höre ich jetzt, dass wir auch an anderen Stellen gerne verhandeln können. Dann stellt sich aber die Frage – das will ich dann auch deutlich sagen –: Wenn wir Parlamentarier versuchen, Mehrheiten zu finden, und ich jetzt mit Ihnen oder mit meinem Pendant auf Haushaltsebene verhandle, verhandle ich dann mit der gesamten Fraktion – darauf hätte ich gerne eine Antwort –, oder verhandle ich nur mit dem Teil, der den Teil ersetzt, wie wir es vom Fraktionsvorsitzenden gehört haben, der reicht, um die Mehrheiten zu erreichen? Wenn, dann möchte ich mit der gesamten CDU/CSU-Fraktion ein Ergebnis haben, einen Kompromiss, der im Endeffekt ein gegenseitiges Nachgeben entsprechend von Kräfteverhältnissen und Vernunft heißt. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung auf beide Kurzinterventionen.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will es hinreichend kurz machen und Gespräche auch nicht schwieriger gestalten. Herr Kollege Fricke, ich empfehle Ihnen, mit dem Finanzminister entsprechende Gespräche zu führen. Es geht hier nicht um weniger als darum, die Verfassung zu ändern. Dazu werden jetzt Gespräche geführt; das ist auch richtig. Es sind Gespräche zwischen dem Finanzminister und seinem Staatssekretär und zwei Vertretern aus unserer Fraktion vereinbart. Aber es geht darum, eine Verfassungsänderung zu beschließen, die weite Teile der Bundeswehr und der Verteidigungspolitik umfasst. Deswegen fände ich es eine gute Kultur, dass wir breit angelegte Gespräche führen, in die alle Fachbereiche einbezogen werden, die davon betroffen sind; das sind Rechtspolitiker, das sind Verteidigungspolitiker. Das ist bisher nicht geschehen. Ich sage nur: Es sind jetzt acht Wochen verstrichen, und wenn wir vor der Sommerpause die Sache verabschieden wollen, dann ist es hohe Zeit, dass Gespräche in einer Breite und Tiefe stattfinden, sodass sich die Gesamtheit der Fraktion eine Meinung bilden kann und einer möglichen Verfassungsänderung zustimmen kann. Das ist bisher nicht geschehen. Da sollten Sie sich bei Herrn Lindner noch einmal informieren. Frau Kollegin Haßelmann, eines ich will Ihnen in aller Ruhe sagen – bei gegenseitiger Wertschätzung, die wirklich auch weiterhin besteht –: Es ist nicht der Normalfall, dass für die Finanzierung eines wesentlichen Teils des Staates, nämlich seiner Streitkräfte, die Verfassung geändert wird und ein Sondervermögen – ehrlich gesagt: Sonderschulden – aufgenommen wird. Das ist nicht der Normalfall. Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten. ({0}) Oder wollen Sie uns jetzt hier bei jeder Gelegenheit auffordern, die Verfassung zu ändern, damit Sie die notwendigen Mittel haben, um dann einfach Ihre Politik auf gesetzlicher Grundlage mit Ihrer Ampelmehrheit umzusetzen? Das wollen Sie doch nicht ernsthaft hier behaupten. Ich möchte hier in der Sache die Punkte wiederholen, über die Uneinigkeit besteht. Die Verfassungsänderung, die Sie uns vom Text her jetzt vorschlagen, entspricht nicht dem Vorschlag, den der Herr Bundeskanzler gemacht hat: dass es für die Bundeswehr ist. – Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Der Bundeskanzler hat vollkommen zu Recht gesagt, dass 2 Prozent ab jetzt und dauerhaft eingehalten sind. Das sehen wir weder im jetzigen Haushalt noch in der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung. Wir sehen vielmehr ein Einfrieren des Einzelplans 14, der für die Bundeswehr vorgesehen ist, auf gut 50 Milliarden Euro. Das ist Lichtjahre von 2 Prozent entfernt. Schon diese beiden Punkte sind nicht erfüllt, und deswegen stimmt das, was Mathias Middelberg gesagt hat: Die CDU/CSU-Fraktion ist sofort in der Lage, die Vorschläge des Bundeskanzlers aus seiner Rede vom 27. Februar eins zu eins umzusetzen – Sie nicht. Das ist der Unterschied. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Hellmich für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sachen liegen auf dem Tisch und sind ausgetauscht. Was macht man in einer solchen Situation? Man spricht miteinander. Ich glaube, die Debatte darüber, wie man miteinander spricht und wer miteinander spricht, können wir an dieser Stelle gar nicht fortsetzen, sondern das wird die Frage der Handelnden sein, die einen Auftrag haben, zu sprechen. Ich habe am letzten Wochenende etwas länger mit meiner 96‑jährigen Mutter gesprochen; das war dringend nötig. Sie sagte mir, sie habe Angst. Ich glaube, das, was sie mir an Angst ausgedrückt hat, mit einer ganz anderen historischen Erfahrung als viele in dieser Gesellschaft, war nicht nur sehr ernst gemeint, sondern sie war auch tief getroffen. Sie hat mir gesagt: Ihr, die ihr in der Politik seid, es ist euer Auftrag, es ist eure Verantwortung, für mich zu sorgen, damit ich weiter in Sicherheit leben kann. – Das ist die Messlatte für das, was wir tun: der Erwartung von vielen Menschen in ganz Europa und darüber hinaus entgegenzukommen, sie zu bedienen und ihnen zu sagen: Wir sind in der Tat mit voller Verantwortung dafür, diese Sicherheit zu garantieren. Sie hat mir auch gesagt: Ich vertraue dem Bundeskanzler, weil er mit Ruhe und Bedacht an diese Fragen herangeht, weil es bei ihm kein Flügelschlagen gibt und er keine lauten Töne spricht, sondern weil er klar und verlässlich mit der Situation, die so ernst ist, wie sie nie war – soweit sie das erlebt hat –, umgeht und versucht, Probleme zu lösen. Wir müssen mit denjenigen, die in dieser Situation an unserer Seite stehen – auch das war eine Erfahrung, die sie mir mitgegeben hat –, die schon immer für unsere Sicherheit gesorgt haben, auch in diesem Bündnis klar dafür sorgen, dass es Frieden in diesem Europa, in dieser Welt gibt. Das ist die Herausforderung. Das ist das Ziel, das man sich setzen muss. Um dieses Ziel zu erreichen, gehören – davon bin ich fest überzeugt – zu einer wehrhaften Demokratie, zu einem wehrhaften Land, zu einem wehrhaften Europa, zu einem wehrhaften Bündnis wehrhafte Streitkräfte. Deshalb habe ich eine hohe Erwartung daran, dass wir mit diesem 100-Milliarden-Euro-Programm genau dieses Ziel, wehrhafte Streitkräfte zu haben, auch erreichen können. Wir kommen als Verteidigungspolitiker mehr aus dem Maschinenraum des konkreten Tuns und des konkreten Machens. Wir wissen sehr konkret, wo die Defizite sind. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Heer nicht führungsfähig ist oder Mängel hat und letztendlich digitalisiert ins Feld ziehen soll, dann braucht es die nötige Ausstattung. Dazu gehören aber nicht nur Funkgeräte, sondern dazu werden in der nächsten Zeit auch die Satelliten gehören, die sicherstellen, dass wir sicher kommunizieren können. Da bin ich bei Cybersicherheit. Die ist nicht nur eine Frage der gesamten Gesellschaft, sondern auch funktionsfähiger Streitkräfte. Ich könnte viele dieser Punkte fortsetzen – viele wurden genannt –, die aufzeigen, was angepackt werden muss, um letztendlich das Ziel einer handlungsfähigen Bundeswehr in einem Bündnis zu erreichen, um einsatzfähig zu sein und um dieser Bündnisverpflichtung nicht nur nachzukommen, in gegenseitiger Verantwortung, sondern auch klar und deutlich zu machen: Wir stehen dafür mit einer Haltung – nicht nur mit Ankündigungen –, das tun und umsetzen zu wollen, was in dieser Zeit notwendig ist. Deshalb meine herzliche Bitte an dieser Stelle: Orientieren Sie sich ganz persönlich daran, dass ich irgendwann meine Mutter wieder besuchen und ihr sagen kann: Wir haben dafür gesorgt, dass du zukünftig sicher leben kannst. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Johannes Huber.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Mitbürger! Putin hat in seinen Vertragsentwürfen über Sicherheitsgarantien im Dezember 2021 ultimativ ein Ende der NATO-Truppen in den 14 neuen Mitgliedstaaten in Osteuropa gefordert. Das gilt bis heute und bedroht wie die Mittelstreckenraketen in Kaliningrad unmittelbar das Bündnisgebiet. Das russische Staatsmedium „RT“ hat am 2. März getwittert, dass direkte deutsche Waffenlieferungen den Waffenstillstand von 1945 brechen. Das klingt wie die aktuellste Aussage von Lawrow, der diese als einen De-facto-Kriegseintritt des Westens wertet, also offensichtlich Russland auch mit Deutschland im Krieg sieht. Russische Truppen sind bereits an der polnischen Ostgrenze stationiert, die nicht nur einen Korridor über Litauen einnehmen können, sondern auch das Herzland Europas, also Polen, bedrohen und in der Folge die deutsche Ostgrenze. Dass ein solches Szenario real werden kann, zeigte der hybride Angriff von Lukaschenko auf die Europäische Union mithilfe der Migrationswaffe, der nur mühsam dank der polnischen Grenzschützer abgewehrt wurde. Die teilweise selbstverschuldete Bedrohungslage macht eine schnellstmögliche materielle Aufrüstung der Bundeswehr also unabdingbar. Auch die Wehrpflicht muss zur personellen und moralischen Verteidigungsfähigkeit wieder auf die Tagesordnung. Den Bedarf für die Bundeswehr zeigt im Übrigen die Kriegsführung in der Ukraine. Es müssen nicht nur die weiterentwickelten Eurofighter und Transporthubschrauber beschafft, sondern für die Lufthoheit vor allem der blinde Fleck der mobilen Flugabwehr im Nahbereich des Heeres mit Stinger-bewaffneten Ozelot-Systemen behoben werden. Auch bewaffnete Drohnen sind in der modernen Kriegsführung alternativlos. Für die Hit-and-Run-Taktik bei der Landesverteidigung gegen einen materiell überlegenen Gegner braucht es nicht nur miteinander eingespielte und trainierte Soldaten plus Reservisten, sondern wie in der Ukraine auch eine widerstandsfähige Zivilbevölkerung. Eine Innenministerin, die die eigene Bevölkerung aber systematisch entwaffnen will, ist angesichts einer realen äußeren Bedrohung ein Sicherheitsrisiko für unser Land. Ich möchte schließen mit der Verteidigungsministerin, die ebenfalls unser aller Sicherheit gefährdet. Wenn Herr Scholz noch da wäre, dann würde ich ihm sagen, dass er sich mit der Verteidigung, die er bereits jetzt quasi vom Kanzleramt ausübt, selbst entlasten könnte, sich aber auch vor einem konstruktiven Misstrauensvotum schützen könnte, wenn er sich jemanden als Verteidigungsminister an die Seite stellt, der Ahnung hat und strategische und militärische Fachkompetenz mitbringt. Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 24. Februar hat sich die Welt durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine verändert. Olaf Scholz hat es mit dem Wort „Zeitenwende“ richtig umschrieben. An diesem 27. Februar war es hier im Parlament nur ein Wort. In den letzten Wochen wurde dieses Wort aber mit Handeln und mit Leben erfüllt: von 100 Milliarden Euro Sondervermögen bis hin zu Waffenlieferungen. Wir leben gerade eine historische Verantwortung. Die letzten Wochen haben aber auch gezeigt, dass diese Zeitenwende unterschiedlich gestaltet werden kann. Jeder muss da so seinen Weg finden – das merken wir heute in dieser Debatte –, mit dieser Zeitenwende umzugehen. Die Regierung muss sich positionieren, was wir klar getan haben. Die Opposition muss ihren Platz finden, wobei sie gerade ist. Das Wichtigste ist: Wir müssen die Menschen im Land in diese neue Zeit mitnehmen. Es gibt da viele Sorgen, ja Ängste bei den Menschen, und zu Recht darf ich anmerken: Es geht um Krieg und Frieden. Die Menschen erwarten jetzt von uns Zusammenhalt, Geschlossenheit und vor allen Dingen ein besonnenes Vorgehen. ({0}) Die Frage ist: Wie gestalten wir diese Zeitenwende? Welche Zeit nehmen wir uns für welche Maßnahmen? Die Zeitenwende hat aber auch gezeigt: Dieses Land hat viele Militärexperten. Es dürfte aber auch klar sein: Es gibt Beteiligte, die haben keine Zeit in dieser Zeitenwende, nämlich unsere Soldatinnen und Soldaten. Die brauchen schnelle Entscheidungen, und darum geht es bei dieser Grundgesetzänderung. Dafür braucht man mutige, zügige und besonnene Beschlüsse und keine Streitereien. Die Frage der Sicherheit unseres Landes darf nicht auf dem Altar des Parteienstreits oder Wahlkampfes geopfert werden. Jetzt ist auch die Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Uns hilft kein Blick zurück, sondern es hilft nur der Blick nach vorne. Natürlich könnte ich jetzt philosophieren: Wer ist schuld an dem Zustand der Bundeswehr? Hilft das aber jetzt? – Sicher nicht. Dieser Krieg hat elementare Folgen für die Sicherheit in Europa. Natürlich müssen wir darauf reagieren, und wir haben auch darauf reagiert. Mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro sind wir nun endlich in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen, die die NATO an uns stellt. Klares Ziel ist eine leistungsfähige Truppe, die die Sicherheit unseres Landes gewährleistet und die Menschen in unserem Land, aber auch in Europa schützt. Sehr geehrte Damen und Herren, wir müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass die Anschaffungen schnell und unbürokratisch realisiert werden, und schon das wird eine große Aufgabe werden. Aber es sind auch hier schon erste Entscheidungen getroffen worden: 2,4 Milliarden Euro für Schutzausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten und die Entscheidung bei der Tornado-Nachfolge, um nur zwei zu nennen. Dazu gehört aber selbstverständlich auch eine dringende Veränderung im System. Wir alle wissen, dass die Reformen im Beschaffungswesen überfällig sind. Ich danke der Frau Ministerin, dass sie schnell tätig geworden ist. Die Zauberworte, die hier viel helfen, heißen: Anhebung der Unterschwelle im Vergaberecht von 1 000 auf 5 000 Euro, schnelle Direktvergaben unter Nutzung des EU-Rechts, Kauf marktverfügbarer Produkte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir schaffen aber auch zusätzliche Sicherheit, da das Sondervermögen den Kernhaushalt nicht angreift. Es wird kein Ausspielen des einen gegen das andere geben. Das bedeutet im Gegenzug natürlich auch, weiter ausreichende Mittel für die Bereiche der inneren und vor allen Dingen auch der sozialen Sicherheit zu haben. Das ist ja das, was unser Land so stark macht und immer stark durch Krisen gebracht hat. Mit einem neuen Absatz in Artikel 87a Grundgesetz kann der Bund jetzt mit eigenen Kreditermächtigungen ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro einrichten. Durch diese Verankerung wird sichergestellt, dass diese Mittel nicht für andere Zwecke eingesetzt werden können. Alle hier im Haus sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein und für die Grundgesetzänderung stimmen. Unsere Bevölkerung, unser Land und vor allen Dingen unsere Soldatinnen und Soldaten erwarten das von uns, und auch hier zu Recht. Danke schön. ({1})

Dr. - Ing. Volker Redder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005183, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um KONSENS, um die Digitalisierung der Steuerverwaltung. Damit arbeiten wir schon seit 2007, also seit fast 15 Jahren, an einer gemeinsamen Softwareentwicklung im Bereich der Steuerverwaltung. Das ist in Teilen tatsächlich eine Erfolgsgeschichte; deswegen wundert mich der Antrag der CDU/CSU. Wenn man sich Elster als Bestandteil anguckt: Das benutzt inzwischen jeder zweite Bürger, jede zweite Bürgerin in Deutschland, und das bei einem Steuerrecht, das, wie wir wissen, in sich widersprüchlich ist. Es gab mal ein Fraunhofer-Forschungsprojekt, bei dem versucht worden ist, das zu algorithmisieren; das ist nach fünf Jahren kläglich gescheitert. Also unser Steuerrecht und dann die digitale Elster-Einkommensteuererklärung – ein großes Wunder, und es funktioniert. Es gibt aber auch große Mängel und Nachholbedarfe. Die Grundstücksdatenbank „Languste“ kommt dieses Jahr, viel zu spät, und macht in den meisten Bundesländern die ohnehin schon schwierige Umsetzung der Grundsteuerreform noch schwieriger. Es wäre schön gewesen, wenn das vorher geklappt hätte. Deswegen haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Digitalisierung der Besteuerungsverfahren voranzutreiben, ({0}) und das werden wir als Fortschrittskoalition jetzt machen. Stück für Stück werden wir die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung und auch in der Steuerverwaltung vorantreiben. Da reden wir konkret über volldigitalisierte Verfahren, über mehr zentrale Steuerung bei KONSENS, über eine notwendige Entbürokratisierung des Steuerrechts ({1}) und über moderne Software- und Datenarchitekturen. Wir müssen mal darüber nachdenken, wie wir bei der Entwicklung im Rahmen von KONSENS noch schneller vorankommen. Modernere, agilere Softwareentwicklungstechniken mit einem besseren Controlling, einer höheren Geschwindigkeit könnten genutzt werden, um veraltete Entwicklungstechnologien abzulösen. Und: Wir haben das große Thema der mangelnden Dateninteroperabilität bei großen integrativen Systemen, und da müssen wir ran. Es gibt neue Konzepte dazu. FAIR Digital Objects ist so ein Beispiel. Das gibt es seit drei Jahren. Damit könnten wir das, was wir bisher gemacht haben, tatsächlich prozessual noch mal um mindestens 30 Prozent beschleunigen, bei geringeren Kosten, und wir sind schneller. ({2}) Da sind wir gerade dran. Am Ende kommt ein neuer Datenstandard heraus; eine deutsche Erfindung, ein neuer Datenstandard, ist ja auch nicht schlecht. Wir sind ja berühmt dafür, dass wir standardisieren. Innovative Technologie löst aber nicht alles. Ich habe als Unternehmer und Auftragnehmer von vielen IT-Projekten meine eigene Erfahrung mit der öffentlichen Verwaltung und mit großen Konzernen gemacht. Am häufigsten ist es die Angst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor den Veränderungen, ({3}) die Digitalisierungsprozesse blockiert. Diese Angst müssen wir den Betroffenen nehmen. ({4}) Das ist eine politische Aufgabe. Das heißt, wir müssen auch konsequent für die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung werben. Wir müssen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Verwaltung benutzungsfreundliche Software anbieten, das, was sie aus dem Privatleben kennen, wenn sie eine App benutzen. Das funktioniert, das kennen sie. Wenn sie dann aber an einer SAP-Oberfläche sitzen, die kryptisch ist, und damit nicht klarkommen, dann macht es auch keinen Spaß. Aber Arbeit muss Spaß machen. Digitalisierung kann Spaß machen, und wenn es Spaß macht, sinkt die Angst, und dann steigt die Akzeptanz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es schon erwähnt: Wir werden als Ampel konkrete Vorschläge zur Digitalisierung der Steuerverwaltung unterbreiten. Aber da brauchen wir keine Hilfe der Union, die in der Vergangenheit beim Thema Digitalisierung aus dem Kanzleramt, den eigenen Ministerien und aus den Bundesländern blockiert hat, wo sie nur konnte. Ich sage das nur, weil man hier den Eindruck gewinnen kann, dass die CDU/CSU mit einem Antrag auf zwei Seiten alle Probleme bei der Digitalisierung im Bereich der Steuerverwaltung lösen könnte. ({5}) Auf zwei Seiten – cool! Alles, was die Union selbst in den vergangenen 16 Jahren nicht auf die Reihe gekriegt hat, hat sie jetzt in der Opposition plötzlich gelöst. So wirkt das. Auf zwei Seiten – Hut ab, großartig! ({6}) – Ja, sorry. – Und dann fordern Sie beispielsweise, darzulegen, welche Einsparpotenziale durch die IT-Umsetzung zu erzielen sind. Glauben Sie tatsächlich, dass wir das noch belegen müssen? Haben wir nicht gerade in der jüngeren Vergangenheit gelernt, wie fahrlässig es ist, die Digitalisierung nicht voranzutreiben? ({7}) Ich denke, wir haben genug über Abschätzungen, Zeitpläne, Einsparpotenziale und Umsetzungsaufwände gesprochen. Jetzt ist es wichtig, auch mal ins Machen zu kommen, und genau das machen wir als Ampelkoalition. Da brauchen wir definitiv keine Nachhilfe von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Johannes Steiniger das Wort. ({0})

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, Herr Dr. Redder, zu unserem Antrag „Digitalisierungskosten bei steuergesetzlichen Vorgaben darlegen“. Um was geht es in dem Antrag? Das will ich noch mal kurz sagen. Wir wollen, dass wir unsere eigene Arbeitsweise hier im Deutschen Bundestag etwas verändern, weil wir ja oft über die Inhalte sprechen – beispielsweise bei uns im Finanzausschuss zum Thema Steuerrecht –, wir aber allzu oft vergessen, wie eigentlich die Regelungen, die wir hier beschließen, umgesetzt werden. ({0}) Insbesondere in allen Steuerrechtsfragen ist es oft so, dass das Ganze digital umgesetzt wird. Wir wollen mit diesem Antrag erreichen, dass wir uns auch schon während des Gesetzgebungsverfahrens genau damit auseinandersetzen. ({1}) Jetzt haben wir ja schon das übliche Spiel gehört – das hatten wir auch im Ausschuss schon –: Eigentlich kann die Opposition hier an Anträgen vorlegen, was sie möchte. Der Antrag kann noch so gut sein, aber Sie versuchen dann, Gegenargumente zu finden; das ist auch Ihr gutes Recht. Da wird dann gesagt: Ja, wir machen das doch sowieso schon. Ihr wart doch 16 Jahre dran. Wir machen mehr. Es ist unnötig, was ihr hier an Anträgen vorlegt. – Aber – und das werden wir vielleicht gleich auch noch mal hören – ehrlich gesagt: So ist es nicht. Sie haben ja gesagt, Sie brauchen keine Nachhilfe von uns. ({2}) Ich habe jetzt mal einen beliebigen Gesetzentwurf von Ihnen herausgesucht. Sie haben vor ein paar Tagen einen Änderungsantrag zum Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes 2022 gestellt; darin wollen Sie eine Energiepreispauschale einführen. Vielleicht haben Sie diese Fassung des Gesetzentwurfs gelesen; Sie haben ihn ja mit verabschiedet. Hier steht im allerletzten Absatz Folgendes: Hier entsteht für die IT‑Umsetzung in der Steuerverwaltung der Länder einmaliger Umstellungsaufwand, der derzeit nicht bezifferbar ist. Da für diesen Aufwand weder eine haushalterische Vorsorge getroffen wurde, noch eine Berücksichtigung in den Planungen für die betroffenen IT‑Verfahren erfolgen konnte, wird eine Umsetzung nur zulasten anderer, ebenfalls prioritärer Aufgaben möglich sein. Hört sich relativ kompliziert an, heißt im Klartext: Erstens. Sie sagen nicht, wie das Ganze umgesetzt werden soll. Zweitens. Sie sagen nicht, in welcher Zeitschiene das passieren soll. Drittens. Sie sagen nicht, was es kosten soll. ({3}) Und das Allerschlimmste ist – das ist einer der Gründe, warum wir in Deutschland oft so langsam sind –: Sie machen hier die Umsetzung eines Gesetzes, das dazu führen wird, dass an anderer Stelle Umsetzung eben nicht erfolgen kann. Das schreiben Sie hier schwarz auf weiß. Von daher ist die Nachhilfe unsererseits dann vielleicht doch notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Das zeigt, wie wichtig dieser Antrag ist. Geben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie heute zu! Wir müssen als Bundestag, glaube ich, umdenken. Wir müssen davon wegkommen, dass wir nur inhaltlich über die Regelungen diskutieren und beschließen. Wir müssen dahin kommen, dass wir auch nachfassen: Wie wird eine Regelung dann eigentlich entsprechend umgesetzt? Wir spüren doch oft den Frust von Bürgerinnen und Bürgern. Ich sage das auch selbstkritisch: In der letzten Legislaturperiode – Große Koalition – haben wir beispielsweise die Coronahilfen verabschiedet, ({5}) und dann gab es ganz großen Frust bei Bürgerinnen und Bürgern wie auch bei Unternehmen, weil es sehr lange gedauert hat, bis dies dann auch digital entsprechend über die Plattform abgedeckt werden konnte. Ich würde mir wünschen, dass wir insgesamt als Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag umdenken und dann aber auch nicht mehr solche Änderungsanträge in den Deutschen Bundestag einbringen. ({6}) Was wollen wir konkret? Wir wollen, dass die digitale Umsetzbarkeit ausgewiesen wird: die Kosten, der Zeitplan. Wir wollen aber auch, dass die Kosten in den Haushalt eingebracht werden. Auch das machen Sie hier in diesem Änderungsantrag nicht. Natürlich macht es auch Sinn, zu quantifizieren, was mögliche Einsparpotenziale sind, wenn man auch digitale Möglichkeiten nutzt. Unser Ziel ist es, dass wir ein digitalisierungstaugliches Steuerrecht haben, dass wir die große Masse an Steuerbescheiden automatisch erstellen, dass wir eine elektronische Erklärungsabgabe haben, dass wir auch den digitalen Bescheid haben. Das müssen wir im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages von Anfang an mitdenken. ({7}) – Wenn wir uns da einig sind, Herr Kollege, dann geben Sie sich doch einen Ruck! ({8}) Sie können diesem Antrag guten Gewissens zustimmen. Zum Schluss möchte ich auch sagen: Wir als Union sind der Auffassung, dass überall dort, wo der Bürger mit dem Staat in Kontakt kommt, die Aufgaben auch digital erledigt werden können. Ich würde mich freuen, wenn insbesondere von einem Finanzministerium, das von der FDP geführt wird, hier dann im Nachgang – wenn Sie unserem Antrag schon nicht zustimmen, können Sie sich das ja ein bisschen zu Herzen nehmen – in Zukunft Änderungsanträge, die hier eingebracht werden, auch so umgesetzt werden, wie wir sie beantragen. Ganz nach dem Motto „Digitalisierung first. Bedenken second“. ({9}) Herzlichen Dank. Wir werben für die Zustimmung zu diesem Gesetz. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Nadine Heselhaus das Wort. ({0})

Nadine Heselhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005084, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU benennt ein ganz grundsätzliches Ziel, welches bereits im Koalitionsvertrag unserer Regierungsparteien formuliert wurde: das Ziel, die Finanzverwaltung vollständig, von der Steuererklärung bis zum Bescheid, zu digitalisieren. Dementsprechend begrüßen wir dies auch erst einmal ausdrücklich. Denn die Digitalisierung der Steuerverwaltung ist bereits eine Erfolgsgeschichte, und sie birgt noch viel mehr Potenzial, als bisher genutzt wird. Deshalb wollen wir sie weiter vorantreiben. ({0}) Aber kommen wir nun zum Inhalt des Antrags der Union. Denn interessant wird es dort, wo die Wege zur Zielerreichung aufgezeigt werden. Welche Maßnahmen sollen also ganz konkret beschlossen werden? Der Antrag sieht eine grundsätzliche Prüfung aller steuergesetzlichen Vorhaben auf deren IT‑Umsetzbarkeit vor. ({1}) Wie diese IT-Umsetzbarkeit dargestellt werden soll, wird nachfolgend konkretisiert. Bei allen Umsetzungsaufwänden für die Steuerverwaltung sollen die Digitalisierungskosten ausgewiesen werden. ({2}) Doch das Ausweisen von Kosten wird weder neue noch bestehende Regelungen digitalisieren oder deren Digitalisierung beschleunigen. ({3}) Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, für die Darlegung von finanziellen Einsparpotenzialen durch die IT-Umsetzung, die ebenfalls erfolgen soll. Außerdem soll die Bundesregierung dazu aufgefordert werden, die Finanzierung des Umsetzungsaufwands sicherzustellen. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, grundsätzlich unterliegt ein Gesetzentwurf auch der Prüfung des Erfüllungsaufwands. Dazu gehören alle zur Realisierung der Umsetzung erforderlichen Kosten oder eben auch Einsparungen, sofern sie bekannt sind. ({5}) Selbstverständlich gehört auch die Sicherstellung der Finanzierung des Vorhabens dazu. ({6}) Ein Mehrwert ist also durch den Antrag bisher nicht erkennbar. Kommen wir zum nächsten Punkt des Antrags. Die Digitalisierung der Steuerverwaltung soll in allen Bereichen und auf allen staatlichen Ebenen vorangetrieben werden. Ja! Dieser Punkt beschreibt jedoch erneut lediglich das übergeordnete Ziel und keine konkrete Maßnahme. ({7}) Meine Damen und Herren, wir brauchen klare Kompetenzen. Bislang haben bei der Digitalisierung der Steuerverwaltung sehr viele Akteure mitgesprochen. Wir werden dafür sorgen, dass eine zentrale Verantwortlichkeit geschaffen wird, die den digitalen Wandel weiter vorantreibt, eine zentrale Organisationseinheit auf Bundesebene. Damit schaffen wir Verantwortlichkeit und gehen über bloße Angaben zum Erfüllungsaufwand hinaus; denn diese Organisationseinheit wird nicht nur den digitalen Wandel vorantreiben, sondern auch die Verringerung der Steuerbürokratie sicherstellen. ({8}) Wir wollen volldigitalisierte Verfahren. Die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung soll digital möglich sein. Denn die Akzeptanz der Digitalisierung von Steuerverfahren ist hoch. Sie gestaltet das Verfahren für alle Beteiligten effizienter: für die Bürgerinnen und Bürger, für Unternehmen, für Steuerberaterinnen und Steuerberater und für die Verwaltung selbst. Sie alle haben dadurch weniger Aufwand und mehr Zeit fürs Wesentliche. Was brauchen wir dafür konkret? Welche Maßnahmen ergreifen wir, damit wir den Weg zur umfassenden Digitalisierung beschleunigen? Dazu haben wir uns in der Ampel viel vorgenommen. Bislang werden Daten oft über eine elektronische Einbahnstraße an die Finanzverwaltung übermittelt. Beim Versand von Bescheiden oder Klärungsbedarf wird weiterhin auf Post, Telefon oder Fax zurückgegriffen. Diese Diskrepanz in der Kommunikation ist fehleranfällig und führt zu Mehrfacharbeiten. Um Prozesse zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Finanzamt vollständig zu digitalisieren, brauchen wir einen einfachen und sicheren Informationsaustausch. Dazu benötigen wir eine datenschutzsichere Lösung, die die bisherigen Schnittstellen standardisiert miteinander vernetzt. Wir müssen die Zusammenarbeit mit den Ländern verstärken, um die IT zu vereinheitlichen und zu modernisieren. So können Abläufe sowohl für die Finanzverwaltung als auch für die Unternehmen optimiert und Bürokratiekosten reduziert werden. Die Automatisierung bietet auch in der Steuerverwaltung Chancen für schnellere Verfahren und damit weniger Arbeitsbelastung. Im Tagesgeschäft werden viele Prozesse noch manuell erledigt. Elektronische Abgleiche können hier viel Zeit sparen. Zudem werden wir das Steuersystem für Menschen und Unternehmen einfacher machen. Mit der vorausgefüllten Steuererklärung senken wir den Zeitaufwand für die Steuererklärung deutlich. Auch im Bereich der Unternehmensbesteuerung lässt sich mit Standardisierung und dem sinnvollen Einsatz neuer Technologien Zeit sparen. ({9}) So werden weniger Außentermine in den Unternehmen notwendig, und die Finanzbeamten haben mit Methoden der Datenanalyse verbesserte Mittel an der Hand, um Betrugsfällen zügig auf die Spur zu kommen. ({10}) Wir werden mit dem neuen Institut für empirische Steuerforschung die Datenlage für eine noch stärker wissenschaftlich fundierte Steuergesetzgebung verbessern. Damit schaffen wir auch zusätzliches Wissen, um die Steuerhinterziehung in Deutschland stärker zu bekämpfen; denn auch das ist uns als SPD ein großes Anliegen. Sie sehen: Unsere Liste der Maßnahmen ist lang. Dagegen bietet der Antrag der Union wenig, und deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jörn König für die AfD-Fraktion. ({0})

Jörn König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004788, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer! Die CDU/CSU möchte mit einem Antrag die Digitalisierungskosten zu steuergesetzlichen Vorhaben transparent darlegen. ({0}) Das Ziel teilen wir. ({1}) Wir finden aber, dass die Union dieses Anliegen nicht glaubwürdig vertreten kann. ({2}) Der Antrag ist ein historischer Exkurs zur teilweise gescheiterten Einführung von Steuersoftware in der Finanzverwaltung, angefangen im Jahre 1991, also noch vor KONSENS; das hieß nämlich FISCUS. Seitdem hat die Union 24 Jahre regiert. Spätestens nach der Machtübernahme im Jahr 2005 ({3}) – nach der Regierungsübernahme im Jahr 2005 – hätten Sie, die Union, die Ziele des Antrags umsetzen können und müssen. Dieser Antrag zeigt wenige Monate nach dem Regierungswechsel eigentlich nur Ihr Versagen als Regierung. ({4}) Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben mit Ihrer größten Kanzlerin aller Zeiten in den Jahren 2010, 2012 und 2017, also dreimal, die Digitalisierung zur Chefsache erklärt. Sie haben aber in den ganzen 16 Jahren vergessen, diesen relativ simplen Digitalisierungsantrag in ein Gesetz zu gießen. Wir können uns dagegen alle noch gut daran erinnern, dass viele Unionsabgeordnete genügend Zeit zum Beispiel für lukrative Maskendeals hatten. ({5}) Warum also sollten die neuen Regierungsfraktionen Ihnen eigentlich den Gefallen tun, Ihren Antrag jetzt umzusetzen? Verstehen Sie die neue Regierung als Reparaturbetrieb für unterlassene Pflichtübungen? Der Antrag beschreibt recht gut die Ursache für das Versagen und die ewigen Verzögerungen in der IT‑Umsetzung. Es sind – ich zitiere – „stets neue gesetzliche und politische Anforderungen“. In der Tat: Immer wieder und immer schneller ändert sich die Gesetzgebung. Inzwischen gibt es monatlich – früher war es jährlich – Artikel in den Zeitungen, hier mal für 2022: ({6}) Die Rentenbesteuerung ändert sich. – Und hier: Das ändert sich im Oktober. – Das ist für den normalen Bürger einfach nur noch verwirrend. Wir hier im Parlament und besonders die jeweiligen Regierungsfraktionen sorgen mit immer neuen Gesetzen – man kann ruhig sagen: mit Regelungswut – für dieses Versagen. ({7}) Die ständigen Änderungen am Steuerrecht sind einfach schädlich. Der Antrag der Union ist in diesem Zusammenhang auch einfach nur ein Weiterwursteln mit dem Fahren auf Sicht. Was wir bräuchten, wäre ein langfristiges Konzept für die Digitalisierung unserer Verwaltung und Steuererhebung – einfach, schlank, bürokratiearm und zukunftssicher. Gegenüber dem Bürger sind nämlich Verlässlichkeit, Verbindlichkeit, Transparenz und Nachhaltigkeit mehr geboten denn je. Die Frage ist also: Wie macht man es besser? Die AfD hat dazu die richtigen Vorschläge auf Basis des Kirchhof-Modells auf den Tisch gelegt. Mit diesem Modell haben Sie, liebe Union, im Jahr 2005 Wahlkampf betrieben. Leider haben Sie Professor Kirchhof hinterher völlig opportunistisch vom Hofe gejagt – wieder mal ein gebrochenes Wahlversprechen; da haben Sie ja Routine. Mit dem AfD-Modell würde auch die Kompliziertheit und damit die Intransparenz im Steuerrecht beseitigt werden. Spötter behaupten ja immer noch, dass 80 Prozent der weltweiten Steuerliteratur aus Deutschland kommen. Es sind in Wirklichkeit nur 15 Prozent. Aber auch das ist ein Ausdruck von Überbürokratisierung; denn wir haben nur 2 Prozent aller Steuerzahler weltweit. Das Ziel muss sein, dass der durchschnittliche Steuerzahler seine Steuererklärung mal wieder versteht. Dies muss mit einer deutlichen Entlastung der Mittelschicht verbunden sein. ({8}) Wenn Sie die Steuererhebung modern und zeitgemäß machen wollen, dann setzen Sie unseren Antrag auf Drucksache 19/25305 um, der für ein Pilotprojekt der Steuererhebung mit Distributed-Ledger-Technologien wirbt. ({9}) Sie werden sich fragen, was Distributed Ledger ist. ({10}) Das ist das, was Ihr Beauftragter „Blockchange“ nannte, womit er die Blockchain meinte. Sehr geehrte Parlamentskollegen, nehmen Sie den Antrag zum Anlass, die Steuern zu senken und das Steuerrecht auf Basis der AfD-Vorschläge radikal zu vereinfachen! Dann hat der Antrag auch sein Gutes. Wir werden uns enthalten. ({11}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Sabine Grützmacher für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Sabine Grützmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag benennt ein wichtiges Ziel. Und eines möchte ich jetzt vorwegschicken: Auch wenn die Informatik aus Einsen und Nullen besteht, ist die Steuersoftwareentwicklung ja nicht entweder Katastrophe oder zu 100 Prozent gelungen; es gibt noch was dazwischen. Hier von einem Scheitern zu sprechen, ist wirklich maßlos übertrieben. – Das möchte ich voranstellen. ({0}) – Ich habe „Scheitern“ gehört. Auch wir möchten die digitale Transformation natürlich effizienter gestalten. Und ja, die Softwareentwicklung im Steuerbereich muss stärker auf Kernverfahren ausgerichtet werden. Auch der Koalitionsvertrag sieht hier natürlich eine Beschleunigung vor. Aber: Nur ein Mehr an Reporting schafft nicht mehr Digitalisierung. Laut Ihrem Antrag soll die IT‑Umsetzung in einem gesonderten Berichtswesen überprüft werden. Auch die Digitalisierungskosten sollen wieder extra ausgewiesen werden. Der Erfüllungsaufwand in Gesetzentwürfen muss aber schon jetzt mit angegeben werden. Die Idee einer gesonderten IT‑Folgenabschätzung für gesetzgebende Gremien wäre ein Mehr an Bürokratie. Der Weg zur Digitalisierung wird nicht kürzer, indem man ihn doppelt geht. ({1}) Erlauben Sie mir als ehemaligem Kieler Nordlicht den Blick nach Dänemark; denn dort ist Digitalisierung gelebter Alltag. Dänemark ist führend in der EU. Rund 100 Dienstleistungsgebiete im öffentlichen Sektor sind so gut digitalisiert, dass der digitale Weg der Standard ist, darunter die digitale Post und die Steuererklärung. Das Beste: Der Staat spart dadurch 345 Millionen Euro pro Jahr. Wie wurde das erreicht? Neben guten Softwarelösungen und Schnittstellen wurde das vor allem erreicht, indem Technikkompetenz von Anfang an aufgebaut wurde – auch in Politik, in Ministerien und in der Verwaltung. Kompetenzaufbau statt Doppelstrukturen: Das ist der Schlüssel zur besseren Digitalisierung. ({2}) Ein Baustein dabei ist Vereinfachung. Legisten und Legistinnen, IT‑Experten und IT‑Expertinnen müssen einheitliche Begriffsdefinitionen nutzen und interdisziplinär stärker zusammenarbeiten; denn je einfacher Verfahren sind und je weniger Ausnahmen es im Steuerrecht gibt, umso einfacher sind auch sie zu digitalisieren, und dann bekommen wir eine Beschleunigung. Zum Beispiel wird Steuerbürokratie laut Koalitionsvertrag durch höhere Schwellenwerte in Zukunft verringert. Ein frühzeitig angesetzter Digitalisierungscheck wird die Verwaltung über die Steuergesetzgebung hinaus in Zukunft insgesamt digitaler und bürgernah ausrichten und den Weg zur Vollautomatisierung einschlagen. Denn die anwendungsfreundlichste Verwaltung Europas, die der ehemalige Bundeswirtschaftsminister sogar verbunden mit einer Wette bis 2021 versprochen hat, hatte ja leider Lieferschwierigkeiten. Auch mit Blick auf das Herzensprojekt unserer frisch vereidigten Familienministerin Lisa Paus, die Kindergrundsicherung, müssen Leistungen zukünftig unbürokratisch und digital beantragt werden können. Die auch hierfür fehlende digitale Infrastruktur wird die Ampel voranbringen, und gerne stoßen wir dann gemeinsam mit den zwölf Flaschen Grauburgunder, die Herr Altmaier damals als Wetteinsatz angeboten hat, gemeinsam auf die erfolgreiche Digitalisierung an. ({3}) – Hat damit zu tun. Von Vereinfachung und Technikkompetenz hätte in den letzten Jahren auch das Onlinezugangsgesetz profitiert. Hier hat der Bundesrechnungshof angemahnt, dass das BMI Ende September 2021 den Eindruck erweckt hat, die Digitalisierung sei weit fortgeschritten. Aber von 1 532 zu digitalisierenden einzelnen Verwaltungsleistungen des Bundes waren nur 58 gemäß Onlinezugangsgesetz digitalisiert – 58 von 1 532! Die Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen; denn dabei sind Milliarden geflossen, teilweise leider in die falschen Kanäle, zu großen Teilen auch in Consulting-Firmen. SSI, ID Wallet bis hin zu Blockchain – wir haben es gerade gehört –: Beraterfirmen spielen auf dem Feld der Digitalisierungsprojekte teilweise Buzzword-Bingo, auch in der Steuergesetzgebung. Statt der technologisch sinnvollsten Lösung werden teilweise Projekte oft mit der hipsten und – da müssen wir aufpassen – gerne teuersten Lösung umgesetzt, bis sie von ehrenamtlichen Sicherheitsforschenden sprichwörtlich zerforscht oder – konservativ übersetzt – gehackt werden. ({4}) Wir müssen hieraus lernen; sonst laufen wir immer wieder gegen dieselbe Wand, nur schneller. Wir müssen eigene Technikkompetenz aufbauen und auch Länder und Kommunen hierbei stärker unterstützen. Auch in Gesetzgebungsverfahren eingebundene Menschen müssen technikkompetent werden, um IT‑Projekte managen, entwickeln und evaluieren zu können. Für den Einsatz von IT‑Consulting-Firmen muss gelten: Beratung – ja, Abhängigkeit durch Exklusivwissen – nein. ({5}) Auch die Einbeziehung von Zivilgesellschaft muss ausgewogen sein. Sicherheitsforschende aus dem Digitalbereich, wie zum Beispiel dem Chaos Computer Club, die die Implementierung staatlicher Digitalisierungsprojekte aus Datenschutz-, aber auch aus Kostenaspekten zu Recht kritisch begleitet haben, sollten für eine transparente und gute Umsetzung endlich präventiv gehört werden und nicht erst, wenn das Kind in den millionenteuren Brunnen gefallen ist. ({6}) Stattdessen setzt der Antrag einzig auf das Institut für Digitalisierung im Steuerrecht – ein Verein, der vor allem große Konzerne zu seinen Mitgliedern zählt. ({7}) Der Antrag setzt hier die falschen Prioritäten; deswegen werden wir ihm nicht folgen. Denn bessere Digitalisierung erreichen wir nur mit Vereinfachung und Aufbau von Technikkompetenz, auch in der Steuergesetzgebung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Christian Görke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Christian Görke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005067, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Steiniger, es ist schon ein bisschen bizarr, wenn die Union mit einem Antrag das kritisiert, was Sie in den 16 Jahren, in denen Sie in verschiedensten Koalitionen Verantwortung hatten, nicht auf die Reihe bekommen haben. ({0}) – Ich komme gleich zu Ihnen. Es geht gleich weiter. – Das beste Beispiel für die Versäumnisse war und ist das Schneckentempo bei der Umsetzung der sogenannten KONSENS-Produkte. Hier rächt sich nämlich die jahrelange Fingerhakelei des Bundes mit den Ländern um die Finanzierung. Meine Bitte an die neue Koalition ist, dass wir diese endlich beenden und dass wir hier endlich ein bisschen mehr Tempo machen und eine verlässliche Finanzierung verabreden können. ({1}) Sehr geehrter Herr Steiniger, wohl kaum jemand in diesem Hause hat irgendetwas dagegen, dass die Umsetzungsaufwände bei den Digitalisierungsvorhaben beziffert und transparent dargelegt werden. ({2}) Wohl kaum jemand in diesem Hause hat etwas dagegen, wenn die Digitalisierung der Steuerverwaltung in allen Bereichen vorangetrieben wird. Denn schließlich wollen wir, dass, wenn hoffentlich bald die Vermögensteuer erhoben wird, diese nicht über Papier und Bleistift abgeführt wird. ({3}) Wissen Sie, meine Damen und Herren von der Union, was mich besonders verwundert hat? Dass Sie bei der Realisierung Ihrer Vorschläge auf die Implementierung der Expertise des Instituts für Digitalisierung im Steuerrecht e. V. setzen. Ohne Zweifel ist da technischer Sachverstand vorhanden. Aber wenn ich mir die breitgefächerte Mitgliederliste ansehe: Das hat schon einen kleinen Beigeschmack, ({4}) und zwar einen sehr arbeitgebernahen. Ich habe mal die Liste der Mitglieder mitgebracht. Da finden wir die nicht so kleinen Konzerne wie Microsoft, Fresenius, Henkel, Dr. Oetker, Vonovia, Aldi. ({5}) Diese sind, sage ich mal, in letzter Zeit mit einer Menge von Ratschlägen für Steueroptimierungen aufgefallen – man konnte das nachlesen – und werden dann noch von Beratungsunternehmen wie EY und KPMG sekundiert, die über Einzelpersonen dort auch noch Mitglied sind. ({6}) – Das hat nichts mit Klassenkampf zu tun. Kommen wir mal zu dem, wofür es jetzt wirklich an der Zeit wäre. Wie wäre es denn mal mit einem Mehr an grundsätzlicher Transparenz, indem zum Beispiel im Vorfeld eines jeden Gesetzgebungsverfahrens, auch bei der Digitalisierung, bereits klar ist, welche Lobbyverbände und ‑vereine Einfluss auf ein Gesetzgebungsverfahren genommen haben? ({7}) Wie wäre es denn mal mit der Schaffung eines scharfen, verpflichtenden Lobbyregisters? Ich weiß, das scheuen Sie wie der Teufel das Weihwasser. Also: Das wäre doch mal ein wichtiger Beitrag. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Vielen Dank und einen schönen Abend noch. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann meinem Vorredner an sehr vielen Stellen recht geben. Es ist schon überraschend. Wenn man sich diesen dünnen Antrag – das kann man wirklich sagen; er passt auf eine Seite – anschaut ({0}) – na gut, doppelseitig bedruckt –, dann fragt man sich schon: Warum eigentlich? Warum wird hier so ein bisschen eine Statistik des Scheiterns gefordert? Denn es sollen jetzt alle Kosten für alle Projekte, die in der Vergangenheit schon nicht funktioniert haben, erhoben werden. ({1}) Gerade weil Sie das Thema KONSENS aufrufen: Die Probleme sind doch nicht dadurch entstanden, dass man beim Gesetzgebungsverfahren die Digitalisierungskosten nicht ausgewiesen hat, ({2}) sondern, wie der Kollege aus seiner Erfahrung als Landesfinanzminister richtig gesagt hat, weil das Fingerhakeln zwischen Bund und Ländern bei diesen Projekten die Kosten hochtreibt und dafür sorgt, dass wir nicht zu Potte kommen. Dazu steht aber nichts drin, meine Damen und Herren. ({3}) Was ich aber gut finde – und das steht in Ihrem Antrag –, ist, dass Sie eine IT‑Folgenabschätzung für Gesetzgebungsverfahren haben wollen. Die Frage ist nur: Warum eigentlich nur für Steuergesetzgebungsverfahren? Das ist doch ein Thema für alle Gesetzgebungsverfahren. Deswegen glaube ich auch, dass die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag den richtigen Ansatz dafür gewählt hat: Wir haben uns nämlich darauf verständigt, dass wir einen Digitalcheck für alle Gesetze einführen wollen. ({4}) Das ist der richtige Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wenn ich mir anschaue, was wir an Projekten geplant hatten – ich habe das ja acht Jahre lang in häufig freundschaftlicher Zusammenarbeit miterlebt –, zum Beispiel das Projekt „Digitale Identitäten“ als Projekt aus dem Kanzleramt in der letzten Legislaturperiode: Eine Woche vor der Bundestagswahl hat Herr Scheuer das noch auf den Markt bringen wollen, und dann – die Kollegin von den Grünen hat es eben richtig gesagt – ist es grandios gescheitert, weil es zerhackt wurde. Das war leider die Realität in den letzten Jahren. Auch wenn wir uns das Onlinezugangsgesetz anschauen: Von den über 1 500 Projekten, die digitalisiert werden sollen, haben wir es bei 58 geschafft. Insofern brauchen wir doch nicht mehr Statistik, sondern wir müssen ins Machen kommen. ({6}) Genau das hat sich diese Koalition vorgenommen, meine Damen und Herren. ({7}) Dazu gehört eben neben dem Digitalcheck auch die Verbesserung im Bereich des Onlinezugangsgesetzes. Da sind doch Ansätze wie das „Einer für alle“-Prinzip der richtige Weg. Wir sind in einem föderalen Land. Auch wenn wir uns im Bundestag vielleicht manchmal vorstellen könnten, dass es ein bisschen schneller ginge, wenn wir hier alles unter uns ausmachen könnten, wissen wir aber: Wir brauchen die Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern. Nichtsdestotrotz – es ist auch wichtig, das noch einmal zu unterstreichen im Rahmen der Haushaltsverhandlungen, in denen wir uns ja immer noch befinden – stellen wir beim Onlinezugangsgesetz richtig Geld zur Verfügung; denn ich finde, wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, dass wir 2022 als Ziellinie nicht erreichen, sondern wir müssen gucken, dass so viele Prozesse wie möglich digitalisiert werden. Deswegen begrüße ich es sehr, dass Nancy Faeser bei ihrer Amtsübernahme einen OZG-Booster angekündigt hat, um viele digitale Prozesse möglichst schnell voranzubringen. So nett das Ansinnen der Union hier ist: Es ist doch sehr homöopathisch und wird dem Problem deswegen nicht wirklich gerecht. Daher müssen wir es leider ablehnen; tut mir leid. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt gab es vier Redner von der Ampelkoalition – Herrn Dr. Redder, Frau Heselhaus, Frau Grützmacher, Herrn Dr. Zimmermann –, und alle haben gesagt: „Der Antrag ist gut, ({0}) der Inhalt passt; aber wir müssen ihn irgendwie ablehnen“, und haben noch ein kleines Härchen in der Suppe gesucht. ({1}) Also: Der eine sagt so, der andere so. Am Ende lehnen Sie den Antrag wahrscheinlich deswegen ab, weil er von uns kommt. Aber der Inhalt ist und bleibt richtig. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine bessere und schnellere Digitalisierung, gerade im Steuerrecht, könnte wirklich helfen, Arbeitsabläufe zu automatisieren. Aber es fehlt am Willen und an der Bereitschaft, und zwar an der Spitze: beim Steuerrecht im Bundesfinanzministerium. Dahin müssen wir es auch mal adressieren. Der heutige Bundeskanzler und frühere Finanzminister hat dieses Thema sträflich vernachlässigt. ({3}) Das Thema KONSENS ist in dieser Zeit nur wenig vorangegangen. Sie können das auch im Bericht des Bundesrechnungshofes von 2018 nachlesen, wo angemahnt worden ist, dass es erhebliche Verzögerungen gibt, ({4}) dass es an wirksamen Erfolgskontrollen fehlt und dass immer wieder neue Bürokratie kommt. Aber gemacht worden ist im Bundesfinanzministerium nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Sie gefährden dieses Projekt. Leider hat der aktuelle Finanzminister dieses Projekt auch noch nicht auf die Chefliste gesetzt. Liebe Frau Kollegin Hessel – oh, jetzt geht sie nach Hause –, vielleicht können Sie dem Bundesfinanzminister sagen, dass er das wirklich zur Chefsache machen sollte. Man sollte 50 Prozent der Zeit, die man für Steuerrecht verwendet, für Digitalisierung verwenden. Aber die Prozesse müssen hier deutlich verbessert werden. Sie sagen immer: Das machen wir schnell und unbürokratisch. – Immer wenn die Aussage kommt, dann wird mir schon angst und bange, weil dann noch mehr Bürokratie dazukommt. Der Kollege Steiniger hat es ja am Beispiel der Energiepreispauschale im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 2022 verdeutlicht. Es hieß: Wir helfen schnell und unbürokratisch. ({6}) Die Anhörung hat gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die eigene Verwaltung hat ja sogar noch gewarnt, dass es so bürokratisiert ist, dass es kaum umsetzbar ist. Das betrifft natürlich auch die Arbeitgeber und alle, die das abrechnen müssen. Auch in der Finanzverwaltung der Länder wird es zu einem erheblichen Bürokratieaufwuchs kommen. Die eigenen Fachleute warnen davor, und Sie lassen sie einfach im Regen stehen. Das ist Ihnen egal. Sie drücken das Gesetz von oben durch, ohne mit diesen Fachleuten ins Gespräch zu gehen. ({7}) Deswegen, glaube ich, ist es richtig, dass wir diesen Antrag beschließen, und ich bitte darum, dass wir ihn gemeinsam beschließen. Es gibt ja Vorprüfungen in Gesetzen. Die Vorprüfung bedeutet: Es wird geprüft, ob die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gegeben ist. Richtig! Es wird geprüft, wie die Haushaltsfolgen sowie die Auswirkungen auf private Haushalte und die Unternehmen sind. Richtig! Aber es muss unbedingt auch geprüft werden, wie die Möglichkeit einer digitalen Umsetzung bei diesen Gesetzesvorhaben ist. Sie sagen: Das machen wir dann für alle Gesetze. – Dann tun Sie das, und setzen Sie es um! Heute hätten Sie die Gelegenheit, im Bereich der Steuergesetze schon mal zuzustimmen. ({8}) Das ist der Ansatz, den wir in diesem Antrag verfolgen. Wenn ich einen Wunsch äußern könnte – ({9}) – Weihnachten ist noch nicht, aber der Wunsch besteht trotzdem –, dann würde ich mir wünschen, dass wir bei Steuergesetzen, bevor sie ins Kabinett, in eine Koalitionsrunde oder in den Koalitionsausschuss gehen, zukünftig die Fachleute fragen, ob diese Themen nicht entbürokratisiert und digital umgesetzt werden können, damit nicht so etwas herauskommt wie jetzt zum Beispiel das 9‑Euro-Ticket: ein Bürokratiemonster. Eine Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungsmodelle haben Sie vor – Sie haben sie vorher abgelehnt; jetzt steht sie sogar im Koalitionsvertrag –, eine Verschärfung der Aufzeichnungsverpflichtungen beim Mindestlohn und bei vielen anderen Dingen. Sie machen so viel Bürokratie, dass Sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. ({10}) Übrigens Bäume: Es wäre auch sinnvoll, diesen ganzen Papieraufwand ein wenig zurückzufahren. Also, insofern bitte ich Sie wirklich herzlich: Wenn Sie alle sagen: „Der Antrag ist richtig“, dann stimmen Sie heute zu. Ich weiß, dass Sie ihn ablehnen. Vielleicht können Sie ihn im Nachgang noch mal lesen. Ich kann Ihnen den Antrag gerne auch per Telefax zustellen. Herzlichen Dank. ({11})

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Sonnenbrillen, Discomusik und Kopf-ab-Gesten die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen – des § 219a Strafgesetzbuch – feiernd, in Vorfreude tanzend: Wir alle haben das Video der Schande der FDP-Kollegin Lütke und der frei drehenden Demokraten gesehen. ({0}) Die Freiheit ist für die FDP, vor allem für die jungen Kollegen, die Freiheit von Werten, von Bindungen und von Verantwortung. Kein Wunder, dass der FDP-Justizminister Buschmann die Abschaffung des Werbeverbots jetzt betreibt. Aber er sagt die Unwahrheit. Dass § 219a wegmuss, weil Informationen über Abtreibungsärzte fehlen, ist objektiv falsch. ({1}) Die Beratungsstellen für die gesetzlich vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatungen sind die Orte, wo Frauen beraten werden und Informationen bekommen. Die Bundesärztekammer führt eine Ärzteliste mit 74 Seiten, zuletzt aktualisiert am 5. April 2022, zu finden mit drei Klicks bei Google. Und Sie verwässern die ganze Debatte, auch durch die absichtliche Vermischung von Information und Werbung. Information wird gesucht, Werbung wird angeboten. Wer sich nach den Möglichkeiten einer Abtreibung erkundigt, bekommt die Information, die er nachfragt. Wenn der Arzt Abtreibungen auf seiner Webseite anbietet, ist das Werbung. Und selbst das ist nach geltendem Gesetz schon nicht mehr verboten. An Informationen mangelt es also mitnichten. Robin Alexander von der „Welt“ hat recht. Er sagt. Dieser Grund ist nur vorgeschoben. ({2}) Es geht der Ampel um etwas ganz anderes. Danke an die Kollegin Jessica Rosenthal von der SPD. Ich zitiere: Zeit wird’s, dass #219a endlich Geschichte ist. Klar ist aber auch #218 muss folgen. ({3}) Darum geht es: Salamitaktik, Tippelschritte – aber die Richtung ist eindeutig. Die Ampel will Würde und Lebensrecht des ungeborenen Kindes nicht einschränken, sondern beseitigen. Kein Verbot von Abtreibungswerbung, danach keine Beratungspflicht und dann zum Schluss keine Fristenlösung mehr. Moralisches Tabula rasa, Abtreibung bis zum neunten Monat, wie es auch die Jusos fordern. ({4}) Allein das Grundgesetz steht diesem moralischen Dammbruch im Weg – und auch das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene Leben. Und weiter das Verfassungsgericht: Das Lebensrecht des Ungeborenen ist das elementare und unveräußerliche Recht, das von der Würde des Menschen ausgeht. ({5}) Darum ist Abtreibung immer Unrecht und bleibt es. Nur unter bestimmten engen Bedingungen wird es straffrei gestellt. Das ist der eine Kern unseres Antrags: Die Beratung als Voraussetzung für die Straflosigkeit einer Abtreibung muss mit dem Ziel erfolgen, das ungeborene Leben zu schützen. ({6}) Tut sie das? Oder ist sie zu einer Formalie verkommen ohne das Bewusstsein, dass es bei der Entscheidung um Leben und Tod geht? Der Ampelkoalitionsvertrag sieht eine Kommission vor, die das bestehende Abtreibungsrecht abwickeln soll. Das ist mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar und grundgesetzwidrig. ({7}) Unser Antrag will die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteiles umsetzen. Es stimmt: Es gibt einen Mangel an Information – aber nicht über Abtreibung oder Abtreibungsärzte, sondern über die Würde des ungeborenen Lebens und über das Recht des Ungeborenen, geboren zu werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt klar: Der Staat ist verpflichtet, den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu halten und zu beleben. Es gab mal Versuche, dieses Gebot zu erfüllen. Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth – lange ist es her – hat diese Broschüre herausgegeben: „Das Leben vor der Geburt“. Also nicht der Klumpen vor der Geburt, sondern das Leben vor der Geburt. Willy Brandt verließ 1974 vor der Abstimmung über die Fristenlösung den Saal. Willy Brandt war gegen Abtreibung, weil er ein uneheliches Kind war und weil er wusste: Hätte seine Mutter so gedacht, wie Sie heute denken, wäre Willy Brandt nicht geboren worden. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Jan Plobner für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Jan Plobner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir reden heute dank der AfD schon wieder über die Bereitstellung von sachlichen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen, und zwar – würde es tatsächlich nur um § 219a gehen – nur über die Bereitstellung von sachlichen Informationen. Denn das ist es, was mit der Streichung des § 219a im Strafgesetzbuch nun endlich ermöglicht werden wird. ({0}) Die AfD macht mit diesem Antrag, was sie eigentlich immer macht: Tatsachen verdrehen, Ängste schüren und aufhetzen. ({1}) Lassen Sie mich das kurz deutlich machen: Mit dem immer noch gültigen Verbot der Bereitstellung von Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen wird das grundlegende Recht, frei über seinen eigenen Körper zu bestimmen, massiv eingeschränkt, ja ins Absurde geführt. ({2}) Nicht nur wird es Menschen, die sich ohnehin in einer schwierigen Situation befinden, nahezu unmöglich gemacht, sich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Nein, der § 219a macht es auch immer schwerer, überhaupt Ärztinnen und Ärzte oder Kliniken zu finden, die ebensolche anbieten. ({3}) Denn wenn Ärztinnen und Ärzte auch nur den Schwangerschaftsabbruch als Leistung in ihrem Profil aufnehmen, kann das bereits als Werbung gelten – Werbung, durch die sie eine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten haben. Das hat zur Folge, dass es in bestimmten Städten und Regionen in diesem Land kaum oder gar nicht mehr möglich ist, Abbrüche durchzuführen. ({4}) Meine Kollegin Carmen Wegge, die wie ich aus Bayern stammt, hat vor einigen Wochen darauf hingewiesen: In vielen Städten in meinem Bundesland Bayern – in Augsburg, Würzburg, Regensburg oder Ingolstadt – gibt es keine Ärztinnen und Ärzte, keine Kliniken mehr, die Abbrüche anbieten. In ganz Bayern bieten nur neun Kliniken mit gynäkologischer Fachabteilung Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung an. Teilweise gibt es in einem Umkreis von über 100 Kilometern keine behandelnden Ärztinnen und Ärzte mehr. Das ist doch kein Zustand! ({5}) Damit wird Menschen, die oft sowieso unter enormer psychischer Belastung stehen, das Leben zusätzlich schwer gemacht. Das ist schlicht unerträglich, und genau deswegen handeln wir jetzt. ({6}) Das Absurde ist doch: Die gesellschaftliche Debatte dazu ist längst beendet. Kaum einer versteht mehr, was dieser Paragraf noch in unserem Strafgesetzbuch zu suchen hat. Indem wir ihn also streichen, passen wir das Recht schlicht und einfach der gesellschaftlichen Realität an. Vielleicht sollten Sie, liebe AfD – und in manchen Punkten leider auch Sie, liebe Union –, das auch mal versuchen. ({7}) Stattdessen würfelt der AfD-Antrag natürlich wieder mal wild die Tatsachen durcheinander. Denn statt die völlig unstrittige Bereitstellung von sachlichen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu unterstützen, wird hier ein Dammbruch vermutet oder der Untergang des Abendlandes – was auch immer genau das Problem dabei ist; ich weiß es nicht. ({8}) Für mich heißt das schlicht und ergreifend: Es ist ein billiges, ein durchsichtiges Manöver. ({9}) Wenn Sie das, liebe AfD, schon aus der Ruhe bringt, dann wünsche ich Ihnen sehr starke Nerven; denn wir sind damit noch längst nicht fertig. Wir haben – zumindest in diesen vier Jahren – vor, gleichstellungs-, rechts- und gesellschaftspolitisch jede Menge durchzuführen. Wir werden für die Informationsfreiheit streiten. Wir werden das grundlegende Recht erkämpfen, frei über den eigenen Körper zu bestimmen. ({10}) Wir werden uns weiteren Diskriminierungen in den Weg stellen und sie vor allem wirksam bekämpfen. Und wir werden die Gleichstellung voranbringen. ({11}) Wenn Sie stattdessen einer antiquierten, rückschrittlichen und misogynen Vorstellung hinterherträumen möchten, sei Ihnen das gegönnt. ({12}) Aber bitte verschonen Sie uns damit! Vielen Dank. ({13})

Ingmar Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der letzten Wahlperiode schon relativ viel über § 219a diskutiert und am Ende gemeinsam mit CDU/CSU und SPD eine Reform beschlossen. ({0}) Die Regierungsfraktionen haben jetzt angekündigt, das Thema erneut auf die Tagesordnung zu bringen, mit dem Ziel der Streichung des 219a. Deswegen diskutieren wir wieder darüber. Das ist legitim bei einer neuen Regierung in einer neuen Wahlperiode, gar keine Frage. Ich will Ihnen gleichwohl sagen, warum wir der Auffassung sind, dass das richtig ist, was wir in der letzten Periode beschlossen haben, und warum wir es auch heute noch für richtig halten. Die §§ 218 bis 219b versuchen ja das schier Unmögliche, nämlich zwei Rechtspositionen in Einklang zu bringen, die sich gegenüberstehen und die schwierig in Einklang zu bringen sind: auf der einen Seite das Selbstbestimmungsrecht, das Freiheitsrecht der betroffenen Frau, auf der anderen Seite das Schutzrecht des ungeborenen Lebens, das, wie vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, auch mit Verfassungsrang ausgestattet ist. Nun machen viele den Fehler, fangen eine Diskussion an und versuchen, die Frage zu entscheiden, welches dieser beiden Rechte denn höher zu stehen hat. – Die Frage können wir nicht beantworten, weil beide Rechte mit Verfassungsrang ausgestattet sind und somit sich grundsätzlich zunächst einmal gleichrangig gegenüberstehen oder gleichrangig nebeneinanderstehen. Deshalb versuchen die §§ 218 f., in einem schwierigen, sehr klar ausgetüftelten Konzept diese beiden Rechte irgendwie so in Einklang zu bringen, dass sie beide so gut wie möglich gewährleistet werden. Und natürlich können sie sich dann gegenseitig beschränken. Und sie können sich sogar nach geltender Rechtslage am Ende so weit beeinflussen und beschränken, dass es im Falle der Abtreibung auf der Seite des Schutzrechts des ungeborenen Lebens zum Totalverlust des Rechts kommt. Das kann in besonderen Fällen dann zulässig sein, aber das zeigt auch, dass es natürlich besonderer Voraussetzungen bedarf, die in den §§ 218 f. angelegt sind, die ich Ihnen aus Zeitgründen nicht referieren kann, aber die Sie kennen. Dann haben wir in der letzten Wahlperiode gemeinsam etwas festgestellt, nämlich dass zum einen, wenn die Architektur der §§ 218 f. bestehen bleiben soll, Werbung – und ich meine echte Werbung – durch diejenigen, die den Abbruch vornehmen, verboten bleiben muss – ich glaube, das wird auch niemand so bestreiten –, dass aber auf der anderen Seite zum Selbstbestimmungsrecht und zum Freiheitsrecht der betroffenen Frau, die insbesondere in einer so schwierigen Situation ist, die sich sicher nur jemand vorstellen kann, der sie selbst erlebt hat, eben dazugehört, dass sie ein volles Informationsrecht und die volle Informationsmöglichkeit hat. Da haben vier Ministerinnen und Minister in der letzten Periode eine Lösung zu finden versucht und haben sie gemeinsam formuliert. Frau Lambrecht ist, wenn ich es richtig im Kopf habe, die Einzige, die auch jetzt noch in der Bundesregierung ist. Und da waren wir gemeinsam der Überzeugung: Es schafft die zutreffende Abgrenzung, auf der einen Seite den Teil, den wir für unzulässige Werbung hielten, den gleichwohl 99 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte sicher nicht ausnutzen würden – aber es bleibt doch etwas übrig –, ({1}) nicht zuzulassen – strafrechtlich nicht möglich –, auf der anderen Seite aber gleichwohl die Information für die betroffenen Frauen in der Situation so gut wie möglich zu gewährleisten. – Das war der Kompromiss, den wir da gefunden haben und von dem wir auch glaubten, dass er pragmatisch ist und sich vernünftig umsetzen lässt. Und wenn jetzt die SPD – und das sage ich ganz offen an Sie, auch als Angebot – der Auffassung ist, dass diese Lösung misslungen ist, dann lassen Sie uns doch die gemeinsam gefundene Formulierung jetzt nach zwei Jahren in die Hand nehmen, lassen Sie uns schauen, ob sie funktioniert hat, lassen Sie uns schauen, ob es noch Informationsdefizite gibt, und lassen Sie uns gemeinsam darüber beraten, wie wir sie denn vielleicht beseitigen und lösen können. Aber einfach zu sagen, wir lösen dieses Abgrenzungsproblem dadurch, dass wir § 219a einfach komplett abschaffen, das bringt die Gesamtarchitektur der §§ 218 f. vollständig durcheinander. ({2}) Da werden Sie uns nicht an der Seite haben. Wir sind gemeinsam mit Ihnen für volle Information, aber nicht für eine vollständige Abschaffung des Werbeverbots.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege.

Ingmar Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und wenn Sie dabei mit uns gemeinsam zu einer vernünftigen Lösung finden wollen, haben Sie uns voll an Ihrer Seite. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Bayram das Wort. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD will den Fortschritt der Ampel aufhalten. Die AfD wünscht sich wohl die alten Zustände zurück. Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche stammt ja ursprünglich aus dem Jahre 1933. Heute, im Jahr 2022, sagen wir eindeutig: Der § 219a Strafgesetzbuch muss weg. ({0}) Es geht bei dem § 219a nämlich gerade nicht um Werbung für den Schwangerschaftsabbruch, sondern um sachliche Informationen. Derzeit ist es so, dass eine Ärztin, die auf ihrer Webseite darauf hinweist, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, und einen Link auf die Seite der Bundesärztekammer setzt, sich nicht strafbar macht. Wenn sie hingegen dieselben Informationen der Bundesärztekammer wortgleich auf ihre eigene Seite kopiert, dann macht sie sich strafbar. Wie absurd ist das denn, bitte schön, liebe Kolleginnen und Kollegen? ({1}) Exakt dieselbe Information: einmal strafbar, einmal straflos. Um das Ganze noch absurder zu machen, ist dieselbe Information, für die sich die Ärztin strafbar macht, straflos, wenn irgendeine Privatperson sie ins Internet stellt. Wer wird von § 219a Strafgesetzbuch eigentlich vor was geschützt, meine Damen und Herren? ({2}) Klar ist nur, dass dadurch Rechte eingeschränkt werden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte zählt einige auf: Das Informationsrecht der Schwangeren zum Beispiel wird eingeschränkt, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wird eingeschränkt und nicht zuletzt die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten. Wir von der Fortschrittskoalition machen deswegen einen kurzen Prozess: Der Paragraf muss weg, meine Damen und Herren. ({3}) Damit schaffen wir Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte und sorgen dafür, dass ratsuchende Schwangere an seriöse Informationen kommen. Und wenn wir schon mal dabei sind, wollen wir auch darauf hinweisen, dass wir als Ampel noch einiges vorhaben, um das reproduktive Selbstbestimmungsrecht zu stärken, meine Damen und Herren. Erstens stellen wir Versorgungssicherheit her, indem Schwangerschaftsabbrüche zu einem Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung werden. Zweitens werden wir die Möglichkeit zur Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen stärken. Und drittens werden wir eine Kommission einrichten, die prüfen wird, wie wir die Fragen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches regeln können. Da wollen wir das regeln; denn da gehört es auch hin, meine Damen und Herren. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Heidi Reichinnek für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heidi Reichinnek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem heute zu diskutierenden § 219a handelt es sich um einen Paragrafen, der unter der Herrschaft der deutschen Faschisten eingeführt wurde. Fast 90 Jahre, viel zu lange, steht er schon im Strafgesetzbuch; doch jetzt gibt es endlich Bewegung im Parlament: ({0}) Die Abschaffung vom § 219a, für die sich meine Partei schon lange einsetzt, steht kurz bevor. Nächste Woche werden wir das diskutieren. ({1}) Und wer klammert sich natürlich verzweifelt an dieses überholte und traurige Überbleibsel aus der Zeit des deutschen Faschismus? Die AfD. ({2}) Daher ein kurzer Rückblick in die Geschichte. Der § 218, der Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe stellt, entstand 1871. Es gab aber seit Entstehung dieses Paragrafen immer wieder Kämpfe, um ihn zu reformieren oder ganz abzuschaffen, vor allem natürlich von linken Kräften – zumindest bis 1933 die NSDAP an die Macht kam. Sie verschärfte nicht nur das Abtreibungsverbot unter § 218, sondern schuf kurz nach ihrer Machtergreifung § 219a, ein „Werbeverbot“ für Abtreibungen – allein der Name ist irreführend und abscheulich. ({3}) Der verschärfte § 218 galt zudem unter der NSDAP nur noch für – ich zitiere – „rassisch reine“ Frauen. Bei – ebenfalls Zitat; ich möchte mich dieser Sprache nicht annehmen – „minderwertigen Volksgruppen“ war die Abtreibung straflos. Beides waren also Instrumente einer widerwärtigen, ({4}) menschenverachtenden Politik, einer Politik, die darüber entscheiden will, welches Leben überhaupt einen Wert hat. Und die AfD, die sich jetzt hier als Lebensschützerin aufspielen will, führt genau diese Ideologie fort, und zwar nahtlos. ({5}) Denn welches Leben schützenswert ist, dazu haben Sie ja ganz interessante Maßstäbe. Das zeigte sich auf besonders ekelhafte Weise vor vier Jahren, als Sie hier eine Anfrage zu Schwerbehinderten in Deutschland stellten, in der Sie versucht haben, einen Zusammenhang zwischen Inzucht, Behinderung und Migrationshintergrund zu finden. ({6}) Nicht weniger als 18 Sozialverbände haben Sie geschafft gegen sich aufzubringen, weil Sie in Ihrer Anfrage suggeriert haben, dass eine Behinderung ein zu vermeidendes Übel sei. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Auch das Leben von – nach Ihrer Definition – Nichtdeutschen finden Sie nicht ganz so schützenswert. ({7}) Sie und Ihre Parteifreundinnen und ‑freunde reden von „Gesindel“, wollen Leute „entsorgen“, wollen „das Pack erschießen“ lassen – alles Zitate von Ihnen – oder „zurückprügeln“, und Sie verurteilen niemanden, der ein bewohntes Asylbewerberheim anzünden möchte. ({8}) – Ja, ich sehe schon: Sie fühlen sich da richtig angesprochen. Es widert mich an, wie Sie sich vor dem Hintergrund dieser Aussagen wirklich die Dreistigkeit herausnehmen, sich als Schützerin von Leben aufzuspielen. Was bilden Sie sich ein? ({9}) Sie reden von Tötung; Sie reden davon, dass Babys zerstückelt werden. Sie rufen uns „Babymörderfraktion“ zu. Wie ekelhaft können Sie sein, Frauen in so einer Notlage noch weiter zu quälen? ({10}) Was wir brauchen, sind frei zugängliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche, Beratungen und flächendeckenden und kostenfreien Zugang zu einer medizinischen Leistung, die verdammt noch mal ein Grundrecht sein sollte! ({11}) Darüber müssen wir diskutieren; und das werden wir nächste Woche tun. Aber Sie wollen hier nur Ihren Frauenhass und Ihre Allmachtsfantasien ausleben. Dass § 219a abgeschafft wird, ist längst überfällig. ({12}) Und ja, wir müssen dafür sorgen, dass Schwangerschaftsabbrüche, die auf den Wunsch der Frau hin geschehen, endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Das ist der nächste Schritt nach vorne, in eine Zukunft, in der es endlich reproduktive Gerechtigkeit gibt. ({13}) Und das ist hoffentlich eine Zukunft ohne die AfD. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Katrin Helling-Plahr. ({0})

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Richtig ist: Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Mehr von dem, was von der AfD hier gesagt und beantragt wurde, stimmt aber auch nicht. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, so das Bundesverfassungsgericht, wenn der Gesetzgeber auf ein Schutzkonzept für das ungeborene Leben setzt, das davon ausgeht, „jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft sei ein wirksamer Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur mit der Mutter, aber nicht gegen sie möglich“. Meine Damen und Herren, dann sollten wir auch dafür sorgen, dass der Staat Frauen befähigt, die richtige Entscheidung zu treffen. ({0}) Das setzt einen niederschwelligen Zugang zu Informationen auch über den Prozess der Abtreibung selbst, über Anbieter und Verfahren, über die Bedeutung des Ganzen voraus. Unsere Anforderungen an eine bewusste und informierte Entscheidung sind im Informationszeitalter andere als 1993, sind andere als 1974, sind andere als 1933. ({1}) § 219a StGB erschwert diesen Zugang zu Informationen. Der historische Gesetzgeber hatte dieses Problem noch gar nicht vor Augen. Ihm ging es – jedenfalls nach der Schaffung der Straffreiheit für bestimmte Schwangerschaftsabbrüche – vielmehr darum, die Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren durch anpreisende Werbung zu verhindern – ein Menschen- und Frauenbild, das die eigenständige, aktive Informationsbeschaffung überhaupt nicht im Blick hatte. ({2}) Meine Damen und Herren, der Amerikaner spricht von „chilling effects“, wenn er eine einschüchternde oder abschreckende Wirkung von Gesetzgebung meint, die eine legitime Rechtsausübung behindert. So liegt die Sache hier. § 219a StGB hindert eben tatsächlich Ärzte daran, sachlich über den Schwangerschaftsabbruch zu informieren. Eine Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund von Ungewissheit, mangelnder Information und fehlenden Ansprechpartnern ist aber keine freie Entscheidung. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und damit am besten sachlich informieren können, dafür noch immer Strafverfolgung befürchten müssen. ({3}) Meine Damen und Herren, das passt schlicht nicht in unsere Zeit. Sachliche Informationen von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch werden daher nicht länger strafbar sein. So ermöglichen wir ratsuchenden Frauen die bestmögliche Information auch außerhalb eines persönlichen Beratungsgesprächs und geben Rechtssicherheit. Klar ist auch: Anpreisende Werbung bleibt selbstverständlich verboten. Deshalb ändert die Ampelkoalition auch das Heilmittelwerbegesetz. Eine Schutzlücke wird es nicht geben. Daneben existieren übrigens bereits heute berufsrechtliche Regelungen, die sicherstellen, dass die Information über den Schwangerschaftsabbruch nicht in einer Weise erfolgt, welche die Entscheidungsfreiheit der Frau beeinträchtigt, in eine bestimmte Richtung lenkt oder gar Schwangerschaftsabbrüche kommerzialisiert. Aber all das wissen Sie, die Abgeordneten der AfD im Deutschen Bundestag hier. Oder Sie könnten es jedenfalls wissen, falls Sie denn den Gesetzentwurf zur Streichung des § 219a gelesen hätten. ({4}) Und darum geht es Ihnen ja auch gar nicht. Sie wollen hier nämlich lediglich eine Schaufensterdebatte führen, wollen Ihren Anhängern signalisieren: Seht her, wir schützen euch und eure Moralvorstellungen vor der bösen, bösen Ampelkoalition. ({5}) Ich sage Ihnen ganz offen: Man kann die Streichung des § 219a StGB ablehnen. Aber so zu tun, als wären der Zugang zu Informationen und die Aufklärung über sexualmedizinische und reproduktive Versorgung eine Gefahr für das ungeborene Leben, ist entweder intellektuell unredlich oder es offenbart ein Menschenbild, das in diesem Land glücklicherweise nicht vorherrschend ist. ({6}) Wir werden Ihren Antrag im Ausschuss beraten und ablehnen; und danach werden wir damit weitermachen, das Richtige zu tun. Minister Buschmann hat den Gesetzentwurf ja dankenswerterweise schon auf den Weg gebracht. Wir werden § 219a StGB streichen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Felix Döring das Wort. ({0})

Felix Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der AfD macht mich einerseits fassungslos, andererseits bin ich aber auch tiefenentspannt. Und ich will Ihnen auch sagen, warum. Fassungslos bin ich deshalb, weil er so rückwärtsgewandt ist, dass man, wenn man ihn ausdruckt, auf dem Papier, auf dem er geschrieben ist, im Hintergrund noch den Schatten einer Pickelhaube erkennen kann. ({0}) Tiefenentspannt bin ich deshalb, weil ich weiß, dass Sie dafür keine Mehrheit finden werden, so wie Sie für gar nichts, was Sie hier vorbringen, eine Mehrheit finden werden. Das muss eine ziemlich frustrierende Art und Weise sein, Politik zu machen. Ich hätte da keinen Spaß dran. ({1}) Niemand hier will mit Ihnen zusammenarbeiten, geschweige denn mit Ihnen jetzt oder in Zukunft koalieren. Umfragemäßig sind Sie im 10‑Prozent-Tief gefangen. Das, was Sie hier vorbringen, das funktioniert vielleicht auf den eigenen Telegram- und Youtube-Kanälen; aber es gibt doch keine gesellschaftliche und auch erst recht keine parlamentarische Mehrheit für Ihre Politik; und das ist gut so. Deswegen bin ich entspannt, was das angeht. ({2}) Jetzt haben wir nur ein Problem: Ihre Rhetorik ist der Nährboden für Hass und Drohungen, zum Beispiel gegenüber Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, indem diese tagtäglich mit Anrufen, mit E‑Mails, mit Postsendungen konfrontiert sind, in denen sie beleidigt werden, in denen ihnen gedroht wird. Und Ihre Rhetorik ist auch der Nährboden für die sogenannten Lebensschützer. Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau und müssen einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen. Sie sind gerade auf dem Weg zur Beratungsstelle bzw. auf dem Weg zur Arztpraxis, und dann halten Ihnen sogenannte Lebensschützer irgendwelche komischen Plakate vor die Nase oder bombardieren Sie mit kruden Thesen. – Das muss endlich aufhören. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird diese Ampelkoalition schon sehr bald wirksame Maßnahmen gegen Gehsteigbelästigungen auf den Weg bringen. ({3}) Jetzt bin ich ja von Haus aus Lehrer; deswegen gibt es noch eine knappe Minute gesellschaftspolitischen Geschichtsunterricht. Erst 1994 wurde der § 175 Strafgesetzbuch restlos gestrichen; das ist der Paragraf, der die Grundlage für die Diskriminierung und auch für die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen war. Erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat. Erst 2017 haben wir die Ehe für alle eingeführt. ({4}) Das alles waren wichtige Meilensteine. Trotzdem muss man in der Rückschau sagen: Hätte das nicht alles schon ein paar Jahre früher stattfinden können? ({5}) Das wäre gut gewesen. Und ich glaube, dass wir auch in einigen Jahren aufs Jahr 2022 zurückschauen und feststellen werden: Es ist eigentlich ein ganz schöner Skandal, dass man als Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen musste, bis ins Jahr 2022 dafür nicht umfassend die nötigen Informationen zur Verfügung gestellt bekommen hat. – Trotzdem ist es deswegen umso wichtiger, dass wir das jetzt in Angriff nehmen. Die Abschaffung des § 219a ist aber nur eine Etappe auf dem Weg des gesellschaftlichen Fortschritts. Ich sage Ihnen auch gerne, was die nächsten Schritte sind: das Selbstbestimmungsrecht, die Verantwortungsgemeinschaft, und, meine Damen und Herren, wir werden uns auch den § 218 noch mal angucken müssen, weil es doch einfach nicht sein kann, dass Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht geregelt sind. ({6}) All das werden wir in Angriff nehmen, und wir werden uns auf dem Weg des gesellschaftlichen Fortschritts ganz bestimmt nicht von Ihrem merkwürdigen Antrag abbringen lassen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Silvia Breher das Wort. ({0})

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um § 219a ist immer wieder geprägt von Polarisierungen und Zuspitzungen. Und ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die heute sachlich geblieben sind. Das ist nicht allen gelungen, und das finde ich einfach immer wieder unglaublich schade bei diesem echt so supersensiblen Thema. Auf der einen Seite gibt es eben die zum Teil auch radikalen Abtreibungsgegner und auf der anderen Seite diejenigen, die eben nicht nur über § 219a sprechen wollen, sondern im Grunde auch über § 218 und § 218a, so wie wir es gerade schon gehört haben. Aber Anträge wie derjenige, der uns heute von der AfD vorliegt – die einzelnen Punkte werde ich gleich noch mal benennen –, die helfen einfach nicht weiter, weil sie im Grunde die radikalen Abtreibungsgegner befördern und unterstützen, was am Ende dazu führt, dass sich Ärztinnen und Ärzte angegriffen fühlen, dass sie angezeigt werden, wenn sie auf den Internetseiten etwas veröffentlichen. Und im Grunde erweist man sich einen Bärendienst; denn es setzt sich eine Spirale in Gang, die dazu führt, dass § 219a abgeschafft werden soll. Ich möchte kurz ein paar Punkte zu Ihrem Antrag sagen. In Nummer 2 führen Sie aus zu der Frage, „welches Wissen über den Embryo und sein Lebensrecht“ vermittelt wird. Eine Frau in so einer Situation, die hat sich informiert; sie trifft die schwierigste Entscheidung ihres Lebens. Nach einem Beratungsgespräch ist sie voll informiert. Hier zu unterstellen, was auch immer Frauen wissen oder auch nicht, das ist allen Frauen gegenüber einfach beschämend. Wir als Union bekennen uns ausdrücklich zum verfassungsrechtlichen und zum gesellschaftlichen Konsens der geltenden Beratungslösung, und zwar ausdrücklich auch – entgegen Nummer 1 Ihres Antrags – mit den letzten Änderungen, die mein Kollege vorhin ausgeführt hat, wonach es um eine Sachinformation geht; und das ist auch wirklich richtig so. Es geht bei uns aber eben auch weiter. Wir diskutieren auch, ob man § 219a weiterentwickeln kann, mehr Informationen zulassen kann, auch im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Und dazu werden wir einen eigenen Antrag einbringen. Aber dass Sie als AfD hier unter Nummer 4 in Ihrem Antrag fragen, ob Schwangerschaftskonfliktberatungen wohl wissentlich das Richtige sagen oder nicht, und in Nummer 5 fordern, dass staatliche Organe verpflichtet werden sollen, „verfassungsrechtlich gebotene Aufklärungsarbeit tatsächlich zu leisten“, das geht einfach nicht. ({0}) Das ist eine Unterstellung den staatlichen Stellen gegenüber, die schon heute nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet sind, entsprechend zu beraten; und nur dann dürfen sie beraten. Und wenn Sie Fälle haben, in denen das nicht so ist, dann nennen Sie die doch! Führen Sie Beispiele auf! Aber das haben Sie an keiner einzigen Stelle getan. Sie arbeiten mit haltlosen Unterstellungen. In dieser Diskussion ist das komplette Gegenteil wichtig: Vertrauen in die Beratungslösung, Information und jede Unterstützung für die Frauen. Wir brauchen ein flächendeckendes Beratungssystem und flächendeckend Ärztinnen und Ärzte, die auch Abbrüche vornehmen. Und wir brauchen eine gute Erreichbarkeit. Auf keinen Fall dürfen Frauen Sorge davor haben, angegriffen zu werden, genauso wenig wie die Ärztinnen. Wir brauchen eine Befriedung in dieser Diskussion; und genau dafür werden wir als Union einen Antrag einbringen. Ich freue mich auf die weiteren, dann hoffentlich sachlichen Beratungen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für diese sehr kurzfristig anberaumte Debatte zum § 219a hat die AfD anscheinend ihren Antrag erst auf den letzten Drücker fertig bekommen. Und so realitätsfern dieser AfD-Antrag zum sogenannten Erhalt des § 219a ist – er ist eben auch eine gute Gelegenheit, um über die Bedeutung von sexueller Selbstbestimmung, Informationsfreiheit und freier Ärztinnen- und Ärztewahl zu sprechen. Die Streichung des § 219a ist für die klare Mehrheit in unserem Land wichtig. Es wird als politischer Aufbruch unserer Ampelkoalition gesehen, als ein Schritt für eine positive gesellschaftliche Veränderung hin zur Selbstbestimmung von Frauen und auch hin zu freier Information. Kolleginnen und Kollegen, die AfD und auch die Union machen in der Argumentation über die Architektur immer wieder den grundlegenden Fehler, die staatliche Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben mit dem § 219a zu vermischen, der es Ärztinnen und Ärzten verbietet, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. ({0}) Die in Deutschland geltende Regelung, fachkundige Informationen von Ärztinnen und Ärzten zu Schwangerschaftsabbrüchen strafrechtlich zu verbieten, ist eine europa-, wenn nicht sogar weltweite Einzigartigkeit. Sie offenbart das Weltbild hinter diesem Paragrafen, und das lautet: tiefes Misstrauen gegenüber ungewollt Schwangeren und gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Und das ist überholt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Mag die AfD sich ein veraltetes Frauenbild und entsprechende Moral zurückwünschen – das lassen wir nicht zu; dieses Land ist nämlich weiter als Sie. Es geht um die rein sachliche Information über Schwangerschaftsabbrüche, ohne Hürden, über das Internet und durch fachkundige Ärztinnen und Ärzte. Es geht um Informationsfreiheit, um freie Ärztinnen- und Ärztewahl und darum, sich bestmöglich für eine Methode des Schwangerschaftsabbruchs entscheiden zu können, eben auch für eine Methode, die einer Schwangeren bestmöglich zuträglich ist. Meinen Sie denn, dass das Erschweren des Zugangs zu sachlichen Informationen irgendetwas an der Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch ändert? Meinen Sie, dass die Anklage von Ärztinnen und Ärzten irgendetwas verbessert? Mitnichten! Der § 219a macht nichts besser – im Gegenteil. Und darum werden wir ihn ersatzlos streichen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommission für reproduktive Selbstbestimmung, die wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, wird sich mit § 218 und Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches befassen. Die Kommission wird sich mit dem Fakt befassen, dass die Versorgungslage bei ungewollter Schwangerschaft immer schlechter wird, weil es immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, die die Abbrüche durchführen können. Das ist eine Debatte, mit der sich alle auseinandersetzen müssen. ({3}) Wir wollen die Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten verbessern, wir wollen die Weiterbildung wieder einführen, und wir wollen auch die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen verbessern. Wir wollen über den Schwangerschaftsabbruch sachlich und lösungsorientiert debattieren. Das muten wir uns als aufgeklärte Gesellschaft zu – ohne Stigmatisierung von Frauen und Ärztinnen und Ärzten, progressiv und nach vorne gerichtet; denn da geht es lang. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Susanne Hierl das Wort. ({0})

Susanne Hierl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vorliegenden Antrag wird für den Erhalt des § 219a, des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche, plädiert, nach Evaluierung vielleicht sogar für eine Verschärfung. Es wird gefordert, dass das Beratungsangebot für die Schwangeren intensiviert werden muss, und es wird unterstellt, dass die Gesellschaft mangelndes Problembewusstsein hat. Die aktuelle gesetzliche Regelung, wie wir sie vorliegen haben, ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses mit vielen Diskussionen zu einem hochemotionalen Thema, nämlich zur Zulässigkeit bzw. zum Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Es ist ein hart errungener Kompromiss – das haben wir heute schon mehrfach gehört –, der hier gefunden wurde, und er ist sicherlich für keine Seite eine optimale Lösung. Dennoch – ich glaube, das müssen wir auch festhalten –: Er hat zur Befriedung in diesem Konflikt beigetragen, ({0}) und es steht zu befürchten, dass eine Aufkündigung dieses Kompromisses wieder zum Aufbrechen des Konflikts führt, beginnend mit der Diskussion, die wir über den § 219a führen, und dass eben keine Befriedung stattfindet. Das gilt es zu vermeiden. Zur Lösung gehört der modifizierte § 219a und die Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch. Wenn jetzt in dem Antrag gefordert wird, den Kompromiss aus 2019 zu evaluieren, vielleicht zurückzunehmen und zu untersuchen, ob das Rechts- oder Unrechtsbewusstsein durch eine Beratung ausreichend gebildet wird, offenbart dies zwei Dinge: Sie unterstellen zum einen, dass die heutige Beratung nicht gut ist. Zum anderen erweckt der Antrag den Anschein, Sie wollten die Frauen, die sich ohnehin schon in einer Konfliktsituation befinden, noch mehr unter Druck setzen, um das von Ihnen gewünschte Ergebnis zu erlangen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hierl, ich habe die Uhr angehalten, um Sie zu fragen, ob Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Schauws zulassen.

Susanne Hierl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Ich muss noch einmal nachfragen, weil Sie ja gerade im Zusammenhang mit § 218 von einem Kompromiss sprechen. Ich würde das so nicht bezeichnen. Weil ich gerade in meiner Rede auch angemerkt habe, dass es immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt – es gibt einen massiven Rückgang von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, um mehr als 45 Prozent –, möchte ich einfach mal die Frage stellen: Wie wollen Sie darauf reagieren, wenn Sie nach dem, was Sie gesagt haben, am § 218 keine Änderungen vornehmen wollen? Es ist eine Tatsache, dass in den Curricula der Ausbildung und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten der Schwangerschaftsabbruch nicht vorkommt, weil er im Strafgesetzbuch steht. Ist das eine Tatsache, mit der Sie sich auseinandersetzen? Suchen Sie nach Lösungen, wie wir da eine bessere Versorgungslage herstellen können? Dazu hätte ich gerne einfach mal Ihre Einschätzung. Vielen Dank. ({0})

Susanne Hierl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für mich ist es kein Widerspruch, trotz des § 218 auf diesem Gebiet zu unterrichten, auch wenn das jetzt nicht die aktuelle Rechtslage sein sollte. Das ist für mich kein Widerspruch an sich. ({0}) Das heißt für mich aber nicht, dass § 218 abgeschafft werden muss, um zu diesem Ergebnis zu kommen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So, nun hat die aktuelle Rednerin wieder das Wort. Ich bitte, die Dialoge vielleicht in anderer geeigneter Weise zu führen. – Bitte.

Susanne Hierl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir waren beim Druckaufbau auf die Frauen. Wenn ich mir den Antrag so anschaue, stelle ich fest, dass er den Kern des Problems überhaupt nicht erfasst. Sie verstehen nicht im Geringsten, worum es geht. Die gesamte Diskussion geht von der Beibehaltung über die Abschaffung bis hin zur Verschärfung des § 219a. Und was steht sich dabei immer gegenüber? Das sind einerseits der Wunsch der werdenden Mutter nach Selbstbestimmung – das haben wir heute auch schon gehört – und andererseits der Schutz des ungeborenen Kindes. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Und weil Sie dauernd darauf hinweisen, dass die aktuelle Rechtslage den Realitäten angepasst werden muss, muss ich Ihnen sagen: Das können Sie hundertmal sagen, aber dieses Dilemma zwischen dem Schutz des Lebens und der Selbstbestimmung der werdenden Mutter werden Sie so nicht auflösen. In vielen Gesprächen mit Verbänden, Institutionen und Betroffenen tauchen all die Fragen auf, die wir heute schon mal behandelt haben: Wie komme ich an Informationen? Sind es genügend Informationen? Sind es die richtigen Informationen? Was ist die Rolle der Ärztinnen und Ärzte? Und: Gibt es auch genügend medizinisches Angebot und Betreuung, um die Abbrüche dann vielleicht durchzuführen? Diese Fragen nehmen wir alle ernst. Es ist klar – das ist heute auch schon angeklungen –: Die Regelung des § 219a kann nicht so bleiben. Es kann nicht alles beim Alten bleiben. Es ist aber keine Lösung, den Paragrafen komplett zu streichen, und es ist schon gar keine Lösung, ihn so zu ändern, wie die AfD das wünscht. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Anke Hennig das Wort. ({0})

Anke Hennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005081, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien dieses Hauses! Kolleg/-innen der AfD-Fraktion, ({0}) wir wissen alle, wie Sie Politik begreifen. Sie baut auf einem Grundsatz auf: Ignoranz – ({1}) Ignoranz gegenüber den Erfahrungen, die Frauen machen müssen, wenn sie ungewollt schwanger werden, Ignoranz und Verständnislosigkeit für die Einsamkeit, die viele von ihnen empfinden, und vor allem Ignoranz gegenüber den Folgen eines verhinderten Schwangerschaftsabbruchs. Ich könnte Ihnen viele Fragen entgegensetzen, die damit einhergehen. ({2}) Sobald ein Schwangerschaftsabbruch verhindert worden ist – ganz abgesehen von den Gründen, warum die Frau oder das Paar eine Abtreibung wollte –: Was passiert dann? ({3}) – Ihre Antwort „Keine Ahnung“ war genau das, was ich von Ihnen erwarte. ({4}) Ich will mich auf die wichtigste dieser Fragen beschränken: Wenn Sie es geschafft haben, einen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern, beispielsweise indem Sie Schwangeren wesentliche Informationen vorenthalten und sich für ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche einsetzen: Welche Rolle werden Sie spielen, um Lebensqualität für den Fötus zu gewährleisten, den Sie so dringend retten wollen? ({5}) Sie wehren sich dagegen, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. ({6}) Sie wehren sich, allen Kindern in Deutschland gesellschaftliches Miteinander zu ermöglichen, und hetzen gegen Kinder von Migrantinnen und Migranten. ({7}) Sie wehren sich gegen Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen. Und das sind nur einige Beispiele. ({8}) Ihren Reden kann ich keine Antworten entnehmen, ({9}) Ihrer Politik lediglich, dass Sie keine Lösungen liefern wollen, sondern nur Hetze und Unmut schüren. ({10}) Ihrem Antrag kann ich nur Ignoranz entnehmen. ({11}) Dieser Ignoranz setzen wir als Ampelkoalition Mut entgegen, Mut, etwas zum Besseren für Frauen in Deutschland zu verändern. ({12}) Das werden wir ganz konkret tun, indem wir das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag bringen deutliche Verbesserungen in diesem Bereich mit sich. Wir streichen den § 219a ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch, damit Ärztinnen und Ärzte endlich öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren können, ohne sich strafbar zu machen. Zudem sorgen wir für flächendeckende Gesundheitsversorgung, niedrigschwellige Beratungsstrukturen, kostenlose Verhütungsmittel und Maßnahmen gegen Gehsteigbelästigungen. ({13}) Schwangerschaftsabbrüche müssen endlich entkriminalisiert und enttabuisiert werden. ({14}) Mandatsträgerinnen und Mandatsträger der AfD-Fraktion, hören Sie auf, Frauenkörper zum Austragungsplatz Ihrer politischen Machtkämpfe zu machen! Vielen Dank. ({15})