Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und der FDP haben wir in der vergangenen Woche einen Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgelegt. Wir haben intensiv darüber beraten, welchen gesetzlichen Ordnungsrahmen wir für die kommenden Monate der Pandemiebewältigung benötigen und schaffen müssen. Wir reagieren mit den notwendigen und rechtssicheren Maßnahmen auf die sehr schwierige Coronalage.
Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, wollen allerdings an dem verfassungsrechtlich äußerst problematischen Sonderrecht festhalten, das an die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gebunden ist. Sie wollen, dass sowohl verfassungsrechtlich als auch epidemiologisch fragwürdige Ausgangssperren und Beherbergungsverbote oder die flächendeckenden Schließungen von Einzelhandelsbetrieben beibehalten werden. Auch Maskendeals wären weiter möglich, wenn – ja, wenn – Sie politische Verantwortung hätten. Aber die übernehmen jetzt wir.
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Wir erhalten das hohe Schutzniveau, das wir gegen Covid-19 in Deutschland haben, nicht nur, sondern wir erhöhen es. Und das ist auch dringend notwendig. Die Coronasituation in Deutschland ist äußerst schwierig. 65 000 Neuinfektionen, volllaufende Intensivstationen, in manchen Regionen müssen Covid-19-Patientinnen und -Patienten in andere Häuser verlegt werden, planbare Operationen werden abgesagt. Die Belastung für das medizinische und pflegerische Personal ist dramatisch. Und genau deshalb, weil die Lage so schwierig ist, brauchen die Länder Rechtssicherheit bei der Anordnung ihrer Schutzmaßnahmen, und diese Rechtssicherheit schaffen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.
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Ich sage hier noch mal in aller Ausdrücklichkeit: Die Länder haben mit dem vorgelegten Gesetzentwurf mehr Möglichkeiten des effizienten Handelns als bei der aktuell noch gültigen Rechtslage.
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Die Länder werden weiterhin bewährte Instrumente zur Anwendung bringen: 2 G, 3 G, 3 G Plus, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Bereich, Personenobergrenzen, Kontaktnachverfolgung. Wir schaffen mit dem Gesetz Rechtssicherheit für 2 G Plus, und wir geben den Ländern mit einer Öffnungsklausel die Möglichkeit für weiter gehende Schutzmaßnahmen.
Zwingende Voraussetzung hierfür ist der Beschluss des jeweiligen Landesparlamentes.
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Damit können beispielsweise dann auch Veranstaltungen abgesagt, Diskotheken oder sonstige Freizeiteinrichtungen vorübergehend geschlossen werden.
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Und wir ermöglichen bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen, die weit über die Möglichkeiten hinausgehen, die die Länder augenblicklich haben: 3 G am Arbeitsplatz, 3 G im öffentlichen Personen- und Fernverkehr,
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besondere Testpflichten für sensible Einrichtungen, Homeoffice.
Gleichzeitig sichern wir ab, dass das Gesundheitsamt bei konkreten Ausbruchsgeschehen einzelne Schließungen anordnen kann, um das Infektionsgeschehen einzudämmen.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf sorgen wir für Rechtssicherheit und schützen die Menschen, die am verletzlichsten sind.
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Liebe Bürgerinnen und Bürger, vor uns liegen zweifelsohne anstrengende Monate. Das ist frustrierend. Es könnte für uns alle so viel einfacher sein: einfacher, wenn mehr Bürgerinnen und Bürger geimpft wären, einfacher, wenn wir mit den Auffrischungsimpfungen weiter wären.
Um vor die vierte Welle zu kommen, müssen wir täglich mindestens 1,4 Millionen Menschen impfen. Und das schaffen wir. Das haben wir im Sommer schon geschafft, und wir brauchen jetzt wieder einen gemeinsamen Kraftakt.
Niedergelassene Ärzte werden impfen. Wir werden die Impfzentren hochfahren; mobile Teams werden zum Einsatz kommen. Die Devise lautet: Impfen, impfen, impfen! Und mein dringender Appell an die heutige Konferenz der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen: Sorgen Sie dafür, dass nicht nur Beschlussvorlagen vorgelegt werden, sondern dass diese dann auch konkret umgesetzt und kontrolliert werden!
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Abschließend kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, folgende Anmerkung nicht ersparen: Ihr Antrag zur epidemischen Lage ist fadenscheinig und durchsichtig.
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Sie lassen sich von Ihren Freistaaten treiben, die Schlusslichter bei der Impfquote und Spitzenreiter bei der Inzidenz sind,
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die all die Maßnahmen, deren Wegfall Sie jetzt so lautstark beklagen –
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die flächendeckende Schließung von Betrieben, von Schulen, von Hotels –, längst hätten anordnen können,
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es aber nicht getan haben. Und selbst, wenn Sie es jetzt erst täten, hätte die Rechtsverordnung immer noch Gültigkeit bis zum 15. Dezember.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Gerne. – Werden Sie also Ihrer Verantwortung als ehemalige Regierungsfraktion gerecht, und hören Sie auf mit dem politisch kleinkarierten Klein-Klein!
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Denn wir bringen ein ausgewogenes Gesetz zur Abstimmung, um gemeinsam Corona zu überwinden, und Corona kennt keine Ländergrenzen und keine Parteigrenzen.
Ich bitte um Zustimmung.
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Entschuldigung, Sie sind zu schnell heute, Herr Stracke. – Als nächster Redner hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Stephan Stracke.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dittmar, Sie werden mit Ihrer Rede und mit dem, was Sie als Gesetzentwurf vorgelegt haben, der Dramatik der Lage nicht gerecht.
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Und für Parteipolitik besteht an dieser Stelle schon überhaupt kein Anlass.
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Die Lage ist in diesem Land hochdramatisch. Die vierte Welle hat unser Land mit voller Wucht erfasst,
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und wir steuern tatsächlich auf einen sehr schweren Winter zu.
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Die Zahl der Neuinfektionen liegt aktuell bei über 65 000, die Sieben-Tage-Inzidenz deutschlandweit bei 336.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist eigentlich Gesundheitsminister, noch?
Unsere Krankenhäuser stoßen doch in weiten Teilen schon an ihre Grenzen, Intensivbetten sind belegt, es gibt einen Engpass.
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Wir sehen schon in einzelnen Regionen, Frau Dittmar, Verlegungen von Patientinnen und Patienten.
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Planbare Operationen werden letztendlich aufgehoben; sie werden verschoben. Und auch unsere Ärztinnen und Ärzte, unsere Pflegekräfte, die Unglaubliches in diesem Land leisten, stoßen an ihre Belastungsgrenze.
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Das ist die gesamte Lage, vor der wir in diesem Bereich stehen.
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Und es sind ganz überwiegend die Ungeimpften, die die Intensivbetten belegen. Deswegen bleibt richtig: Impfen ist der Weg aus der Pandemie; es macht den entscheidenden Unterschied. Denn wer sich hat impfen lassen, hat einen höheren Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf, der schützt sich und andere vor Ansteckung. Und deswegen ist auch an dieser Stelle hier noch mal mein Appell an all diejenigen, die Zweifel haben, die unentschlossen sind: Bitte lassen Sie sich impfen! Das schützt Sie und schützt unsere Gesellschaft. Das ist jetzt weiterhin notwendig.
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Und für diejenigen, die bereits einen Impfschutz haben, kommt jetzt die dritte Impfung. Das nimmt auch Fahrt auf: 4,3 Millionen haben die dritte Impfung bekommen. Hier bleibt noch einiges zu tun. Die Länder fahren hierzu die Impfzentren hoch. Wir brauchen auch hier alle Kapazitäten, mobile Impfteams, Heimärzte, Hausärzte, Betriebsärzte, vieles mehr, um auch die Bürgerschaft gezielt anzusprechen.
Aber neben dem Impfen sind weitere Schutzmaßnahmen erforderlich. Wir müssen die Zahl der Neuinfektionen drastisch reduzieren, jetzt reduzieren. Wir müssen die Infektionsdynamik reduzieren, jetzt, und sie brechen.
Dazu trifft die links-gelbe Koalition
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heute hier im Bund ihre ersten politischen Entscheidungen. Und heute machen Sie Ihre ersten Fehler.
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Der erste Fehler ist: Sie verlängern nicht die epidemische Lage von nationaler Tragweite; das haben Sie angekündigt.
Der zweite Fehler: Sie verkürzen den Maßnahmenkatalog der Länder. Die Zahlen gehen hoch, und Sie reduzieren die Maßnahmen.
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Das kann nicht gut gehen.
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Der dritte Fehler. In dieser Situation brauchen wir eine enge Abstimmung zwischen den Ländern und dem Bund. Dass das stattfindet, das hat die SPD, das hat Scholz, das haben die Ministerpräsidenten vonseiten der SPD verhindert.
Jetzt ist es gut, dass das zumindest heute erfolgt. Aber es hätte viel früher erfolgen müssen.
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Das zeigt: Sie haben keinen Plan für diese Pandemie bzw. dafür, wie man dieser begegnen kann.
Wir stellen heute den Antrag, die epidemische Lage zu verlängern, weil sie flexible Maßnahmen, den notwendigen passgenauen Rahmen den Ländern an die Hand gibt. Es ist das falsche Signal, das Sie an die Bevölkerung aussenden, dass Sie genau dieses bewährte Rechtsinstrument, das wir in diesem Bereich haben, nicht verlängern wollen, ohne Not.
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Es ist auch inhaltlich falsch, dies zu tun. Sie schaffen ein neues Sonderrecht. Es zeigt sich, dass Sie sich in dem Bereich komplett verrannt haben. Marco Buschmann hat gesagt: Wir geben den Ländern einen kleinen Katalog mit wenig eingriffsintensiven Maßnahmen an die Hand, um sicher und verantwortungsvoll durch den Winter zu kommen.
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Tatsächlich legen Sie eine 140-Grad-Drehung hin, weil Sie vieles wieder zurückgedreht haben – doch wieder Kontaktbegrenzung, doch wieder Länderöffnungsklausel –
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und doch wieder über die Begrenzung hinausgehen, wo Sie gesagt haben, Sie würden ein Übergangsrecht schaffen, das letztendlich begrenzt ist.
In das alles haben Sie sich komplett verrannt. Und Sie haben das letztendlich zwar geändert, aber nicht in dem Maße, dass es für das, was vor uns steht, genügen kann. Die Länder brauchen einen wirklich passgenauen flexiblen Rahmen. Diesen verkürzen Sie ohne Not. Das ist der falsche Weg für Deutschland.
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Als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Katrin Göring-Eckardt das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine sehr berühmte deutsche Bundeskanzlerin hat mal gesagt: Mit dem Kopf durch die Wand wird nicht gehen. Da siegt zum Schluss immer die Wand.
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Und es wäre schon hilfreich, die Wand zu sehen.
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Es wäre schon hilfreich, die Wand zu sehen, die Sie nicht nur nicht eingerissen haben,
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sondern wo Sie noch nicht mal verstanden haben, wo die Tür ist.
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Meine Damen und Herren, das, was gerade in unserem Land passiert, in den Krankenhäusern insbesondere, ist dramatisch, und es wird noch dramatischer werden; denn die Infektionen können wir nicht zurückdrehen. Es werden sich weitere Menschen anstecken, werden erkranken, und viele schwer. Mir macht das riesige Sorgen. Und ich sage sehr klar und bewusst: Wir befinden uns in einer Notsituation, die Krankenhäuser ganz besonders, und darauf müssen wir reagieren, und zwar jetzt, und zwar konsequent, und zwar gemeinsam – Bund, Länder, Kommunen, Bürgerinnen und Bürger –,
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und das ist das, was wir heute hier in diesem Parlament besprechen, so wie es in der Demokratie gut und üblich ist.
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Natürlich könnte ich mich jetzt hierhinstellen und sagen, was alles nicht getan wurde, um gar nicht erst in diese Situation zu kommen, Herr Stracke; denn die Rechtslage, die Sie hier einklagen, besteht ja. Ich könnte fragen: Seit wie vielen Wochen und Monaten hat denn eigentlich das Coronakabinett nicht getagt?
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Ich könnte fragen: Wo ist eigentlich der große Plan zum Boostern, den man spätestens zu Beginn des Septembers hätte besprechen müssen, vom Bund aus mit den Ländern?
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Ich könnte fragen: Warum gibt es eigentlich nicht viel mehr und längst flächendeckend 2 G oder von mir aus auch regionale Lockdowns, die Sie gefordert haben, die aber nicht stattgefunden haben?
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Aber heute, meine Damen und Herren, an diesem Tag erwarten die Menschen in unserem Land zu Recht, dass wir uns hier zusammenreißen und handeln. Es interessiert nämlich niemanden, keinen Intensivmediziner und keine Intensivmedizinerin und noch nicht mal den Ungeimpften am Beatmungsgerät, ob hier die einen Opposition üben und die anderen sich anschicken, eine Regierung zu machen. Es interessiert niemanden, dass wir in einer Zwischenzeit sind. Vielmehr ist tatsächlich die einzige Möglichkeit, die wir hier als Parlament gemeinsam haben, zu handeln und Verantwortung zu übernehmen, und das erwarte ich auch von Ihnen, meine Damen und Herren.
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Ich erwarte das übrigens auch bei den Gesprächen mit den Ministerpräsidenten und im Bundesrat.
Eins nervt mich wirklich: Wer die Notsituation, in der wir jetzt gerade sind, mit dem rechtlichen Konstrukt der epidemischen Lage gleichsetzt, verkennt, worum es geht.
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Denn wir sind nicht im Jahre null der Pandemie, wir sind im zweiten Jahr; und wir wählen ein Verfahren, das alles in sich hat, was es jetzt braucht: Parlament, Debatte,
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Anhörungen von Expertinnen und Experten und wieder Debatte und Beschluss und dann den Bundesrat, meine Damen und Herren.
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Das ist das, was wir machen. Das ist übrigens auch der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir sagen: Diese Parlamentsdebatte ist das A und O. – Es reicht nicht, hier nur die Hand zu heben und zu sagen: „Wir haben eine epidemische Notlage“, sondern wir müssen uns hier auch tatsächlich damit auseinandersetzen, um welche Maßnahmen es geht und welche wirksam sind. Und Herr Brinkhaus kommt heute noch nicht mal an dieses Pult!
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Wir brauchen rechtssichere Maßnahmen. Bei einem Zweidrittelanteil der Geimpften kann man eben nicht handeln wie in einer Zeit, als der Impfstoff noch nicht mal für alle über 70-Jährigen reichte. Corona verschwindet doch nicht, wenn Sie jetzt hier die epidemische Lage von nationaler Tragweite beschließen. Corona bekämpfen wir durch Maßnahmen und durch Impfen. Ich verlange von Ihnen, dass Sie sich dem stellen: Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, und wie schaffen wir es mit dem Impfen? Das ist in vielerlei Hinsicht die Aufgabe, vor der wir alle gemeinsam – und hoffentlich auch die Länder – stehen.
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Das Paket – Frau Dittmar hat zu Recht darauf hingewiesen – beinhaltet deutlich mehr, als wir bisher hatten. Homeoffice oder 3 G: Damit schützen wir die Arbeitsplätze. Wir schützen den öffentlichen Verkehr mit 3 G in den Zügen. Natürlich ist das kontrollierbar: mit Stichproben, wie man das eben in solchen Fällen macht. Wir ermöglichen vieles Weitere in den Ländern. Masken in Schulen sollten selbstverständlich sein.
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Wenn man in Nordrhein-Westfalen einerseits Karneval feiern will und sagt: „Das war schon ganz prima“, und andererseits übermorgen sagt: „Wir haben aber eine riesige Notlage“, dann ist das für mich jedenfalls nicht glaubwürdig, meine Damen und Herren.
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Es ist möglich, überall Auflagen auszusprechen. Es ist möglich, Veranstaltungen auch abzusagen. Sie können jetzt sehr drastische Maßnahmen ergreifen, auch in Sachsen, auch in Bayern. Wir sind auf Sie zugegangen und haben gesagt: Solche Maßnahmen haben einen längeren Übergang. – Das haben wir auf Ihre Bitte hin im Hauptausschuss für den Zeitraum bis über den dritten Advent hinaus beschlossen. Dann muss es aber bitte auch gemacht werden, meine Damen und Herren, und zwar jetzt.
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Wir brauchen einen Schutzwall im öffentlichen Leben und besonders dort, wo es um die Kinder und Jugendlichen geht. Deswegen steht zum ersten Mal in diesem Gesetz, dass wir die Pflicht zur Berücksichtigung der Situation von Kindern und Jugendlichen haben – die Pflicht! Das heißt, jede Maßnahme muss in Zukunft daraufhin überprüft werden, wie Kinder gegen Corona geschützt werden und wie man dafür sorgt, dass Schulen und Kitas so lange wie möglich aufbleiben, meine Damen und Herren.
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Wir sind in einer wahnsinnig schwierigen Situation. Es geht hier um Gefahrenabwehr, und es geht nicht ohne Impfen. Ich hoffe sehr, dass der Plan zum Impfen den Ländern sehr bald vorgelegt wird, dass wir als Bund alles dafür tun, dass überall geimpft wird, wo es nur geht, angefangen bei den Apotheken bis hin zu den mobilen Impfteams.
Von Ihnen, Herr Brinkhaus, Herr Dobrindt, von Ihrer gesamten Fraktion – Sie trauen sich ja heute noch nicht mal hierher ans Pult – verlange ich,
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Mitverantwortung zu übernehmen. Ich lade Sie ein; ich lade die Länder ein. Und ich hoffe sehr, dass wir in diesem Land zeigen: Wir können gemeinsam in einer schwierigen Situation Verantwortung übernehmen, und es stiehlt sich niemand weg, wenn es dann wirklich unbequem wird.
Herzlichen Dank.
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Als nächster Redner hat das Wort für die FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir legen Ihnen heute ein neues Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Corona vor. Dieses neue Maßnahmenpaket tritt an die Stelle eines alten Maßnahmenpaketes. Diesem alten Maßnahmenpaket hätte man unterschiedliche Namen geben können; es trägt nun mal den Namen der epidemischen Lage. Das hat aber nichts mit der Beschreibung der Wirklichkeit zu tun.
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Ein Maßnahmenpaket bewertet man nach den Rechtsfolgen und den Instrumenten, die es enthält.
Wenn einige hier den Eindruck erwecken, mit der Auswechslung des Maßnahmenpakets sei die Botschaft verbunden, Corona sei vorbei, dann will ich denen ein für alle Mal noch mal klar sagen, was wir auch schon vor mehreren Wochen gesagt haben: Corona ist nicht vorbei und war nicht vorbei. Corona war immer gefährlich, und es war immer unsere gemeinsame Haltung, diese Gefahr entschlossen zu bekämpfen. – Behaupten Sie nicht das Gegenteil, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU!
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Die Lage ist ernst, insbesondere dort, wo die Impfquoten niedrig sind, wo die Boosterquoten niedrig sind, und das ist schwerpunktmäßig – nennen wir es mal beim Namen – insbesondere in Sachsen und Bayern der Fall. Deshalb kann man nur alle Menschen in diesem Land auffordern – weil wir sehen, dass das Impfen hilft –: Wenn Sie noch nicht geimpft sind, lassen Sie sich einen Impftermin geben! Wenn Sie sich boostern lassen können, lassen Sie sich boostern! Ich kann nur alle Verantwortungsträger in diesem Land auffordern: Tun wir alles dafür, dass alle Personen, die medizinisch verantwortbar eine Spritze setzen können, sich an einer nationalen Impfoffensive beteiligen! Das ist der Weg aus der Pandemie, meine Damen und Herren.
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Die Behauptung, dass das neue Maßnahmenpaket die Länder wehrlos dalässt, ist objektiv falsch. Sie war es schon von Anfang an, weil wir von Anfang an sehr robuste Maßnahmen auf rechtssichere Beine gestellt haben. Auch die praktisch relevanten Maßnahmen wie beispielsweise 2 G oder 3 G oder die Hygienekonzepte mit Personenobergrenzen standen vorher auf rechtlich tönernen Füßen. Wir stellen sie jetzt auf rechtssichere Füße. Das ist ein Fortschritt in der Pandemiebekämpfung, meine Damen und Herren.
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Wir haben das Maßnahmenpaket erweitert. Mittlerweile geht es sogar bis zu Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum. Wer der Meinung ist, dass das kein scharfes Schwert gegen die Pandemie sei, bei dem weiß ich nicht, wie man ihm helfen kann. Wir haben effektive Maßnahmen, um Corona zu bekämpfen. Behaupten Sie nicht das Gegenteil! Das ist wahrheitswidrig, meine Damen und Herren.
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Trotzdem hört und liest man ja immer wieder, es reiche nicht, wir würden den Instrumentenkasten reduzieren, und das sei ein Fehler; Herr Stracke hat es ja wieder gesagt. Das sagen Sie immer abstrakt. Dann gehen wir doch mal näher ran: Welche Maßnahmen meinen Sie denn? Immer dann, wenn wir mit Ihnen über die konkreten Maßnahmen sprechen wollen, geben Sie uns ja recht. Sie geben uns recht. Wollen Sie verfassungswidrige Ausgangssperren? Helge Braun sagt: Nein. Wollen Sie den Einzelhandel pauschal schließen? Armin Laschet hat gestern beim Handelsverband Deutschland erklärt: Der Handel ist kein Pandemietreiber. – Recht hat er damit. Also wollen Sie ihn doch offenbar nicht pauschal zumachen.
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Wollen Sie bundesweit pauschale Lockdowns mit Schulschließungen und Hochschulschließungen? Hendrik Wüst hat vor wenigen Tagen im Landtag Nordrhein-Westfalen erklärt, das sei eine Bestrafung der bereits geimpften Personen, die sich solidarisch gezeigt haben. Sie geben uns auch da recht, meine Damen und Herren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich könnte so weitermachen. In Wahrheit haben Sie in der Sache keine Argumente, die Ihren abstrakten Vorwurf, der Instrumentenkasten sei zu wenig, belegen könnten. In Wahrheit kämpfen Sie auch nicht in der Sache gegen Corona. Sie kämpfen gegen eine politische Konstellation, die im Werden begriffen ist. Wir sollten aber heute nicht Union gegen Ampel stellen. Es geht heute nicht um Union oder Ampel; es geht darum, unser Land zu schützen. Dafür stellen wir die richtigen Maßnahmen zur Verfügung, meine Damen und Herren.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor drei Monaten appellierte ich in der Debatte um die epidemische Lage an dieses Hohe Haus – Zitat –:
Bürger, die sich nicht impfen lassen wollen, sind keine „Impfverweigerer“. Sie nehmen das ihnen gegebene Grundrecht in Anspruch, selbst über ihre Gesundheit und damit über ihr Leben zu entscheiden. … Eine Impfentscheidung muss die individuelle Entscheidung eines jeden Bürgers bleiben.
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Heute verhandeln wir die nächste Änderung des vielschichtigen Infektionsschutzgesetzes, diesmal von den voraussichtlich neuen Koalitionsparteien eingebracht. Aber wo sind eigentlich Ihre Wahlversprechen an die Bürger geblieben, weg von der Politik der Verbote und für ein Ende der völlig überzogenen Maßnahmen? Das ist ein Spruch der FDP. Liebe FDP, wo ist der Wahlspruch geblieben? Die Ampelparteien machen anscheinend mit der panischen Politik der letzten zwei Jahre nahtlos weiter.
Herr Lindner, Sie haben gestern sogar eine Impfpflicht nicht mehr ausgeschlossen. Da sieht man: Sie sind noch nicht mal in der Regierung und schon das erste Mal umgekippt. Respekt!
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Meine Damen und Herren, nun können wohl alle Bürger davon ausgehen, dass Sie von der alten und neuen Bundesregierung sich vollends vom Grundgesetz abgewendet haben und die faktische Impfpflicht durch das Parlament peitschen wollen.
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Seit zwei Jahren spalten die Regierenden in der „Herzkammer der Demokratie“, wie Sie dieses Haus ja so gerne nennen, aktiv unsere Gesellschaft. Sie haben sich das Feindbild der Ungeimpften zu eigen gemacht, und diese sollen für alles verantwortlich sein, wie überfüllte Krankenhäuser und steigende Infektionsraten. Aber ist es nicht verwunderlich, dass es nach einem Jahr und einer Impfquote von nahezu 70 Prozent keine Entspannung im Gesundheitswesen gibt? Oder liegt es nicht doch an den politischen Versäumnissen der alten Bundesregierung?
Es wurden im vergangenen Jahr Krankenhäuser geschlossen, mehr als 4 000 Intensivbetten abgebaut, in Sachsen nahezu 300, und es hat sich noch immer niemand um personellen Nachwuchs im Pflegebereich bemüht. Herr Spahn, warum haben Sie 4 000 Betten abgebaut? Antworten Sie auf diese Fragen!
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Genau das alles sind Rahmenbedingungen, um die wir uns hier zu kümmern haben, liebe Kollegen. Dafür können wir nicht die Verantwortung an ungeimpfte Bürger abgeben und diese endgültig zu Sündenböcken machen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, Sie sprechen jetzt wieder von einer neuen und viel schlimmeren Situation in der vierten Welle. Aber machen Sie sich doch bitte bei den Bürgern endlich mal ehrlich,
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und geben Sie zu, dass Sie sich mit Ihren Maßnahmen und Empfehlungen verkalkuliert haben. Fast religiös rufen Sie die Gesellschaft zur Impfung auf. Bekommen Sie aber mit, dass die Menschen da draußen dem nicht uneingeschränkt folgen möchten?
Ich denke, Sie alle hier haben verstanden, dass die Hoffnung, die Sie in die Impfstoffe gesetzt haben, zu groß war. Das RKI berichtet von mittlerweile 175 000 Impfdurchbrüchen, und wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch viel höher. Das heißt, die angebotenen Impfungen sind nicht so zuverlässig und dauerhaft wie anfänglich erhofft.
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Und ja, niemand konnte das wissen. Nur: Was ist die Perspektive, die Sie den Bürgern aufzeigen? Boosterimpfungen im Halbjahrestakt oder einmal im Quartal oder vielleicht eine Aboimpfung? Was aber ist beispielsweise mit der Weiterentwicklung von wirksamen Medikamenten?
Über eine Sache sind wir uns jedoch einig: Jede Person, unabhängig vom sogenannten G-Status, kann Überträger des Virus sein. Aus dieser Erkenntnis heraus sind die 2‑G- oder 3‑G-Regelungen abzulehnen und eigentlich sinnlos.
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Sie sind mindestens ein Lockdown auf Raten und sollen die Bürger immer stärker unter Druck setzen, sich impfen zu lassen.
Werte Kollegen, wer als Politiker mit solchen Mitteln gegen das eigene Volk kämpft, überschreitet maßlos die eigenen Kompetenzen und beugt wieder unser Grundgesetz.
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Hören Sie endlich auf, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen! Sie erschüttern damit das Vertrauen in unsere parlamentarische Demokratie immer stärker.
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Es liegt in unserer Hand, ob die Übermächtigkeit des Staates heute ein Ende findet. Die Bürger haben ein Recht darauf, eigenverantwortlich handeln zu dürfen.
Vielen Dank.
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Als nächster Redner für die Fraktion Die Linke hat Dietmar Bartsch das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dittmar, offensichtlich ändert das Coronavirus seine Gefährlichkeit in Abhängigkeit davon, wer regiert oder wer regieren will. Ich will nur daran erinnern: Am 11. Juni lag die bundesweite Inzidenz bei 19. Damals hat die SPD für die Verlängerung der epidemischen Lage gestimmt – und die Grünen übrigens auch.
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Am 25. August lag die Inzidenz bei 61, es waren ganz viele geimpft, und auch Sie haben für die Verlängerung gestimmt. Jetzt, in dieser Woche, liegt die Inzidenz bei über 300, und Sie sagen: Wir sind für die Beendigung der epidemischen Lage.
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Ich kann nur sagen: Lieber Christian Lindner, was haben Sie eigentlich den Grünen und der SPD bei den Koalitionsverhandlungen in den Tee getan? Denn die Richtlinienkompetenz liegt ja jetzt offensichtlich bei Ihnen.
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Um das auch ganz klar in Richtung Union zu sagen: Natürlich brauchen wir Regelungen. Und jetzt diese Geisterfahrerei – „Wir blockieren das im Bundesrat“ –; das ist unverantwortlich. Eine rechtssichere Grundlage für den Schutz der Bevölkerung ist dringend notwendig, meine Damen und Herren.
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Herr Bartsch – Entschuldigung –, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Dittmar?
Ich erlaube selbstverständlich gerne jede Zwischenfrage.
Frau Dittmar.
Danke schön, Herr Kollege Bartsch, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte Sie einfach nur noch mal fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass damals im August, als die epidemische Lage erneut verlängert wurde, auch von meiner Fraktion immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass wir sie natürlich verlängern müssen. Über eine Veränderung des Infektionsschutzgesetzes, so wie wir sie jetzt vorlegen, indem wir die Maßnahmen definieren, die die Länder dann rechtssicher zur Anwendung bringen können, zu verhandeln, war zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich. Deshalb musste die epidemische Lage verlängert werden, weil die Länder rechtssicher ihre Maßnahmen zur Anwendung bringen mussten.
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Liebe Frau Dittmar, wenn das denn Ihre Überzeugung ist, dann frage ich mich: Wieso haben Sie sich denn damals dafür nicht eingesetzt?
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Ich habe ja darauf hingewiesen: Die Gefährlichkeit ist abhängig davon, wer regiert. Jetzt stellen Sie die Kanzlerschaft, und auf einmal verändern Sie das alles im Sinne von Christian Lindner. Das kann man ja machen; aber dann bitte etwas Selbstkritik.
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Sie haben hier die letzten vier Jahre Verantwortung getragen und sind für diese Situation mitverantwortlich. Stehlen Sie sich da nicht raus, liebe Frau Dittmar!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wurde jetzt viel von Glaubwürdigkeit und von Stringenz in den Maßnahmen gesprochen. Katrin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen, und ich will gerne darauf eingehen. Es sind natürlich nicht nur Worte. Aber: Wer am Montagfrüh eine Impfpflicht rausposaunt und das am Nachmittag wieder einsammeln muss, der muss sich sagen lassen: Das ist unseriös. Dann kann auch Jens Spahn Gesundheitsminister bleiben. So geht es genau nicht, meine Damen und Herren.
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Herr Bartsch – Entschuldigung –, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar von Frau Dr. Rottmann?
Da ich ja angekündigt habe, jedem zu antworten: Gerne, selbstverständlich.
Herr Dr. Bartsch, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben sich mühsam einen schönen Einstieg für Ihre Rede überlegt. Der basiert aber auf einer unwahren Behauptung, nämlich dass wir im Sommer der Verlängerung der epidemischen Lage zugestimmt hätten.
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Ich darf Sie korrigieren – Sie können sich gerne das Redeprotokoll anschauen –: Ich habe gesagt, dass am 11. Juni die Inzidenz bei 19 lag, und da haben Sie zugestimmt. Im August hat nur die SPD zugestimmt. Schauen Sie im Protokoll nach! Was ich gesagt habe, ist schlicht die Wahrheit. Aber danke, dass ich das noch mal wiederholen kann. Wiederholung ist die Mutter der Weisheit.
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Meine Damen und Herren, nach fast zwei Jahren Pandemie haben viele Bürgerinnen und Bürger es satt, Sprüche zu hören, bei denen die Halbwertszeit nicht mal die Mittagspause übersteht. Das untergräbt die Akzeptanz. Hier ist mehrfach gesagt worden – ich bin damit voll einverstanden –: Nicht reden, sondern handeln! Da ist in den letzten Monaten eben viel zu wenig passiert. Da gab es auch Verantwortliche; es gab und gibt eine Bundesregierung. Im März gab es die letzte Bund-Länder-Runde, das Coronakabinett. – Nein, die Bundesregierung hat sich in den Sommerschlaf begeben; das ist die Wahrheit.
Deshalb sage ich klar und eindeutig: Was war das, was Sie da entschieden haben – Tests wurden kostenpflichtig –, für eine dramatische Fehlentscheidung!
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Luftfilter in den Schulen sind immer noch Mangelware. Und wo sind denn nun die niedrigschwelligen Impfangebote? Wir reden darüber; jetzt muss es endlich geschehen. Schauen Sie mal nach Bremen; die haben das im Übrigen ziemlich gut hingekriegt. Oder warum verpflichten wir nicht zum Beispiel die Krankenkassen, jeden Versicherten anzuschreiben, und belohnen dann auch das Impfen?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Pflegekräfte haben den Beruf verlassen. Intensivbetten können nicht genutzt werden. Mit jeder Coronawelle wird unser Gesundheitssystem schwächer. 4 000 Intensivbetten weniger seit Beginn des Jahres. Was für eine desaströse Bilanz!
Herr Stracke beklagt das und fragt sich, warum das so ist. Einen Grund will ich zumindest nennen: Das Statistische Bundesamt hat neue Zahlen vorgelegt. Zwischen dem zweiten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2021 hat sich der Bruttolohn des Pflegepersonals in den Kliniken um sage und schreibe 1,50 Euro und in der Altenpflege sogar nur um 1,31 Euro in der Stunde erhöht. Kein Wunder, dass die Leute gehen. Das ist respektlos gegenüber denjenigen, die uns seit zwei Jahren über Wasser halten, meine Damen und Herren.
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Ist das eigentlich das Ergebnis des Pflegepakts der Bundesregierung? Nein, meine Damen und Herren. Im letzten Jahr wurden Krankenhäuser geschlossen; 20 allein in diesem Jahr. Deutschland hat aber nicht zu viele, sondern in der Fläche zu wenige Krankenhäuser. Wir brauchen ein Schließungsmoratorium. Ich erwarte von der Ampel, dass sie das Kliniksterben wirklich stoppt.
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Zu den sozialen Schäden, die entstehen – bei Gastronomen, in Geschäften und, und, und –: Jetzt brauchen wir dort Maßnahmen, die dringend ergriffen werden müssen. Das wäre notwendig, damit es nicht wieder ein Desaster wie bei den letzten Novemberhilfen gibt.
Vor allem aber eins: Wer ankündigt, der muss auch liefern. Denn sonst gilt hier das Prinzip Söder: Nicht 2 G, nicht 3 G, sondern g K – große Klappe, meine Damen und Herren.
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Deutschland braucht aber endlich eine stringente Coronapolitik. Ich erwarte von den Ampelparteien, dass dazu endlich etwas Konkretes vorgelegt wird.
Herzlichen Dank.
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Als nächster Redner hat das Wort für die SPD-Fraktion Dr. Johannes Fechner.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Infektionszahlen steigen dramatisch. Es gibt leider immer mehr Tote. Das Pflegepersonal ist an der Belastungsgrenze. – Das können wir nicht hinnehmen! Wir schaffen schärfere Maßnahmen mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Herr Kollege Bartsch, ich fand Ihre Rede sehr dünn. Herrn Ramelow überzeugt sie offensichtlich nicht; er hat im Bundesrat nämlich allem zugestimmt, und er wird auch morgen unserem Gesetz zustimmen. Insofern sind Sie unglaubwürdig, wenn Sie nicht mal Ihre eigenen Leute mit Ihren Argumenten überzeugen können.
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Richtig ist: Wir lassen die Rechtsfigur der epidemischen Lage auslaufen, weil wir dieses schwierige Rechtskonstrukt nicht mehr haben wollen. Wir wollen nicht mehr diese weitreichenden Befugnisse für die Bundesregierung, und wir wollen auch nicht Maßnahmen, die von vielen Gerichten gekippt wurden.
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Wir wollen keine Ausgangssperren mehr, wir wollen keine pauschalen Grundrechtsreingriffe wie Schulschließungen. Deswegen lassen wir dieses Rechtskonstrukt auslaufen. Zu Recht sagen Ministerpräsidenten aus der Union wie Herr Günther, aber wie vor Kurzem auch noch Herr Spahn und wie viele andere Kolleginnen und Kollegen aus der Union, dass wir diese Rechtsfigur nicht mehr brauchen. Deswegen beschließen wir heute das Ende dieser epidemischen Lage, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Falsch ist der Vorwurf, dass wir nicht handeln würden, dass wir den Instrumentenkasten beschneiden würden. Das Gegenteil ist der Fall: Wir schaffen eine 3-G-Pflicht für den Arbeitsplatz – das ist eine weitreichende Maßnahme, weil jetzt jeder, der ungeimpft ist und sich nicht testen lässt, Lohneinbußen riskiert –, und wir schaffen die gleiche Regelung auch für Busse und Bahnen. Jeder, der jetzt ungeimpft Bahn fährt und keinen Testnachweis dabeihat, wird aus der Bahn geworfen, und dem droht auch noch ein saftiges Bußgeld. – Das sind massive Maßnahmen, die wir heute hier einführen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Und auch den Bundesländern geben wir weitreichende Handlungsmöglichkeiten: Sie können Abstandsgebote regeln, Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte, Maskenpflicht, 2‑G- oder 2‑G-Plus-Regelungen beschließen. Sie können Veranstaltungen auf Personenzahlen beschränken, und sie können Einrichtungen Auflagen machen. – Kurzum: Mit diesem Gesetz können die Bundesländer scharfe und harte Maßnahmen zum Schutz unserer Bevölkerung beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Herr Fechner, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion von Herrn Kleinwächter?
Nein, die Debatte hat wieder ein hohes Niveau; das will ich nicht belasten.
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An all die Unionspolitiker, die jetzt kritisieren, es würde zu wenig geschehen: Die ganzen Maßnahmen hätten Sie schon machen können. Sie hätten schon mit der heutigen Rechtslage 2‑G-Regelungen schaffen können. Aber gerade in Sachsen und in Bayern haben wir führungsschwache Ministerpräsidenten, die sich lieber hinter dem Bund verstecken,
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als selbstbewusst die wichtigen Maßnahmen zu treffen, die für die Bevölkerung erforderlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Was wollen Sie denn, was nicht heute schon nach der aktuell gültigen Rechtslage möglich wäre? Wo liegen wir denn wirklich noch auseinander? Das allermeiste, das auch Sie fordern, steht in unserem Gesetz. Wo liegen wir noch auseinander?
Sie wollen flächendeckend Schulen schließen, obwohl unsere Kinder doch so erheblich gelitten haben. Sie wollen flächendeckend Betriebe schließen können, obwohl das massive negative Auswirkungen hatte. Sie wollen weiter Ausgangssperren, obwohl Gerichte das gekippt haben. Und – ganz bemerkenswert, finde ich, für eine christliche Partei – Sie wollen es ermöglichen, Gottesdienste in der Adventszeit und in der Weihnachtszeit zu verbieten. Wohlgemerkt: Gottesdienste sollen nicht mit 2‑G-Regelungen zugelassen werden können, sondern Sie wollen die Möglichkeit, sie zu verbieten.
Das machen wir auf keinen Fall mit.
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Denn wir müssen bei allen Schutzmaßnahmen darauf achten, dass die Schutzmaßnahmen nicht mehr negative Auswirkungen haben, als dass sie nutzen. Deswegen ist es richtig, dass wir flächendeckende Schulschließungen und Betriebsschließungen untersagen, dass es keine Ausgangssperren mehr geben wird und dass an Weihnachten und in der Adventszeit Gottesdienste mit Hygienekonzepten stattfinden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Leider mussten wir in der Vergangenheit immer wieder erleben, dass Test- und Impfnachweise gefälscht werden. Weil es ein hohes Risiko darstellt, wenn sich ein Ungeimpfter – möglicherweise Infizierter, also nicht Getesteter – in Gesellschaft mit anderen Bürgern begibt, Veranstaltungen besucht, werden wir jetzt jeden Fall von Fälschungen von Impfausweisen oder Testnachweisen unter Strafe stellen. Auch das ist eine ganz wichtige Maßnahme.
Zum Schluss; letzter Satz. Ich fand es immer gut, dass sich auch die Union bemüht hat, für diese wichtigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einen breiten Konsens hier im Parlament herzustellen. Diesen drohen Sie heute zu verlassen. Ich kann nur appellieren: Stimmen Sie im Bundesrat, stimmen Sie hier im Bundestag diesen wichtigen Verschärfungen zum Schutz der Bevölkerung zu! Es geht hier um Tausende Menschenleben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention aus der AfD-Fraktion Herr Kleinwächter.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werter Herr Kollege Dr. Fechner, ich habe eine ganz praktische Frage zu Ihren Ausführungen gerade, und zwar haben Sie sich gerühmt, dass ungeimpfte Personen aus der Bahn geworfen werden. Zugleich sagten Sie, dass die Schutzmaßnahmen keine negativeren Auswirkungen haben dürften, als dass sie nutzen.
Ich vertrete einen Wahlkreis, der sehr ländlich strukturiert ist. Da gibt es viele kleine Dörfer, da gibt es relativ wenige Busse, und es gibt ganz bestimmt nicht in jedem Dorf ein Testzentrum. Ich habe eine ganz praktische Frage: Wie sollen das Menschen machen, die am Montagmorgen mit Bus oder Bahn – Sie wollen doch klimafreundlich sein – zur Arbeit wollen,
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zum Arzt wollen, zum Einkaufen wollen und Busse und Bahnen, ÖPNV, nicht benutzen können, weil sie ja getestet sein müssen, was sie aber nicht sein können in ihrem Ort, und weil Sie durch Ihre Gesetzgebung und durch Ihre Verordnungsgebung auch das eigene Zertifikat nicht anerkennen?
Ich frage Sie deutlich, Herr Dr. Fechner: Wie sollen das die Leute machen? Oder wollen Sie die zu Hause einsperren? Und sind Sie ernsthaft der Meinung, dass das Herauswerfen Ungeimpfter aus der Bahn und aus dem Bus keine negativeren Auswirkungen hat, als diese potenzielle Schutzmaßnahme tatsächlich nützt?
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Herr Dr. Fechner, möchten Sie antworten?
Ja, gerne. – Zunächst mal ist es ja ein Fortschritt, dass Sie Corona offensichtlich als Gefahr ansehen. Das war in der AfD-Fraktion ja nicht immer der Fall.
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Zum Zweiten sind jetzt in der Tat die Länder gefragt, überall Testangebote zu machen, und das wird auch kommen.
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Der einfache Rat ist: Lassen Sie sich impfen, liebe Bürgerinnen und Bürger.
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Wie wäre es, wenn Sie dafür eine Werbeveranstaltung in Ihrem Wahlkreis machen, Herr Kollege?
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Thorsten Frei.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will ganz ehrlich sein: Die Debatte verwirrt mich, genauso wie die Debatte, die wir am vergangenen Dienstag im Hauptausschuss hatten. Wenn ich den Ampelfraktionen zuhöre, dann höre ich bei den Grünen, liebe Frau Göring-Eckardt: Wir verschärfen die Maßnahmen.
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Wir machen alles besser. Wir machen mehr. Wir machen das Passgenaue.
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Wenn ich Herrn Buschmann zuhöre, dann vernehme ich das Gleiche wie am 27. Oktober: „Wir beschränken die Maßnahmen auf das absolut notwendige Maß“,
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„keine so einschneidenden Maßnahmen mehr“, „geringfügige Einschränkungen“ und dergleichen. Und die SPD ist, wie immer, „in between“.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist keine Handlungsorientierung für die Zukunft.
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So bekämpfen wir diese Pandemie nicht.
Ich will es noch mal ganz deutlich sagen: Der Ausgangspunkt des Problems, das wir heute diskutieren, ist der 27. Oktober.
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Ich werfe Ihnen das, ehrlich gesagt, noch nicht einmal vor. In den letzten drei Wochen haben wir eine unglaubliche Dynamik in dieser Pandemie erlebt wie nie zuvor seit dem März 2020 – der Kollege Stracke hat es gesagt – im Bereich der Inzidenz, der Neuinfektionen, der Hospitalisierungsrate, der Auslastung der Intensivbetten und vielem anderen mehr.
Nur – jemand hat vorhin eine Wand und eine berühmte Bundeskanzlerin zitiert –: Wenn Sie die Wand sehen oder sehen, dass Sie in eine falsche Richtung gelaufen sind, dann drehen Sie doch bitte um, statt in die verkehrte Richtung weiterzulaufen
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oder sich an der Wand eine blutige Nase zu holen. Das ist unverantwortlich, und zwar nicht nur politisch. Es ist unverantwortlich gegenüber den Menschen in unserem Land, für deren Schutz und für deren Gesundheit wir verantwortlich sind.
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Deswegen stört es mich schon, wenn Sie hier eine Debatte führen, die nach hinten gerichtet ist, die Verantwortung abschiebt
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und die versucht, uns dazu zu bringen, etwas zuzustimmen, was falsch ist.
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Im Übrigen: Dass das ausgerechnet von den Liberalen kommt, das irritiert mich schon. Sie verlangen hier den Schulterschluss, obwohl Sie in den vergangenen anderthalb Jahren gegen alles gestimmt haben, was hier zum Gesundheitsschutz im Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist.
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Das ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, und das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen.
Wir haben uns wegen des Ernstes der Lage sehr intensiv mit Ihrem Gesetzentwurf beschäftigt.
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Wir hätten diesem Gesetzentwurf heute auch zugestimmt,
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wenn Sie gleichzeitig die epidemische Lage nationaler Tragweite verlängert hätten; denn beides ist notwendig.
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Das ist zwingende Voraussetzung dafür, dass wir die Epidemie bekämpfen können.
Im Übrigen: Das sagen doch nicht nur wir. Das sagen doch insbesondere die Ministerpräsidenten, und zwar nicht nur die Mehrheit der Ministerpräsidenten, nicht nur die CDU-CSU-Ministerpräsidenten; das sagt auch der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg,
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das sagen auch andere Ministerpräsidenten von Ihnen. Das sagen diejenigen, die operative Verantwortung vor Ort haben, diejenigen, die sich um das Krankenhauswesen kümmern müssen, diejenigen, die sich um die Gesundheit der Menschen bemühen. Deswegen: Wir müssen aufhören, hier so eine akademische Diskussion zu führen. Es geht um die Menschen in unserem Land. Gegenüber denen sind wir verantwortlich.
Jetzt ist es so – ich habe es schon gesagt –: In den letzten drei Wochen gab es eine ungeahnte Dynamik. Keiner von uns weiß, was die nächsten Tage bringen. Deswegen ist es doch unverantwortlich, hier eine Diskussion darüber zu führen, was man heute schon machen kann und dass das ja bis zum 15. Dezember verlängert werden kann. Es ist doch unverantwortlich, in dieser Situation eine Debatte zu führen, denen, die operative Verantwortung tragen, Instrumente aus der Hand zu schlagen, anstatt ihnen zusätzliche zu geben,
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wenn man gar nicht weiß, wo man hinkommt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist für uns der entscheidende Punkt. Deswegen sagen wir: Wir brauchen die Fortgeltung der epidemischen Lage, damit eben alle Handlungsinstrumentarien da sind.
Ich fand es total putzig, dass hier von mehr Rechtssicherheit geredet worden ist. Wo sind denn bitte schön unsere Regelungen angegriffen worden? Wir haben immer einen rechtssicheren Rahmen geschaffen. In Einzelfällen war es so, dass die Umsetzung durch Rechtsverordnungen fehlerhaft war; schließlich ist im Einzelfall natürlich immer auch die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Also: Bauen Sie doch keine Potemkinʼschen Dörfer auf! Das hat mit der Realität nichts zu tun. Wir haben einen guten Rechtsrahmen. Den schlagen Sie uns und dem Land aus der Hand, und Sie ersetzen ihn durch etwas, was weniger wertvoll ist. Dem kann man nicht zustimmen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Nichtsdestotrotz anerkennen wir, dass sich der Gesetzentwurf seit der ersten Lesung vor einer Woche verändert hat. Wir sind dankbar, dass die Vorschläge, die wir gemacht haben, mit aufgenommen worden sind. Diese führen nämlich erst dazu, Herr Buschmann, dass man mit einem solchen Gesetz weiterkommen kann. Ihr ursprünglicher Vorschlag war: Abstandsflächen, Hygienekonzepte und Masken. – Das war’s, und das in dieser Pandemie. Ich finde das einfach lächerlich.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Dr. Manuela Rottmann.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Frei, ich bin auch verwirrt; ich bin wirklich zutiefst verwirrt. Wenn der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen vor zwei Tagen das Feiern von Karneval verteidigt und Sie heute dafür kämpfen, dass präventive Schulschließungen wieder möglich sind, dann bin ich verwirrt, dann frage ich mich, ob Sie die richtigen Prioritäten setzen.
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Sie haben hier den 27. Oktober zitiert. Am 25. Oktober – das ist gerade mal drei Wochen her – hat Ihr Gesundheitsminister gesagt: Die epidemische Lage soll auslaufen. – Ich bin verwirrt. Was ist denn los?
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Ihr aktueller Dauerkandidat für den CDU-Vorsitz fordert genau dasselbe. – Ich bin verwirrt. Im Vergleich zu Ihnen ist diese Ampel aus drei Parteien sehr, sehr sortiert, Herr Frei.
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Herr Stracke hat gesagt, er möchte gerne das bewährte Rechtsinstrument verlängern. Dieses Rechtsinstrument hat uns in diese Lage geführt, in der wir jetzt sind.
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Und Ihnen fällt nichts ein, außer es zu verlängern.
Ich weiß genau, warum Sie das tun. Sie müssen sich dann nämlich nicht mit den Fragen und Abwägungen auseinandersetzen,
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wie wir es gemacht haben: welche Rolle eigentlich Kinder und Jugendliche in dieser Situation haben, ob sie wieder die Letzten sind, an die wir denken,
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ob die Betriebe das tragen können, was wir ihnen auferlegen, ob es sinnvoll ist, der überwiegenden Mehrheit in diesem Land, die sich hat impfen lassen und sich auch nachimpfen lassen wird, zu sagen: Ihr dürft jetzt gar nichts mehr, völlig egal, ob ihr geimpft seid oder nicht. – Das ist das, was Sie uns hier vorschlagen. Und das halten Sie für bewährt? Ich glaube, so bekloppt, wie Sie denken, sind die Leute da draußen nicht.
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Wir haben eine ernste Situation. Es werden Menschen sterben. Wir werden es nicht mehr verhindern können. Aber wir können dieser Welle etwas entgegensetzen: Das ist die Auffrischungsimpfung, und das ist das Impfen. Wenn wir das Versprechen an die Menschen, dass ihr Beitrag zum Brechen dieser Welle auch ihr Leben leichter macht, brechen, werden wir vielleicht den Hammer schwingen, vielleicht hier große Reden schwingen, aber dann werden wir das Wichtigste verlieren, was wir in dieser Pandemie brauchen: das Vertrauen und die Mitwirkungsbereitschaft der Menschen. Und das ist Ihr Vorschlag.
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Sie haben noch vor zwei Tagen im Ausschuss selbst gesagt: Ja, die Ausgangssperren brauchen wir nicht mehr. – Heute wollen Sie sie wieder reinschreiben. Was ist denn das für ein Kasperletheater? Sie führen hier eine Scheindebatte und können nicht die Frage beantworten, welche Maßnahmen Sie eigentlich für erforderlich halten, die hier nicht drinstehen.
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Herr Frei, Sie haben gesagt, wir würden Sie zwingen, etwas zuzustimmen, was Sie für falsch halten. Ich darf daran erinnern, dass wir, meine Fraktion, in den letzten Jahren bis an die Schmerzgrenze versucht haben, in diesem Land Konsens herzustellen, weil es das falsche Thema ist für parteipolitisches Geplänkel und Profilneurosen einer schwer belasteten Opposition. Es ist das falsche Thema.
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Ich weiß, dass es in der Union kluge, verantwortungsbewusste Leute gibt. Ich will Ihnen sagen, was Ihre Führung von Ihnen verlangt. Sie verlangt von Ihnen, heute gegen 3 G am Arbeitsplatz, gegen 3 G im öffentlichen Nahverkehr, gegen Hilfen für Krankenhäuser, die Coronapatienten behandeln, gegen eine Verlängerung der Regelungen in der Künstlersozialkasse zu stimmen. All das verlangt Ihre Spitze von Ihnen. Und was bekommen Sie dafür? Eine Länderöffnungsklausel ohne Übergangsfristen, also das totale Chaos. Ich rate Ihnen ab, diesen Weg mitzugehen.
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Ja, es geht hier auch um die Zukunft der Union. Es ist Ihre Verantwortung, darüber zu entscheiden. Aber ich kann Ihnen eines sagen: Sie gehen einen schweren Weg, wenn Sie den wählen, der erkennen lässt, dass Ihnen die Verantwortung in dieser Situation, die Verantwortung für das Gemeinwesen, für die Menschen in den Krankenhäusern weniger wichtig ist als eine billige Show.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Jens Spahn.
Ich möchte, Frau Präsidentin, weil ich hier mehrfach erwähnt worden bin, kurz was sagen.
({0})
– Sie haben mich angesprochen, und ich reagiere darauf. Das ist das, wofür eine Kurzintervention vorgesehen ist.
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Das ist eine schwierige Lage. Das ist übrigens auch eine schwierige Lage für eine geschäftsführende Regierung mit einer gleichzeitig werdenden neuen Mehrheit; daran gibt es überhaupt nichts herumzureden. Das ist herausfordernd in vielerlei Hinsicht. Die Lage ist gleichzeitig ernst, so ernst – das ist ja das Paradox trotz der Impfquote, die wir haben –, wie sie zu keinem Zeitpunkt in dieser Pandemie vorher gewesen ist.
Weil Sie mich immer ansprechen: Ich habe Ihnen am 15. Oktober drei Vorschläge gemacht, drei Wege aufgezeigt, wie der Handlungsrahmen für die Länder erhalten werden kann – drei! –: epidemische Lage verlängern, den § 28a Infektionsschutzgesetz sehr minimalinvasiv verändern und den § 28a Absatz 7, den Sie jetzt streichen.
Sie sind keinen dieser Wege gegangen. Das ist Ihre Entscheidung. Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden: einen Gesetzentwurf zu machen, bei dem wir als geschäftsführende Regierung auch geholfen haben, ihn zu formulieren und zu entwickeln. Sie haben viel nachgebessert, sind auf Kritik eingegangen. Auch das ist gut, richtig und wichtig, weil das den Maßnahmenkatalog erweitert.
Deswegen ist hier ein Stück beides richtig. Ich würde mir wünschen, dass die Länder mehr Möglichkeiten hätten, zu reagieren, weil die Dynamik der letzten drei Wochen in dieser Dimension, glaube ich, wenige vorhergesagt haben und keiner von uns weiß, was sich in den nächsten Wochen entwickelt. Gleichzeitig ist genauso richtig, dass der Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, im Zweifel besser ist, als wenn gar keine Regelung gilt. Beides ist richtig.
Aber eins ist auch sehr klar: Wenn Sie mit Ihrer Mehrheit, die Sie hier haben, entgegen dem, was wir vorgeschlagen haben, was auch ich vorgeschlagen habe, am Ende entscheiden, diesen Weg zu gehen, dann nehmen Sie bitte dafür nicht immer irgendjemand anderen als Kronzeugen oder als Punchingball.
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Dann müssen Sie, wenn Sie diese neue Mehrheit hier sein wollen, diese Verantwortung auch übernehmen. Davon kann Sie hier keiner entlasten.
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Frau Dr. Rottmann, möchten Sie reagieren?
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Herr Spahn, würden Sie kurz aufstehen? – Danke.
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Von mir aus nicht, Herr Spahn. Bleiben Sie ruhig sitzen.
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Herr Spahn, ich finde das eigentlich gut, was Sie gesagt haben, weil wir jetzt in ein Gespräch kommen, und das biete ich der Union, das bieten wir alle der Union an, auch über diese Abstimmung heute hinaus.
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Wir sind schon im Hauptausschuss auf die Union zugegangen. Ich habe es in vier Jahren Opposition nicht einmal erlebt – nicht einmal! –, dass wir noch während einer laufenden Sitzung eine Änderung an einem Vorschlag der Regierungsfraktionen vorgenommen haben. Das ist diese Woche passiert. Ich weiß nicht, wie weit wir noch auf Sie zugehen sollen.
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Aber woran es krankt, ist: Sie machen keine konkreten Vorschläge.
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Sie sagen uns nicht, was genau Sie wollen. Kommen Sie auf uns zu, und wir reden gerne weiter.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion Michael Theurer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die beispiellose Situation, dass derzeit Parteien, die über eine Regierungsbildung verhandeln, für Regierungshandeln oder ‑nichthandeln in die Verantwortung genommen werden sollen. Was wir hier tun, ist, eine gesetzliche Grundlage für das Handeln der Bundesregierung und der Länderregierungen zu schaffen. Hier übernehmen die Fraktionen SPD, Grüne und FDP Verantwortung.
Auch nach dem, was Minister Spahn gerade gesagt hat, kann man die bisher amtierende und jetzt geschäftsführende Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortung für das konkrete Regierungshandeln entlassen. Die derzeitigen ansteigenden Infektionszahlen sind ja seit Wochen im Gange und hätten beherztes Handeln auf der bisherigen Rechtsgrundlage erfordert. Deshalb müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, warum Sie nicht gehandelt haben, meine Damen und Herren.
({0})
Kollege Frei hat eingeräumt, dass die Diskussion ihn verwirre, hat aber dann selbst zur Verwirrung beigetragen. Deshalb ist es wichtig, hier einmal für Klarheit zu sorgen. Wenn Sie behaupten, wir, SPD, FDP und Grüne, hätten von Ihrem Gesetzentwurf abgeschrieben, ist das eine klare Verdrehung der Tatsachen. Wir haben den Gesetzentwurf eingebracht, im Hauptausschuss wurde er behandelt, und Sie haben dann einen Änderungsantrag eingebracht. Sie haben also das Parlament belogen,
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und ich fordere Sie auf, das klarzustellen und Ihre unwahre Behauptung zurückzunehmen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in einer sehr schwierigen Lage. Die Inzidenzen in manchen Kreisen liegen bei über 1 000. In meinem Wahlkreis, in Karlsruhe, ist es jetzt schon so, dass die Intensivstationen voll sind und Patientinnen und Patienten verlegt werden müssen. Diese Situation erkennen wir, und wir sind in großer Sorge.
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Wir leiten aus dieser Situation ab, dass man mit der bisherigen Gesetzeslage nicht in der Lage war, diese dramatische Entwicklung zu verhindern. Deshalb schlagen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf vor, nachzuschärfen, die Maßnahmen treffsicherer zu machen und, ja, an einigen Stellen sogar noch zu verschärfen: 3 G in Bus und Bahn, 3 G am Arbeitsplatz, die Öffnung für die Länder, 2 G einzuführen mit Personenobergrenzen bei Veranstaltungen. Das sind klare Verschärfungen, meine Damen und Herren.
Aber wir sagen an dieser Stelle auch: Es ist erforderlich, eine kollektive Kraftanstrengung in Deutschland zu mobilisieren. Denn das Virus lässt sich nicht durch Paragrafen bekämpfen, sondern nur durch technologische und soziale Intelligenz sowie organisatorische Effizienz. Die haben die bisherigen Regierungen vermissen lassen, und deshalb muss nachgeschärft werden. Wir bitten deshalb alle in der Union, die guten Willens sind, unserem Gesetzentwurf heute zuzustimmen.
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Die Gretchenfrage heißt: Lassen Sie sich impfen? Ich habe den Eindruck, dass das, was die Bundesregierung bisher gemacht hat, ein trauriges Bild abliefert. Die Werbekampagne „Lass dich impfen“ zeigt eine Person mit Pflaster am Arm. Da wünsche ich mir die Werbekampagne aus Frankreich. Die zeigt ein küssendes Paar mit dem Slogan: Ja, der Impfstoff kann erwünschte Nebenwirkungen haben.
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Wir würden uns freuen, wenn diese Kampagne mit mehr Engagement angegangen würde, wenn Influencer, wenn Künstlerinnen und Künstler, wenn Kulturschaffende, auch mit Zielrichtung auf Milieus mit Migrationshintergrund, jetzt fürs Impfen werben würden.
Meine Damen und Herren, an die Adresse der AfD – Sie, die Sie sich ja noch nicht mal an die Maskenpflicht hier im Haus halten –: Von Ihnen erwarte ich, dass Sie mal fürs Impfen eintreten.
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Machen Sie das endlich! Wir brauchen eine höhere Impfquote, meine Damen und Herren. Impfen und Testen ist die Lösung, um diese Pandemie zu bekämpfen.
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Es war klar, dass Impfdurchbrüche kommen werden. Tun Sie doch nicht so, als ob man das nicht gewusst hätte. Trotzdem ist das Impfen richtig.
Ein letzter und persönlicher Satz, weil meine Redezeit zu Ende ist: Meine Damen und Herren, einige von Ihnen wissen, dass seit dem 25. Juli unsere Tochter auf der Intensivstation liegt. Ich spreche jeden Tag, wenn ich kann und vor Ort bin, auch mit Pflegekräften. Ich finde es wirklich schwierig, wie die Situation dort ist. Wir haben einen Pflegenotstand. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat nicht dazu geführt, die Situation zu entschärfen. Aber heute, an diesem Tag, so zu tun, als ob die Fortsetzung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite den Pflegekräftemangel beseitigen würde, ist unredlich. Das ist eine Lüge. Die Menschen in der Pflege sagen mir: Geld allein ist es nicht. Es sind viele Faktoren: die Kinderbetreuung, die nicht mit den Schichtzeiten in Einklang zu bringen ist, der Parkplatz, den man vor Ort nicht gewährt, und viele andere Dinge bis hin zur Bezahlung.
Ich rufe dazu auf, dass wir uns gemeinsam überlegen, wie wir es schaffen, dass mehr junge Menschen in die Pflegeberufe gehen, anstatt dass sie Jura oder Volkswirtschaft oder BWL studieren;
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ich bin selber Volkswirt. Ich bin der Meinung: Das müssen wir an dieser Stelle machen. Hierzu sind wir bereit.
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Herr Theurer, kommen Sie zum Schluss.
Ich bin der Meinung, dass wir hier nicht mit falschen Argumenten vorgehen sollten. Die Lage ist wirklich dramatisch.
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Aber jetzt den Parteien SPD, Grünen und FDP vorzuwerfen, sie wären für den Pflegemangel verantwortlich, das ist unredlich, meine Damen und Herren. Helfen wir gemeinsam, dass wir mehr Menschen für die Pflege gewinnen.
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Als nächster Redner hat Martin Sichert für die AfD-Fraktion das Wort. Ich lenke die Aufmerksamkeit zur Tribüne. Herr Sichert spricht von oben von der Tribüne.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass ich als Abgeordneter hier vom Balkon sprechen muss, zeigt, wie sehr Ihre Politik das Land spaltet.
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Mein Kollege hier neben mir ist praktisch immun, weil sein Antikörperwert weit über dem Grenzwert liegt. Und während er hier oben sitzt, kann da unten jeder Geimpfte völlig frei Corona verbreiten. 2 G und 3 G dienen nicht dem Gesundheitsschutz; 2 G und 3 G dienen dazu, die Bürger mit massivem Druck zu willigen Untertanen zu erziehen. Da machen wir als AfD nicht mit.
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Am schlimmsten ist der Umgang mit den jungen Menschen. 2 600 feiern in einer Halle in meinem Wahlkreis in Nürnberg lautstark „Wetten, dass..?“, und 200 SPD-Abgeordnete stehen hier im Bundestag beim Gruppenfoto lachend zusammen, aber Kinder müssen stundenlang Maske tragen.
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98 Jugendliche wurden infolge der Impfung schwer herzkrank, und es starben seit Februar mehr infolge der Impfung als an Corona.
({3})
Hunderttausende Kinder erkranken psychisch, und die Kinderkliniken sind voll, weil wegen Abstand und Masken das Immunsystem gegen andere Erkrankungen massiv geschwächt ist. Diese Maßnahmen sind ein himmelschreiendes Verbrechen an der kommenden Generation, und sie müssen umgehend beendet werden.
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Was haben der saarländische Innenminister, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds und der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller gemeinsam? Sie waren alle dreifach geimpft und haben sich mit Corona infiziert. Das sind keine Einzelfälle: Über 40 Prozent der Coronatoten im letzten Monat waren laut Robert-Koch-Institut vollständig geimpft. Das Paul-Ehrlich-Institut hat über 21 000 schwere Nebenwirkungen und über 1 800 Todesfälle nach Impfung dokumentiert. Fakt ist: jeden Tag 6 Tote infolge der Impfung und 13 vollständig geimpfte Coronatote. Jede andere derart unwirksame Impfung mit solch massiven Nebenwirkungen wäre schon längst vom Markt genommen worden.
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Obwohl gestern 1 400 Intensivbetten weniger belegt waren als Ende April, reden wir heute über weitgehende Ermächtigungen der Regierungen.
Herr Sichert, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Müller?
Gerne.
({0})
Danke, Herr Sichert. – Sie können ihn jetzt leider nicht sehen, aber er steht unter der Tribüne.
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Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Sichert, Sie haben mich mit dem gleichen Selbstbewusstsein erwähnt, mit dem Sie hier Zahlen niederlegen, die jeglicher Grundlage entbehren!
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Meine Erstimpfung war mit Johnson & Johnson. Meine Boosterimpfung war am 20. Oktober dieses Jahres, nachdem das RKI im Oktober gesagt hat: Vier Wochen nach einer Impfung mit Johnson & Johnson soll geboostert werden. – Am 26. Oktober traten wir hier zusammen. Am Freitag darauf habe ich mich, weil mir die Nase lief, mit einem Schnelltest positiv getestet. Dieses Symptom hatte ich fünf Tage lang. Gott sei Dank war ich geimpft! Mir lief nur die Nase!
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Herr Sichert, ich frage Sie allen Ernstes, wenn Sie mich hier schon instrumentalisieren wollen und gegen die Impfung sprechen: Kennen Sie meinen Handballfreund, der in meinem Alter ist und dessen Namen ich nicht nenne, der vorher Marathon gelaufen ist und sich vor einem halben Jahr mit Corona infiziert hat? Er konnte sich nicht impfen lassen, weil er keiner Prioritätsgruppe angehörte. Er kommt jetzt nicht mal mehr die Treppen hoch. Wollen Sie leugnen, dass die Impfung hilft, sodass ich als junger Mann mit Corona nur eine laufende Nase hatte? Ich werbe bewusst für die Impfung. Liebe Leute da draußen, bitte lasst euch endlich impfen! Das ist der Weg aus der Pandemie.
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Darum, Herr Sichert, meine Frage bzw. meine Bitte: Stellen Sie das klar; denn Ihre Behauptungen entbehren jeglicher Grundlagen. Sonst sagen Sie das bitte.
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Können Sie die Frage noch mal kurz wiederholen? Die habe ich nicht verstanden.
({0})
Laut Geschäftsordnung kann er eine Zwischenbemerkung machen oder auch eine Zwischenfrage stellen. – Sie dürfen jetzt antworten, Herr Sichert.
Auf die Bemerkung kann ich gerne antworten. – Beschäftigen Sie sich endlich mal mit den Fakten, lesen Sie mal die Daten vom Robert-Koch-Institut, lesen Sie die Daten vom Paul-Ehrlich-Institut:
({0})
170 000 Fälle von Nebenwirkungen, über 21 000 Fälle schwerer Nebenwirkungen, über 1 800 Todesfälle infolge der Impfung bis Ende September. Die Daten bis Ende Oktober haben wir leider noch nicht.
Ja, ich freue mich, dass bei Ihnen diese Krankheit nur schwach verlaufen ist. Aber in über 95 Prozent der Fälle verläuft eine Coronaerkrankung auch bei Ungeimpften nur schwach.
({1})
Danke, dass Sie hier noch mal bestätigen, dass Sie geboostert gewesen sind und dass Sie trotzdem Corona bekommen haben.
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Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Geboosterte dann in diesem Land herumlaufen, die glauben, sie könnten Corona nicht mehr verbreiten, weil Sie hier eine falsche Propaganda verbreiten
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und ständig so tun, als würde diese Impfung dafür sorgen, dass die Menschen nicht mehr erkranken können.
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Das ist nicht der Fall. Über 40 Prozent der Coronatoten sind laut Robert-Koch-Institut, laut dem Institut Ihres Bundesgesundheitsministeriums, vollständig geimpft gewesen.
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Hören Sie auf, den Menschen zu erzählen, diese Impfung würde sie komplett schützen, sondern sorgen Sie dafür, dass die vulnerablen Gruppen, dass die Menschen ab 80, ab 90 Jahren gesondert geschützt werden, und hören Sie auf, die Kinder zu gängeln.
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Wir haben momentan bundesweit nur zwei Jugendliche auf den Intensivstationen – zwei Jugendliche! –, und dafür müssen die jungen Menschen unfassbare Einschränkungen ertragen.
Herr Sichert.
Das ist unerträglich.
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Herr Sichert, Sie haben von Ihrer Redezeit noch Zeit für einen letzten Schlusssatz übrig.
Dann fahre ich mit meiner Rede fort.
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Obwohl gestern 1 400 Intensivbetten weniger belegt waren als Ende April, reden wir heute über weitreichende Einschränkungen. Wir tun dies, weil jedes dritte Intensivbett aus Personalmangel nicht genutzt werden kann. Viele Pflegekräfte haben auch wegen der massiven Coronamaßnahmen ihrem Beruf den Rücken gekehrt.
({1})
Anstatt Kinder und Ungeimpfte mit dem Infektionsschutzgesetz zu gängeln, müssen wir endlich die Attraktivität der Pflege massiv steigern. Das ist die dringlichste Aufgabe in dieser Legislaturperiode. Gehen wir sie endlich an!
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Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist Heike Baehrens.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Millionen Menschen in unserem Land sind in Angst und Sorge.
({0})
Immer mehr Menschen allen Alters infizieren sich mit dem Coronavirus, und die Zahl der Schwererkrankten steigt täglich. Die Situation in unseren Krankenhäusern und noch mehr auf den Intensivstationen ist dramatisch.
({1})
Ärztinnen und Pflegepersonal leisten schon heute an vielen Orten mehr, als ihre Kräfte hergeben. Sie gehen körperlich, seelisch und manchmal auch ethisch an ihre Grenzen.
Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wollen den dringend notwendigen Schutzmaßnahmen Ihre Stimme verweigern? Wollen Sie sich wie vorgestern im Hauptausschuss tatsächlich enthalten? Einer Ihrer Landesfürsten, der erst wenige Tage im Amt ist, droht gar damit, den Bundesrat dafür zu instrumentalisieren, die heutigen Beschlüsse zu torpedieren. Wie klein wollen Sie sich eigentlich noch machen?
({2})
Die Menschen rufen nach Hilfe und Orientierung, und Sie antworten mit parteitaktischem Geplänkel.
Es war Ihr eigener Gesundheitsminister, der gefordert hat, das Rechtskonstrukt der epidemischen Lage aufzuheben,
({3})
nicht weil die Pandemie besiegt wäre – nein! –, sondern weil es richtig ist, dass der Deutsche Bundestag über die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen entscheidet, nachdem zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung geimpft sind, weil es richtig ist, dass nicht ministerielle Verordnungen regieren, sondern das gewählte Parlament zu entscheiden hat,
({4})
weil es richtig ist, dass regionale und länderspezifische Maßnahmen von Landesparlamenten zu beschließen sind, wenn sie einschneidend sind. Dafür schaffen wir heute die Grundlage, indem wir einerseits wichtige, bundesweit einheitliche Maßnahmen beschließen und andererseits rechtssichere Handlungsoptionen für die Länder schaffen.
({5})
Wir erweitern den Instrumentenkasten.
({6})
Wenn die zweitgrößte Fraktion dieses Hauses, die noch immer geschäftsführend in Regierungsverantwortung steht, sich hier und heute einen schlanken Fuß macht
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und nicht mehr zur Lösung in dieser größten Gesundheitskrise, die unser Land je erlebt hat, beiträgt,
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dann ist das verantwortungslos und beschämend.
({9})
Alle, die in unseren Krankenhäusern um das Leben von Menschen ringen, alle, die sich um alte und kranke Menschen in unserem Land kümmern und seit 18 Monaten alles tun, um sie vor dem Virus zu schützen und gleichzeitig eine würdevolle Pflege zu leisten, sie dürfen von uns als Politik erwarten, dass wir das in unserer Macht Stehende tun, um Infektionsgefahren abzuwenden, um Menschen zu schützen und um unser Gesundheitssystem funktionsfähig zu halten. Deshalb: Stimmen Sie heute diesen dringend notwendigen Maßnahmen zu!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Frau Dr. Katja Leikert.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meinem Wahlkreis, dem Main-Kinzig-Kreis, haben wir bei den 5- bis 14‑Jährigen eine Inzidenz von über 400, und wir sind bei Weitem nicht der am stärksten betroffene Landkreis. Den rechtlichen Rahmen jetzt zu verschlechtern, heute nach dieser Debatte nach Hause zu kommen und die Pandemie als weniger schlimm zu erklären, das geht nicht.
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Weil ich schon seit 1 Stunde 22 Minuten heute hier angeschrien werde:
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Das wird den Familien, die vor Kita- und Schulschließungen Angst haben müssen, nicht gerecht.
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Es wird auch nicht den Kindern gerecht, die im Unterricht diszipliniert ihre Masken tragen.
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Liebe Links-Gelbe, Ihr Gesetzentwurf nimmt Rechtssicherheit, Frau Dittmar, und das wissen Sie auch ganz genau.
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Und keiner versteht, warum Sie noch im August dafürgestimmt haben.
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Frau Göring-Eckardt, es gibt kein Thema – und Sie sind doch die ganze Zeit anwesend gewesen –, über das mehr diskutiert wurde als über die Coronasituation in Deutschland. Es ist auch unser Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus gewesen, der dafür gesorgt hat.
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Statt hier herumzuschreien, ist es viel wichtiger, dass wir darüber sprechen, wie wir durch diese vierte Welle kommen,
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welche Maßnahmen wir brauchen und ob es wirklich notwendig ist, dass das „Berghain“ offen gehalten werden muss, egal wie hoch die Inzidenzen sind.
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Ich persönlich möchte Weihnachten gerne mit meinen Lieben verbringen;
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das ist mir lieber, als dass Bars und Klubs auf Teufel komm raus offen gehalten werden.
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Ich sage es ganz klar: Ich möchte nicht, dass wir noch mal dahin kommen, dass Schulen geschlossen werden müssen. Ich weiß nicht, wie Sie, liebe Frau Baerbock, das Ihren Kindern daheim erklären. Ich werde in dieser Lage definitiv nicht für Ihre Fehlentscheidung hier geradestehen.
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Lieber Herr Buschmann, über die FDP kann man sich die ganze Zeit nur wundern. Sie haben schon im August die Fortführung der epidemischen Lage abgelehnt, weil alles irgendwie unproblematisch sei.
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Die CDU/CSU hatte damals recht, und wir haben heute recht.
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Es braucht die epidemische Lage, um schnell handeln zu können, auch und gerade um Familien zu schützen.
Wir alle sollten auch mal Lernerfolge im Management der Pandemie an den Tag legen. Wir alle wissen, was Eltern mit kleinen Kindern, was Erzieherinnen in den Kitas, Lehrerinnen und Lehrer, die Menschen in den Vereinen usw. in unserem Land geleistet haben und wie schwierig die Situation für Schwangere ist, wie problematisch die Situation für Jugendliche, für Studierende und auch für Auszubildende ist. Ihnen sollten wir alle einmal ein großes Dankeschön für ihre Disziplin sagen und uns auch dafür entschuldigen, wenn nicht jede Maßnahme sofort gepasst hat.
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Gerade deshalb müssen wir jetzt aus dieser Lage und aus dem, was wir bisher beschlossen haben, lernen. Wir müssen jetzt klar die Lebensbereiche von Familien schützen. Die vulnerablen Gruppen in diesem Land, liebe FDP, sind ungeimpfte Kinder und die Menschen in den Pflegeheimen. Die vulnerablen Gruppen sind nicht irgendwelche Individualisten, die den einfachen Satz nicht verstehen, dass die Freiheit des Einzelnen dort aufhört, wo die Freiheit des Anderen anfängt.
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Sehr geehrte Damen und Herren, hier in dieser Stadt, in der Hauptstadt, in Berlin, liegt die Inzidenz bei den 10- bis 14-Jährigen bei über 1 300. Es sind aktuell schon fünf Schulen im Wechselunterricht. Von einem auf den anderen Tag werden Schulen geschlossen. Ich teile die Kritik der Eltern vor Ort und deren Forderung: Es sind die Schulen, die als Letztes schließen sollten. Vielleicht kann uns der geschäftsführende Regierende Bürgermeister von Berlin, der hier ist, erklären, wie das zusammenpasst, in so einer Situation die Beendigung der pandemischen Lage auszurufen.
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Liebe Ampelfraktionen, wir brauchen keine parteipolitischen Spielchen,
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die Ihren Koalitionsverhandlungen geschuldet sind. Bitte passen Sie gut auf dieses Land in Zeiten der Pandemie auf.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne auf einen Punkt eingehen, der mich in dieser Debatte echt geärgert hat. Es hat mich echt massiv geärgert, dass alle Redner von der Ampel der Union hier Parteipolitik vorgeworfen haben.
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Ich will Ihnen mal den Spiegel vorhalten: Was haben Sie denn in den letzten zwei Wochen gemacht? Sie haben uns, dem Deutschen Bundestag, in Sachen Corona einen Entwurf vorgelegt, der absolut unzureichend war.
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Sie haben sich von der FDP in Geiselhaft für ein falsch verstandenes Freiheitsdogma nehmen lassen,
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das nicht sieht, dass Freiheit immer auch Verantwortung bedeutet, auch Verantwortung, unbequeme Entscheidungen zu treffen. Sie haben auf die FDP Rücksicht genommen, und zwar aus rein parteipolitischem Kalkül, weil Sie die Ampel nicht gefährden wollten, weil Sie die Koalitionsverhandlungen nicht gefährden wollten. Jetzt kommen Sie uns hier bitte nicht mit Parteipolitik. Das Gegenteil ist der Fall.
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Sie wissen ganz genau, dass das so ist. Deswegen haben Sie Ihren Entwurf ja auch ganz hektisch nachgebessert.
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Aufgrund des massiven Drucks, den wir als Union hier im Parlament gemacht haben, und aufgrund des massiven Drucks, den die Öffentlichkeit gemacht hat, haben Sie Ihren Gesetzentwurf auf Basis des konkreten Vorschlags, den wir als Union im Hauptausschuss unterbreitet haben, nachgebessert.
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Aber ich sage Ihnen mal was: Das reicht immer noch nicht aus. – Und diese Feststellung, dass Ihr Entwurf nicht ausreicht, ist keine Parteipolitik. Hören Sie sich mal an, was der Chef vom RKI, was Herr Wieler sagt. Er sagt: Bars und Klubs sind die Hotspots, das sind die Pandemietreiber, die müssen geschlossen werden können.
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Nach Ihrem Gesetzentwurf wird das zukünftig nicht möglich sein.
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Er sagt: Großveranstaltungen müssen abgesagt werden können. – Nach Ihrem Gesetzentwurf wird das nicht möglich sein.
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Das, was Sie uns hier präsentieren, sorgt dafür, dass der Instrumentenkasten zukünftig kleiner sein wird als das, was wir bei einer epidemischen Lage zur Verfügung hätten. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
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Wenn Sie schon dem Chef des RKI, Herrn Wieler, keinen Glauben schenken wollen, der nun wirklich unverdächtig ist, Parteipolitik machen zu wollen, dann glauben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vielleicht Ihrem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach; ich habe ihn ja schon vor einer Woche hier adressiert. Herr Lauterbach hat gestern noch einmal gesagt: Wenn 2 G nicht wirken sollte, dann werden wir einen Lockdown benötigen. – Und Herr Drosten hat uns in der Anhörung am Montag gesagt, 2 G werde aus seiner Sicht nicht ausreichen. – Das möchte ich mal feststellen.
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Herr Luczak?
Ich möchte das gerne noch ausführen. – Das sind Ihre Experten, Herr Lauterbach. Herr Drosten, den Sie in die Anhörung gerufen haben, sagt Ihnen, Ihr Gesetzentwurf werde nicht ausreichen, weil nämlich genau das, was ich ausgeführt habe, alles nicht möglich sein wird. Nach Ihrem Gesetzentwurf wird es nicht möglich sein, Restaurants zu schließen. Nach Ihrem Gesetzentwurf wird es nicht möglich sein, die Gastronomie zu schließen. Nach Ihrem Gesetzentwurf wird es nicht möglich sein, Bars und Klubs zu schließen.
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Nach Ihrem Gesetzentwurf wird es nicht möglich sein, Veranstaltungen zu untersagen. All das wird nicht möglich sein.
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Sie wissen ja auch selbst, dass es nicht ausreicht. Im Hauptausschuss haben Sie schon angekündigt, dass Sie in zwei, drei Wochen wahrscheinlich werden nachbessern müssen.
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Das, was Sie an dieser Stelle machen, hat doch mit seriöser Politik nichts zu tun, meine Damen und Herren.
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Herr Luczak, erlauben Sie Zwischenfragen? Marco Buschmann und Karl Lauterbach haben sich gemeldet.
In welcher Reihenfolge ist mir egal, aber sehr gerne.
Wenn Sie erlauben, dann Herr Buschmann.
Den Herrn Kollegen Luczak, den wir ja für gewöhnlich als einen sachlich gut informierten Kollegen kennen,
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möchte ich fragen: Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass es nach neuem Recht natürlich möglich sein wird, Freizeitveranstaltungen zu untersagen und Freizeiteinrichtungen zu schließen, wenn die Landesregierungen dafür in die Landtage gehen? Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass Ihr Vorwurf, dass das nicht möglich ist, nur dann stimmt, wenn es sich um Landesregierungen handelt, die gegen den Willen ihres Landtags handeln wollen? Ad 1.
Ad 2 möchte ich Sie fragen: Wenn es denn so ist, was Sie ja hier sagen, dass Sie den Lockdown wollen,
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dass Sie pauschal Gastronomieschließungen wollen, dass Sie pauschal Schulschließungen wollen, warum wird das dann nicht von den Ministerpräsidenten in den Bundesländern gemacht, in denen die Lage heute am verheerendsten ist, nämlich in Sachsen und in Bayern?
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Lieber Herr Kollege Buschmann, ich kenne Sie ja schon seit Langem, wir schätzen uns auch gegenseitig, und Sie sind auch ein sehr guter Jurist. Deswegen wundert es mich schon ein bisschen, dass Sie ganz offensichtlich Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht richtig gelesen haben.
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In § 28a Absatz 8 steht nämlich genau das drin, was ich hier referiert habe: Wenn wir keine epidemische Notlage hier im Bundestag feststellen, dann haben die Länder zukünftig die Möglichkeit, in den Parlamenten bestimmte Maßnahmen zu beschließen.
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Ausgenommen, und zwar ausdrücklich ausgenommen, ist genau das, was ich gesagt habe.
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Es ist ausgeschlossen, dass Restaurants geschlossen werden, es ist ausgeschlossen, dass Veranstaltungen abgesagt werden.
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– Dann lesen Sie doch bitte schön Ihren Gesetzentwurf. Genau so ist es.
Und zu Ihrem Lockdown: Ich sage nicht, dass wir einen Lockdown wollen,
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ich weiß auch nicht, ob wir einen Lockdown brauchen – ich bin Jurist, ich bin kein Virologe –; aber ich kann Ihnen sagen: Wenn wir in zwei oder drei Wochen feststellen, dass die Inzidenzen noch weiter hochgegangen sind, dann brauchen wir dieses Instrumentarium. – Wir haben eine Inzidenz von 337, wir haben 65 000 Neuinfektionen. Das bedeutet, dass in wenigen Wochen über 500 Menschen gestorben sein werden; daran können wir nichts mehr ändern. Deswegen will ich, dass wir das ganze Instrumentarium zur Verfügung haben, das wir brauchen, um weitere Infektionen und damit Tote zu verhindern. Das ist der Punkt, um den es geht.
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Herr Dr. Luczak, erlauben Sie auch eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage von Professor Dr. Lauterbach?
Sehr gerne.
Herr Lauterbach.
Vielen Dank. – Herr Luczak, zunächst einmal: Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass ich sehr früh auf die jetzt kommende Welle hingewiesen habe. Das sage ich nicht aus Rechthaberei,
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sondern das sage ich, weil es in diesen Zusammenhang passt. Am wenigsten Erfolg mit meiner Überzeugungsarbeit habe ich bei den Ministerpräsidenten der Union gehabt. Ich habe zum Beispiel davor gewarnt, dass wir die Maskenpflicht in Schulen in Nordrhein-Westfalen aufheben, als die Zahlen schon wieder anstiegen.
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Ich habe durchgehend zu 2 G geraten. Das ist in keinem der Bundesländer, für die Sie sprechen, eingeführt worden.
Somit frage ich Sie: Wenn Sie jetzt fordern, wir müssten Möglichkeiten haben, den Lockdown wieder einzuführen, wieso haben Sie sich denn dann nicht persönlich dafür eingesetzt, wenigstens 2 G zu einem Zeitpunkt einzuführen, als das noch geholfen hätte? Wir werden bald in eine Situation kommen, in der wir tatsächlich genau das machen müssen, was Herr Buschmann korrekterweise beschrieben hat. Wir werden in den besonders betroffenen Gebieten tatsächlich über lokale Schließungen nachdenken müssen, wenn wir es nicht anders in den Griff bekommen. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit.
Zum jetzigen Zeitpunkt hätten wir viel mehr Spielraum. Wenn Sie den Spielraum genutzt hätten, den wir Ihnen seit Wochen bieten – Sie hätten über Wochen hinweg helfen können; die epidemische Lage gilt ja –, dann wären wir gar nicht in die Situation gekommen, in die wir jetzt geraten sind.
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Lieber Kollege Lauterbach, mir, ich glaube, uns allen wäre viel mehr damit gedient gewesen, wenn Sie nicht bei den Ministerpräsidenten der Union, der SPD, der Grünen Überzeugungsarbeit geleistet hätten, sondern in Ihrer eigenen Fraktion. Das ist doch der Punkt.
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Sie legen uns hier etwas vor, was unzureichend ist. Sie sagen doch selbst: Wir brauchen möglicherweise einen Lockdown. – Sie haben es gerade bestätigt. Mit dem, was Sie uns jetzt vorlegen, mit Ihrer Verweigerung, die epidemische Lage zu verlängern, schließen Sie genau das aus.
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Deswegen ist Ihre Argumentation in sich brüchig, sie ist widersprüchlich, und sie ist nicht glaubwürdig. Das muss ich Ihnen einfach sagen, Herr Kollege. Ich schätze Sie sonst; aber das ist nicht in Ordnung.
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Zum Schluss möchte ich noch eines sagen, weil die Bundesländer ja diverse Male angesprochen wurden. Wir wissen nicht, wie der Bundesrat morgen entscheiden wird. Aber ich kann Ihnen sagen: Wir als Union sind bereit, in der nächsten Woche sofort eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages durchzuführen und den Vermittlungsausschuss anzurufen,
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damit wir die Probleme bei dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf lösen können.
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Deswegen: Hören Sie auf mit Ihrer Parteipolitik. Werden Sie als Ampel Ihrer Verantwortung gerecht. Stimmen Sie der Verlängerung der epidemischen Lage zu.
Vielen Dank.
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Als letzter Redner in dieser Debatte hat für die SPD-Fraktion Dirk Wiese das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem, was wir heute über wirksame Instrumente, die jetzt durch den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden, diskutiert haben, bin ich Sepp Müller sehr dankbar. Denn Sepp Müller hat in seiner Kurzintervention oder Zwischenfrage noch einmal auf eines hingewiesen: Das Entscheidende, um aus dieser Pandemie zu kommen, ist das Impfen.
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Wir alle zusammen müssen das Impfen beschleunigen. Wir müssen das Boostern voranbringen. Das ist eine Verantwortung, die wir alle haben: im Deutschen Bundestag, in den Bundesländern und in den Kommunen. Da müssen wir vorankommen.
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Ich muss einmal deutlich sagen: Herr Sichert, eine Fraktion, die es bei der Lage, in der wir uns befinden – in einigen Regionen ist sie dramatisch –, nötig hat, zum Teil auf der Tribüne im Deutschen Bundestag Platz zu nehmen, die hat den Ernst der Lage nicht verstanden.
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Ich sage Ihnen das ganz deutlich und zitiere Albert Einstein: Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei der menschlichen Dummheit bin ich mir noch nicht ganz sicher.
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Das hat der Beitrag von Herrn Sichert gezeigt. Das muss ich so deutlich sagen.
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Das war faktenfrei, und es zeigt: Da, wo Sie gute Wahlergebnisse erzielen, ist die Impfquote unten. Sie tragen durch Ihre Politik Mitverantwortung für diese Situation, in der wir uns in einigen Bundesländern befinden.
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Jetzt muss ich zu den Kolleginnen und Kollegen der Union und Ihren Redebeträgen noch einiges sagen. Frau Dr. Leikert, Herr Dr. Luczak, Sie kennen eindeutig die Gesetzesvorlage nicht. Das muss ich so deutlich sagen.
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Das, was Sie hier streuen, sind Falschinformationen. Diskotheken und Klubs können nach der Rechtslage, die wir auf den Weg bringen, von den Ländern geschlossen werden. Alles, was sie hier suggerieren, ist falsch.
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Ich muss das deutlich sagen: Ich habe diese Woche im Hauptausschuss erlebt, dass Sie einen Änderungsantrag auf Verlängerung der Frist, der Übergangsregelung eingebracht haben. Das war ein sinnvoller Vorschlag. Wir sind dem auch gefolgt. Danach haben Sie Anträge eingebracht, dass Sie das Wort „insbesondere“ zusätzlich drinhaben wollen.
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Das haben Sie auf den Weg gebracht. Wenn Sie aber nun sehen, dass über die Länderöffnungsklausel der Absatz 1 aktiviert werden kann mit dem Wort „insbesondere“, dann ist auch dieser Punkt in dem Gesetz rechtstechnisch drin.
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Das heißt, Sie haben gar keine Argumente mehr, warum Sie fachlich nicht zustimmen. Das, was Sie hier abziehen, ist rein politisch.
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Ich sage das ganz deutlich: Das, was Sie als CDU/CSU hier heute machen – und das zeichnet sich, glaube ich, schon ab für die Arbeit der kommenden vier Jahre in der Opposition –, geschieht nach dem Motto „Erst die Partei, dann das Land“. Das, was Sie machen, ist unverantwortlich.
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Herr Wiese, ich habe mehrere Anfragen für eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung: einmal von dort oben, von der AfD-Fraktion. Würden Sie die Frage oder Bemerkung zulassen?
Das hat keinen Mehrwert in der Debatte heute.
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Dann habe ich eine Zwischenfrage von Herrn Luczak aus der CDU/CSU-Fraktion. Würden Sie die zulassen?
Sehr gerne.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wiese, dass Sie die Frage zulassen. Ich habe ja gerade schon gesprochen. Ich hätte mich daher eigentlich auch nicht mehr gemeldet, aber das, was Sie hier sagen, kann nicht unwidersprochen bleiben.
Wenn Sie jetzt sagen, wir hätten Ihren Gesetzentwurf, Ihre Änderungsanträge nicht gelesen, dann muss ich jetzt einmal daraus zitieren. In § 28a Absatz 8 IfSG, so, wie Sie ihn jetzt vorgelegt haben, steht drin, dass nach dem Ende der epidemischen Notlage Maßnahmen möglich sind, wenn die Landesparlamente diese entsprechend beschließen. Dann heißt es weiter: Folgende Schutzmaßnahmen sind ausgeschlossen: „die Untersagung von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen“.
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Dann heißt es weiter: Auch die in Absatz 1 Nummer 14 genannten Einrichtungen – das sind die Gastronomie, die Bars und die Klubs – werden zukünftig nicht geschlossen werden können.
Das Einzige, was möglich ist – deswegen streuen Sie den Leuten bitte nicht Sand in die Augen –, ist, dass ein Gesundheitsamt in einem konkreten Einzelfall eine bestimmte Bar schließt. Das ist etwas völlig anderes als eine generelle Untersagung, die wir aber möglicherweise brauchen.
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Herr Kollege Dr. Luczak, das ist falsch, und das sage ich hier auch noch mal eindeutig.
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Ich kann – dann kommen wir in eine juristische Debatte – Ihnen gerne die Lektüre des Kommentars zum Infektionsschutzgesetz empfehlen, den teilweise Mitarbeiter aus dem Bundesgesundheitsministerium und aus dem Bundesinnenministerium verfasst haben. Das, was ich gerade hier geschildert habe, steht dort eindeutig. Wir können gerne gleich zusammen da reinschauen.
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Ich gebe Ihnen noch einen Hinweis zu dem, was wir gemacht haben. Wir haben die kapazitären Beschränkungen verschärft. Das heißt, Sie können auch für diese Bereiche die kapazitären Beschränkungen fast gegen Null fahren. Sie können in den Bereichen gleichzeitig 2 G Plus anordnen. Wenn Sie einen flächendeckenden Lockdown wollen, dann müssen Sie das hier konkret sagen und sich nicht rausreden.
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– Sehr geehrter Herr Dobrindt, ich muss Ihnen mal eines sagen:
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Aktuell, während ich hier am Podium stehe, gilt die derzeitige Rechtslage. Ihr Ministerpräsident in Bayern hätte handeln können. Er hat nichts getan. Er hat nichts auf den Weg gebracht.
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Er ist verantwortlich für die Situation im Freistaat Bayern. Dass Sie sich hier rausreden wollen und mit dem Finger auf den Bund zeigen, ist unredlich und verantwortungslos.
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Für das, was in Bayern stattfindet, trägt Markus Söder die Verantwortung. Er hat es unterlassen, zu handeln, und das muss man hier mal sehr deutlich sagen.
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Ich komme zum Schluss. Das Wichtigste habe ich am Anfang gesagt: Das Entscheidende ist Impfen, Impfen, Impfen. Ich sage allen Bundesbürgern, die jetzt zuschauen: Lassen Sie sich impfen. Gehen Sie zu den Impfzentren. – Das müssen wir voranbringen; denn das ist der einzige und entscheidende Weg, um aus dieser Situation rauszukommen.
Vielen Dank.
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Soll das der Antrag auf eine Kurzintervention sein? Verstehe ich den Zwischenruf richtig? – Dann hat jetzt das Wort für eine Kurzintervention aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Rottmann.
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– Frau Haßelmann ist PGF und hat mir das gerade zugerufen.
Insofern gibt es jetzt eine Kurzintervention der Kollegin Rottmann aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. – Es geht ganz schnell. Ich lese aus der Begründung zu Absatz 8 vor:
Möglich bleiben danach unter den Voraussetzungen des Absatzes 8 Untersagungen und Beschränkungen von Freizeitveranstaltungen (z. B. Weihnachtsmärkte) nach Absatz 1 Nummer 5
Ausdrücklich möglich, weil wir dies auch nicht eingeschränkt haben, bleibt die Untersagung von Kulturveranstaltungen; dies ist zu meinem Bedauern, aber so ist es.
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– Eine mögliche Untersagung von Sportveranstaltungen ist enthalten, nur Sportausübung nicht.
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– Doch, ich habe es Ihnen gerade vorgelesen. Hören Sie halt zu, Herr Frei. Ich lese es Ihnen gern auch noch mal à deux vor.
Danke schön.
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Ich lasse jetzt noch eine weitere Kurzintervention zu, ich glaube, von oben, von der Tribüne. Diese ist von der AfD-Fraktion beantragt. Herr Bochmann, richtig?
Korrekt.
Danach antwortet, wenn er möchte, der Abgeordnete Dirk Wiese, weil das zu seiner Rede war.
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Ich bin vorhin ja nicht gehört worden und durfte meine Frage an Herrn Wiese nicht stellen.
Ich gebe vor der Abstimmung zu bedenken, dass sich jeder Abgeordnete hier im Haus dessen bewusst sein sollte – das wäre mein Wunsch –, dass er, wenn jemand nachweislich durch die Impfung zu Tode kommt, dafür persönlich in seinem Wahlkreis die Verantwortung übernehmen muss und sich den Angehörigen, den Verbliebenen gegenüber stellen muss.
Danke.
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Ich gebe zuerst Dirk Wiese das Wort, wenn er darauf antworten möchte.
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– Herr Luczak bekommt gleich auch noch das Wort, aber zuerst kommt Herr Wiese als Redner von gerade eben dran. Danach darf Herr Luczak, weil er direkt angesprochen worden ist, auch noch einmal Stellung nehmen. – Herr Wiese.
Erst einmal möchte ich der Kollegin Rottmann in allen Punkten zustimmen.
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Ihre Ausführungen sind juristisch völlig korrekt und sind dahin gehend richtig, was nach der Rechtslage, wenn wir sie so beschließen, zukünftig möglich sein wird.
Dann möchte ich gerne auf die Bemerkung des Kollegen auf der Tribüne eingehen. Sie haben von Verantwortung gesprochen. Sie mit Ihren „faktenbasierten“ Informationen tragen aber auch Verantwortung, und zwar für die ganze Zahl von Ungeimpften. Wenn wir uns die Inzidenz in Sachsen und in Bayern anschauen, dann sehen wir, dass die Inzidenz bei den Geimpften bei unter 100 liegt, bei denjenigen, die ungeimpft sind, bei weit über 1 000. Wir sehen schwere Verläufe bei den Ungeimpften, die Sie auch noch darin bestärken, dass sie sich nicht impfen lassen sollen. Sie tragen die Verantwortung für diese schweren Verläufe, für die vielen Toten, die wir momentan sehen! Das ist Ihrer Politik in den Regionen geschuldet. Da tragen Sie als AfD eine Mitverantwortung.
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Da Herr Luczak von Frau Rottmann gerade direkt angesprochen wurde, erteile ich ihm das Wort.
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Vielen Dank. – Auch auf die Gefahr hin, dass es jetzt hier zu einem juristischen Symposium wird, noch einmal: Frau Rottmann, das kann man so nicht stehen lassen. Sie wissen ganz genau, dass die Begründung eines Gesetzentwurfes und zumal eines Änderungsantrages etwas ganz anderes ist als der Text des Gesetzes.
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Im Text des Gesetzes steht ausdrücklich, dass es ausgeschlossen ist – noch einmal: ausgeschlossen! –, dass Veranstaltungen untersagt werden, dass es ausgeschlossen ist, dass Gastronomie, dass der Betrieb von Bars und Klubs untersagt wird. Sie kommen nicht umhin, das anzuerkennen, auch nicht mit Ihrem fragwürdigen Verweis auf die Begründung, was an Einschränkungen doch noch möglich ist. Sie schreiben in Ihrem Entwurf etwas von Weihnachtsmärkten. Die Hotspots sind doch die Bars und die Klubs, und die zu schließen haben Sie ausdrücklich ausgeschlossen.
Deswegen noch einmal: Streuen Sie den Menschen hier nicht Sand in die Augen! Sie beschneiden den Instrumentenkasten und setzen damit die Gesundheit der Menschen aufs Spiel!
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Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt endgültig geschlossen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erinnern wir uns zurück an den Juni des letzten Jahres, daran, was damals war: Wir hatten einige Monate Lockdown hinter uns. Die Wirtschaft war abgestürzt. Wir wussten, wir mussten ein Konjunkturpaket auflegen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Gemeinden und die Bürger sollten investieren, damit die Wirtschaft nicht zusammenkracht und all das, was uns die Pandemie auch finanziell kostet, irgendwie noch bezahlbar bleibt.
Da wir wussten, dass der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung kommt und die Kommunen investieren müssen in ein Ganztagsangebot für Grundschulkinder, woran sich der Bund mit einem großen Beitrag beteiligt – 2 Milliarden Euro waren im Koalitionsvertrag vereinbart; im Rahmen des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets haben wir ihn auf 3,5 Milliarden Euro aufgestockt –, haben wir gesagt: Kommt, Kommunen, investiert jetzt! Wir ziehen 750 Millionen Euro vor. Investiert, seid mutig! Wir wissen, ihr habt auch Angst in der Krise, eure Einnahmen sind auch geringer, aber wir brauchen euch. Nutzt die Gelder! Ruft sie ab! Investiert in die Ganztagsbetreuung!
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Nicht alle, aber viele Kommunen haben das auch gemacht; sie haben das genutzt.
Ein Konjunkturpaket heißt, man muss die Gelder schnell nutzen, man muss schnell anfangen, zu bauen, man muss das durchziehen. Deshalb war die Inanspruchnahme der Mittel auf Ende dieses Jahres begrenzt.
Wir alle wissen, es kam im Baubereich zu erheblichen Verzögerungen und erheblichen Lieferengpässen bei zahlreichen Baumaterialien – aufgrund der Pandemie, aber auch durch andere Konstellationen weltweit. Das heißt, die Kommunen wurden nicht fertig; es wird immer enger. Ende des Jahres läuft die Frist ab. Und was ist? Wir müssen den Kommunen helfen, wir müssen die Frist verlängern.
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Das ist unverzichtbar für die Kommunen. Wir können ihnen nicht sagen: Macht, helft uns, helft den Familien, und wenn es aufgrund der allgemeinen Entwicklung nicht reicht, habt ihr Pech gehabt.
Wir haben deshalb letzte Woche einen Antrag eingebracht. Ich bin eigentlich sprachlos; man hat die Chance nicht genutzt – wir haben jetzt halt eine andere Mehrheit im Parlament und werden ja sehen, wie die Verantwortung für die Kommunen wahrgenommen werden wird –, man hat ihn verwiesen und letztlich wieder von der Tagesordnung des Hauptausschusses genommen. Der Antrag ist also in der Versenkung verschwunden.
Deshalb liegt heute hier dieser Gesetzesentwurf der Union vor, und ich flehe die Ampel an – der Start war nicht optimal, auch wenn Sie vielleicht viele auf Ihrer Seite haben und schön fest zusammenhalten, und nicht von Verantwortung in der Pandemie geprägt –: Ich hoffe, dass Sie jetzt Verantwortung für die Kommunen übernehmen. Die brauchen Sie, und die spüren auch, wer sie aus parteitaktischen Überlegungen verrät.
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Wir brauchen diese Planungssicherheit für die Kommunen; das ist essenziell. Ich hoffe, da beweisen Sie, dass Sie Verantwortung übernehmen.
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Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie. Das Wort hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Ulrike Bahr.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ja, wir übernehmen Verantwortung. – Es war ein schweres Stück Arbeit, ganz zum Ende der letzten Wahlperiode gemeinsam mit den Ländern den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter gesetzlich zu verankern. Bis zum September haben wir gebangt, ob der Vermittlungsausschuss noch einen guten Kompromiss verhandelt. Das ist zum Glück gelungen, und das ist gut; denn Eltern und Kinder warten sehr dringend darauf, dass es vorangeht. Nur mit verlässlichen und qualitätsvollen Angeboten können wir unsere Versprechen einlösen: mehr Chancen und Unterstützung für alle Kinder, unabhängig von den Möglichkeiten der Eltern, und zuverlässige Infrastruktur, damit Eltern Familie und Beruf besser unter einen Hut bekommen.
Bereits 2019 hatte das Bundeskabinett den größeren Teil des Sondervermögens für den Ausbau beschlossen. Mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemiefolgen hat der Bundesfinanzminister weitere, sofort abrufbare Mittel zum Ausbau zur Verfügung gestellt.
Der Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung und das weitere Gesetzgebungsverfahren haben sich aber quälend lange hingezogen – auch unter kräftiger Mitwirkung der Union und ihrer Minister/-innen in den Ländern, die offenbar nicht immer die Belange der Eltern und Kinder im Blick hatten. Kein Wunder also, dass uns jetzt die Zeit davonläuft und eine Fristverlängerung für den Abruf der Beschleunigungsmittel dringend angezeigt ist!
Und natürlich kommen auch noch Ursachen hinzu, für die niemand etwas kann: die Hochwasserkatastrophe in Teilen von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern, die viele Ressourcen sowohl in der Planung als auch im Bauhandwerk bindet, die Verteuerung und Verknappung von Baustoffen infolge gestörter Lieferketten, der Fachkräftemangel nicht nur bei den pädagogischen Berufen, sondern auch im Bauhandwerk, bei Bauplanern und in den Verwaltungen.
Darum ist eine Fristverlängerung bis Ende 2022 für den Abruf von Mitteln aus dem Beschleunigungstopf, wie sie der Gesetzentwurf verlangt, sicher sinnvoll.
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Ich frage mich nur: Warum wird ein Gesetzentwurf zur Fristverlängerung nicht vom Bundeskanzleramt freigegeben, sondern kommt jetzt holterdiepolter aus der Unionsfraktion?
In der Ampelkoalition, die hoffentlich in gut zwei Wochen an den Start gehen kann, haben wir viel vor, um Bildung und modernes Familienleben besser zu gestalten. Darum plädiere ich – und nicht nur ich – dafür, die Fristverlängerung nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen sehr schnell mit einem Entwurf der neuen Regierung auf den Weg zu bringen.
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Dann können eventuell gleich weitere Verbesserungen mit adressiert werden. Eine solche Fristverlängerung kann auch rückwirkend beschlossen werden. Wichtig ist mir nur das Signal an die Länder: Wir werden dafür sorgen, dass die Bundesmittel auch wirklich verplant und verbaut werden können. -
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Denn dann können auch die inhaltlichen und konzeptionellen Fragen mit mehr Energie adressiert werden.
Ich bin sehr positiv beeindruckt, dass sich inzwischen viele Fachverbände auf den Weg gemacht haben, ihre guten Konzepte weiter mit Leben zu füllen und in der konkreten Umsetzung zu erproben, was demnächst in der Fläche als gute Praxis angeboten werden soll. So hat der Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen, BVkE, zum Beispiel das Projekt „Zukunft Ganztagesbetreuung!“ mit Projektbeirat und wissenschaftlicher Begleitung gestartet. An zehn Modellstandorten in verschiedenen Bundesländern sollen Lösungen für die pädagogischen, strukturellen und personellen Herausforderungen erarbeitet werden.
Auch in meinem Heimatland Bayern bewegt sich etwas: Der Landesjugendhilfeausschuss hat Anfang November ein sehr gelungenes Papier mit Dimensionen und Leitgedanken zum gelingenden Ganztag für Grundschüler/-innen in Bayern beschlossen. Im Zentrum stehen dabei die Belange und Bedürfnisse der Kinder, daraus abgeleitet dann die Herausforderungen an die Akteure. Gut so!
Für meine Fraktion kann ich zusichern: An der Kofinanzierung des Bundes im vereinbarten Rahmen und an der Unterstützung im neugewählten Bundestag wird es nicht mangeln. Länder und Kommunen können sich darauf verlassen und so schnell wie möglich in die Planungen einsteigen;
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denn die Familien brauchen diese Angebote dringend.
Vielen Dank!
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für Bündnis 90/Die Grünen bekommt das Wort Ekin Deligöz.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es? In den letzten Zügen der letzten Wahlperiode haben sich Bund und Länder auf einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung geeinigt. Das war gut, und das war wichtig.
Der Weg dorthin war nicht ganz so einfach, und deshalb wurden ein paar Dinge dazwischen eingestreut. Das eine war, dass wir die meisten der Ausgaben in Höhe von 3,5 Milliarden Euro an den Rechtsanspruch gebunden haben, um dadurch auch einen gewissen Druck auszuüben, das andere war, dass es Beschleunigungsmittel gab, die von Anfang an zeitlich begrenzt waren, weil damit auch ein konjunktureller Auftrag verbunden war. Der Vorschlag, dass das Ganze begrenzt wird, kam ja aus Ihrer Fraktion, Frau Kollegin Launert, und der wurde dann umgesetzt. Damit sollte ja nicht nur die Konjunktur gestärkt, sondern durchaus auch ein gewisser Druck ausgeübt werden.
In dem Papier steht: Die Mittelvergabe ist befristet. Werden die Mittel nicht in Anspruch genommen, verfallen sie oder werden an andere Konditionen gebunden. – Das führt zu dem, was Sie jetzt richtig beschrieben haben: Die Kommunen können sich nicht darauf verlassen. Sie haben womöglich investiert, können aber das Geld nicht mehr in Anspruch nehmen etc. etc. – Das ist nicht neu und war von Anfang an sehenden Auges tatsächlich irgendwie impliziert und wurde so hingenommen. Also liegt es komplett nahe, dass wir jetzt eine gesetzliche Lösung schaffen, durch die die Mittel auch fließen können.
Wir haben den Rechtsanspruch, wir haben den Bedarf, wir müssen in die Infrastruktur investieren. Das ist nichts Neues; das ist unser Job. Das ist gut und richtig, und diese Koalition wird dafür auch eine gute Grundlage schaffen.
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Jetzt komme ich aber zu dem eigentlich spannenden Teil. Was macht die CDU hier mit dieser Vorlage? Was wollen Sie eigentlich?
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Man kann sagen: Eigentlich ist es sehr amüsant, dass ausgerechnet Sie damit kommen. Warum?
Erstens. Im Haushaltsausschuss war die CDU/CSU-Fraktion immer die Fraktion, die gesagt hat, dass die Bundesmittel an die Länder zu langsam und zu wenig abfließen – immer mit einem Subtext: Warum geben wir den Ländern überhaupt das Geld in diesem Bereich? Jetzt kann es Ihnen nicht schnell genug gehen. Sie haben die Bildungsministerin gestellt, damals wie übrigens im Augenblick immer noch.
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Diese hat sich aber null dafür engagiert, das hat sie gar nicht interessiert. Sie war nicht diejenige, die aufseiten der Kommunen gestanden hat.
Ich aber war diejenige, die sowohl hier als auch im Haushaltsausschuss immer wieder prophezeit hat, dass es genauso kommen wird. Was haben Sie gesagt? Nichts – das sind ja Konjunkturmittel, die kann man nicht verlängern, die müssen so sein. – Das war Ihr Vorschlag. Die ganze Zeit über haben Sie das verteidigt. Und jetzt plötzlich soll das falsch gewesen sein? Richtig: Damals wie heute war das falsch; nur, jetzt verstehen Sie es.
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Jetzt kommen Sie daher und sagen: Das muss jetzt alles ganz schnell gehen, eine Fristverlängerung muss kommen. Sie bringen hier einen Antrag ein, dann machen Sie es wieder anders, dann debattieren wir es mal und mal nicht, dann kommt in letzter Minute noch mal ein Gesetzentwurf: Sie versuchen, Ihre Oppositionsrolle zu finden.
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Das verstehe ich – man braucht eine gewisse Übergangszeit –, aber es bleibt Aktionismus.
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Denn auch jetzt setzen Sie auf Schnellschüsse. Sie sagen gar nicht, was am Ende herauskommen soll. Sie sagen gar nicht, was das Ziel, die Intention des Ganzen ist.
Deshalb bin ich froh, dass hoffentlich eine Regierung zustande kommt, die etwas mehr Weitblick hat als Sie, die über solche Fristgrenzen hinausdenkt, die sagt, worum es geht: um eine gute Ganztagsbetreuung für unsere Kinder, als Unterstützung für unsere Familien, mit einer hohen Qualität. Das braucht Finanzen, und das braucht auch Bundesgelder. Es ist unser Auftrag, das umzusetzen. Dafür brauchen wir eine Ministerin/einen Minister und ein Ministerium, die dahinterstehen, Parlamente, die das nicht nur als Konjunkturmaßnahme sehen, sondern als einen Bildungsauftrag, und entschlossene Abgeordnete, die dafür kämpfen. Was wir nicht brauchen, sind Showeinsätze. Das ist genau das, was Sie hier gerade produzieren.
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Vielen Dank.
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Die Redezeit war jetzt schon zu Ende, daher war es schwierig mit einer Zwischenfrage.
Ich hätte sie gern zugelassen.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erhält das Wort der Kollege Peter Heidt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Opposition hat man ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Anträge zu stellen. Man kann inhaltlich so arbeiten, dass auch eine Regierungskoalition sagt: Mensch, die haben sich Gedanken gemacht, die wollen das Land voranbringen; darüber wollen wir mal nachdenken. – Daneben gibt es Anträge, die eher verwaltungstechnischer Natur sind. Die Regierung hat wohl was übersehen, denkt die Opposition, und nach dem Motto „Oh, lieber Herr Lehrer, ich weiß etwas“ hat die CDU jetzt hier reagiert.
Die CDU/CSU weiß ganz genau, dass wir aktuell in Verhandlungen über eine Ampelkoalition sind. Diese Koalitionsverhandlungen werden wir auch in Kürze erfolgreich abschließen. Natürlich gibt es verschiedene Bereiche, in denen jetzt durch den Jahresablauf Fristen oder Maßnahmen verlängert werden müssen. Das wissen wir. Das machen wir auch. Dazu bedarf es nun wirklich keinerlei Hinweise aus der Union. Man könnte sarkastischerweise sagen: Die CDU/CSU kann es kaum erwarten, endlich Opposition zu sein. Geduld, in spätestens drei Wochen seid ihr es. Alles wird gut.
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Das von der alten Koalition verabschiedete Gesetz hatte ja doch Mängel; die Kollegin hat es ja gerade gesagt. Diese betrafen natürlich auch die Finanzierung; darauf haben wir hier im Bundestag – Bündnis 90/Die Grünen und wir Freien Demokraten – deutlich hingewiesen. Da ist ja dann im Vermittlungsausschuss auch einiges Positives geschehen.
Ich will es nur einmal sagen: Um den Betreuungsbedarf zu decken, müssen nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mindestens 1,1 Millionen Ganztagsplätze zusätzlich geschaffen werden, was jährlich 4,5 Milliarden Euro Personalkosten verursacht – eine gewaltige Summe. Insofern bleibt eine auskömmliche Finanzierung für uns Freie Demokraten auf der Tagesordnung.
Ganz genau genommen, hätte man die erforderliche Fristverlängerung bereits damals mit einbauen können; denn es war doch klar, dass die Frist 31. Dezember 2021 zu kurz ist. Man merkt diesem Gesetz insgesamt an, dass es in der alten Legislaturperiode quasi in letzter Sekunde noch schnell beschlossen worden ist.
Grundsätzlich hatte ich in der letzten Legislaturperiode schon den Eindruck, dass sowohl die Parteien der alten Koalition als auch die Parteien der neuen Koalition die Ganztagsbetreuung wollten. Aber irgendwie saß die Union immer im Bremserhäuschen; Sie haben es ja auch gerade gesagt.
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Es war nach meiner Auffassung auch die Union, die verhindert hat, dass hier ein wirklich gut finanziertes Gesetz gemacht worden ist. Dass jetzt ausgerechnet die Union die Partei ist, die uns belehren will, ist, vorsichtig ausgedrückt, erstaunlich.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Kollegin Launert?
Ja.
Ist Ihnen bekannt, dass es hier nicht um die generelle Finanzierung der Ganztagsbetreuung geht, sondern um die Verlängerung der Beschleunigungsmittel als Teil des Konjunkturpaketes?
Ist Ihnen bekannt, dass unser Antrag auf einem Drängen, einem Anflehen der Kommunen basiert, weil Ende des Jahres die Frist abläuft?
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Ist Ihnen bekannt, dass ein Konjunktureffekt natürlich nur dann möglich ist, wenn losgelegt wird, und nicht, wenn man drei Jahre Zeit einräumt?
Und ist Ihnen bekannt, dass es im letzten Halb-, Dreivierteljahr massive Verzögerungen im Bau gab?
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Ich weiß, dass viele Kommunen überlegt haben: Sollen wir das nutzen, ist die Zeit zu knapp oder nicht? Sie wussten, das hat diesen Konjunktureffekt, deshalb müssten sie schnell sein. Meine eigene Kommune hat gesagt: Wir trauen uns das nicht zu innerhalb der eineinhalbjährigen Frist. Andere Kommunen haben gesagt: Wir schaffen das, wir haben gute Leute an der Hand, die Betriebe machen das, wir haben Personal – das funktioniert.
Ist Ihnen bekannt, dass genau diese Verzögerungen beim Bezug von Baumaterialien, die außerordentlich waren – eine Ausnahmesituation –, gerade dazu geführt haben, dass einige Kommunen jetzt nicht fertig werden? Genau deshalb ist dieser Antrag in dieser Ausnahmesituation gerechtfertigt. Den hätten Sie letzte Woche abräumen können. Sie sind diejenigen, die hier parteipolitisch agieren.
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Wir handeln für die Kommunen. Bei Ihnen ist es eine Show, Sie sind noch in der Opposition. Das ist die Realität bei diesem Antrag und unserem Gesetzentwurf.
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Bleiben Sie bitte stehen, Frau Kollegin?
Also, Frau Kollegin, ich darf Ihnen an der Stelle zunächst einmal sagen: Ich bin Stadtverordneter in Bad Nauheim, ich bin Kreistagsabgeordneter im Wetteraukreis. Ich kenne die kommunalen Probleme; ich weiß das.
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Die Probleme, die Sie hier beschrieben haben, sind uns grundsätzlich bekannt. Wir werden diese Probleme auch lösen; aber wir werden sie intelligenter lösen als Sie. Das unterscheidet uns – erstens – von Ihnen.
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Das Zweite ist – darauf hat ja die Kollegin auch hingewiesen –: Sie hätten das in der alten Legislaturperiode alles lösen können – sie hat es doch ausdrücklich hier beschrieben; das kann man nicht besser beschreiben –, und das haben Sie nicht gemacht. Das ist auch mein Vorwurf. Sie als Regierung haben es in der alten Legislaturperiode nicht gemacht, und jetzt, wo Sie wissen, wir sind in Koalitionsverhandlungen, wollen Sie uns die Pistole auf die Brust setzen. Wir werden uns den Problemen ja zuwenden, aber – in Gottes Namen – es ist unser Recht, dies als Regierungskoalition zu machen. Das ist unser Recht, und das nehmen wir auch in Anspruch.
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Ich will an der Stelle auch deutlich sagen: Die Bildung spielt in den Koalitionsverhandlungen eine sehr große Rolle. Möglicherweise – das habe ich jetzt gerade schon angedeutet – können auch noch weitere Punkte geregelt werden. Es könnte sinnvoll sein, sämtliche Änderungen in einem Prozess durchzuführen. Diesen Prozess will die Ampelkoalition schnellstmöglich anschließen.
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Rein theoretisch könnten die Änderungen auch noch rückwirkend zum Ende des Jahres 2021 in Kraft treten. Aber die Botschaft heute an Länder und Kommunen ist klar: Die Ampelkoalition kümmert sich darum, sie können sich auf uns verlassen.
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Wir müssen ja täglich feststellen, wie überfordert unser Bildungssystem mit der Bewältigung der Coronakrise ist. Wir Freien Demokraten sind zutiefst davon überzeugt und arbeiten daran, dass der reine Betreuungsauftrag durch einen qualitativ hochwertigen Bildungsauftrag ergänzt wird, sodass Kinder auch nach dem regulären Unterricht gefördert werden. Wir werden den Ausbau der Ganztagsangebote mit einem besonderen Augenmerk auf die Qualität weiter unterstützen. Mit Ländern und Kommunen werden wir uns über die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbildung und ‑betreuung und der qualitativen Weiterbildung verständigen und unter Berücksichtigung der länderspezifischen Ausprägung einen gemeinsamen Qualitätsrahmen entwickeln. Wir wissen auch, dass gerade die Ganztagsbetreuung dazu beitragen kann, dass wir die Defizite, die in der Pandemie entstanden sind, gezielt wieder ausgleichen können.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum wiederholten Male diskutiert der Deutsche Bundestag über die Finanzierung der ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter. Diesmal geht es um eine Fristverlängerung für den beschleunigten Ausbau der Infrastruktur in der Ganztagsbetreuung. Das ist zunächst einmal zu begrüßen, aber Sie wollen mit dem Gesetz eine Betreuungslücke schließen. Diese Betreuungslücke – genau wie alle anderen bestehenden Mängel – haben Sie, die hier schon länger mit Ihren Parteien in Verantwortung sind, mit Ihrer verfehlten Familien- und Infrastrukturpolitik in Bund, Ländern und Kommunen über die letzten Jahrzehnte erst entstehen lassen.
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Sie verantworten zum Beispiel, dass beide Elternteile arbeiten müssen. Aus der Möglichkeit, zu arbeiten, ist für die Frauen längst eine Pflicht geworden. Es ist das Mindeste, was die Politik jetzt tun muss, die Vollzeit arbeitenden Eltern mit ihren Betreuungslücken nicht alleine zu lassen. Der Ganztag ist hier der naheliegende Schritt, wenngleich alles andere als optimal. Lassen Sie mich dazu etwas klarstellen. Ich weiß zwar, dass hier im Hohen Hause einige Lehrer anwesend sind, allerdings besitzen sie wohl aufgrund ihrer Berufspolitikerkarriere nicht allzu viel Unterrichtserfahrung. Das zeigt sich hier deutlich.
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Dass Schüler nach sechs Stunden Unterricht nach einer Mittagspause wieder im Gleichschritt effektiv lernen können, ist eine völlige Missachtung der Realität. Versuchen Sie einmal mit Grundschülern Unterricht am Nachmittag. Viel Spaß. Ich empfehle Ihnen ein Praktikum an einer Grundschule, am besten an einer Brennpunktschule.
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Nein, der Ganztag ist eine Zumutung für junge Kinder. Die kleinen Menschlein werden in einen Rhythmus gepresst, der ihnen Aktivitäten und Ruhepausen durchgetaktet vorsetzt: ohne nennenswerte Rückzugsorte, ohne Nestwärme und ohne enge emotionale Bindungen. Seien wir also ehrlich: Der Ganztag dient doch gar nicht den Kindern.
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Er dient in erster Linie der Förderung der Erwerbstätigkeit beider Elternteile.
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Weiterhin zerstört der Ganztag individuelle Freizeitaktivitäten: Musikschule, Sport, Vereine, THW, Freiwillige Feuerwehr. Das alles wird durch den Ganztag unglaublich erschwert. Diese Erfahrungen sind aber unverzichtbar für die Kinder und Jugendlichen und sind tragende Säulen unserer Gesellschaft.
Machen Sie aus Familien nicht einfach Wohn- und Sorgegemeinschaften, Personen, die einfach nur die gleiche Adresse haben. Familien sind so viel mehr als das. Tun Sie nicht so, als könne der Staat die Familie auch nur annähernd ersetzen.
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Corona hat uns das ganz deutlich gezeigt.
Deswegen sagen wir als AfD: qualitativ hochwertige Ganztagsangebote ja, aber auch in Zukunft nur freiwillig. Machen Sie unsere Gesellschaft lieber krisensicher. Gehen Sie mit uns zurück in die Zukunft, unterstützen Sie Familien.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Rechtsanspruch für Grundschulkinder sind enorm wichtig; denn in der Schule erreichen wir mit Bildungsangeboten alle Kinder und Jugendlichen und nicht nur einen Teil. Gerade Kinder in schwierigeren Lebenslagen bekommen über den Unterricht hinaus Förderung, erleben Gemeinschaft, Sport, kulturelle Angebote. Auch deswegen ist der Ganztag so wichtig. Aber dazu müssen die Schulen natürlich auch in die Lage versetzt werden, gute moderne Ganztagsschulen zu sein. Genau daran hapert es noch an vielen Stellen, und das darf nicht so bleiben.
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Das plötzliche Engagement der Union in dieser Frage kommt jetzt – sagen wir mal – ein wenig überraschend und ist auch nicht ganz glaubwürdig. Jetzt mal ganz ehrlich: Ganz lange Zeit war Ihnen als Union das Thema Ganztag überhaupt nicht geheuer.
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Nur auf gesellschaftlichen Druck hin haben Sie sich dann irgendwann doch noch bewegt und den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder im Koalitionsvertrag verankert.
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Aber dann, Frau Launert, brauchten Sie sage und schreibe drei Jahre – drei Jahre –, um das Ganztagsfördergesetz dem Bundestag vorzulegen. Erst jetzt, wo Sie auf der Oppositionsbank gelandet sind, wollen Sie mit dem Thema durchstarten. Das ist wirklich ganz großes Kino, Kolleginnen und Kollegen, aber eben nicht besonders glaubwürdig.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Launert?
Ja.
Also, ich will das so nicht stehen lassen, dass das Thema jetzt kommt, weil wir in der Opposition sind. Wir hatten das Thema im Wahlprogramm vor über vier Jahren. Wir haben dafür gekämpft. Wir haben schon längst unsere Meinung zu diesem Thema geändert. Sie kämpfen immer noch die Klassenkämpfe von vor über zehn Jahren. Bayern hatte das null blockiert. Bayern nicht, es war Baden-Württemberg. Darum hat es so lange gedauert. Schade, dass die ehemalige Familienministerin nicht mehr da ist. Sie kann es bestätigen. Es war Baden-Württemberg, das verhindert hat, dass wir diesen Rechtsanspruch durchbekommen haben. Wir waren es nicht. Kommen Sie nicht mit den alten Geschichten, die schon uralt sind. Das hat nichts mit Opposition zu tun. Es ist ein echtes Anliegen von uns. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie diese alten Geschichten immer wieder auftischen. Wir haben uns weiterentwickelt, weil auch wir sehen, dass es viele gibt, die dieses Angebot brauchen. Ihre Argumentation ist von vorgestern.
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Frau Launert, ich nehme Ihnen das persönlich auf jeden Fall ab. Ich freue mich auch darüber, dass die Union an dieser Stelle ihre Meinung korrigiert hat. Aber die Situation ist eben die – darauf habe ich hingewiesen –, dass es andere Parteien in diesem Hause gibt, die diese Position seit 20, 25 Jahren vertreten. Sie haben in den letzten vier Jahren einen Schritt nach vorne gemacht. Das möchte ich begrüßen. Sie waren 16 Jahre in der Regierung, und Sie haben, als Sie dieses Ziel im Koalitionsvertrag formuliert haben, noch einmal drei Jahre gebraucht, um es überhaupt anzugehen.
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Und wenn Sie jetzt hier schon die Bundesländer vergleichen: Der schlechteste Ausbau ist unter anderem in Bayern. Ja, das ist doch genau die Problematik, und zwar weil die CSU natürlich immer blockiert hat.
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Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen, und wenn Sie jetzt hier einen auf Tempo machen, dann freue ich mich, aber es ist nicht glaubwürdig. Dieser Tatsache müssen Sie sich erst mal stellen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Deligöz?
Nein, ich möchte jetzt erst einmal meinen Punkt fertig machen, dann vielleicht im Nachgang, wenn Sie das dann gestatten.
Sie hinterlassen, Frau Launert, nach 16 Jahren in der Regierung beim Thema Ganztagsbetreuung vor allem Baustellen. Es fehlen Erzieherinnen und Erzieher für den Hort. Es fehlen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für die Schule. Und es ist so einfach wie traurig: Ohne ausreichendes Personal gibt es auch keinen Ganztag. Wir brauchen also dringend vor allem eine Offensive des Bundes für mehr Personal. Wir brauchen auch verbindliche Regeln für die Qualität der Betreuung, zum Beispiel beim Betreuungsschlüssel, bei der Qualifikation des Personals. Der Sanierungsstau, den Sie hinterlassen, liegt bei über 40 Milliarden Euro. Viele Gebäude sind marode. Es fehlt den Schulträgern Geld für Honorare, für Materialien. Also, ich sag einmal so: Die neue Ampelkoalition hat einiges vor sich. Ich hoffe, Sie packen das, was die Große Koalition liegen gelassen hat, dann endlich an.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU/CSU-Fraktion bekommt jetzt das Wort die Kollegin Silvia Breher.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schön, und es ist auch wichtig, dass wir über den Ausbau der Ganztagsbetreuung und den Weg, auf dem wir ihn hinbekommen, diskutieren. Aber darum geht es heute in diesem Gesetzentwurf nicht.
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Wir haben im Rahmen des Konjunkturprogramms – das hat meine Kollegin Frau Launert schon ausgeführt – Mittel zur Verfügung gestellt für den beschleunigten Ausbau von Infrastruktur für die Ganztagsbetreuung; Mittelabruffrist Ende dieses Jahres, damit es schnell geht, damit Impulse in die Wirtschaft gehen. Und oh Wunder: Die Kommunen haben es angenommen. In meinem Wahlkreis zum Beispiel kann ich den Kommunen keinen Vorwurf machen, dass sie die Mittel bis Ende des Jahres nicht abrufen können. Allein der Runderlass aus Niedersachsen – SPD-Haus – kam Ende Januar, zehn Tage später war der Antrag der Gemeinde Essen gestellt, und dann hat es vier Monate gedauert, bis das SPD-Haus in Niedersachsen ihn beschieden hat. Dann wurde gebaut, und jetzt wird es nicht fertig, weil die Handwerker coronabedingt nicht so schnell sind, weil das Material fehlt. Jetzt gibt es eine ganz, ganz einfache Lösung für dieses Problem. Sie diskutieren über einen Grundsatz, und wir wollen nur dieses schlichte, einfache Problem lösen. Die Frist zum Mittelabruf einfach um ein Jahr zu verlängern, das ist Inhalt unseres Antrages,
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und darum geht es hier.
Herr Heidt, wenn Sie davon sprechen, Sie wollen das Problem intelligenter lösen, wäre es schön gewesen, Sie hätten Ihre Redezeit für einen intelligenten Vorschlag genutzt. Gehört habe ich ihn jedenfalls nicht.
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Wir können mit dieser Lösung auch nicht mehr warten, Frau Kollegin Bahr. Wann wollen Sie es entscheiden? Sie haben gesagt, nachdem der Kanzler gewählt ist, nachdem Sie ein Regierungsprogramm haben. Dann geht’s los? Frau Bahr, die Zeit haben wir nicht. Das Jahr geht zu Ende, und die Handwerker stehen heute unter Druck, und die Kommunen wissen heute nicht, wie sie diese Bauvorhaben fertigstellen können. Das heißt, das Signal „Ihr dürft die Mittel später abrufen“ brauchen wir heute und nicht irgendwann.
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Sie verschieben es, sie verschieben es wieder und wieder. Sie haben es von der Tagesordnung genommen. Und was sagt zum Beispiel Ihr SPD-Minister in Niedersachsen? Ich zitiere mal Ihren Kollegen Grant Hendrik Tonne aus Niedersachsen, der gesagt hat: Die Niedersächsische Landesregierung unterstützt ausdrücklich alle Initiativen zur Fristverlängerung,
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und sie wird eine Bundesratsinitiative zur Fristverlängerung einbringen. – Seien Sie doch mal schlauer, und machen Sie diese Bundesratsinitiative nicht mehr nötig. Es ist Ende November. Die Frist läuft ab.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deligöz?
Ja.
Frau Kollegin Breher, vielen Dank, dass Sie mir diese Zwischenfrage ermöglichen. – Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass aufgrund der Initiative, dass wir alle, aus allen Fraktionen, genau diese Frage gestellt haben, sowohl das Finanzministerium als auch das Familienministerium – anders als das Bildungsministerium, wo eine Antwort noch aussteht – uns bereits geantwortet haben, dass wir gar keine Frist in diesem Sinne setzen müssen?
Natürlich ist es möglich, jetzt das Geld auszuzahlen. Natürlich ist es möglich, darüber hinaus auch das Geld auszuzahlen, dass wir auch im Nachhinein eine rückwirkende Fristverlängerung machen und dass das Parlament, wenn es den Willen hat, die Mittel auszuzahlen, die Mittel auch auszahlen kann. Es ist möglich, dass wir ganz in Ruhe das Ganze auch auf gesetzliche Beine stellen, womit eine Verlässlichkeit für die Kommunen entsteht, nämlich über die nächste Frist hinaus zu planen, zu bauen und die Mittel entsprechend einzusetzen.
Wenn Ihnen das bekannt ist – wenn es Ihnen nicht bekannt ist, bitte ich Sie, die Antworten auf die Fragen Ihrer Fraktion zu lesen –, dann wundert es mich erst recht, warum Sie schon wieder für eine kurzfristige Lösung eintreten, anstatt eine richtige, verlässliche und nachhaltige Lösung vorzuziehen.
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Vielen Dank für diese Frage. – Man kann einiges machen. Aber der Druck in den Kommunen besteht heute, nicht erst morgen.
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Die Anträge für diese Mittel sind gestellt. Diese Anträge sind bewilligt.
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Diese Bauvorhaben laufen aktuell und werden nicht fertig. Das heißt, heute steht der Handwerker vor der Tür und weiß nicht, wie er es machen soll.
Was Sie machen können? Sie können viel. Aber werden Sie es dann auch tun? Das weiß der Handwerker heute nicht, das weiß die Kommune heute nicht, und die Kommunen brauchen heute unsere Hilfe, damit sie diese Mittel abrechnen können, und zwar sicher.
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Wenn Sie regieren wollen, dann machen Sie es richtig. Dann reden Sie nicht nur drüber, sondern dann packen Sie es auch an!
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Das Problem der Kommunen ist bekannt. Es ist so einfach zu lösen: einfach diese Frist verlängern. Jetzt werden Sie mal Ihrem Anspruch gerecht, den Kommunen wirklich zu helfen und was für den Ausbau der Ganztagsbetreuung zu tun. Diese Bauvorhaben sind am Start, und Ihre Zustimmung ist jetzt wirklich gefragt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin erhält Marja-Liisa Völlers für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Unionsfraktion mit dem Titel: Planungssicherheit für Familien und Kommunen – Frist für den beschleunigten Infrastrukturausbau in der Ganztagsbetreuung verlängern. Ein Thema, das laut den Kolleginnen der Unionsfraktion sehr wichtig ist, auf den Nägeln brennt. Dann gucke ich auf die Regierungsbank, und wen sehe ich da nicht? Die geschäftsführende Bundesbildungsministerin, Frau Karliczek. Stattdessen sitzt auf jeden Fall da Frau Lambrecht, die geschäftsführende Bundesfamilienministerin. Das finde ich spannend in der Debatte.
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Lassen Sie mich ein paar Punkte noch aufgreifen. Wir alle kennen diese Thematik, diese Problematik, die Sorgen und Nöte insbesondere unserer Kommunen. Ich habe dazu erst kürzlich mit meinem Bürgermeister telefoniert; die Kolleginnen und Kollegen haben ähnliche Gespräche geführt. Frau Deligöz und Frau Bahr haben eben auch schon ausgeführt, wie sich das gesamte Thema hier zusammensetzt.
Am Ende des Tages ist aber eines klar: Die zukünftige Ampel wird dieses Thema zeitnah adressieren. Wir werden dieses Problem lösen, gemeinsam lösen, und dann vor allem nachhaltig und langfristig positiv gestalten, damit zum Beispiel auch mein Bürgermeister Planungssicherheit hat.
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Meine Kommune, die Stadt Rehburg-Loccum, hat für die Grundschule in Rehburg auch so einen Förderbescheid zur Thematik des beschleunigten Infrastrukturausbaus erhalten. Mit dem Geld – darauf freuen wir uns alle schon – werden die Ausstattung der Lernwerkstätten und die Errichtung eines Musikraums gefördert werden; der Umbau der Aula wird kommen. All das ist gut und richtig. Aber auch Sorgen sind da.
Aber hier ist die Botschaft an alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, an die kommunalen Parlamente: Wir kümmern uns um das Thema. Die Schwierigkeiten werden behoben werden, und das Geld kann fließen. Die Baumaßnahmen können beendet werden.
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Am Ende des Tages wird damit auch etwas deutlich: wie wichtig das Thema Bildung für die zukünftige Ampelkoalition ist. Das sage ich als Lehrerin, als Bildungspolitikerin der SPD-Fraktion, der Partei, die seit vielen, vielen Jahrzehnten für Bildungspolitik, für den Aufbruch in dem Feld steht. Ich weiß aber auch, dass die Kolleginnen und Kollegen der FDP und auch von Bündnis 90/Die Grünen das große Anliegen haben, die Botschaft zu senden, dass Kinder, Familien, junge Leute die Zukunft unseres Landes sind und dass wir das gemeinsam angehen werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte abschließend noch zwei Punkte in der Thematik aufgreifen. Der erste Punkt wurde schon ein wenig von meiner lieben Kollegin Ulrike Bahr angerissen, und zwar: Wir sind ja hier nicht im luftleeren Raum miteinander. Wir haben in der letzten Wahlperiode eine Regierung gehabt, in der auch die Union ganz stark vertreten war, und Ihre Ministerinnen und Minister und – ja, insbesondere auch in Baden-Württemberg – die Landesminister haben es so lange verzögert, weswegen wir jetzt erst überhaupt mit dem Ganztag an den Start gehen konnten. Das ist auch ein Teil der Wahrheit, den man hier auch noch mal betonen muss.
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Der letzte Punkt; Frau Deligöz hat es gerade auch schon angerissen. Es gibt ja Anregungen aus dem Bundesfinanzministerium und auch aus dem Bundesfamilienministerium, diese Fristverlängerung schnell anzugehen. Und wer hat es blockiert? Das unionsgeführte Kanzleramt, meine Damen und Herren – das müssen wir auch noch mal ganz deutlich sagen –,
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mit der Begründung, die Bundesregierung sei ja nur noch geschäftsführend im Amt. Und dann kommen Sie hier heute mit dieser Schaufensterdebatte um die Ecke, um so zu tun: Wir kümmern uns um die Kommunen und die Familien. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist irgendwie ein bisschen albern. An der Stelle müssten Sie Oppositionsarbeit noch mal lernen.
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An die Kommunen und an die Familien sende ich als SPD-Abgeordnete abschließend folgende Botschaft: Die zukünftige Ampelkoalition wird sich zeitnah um die Verlängerung der Fristen kümmern und Sorge dafür tragen, dass das Licht für die Finanzierung der Ganztagsbetreuung im Grundschulalter auch zukünftig auf Grün gestellt wird. In diesem Sinne arbeiten wir gemeinsam weiter.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letzter Redner in dieser Debatte erhält Christian Haase für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen fest: In den letzten Jahren ist das Staatsgefüge in Deutschland immer enger zusammengewachsen. Es hat Mischverantwortung gegeben, Mischfinanzierungen gegeben. Ich glaube, es ist eine gemeinsame Aufgabe für die Zukunft, das wieder zu lösen. Wir als CDU/CSU stehen für eine klare Trennung der Aufgaben- und Finanzverantwortung zwischen den Ebenen in Deutschland.
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Deshalb an die Linken gerichtet: Bildungspolitik – ich habe zumindest aus den Ländern noch nichts anderes gehört – ist Aufgabe der Länder. Und wenn der Bund es an der Stelle gut meint, so wie beim Kitaausbau oder bei der Ganztagsbetreuung, gibt er Geld. Das machen wir richtigerweise, weil es eine wichtige Aufgabe ist. Die Verantwortung ist aber nach wie vor in den Ländern. Und deswegen: Reden Sie hier nicht immer so über Versäumnisse einer Bundesbildungsministerin. Nein, dafür ist sie nicht verantwortlich. Das sind die Bildungsministerinnen und ‑minister in den Ländern.
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Kommen wir aber zum Thema. Die Kommunen haben die sogenannten Beschleunigungsmittel gerne in die Hand genommen. Sie haben alles in Bewegung gesetzt, was sie tun können, haben fertige Planungen rausgeholt, haben mit den Unternehmen vor Ort gesprochen und haben sich gefragt: „Können wir die Mittel in dieser knappen Frist“ – die wir bewusst gesetzt haben, weil wir damit ja die Konjunktur ankurbeln wollten – „noch dieses Jahr ausgeben?“ Viele haben ihre Vorhaben im Vertrauen darauf im Frühjahr auf den Weg gebracht, haben Ausschreibungen gemacht. Sie wissen: Ab da lässt sich für eine Kommune nichts mehr aufhalten. Wenn Sie eine Ausschreibung rausgegeben haben, müssen Sie die Aufträge vergeben. Vergeben Sie die Aufträge, fangen die Mitarbeiter an zu bauen.
Sie wissen alle: Es sind die Störungen von Lieferketten dazugekommen. Baumaterialien sind nicht angekommen. Viele Baufirmen haben Gott sei Dank viel in dieser Zeit gearbeitet. Jetzt sind wir am Ende des Jahres, und jetzt, liebe Frau Bahr, muss in den Kommunen entschieden werden, ob sie noch die Mittel abrufen. Anfang Dezember haben die Kommunen die letzte Möglichkeit, zu sagen: Wir rufen jetzt die Mittel ab.
Nun hat man drei Möglichkeiten. Entweder sagt man den Mitarbeitern: Ich rufe jetzt die Mittel ab, und wir bekommen sie irgendwie bis zum Jahresende auch noch verausgabt, sprich: Wir geben den Baufirmen das Geld. – Oder man sagt – es gibt auch die ersten Kommunen, die das tun –: Das ist mir viel zu gefährlich, ich habe Angst davor, die zurückzahlen zu müssen; ich schiebe jetzt Investitionen, die ich eigentlich für das nächste Jahr vorhatte, auf, weil ich nicht mehr auf Fördermittel vertrauen kann. – Oder – auch das passiert jetzt –: Ich baue einen Zaun um meine Schule und sage: Vorbei mit Ganztagsbetreuung! – Damit hätten wir den Kommunen einen Bärendienst erwiesen. Ich glaube, das wollen wir alle nicht.
Deswegen habe ich im Oktober – jetzt gucke ich mal in Richtung der geschäftsführenden Bundesregierung – die Familienministerin angeschrieben, weil sie hier die führende Ministerin ist. Ich habe den Bundesfinanzminister angeschrieben – im Oktober, da war noch Zeit. Im Oktober hätten wir das locker über die Bühne bringen können. Es ist nichts passiert. Ich habe eine Antwort aus dem Familienministerium erhalten, die besagt hat: Wir kümmern uns um das Problem. – Aber es muss jetzt entschieden werden. Sie können nicht das Vertrauen, das die Kommunen möglicherweise in diese neue Regierung setzen, jetzt schon kaputtmachen. Handeln Sie!
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir werden heute mit der Zustimmung zur Bundeszuschussverordnung einen überfälligen Schritt machen. Wir werden 14 Milliarden Euro bereitstellen, um sicherzustellen, dass die GKV handlungsfähig bleibt, dass die gesetzlichen Krankenkassen insgesamt einen auf 1,3 Beitragspunkte gedeckelten Zusatzbeitrag durchhalten können und jetzt ihre Beiträge für das nächste Jahr in ihren Vertreterversammlungen festsetzen können.
Es geschieht auf den letzten Drücker. Das ist nicht gut nachvollziehbar, weil es eigentlich der alten Regierung und auch der alten Mehrheit hier im Hause gut angestanden hätte, das zu vollziehen und finanziell nachzuvollziehen, was sie bereits ins Gesetz gegossen haben.
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Insofern machen wir jetzt nachholendes Handeln; aber wir haben uns dem natürlich gerne angeschlossen, weil es wichtig ist, dass wir unsere gesetzlichen Krankenkassen handlungsfähig halten – gerade in diesen Zeiten, wo wir alle wissen: es kann jeden treffen, dass er das Gesundheitswesen in Anspruch nehmen muss – und dass wir dafür sorgen, dass das Gesundheitswesen funktionsfähig bleibt und auch verlässlich finanziert ist. Genau dieses Versprechen – das muss man leider sagen – hat die alte Regierung und Konstellation letztendlich – vorsorglich jedenfalls – nicht eingehalten. Wir werden ab 2023 eine Situation erleben, wo wir es mit einer großen Deckungslücke zu tun haben: 14 Milliarden Euro mindestens, wahrscheinlich mehr, beständig aufwachsend. Sie, Herr Bundesminister Spahn, haben uns also aus der letzten Wahlperiode ein sehr, sehr schweres Vermächtnis hinterlassen. Alle Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen und im Gesundheitsfonds sind geplündert. Da ist nichts mehr zu holen. Das heißt, wir werden als neue Konstellation dafür sorgen müssen, dass wir einen Weg finden, wie wir unsere gesetzliche Krankenversicherung so absichern, dass es nicht zu riesigen Beitragssprüngen kommt.
Die Mittel, die ab 2023 fehlen werden, entsprechen mehr als einem vollständigen Beitragspunkt. Das ist viel; das ist ordentlich viel. Das zeigt, wie stark der Handlungsdruck ist. Die neue Konstellation wird sich dieser Frage annehmen müssen. Sie wird gucken müssen, welche Aufgaben der gesetzlichen Krankenkasse übergeholfen wurden, die eigentlich gar nicht zu ihren Aufgaben gehören. Das ist das eine. Das andere ist: Wir müssen wichtige Strukturreformen auf den Weg bringen. Denn eins ist ja schon mal klar: Wir wissen, dass im Gesundheitswesen einiges effizienter aufgestellt sein müsste, einiges patientengerechter und insbesondere auch versorgungsgerechter aufgestellt sein müsste. Denn vieles bei der Behandlung älterer oder hochbetagter Menschen ist heute schlecht organisiert, schlecht abgestimmt, wenig koordiniert.
Wir werden in der Frage der sektorübergreifenden Versorgung vorankommen müssen, wir werden in der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe vorankommen müssen. Und: Wir haben eine Situation geerbt, in der wir wissen, dass wir die Berufe im Gesundheitswesen attraktiver machen müssen, dafür sorgen müssen, dass die Arbeitsbedingungen so sind, dass die Menschen gerne in diesem Beruf bleiben. All das werden wir in den nächsten Jahren angehen müssen. Sie haben uns also tatsächlich große, große Aufgaben ins Aufgabenheft geschrieben, Herr Minister. Wir werden jetzt sehen, wie wir das gemeinsam angehen. Wir Grüne möchten das natürlich mit einer stabilen gesetzlichen Krankenversicherung, die solidarisch finanziert ist, voranbringen. In diesem Sinne werden wir in den nächsten Monaten hier bei vielen, vielen Punkten Entscheidungen treffen müssen.
Danke schön.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin erhält Sabine Dittmar für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn wir heute angesichts rasant steigender Infektionszahlen neue, sehr einschneidende Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus beschlossen haben – 3 G am Arbeitsplatz, 3 G im öffentlichen Personennah- und ‑fernverkehr, verpflichtendes Homeoffice, stringentes Testregime überall dort, wo Menschen betreut, behandelt, gepflegt oder untergebracht sind –, gehört auch zur Wahrheit, dass wir im internationalen Vergleich unser Land bislang gut durch die Pandemie gesteuert haben. Richtig ist, dass wir unsere Lehren ziehen müssen – auch aus den windigen Maskendeals, dem zu langsamen Impftempo und manchmal unerträglichen Durcheinander unserer föderalen Vielstimmigkeit.
Das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren, Triage zu vermeiden, soziale und wirtschaftliche Folgen der einschneidenden Schutzmaßnahmen abzufedern, darauf war unser Hauptaugenmerk gerichtet. Olaf Scholz hat das Bild der Bazooka benutzt, um deutlich zu machen, dass wir weiterhin alle Mittel einsetzen werden, die erforderlich sind, um Corona die Stirn zu bieten. Er hat klargemacht, dass wir über die nötigen Mittel verfügen. Damit schafft er Vertrauen, Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und die Krisenfestigkeit unseres Staates.
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Der Internationale Währungsfonds berichtet, dass Deutschland mit seinen Coronaausgaben im Januar 2021 im Vergleich mit allen anderen Industrienationen auf Platz sechs lag. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gab kein EU-Mitglied mehr Geld zur Bewältigung der Krise aus als Deutschland.
Meine Damen und Herren, auch die gesetzliche Krankenversicherung hat in erheblichem Maße zur Krisenbewältigung beigetragen.
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Indem Schutzschirme über nahezu alle Leistungsbereiche gespannt wurden, haben wir die pandemiebedingten Folgen für die gesundheitliche Infrastruktur abgefedert. So wurden zum Beispiel Ausgleichszahlungen für Erlöseinbußen ebenso finanziert wie höhere Aufwendungen für persönliche Schutzausrüstungen und längeres Kinderkrankengeld. Wir haben einen Schutzschirm gespannt über Heilmittelerbringer, Rehaeinrichtungen und Einrichtungen des Müttergenesungswerkes.
Erst heute Morgen haben wir hier im Plenum wieder Versorgungsaufschläge für Krankenhäuser beschlossen, die Coronapatienten und ‑patientinnen behandeln. Der größte Teil dieser pandemiebedingten Zusatzausgaben wurde aus dem Bundeshaushalt finanziert, und dennoch blieben erhebliche finanzielle Belastungen für den Beitragszahler/die Beitragszahlerin der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Bundesrechnungshof nennt zum Beispiel die Ausgaben für mehr als 12 000 zusätzliche Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit, Prämienzahlungen an das Krankenhauspersonal und Aufwendungen für die Labordiagnostik von Coronatests. Allein im vergangenen Jahr beliefen sich diese Leistungen auf circa 2 Milliarden Euro. Die kommen natürlich allen zugute: den gesetzlich Versicherten und den privat Versicherten.
Neben den höheren Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die Coronamaßnahmen ist die gesetzliche Krankenversicherung in erheblichem Maße auch von geringeren Beitragseinnahmen betroffen. Hier geht der Bundesrechnungshof davon aus, dass allein im Jahr 2020 die Beitragseinnahmen um 4,2 Milliarden Euro geringer ausfallen, als vor der Pandemie prognostiziert wurde. Die Einnahmenrückgänge resultieren vor allem aus einem Rückgang der Beschäftigung, aus Kurzarbeit sowie erleichterten Verfahren zur Stundung von Beitragszahlungen.
Der Kassensturz bei der GKV sieht daher wie folgt aus: Die Ausgaben für Maßnahmen aufgrund unserer regulären Gesetzgebungsprozesse zur Verbesserung der Versorgung, die pandemiebedingten Zusatzausgaben und die pandemiebedingten Beitragsausfälle werden im Jahr 2022 ein Finanzloch von 7 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung verursachen.
Das heißt, ohne zusätzliche Finanzmittel des Bundes würde das eine durchschnittliche Steigerung der Zusatzbeiträge um 0,5 Prozentpunkte zur Folge haben. Dadurch wäre die deutsche Wirtschaft mit höheren Lohnnebenkosten konfrontiert, während sie sicherlich noch immer mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie belastet sein wird.
Auch um die wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden, hat die alte Bundesregierung die Sozialgarantie verlängert. Danach dürfen die Sozialversicherungsbeiträge im Jahr 2022 insgesamt nicht über 40 Prozent steigen.
Meine Damen und Herren, die SPD steht hier zu ihrem Wort: Wir sorgen für Kontinuität und dafür, dass auch die neue Bundesregierung die finanziellen Zusagen der alten Bundesregierung einhalten wird.
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Das Bundesministerium für Gesundheit wurde deshalb ermächtigt, bis zum 31. Dezember 2021 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und mit Zustimmung des Deutschen Bundestages einen ergänzenden Bundeszuschuss durch Rechtsverordnung festzusetzen, sodass die 40-Prozent-Grenze nicht überschritten wird, und genau das tun wir heute. Durch die vorliegende Verordnung stellen wir einen ergänzenden Bundeszuschuss in Höhe von 14 Milliarden Euro für die gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung.
Meine Kolleginnen und Kollegen, durch die Stabilisierung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2022 setzen wir unseren entschlossenen und erfolgreichen Kurs zur Krisenbewältigung fort. Der Bund leistet hier einen erheblichen Beitrag zur Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent und damit auch zu einer schnelleren Erholung der deutschen Wirtschaft nach der Pandemie.
Das Geld ist gut investiert. Damit stabilisieren wir die gesetzliche Krankenversicherung und sichern die gute gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Zeiten von Corona und darüber hinaus.
Ich bitte deshalb um Zustimmung zu dieser Verordnung.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes erhält das Wort Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Im Juli dieses Jahres hat die noch amtierende Regierung mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz in § 221a Absatz 3 Satz 3 SGB V festgelegt, dass ein ergänzender Bundeszuschuss für das Jahr 2022 in einer Höhe von weiteren 7 Milliarden Euro bereitgestellt wird.
Das Bundesministerium für Gesundheit wurde befristet bis zum Ende des Jahres – Frau Kollegin Dittmar hat schon darauf hingewiesen – ermächtigt, durch eine Rechtsverordnung – ich möchte das noch mal ausdrücklich betonen – im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und mit Zustimmung dieses Hohen Hauses einen abweichenden ergänzenden Bundeszuschuss festzusetzen. Dieser soll vor allem den durchschnittlichen Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 242a SGB V im Jahr 2022 bei einem Wert von 1,3 Beitragspunkten stabilisieren.
Meine Damen, meine Herren, nach Auswertung der Prognose des beim Bundesamt für Soziale Sicherung gebildeten Schätzerkreises zu den Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den Jahren 2021 und 2022 ergeben sich insbesondere durch die Covid-19-Pandemie in Verbindung mit der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise ein verändertes Gebührenaufkommen und damit ein veränderter, ein weiterer Finanzbedarf der gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2022.
Mit der Bundeszuschussverordnung wird nun der Zuschuss von ehemals 7 Milliarden auf 14 Milliarden Euro aufgestockt; das ist richtig und wichtig. Durch die Stabilisierung der Beiträge leistet der Bund nun einen erheblichen Beitrag zur Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent und damit einen wichtigen Beitrag zu einer schnelleren Erholung der deutschen Wirtschaft nach der Pandemie.
Meine Damen und Herren, im Jahr 2020 waren in der Bundesrepublik rund 73,36 Millionen Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Davon waren rund 57,14 Millionen Personen beitragszahlende Mitglieder und 16,22 Millionen beitragsfrei Versicherte, zum Beispiel mitversicherte Familienangehörige.
Mit diesem ergänzenden Bundeszuschuss stabilisieren wir die gesetzliche Krankenversicherung, sichern eine gute gesundheitliche Versorgung, gerade auch unter den schweren pandemischen Bedingungen, und helfen dem Großteil der Bevölkerung, indem wir sie auch im kommenden Jahr mit keinen zusätzlichen Erhöhungen in diesem Bereich belasten müssen; das begrüßen wir sehr. Mit der hier geschaffenen Maßnahme kurbeln wir nicht zuletzt auch die Wirtschaft wieder an. Der Konsum der gesamten Volkswirtschaft wird weiter angeregt. Außerdem können wir den Menschen etwas Sicherheit und finanzielle Stabilität zurückgeben, gerade jetzt, wo viele bei den steigenden Gas- und Ölpreisen Sicherheit so dringend benötigen.
Meine Damen und Herren, das Ziel, den durchschnittlichen Zusatzbeitrag und die Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren, ist von meiner Fraktion bereits in der vergangenen Legislatur nachhaltig verfolgt worden. Nun hat die hier unionsgeführte Gesundheitspolitik einen, wie ich finde, sehr guten Aufschlag für unsere Versicherten für das Jahr 2022 vorgelegt, der auch so vom Hauptausschuss angenommen wurde. Leider ist damit nur das kommende Jahr abgesichert. Wir hoffen, dass wir der künftigen Regierung hier ein gutes Beispiel geben konnten und dass sie sich bemühen wird, auch die nächsten Jahre krisenfest für unsere Beitragszahler zu gestalten.
Vertrauen, Zuversicht und Glaube an die Zukunft sind entscheidende Parameter in der jetzigen Zeit. Geben wir der Bevölkerung mit dieser Entscheidung genau dies mit in diesen schwierigen Winter.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Monstadt. – Nunmehr erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Karsten Klein.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute die Verordnung zur Festsetzung des ergänzenden Bundeszuschusses, weil wir uns darauf verständigt haben, dass wir mit weiterem Fortschreiten des Jahres und damit auch mit einem besseren Blick auf die aktuelle Coronalage und die Ausgaben und Einnahmen der Krankenversicherungen noch mal nachsteuern wollen.
Es sollen heute – das wurde schon gesagt – 7 Milliarden Euro zusätzlich an Bundeszuschuss für nächstes Jahr auf den Weg gebracht werden, in Summe dann 14 Milliarden Euro. Die Fraktion der Freien Demokraten unterstützt dieses Anliegen. Wir sind der Auffassung, dass es wichtig ist, den Krankenkassen Planungssicherheit zu geben. Und wir fassen diesen Beschluss in diesen Tagen auch im Hinblick auf die Zusatzbeiträge. Es ist wichtig, dass wir Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgeber/-innen in der Krise nicht mit weiteren Ausgaben belasten. Deshalb findet diese Verordnung unsere Zustimmung.
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Es soll an der Stelle aber auch darauf hingewiesen sein, dass wir in Summe in dieser Pandemie einen ergänzenden Bundeszuschuss aus Steuermitteln, also aus Zahlungen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, in Höhe von 30 Milliarden Euro auf den Weg bringen. Das macht, glaube ich, noch mal sehr deutlich, dass die Bundesebene in dieser Pandemie sehr engagiert an der Seite des Gesundheitssystems steht, gerade auch in finanzieller Hinsicht.
Es wurde schon darauf eingegangen, dass wir heute mit dem Versorgungsaufschlag für die Krankenhäuser, was die Sonderbelastungen bei der Behandlung von Coronapatienten angeht, einen weiteren Baustein beschlossen haben. Ich finde es gut, dass wir uns hier für ein neues System entschieden haben. Und es gibt eine ganze Reihe anderer Maßnahmen in dieser Krise, die zeigen, dass wir fest an der Seite der Gesundheitsversorgung stehen. Hierdurch wird das untermauert.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur gesamten Wahrheit gehört auch: Das Phänomen des steigenden Bundeszuschusses ist kein Phänomen, das uns nur in dieser Pandemie begleiten wird. Die Berechnungen des Schätzerkreises belegen ja deutlich, wohin die Reise geht. Wir erwarten in den kommenden Jahren bis zum Ende der Legislatur eine Ausgabensteigerung bei den Krankenkassen um circa 47,5 Milliarden Euro. Bei den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds und den Ausgaben ergibt sich am Ende eine Differenz in Höhe von 35,3 Milliarden Euro. Das zeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht.
Es gibt verschiedene Faktoren, die für diese Ausgabensteigerung verantwortlich sind. Der demografische Wandel ist ein bekannter Faktor; aber es gibt eben auch politische Faktoren. Zu den politischen Faktoren gehört – das kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr scheidender Minister Spahn – auch die Gesetzgebung, die Sie in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben. Die AOK hat 10 Milliarden Euro an Mehrausgaben für die gesetzlichen Krankenversicherungen in 2021 berechnet und 12 Milliarden Euro in 2022. Ich denke, es gehört zum Blick auf die Gesamtlage dazu, dass man darauf hinweist.
Ein weiterer politisch initiierter Faktor ist das Thema Krankenhausfinanzierung, also nicht der Bereich des Personals, sondern die Fragestellung: Wie ist die Infrastruktur, die Bausubstanz unserer Krankenhäuser? – Der Bund hat hier mit einem Modernisierungsprogramm 3 Milliarden Euro für die Digitalisierung zur Verfügung gestellt. Das ist zwar erfreulich, aber verantwortlich für Investitionen in die Bausubstanz sind die Länder. Es gibt einen Bericht des Bundesrechnungshofs, der den Finger in die Wunde legt und festgestellt hat, dass die Länder jedes Jahr 4 Milliarden Euro zu wenig in die Infrastruktur unserer Krankenhäuser investieren.
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Da geht es nicht nur um blanke Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern darum, dass Betriebsabläufe nicht mehr modern und optimal ablaufen können. Auch das ist ein Ausgabentreiber im Gesundheitssystem, der dringend angegangen werden muss.
Als Haushälter darf ich an der Stelle vielleicht noch mit einem kleinen Wink in Richtung Länder darauf hinweisen, dass die Länder mittlerweile mehr Steuermittel als der Bund vereinnahmen und dass die Länder schon in diesem Jahr auf Vorkrisenniveau sind, der Bund wahrscheinlich erst Ende 2022.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss mit der Aufforderung an die Länder, auch in diesem Bereich endlich ihrer Verantwortung nachzukommen. – Wir werden der Verordnung zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Als nächster Redner erhält für die AfD-Fraktion Kay-Uwe Ziegler das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Verordnung zur Festsetzung des ergänzenden Bundeszuschusses des Fünften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2022 zeigt deutlich, in welcher prekären Situation sich die gesetzlichen Krankenversicherungen und unsere Wirtschaft befinden.
Bereits im Juni dieses Jahres hatte der Gesetzgeber einen ergänzenden Zuschuss für das Jahr 2022 in Höhe von 7 Milliarden Euro festgelegt. Nach nun erfolgter Auswertung der Prognose des Schätzerkreises zu den Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den Jahren 2021 und 2022 ergibt sich insbesondere durch die Coronasituation in Verbindung mit der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise dringender Handlungsbedarf.
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Die Auswirkungen der in den beiden Coronajahren erlassenen Beschäftigungsverbote in vielen Berufsgruppen und die daraus resultierende Kurzarbeit von Millionen von Arbeitnehmern werden noch über viele Jahre nachwirken. Mit einem Ausgleich der bestehenden Defizite über ein deutlich steigendes Beitragsaufkommen ist also in naher Zukunft nicht zu rechnen.
Ohne die hier in der Verordnung zu beschließenden zusätzlichen Finanzmittel des Bundes für das Jahr 2022 wären erhebliche Zusatzbeitragssteigerungen zulasten der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erwarten. Zugleich wäre die gesamte deutsche Wirtschaft ohne diesen Bundeszuschuss mit deutlich höheren Lohnnebenkosten konfrontiert, während sie nach wie vor mit den einschneidenden wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Situation belastet ist. Der nun errechnete bzw. prognostizierte Mehrbedarf für die gesetzliche Krankenversicherung liegt nochmals bei 7 Milliarden Euro. Der Bundeszuschuss wird dadurch auf insgesamt 14,5 Milliarden Euro erhöht. Diese Anpassung ist erforderlich, um die durchschnittliche Beitragserhöhung bei 1,3 Prozent zu stabilisieren und zu begrenzen.
Obwohl wir der Überzeugung sind, dass der heute zu beschließende Bundeszuschuss mit nun insgesamt 14,5 Milliarden Euro wieder zu niedrig angesetzt worden ist, stimmt unsere Fraktion der hier vorliegenden Verordnung zu. Denn weder Arbeitnehmer noch Unternehmer dürfen in der momentan extrem belastenden Situation aus Corona- und Wirtschaftskrise, den rasant steigenden Energiepreisen und der galoppierenden Inflation mit zusätzlichen Kosten aus einer Erhöhung der Krankenkassenbeiträge belastet werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines dürfen wir niemals vergessen: Wir nennen das zwar hier und heute „Bundeszuschuss“, aber der Bund erwirtschaftet kein Geld; das machen die Steuerzahler da draußen. Geben wir ihnen heute ein Stück davon zurück.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Setzen Sie bitte noch Ihre Maske auf.
Das Wort erhält für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Wahlkampf erklärte der jetzige Schattenkanzler Lindner: Es gibt viel zu tun. – Das ist unbestreitbar richtig im Hinblick auf die Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Die Krankenhäuser sind dramatisch unterfinanziert. Die Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, sind am absoluten Limit, und viele von ihnen sind unterbezahlt. Das darf so nicht weitergehen.
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Um das hier ganz klar zu sagen: Wir brauchen nicht nur eine Finanzspritze, wir brauchen eine grundlegende Änderung der Finanzierung unseres Gesundheitssystems. SPD und Grüne haben den Wählerinnen und Wählern ein Ende der Zweiklassenmedizin versprochen. Damit könnte man ja heute starten. Also ist unser Vorschlag: Schaffen Sie sofort die ungerechte Beitragsbemessungsgrenze ab, und starten Sie mit der versprochenen solidarischen Bürgerversicherung.
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Ich bin ja sehr gespannt, ob es die Bürgerversicherung in den Koalitionsvertrag schaffen wird.
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Die Vermögensteuer haben Sie ja bereits nach der Wahl beerdigt. Ich kann Sie nur auffordern, nicht auch noch dieses Wahlversprechen zu brechen, meine Damen und Herren.
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Man muss es doch mal ganz anschaulich erklären: Derjenige, bei dem im Monat 10 000 Euro aufs Konto kommen, bekommt die Gesundheitsversorgung zum Schnäppchenpreis. Darum kann man die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze sofort beschließen, und zwar hier und heute.
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Wenn Sie sich dazu nicht durchringen können, dann heben Sie die Beitragsbemessungsgrenze doch wenigstens an.
Die Ampel geht offensichtlich – wie die abgewählte Regierung – den einfachen Weg: Sie lassen sich den Zuschuss von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bezahlen. Wir als Linke fordern eine solidarische Bürgerversicherung und die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze. So geht Solidarität.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nunmehr letztem Redner in dieser Debatte erteile ich das Wort dem Kollegen Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Bundeszuschussverordnung ist ein typisches Beispiel, bei dem ich als Münchner Abgeordneter eigentlich sagen würde: Megn dad i scho, aber woin dua i ned.
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Für Nichtbayern im Hohen Hause: Wir müssen kurzfristig so handeln, aber eine dauerhafte Lösung ist das nicht.
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Zusätzlich zu dem gesetzlich vorgesehenen Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro geben wir heute weitere 7 Milliarden Euro, insgesamt also 28,5 Milliarden Euro, frei, damit die gesetzliche Krankenversicherung ihre Ausgaben finanzieren kann und damit wir den Zusatzbeitrag für die Versicherten für 2022 bei 1,3 Prozent stabilisieren können. Die bekannte demografische Entwicklung, der medizinisch-technische Fortschritt, steigende Personal- und Sachkosten und nicht zuletzt die Coronapandemie bringen diesen Finanzbedarf einfach mit sich. Diese Zahl – 28,5 Milliarden Euro – muss man sich mal vor Augen führen. Im Vergleich: Die gesamten Staatsausgaben der Republik Slowenien für 2021 werden auf 25,3 Milliarden Euro prognostiziert. Wir in Deutschland müssen also mehr an Steuermitteln aufwenden, um den Zusatzbeitrag für die GKV-Versicherten stabil zu halten, als Slowenien 2021 insgesamt ausgibt.
Nach einem aktuellen, Anfang November veröffentlichten Gutachten der hochangesehenen Finanzwissenschaftler Professor Thiess Büttner und Professor Dr. Martin Werding würden bei dieser Entwicklung noch in dieser 20. Wahlperiode, bis 2025, zusätzliche Bundeszuschüsse in Höhe von 144 Milliarden Euro fällig, wenn die selbstgesteckte 40‑Prozent-Obergrenze für die Sozialversicherungsbeiträge weiterhin gelten soll. Ich hoffe, Sie haben sich die Prognosen und Szenarien der Professoren sehr genau angeschaut, liebe Kolleginnen und Kollegen von Links-Gelb. Dann wissen Sie, dass es eine Hauptaufgabe der künftigen Bundesregierung sein wird, dieser Entwicklung zu begegnen. Schaut man auf den Sozialetat im Finanzbericht 2022 des Bundesfinanzministeriums, so stellt man fest, dass der Etat für die soziale Sicherung mit insgesamt 848 Milliarden Euro schon heute mehr als die Hälfte der gesamten Staatsausgaben auffrisst. Dass dies dauerhaft nicht finanzierbar und zumutbar ist, liegt auf der Hand.
Klar ist doch: Ohne eine echte Strukturreform in der Finanzierung der Sozialversicherungszweige werden wir eine aus dem Ruder laufende Anhebung der Bundeszuschüsse nicht aufhalten, wenn wir gleichzeitig die Beiträge für die Versicherten stabil und zumutbar halten wollen. Wir müssen die Finanzlage der GKV dauerhaft, generationen- und systemgerecht stabilisieren.
Nach meiner festen Überzeugung müssen wir als Staat die GKV von Aufgaben und damit Ausgaben entlasten, die nicht originär in ihren Aufgabenbereich fallen, zu denen die GKV in den letzten Jahren aufgrund der guten Finanzlage zunehmend herangezogen worden war. Dies sind Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge des Staates, die nicht die Gemeinschaft der Versicherten per se zu tragen haben sollte. Offensiv stelle ich hier mal die Übernahme der versicherungsfremden Leistungen durch den Bundeshaushalt zur Debatte oder die Entlastung der sozialen Pflegeversicherung von der Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge der pflegenden Angehörigen.
Wir sollten auch über die vom GKV-Spitzenverband erneut geforderte Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und bestimmte Hilfsmittel von 19 auf 7 Prozent nachdenken. Allein dieser Schritt würde die GKV nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbands um rund 6 Milliarden Euro jährlich entlasten. Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht erklären, warum der Mehrwertsteuersatz bei einem lebensnotwendigen Medikament bei 19 Prozent liegt, bei einem Rennpferd aber bei 7 Prozent.
Meine Damen und Herren, mit vollem Herzen zustimmen zur Bundeszuschussverordnung 2022 kann ich nicht; zustimmen muss ich aber in Verantwortung für unser Gesundheitssystem und für unsere Patienten. Aber das Thema nach der Abstimmung ad acta zu legen nach dem Motto „Die Löcher sind gestopft; jetzt haben wir wieder Zeit für anderes“, wäre falsch und unverantwortlich.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Wir müssen eine langfristige Finanzierung des GKV-Systems finden, generationengerecht und stabil. Dafür bieten wir als CDU/CSU-Fraktion unsere konstruktive Mitarbeit an.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, als erster Redner in dieser Debatte erst einmal das Thema kurz zu umreißen: In der Umsatzsteuerpauschalierung, die der Gesetzgeber land- und forstwirtschaftlichen Betrieben unter bestimmten Voraussetzungen, die gerade noch einmal angepasst wurden, gewährt, erkennt die EU-Kommission unzulässige Beihilfen, und unser eigener Bundesrechnungshof sagt uns, dass diese Einschätzung nicht von der Hand zu weisen ist. Da die EU-Kommission bereits sowohl ein Vertragsverletzungsverfahren als auch ein Beihilfeverfahren eingeleitet hat, drohen nun erhebliche Prozessrisiken und Rückforderungen, insbesondere zum Schaden der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe. Der jetzt nur noch geschäftsführend im Amt befindlichen Bundesregierung ist es in den letzten vier Jahren nicht gelungen, sich auf eine Anpassung der Pauschalierung zu einigen, die den Gefahren, die in den Verfahren auf europäischer Ebene drohen, deutlich entgegentritt.
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Es ist jetzt einfach so: Wenn wir die Möglichkeit der Pauschalierung grundsätzlich erhalten wollen, was die Bürokratie bei den betroffenen Betrieben genauso wie für unsere Finanzverwaltung reduziert, und dabei die Verfahrensrisiken deutlich begrenzen wollen, müssen wir noch in diesem Jahr, also noch vor Bildung der neuen Bundesregierung – also heute –, dieses Gesetz verabschieden. Wir müssen den Satz, den die Betriebe in Rechnung stellen können, von 10,7 auf 9,5 Prozent senken.
Wir, die sogenannten Ampelparteien, haben das Vorhaben, das die Große Koalition in vier Jahren nicht hingekriegt hat, pragmatisch umgesetzt. Wir legen diesen Gesetzentwurf nun vor. Das hat Kompromisse erfordert. Nicht mit allem sind wir Freien Demokraten wirklich glücklich. Die Fristen sind jetzt alle sehr knapp. Die jährlich fällige Neuberechnung weist systematische Schwächen auf.
Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs und in der Sachverständigenanhörung Anfang dieser Woche haben Sie, geschätzte Kollegen der Union, mit Recht auf einige Probleme hingewiesen, die wir auch sehen. Im Hauptausschuss gab es dazu von Ihnen keine weiteren Fragen. Ich gehe also davon aus, dass Sie heute hier zustimmen, weil Sie das Prozessrisiko ähnlich wie wir einschätzen. Mit Fehleinschätzungen der europäischen Rechtslage haben Sie ja bei der Maut Erfahrungen gesammelt.
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Den Änderungs- und den Entschließungsantrag der anderen Oppositionsfraktionen lehnen wir ab, weil sie gerade die prozessualen Risiken nicht ausreichend berücksichtigen.
Wir sorgen jetzt dafür, dass den landwirtschaftlichen Betrieben die Möglichkeit der Pauschalierung erhalten bleibt. Wir sorgen dafür, dass sie europarechtskonform ausgestaltet und damit zukunftssicher gemacht wird. Wir sorgen auch dafür – das ist uns Freien Demokraten gerade vor dem Hintergrund der erkannten Schwächen sehr wichtig –, dass die künftige Festsetzung des Satzes in einem jährlichen formellen Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wird. Der Bundestag bleibt damit Herr des Verfahrens, genauso wie es zahlreiche Sachverständige bei der Anhörung am 15. November gefordert haben. Damit stellen wir auch für die betroffenen Betriebe größtmögliche Transparenz her.
Die Berechnung des Pauschalierungssatzes in § 24 Umsatzsteuergesetz hat in der Sachverständigenanhörung auch für Diskussionen gesorgt. Die Einbeziehung von Unternehmen in die Berechnung, die jetzt nicht mehr zu den Begünstigten zählen, führt möglicherweise für die betroffenen Betriebe zu Nachteilen. Ebenso führt die Umstellung des Pauschalierungssatzes während des laufenden Wirtschaftsjahres zu erheblichen buchführungsrelevanten Problemen. Bei künftigen Gesetzgebungsverfahren sollten diese Umstände stärker bedacht werden und für frühzeitigere parlamentarische Verfahren sorgen.
Des Weiteren wird mit dem Gesetz für bestimmte Einfuhren und Lieferungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie eine Steuerbefreiung eingeführt. Auch diese Anpassung wird von uns Freien Demokraten begrüßt.
Wir werden natürlich unserem Gesetzentwurf zustimmen.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste erhält das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Cansel Kiziltepe.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anpassung der Umsatzsteuer für unsere Landwirtinnen und Landwirte ist dringend notwendig. Das Thema wurde in den vergangenen Jahren leider immer wieder verschleppt, und die Verantwortung hierfür trägt die CDU/CSU-Fraktion. Da hilft es auch nicht, wenn Sie sich jetzt, wie auch in der Anhörung, als Opposition zu inszenieren versuchen.
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Eines ist klar: Wenn wir jetzt nicht handeln, dann drohen Rückzahlungen der Bauern in Höhe von bis zu 2 Milliarden Euro. Mit diesem Gesetz wollen wir das EU-Vertragsverletzungsverfahren und das EU-Beihilfeverfahren abwenden und für Sicherheit für unsere Landwirte sorgen.
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Wir als SPD-Fraktion wollen unsere Bauern schützen. Dafür werden wir den Pauschalsteuersatz von gegenwärtig von 10,7 auf 9,5 Prozent absenken. Wir folgen damit dem Weg von Bundesrechnungshof und Kommission. Dieser Weg ist der richtige Weg. Wir schaffen dabei nicht nur Rechtssicherheit. Wir nutzen auch den Spielraum aus, den uns die Mehrwertsteuerrichtlinie gibt. Wir arbeiten also im Sinne der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe in unserem Land.
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Umso mehr müssen wir vor den Märchen der Union warnen. Die CDU/CSU scheint an politischer Demenz zu leiden. Mit Scheinargumenten wird hier die Berechnungsmethode kritisiert. Dass diese Methode federführend aus dem Ministerium, aus dem Hause von Frau Klöckner kommt, scheinen Sie vollkommen vergessen zu haben.
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Auch dass die noch geschäftsführenden Minister von CDU und CSU im Kabinett zugestimmt haben, scheint sich in Ihrer Erinnerung in Luft aufgelöst zu haben.
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Ob Sie sich noch erinnern, dass Herr Merz sich mehrfach erfolglos für Ihren Parteivorsitz beworben hat, sei mal dahingestellt.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Ihre Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf zeigt lediglich eines: Sie haben die Gefahren des europäischen Vertragsverletzungsverfahrens nicht ernst genommen. Sie haben mit unseren Landwirten im Wahlkampf gespielt, und Sie scheinen das Ganze auch weiterhin nicht ernst zu nehmen. Das ist fatal.
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Sie können sich bei den Bauern vielleicht als Engelchen der Landwirte aufspielen. Aber Sie sind eben doch das Teufelchen, das die Landwirte die Zeche zahlen lässt.
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Das aber wollen wir nicht. Um genau das zu verhindern, wird das Gesetz zum 1. Januar in Kraft treten. Uns ist bewusst, dass dies eine Herausforderung für unsere betroffenen Landwirtinnen und Landwirte ist. Doch die Eile ist notwendig. Jede weitere Verzögerung würde signalisieren, dass Deutschland weiterhin das europäische Recht nicht anerkennen will, und das wollen wir nicht.
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Wir in der SPD stehen zu Europa, wir stehen für den Schutz unserer Bauern und zu unserer Verantwortung. Lassen Sie endlich diese Spielchen, und stimmen Sie heute diesem Gesetzentwurf zu.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Sebastian Brehm.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP ist noch nicht einmal im Amt, und schon geht es mit dem ersten Gesetzentwurf aus dem Hause Olaf Scholz den kleinen bäuerlichen Strukturen an den Kragen.
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Mit der heutigen Absenkung des pauschalen Mehrwertsteuersatzes von 10,7 auf 9,5 Prozent kommt es zu einem effektiven realen Einkommensverlust dieser Betriebe. Dieser Einkommensverlust beträgt bis zu 600 Euro im Monat und kann übrigens nicht kompensiert werden, weil die Lebensmittelpreise fixiert sind und weil die Kosten steigen, zum Beispiel für Energie und Kraftstoffe. Wenn Sie die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro einführen, wird sich das noch verschärfen. Das heißt: Teilweise sind diese kleinen Betriebe nur noch im Nebenerwerb zu führen.
Was ist aus den Forderungen in Ihren Wahlprogrammen geworden, liebe Koalitionäre? Die SPD schreibt, die Partei bekenne sich zu fairen Preisen für hochwertige Nahrungsmittel. Die Grünen schreiben, Bäuerinnen und Bauern müssten von ihrer Arbeit leben können, und fordern faire Bezahlung von Landwirtinnen und Landwirten. Die FDP sagt, Deutschland brauche eine zukunftsorientierte Landwirtschaft, die sich rechnet. Also, heute machen Sie genau das Gegenteil.
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Worum geht es im Einzelnen? Es geht um § 24 des Umsatzsteuergesetzes. Kleine Landwirte mit einem Umsatz bis 600 000 Euro können aus Bürokratievereinfachungsgründen pauschal 10,7 Prozent Mehrwertsteuer in Rechnung stellen und haben keinen Vorsteuerabzug wie buchführungspflichtige Unternehmen. Deswegen ist das, was Sie gerade erzählt haben, ein Märchen und völlig falsch. Wenn Sie den Satz senken, dann senken Sie automatisch auch die Einnahmen der kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe.
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Natürlich wissen wir, dass ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland von der EU angestrengt worden ist
({3})
und dass wir eine mögliche Privilegierung dieser Betriebe, also eine Besserstellung, prüfen müssen. Ansonsten käme es zu Rückforderungen gegenüber der Landwirtschaft, gerade gegenüber kleinen und mittleren Betrieben. Das gilt es natürlich zu verhindern.
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Diese Frage wurde von der Koalition eingebracht, verbunden mit der Forderung nach einer Berechnung, um zu prüfen, ob überhaupt eine Privilegierung vorliegt. Diese Berechnung sollte nicht aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, sondern aus dem Bundesfinanzministerium kommen, liegt aber nicht vor. Wir haben sie mehrmals angefordert. In der Anhörung haben sogar die Ihnen, sage ich mal, eher zugeneigten Experten gesagt, dass das Verfahren intransparent ist und dass die Berechnung überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Das heißt, Sie wissen gar nicht, ob der Satz gesenkt werden soll oder ob der Satz vielleicht sogar steigt; denn die Beschränkung auf die Gruppe der Landwirte mit einem Umsatz von weniger als 600 000 Euro führt vielleicht dazu, dass sich der Satz sogar erhöhen könnte. Insofern haben Sie handwerklich absolut schlechte Arbeit geleistet.
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Sie haben die Bauern aus meiner Sicht bewusst geschädigt. Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie jetzt auch noch die steuerliche Entlastung für Agrardiesel abschaffen wollen, wenn Sie auch noch die angekündigten Subventionen abschaffen wollen, dann ist eben nichts mehr mit der bäuerlichen Nahversorgung, dann ist auch nichts mehr mit der ökologischen Vielfalt, die Sie fordern. Dann wird es zu einer Industrialisierung der Landwirtschaft kommen, und die kleineren und mittleren Betriebe werden aussterben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist die Wahrheit.
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Ich glaube, Sie haben noch nie einen Jahresabschluss eines kleineren oder mittleren bäuerlichen Betriebs gesehen. Sie machen das doch alles theoretisch. Schauen Sie sich das doch einmal an!
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Sie haben null Komma null Empathie, Sie haben null Komma null Respekt vor den kleinen und mittleren Landwirten!
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Die machen Sie mit diesem Gesetz kaputt, und die FDP fungiert zum ersten Mal wieder als Steuererhöhungspartei.
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Wir lehnen diesen Gesetzentwurf heute ab, mit einem klaren Signal an die Landwirtschaft: Wir stehen zu den kleinen bäuerlichen Betrieben, und wir wollen ihre Strukturen erhalten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erhält jetzt die Kollegin Dr. Ophelia Nick von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich außerordentlich, heute hier in diesem Haus sprechen zu dürfen, und ich wünsche uns für die kommenden vier Jahre Mut und Entschlossenheit, die Lösung der vielen drängenden Probleme anzugehen; denn da ist viel liegen geblieben.
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Meine Damen und Herren, es geht heute um die Anpassung der Umsatzsteuerpauschalierung in der Landwirtschaft. Das klingt vielleicht für manche sehr technisch, aber es bedeutet für viele Bäuerinnen und Bauern konkrete, schmerzhafte Einschnitte im nächsten Jahr.
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Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Durchschnittssatz der Umsatzsteuerpauschalierung in der Landwirtschaft von derzeit 10,7 Prozent auf 9,5 Prozent absenkt. Die Landwirtinnen und Landwirte, die einen Umsatz von mehr als 600 000 Euro haben, müssen in die Regelbesteuerung wechseln.
Das Ausgangsproblem haben nicht wir hier erzeugt, sondern das war ein EU-Klageverfahren, das eingeleitet wurde, weil französische Milchviehhalter und Schweineerzeuger gegen eine Ungleichbehandlung geklagt hatten. Dann hat die EU das angemahnt, und es wurde eine Prüfung eingeleitet.
Meine Damen und Herren, die Anpassungen lassen sich vor diesem Hintergrund einfach nicht mehr vermeiden. Wenn wir das jetzt noch weiter verzögern, dann würden wir sogar die Pauschalierung der Betriebe, die unter einem Umsatz von 600 000 Euro liegen, gefährden, und das wollen wir nicht. Von daher ist es ein Kompromiss.
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Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es fehlen jetzt 95 Millionen Euro in den Betrieben. Das sind die Betriebe, die hohe Wertschöpfung haben, das sind viehhaltende Betriebe, und das sind Betriebe mit Sonderkulturen. Dazu kommt, dass die Einkommenssituation vieler landwirtschaftlicher Betriebe gerade wirklich extrem angespannt ist. Wir wissen das von den viehhaltenden Betrieben; jetzt betrifft es auch die Schweinebranche. Wir haben mit Corona zu kämpfen, die Schweinebranche dazu noch mit der Afrikanischen Schweinepest. Sie ist hochansteckend und tödlich. Das besorgt uns alle sehr und bedrückt die Betriebe. Deshalb schließen viele ihre Hoftore. In den letzten zehn Jahren haben 13 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe zugemacht.
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Überproportional viele davon waren viehhaltende Betriebe, nämlich 22 Prozent. Man muss sich einmal vorstellen, das wäre in einer anderen Branche der Fall. Was wäre denn da eigentlich los? Bei landwirtschaftlichen Betrieben, bei Bauernhöfen passiert das oft sehr leise.
Die Tierzahlen sind aber nicht gesunken. Ich habe es gesagt: Viele tierhaltende Betriebe haben geschlossen. Die Tierzahlen sind nicht gesunken; denn die Tiere sind in andere Ställe gekommen. Diese sind größer und voller geworden. Das können wir alle doch nicht wollen.
({4})
Wir brauchen die vielen Familienbetriebe, wenn wir den Umbau der Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, regionaler Erzeugung und Tierwohl voranbringen wollen. Deshalb ist es gut, dass wir die Pauschalierung für kleinere Betriebe erhalten werden, und deswegen stimmen wir Grüne auf jeden Fall gemeinsam mit SPD und FDP – und, ich hoffe, auch anderen – diesem Gesetzesvorschlag zu.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe einen engen Bezug zur Landwirtschaft. Ich denke auch unternehmerisch und weiß: Bäuerliche Betriebe wollen unternehmerisch handeln können. Aber zum Unternehmertum gehört es eben auch, dass die gesellschaftlichen Anforderungen auf den Höfen integriert werden. Das bedeutet Klimaschutz, das bedeutet Biodiversität, das bedeutet Tierwohl. Da müssen wir, die Politik, die Landwirtschaft begleiten.
({6})
Ich warne davor, dass wir im Modus der alten Koalition bleiben und die Probleme, die wir hier auf dem Tisch haben – oder auf dem Teller, um in dem Bild zu bleiben –, in die Zukunft verschieben. Wir müssen endlich ins Handeln kommen. Dabei ist unser Ziel zum Beispiel mehr Wertschöpfung durch Qualität. Wir brauchen gesundes Essen in den Regionen, wir brauchen regionale Versorgung. Wir haben heute über einen Ausbau der Ganztagsbetreuung gesprochen. Es kann uns nicht egal sein, was Kinder und Jugendliche auf ihrem Teller haben. Auch da ist wirklich viel zu tun; das ist liegen geblieben.
({7})
In den Betrieben, auf den Höfen – das weiß ich; mich haben viele schon letzte Woche angerufen – herrscht eine angespannte finanzielle Situation. Wir haben hohe gesellschaftliche Anforderungen und wollen die planetaren Grenzen einhalten. Damit können wir die Landwirtschaft nicht alleine lassen.
({8})
Wir Grüne stellen uns an die Seite der Bäuerinnen und Bauern und wollen sie bei der Bewältigung der Herausforderungen unterstützen und begleiten. Lassen Sie uns das doch bitte in den nächsten Jahren gemeinsam machen, Verantwortung übernehmen und gestalten. Denn es geht um die Wertschätzung der Menschen, die unsere Teller vollmachen. Deshalb will ich mich leidenschaftlich für die Belange der Landwirtschaft einsetzen.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Nick. – Als Nächster erhält für die AfD-Fraktion das Wort der Abgeordnete Klaus Stöber.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss mich schon wundern über die Äußerungen, die bisher zu diesem Gesetzentwurf getroffen wurden. Wir können froh sein, dass die Landwirte zu dieser Tageszeit arbeiten müssen und das nicht hören müssen; sie würden sich sonst wahrscheinlich aus lauter Verzweiflung vor den Mähdrescher werfen. Wenn man hier sagt, man vertritt die Interessen der Landwirtschaft, und sie gleichzeitig mit 95 Millionen Euro neu belastet, passt das, glaube ich, nicht so ganz zusammen.
({0})
Herr Kollege Görke, Sie hatten in der letzten Woche angemerkt, unsere Fraktion würde EU-Bashing betreiben. Das kann ich so natürlich nicht bestätigen. Ich denke, die EU hat genug Aufgaben, die sie eigentlich erfüllen könnte, zum Beispiel im Wirtschaftskampf mit Russland, den USA oder China. Aber sie konzentriert sich zu unserem Leidwesen darauf, uns mit Bürokratie zu belasten und insbesondere den Landwirten das Leben schwer zu machen. Vielleicht sollte der eine oder andere mal den Eid verinnerlichen, den Kanzler, Minister oder wir als Bundestagsabgeordnete geleistet haben: zum „Wohle des deutschen Volkes … seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“. Da steht nichts von Europa.
({1})
Aber wir wollen heute nicht über Europa sprechen, sondern wir wollen uns über die Fakten unterhalten.
Ich hatte schon in der letzten Woche in meiner Rede bemängelt, dass das Tempo, mit dem das Gesetz verabschiedet wird, unangemessen hoch ist; in der Sachverständigenanhörung am Montag war das das Hauptthema. Am 4. November wurden die Verbände angeschrieben. Am 5. November mussten sie schon eine Stellungnahme abgeben, also innerhalb von 24 Stunden. Die mündliche Anhörung erfolgte am 15. November, und heute, am 18. November, soll der Gesetzentwurf bereits verabschiedet und am 1. Januar 2022 in Kraft treten. Da das ein landwirtschaftliches Thema ist, könne man salopp sagen: Das Gesetz soll im Schweinsgalopp durch die Gremien gepeitscht werden.
Wenn ich dann im Entwurf lese, dass die internen Kosten der Unternehmen bei der Umsetzung in 180 000 Fällen bei 170 000 Euro liegen sollen, muss ich schon lachen. Das kann nur jemand geschrieben haben, der von der Praxis keine Ahnung hat. Eine solche Gesetzesänderung löst natürlich einiges aus. Die Rechnungslegung muss geändert und die Buchführungsprogramme müssen angepasst werden, es müssen Verträge bezüglich der neuen Umsatzsteuer teilweise rückwirkend geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Vielleicht muss sogar externe Beratung herangezogen werden. Das alles in drei Minuten für 1 Euro pro Fall! Das ist schon sehr realitätsfremd.
Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der vorsieht, dass diese Änderung nicht zum 1. Januar 2022, sondern erst zum 1. Juli 2022 in Kraft treten soll. Das würde auch mit dem abweichenden Wirtschaftsjahr, welches die meisten Landwirte anwenden, konform gehen. Das würde gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen – das war der zweite Kritikpunkt in der Anhörung am Montag –, dass die Berechnungsgrundlage des Durchschnittssatzes angepasst wird; denn es können nur die Unternehmen einbezogen werden, die unter 600 000 Euro Umsatz pro Jahr liegen. Das ist im Moment nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, ich weiß, bei Anträgen der AfD ist man meist skeptisch.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Der letzte Satz. Danke. – Aber es geht hier nicht um Migration oder Corona, es geht hier um unsere Landwirte. Deswegen bitte ich, dem Änderungsantrag aus Realitätsgründen zuzustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke erhält das Wort der eben angesprochene Kollege Christian Görke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute auf den letzten Drücker über ein Gesetz sprechen, das die Buchhaltung und die Kalkulation der Landwirte zum 1. Januar, also in sechs Wochen, in ein Chaos treiben würde, hat allein damit zu tun, dass sich die alte Bundesregierung nicht getraut hat, vor der Wahl zu handeln.
Seit Jahren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Problem bekannt. Schon im Zuge der Beratung des letzten Jahressteuergesetzes wurde hier darüber diskutiert. Jetzt muss ein handwerklich schlechter Gesetzentwurf innerhalb von einer Woche durchgedrückt werden, und das ist ein Armutszeugnis.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, aber auch der CDU/CSU-Fraktion, dafür tragen nach wie vor Sie die Verantwortung.
Interessant ist aber, dass der Gesetzentwurf die politische Farbenlehre hier durcheinanderwirbelt. Die CDU/CSU-Fraktion kritisiert den Entwurf, den sie mit ihrer noch geschäftsführenden Landwirtschaftsministerin mit dem grünen Stift eingebracht hat. Sehr geehrter Herr Kollege Brehm, konstruktive Opposition müssen Sie wirklich noch lernen.
({1})
Aber noch besser ist die Performance der FDP. Ich zitiere den Kollegen Lindner, der gesagt hat: mit uns keine Steuererhöhung. – Aber genau das bedeutet der Gesetzentwurf, und zwar durch die Hintertür.
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Denn auf Seite 2 steht schwarz auf weiß: 2022 80 Millionen Euro und satte 190 Millionen Euro Mehreinnahmen pro Jahr bis 2025, also Steuererhöhungen. Abgesehen davon, dass Sie in die Tasche der pauschalierenden kleinen Landwirte greifen, was ich nicht für angemessen halte, halte ich Steuererhöhungen aber für durchaus vernünftig; denn wir werden bald auch über die Finanzierung der Kindergrundsicherung reden.
Liebe Kollegen der SPD und der Grünen, da die FDP sich im Koalitionsbett schon fast am Horizont sonnt und sich ein bisschen flexibel zeigt: Haben Sie den Mut, machen Sie noch mal Druck! Vielleicht bewegt sie sich auch bei der Vermögensteuer; denn die brauchen wir in den Ländern, um die Bildungsinfrastruktur zu finanzieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kritik der Linksfraktion am Gesetzentwurf hat sich auch in einer Woche nicht geändert. Der Pauschalisierungssatz ist falsch berechnet. Er belastet die kleinen Landwirte. Er ist lebensfremd, weil das Wirtschaftsjahr der Landwirte, wie Sie wissen, von Juli bis Juni geht. Das Gesetz ist handwerklich schlecht gemacht. Es geht an der Praxis vorbei. Ich werbe für unseren Entschließungsantrag.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist ganz offensichtlich der Fall. Sie haben jetzt noch eine Rede lang Zeit, und für diese erhält das Wort die Abgeordnete Susanne Mittag für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute einmal wieder über ein Thema, das schon längst hätte geregelt und abgestimmt werden müssen. Das kennen wir schon von der Umsetzung der Nitratrichtlinie, von den Regelungen in der Sauenhaltung beim Kastenstand und zur Beendigung des Kükentötens, von den gesetzlichen Regelungen zu Tierversuchen und für die betäubungslose Ferkelkastration.
Gesetze werden einfach nicht umgesetzt oder so lange blockiert oder verzögert, bis durch Gerichte oder im Zuge von Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission Maßnahmen vorgeschrieben werden, was die bisherige Ministerin dann immer zum Handeln zwang. Wenn es dann so weit ist, gibt es nachvollziehbarerweise jede Menge Aufregung bei den Beteiligten, weil die Fristen so kurz und die Handlungsspielräume durch den entstandenen Zeitdruck absolut gering werden.
So ist es auch im vorliegenden Fall.
({0})
Es geht, wenn vom Landwirt gewünscht, um eine steuerliche Vereinfachung, die den Buchführungs- und Verwaltungsaufwand der Landwirte verringert, aber keinen finanziellen Zugewinn bedeuten soll. Diese Ausnahmeregelung ist ein landwirtschaftliches Alleinstellungsmerkmal und bedarf nach Jahren nun der Anpassung. Das hat nicht nur der Bundesrechnungshof bereits 2019 gefordert. Da das Landwirtschaftsministerium aber offensichtlich immer noch nicht reagierte, hat die EU-Kommission inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren und ein parallel anhängiges beihilferechtliches Verfahren angestrengt. Aber das war nicht das einzige laufende Verfahren in dem Ministerium.
({1})
Wenn wir nicht fristgerecht bis zum 31. Dezember handeln und die Regelungen entsprechend anpassen, dann wird das nicht nur für unseren Haushalt kostenträchtig. Es besteht dazu noch die Möglichkeit, dass steuerliche Rückforderungen rückwirkend bis zu zehn Jahre auf die Landwirte zukommen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
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Nein. – Es besteht also noch die Möglichkeit, dass steuerliche Rückforderungen – damit jeder, der immer für Landwirte ist, sich das einmal vergegenwärtigt – rückwirkend auf die Landwirte zukommen.
Aber am Ende müssen trotzdem noch Änderungen vorgenommen werden; denn eine Nichtanpassung führt zu Steuerausfällen in unserem Haushalt und damit zu jahrelang bestehenden ungerechtfertigten Steuervorteilen für die Landwirte, was die Landwirte aber überhaupt nicht beabsichtigt haben. Damit hat mit Sicherheit kein pauschalierender Landwirt gerechnet. Wie denn auch? Derartige Nachteile zu verhindern, ist doch auch Aufgabe eines Landwirtschaftsministeriums.
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In der Anhörung am Montag war die Notwendigkeit der Anpassung unstrittig. Es gab auch noch Vorschläge, den Zeitpunkt der Anpassung auf das Wirtschaftsjahr auszurichten, also auf die Jahresmitte. Das ist ein beachtenswerter Aspekt, der sich aber durch die Verfahrensverschleppung des Landwirtschaftsministeriums inzwischen auch erledigt hat. Die Zeit reicht einfach nicht mehr.
Es ist mir völlig schleierhaft, warum die Anpassung nicht schon 2019, 2020 oder in diesem Jahr bis zur Sommerpause vom Landwirtschaftsministerium zusammen mit dem Finanzministerium vorgelegt wurde. Aber nein, das Landwirtschaftsministerium hat die Vorlage blockiert; das hat wahrscheinlich auch nichts mit einem Wahltermin zu tun.
Es gab, wie gesagt, schon einen Gesetzentwurf, den wir inhaltlich grundsätzlich übernommen haben. Ich bin gespannt, wie die CDU/CSU-Fraktion sich dazu verhält, ob Sie mitstimmen, um unser aller Haushalt nicht mit Strafzahlungen zu belasten und die Landwirte rechtssicherer vor Rückforderungen zu bewahren und Ihr Versäumnis zu heilen, oder ob Sie sich weiter so verhalten, als könnte durch Ignorieren eine zu erfüllende Rechtsvorschrift einfach aus dieser Welt verschwinden.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort erhält für eine Kurzintervention der Kollege der AfD, Herr Gottschalk.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Mittag, gestatten Sie mir einfach zwei Zwischenfragen. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, die SPD-Fraktion leidet kollektiv an partieller Amnesie.
Erste Frage: Wer ist eigentlich seit drei Jahren Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland und hat dieses Ressort und das zu verantworten, was Sie eben beklagt haben, diese Verantwortungslosigkeit gegenüber den Landwirten oder, schlanker formuliert, das Versäumnis, ähnlich wie bei Wirecard, bei der BaFin und anderen Dingen? Da war Herr Scholz ja auch ganz vorne. Also, nennen Sie mir kurz den Namen des Bundesfinanzministers und wer in dieser Zeit für das Ressort verantwortlich war.
Ist Ihnen bekannt – vielleicht ist Ihnen das auch wegen dieser partiellen Amnesie entfallen –, dass es ein Schreiben vom 21. August 2021 des Bundesrechnungshofs gibt? In diesem Schreiben räumt der Bundesrechnungshof sehr großzügig ein – da bin ich sogar ausnahmsweise einmal bei der Linken, da fällt mir kein Zacken aus der Krone, und bei unserem Kollegen Klaus Stöber, der anmahnt, sich Zeit zu lassen –, dass man uns Zeit lässt bis zum 1. Januar 2023, verehrte Kollegin, also nicht bis zum 1. Januar nächsten Jahres, sondern sogar bis zum 1. Januar 2023.
Wenn Sie mir die Fragen beantworten könnten, wäre ich schon sehr glücklich. Vielleicht kann das ein bisschen helfen und den Schockzustand, dass die Regierungsverantwortung bei Ihnen vor der Tür steht, und die Amnesie auflösen.
Vielen Dank.
({0})
Frau Kollegin, Sie können antworten. – Bitte.
Das Erste ist: Teilweise ist die Frage schon in der Anhörung beantwortet worden. Das Zweite ist: Die Hälfte Ihrer Frage gehört gar nicht zum Thema. Und das Dritte ist: Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie sich das selber beantworten können.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin Mittag hat gerade viele Punkte aufgeführt, die wir in der letzten Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag beraten haben. Sie hat aber nicht gesagt, dass sehr viele Belastungen, die wir den Landwirten und den Bauernfamilien zugemutet haben, aus dem Bundesumweltministerium gekommen sind. Das muss man der Vollständigkeit halber auch hier sagen.
({0})
Heute geht es um die Umsatzsteuerpauschalierung, die auch ein Akt des Bürokratieabbaus ist. Viele von uns verwenden in Sonntagsreden oft das Wort „Bürokratieabbau“. In der Landwirtschaft haben wir mit der Umsatzsteuerpauschalierung ein ideales Instrument, um gerade kleinbäuerlichen Betrieben diese Last der Bürokratie zu nehmen. Wir entlasten hier gerade Tierhaltungsbetriebe, Nebenerwerbsbetriebe, Weinbaubetriebe, Gemüsebaubetriebe. Die werden von dieser Bürokratie entlastet.
({1})
Diese Umsatzsteuerpauschalierung ist ein gutes Instrument.
Nicht ohne Grund nutzen zwei Drittel der deutschen Betriebe dieses Instrument. Aber wenn wir jetzt den Pauschalsatz von 10,7 Prozent auf 9,5 Prozent senken, wird das dazu führen, dass mehr Betriebe wieder in die Regelbesteuerung einsteigen müssen, dass sie höhere Auflagen haben, dass sie mehr Arbeit haben, dass sie mehr Bürokratie haben, dass die Steuerberater mehr Arbeit haben und dass auch unsere Finanzbehörden wesentlich mehr Arbeit haben. Also, Bürokratie sieht bei mir anders aus.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Anhörung hat auch gezeigt, dass die Nachvollziehbarkeit der Berechnung nicht so richtig gegeben ist. Diese Berechnung kommt aus dem Bundesfinanzministerium, momentan dem Vorhof zum Kanzleramt. Sie ist anscheinend nicht korrekt genug und nicht nachvollziehbar.
({3})
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir die Ergebnisse dieser Anhörung analysieren und noch einmal genau draufschauen.
Noch ein Punkt ist mir besonders wichtig: Das ist der 1. Juli. Wir haben in der Landwirtschaft ein Wirtschaftsjahr, das am 1. Juli beginnt und am 30. Juni aufhört. Das hat etwas mit Natur, mit Wachstum zu tun. Deshalb finde ich das gut.
({4})
Ich finde es schon etwas merkwürdig, dass gerade die Grünen hier Krokodilstränen vergießen. Ich zitiere, was die Kollegin Paus in der ersten Lesung gesagt hat:
Und ja, es wird auch wieder diejenigen treffen, die heute schon um ihr Überleben kämpfen.
Da hat sie recht, ja. Aber warum machen wir das dann?
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Freistaat Bayern hat im Bundesrat beantragt, dass die Verluste, die durch diese reduzierten Mehrwertsteuersätze entstehen, im Bereich der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ausgeglichen werden. Leider haben auch hier die Grünen nicht mitgemacht; leider hat auch hier die Ampelkoalition versagt.
({6})
Meine Damen und Herren, wir reden hier über eine Mehrbelastung für unsere Bauernfamilien von 100 Millionen Euro im Jahr. Ich möchte mir nicht ausmalen, was noch auf uns zukommt, was noch auf die Bauernfamilien in Deutschland zukommt, wenn diese Ampelkoalition richtig ans Arbeiten kommt.
({7})
Das wissen wir erst, wenn wir wissen, was im Koalitionsvertrag steht. Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden sehr genau hinschauen und Ihnen nicht alles durchgehen lassen.
In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Dieses Mal wäre noch genügend Redezeit vorhanden gewesen; aber der Redner war leider schon fertig, also keine Zwischenfrage. – Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Europa wird angegriffen, und Migranten werden als Waffe eingesetzt.
({0})
Wer polnische Grenzschützer mit Waffengewalt angreift, wer sie mit Steinen bewirft, wer Baumstämme verwendet in der Absicht, befestigte Grenzanlagen zu durchbrechen, wer also eine Grenze mit Gewalt stürmt, der ist kein Flüchtling, der ist ein Angreifer, und Polen hat jedes Recht, sich gegen diesen Angriff zu verteidigen.
({1})
Hätte die Bundeskanzlerin den Mut gehabt, 2015 das zu tun, was Polen jetzt macht, nämlich die eigene Bevölkerung vor illegaler Massenmigration und damit eben auch vor islamistischem Terror, vor Clankriminellen und vor Gewaltverbrechern zu schützen, dann wären wir überhaupt gar nicht in dieser Lage. Die Kanzlerin hat durch ihr Versagen den Einsatz der Massenmigrationswaffe erst möglich gemacht.
({2})
Polen beweist, dass die Aussage der Kanzlerin, wir könnten unsere Grenzen nicht schützen, eine Lüge ist. Deshalb: Fangen wir endlich mit dem Grenzschutz an!
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Der Schutz unserer Außengrenzen ist die elementare Grundlage für die Sicherheit in Europa. Seit 2015 hat sich die Zahl der Terrortoten pro Jahr in Europa von 1 auf 64 erhöht. Wer Polen jetzt kritisiert oder gar, wie Wolfgang Schäuble, die gewalttätigen Migranten in die EU holen will, der missachtet vitale Sicherheitsinteressen der deutschen Bevölkerung, und er sendet das fatale Signal an jeden Despoten, dass die Massenmigrationswaffe Erfolg hat. Dies dürfen wir niemals zulassen! 2015 darf sich nicht wiederholen!
({4})
Deshalb müssen wir jetzt Polen mit allen politischen und auch logistischen Mitteln bei der Verteidigung Europas unterstützen. Wir müssen ein klares politisches Signal an die Migranten senden, dass wir keine gewalttätigen Grenzdurchbrecher in Deutschland aufnehmen. Und wir müssen vor allem anfangen, auch an unseren Grenzen illegale Migranten zurückzuweisen. Wenn wir jetzt versagen, dann werden Millionen weitere illegale Migranten folgen. Deshalb gibt es keine Alternative: Wir brauchen die Festung Europa.
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Ich danke Ihnen. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Uli Grötsch.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit unserer letzten Befassung mit der durch Lukaschenko absichtlich herbeigeführten Migrationskrise an der belarussischen Grenze zu Polen gibt es keine Entspannung. Im Gegenteil: Die Lage spitzt sich von Tag zu Tag dramatisch zu, sowohl zwischen den polnischen und den belarussischen Einsatzkräften als auch für die Menschen, die im Wettlauf gegen die Zeit im Niemandsland ausharren.
Die bewusst herbeigeführte Notlage von Menschen als „Massenmigration“ und Gefahr für Europa zu titulieren, mit menschlichem Leid also Politik zu machen, Menschen falsche Tatsachen vorzuspiegeln,
({0})
um daraus für sich selbst politisches Kapital zu schlagen, den Menschen in Deutschland und Europa Angst zu machen, vermeintliche Krisen zu provozieren
({1})
oder aus Krisen Kapital zu schlagen, obwohl Hilfe, Humanität und Ordnung das Gebot der Stunde wären, das ist die Politik von Herrn Lukaschenko und das ist auch Ihre Politik, das ist die Politik der AfD auf allen Ebenen,
({2})
das verbindet Sie mit einem Diktator,
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der sein eigenes Volk wegen der Äußerung abweichender, freier Meinungen einsperrt und foltert.
({4})
Mit keinem Wort verurteilen Sie das perfide Spiel des belarussischen Diktators
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in Ihren Anträgen. Vielmehr unternehmen Sie den kläglichen Versuch – Sie eben auch wieder, Herr Hess –, asylsuchende Menschen,
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die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Belarus gelockt wurden, als Täter darzustellen. Dabei sind diese Menschen die Opfer, und Lukaschenko der Täter.
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Sie haben es eben noch einmal gesagt, und Sie feiern auch in Ihrem Antrag die Abschreckung durch die polnischen Grenzbehörden ab und fordern, dass die Strafverfahren der EU gegenüber Polen sozusagen als Belohnung dafür eingestellt werden. Unterstützung dafür bekommen Sie, wie immer in Brandenburg, von Rechtsextremisten und in den einschlägigen Kreisen in den sozialen Medien. Wie immer dürfen Sie sich auf die Unterstützung von Rechtsextremisten in Ihren Positionierungen verlassen – wenn das mal kein Zufall ist!
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Aber zurück zum Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen; es ist ernst genug. Meine Fraktion hat in der letzten Debatte EU-Sanktionen gegen das Regime in Minsk gefordert, und diese hat Außenminister Heiko Maas gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union auch beschlossen. Von Lukaschenko genutzte Flugrouten wurden geschlossen, etwa aus dem Irak oder der Türkei.
({9})
Ich sage auch: Gleichzeitig müssen wir natürlich weiterhin diplomatische Schritte unternehmen. Deshalb bin ich froh, dass Frau Merkel sich mit dem weißrussischen Diktator in Verbindung gesetzt hat,
({10})
und jetzt geht es um vieles – ich will meine Redezeit nicht überziehen, Frau Präsidentin –,
Das dürfen Sie auch nicht.
– vieles, was wir in den nächsten Wochen auch in aller Gewissheit machen werden, und zwar immer in aller Seriosität und mit ganz viel Humanität.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Kollege Grötsch.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der AfD sind abzulehnen; darüber brauchen wir im Grunde gar kein weiteres Wort zu verlieren.
({0})
Migranten hier erneut als „Waffe“ zu bezeichnen
({1})
und die Tatsache, dass Sie in Ihren Anträgen das Wort „Mensch“ an fast keiner Stelle genannt haben – ich habe jedenfalls keine gefunden; vielleicht berichtigen Sie mich da –, das disqualifiziert Ihre Anträge. Ihr Vortrag hat sich hier schon an sich disqualifiziert.
({2})
Aber die jetzt werdende Koalition, das werdende links-gelbe Bündnis
({3})
– das werdende links-gelbe Bündnis; ich wiederhole es noch einmal ausdrücklich –
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täuscht natürlich hier darüber hinweg, dass es selbst gar kein Konzept für eine ausgewogene Migrationspolitik für dieses Land hat.
({5})
Ich zitiere Ihnen nur zwei Äußerungen: Herr Habeck hat vor drei Wochen gefordert, dass wir die Menschen an der belarussisch-polnischen Grenze unmittelbar in die EU bringen müssten
({6})
und in der EU verteilen sollten. Herr Maas dagegen hat am Montag ausdrücklich gesagt: „Ich würde dafür plädieren, dass die Menschen, die dort sind … in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden.“
({7})
Das ist ein Widerspruch, den Sie auflösen müssen. Und das werden wir wahrscheinlich hier demnächst bei vielen Debatten erleben: dass Sie in der Migrationspolitik sehr schwer übereinkommen werden. Da sind wir auf die Auseinandersetzung gespannt.
Eines muss in der Situation jetzt klar sein: Wir dürfen uns nicht erpressen lassen! Es geht hier um ein humanitäres Drama, es geht aber auch um einen politischen Erpressungsversuch durch den belarussischen Diktator. Dieser Erpressung dürfen wir nicht nachgeben!
({8})
Ansonsten werden demnächst Diktatoren darüber entscheiden, wer wann und wie viele Menschen in die EU einreisen dürfen. Das kann nicht sein, das muss unsere Entscheidung bleiben. Das Beispiel Lukaschenkos darf auf gar keinen Fall Schule machen.
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Letzte Bemerkung – und da bin ich dem Kollegen Grötsch dankbar, dass er das hier eben angesprochen hat –: Wenn wir aus Gründen der Menschlichkeit die furchtbare Situation, in der sich die Menschen an der Grenze dort befinden, problematisieren und wirklich schnell und pragmatisch helfen wollen, dann darf es keine formalistisch-diplomatischen Argumente geben. Das sage ich in Ihre Richtung, Herr Nouripour – weil Sie das ja ausdrücklich kritisiert haben –: Ich habe großes Verständnis und begrüße es ausdrücklich, dass unsere Bundeskanzlerin den direkten Kontakt gesucht hat. Ich sehe darin keine diplomatische oder sonst problematische Anerkennung, sondern hier geht es darum, dass wir schnell und wirksam Hilfe organisieren, der UNHCR und andere Hilfswerke vor Ort Zugang bekommen, damit sie den Menschen dort helfen können; darum muss es gehen, und dazu sind auch solche Wege zu beschreiten.
({10})
Vielen Dank, Dr. Middelberg. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Omid Nouripour.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage an den Außengrenzen der Europäischen Union ist dramatisch. Wir reden hier über eine massive humanitäre Krise, und es kann niemanden kaltlassen, wenn in diesen Zeiten Menschen mitten in Europa erfrieren, weil ihnen die notwendige Hilfe verweigert wird. Und ja, wir sehen, dass das eine große politische Herausforderung für die Europäische Union ist und dass wir zusammenstehen müssen. Die Verantwortung dafür liegt beim Diktator Lukaschenko und im Kreml; das muss man an dieser Stelle klar benennen und deutlich adressieren.
({0})
Wir müssen dort vieles hinbekommen; das ist offensichtlich. Die höchste Priorität ist natürlich, den Menschen zu helfen. Muss man in dieser Situation auch mit dem Lukaschenko-Regime sprechen? Die Antwort ist: Ja. Müssen wir derzeit mit den Taliban sprechen, um noch Menschen aus dem Land zu holen, weil es nicht passiert ist, als es regulär hätte möglich sein können? Ja. Würde irgendjemand in der Unionsfraktion auf die Idee kommen, zu sagen, Frau Merkel solle bei den Taliban anrufen? Ich glaube nicht.
({1})
Das ist einer der Gründe, warum es derzeit bei unseren Nachbarn und Partnern in Polen, Lettland und Litauen massive Irritationen gibt. Im Übrigen wäre es auch ein Grund zur Irritation, wenn die Union in ihrem nächsten Antrag zu diesem Thema wieder „Präsident Lukaschenko“ schreiben würde; das haben Sie in Ihrem letzten Antrag nämlich gemacht. Ich unterstelle mal, dass das ein Versehen war. Aber auf solche Dinge muss man verstärkt achten. Bitte unterlassen Sie das; denn Lukaschenko ist nicht der Präsident von Belarus; er hat die Wahl gestohlen.
({2})
Nun hat Frau Merkel das Gespräch gesucht; wir haben das kritisiert. Jetzt gibt es Gespräche. Wir erwarten, dass jetzt nicht nur über die Notlage gesprochen wird, sondern dass sie, die berechtigterweise – auch im europäischen Korps – seit August letzten Jahres das Gespräch mit Lukaschenko verweigert hat, in diesen Gesprächen auch die Freilassung der politischen Häftlinge in dem Land fordert. Derzeit sind es so viele wie in den letzten Jahrzenten nicht mehr. Sehr viele wurden im letzten Sommer verhaftet. Wenn man mit den Angehörigen redet, hört man, dass es ihre Hauptsorge ist, dass sie in der jetzigen Situation vergessen werden. Dass diese Menschen nicht vergessen werden, dazu könnte die Frau Bundeskanzlerin einen großen Beitrag leisten.
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Dass Maria Kalesnikava, Sergej Petruchkin und all die anderen endlich freigelassen werden, gehört jetzt genauso auf die Tagesordnung. Denn das Ziel von Lukaschenko ist doch, genau davon abzulenken. Damit können wir ihn nicht durchkommen lassen.
Dass Frau Merkel unseren Vorschlag von letzter Woche, dass der UNHCR jetzt die Arbeit übernehmen soll, eingebracht hat, begrüßen wir. Jetzt ist es notwendig, das zu Ende zu denken. Wenn der UNHCR jetzt die Anträge bearbeitet, den Menschen Obhut gewährt, dann wird es Menschen geben, die als Flüchtlinge anerkannt werden, die diesen Status vom UNHCR bekommen. Dann kann man doch nicht, wie Sie es gerade gemacht haben und wie es im Übrigen der Außenminister gemacht hat, von vornherein die Aufnahme von Flüchtlingen ausschließen. Das ist einfach nicht konsistent.
({4})
Ich bin sehr dankbar, dass Wolfgang Schäuble gestern genau dies richtigerweise und mit den richtigen Worten zum Ausdruck gebracht hat. Denn diese Art, zu helfen, gehört dazu.
Das, was die EU-Außenministerinnen und ‑minister in den letzten Tagen beschlossen haben, ist gut. Es ist richtig, dass die Sanktionen weitergehen und verschärft werden; es ist richtig, dass jetzt die Airlines angegangen werden. In diesem Zusammenhang, Kolleginnen und Kollegen von der AfD: Wenn Sie das, was Sie gesagt haben, ernst meinen würden – Sie sind diejenigen, die zweimal zu Assad gepilgert sind –, dann würden Sie auch zugeben, dass sehr viele Menschen mit Cham Wings aus Syrien nach Belarus geflogen worden sind. Der Chef von Cham Wings ist Rami Machluf; er ist der Cousin von Assad und deswegen der reichste Mann des Landes.
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Dass Sie das ausblenden, zeigt, worum es hier eigentlich geht. Die Erpressung kann nur funktionieren, wenn wir hier vor Angst in Hypnose verfallen. Genau dazu tragen Sie bei, weil Sie glauben, politisch daraus Honig saugen zu können.
Das werden wir nicht zulassen.
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Das wird die gesamte Europäische Union nicht zulassen; denn die Europäische Union ist und bleibt eine Wertegemeinschaft, basierend auf Rechtsstaatlichkeit, Menschlichkeit und Menschenrechten, die universell verbrieft sind. Deshalb ist es notwendig, jetzt deutlich zu machen, dass wir an der Seite unserer Kolleginnen und Kollegen in unseren Partnerstaaten Polen, Lettland und Litauen stehen,
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dass wir ihnen helfen, dass wir solidarisch sind, aber dass wir von ihnen natürlich auch verlangen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten, NGOs dorthin lassen, wo Hilfe notwendig ist, Journalistinnen und Journalisten dort arbeiten lassen. Das ist die Europäische Union; das macht die Wertegemeinschaft aus, für die wir alle gemeinsam stehen, wenn wir Demokratinnen und Demokraten sind.
({8})
Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Linda Teuteberg.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewogen, gewogen und für zu leicht befunden, so urteilte einst Winston Churchill in einer anderen historischen Situation über das Verhalten der westlichen Demokratien. Wir sind heute in einer anderen Situation, aber in einer sehr schwierigen, die auch eine Bewährungsprobe ist für die westlichen Demokratien. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, mehr als einen Gedanken darauf zu verwenden, dass Geschichte der Hintergrund aller Politik ist. Das gilt auch für die jetzige Situation, und zwar aus mindestens zwei Gründen: Es handelt sich zum einen um eine Form der hybriden Kriegsführung. Wir sollten Dimension und Kalkül dessen, was da passiert, wie stark das vorbereitet ist und worauf es zielt, nicht unterschätzen, und zum anderen gehört es auch zu den Lehren aus unserer Geschichte, keine Politik zu machen über die Köpfe unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarn hinweg, keine Verträge zulasten Dritter zu schließen, sondern in Europa geeint vorzugehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Dieser Angriff auf die liberalen Demokratien und freiheitlichen Rechtsstaaten nimmt uns von zwei Seiten in die Zange. Nämlich einerseits, indem er uns herausfordert, zu zeigen: Wir sind anders, wir sind wertegebunden, wir sind anders als Lukaschenko, wir nehmen nicht den Tod von Menschen in Kauf. – Und andererseits, indem wir gefordert sind, zu zeigen, dass liberale Demokratien handlungs-, problemlösungs- und durchsetzungsfähig sind und gerade nicht schwach und erpressbar, wie Diktatoren und Autokraten sie darstellen wollen.
({1})
Es gibt zwei Arten, wie man in dieser Situation der Herausforderung nicht gerecht wird und das Kalkül von Diktatoren und Autokraten aufgehen lässt: Nämlich entweder wenn man sich den Vorwurf von Zynismus und Menschenverachtung gefallen lassen müsste, weil man die Menschenwürde nicht achtet, oder wenn wir den Fehler machen würden, Vorwürfe an Polen oder die Europäische Union zu richten, wie es manche in der Debatte tun, übrigens auch wenn man eine unterschiedslose Aufnahme und Verteilung in Europa vertritt. Wir müssen mit Polen jetzt uneingeschränkt solidarisch sein, dafür sorgen, dass nicht der Druck auf die polnische Grenze verstärkt wird und dass das Kalkül Lukaschenkos nicht aufgeht.
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Oberste Priorität jetzt sind die Hilfen für die in der Kälte ausharrenden Migranten. Kein weiteres Menschenleben darf verloren gehen; dafür müssen wir uns einsetzen. Mittel- und langfristig brauchen wir aber eine europäische Asyl- und Außenpolitik; nur damit können wir solche Situationen mittel- und langfristig verhindern. Deshalb ist es jetzt wichtig, zu beobachten, was dort weiter an staatlicher Schleusung stattfindet. Der Irak versucht heute, 200 Menschen in ihr Heimatland zurückzuführen. Aber das sind Menschen, die am Flughafen ausgeharrt haben. Leider ist es so, dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt. Lukaschenko hält weiter Menschen im Grenzgebiet fest, nutzt sie als Geiseln und lässt ihnen keinen Rückweg. Deshalb gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Nach meinem Kenntnisstand ist die Bundespolizei mit acht Hundertschaften an der deutsch-polnischen Grenze im Einsatz, und es gibt dort auch eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem polnischen Grenzschutz. Man führt gemeinsame Streifen durch. Deshalb gibt es übrigens derzeit auch keinen Anlass für stationäre Grenzkontrollen.
Was wir brauchen, ist Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern, damit sich die Menschen gar nicht erst auf diesen gefährlichen Weg machen. Wir müssen über die Lügen und Versprechen der Schleuser aufklären. Wir brauchen einen wirksamen Außengrenzschutz – übrigens nicht nur in Sonntagsreden, sondern wirklich. Das liegt im gemeinsamen europäischen Interesse und ist eine gemeinsame europäische Aufgabe, weil das die Voraussetzung für Freizügigkeit im Innern ist. Deshalb müssen wir uns daran auch finanziell beteiligen.
Schließlich geht es darum, dass wir jetzt genau dieser Herausforderung gerecht werden. Außenpolitisch ist mit den Sanktionen zum Glück Bewegung hineingekommen, aber hier muss weiter Druck ausgeübt werden. Wir müssen rechtsstaatlich die Kontrolle darüber gewinnen, wo wir geordnete Asylverfahren durchführen.
Lassen Sie uns zeigen, dass wir dieser Herausforderung gerecht werden, dass liberale Demokratien sensibel und robust, wertegebunden und wehrhaft gleichermaßen sind!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Linda Teuteberg. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Zaklin Nastic.
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die polnische Regierung sagt uns, wir müssen unsere Grenze schützen, aber vor wem?“, fragte mich Mariusz, ein polnischer Menschenrechtsaktivist, am Samstag in der Nähe der polnisch-belarussischen Grenze. „Vor Frauen, Kindern und Familien?“, fragt er.
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Mariusz rettet, wie viele Polinnen und Polen, seit Monaten Menschen vor dem Tod in den polnischen Wäldern und wird dafür von Rechten in Polen als Vaterlandsverräter beschimpft, von denen, die wie die AfD so tun, als würden wir überrannt,
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als würde es eines heldenhaften Abwehrkampfes bedürfen, um die Festung Europa zu schützen.
Beim Außenminister Maas hört sich das leider auch nicht viel anders an, wenn er halberfrorene und hungernde Menschen zurück in Kriegs- und Krisengebiete schicken möchte. Wir Linken sagen ganz deutlich: Diesen Menschen muss sofort geholfen werden.
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Internationale Beobachter, Journalistinnen, Hilfsorganisationen, Ärzte müssen sofort ins Grenzgebiet gelassen werden, und diese No-go-Area, die da geschaffen wurde, muss sofort weg.
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An dieser Grenze herrscht kein Recht; es ist eine rechtsfreie Zone. Auch das sagte mir Mariusz.
Die Menschen werden von Lukaschenko für seine schändlichen Zwecke missbraucht. Er sagt sich: Das, was Erdogan von der EU kriegt, das möchte ich auch. – Beide lehnen wir als Linke grundlegend ab.
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Wir lehnen aber auch die Menschenschinderei der polnischen rechten Regierung, für die die EU und auch die deutsche Regierung jetzt plötzlich ihre Herzen erwärmen, ab. Die illegalen Zurückweisungen müssen sofort beendet werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention muss geachtet werden.
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Die Grünen frage ich auch hier: Steht eigentlich euer medialer Krieg gegen Putin und Lukaschenko über allem, auch über Geflüchtete? Frau Merkel muss telefonieren,
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und zwar für Menschen, die aus ihrer Heimat, wie dem Jemen, dem Irak oder eben aus dem Norden Syriens, von wo die Kurden vor Erdogan flüchten, fliehen müssen.
Fluchtursachen sind auch NATO-Kriege und deutsche Rüstungsexporte. Deswegen: Stoppen Sie endlich die Rüstungsexporte an die saudi-arabische Kriegsverbrecherkoalition, die den Jemen zerbombt! Stoppen Sie Erdogan und seinen verbrecherischen Krieg gegen die Kurden in Syrien!
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Fluchtursachen und nicht Geflüchtete gehören bekämpft.
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Danke schön, Kollegin Nastic. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Frank Schwabe.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Weil der Herr Dr. Middelberg schon gemutmaßt hat, was die neue Koalition möglicherweise hier alles tun könnte: Das können Sie ja gar nicht wissen; denn das dürfen ja nur Frau Teuteberg und ich wissen, weil wir in dieser Arbeitsgruppe waren, die darüber diskutiert hat, und die Generalsekretäre uns gesagt haben, dass wir das nicht sagen dürfen. Und wir halten uns daran. So viel kann ich Ihnen aber doch sagen: Das, was wir tun werden, wird sich ein Stück weit einem Realismustest unterziehen. Wir werden nämlich in der Realität des 21. Jahrhunderts ankommen. Das ist mit Ihnen oftmals schwierig.
Wir wissen: Es gibt Migration; es wird sie immer geben. Wir müssen Menschen integrieren, wir wollen aber eben auch steuern. Und erst dann, wenn man versteht, dass es Migration und Integrationsnotwendigkeiten gibt, können wir auch steuern. Das werden wir, denke ich, am Ende gemeinsam tun.
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Das wäre im Übrigen auch das, was die Europäische Union tun sollte und längst hätte tun können. Dann wären wir jedenfalls besser auf die Krise und auf die Situation, die wir jetzt haben, vorbereitet. Diese Situation wurde – das ist klar, und darin sind wir uns in diesem Hause zum großen Teil einig; bei manchen weiß ich es nicht, mit einigen sind wir uns, glaube ich, nicht einig – durch Lukaschenko, einen Diktator in Europa, verursacht, der das Ganze nutzt, um zu versuchen, die Europäische Union zu erpressen. Das ist der Diktator, mit dem Sie kuscheln, und deswegen kommt Ihr Antrag ein bisschen seltsam daher.
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Ich muss das mal zitieren. Es war Frau Weidel, die gesagt hat: „Hier aus allen Rohren gleich mit Sanktionen zu drohen, halte ich für einen völlig falschen Weg.“ Das war einen Tag nachdem das Flugzeug mit Herrn Protassewitsch entführt wurde. Es ist derselbe Diktator, der im Moment versucht, die Europäische Union zu erpressen.
Es ist wichtig, darauf mit einer, wie ich finde, richtigen Doppelstrategie zu reagieren. Wir sagen: Wir tun alles, damit diese Erpressung nicht funktionieren kann. Das können wir nicht zulassen; es kann niemand zulassen, dass so etwas geschieht. Wir müssen alles tun, um diese Route zu schließen. Aber wir müssen gleichzeitig – und das geschieht dann, wenn wir die Route schließen können – eine humanitäre Lösung für gestrandete Menschen finden. – Deswegen will ich Herrn Schäuble ausdrücklich dafür danken – und vielleicht tut das auch die gesamte Unionsfraktion –, dass er deutlich gemacht hat, dass es uns eben nicht egal sein kann, was mit den Menschen passiert, sondern dass wir eine humanitäre Lösung für die Menschen brauchen.
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Das ist also ein doppelter Ansatz: Wir müssen diese Route schließen – das ist das, woran Heiko Maas und auch Frau Merkel im Grunde genommen Tag und Nacht arbeiten –
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und Staaten und Fluggesellschaften dazu bringen, Menschen nicht weiter zu schleusen. Gleichzeitig müssen wir aber auch eine humanitäre Lösung anstreben und deutlich machen, dass auch Polen internationales Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention achten muss
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und dass Zugang für den UNHCR, für das Rote Kreuz, für IOM und für viele andere möglich sein muss. Es kann doch wohl wirklich nicht sein, dass am Ende Menschen, die in die Sackgasse, in die Irre geführt worden sind, den Preis dafür zahlen müssen, dass es Diktatoren in Europa gibt, die Europa entsprechend erpressen wollen.
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Wir können nicht Menschen zur Abschreckung sterben lassen. Wir brauchen aber ein geordnetes Verfahren, und dafür muss diese Route geschlossen werden. Das ist das, woran der Außenminister und diese amtierende Regierung Tag und Nacht auch arbeiten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frank Schwabe. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Katja Leikert.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schwabe, ich habe eben sehr aufmerksam zugehört. Sie haben hier ja einen Spannungsbogen hineingebracht, indem Sie konzeptionell Neues mit Blick auf die Migrationspolitik angekündigt haben. Aber außer Humanität, Ordnung, Steuerung habe ich da jetzt gar nichts Neues herausgehört. Insofern bleiben wir da wirklich sehr gespannt.
Angesichts der Lage an der belarussisch-polnischen Grenze brauchen wir jetzt vor allem eine klare Lageanalyse. Wir brauchen wirkungsvolle Maßnahmen und vor allem einen ganz klaren Blick auf die Menschenrechtssituation vor Ort. Was wir nicht brauchen, Kollegen von der AfD, sind Anträge von Ihnen, die schon in der Ursachenanalyse fehlerhaft sind, und zwar grundständig. In den Anträgen kommt nicht nur das Wort „Menschen“ nicht vor, wie der Kollege Middelberg richtig festgestellt hat, es kommt auch das Wort „Russland“ nicht ein einziges Mal vor.
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Sie tun so, als würden Sie sich um Deutschland sorgen, und dabei ist es ganz klar Ihr Mentor Putin,
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der die Menschen zum Erfrieren in den Wald schickt, der die Europäische Union destabilisieren will und der das Regime in Minsk stützt, das das eigene Land bankrottgeplündert hat.
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Herr Chrupalla – ich weiß nicht, ob Sie da sind –,
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es gibt viele von Ihnen, die regelmäßig dem Kreml Besuche abstatten. Nutzen Sie doch einfach diese persönlichen Beziehungen, um dem Treiben von Lukaschenko ein Ende zu bereiten!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Sorge gilt den Tausenden Menschen, die im Wald erfrieren. Es sterben Menschen, weil sie den falschen Versprechungen von Lukaschenko gefolgt sind. Das sind menschenunwürdige Zustände. Da leiden Kinder und ihre Eltern an der Grenze der Europäischen Union. Das ist unerträglich.
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Unser Anspruch bleibt humanitär – im Gegensatz zu dem Gehetze, das von Ihnen kommt.
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Wir wollen den Menschen, die von Lukaschenko in einem hybriden Krieg gegen die Europäische Union in Stellung gebracht werden, helfen. Deshalb, lieber geschätzter Kollege aus Frankfurt:
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Wir haben ja oft ähnliche Ansichten. Aber ich halte es für von einer tiefen Menschlichkeit geprägt, wenn Angela Merkel in dieser schwierigen Situation persönlich das Gespräch zu Herrn Lukaschenko sucht.
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Was es da zu kritisieren gibt, kann ich wirklich nicht nachvollziehen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe aber auch Hoffnung – wenn wir die Beschlüsse der Europäischen Union im Hinblick auf die Sanktionen betrachten –, dass die Europäische Union schlagkräftiger wird. Wir haben bis jetzt gute Erfolge gesehen: Dubai, Bagdad und Ankara haben ihre Beihilfen für Lukaschenko eingestellt. Wir hoffen sehr, dass Ihnen als neue Koalitionäre der Weg zu einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik – und da haben Sie wirklich eine ganz große Aufgabe vor sich – gelingt.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist vorbei.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte gerne noch einen Genesungswunsch an einen polnischen Grenzer übersenden, der leider schwer verletzt wurde, als er die Grenzen der Europäischen Union schützen wollte. Wir danken ihm und seinen Kollegen.
Herzlichen Dank.
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Danke schön, Dr. Katja Leikert. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Norbert Kleinwächter.
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Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch absolutes deutsches Politikversagen, wenn unsere polnischen Nachbarn Zehntausende Polizisten und Soldaten an der Grenze zusammenziehen müssen, die dort in 15-Stunden-Schichten um ihr Leben fürchten, weil illegale Migranten sie pausenlos mit Steinen bewerfen und sie auf ihrem Weg nach Europa, nach Deutschland, am liebsten umnieten würden,
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während Deutschland gleichzeitig weder willens noch in der Lage zu sein scheint, endlich einmal Recht und Gesetz, das gilt, anzuwenden und sich ganz klar zur Rechtsstaatlichkeit zu bekennen, meine Damen und Herren.
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Wenn Mateusz Morawiecki in Deutschland ein Interview gibt und ganz deutlich sagt: „Wir müssen die Grenze schützen; denn wenn wir heute Tausende durchlassen, dann kommen morgen Hunderttausende, übermorgen Millionen“, dann ist das doch ein Hilferuf an Deutschland. Denn Deutschland ist nicht nur ein Teil des Problems, Deutschland ist der Kern des Problems.
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Denn das Ziel dieser Leute ist nicht die Europäische Union im Allgemeinen, das Ziel ist Deutschland.
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– Frau Nastic, das erklären die ganz offen: Wenn die von polnischen Grenzschützern aufgesammelt werden, mit denen Sie sich offensichtlich nie unterhalten, dann sagen die auf die Frage: „Wollen Sie Asyl in Polen beantragen?“ ganz deutlich: „Nein, wir wollen nach Germany“, mit deutlicher Betonung auf Money, weil ihre Vorstellung ist, weil die Grundlage für den Kauf ihres Tickets für 10 000 Euro mit der Schleusung über die Grenze war, dass Merkel ihnen ein Haus baut, dass Merkel sie aushält.
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Meine Damen und Herren, Deutschland kann in dieser Situation nur eine richtige Sache tun. Deutschland muss ganz klar bekunden: Niemand kommt hier rein. Alle werden abgeschoben. Kein Cent aus unseren Sozialkassen kann an diese Menschen ausgezahlt werden. Meine Damen und Herren, wir haben bei dieser Sache Recht und Gesetz und auch die Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention hinter uns; denn es handelt sich nicht um Flüchtlinge, es handelt sich um Menschen, die Asyl in Polen ablehnen.
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege Kleinwächter.
Es handelt sich um Menschen, die gewaltsam die Grenze durchbrechen, meine Damen und Herren. Ich bitte Sie: Bewahren Sie die Stabilität unseres Landes und unserer Heimat!
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Elisabeth Kaiser.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass es der AfD heute nicht um eine sachliche Debatte und eine Auseinandersetzung über die Lösung des Konflikts geht, haben wir sehr eindrücklich gemerkt. Das würde der AfD auch das Pulver nehmen, das sie zur eigenen Profilierung braucht und das ihnen ihr Gesinnungsfreund Lukaschenko liefert.
Unter dem Deckmantel europäischer Sicherheitspolitik geht die AfD in die Debatte, um mit bedrohlicher Rhetorik Angst zu schüren,
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Angst vor gerade einmal 2 000 bis 4 000 Menschen an der polnischen Grenze, die Schutz, Sicherheit und eine Perspektive suchen, aber bisher nur Gewalt, Kälte, Hunger und sogar den Tod fanden. Genau deshalb fällt es uns heute auch nicht schwer, den Antrag der AfD abzulehnen.
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Dennoch ist es uns ein Anliegen, hier im Interesse einer Lösung zur Entspannung der Situation an der europäischen Außengrenze in Polen zu diskutieren. Denn es muss uns um die Menschen gehen und nicht um politische Spielchen oder gar Profilierung.
Fakt ist, dass Diktator Lukaschenko Menschen unter falschen Versprechungen an die europäische Grenze nach Lettland, Litauen und insbesondere nach Polen bringen lässt.
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Wenn Lukaschenko aber glaubt, er könne Menschen als politisches Druckmittel gegen europäische Sanktionen einsetzen, dann ist das ein Irrglaube. Wir lassen uns nicht von Diktatoren erpressen, von Diktatoren, die Menschen misshandeln und für ihre menschenunwürdige Politik instrumentalisieren. Hier stehen wir als Europäische Union geschlossen.
Nun braucht es aber auch eine geschlossene europäische Antwort. In erster Linie gilt es, die Situation vor Ort in den Griff zu bekommen und für Maßnahmen zu sorgen, die solche Versuche der Einschüchterung dauerhaft gar nicht erst ermöglichen. Dazu muss – erstens – dafür gesorgt werden, dass die Schleusungen an die europäische Außengrenze unterbunden werden. Entsprechende Maßnahmen haben die europäischen Außenminister beschlossen, und ich danke Heiko Maas für das entschiedene Handeln.
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Mit den Strafmaßnahmen treffen wir jene, die von der Instrumentalisierung der Asylsuchenden profitieren. Und die Maßnahmen zeigen Wirkung. Zudem können gezielte Informations- und Aufklärungskampagnen dabei helfen, dass Menschen gar nicht erst auf das vergiftete Angebot Lukaschenkos eingehen.
Zweitens gilt es, die geflüchteten Menschen endlich aus dieser unzumutbaren Situation herauszuholen und ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie so dringend brauchen. Wir stehen weiterhin solidarisch zu Polen und den baltischen Staaten. Aber es braucht jetzt auch Gespräche, damit wir auch internationale und europäische Hilfsorganisationen vor Ort zum Einsatz bringen können. An dieser Stelle möchte ich sagen, welchen Respekt und welche große Bewunderung ich für alle Engagierten an der polnischen und belarussischen Grenze habe, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten so sehr darum bemühen, die Situation für die Geflüchteten erträglich zu gestalten.
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Die EU muss in gemeinsamer Verantwortung dafür sorgen, dass internationale Abkommen eingehalten werden, und es braucht abgestimmte Verfahren, um vorab zu prüfen, ob die Menschen Asyl in Anspruch nehmen können oder sicher zurückgeführt werden.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Drittens und letztens möchte ich sagen: Wir brauchen nun endlich eine gemeinsame und auf Solidarität, Humanität und gegenseitiger Fürsorge beruhende Flüchtlings- und Migrationspolitik in Europa, die es auch Kommunen und Regionen ermöglicht, Geflüchteten eine Perspektive zu geben.
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Frau Kollegin!
Ich wünsche mir von der neuen Bundesregierung, dass sie sich dafür einsetzt.
Vielen Dank.
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Danke, Elisabeth Kaiser. – Letzter Redner in dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Thomas Erndl.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es geht um Menschen, die sich in großer Not befinden. Deswegen ist jetzt Handeln angesagt. Der Außenminister hat in dieser Lage die richtige Reaktion gezeigt, so wie wir es in unserem Antrag letzte Woche auch gefordert haben. Aber es sind wieder nur Reaktionen. Herr Staatsminister Roth, wo ist denn das vorausschauende Handeln? Der Winter ist doch keine Überraschung. Wo ist denn die frühe Beobachtung solcher Entwicklungen? Wo ist das Monitoring sozialer Medien, auch KI-gestützt, um diese Bewegungen früher zu erkennen?
Wir müssen hier deutlich besser, deutlich innovativer werden. Wieder einmal laufen wir der Entwicklung nur hinterher, mit katastrophalen Folgen und großem Leid für viele Menschen.
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Schon vor Monaten hätten wir eine Kommunikationsoffensive in den Herkunftsländern gebraucht – das ist die Verantwortung des Außenministers –, dass niemand auf diese kriminellen Schlepper hereinfallen sollte und dass der Weg über Belarus eine Sackgasse ist.
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Klar ist – wir haben es heute gesehen –: Wer nach Belarus fliegen kann und wer sich noch in der Region Minsk aufhält, der kann auch wieder zurückfliegen. Heute ist der erste Rückflug in den Irak,
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und das müssen wir auch unterstützen. Dazu brauchen wir weitere Flüge, auch in die Türkei und andere Länder. Das sind auch mehrere Tausend Menschen, und ich glaube, dass das die Situation vor Ort entlastet.
Aber im Grenzbereich geht es um Menschen in Not, und die brauchen jetzt unmittelbar Zugang zu humanitärer Hilfe. Und da finde ich es wirklich zynisch, Kollege Nouripour, dass ausgerechnet die Grünen die Kanzlerin für das Gespräch mit dem Diktator Lukaschenko kritisieren. Für die humanitäre Lage ist nur er selbst verantwortlich.
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Wer sie verbessern will, der muss eben diese Gratwanderung machen. Das sollten Sie respektieren und nicht kritisieren. Denn die Lage ist so ernst, dass man hier, glaube ich, das Theoriebuch zur Seite legen und in der Realität ankommen muss, meine Damen und Herren.
Herr Kollege, die Lage der Redezeit ist auch ernst.
Jawohl, ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, wer sich erpressen lässt, wer jetzt die falschen Signale setzt – auch mit dem Stichwort „Spurwechsel“ –, vergrößert das Leid auf den Migrationsrouten. Humanität, Steuerung, Ordnung und Begrenzung: Das muss auch in Zukunft die Richtschnur unserer Politik sein, und dafür steht die Union.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Thomas Erndl. – Damit schließe ich die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke hat heute den Antrag „Kita- und Schulschließungen verhindern – Mehr Tempo bei Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche“ vorgelegt, weil wir sehenden Auges auf eine erneute Bildungskatastrophe zusteuern, obwohl sie abgewendet werden könnte. Das darf auf keinen Fall passieren.
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Die geschäftsführende alte Bundesregierung verschleppt das Thema wieder mal, und die designierte neue Ampelkoalition ist hier bislang untätig.
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Bei allem Verständnis für die schwierige Gemengelage zu Beginn einer neuen Regierung: Kolleginnen und Kollegen, jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich mit Lösungen Zeit zu lassen. Jetzt ist der Zeitpunkt, um Familien und Schulen zu zeigen, dass alles getan wird, um Kinder und Jugendliche zu schützen und die Bildungseinrichtungen möglichst offen zu halten. Jetzt ist dieser Zeitpunkt. Es ist bereits fünf nach zwölf.
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Wir wissen doch alle: Die Kita- und Schulschließungen während der letzten eineinhalb Jahre Pandemie haben die Familien an den Rand ihrer Belastungsgrenze gebracht. Die psychischen Folgen dieser eingreifenden Maßnahmen sind immens. Umso schlimmer ist es für die Familien jetzt, am Beginn oder eigentlich schon mitten in der vierten Welle jeden Tag erneut zu zittern, ob ihnen ein solches Szenario wieder droht. Darauf braucht es jetzt dringend Antworten.
Daneben verschärft sich die soziale Spaltung. Auch das kann man doch nicht einfach so laufen lassen. Gerade Kinder von Alleinerziehenden, von Eltern, die im Schichtdienst arbeiten, oder die in beengten Wohnverhältnissen leben, drohen jetzt noch weiter abgehängt zu werden, wenn wir das nicht verhindern. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass da endlich mal gegengesteuert wird. Aber Sommer um Sommer und Ferien um Ferien verstreichen, und die Bundesregierung tut nichts. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Familien, Kolleginnen und Kollegen.
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Viele Bildungseinrichtungen sind für den drohenden Coronawinter nicht gewappnet und benötigen unverzüglich eine pandemiegerechte Ausstattung. Es ist ja schön, dass sich hier anscheinend alle Fraktionen einig sind, dass die Bildungseinrichtungen möglichst offen gehalten werden sollen. Ja, aber warum passiert denn dann nichts? Luftfilter kommen nicht in den Schulen an. Es gibt keine Ideen für zusätzliche Räume für kleinere Lerngruppen. Nichts wurde unternommen, um endlich mehr Fachkräfte zu gewinnen. Die Tablets und Laptops, die essenziell sind, wenn es zu Quarantäne oder Wechselmodellen kommt, kommen ja wirklich nur in homöopathischen Dosen in den Schulen und Familien an.
Auch bei den Ländern ist keine klare Linie zu erkennen. Maske auf in Berlin, Maske runter in NRW. Nach gefühlten hundert Coronagipfeln gibt es immer noch keine klaren Vorgaben. Das ist völlig irre.
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Wir müssen jetzt alles daransetzen, die junge Generation, die sich noch nicht impfen lassen kann, um jeden Preis zu schützen. Wir müssen Eltern die Sorge nehmen, dass ihre Kinder in den Bildungseinrichtungen nicht geschützt sind. Es braucht einen Plan, wie die Kitas und Schulen pandemiefest gemacht und möglichst offen gehalten werden können, und eine Perspektive, wie die sozialen und psychischen Folgen der Pandemie bewältigt werden können. Das ist jetzt der Job der Bundesregierung.
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Das ist der Job einer Bundesregierung – der alten übrigens ganz genauso wie der neuen. Machen Sie endlich Ihre Arbeit!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Nicole Gohlke. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Uli Bahr, Augsburg.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! „Wenn wir ganz und gar aufgehört haben, Kinder zu sein, dann sind wir schon tot.“ Das sind die Worte des deutschen Schriftstellers Michael Ende, des Autors der „Unendlichen Geschichte“. Die Frage, wann Kinder wieder Kinder sein dürfen, beschäftigt mich und ist einer der Gründe, warum wir hier debattieren. Denn Kinder hatten in den vergangenen 18 Monaten nur sehr wenige Möglichkeiten, Kind zu sein. Kinder wurden zu Hause isoliert. Kinder können nicht richtig lernen. Kinder durften nicht mehr Kind sein. Kurzum: Kinder haben seit Beginn der Pandemie gelitten, und zwar sehr.
Ursache dafür waren vor allem die Folgen der Schul- und Kitaschließungen. Aber die flächendeckende Schließung von Schulen und Kitas wird zukünftig keine Option mehr sein, auch nicht bei dramatisch hohem Infektionsgeschehen. Nur dann, wenn es in einer Einrichtung ein akutes Ausbruchsgeschehen gibt, welches nicht unter Kontrolle zu bekommen ist, kann eine Schule oder eine Kita vorübergehend geschlossen werden. So sieht es der neue Gesetzentwurf zum Infektionsschutzgesetz vor.
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Wenn wir eines aus der Pandemie gelernt haben, dann dass flächendeckende Schul- und Kitaschließungen nicht erste Mittel der Wahl sein können, um diese Pandemie zu besiegen. Der Preis dafür ist zu hoch. Als ehemalige Lehrerin weiß ich: Wenn wir den Kindern die Schule wegnehmen, richten wir Schäden an, die nur schwer zu reparieren sind.
Es ist mittlerweile erwiesen, dass es zahllose Kinder mit psychischen Problemen gibt, die auf die Schließungen zurückzuführen sind. Unsere geschäftsführende Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht brachte es auf den Punkt:
Schulen und Kitas müssen offen bleiben, damit psychische Belastungen, Einsamkeit, Bewegungsmangel und Lernrückstände sich nicht noch weiter vergrößern.
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Aber es sind nicht nur die Kinder, die unter Folgen der Schließungen leiden. Auch das Unverständnis der Eltern steigt. Die Kritik der Eltern wendet sich dabei nicht gegen die Coronamaßnahmen. Sie richtet sich vielmehr dagegen, dass Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig benachteiligt werden.
Auch Kinderärzte schlagen Alarm: Kinder sind keine Infektionstreiber. Die am Montag veröffentlichte Schulstudie der Kultusministerkonferenz wird noch konkreter: Kinder sind nicht die, die in erster Linie das Virus verbreiten, aber sie leiden eindeutig am meisten. Und wann fangen wir, wann fängt man endlich an, darauf zu hören?
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Inzidenzen bei Kindern und Erwachsenen werden sehr verschieden wahrgenommen. Aus drei Gründen bedarf es bei der Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen einer Erklärung.
Erstens. Kinder und Jugendliche werden sehr selten schwer krank. Schon alleine aus diesem Grund hat die Inzidenz völlig andere Auswirkungen als bei Erwachsenen.
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Zweitens. Kinder und Jugendliche werden regelmäßig in Kitas und Schulen getestet. Es gibt in Deutschland keine Gruppe, die systematisch besser erfasst wird.
Drittens. Ungeimpfte Erwachsene lehnen oftmals nicht nur die Impfung, sondern auch die Coronamaßnahmen ab; ein Blick zu meiner ganz rechten Seite reicht für diese Erkenntnis völlig aus. Ungeimpfte Kinder hingegen halten sich meist an die Vorgaben. Darum kann eine flächendeckende Schließung von Kitas und Schulen auch bei höheren Inzidenzen keine Option mehr sein. Es gibt nur einen möglichen Weg aus der Pandemie: Impfen, Impfen, Impfen – die Erwachsenen und die Jugendlichen.
Der Weg in die Normalität wird noch lang. Aber wir haben selbst die Werkzeuge in der Hand, um Worst-Case-Szenarien zu unterbinden. Sie heißen: mehr Tests, mehr Impfungen und endlich wieder eine konsequente Nachverfolgung von Infektionen, bis wir ein stabiles Impfniveau erreicht haben.
Der Antrag der Linkspartei zählt allerdings
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– Entschuldigung, der Linken – Werkzeuge auf, die bereits Realität sind: von Schnelltests über medizinische Masken bis hin zu Impfangeboten für das Personal. All das ist bereits Teil des Alltags an deutschen Schulen, und das mit einem sehr hohen Engagement vor Ort.
Hierzu auch der Appell, liebe Lehrer/-innen und liebe Erzieher/-innen an den Kitas, liebe Eltern: Der Schlüssel, um Deutschlands Schulen und Kitas gut durch den Winter zu führen, liegt darin, dass Sie sich alle impfen und demnächst auch boostern lassen. Nur so stellen wir wirklich sicher, dass wir nie wieder über dieses Thema streiten müssen. Das ist der beste Schutz für Kinder.
Beenden wir diese unendliche Geschichte um Schließungen von Kitas und Schulen, und geben wir unseren Kindern ihr Leben zurück! Sie haben es sich verdient.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Uli Bahr. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Katrin Staffler.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es überrascht mich nicht, dass die Linksfraktion die Zeit, die sie heute im Plenum hat, dafür nutzt, einen Antrag vorzulegen, der komplett die Verfassungswirklichkeit im Bildungsföderalismus ausblendet, und zwar konsequent. Wir kennen das; deswegen überrascht es nicht. Wir haben das jetzt schon mindestens vier Jahre so gesehen. Ich bin einmal gespannt, was Sie machen, wenn die zukünftige links-gelbe Regierung
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den Bildungsföderalismus bis zur Unkenntlichkeit aufweicht oder abschafft. Da kommen Sie echt in Stress. Da müssen Sie sich mal was Neues überlegen.
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– Auch das mag stimmen.
So viel zu dem, was mich nicht wundert. Was mich hingegen schon verwundert, ist, dass gerade Sie als Linksfraktion mehr Tempo bei den Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche fordern. Da muss ich jetzt an der Stelle schon noch einmal nachfragen: War es nicht der Freistaat Thüringen, also geführt unter einer Linksfraktion-Regierung,
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der die Coronatestpflicht an Schulen im September beendet hat und das Tragen von Masken im Unterricht ab der fünften Klasse einfach hat wegfallen lassen? Also, anstatt jetzt hier im Bundestag eine Scheindebatte zu führen, sollten Sie doch viel lieber mal da ansetzen, wo auch die Verantwortlichkeiten liegen.
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Vielleicht können Sie ja mal mit Ihren Parteifreunden in Thüringen sprechen, dass sie vor Ort mehr Tempo machen; denn da sind sie nämlich dafür zuständig, dass unsere Schulen sichere Orte sind.
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Abgesehen davon sind wir uns, glaube ich, über die Parteigrenzen hinweg einig, dass die Aufrechterhaltung des Präsenzbetriebs an den Schulen natürlich das Gebot der Stunde ist.
Ich möchte an der Stelle im Übrigen auch mal eine Lanze für unsere Kommunalpolitiker vor Ort brechen. Die versuchen da vor Ort alles, wirklich alles, dass der Präsenzbetrieb an den Schulen gelingt. Ich kenne keinen Verantwortlichen in den Gemeinden in meinem Wahlkreis, der in letzter Zeit nicht lange Stunden am Tag damit verbringt, dass sie die Lage einigermaßen im Griff behalten, sei es mit Blick auf die ausreichende Versorgung mit Testmöglichkeiten, das Organisieren von Betreuungs- und Lehrkräften, zusätzliche Räumlichkeiten usw. usf. Man könnte die Liste beliebig fortführen. Das ist eine echte Mammutaufgabe für unsere Kommunen. Und deswegen möchte ich an der Stelle einfach mal ein großes Dankeschön an die Verantwortlichen sagen, die sehr umsichtig damit umgehen.
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Statt dass man den Ländern weiterhin den notwendigen Instrumentenkasten an die Hand gibt, damit sie passgenau und effektiv auf die Pandemie reagieren können,
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schränken die Ampelfraktionen mit ihrem heutigen Beschluss zur Nichtverlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Länder genau in diesen Handlungsoptionen, die wir bislang eigentlich noch hatten, noch weiter ein.
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Ganz konkretes Beispiel aus unserem Bereich
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– hören Sie zu! das ist durchaus frappierend –: Die verfassungsrechtliche Zuständigkeit für das Luftfilterförderprogramm an den Schulen haben wir in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht.
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Diese Zuständigkeit für ein Programm, das sich auch großer Nachfrage erfreut, basiert einzig und allein auf der Feststellung des Vorliegens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Wenn die Feststellung jetzt wegfällt, so wie es heute beschlossen worden ist, dann läuft das Programm zum Jahresende aus. So sieht die Realität aus,
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und das mitten in einer Zeit, in der so mancher Landkreis eine Inzidenz von über 1 000 aufweist.
Das ist doch verrückt, was Sie da machen: auf der einen Seite groß rumtönen: „Schulschließungen wollen wir unbedingt verhindern“, und auf der anderen Seite in Kauf nehmen, dass so wichtige Förderprogramme einfach wegfallen. Als Mitglied einer Oppositionspartei müsste ich mich eigentlich freuen, wenn der künftigen Regierung solche wirklich peinlichen handwerklichen Fehler passieren.
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Aber ich kann mich nicht freuen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Fehler zulasten unserer Kinder gehen.
Die Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.
Jawohl. – Insofern halte ich das, was da heute passiert ist, in der jetzigen Situation für absolut absurd. Das ist leider ein Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Jahren unter Ihrer Regierung erwarten wird: eine verantwortungslose Politik zulasten unserer Kinder. Schade; man könnte es besser machen.
Besten Dank.
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Vielen Dank, Frau Staffler. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Kai Gehring.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr haben Kinder und Jugendliche einen ziemlichen Zickzackkurs bei der Pandemiebekämpfung mitmachen müssen. Wir alle stehen als politisch Verantwortliche in der Pflicht, Kindern und Jugendlichen Bildung, Chancen und Teilhabe zu ermöglichen. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Gesundheit, und sie haben ein Recht auf Bildung. Dieses Recht auf Bildung hat besonders gelitten, und das ändern wir jetzt.
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Kinder, Jugendliche und ihre Eltern haben die Hauptlast des Schul-Lockdowns getragen. Sie, Erzieher/-innen und Lehrkräfte sind über sich hinausgewachsen. Und da können wir nur Danke sagen.
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Kinder und Jugendliche waren in der Pandemiekrise hochsolidarisch und müssen nun mit ansehen, wie sich manche Erwachsene rücksichtslos vergnügen, in geschlossenen Räumen Karneval feiern oder dichtgedrängt in Fußballstadien stehen. Solidarität ist in der Pandemie aber keine Einbahnstraße. Kinder und Jugendliche und ihre Förderung gehören jetzt endlich in den Mittelpunkt.
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Ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Darum sollen Länder und Kommunen Maskenpflicht anordnen können, Abstandsgebote verhängen, Luftfilter nachrüsten, Wechselunterricht anbieten, zur Gefahrenabwehr notfalls einzelne Klassen oder sogar Schulen vorübergehend schließen dürfen. Aber: Ein pauschaler Lockdown und flächendeckend bundesweit von jetzt auf gleich alle Bildungseinrichtungen dichtzumachen, das ist mit dem Recht auf Bildung nicht mehr vereinbar.
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Denn geschlossene Schulen bedeuten Bildungsverluste für Kinder und Jugendliche. Geschlossene Schulen schaden besonders Kids mit ohnehin geringen Bildungschancen. Hinzu kommen psychosoziale Belastungen. Deswegen müssen und wollen wir mit Schulschließungen deutlich sorgfältiger und verhältnismäßiger umgehen, als es die Vorgängerregierung getan hat.
Wir wollen gute Bildung, aber sicher, und das müssen wir im ganzen Land endlich besser hinkriegen. In vielen Ländern gibt es – nach sehr langem Zögern auch beim Bund – Programme, um Klassenräume mit Luftfiltern auszustatten. Doch hochbürokratische Vorgaben blockieren, dass sie schnell vor Ort den Schülerinnen und Schülern zugutekommen.
Selbst Privatinitiativen helfen nicht: Bei mir im Ruhrgebiet wollten Eltern Luftfilter privat spenden und in der Schule für ihre Kids aufstellen. Das NRW-Bauministerium sagte schroff Nein – Zitat –: „Denn es könnten Geräte gekauft werden, die nicht gut genug sind.“ Statt Blockaden und hochbürokratischen Antragsverfahren brauchen wir mehr Agilität und mehr Pragmatismus in der Umsetzung.
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Unsere Aufgabe als Bundestagsabgeordnete ist doch jetzt, die Nachlässigkeit der noch amtierenden Regierung zu korrigieren und den Ländern viel stärker unter die Arme zu greifen, damit Programme endlich fliegen und endlich stärker ans Laufen kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Impfen, Impfen, Impfen, das ist immer noch das beste Mittel, um die Pandemie beherrschbar zu machen. Die Impflogistik muss jetzt deutlich schneller wieder hochgefahren werden, und zwar planmäßig und zackig, für die Erst- bis zu den Drittimpfungen und in Kürze dann auch für die Impfungen der unter Zwölfjährigen. In meiner Kindheit waren Impfungen gegen Kinderkrankheiten ein selbstverständliches Gruppenevent in Kitas und Schulen, und diese Selbstverständlichkeit wünsche ich mir für heute zurück.
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Impfstoffe sind Meisterstücke der Wissenschaft, zivilisatorischer Fortschritt, und sie retten Menschenleben. Für mich ist es daher unerträglich, wenn einzelne Erzieher/-innen und Lehrkräfte die Impfung verweigern und so in Kauf nehmen, die Gesundheit auch ihrer Schutzbefohlenen zu gefährden. Darum unser Appell: Lassen Sie sich endlich impfen! Der beste Schutz für noch ungeimpfte Kinder sind geimpfte Erwachsene.
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Auch die Berufsverbände und Gewerkschaften bitte ich: Wirken Sie auf Ihre Mitglieder stärker ein!
Das Risiko, das Virus zu übertragen oder daran zu erkranken, ist durch die Impfung deutlich vermindert. Darum ist es folgerichtig, eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen ins Auge zu fassen, in Verantwortung gegenüber Kindern, zum Selbstschutz und im Übrigen auch zur Befriedung in den einzelnen Einrichtungen.
Impfen ist gelebte Solidarität, damit nicht mehr Kinder und Jugendliche die Hauptlast zu tragen haben und sie endlich alle Unterstützung bekommen beim Nachholen und Aufholen.
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Vielen herzlichen Dank, Kai Gehring. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Jens Brandenburg.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die monatelangen und flächendeckenden Schulschließungen haben in der jungen Generation verheerende Schäden hinterlassen. Ein Drittel der jungen Schüler und Schülerinnen hat sehr starke psychische Auffälligkeiten im Schul-Lockdown gezeigt. Sie litten oftmals unter sozialer Isolation und unter Bewegungsmangel. Viele von ihnen haben den Anschluss im Unterricht völlig verloren, hatten oftmals keinen geregelten Tagesablauf und auch keine Motivation, überhaupt noch zu lernen.
Ob und inwiefern Unterricht überhaupt stattgefunden hat, hing sehr stark von der jeweiligen Schule, der Lehrkraft und auch dem Elternhaus ab; denn nicht jeder hat zu Hause ein eigenes Zimmer, in das man sich zum Lernen zurückziehen kann, die nötige technische Ausstattung für digitalen Unterricht oder auch ein soziales Umfeld, das jeden Morgen aufs Neue zum Lernen motiviert.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bildung, und der Staat hat die Pflicht, zu unterrichten.
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Dieser Pflicht ist der deutsche Staat in den letzten Monaten nicht ausreichend gerecht geworden. Deshalb ist es richtig, dass die drei Fraktionen der Ampelparteien heute Vormittag das Instrument der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ersetzt haben.
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Denn auch in Pandemiezeiten darf es nie wieder zu einer flächendeckenden Schulschließung kommen.
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Gemeinsam mit SPD und Grünen haben wir Freie Demokraten heute ein neues Kapitel der Pandemiepolitik eröffnet; denn über die Hälfte der Intensivbetten sind momentan mit Menschen, die älter als 60 Jahre sind, belegt. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen auf den Intensivstationen ist sehr, sehr gering. Sie können sich zwar infizieren, haben aber in aller Regel sehr milde Verläufe. Die eigentlichen Risikogruppen sind also Menschen mit Vorerkrankungen und insbesondere die ältere Generation.
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Trotzdem hat die bisherige Regierung insbesondere die Jugend in die soziale Isolation geschickt. Bis heute wird doch an den Schulen sehr viel engmaschiger auf Corona getestet als in den Alten- und Pflegeheimen, also im direkten Umfeld derjenigen, die am meisten von Corona bedroht sind, und das werden wir ändern.
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Die Zeiten der schmerzhaften Placebopolitik, die sind vorbei. Wir in der Ampel setzen auf wirksame Maßnahmen, die die Älteren schützen und die Jungen nicht alleine lassen.
Natürlich können auch Kinder und Jugendliche das Virus weitergeben, keine Frage. Was ist also zu tun, um Infektionsketten auch an den Schulen besser zu durchbrechen? Das Programm für mobile Luftfilter – wir haben es FDP-seitig in den letzten Jahren immer wieder gefordert – haben Sie seitens der Unionsfraktion so lange verschleppt, dass die Kommunen aktuell mit massiven Lieferengpässen zu kämpfen haben.
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Jetzt hilft nur noch Testen, Testen, Testen.
Mit der Gesetzesnovelle von heute Vormittag haben die Länder alle Möglichkeiten zur Hand, weitere Auflagen für einen pandemiegerechten Unterricht zu beschließen. Die Impfquote ist erfreulicherweise bei den Lehrkräften, auch bei Erziehern und Erzieherinnen mit etwa 90 Prozent bereits sehr hoch, nicht aber bei den Jugendlichen ab zwölf Jahren, für die es ja auch seitens der STIKO eine offizielle Impfempfehlung gibt. Da liegt sie bundesweit bei etwa 45 Prozent. Da ist viel Luft nach oben. Das Musterland Schleswig-Holstein zeigt, wie das gelingen kann. Setzen wir also bundesweit auf niedrigschwellige Impfangebote für Jugendliche, auch an den Schulen!
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Schulen sind ja in dieser Pandemie nicht der Infektionstreiber. Im Gegenteil: Mit den regelmäßigen Tests tragen sie ganz wesentlich zur frühzeitigen Erkennung von Infektionsketten bei. Die junge Generation, die darf jetzt nicht erneut zum Opfer, zum Leidtragenden einer falschen Pandemiepolitik werden. Deshalb haben wir seitens der Freien Demokraten gemeinsam mit SPD und Grünen diesen Politikwechsel in der Pandemiepolitik eingeleitet. Ein Wechsel, der endlich das Recht auf Bildung achtet, die psychische Gesundheit junger Menschen genauso ernst nimmt wie ihre körperliche Gesundheit und die Risikogruppen, insbesondere die ältere Generation, endlich wirksam schützt.
Sie haben das seitens der Unionsfraktion in den letzten Monaten versäumt. Wir werden das gemeinsam ändern. Deshalb machen wir heute einen guten Schritt hin zur Bewältigung dieser Pandemie und setzen ein starkes Signal an die junge Generation.
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Vielen Dank, Dr. Jens Brandenburg. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Götz Frömming.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss schon sagen: Ich bin etwas überrascht, wie viele meiner Vorredner heute hier von diesem Pult medizinische Empfehlungen abgegeben haben. Ich habe auch studiert. Ich weiß nicht, was Sie studiert haben, aber von den meisten weiß ich, dass sie zumindest nicht Medizin studiert haben; Herr Gehring, Sie nicht, Herr Brandenburg, Sie auch nicht.
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Also, da wäre ich doch ein bisschen zurückhaltender mit solchen Empfehlungen, nicht dass Sie da noch Schwierigkeiten bekommen.
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Meine Damen und Herren, als ich den Antrag der Linken – um den geht es ja heute hier – gesehen habe, dachte ich: Das klingt ja sehr gut, „Kita- und Schulschließungen verhindern“; genau das wollen wir auch. – Lesen wir doch mal, was da drinsteht. Es ging ja richtig los: Da beschreiben Sie die Konsequenzen der Maßnahmen, nicht der Pandemie und des Virus; das haben ja auch alle Redner heute eingeräumt. Die Schülerinnen und Schüler, die Kinder haben vor allen Dingen unter den Konsequenzen der Maßnahmen gelitten, die Sie hier alle miteinander eingeführt und an denen Sie viel zu lange festgehalten haben.
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Ihre Lernkurve ist so flach; das hätte man doch alles viel eher verstehen können.
Wir waren die erste Fraktion, die gesagt hat: Wir müssen die Schulen vorsorglich schließen, aber nur für einen kurzen Zeitraum. Denn wir wussten nicht, wie gefährlich dieses Virus für Kinder und Jugendliche sein würde. Die anderen Länder um uns herum hatten schon alle die Schulen geschlossen. Sie haben geschlafen, und Sie haben dann überreagiert.
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Wir waren natürlich auch die erste Fraktion, die gesehen hat:
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Für Kinder und Jugendliche ist dieses Virus gar nicht besonders gefährlich.
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Deshalb haben wir gefordert, die Schulen wieder aufzumachen, weil wir erkannt haben, was Sie mit Ihren Maßnahmen anrichten; wenigstens haben Sie das heute eingeräumt. Sie sollten sich bei den Schülern und Kindern entschuldigen für das, was Sie ihnen angetan haben.
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Wie gesagt, Kinder sind nicht oder zum Glück nur selten Opfer des Virus; aber sie sind Opfer Ihrer Maßnahmen geworden.
Dieser Antrag der Linken räumt ja die Schulschließungen weiter als Option ein. Sie wollen sie ja gar nicht ausräumen. Insofern ist auch dieser Antrag bei genauerer Betrachtung letztlich nur eine Mogelpackung; er bringt uns nicht weiter.
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Meine Damen und Herren, es stellt sich natürlich auch – auch das wurde schon angesprochen – die Frage der Zuständigkeit. Vieles, was Sie beschreiben, gehört ja in den Bereich der Länder. Nun haben wir schon in der letzten Legislaturperiode gesehen, dass sich hier eine neue Allianz zur Schleifung der föderalen Strukturen unseres Grundgesetzes gebildet hat.
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Demnach gehört Bildung wie Kultur eindeutig in den Länderbereich; das wollten Sie abschaffen.
Am Ende ist sogar die CDU hier halbwegs umgekippt; der Kollege Schipanski hat in der Richtung argumentiert. Ich hoffe, dass die CDU jetzt in der Opposition gemeinsam mit uns wieder auf den Pfad der Tugend zurückfindet.
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Ich sage: Treten Sie mit uns gemeinsam für das Grundgesetz ein! Stellen Sie sich vor den Föderalismus,
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und hören Sie auf, gemeinsam mit den rot-gelb-grünen Bildungssozialisten
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die Strukturen unserer Verfassung ins Wanken zu bringen! Der Föderalismus hat sich bewährt; wir sollten ihn beibehalten. Einen Zentralismus, wie wir ihn aus der DDR vielleicht noch kennen, den brauchen wir nicht, meine Damen und Herren.
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Danke schön, Dr. Frömming. – Jetzt freuen wir uns – ich freue mich auf jeden Fall, und ich hoffe, Sie sich auch – auf die erste Rede der Kollegin Jessica Rosenthal für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde jetzt mehrfach deutlich gesagt: Diese Pandemie hat nicht nur Menschenleben gekostet, sondern sie hat auch Chancen gekostet. Als eine Lehrerin, die in der Pandemie unterrichtet hat, kann ich Ihnen sagen: Ich habe diese Chancen durch meine Finger rinnen sehen. Ich saß im Onlineunterricht, und auf der anderen Seite saß ein Inklusionskind. Die Mutter, der deutschen Sprache nicht mächtig, hat alles gegeben, um diesem Kind zu helfen. Ich habe es fünfmal probiert. Diese Hilflosigkeit, die ich selber gespürt habe, werde ich niemals vergessen.
Ich glaube, sie zeigt sehr deutlich, was die Kolleginnen und Kollegen, die in den Schulen stehen, alles versucht haben, was die Erzieherinnen, was alle in den Bildungseinrichtungen jeden Tag geleistet haben und jeden Tag leisten. Ich finde, es ist Zeit, zu sagen – und das immer wieder –: Danke schön, dass ihr euch so reingehängt habt!
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Ich möchte aber auch eine Gruppe nicht vergessen, die sich genauso reingehängt hat – das hat ja das Beispiel gezeigt –: Auch die Eltern haben alles gegeben, und ja, vor allem auch die Mütter, die in dieser Doppelbelastung so viel gestemmt haben. Das war am Ende keine Selbstverständlichkeit; das will ich so klar sagen. Es war aufopferungsvoll, und es gebührt diesem Engagement unser tiefster Respekt.
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Ich will klar sagen: Meine Erfahrungen sind keine subjektiven Eindrücke, sondern meine Erfahrungen sind evident und sind die Erfahrungen all meiner Kolleginnen und Kollegen. Wenn sich die Lernzeit halbiert hat, wenn 90 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen sagen: „Die soziale Ungerechtigkeit hat sich verstärkt“, dann muss man doch feststellen: Die Evidenz zeigt sich hier.
Und wen wundert es am Ende auch? Wenn sich zwei bis drei Geschwister ein Zimmer teilen, dann kann man nicht vernünftig lernen. Deshalb sage ich hier auch klar: Wer Deutschland zum Chancenland machen will, der muss auch die Wohnungskrise bekämpfen, der muss auch dafür sorgen, dass Bildungsdurchlässigkeit da ist, dass vernünftige Ausstattung da ist.
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Aber ich sage auch: Dieses Haus hat natürlich auch eine ganz konkrete Verantwortung in dieser Pandemie. Wir müssen Kindern und jungen Menschen Antworten geben darauf, wie ihr Recht auf Bildung gewahrt werden kann. Deshalb ist das Infektionsschutzgesetz – der Kollege hat es gerade noch mal dargestellt – genau der richtige Schritt gewesen.
Ich sage Ihnen von der AfD ganz klar:
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Wie perfide Sie ausgerechnet das Wohl von Kindern und Jugendlichen hier vorschieben,
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um Ihre wirklich menschenverachtenden und extrem kritischen Lügen zu rechtfertigen!
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Das wird der Lage der jungen Menschen so was von überhaupt nicht gerecht!
Wir müssen einfach klar sagen: Das Einzige, was diese Kinder schützt, ist,
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dass wir uns alle impfen lassen.
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Also stehen Sie endlich dazu. Wir müssen uns impfen lassen, und genau das stellt das Recht der Kinder auf Bildung sicher. Ich finde es deshalb auch richtig, dass wir jetzt sagen: Keine flächendeckenden Schulschließungen!
Und ja, ich sage auch: Es ist richtig, dass wir vor allem auch die Betriebe in die Pflicht nehmen, dass wir jetzt sagen: Es muss in den Betrieben 3 G gelten. Wir brauchen eine Homeoffice-Pflicht. Denn zuerst müssen wir dafür sorgen, dass in den Betrieben gegen die vierte Welle angekämpft wird, und wir müssen gerade darüber auch sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche geschützt werden.
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Von daher sind wir in der Sache an der Stelle, glaube ich, zusammen. Wir haben die Maßnahmen schon beschlossen, und jetzt gilt es, das Recht auf Bildung sicherzustellen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Jessica Rosenthal. – Danke, dass Sie bei Ihrer ersten Rede gleich schon mal 17 Sekunden eingespart haben.
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Daran können sich Ihre Kollegen und Kolleginnen ein Beispiel nehmen.
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Letzter Redner in dieser Debatte, aber, so wie es aussieht, auch in der Debatte heute: Stephan Albani für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns fast alle einig: impfen, impfen, impfen; Schulen nicht schließen; die Bildungschancen unserer Kinder erhalten. Das sind Ziele, die wir alle gemeinsam verfolgen; das ist völlig logisch.
Insofern war ich am Dienstag, als ich die Information bekam, hier soll eine Debatte zu dem Thema aufgesetzt werden, ganz gespannt, weil ich gedacht habe: Wow, da wird jetzt wahrscheinlich ein Bombeneinfall drinstehen, etwas, das wir alle noch überhaupt nicht bedacht haben, das jetzt genau in dieser Zeit parlamentarischer Arbeit uns alle so eine Art Erweckungsmoment bringen wird.
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Als das Ding jedoch am Mittwoch auf dem Tisch lag, verspürte ich eine gewisse Ernüchterung. Die Analyse – eine fraglos korrekte Situationsbeschreibung – mündet in drei Forderungen, die da beginnen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf …
– und jetzt kommt es –
gemeinsam mit den Ländern …
Das zeigt wieder mal einen Fehlansatz linker Bildungspolitik: Da, wo Sie etwas ändern wollen, können Sie es nicht, und da, wo Sie es können, wollen Sie es nicht. Das hat schon meine Kollegin Frau Tiemann letzte Legislatur in vielen Debatten schier zur Verzweiflung gebracht. Deswegen ein kleiner Merksatz: Schulen liegen in der Verantwortung der Länder. Punkt! Das ist nun mal so; das können wir hier auch nicht ändern.
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– Jetzt sollten Sie aber mal zum Hörtest gehen; da war was.
Da nützt es auch nichts, sich hinzustellen, wie Sie es jetzt gerade tun, Frau Gohlke, und wie ein Struwwelpeter zu sagen: Ich will das aber, und die Menschen interessiert das alles gar nicht mehr. – An dieser Stelle bedeutet es letzten Endes, den Realitäten ins Auge zu schauen.
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Es ist nämlich unsere Aufgabe hier vonseiten des Bundes, Vorschläge zu unterbreiten, Angebote zu machen und Unterstützungen für die Länder auf den Weg zu bringen.
Da haben wir in der letzten Legislatur Mannigfaltiges auf den Weg gebracht. Nach sehr intensiven Gesprächen über gepoolte Gurgeltests, die sich im Ausland als sehr positiv erwiesen haben und auf diese Art und Weise Schulschließungen verhindern konnten, haben wir diese entsprechend angeboten. Auch Pool-PCR-Tests auf Lollitestbasis sind letzten Endes den Ländern von beiden Ministerien angeboten worden. Ein Land wie Nordrhein-Westfalen unter Laschet und Wüst hat dieses auch flächendeckend zur Anwendung gebracht; andere Länder winkten ab.
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Insofern wieder der kleine Merksatz: Schulen liegen in der Verantwortung der Länder. Punkt!
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Außerdem haben wir – was aus meiner Sicht sehr weit ging – eine S3-Leitlinie der AWMF „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung an Schulen“ veröffentlicht. Das war eine große Broschüre, in der wir alle Maßnahmen aufgelistet haben, die an Schulen notwendig und machbar sind – als Grundlage, sortiert bzw. klassifiziert nach ihren Effekten etc. Also, die Länder hatten alle Möglichkeiten, aus diesem Katalog gleich einem Speiseplan auszusuchen, was sie für richtig halten. Genau das ist aus meiner Sicht die Aufgabe des Bundes jenseits einer Koordinierung.
Aber jetzt einfach zu sagen, wie Sie es in Ihrem Antrag machen: „Wir gehen in die Länder und machen das mal so“, ist am Föderalismus vorbeigedacht. Insofern ende ich mit dem Merksatz – Sie ahnen es; als Bildungspolitiker hoffe ich auf einen Effekt –: Schulen liegen in der Verantwortung der Länder. Punkt!
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Noch mal zu Ihrem Problem: Wenn Sie etwas ändern wollen, können Sie es nicht, und wenn Sie es können, wollen Sie es nicht.
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Damit wären wir in Thüringen. Dort hat ein Minister die Möglichkeit gehabt, alles möglich zu machen. Stattdessen verantwortet er Lehrermangel und schleppende Umsetzung in der Digitalisierung. Also, bitte sortieren Sie das korrekt – unsere Aufgabe aufseiten des Bundes ist an dieser Stelle klar –; dann wird so ein Antrag nicht mehr notwendig sein.
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