Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/8/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Frau Präsidentin, guten Morgen! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wladimir Putin führt seinen schrecklichen verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine, gegen unsere Werte von Freiheit und Selbstbestimmung. Er scheut, wie wir wissen, nicht einmal davor zurück, brutalste Gewalt anzuwenden und grundlegende zivilisatorische Werte zu vernichten. Das kann nicht ohne Reaktion bleiben. Das hat aber auch wirtschaftliche Konsequenzen für uns. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund der gerade in Verschärfung begriffenen neuen Sanktionen. Die Wachstumsaussichten trüben sich bereits ein. Der Sachverständigenrat geht davon aus, dass unsere Wirtschaft nunmehr nur noch um 1,8 Prozent in diesem Jahr wachsen wird. Zudem sieht er eine Inflationsrate von 6,1 Prozent. Gleichzeitig hat sich der Arbeitsmarkt in Deutschland im März trotz des Kriegs in der Ukraine weiter erholt. Angesichts also einer von hoher Unsicherheit geprägten Lage ist es ein Gebot ökonomischer und politischer Vernunft, das Wachstum in Deutschland zu stärken, Inflationsrisiken entgegenzutreten und Härten abzufedern. Anders als während der Coronapandemie geht es jetzt umso mehr um entschlossenes Handeln, das aber gezielt erfolgt; denn wir gehen sorgsam mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger um. Deshalb ist eine unserer wesentlichen Maßnahmen dieses Steuerentlastungsgesetz 2022. ({0}) Wir sichern den Bürgerinnen und Bürgern mehr Geld im Portemonnaie, und wir sichern den Betrieben Liquidität. Damit stützen wir langfristig die Zuversicht in eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Ich sage klar: Es ist auch Absicht der Koalition, die bei den Menschen ankommende gefühlte Inflation zu dämpfen; ({1}) denn das ist ein Beitrag, um gefährliche Lohn-Preis-Spiralen zu verhindern. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, später am heutigen Tag werden wir mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz weitere Erleichterungen auf den Weg bringen, und heute Mittag werde ich mit Robert Habeck öffentlich machen, welche zusätzlichen Unternehmenshilfen die Bundesregierung auf den Weg bringt. Nichtstun ist in dieser Lage keine Option. ({3}) Mit dem Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes 2022, den wir jetzt diskutieren, geht es direkt und unmittelbar um die Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen sie schnell und unbürokratisch entlasten. Wir helfen vor allem den Haushalten, die in besonderer Weise von Härten betroffen sind. Aber wir nehmen auch die Sorgen der breiten Mitte wahr. Zur Ehrlichkeit gehört aber eines: Die Mittel des Staates sind endlich. Er darf sich in dieser Situation fiskalisch nicht erschöpfen. Als staatliche Verantwortungsgemeinschaft müssen wir uns insbesondere an die am stärksten Betroffenen wenden, und wir müssen wirtschaftliche Strukturbrüche verhindern. Einen allgemeinen Wohlstandsverlust unseres Landes infolge von steigenden Preisen für Importe könnte der Staat aber nicht dauerhaft ausgleichen. Auch das, was wir jetzt hier vorgelegt haben, entbindet uns nicht von einer grundlegenden Neugründung der Quellen unseres Wohlstands durch marktwirtschaftliche Programme, durch öffentliche Investitionen und vor allem durch viel harte gemeinsame Arbeit. ({4}) Ich hebe drei Punkte hervor: Erstens. Wir heben den Grundfreibetrag an. Das ist ein außergewöhnlicher Schritt; normalerweise findet unterjährig keine Anpassung statt. Wir gehen diesen Schritt, weil wir die Notwendigkeit einer schnellen Entlastung sehen und weil die Vorgängerregierung die wirtschaftliche Entwicklung und insbesondere die Inflation, die wir in diesem Jahr erleben, unterschätzt hat. Deshalb werden wir durch den höheren Grundfreibetrag alle Einkommensteuerpflichtigen entlasten. Zweitens. Wir werden rückwirkend zum 1. Januar 2022 den Arbeitnehmerpauschbetrag auf 1 200 Euro anheben. Er ist seit elf Jahren nicht angefasst worden. Jetzt wird er um 20 Prozent erhöht. Das ist ein starkes Signal. Ich füge hinzu: Diese Maßnahmen wirken auf Dauer, sie bleiben. Mit der Vorlage des Progressionsberichtes werden wir auch Vorschläge für die Weiterentwicklung 2023 und 2024 machen. Es darf nicht dazu kommen, dass die Tarifentwicklung bei den Beschäftigten im Zuge der Lohnrunde, obwohl sie nur die Kaufkraft ausgleicht, am Ende zu einer stärkeren steuerlichen Belastung führt. Das wären in dieser Krise automatische Steuererhöhungen, die wir abwenden müssen. ({5}) Drittens. Die Anhebung der Bemessungsgrundlage für die Mobilitätsprämie wird vorgezogen, und es kommt zu einer vorgezogenen Anhebung der Entfernungspauschale auf 38 Cent. 4,5 Milliarden Euro umfasst dieses Paket. Alle Maßnahmen, die die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag vorlegt, summieren sich auf mehr als 16 Milliarden Euro in der vollen Jahreswirkung. Bei einer Familie mit zwei Erwerbstätigen ergibt sich dadurch eine Entlastung von 500 Euro im Jahr. Wir handeln in dieser Krise und tun das, was notwendig ist. Kaum jemand hätte der Ampel zugetraut, dass eine der ersten Maßnahmen ein Steuerentlastungsgesetz ist, das mehr Netto vom Brutto bringt. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Fritz Güntzler. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Zuhörer! Wir sind froh, dass wir heute über ein Steuerentlastungsgesetz debattieren können. Die Notwendigkeit dafür hat der Bundesfinanzminister ja eben dargestellt. Aber, Herr Bundesfinanzminister, in einem Punkt würde ich Sie korrigieren wollen. Sie haben gerade davon gesprochen, es gebe eine gefühlte Inflation. ({0}) Ich glaube, wenn Sie mal mit den Menschen auf der Straße sprechen, werden Sie merken, dass es keine gefühlte Inflation ist, sondern dass die Inflation bei den Menschen angekommen ist. Deshalb müssen wir reagieren. ({1}) Wir hatten eine Inflation von 4,9 Prozent im Januar, 5,1 Prozent im Februar und 7,3 Prozent im März. Das ifo-Institut geht davon aus, dass die Inflationsrate in diesem Jahr bei zwischen 5 und 6 Prozent liegen wird. Das ist die höchste Inflation seit 40 Jahren. Es ist die verdammte Pflicht der Regierung, hierauf zu reagieren. Dafür sollten Sie sich nicht ständig selber loben, sondern das ist eine Selbstverständlichkeit. ({2}) Von daher sind wir grundsätzlich froh, dass Sie einen Entwurf eingebracht haben, der heute auf der Tagesordnung steht. Sie blasen ihn jetzt hier rhetorisch ein bisschen auf; denn wenn wir uns angucken, was wirklich unternommen wird, sehen wir, dass es wenig ist, was da passiert ist. ({3}) Wir sind auch überrascht, Herr Minister. Am 16. Februar haben Sie an dieser Stelle bei der Befragung der Bundesregierung gesagt, man könne Freibeträge und Tarife nicht unterjährig anpassen, weil das für die Finanzverwaltung zu viel Aufwand bedeuten würde. Jetzt machen Sie das. Das ist ja gut so; Sie haben anscheinend einen Erkenntnisgewinn, und es ist für einen Minister auch gut, wenn er Erkenntnisse aufnimmt. Wir haben damals schon gesagt: Natürlich können wir den Tarif im laufenden Jahr anpassen, natürlich können wir den Grundfreibetrag anpassen. Von daher ist es gut, dass wir jetzt auf dem Weg sind, aber es ist noch zu wenig. ({4}) Das Thema „kalte Progression“ haben Sie aber nach wie vor nicht aufgegriffen. Sie erhöhen den Grundfreibetrag um 363 Euro auf 10 347 Euro. Laut Gesetzesbegründung – das kann man nachlesen – unterstellen Sie dabei eine Inflation für das Jahr 2022 von 3 Prozent. Wie ich Ihnen geschildert habe, liegen wir bei einer Inflation von 5 bis 6 Prozent. Von daher ist die Maßnahme an sich richtig, aber nicht ausreichend, meine Damen und Herren. Sie müssen noch eine Schippe drauflegen. ({5}) Sie selber waren es, die gesagt haben, als Sie noch in der Opposition waren, der Staat dürfe nicht von den heimlichen Steuererhöhungen profitieren. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, darauf zu reagieren. ({6}) Meine Bitte, Herr Bundesfinanzminister, ist: Sie haben die Möglichkeit, in der Ampelkoalition darauf zu reagieren. Das wäre, glaube ich, gut. Von daher sollten Sie auch überlegen, ob Sie nicht den Progressionsbericht vorziehen – darüber haben wir in der Befragung umfassend diskutiert –, damit wir die kalte Progression tatsächlich absenken können. Wir könnten dann die Tarifeckwerte anpassen, das Kindergeld anpassen, den Kinderfreibetrag anpassen. Sie haben hier lediglich eine Maßnahme herausgesucht. In dem Zusammenhang wäre es auch gut, wenn wir zwar nicht im Zusammenhang mit diesem Gesetz, aber dann gemeinsam – alle drei Ampelkoalitionäre wie auch wir haben das im Wahlprogramm stehen gehabt – über den Einkommensteuertarif diskutieren würden, darüber, den Mittelstandsbauch abzubauen. Wir sollten eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen, weil das sehr teuer sein wird, und gemeinsam eine Lösung finden, wie wir tatsächlich zu einer Entlastung der Bezieher mittlerer und unterer Einkommen in Deutschland kommen können. Wir als Union sind dabei, gerne mit Vorschlägen und in der Diskussion, und tragen das dann auch gerne mit, meine Damen und Herren. ({7}) Dann haben Sie herausgestellt, dass der Arbeitnehmerpauschbetrag um 20 Prozent auf 1 200 Euro erhöht wird. Das kann man begrüßen, insbesondere dann, wenn man dadurch einen Vorteil hat. Sie haben aber in Ihrer Rede ausgeführt, Herr Bundesfinanzminister, dass Sie nur Maßnahmen angehen wollen, die zielgerichtet wirken. Die einfache Erhöhung des Pauschbetrages ist keine zielgerichtete Maßnahme. Der Bundesverband Lohnsteuerhilfevereine hat in seiner Stellungnahme geschrieben: Von der Anhebung profitieren jedoch hauptsächlich Arbeitnehmer, die überhaupt keine oder nur geringe beruflich veranlasste Aufwendungen haben, sowie diejenigen, deren Aufwendungen vom Arbeitgeber erstattet werden. Dafür geben Sie 1 Milliarde Euro aus, ohne dass das zielgerichtet ist. Es gibt andere Dinge, die wir machen müssen, die wichtiger sind, die zielgerichtet gemacht werden könnten. Von daher ist das beim Werbungskostenpauschbetrag eher eine Werbeveranstaltung, die Sie hier durchführen, meine Damen und Herren. Dann zur Entfernungspauschale. Da sage ich selbstkritisch: Auch wir haben von 38 Cent gesprochen. Das war in einer Situation, als noch nicht unbedingt erkennbar war, wie sehr die Spritpreise steigen. ({8}) Das sind pro Entfernungskilometer 3 Cent, pro gefahrenem Kilometer 1,5 Cent. Durchschnittlich hat man, wenn ich ein Dieselauto nehme – wenn man das noch fahren darf –, einen Verbrauch von 7 Litern auf 100 Kilometer. Wenn Sie beim Diesel eine Steigerung von 80 Cent unterstellen, dann sind Sie pro gefahrenem Kilometer bei einer zusätzlichen Belastung, die eher bei 5 bis 6 Cent liegt. Sie erhöhen hier aber nur um 3 Cent, und das lediglich über den Werbungskostenabzug. Das ist zu wenig, Herr Minister. Hier müssen wir noch gemeinsam eine Schippe drauflegen, damit wir tatsächlich zu einer Entlastung kommen. ({9}) Ein genereller Fehler, an dem wir mitgewirkt haben – ich finde, das kann man ruhig sagen –, ist, dass wir eine Zweiklassengesellschaft bei den Pendlern haben. Ich glaube, es ist nicht mehr zu rechtfertigen, dass wir eine Erhöhung der Entfernungspauschale erst ab dem 21. Kilometer haben. Für jeden Kilometer muss die höhere Entfernungspauschale gelten. Das sollten wir in diesem Gesetzgebungsvorhaben vielleicht noch angehen. ({10}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es gäbe noch viel zu sagen. Ich hätte auch gerne noch etwas zu unserem Antrag gesagt, den wir parallel eingebracht haben. ({11}) Aber wir haben heute ja noch die Gelegenheit, im Zusammenhang mit dem Corona-Steuerhilfegesetz diese Debatte zu führen. Und Herr Kollege Dürr, wenn Sie so eine Angriffsfläche bieten, dann muss ich mich erst einmal an Ihnen abarbeiten, bevor ich unseren guten Antrag darstelle. ({12}) Aber Sie haben ja die Möglichkeit, im Rahmen der Beratung diesen Gesetzentwurf weiter zu verbessern. Wir als Union, als konstruktive Opposition stehen Ihnen gerne zur Seite ({13}) und helfen Ihnen dabei, ein vernünftiges Gesetz daraus zu machen. Herzlichen Dank. ({14})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Michael Schrodi. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Güntzler, Opposition ist Mist; das wissen wir. ({0}) Aber deswegen muss doch das politische Leben eines Oppositionspolitikers nicht darin bestehen, nur ein Sammelsurium an Forderungen zu stellen, die sich teilweise übrigens nicht einmal in Ihrem Antrag wiederfinden, den Sie vorgelegt haben, und die keine wirklich gezielten Maßnahmen in der aktuellen Situation darstellen. Konstruktive Oppositionspolitik müssen Sie wahrlich noch lernen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Die Pandemie mit all ihren Auswirkungen und nun zusätzlich die steigenden Energiepreise und damit die steigende Teuerungsrate haben zahlreiche Bürgerinnen und Bürger stark belastet und sie an die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit gebracht. Wir wollen in dieser schwierigen Situation für Verhältnisse sorgen, in denen alle Menschen gut zurechtkommen können. Die Ampelkoalition hat deshalb umfangreiche Maßnahmen beschlossen, die wir jetzt umsetzen werden. Dazu gehören die Abschaffung der EEG-Umlage, der nun verdoppelte Heizkostenzuschuss und in einem Gesamtpaket eben auch dieses Steuerentlastungsgesetz, das drei Kernmaßnahmen enthält, die wir hier beschließen werden. Erstens erhöhen wir den Arbeitnehmerpauschbetrag rückwirkend zum 1. Januar 2022 um 200 Euro. Damit reduzieren wir das zu versteuernde Einkommen. Das ist eine gute Maßnahme, meine sehr geehrten Damen und Herren. Zweitens heben wir die Entfernungspauschale für Fernpendler an. Das haben Sie übrigens noch vor einem Monat gefordert und gesagt, das sei ein großer Wurf. Wir machen das jetzt, weil wir wissen, dass es natürlich eine höhere Belastung für Pendlerinnen und Pendler gibt. Darauf reagieren wir. Es profitieren übrigens auch Geringverdiener; denn es erhöht sich auch die Mobilitätsprämie, die diejenigen bekommen, die arbeiten, aber nur ein kleines Gehalt beziehen und keine Steuern zahlen. Das ist, glaube ich, eine wichtige Maßnahme. ({2}) Ganz zentral ist drittens die Anhebung des Grundfreibetrags um 363 Euro auf 10 347 Euro, ebenfalls rückwirkend zum 1. Januar. Das heißt ganz konkret: Der Teil des Jahresgehalts, auf den keine Steuern anfallen, vergrößert sich; es bleibt mehr im Geldbeutel. Wir gleichen damit – der Herr Bundesfinanzminister hat es gesagt – die Wirkung der kalten Progression gerade für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen aus, und zwar so, dass alle Einkommensteuerpflichtigen gleichermaßen entlastet werden. Man muss hinzusagen, dass die relative und spürbare Entlastung für die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen höher ist. Das ist in dieser Situation gerade für diejenigen, die am meisten von den steigenden Preisen betroffen sind, vor allen Dingen von den Gaspreisen, das richtige Mittel der Wahl. Das bringen wir jetzt auf den Weg, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({3}) Übrigens ist es eine Entlastung von 4,5 Milliarden Euro, die wir mit diesem einen Gesetz auf den Weg bringen, von insgesamt über 30 Milliarden Euro, die wir mit unseren Paketen vorsehen – ein großes Volumen. Wir haben einen Teil schon vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine auf den Weg gebracht. Danach hat sich die Situation noch einmal verschärft. Wir werden deshalb den aktuellen Maßnahmen weitere hinzufügen und eine zusätzliche finanzielle Unterstützung für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg bringen wie beispielsweise die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro als Zuschuss zum Gehalt. Gerade das hilft Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen. Sie bekommen dieses Geld direkt. Das ist genauso wie beim Familienzuschuss, den es als Einmalbonus ergänzend zum Kindergeld gab; das kennen wir aus der Pandemie als Kinderbonus. ({4}) Auch da gilt: Bei Beziehern von Grundsicherung wird es nicht angerechnet; ein Freibetrag würde gerade Bezieher höchster Einkommen besserstellen. Das heißt, es kommt unten an; diejenigen, deren Einkommen ganz oben ist, bekommen es nicht. Ich finde das gerecht, weil es wieder eine gezielte Maßnahme für die Menschen in diesem Land ist. ({5}) Wir wollen, dass alle Menschen gut zurechtkommen. Das wollen wir erreichen mit einem großen Paket, dessen Maßnahmen gezielt wirken, das sozial ausgewogen ist, das an die adressiert ist, die diese Mittel am meisten benötigen. Über den Antrag der CDU/CSU kann man sich offen gestanden in zweierlei Hinsicht nur wundern: ({6}) Zum Ersten. Es ist keine einzige Maßnahme, Herr Dobrindt, ({7}) irgendwie geeignet, die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen substanziell zu entlasten. Es gibt kein einziges auf die aktuelle Situation abgestimmtes Instrument, keinen einzigen Zuschuss, keine einzige wirkliche Leistungserhöhung. ({8}) Was Sie und die Bundesländer NRW und Bayern hingegen fordern, ist, neben der Anhebung des Grundfreibetrags auch eine Anhebung der Eckwerte des Einkommensteuertarifs voranzubringen, was zusätzliche 5 Milliarden Euro kosten würde und was – das wissen Sie genau – vor allem die Bezieher höherer und höchster Einkommen entlasten würde. ({9}) Das ist in dieser Situation nicht das Mittel der Wahl, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({10}) Zum Zweiten muss man sich darüber wundern, Herr Kollege Dobrindt, warum Sie in diesem Antrag Dinge fordern, die vornehmlich Fragen der Unternehmensbesteuerung betreffen und die wir beim übernächsten Tagesordnungspunkt mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz auf den Weg bringen. Ich nenne hier exemplarisch die verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten, den Verlustvor- und ‑rücktrag oder die Verlängerung der Abgabefrist für Steuerentlastungen. Das alles sind Maßnahmen, die sich in Ihrem Antrag finden, der eigentlich ganz andere Dinge adressieren sollte, und die wir in gut einer Stunde als Ampelkoalition auf den Weg bringen werden. Sie sollten bitte schön alle Vorlagen lesen ({11}) und Ihre Anträge dann so ausformulieren, dass sie für den Tagesordnungspunkt passend sind. ({12}) Ihr Antrag ist eine glatte Themaverfehlung, sehr geehrte Damen und Herren. ({13}) Wir werden unser Ziel, alle Bürgerinnen und Bürger gezielt zu entlasten, mit diesem Steuerentlastungsgesetz voranbringen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten und die gestiegenen Preise und Teuerungsraten abfedern. Die Opposition ist herzlich eingeladen, sich weiterhin konstruktiv an dieser Debatte zu beteiligen. Ich freue mich schon auf die Beratungen im Ausschuss. Vielen Dank. ({14})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Kay Gottschalk. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Vor allen Dingen an dieser Stelle: Verehrte Bürger und Steuerzahler! Heute sprechen wir in erster Lesung über das sogenannte Steuerentlastungsgesetz. Liebe Ampelmännchen und ‑weibchen – die selbstverständlich auch –, wir begrüßen sehr, dass Sie langsam in der Realität ankommen und aufgrund der Inflation Entlastungen für Bürger auf den Weg bringen. Das fordern wir als AfD schon sehr lange; da haben Sie sich aber standhaft geweigert. Wir sollten allerdings bei der Wahrheit bleiben: Eine der Maßnahmen, die Sie hier als Entlastung anpreisen, nämlich die Erhöhung des Grundfreibetrages, war und ist nichts anderes als die Freistellung des einkommensteuerlichen Existenzminimums. Das ist also Geld, das Sie den Bürgern mit Ihrer verfehlten Energie- und Steuerpolitik vorher genommen haben, meine Damen und Herren. ({0}) Da wir gestern und auch in den letzten Tagen gesehen haben, dass Sie es mit der Rechtsstaatlichkeit und Gesetzen nicht so haben, möchte ich mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem Beschluss des Zweiten Senates unseres Bundesverfassungsgerichtes, das Sie hoffentlich noch achten, vom 10. November 1998 zitieren. Dort heißt es: Das einkommensteuerliche Existenzminimum ist für alle Steuerpflichtigen – unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz – in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen. Was Sie hier tun, ist also Gesetz und Rechtsstaatlichkeit und keine Entlastung der Bürger. Sie geben Ihnen das zurück, was Sie ihnen durch die von Ihnen verursachte Inflation genommen haben, meine Damen und Herren. ({1}) Wenn wir schon beim Grundfreibetrag sind: Sie stellen im Gesetzentwurf eine Berechnung an, wie Sie auf Ihren Wert von 10 347 Euro kommen. Das sind 3 Prozent; der Kollege Güntzler hat es gesagt. Sie nehmen diese Entlastung bei einer Inflationsrate von mittlerweile 7,4 Prozent vor. Damit wissen wir heute – zusammengefasst –, dass Sie etwas, was Sie tun müssen, „Entlastung“ nennen und diese Entlastung – und das wissen Sie – viel zu gering ist und Sie damit am Ende nicht mal den Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts erfüllen, meine Damen und Herren. Das nenne ich mal Rechtsbruch. ({2}) Gut gedacht ist nicht immer gut gemacht; das trifft vor allen Dingen auf Sozialdemokraten zu. Wir werden dazu noch einen Änderungsantrag einbringen, um nachzubessern. Sie müssen den Grundfreibetrag deutlich erhöhen. Wir werden einen Vorschlag von mindestens 12 600 Euro ins Spiel bringen. Ähnliches, meine Damen und Herren, gilt für die vorgezogene Erhöhung der Entfernungspauschale. Die Spritpreise haben sich im Vergleich um 70 Cent und mehr erhöht. Das kann man gerade übrigens gut – aber ich glaube, das ist eine ideologische Feindschrift, und deshalb tun Sie das nicht – beim ADAC nachlesen. Wir reden hier von einer Preissteigerung von knapp 50 Prozent. Und dafür wird die Entfernungspauschale – liebe Bürgerinnen und Bürger, hören Sie sich das an! – um nicht mal ein Zehntel, und zwar ab dem 21. Kilometer, erhöht. Das ist Etikettenschwindel. Ich sage „Pfui“ zu dem, was Sie für die Menschen übrighaben, die pendeln und sich jeden Tag auf Ihrer maroden Infrastruktur zur Arbeit quälen, meine Damen und Herren. ({3}) Zu guter Letzt – ich kann es Ihnen nicht ersparen; denn ich finde es schön –: Fritz Günzler, liebe Union, Sie sind in der Opposition angekommen. ({4}) Herrlich! Herzlichen Glückwunsch! Ich persönlich kann Ihrem Antrag viel abgewinnen. Sie wissen auch, warum. Insbesondere bei Punkt 5 musste ich tatsächlich schmunzeln. Beim Thema „kalte Progression“ nähern wir uns nämlich offenbar an. Schön, dass Sie das endlich einsehen, insbesondere was den Tarif auf Rädern angeht, den wir wieder einbringen werden, bis Sie entsprechend reagieren und jetzt langsam, wie gestern, auf AfD-Linie kommen. Herzlichen Glückwunsch, liebe Union! ({5}) Aber um dauerhaft etwas gegen die unerwartet hohe Inflation tun zu können, sollten wir nicht nur die Tarifeckwerte der Einkommensteuer endlich indexieren. Wir werden in den nächsten Wochen auch vorschlagen, automatische Anpassungen entsprechend der Inflation vorzunehmen; denn Sie können es nicht, meine Damen und Herren von der Ampel. Da ist von Freibeträgen, Freigrenzen und Pauschalbeträgen die Rede. Sie haben es eben gesagt, Herr Lindner: Da ist elf Jahre nichts geschehen. Sie waren übrigens auch mal in der Regierung und sind dann berechtigterweise rausgeflogen; das prognostiziere ich Ihnen auch für die nächste Bundestagswahl. – Jedenfalls müssen wir auch hier eine automatische Indexierung vornehmen. ({6}) Zu guter Letzt: Herr Mordhorst – ich weiß nicht, ob er anwesend ist –, Sie haben gesagt, die Tarifeckwerteanpassung und der Tarif auf Rädern würden nicht gehen, Stichwort „Spin-out“. Ich empfehle da eine sehr gute mathematische Abhandlung – das können vielleicht noch einige hier im Hause –, und zwar eine Simulation von Hans-Georg Petersen, der zu dem Fazit kommt, dass eine gerechte Entlastung nur zu garantieren ist, wenn man entsprechend eine systematische Indexbindung vornimmt. Wir werden Sie kritisch und fair durch die Beratungen begleiten. Wir freuen uns darauf, insbesondere weil die CDU/CSU – ich kann mich nur wiederholen – in der Opposition angekommen ist. Herzlichen Glückwunsch! ({7}) Danke. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Sascha Müller. ({0})

Sascha Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir die politischen Antworten auf die hohen Energiepreise und damit im Besonderen die steuerlichen Maßnahmen aus dem ersten Entlastungspaket der Koalition. Wahrscheinlich geht es uns allen nach wie vor so: Wir sehen mit großer Sorge und Entsetzen, wie ukrainische Städte bombardiert, Wohnhäuser und Kliniken beschossen werden. Mit jedem Tag des Krieges wächst die Not für die Menschen in der Ukraine. Ich denke, das relativiert auch manche Auseinandersetzung, die wir hier haben. Als sich die Ampel im Februar auf das erste Entlastungspaket geeinigt hatte, spürten wir noch die Hoffnung, dass den Menschen der Ukraine ein Krieg erspart bliebe. Wir hofften auch, dass steigende Energiepreise und die damit ausgelöste fossilgetriebene Inflation nur eine temporäre Erscheinung werden könnten. Nur einen Tag nach der Vorstellung des Entlastungspaketes hatte sich diese Hoffnung auf grausamste Weise zerschlagen. Schnell war klar, dass wir ein zweites Entlastungspaket schnüren müssen, auf das sich die Koalition dann am 24. März auch geeinigt hat. Mir ist wichtig, zu betonen, dass beide Entlastungspakete eine ganze Reihe von sehr gut aufeinander abgestimmten Maßnahmen beinhalten. Darunter sind Maßnahmen für die Breite der Gesellschaft, aber insbesondere für jene, die es ganz besonders hart trifft, weil sie die fossilgetriebene Inflation und die damit gestiegenen Energiepreise nicht so einfach wegstecken können. ({0}) Ich unterstreiche das deshalb, weil die einzelnen Maßnahmen nicht isoliert, sondern im Kontext mit den anderen Maßnahmen gesehen werden müssen, zum Beispiel der früheren Abschaffung der EEG-Umlage oder dem Heizkostenzuschuss. Hier und heute geht es also um die steuerlichen Aspekte und dabei um drei Maßnahmen aus dem ersten Paket vom Februar. Der Grundfreibetrag wird erhöht, der Arbeitnehmerpauschbetrag ebenso, und die Pendlerpauschale wird angehoben. Die Anhebung des Grundfreibetrags um 363 Euro auf 10 347 Euro rückwirkend zum Jahresbeginn gehört zu den Maßnahmen, die die ganze Breite der Gesellschaft entlasten; denn sie kommt allen Einkommensteuerzahlerinnen und Einkommensteuerzahlern zugute. Die zweite Maßnahme betrifft die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags. Auch dies ist eine Erleichterung. Sie bedeutet gleichzeitig eine erhebliche Steuervereinfachung: Mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können so auf das lange Rechnen von Arbeitswegen und das Sammeln von Belegen für ihre Werbungskosten verzichten, weil dies von der höheren Pauschale abgedeckt ist. ({1}) Zur dritten Maßnahme, der vorgezogenen, aber weiter befristeten Anhebung der Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer. Da hätten wir uns in der Fraktion zugegebenermaßen noch andere Wege vorstellen können. Aber natürlich sehen wir die erhöhte Belastung für Pendlerinnen und Pendler, insbesondere für diejenigen, die keine Alternative zum Auto haben. Die Wirkung der Pendlerpauschale unter ökologischen Gesichtspunkten bleibt jedoch zu diskutieren. Unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit ist sie vielleicht kontraproduktiv. Wohlhabende profitieren sehr viel mehr als Arme. Wer sich ein größeres Auto leisten kann, vielleicht einen großen SUV fährt, erhält eine größere Steuerentlastung als diejenigen, die sich nur den Kleinwagen mit deutlich geringerem CO2-Ausstoß leisten können. Umso froher bin ich darüber, dass wir in der Koalition zusammen mit SPD und FDP vereinbart haben, die Pendlerpauschale noch in dieser Legislatur ökologisch und sozial neu auszurichten. Hier liegen bereits interessante Konzepte auf dem Tisch. Wir werden das auf die Agenda setzen. ({2}) Mit dem Energiegeld, das wir im zweiten Entlastungspaket mit der Energiepreispauschale bereits ein Stück weit vorwegnehmen, ist eine ökologisch wie sozial sinnvolle Maßnahme bereits in Arbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, der vorliegende Antrag von Ihnen gibt mir die Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Bemerkung. Meine Fraktion war in der Vergangenheit lange – für meinen Geschmack zu lange – in der Opposition und hat sich dabei konstruktiv-kritisch hier im Bundestag mit eigenen Vorschlägen eingebracht. Das ist etwas, was ich von der größten Oppositionsfraktion derzeit noch zu selten höre. Der vorliegende Antrag der Union beinhaltet in der Tat eine Reihe von eigenen Forderungen, ist somit schon einmal ein kleiner Fortschritt. Es gab in meiner Fraktion in der Oppositionsarbeit aber noch eine andere Maxime, die mich auch als damals Noch-nicht-Parlamentarier immer gefreut hat, die ich immer richtig fand: Fordere in der Opposition nichts, was du in der Regierung nicht selbst umsetzen würdest! ({3}) Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und die, fürchte ich, ist mit dem vorliegenden Antrag noch nicht gegeben. Denn, ganz ehrlich, liebe Union, sind Sie wirklich sicher, dass Sie diesen Forderungskatalog auch angegangen und umgesetzt hätten, wenn Sie noch in der Regierung wären in dieser schwierigen Zeit? ({4}) – Wirklich? Ich habe da meine Zweifel. Ich weiß nicht, ob die lange Liste, die uns Kollege Otto Fricke zum Ende der Haushaltsberatungen in der letzten Sitzungswoche so eindrucksvoll präsentiert hat, mit diesem Antrag nicht noch länger geworden ist. Meinen Sie es wirklich ernst, dass Sie hier ein Paket schnüren können – in dieser Situation, mit so vielen Unbekannten in der Zukunft –, das in keiner Weise zielgerichtet ist, mit dem einfach die Gießkanne ausgepackt wird, was Bund, Länder und Kommunen viele weitere Milliarden kosten würde? Verwenden wir diese Milliarden lieber für die kommenden, wirklich schwierigen Aufgaben. ({5}) Es ist jetzt nicht die Zeit dafür, die große Gießkanne auszupacken, sondern wir müssen da helfen, wo es am meisten brennt: bei den Bürgerinnen und Bürgern und eben auch – und da werden wir, wenn es nötig ist, auch handeln – bei den Unternehmen. Ich möchte zum Schluss noch die Gelegenheit nutzen, auf ein Wort hinzuweisen, das der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder seit Sonntag zu etablieren versucht. Er malt das Bild einer angeblichen Hyperinflation an die Wand. ({6}) Der Begriff ist offensichtlich bewusst gewählt, nicht aus sachlichen Gründen, sondern um zu emotionalisieren. Auch wenn wir über die Frage, wie wir reagieren, in diesem Hohen Haus kontrovers diskutieren, sollten wir alle, die in Verantwortung stehen, es vermeiden, in diesen uns alle herausfordernden Zeiten Ängste zu schüren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wenn Sie hier Einfluss haben, dann reden Sie bitte mit Markus Söder darüber. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Christian Görke. ({0})

Christian Görke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005067, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir hier diskutieren, steigt die Inflation – nicht nur die gefühlte – und entwertet, liebe Koalition, Ihre Entlastungspäckchen. Besonders Ihr erstes Entlastungspaket ist nun wirklich nicht zielgenau, Herr Schrodi. Nehmen wir einmal die Erhöhung der Pendlerpauschale: Abgesehen davon, dass bei Ihren Plänen weiterhin viele Pendler trotz höheren Pauschbetrags so gut wie leer ausgehen, profitieren vor allen Dingen – und das wissen Sie – die, die viel fahren, ja, aber auch die, die hohe Einkommen versteuern können. Von den 300 000, die in Brandenburg pendeln, fällt bei Ihren Plänen ein Drittel durch das Raster. ({0}) Meine Damen und Herren der Koalition, Sie nennen sich ja immer die Fortschrittskoalition und sagen, sie werden jetzt an vielen Stellschrauben so richtig drehen. Es wäre schön, wenn Sie an den richtigen drehen und präzise Vorschläge machen. ({1}) Wie wäre es denn mit dem Einstieg in ein Mobilitätsgeld, um eine faire und vor allen Dingen verbrauchsgerechte Entlastung unabhängig vom Einkommen zu schaffen? ({2}) Insofern hätte ich gerade von den Grünen, aber auch von den Jusos und den Linken in der SPD erwartet, dass sie sich, als vor einigen Tagen die Tür für diese Diskussion aufging, für eine Reform der Pendlerpauschale eingesetzt hätten ({3}) und dass wir dann auch ein Mobilitätsgeld bekommen. – Ja, haben wir gesehen; das Ergebnis liegt auf dem Tisch. Wenn heute selbst die CDU/CSU von einem Mobilitätsgeld träumt, dann muss Ihnen das doch zu denken geben! ({4}) Aber anscheinend gilt in der Ampel das Motto: Wenn wir entlasten, dann entlasten wir die Spitzeneinkommen gleich mit. Wissen Sie, was das ist? Das ist FDP-Politik eins zu eins. So weit zum „Fortschritt“ dieser Koalition. Zur Energiepreispauschale. Herr Schrodi, mal ehrlich: einmalig 300 Euro brutto – was das netto bedeutet, wissen Sie selbst. ({5}) Es müsste Ihnen aufgefallen sein, dass bei dieser Inflationsentwicklung die Pauschale doch regelrecht verpufft. ({6}) – Regen Sie sich nicht auf! Dass Sie als Sozialdemokraten bei diesem Entlastungspakt auch nur auf die Erwerbstätigen setzen ({7}) und die Millionen von Rentnerinnen und Rentnern einfach nicht berücksichtigen, macht nicht nur mich fassungslos, sondern die Wohlfahrtsverbände und andere auch. ({8}) Wissen Sie, die Rentnerinnen und Rentner haben jahrelang malocht. Ich kann mich noch entsinnen, wie Sie vor sechs Monaten Respekt eingefordert haben, das sogar plakatiert haben. Es wäre an der Zeit, dass Sie jetzt noch umkehren und im parlamentarischen Prozess dies noch einmal revidieren; das erwarten nicht nur wir von Ihnen. ({9}) Meine Damen und Herren, die Senkung der Energiesteuer war angesichts dieser Preisexplosion richtig. Aber wenn die Logistiker, die Taxiunternehmen und viele Tausend andere Unternehmen nicht pleitegehen sollen, muss die Steuersenkung länger als drei Monate laufen. Es braucht jetzt verlässliche Lösungen – keine Wunderkerzen, die schon nach drei Monaten abgebrannt sind. ({10}) Ich prophezeie Ihnen schon jetzt, dass Sie auf unsere Vorschläge, die eine Verlängerung dieser Maßnahmen auf mindestens sechs Monate zum Inhalt haben, wieder zurückkommen wollen. Und erzählen Sie mir bitte nicht etwas von Geld! Wer es schafft, bei der Bundeswehr an der Schuldenbremse vorbei zu klotzen, der schafft es auch, eine sozial ausgewogene Entlastung der Bürgerinnen und Bürger zu finanzieren. Vielen Dank. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Markus Herbrand. ({0})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichts zu tun, ist in dieser Lage keine Option; das hat der Bundesfinanzminister eben gesagt und dafür danke ich ihm ganz herzlich. Mit diesem Steuerentlastungsgesetz 2022 hat die Ampel-Fortschrittskoalition ungewöhnlich schnell Verantwortung im Bereich der Finanz- und Steuerpolitik für unser Land übernommen. ({0}) Wir geben mit diesem Entlastungspaket eine Antwort auf eine andauernde Krise; denn die Ursache für dieses Entlastungspaket sind nicht die Auswirkungen des Krieges, sondern die auch von Experten in dieser Höhe und in dieser Dauer nicht vorausgesehene Inflation in Deutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik vermag weder für eine niedrige Inflation zu sorgen, noch kann sie alles ausgleichen, was zu einer hohen Teuerungsrate führt. Aber was sie zu leisten imstande ist, das macht die Ampel hier. Wir setzen ein Zeichen: Die Bürgerinnen und Bürger können sich auf diese Regierung verlassen. Wir lassen niemanden allein. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Kollege Herbrand, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage von Frau Lötzsch aus der Fraktion Die Linke?

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie haben das Wort, Frau Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Kollege, Sie haben eben den Satz wiederholt, den auch Herr Lindner gesagt hat: Der Staat kann nicht alles ausgleichen. – Die Frage ist nur: Was ist die Alternative? Ich finde, an dieser Stelle wäre es doch nötig, den Unternehmen zu sagen: Bezahlt eure Leute anständig, damit der Staat es eben nicht ausgleichen muss. Wir haben ja Beispiele von Unternehmen, die zum Beispiel in Ballungsgebieten einen Zuschuss für die Mobilität oder für die Mietkosten zahlen. ({0}) Wäre das nicht die richtige Forderung, die man stellen muss, ({1}) anstatt zu sagen, der Staat kann nicht alles ausgleichen? Denn das suggeriert ein bisschen: Leute, stellt euch auf Kürzungen ein. Also: Unterstützen Sie die Forderung an die Unternehmen: Bezahlt eure Leute anständig! ({2})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es gehört, Frau Kollegin, zur Wahrheit dazu, dass der Staat bei einer solch hohen Inflation nicht alles wird ausgleichen können. Wenn Sie das den Menschen suggerieren, dann ist das in meinen Augen falsch. ({0}) Wir entlasten die Menschen. Mit der Erhöhung des Grundfreibetrages werden wir die Steuerwirkung der Inflation anpassen; da hatte sich die alte Regierung deutlich verrechnet. Herr Güntzler, wenn Sie uns jetzt hier vorwerfen, dass wir die kalte Progression nicht rechtzeitig ausgleichen, dann ist das schon, vorsichtig ausgedrückt, witzig; denn Sie hatten 16 Jahre Zeit, sich darum zu kümmern. Das haben Sie nicht gemacht. ({1}) Mit der vorgezogenen Erhöhung der Entfernungspauschale für Fernpendler versuchen wir einen Ausgleich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen, die längere Strecken mit dem Auto zu ihrer Arbeitsstätte zurücklegen müssen. Das ist nämlich die Lebenswirklichkeit ganz vieler Menschen in diesem Land. Wir erhöhen auch den Arbeitnehmerpauschbetrag bei der Einkommensteuer, dauerhaft. Das ist zugleich entlastend und entbürokratisierend; auch das ist schon angesprochen worden. Die Berechnungen, die eben von der Union vorgenommen worden sind, muss man auch hier natürlich zusammen betrachten: Der Arbeitnehmerpauschbetrag und die Entfernungspauschale gehören zusammengedacht. Wenn ich nicht wüsste, dass Sie es besser wissen, Herr Güntzler, würde ich das heute noch annehmen. Dazu kommen aus anderen Gesetzen die dauerhafte Abschaffung der EEG-Umlage ab Juli – einem 4 000 Kilowattstunden verbrauchenden Haushalt bringt das eine Entlastung von circa 180 Euro, dauerhaft – und der Heizkostenzuschuss für Menschen mit geringem Einkommen sowie ein Sofortzuschlag für von Armut bedrohte Kinder in Höhe von 20 Euro im Monat. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dieses gesamte Entlastungspaket hat ein Volumen von circa 16 Milliarden Euro. Die Ampel hat hier sehr effektiv, wirtschaftlich vernünftig und vor allem auch sozial ausgewogen gehandelt. Sie hat damit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Diejenigen, die jetzt immer laut rufen, das sei zu wenig, zu langsam, zu bürokratisch, die sollten ihre eigenen Leistungen in der Vergangenheit einmal kritisch hinterfragen. Danke schön. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Sebastian Brehm. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir in erster Lesung den Entwurf des sogenannten Steuerentlastungsgesetzes 2022 der Ampelregierung. Im Wesentlichen geht es um die Erhöhung des Grundfreibetrages um 363 Euro, die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages um 200 Euro und um die Erhöhung der Pendlerpauschale um 3 Cent ab dem 21. Kilometer. Es ist das erste Paket der Ampel vor dem Ukrainekrieg. Was ist mit dem zweiten Paket? Was ist mit der Reduzierung der Energiesteuer auf den Sprit? Dieses Paket wollen Sie von den Grünen bereits wieder kassieren. ({0}) Herr Kollege Janecek hat ein Interview in der „Augsburger Allgemeinen“ gegeben und hat gesagt: „Warum sollten wir Benzin und Diesel bei diesem Niveau noch teuer subventionieren?“ ({1}) Darüber gibt es in der Regierungskoalition wieder Uneinigkeit. Die Maßnahmen werden zunächst wieder auf Eis gelegt, und das zulasten der Bürgerinnen und Bürger bei einer nicht gefühlten, sondern bestehenden Rekordinflation und extremen Preissteigerungen in allen Bereichen. ({2}) Das ist, ehrlich gesagt, völlig unzureichend; denn die Bürgerinnen und Bürger brauchen jetzt eine Entlastung, und nicht erst in ein paar Monaten, wenn Sie sich vielleicht in der Regierungskoalition einigen können. Das ist keine Entlastungspolitik, sondern Chaospolitik zulasten der Bürgerinnen und Bürger, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Zur Sicherung der Arbeitsplätze. Herr Kollege Schrodi, Sie sagen, Sie machen weitreichende Vorschläge zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Unternehmen. Die spielen in diesem Gesetz für die Ampel übrigens keine Rolle; denn für Unternehmen gibt es keine notwendigen Entlastungen. ({4}) Auch mit dem Corona-Steuerhilfegesetz sind sie marginal. ({5}) Auch die rasant steigenden Preise übrigens, Herr Kollege Schrodi, sind existenziell für die Unternehmen und für die Arbeitsplätze in unserem Land, ({6}) und Sie tun gar nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel. ({7}) Was ist aus Ihren Versprechen geworden, Herr Lindner? Sie haben in der Opposition zahlreiche Anträge gestellt und im Wahlprogramm versprochen. Ich möchte nur zwei Dinge zitieren: Der Staat profitiert von Rekordsteuereinnahmen … Bei Bürgern kommt davon nichts an. Auch die Unternehmen warten bisher vergeblich auf Entlastungen. Zum Einkommensteuertarif schrieben Sie, Sie wollten … den sogenannten Mittelstandsbauch vollständig abschaffen … Heute steigt die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen besonders schnell an. Von Gehaltserhöhungen greift sich der Staat mehr als die Hälfte. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht. ({8}) Ich kann nur unterschreiben, was in Ihrem Wahlprogramm steht. Aber jetzt als Finanzminister haben Sie doch die Möglichkeit, das umzusetzen. Lieber Herr Kollege Müller, Sie haben gesagt, man sollte in der Opposition nur das fordern, was man hinterher auch umsetzt. Dann frage ich Sie: Warum setzen Sie diese Maßnahmen jetzt nicht um? ({9}) Der Grundfreibetrag steigt um 363 Euro, das entspricht einer Erhöhung von 6,2 Prozent. Der Sachverständigenrat geht für dieses Jahr von einer Inflation – übrigens noch vor März und ohne Ukrainekrieg – von 6,1 Prozent aus. Deshalb reicht die Erhöhung des Grundfreibetrages nicht aus, die kalte Progression auch nur im Ansatz zu beseitigen. Lieber Herr Kollege Herbrand, wir haben das gemacht. Sie machen das jetzt nicht. ({10}) Die Folge Ihrer Politik ist eine Schmälerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen. Die Regierung nimmt Wohlstandsverluste einfach hin, statt eine Strategie für neue Perspektiven zu schaffen. ({11}) Sowohl Wirtschaftsminister Habeck als auch Finanzminister Lindner nehmen dies hin und sagen das auch noch öffentlich. ({12}) Sie nehmen einfach zur Kenntnis, dass die Menschen ärmer werden, und Sie tun nichts dagegen. ({13}) Was Sie heute vorschlagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. ({14}) Wir brauchen zumindest einen vollständigen Ausgleich der Auswirkungen der kalten Progression und eine deutliche Verschiebung der Steuerkurve nach rechts. ({15}) Zur Pendlerpauschale noch abschließend: 80 Prozent der Berufspendler sind laut Statistischem Bundesamt weniger als 25 Kilometer zu ihrer Arbeitsstätte unterwegs. ({16}) – Übrigens, eine schwache Leistung ist das, was Sie hier vorschlagen. Das ist eine schwache Leistung, lieber Herr Kollege Schrodi, nichts anderes. Ihr Gesetzentwurf ist eine schwache Leistung. ({17}) Wenn wir die Pendlerpauschale und ihre Erhöhung einmal großzügig durchrechnen, dann macht das für 80 Prozent der Pendler 10 Euro im Jahr aus. Das reicht nicht einmal für eine Tankfüllung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({18}) Erhöhen Sie doch wenigstens die Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer! Das wäre richtig. ({19}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Strategie der Bundesregierung gegen Inflation. Es gibt keine Strategie der Bundesregierung gegen steigende Energiepreise, und es gibt keine Strategie der Bundesregierung gegen steigende Lebensmittelpreise. Die Regierung darf die Verluste der Bürger doch nicht einfach nur verbuchen. Sie muss sie verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen: Tun Sie etwas und bessern Sie in diesem Gesetz nach! Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({20})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Carlos Kasper. ({0})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen derzeit vor großen Herausforderungen. Die gestiegenen Energiekosten belasten uns alle. Vor allem aber treffen sie kleine und mittlere Einkommen. Ich vertrete das Chemnitzer Umland hier im Bundestag; das ist eine eher ländlich geprägte Region. Es gibt dort viele Kleinstädte und Dörfer, der ÖPNV ist nicht gut ausgebaut, und die Menschen sind auf ihr Auto angewiesen. Das gilt insbesondere für diejenigen, die in Schichten arbeiten und zum Beispiel zur Nachtschicht in das VW-Werk nach Mosel pendeln müssen oder zur Frühschicht in das Krankenhaus nach Lichtenstein. Aber gerade zu diesen Zeiten gibt es keine Busse und Bahnen, die fahren. Viele brauchen schlichtweg ihr Auto, wenn sie zur Arbeit kommen wollen. Das Chemnitzer Umland – aber auch ganz Sachsen – ist leider auch eine Region mit sehr niedrigen Löhnen. Beispielsweise wird fast die Hälfte der im Erzgebirge beschäftigten Menschen von der Mindestlohnerhöhung im November profitieren. Aber wie soll jemand, der noch nicht einmal 12 Euro pro Stunde verdient, jetzt auch noch die gestiegenen Sprit- und Heizkosten stemmen? Sie können es sich schlichtweg nicht leisten, noch mehr Geld für Sprit, fürs Heizen und für Nahrungsmittel auszugehen. Deswegen brauchen wir jetzt und heute Entlastungen. ({0}) Mit dem Steuerentlastungpaket setzen wir genau da an. ({1}) Wir bringen einen ganzen Strauß voller Maßnahmen auf den Weg, die direkt bei den Menschen ankommen und die direkt wirken. Wir werden die Energiesteuern auf Diesel und Benzin vorübergehend und befristet senken. Ganz konkret heißt das: Benzin wird 30 Cent billiger und Diesel 14 Cent. Das kommt allen zugute: nicht nur den abhängig Beschäftigten, sondern auch den kleinen und mittleren Betrieben, die auf ihr Auto angewiesen sind und deren Beschäftigte mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen, zum Beispiel dem ambulanten Pflegedienst oder dem kleinen Handwerksbetrieb von nebenan. Bei dieser vorübergehenden Steuersenkung ist mir eins aber ganz besonders wichtig: Wir müssen die Konzerne dazu verpflichten, diese Steuersenkung direkt weiterzugeben. Die Preise müssen an der Zapfsäule sinken. Auf keinen Fall darf sich wiederholen, was wir in den vergangenen Wochen gesehen haben: Raffinerien haben die Spritpreise überdurchschnittlich getrieben und damit unverschämte Gewinne gemacht. ({2}) Ich bin mir sicher, dass insbesondere auch das Finanzministerium auf die Weitergabe der Senkung achtet. Sehr geehrte Damen und Herren, eine weitere Maßnahme, die wir auf den Weg bringen, ist die Erhöhung der Pendlerpauschale. Wer mehr als 21 Kilometer zur Arbeit fährt, kann künftig 38 Cent pro Kilometer über die Steuererklärung abrechnen. Diese Regelung wird rückwirkend ab dem 1. Januar gelten und bis 2026 befristet sein. Auch hier haben wir die Menschen im ländlichen Raum im Blick. Aber es sind nicht nur die gestiegenen Spritpreise, die uns vor große Herausforderungen stellen. Auch die Heizkosten explodieren derzeit. Deswegen bringen wir ein weiteres wirklich sehr wichtiges Instrument auf den Weg: Jede Arbeitnehmerin, jeder Selbstständige erhält 300 Euro als Direktzahlung zum Ausgleich der hohen Heizkosten. Dieses Geld kommt schnell bei den Menschen an und ist sichtbar auf jedem Lohnzettel bzw. bei der Steuervorauszahlung. Es ist nicht nur schnell wirksam, sondern auch sehr sozial; denn die 300 Euro werden mit der Einkommensteuer gegengerechnet. Wir entlasten hier also insbesondere Geringverdienende, die sowieso kaum Einkommensteuer zahlen. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, wir befinden uns in einer Krise. Aber: In der Krise liegt auch eine Chance – eine Chance, langfristig die Weichen für eine soziale und nachhaltige Zukunft zu stellen. Jetzt ist der richtige Moment, um umfassend in erneuerbare Energien zu investieren. Jetzt ist der richtige Moment, um wegzukommen von fossilen Energieträgern. Und jetzt ist der richtige Moment, um den Sozialstaat so auszurüsten, dass diejenigen mit kleinem Geldbeutel diese Transformation mitgehen können. ({4}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind bereit, diesen Moment zu nutzen. Deswegen haben wir uns starkgemacht für soziale Instrumente. Deswegen führen wir die Direktzahlungen ein, und deswegen greifen wir Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der befristeten Energiesteuersenkung unter die Arme. Wir schauen gerade auch in den ländlichen Raum und entlasten hier gezielt diejenigen, die sich schlichtweg Mobilität nicht mehr leisten können. In meiner ersten Rede hier im Bundestag habe ich gesagt: Wir machen Politik, die wirkt. – An diesem Entlastungspaket sieht man, dass sie wirkt, und zwar sozial gerecht. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Liebe Kollegen, könnten Sie die Unterhaltung an der Regierungsbank an einer anderen Stelle fortführen? ({0}) – Oder gar nicht. Das wäre auch gut. – Vielen Dank. Der nächste Redner für die AfD-Fraktion ist Klaus Stöber. ({1})

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Steuerentlastungsgesetz“, das klingt erst einmal super. Aber, sehr geehrter Herr Minister Lindner – ich schätze Sie durchaus als eloquentes und vergleichsweise intelligentes Mitglied des Kabinetts –, mit diesem Steuerentlastungsgesetz beleidigen Sie eigentlich nicht nur meine, sondern auch Ihre eigene Intelligenz. Nehmen wir die Pendlerpauschale – die Kollegen Güntzler und Brehm haben es schon angesprochen –: Warum gilt die Erhöhung eigentlich erst ab dem 21. Kilometer? Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal tanken waren? Sie können es ja probieren, zur Tankstelle zu fahren und zu sagen: Ich will für die ersten 20 Liter weniger bezahlen als für den Rest. – Ich denke, das wird ein interessantes Gespräch werden. Und dann lächerliche 3 Cent ab dem 21. Kilometer! Ich weiß nicht, ob Sie das schon einmal durchgerechnet haben. Ich habe das für Sie getan: Bei 30 Kilometern Entfernung sind das 68 Euro Werbungskosten mehr im Jahr, und bei 30 Prozent Steuersatz sind das 21 Euro Steuererstattung. Gleichzeitig hat jemand mit 30 Kilometern Entfernung zum Arbeitsplatz – er fährt ja die doppelte Strecke – rund 1 000 Euro Mehrkosten durch Sprit. Also: 21 Euro Entlastung stehen 1 000 Euro Mehrbelastung gegenüber. Und das nennen Sie Steuerentlastung! ({0}) Sehr geehrter Herr Minister Lindner, das ist kein Steuerentlastungsgesetz. Das ist ein Aprilscherz. Liebe Kollegen der CDU, ich habe mir auch Ihren Antrag angeschaut. Dort sind viele durchaus vernünftige Vorschläge enthalten; aber „Mut zu wesentlichen steuerlichen Hilfsmaßnahmen“ würde ich das nicht nennen. Mut wäre es, wenn Sie sagen würden: Die jetzige Steuergesetzgebung ist komplett reformbedürftig. Wir haben einen Unternehmensteuersatz von 31 Prozent in Deutschland, den höchsten in der ganzen Welt. Wir haben zudem die Tatsache, dass jemand mit 58 000 Euro Einkommen bereits den Spitzensteuersatz bezahlt, und das bleibt so bis 277 000 Euro. Das ist doch nicht gerecht. Das sind doch keine Spitzenverdiener. Das sind Ingenieure, das sind Lehrer, das sind gutverdienende Facharbeiter und kleine und mittlere Unternehmer, die 42 Prozent Steuersatz zahlen. ({1}) Sie haben doch genügend Fachleute in Ihrer Fraktion, um dieses Problem anzugehen; aber Sie tun es nicht. ({2}) Deswegen kann ich Ihnen schon jetzt versprechen: Wir als AfD-Fraktion werden noch in diesem Jahr einen umfassenden Gesetzentwurf zur Steuerentlastung vorlegen. Dann liegt es an Ihnen und natürlich am Kollegen Lindner, das in der Praxis umzusetzen. Vielen Dank. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Lisa Paus. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Anfang der Woche haben Aldi, Lidl, Edeka, Rewe und andere die Lebensmittelpreise kräftig erhöht. Die Folgen des furchtbaren Angriffskrieges sind in den Supermärkten angekommen. Die Preise für Nudeln, Butter, Tomaten – ganz klassische Basislebensmittel – haben sich drastisch erhöht, teilweise um 30 Prozent und mehr. Das ist die Konsequenz dieses furchtbaren Krieges jetzt auch hier: heute, am 44. Tag des Angriffskrieges. Wir als Staat können das nicht vollständig auffangen; das ist einfach wahr. Wir können es nur abfedern, aber das werden wir tun, meine Damen und Herren. ({0}) Das Existenzminimum muss für jeden Bürger und jede Bürgerin in diesem Land garantiert werden. Dazu leistet dieser Gesetzentwurf einen zentralen Beitrag. ({1}) Wir erhöhen den Grundfreibetrag, um das Existenzminimum freizustellen und der Inflation zu begegnen, wir erhöhen den Arbeitnehmerpauschbetrag, und wir ändern auch etwas bei der Pendlerpauschale. Dieses Gesetz ist nur ein Teil des Gesamtpakets, das von der Bundesregierung bereits beschlossen ist. Es kommt noch die sozial gerechte Energiepreispauschale; es kommt noch ein Familienbonus. Wir schaffen die EEG-Umlage ab. Wir haben bereits die Heizkostenpauschale erhöht. Weitere Teile werden folgen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang natürlich auch, jenseits der steuerlichen und finanziellen Dinge, dass wir so schnell wie möglich rauskommen aus der Abhängigkeit von Öl, Erdgas und Kohle aus Russland. ({2}) Das machen wir auch mit vielerlei Instrumenten. Ein bitterer Punkt ist, dass wir nicht sofort vollständig aussteigen können, dass wir in gewisser Weise eine „Schurken-Diversifizierung“ betreiben. ({3}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir beim Thema Energieeffizienz jetzt wirklich den Turbo anwerfen. Das haben wir auch mit dem zweiten Steuerentlastungspaket noch einmal verankert. Der Verbrauch von Energie muss deutlich sinken. Wir können das nicht alles über Preissubventionierung machen, meine Damen und Herren. ({4}) Wir helfen den Bürgerinnen und Bürgern, indem wir einfache Maßnahmen wie zum Beispiel den hydraulischen Abgleich der Heizung, einen Heizungsaustausch oder auch das Auswechseln von Thermostaten unterstützen. Man kann mit kleinen Dingen schon richtig was leisten. Jede Kilowattstunde, die eingespart wird, ist wirklich wichtig. Dafür haben wir den Sommer über Zeit, um dann im Winter besser dazustehen. Auch hier unterstützt die Regierung. ({5}) Das sogenannte Osterpaket ist auf den Weg gebracht. Wir sorgen für eine deutliche Beschleunigung im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien. ({6}) So werden wir unabhängig von Russland. So werden wir aber auch unabhängig von fossiler Inflation. Dies war leider schon vor dem Ukrainekrieg Thema; der Krieg hat es aber noch einmal deutlich verschärft. Das Thema „fossile Inflation“ stand aber sowieso schon an. Mit dieser Beschleunigung schaffen wir es auch, das große Problem der Inflation wieder in den Griff zu bekommen. ({7}) Trotzdem sind wir hier in richtig schweren Zeiten. Eine solche Inflationsrate wie heutzutage hat Deutschland praktisch seit den 70er-Jahren nicht mehr gesehen. Wir drohen tatsächlich in eine Stagflation zu rutschen. ({8}) Es gibt schon jetzt furchtbare Zahlen und unterschiedliche Szenarien von entsprechenden Ökonominnen und Ökonomen. Umso drastischer und furchtbarer finde ich, ehrlich gesagt, den Umgang der Union mit dieser Situation. Ich kenne in der Tat ganz viele von den Forderungen, die in dem vorliegenden Antrag stehen, weil es Evergreens aus der letzten Legislaturperiode sind, ({9}) die die Union damals mit der SPD verhandelt, aber nicht erfüllt hat. So weit, so okay. Dieser Antrag hat aber nichts mit der aktuellen Situation zu tun. ({10}) Er ist überhaupt nicht angemessen. ({11}) Deswegen könnte ich mir einen schlanken Fuß machen und sagen: Super, haben wir halt eine schwache Opposition, wie gut für die Regierung. – Aber in diesen Zeiten brauchen wir eine starke Demokratie. Parlamentarismus funktioniert über eine gute Regierung und eine gute Opposition. ({12}) In diesem Sinne bitte ich insbesondere Sie von der Union – ich freue mich schon auf entsprechende Änderungsanträge im Gesetzgebungsverfahren –: Nutzen Sie Ihre Chance hier in diesem Hause. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Michael Meister. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist ein richtiger Gedanke, dass die Bundesregierung heute in der Situation, in der wir sind, einen Vorschlag für ein Steuerentlastungsgesetz 2022 vorlegt. Wir begrüßen grundsätzlich diesen Vorschlag. Allerdings will ich darauf hinweisen: Der Bundesfinanzminister hat eingangs von einer gefühlten Inflation gesprochen. ({0}) Lieber Herr Kollege Lindner, ich glaube, in der Lage, in der wir sind, haben wir keine gefühlte Inflation, sondern wir haben eine objektive Inflation, eine Inflation, die im März bei 7,3 Prozent lag. ({1}) Die kommt wirklich bei den Menschen im Geldbeutel an. Sie haben hier ein Steuerentlastungsgesetz vorgelegt, das auf einer Annahme von 3 Prozent Inflation basiert; Kollege Güntzler hat es vorhin angesprochen. Das ist die Hälfte dessen, was wir tatsächlich haben. Deshalb sage ich Ihnen: Der Gedanke ist richtig, aber er greift wesentlich zu kurz. Hier muss deutlich mehr geschehen. ({2}) Sie schlagen beim Arbeitnehmerpauschbetrag eine Anhebung um 200 Euro und beim Grundfreibetrag eine Erhöhung um 363 Euro vor. Dann wird so schön formuliert von den Kollegen aus der Koalition: Na ja, der Grundfreibetrag hilft ja allen Steuerzahlern, weil der Grundfreibetrag jedem zugutekommt. Ich will aber mal darauf hinweisen, dass Sie die anderen Tarifeckwerte nicht anfassen. ({3}) Was heißt das dann? Die anderen Tarifeckwerte nicht anzufassen, bedeutet: Sie bleiben, wie sie sind. Sie rücken den Grundfreibetrag quasi nach rechts, und der Rest bleibt. Dadurch wird der Steuertarif steiler, und das heißt, die Grenzbelastung wächst. Das, was Sie hier tun, ist leistungsfeindlich. ({4}) Eigentlich brauchen wir in einer solchen Situation Anreize und Motivation zur Leistung und keine leistungsfeindliche Politik. Ich finde es ja nett, Frau Paus, dass Sie, wie Sie sagen, auf die Vorschläge der Opposition warten. Wir haben einen klaren Vorschlag gemacht. ({5}) Wir möchten alle Tarifeckwerte verändern und den Tarif insgesamt anpassen, damit wir keine leistungsfeindliche Politik bekommen und alle Steuerzahler wirklich entlasten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) – Lieber Herr Kollege Schrodi, ich freue mich auf die Gespräche im Finanzausschuss. Da brauchen Sie jetzt nicht zu schreien. Wir sollten eine sachliche Diskussion führen über die Frage, wie wir den Gesetzentwurf gestalten. ({7}) Sie haben ja an anderer Stelle – und auch das ist angesprochen worden – weitere Vorschläge zu steuerlichen Entlastungsmaßnahmen gemacht. Auch ich halte es für richtig, darüber zu diskutieren. Ich bin der Meinung, dass Sie gut daran tun, sich daran zu erinnern, dass wir heute in der ersten Lesung sind, und dass Sie jetzt als Koalition nicht einfach hingehen und sagen: Das hat die Regierung vorgelegt, und das ziehen wir jetzt eins zu eins durch. ({8}) Die Lage hat sich geändert; ich habe das schon bei der Inflation angesprochen. Dieser Gesetzentwurf ist entstanden, bevor der Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat. Frau Paus, Sie haben ja recht; ich teile Ihre Einschätzung zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage. Es besteht die Gefahr – und Herr Bundesfinanzminister hat es auch angesprochen –, dass wir in eine Stagflation hineinlaufen. Wenn wir das gemeinsam so sehen – Sie auf der Regierungsseite und wir in der Opposition –, dann dürfen wir nicht so lange warten, bis wir in der Stagflation sind, sondern wir müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, die dafür sorgen, dass wir nicht hineinkommen. ({9}) Deshalb ist es notwendig, bezogen auf die Inflation, die Bürger zu entlasten. Es ist aber auch notwendig, dass wir, bezogen auf die Wirtschaft, Maßnahmen ergreifen, um zusätzliches wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Dazu haben wir in unserem Antrag sehr wohl Vorschläge unterbreitet. Ich nenne das Thema Verlustrücktrag. Sowohl die Frage der Höhe als auch die Frage, wie lange man zurücktragen kann, haben wir angesprochen. Das ist eine Maßnahme. Sie haben im Koalitionsvertrag Ihre Turboabschreibungen stehen. Wo bleiben Ihre Turboabschreibungen? ({10}) Wir verlangen das, und Sie haben es im Koalitionsvertrag verankert, also machen wir es doch gemeinsam. Aber nichts ist von Ihnen zu hören. Sie schauen betreten nach unten. Jetzt wäre die Zeit, das anzupacken und der Wirtschaft wirklich ein Signal zu geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Ich will einen weiteren Hinweis geben, wo ich auch dringenden Handlungsbedarf sehe. Der Bundesfinanzminister ist nicht verantwortlich für die Geldpolitik; da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Geldpolitik wird von der Notenbank gemacht. Aber die Bundesregierung hat aus meiner Sicht eine Verantwortung in der Finanzpolitik, der Geldpolitik den notwendigen Spielraum zu verschaffen, damit man eine vernünftige Geldpolitik machen kann. ({12}) Bisher fühlt sich doch die Notenbank eingeschränkt durch die hohen Schulden, die wir coronabedingt in Deutschland und in Europa haben. Deshalb glaubt die Notenbank, sie könne möglicherweise gar nicht das tun, was in der jetzigen Situation notwendig wäre. Deshalb fordere ich Sie auf: Schaffen Sie jenseits der Steuerpolitik in der Haushaltspolitik die Voraussetzungen, dass die Notenbank das tun kann, was notwendig ist, um die Inflation in diesem Land zu bekämpfen. Inflation nicht zu bekämpfen, ist die asozialste Politik, die es gibt, und die dürfen wir in Deutschland nicht zulassen. ({13}) Ich will eine letzte Bemerkung machen, und zwar zum Thema Homeoffice-Pauschale. Ich finde es gut, dass wir die haben; entstanden ist sie in der Pandemie. Aber ich glaube, wir müssen auch zur Kenntnis nehmen – auch wenn es in der Pandemie entstanden ist –, dass Homeoffice und mobiles Arbeiten eine grundsätzliche Veränderung der Arbeitswelt darstellen. Deshalb rege ich an, dass wir in den Beratungen mal darüber nachdenken, ob wir das von der Pandemiebekämpfung lösen und daraus eine Dauereinrichtung machen, um die Steuerpolitik den Veränderungen in der Arbeitswelt anzupassen. In dem Sinne lade ich Sie zu guten Gesprächen ein. Ich würde mich freuen, wenn das gelingt. Bei uns haben Sie offene Ansprechpartner. Dass das, lieber Kollege Müller, auch innerhalb der Koalition gelingt, bin ich skeptisch. Ich habe dem Kollegen Kasper und Ihnen zugehört, und da habe ich größere Differenzen herausgehört, als sie zu uns bestehen. Vielen Dank und gute Beratungen. ({14})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernhard Daldrup. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt von mehreren betont worden: Die aktuelle Krisensituation erfordert entschlossenes Handeln. Das ist, glaube ich, auch hinreichend dokumentiert: bei den Kostensteigerungen für Strom, Lebensmittel, Heizung und Mobilität, bei der noch mal verschärften und angespannten Lage auf den Energiemärkten erst recht, und das durchaus auch bei einer jedenfalls vermeintlich anhaltenden Inflation. Ich habe die Darstellung des Finanzministers hier überhaupt nicht zu relativieren und zu kritisieren. Sie war schon so zutreffend. Die Kosten sind eben ganz unterschiedlich spürbar – an der Zapfsäule, bei der Miete, auch bei den Unternehmen –, und darauf müssen wir ganz zielgerichtet reagieren. Und das machen wir mit dem Steuerentlastungsgesetz – wir reden heute noch über das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz –, aber eben auch mit anderen Maßnahmen. Ich will an dieser Stelle mal sagen: Die Regierungskoalition hat relativ schnell gehandelt, und die Maßnahmenpakete, die zur Entlastung dienen, machen ein Volumen von deutlich mehr als 30 Milliarden Euro aus. Das muss man schlicht und ergreifend noch mal wiederholen, um den Menschen klarzumachen: Ja, wir helfen tatsächlich. ({0}) Mit dem vorliegenden Steuerentlastungsgesetz setzen wir Maßnahmen aus dem ersten Entlastungspaket um. Da ist die rückwirkende Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages um 200 Euro auf 1 200 Euro zu nennen. Als der Bundesfinanzminister gesagt hat, eine solche Anhebung habe es in den letzten elf Jahren nicht gegeben, ging ein Raunen durch die Reihen der Union. Ich empfinde das überhaupt nicht als einen Vorwurf, wenn das jetzt die SPD und die FDP und die Grünen gemeinsam machen. Wenn ihr das kritisiert, müsst ihr eigentlich merken, dass die Finger auf euch selber zeigen. ({1}) Fritz Güntzler hat gesagt, die Erhöhung des Grundfreibetrags von 9 984 auf 10 347 Euro komme überwiegend den Beziehern geringerer Einkommen zugute. Ich weiß jetzt nicht, ob er das begrüßt hat oder nicht. Ich habe es jedenfalls begrüßt; ich finde es ganz in Ordnung. Und Herr Meister sagt, das sei leistungsfeindlich, und das solle man nicht machen. Herr Meister, wissen Sie, was leistungsfeindlich ist? Leistungsfeindlich ist, wenn man leistungsloses Vermögen nicht hinreichend besteuert. Das ist leistungsfeindlich. ({2}) Sie könnten uns hier in die Bredouille bringen. Aber dann würden Sie sich erst einmal selber in eine Bredouille bringen. Zu der befristeten Anhebung der Entfernungspauschale für Fernpendler will ich aber sagen: Kollege Görke, die Mobilitätsprämie für Geringverdiener wächst von 20 auf bis zu 120 Euro. Das ist auch ein Gesichtspunkt. ({3}) – Ich beantworte jetzt keine Zwischenfragen mehr, Entschuldigung, auch wegen der Zeit. Ich bin ja eh der letzte Redner in dieser Debatte. Wir beraten heute auch über weitere steuerliche Erleichterungen. Das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz habe ich eben erwähnt. Die Verlängerung der Geltungsdauer der degressiven Abschreibung stellt eine massive Entlastung dar, an der übrigens Länder und Kommunen zu zwei Dritteln beteiligt sind. Das ist ein ganz wichtiger Schritt; ihn sollten Sie begrüßen. Die dauerhafte Verlängerung der Geltungsdauer der Homeoffice-Pauschale hättet ihr doch in der Regierung niemals gemacht. Darüber haben wir doch gesprochen. ({4}) Also, insofern: Erinnert euch einfach mal! ({5}) Ich habe die Vorschläge der Union gesehen, und ich weiß – ich kenne ja die Akteure und schätze sie auch persönlich –: ({6}) Sie sind immer so ein bisschen im Rausch der steuerberatenden Berufe und Abgeordneten. ({7}) Das verstehe ich durchaus. Aber nur Entlastungen für große Vermögen sind unzureichend und keine angemessene Reaktion auf die aktuelle Situation. Ich sage das noch mal: Wenn ihr uns als Ampel in Schwierigkeiten bringen wollt, dann müsst ihr die Frage stellen – verbunden mit entsprechenden Vorschlägen –, wie denn die Finanzierung all der großen Ausgaben auch durch Beteiligung großer und größter Vermögen gelingen kann. Aber das macht ihr gar nicht, weil ihr das ja auch gar nicht wollt. Das, was wir tun, ist der richtige Weg. Unsere steuerlichen Maßnahmen entlasten Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen wirksam und gezielt. Aber es sind eben auch noch andere Entlastungsmaßnahmen außerhalb des Steuerrechtes vorgesehen. Die Abschaffung der EEG-Umlage beispielsweise bringt einer dreiköpfigen Familie eine Entlastung von 133 Euro. Wir führen einen Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger ein. Durch Gutachten wird festgestellt, dass er ursprünglich bei 135 Euro liegen soll. Dann verdoppeln wir ihn. Die Linken sagen freundlicherweise: „Ihr macht ja mehr, als wir gefordert haben; wir schließen uns euch an“, und die Union sagt: „Nicht genug.“ ({8}) Und bei der Entfernungspauschale, Sebastian Brehm, habe ich eben gehört, dass der Kollege der Linken gesagt hat: Jetzt überholen die uns schon wieder links. ({9}) Leute, überlegt euch mal, was ihr jetzt fordert und was das mit der Glaubwürdigkeit eurer eigenen Arbeit zu tun hat. ({10}) Ich will die anderen Maßnahmen zur sozialen Ausgewogenheit noch kurz ansprechen: Einmalzahlungen für Menschen, die Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung beziehen; Sofortzuschlag für bedürftige Kinder noch vor Einführung der Kindergrundsicherung, die wir auch verabredet haben. Wir werden voraussichtlich noch ein paar weitere Maßnahmen des zweiten Entlastungspakets aufnehmen. Ich sage ausdrücklich: Die Energiepreispauschale von 300 Euro für einkommensteuerpflichtige Erwerbstätige und Selbstständige wird besteuert; ja, das ist so. Wer ein höheres Einkommen hat, hat dadurch weniger Entlastungen; das ist so. Das nennt man: soziale Gerechtigkeit. Was ist daran schlecht? Überhaupt nichts, finde ich jedenfalls. ({11}) Ich nenne die Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß: drei Monate lang 30 Cent weniger für Benzin, 14 Cent weniger für Diesel. Auch das ist, glaube ich, vernünftig. Aber wichtig ist auch, über kartell- und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Absenkung der Energiesteuern und sinkende Rohstoffpreise tatsächlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen. Die ÖPNV-Pauschale „dreimal 9 Euro“ ist auch eine Entlastung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist falsch, wenn wir in der jetzigen Situation nur darauf achten, welche Gruppe am meisten und welche am wenigsten betroffen ist. Auch Rentnerinnen und Rentner profitieren von unseren Maßnahmen, etwa beim Heizkostenzuschuss. 46 Prozent der Wohngeldempfänger sind Rentnerinnen und Rentner. Aber viel zu wenige Rentnerinnen und Rentner beantragen Wohngeld. Das müssten sie eigentlich machen. Das wäre sehr viel vernünftiger. ({12}) Leider muss ich zum Schluss kommen. Aber ich will noch mal an einem Punkt anknüpfen, den Lisa Paus genannt hat. Es geht ja nicht nur um diese einzelnen schnellen Hilfsmaßnahmen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Das muss aber ein kurzer Punkt sein, Herr Daldrup. – Entschuldigung.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich bin jetzt schon fast am Ende. – Es geht auch um strukturelle Maßnahmen zu einer höheren Resilienz und zu einer höheren Fähigkeit für die Transformation, die jetzt im Rahmen des Osterpakets beschlossen werden. Wir werden demnächst Gelegenheit haben, darüber weiter zu diskutieren. Herzlichen Dank. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Damit schließe ich die Aussprache.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Angriff auf die Ukraine hat entsetzliche Folgen, zuallererst für die Menschen in der Ukraine. Die jüngsten Ereignisse erfüllen uns mit Trauer und Entsetzen und auch mit Wut und Abscheu gegenüber denjenigen, die hierfür verantwortlich sind. ({0}) Die Auswirkungen des Kriegs spüren wir in ganz unterschiedlichen Bereichen, und einer ist die Nahrungsmittelversorgung. Wir sorgen uns akut um die Versorgung der Menschen im Kriegsgebiet. Wir sorgen uns um die diesjährige Ernte in der Ukraine; der ukrainische Landwirtschaftsminister geht davon aus, dass bis zur Hälfte der diesjährigen landwirtschaftlichen Produktion durch den Krieg verloren geht. Und wir sorgen uns um die Ernährungslage global. Das eine sind die Kosten von landwirtschaftlichen Gütern, insbesondere von Getreide, auf dem Weltmarkt. Das andere ist die Frage der Verfügbarkeit. 30 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine könnten zurzeit wegen des Kriegs nicht geliefert werden, sagt David Beasley, der Chef des UN-Welternährungsprogramms. Er spricht von einer Krise, wie das World Food Programme sie noch nicht erlebt habe. In Deutschland werden wir nicht hungern müssen. Wir müssen uns aber einstellen auf teils leere Regale, darauf, dass bestimmte Produkte oder Marken mitunter nicht in den Läden zu finden sein werden oder rationiert werden, so wie wir es heute auch schon beim Einkauf erleben; aber hungern werden wir in Deutschland nicht müssen. In anderen Regionen der Welt kann es ganz schnell anders aussehen. Damit sind wir direkt bei unserer Verantwortung, auch ganz konkret in der Landwirtschaftspolitik, im Bundestag, im Bundesrat nachher bei der Abstimmung über die Frage der Nutzung von Brachflächen, in der Bundesregierung und auf europäischer Ebene. Der Agrarkommissar Wojciechowski sagt, unsere Reaktion sollte sein, dass wir in der EU in diesem Jahr mehr Lebensmittel produzieren. Der Kollege Busen von der FDP hat es in der Haushaltsdebatte vor zwei Wochen richtig gesagt: Der Druck, Flächen zu bewirtschaften, statt sie stillzulegen, wird mit jedem Tag des Krieges größer. – Landwirtschaftsminister Backhaus von der SPD aus Mecklenburg-Vorpommern sagt, es sei gut und mit Blick auf die zu erwartende Verschärfung der Lebensmittelversorgung richtig, Brachflächen zeitweise zur Bewirtschaftung freizugeben. Gestern hat die Ministerpräsidentenkonferenz einstimmig beschlossen: Deutschland trifft auch eine humanitäre Verpflichtung, einen Beitrag zur weltweiten Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln zu leisten. Die Ministerpräsidenten … fordern die Bundesregierung daher auf, die Möglichkeiten auszuschöpfen, um das vorhandene Potenzial der Landwirtschaft konsequent zu nutzen. So der Beschluss von gestern Abend. Fazit: So ziemlich alle haben es erkannt. In der Krise geht ein Augen-zu-und-durch nicht. Da geht kein Weiter-so, als wäre nichts passiert. Die jetzige Krisensituation erfordert eine Reaktion. Da sind Sie gefordert, Herr Minister Özdemir. Nicht Aussitzen, sondern Handeln ist jetzt das Gebot der Stunde. ({1}) Fragt man nach Argumenten für die Position des Aussitzens, dann hört man gebetsmühlenartig, man dürfe die eine Krise nicht gegen die andere ausspielen. ({2}) Aber das ist mir, meine Damen und Herren, mit Verlaub, ein bisschen zu schlicht. Um es klar zu sagen: Wir wollen keine Abkehr von unseren Nachhaltigkeitszielen, aber manchmal verlangt eben die bittere Realität vorübergehend andere Prioritäten. Sie sagen immer, man solle jetzt nicht die alten Sprechzettel hervorholen. Meine Sprechzettel sind ziemlich neu. ({3}) Aber Ihre scheinen den alten grünen Parteiprogrammen zu entstammen, und die passen einfach nicht in diese Zeit, meine Damen und Herren. ({4}) Wenn globale Hungersnöte und massive Marktverwerfungen drohen, dann ist in Gunstlagen wie bei uns in Mitteleuropa schlichtweg nicht die Zeit für eine weitere Extensivierung. Das wäre nichts anderes als zynisch und auch unethisch. Ich will noch mal Till Backhaus von der SPD zitieren. Bei der Agrarministerkonferenz vergangene Woche hat er mit Blick auf die grünen Landwirtschaftsminister im Bund und in den Ländern gesagt – ich zitiere –: In meiner Wahrnehmung wurde beschwichtigt und beschönigt, ohne die Realitäten anzuerkennen und die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen. Das spricht doch wirklich Bände. Was ist jetzt zu tun? Konkret: In Deutschland muss jetzt auf brachliegenden Flächen auch der Anbau von Nahrungsmitteln möglich sein. Die für 2023 geplante Pflicht zur Stilllegung von 4 Prozent der Ackerflächen muss aufgehoben werden. Wir können uns ein weiteres grünes Zaudern und Zögern nicht erlauben. Umdenken ist jetzt das Gebot der Stunde. Das gilt im Übrigen auch für die deutsche Verhandlungsführung in Brüssel beim Green Deal. Hierfür braucht die Bundesregierung dringend ein Update, und hierfür brauchen die verhandelnden grünen Minister Habeck, Lemke und Özdemir dringend den klaren Arbeitsauftrag: Jetzt ist nicht die Zeit für weitere Belastungen, weder für die Landwirtschaft noch für die Verbraucher; jetzt gehört die Ernährungssicherung in den Mittelpunkt. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Natalie Pawlik. ({0})

Natalie Pawlik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit über sechs Wochen herrscht Krieg in der Ukraine. Völkerrecht, Kriegsrecht und Menschlichkeit werden gebrochen. Die Menschen erleben unbeschreibliches Leid. Die schrecklichen Bilder aus Butscha lassen das Ausmaß der Grausamkeiten dieses Krieges nur erahnen. Doch der Krieg hat nicht nur dramatische Folgen für die Ukraine, Russland oder Europa, sondern für die ganze Weltgemeinschaft. Denn Putin schafft nicht nur unendliches Leid in der Ukraine, sondern auch Hunger in der Welt. Die Ukraine und Russland sind wichtige Produzenten und Exporteure für Lebensmittel. Allein im letzten Jahr wurden knapp 70 Millionen Tonnen an Getreide aus der Ukraine exportiert. Das Welternährungsprogramm bezieht etwa 30 Prozent des Getreides aus der Ukraine. Der Wegfall der Ukraine als Nahrungsmittelproduzentin bedeutet, dass viele Länder ihren Bedarf an Getreide nicht mehr decken können und Millionen Menschen die Hungersnot droht. Betroffen sind vor allem Länder des Globalen Südens, die auf das Welternährungsprogramm und auf Getreideimporte angewiesen sind. Es sind Länder wie der Jemen, Nigeria und Bangladesch, die sowieso schon zu den Ärmsten der Armen gehören. Es ist unsere humanitäre Verpflichtung, einen Beitrag zu leisten und für die Nahrungsmittelsicherheit in der Welt zu sorgen. ({0}) Wir benötigen schnelle internationale Lösungen, um eine weltweite Hungerkrise zu verhindern. Dazu gehört natürlich auch, dass wir die Lebensmittelproduktion in Europa steigern und alles dafür tun, um die Märkte offen zu halten. ({1}) Als Konsequenz hat die CDU/CSU-Fraktion aber auch gefordert, den 12‑Euro-Mindestlohn für die Landwirtschaft zu verschieben, genauso wie die 70‑Tage-Regelung für die Saisonbeschäftigten auszuweiten. ({2}) Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, dann kommen Sie mit Lohndumping. ({3}) Ich weiß, dass einige von Ihnen sich nicht in Menschen einfühlen können, die gerade am Ende des Monats sich entscheiden müssen, ob sie ihr Auto volltanken oder ob sie Lebensmittel einkaufen gehen. Nicht wenige davon arbeiten in der Landwirtschaft. Diese Menschen brauchen gerade jetzt eine Solidargemeinschaft, die ihnen zur Seite steht. Die Erhöhung des Mindestlohns ist eine Frage des Respekts. ({4}) Und auch wenn Sie selbst in Ihrer letzten Antragsfassung die Forderung nach der Verschiebung der Erhöhung des Mindestlohns wieder rausgenommen haben, bleibt es dabei, dass Sie diese Krise dafür nutzen wollen, um sozialpolitische und ökologische Rückschritte zu erreichen. Das werden wir als Sozialdemokratie so nicht mittragen. ({5}) Die Krise darf nicht auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die hart arbeiten, aber wenig haben. Vor allem ist der Vorschlag realitätsfern. Denn wenn wir die Arbeits- und Lohnbedingungen in der Landwirtschaft nicht verbessern, wird es am Ende keine Arbeitskräfte mehr geben, die diese Arbeit verrichten. In Zeiten des Fachkräftemangels werden andere Sektoren die Fachkräfte abwerben. Lohndumping vertreibt Arbeitskräfte. Der Krieg in der Ukraine, die steigenden Preise für Energie und Dünger, aber auch Benzin belasten die Landwirtschaft enorm. Natürlich wird sich der Mindestlohn auch für die Landwirtinnen und Landwirte finanziell bemerkbar machen. Für die Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe haben wir aber auch einige Instrumente in unserem Koalitionsvertrag festgehalten, die wichtig sind. So wollen wir zum Beispiel Untergrenzen einführen, die dafür sorgen, dass der Verkaufspreis nicht unter die Kosten der Produktion und der Arbeitskraft fällt. Auch wollen wir eine Herkunftskennzeichnung, um die regionale Landwirtschaft zu stärken. Knochenjobs auf dem Acker für Löhne, von denen man nicht leben kann, sind hingegen keine Antwort auf die Krise. Das ist Ausbeutung, meine Damen und Herren. ({6}) Wir wollen faire Preise für hochwertige Produkte; aber diejenigen, die diese Produkte produzieren, müssen sich diese auch leisten können. Das gehört zum Anstand dazu. Ihr Antrag ist nicht weitgehend genug. Sie spalten unsere Gesellschaft. ({7}) Deswegen werden wir diesen ablehnen. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Peter Felser. ({0})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Landwirte! Wir begrüßen es, dass wir auch heute wieder über diese wichtigen Themen sprechen können: Hilfe für die Ukraine, Hilfe für die dortigen Landwirte, aber natürlich auch Lebensmittelsicherheit und Selbstversorgungsgrad hier in Deutschland. Ich frage mich nur, werte Kollegen von der CDU/CSU: Warum verweigern Sie sich eigentlich im Ausschuss immer diesen Themen? Genau das, was Sie heute fordern, haben auch wir in Teilen in Anträgen vorgelegt. Bitte finden Sie sich doch mal in die Oppositionsrolle ein, und stärken Sie die Opposition in diesem Hause! ({0}) Sie haben es doch vorgestern, am Mittwoch, im Ausschuss mitbekommen. Da hatten wir die Staatssekretärin gefragt, ob wir in dieser schweren Zeit, in Kriegszeiten, die Priorisierungen etwas ändern könnten, indem wir die Klimaziele zwei, drei Jahre nach hinten schieben und endlich den Hunger bekämpfen. Sie wissen, wie brutal, wie eiskalt die Antwort war: Ideologie vor Hungersnot, Ideologie vor Schutz unserer Landwirte. – Da hätten wir Sie gebraucht. Da hätten Sie Opposition sein müssen, liebe Kollegen. ({1}) Ihr heute vorliegender Antrag enthält viele richtige Punkte. Das unterstützen wir auch; wir haben ja Ähnliches beantragt. Aber bitte bleiben Sie bei der Lagebeurteilung und bei der Ursachenanalyse fair, und bleiben Sie da bitte korrekt. Warum haben denn unsere Landwirte diese Herausforderungen? Sie sind es doch, die die immensen Preissteigerungen bei den Rohstoffen und Düngemitteln mitzuverantworten haben. Die Inflation ist auf einem Rekordhoch, auf dem höchsten Stand seit 40 Jahren. Hoch war sie aber schon vor dem Ukrainekrieg. Sie waren es doch, die den Euro durch die EU-Rettungspolitik verwässert haben. Die Energiepreise schnellen in die Höhe. Sie haben doch die verkorkste Energiewende mitzuverantworten. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, liebe Kollegen. ({2}) Muss ich Ihnen jetzt wirklich vorrechnen, was 16 Jahre Merkel-Regierung für die deutsche Landwirtschaft gebracht haben? ({3}) Es sind nicht 10 000, es sind nicht 50 000, es sind 140 000 bäuerliche Betriebe, die aufgegeben haben, die aufgeben mussten, weil sie nicht weiterarbeiten konnten. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Diese Agrarpolitik haben Sie zu verantworten. ({4}) Schauen wir mal konkret in den Antrag rein. Was, bitte schön, wollen Sie denn mit „Inflationsberatungsstellen“? Das ist doch absurd! Wollen Sie den Landwirten erklären, was sie bei 7 Prozent Inflation, bei 12 Prozent Inflation oder bei 15 Prozent Inflation machen sollen? Eine spürbare Entlastung unserer Landwirte, das ist jetzt das Gebot der Stunde, liebe Kollegen. ({5}) Es geht jetzt darum, die Lebensmittelpreise für unsere Bevölkerung stabil zu halten. Seit Montag spüren wir in den Supermärkten, bei den Discountern die angezogenen Preise, und da sind die Erzeugerpreise noch gar nicht abgebildet; die sind ja noch gar nicht berücksichtigt. Das ist erst der Anfang der Preissteigerung, die noch auf uns zukommen wird. Lebensmittel müssen für unsere Bürger doch bezahlbar bleiben. Liebe Kollegen von der CDU/CSU, kommen Sie erst einmal in der Opposition an! Dann werden wir Ihren Anträgen in Zukunft vielleicht zustimmen. Ich danke Ihnen. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Renate Künast. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Chef des World Food Programme, David Beasley, hat gesagt: Der Krieg in der Ukraine führt zu einer Katastrophe on top zu einer bestehenden Katastrophe. – Warum? Weil das World Food Programme schon vor dem Krieg 125 Millionen Menschen ernähren musste – 125 Millionen Menschen! Durch die Verteuerung von Lebensmitteln war schon klar, dass monatlich 71 Millionen Dollar mehr an Ausgaben geschultert werden müssen; deshalb hatten wir ja Hinweise auf gekürzte Lebensmittelrationen, zum Beispiel im Jemen. Ich finde, es ist wirklich makaber, dass Sie jetzt so tun, als würden die Probleme des Welthungers gerade erst mit dem Krieg in der Ukraine entstehen. ({0}) Nein, Sie haben sie vorher nicht wirklich sehen wollen, meine Damen und Herren. ({1}) Sie beziehen sich auf die Ukraine. Sie exportiert etwa 70 Millionen Tonnen Getreide jedes Jahr – Weizen, Mais und andere Sorten. Fast ein Drittel der globalen Weizenexporte stammte schon vor dem Krieg aus Russland und der Ukraine. Viele Länder im Nahen Osten und in Afrika waren darauf angewiesen. Um mal das Makabere zu sagen: In Kenia herrscht jetzt, ich glaube, im dritten Jahr Dürre. Gleichzeitig hat Kenia Tausende Tonnen Blumen nach Europa exportiert. Daran sehen Sie, dass in unserer Ernährungslage etwas schiefliegt. ({2}) Damit müssen wir uns beschäftigen, meine Damen und Herren. Jetzt kommen Sie mit einem Antrag, der zum Beispiel fordert, internationale Organisationen zu stärken. So weit, so gut. Dann sagen Sie – das hat auch Ihr Redner hier getan –, man müsse den Green Deal und die GAP, also die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, vorurteilsfrei bewerten. Ich habe gedacht: Nun kommt die vorurteilsfreie Bewertung. Aber schon kommt die übliche ideologische Bewertung: die Schaffung von Brachflächen aussetzen, den Pestizideinsatz ausweiten, die Reform der Agrarpolitik um ein Jahr verschieben. Meine Damen und Herren, das kenne ich seit mindestens 20 Jahren. Daran ist nichts neu. ({3}) Der Zettel ist also mindestens 20 Jahre alt, Herr Bilger. Ich gehe mal auf die Brachen ein. 4 Prozent der Agrarflächen sind Brachen, stillgelegte Flächen, was die Erträge am Ende aber kaum geschmälert hat. Warum? Weil das im Wesentlichen „Grenzertragsstandorte“ sind; so nennt man das in der Fachsprache. Das sind Gewässerrandstreifen und andere Landschaftselemente. Ich sage Danke an Cem Özdemir und das Ministerium, dass sie an dieser Stelle standhalten; denn das führt dazu, dass man den Aufwuchs als Futtermittel nutzen kann. Das ist die effektivste Art, etwas zu nutzen. ({4}) Wenn Sie umgekehrt das machen, was die CDU will, nämlich diese Flächen, die schwer zu bewirtschaften sind, dann auch noch mit Pestiziden versehen, meine Damen und Herren, dann ist der Ertrag geringer als die ökologische Belastung. Das können Sie nicht ernsthaft wollen. ({5}) „Geringe Erträge“, „schwer zu bewirtschaften“, das gilt für diese Flächen. Selbst wenn wir die Stilllegung aufheben würden, meine Damen und Herren, würde das zu einer Erhöhung der EU-Getreidemenge um 4,4 Prozent führen. Auf die weltweite Produktion bezogen – Sie wollen ja mit diesem Ansatz die Welt ernähren – wären das 0,4 Prozent. Mit 0,4 Prozent mehr wollen Sie die Welt retten? ({6}) Nein, meine Damen und Herren. Das beleidigt unseren Intellekt. ({7}) Sie wollen mit den schlechtesten Standorten, die die Bauern gerne stilllegen, weil sie dafür noch Geld kriegen, und die die geringsten Erträge abwerfen, und mit den besagten 0,4 Prozent mehr nicht nur die Welt retten, sondern die wunderbaren Böden der Ukraine ersetzen. Das glaubt kein Mensch. Und dann wollen Sie auch noch Pestizide auf diesen fast ertraglosen Standorten einsetzen. Sie haben aber doch zeitgleich gesagt, dass die Bauern belastet sind, weil die Pestizidpreise steigen. Wenn Sie aber auch noch auf diesen 4 Prozent der Flächen Pestizide einsetzen, steigen die Pestizidpreise noch weiter. Was wollen Sie eigentlich? ({8}) In Deutschland umfassen die Stilllegungsflächen zurzeit 350 000 Hektar. Allein die Anbaufläche für Winterweizen in der Ukraine betrug 6,45 Millionen Hektar. Sie wollen also mit 350 000 Hektar 6,45 Millionen Hektar ersetzen und dann noch die Welt ernähren? ({9}) Nein, meine Damen und Herren. Wenn Sie wirklich ernsthaft was erreichen wollen, dann reden Sie mal über die Hard Facts. Wenn wir zum Beispiel die Schweinehaltung um 30 Prozent reduzieren würden, dann würden wir 1 Million Hektar Fläche einsparen. Das wäre ein Beitrag zur Welternährung, ({10}) und zwar egal, ob die Fläche bei uns oder woanders anfällt. Dann könnte man damit Menschen ernähren. Folgen Sie doch bitte besser 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die drei Hebel vorschlagen, nämlich dass wir die kurzfristigen Schocks bewältigen, dass wir uns auf die menschliche Gesundheit konzentrieren und dass wir langfristig nachhaltige Entwicklung gewährleisten. ({11}) Hebel eins. Zwei Drittel der Ackerfläche in Deutschland nutzen wir für Futtermittel. Wenn wir das reduzieren, haben wir 5 Millionen Tonnen Getreide. Dazu sagen Sie kein Wort, meine Damen und Herren. Hebel zwei: mehr Hülsenfrüchte, weitere Ökologisierung. Das würde heißen, die Farm-to-Folk-Strategie der EU, die zum Ziel hat, den Stickstoffüberschuss zu halbieren und den Ökolandbau auszuweiten, zu unterstützen, wie Cem Özdemir es tut. Kein Wort von Ihnen dazu. Das wollen Sie lieber nach hinten schieben. Ehrlich gesagt, glaubt Ihnen kein Mensch, dass Sie es nur ein Jahr nach hinten schieben wollen. ({12}) Und dann Hebel drei: die Lebensmittelverschwendung. Auch dazu kein Wort von Ihnen, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen eins: Die Grundlage der Landwirtschaft – unserer Ernährung – sind gesunde Böden, ausreichend Wasser, stabiles Klima, eine reichhaltige Artenvielfalt. Deutschland hat allein in den letzten 20 Jahren so viel Wasser verloren, wie der Bodensee Wasser hat. Dazu sagen Sie auch nichts. Sie wollen nur Reformen, die die Landwirtschaft unterstützen, nach hinten schieben. Sie wollen allenfalls kleine kosmetische Operationen, die am Ende aber nicht helfen. Mein letzter Satz, meine Damen und Herren: Es gibt auf dieser Welt potenziell genug Nahrungsmittel. Sie sind aber falsch verteilt; sie werden falsch genutzt. ({13}) Wir wollen die Reform weiterführen, um in diesem Jahr und in Zukunft Menschen zu ernähren. ({14}) Deshalb bin ich froh, dass Cem Özdemir Haltung zeigt und an der Stelle zwar bei der Fütterung hilft, aber nicht kaputtmacht, was uns erhält. Danke. ({15})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Ina Latendorf. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von der Unionsfraktion, wenn Sie hier fordern, die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen und die Landwirtschaft krisenfest zu gestalten, dann wissen Sie auch, dass es die Probleme schon viel länger gibt und die Ursachen tiefer liegen. Die Defizite sind durch den Krieg in der Ukraine wie durch ein Brennglas sichtbar geworden. Und ja, sie wurden auch verschärft. Aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – wir haben es eben gerade auch gehört – haben vor wenigen Tagen fachübergreifend in einem offenen Brief festgestellt: Die weltweite Ernährungsunsicherheit wird nicht durch eine Einschränkung des Nahrungsmittelangebots verursacht. Sie wird durch ungleiche Verteilung verursacht. Das ist Fakt, und das wissen Sie. ({0}) Jahrzehntelang haben Sie die Möglichkeit zur Veränderung verschlafen. Davon wollen Sie jetzt nichts wissen. Unsere Forderung nach einer sozial gerechten und ökologischen Landwirtschaft national und international haben Sie immer abgelehnt. ({1}) Dieser Antrag der Union ist ein Rundumschlag, mit dem ganz viel auf einmal angepackt werden soll. Ja, es gibt auch gute Ansätze, zum Beispiel die Forderung nach einem Sonderprogramm zur Abfederung der gravierendsten Folgen steigender Nahrungsmittelpreise oder Ihr Ruf nach einer internationalen Preiskontrolle. Aber ich bezweifele, ob Sie das auch wirklich wollen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass auch mit Ihnen – quasi in einer ganz großen Koalition – das 100‑Milliarden-Euro-Rüstungspaket im Raum steht. Dadurch werden Mittel für den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft und auch der Agrarpolitik auf Jahre fehlen. ({2}) Ja, auch wir wollen die Mittel für die Entwicklungshilfe aufstocken. Ich habe gerade in der letzten Sitzungswoche an dieser Stelle massiv kritisiert, dass die Entwicklungshilfegelder im Haushalt gekürzt wurden. Es muss mehr und nicht weniger Geld für eine echte Entwicklungsarbeit in den Ländern eingesetzt werden. Aber solange wir durch Dumpingpreise und Exportgüter den heimischen Bauern die Erwerbs- und Lebensgrundlage zerstören, haben wir nichts gelernt. ({3}) Entwicklungshilfe muss dazu beitragen, den Binnenmarkt wieder aufzubauen für Dinge, die in den Ländern auch selbst produziert werden können. Und auch hier gilt: Regionale Wirtschaftskreisläufe sind zu stärken, anstatt die Profitgier von Konzernen zu bedienen – national und international. ({4}) Wir brauchen in den Entwicklungsländern und auch hierzulande endlich eine Rückbesinnung auf die eigene Ernährungssouveränität, zum Beispiel durch den Aufbau von regionalen Wirtschaftskreisläufen, die Verhandlung auf Augenhöhe zwischen Produzenten und Abnehmern, die kostendeckende Produktion, bezahlbaren Boden und die ausreichende Honorierung von Agrarumweltmaßnahmen. Hierdurch würden die kleinen und mittleren Unternehmen gestärkt. ({5}) Heute bleibt der größte Teil des Gewinns bei der Vermarktung hängen; das wissen wir. Der Reibach wird in der Mitte gemacht bei Handelsketten und Konzernen. Auf der Strecke bleiben an einem Ende die Produzenten und am anderen Ende die Konsumenten. Ändern Sie das mit uns! ({6}) Liebe Unionsfraktion, von einer Begrenzung der Marktmacht im Handel ist bei Ihnen nicht die Rede. Sie setzen sogar noch einen drauf: Die ohnehin zu kritisierende 70‑Tage-Regelung für Saisonarbeiter und Saisonarbeiterinnen als kurzfristig Beschäftigte ohne soziale Absicherung wollen Sie auf 115 Tage ausweiten. Das ist der falsche Reflex. ({7}) Wir sehen den Schraubstock, in dem sich die Landwirte als Erzeuger befinden. Aber der Druck darf nicht nach unten, an die Beschäftigten, weitergegeben werden. Das ist der falsche Weg. Wir fordern eine faire Bezahlung und vor allem vollen sozialen Schutz. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, um die nationale und europäische Landwirtschaft krisenfest zu machen, ist bedeutend mehr nötig als das Herumdoktern an Symptomen und das blinde Vertrauen in die nicht vorhandenen sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes. Das System gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Vielen Dank. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Gero Hocker. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn Deutschland in der Landwirtschaftspolitik einen nationalen Alleingang beschreitet. Denn das suggeriert, dass wir es immer besser wüssten als zum Beispiel andere Mitgliedsländer der Europäischen Union. Solche Alleingänge haben der Landwirtschaft in Deutschland und unserem Land insgesamt nie einen wirklich großen Nutzen gebracht. Für meine Fraktion und auch für mich ganz persönlich sage ich, dass wir es ausdrücklich für falsch halten, wenn die ökologischen Vorrangflächen künftig tatsächlich nur für Futtermittelproduktionen freigegeben werden ({0}) und auch in Zukunft Lebensmittelproduktion hier nicht möglich sein soll. Wir halten das für falsch, verehrte Kolleginnen und Kollegen! ({1}) Mit jedem Tag, den der Krieg in der Ukraine andauert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen in anderen Ländern und in anderen Regionen dieser Welt tatsächlich werden Hunger leiden müssen. Natürlich haben Sie, liebe Frau Kollegin Künast, recht, dass wir das alleine nicht werden verhindern können. Aber wir können einen Beitrag dazu leisten – ich glaube sogar, dass wir die moralische Verpflichtung dazu haben –, dass die Preissteigerungen in Deutschland und die Nöte in ärmeren Regionen dieser Welt moderater ausfallen. Ich glaube, dass wir, wenn wir das nicht tun, uns in eine moralische Sackgasse hineinbegeben, aus der wir nur ganz schwer wieder herauskommen würden, meine Damen und Herren. ({2}) Ich weiß übrigens, wie schwierig es ist, wenn man kurzfristige externe Ereignisse in die eigene Meinungsbildung integrieren muss. Ich sage es ganz unumwunden: Ich habe als Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages gestritten für die Kernenergie als Brückentechnologie, als CO2-neutrale Technologie, hin zu erneuerbaren Energien. Und dann passierte Fukushima, und quasi über Nacht wurden an anderer Stelle Entscheidungen getroffen. Man musste auch seine eigenen Positionen überdenken und am Ende auch revidieren. Ich habe das gemacht, und meine Partei hat das gemacht. Ich glaube, dass es Situationen gibt, meine Damen und Herren, die so mächtig sind, dass man quasi als Ewiggestriger dastehen würde, wenn man nicht einlenkt und wenn man nicht seine eigene Haltung, seine eigene Forderung im Lichte der aktuellen Entwicklungen noch mal auf den Prüfstand stellt. Das waren für mich seinerzeit Fukushima und die Energiewende. ({3}) Ich hoffe, dass der eine oder andere hier in diesem Haus seine Haltung aufgrund der jüngsten Entwicklungen des Krieges in der Ukraine noch einmal überdenkt, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({4}) An die Union gewandt: Auch wenn der vorliegende Antrag einige Punkte richtig benennt, werden wir ihm aus folgendem Grunde nicht zustimmen können: Er suggeriert nämlich, dass die Menschen in diesem Land und auch diese Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten quasi tatenlos gewesen wären bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. ({5}) Da will ich Ihnen ganz ausdrücklich sagen, Herr Kollege Thies: Das ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen in diesem Lande, die gegenwärtig zusammenrücken, um Platz zu machen für Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, die auch keine Angst haben vor steigenden Nebenkosten. Das ist ein Schlag ins Gesicht all der Unternehmen, die spenden und auch viele Kolleginnen und Kollegen ansprechen und sich erkundigen: Wie kann die Logistik bewältigt werden? Das ist ein Schlag ins Gesicht all der Männer und Frauen, die in den Aufnahmebehörden arbeiten und Tag und Nacht dafür streiten und arbeiten, dass die Menschen aus der Ukraine hier eine menschenwürdige Unterbringung bekommen. Und das ist auch ein Schlag ins Gesicht des Krisenstabs dieser Bundesregierung, der einen hervorragenden Job macht bei der Bewältigung der logistischen Herausforderungen, bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union. ({6}) Diese Bundesregierung hat den Anspruch, nach Jahrzehnten Ökonomie und Ökologie miteinander zu vereinen. Ich sage Ihnen: Mir fällt kein Wirtschaftsbereich ein, wo das schon jetzt im Jahr 2022 besser gelungen wäre. Und es ist richtig, auf diesem Weg fortzuschreiten. Aber dieser, ich sage mal, konstruierte Konflikt, den Sie mit Ihrem Antrag aufmachen, dass die Bewirtschaftung von Flächen sozusagen im Gegensatz zur Ökologie stünde, ist eine Auffassung aus den 1970er-Jahren. Wir haben die Technologie, beides miteinander zu verbinden; unsere Landwirte haben das entsprechende Know-how. Es ist tatsächlich so, dass die Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden, häufig genug eine höhere ökologische Bedeutung haben als die Flächen, die einfach brachliegen. Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist Ihr Antrag komplett aus der Zeit gefallen und wird nicht unsere Zustimmung finden. Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Hans-Jürgen Thies. ({0})

Hans Jürgen Thies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004915, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Felser, ich glaube, Sie haben in Ihrer Rede schon selbst die Antwort darauf gegeben, weshalb wir als Union auch in Sachfragen mit Ihnen von der AfD nicht zusammenarbeiten können und werden. Das nur in Replik zu Ihnen. ({0}) Frau Kollegin Künast, ich muss sagen: Ich bin nicht nur irritiert, ich bin auch ein Stück weit betroffen von Ihren Ausführungen. ({1}) – Ja, das muss ich ganz deutlich sagen: Sie sagen: Das Hungerproblem ist nicht neu auf dieser Welt. – Damit haben Sie völlig recht. Aber das Hungerproblem wird doch massiv verstärkt durch die jetzige Ukrainekrise. ({2}) Sie sagen, die Freigabe von ökologischen Vorrangflächen würde doch nur im einstelligen Prozentbereich oder sogar nur im Null-Komma-und-Prozent-Bereich die Produktion erhöhen und steigern. Aber wenn es uns auf diese Art und Weise gelingt, auch nur 1 Million Menschen weltweit zusätzlich vor Hungersnot zu bewahren, dann ist das ein Wert an sich und ein Erfolg. Es ist zynisch, wenn Sie das so lapidar infrage stellen. ({3}) Das muss ich noch mal ganz deutlich sagen. ({4}) – Kommen Sie wieder etwas runter. ({5}) Neue Zeiten erfordern neue Entscheidungen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Wir haben im letzten Jahr die GAP aus voller Überzeugung mitbeschlossen, und wir wollen an dem ökologischen Umbau, wir wollen an den agrar- und klimapolitischen Zielen auch grundsätzlich festhalten. Das will ich hier an dieser Stelle deutlich sagen, um diese Auffassung, die Union wäre verhaftet in den Entscheidungen der 70er-Jahre, mal zurechtzurücken. ({6}) Nein, wir stehen zu diesen Zielen. Nur, wir müssen doch in der gegenwärtigen Krisensituation die Prioritäten anders setzen. Das scheint mir das Entscheidende zu sein. ({7}) Jetzt geht es darum, Hunger zu stillen, mehr Getreide zu produzieren, um auch ausgleichend auf die rasant steigenden Getreidepreise zu reagieren. ({8}) Durch den Krieg in der Ukraine ist auch für die heimische Landwirtschaft eine völlig neue Gefechtslage entstanden. Wir brauchen jetzt kurzfristige Lösungen. Die EU-Kommission hat es vorgemacht und die GAP-Richtlinien gelockert. Aber, Herr Bundesminister Özdemir, Ihnen fällt nicht viel mehr ein als die zusätzliche Beweidung von Vorrangflächen. Das halten wir für deutlich zu wenig. Wir als Union hatten gehofft, Sie würden Maßnahmen nennen, die schon angeschoben worden sind. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Ihre doch sehr seichten Ausführungen in der letzten Haushaltsdebatte vor 14 Tagen haben uns sehr enttäuscht. Das waren kurzfristige Ankündigungen; notwendige Hilfen sollten auf den Weg gebracht werden. Bisher haben wir davon noch nichts gesehen. Sie haben Programme erwähnt. Aber wo sind diese Programme? Wo werden sie umgesetzt? Jetzt geht es wirklich darum, die Ernährungssicherheit in unserem Lande, aber auch weltweit zu sichern. Eile ist geboten. Hungerbekämpfung muss aktuell Vorrang haben vor Klimaschutz. Ich sage: aktuell und temporär. Und was können wir kurzfristig tun? Wir brauchen einen Ernährungsgipfel mit allen denkbaren Akteuren, angesiedelt im Bundeslandwirtschaftsministerium als zuständigem Fachressort. Da darf nicht nur schön geredet werden, da muss auch gehandelt werden. ({9}) Wir brauchen zunächst eine Bestandsaufnahme: Bei welchen Nahrungsmitteln gibt es Versorgungsengpässe? Wie ist es um die Lieferketten bestellt? Wie sieht es mit Preissteigerungen aus, und zwar nicht nur bei Getreide, bei Lebensmitteln, sondern zum Beispiel auch bei den Energiekosten? Das Ganze muss dann auch noch unter dem sozialökonomischen Aspekt betrachtet werden; das kommt mir in der Diskussion bisweilen etwas zu kurz. Wir müssen auch überlegen, ob wir nicht die EU-Agrarreform um mindestens ein Jahr verschieben. ({10}) Wir können jetzt nicht an Flächen- und Produktionsstilllegungen wie zu Friedenszeiten festhalten. Wir brauchen jetzt nicht weniger, wir brauchen jetzt mehr an Produktion, und das gilt sowohl für die Futtermittel- als auch für die Lebensmittelproduktion. Unser Antrag enthält dringliche agrarpolitische, handelspolitische und auch entwicklungspolitische Forderungen an die Bundesregierung, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Herr Bundesminister Özdemir, bitte heben Sie sich positiv von den handlungsschwachen Kabinettskolleginnen Faeser und Lambrecht ab! ({11}) Werden Sie jetzt aktiv – zügig und ergebnisorientiert! Vielen herzlichen Dank. ({12})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Manuel Gava. ({0})

Manuel Gava (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005062, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Acht Jahre bleiben uns noch: Bis 2030 soll es auf der Welt keinen Hunger mehr geben. Das ist das zweite der 17 weltweiten Nachhaltigkeitsziele, auf die sich fast alle Staaten der Welt verständig haben. Selbst vor dem Einsetzen der weltweiten Coronapandemie war dies ein überaus ambitioniertes Ziel. Der brutale Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine rückt dieses Ziel nicht nur in weite Ferne, er riskiert auch alles, was wir bislang erreicht haben. Die Ukraine und Russland sind die Kornkammern für einen Großteil der Welt, und das gilt insbesondere für den Globalen Süden. Auf Russland und die Ukraine entfallen etwa 12 Prozent aller weltweit gehandelten Kilokalorien. Wo Panzer rollen, können keine Traktoren fahren. Wo gekämpft wird, kann nicht gesät und geerntet werden. Diese Unterbrechung der globalen Versorgungskette trifft importabhängige Länder des Globalen Südens wie Somalia, den Libanon, Jemen unmittelbar und besonders hart. Die Preissteigerungen auf den Weltmärkten bedrohen in erster Linie die Ernährungssicherheit der Ärmsten der Armen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns das Ziel gesetzt, Hunger zu bekämpfen und weltweite Ernährungssicherheit zu erreichen. Auch dieses Ziel und vor allem die für seine Erreichung notwendigen Mittel müssen im Lichte der aktuellen Geschehnisse neu bewertet werden. Ernährung ist ein existenzielles Menschenrecht, das nicht Profitinteressen überlassen werden darf. ({0}) Gerade laufen die Haushaltsberatungen über Mittel zur Förderung von Ernährungsprogrammen im Globalen Süden. Der Bundeskanzler sowie Ministerin Svenja Schulze haben bereits zugesichert, dass zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt werden; das ist aufgrund der humanitären Notlage auch genau richtig. Die angekündigten 430 Millionen Euro sind eine wichtige Antwort auf die akute Not, mit der wir uns im Moment konfrontiert sehen. Ein entscheidender Faktor für die langfristige weltweite Ernährungssicherheit ist der Klimawandel; das wurde eben völlig richtig angesprochen. Wo Klimaschocks und Extremwetterereignisse wüten, ist der Hunger nicht weit. Die Produktivität von kleinbäuerlichen Familienbetrieben, die übrigens 80 Prozent der globalen Produktion ausmachen, hängt direkt von Umweltbedingungen wie dem Klima, der Wasserverfügbarkeit und der Fruchtbarkeit von Böden ab. Mit etwas Verwunderung musste ich feststellen, dass Sie mit den bürokratischen Hemmnissen bei der Neuordnung der Weltwarenströme eigentlich die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards meinen. Ich versichere Ihnen an dieser Stelle, dass die Wahrung von Menschenrechten nicht der Grund für die aktuellen Herausforderungen entlang der globalen Lieferketten ist. Stattdessen werden die neuen EU-Rechtsvorschriften den ökologischen Wandel voranbringen, für Unternehmen Rechtssicherheit schaffen und für mehr Transparenz bei Verbraucherinnen und Verbrauchern sorgen – und das ist auch gut so. ({1}) Neben meiner Mitgliedschaft im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bin ich, genauso wie meine Vorrednerin Natalie Pawlik, auch Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Saisonarbeiter/-innen und Erntehelfer/-innen verrichten harte körperliche Arbeit unter sehr schwierigen Bedingungen und häufig zu niedrigen Löhnen. Dieser Zustand riskiert nicht nur die Sicherung ausreichender Arbeitskraft im Landwirtschaftssektor, sondern führt alle Argumente zugunsten der weltweiten Ernährungssicherung ad absurdum. Sozialstandards senken, um den Hunger zu bekämpfen, das ist eine mehr als fragwürdige Strategie. ({2}) Das Problem der zu niedrigen Erzeugerpreise für Agrarprodukte und der Mangel an Beschäftigten in der Landwirtschaft darf und kann nicht gelöst werden, indem man Sozialstandards senkt. ({3}) Anstatt Sozial- und Umweltstandards preiszugeben, brauchen wir jetzt kraftvolle Maßnahmen, so wie die bereits initiierten Nothilfefinanzierungen, und langfristige Lösungen für die strukturellen Probleme in der Landwirtschaft. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, in Ihrem Antrag stehen durchaus sinnvolle Dinge, gerade im Bereich der Finanzierung. Da kann man, denke ich, in einigen Bereichen mitgehen. Vieles davon bearbeitet allerdings die Bundesregierung schon, und einiges wurde bereits auf den Weg gebracht. Lassen Sie uns in dieser schwierigen Situation konstruktiv zusammenarbeiten. Auf alle 22 Punkte konnte ich in diesen fünf Minuten nicht eingehen. Ich hoffe aber, dass ich einiges angesprochen habe. Mein Dank – das ist mir an dieser Stelle noch mal besonders wichtig – geht an die Ukrainerinnen und Ukrainer; generell natürlich an alle, aber anlässlich dieser Debatte ganz besonders an die Menschen, die dort in der Landwirtschaft und der Logistik arbeiten, die unter katastrophal schwierigen Umständen gerade einen wahnsinnigen Job machen und alles herausholen, was geht. Ich bin ihnen sehr dankbar; und meine Fraktion, die Koalitionsfraktionen und, ich glaube, das ganze Haus sendet ein ganz großes Zeichen der Solidarität in die Ukraine. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie sehr herzlich an diesem Freitagvormittag. Als nächster Redner erhält das Wort für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Bernd Schattner. ({0})

Bernd Schattner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005203, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Extensivierung der Landwirtschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten hat zu einem dramatischen Rückgang der Tierhaltung und der damit verbundenen Eigenversorgung des Landes mit Nahrungsmitteln geführt. Lebensmittel wurden als Ramschware angesehen, unsere heimischen Landwirte als angeblich große CO2-Verursacher abgestempelt und damit zum Feindbild der Gesellschaft in Deutschland deklariert. Schon vor der Ukrainekrise sind enorme Anstiege der Erzeugerpreise bei Milch, Fleisch und Getreide zu verzeichnen gewesen. Davon profitiert haben aber in keinster Weise unsere Landwirte, da die Produktionskosten noch deutlich stärker gewachsen sind. Aber was sind denn die Gründe für diese Preisexplosion bei Nahrungsmitteln, Kraftstoffen und Mineraldünger? Es ist genau Ihre links-grüne Politik mit Sätzen wie „Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin“ oder „Wir brauchen jetzt ein temporäres Tempolimit, um, so schnell es geht, unabhängig von russischem Öl zu werden“. Die Grammatik dieses Satzes stammt übrigens von der Bundesvorsitzenden der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Frau Lang, selbst. Diese beiden Sätze zeigen exemplarisch auf: Der Bundesregierung fehlt der nötige Sachverstand, um die aktuellen Probleme zu meistern. ({0}) Ihre aktuelle Politik sorgt lediglich dafür, dass deutsche Bürger zunehmend verarmen, Unternehmen ins Ausland abwandern und Arbeitsplätze bei uns vernichtet werden. Die Bundesregierung mit ihrer glorreichen Inflationspolitik hat es in einem halben Jahr im Amt geschafft, dass wir im März bei einer Inflationsrate von mittlerweile über 7 Prozent stehen. Solche Steigerungsraten bei gleichzeitiger Nullzinspolitik hat keine Regierung in den letzten Jahrzehnten zu verantworten gehabt. Dadurch sind beispielsweise für Landwirte die Mineraldüngerkosten allein im letzten halben Jahr um 600 Prozent gestiegen. Dies führt zu einer Steigerung des Getreidepreises und damit auch zu Preiserhöhungen bei den Lebensmittelkonzernen von bis zu 50 Prozent, die jeder Bürger hier im Land tragen muss. Und jetzt, liebe Grüne, wollen Sie den Bauern noch bis zu 7 Prozent ihrer Ackerflächen stilllegen und diese Maßnahme mit 1 300 Euro je Hektar an Steuergeldern vergüten. Zusammengefasst ist dazu zu sagen, dass die Bundesregierung den Landwirten ein Produktionsverbot erteilt, was der deutsche Bürger mit Steuern bezahlt; und als Belohnung darf er noch erheblich teurere Lebensmittel bezahlen. ({1}) Wir fordern daher, diese fachliche Unkenntnis zu beenden und den deutschen Landwirten das freie Produzieren von Nahrungs- und Futtermitteln auf den angedachten Stilllegungs- und ökologischen Vorrangflächen zu ermöglichen. Mit dieser Maßnahme würden nicht nur die Nahrungsmittelpreise in den deutschen Supermärkten wieder sinken, sondern wir könnten allein durch diese intensive Nutzung der angedachten 7 Prozent Stilllegungsfläche in Europa den Getreideimport von fast ganz Nordafrika abdecken. Die EU-Kommission ist unseren Forderungen bereits gefolgt. Haben nun auch bitte Sie die Vernunft, Herr Minister, und fördern Sie die Produktion heimischer Nahrungs- und Futtermittel und eben nicht den Hunger in der Welt! Stimmen Sie unserem beigestellten Antrag zu! Vielen Dank. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächste Rednerin erhält Deborah Düring für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit hungern zurzeit über 800 Millionen Menschen. Das entspricht der Bevölkerung der EU und Nordamerikas zusammen. Aber wer sich jetzt hierhinstellt und einfach nur mehr Weizenproduktion gepaart mit weniger Klimaschutz fordert, der hat das Problem in Gänze nicht verstanden. ({0}) 44 Millionen Menschen stehen kurz vor dem Hungertod, und die Zahl steigt rasant an. Deswegen brauchen wir jetzt eine massive Aufstockung des chronisch unterfinanzierten Welternährungsprogramms. Wir müssen den akuten Hunger bekämpfen, ja. Aber das allein reicht nicht aus. Wir haben aktuell genug Lebensmittel in der Welt. Sie sind einfach nur ungerecht verteilt. Das ist an sich auch keine neue Erkenntnis. Aber wenn ich die Anträge so lese und mir die Redebeiträge hier anhöre, dann scheint das wohl noch nicht bei allen hier im Plenum angekommen zu sein. ({1}) Unsere Freihandelspolitik hat die Abhängigkeit des Globalen Südens von Nahrungsmittelimporten geschaffen. Zu den aktuellen Hungerkrisen haben wir in der EU und mit unserem Weltwirtschaftssystem beigetragen. Diese Politik hat lokale Ernährungssysteme systematisch zerstört, Kleinbäuerinnen und ‑bauern verdrängt und die Übermacht von multinationalen Konzernen begünstigt. Liebe Union, Ihre Verweigerung in den letzten 16 Jahren, die Klimakrise konsequent anzugehen, diese Haltung hat auch dazu geführt, dass Tausende von Menschen auf der Suche nach Wasser und Weideland jetzt schon vertrieben werden. Klimakrisenbedingte Dürren und Heuschreckenplagen führen zu massiven Ernteausfällen und werden es auch weiter tun. Deswegen müssen wir für mehr Klimaschutz sorgen und nicht für weniger. ({2}) Hinzu kommt noch die Coronapandemie, die zu extremen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen im Globalen Süden geführt hat. In den letzten zwei Jahren sind die Lebensmittelpreise gerade wegen dieser Polypandemie noch weiter rasant gestiegen. Der Krieg gegen die Ukraine hat diese Preisproblematik noch mal verschärft. Staaten müssen sich jetzt weiter verschulden, um das Brot für ihre Bevölkerung zu subventionieren, damit sich die Menschen dieses überhaupt noch leisten können. In einigen Ländern im Globalen Süden geben Familien mehr als 60 Prozent ihres gesamten Einkommens für Nahrungsmittel aus. Genau das meine ich, wenn ich sage: Diese Krisen hängen zusammen, sie verstärken sich gegenseitig. Und: Es gibt keine eindimensionalen Lösungen à la Union für diese mehrdimensionalen Probleme. ({3}) Wir müssen aufhören, mit kurzfristig gedachten Lösungen diese langfristigen Probleme anzugehen. Klima- und Umweltschutz darf nicht gegen Ernährungssouveränität ausgespielt werden. Stattdessen müssen wir an die Strukturen ran. Ansonsten stehen wir doch bei den nächsten Krisen genauso da, wie wir jetzt dastehen. Wir brauchen den biologischen Umbau der globalen Landwirtschaft. Wir müssen Nahrungsmittelspekulationen regulieren und Schuldenmoratorien ermöglichen. Wir müssen die globalen Ernährungssysteme endlich resilienter machen. Das gilt es jetzt anzugehen. ({4}) Dafür müssen wir vor allen Dingen im Globalen Süden die lokale Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln wieder in Gang bringen. Wir müssen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Globalen Süden stärken. Agrarökologische Ansätze müssen ausgebaut werden, um die Abhängigkeit von Pestiziden und Mineraldüngern zu verringern. Im Globalen Norden, ja, auch hier müssen wir handeln. Wir müssen die Nahrungsmittelverschwendung drastisch reduzieren. Auch wenn es einigen hier nicht passt: Ja, das bedeutet auch, dass wir werden lernen müssen, weniger tierische Produkte zu konsumieren. ({5}) Da der Kollege der AfD gestern mal wieder anfing, die Gleichberechtigung infrage zu stellen, hier noch einmal ganz klar und deutlich: Wir müssen die Gleichberechtigung der Geschlechter voranbringen; denn der Hunger auf der Welt kann nur besiegt werden, wenn weiblich gelesene Menschen endlich gleichberechtigt sind. Weltweit sichern vor allen Dingen Frauen die Ernährung ihrer Familien. Aber sie werden nicht gehört, sie werden unsichtbar gemacht. Bäuerinnen sind der Motor für Ernährungssouveränität. ({6}) Ihre Potenziale und Fähigkeiten brauchen wir, um den Hunger in der Welt zu überwinden, und das werden wir angehen. ({7}) Statt patriarchale Strukturen zu stützen, müssen wir die Rechte von Frauen stärken. ({8}) – Ich komme gar nicht runter. Sie hören mir jetzt zu! ({9}) Statt Schuldendienst den Vorrang einzuräumen, müssen wir Ländern endlich ermöglichen, soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Wir müssen Menschenrechte vor Profit stellen. Wir müssen menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen. ({10}) Wir brauchen eine agrarökologische Transformation mit fairem und gerechtem Handel. Ernährungssouveränität und Verteilungsgerechtigkeit werden wir angehen. Das sind langfristige Lösungen, liebe Union. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die FDP-Fraktion Dr. Christoph Hoffmann. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Putin tötet. Putin tötet und zerstört. Putin tötet in der Ukraine, aber auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Der UN-Generalsekretär António Guterres sieht einen Wirbelsturm des Hungers kommen. In Kenia, Uganda, Somalia – überall explodieren die Lebensmittelpreise. ({0}) Im südlichen Afrika, beispielsweise in Malawi, ist der Brotpreis um 50 Prozent gestiegen. – Das ist ein bisschen mehr wie beim Rewe für Sie. ({1}) Die Leute, die sich Brot zu diesen Preisen kaufen müssen, haben sowieso kein Geld, um sich Lebensmittel zu leisten. Das ist der Unterschied, und das haben Sie immer noch nicht verstanden, Sie Blöker von der AfD. ({2}) In Subsahara-Afrika sind 144 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfe der Vereinten Nationen angewiesen. Das könnten in den nächsten Monaten 30 bis 50 Millionen mehr werden. Und das Welternährungsprogramm muss jetzt mehr bezahlen für das Getreide, das es sowieso kauft – rund 30 Prozent mehr. Der Finanzbedarf der Ernährungssicherung verdoppelt sich. Alleiniger Grund für den absehbaren Sturm des Hungers ist der Angriffskrieg Putins auf die besten Böden der Welt, die ukrainischen Schwarzerden. Ein Angriff auf die Kornkammer der Welt und die Zerstörung der dazu dienenden Infrastruktur. Wie soll denn vorhandener Weizen überhaupt noch verschifft werden, wenn die Häfen zerbombt und vermint sind? Darauf geben Sie in Ihrem Antrag, liebe CDU/CSU, auch keine Antwort. Ich freue mich auf den Austausch und die Diskussion in den Ausschüssen über dieses Thema. In dieser humanitären Katastrophe zeigt Putin seine ganze Menschenverachtung. Mit seinem Exportstopp für Weizen, Gerste, Mais und Roggen aus Russland will er uns Europäer bestrafen. Niemand anderen als uns. – Nein, Herr Putin, nicht mit uns! ({3}) Hunger bedeutet Destabilisierung, Unruhen, Kollaps von Staaten. Ja, das nimmt Putin bewusst in Kauf. Er will eine neue große Flüchtlingsbewegung starten. Sie soll den Erzfeind, die humanitär agierende EU, an den Rand der Möglichkeiten bringen und dort für Unruhe und Spaltung sorgen. Das ist diese menschenverachtende Strategie von Herrn Putin. – Nein, Herr Putin, nicht mit uns! ({4}) Und im Hunger sterben die Ärmsten der Armen, die, die schon vor dem Krieg mehr als die Hälfte ihres Einkommens ausgegeben haben für Essen. – Nein, Herr Putin, nicht mit uns! Was sind unsere Waffen im Krieg gegen den Hunger? Erstens. Kurzfristig müssen jetzt Europa und Deutschland bedingungslos ihre Nahrungsmittelproduktion steigern. Da führt gar kein Weg dran vorbei. ({5}) Das nicht zu tun, wäre eine zynische, tödliche, überhebliche Arroganz. ({6}) Hier haben wir geostrategische Verantwortung. ({7}) Zweitens. Die zusätzliche finanzielle Hilfe der Bundesregierung für das Welternährungsprogramm hat die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht: 42 Millionen Euro extra. Hier agiert die Regierung völlig richtig. Das unterstützen wir von den Freien Demokraten. Drittens. Mit der Entwicklungszusammenarbeit wird die Koalition dafür sorgen, dass die Eigenversorgung der Länder verbessert wird: ertragreichere Pflanzen, eine effizientere Landwirtschaft. Was kurzfristig machbar ist, sind bessere Lagerungsmöglichkeiten. Hier können wir also auch noch ganz kurzfristig helfen, indem wir die Lagerungsmöglichkeiten in diesen Ländern verbessern. ({8}) Das sind unsere Mittel gegen Putins Morden. Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein Angriff auf die internationale Weltgemeinschaft. Aber wir, wir sind bei den mutigen Menschen, die in der Ukraine auch Europas Freiheit und die der Welt verteidigen, und bei all jenen Freiwilligen und Hauptamtlichen, die sich in aller Welt gegen diesen Hunger stemmen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Denen gilt unser Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält der Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Berichten zufolge ist in der Ukraine noch eine Fläche von 20 Millionen Hektar nicht bestellt. Es fehlt an Diesel, es fehlt an Dünger, es fehlt an Saatgut, und – noch viel schlimmer – es fehlen die Menschen, die den Traktor fahren, weil sie im Panzer sitzen. Ich bin etwas verwundert, dass man diese Debatte zu unserem Antrag auch dazu nutzt, um jetzt wieder alle Themen aufzumachen, und sich nicht konzentriert auf die Bewältigung dieser humanitären Katastrophe, die auf uns zukommt. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin immer mehr verwundert über das Verhalten der FDP. Sie machen ja teilweise kluge Vorschläge. ({1}) Ihr wisst schon, dass ihr in einer Ampelkoalition seid? Ihr solltet euch mal über die Osterfeiertage mit der Koalition eine Eheberatung suchen oder irgendwas, damit das besser funktioniert. ({2}) Denn was wir in diesem Land nicht gebrauchen können und was die Ukraine nicht gebrauchen kann, ist eine Bundesregierung, die nicht handelt. Wir müssen jetzt handeln. Es geht jetzt darum, dass wir unsere ökologischen Vorrangflächen – das sind deutschlandweit 170 000 Hektar – nutzen. ({3}) Ich gebe Ihnen teilweise recht – also nicht der FDP, sondern den Grünen –, dass nicht jeder Quadratmeter davon effektiv zu nutzen ist, ({4}) weil es Grenzertragsstandorte sind; die habe ich selber. Aber wenn ich von 170 000 Hektar 100 000 nutzen kann, wenn ich auf diesen 100 000 Hektar Lebensmittel produzieren kann, dann leiste ich, auch wenn es nur auf 1 Hektar ist, damit einen Beitrag dazu, die Welternährung zu sichern. Das braucht es und nicht, wie Sie sagen, andere Ansätze. ({5}) – Ich weiß, dass Sie mich jetzt wieder was fragen wollen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, na ja. ({0}) – Wenn Frau Künast mir glaubhaft versichert, sie habe eine nette Frage, dann lasse ich diese zu. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich nehme das als ein Ja.

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Bitte schön, Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die nette Frage ist: Möchten Sie sich nicht in Ihrem Redebeitrag auf was anderes konzentrieren? Weil ich nämlich jetzt gehört habe, dass im Bundesrat der Vorschlag von Cem Özdemir gerade durchgegangen ist. ({0}) Also, der Aufwuchs der Flächen, ein bestimmter Anbau kann stattfinden. Das ist doch so weit erst mal gut. Rechtlich, zeitlich ist es eh nicht mehr änderbar. Also lassen Sie uns über die Zukunft reden! Die Bauern werden diesen einen Teil gerne nutzen. ({1})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Künast, ich bin dankbar für diese nette Frage, weil Sie mir damit mehr Redezeit geben. ({0}) Wenn Sie die Beratung im Bundesrat verfolgt haben, dann wissen Sie: Es gab einen Antrag, dass auf diesen Flächen auch landwirtschaftliche Nutzung zugelassen werden sollte mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, mit dem Einsatz von Düngemitteln. Dieser ist abgelehnt worden. ({1}) Jetzt ist nur genehmigt worden, dass man diese Flächen zum Anbau von Futtermitteln nutzen kann. ({2}) Jetzt zu Ihrer Frage, liebe Frau Künast: Ich komme aus der Landwirtschaft, ich kenne die Feldfrüchte, die auf diesen Flächen stehen. Also, ich weiß nicht, ob die Kühe so begeistert sind, wenn man sie mit Disteln füttert. Also, mit diesem Beschluss leisten Sie keinen Beitrag zur Welternährung. Wir brauchen eine Aktivierung dieser landwirtschaftlichen Nutzflächen. – Und jetzt sollten Sie sich wieder setzen. Danke schön. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja auch so, dass uns die Zeit davonläuft. Bereits am 23. März hat die EU-Kommission, hat Brüssel beschlossen: Wir können diese Flächen nutzen. – Vom 23. März bis zum letzten Wochenende waren die besten Aussaatbedingungen in Deutschland. Unsere Bäuerinnen, unsere Bauern hätten säen können. Sie hätten auch Hafer für Ihre Hafermilch, Frau Künast, säen können. Aber das konnten sie nicht, weil Sie mit Ihrer Bundesregierung es verhindert haben. ({4}) Auch die EU hat vorgegeben: Es muss innerhalb von 21 Tagen entschieden werden. – Der Entschluss, der jetzt parallel im Bundesrat gefasst wird, ist ein Minimalkompromiss, den wir – ja – mittragen; aber es wäre wesentlich mehr drin gewesen. Wenn wir über die weitere Ausgestaltung der Agrarpolitik in den nächsten Jahren reden, dann ist eine klare Forderung, dass diese 4-prozentige Stilllegung ab 2023 in der GAP hinterfragt werden soll. Lasst uns doch drüber diskutieren, dass wir diese Stilllegung von 4 Prozent der Flächen jetzt nicht machen und dass wir im nächsten Jahr auch auf diesen Flächen Lebensmittel produzieren. Darüber, was in zwei, drei, vier, fünf Jahren ist, müssen wir dann wieder neu diskutieren. Wir hatten in Europa schon mal eine Stilllegung von 10 Prozent. Daran können sich die nicht ganz Jungen vielleicht noch erinnern. Damals war die Stilllegungsquote so hoch, weil eine Überproduktion in Europa stattgefunden hat. Jetzt haben wir als Deutsche die Verantwortung, Lebensmittel auch für die Länder zu produzieren, die es nicht mehr können, für die Länder, die vom Klimawandel betroffen sind. Wir haben hier auch als Deutscher Bundestag eine humanitäre Verantwortung, meine Damen und Herren. ({5}) Ich will Ihnen noch mal sagen: Ich finde es ja gut, wenn wir gewisse ökologische Maßnahmen machen. Aber eines stellen wir zurzeit auch fest: Auf den ideologischen grünen Spielwiesen, da wächst kein Brotgetreide. ({6}) Das muss uns klar sein. Die Menschen brauchen jetzt Ernährung. Die Menschen brauchen jetzt etwas zu essen und zu trinken. Vielen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Auernhammer. – Als nächste Rednerin erhält das Wort für die SPD-Fraktion Dr. Franziska Kersten. ({0})

Dr. Franziska Kersten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005103, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Krieg in Europa. Der Krieg betrifft mit Russland und der Ukraine zwei Länder, die für die globale Ernährungssituation sehr wichtig sind. Der Krieg führt zu großem Leid in den betroffenen Ländern, aber er kann auch zu einer Hungerkrise in der Welt führen. Zusammen mit den Dürren Mittelamerikas, Afrikas und des Nahen Ostens kann eine Ernährungskrise entstehen, die zu neuen Fluchtbewegungen führen kann. Was können und was müssen wir tun? Zuerst geht es um Hilfen für die Geflüchteten und die Menschen in der Ukraine. Da helfen wir selbstverständlich schon jetzt. Auch die Agrarpolitik muss reagieren. Richtig ist, dass Deutschland ein landwirtschaftlicher Gunststandort ist. Richtig ist aber auch, dass wir mit Wetterkapriolen leben müssen, also zum Beispiel Hagel und Starkregen, und dass dadurch – mal mehr, mal weniger – auch unsere Erträge durchaus gefährdet sind. Dagegen wird unsere Landwirtschaft nur dann gewappnet sein, wenn wir resiliente agrarische Ökosysteme schaffen. Das bedeutet, regionale Nährstoffkreisläufe mit Futtererzeugung und Düngerverwertung vor Ort zu schaffen und breitere Fruchtfolgen zu fördern. Wir müssen die Biodiversität als absolut entscheidenden Faktor der Widerstandsfähigkeit unserer Agrarsysteme erhöhen. Das fordern die exzellenten Agrarwissenschaftler des Landes schon länger. Daher kann doch die Konsequenz aus der aktuellen Krise nicht sein: produzieren um jeden Preis. Wir haben die Zahl gehört, 170 000 Hektar, und was man dort erzeugen kann usw. Wir können aber damit den Welthunger nicht bewältigen. Wir brauchen eine langfristige Perspektive. ({0}) Wir müssen weg von Futtermittelimporten aus Übersee und hin zu einer flächengebundenen Tierhaltung. Eine zeitlich befristete Abstockung von Tierbeständen könnte vielleicht dazu führen, dass wir weniger Futtergetreide brauchen und stattdessen mehr Getreide für die Ernährung anbauen können. Als Tierärztin und Rinderzüchterin kann ich sagen: Wenn Sie jetzt die Rationen Kraftfutter für die 4 Millionen Milchkühe Deutschlands einfach mal um 1 Kilo reduzieren, dann würden Sie ungefähr die Getreidemenge sparen, die auf den ökologischen Vorrangflächen bei absoluter Ausnutzung der Fläche erwirtschaftet werden könnte. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Das ist vielleicht eine gute Möglichkeit. ({1}) – Ein Reduzierung des Kraftfutters um 1 Kilo hat nichts mit dem zu tun, worum es in der Tierschutzdebatte geht. Sie sollten das einmal nachlesen. ({2}) Ihre Anstrengungen, die Umgestaltung zu einer resilienten Land- und Ernährungswirtschaft anzuhalten oder gar umzudrehen, sind praktisch zum Scheitern verurteilt. Unbestritten ist die Verknappung von Futtermitteln, im ökologischen Bereich übrigens noch stärker als im konventionellen Bereich. Deswegen wurde ja jetzt auch im Bundesrat entschieden, dass dieser Aufwuchs für Futtermittel genutzt werden kann. Es werden hoffentlich nicht nur Disteln sein. Sie tun so, als wären es die besten Flächen der Landwirte. ({3}) Ich glaube, jeder wirtschaftende Landwirt weiß, dass er da Grenzertragsstandorte nimmt. Diese müssten Sie für normale Produktion mit Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln aufpeppen; diese sind aber teuer. Wie wollen Sie da finanziell klarkommen, wenn Sie da praktisch noch draufhauen müssen? Ich erinnere auch an das laufende Vertragsverletzungsverfahren bezüglich Nitrat. Ich glaube nicht, dass erhöhte Düngung dieser Grenzertragsstandorte dazu beitragen würde, dass wir die Nitratrichtlinie einhalten. Möglicherweise müssen wir dann eher noch Strafzahlungen befürchten. ({4}) Sie müssen also schon einsehen, dass es Symbolpolitik ist, was Sie da machen. Übrigens stellt sich auch die Frage, warum wir bei uns 80 Prozent backfähigen Weizen produzieren, wenn wir nur etwa 30 Prozent davon für die Bäckereien brauchen. Wir können also auf diesen Flächen Futterweizen herstellen, ohne vermehrt Dünger aufzubringen. Sie hätten dann auch noch höhere Erträge. Auch das ist eine Variante, die sicherlich gut ins Bild passen würde. ({5}) – Doch, auf den Flächen, wo Sie jetzt Weizen anbauen, dürfen Sie auch mit weniger Düngung einfach Futterweizen anbauen. ({6}) Man sollte auch nicht immer nur auf die absoluten Proteingehalte schauen. E‑Weizen mit einem Proteingehalt von 11 Prozent hat höhere Backfähigkeit als C‑Weizen mit 12 oder 13 Prozent. ({7}) Ein Punkt ist mir noch besonders wichtig. Studien haben ergeben, dass fast die Hälfte der Obst- und Gemüseproduktion in der Tonne landet. Hier müssen wir ansetzen. Hier kann jeder Einzelne schon heute Mittag seinen Beitrag leisten, um nachhaltige klimaschonende Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Einklang zu bringen. Vielen Dank. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Momentan nehmen wir von den Hungernden, um die Verhungernden vor dem Tod zu bewahren.“ Diese Aussage von Verantwortlichen des World Food Programme aus den letzten Tagen verdeutlicht, in welcher dramatischen Situation viele Länder, vor allem auch Entwicklungsländer, sind. Diese Aussage führt uns außerdem vor Augen, dass dieser brutale Angriffskrieg auf die Ukraine nicht nur unermessliches Leid für die Bürger in der Ukraine mit sich bringt, sondern auch in zahlreiche Entwicklungsländer den Hunger zurückbringt, in Länder, meine sehr geehrten Damen und Herren, die ohnehin oftmals zu den ärmsten Ländern der Welt gehören, in denen Mangelernährung auch zu normalen Zeiten keine Seltenheit ist, und auch in Länder, deren finanzielle Möglichkeiten begrenzt sind und aufgrund der Coronapandemie heute kaum noch vorhanden sind. Im Libanon ist seit ungefähr einer Woche das Brot rationiert. Die Preise sind um 20 Prozent gestiegen. 66 Prozent des Weizens kamen bisher aus der Ukraine. In Somalia sind die Preise für Weizen um 300 Prozent gestiegen. Tunesien, Libyen, Gambia, Mauretanien, Eritrea, Ägypten etc.: Die Liste der Länder, die von Hunger und Armut und auch von steigenden Preisen betroffen sind, ließe sich beliebig fortsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ukraine wird aufgrund des Krieges in diesem Jahr größtenteils als Weizenlieferant ausfallen. Die Bilder aus den Kriegsgebieten haben wir alle vor Augen. Aber auch die Bilder der hungernden Menschen, der hungernden Kinder. Deswegen sage ich ganz deutlich: Krieg ist Mord. – Und um es mit Gerd Müller zu sagen: Auch Hunger ist Mord. ({0}) Dieser Hunger führt zwangsläufig zu zunehmenden Konflikten. Konflikte bedeuten Instabilität. Aufstände und gewalttätige Auseinandersetzungen sind die Folge. Ich darf im Zusammenhang mit der heutigen Debatte an die Getreidepreissteigerungen vor rund zehn Jahren erinnern und daran, welche Folgen diese hatten. Viele dieser Folgen beschäftigen uns ja auch heute noch. Deswegen ist es ehrlicherweise unredlich, Frau Düring, wenn Sie hier den moralischen Zeigefinger heben und jetzt versuchen, den Klimawandel hier dagegen auszuspielen. Sie fliegen ja, soweit ich weiß, am Ostermontag nach Mali. Vielleicht fragen Sie dort die Mütter mit ihren hungernden Kindern, was sie davon halten, dass Sie der Klimawandel gerade mehr beschäftigt als die Ernährung der Kinder. ({1}) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Deutschland und Europa müssen jetzt handeln. Sorgen Sie dafür, dass die Potenziale in der Landwirtschaft ausgeschöpft werden können. Sorgen Sie dafür, dass wir möglichst schnell auch den Ländern im Globalen Süden helfen können. ({2}) Wir müssen Landwirtschaft, wir müssen Ernährung und Entwicklung zusammendenken. Es braucht eine langfristige Strategie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. Deswegen braucht es neben dem vernetzten Ansatz von Sicherheit und Entwicklung auch eine Vernetzung von Agrarpolitik und Entwicklungspolitik. Was ich überhaupt nicht verstehe – Frau Künast, Sie haben das World Food Programme auch angesprochen –, ist, dass Ihre Regierung im aktuellen Haushalt des Entwicklungsministeriums die Mittel für das World Food Programme um 50 Prozent kürzt, ({3}) dass Ihre Regierung die Mittel für die Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ um 60 Millionen Euro kürzt. Die aktuelle Situation gebietet etwas anderes, und Sie stellen sich hierhin mit moralisch erhobenem Zeigefinger und versuchen, die großen Reden zu halten. ({4}) Ich sage Ihnen eines: Natürlich kann man vom Geld nichts abbeißen. Es braucht eben auch die Potenziale in der Landwirtschaft, und die müssen wir jetzt heben, und zwar schnell. ({5}) – Natürlich auch in diesen Ländern. Es muss jetzt schnell gehen, Frau Künast. ({6}) Deswegen müssen wir hier zügig handeln. Sie müssen handeln; Sie sind in der Regierung. ({7}) Es reicht nicht, immer nur zu warnen. Ihre Minister warnen immer gerne.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sage Ihnen was: Handeln Sie! ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält das Wort die Kollegin Derya Türk-Nachbaur. ({0})

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Punkte wurden heute schon angesprochen. Ich möchte den Fokus auf die Themen Welternährung und Entwicklungszusammenarbeit legen. Für uns steht fest: Wir werden die Menschen in der Ukraine nicht im Stich lassen, nicht heute und nicht morgen. ({0}) Wir werden alles dafür tun, dass die Ernährungssituation nicht nur vor Ort, sondern auch weltweit stabil bleibt, zumindest vorerst stabil bleibt, und wir wollen sie auch verbessern. Aber nicht nur wir als Politikerinnen und Politiker im Parlament und der Regierung helfen, wie und wo wir können. Ich möchte an dieser Stelle auch meinen Dank an die vielen privatwirtschaftlichen Unternehmen aussprechen, die bereits seit Wochen ihre Fahrzeuge für den Transport von Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern in die kriegsgebeutelte Ukraine bereitstellen. Danke dafür! ({1}) Im Landwirtschaftsministerium wird ebenso mit Hochdruck an der Koordination der Verteilung und des Transports von Lebensmitteln gearbeitet, und es funktioniert. Vielen Dank dafür, Herr Bundesminister! Vielen Dank auch Ihnen, liebe Frau Kofler, und Ihrem Ministerium, dem BMZ! Wir konnten uns nämlich selber ein Bild davon machen, als wir vor einigen Tagen in der Grenzregion zur Ukraine waren. Wie Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union: Ihr Antrag kommt in einigen Punkten etwas verspätet. Auch ohne einige Ihrer gut gemeinten Hinweise haben wir bereits Ad-hoc-Hilfe geleistet. ({2}) Ferner hat der Bundeskanzler unter anderem zur besseren Finanzierung des Welternährungsprogramms eine Investition in Höhe von 430 Millionen Euro angekündigt. ({3}) Allerdings ist das nur ein Anfang. Ich möchte explizit betonen, dass auch die übrigen Geberländer im Rahmen der G 7 aufgefordert sind, ebenfalls noch erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Noch einmal: Die ausreichende Finanzierung des Welternährungsprogramms liegt mir besonders am Herzen. Dieses Programm ist ein unabdingbares Instrument zur weltweiten Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung. Ich möchte nicht wieder solche Bilder sehen und die Folgen der Unterfinanzierung erleben, wie wir sie aus dem Syrienkrieg kennen. Diese Finanzierung erfordert keine hochtrabenden Titel oder wohlklingende Namen, wie wir sie früher manchmal aus dem BMZ gehört haben; denn es kommt allein auf den Inhalt und die Wirksamkeit der Finanzierung an. Diese Hilfe muss unbürokratisch und unmittelbar bei denen ankommen, die sie ganz dringend brauchen. ({4}) Zur effizienten Umsetzung findet bereits seit Langem ein intensiver Austausch zwischen den beteiligten Ministerien statt. Dafür mussten keine Sonderposten oder ganz neue Titel geschaffen werden; vielmehr waren sich alle Beteiligten in dieser Regierung einig, dass eine schnelle Unterstützung Priorität hat. Ferner planen wir neben bestehenden Programmen der bilateralen Zusammenarbeit weitere Maßnahmen. Diese werden auf lange Sicht die landwirtschaftliche Produktion in unseren Partnerländern sichern und sie unabhängig von russischen Getreideexporten machen. Ich glaube daran, dass eine Welt ohne Hunger möglich ist, wenn der politische Wille da ist. „Eine Welt ohne Hunger“ ist auch der Name eines Ernährungsprogramms. Das wird eines Tages hoffentlich Realität werden, trotz der kriegstreibenden Aggressionen demokratiefeindlicher Diktatoren. Am Ende möchte ich von der Weltbühne zu dem überleiten, was jeder Einzelne von uns jetzt tun kann, um weltweit den hungernden Menschen wenigstens minimal zu helfen, ohne viel Aufwand, ohne viel Aufhebens. Ich möchte an uns alle appellieren: Lassen Sie uns unsere eigenen Gewohnheiten bei der Ernährung unter die Lupe nehmen! Lassen Sie uns gemeinsam auch im Kleinen etwas verändern! Reduzieren heißt nicht unbedingt Verzichten. Wir werden diesem etwas aus der Zeit gefallenen Antrag nicht zustimmen. Danke. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel des Gesetzes sagt es bereits: Es handelt sich um steuerliche Hilfsmaßnahmen. Es ist nicht die von mir prinzipiell gewünschte Unternehmensteuerreform, ({0}) und es sind auch nicht die Unternehmenshilfen, die Robert Habeck und ich heute Mittag vorstellen werden. Es handelt sich, wie gesagt, um steuerliche Hilfsmaßnahmen. ({1}) Aber dennoch will ich eine Maßnahme hervorheben, die wichtig ist und die so nicht geplant war – durchaus mit Bezug auf den wichtigen Beitrag des Kollegen Meister in der steuerpolitischen Debatte von eben –: Mit den Vorhaben und Entscheidungen der Vorgängerregierung wäre die degressive AfA Anfang dieses Jahres ausgelaufen. ({2}) In einer Situation, wo wir tatsächlich wirtschaftliches Wachstum und Investitionen der privaten Hand stabilisieren müssen, wäre das eine falsche Entscheidung gewesen, und deshalb sorgen wir mit diesem Gesetzentwurf dafür, dass die degressive AfA 2022 erhalten bleibt. ({3}) Tatsächlich wollen wir darüber hinaus noch eine sogenannte Superabschreibung machen. Und deshalb habe ich die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft gefragt: Wollt ihr sie im Jahr 2022? Wollt ihr sie haben angesichts von Lieferengpässen? Wollt ihr sie haben, obwohl sie möglicherweise die Inflation verstärken könnte? Wollt ihr sie in diesem Jahr? Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die bei mir im Ministerium waren, haben unisono gesagt: In diesem Jahr, 2022, macht es keinen Sinn. -Deshalb werden wir uns dieses wichtige Instrument vorbehalten, aber zu einem Zeitpunkt, zu dem es wirklich wirksam ist. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will einen letzten Punkt anschließen, weil auch eben in der Debatte vom Kollegen Meister gefragt worden ist: Ja wo sind denn eure Initiativen für wirtschaftliches Wachstum? Ich unterstreiche das. Ich glaube, ein wichtiger Beitrag zum Wachstum ist, dass wir das Planungs- und Genehmigungsrecht in Deutschland so beschleunigen, dass gute Ideen überhaupt schnell umgesetzt werden können. Das hilft auch schon beim Wachstum, kostet aber nichts. ({5}) Darüber hinaus hatte diese Koalition aber 200 Milliarden Euro an öffentliche Mittel bis 2026 für Energieeffizienz, für Ladesäulen-Infrastruktur und auch für Fragen der Digitalisierung reserviert. Das ist unser Beitrag, mit öffentlichen Mitteln das Wachstum in Deutschland zu stärken. Da bewegen wir uns fiskalisch auch in einem guten Umfeld mit anderen Volkswirtschaften, die es genauso machen. Das halten wir für richtig. Das machen andere genauso. Das sind erhebliche Mittel, die das Wachstum stärken. Ich frage mich: Wie kann man als CDU/CSU morgens im Deutschen Bundestag Maßnahmen für das Wachstum fordern und am selben Tag mittags eine Klage vorstellen gegen den Klima- und Transformationsfonds, der Wachstum stärkt? ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Olav Gutting. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es ja schon gehört: Die Bundesregierung muss zur Bekämpfung der Folgen der Coronapandemie schon zu Beginn dieser Legislaturperiode einiges tun. Allerdings fehlt mir der Glaube, dass mit den jetzt vorgesehenen minimalen und halbherzigen Korrekturen die wirtschaftlichen Einschränkungen, die wir haben, tatsächlich gelindert werden können. Gezielte Förderung von Unternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Erholung – das hört sich gut an, und das benötigen wir dringend. Aber was bedeutet das in Ihrem Entwurf? Es bedeutet den Aufguss der Maßnahmen des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes: die Verlängerung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten, die Verlängerung der degressiven AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter sowie die Verlängerung der steuerlichen Investitionsfristen. Das sind bewährte Maßnahmen – sicher –, aber sie sind eben nicht ausreichend. ({0}) Was bringt einem Unternehmen ein auf zwei Jahre ausgeweiteter Verlustrücktrag, wenn eben nur die pandemiebedingten Verluste mit weiteren Verlusten verrechnet werden dürfen? Wir fordern Sie daher auf, Herr Lindner, den Zeitraum des ertragsteuerlichen Verlustrücktrags auf mindestens drei Jahre über die Krisenjahre 2020 bis 2022 hinaus dauerhaft auszuweiten und auch die Höchstbetragsgrenzen beim Verlustrücktrag auf 15 Millionen Euro zumindest temporär zu erhöhen. Sie mähren hier rum: Das hättet ihr doch die letzten 16 Jahre alles machen können. – Jetzt muss ich mal sagen: Die letzten 16 Jahre hatten wir eine durchschnittliche Inflationsrate von durchgängig weit unter 2 Prozent. Jetzt haben wir 7 Prozent. Jetzt stehen wir vor einer Stagflation. Aber Sie gucken immer nur in den Rückspiegel. Ich sage Ihnen: Damit fahren Sie an die Wand. ({1}) Jetzt ist die Zeit zum Handeln. Jetzt brauchen wir mehr Power. Jetzt brauchen wir weniger Zaghaftigkeit. Denn nur so helfen Sie denjenigen, die Arbeitsplätze in diesem Land schaffen und erhalten, und damit am Ende auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ja, es gibt kleine Lichtblicke in diesem Gesetzentwurf, die wir durchaus unterstützen. Wir können natürlich zum Beispiel die Verlängerung der Förderung der steuerfreien Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld und die Verlängerung der bestehenden Regelung zur Homeoffice-Pauschale mittragen. Aber auch hier bei der Homeoffice-Pauschale: Warum schon wieder begrenzen? Entfristen Sie diese doch. Das wäre eine gute Signalwirkung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen in diesem Land. ({2}) Nach wortreichen Ankündigungen insbesondere des Bundesgesundheitsministers schaffen Sie ja jetzt einen steuerfreien Coronabonus für besondere Leistungen des Pflegepersonals. Mit den im Gesetzestext vorgenommen Beschränkungen und Ausnahmen erreichen Sie allerdings nicht den Personenkreis, der tatsächlich zwei Jahre lang Heldenhaftes geleistet hat. Die Regelungen für die steuerfreien Bonuszahlungen von bis zu 3 000 Euro sind zu kompliziert. Sie sind auf einen zu kleinen Kreis beschränkt, und sie sind insbesondere nicht mit den öffentlichen Arbeitgebern abgesprochen, die hier ja auch Zahlungen avisiert haben. Ich bin sehr dafür, dass wir alle Pflegekräfte und alle Unterstützer für ihren Einsatz vernünftig honorieren; das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wir müssen auch an alle anderen Steuerpflichtigen denken, die aufgrund der hohen Inflationsrate aktuell großen Belastungen ausgesetzt sind. Deshalb fordere ich Sie auf – das haben wir heute Morgen schon mehrmals gehört –, dass wir bei der Einkommensteuer eben nicht nur Schönheitsoperationen vornehmen, sondern dass der gesamte Einkommensteuertarif unverzüglich an die steigende Inflation angepasst wird. Mit der Erhöhung des Grundfreibetrages ist es nicht getan; denn damit wird der Tarif gerade im Eingangsbereich noch weiter gestaucht. Das Problem der kalten Progression wird dadurch noch verschärft. Legen Sie jetzt also den Fünften Steuerprogressionsbericht vor! Warten Sie nicht bis zum Herbst, sondern handeln Sie jetzt! Jetzt haben wir die Belastungen, und jetzt brauchen wir die notwendigen Tarifänderungen. Machen Sie die Thesaurierungsbegünstigungen endlich auch für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv! Wir haben hierzu bereits Vorschläge gemacht. Sie lagen schon bei Bundesfinanzminister Scholz auf dem Tisch. Jetzt liegen Sie bei Ihnen auf dem Tisch. Handeln Sie endlich! Es ist dringend notwendig, diese Thesaurierungsbegünstigungen attraktiver zu machen. Ein weiterer Punkt aus dem Gesetzentwurf ist die Verlängerung der Abgabefrist für die Steuererklärung. Das ist natürlich richtig und gut. ({3}) Aber auch hier: Warum nur halbe Kraft? Sie wissen, dass ohne gleichzeitige Verlängerung der Offenlegungsfristen für die Jahresabschlüsse die Sache nur die Hälfte wert ist. Warum bleiben Sie hier bei der Hälfte stehen und gehen nicht den ganzen Schritt? ({4}) Man kann zusammenfassend festhalten: Die Maßnahmen in diesem Gesetzentwurf sind überwiegend zu begrüßen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie bleiben aber auf halbem Weg stecken. Da ist viel Kosmetik. Die Maßnahmen reichen bei Weitem nicht aus, um das erklärte Ziel dieses Gesetzentwurfes zu erreichen. Wie so oft: too little, too late. Ich freue mich auf die Anhörung; denn die bringt hoffentlich weitere Erkenntnisse. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege Parsa Marvi. ({0})

Parsa Marvi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005143, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt heute neben dem Steuerentlastungsgesetz mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz ein weiteres wichtiges Reformpaket vor, um aktiv gegen die Auswirkungen der wirtschaftlichen Großwetterlage vorzugehen: Pandemie, Inflation, fossile Inflation, noch angetrieben durch die Spekulationsgewinne der Mineralölkonzerne, sich verschärfende Lieferkettenprobleme und die konjunkturellen Folgen des furchtbaren Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine. Lieber Herr Gutting, das ist nicht klein. Unsere Maßnahmen sind nicht halbherzig, sie fügen sich ein in ein Gesamtentlastungsvolumen von über 30 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das ist richtig gut und richtig viel. ({0}) – Ich sprach über die Gesamtmaßnahmen in diesem Jahr, insgesamt. Es fügt sich ein; Sie müssen nur zuhören. In dieser Lage ist es genau richtig, weiteres Geld in die Hand zu nehmen, um Beschäftigte zu entlasten, Unternehmen zu stützen und zielgerichtet zu investieren. Wir wollen Jobs, Wohlstand und Existenzen in Deutschland sichern und zu einer Stabilisierung der Volkswirtschaft beitragen, ({1}) so wie es derzeit auch andere europäische Staaten machen, damit wir einer möglichen Stagflation bestmöglich entgegenwirken; denn dieses Szenario würde uns deutlich mehr belasten als die Investitionen, die wir jetzt noch zur Abwehr vornehmen können, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Krisenfolgen stellen unser Land auf absehbare Zeit vor große Herausforderungen und bedürfen einer Abfederung. Daher wollen wir Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen mit Steuererleichterungen unterstützen. Wir werden nicht mit Absolutheit jeglichen akuten Wohlstandsverlust verhindern können. Dazu bedarf es einer langfristigen, dauerhaften Strategie, für die wir schon eine Menge auf den Weg gebracht haben: 200 Milliarden Euro für Klimaschutz und Energieeinsparung, unser Osterpaket und vielerlei mehr. Das unterstützen wir mit diesem Ansatz. Es ist für uns eine absolute Selbstverständlichkeit, die herausragende Leistung unserer Pflegekräfte, die sich tagtäglich für unser Gesundheitswesen einsetzen und in dieser Pandemie am Limit arbeiten – und die, erlauben Sie mir diese Bemerkung, gestern von der Union mit einer Ablehnung der Impfpflicht sozusagen belohnt wurden –, wenigstens finanziell zu würdigen: mit dem Corona-Pflegebonus, der bis zu einem Betrag von 3 000 Euro steuerfrei gestellt werden kann. Viele Menschen in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen können diesen Bonus sehr gut brauchen. Dass sie ihn auf der Grundlage unseres Steuerhilfegesetzes erhalten, ist sehr wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Stabilisierend wirken sich auch unsere Anstrengungen für das Kurzarbeitergeld aus. Wir wollen die steuerfreien Arbeitgeberzuschüsse bis Ende Juni verlängern. Damit geben wir Unternehmen Planungssicherheit und sichern damit auch Millionen von Jobs. Diese Maßnahme ist wichtig; denn das Modell der Kurzarbeit wird in der aktuellen konjunkturellen Situation, die in den kommenden Monaten wahrscheinlich angespannt bleiben wird, dringend gebraucht. Die Kurzarbeit ist weiterhin ein sehr, sehr wichtiges Instrument; das wissen wir als Ampelkoalition. ({4}) Auch die Regelungen zum Homeoffice gelten weiter. Die Steuerzahlenden können damit dieses Jahr jeden Kalendertag, den sie von zu Hause aus arbeiten, auch wenn sie kein eigenes Arbeitszimmer haben – was ja gelegentlich der Fall sein soll –, steuerlich geltend machen. Wir als Ampelkoalition wissen, dass der Bedarf an mobilem und digitalem Arbeiten von zu Hause aus während der Coronapandemie stark zugenommen hat und auch in Zukunft für die Beschäftigten und die Familien ein ganz wichtiges Thema sein wird. Deswegen – ich glaube, ich habe das heute von Herrn Meister gehört – müssen Sie uns nicht auffordern, dass wir uns damit noch einmal vertiefend beschäftigen. Lesen Sie es einfach im Koalitionsvertrag nach. Wir werden das tun. ({5}) Auch für die Unternehmen entfaltet das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz präzise Entlastungswirkung. Dazu gehört als ein überaus wirksames Instrument die verlängerte und erweiterte Verlustverrechnung, die sich ab 2022 ff. dauerhaft auf die beiden unmittelbar vorangegangenen Jahre erstrecken soll. Deutschland befindet sich mit diesen Maßnahmen zur Verlustverrechnung als wirtschaftlichem Stabilisator auch im internationalen Umfeld in guter Gesellschaft. Und das kombinieren wir mit der Verlängerung der steuerlichen Investitionsfristen für Reinvestitionen, um gerade die Liquidität von kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken. ({6}) Zu guter Letzt möchte ich natürlich auch auf die heute bereits mehrfach angesprochene Möglichkeit der Verlängerung der degressiven Abschreibung eingehen, die wir für das Jahr 2022 vorsehen. Auch das trägt zu einer schnellen Refinanzierung bei und schafft Investitionsanreize. Das ist ein gutes Stichwort für die im Koalitionsvertrag fest verankerte Superabschreibung oder auch Investitionsprämie, die in einem Zeitraum nach 2022 kommen soll. Wir sehen darin große Potenziale, um Investitionen für die digitale Transformation und den Klimaschutz zu mobilisieren, und freuen uns heute schon sehr auf die konzeptionelle Ausarbeitung des Bundesfinanzministeriums. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir bündeln in dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz wirtschaftliche und soziale Maßnahmen und schaffen damit die Voraussetzungen für eine echte wirtschaftliche Stabilisierung und Erholung. Auf diesen politischen Kurs können sich die Menschen in Deutschland bei der Ampelkoalition verlassen, auch in schwierigen Zeiten. Ich danke Ihnen. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächster erhält das Wort für die AfD-Fraktion Albrecht Glaser. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Finanzminister!

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Abgeordneter, ich bin nicht „Herr Präsident“.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ach so, Entschuldigung! Habe ich das gesagt? Dann habe ich mich versprochen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Habe ich so verstanden.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sorry! Wenn es so gelaufen sein sollte, dann habe ich mich versprochen. Wir beraten heute über das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz. Einmal abgesehen von der völlig unwirksamen Absenkung der Umsatzsteuer in 2020 für ein halbes Jahr, die zu 20 Milliarden Euro Mindereinnahmen des Staates geführt hat, geht es nun um die Verlängerung von Maßnahmen, die in den vorangegangenen Corona-Steuerhilfegesetzen angelegt sind. Nichts Neues, nichts Aufregendes – und schon gar nichts Fortschrittliches. ({0}) Es wäre schön gewesen, Herr Minister, wenn wir die Botschaften, die Sie heute Mittag in der Öffentlichkeit verkünden, heute Morgen hier im Parlament gehört hätten, wo wir doch so schön beieinander sind. Sie wollen die steuerliche Freistellung von Sonderzahlungen an die Beschäftigten im Bereich der Krankenversorgung und der Pflege bis zu einem Betrag von 3 000 Euro, die Verlängerung der Steuerfreistellung von Zuschüssen zum Kurzarbeitergeld um sechs Monate, bis Ende Juni 2022, und die Verlängerung der Gewährung der Homeoffice-Pauschale um ein Jahr, bis zum 31. Dezember 2022. Zur Förderung von Unternehmen sollen die Regelungen der degressiven Abschreibung um ein Jahr verlängert werden; ein erhöhter und verlängerter Verlustrücktrag und verlängerte Fristen für steuerliche Vergünstigungen bei Investitionen nach § 6b und § 7g des Einkommensteuergesetzes sollen ebenfalls eingeräumt werden. Grundsätzlich stehen wir diesen Maßnahmen positiv gegenüber. Zu kritisieren sind jedoch die inhaltlichen Mängel der Regelungen und die zögerliche Art der Umsetzung. In der Gesetzesbegründung ist von „konsequenten Maßnahmen“ die Rede und von der Absicht, „Planungssicherheit“ zu schaffen. Genau dieses leistet der Entwurf jedoch nicht. Warum wird erst im April 2022 über die Steuerfreiheit von Kurzarbeitergeld entschieden, das in den vergangenen Monaten bereits gezahlt worden ist? Warum beraten wir erst heute über die steuerliche Förderung von Coronasonderzahlungen, die bereits im letzten Jahr geleistet worden sind? Dazu kommt die unbegründete – vielleicht auch verfassungswidrige -Ungleichbehandlung von ähnlichen Sachverhalten: Während die bereits bestehende Steuerfreiheit für Boni bis zu 1 500 Euro allen Arbeitnehmern zugutekam, gilt die hier vorgeschlagene Steuerfreiheit für weitere Boni bis 3 000 Euro nur für eine bestimmte Berufsgruppe – als ob Beschäftigte in anderen Berufen nicht auch den besonderen Belastungen der Coronakrise ausgesetzt gewesen wären. Die Verlängerung der Homeoffice-Pauschale ist nicht ausreichend, weder in der Höhe – von nur 600 Euro – noch in ihrer zeitlichen Begrenzung. Die Arbeitswelt hat sich verändert – das wurde schon angedeutet –; deshalb ist bei diesem Thema eine weitreichende Reform vonnöten. Wir, die AfD, haben bereits im Dezember 2020 die Modernisierung der antiquierten Regelung zum häuslichen Arbeitszimmer gefordert, Drucksache 19/23725. Bei den Hilfen für Unternehmen ist ebenfalls die mangelnde Wirksamkeit zu kritisieren. Die Unternehmen dürfen – das ist angedeutet worden – ihre Verluste zwei Jahre zurücktragen. Was aber nützt ein Verlustrücktrag von heute für zwei Coronajahre, in denen Gewinne von vielen Unternehmen gar nicht erwirtschaftet wurden, sondern vielleicht Verluste entstanden sind? ({1}) Wirksame Maßnahmen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Ampelkoalition, sehen anders aus. Wie sie aussehen könnten, hatten wir in unserem Antrag vom April 2020 zum Ersten Corona-Steuerhilfegesetz in einer entsprechenden Drucksache bereits aufgezeigt: Dort fordern wir eine temporäre Abschaffung der Mindestbesteuerung im Falle von nicht ausgeglichenen Verlusten. Davon ist jetzt nichts zu hören. Das wäre aber einer der wichtigsten Punkte; denn das ist ein hochaktuelles Thema. Wir fordern einen Verlustrücktrag mit verlängerten Zeiträumen, auch bei der Gewerbesteuer. Auch davon ist nichts zu hören. Aber auch das wäre außerordentlich wichtig. ({2}) Wir fordern zudem eine Aussetzung der Zinsschranke, die volle Berücksichtigung der Zinsausgaben gerade bei Unternehmen, die, beispielsweise durch Hilfestellungen, große Darlehensbeträge haben aufnehmen müssen. Diese Unternehmen müssen anschließend auch die Chance haben, zumindest ihre Darlehenszinsen abzusetzen – was ja, wie Sie wissen, durch eine Sperrregelung verhindert wird. Der Bundesrat hat in seiner jüngsten Stellungnahme ähnliche Maßnahmen gefordert – wie auch viele Fachleute, die das genauso sehen wie wir.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich werde das tun, Frau Präsidentin. – Das steuerliche Durchwurschteln der Großen Koalition in den letzten Jahren hat mit der Bundestagswahl im letzten Jahr also kein Ende gefunden. Vielmehr bewegt sich die Ampelkoalition auf gleichem gesetzgeberischem Niveau.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Von „Fortschritt wagen“ also keine Spur. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Wenn Sie die Maske bitte noch aufsetzen würden. – Das ist alles nicht so einfach hier. ({0}) Als Nächstes erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina Beck. ({1})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! „Wir verpflichten uns, dem Wohle aller Bürgerinnen und Bürger zu dienen“, so haben wir es als Koalition miteinander vereinbart. Es ist überhaupt nicht halbherzig, lieber Herr Gutting, sondern sehr ganzherzig, was wir hier beschließen: das erste und das zweite Entlastungspaket, das Corona-Steuerhilfegesetz. Wir verlängern auch gute Überbrückungshilfen, und heute Mittag kommen noch mal neue Wirtschaftshilfen dazu. Es ist sehr ganzherzig, was wir hier tun. Wir haben das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger im Blick. ({0}) Heute geht es um steuerliche Aspekte. Es ist vielleicht nicht das begeisterndste Thema, aber es betrifft doch fast alle Menschen in diesem Lande, zum Beispiel die 15 Millionen, die letztes Jahr im Homeoffice waren. Es ist wichtig, für diese Menschen eine gewisse steuerliche Entlastung zu ermöglichen, zeitlich zu entfristen, sich in sie hineinzuversetzen und zu fragen: Wie haben die denn gelebt? Wir verlängern die Steuererklärungsfristen nicht nur für die, die beraten werden, und für über 1 Million Körperschaftsteuerpflichtige, sondern für alle, die Steuererklärungen abgeben müssen. Das ist in diesen Zeiten, in denen alle Bürgerinnen und Bürger so vielen Belastungen ausgesetzt sind, eine große Entlastung. ({1}) Zum Pflegebonus. Endlich klatschen wir nicht nur, sondern geben ganz gezielt den ungefähr 250 000 Pflegenden in Krankenhäusern und den über 1 Million in Pflegeeinrichtungen Tätigen endlich den Bonus, zumindest ansatzweise; man kann ja gar nicht beziffern, was die geleistet haben. Diesen Bonus steuerfrei zu stellen, auch dafür ist so ein Steuergesetz da und wichtig. Davon profitieren Millionen von Menschen. ({2}) Zu den Unternehmen. Wir brauchen Konjunktur in diesem Land. Da ist es einfach wichtig und ganz wunderbar, dass wir die Investitionen vorziehen können – das hat Parsa Marvi von der SPD schon gesagt –; denn das betrifft vor allen Dingen die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die gerade ganz besonders leiden. Wir ermöglichen endlich die Verlustverrechnung; das hätte die Vorgängerregierung längst schon machen und sie auch auf die Vor-Corona-Jahre vorziehen können. Jetzt aber kommt die Verlustverrechnung, und zwar langfristig. Das ist sehr, sehr gut. ({3}) Dann haben wir noch die degressive AfA. Ich glaube, es ist ein offenes Geheimnis: Wir hatten uns gewünscht – und durch die Ukrainekrise und die fossile Abhängigkeit ist es nun noch dringlicher –, dass wir Investitionen steuern, dass wir Steuern steuern. Wir hatten uns gewünscht, dass wir Anreize für die Energieunabhängigkeit, für Klimaschutz, Digitalisierung und Resilienz bieten können. Das erarbeiten wir jetzt. Diese degressive AfA ist mein Wermutstropfen, da sie zwar Konjunktur und Investitionen anregt, aber nicht gezielt. Alles in allem ist dieses Gesetz aber ein sehr, sehr gutes Gesetz, ein Gesetz unserer ganzherzigen Politik zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger. Herzlichen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Setzen Sie bitte auch die Maske auf, Frau Abgeordnete. ({0}) Das Wort erhält für Die Linke die Kollegin Janine Wissler. ({1})

Janine Wissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005260, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Verlängerung von Steuervergünstigungen im Zuge der Coronapandemie. Vorweg: Bei vielen steuerlichen Vergünstigungen bezweifeln wir grundsätzlich, ob sie ein geeignetes Mittel sind, um diejenigen zu entlasten, die sie am nötigsten brauchen. Denn von steuerlichen Entlastungen nach dem Gießkannenprinzip profitieren auch viele, die es nicht bräuchten. Deswegen halten wir eine direkte Förderung grundsätzlich für sinnvoller. ({0}) Nur ein Beispiel. Trotz Corona haben die 30 DAX-Konzerne im vergangenen Jahr die höchsten Gewinne aller Zeiten verbucht. Einige haben Dividenden ausgeschüttet, obwohl sie gleichzeitig Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen haben. Warum sollen denn auch diese Konzerne die Chance erhalten, Verluste in 2022 und 2023 mit Gewinnen aus 2021 zu verrechnen? Das, meine Damen und Herren, halten wir für falsch. ({1}) Mehr noch, es gibt Unternehmen, die sich nicht trotz, sondern gerade wegen der Pandemie dumm und dusselig verdient haben. Dazu gehören natürlich zuvorderst die digitalen Handelsplattformen wie Amazon und Co. ({2}) Wer Hilfspakete für pandemiegeschädigte Unternehmen schnürt, der sollte gleichzeitig auch die Extraprofite der Krisengewinnler abschöpfen, quasi als einen fairen Ausgleich zwischen den verschiedenen Branchen, die unterschiedlich betroffen waren. ({3}) Das gilt natürlich auch gerade für die Energie- und Mineralölkonzerne, die sich angesichts steigender Preise auf Kosten der Verbraucher die Taschen vollmachen. Hier hat die EU-Kommission ja jüngst nochmals ausdrücklich festgestellt, dass ein Abschöpfen solcher Extraprofite mit EU-Recht vereinbar ist. ({4}) Ich frage Sie: Warum machen wir das denn nicht wie in Italien und besteuern die Krisengewinner stärker? Meine Damen und Herren, da in dem Gesetzentwurf ja auch der geplante Corona-Pflegebonus steuerfrei gestellt wird, dazu auch einige Worte. Der Bonus wurde lange verschleppt, und 1 Milliarde Euro reicht bei Weitem nicht, nicht für alle Pflegekräfte und schon gar nicht für die vielen anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen, die ebenfalls stark belastet waren und sind: die Rettungsdienste, die ambulante Pflege und Versorgung, die Hebammen. Alle Menschen im Gesundheitswesen haben unter schwierigsten Bedingungen Großartiges geleistet. ({5}) Sie haben leider nichts von der Steuerfreiheit, weil sie den Bonus erst gar nicht bekommen werden. Angesichts des Pflegenotstands im Gesundheitswesen hilft kein einmaliges Trostpflaster. Was wir brauchen, sind gute Arbeitsbedingungen und dauerhaft höhere Löhne und nicht der einmalige Bonus. ({6}) Der Bundeskanzler hat eine Zeitenwende ausgerufen und über Nacht 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt. ({7}) Wir lehnen diese Aufrüstung ab, und wir lehnen auch die in dieser Woche beschlossene Bewaffnung von Drohnen ab. ({8}) Meine Damen und Herren, die Coronapandemie hätte doch ein Weckruf für soziale Gerechtigkeit und für das Gesundheitssystem sein müssen. Dafür brauchen wir dreistellige Milliardenbeträge. ({9}) Deshalb: Ihr Gesetzentwurf enthält einige sinnvolle Regelungen; aber er tastet die dramatische soziale Schieflage in diesem Land leider überhaupt nicht an. Vielen Dank. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Sie müssen noch einen Moment warten, Herr Herbrand. ({0}) – Alles gut. – Das Wort erhält der Kollege Markus Herbrand für die FDP-Fraktion. ({1})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz setzt ganz wichtige Impulse für die Wege aus der Krise. Es beinhaltet einige weitere Entlastungen und einige Verlängerungen von Regelungen aus den Corona-Steuerhilfegesetzen I bis III. Ganz wichtig, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen, ist aus unserer Sicht die Erweiterung des Verlustrücktrags. Sie ist das Instrument für die Versorgung der Unternehmen mit Liquidität. Auch die Verlängerung der degressiven Abschreibung halten wir für richtig. ({0}) Das ist ein enormer Investitionsanreiz, der gute Zeichen für die Zukunft setzen wird. Es gibt auch weitere gute Regelungen für Bürgerinnen und Bürger. Der Coronabonus ist bereits erläutert worden, und auch die Verlängerung der Steuerfreiheit für das Kurzarbeitergeld ist sicherlich sehr gut. Die Homeoffice-Pauschale ist bis zum 31. Dezember 2022 befristet. Unsere Fraktion kann sich sehr gut vorstellen, dass wir sie entfristen. Wir werden darüber sicherlich in Gespräche mit den Partnern aus der Ampelregierung eintreten. Das Homeoffice ist die neue Realität. Insofern müssen wir unsere gesetzlichen Regelungen daran anpassen. ({1}) Abschließend möchte ich wegen meiner langen Redezeit noch auf die Fristverlängerung für Steuererklärungen in beratenen Fällen eingehen. Ja, auch ich teile die Auffassung: Das wird vermutlich nicht ausreichend sein; denn dafür sind einfach zu viele neue Aufgaben auf den Berufsstand der Steuerberater zugekommen. ({2}) Dieses Jahr kommen noch die vielen Grundsteuererklärungen dazu. Wir werden darüber reden müssen. ({3}) Zum leidigen Thema „Veröffentlichung von Jahresabschlüssen“. Sie wissen es ganz genau, Herr Kollege: Der 31. Dezember ist diesbezüglich eine von der EU gesetzte Frist. Diese Frist kann man nicht verlängern; sie ist nicht verlängerbar. ({4}) Das hat im Übrigen, Herr Kollege, auch etwas mit Gläubigerschutz zu tun. Genau deshalb gibt es diese Fristen. ({5}) Ich will ja nicht in der Zeitung lesen: „CDU ist gegen Gläubigerschutz“. ({6}) Das wollen Sie sicherlich auch nicht lesen. Wir werden machen, was rechtlich möglich ist und was im Übrigen auch vertretbar ist. Herzlichen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Abgeordneter Gauland, würden Sie bitte auch eine Maske aufsetzen im Plenarsaal. – Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Fritz Güntzler. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erlauben sie mir zu Beginn meiner Rede eine Anmerkung zu der Aussage des Herrn Bundesfinanzministers bezogen auf die Aussage von Herrn Dr. Meister von heute Morgen. Sie verweisen auf einen vermeintlichen Widerspruch zwischen der Forderung des Kollegen Meister, mehr für das Wirtschaftswachstum zu tun, und der Tatsache, dass wir gegen den Nachtragshaushalt 2021 klagen. Darüber will ich mit Ihnen gar nicht diskutieren; das werden wir an anderer Stelle bestimmt noch tun. Wie erklären Sie persönlich sich eigentlich den Widerspruch, dass Sie in Karlsruhe für die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags streiten, während gleichzeitig diese Abschaffung überhaupt nicht im Koalitionsvertrag steht? ({0}) Ich finde den Widerspruch, dass Sie sich in Ihrem eigenen Handeln nicht davon leiten lassen, was Sie selber eigentlich wollen, viel eklatanter. ({1}) Wir haben heute zwei Gesetze beraten, bei denen es um Entlastung geht – das Steuerentlastungsgesetz und das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz – und bei denen wir uns – da wiederhole ich mich von heute Morgen; andere Kollegen haben das auch schon gesagt – in der Zielsetzung einig sind: Es geht um die Stabilisierung der Wirtschaft, wir wollen die Eigenkapitalbasis der Unternehmen stärken, wir wollen mehr Liquidität in die Unternehmen bringen. Von daher: Einigkeit im Ziel. Jetzt müssen wir uns gegenseitig überprüfen, ob die Lösungen, die wir für diese Zielsetzungen haben, ausreichend sind. Da haben wir erhebliche Bedenken, und die haben wir auch schon dargelegt; ich werde sie gleich noch mal darlegen. Von daher: Lassen Sie uns in den Wettstreit eintreten, die beste Lösung zu finden, damit wir gemeinsam das Ziel erreichen können, das wir erreichen wollen. Ich will noch eines erwähnen – weil oft von den Linken kommt, wir würden Unternehmer entlasten –: Wir entlasten Unternehmen. Jede volkswirtschaftliche Studie beweist Ihnen, dass die Entlastung von Unternehmen letztendlich zur Sicherung von Beschäftigung führt, also zu mehr Beschäftigung, letztendlich auch zu höheren Löhnen und zu mehr Wachstum. Das dient allen. Von daher ist es eine ganz konkrete Leistung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn wir Unternehmen entlasten. Deshalb sind dazu auch im Vierten Corona-Steuerhilfegesetz Entlastungen vorgesehen. Der Finanzminister hat vorangestellt, dass das noch nicht der Entwurf für eine Unternehmensteuerreform ist; das werfe ich ihm auch gar nicht vor. Wir haben lange genug mit unserem Koalitionspartner versucht, da einiges zu erreichen. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben bereits im November 2019 ein Papier zur Modernisierung des deutschen Unternehmensteuerrechts beschlossen – Markus Herbrand wird sich erinnern –, das sehr inhaltsgleich mit einem FDP-Antrag war, den ich leider lange nicht mehr gesehen habe. ({2}) Aber wir sind uns auch da eigentlich einig. Von daher ist das Thema Verluste adressiert, und das ist gut. Auch da wollten wir mehr, aber der damalige SPD-Finanzminister Scholz hat das verhindert. Von daher ist es richtig, dass die Beträge noch mal erhöht werden. Von daher ist es richtig, den Rücktragzeitraum dauerhaft auf zwei Jahre zu verlängern. Wir müssen nur zur Kenntnis nehmen, dass, wenn wir das für die Veranlagungsjahre 2022 bzw. 2023 machen, wir die Verluste genau in die Jahre zurücktragen, in denen wir die coronabedingten Verluste in den Gesellschaften hatten, nämlich in den Jahren 2020 und 2021. Und das ist das Problem. ({3}) Zwei Jahre sind grundsätzlich gut, aber es verpufft völlig. Von daher ist es eine Scheinlösung. Deshalb ist unser Vorschlag, dass wir auf jeden Fall temporär auf drei Jahre gehen, um genau das zu erreichen, was Sie ja eigentlich erreichen wollen. Was im Rahmen der Verlustverrechnung völlig unter den Tisch gefallen ist – Verluste sind ja latente Steueransprüche an den Staat; von daher ist es klug, wenn man diese Liquidität für die Unternehmen fließend macht –, ist die sogenannte Mindestbesteuerung. Das ist sehr technisch. Aber es ist bei uns so, dass man Verluste nicht unbegrenzt vortragen kann, also nicht vollständig mit Gewinnen verrechnen kann, die hoffentlich nach der Coronapandemie und der jetzigen Ukrainekrise entstehen werden. Man kann nur 1 Million Euro unbegrenzt verrechnen und oberhalb dieses Betrags nur 60 Prozent. Ich würde vorschlagen, dass wir die coronabedingten Verluste, die entstanden sind, dafür nutzen, die Mindestbesteuerung für diese Zeiten auszusetzen. Ich glaube, es wäre ein großer Beitrag für die Unternehmen, wenn wir hier bei der Verlustverrechnung nach vorne kommen. ({4}) Dazu gehört natürlich auch die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen. Wir sind sehr für die degressive Abschreibung. Ich begrüße ausdrücklich, dass diese kommt, wenn schon die Super- oder Turboabschreibungen nicht kommen. Aber einen Unterschied will ich doch herausarbeiten. Die Kollegin Beck hat sehr darauf abgehoben, dass es bei den Superabschreibungen um gewisse Investitionen geht: in Klimaschutz bzw. in Digitalisierung. Die Abgrenzungsfrage ist sehr schwer. ({5}) Herr Minister, die Spitzenverbände werden Ihnen auch gesagt haben, dass sie sich eigentlich wünschen, dass ähnlich oder genauso wie bei der degressiven Abschreibung alle Investitionen, also alle Wirtschaftsgüter, besser abgeschrieben werden können. Von daher sollten wir das auch noch mal gemeinsam diskutieren. Letzter Punkt – die Zeit läuft auch mir weg –: Fristverlängerung. Herr Kollege Herbrand, ich bin Ihnen ja sehr dankbar. Der Bundesrat hat heute in all seiner Weisheit, glaube ich, einstimmig entschieden, dass es nicht ausreichend ist, was hier gemacht wird. Die Länder sind ja für den Steuervollzug zuständig. Von daher ist die Ampelkoalition, glaube ich, gut beraten, diese Vorschläge zu übernehmen. Nur noch ein Hinweis zum Bundesamt für Justiz, das die Frist nicht verlängert hat, aber die Offenlegungsfrist bis zum 7. März verlängert hat. Ich finde, es ist den Unternehmen, die offenlegen müssen, nicht fair gegenüber, dass, wenn am 7. März die Frist abläuft, auf den Knopf gedrückt wird und dann die Androhung von Zwangsgeldern herausgeht. In dieser Situation kann man auch anders damit umgehen. Ich habe auch die Erwartung an das Bundesamt für Justiz, in Zukunft anders damit umzugehen. Herzlichen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächste Rednerin erhält das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Nadine Heselhaus. ({0})

Nadine Heselhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005084, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie setzt die Menschen in Deutschland Mehrbelastungen aus, denen wir seit ihrem Beginn entschieden entgegenwirken. ({0}) Insbesondere die steuerpolitischen Maßnahmen sorgen für konkrete Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen. Mit dem nun Vierten Corona-Steuerhilfegesetz in den letzten zwei Jahren führen wir den Weg der gezielten steuerlichen Entlastung fort. ({1}) Mit der Verlängerung der Abgabefristen für die Steuererklärungen 2020, 2021 und 2022 reagieren wir auf die Belastungen der Steuerpflichtigen und der steuerberatenden Berufe. Steuerberaterinnen und Steuerberater haben einen deutlich erhöhten Beratungs- und Unterstützungsbedarf, weil bei ihnen in der Pandemie zusätzliche Aufgaben hinzugekommen sind. Besonders die Ballung der Abgabefristen für Steuererklärungen, die Bearbeitung von Wirtschaftshilfen und die Jahresabschlüsse stellen eine echte Herausforderung für die Kanzleien dar. Die starke Arbeitsbelastung haben wir erkannt und in den vergangenen Jahren die steuerlichen Abgabefristen immer wieder verlängert. So haben wir regelmäßig für zeitliche Entlastung gesorgt. ({2}) Nun legen wir ein Konzept vor, das bereits jetzt für die Veranlagungszeiträume 2021 und 2022 Fristverlängerungen für die Abgabe der Jahressteuererklärungen vorsieht. Wir denken voraus. Denn die frühzeitige Regelung der Abgabefristen bis ins Jahr 2024 hinein schafft Planungssicherheit für Steuerpflichtige, Kanzleien und die Verwaltung. Wir haben bereits in der Vergangenheit darauf Wert gelegt, dass auch die Menschen entlastet werden, die ihre Steuererklärung ohne Beratung erstellen. Deshalb sind auch für sie Verlängerungen bei den Abgabefristen für die Steuererklärung vorgesehen. ({3}) Das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz enthält darüber hinaus eine Reihe von Maßnahmen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Besonderen unterstützen. Die Kurzarbeit hat Millionen Arbeitsplätze durch die Pandemie gerettet. Passend zur Verlängerung der Maßnahme bis Ende Juni werden auch die Arbeitgeberzuschüsse zum Kurzarbeitergeld bis Ende Juni von der Steuer befreit. Von dieser Maßnahme profitieren insbesondere die Beschäftigten der besonders hart betroffenen Branchen, etwa im Veranstaltungs- und Gastronomiebereich. Diese Unterstützung ist notwendig; denn ihre Einkommen werden dadurch stabilisiert, während ihre Jobs gesichert werden. ({4}) Die Pandemie hat uns die Verletzlichkeit unseres Gesundheitswesens vor Augen geführt. Die Pflegekräfte in Deutschland erbringen Tag für Tag eine herausragende Leistung. Über das bisherige Maß hinaus hat die Pandemie die Bedingungen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen noch anspruchsvoller werden lassen. Die Belastung ist außerordentlich hoch. Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, stellen wir Geld bereit, um in bestimmten Einrichtungen einen Pflegebonus bis zu 3 000 Euro durch die Arbeitgeber von der Steuer zu befreien. Auch bei Bezug von Grundsicherung bleibt der Pflegebonus unangetastet. So stellen wir sicher, dass bei den Beschäftigten möglichst viel von dem Geld auch ankommt. ({5}) Die Homeoffice-Pauschale ist ein Kind der Pandemie. Viele hätten sich nicht vorstellen können, so oft wie jetzt in den eigenen vier Wänden zu arbeiten. Bis zu 600 Euro können auch in diesem Jahr als Werbungskosten geltend gemacht werden, unabhängig davon, ob man ein Arbeitszimmer hat oder beispielsweise in der Küche arbeitet. Mit den Maßnahmen zugunsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen zeigt sich die von der SPD geführte Ampelregierung als verlässliche Partnerin in der Krise. Wir stabilisieren die Wirtschaft und stärken die Konjunktur. Das Signal, das von unseren Maßnahmen ausgeht, lautet: Die Sicherung der Arbeitsplätze und die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sind uns wichtig. Auf unsere Unterstützung kann man sich verlassen. Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Zum Abschluss der Debatte erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Sandra Detzer. ({0})

Dr. Sandra Detzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005039, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Corona ist nicht vorbei, und die pandemiebedingten Einschränkungen stellen natürlich eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen vor große Belastungen. An der Stelle haben wir die große Hoffnung, dass dieses Corona-Steuerhilfegesetz dazu beiträgt, diese Lasten so gering wie möglich zu halten. Bezogen auf das haushaltspolitische Volumen sticht eine der Maßnahmen, die degressive Abschreibung, ganz konkret ins Auge. Die Steuermindereinnahmen schätzt das BMF auf knapp 10 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren, und das ist natürlich eine stolze Summe. Herr Güntzler, Sie haben völlig recht: Das steht nicht im Koalitionsvertrag. ({0}) Aber das zeigt sehr gut, dass wir in der Lage waren, auf akute Situationen zu reagieren ({1}) und nicht nur das Arbeitsprogramm aus dem Koalitionsvertrag abzuarbeiten, das wir uns mal aufgeschrieben hatten. Das ist aber eher ein Pro als ein Kontra. Das sage ich als jemand, der zusammen mit seiner Fraktion gar nicht unbedingt der größte Fan dieser degressiven AfA war. Deswegen freuen wir uns auch – Herr Bundesminister, Sie hatten es angesprochen –, wenn wir uns gemeinsam weiter mittelfristig auf den Weg machen und uns nach der Verlängerung der degressiven AfA die Investitionsprämie, die sogenannte Super-AfA, vornehmen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. ({2}) Diese Abschreibung soll genau das können, was die degressive AfA jetzt noch nicht kann: Sie soll nämlich die Lenkungswirkung entfalten, die wir insbesondere auf ökologische Investitionen und auf Investitionen in Digitalisierung haben wollen. In meinem Wahlkreis in der Region Stuttgart beispielsweise warten viele darauf, dass wir es noch einfacher machen, in energieeffiziente Anlagen, Maschinen und Produkte investieren zu können. Genau das haben wir vor. Eines darf uns natürlich auf keinen Fall passieren: Weder Corona noch dieser grausame Angriffskrieg Putins auf die Ukraine dürfen die Investitionstätigkeit in Deutschland erlahmen lassen. ({3}) Wir werden zusammen mit Unternehmen, mit Privaten sehr, sehr viel Geld brauchen, um Lieferketten zu diversifizieren, um den Umbau hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft und auch Wirtschaft natürlich zu gestalten. Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle, Infrastrukturen, Weiterqualifizierung – all das werden wir von staatlicher Seite unterstützen. Da sind gerade die degressive AfA und die Super-AfA in der Perspektive ein Baustein, damit Unternehmen und ihren Beschäftigten auf diesem langen Weg eben nicht die Puste ausgeht. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Ja, auch die AfD verurteilt den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. ({0}) Ja, auch die AfD ist bereit, ukrainischen Kriegsflüchtlingen zu helfen, anders als gestern Herr Oster – er ist jetzt nicht hier – von der CDU das behauptet hat. Das war schon ein bisschen billige Polemik. ({1}) Denn die Hilfe ist menschlich geboten und entspricht der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Antrag der AfD versteht sich allerdings als Handlungsanweisung an die Regierung, um eine gebotene Rechtssicherheit herzustellen. Denn die bisherige Debatte hier in diesem Haus und auch im Innenausschuss zeigt, dass die Regierung aus der Masseneinwanderung in den Jahren 2015 und folgende nichts gelernt hat oder nichts lernen möchte. Gerade die Innenministerin Faeser verweigert eine gebotene umfassende Grenzkontrolle, die sogar die Gewerkschaft der Polizei einfordert. Nur in den Zügen erfolgt eine Kontrolle. Im Übrigen verfährt man an den Landesgrenzen nach dem Zufallsprinzip. Eine lückenlose Kontrolle ist aber für eine umfängliche Registrierung der Geflüchteten erforderlich. Die Debatte zu der Ukraine zeigt des Weiteren, dass manche, die vor Kurzem noch regierten, das Diskontinuitätsprinzip mit Gedächtnisschwund verwechseln. ({2}) Schön, wenn Sie von der CDU/CSU die Regierung mit den AfD-Positionen belehren möchten; aber ich denke, die Wähler werden weder der CDU/CSU noch der SPD die Erfindung der illegalen Masseneinwanderung verzeihen, namentlich gilt das für Merkel und de Maizière von der CDU/CSU sowie Gabriel und Steinmeier von der SPD. ({3}) Horst Seehofer sprach zu Recht von der „Herrschaft des Unrechts“ während der Flüchtlingswelle 2015, und ich erinnere mich gut, als er im Innenausschuss, darauf angesprochen, zähneknirschend meinte, er habe versucht, zur Legalität in der Migrationsfrage zurückzukehren, er habe aber leider in der Regierung keine Mitstreiter gefunden. ({4}) Meine Damen und Herren, Bismarck sagte einmal: Der Drang, fremden Interessen zu dienen, selbst wenn dies nur unter Preisgabe der nationalen Interessen möglich ist, ist eine Krankheit, deren geografische Verbreitung auf Deutschland beschränkt ist. – Leider trifft dieses Zitat auch heute noch zu, für die vergangene wie auch die heutige Regierung. ({5}) In diesem Hause müssen wir sämtliche Entscheidungen vor dem Hintergrund deutscher Interessen betrachten und fällen. Hierzu gehört natürlich, dass wir wissen müssen, wer in unser Land kommt, dass wir die Einreisenden registrieren und dass wir zügig diejenigen ausweisen, die kein Bleiberecht haben. Das gilt sowohl für die neu Einreisenden, aber insbesondere auch für die etwa 300 000 vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer. ({6}) Denn jeder Cent – wir sprechen seit 2015 von Milliarden Euro –, der für illegale Migranten gezahlt wird, erfüllt den Tatbestand der Veruntreuung von Steuergeldern; § 266 Strafgesetzbuch. ({7}) Außerdem belastet die Ausreisepflicht die Ressourcen, die wir dringend für wirkliche Flüchtlinge brauchen. Die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist auch nicht unendlich. Spätestens dann, wenn die Menschen ihre Heizkosten, ihr Benzin, ihre Lebensmittel und vielleicht dann ihre Wohnungen dank Ihrer desaströsen Politik gar nicht mehr bezahlen können, wird selbst der revolutionsfaule Deutsche auf die Barrikaden gehen; spätestens dann ist das eigene Hemd näher als die Spendierhosen. Und vor einer weiteren Lebenslüge sei gewarnt. Wie schon 2015 freuen sich Linke und Grüne auf Menschen, die ihre Rente später zahlen, auf Ärzte, Ingenieure usw. ({8}) Meine Damen und Herren, nach dem Krieg müssen die Ukrainer wieder in ihre Heimat. Dort werden sie gebraucht, so wie serbische Pflegekräfte in Serbien und rumänische Ärzte in Rumänien gebraucht werden. Wer glaubt, eine jahrzehntelange verfehlte Familien- und Bildungspolitik ({9}) durch das Abwerben ausländischer Fachkräfte ausgleichen zu können, bedient die niederen Gedanken einer Kolonialpolitik 2.0. Vielen Dank. Glück auf! ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die SPD-Fraktion der Kollege Helge Lindh. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat, wie man auch an den Ausführungen gemerkt hat, ja reale aktuelle Probleme mit ihrem strategischen Rassismus in Fragen der Flüchtlinge, abgesehen vom notorischen eigenen Faschismusproblem, ({0}) und das sind folgende: Zum einen haben wir uns gestern geeinigt, dass ukrainische Geflüchtete Leistungen nach SGB II und SGB XII erhalten sollen, ein Milliardenpaket für Kommunen und Länder; wir haben die Einführung von FREE für die Verteilung in Kombination mit EASY vereinbart usw. Die Organisation funktioniert. Das ist Ihr erstes Problem. Ihr zweites Problem ist: Ich verweise auf Belarus und die Situation, dass leider der Hauptakteur in Belarus Herr Lukaschenko war, Ihnen bestens vertraut; denn in Ihren Horden von Schwarmunintelligenz, die sich im Netz bewegt, ({1}) wird Herr Lukaschenko wie auch Putin gefeiert. ({2}) Drittes akutes Problem, das Sie haben: Nun handelt es sich bei Ukrainerinnen und Ukrainern in der Mehrzahl der Fälle um Weiße, die evangelisch, katholisch, orthodox, jüdisch oder atheistisch sind, aber eben nicht schwarze oder muslimische Menschen. Auch da funktioniert Ihr Rassismus nicht so gut, was man an Ihren Anträgen sieht. Und der letzte Punkt ist: Sie haben nachweislich, dokumentiert ja auch in internen heftigen Auseinandersetzungen bei Ihnen, ein ungeklärtes Verhältnis zum Thema „Angriffskrieg Putins“ und verschwurbeln sich immer wieder in heimlichen und unheimlichen Apologetiken. Um das deutlich zu machen: Sie verweisen ja gerne in Bezug auf die SPD auf Helmut Schmidt und zitieren ihn gerne und missbrauchen und vereinnahmen ihn. Dieser Helmut Schmidt hat im letzten Jahr seines Lebens warnend auf die Ignoranz gegenüber russischem Kolonialismus und auf die Bezüge zwischen Putin, dem Zarenreich und der Sowjetunion hingewiesen. Also, statt Schmidt falsch zu zitieren, sollten Sie ihn einfach mal lesen. ({3}) Es ist aber so, dass Ihr Antragswerk diesmal nicht nur unsere Logik sowie internationales Recht, die deutsche Verfassung und das Flüchtlingsrecht verletzt; nein, ich würde es so umschreiben: Das ist insgesamt ein Aufstand gegen jede Form von Intellekt und Intelligenz. Oder um es noch präziser zu fassen: Es ist ein Aufstand gegen Anstand und Verstand. ({4}) Und das muss man erst mal hinbekommen: einen Aufstand gegen Anstand und Verstand. Das kann man auch deutlich illustrieren: In Ihren Forderungen wollen Sie zum Ersten nichts anderes als systematische Grenzkontrollen und das Schließen der Grenzen. Sie wollen Mauern; wir bauen aber Brücken. Brücken statt Mauern – klarer Unterschied zwischen dieser Koalition und Ihnen. ({5}) Zum Zweiten vertreten Sie ja nicht einmal verborgen eine Form des Racial Profilings; denn das ist der einzige Grund für diese Grenzkontrollen, die Sie vorschreiben. Das heißt: Nur die Personen, die in Ihre rassifizierenden Kategorien passen, dürfen überhaupt reingelassen werden. Damit kommen Sie aber zum Dritten de facto zu einer Abschaffung des Asylrechts. Lesen Sie mal Ihren Antrag. Da steht, dass Sie verhindern wollen, dass – ich zitiere – „Trittbrettfahrer, die … Asyl beantragen“ wollen, mit aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Nun gibt es aber ein Recht in Deutschland und ein Recht in Europa und in der Welt. Und das bedeutet, dass Menschen, egal welcher Herkunft, in diesem Land Asylanträge stellen können. ({6}) Sie verstoßen also gegen die deutsche Verfassung und gegen deutsches Recht. ({7}) Viertens. Es hört ja nicht auf. – Also, Sie haben einen ganzen Katalog des Rechtsbruchs in Ihrem Gesamtkunstwerk zusammengefriemelt. ({8}) Sie wollen auch, dass Drittstaatsangehörige eben nicht einen Aufenthaltsstatus bekommen und entsprechend möglichst Deutschland verlassen. Alle Details und Möglichkeiten, die die EU-Richtlinie anbietet, ignorieren Sie. Ich komme zum fünften Punkt, und jetzt wird es ganz interessant. Sie forcieren Abschiebungen. Sie wollen, dass alle geduldeten vollziehbar Ausreisepflichtigen dieses Land verlassen. Was machen wir? Wir machen aber das Gegenteil. Wir werden mit Hochdruck ein Chancenaufenthaltsrecht einführen, damit ganz viele Menschen, die jahrelang hier leben, gut integriert sind und arbeiten, aus dieser unwürdigen Situation der drohenden Abschiebung herauskommen. ({9}) Sechstens. Nicht nur das! Sie schaffen es ja, sich selbst dann noch zu steigern. Sie wollen auch in Bezug auf subsidiär Schutzberechtigte – das muss man sich mal zu Gemüte führen – den Familiennachzug komplett aussetzen, während wir über die Kontingentierung hinaus wieder den privilegierten Nachzug einführen wollen, und das ist richtig so. Fundamentaler Gegensatz! Im Übrigen darf ich auch mal fragen, weil Sie eben und auch in den vorigen Debatten die Familie erwähnten: Was ist das für ein Familienbild, das Sie so deutlich beschwören, wenn Sie Familien das Recht verweigern, zusammenzukommen? ({10}) Was sagt das über Ihr Familienbild und über Ihr Menschenbild? Siebtens wollen Sie eine komplette Aussetzung aller laufenden und geplanten Aufnahme- und Relocation-Programme. Und auch da müssen wir Sie leider, nein, richtigerweise enttäuschen; denn wir werden gucken, dass wir sehr bald ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan auf den Weg bringen und genau das Gegenteil dessen tun, was Sie machen, nicht die Ukraine gegen Afghanistan ausspielen, sondern in beiden Fällen handeln, menschlich sein, pragmatisch agieren. ({11}) Ich möchte aber abschließend noch etwas deutlich machen, weil Sie das ja immer im Gestus der Sicherheit machen: Sie setzen sich für Sicherheit ein. Nun gibt es zwei Personen, die nicht der Verteidigung einer Open-Border-Politik, eines libertären Grenzregimes verdächtig sind: Romann und Dr. Sommer, wobei Dr. Sommer, um es Ihnen deutlich zu machen, nicht der Dr. Sommer der „Bravo“ ist, sondern derjenige vom BAMF. ({12}) Und Dr. Sommer hat völlig unaufgeregt öffentlich und im Innenausschuss deutlich gemacht, dass es genau richtig ist, dass da registriert wird, wo wirtschaftliche Leistungen beantragt werden, und registriert wird, wenn Aufenthaltserlaubnisse beantragt werden, weil nun mal Visafreiheit für Ukrainerinnen und Ukrainer gilt und weil § 24 Aufenthaltsgesetz gilt. Romann und Dr. Sommer haben es verstanden; Sie haben es nicht verstanden. Deshalb: Lesen Sie, setzen Sie sich hin, beschäftigen Sie sich mit Ihrem internen Rassismus und klären Sie mal die Auseinandersetzung zwischen Herrn Kotré und Herrn Kleinwächter, und dann reden wir weiter. Vielen Dank. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächster Redner in der Debatte erhält für die CDU/CSU der Kollege Moritz Oppelt das Wort. Es ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Moritz Oppelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005171, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit mittlerweile sechs langen Wochen führt Russlands Präsident Wladimir Putin einen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Je länger der Krieg andauert und je erfolgreicher die ukrainischen Streitkräfte die russischen Angriffsbemühungen abwehren und zurückschlagen, desto brutaler wird auch das Vorgehen Putins und seiner Kämpfer in der Ukraine. Zuletzt haben wir alle die grauenhaften Bilder aus Butscha gesehen, wo unschuldige Zivilisten buchstäblich hingerichtet wurden. Auch angesichts dieser Bilder gelten unsere Solidarität und unsere Unterstützung vor allen Dingen dem ukrainischen Volk. ({0}) Dies gilt einerseits für diejenigen, die in der Ukraine an vorderster Front ihr Land und auch unsere Freiheit verteidigen, aber andererseits auch für die, die vor dem Terror Putins nach Deutschland fliehen, momentan vor allen Dingen Frauen und Kinder. Es ist unsere Pflicht, diese Menschen zu schützen und bestmöglich für sie zu sorgen. Dafür braucht es drei Dinge, die wir bereits gestern im Plenum in einem eigenen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Masterplan Hilfe, Sicherheit und Integration …“ gefordert haben. Erstens braucht es einen Krisen- und Koordinierungsstab im Bundeskanzleramt, zweitens eine flächendeckende Personenfeststellung aller ukrainischen Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Deutschland und drittens ein wirksames Schutzkonzept für Frauen und Kinder. ({1}) In einer solchen Ausnahmesituation muss der Bundeskanzler die Bemühungen der Bundesregierung koordinieren, insbesondere wenn die Bundesinnenministerin von der Situation so offensichtlich überfordert ist. ({2}) Wenn nicht der potenziell größte Zustrom an Flüchtenden seit dem Zweiten Weltkrieg Chefsache ist, was denn dann? Wir fordern außerdem eine durchgehende Personenfeststellung aller ukrainischen Flüchtlinge bei der Ankunft, wie es sowohl die kommunalen Spitzenverbände, der eine oder andere Abgeordnete von FDP und Grünen und auch die Ländervertreter fordern. ({3}) Eine systematische Personenfeststellung ist nämlich die zentrale Voraussetzung, um bundesweit eine gute Aufnahme und Integration gewährleisten zu können. Dass dies möglich ist, sieht man in Polen, wo die Personenfeststellung mit weniger Personal bei viel höheren Flüchtlingszahlen gelingt. Es geht uns als CDU/CSU im Gegensatz zu anderen hier nicht um eine Gängelung oder sonstige Schikane der Ukrainer. Es geht uns allein um deren Schutz. Nur wenn wir wissen, wer bei uns ist, können wir einen effektiven Schutz gewährleisten. Und nur wenn wir wissen, wie viele Flüchtlinge wann kommen, können sich die vielen Ehrenamtlichen, denen ich an dieser Stelle auch ganz ausdrücklich danken will, die ein großartiges Engagement an den Tag legen, angemessen vorbereiten. ({4}) Viel zu oft mussten diese in den letzten Wochen an leeren Bahnsteigen auf Flüchtlinge warten, die nie ankamen. Vorbereitete Turnhallen blieben auch in meinem Wahlkreis Rhein-Neckar leer. Haupt- und Ehrenamtliche wurden aktiviert, aber nicht gebraucht. Ausstattung mit Verpflegung und medizinische Erstversorgung wurden auf die Beine gestellt und am Ende nicht benötigt. Vor vier Wochen, in der Sondersitzung des Innenausschusses, haben wir als CDU/CSU die Bundesinnenministerin bereits gefragt, wie sie eine systematische Personenfeststellung gewährleisten will. Die AfD kann das natürlich nicht wissen, weil bei dieser Sitzung die Abgeordneten der AfD durch Abwesenheit geglänzt haben. ({5}) Statt sich der Lage zu stellen, hat die AfD irgendeine ganz besonders wichtige Klausurtagung veranstaltet, und das in der größten Krise der Nachkriegszeit. Das spricht nicht für Ihre Prioritätensetzung. ({6}) Wenn man sich den vorliegenden Antrag genauer ansieht, dann merkt man schnell, dass die AfD bei der relevanten Debatte gar nicht dabei war. Denn der entscheidende Punkt, nämlich wie wir Frauen und Kinder vor Kriminellen und Menschenhändlern schützen, wird in Ihrem Antrag überhaupt nicht behandelt. ({7}) Die Ukrainer, die für ihre Heimat kämpfen und auch unsere Freiheit verteidigen, vertrauen uns ihre Angehörigen an. Es ist das Mindeste, dass wir hier in Deutschland alles tun, um diese Angehörigen zu beschützen. Wir tragen die Verantwortung. Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn auch nur ein einziges Kind, das uns anvertraut wird, hier in Deutschland Opfer eines Verbrechens wird, eines Verbrechens, das wir mit einer anständigen Erfassung hätten verhindern können. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Länder, Kommunen und die vielen engagierten Ehrenamtlichen brauchen endlich Planungssicherheit. Das Chaos, das wir in den letzten Wochen erlebt haben, muss endlich ein Ende haben. Der vorliegende Antrag der AfD kommt dafür allerdings viel zu spät, greift viel zu kurz und geht auf die Hauptprobleme überhaupt nicht ein. Deshalb lehnen wir ihn als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ab. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin in dieser Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Filiz Polat. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Oppelt, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. Lassen Sie mich trotzdem sagen: Wenn es nach uns ginge, bräuchte es gar keine AfD-Anträge, und wir könnten auch auf die Mitglieder der AfD-Fraktion im Innenausschuss verzichten. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Tagen sind etwa 50 jüdische Frauen und Männer aus der Ukraine bei uns eingetroffen, hochbetagte pflegebedürftige Überlebende des Holocaust. Es ist gelungen, diese Menschen nach Deutschland zu evakuieren und sie vor den mordenden Schergen Putins zu bewahren. Es ist gelungen, weil allen voran Minister/‑innen wie Anne Spiegel und Nancy Faeser sich beherzt gemeinsam mit jüdischen Organisationen wie der Jewish Claims Conference dafür einsetzen. Dafür gilt ihnen unser Dank. ({1}) Meine Damen und Herren, dies ist eine gute Nachricht aus einem Land, in dem ansonsten seit sechs Wochen unermessliches Leid, Verwüstung, Folter, Tod herrschen. Dass diese alten Menschen, dass insgesamt weit mehr als 300 000 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland eine Bleibe und zumindest ein bisschen Geborgenheit bekommen haben, hat auch viel mit dem bewundernswerten Engagement Zehntausender ehrenamtlicher Helfer/‑innen zu tun. Und nach so viel Heuchelei von der rechten Seite, die wir jetzt schon wieder hören mussten, muss ich sagen: Das liegt auch daran, dass viele Kommunen, Landes- und Bundesminister/-innen nicht nur reden, sondern auch machen und gute Arbeit leisten. ({2}) Bundesministerin Faeser – ich sage es in jeder meiner Reden – hat sich schon vor Wochen in Brüssel für Rechtsklarheit eingesetzt, damit Geflüchteten aus der Ukraine EU-weit großzügig und unbürokratisch Schutz und Aufenthalt gewährt werden. Sie hat auch gemeinsam mit Anne Spiegel die Initiative für die jetzt bei uns aufgenommenen Holocaustüberlebenden ergriffen. Anne Spiegel war es, die vor einigen Tagen die Melde- und Koordinierungsstelle zur Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus ukrainischen Waisenhäusern und Kinderheimen auf den Weg gebracht hat. Meine Damen und Herren, das ist proaktives Handeln, das ist Politik, die die Menschen in den Mittelpunkt rückt. ({3}) Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, müssen dagegen aufpassen, wes Lied Sie in diesen Tagen singen, mit wem sie sich politisch gemeinmachen. ({4}) Hören Sie auf, in Interviews oder sonst überall Social-Media-Parolen zu verbreiten, wie es Ihre Nachbarn hier ganz rechts im Saal machen. ({5}) Da kommen Hunderttausende Traumatisierte nach oft tagelangen Odysseen zu uns, und Herr Dobrindt schwadroniert in dumpfem AfD-Sprech von Kontrollverlust. ({6}) Nein, Herr Throm, einen Fehlstart hat nicht Frau Faeser hingelegt, sondern Sie von der Union. Sie verbreiten Defätismus, kritteln herum, anstatt Ihrer Verantwortung als stärkster Oppositionsfraktion hier im Hohen Hause gerecht zu werden, meine Damen und Herren. ({7}) Die Union hat wochenlang die Forderung nach einer Registrierungspflicht für Geflüchtete aus der Ukraine wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Die MPK hat gestern pragmatisch und unideologisch bekräftigt: Ankommende werden rasch und unkompliziert registriert, und familiäre Bezüge werden dabei nicht vergessen. ({8}) Pragmatisch und lebensnah ist auch der gestrige Beschluss, Geflüchtete aus der Ukraine in die Grundsicherung aufzunehmen. Das fördert schnelle Integration. Das bietet vielen meist sehr gut Qualifizierten die Chance, bei uns schnell Arbeit zu finden. Das sorgt, meine Damen und Herren von der Union, dafür, dass Menschen krankenversichert werden und Zugang zu Bildung bekommen, und das ist gut so. ({9}) Wenn es dagegen nach Ihnen von der Union gegangen wäre, hätte es diesen sogenannten Richtungswechsel, Rechtskreiswechsel nicht gegeben. Gerade Zehntausende Frauen und auch ihre Kinder, deren Nöte Sie ja neuerdings vermeintlich so ernst nehmen, wären die Leidtragenden gewesen. Gut, dass es nicht dazu gekommen ist, meine Damen und Herren! Wir wissen nicht, wie lange Putins grauenhafter Krieg anhalten wird. Wir wissen daher auch nicht, wie viele Ukrainer/‑innen wie lange bei uns bleiben werden. Wir können, wir müssen jedoch alles dafür tun, um ihnen in der Zeit, die sie bei uns verbringen werden, die besten Rahmenbedingungen und Perspektiven zu bieten. Dies sage ich gerade mit Blick auf die rechte Seite des Hauses: Wir dürfen es auf keinen Fall zulassen, dass jetzt zwischen Geflüchteten erster und zweiter Klasse unterschieden wird. Das Leid der jetzt bei uns Eintreffenden ändert nichts am Elend all jener, die schon bei uns Zuflucht gefunden haben. Wir treten entschieden dafür ein, dass Flüchtende aus der Ukraine nicht diskriminiert werden, bloß weil sie schwarze Menschen oder People of Color sind oder der Minderheit der Roma angehören. Ich hoffe, dass viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus viele dieser Anliegen teilen, und ich baue darauf, dass die demokratischen Fraktionen bei dieser gemeinsamen Kraftanstrengung verantwortungsvoll mitmachen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. ({10}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Clara Bünger, Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! ({0}) Es ist einfach unfassbar, was die AfD hier für rassistische Stereotype bedient: echte Geflüchtete versus unechte Geflüchtete. ({1}) Es ist einfach widerlich, wie Sie Menschen, die vor einem furchtbaren Krieg fliehen, gegeneinander ausspielen und daraus auch noch politisch Profit schlagen wollen. ({2}) Die AfD will jetzt andere Schutzsuchende, die nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit haben, massenhaft abschieben. Menschen, die so wie Herr Wirth argumentieren, wollen den Ukrainerinnen und Ukrainern lediglich ein vorübergehendes Gnadenrecht einräumen; mehr ist das nicht. ({3}) Es ist nicht nur zutiefst unmenschlich und rassistisch, was Sie hier wieder fordern; es zeigt einmal mehr, dass Sie den Boden der Rechtsstaatlichkeit noch nie betreten haben. ({4}) Helge Lindh hat es gesagt: Es ist ein Katalog des Rechtsbruchs, den Sie hier vorschlagen. Aber, liebe Ampelkoalition, das sollte auch Ihnen zu denken geben: Die Forderung nach einer Rückführungsoffensive und einem Rückführungsbeauftragten hat die AfD direkt aus Ihrem Koalitionsvertrag übernommen. ({5}) Heute ist der Internationale Tag der Romnja. Ich muss deshalb darauf zu sprechen kommen, was mich besonders bedrückt. Rechte Politiker und manche Medien betreiben derzeit wieder gezielt Hetze gegen Romnja, und das ist brandgefährlich. ({6}) Der bayerische AfD-Politiker Christoph Maier etwa, der sich „remigrationspolitischer Sprecher“ nennt, zog vor drei Tagen in einer Pressemitteilung über Sintize und Romnja her. Er diffamierte sie als „schamlose Trittbrettfahrer“, die in den deutschen Sozialstaat einwandern wollen, und fordert die Rückführung aller Migranten. ({7}) Solche Hetztiraden befördern geradezu antiziganistische Pogrome, die in Deutschland nie, wirklich nie wieder vorkommen dürfen. ({8}) Zur Wahrheit gehört auch, dass die AfD mit ihrem Rassismus gegen Romnja nicht alleine dasteht. Antiziganistische Ressentiments sind sowohl in Deutschland als auch in den meisten anderen europäischen Ländern weit verbreitet und tief verwurzelt. Romnja aus der Ukraine erleben derzeit auf der Flucht schwerwiegende Diskriminierung. Weil viele von ihnen aufgrund von staatlicher Diskriminierung keine Ausweisdokumente haben, besteht zudem die Gefahr, dass sie keinen Schutz bekommen, obwohl auch sie vor demselben Krieg in der Ukraine geflohen sind. Darauf weisen auch der Bundes Roma Verband sowie Pro Asyl und der Berliner Flüchtlingsrat hin. Es reicht nicht aus, den offenen, den offensichtlichen Rassismus der AfD zu verurteilen. ({9}) Wir müssen auch über den strukturellen Rassismus in den gesellschaftlichen Institutionen sprechen, der dort verankert ist. Und wir müssen vor allem wirksame Regelungen zum Schutz von Romnja treffen, damit die hehren Bekenntnisse nicht nur bloße Worthülsen bleiben. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Bünger. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae, FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Antrag der AfD ist keineswegs so harmlos und menschenfreundlich, wie er uns hier vorgestellt worden ist. Man hat vielmehr das Gefühl, dass, nachdem jetzt die Coronamaßnahmen auslaufen und gestern keine Impfpflicht beschlossen worden ist, der AfD die Themen ausgehen und man froh ist, jetzt endlich wieder mal das Thema Flüchtlinge zu haben, mit dem man alte Ängste schüren und wieder befeuern kann. Denn Rezept der AfD ist es ja, mit den Ängsten der Menschen Politik zu machen, indem man größtmögliche Schreckensszenarien verbreitet und Angst und Unsicherheit bei Bürgerinnen und Bürgern schürt. ({0}) Die AfD warnt in diesem Antrag geradezu vor einem Kontrollverlust, der an die Jahre 2015 und 2016 erinnern soll, obwohl Sie ganz genau wissen, dass die heutige ukrainische Fluchtbewegung in nichts zu vergleichen ist mit dem, was 2015 und 2016 geschehen ist. ({1}) Sie wollen aber den Eindruck erwecken, dass sich Deutschland durch harte Grenzkontrollen ({2}) und eine lückenlose Registrierung abschotten muss, weil sonst eine Flut von Trittbrettfahren, Menschenhändlern, Vergewaltigern nach Deutschland kommen könnte und über uns hereinbricht. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ein solches Szenario mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht eintreten wird, das lässt Sie kalt; denn Sie wollen, dass solche Bilder sich in den Köpfen der Menschen verfestigen und dass irgendwelche Ängste bei den Menschen geschürt werden. Dieser Antrag verleiht sich einen philanthropischen Anstrich; aber es geht der AfD nicht um den Schutz von Flüchtenden, sondern um den Schutz vor Flüchtenden. Das ist der wahre Hintergrund Ihres Antrages, meine Damen und Herren. ({4}) Auch das eigentlich wichtige Thema „Erfassung und Registrierung der Ankommenden“ beträufeln Sie mit Gift; denn für Sie sind Registrierungen ein Instrument der Abschottung und der Abwehr, während es doch eigentlich darum geht, verlässliche Zahlen zu gewinnen, wie viele Menschen bei uns ankommen, Menschen welchen Alters, Männer, Frauen, damit wir einen bedarfsgerechten Schutz aufbauen können. Wir brauchen natürlich einen schnellen und unbürokratischen Überblick darüber, welche Menschen bei uns ankommen, aber nicht, um uns vor ihnen zu schützen, sondern um ein klares Bild zu gewinnen, welche und wie viele Menschen kommen, um uns besser darauf einstellen zu können, bedarfsgerechte Hilfe anzubieten, aber auch um berufliche Qualifikationen zu erfassen, etwa von Lehrerinnen und Lehrern, Ärzten, Psychologinnen und Psychologen, damit wir wissen, welche beruflichen Qualifikationen hier eventuell zum Einsatz kommen können. Der Einsatz der PIK-Stationen soll die Registrierung ja eigentlich erleichtern. Aber dieser komplizierte Vorgang bremst momentan die Erfassung der Menschen noch ziemlich aus; ich habe mir den Vorgang vor ein paar Tagen vom Bürgermeister der Gemeinde Eichenau bei München, Peter Münster, mal erklären lassen. Es gibt Vorschläge, die Registrierung zu vereinfachen, damit wir schneller ein klares und verlässliches Bild gewinnen können. Ich bin, Herr Staatssekretär, sehr dankbar, dass das Haus diese Vorschläge aufnimmt, damit wir die Registrierung beschleunigen können und nicht abbremsen. ({5}) Meine Damen und Herren, die AfD sieht in der Flucht der Menschen aus der Ukraine wieder mal in erster Linie eine Sicherheitsgefahr, wohingegen wir zunächst mal unsere humanitären Verpflichtungen sehen. Politisch Verfolgte, Menschen, die vor Krieg flüchten, finden bei uns Schutz und Sicherheit. Sie sind für uns, anders als für Sie, keine lästige Bürde, die wir schnellstmöglich wieder loswerden wollen. ({6}) Meine Damen und Herren, ich will die restliche Redezeit nutzen, um Ihren Antrag auch einmal in den Kontext Ihres bisherigen Umgangs mit dem Überfall Putins auf die Ukraine zu setzen. Wir werden nämlich täglich Zeugen davon, wie die AfD hier unsägliche Desinformationen und Propaganda des Kremls verbreitet. Diese Propaganda fällt bei Ihnen auf fruchtbaren Boden, und Sie verbreiten die in Deutschland weiter. Trauriger Höhepunkt war die auch von Ihnen verbreitete Anzweiflung der Authentizität der Bilder aus Butscha, an der sich Mitglieder Ihrer Partei beteiligt haben. Ich finde das unsäglich, meine Damen und Herren. ({7}) Das dürfen wir bei uns nicht tolerieren – nicht in diesem Land, nicht in diesem Parlament. Dass hier Propaganda für Russland gemacht wird, zeigt einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass Ihre Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird. ({8}) Dazu gehören auch die Geldströme aus Russland in Richtung Ihrer Partei. ({9}) Denn eines muss uns – und damit komme ich zum Schluss – immer bewusst sein: Wir stehen auf der Seite der Menschen in der Ukraine, aber es sitzen hier mitten unter uns Freunde Russlands, meine Damen und Herren. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Thomae. – Ich bin darum gebeten worden, darauf hinzuweisen, dass die Gespräche in der CDU/CSU-Fraktion, wahrscheinlich durch die Masken bedingt, relativ laut sind und andere Kolleginnen und Kollegen im Hause stören. Deshalb bitte ich darum, das vielleicht etwas einzustellen. Nächster Redner ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle gar nicht so sehr auf den Antrag eingehe. Bei der Lektüre wird klar, wes Geistes Kind der Antrag ist; bei der Lektüre entlarvt er sich sehr schnell selber. Aber ich möchte auf zwei Punkte eingehen, von denen ich meine, dass die Menschen in unserem Land durchaus einen Anspruch darauf haben, dass wir diese Herausforderungen lösen. Themenfeld Nummer eins ist die Frage der Erfassung und Registrierung der Menschen, die aus der Ukraine kommen. Da will ich als Vertreter der Union schon mal sagen in Richtung Ampel und auch in Richtung Bundesregierung, dass wir an vielen Stellen den Eindruck haben: Sie wollen uns bewusst falsch verstehen. Denn es kommt immer wieder der Sprung: Ah, die Union will Grenzkontrollen, und Grenzkontrollen gehen nicht, weil man dann ja eine Rechtsgrundlage braucht. Mal ganz abgesehen davon, dass andere Länder das schon gemacht haben, geht es uns darum, einen Satz mit Leben zu füllen, den wir doch alle hier in diesem Haus, so hoffe ich, unterschreiben. Es ist der Satz: Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt. ({0}) Kollege Lindh, mit Verlaub, das, was Sie vorhin gesagt haben, hat mich daran zweifeln lassen. Es klang eigentlich wie: Wir machen die Tür auf, lassen jeden rein, und es muss dann auch niemand wieder gehen. ({1}) Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt. Das müssen wir wissen für die Sicherheitslage in unserem Land – eine Selbstverständlichkeit. Ich brauche eine Gefährdungsabschätzung bei der Frage: Wer kommt hier rein? Wir müssen wissen, wer in unserem Land ist, um – Entschuldigung – auch Missbrauch vorzubeugen. ({2}) Es gibt Erkenntnisse darüber – auch wenn Sie es nicht hören wollen; das ist mir klar –, ({3}) dass sehr wohl die Balkanroute wieder erstarkt und es da Missbrauchsfälle gibt. ({4}) Ich weiß, dass das nicht in die Welt der Grünen passt; ({5}) aber es hilft doch nichts. Und wir müssen wissen, wer in unser Land kommt. Denn, meine Damen, meine Herren, es geht doch auch um die Sicherheit der Geflüchteten, der Menschen, die in unser Land kommen. ({6}) Wenn ich nicht weiß, wer in unserem Land ist, dann weiß ich es unter Umständen nicht, wenn er am Berliner Hauptbahnhof oder an anderen Orten verschwindet. ({7}) Deswegen wollen wir eine lückenlose Erfassung. Bei dem Begriff der „lückenlosen Erfassung“ scheint es ja offensichtlich auch ein Missverständnis zu geben. Die Bundesinnenministerin stellt sich bei der Regierungsbefragung hin und sagt: Es gibt lückenlose Erfassung. – Wenn Sie die Bundespolizei dazu fragen: „Wie findet das genau statt?“, dann kriegen Sie als Beispiel erklärt: Bei einem Zug, der voll ist mit Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, wird eine Schätzung vorgenommen – eine Schätzung! –, wie viele Personen circa in diesem Zug sind. Es wird stichprobenartig kontrolliert, ({8}) ob es sich dabei ausschließlich um Menschen aus der Ukraine handelt. Das ist – Entschuldigung – keine lückenlose Erfassung. Jetzt kommen wir – das können die Grünen dann gleich kommentieren – zu einem Punkt, der da reinpasst. ({9}) Sie machen damit nämlich der Bundespolizei die Arbeit auch nicht einfacher. ({10}) – Kollegin, warten Sie doch. Lassen Sie mich doch einmal ausreden. – Sie können im Netz folgenden Vorgang lesen: ({11}) Da kommt ein Zug im Hauptbahnhof in Berlin an, und die Bundespolizei stellt fest, dass sich in diesem Zug augenscheinlich Personen befinden, ({12}) die nicht aus der Ukraine kommen. ({13}) Wenn dann die Bundespolizei nachfragt, gibt es vor Ort eine Demonstration, weil die Bundespolizei angeblich Racial Profiling vollzieht. ({14}) Die Sache ist: Sie als regierungsstellende Koalition ({15}) müssen doch ein Interesse daran haben, der Bundespolizei die Arbeit einfacher zu machen. Und auch das gelingt Ihnen nicht. ({16}) Am Ende noch ein Satz zum Themenfeld Abschiebung. Bei der Abschiebung – auch wenn das nicht in das Weltbild der Grünen und der Linken und zum Teil nicht in das Weltverständnis der SPD passt – muss auch eines klar sein: Sie werden ein funktionierendes Asylsystem in Deutschland nur etablieren können, wenn auch die Fragestellung der Abschiebung funktionierend gelöst ist. ({17}) Die Ministerin sagt ja immer, sie kämpft dafür, dass wir ein gemeinsames europäisches Asylsystem haben. ({18}) Die Wahrheit ist: Auch ein gemeinsames europäisches Asylsystem etablieren Sie nur, wenn das Themenfeld Abschiebung funktioniert. Denn Sie werden Länder wie Italien, wie Ungarn, wie Polen ({19}) nicht von Ihrem Kurs, Kollege Lindh, nach dem Motto „Wir lassen alle rein, und dann muss niemand mehr das Land verlassen“ überzeugen können. Sondern: Wer kein Asyl bekommt, der muss selbstverständlich in sein Heimatland abgeschoben werden. ({20})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur so können Sie anderen europäischen Staaten ein gemeinsames, funktionierendes europäisches Asylsystem schmackhaft machen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Wir können jetzt hier oben vom Präsidium aus feststellen, dass mindestens ein Patt eingetreten ist bei der Frage der Lautstärke untereinander. Nächste Rednerin ist die Kollegin Gülistan Yüksel, SPD-Fraktion. ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hoffmann, Sie haben es jetzt geschafft, dass die rechte Seite Ihnen richtig gut applaudiert hat. Dazu gratuliere ich Ihnen erst mal. ({0}) – Das brauchen Sie nicht. Ihren Applaus brauche ich bestimmt nicht. Darauf kann ich sehr gut verzichten. Machen Sie das lieber bei sich und bei Ihren Leuten. ({1}) Wir wissen, wie das ist, wenn du aus deinem Haus rennen musst, weil es getroffen wird und brennt, und du die Toten auf der Straße rumliegen siehst. Wir kennen das. Und deshalb unterstützen wir die Leute in der Ukraine. Sie erleben jetzt das, was wir erleben mussten. Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Zitat stammt von einem Geflüchteten, der 2015 mit seiner Frau und seinen zwei Kindern aus der syrischen Stadt Hama entkommen konnte. Im gleichen Jahr war Putin in den Krieg eingetreten. Seine Raketen und Panzer legten in Syrien ganze Städte in Schutt und Asche – wie heute in der Ukraine. Wer glaubt, dass der Krieg vorbei ist, der irrt. Der Syrienkrieg mag aus unserer Wahrnehmung verdrängt sein; aber er ist noch nicht vorbei – nicht für die Menschen, die unter ihm leiden, nicht für die Geflüchteten, die bis heute nicht in ihre zerstörten Wohnungen zurückkehren können. Und dieser Krieg ist auch nicht vorbei für die Menschen in Syrien; denn ihnen droht eine Hungersnot, wenn in diesem Jahr Weizenimporte aus Russland und der Ukraine ausbleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir aktuell über die Gräueltaten der russischen Armee in der Ukraine hören und sehen, ist zutiefst schockierend. Wir dürfen angesichts dieser schrecklichen Bilder nicht abstumpfen. Und wir sollten mit der technischen Debatte über Registrierungen nicht vom Leid der Menschen ablenken, während auch jetzt Menschen in der Ukraine weiter sterben und verzweifelt auf Sicherheit hoffen. ({2}) Vor allem dürfen wir nicht vergessen: Kriege sind überall schrecklich, auch dort, wo gerade keine Bomben fallen, weil sie schon alles zerstört haben, was zerstört werden kann. Das Leid der Menschen im Krieg ist überall schlimm, auch dann, wenn aktuell Medien nicht darüber berichten. Deshalb gilt: Alle Menschen, die Krieg und Gewalt erfahren, die vor Hunger und Gefahr flüchten, brauchen unseren Schutz – egal wie lang ihr Fluchtweg ist und egal woher sie kommen. ({3}) Deutschland bietet diesen Schutz. Alle Flüchtenden haben bei uns das Recht auf Asyl. Dieses Recht werden wir immer verteidigen und in der jetzigen Koalition noch verbessern, indem wir etwa das Asylverfahren beschleunigen. Auch wollen wir das europäische Asylsystem reformieren und so für besseren Schutz sorgen. ({4}) Ich bin froh, dass wir die lang vermisste Einigkeit in Europa nun erreichen konnten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit der Aktivierung der sogenannten EU-Massenzustrom-Richtlinie hilft Deutschland gemeinsam mit den europäischen Partnern allen Menschen, die aus der Ukraine fliehen – mit Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Integrations- und Unterstützungsmaßnahmen, ({5}) mit Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und mit rascher und unkomplizierter Registrierung. In der gestrigen Konferenz mit den Ländern haben wir beschlossen, diesen Prozess weiter zu optimieren. Dazu wird der Bund die Länder personell und finanziell unterstützen. Die Geflüchteten bekommen so das, was sie am dringendsten brauchen: schnelle und unbürokratische Hilfe. Gleichzeitig setzt sich das Innenministerium intensiv für die Sicherheit der Geflüchteten ein. Da vorrangig Frauen und Kinder zu uns fliehen, sind die zuständigen Behörden besonders sensibilisiert, während wir die ankommenden Menschen online und vor Ort in ihrer Landessprache sowohl über Gefahren als auch über Hilfsangebote informieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Jahre nach Russlands Kriegsbeteiligung in Syrien saß die AfD erstmals im Deutschen Bundestag. Schon damals säte sie Hass und Misstrauen gegenüber Geflüchteten. In immer neuen Anträgen hetzt sie die Menschen gegeneinander auf. Wir stellen uns weiterhin gegen diesen Hass. ({6}) Und wir stellen uns auch gegen den heutigen Antrag: Statt das Asylrecht von Geflüchteten anzuerkennen, will die AfD Aufnahmeprogramme sofort und auf unbestimmte Zeit aussetzen. Sie fabuliert von Trittbrettfahrern und raunt schon im Antragstitel von „täuschungsfreier Registrierung“. In Wahrheit wollen Sie uns täuschen und glauben machen, dass manche Menschen mehr schützenswert seien als andere. Aber wir lassen uns von Ihnen nicht täuschen. Wir bleiben solidarisch mit allen flüchtenden Menschen, zusammen mit der übergroßen Mehrheit der Menschen in Deutschland und zusammen mit dem demokratischen Teil dieses Hauses. ({7}) Wir helfen den Menschen in der Ukraine und auch anderen Geflüchteten, die erlebt haben, was wir hoffentlich niemals erleben müssen. Danke schön. ({8})

Dietrich Monstadt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen! Meine Herren! Die deutsche Fischerei befindet sich in einer dramatischen wirtschaftlichen Lage. Die Energiekosten erreichen seit Monaten immer neue Rekordhöhen. Infolge des Krieges in der Ukraine sind die Preise für Gas und Öl regelrecht explodiert. Das trifft unsere Industrie, die einzelnen Privathaushalte, die Autofahrer. Dieser enorme Preisanstieg bei Kraftstoffen bringt insbesondere unsere heimische Fischerei in eine existenzielle Krise. Die Energiekosten machen aktuell bis zu 80 Prozent des zu erwartenden Umsatzes aus. Eine kostendeckende und wirtschaftliche Fischerei ist damit nicht möglich. Meine Damen und Herren, unsere Fischer in der Nord- und Ostsee fahren aktuell gar nicht mehr raus; sie bleiben im Hafen. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, insbesondere Astrid Damerow, konnten uns in Gesprächen vor Ort ein Bild über die existenzbedrohende Situation der deutschen Fischerei machen. Die Rücklagen vieler Fischer sind aufgebraucht. Die laufenden Fixkosten können nicht aufgefangen werden. Meine Damen und Herren, sollte sich diese Situation nicht umgehend ändern, stehen die Fischer mit ihren Familien und ihren Angestellten vor dem absoluten Aus – und nicht nur diese. Eine ganze Region ist betroffen, ganz direkt: das fischverarbeitende Gewerbe und der Handel in diesem Bereich. Indirekt wird das gesamte wirtschaftliche Umfeld in den Küstenregionen stark belastet. Die Auswirkungen werden auch die Gastronomie und der Tourismus stark spüren. Auch der Verlust von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplätzen ist zu befürchten. Mangels sonstigen Angebots sind gerade Letztere für die Küstenregionen besonders bedeutsam. Meine Damen und Herren, für jemanden, der sich in diesem Haus nachhaltig für gesunde Ernährung ausspricht, ist diese Perspektive besonders misslich. Fisch, gerade auch einheimischer Fisch, gehört zu einer gesunden und ausgewogenen Ernährung. Er ist damit auch ein Baustein, um die Bekämpfung der Volkskrankheiten Diabetes mellitus und Adipositas zu unterstützen. Daher frage ich Sie, Herr Minister – er ist gar nicht da –, ganz konkret: Wollen Sie die traditionelle Küstenfischerei erhalten? Wollen Sie, dass uns dieses Angebot erhalten bleibt? Frau Staatssekretärin, vielleicht sind Sie so nett, diese Frage an den Minister weiterzutragen. Meine Damen und Herren, Frankreich hat gezeigt, dass es auch anders geht. Die Fischer dort erhalten einen faktischen Zuschuss von 35 Cent pro Liter Kraftstoff. Aktuell bedeutet das, Frau Staatssekretärin, dass unsere deutschen Fischer auf dem Radar beobachten können, wie ihre französischen Kollegen aufs Meer hinausfahren. Das bedeutet natürlich auch, dass damit eine bedrohende Wettbewerbsverlagerung, ganz konkret an jedem Tag, an dem nicht gehandelt wird, stattfindet. Meine Damen und Herren, auf europäischer Ebene wurden alle Vorbereitungen für schnelle nationale Hilfen getroffen. Es wurden eine kurzfristige direkte Beihilfezahlung in Höhe von bis zu 35 000 Euro als auch eine mittelfristige Hilfe von bis zu 30 000 Euro ermöglicht. Ich darf noch mal betonen, Herr Minister, Frau Staatssekretärin: Handeln Sie jetzt. Handeln Sie, wie es Ihr Haus im Ausschuss angekündigt hat, auch wenn dies erst auf nachhaltiges Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfolgt ist – oder gerade auch deshalb. ({0}) Entsprechende finanzielle Mittel müssen so schnell wie möglich und unbürokratisch bereitgestellt werden. Unterstützen Sie deshalb unseren Antrag. Er enthält ganz konkrete Vorschläge, um den Fischern an Nord- und Ostsee schnell und effektiv zu helfen: Erstens. Es bedarf einer schnellen Auszahlung von Betriebskostenzuschüssen, um die Existenz der Fischereibetriebe zu sichern. Zweitens. Es bedarf einer sozialen Absicherung der Crewmitglieder, der Angestellten und selbstständigen Betriebsleiter. Drittens. Es bedarf der Ermöglichung und Einführung einer praxisnahen Stillliegeprämie für alle Haupterwerbsbetriebe; und ich meine „Stillliegeprämie“ und nicht „Stilllegeprämie“. Und viertens ist es für alle Betroffenen entscheidend, dass sämtliche bürokratischen Hindernisse ausgeräumt werden müssen: Hindernisse, die eine schnelle Ausführung von gewollten Maßnahmen behindern, Hindernisse, die zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber anderen Mitgliedstaaten der EU führen, deren Regierungen schneller und unbürokratischer handeln. Sehr geehrte Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Handeln Sie, bevor es für die deutsche Fischerei zu spät ist! Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Monstadt. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Anna Kassautzki, SPD-Fraktion. ({0})

Anna Kassautzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005098, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die deutsche Fischerei befindet sich in einer noch nie dagewesenen Existenzkrise. Da stimme ich Ihnen zu. Die Analyse, warum das so ist, ist bei Ihrem Antrag allerdings verkürzt, die Antworten darauf entsprechend auch. Sie sprechen von der „Rettung der Deutschen Fischerei“ und setzen dabei alles gleich. Dabei reden Sie nicht über die Küsten-, Hochsee- oder Binnenfischerei, sondern eigentlich nur über die Krabbenfischerei. Das ist natürlich völlig legitim; sie braucht unsere Unterstützung. Aber dann sagen Sie das auch so und sprechen nicht von der Fischerei in ihrer Gesamtheit! Ich helfe Ihnen gerne beim Verstehen dieses komplexen Themas. Fangen wir mit den Meeren an. Ostsee und Nordsee sind nicht nur bei den Gezeiten oder dem Salzgehalt des Wassers unterschiedlich, sondern die Herausforderungen, vor denen die Fischerei steht, sind auch fundamental unterschiedliche. ({0}) In der Ostsee haben wir schon lange eine strukturelle Krise. Der Zustand des Binnenmeers ist alarmierend, wodurch unter anderem die Bestände, insbesondere der Brotfische Dorsch und Hering, kurz vorm Kollabieren sind. Es ist aktuell strittig, ob der Dorsch in der Ostsee nicht bereits einen Kipppunkt überschritten hat und die Bestände sich überhaupt erholen können. Durch die Anerkennung des Herings im Kattegat und der westlichen Ostsee als ein großer wandernder Bestand, hat zumindest der Hering eine bessere Chance auf Erholung. Hier hat die ehemalige Landwirtschaftsministerin Frau Klöckner kurz vor der Wahl doch noch ihr Herz für die Fischerei entdeckt. Die Ursachen für das Kollabieren der Bestände sind aber multikausal und hängen mit dem Zustand des Meeres und der Übernutzung zusammen. Die Fischer/-innen dafür verantwortlich zu machen, wäre falsch. ({1}) Die Krise in der Ostsee ist eben durch diese massive Übernutzung des sensiblen Ökosystems eine strukturelle Krise. Hier helfen keine Sofortmaßnahmen; die strukturelle Krise benötigt strukturelle und langfristige Antworten. Die Nordsee als Randmeer des Atlantischen Ozeans hat deutlich stabilere Populationen, und manche, beispielsweise die Nordseekrabbe, sind gar nicht quotiert. Das ist in diesem Fall auch nicht nötig. Gerade bei fahrintensiver Fischerei wie der Krabbenfischerei schlagen die aktuellen Sprit- und Energiepreise richtig zu. Hier braucht es schnelle und unbürokratische Hilfe. Neben den Krabbenfischerinnen und ‑fischern hat aber auch die Hochseefischerei in der Nordsee zu kämpfen. Sie ist ebenso durch die Spritpreise belastet. Zusätzlich wurden durch den Brexit die Verhandlungen um die Fischereiquoten auf europäischer Ebene deutlich komplizierter und einige Fanggründe unserer Hochseefischer/-innen liegen nun mal im Bereich der Britischen Inseln. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern werden wir hier Lösungen finden. Die überalterte Flotte der Küstenfischer/-innen, deren Kutter gerne mal 40 bis 60 Jahre alt sind, stellt ein weiteres Problem dar. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Fischerei müssen wir die Antriebsproblematik lösen und langfristig neue Kuttermodelle entwerfen. Andere europäische Staaten können hier ein Vorbild sein. Wir müssen uns aber auch ehrlich machen: Den kompletten Bedarf an Fisch werden wir nicht aus eigener Produktion decken können. Erzeuger/ – innengenossenschaften sind heutzutage durch hohen Import von teils 90 Prozent leider oft mehr Handels- als Erzeugungsgesellschaften. Wir wollen die Fischerei aber krisenresilienter machen. Deswegen können neben der Unterstützung der klassischen Fischerei auch Aquakulturen einen Beitrag dazu leisten, die Importabhängigkeit zu verringern. ({2}) Mithilfe von technischer Innovation können Aquakulturen tatsächlich sinnvolle Alternativen bieten. Denn Fisch ist im Vergleich zu anderen tierischen Proteinquellen in der Produktion CO2– und fütterungsarm – und gefragt. Als Erstes hätten wir die marinen Aquakulturen. Das ist aufgrund der Gezeiten – wir erinnern uns an den Anfang – nur in der Ostsee möglich. Um diese tatsächlich nachhaltig zu gestalten und die Ostsee nicht weiter zu belasten, sind sie aber nur in Kombination mit Algen und Muscheln eine Option. Versuche haben ergeben, dass in dieser Kombination nahezu nährstoffneutrale Aquakulturen möglich sind. Diese sind aufgrund des unterschiedlichen Salzgehaltes auch in der Ostsee aber nur westlich der Darßer Schwelle möglich. Wir sehen: Das ist alles gar nicht so einfach. ({3}) Diese Versuche wollen wir deswegen ausbauen. ({4}) Da wir uns aber aufgrund des bestehenden Versuchsbedarfs nicht nur auf die marinen Aquakulturen allein verlassen können, benötigen wir unserer Meinung nach auch einen massiven Ausbau der nachhaltigen landgestützten Aquakulturen. Dafür braucht es auch Neuausweisungen von Flächen. Die Errichtung dieser ist durch bereits bestehende Teichanlagen nicht nur schnell, sondern relativ preiswert möglich und bewährt. Baulich geschlossene Anlagen in Hallenbauweise ermöglichen uns die Zucht fremder Fischarten, die wir aktuell teuer importieren müssen, wie beispielsweise den Afrikanischen Wels. Durch den Wegfall des Imports machen wir uns nicht nur unabhängiger, sondern sparen uns auch den emissionsintensiven Import. Wenn wir diese Anlagen in der Nähe von Wärmequellen wie beispielsweise Biogasanlagen errichten, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir nutzen die Abwärme und züchten Fisch – kombinierte Land- und Fischwirtschaft. ({5}) Sie sehen: Im Gegensatz zu Ihnen haben wir die gesamte Fischerei im Blick. Deswegen rufen wir die „Zukunftskommission Fischerei“ ins Leben, in der die Fischer/-innen als Praktiker/-innen vor Ort, die Wissenschaft mit ihrer analytischen Perspektive und wir als Politik gemeinsam die mittel- und langfristigen Probleme lösen. Als erster Schritt hierfür wurde bereits ein runder Tisch gegründet. Danke an dieser Stelle an unseren Minister Cem Özdemir und das Landwirtschaftsministerium für die Initiative. ({6}) Neben den mittel- und langfristigen Problemen sehen aber auch wir die aktuellen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Fischerei. Über einen befristeten Krisenrahmen können Fischereiunternehmen 35 000 Euro Soforthilfe beantragen. Dafür sind 10 Millionen Euro vorgesehen. Die Auszahlung dieser Hilfen ist als außerplanmäßige Ausgabe vorgesehen und damit zeitnah möglich. Wir wollen die Fischereiflotte nicht wie Sie stilllegen, sondern sie dabei unterstützen, weiter rauszufahren. Wir brauchen nachhaltige Konzepte, und dafür hat es erst einen Regierungswechsel gebraucht. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Kassautzki. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Protschka, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über nicht weniger als den Fortbestand der traditionsreichen norddeutschen Küstenfischerei. Ich selbst bin nicht aus Norddeutschland, sondern aus Niederbayern, also aus dem Süden der Republik. Was uns aber verbindet, ist der Begriff „Heimat“. Die zahlreichen Familienbetriebe, die oft in vierter, fünfter oder sogar sechster Generation dieser Tätigkeit nachgehen, sind kulturell fest verwurzelt in der Region und sichern obendrein wichtige Arbeitsplätze und Wertschöpfung. ({0}) Sie sind nicht wegzudenken und verdienen in der aktuellen Situation unsere Unterstützung. Die Betriebe haben leider schon seit Jahren unter vielen Faktoren gelitten. Ich möchte an dieser Stelle nur die viel zu niedrigen Fangquoten ansprechen, die von der EU festgelegt werden, oder die unverhältnismäßigen Coronamaßnahmen, durch die die Gastronomie als Abnehmer komplett weggebrochen ist. Viele Fischer haben deshalb schon aufgegeben oder mussten teilweise Insolvenz anmelden. ({1}) Den verbleibenden Fischern steht das Wasser bis zum Hals. Die finanziellen Reserven, wenn noch vorhanden, sind aufgebraucht. Durch die Verdreifachung der Kraftstoffkosten lohnt sich jetzt nicht mal mehr das Rausfahren aufs Meer. Der Schiffsdiesel, der übrigens weitestgehend steuer- und zollfrei ist, kostet mittlerweile mehr, als man für 1 Kilo Hering am Markt bekommt. Da muss man sich schon fragen, ob das dann noch eine lohnende Arbeit ist. Viele Fischer an Deutschlands Nord- und Ostseeküste mussten deshalb gezwungenermaßen ihre Tätigkeit bereits einstellen. Wenn bis Ostern keine Hilfe kommt, dann wird es mindestens jeden zweiten Betrieb treffen. Wohlgemerkt, alle diese Familienbetriebe sind unverschuldet in diese Situation hineingeraten. Das ist hochgradig alarmierend. Keine Frage, dass man hier schnell und unbürokratisch helfen muss, um diese Familienbetriebe zu schützen. Das ist ja möglich; Sie haben es angesprochen. Die EU‑Kommission hat die Regeln für Staatshilfen aufgrund der Sanktionen gegen Russland gelockert. Die Bundesregierung darf den Unternehmen aus den Branchen Landwirtschaft, Fischerei und Fischzucht bis zu 35 000 Euro Hilfe geben, wenn es denn gewollt ist. Wenn Sie den Fischern jedoch nicht helfen wollen – das liegt in Ihrer Hand, meine Damen und Herren der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen –, dann müssen Sie mit Ihrem Gewissen klarkommen, dass Sie Familienbetriebe zu Hunderten oder Tausenden zerstört haben, aber nicht nur das. Das wäre die Zerstörung eines wichtigen kulturellen Erbes. Sie müssen dann auch den deutschen Bürgern erklären, warum der einheimische Fisch demnächst nicht mehr in den Auslagen vorhanden sein wird. Die Verluste einheimischer Produktion können nicht einfach durch Zukäufe am Weltmarkt ausgeglichen werden, ({2}) weil man sonst den armen Ländern, die teilweise jetzt schon unter Getreidenot leiden müssen, auch noch den letzten Fisch zum Essen wegkauft. Aber das ist den meisten hier egal; die gucken nur aufs Eigene. Für uns von der AfD steht ganz klar fest, dass die Fischerei ein Kulturgut und ein wichtiger Bestandteil unserer deutschen Heimat ist. Die vielen fleißigen Fischerfamilien benötigen deshalb dringend unsere Unterstützung. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Danke, Herr Präsident, dass ich überziehen durfte. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

So bin ich. Vielen Dank, Herr Protschka. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Zoe Mayer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Zoe Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Meeresfischerei befindet sich in einer Krise, aber offen gesagt nicht erst seit den steigenden Spritpreisen und nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. Die Probleme sind viel tiefgehender. ({0}) Deswegen macht es auch Sinn, dass wir uns heute nicht nur mit der Kurzfristperspektive, wie im Antrag der Union beschrieben, beschäftigen, sondern auch mal den Blick auf das Große und Ganze richten. Die zentralen Probleme, die wir bei der Fischerei haben – das sind zum einen die fehlende Nachhaltigkeit und zum anderen eine globale Wettbewerbssituation –, führen dazu, dass die Fischereibetriebe zu wenig Einkommen haben und unsere Umwelt und die Tiere leiden. Unsere Meere befinden sich in einem katastrophalen Zustand. Wir haben mittlerweile ganze Todeszonen vor den Küsten Deutschlands. Laut EU-Kommission sind mittlerweile bis zu 88 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände überfischt. Das ist alarmierend. Deswegen wird es wirklich höchste Zeit für eine Zukunftskommission Fischerei, die sich damit beschäftigt, wie wir die Fischerei und die Aquakulturen in Deutschland nachhaltig aufstellen können. ({1}) Ich möchte heute einen Aspekt ansprechen, der in Debatten zur Fischerei fast immer zu kurz kommt. Das ist der Tierschutz. Fische sind leidensfähige Lebewesen, und sie haben unseren Schutz verdient. Laut Tierschutz-Schlachtverordnung gilt die Betäubungspflicht vor dem Töten auch für Fische. Für die Meeresfischerei gibt es aufgrund der hohen Mengen Ausnahmeregelungen. Das heißt übersetzt: Ökonomische Gründe führen dazu, dass Tierleid akzeptiert wird. Und das steht im großen Gegensatz zu den Grundprinzipien unseres Tierschutzgesetzes. Ersticken, Erdrücken und eine Weiterverarbeitung von Fischen bei vollem Bewusstsein sind qualvolle Praktiken, die wir in einer fortschrittlichen Gesellschaft auch mal hinterfragen müssen. ({2}) Der allererste Schritt, den wir gehen müssen auf dem Weg zu mehr Tierschutz, auf dem Weg zur Reduzierung von qualvollem Beifang, ist die Abschaffung der Grundschleppnetzfischerei. Das ist ein Punkt, den unsere Regierung mit auf den Weg bringen muss. Dazu wird ein Konzept erarbeitet werden; das ist schon im Koalitionsvertrag formuliert. Natürlich müssen wir auch unseren Konsum hinterfragen; das ist immer wichtig beim Konsum tierischer Produkte. Aber wir müssen auch bei der Aufklärung unterstützen. Wie das Prinzip der Transparenz gelebt und umgesetzt werden kann, das zeigt unsere Regierung zum Beispiel bei dem Vorhaben, eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung in der Landwirtschaft und eine Herkunftskennzeichnung einzuführen. Das ist eine Grundidee, die wir in der Zukunft vielleicht auf die Fischerei übertragen sollten für mehr Verbraucher/-innenschutz. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Mayer. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Latendorf, Fraktion Die Linke. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die angesprochenen Probleme der Fischerei – wir hörten es gerade – sind real. Sie sind drängend. Darum haben wir schon am Mittwoch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hier im Bundestag genau zu diesem Punkt debattiert. Nach dem hier vorgelegten Antrag der Unionsfraktion zur Fischerei sieht es fast so aus, als hätten Sie nunmehr, wo Sie in der Opposition sitzen, Ihr Herz für die sozialen Belange der Fischereibeschäftigten entdeckt. Aber warum erst jetzt und nicht, als Sie in der Regierung waren? ({0}) Die deutsche Fischerei leidet ja nicht erst seit dem Anstieg der Energiepreise. In meinem Bundesland, in Mecklenburg-Vorpommern – und ich bin jetzt die dritte Rednerin aus Mecklenburg-Vorpommern –, hat sich zum Beispiel der Verband der Küstenfischer schon 2021 aufgelöst, da viele Fischer aufgeben mussten. In den letzten 30 Jahren haben 87 Prozent der Fischer von Mecklenburg-Vorpommern ihre Tätigkeit aufgegeben. Die meisten Küstenfischer arbeiten inzwischen nur noch im Nebenerwerb, weil der Fisch im Netz nicht mehr zum Leben reicht. Was ist der Grund? Vordergründig ist es so, weil aufgrund der niedrigen Fangquoten der wirtschaftliche Betrieb immer schwieriger wurde. Hilfen zur Abfederung wurden aber nicht bereitgestellt. Ich möchte betonen: Es geht mir nicht um die Erhöhung der Fangquoten. Die Quoten sollen ja gerade die Bestände schützen, und den Schutz brauchen wir. Man muss doch generell fragen: Warum sind die Bestände überhaupt so bedroht, dass Quoten nötig sind? Meine Damen und Herren, die Ursachen sind bekannt: eine Meereserwärmung, die so schnell erfolgt, dass sich keine Art anpassen kann, Verschmutzungen und Einträge aus Landwirtschaft, Industrie und Zivilisation, die die Lebensräume zerstören, und eine Überfischung durch die industrielle Fischerei, die eine Reproduktion nicht mehr möglich macht. Die Ursachen hat das Thünen-Institut für Ostseefischerei bezüglich verschiedener Fischbestände in der Ostsee benannt und deutlich gemacht. Ich empfehle Ihnen mal ein Gespräch. ({1}) Die Umwelt leidet, Arten sterben aus, und das nicht, weil die Küstenfischer zu viel fischen, sondern aufgrund industriellen Raubbaus an unserer Natur. Das gilt für die Landwirtschaft wie auch für die Fischereiwirtschaft. Die Union – entschuldigen Sie – versucht nun wieder einmal, sich als Partei der kleinen Fischereiunternehmer darzustellen, und wieder mal gehen wir ihr nicht ins Netz. ({2}) Die großen industriellen Fangflotten leiden gerade deutlich weniger als kleine Fischerbetriebe, und trotzdem nehmen sie die geforderten Energiepreissenkungen natürlich an, um die ohnehin schon höhere Marge weiter zu maximieren. Dem Küstenfischer in Wismar oder Emden ist nur geholfen, wenn sich die Bestände nachhaltig erholen. Hierfür ist ein Umbau der Fischereiwirtschaft notwendig, weg vom industriellen Fang, bei dem der Beifang immer um ein Vielfaches größer ist, hin zur kleinen Küstenfischerei. ({3}) Im zuständigen Ausschuss wurde uns ja gerade von der Staatssekretärin berichtet: Es gibt Programme für Soforthilfen und Kredite. Der Beihilferahmen von 10 Millionen Euro ist angemeldet. Aber das gilt nicht für den Nebenerwerb. Das muss geändert werden. ({4}) Denn ohne Hilfen wird es den Traditionsfischer in Stahlbrode an der Ostsee oder auch in Büsum oder Meldorf an der Nordsee bald nicht mehr geben. Lassen Sie uns im Ausschuss darüber reden. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Karlheinz Busen, FDP-Fraktion. ({0})

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen der Union! Ich glaube, dass Ihr Antrag nicht so recht mit Herzblut verbunden ist, wenn ich sehe, wie viele Leute aus Ihrer Fraktion anwesend sind. ({0}) Das Problem ist ja auch nicht neu. Der deutschen Fischerei geht es schon seit Jahren schlecht. Sicher, Sie haben vollkommen recht, dass die Fischerei in Deutschland dazu beiträgt, unsere Ernährung mit Fisch zu sichern. Aber der Krieg zeigt uns in aller Deutlichkeit – das ist mit Tod und Leid nicht zu vergleichen –, wie sich die gesamte wirtschaftliche Lage in Europa und bei uns verändert hat. Es ist absolut nicht so, dass die Bundesregierung gar nichts macht. Das dürfte auch Ihnen nicht entgangen sein. Die Bundesregierung hat die Energiesteuer auf Benzin und Diesel massiv gesenkt. Das BMEL hat bereits einen hohen siebenstelligen Betrag für die Fischerei bei Bundesfinanzminister Lindner angemeldet. Die EU-Kommission hat Hilfszahlungen von bis zu 35 000 Euro bereits genehmigt, und das Thünen-Institut erarbeitet einen Vorschlag für schnelle Hilfen für die Seefischerei. Das sind Dinge, die wir aktiv betreiben. ({1}) Aber es gab mal eine Vorgängerregierung, die erhebliche Auflagen, Bürokratie usw. geschaffen hat, was der Fischerei weder an der Nord- noch an der Ostsee geholfen hat. ({2}) Kurzfristige Maßnahmen sind dringend notwendig – das wissen wir –, damit nicht auch noch der letzte Fischer Insolvenz anmelden muss. Die Maßnahmen, die wir von der Bundesregierung auf den Weg gebracht haben, sind gut und richtig. Wir setzen uns ganz stark für den Erhalt der Fischerei an unseren Küsten ein. So steht es auf dem Papier des Koalitionsvertrages, und das werden wir umsetzen. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Ich bin gerade von dem Kollegen Schriftführer der Unionsfraktion darauf hingewiesen worden, dass zwar nur 4 Prozent des Personals der Union anwesend sind, aber dafür 80 Prozent der Kompetenz in diesem Bereich. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Fisch ist ein wesentlicher und gesunder Bestandteil unserer Ernährung. Er liefert wertvolles Eiweiß, er liefert Omega-3-Fettsäuren und sollte ein- bis zweimal wöchentlich auf dem Speiseplan stehen. Was auf der einen Seite für uns alle eine gute Ernährung bedeutet, das ist auf der anderen Seite die wirtschaftliche Existenzgrundlage unserer Fischereibetriebe. Durch den massiven Preisanstieg bei Kraftstoffen ist die Fischerei unverschuldet in große Not geraten. Aktuell machen die Energiekosten bis zu 80 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Also, 80 Prozent des Umsatzes der Fischerei muss für Kraftstoff aufgewendet werden. Zuvor waren es 20 Prozent. Erträge oder Gewinne lassen sich so einfach nicht mehr erzielen. Die Folgen sehen wir bereits – sie wurden auch schon angesprochen –: In den letzten Wochen haben viele Fischereibetriebe Insolvenz angemeldet, und eine weitere große Pleitewelle steht uns unmittelbar bevor. Menschen verlieren ihren Beruf, sie verlieren ihr Einkommen, sie stehen mit ihren Familien vor dem wirtschaftlichen Aus. Wer noch Rücklagen hatte, hat diese längst aufgebraucht. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass die EU-Kommission zügig gehandelt hat. Kurzfristig sind direkte Beihilfezahlungen von bis zu 35 000 Euro möglich und darüber hinaus mittelfristig eine Stillliegeprämie von bis zu 30 000 Euro in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Nun aber muss auch der Bund entsprechend handeln und Gelder für existenzbedrohte Fischereibetriebe bereitstellen. Mittlerweile hat das BMEL dem Bundesfinanzministerium gegenüber einen Bedarf von rund 10 Millionen Euro angemeldet. Das nehmen wir sehr positiv zur Kenntnis, Frau Staatssekretärin. Die Bewilligung dieser Mittel steht aber noch aus. Ich hoffe sehr, dass der Fischerei diese Mittel kurzfristig zur Verfügung gestellt werden und dass man sich bei dem Thema jetzt nicht versteckt und sagt: „Der Markt wird es schon richten; irgendwie wird das schon gut gehen“, oder: „Wir brauchen jetzt langfristige Lösungen.“ Die Themen, die Sie vorgetragen haben, Frau Kassautzki, Frau Mayer, sind wichtig; darüber können wir auch reden. Aber das löst nicht die aktuelle Krise. Wenn wir warten, bis diese Themen geklärt sind, dann brauchen wir keine Lösung mehr, weil es dann diese Betriebe nicht mehr gibt. ({0}) Bevor diese Gelder von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung an die Betriebe ausgezahlt werden können, muss erst noch eine entsprechende Förderrichtlinie erstellt und ein Antragsverfahren vorbereitet werden. Ich glaube, ich spreche im Namen aller deutschen Fischereibetriebe: Wir hoffen, dass das Bundeskabinett am 27. April zumindest positiv über die Förderrichtlinie entscheiden wird. Das ist reichlich spät; denn – auch das wurde schon gesagt – erst nach massivem Druck aus der Fischerei und auch aus der Unionsfraktion arbeitet die Bundesregierung an diesem Hilfsprogramm. Andere Länder wie Frankreich, Belgien oder die Niederlande haben bereits flexibel reagiert und sofort wirksame Hilfen an ihre Fischer ausgezahlt. Wenn wir das nicht machen, wenn wir das nicht hinbekommen, dann findet die Fischerei irgendwo anders statt und dann haben wir keinen Einfluss mehr auf die Bedingungen, beispielsweise auf den Tierschutz. Lebensgrundlagen stehen auf dem Spiel. Aus diesem Grund sollte Mitte des Jahres überprüft werden, ob die einmalige Zahlung von 35 000 Euro pro Betrieb ausreicht oder ob nachgesteuert werden muss. Denn dann müssten weitere Hilfen aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds auf den Weg gebracht und auch national umgesetzt werden. Ich teile die Einschätzung der Bundesregierung, dass wir in Europa eine nachhaltige, eine zukunftsfähige Fischerei brauchen, die nicht zulasten der Fischbestände oder der Umwelt gehen darf. Aber unsere traditionelle und kleinteilige Küstenfischerei muss Teil davon bleiben; sonst gehen die niederländischen Kutter, die eben finanziell unterstützt werden, in deutsche Gewässer und unsere Fischer nicht. Deshalb bitte ich darum: Unterstützen Sie unseren Antrag! Helfen Sie den deutschen Fischern rasch und unbürokratisch! Die Weiße Flotte, sprich: die Touristenschifffahrt, mag vielleicht ein attraktiver Arbeitgeber für die Küstenschiffer sein, aber zur Ernährung trägt sie nicht bei. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Mittag, SPD-Fraktion. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich bin mir einigermaßen sicher, dass wir in der letzten Legislatur eine politische Lebensabschnittsgemeinschaft mit der Antragstellerin hatten. ({0}) Und ich bin mir auch sehr sicher, dass die Probleme der Fischerei dort ein ausdauerndes Thema waren: weniger Fische, Fischfangquoten, Preisverfall für Krabben, immer höher werdende laufende Kosten. Instandhaltung war schon da kaum möglich; meine Kollegin wies darauf hin. Und auch zu der Zeit war der Fisch, genau wie beschrieben, gesund und wichtig. Sie hätten doch da schon die Möglichkeit gehabt, zusammen mit der Landwirtschaftsministerin zukunftssichernde Konzepte zu erarbeiten und Maßnahmen zu finanzieren. Wie gerne hätten wir da zusammengearbeitet! Aber nichts war da. ({1}) Aber zum Antrag. „Schnelle und wirksame Hilfen“, das ist ja ein logischer Titel. Wer will denn schon langsame und unwirksame Hilfen? ({2}) Das ist leider sehr nichtssagend. ({3}) Energiekostenzuschüsse werden kommen; das ist am Mittwoch im Ausschuss schon dargelegt worden. Kleinbeihilfen, Liquiditätshilfen, Mehrkostenentschädigung werden geprüft, werden gezahlt, wurden im Haushalt, im Ergänzungshaushalt und über die EU-Beihilfemöglichkeit angemeldet; das ist auch schon dargelegt worden. Da wurde mir dann allerdings auch klar, warum hier am Freitagnachmittag dieser dünne Antrag, der mal eben kurz rausgehauen wurde, gegen die CETA-Debatte eingetauscht wurde. Die Ansage zu den Hilfen am Mittwoch war sogar noch sehr viel konkreter als die von Ihnen so schön empfundene Ankündigung des französischen Premiers in Ihrem Antrag. ({4}) – Für Sie, oder wie? ({5}) Soziale Absicherung? Immer gerne. Unterstützung der Kleinen und Großen Hochseefischerei wollten wir ja auch mit unterschiedlichen Maßnahmen in die letzten Haushalte hineinverhandeln. So gesehen, bleibt es für uns ein ewiges Rätsel, warum das bloß nicht geklappt hat. Das lag wahrscheinlich am damaligen auch so innovativen Verkehrsminister; denn dort waren haushalterisch Teilbereiche angesiedelt. Es ist und bleibt ein Rätsel. ({6}) Und wenn Ihnen nichts mehr einfällt, dann wird stillgelegt. Offenbar wird dann auch das Problem stillgelegt. Sie schlagen dies für alle Haupterwerbsbetriebe vor. Dabei, so schreiben Sie anfangs, sichern Fischer doch unsere Ernährung und Versorgung mit Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren. Importieren wir dann also mehr Fisch, oder wie? Dabei wollen wir doch unsere eigene Versorgung eher ausbauen, zumindest sichern und insbesondere regional gestalten. Das lehren uns doch alle Krisen und Kriege in diesen Zeiten, und das fordern Sie doch auch immer. ({7}) Zu guter Letzt – das geht immer als Forderung; wenn nichts mehr geht: bürokratische Hürden – sprechen Sie davon, dass es gilt, „bürokratische Hürden auszuräumen“ – gute Sache! – für „schnelle Ausführung von gewollten Maßnahmen“. Den Satz muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Es steht aber gar nicht drin, welche. Was immer das ist, es bleibt ein Rätsel. Der schwache Antrag ist offenbar der Schnelligkeit geschuldet. Das kann ich auch nachvollziehen. Aber die unstrittig absolut erforderlichen Hilfen – meine Kollegin hat die alle aufgeführt, kurz-, mittel- und langfristig, und nicht mal eben so am Nachmittag zusammengeschrieben – kommen nicht aufgrund dieser hilflosen Aufzählung zustande, sondern weil das Ministerium und wir als Koalition das Thema schon die ganze Zeit bearbeiten und jetzt auch in die Umsetzung kommen. Danke schön. ({8})

Karl Bär (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005017, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich selber komme vom Alpenrand und rede jetzt über Küstenfischerei. Das liegt daran, dass meine liebe Kollegin Christina-Johanne Schröder Corona hat und zu Hause bleiben musste, aber auch daran, dass wir in dieser Koalition den Anspruch haben, dass wir Politik für die Menschen im ganzen Land machen. Das gilt explizit auch für die aus Bayern. ({0}) Wir lassen die Fischer und Fischerinnen, denen gerade wegen der hohen Energiepreise die Existenzgrundlage wegbricht, nicht im Regen stehen. Die EU-Kommission hat einen Rahmen für die Unterstützung der Wirtschaft gegen die Folgen des Kriegs in der Ukraine gesetzt. Die Regierung, insbesondere das BMEL, arbeitet daran, diesen Rahmen und auch den Krisenmechanismus im Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds und die Hilfen aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds zu nutzen, um die Fischer/-innen zu unterstützen. Die Regierung tut was – Karlheinz Busen hat das gerade im Detail ausgeführt; ich gehe deswegen etwas schnell über dieses Thema –, aber das reicht nicht aus. Wir können nicht einfach Geld zur Überbrückung einer akuten Krise zur Verfügung stellen, ohne über eine andere Krise zu reden, die langfristiger und schlimmer ist. Es ist ganz einfach: Ohne Fisch gibt es keine Fischerei. Niemand kann auf Dauer mehr aus dem Meer herausholen, als nachwächst, und das tun wir in den Meeren rund um Europa seit zu langer Zeit. In der Ostsee hat das schon dazu geführt, dass die Bestände von Heringen und Dorschen – auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Eutrophierung; das muss man dazusagen – zusammengebrochen sind. Das sind gerade die Bestände, die in der Vergangenheit die Fischer und Fischerinnen dort ernährt haben. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Fangquoten an wissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten. Das bedeutet konkret, dass weniger gefangen werden muss. Wir haben außerdem die Mittel für den Meeresschutz bereits im Haushalt 2022 angehoben, und wir generieren zusätzliches Geld für Meeresschutz und für die Unterstützung der Fischerei über die am Mittwoch beschlossenen Reformen betreffend den Ausbau der erneuerbaren Energien. Bei den Ausschreibungen von nicht voruntersuchten Flächen für Offshorewindkraft kommen 20 Prozent dem Meeresschutz und 10 Prozent der Fischerei zugute. Die Ampel handelt, und wir führen unterschiedliche Dinge zusammen, so wie sich das gehört. ({1}) Der Antrag der Union hingegen weist auf ein Problem hin – da haben Sie recht –, das die Regierung lösen sollte. Aber wir können den Antrag mit gutem Gewissen ablehnen, weil die Regierung das Problem schon kennt ({2}) und entsprechend handelt und weil sie viel weiter denkt, als in diesem Antrag vorgeschlagen. ({3}) Der Antrag ignoriert sogar, dass die Situation in der Ostsee verglichen mit der in der Nordsee völlig unterschiedlich ist. ({4}) Den Unterschied kennen wir Grünen sogar vom Alpenrand aus. ({5}) – Ja, und die SPD sowieso. – Der Antrag ignoriert auch, dass die Fischerei in Zukunft anders aussehen wird als bisher. Für uns ist klar: Der Schutz der natürlichen Ressourcen und ihre Nutzung sind keine Gegensätze; vielmehr ist das eine Voraussetzung des anderen. Wir kommen hier nur gemeinsam weiter. Als letzter Redner in dieser Sitzungswoche muss ich sagen: Dass wir nur gemeinsam weiterkommen, gilt auch für dieses Haus. Ich fand es in dieser Debatte ganz schön. Ich hätte mir das auch bei anderen Debatten gewünscht. Ich wünsche allen ein schönes Wochenende und frohe Osterfeiertage. ({6})