Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein gestern wurden über 200 000 Neuinfektionen gemeldet, knapp 2 500 Menschen kamen wegen und mit Covid ins Krankenhaus, 340 Menschen sind daran gestorben. Das ist immer noch sehr und viel zu viel; aber es scheint trotz alledem aufwärtszugehen.
Darum geht es heute aber nicht. Es geht nicht um das, was ist, sondern um das, was mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im nächsten Herbst und Winter sein wird und wofür wir heute Vorsorge treffen wollen – Vorsorge dafür, wenn wir wieder steigende Infektionszahlen haben, und dafür, wenn die alten wiederkommen oder es neue Virusvarianten geben kann. Wir werden im Herbst wieder vor der gleichen Herausforderung wie letzten Herbst stehen. Das Virus wird nicht einfach verschwinden. Und wir wollen Vorsorge betreiben, das Gesundheitssystem, die kritische Infrastruktur, vor allem aber die Gesundheit der Menschen zu schützen.
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Entweder wir haben dann die Impflücke weitestgehend mit unserer Beratungs- und Impfpflicht geschlossen – dann werden wir eine Grundimmunisierung in der Bevölkerung, die einen weitestgehend normalen Umgang mit dem Virus zulässt, haben; dafür sind wir –, oder die Impflücke wird nicht geschlossen, und wir haben weiterhin viele Millionen Menschen, die keine vollständige Grundimmunisierung mit drei Viruskontakten haben, und müssen dann wieder Maßnahmen ergreifen: Masken, Abstand, Kontaktbeschränkungen bis hin zu Schließungen – je nach Schwere des Virus. Auch dafür, lieber diese Freiheitseinschränkungen in Kauf zu nehmen, kann man sich entscheiden. Oder wir lassen es laufen – mit allen Konsequenzen: Kranke, Tote, Überlastung des Gesundheitssystems, der kritischen Infrastruktur.
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Und was mit Long Covid in Gänze auf uns zukommt, das wissen wir noch gar nicht. Auch dafür kann man sich entscheiden. Ich rate nur, dann besser nicht krank zu werden und keinen Unfall zu haben.
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Darauf will ich hinaus: Man kann sich nicht gegen etwas entscheiden, ohne sich für etwas anderes zu entscheiden. Man trägt hier also immer für das eine oder andere die Verantwortung. Und wenn man an der einen oder anderen Stelle, liebe Union, andere Vorstellungen oder Ideen hat – sei es eine Beratungspflicht, sei es eine Altersgrenze, seien es Datengrundlagen, seien es Entscheidungsmechanismen, ein Impfregister –, dann gibt es in einer Demokratie das bewährte Verfahren der Verhandlung und des Kompromisses. Diesen Kompromiss haben wir mit Andrew Ullmann und seiner Gruppe gefunden, und der sieht wie folgt aus:
Erstens. Wir geben der Beratung, der Aufklärung und der direkten Ansprache eine Chance und führen eine Beratungsnachweispflicht für alle ab 18 ein.
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Das kann ab sofort geschehen, und wir werden dafür werben und die entsprechenden Möglichkeiten schaffen.
Zweitens. Wir sorgen für den Herbst vor: mit einer Impfpflicht für die über 60‑Jährigen. Damit schützen wir das Gesundheitssystem und schließen die Impflücke vor allem bei der besonders vulnerablen Gruppe.
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Drittens. Wir sorgen perspektivisch für eine große, hohe Grundimmunität aller Erwachsenen als Voraussetzung für ein normales gesellschaftliches Leben: entweder dadurch, dass die Beratung und Aufklärung wirkt mit dem Schwerpunkt zunächst auf den über 60‑Jährigen und einem Bericht dazu Ende Mai. Wenn das nicht wirkt, dann bleibt es bei der Impfpflicht mit Kontrollen ab und Nachweiserbringung bis Herbst.
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Frau Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion der AfD?
Nein.
Nein.
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Und dann im Herbst mit einer Entscheidung für die 18- bis 59‑Jährigen auf Grundlage eines Berichts über Impflücke, Virusmutation, erwartbares Infektionsgeschehen usw., sodass es dann in einer schwierigen Situation eine Impfpflicht auch für die über 18‑Jährigen mit einfachem Beschluss geben kann und wir über eine breite Immunisierung – wenn auch etwas später – aus der dann schwierigen pandemischen Lage herauskommen werden.
Noch ein grundsätzlicher Satz zum Abschluss. Putins Krieg gegen die Ukraine wird weitere Folgen haben. Die Menschen in unserem Land, unsere Wirtschaft – der Erhalt von Arbeitsplätzen –, unser Sozialstaat werden vor große Herausforderungen gestellt. Wir haben heute die Chance, im Herbst nicht auch noch mit den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zurechtkommen zu müssen. Darum bitte ich um Ihre Zustimmung.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe: Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention von dem Kollegen Ehrhorn.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, ich bin 63 Jahre alt. Ich bin zweimal geimpft worden, und ich hatte vor zwei Wochen eine Coronaerkrankung: Zwei Tage Fieber, das war es. Die Behauptung, diese Impfung würde in irgendeiner Weise vor der Erkrankung schützen, ist damit nachweislich falsch.
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Bedauerlicherweise habe ich auch mehrere Mitglieder meiner Familie mit dem Virus angesteckt. Die Behauptung, die Impfung würde in irgendeiner Weise vor der Ansteckung anderer Menschen schützen, ist damit ebenfalls nachweislich falsch.
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Das Einzige, was klar und beweisbar ist, ist, dass eine Impfung, wenn sie dann durchgeführt wird, im allerbesten Falle für drei Monate eine Schutzwirkung entfaltet – wenn es überhaupt eine Schutzwirkung gibt –, und dann ist es damit vorbei.
Das macht das Ganze in höchstem Maße absurd. Denn was heißt es, wenn diese Zwangsimpfung von Ihnen durchgesetzt wird? Das heißt, dass ich, selbst wenn ich mich noch einmal impfen lassen würde, also zum dritten Mal, dann noch eine vierte, eine fünfte, eine sechste Impfung benötigen würde. Niemand auf der Welt – nicht der Gesundheitsminister, nicht der Kanzler und auch Sie nicht – kann mir in irgendeiner Weise eine Aussage dazu geben, was das mit meinem Körper machen würde.
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Klar ist nur eins: dass es gegebenenfalls sehr schwere Nebenwirkungen geben kann, die möglicherweise viel schlimmer sind, als die Coronaerkrankung mit zwei Tagen Fieber jemals sein könnte.
Vielen Dank.
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Frau Schmidt, möchten Sie erwidern?
Mit großer Freude. – Zunächst kann ich dem Kollegen sagen: Sie haben Ihre Impfpflicht erfüllt.
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Mit zwei Impfungen und einmal genesen haben Sie alles das, was wir in unser Gesetz geschrieben haben, erreicht. Ich sehe, es geht Ihnen gut – das freut mich.
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Unsere Impfpflicht bezieht sich entweder auf drei Impfungen oder auf zwei Impfungen und eine Genesung. Das schützt zwar nicht davor, dass man sich nicht noch mal anstecken kann, aber es schützt davor, dass man schwer erkrankt oder daran stirbt.
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Damit kommen wir in eine Lage, die in der gesamten Gesellschaft für eine hohe Grundimmunisierung sorgt. Dann brauchen wir keine Maßnahmen mehr, sondern wir können anfangen, einen normalen Umgang mit diesem Virus zu pflegen. Es ist unser zutiefst gehegter Wunsch, dass wir endlich davon loskommen, mit diesem Virus umgehen zu müssen, indem wir andere Freiheitsbeschränkungen auf uns nehmen.
Wir wollen es durch die Grundimmunisierung – durch drei Impfungen oder zwei Impfungen plus einmal genesen – schaffen, dass wir mit diesem Virus, wie mit anderen Viren auch, einen normalen Umgang in unserer Gesellschaft haben können. Ich würde mich freuen, wenn Sie nach Ihren eigenen Erfahrungen dem dann auch zustimmen könnten.
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Jetzt rufe ich den nächsten Redner auf: den Kollegen Tino Sorge für die Fraktion CDU/CSU.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Schmidt, ich muss sagen: Das, was Sie ausgeführt haben, kann ich nachvollziehen, zumindest teilweise.
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Ich finde es auch gut, dass Sie gesagt haben: Wir müssen im Rahmen der Diskussion über eine Impfpflicht – ob pro oder kontra oder wie auch immer – wieder einen normalen Umgang miteinander pflegen. – Das teilen wir als Unionsfraktion.
Deshalb finde ich es gut, dass Sie, auch wenn wir jetzt auf den letzten Metern sind, sagen: Wir hätten in diesem Hause aus der Mitte, aus der Mehrheit des Parlaments heraus eine Mehrheit finden müssen.
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Darum darf ich hier noch einmal für unseren Antrag, für unseren Kompromissvorschlag aus Unionssicht werben.
Sie haben gerade dargestellt, dass wir für die Pandemiebekämpfung im Herbst Vorsorge treffen müssen. Wir haben deshalb als Union einen ausgewogenen Vorschlag unterbreitet, indem wir sagen: Man kann bei der Frage „Impfpflicht – ja oder nein?“ nicht sofort und pauschal entscheiden. Das ist wie bei der Frage: Sind Sie/bist du für die Ehe – ja oder nein? Da kann man nur sagen: Es kommt darauf an: Es muss die richtige Frau da sein. Es muss der richtige Zeitpunkt sein. Und es müssen die Umstände passen.
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Wir reden hier über eine Impfpflicht zu einem Zeitpunkt, in dem wir glücklicherweise sinkende Inzidenzzahlen haben, wo momentan in den Krankenhäusern glücklicherweise keine Überlastungssituation herrscht und wo wir überhaupt nicht wissen, welche Variante im Herbst grassiert. Wir wissen nicht, ob die Impfstoffe im Herbst dann so gut funktionieren, wie sie funktionieren sollten.
Deshalb haben wir als Union gesagt: Lasst uns doch zuallererst eine belastbare Datengrundlage schaffen; Stichwort „Impfregister“. Ich finde es gut, dass Sie diesbezüglich jetzt auch sagen: Wir müssen das machen. – Aber es ist natürlich kein Kompromissvorschlag, wenn Sie in den Gesprächen sagen: Wir sind bereit, das zu machen, aber eben irgendwann. – Das wäre der erste Schritt.
Deshalb sagen wir erstens: Wir wollen ein Impfregister, damit wir überhaupt erst mal wissen, wie denn der Immunstatus in der Bevölkerung aussieht. Zweitens sagen wir: Wir müssen Vorsorge für den Herbst treffen. – Diese Vorsorge beinhaltet auch, lieber Herr Kollege Gesundheitsminister, dass wir die Impfinfrastruktur vorhalten. Da kann es nicht sein, dass Sie in allen Bereichen lockern, dass die Maskenpflicht aufgehoben wird, dass Sie sich aus der Finanzierung der Impfzentren der Länder zurückziehen wollen und hier gleichzeitig mit Macht eine Impfpflicht auf Vorrat, möglichst ab 18, durch die Hintertür durchziehen wollen. Das halten wir für den falschen Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Herr Sorge, gestatten eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Sehr gerne, Frau Kollegin.
Sie haben das Wort.
Vielen Dank für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Können Sie mir bitte erläutern, wie es gehen soll, mitten in eine neue Welle hinein – die im Herbst hoffentlich nicht kommt, die aber nach Expertenmeinung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit doch kommt – dann eine Impfkampagne zu starten, die noch Erfolg haben soll?
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Alle Experten sagen: Wir müssen Vorsorge treffen. Wir müssen jetzt handeln, vor einer neuen Welle. Wenn die Welle erst mal wieder ansteigt, ist es einfach zu spät.
Können Sie uns das bitte noch mal erklären, wie das funktionieren soll?
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege, für die Frage. – Das gibt mir die Möglichkeit, noch mal ein paar Dinge richtigzustellen. Wenn Sie hier sagen, alle Experten würden das so sehen, dann ist das nicht richtig. Wir haben immer gesagt: Wir müssen Vorsorge treffen. – Das heißt natürlich nicht, dass wir jetzt pauschal eine Impfpflicht für alle Menschen beschließen, wobei Sie in den letzten Tagen von der Impfpflicht ab 18 zunächst auf die Impfpflicht ab 50 und jetzt ab 60 umgeschwenkt sind.
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Gleichzeitig aber sagen Sie, alle müssten sich zwingend beraten lassen. Das wäre nicht nur bürokratisch irrsinnig, sondern das wird auch von den kommunalen Spitzenverbänden und von den Kassen abgelehnt.
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Nein, es geht darum, Vorsorge zu treffen. Wenn wir wissen, dass im Herbst möglicherweise eine Welle auf uns zukommt, dann ist es doch umso wichtiger, jetzt diesen Vorsorgemechanismus, den wir vorschlagen, in Gang zu setzen.
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Es geht doch genau darum! Wir können doch nicht sagen: „Wir nutzen ein Mittel, eine Impfpflicht, noch dazu für alle Personen“, wenn wir wissen, dass aufgrund glücklicherweise milderer Verläufe die Auswirkungen dieses Virus in den Alterskohorten komplett unterschiedlich sind.
Da müssen wir doch schauen. Wenn wir die Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden wollen und wir nach jetzigem Stand wissen, dass überdurchschnittlich häufig Ältere, wenn sie schwere Verläufe haben, auf die Intensivstation kommen, können wir doch jetzt nicht pauschal sagen: Wir zwingen alle, sich beraten zu lassen, und wir lassen, unabhängig von der im Herbst geltenden Variante, jetzt alle impfen, obwohl wir wissen, dass das gar kein geeignetes Mittel ist.
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Lieber Herr Kollege, ich will Ihnen noch mal ganz deutlich sagen: Es irritiert mich seit Wochen, dass wir bei der Frage der Eingriffe immer so lapidar darüber hinweggehen, sagen: Na ja, es ist eben ein Grundrechtseingriff. – Wir reden hier über Abwägung von Grundrechten. Wir reden über Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, lieber Herr Kollege!
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Das sage ich auch ganz offen in Richtung Bundeskanzler und in Richtung Bundesgesundheitsminister: Ich hätte erwartet, dass bei dieser sensiblen Frage einer Impfpflicht und eines Eingriffs in die Grundrechte eine Güterabwägung stattgefunden hätte und die Argumentation dazu deutlicher gemacht worden wäre. Darüber muss in der Mitte des Parlaments gesprochen werden.
Da kann man nicht sagen: Wir nutzen ein Mittel, nämlich die Impfpflicht pauschal für alle, in dem Wissen, dass es irgendwas bringt. – Ja, Impfen schützt, Impfen schützt individuell vor schweren Verläufen, aber eine pauschale Impfpflicht führt eben nicht dazu, dass wir mögliche Überlastungssituationen verhindern, die wir momentan gar nicht haben. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Stimmen Sie für unseren Antrag! Das ist doch der Kompromiss, der in der Mitte liegt.
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Wir haben die Position: Impfpflicht ab 18. Wir haben diejenigen, die sagen: Wir brauchen gar keine Impfpflicht. – Und wir als Union haben gesagt: Lasst uns doch die Vorsorgemaßnahmen treffen, wenn tatsächlich dieser Fall eintreten sollte. Wobei auch Wissenschaftler sagen, dass überhaupt noch nicht bewiesen ist, ob tatsächlich im Herbst eine gefährlichere Variante kommt. Aber, wie gesagt: Lasst uns Vorsorge treffen! Und dann müssen wir doch die Impfzentren haben.
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Wir müssen doch in dem Moment wissen: Gibt es diese Variante? Haben wir Impfstoffe? Da können wir auch hier im Parlament in kürzester Zeit entscheiden, aber eben nicht jetzt auf Vorrat und in dem Wissen, dass es nicht das mildeste Mittel ist. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werbe ich inständig: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
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Jetzt haben wir ja in den letzten Tagen, quasi auf den letzten Metern, die Frage gehört, warum die Union da nicht kompromissbereit sei. Also, ich kann Ihnen nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben vor Wochen einen Kompromiss auf den Tisch gelegt. Sie können doch nicht ernsthaft erwarten,
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wenn Sie es in der eigenen Ampelkoalition nicht hinbekommen, eine Mehrheit für dieses Thema zu bekommen, dass wir diese Arbeit bei uns in der Unionsfraktion machen – wo es auch ein breites Meinungsspektrum gibt –, wenn dieser Kompromissvorschlag von Ihnen nicht mal ansatzweise diskutiert wird.
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Dann erwarte ich von Ihnen auch, dass Sie ernsthaft auf uns zugehen und nicht lapidar sagen: Na ja, wir machen eine Impfpflicht jetzt erst ab 18, dann ab 50, jetzt ab 60, aber sofort, und ein Impfregister irgendwann mal.
Insofern auch für diejenigen, die hier noch unentschlossen sind: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle: Es ist ein sehr komplexes Thema. Wir haben alle individuelle Betroffenheit,
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wir haben eine Meinung. Wir haben uns alle eine Meinung dazu gebildet. Wir wissen, wie hochpolarisierend dieses Thema in der Gesellschaft diskutiert wird. Deshalb ist es doch an uns, mit einem ausgewogenen Kompromiss, mit Augenmaß die Voraussetzungen zu schaffen, dass im Herbst diese Welle eben nicht kommt oder bekämpft werden kann.
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Und dafür ist unser Vorschlag ein wirklich tragfähiger Kompromissvorschlag.
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Wir strecken Ihnen die Hand entgegen. Ergreifen Sie diese Hand! Stimmen Sie unserem Kompromissvorschlag zu! Dann werden wir auch für den Herbst gut gewappnet sein.
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In diesem Sinne: Danke für Ihre Unterstützung, und vielen, vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist das, was wir in den Debatten immer gesagt haben, ich habe es in einer Debatte gesagt: Wir sollten uns die Tür zur Versöhnung offen halten, liebe Kolleginnen und Kollegen, egal wie unterschiedlich die Meinungen sein mögen.
Wir haben als Union einen Vorschlag unterbreitet. Wir strecken Ihnen die Hand aus. Stimmen Sie diesem Vorschlag zu! Dann werden wir für den Herbst gut gewappnet sein, können die Debatte befrieden und die Polarisierung aus der Gesellschaft nehmen.
Vielen herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Grundgesetz hat den Zweck, die Freiheitsrechte der Bürger zu garantieren. Unter diesen wichtigen und grundlegenden Rechten ragt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hervor. Das ist unsere letzte Verteidigungslinie.
({0})
Wenn eine Regierung sich anmaßt, dieses höchste Recht nach Belieben umzubiegen, dann brauchen wir keinen Verfassungsschutz mehr, um zu sagen, dass diese Regierung verfassungsfeindlich handelt.
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Die Impfpflicht ist nicht nur radikal verfassungsfeindlich; sie ist eine totalitäre Anmaßung, eine Entwürdigung des Individuums.
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Der einzig argumentative Krüppel für die Impfpflicht ist eine Art kollektive Notwehr: Weil du mich angeblich mit deinem Körper gefährdest, hast du das Recht verwirkt, über diesen frei entscheiden zu dürfen. Ich zwinge dich daher zu deinem Glück. – Eine furchteinflößende Sichtweise!
({3})
Ab wann stellt der menschliche Körper denn keine Gefahr mehr dar? Nach der dritten, nach der vierten, nach der fünften Impfung? Wer entscheidet das? Und wer gibt dem Staat das Recht, uns zu unserem angeblichen Glück zu zwingen? Weil die Befürworter klüger sind als der Rest?
Ausgerechnet die erste Berufsgruppe, die von der freiheitsfeindlichen Impfpflicht betroffen ist, sind Ärzte, Krankenpfleger, Altenpfleger, die im Übrigen in Scharen ihren Job kündigen, also diejenigen, die das größte Wissen haben. Es geht also nicht um Wissen, um das Abwägen von Rechtsgütern, sondern um die Lust an der uneingeschränkten Verfügungsgewalt. Schon der Lockdown war eine Politik vorbei am Faktischen. Nach unserer Freiheit ist jetzt unser Körper an der Reihe.
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Die mRNA-Vakzine sind keine konventionellen Impfstoffe, sondern ein Quantensprung in der Wissenschaft.
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Keiner dieser Wirkstoffe hat eine reguläre Zulassung. Das in millionenteuren Werbekampagnen als „Piks“ zu verballhornen, ist eine Infantilisierung der Bürger, die einer rechtlichen Entmündigung vorweggreift.
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Berechtigten Bedenken wird nicht argumentativ, sondern pseudomoralisch begegnet. Der einzig rational nachvollziehbare Grund für eine Impfpflicht sind die Millionen Impfdosen, auf denen Professor Lauterbach sitzen bleibt.
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Das aber sind die Probleme eines überforderten Gesundheitsministers, nicht unsere.
Die Regierung trifft Entscheidungen ohne zuverlässige Datengrundlagen. Es gibt keine belastbaren Zahlen zum Impfstatus, zu Nebenwirkungen oder zu Hospitalisierungsraten. Hinzu kommt, dass mittlerweile sogar doppelt Geimpfte in der Statistik als ungeimpft gelten, wenn ihre letzte Impfung ein halbes Jahr zurückliegt. Ein Impfstatus für ein halbes Jahr – da gibt selbst die Regierung zu, dass die Impfung nichts taugt.
({8})
Zahlenchaos auch bei der Erfassung von Impfnebenwirkungen: Es mehren sich die Zeichen – und ich möchte, dass Sie das hier ernst nehmen – für eine dramatische Untererfassung von gravierenden Gesundheitsschäden durch die neuartigen mRNA-Vakzine.
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Diese Fälle sind keinesfalls selten. Die Universitätsklinik Marburg eröffnete eigens eine Spezialambulanz, die überläuft. Dort gibt es Wartelisten von über 800 Patienten, Hunderte E‑Mails am Tag.
Das unwürdige Impfpflichtgeschacher der Ampel ist deshalb nicht nur blamabel. Es ist verantwortungslos.
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Sie wollen mit Ihrem Impfpflichtgesetz das Gesundheitsministerium ermächtigen, jede Gesetzesänderung ohne Abstimmung im Bundestag durchzuführen. Die Impfpflicht ab 60 dient Ihnen lediglich als trojanisches Pferd. Sie ist in Wirklichkeit die Impfpflicht für alle. Verlogener geht es nicht.
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Nächster Redner ist Wolfgang Kubicki für die Gruppe „Kubicki und andere“.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich schwer, nach einem solchen Debattenbeitrag darauf nicht einzugehen, aber die Zeit erlaubt es mir leider nicht; denn ich bin auf drei Minuten begrenzt. Wir können das an anderer Stelle machen.
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Ich kann gut nachvollziehen, Herr Kollege Sorge, dass Emotionen bei diesem Thema hochgehen. Gleichzeitig müssen wir aber aufpassen, dass im Eifer des Gefechts nicht Argumente benutzt werden, die weniger auf Evidenz zurückzuführen sind als auf den unbedingten Willen, die eigene Position durchzusetzen. Abseits von politischen Bewertungsfragen müssen wir im parlamentarischen Prozess dafür sorgen, falsche Begründungen als solche zu identifizieren und als Argumente aus der Debatte herauszunehmen. Deshalb sollten wir mit Blick auf die Anhörung im Gesundheitsausschuss folgende Punkte festhalten:
Eine Herdenimmunität wird durch die Impfung nicht erreicht.
Eine deutlich gefährlichere Virusvariante im kommenden Herbst ist nicht das wahrscheinlichste Szenario.
Ungeimpfte sind nicht schuld daran, dass sich andere Menschen infizieren.
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Wir hatten keine Überlastung des Gesundheitssystems und werden voraussichtlich auch keine bekommen.
Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht mit einem nur bedingt zugelassenen Impfstoff ist verfassungsrechtlich ohnehin ein Problem.
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Impfungen dienen dem Selbstschutz und nicht dem Fremdschutz.
Wenn wir uns auf diese Punkte verständigen können, darf es aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Impfpflicht geben. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu zwingen.
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Dieses Haus hat eine Vorbildfunktion für die Debattenkultur in unserem Land. Deshalb darf es nicht darum gehen, am Ende einer Abstimmung als vermeintliche Sieger oder Verlierer dazustehen. Es muss uns darum gehen, am Ende die rechtlich und gesundheitspolitisch beste sowie die gesellschaftlich verträglichste Lösung gefunden zu haben.
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Hier können die Menschen erwarten, dass neue Erkenntnisse auch zu einer Revision der alten Positionen führen. Wenn die Delta-Variante viele in diesem Hause zum Umdenken in Sachen Impfpflicht gebracht hat, dann muss das Auftreten der milderen Omikron-Variante konsequenterweise ebenfalls zu einem Umdenken führen.
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Die Menschen können nachvollziehen, dass bei einer Verschärfung der Situation auch schärfere politische Maßnahmen gefordert werden. Wenn diese schärferen Maßnahmen aber auch gefordert werden, obwohl die Situation sich entspannt hat, dann stellt sich die Frage, ob es wirklich noch um eine sachgerechte politische Lösung
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oder eher darum geht, die politische Deutungshoheit zu behalten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ethikrat, auf den sich ja so viele immer wieder berufen – ich empfehle, die 161 Seiten der Veröffentlichung des Ethikrats mal zu lesen –, hat in dieser Woche eine bemerkenswerte Stellungnahme zur vergangenen und künftigen Auseinandersetzung mit der Coronapandemie abgegeben. Er formulierte unter anderem – ich zitiere –:
Wenn die von einer pandemisch auftretenden Infektionskrankheit ausgehenden gesundheitlichen Risiken durch Impfungen, Medikation, Immunisierung durch vorausgegangene Infektionen oder auch infolge der Verbreitung neuer Virusvarianten mit höherer Infektiosität, aber geringerer Pathogenität unterhalb dessen liegen, was die Gesellschaft im Hinblick auf andere Viruserkrankungen … hinzunehmen bereit ist, lassen sich schwerwiegende Freiheitseingriffe nicht mehr rechtfertigen.
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Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Deshalb ist eine allgemeine Impfpflicht, ob ab 18 oder 60, weder rechtlich noch gesellschaftspolitisch zu rechtfertigen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“ der Kollege Dr. Andrew Ullmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel unseres Gesetzentwurfes ist ganz klar: Wir wollen Vorsorge treffen. Wir wollen keinen dritten Coronawinter erleben, wie wir ihn letztes und vorletztes Jahr erlebt haben. Wir wollen endlich frei sein, wobei wir auch unser Gesundheitssystem schützen. Lieber Wolfgang, es geht hier nicht um Selbstschutz, sondern um Fremdschutz. Wir wollen unser Gesundheitssystem vor Überlastungen schützen. Das funktioniert nur mit einer guten Immunisierung.
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Meine Damen und Herren, wir stehen vor einem Entscheidungsdilemma. Eine Vorhersage, wie die Welle im Winter aussehen wird, können wir seriös nicht treffen. Wir wissen: Die Welle kommt. Aber die Qualität dieser Welle kennen wir nicht.
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Das ist ähnlich wie bei einer Wettervorhersage. Aber dass sie kommen wird, ist klar. Wir brauchen auch bessere Datengrundlagen, keine Frage. Diese werden wir auch bekommen. Wir werden uns darüber entsprechend berichten lassen. Aber was sollen wir jetzt machen, um den nächsten Winter nicht in einer Katastrophe enden zu lassen? Sollen wir nichts machen? Stand der Dinge heute ist das sicherlich eine Möglichkeit. Das wäre aber ein Pokerspiel. Wir haben es letztes Jahr bereits erlebt. Nichts zu machen, hat dazu geführt, dass wir wieder einen Coronawinter hatten, und den wollen wir nicht.
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Wir wollen auch nicht aus dem Bauch heraus irgendeine Entscheidung treffen, weil es sich gut anfühlt. Nein, wir wollen ein wissenschaftlich fundiertes Gegenmittel einbringen, und dieses Gegenmittel soll ganz klar bewirken, die Impflücke zu schließen; denn nur so kommen wir durch den nächsten Winter.
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Es stellt sich dann aber die Frage: Wie? Gut reden brachte bislang wenig. Impfpflicht, ja; dann müssen wir aber natürlich prüfen, inwieweit auch mildere Mittel möglich sind. Das ist eine professionelle ärztliche Aufklärung der Ungeimpften.
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Die Bürgerinnen und Bürger sind aufklärungswillig und auch vernünftig. So können wir unsere Impfquoten erhöhen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf aus unserer Gruppe hatte dies zum Inhalt. Aber wir waren die kleinste Gruppe. Wir hatten keine Mehrheit, und wir haben sie auch nicht. Wir haben wiederholt versucht, Kontakte herzustellen. Das hat leider nicht funktioniert. Aber die Mehrheit der Antragstellerinnen und Antragsteller unserer Gruppe wollte heute nicht mit leeren Händen dastehen. Wir waren kompromissbereit. Wir haben einen Kompromiss gesucht und sind auf die Gruppe der Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht zugegangen. Wir als Gruppe der Befürworter der Aufklärungspflicht haben einen Kompromiss gefunden. In Teilen ist er natürlich schmerzhaft, weil wir unsere Idee immer noch für die bessere halten. Aber wir können heute Nachmittag nicht ohne irgendetwas dastehen.
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Deswegen möchte ich der Verhandlungsgruppe und auch den Kolleginnen und Kollegen unserer ursprünglichen Gruppe Danke sagen.
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Herr Ullmann, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder ‑frage aus der AfD-Fraktion?
Das ist durchaus therapeutisch; dann kühlen sie sich runter. Ich lasse das mal zu.
Welcher Kollege von Ihnen beiden war es denn? – Sie haben das Wort.
Ich möchte Ihnen als 72‑Jähriger, der sich nicht hat impfen lassen und bis heute durch die sogenannte Pandemie gekommen ist, ohne groß irgendetwas zu haben, sagen: Ich hatte vor drei Wochen nicht für zwei, sondern für drei Tage diese Omikron-Variante, war dann wieder heile und konnte mich in Sachsen-Anhalt testen lassen, und die Sache war erledigt. Ich war nicht krank. Aber ich habe Leute gesehen, die nach der Impfung zitternd so dastanden, die wochenlang behandelt werden mussten. Nehmen Sie zur Kenntnis, wie viele Menschen es gibt, die vor dieser Impfung Angst haben, weil diese Impfung auch viele Menschen krank macht!
Es gibt Gutachten, die besagen, dass 0,4 Prozent der Leute, die geimpft werden – 0,4 Prozent! –, sogar mit dem Tode bedroht sind. Wie können Sie da überhaupt noch über eine allgemeine Impfpflicht, über einen solchen Grundrechtseingriff sprechen? Ich fordere Sie auf, davon Abstand zu nehmen und klipp und klar zu regeln, dass Deutschland ein freiheitliches Land ist, dass wir ein Rechtsstaat sind. Eine Krankenhausüberbelastung hat es überhaupt nicht gegeben.
Entschuldigen Sie bitte, dass ich so heftig werde; aber ich mache mir Sorgen. Die Impfung kann nämlich auch mich umbringen, wenn ich sie bekommen muss.
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Ich werde mich auf keinen Fall impfen lassen. Das sage ich Ihnen. Da zahle ich lieber ein Bußgeld. Schluss, aus! Hören Sie auf damit! Lassen Sie die Menschen in Freiheit leben!
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Kollege, bleiben Sie bitte stehen. – Danke.
Sie dürfen sich auch hinsetzen; denn Sie waren jetzt sehr erregt. Da ist das vielleicht besser.
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Ich finde, Sie haben einige wichtige Punkte eingebracht. Ich will mal konstruktiv an die Sache herangehen.
Sie haben Ihre eigene Beobachtung mit Ihrem Körper gemacht. So läuft klinische Wissenschaft leider nicht.
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Ich freue mich für Sie, dass Sie in Ihrem Alter, mit 72, eine Covid-Infektion so gut überstanden haben. Wir wissen – das gibt auch die Wissenschaft her –: 80 Prozent der Menschen haben einen sehr milden Verlauf. Und das ist auch gut so.
Man spielt durchaus Roulette oder Poker, wenn es darum geht, sich impfen zu lassen oder nicht. Aber eine Sache muss man klar sagen: Wir haben jetzt keine allgemeine Impfpflicht in unserem Kompromiss stehen, sondern eine Impfpflicht ab 60 mit Scharfstellung ab Oktober.
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– Darf ich mal zu Ende sprechen? Ich habe ihn ja auch ausreden lassen.
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Somit haben Sie und auch wir die Möglichkeit, zu sagen: Wenn die Coronakrise so weiterläuft wie bisher – auch die WHO sagt ja, es könnte milder werden, wir könnten einen endemischen Verlauf haben –, dann setzen wir die Impfpflicht wieder aus. – Wir sind doch hier im Bundestag da, um darüber zu entscheiden. Das ist doch kein Problem. Wir können das jederzeit entscheiden. Aber wir müssen uns vorbereiten, damit dieser Winter nicht zur Katastrophe wird.
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Einen Moment, ich bin noch nicht fertig. – Sie haben auch gesagt: Die Leute haben Angst vor der Impfung. – Das ist genau der Punkt. Die Leute, die Angst und Sorge vor der Impfung haben, nehme ich als Arzt sehr ernst. Sie müssen aufgeklärt werden, aber nicht durch irgendwelche Threema-Gruppen oder Facebook-Gruppen oder SMS, die man bekommt, oder durch Telegram-Gruppennachrichten von der AfD, sondern durch eine professionelle ärztliche Aufklärung.
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So funktioniert Medizin, und so kommen wir hier auch weiter. Aber einfach zu behaupten, dass die Impfung unsere Freiheit zerstört, ist wirklich zu kurz gesprungen und ein bisschen blind.
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In der Menschheitsgeschichte war es bisher immer so: Eine Pandemie endet dann, wenn eine Bevölkerung immunisiert ist. Die Immunisierung war in der Menschheitsgeschichte immer mit Tod und Krankheit verbunden. Wir haben jetzt erstmalig in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit, mit einer Impfung diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
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Aber Sie setzen auf Ihre Freiheit und sagen: Das ist meine Freiheit; ich halte nichts von gesellschaftlicher Verantwortung. – Wenn Sie von Freiheit sprechen, müssen Sie auch von qualitativer Freiheit sprechen, nicht von einer Sammlung irgendwelcher Freiheiten.
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In unserem Gesetzentwurf – und den biete ich jetzt an – steht tatsächlich die Aufklärungspflicht an erster Stelle. Ich bin sehr dankbar, dass die Gruppe uns da entgegengekommen ist. Die Impfpflicht sehen wir für die besonders vulnerablen Personen ab 60 Jahren vor, mit Scharfstellung im Oktober. Der Bundestag erhält regelmäßig wissenschaftliche Berichte über den Stand der Pandemie, global wie national, und hat somit auch die Möglichkeit der Aussetzung oder Erweiterung der Impfpflicht. Das ist Weitsicht. Mit Weitsicht kommen wir vor die Welle.
Liebe Unionskolleginnen und ‑kollegen, es gibt keine Blaupause in der Pandemiebekämpfung. Nur gemeinsam können wir diese Pandemie bekämpfen. Reißen Sie die Mauer des Parteistolzes ein, und lassen Sie Ihr Gewissen sprechen! Unser Gesetzentwurf ist ein Angebot an Sie alle.
Danke schön.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen heute darüber sprechen, wie wir unser Land und unser Gesundheitssystem auf die kommenden Monate vorbereiten. Ich muss ehrlich sagen: Es wäre schon wünschenswert gewesen, wenn die Debatte und das Verfahren in dieser wichtigen Frage anders gelaufen wären. Stattdessen ist ein gewisses Wirrwarr entstanden.
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Das Wirrwarr hat begonnen, als sich die Regierungsfraktionen in Gruppenanträge geflüchtet haben,
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statt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und mit einer Stimme einen tragfähigen Gesetzentwurf einzubringen.
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Dass Sie mit diesem Vorgehen nicht weiterkommen und die Gefahr besteht, dass Sie am Ende ohne eine Lösung dastehen, war von Beginn an absehbar und ein völlig falsches Signal.
Wo wir schon bei falschen Signalen sind, möchte ich auch einmal sagen, Herr Kollege Lauterbach, dass es aus meiner Sicht in der aktuellen Lage, während die Verhandlungen laufen, angebracht gewesen wäre, mit den Kollegen gemeinsam um einen mehrheitsfähigen Gesetzentwurf zu ringen, statt wieder bis spät in die Nacht bei „Markus Lanz“ zu sitzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als CDU/CSU waren nicht untätig. Anders als Sie haben wir vor Wochen ein der aktuellen Lage angemessenes Konzept vorgeschlagen. Hinter diesem steht unsere Fraktion, und von diesem sind wir überzeugt. Wo jedoch keine klare Linie erkennbar war, war bei Ihrem Lavieren in den letzten Tagen, das in der Sache schon unwürdig war.
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Aus den Vorschlägen einer Impfpflicht für über 50‑Jährige und einer Impfpflicht ab 18 ist jetzt der Vorschlag einer Impfpflicht ab 60 geworden. Wie dieses Rechenbeispiel noch zu vermitteln ist, weiß ich nicht, und wo da eine Güterabwägung stattgefunden haben soll, erschließt sich mir auch nicht.
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Wir lassen uns, lieber Herr Kollege Dr. Ullmann, auch nicht vorwerfen, dass wir nicht kompromissbereit waren oder dass wir allein aus parteitaktischen Gründen mit Ihrem Vorschlag nicht mitgehen.
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Nein, wir gehen aus guten Gründen nicht mit.
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Unser Antrag ist aus unserer Sicht der beste, weil er der einzige ist, der lage- und sachgerecht ist.
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Er bietet für alle künftigen Entwicklungen der Pandemie eine Antwort.
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Hier und heute eine Impfpflicht zu einem festen Datum zu beschließen, ist angesichts der aktuellen Lage verfrüht und unverhältnismäßig.
({10})
Wer mildere Mittel zur Pandemiebekämpfung wie die Maskenpflicht einfach auslaufen lässt, der kann heute parallel dazu keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff in Form einer Impfpflicht einführen.
({11})
Impfen ist zwar „nur“ ein Piks, aber es ist auch ein körperlicher Eingriff und eben nicht lapidar. Daher muss sorgfältig abgewogen werden, und das tun Sie nicht.
({12})
Damit hat sich die Ampel selbst in eine Sackgasse der Rechtsunsicherheit manövriert.
({13})
Impfen schützt, insbesondere vor schweren Verläufen; allerdings droht momentan keine Überlastung des Gesundheitssystems. Deshalb ist aus unserer Sicht aktuell keine Impfpflicht angezeigt. Aber wir müssen vorbereitet sein für den Fall, dass der Pandemieverlauf zum Beispiel wegen einer tödlicheren Variante eine Impfpflicht erforderlich macht. Deshalb müssen wir schon heute ein rechtssicheres Gesetz schaffen, das die Voraussetzungen für einen passgenauen Impfmechanismus der Zukunft sicherstellt. Das genau, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir mit unserem Antrag. Er enthält eben keine starre Impfpflicht auf Vorrat, die aufgrund der heute unklaren Pandemieentwicklung völlig ungeeignet ist.
({14})
Liebe Kollegin Warken, gestatten Sie, auch wenn Sie eigentlich nur noch drei Sekunden hätten, eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?
Gern.
Herr Rosemann.
Frau Kollegin Warken, erst mal vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Vielleicht können Sie ja die Frage beantworten, die der Kollege von Bündnis 90/Die Grünen vorher dem Herrn Sorge gestellt hat, die dieser aber überhaupt nicht beantworten konnte.
Sie sprechen von Vorsorge. Das passt zum Namen Ihres Kollegen, aber leider nicht zu Ihrem Antrag.
({0})
Erklären Sie doch mal, wie Sie die eigentlich sicherstellen wollen. Ihre Impfvorsorge soll eventuell greifen,
({1})
wenn die Krankenhäuser schon voll sind. Dann soll sie in Kraft treten, dann beginnt es.
({2})
Dann müssen die Bürgerinnen und Bürger drei Impfungen durchmachen, die ja mit einem gewissen Abstand durchgeführt werden müssen.
({3})
Erklären Sie doch mal, was an diesem Verfahren Vorsorge sein soll,
({4})
wenn es erst greift, also die Leute geimpft sind, wenn die Welle schon wieder rum ist.
({5})
Ich glaube, Herr Kollege, Sie müssen sich selbst die Frage stellen, ob Sie mit dem, was Sie hier vorschlagen, in der aktuellen Welle überhaupt irgendetwas bewirken können. Das zum einen.
({0})
Zum anderen kann ich nur noch mal betonen, dass Herr Kollege Sorge das schon dezidiert dargelegt hat und man den Antrag einfach auch mal lesen kann. Das würde, glaube ich, helfen, ihn zu verstehen.
({1})
Es hilft uns am Ende auch kein Gesetz, das von Karlsruhe wieder kassiert wird, weil es zum jetzigen Zeitpunkt unverhältnismäßig ist, weil der Grundrechtseingriff zum jetzigen Zeitpunkt eben nicht gerechtfertigt ist.
({2})
Sie haben sich ja zum Beispiel mit der Einführung eines Impfregisters ziemlich schwergetan, was aus unserer Sicht eine essenzielle Voraussetzung ist, um überhaupt eine Datenlage zu haben,
({3})
an der man ansetzen kann, auf deren Grundlage man die Menschen gezielt anschreiben kann. Da hilft nämlich keine Beratungspflicht für diejenigen Leute, die eh schon sagen: Ich lasse mich nicht impfen; da brauche ich auch keine Beratungspflicht.
({4})
Man muss aber gezielt Menschen anschreiben, auffordern, informieren. Deswegen haben wir auch gesagt, dass ein Impfregister wichtig ist. Sie haben sich da lange gesperrt und haben das aus Datenschutzgründen oder was auch immer abgelehnt. Aber man braucht solche Mechanismen, um vorbereitet zu sein. Und da sagen wir: Wir müssen uns vorbereiten, wir müssen besser vorbereitet sein. Deswegen unser Antrag, der jetzt schon die Weichen stellt, um, wenn es so weit ist, ein Gesetz zu haben, das dann auch rechtssicher ist. Ein Gesetz, das zwar jetzt verabschiedet wird, aber am Ende keine Wirkung entfalten kann, weil es von den Gerichten wieder kassiert wird, hilft uns, glaube ich, überhaupt nicht.
({5})
Ich darf aber abschließend, Frau Präsidentin, noch einmal sagen – der Kollege Sorge hat es schon betont –: Die Union bleibt gesprächsbereit. Lassen Sie uns doch gemeinsam versuchen, noch eine gute Lösung und einen guten Kompromiss für unser Land zu finden!
({6})
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“ ist der Kollege Dr. Janosch Dahmen.
({0})
Liebe Kollegin Warken, lieber Kollege Sorge, vielleicht lassen Sie mich mit einer Bemerkung vorab starten: Demokratie besteht nicht daraus, dass man einen wirkungslosen, halbfertigen Antrag in den Raum wirft, dann die Tür verschließt und nicht mehr ans Telefon geht. Demokratie besteht vielmehr daraus, einen Gesetzentwurf vorzulegen,
({0})
in Verhandlungen zu gehen und hier, im Parlament, Kompromisse zu schließen.
({1})
Das haben Sie in vier Monaten nicht hinbekommen.
Nach vier Monaten intensiver Debatte in der Gesellschaft und im Parlament zur Frage, ob es eine Impfpflicht als vorsorgendes Instrument aus der Pandemie geben soll, ist heute der Tag der Entscheidung. Ich lege mit vielen Abgeordneten aus den Oppositionsfraktionen und den Regierungsfraktionen einen funktionierenden Gesetzentwurf vor, der im Kern eine Impfpflicht ab 60 Jahren vorsieht, der wirksam ist, der rechtssicher ist und der vernünftig ist.
({2})
Als Arzt möchte ich Ihnen sagen – die Frage kam gerade auf –, dass die Altersgrenze keineswegs willkürlich, sondern mit Bedacht und medizinscher Evidenz gewählt ist. Zwischen 50 und 60 Jahren steigt das Risiko für einen schweren Verlauf noch einmal extrem an. Das heißt, eine Impfpflicht ab 60 Jahren erfüllt zwei Ziele: Zum einen schützt sie die besonders gefährdeten Menschen, zum anderen schützt sie unser Gesundheitssystem vor neuerlicher Überlastung und uns alle vor einem weiteren Pandemieherbst und ‑winter. Deshalb verdient dieser Gesetzentwurf Ihre Stimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Die Pandemie ist eine von mehreren Simultankrisen, mit denen wir in unserer Zeit aktuell konfrontiert sind. Die beste Krisenpolitik ist Krisenprävention. Nach zwei Jahren Pandemie, nach Flutkatastrophe, nach Energieabhängigkeit von einem russischen Diktator möchte ich mir nicht vorwerfen lassen, in der Gesundheitspolitik keine Vorsorge getroffen zu haben.
({4})
Vorsorge heißt, dafür zu sorgen, dass die Pandemie im Herbst und Winter nicht wieder unser öffentliches Leben lahmlegt. Vorsorge heißt, heute zu handeln, um die Freiheit von morgen zu sichern.
({5})
Die Prävention in Form der Impfpflicht bringt uns raus aus dieser Pandemie.
({6})
Aus guten Gründen soll es bei dieser medizinethischen Frage keine Fraktionsdisziplin geben. Wenn ich nun aber höre, dass Unionsabgeordnete intern schriftlich aufgefordert werden, bei dem Vorschlag einer Impfpflicht ab 60 Jahren nicht mit Ja zu stimmen, dann habe ich den Eindruck, dass sich die Union bei einer besonderen Gewissensfrage besonders gewissenlos benimmt.
({7})
Neben dem Virus, das Menschenleben tötet, gibt es in der Politik offensichtlich ein Virus der Parteitaktik, und dieses Virus der Parteitaktik tötet das Vertrauen in demokratische Institutionen.
Wir alle in diesem Parlament haben eine gemeinsame Verantwortung für dieses Land gegenüber den Menschen, die nach vier Monaten mehrheitlich weiterhin eine Impfpflicht wollen. Wir haben die Verantwortung, jetzt Vorsorge für den Herbst zu treffen. Liebe Union, auch Sie stehen in der Verantwortung. Besinnen Sie sich darauf, und stimmen Sie für den vorliegenden Gesetzentwurf!
({8})
Nächster Redner: für die Fraktion der AfD Martin Sichert.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein echter Demokrat macht nach der Wahl, was er vor der Wahl versprochen hat.
({0})
Heute ist der Tag, an dem die Bürger sehen, welche Abgeordneten Demokraten sind. Vor der Bundestagswahl hat jede der im Bundestag vertretenen Parteien den Wählern versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird.
({1})
Jede einzelne hier vertretene Partei hat dieses Versprechen im Wahlkampf gegeben. Für uns von der AfD ist die Demokratie Grundlage unseres Handelns.
({2})
Als überzeugte Demokraten werden wir nach der Wahl halten, was wir vor der Wahl versprochen haben, indem wir geschlossen gegen eine Impfpflicht stimmen.
({3})
Es ist an der Zeit, all die Lügen zu beenden, auf denen die gesamte Coronapolitik fußt. Justizminister Buschmann log, als er sagte, dass zum 20. März alle Maßnahmen enden werden. Maßnahmen sind noch da.
({4})
Gesundheitsminister Lauterbach log, als er Ende Oktober sagte, dass es keinen Booster für alle brauche, und er drei Wochen später den Booster für alle forderte. Einfache Abgeordnete logen, wie Emilia Fester, als sie verkündete, dass sie nicht im Ausland war, obwohl sie Urlaub in Dänemark gemacht hat.
({5})
Aber wie kann man es dem Bundestagsküken zum Vorwurf machen, wenn selbst der Bundeskanzler lügt?
({6})
Olaf Scholz log, als er im Dezember erklärte, dass die Regierung nichts von schweren Nebenwirkungen der Impfung erfahren habe. Zu dem Zeitpunkt waren laut Bundesregierung knapp 30 000 Fälle schwerer Nebenwirkungen registriert. Das ist immerhin die Bevölkerung einer mittelgroßen Stadt.
({7})
Herr Scholz ist nicht da; er ist zu Beginn meiner Rede anscheinend geflüchtet. Aber ich denke, er schaut heimlich draußen am Fernseher zu. Herr Scholz, Sie haben den Bürgern vor der Bundestagswahl gesagt: Wir brauchen keine Impfpflicht. – Wollen Sie wirklich auch dieses Wahlversprechen brechen und als Lügenkanzler in die Geschichte eingehen?
({8})
Die nächste Lüge kam von Jens Spahn. Er sagte nämlich, die Impfung sei ordentlich zugelassen. Das ist die Impfung bis heute nicht. Es gibt nur eine bedingte Zulassung der EMA, die bis 2024 eine ordentliche Zulassung prüft.
({9})
Jeder, der ein Medikament nimmt, das nur bedingt zugelassen ist, nimmt an einem medizinischen Experiment teil.
({10})
Und ein medizinisches Experiment darf niemals verpflichtend sein.
({11})
Das besagen nicht nur die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die europäische Grundrechtecharta und das Grundgesetz; das sollte auch jeder Bundestagsabgeordnete aus der deutschen Geschichte gelernt haben.
({12})
Daher fordere ich Sie alle auf: Schließen Sie sich uns an! Zeigen Sie, dass Ihnen die Demokratie was wert ist, und stimmen Sie gegen die Impfpflicht!
({13})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, werde ich Sie, Kollege Sichert, für zwei Dinge rügen; denn es hat zwei persönliche Angriffe gegeben. Ich will das hier noch einmal erklären.
({0})
Sie haben zum einen die Kollegin Emilia Fester als Bundestagsküken bezeichnet.
({1})
– Sie mögen lachen. Das ist aber ein Angriff auf eine Person und eine despektierliche Äußerung. Dafür rüge ich Sie hier.
({2})
Das Zweite ist: Sie haben den Bundeskanzler in Person als Lügner bezeichnet.
({3})
Auch das ist ein Angriff auf die Person. Und auch dafür erteile ich Ihnen eine Rüge.
({4})
– Das diskutiere ich jetzt mit Ihnen nicht. – Das ist hiermit noch mal festgehalten.
Jetzt rufe ich den nächsten Redner auf: für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“ Dr. Karl Lauterbach.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Sehr viele hier im Haus zögern, ob eine Impfpflicht noch notwendig ist, weil die Omikron-Variante milder verläuft als frühere Varianten. Ich möchte dazu sagen: Omikron ist deshalb eine etwas mildere Variante, weil schon so viele Menschen geimpft sind.
({0})
Wenn sich alle so verhalten hätten, wie es hier zum Teil vorgetragen wird, und sich niemand hätte impfen lassen, dann hätten wir jetzt eine lupenreine Katastrophe und wären im völligen Lockdown. Das muss man verstehen.
({1})
Herr Kollege Kubicki, alle bisherigen Varianten sind von Experten nicht vorhergesagt worden. Sie haben uns aber eben vorgetragen, was im Herbst kommt. Seien Sie bescheidener. Ich schätze Sie. Ich gebe Ihnen Literatur, die zeigt: Es sind sehr gefährliche Varianten möglich. Wenn die Omikron-Variante zum Beispiel tiefer in die Lungenabschnitte vordringt – das sind nur fünf oder sechs Mutationen –, dann haben wir eine sehr ansteckende, sehr gefährliche Variante. Davor haben namhafte Kollegen Angst. Sie sollten nicht vortäuschen, Sie wüssten, dass das im Herbst nicht der Fall ist.
({2})
Herr Lauterbach, gestatten Sie eine Frage von der Kollegin Baum aus der AfD-Fraktion?
Nein.
({0})
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es im Oktober, selbst wenn die Omikron-Variante im Herbst zurückkäme – es käme keine andere, gefährlichere Variante; die Situation wäre genauso wie jetzt –, nach allem, was die Modelle hergeben, ungefähr 200 bis 300 Todesfälle pro Tag geben wird, wie jetzt. Wollen wir das als Gesellschaft wirklich akzeptieren?
({1})
Wollen wir uns daran gewöhnen, dass jeden Tag 200 oder 300 Menschen sterben? Und wollen wir uns erzählen lassen, dass einzelne Glück gehabt haben, während andere auf der Intensivstation liegen und um ihr Leben kämpfen? Das kann keine humane Gesellschaft für uns sein.
({2})
Wir haben es in der Hand. Ich appelliere noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen in der Union: Von Ihnen wird heute sehr viel abhängen. Sie können der Verantwortung nicht ausweichen, indem Sie sagen, Sie seien gesprächsbereit. Die Gespräche haben über Monate stattgefunden. Heute ist der Tag der Entscheidung.
({3})
Lassen Sie uns nicht im Stich, oder stehen Sie wenigstens zu dieser Verantwortung. Wenn Sie die Impfflicht nicht wollen, dann sagen Sie es. Es gibt Abgeordnete in diesem Parlament, von denen ich so gut wie nichts erwarte; sie sagen aber klar, was sie wollen. Seien Sie ehrlich: Wollen Sie die Impfflicht oder nicht? Wir brauchen heute Ihre staatstragende Unterstützung, um im Herbst anders dazustehen als jetzt.
({4})
Ich möchte zum Schluss die wichtigste Zahl nennen. Der Abgeordnete Janosch Dahmen, er ist Arzt, hat es angedeutet; ich sage es noch einmal, wir sind da einer Meinung. Die wichtigste Zahl heute ist 90 Prozent. Wenn wir die Impfflicht ab 60 einführen, dann verhindern wir 90 Prozent der Todesfälle, die wir mit einer Impfflicht ab 18 verhindert hätten.
({5})
Wir haben heute durch die Einführung einer Impfpflicht die Möglichkeit, 90 Prozent der Todesfälle zu vermeiden.
({6})
Nutzen wir bitte diese Gelegenheit.
({7})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention Frau Dr. Baum.
Vielen Dank. – Herr Lauterbach, ich bin 66 Jahre und habe bis heute mein Leben in Eigenverantwortung verbracht, privat wie wirtschaftlich. Ich bin zudem Zahnärztin und stehe jeden Tag in dem so genannten Spraynebel, in den Aerosolen, und habe bis heute diese zwei Jahre und drei Monate ohne irgendeine Infektion verbracht, weil ich ein sehr gutes eigenes Immunsystem habe. Wer gibt Ihnen nun das Recht, mich nach einem so langen, erfolgreichen Leben zu entmündigen?
({0})
Wer gibt Ihnen das Recht? Und wie können Sie das überhaupt mit Ihrem Gewissen vereinbaren, nachdem Sie heute wissen, wie viele schwere Nebenwirkungen und Todesfälle es durch diese Impfung gibt? Wie können Sie das überhaupt noch mit Ihrem Gewissen vereinbaren? Das frage ich alle anderen Abgeordneten auch. Wie können Sie es verantworten, wenn mir oder anderen Personen, die durch Ihren Zwang jetzt genötigt werden, sich diese Impfung verabreichen zu lassen, etwas passiert oder wenn sie sogar sterben? Das möchte ich gerne von Ihnen wissen.
Danke schön.
({1})
Herr Lauterbach, Sie möchten erwidern?
Ja, ganz kurz. – Ich muss ehrlich sagen: Ich finde es immer wieder bestürzend – zum Glück ist es selten –, wenn Kolleginnen und Kollegen aus der Medizin – wie gesagt: es sind wenige –
({0})
ihre Reputation als Ärzte nutzen, um etwas zu sagen, was von der gesamten Wissenschaft weltweit in Abrede gestellt wird.
({1})
Wir sind durch diese Krise gekommen, indem wir uns auf die Wissenschaft verlassen haben, indem wir Menschen vertraut haben, die vorangegangen sind. Und gerade wir Ärzte sollten uns zuerst impfen lassen, wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen; denn die Menschen vertrauen uns, und dieses Vertrauen sollten wir nicht ausnutzen.
({2})
Nächster Redner für die Gruppe „Kubicki und andere“ ist Max Lucks.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus den demokratischen Fraktionen dieses Hauses!
({0})
– Ja, oh. Sie können Ihre Lügen hier wider besseres Wissen verbreiten. Sie werden nicht verhindern können, dass die demokratischen Abgeordneten heute in Respekt voreinander in dieser sehr schwierigen Gewissensentscheidung eine Entscheidung treffen.
({1})
Ich halte es für erforderlich, die Impflücke zu schließen; aber ich komme nach Abwägung zu der Entscheidung, gegen eine Impfpflicht zu sein.
({2})
Ich komme dazu, weil mir meine Erfahrung als Freund und Verwandter in dieser Pandemie, der in seinem Umfeld um die Impfung einer jeden einzelnen Person gekämpft hat, zeigt, dass es nur dann funktioniert, wenn man den Druck rausnimmt.
({3})
Ich halte die Erklärungen, dass eine Impfpflicht zur Schließung der Impflücke führt, nicht für plausibel; denn eine Pflicht baut normativen Druck auf. Ich halte diesen normativen Druck für den falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Die Impfpflicht verspricht vielen Menschen ein Pandemieende per Gesetz; doch ich befürchte, dass sich dieses Versprechen nicht halten lassen wird. Stattdessen birgt sie rechtliche Gefahren. Ich mache mir Sorgen, dass der Ausschluss von Ordnungshaft Verfassungsbeschwerden nicht standhält und individuelle gesundheitliche Gründe durch das normative Raster fallen können. Die Umsetzung dieser Pflicht ist nicht sichergestellt, und ein nicht umsetzbares Gesetz bringt uns in der Pandemie nicht weiter.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Parlament und als Politikerinnen und Politiker in der Frage, wie wir Menschen vom Impfen überzeugen, in der Frage, wie wir die Gesellschaft zusammenhalten nach und in dieser Pandemie, so viel mehr Spielräume als nur Ordnungsrecht. Lassen Sie uns diese nutzen! Lassen Sie uns die Impfpflicht zu den Akten legen!
Danke schön.
({6})
Nächste Rednerin für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“ ist die Kollegin Dr. Paula Piechotta.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir treffen heute diese schwierige Entscheidung vor dem Hintergrund zweier ziemlich einfacher Wahrheiten. Eine Wahrheit ist: Niemand von uns kann wirklich vorhersagen, wie sich Corona in diesem Herbst darstellen wird, auch der Gesundheitsminister nicht. – Das ist komplett richtig. Die andere Wahrheit ist: Wir haben den letzten und den vorletzten Coronaherbst verschlafen, wir waren nicht ordentlich vorbereitet, und wir haben deswegen auch die Interessen unserer Bevölkerung nicht ausreichend gut geschützt. – Das darf uns nicht noch einmal passieren, dafür werden wir alle in die Verantwortung genommen.
({0})
Aber wir sehen heute in dieser Debatte in kondensierter Form, an welchen Punkten auch im letzten und im vorletzten Jahr genau diese Vorsorge gescheitert ist. Im Sommer, im Frühling – jetzt gerade wieder –, wenn die Coronapandemie nicht das wichtigste Thema ist, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nicht komplett auf dieses Thema gerichtet ist, da wird zerredet, da wird Parteitaktik vorgeschoben, da wird darauf vertröstet, dass man noch Zeit hat bis zum Herbst. Und dann ist es wieder zu spät.
Deswegen: Schauen wir uns an, was bei dem Versuch, diese Fehler nicht zum dritten Mal in Folge zu machen, heute hier auf dem Tisch liegt. Ich lasse den Stuss von rechts beiseite und lasse auch das impfpolitische Bermudadreieck um Herrn Kubicki, Frau Wagenknecht und Herrn Gysi beiseite. Ich finde, darauf muss man jetzt keine Zeit verschwenden.
({1})
Schauen wir uns den Unionsantrag an. Der Unionsantrag sagt: gestufter Impfmechanismus. Was steht in unserem Gesetzentwurf? Erst einmal eine Impfpflicht ab 60; diese kann ausgesetzt werden – im Sommer, im Herbst, wenn sie nicht gebraucht wird –, sie kann aber auch zugeschaltet werden. Das ist gestuft. Die Union möchte ein Impfregister. Das Impfregister, Frau Warken, steht bei uns im Gesetzentwurf.
({2})
Die Union möchte auf der Basis von wissenschaftlichen Daten auch zu den neuen Varianten entscheiden. Das steht bei uns als wissenschaftlicher Bericht für den Herbst genau mit drin. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Ihrem Antrag und unserem Gesetzentwurf sind so klein; sie erlauben keine Nichtzustimmung von Ihnen.
({3})
Diese minimalen Unterschiede müssen Sie gerade sprachlich so aufplustern, geradezu zu Klippen erklären, an denen Sie sich hochziehen können, damit Sie die Nichtzustimmung irgendwie begründen können.
Herr Frei versucht mit seinem Brief Ihre Kollegen, Herr Merz – Sie waren nicht dabei; die meisten haben aber 16 Jahre regiert –, dazu zu bringen, den Impuls zu unterdrücken, zuzustimmen, damit etwas herauskommt. Ich übersetze das einmal: Sie bitten Ihre Fraktion, den Impuls zu unterdrücken, konstruktiv zu sein.
({4})
Das ist die DNA der Union. Sie wollen hier der Ampel eins mitgeben – das kann ich verstehen –; aber Sie geben nicht der Ampel eins mit, sondern Sie geben dem ganzen Land eins mit. Sie geben Ihren Leuten in den Ländern und in den Kommunen eins mit. Hendrik Wüst, Klaus Holetschek und auch Daniel Günther, sie alle haben in den letzten Tagen noch einmal gesagt, dass es die Impfplicht braucht.
Natürlich können wir jetzt mit Ihnen noch einmal eine Runde drehen; wir können noch einmal über Kompromisse bei der Impfpflicht sprechen. Aber die Zeit läuft davon. Wenn wir in den letzten zwei Jahren irgendetwas gelernt haben, dann ist es, dass man nicht unendlich viel Zeit hat, wenn man im Herbst vorbereitet sein will.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion?
Ich gestatte die Zwischenfrage.
Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie tun so, als gäbe es hier keinen Unterschied und als wäre die Union schuld, dass es nicht zu einer Zustimmung kommt. Ich nehme an, dass sie keine Juristin sind, sondern Ärztin und vom Herzen und aus der Motivation des Helfens argumentieren.
({0})
Leider müssen wir uns aber in diesem Rechtsstaat an die Verfassung halten. Ist Ihnen bewusst, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen der Einführung einer Pflicht, bei der man sagt, sie sei nicht verfassungswidrig, aber wenn man sie nicht braucht, setzt man sie wieder aus, und einer Regelung, die besagt: „Wir haben die Voraussetzungen noch nicht, bereiten uns aber vor, damit, wenn die Voraussetzungen vorliegen, durch einen erneuten Parlamentsbeschluss eine Impfpflicht eingeführt werden kann“? Das sind verfassungsrechtlich betrachtet Dimensionen! Ich betone: Dimensionen!
({1})
Es ist unglaublich! Ist Ihnen dieser Unterschied überhaupt bewusst? Unser Bundesverfassungsgericht würde dafür sorgen, dass all diese Gesetze nichtig wären. Tun Sie nicht so, als wäre das Verfassungsrecht völlig irrelevant. Es geht um Grundrechtseingriffe.
({2})
Vielen Dank für die Frage. – Ich entschuldige mich, wenn der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde das Verfassungsrecht ignorieren. Das tue ich keinesfalls. Wir haben in den letzten Monaten ausführlichst auch mit diversen Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtlern gesprochen. Alle haben gesagt: Letztendlich ist alles, was heute hier zur Abstimmung vorliegt, in irgendeiner Form vor dem Verfassungsgericht argumentierbar.
({0})
Das ist eine politische Entscheidung. Sie können jetzt hier nicht das Verfassungsrecht vorschieben.
({1})
Sie müssen wissen: Auch Sie wurden im letzten Herbst von vielen Menschen gewählt – gerade Ihre Partei –, auch von vielen älteren Menschen, die darauf vertrauen, dass, wenn sie im Herbst einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall haben,
({2})
alles dafür getan wurde, dass das Gesundheitssystem dann nicht überlastet ist und sie ordentlich versorgt werden können.
({3})
Daran werden auch Sie gemessen werden.
Deswegen noch einmal – damit komme ich auch zum Ende –: Das ist eine Entscheidung, bei der man nicht der Ampel eins mitgibt, bei der man nicht der SPD oder Herrn Lauterbach eins mitgibt, sondern bei der man dem ganzen Land eins mitgibt, wenn man jetzt nicht das erkennt, was notwendig ist: Pragmatismus und Konstruktivität.
({4})
Genauso wie Professor Dr. Ullmann lasse ich mir als Ärztin gern vorwerfen, manchmal zu pragmatisch zu sein. Aber wenn ich mir die letzten zwei Coronajahre anschaue, dann muss ich sagen: Wir brauchen mehr Pragmatismus und nicht weniger.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer für die Fraktion CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grundsatz sind wir uns, glaube ich, einig:
({0})
Wir wollen die Pandemie besiegen. Jetzt geht es darum, was der richtige Weg ist. Wir haben heute die Möglichkeit, ein Vorsorgegesetz zu beschließen, das uns die Chance gibt, diesen Weg rechtlich und handwerklich gut vorzubereiten.
({1})
Ich mag es nicht, wenn man hier in die Glaskugel schaut. Keiner von uns hat die Gewissheit und weiß wirklich, was im kommenden Herbst und Winter geschehen wird. Unser Vorschlag bietet die Möglichkeit – das ist hier ein bisschen zu kurz gekommen – einer Evaluierung der Lage. Das ist fester Bestandteil unseres Vorschlags.
({2})
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir ständig über die Situation in den Krankenhäusern und über die Infektionslage informiert werden, dass wir ständig wissen, was Sache ist, um dann ordentlich entscheiden zu können.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte hier schon noch einmal auf Herrn Dr. Dahmen und auf Frau Dr. Piechotta eingehen. Sie werfen uns hier vor, wir wollten irgendjemandem eins mitgeben oder würden parteipolitisch handeln,
({4})
obwohl es eine Gewissensentscheidung ist.
Ich möchte Sie fragen: Wenn Sie diese Form der Gruppenanträge für richtig halten, warum machen Sie dann Gruppenanträge nicht auch bei anderen Sachen? Aus der Not heraus machen Sie Gruppenanträge, weil Sie sich nicht einig sind. Das ist doch die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({5})
Wenn wir dann noch über „Focus Online“ erfahren, dass Bundeskanzler Scholz Frau Baerbock auffordert, sie solle doch das NATO-Treffen früher verlassen, um zur Abstimmung über die Impfpflicht zu kommen, spricht das doch Bände, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({6})
Kollege Irlstorfer, ich habe aus der Fraktion der Grünen, aber auch aus der Fraktion Die Linke den Wunsch nach einer Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage gesehen.
({0})
Lassen Sie sie beide zu?
Selbstverständlich.
({0})
Dann würde ich zuerst dem Kollegen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort geben.
({0})
Vielen Dank. – Wir haben viel gemeinsam. Wir teilen uns einen Wahlkreis und auch die kommunalpolitische Erfahrung vor Ort. Was lernen wir daraus? Dass das Ziel im Fokus steht und dass wir gemeinsam an einer Sache arbeiten.
Wie bewerten Sie, dass der Impuls, den jeder Politiker und jede Politikerin hat, das Ziel über die Sache zu stellen, jetzt durch Ihre parlamentarische Geschäftsführung ausgebremst wird, indem gesagt wurde: „Auf keinen Fall dürft ihr euch konstruktiv am Prozess beteiligen und an einer Lösung dieser Dinge mitarbeiten“?
({0})
Herr Kollege Eckert, ich möchte hier ganz klarstellen – mein Vorredner, Herr Sorge, hat es auch noch einmal betont –, dass die Union jederzeit gesprächsbereit ist.
({0})
Aber dies muss natürlich schon von dem Willen getragen sein, das Richtige zu tun. Das ist notwendig, und das leitet uns.
({1})
Die zweite Zwischenfrage stellt die Kollegin Vogler aus der Fraktion Die Linke.
Lieber Kollege Irlstorfer, Sie haben hier die Regierungskoalition dafür kritisiert, dass sie dieses Anliegen in Gruppenanträgen behandelt. Das habe ich auch getan, weil ich der Ansicht bin, dass ein Gesetzentwurf für eine allgemeine Impfpflicht durchaus von der Bundesregierung hätte vorbereitet und vorgelegt werden können.
({0})
Aber das aus Ihrem Mund zu hören, kommt mir doch ein bisschen seltsam vor, war es doch gute gelebte Praxis der CDU/CSU-Fraktion in den letzten 16 Jahren, immer dann, wenn Sie sich selber nicht einig waren – zwischen der CSU und der CDU zum Beispiel – oder wenn Sie in der Fraktion unterschiedlicher Auffassung waren,
({1})
auch Gruppenantragsverfahren vorzusehen, zum Beispiel bei der Organspende. Daran kann ich mich noch gut erinnern; daran war ich auch beteiligt.
Also ich frage mich wirklich, welche Rolle die Union als größte Oppositionsfraktion hier in diesem Parlament einzunehmen gedenkt, wenn Sie die positiven Erfahrungen, die wir mit diesen Gruppenverfahren teilweise gemacht haben, jetzt, wo Sie in der Opposition sind und die Rolle der Oppositionsführerschaft annehmen, nun plötzlich nicht mehr ernst nehmen. Wenn ich dann lese, dass bei Ihnen in der Fraktion der Parlamentarische Geschäftsführer angeordnet hat: „Falls unser Antrag keine Mehrheit findet“ – jetzt zitiere ich –, „sollte dem Impuls widerstanden werden, anderen Vorlagen zuzustimmen, nur damit es irgendein Ergebnis gibt“, frage ich mich doch: Wo ist denn da das Recht und die Pflicht der Abgeordneten, sich aus eigener Gewissensentscheidung auch eine eigene Meinung und Position zu erarbeiten?
({2})
Ich sage Ihnen ganz klar: In meiner Fraktion haben wir unterschiedliche Auffassungen. Wir haben diese unterschiedlichen Auffassungen zu den verschiedenen Vorlagen ausgetauscht, miteinander diskutiert, und wir werden hier heute frei entscheiden und frei abstimmen, jede und jeder nach ihrem Gewissen.
({3})
Das muss Ihnen doch körperliche Schmerzen bereiten, dass die Linksfraktion da demokratischer ist, als die CDU/CSU-Fraktion es jemals sein kann.
({4})
Frau Kollegin Vogler, ich kann Ihnen nur sagen: Körperliche Schmerzen bereitet mir aktuell Long Covid und nicht ein Verfahren hier oder sonst irgendetwas.
({0})
Ich kann Ihnen sagen, dass ich aufgrund dieser Tatsache weiterhin bestärkt werde, dass man richtig und vorsichtig handeln muss.
Ich kann Ihnen sagen: Was wir hier erleben, ist schon eine bizarre Situation. Sie werfen uns hier jetzt vor, dass wir uns abstimmen. Wir sind doch die einzige Fraktion gewesen, die in der Lage war, als Fraktion überhaupt einen Vorschlag zu erarbeiten.
({1})
Dass Sie uns das jetzt vorwerfen, finde ich seltsam; auf jeden Fall nehme ich es zur Kenntnis.
Ich kann Ihnen sagen: Ja, in der Vergangenheit haben auch wir von diesem Instrument Gebrauch gemacht.
({2})
Aber wenn Sie jetzt sagen, dass dies eine Gewissensentscheidung ist, dann frage ich mich: Was ist mit § 219a? Da haben Sie eine Mehrheit und nutzen dieses Instrument nicht.
({3})
Da ist es auf einmal keine Gewissensentscheidung.
Ich bedanke mich für Ihre Zwischenfrage und möchte mit meiner Rede fortfahren.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Das Thema liegt mir am Herzen. Die Situation ist so, dass wir diese Debatte heute führen. Wir führen sie zu spät, glaube ich.
({4})
Ich glaube auch, dass wir ein Impfregister benötigen; das ist wichtig, das ist notwendig. Wenn wir zu einem Ergebnis kommen würden, durch das eine Impfpflicht auf den Weg gebracht wird, dann würde ich mir wünschen, dass es dabei Ausfahrten gibt, Ausfahrten für Menschen, die körperliche Schäden haben. Wo ist denn hier eine Ausnahmeregelung? Wo sind denn hier die Ausnahmen für psychische Situationen?
({5})
Wo sind die Ausnahmen auch für das Thema Angst, meine sehr geehrten Damen und Herren?
({6})
Wir berücksichtigen hier verschiedene Gruppierungen von Menschen überhaupt gar nicht, zum Beispiel Menschen, die in der Familie jemanden mit einem Impfschaden haben und dadurch Angst haben, dass auch sie so etwas erleiden. Das wird nicht abgebildet. Das ist handwerklich nicht in Ordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({7})
Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass wir das Virus, das uns im Herbst und Winter vor eine neue Situation stellen könnte, noch nicht kennen,
({8})
und dass wir auch noch keinen entsprechenden Impfstoff haben, eben weil wir das Virus noch nicht kennen. Deshalb lassen Sie uns hier wirklich mit Weitblick und mit Augenmaß handeln. Wir wollen die Menschen schützen. Wir wollen vor allem Leben schützen. Das ist das, was uns leitet.
Vielen herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“ ist die Kollegin Katrin Helling-Plahr.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angst ist ein schlechter Ratgeber, erst recht für Politiker. Wir dürfen uns keine Angst machen lassen, nicht von Viruspessimisten und auch nicht von Coronaleugnern. Unsere Aufgabe ist es, die Situation kühl, klug und vorausschauend zu bewerten.
({0})
Sodann müssen wir eine Lösungsstrategie entwickeln und den Mut haben, für sie einzutreten.
Nach allem, was wir wissen, wird es im kommenden Herbst/Winter zu einer neuen Coronawelle kommen. Es entstehen ständig, auch in diesem Moment, neue Virusvarianten mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Wenn sich eine Variante durchsetzt, die gefährlicher als die jetzige ist, dann werden wir Weihnachten wieder vor einer Situation stehen, in der viele Menschen schwer erkranken, in der die Kliniken drohen überzulaufen. Dann werden Beschränkungen des Alltags wieder hochgefahren werden müssen. Es wird Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen von Gastronomie und Einzelhandel geben. Es kann sein, dass Bildung und Betreuung von Kindern wieder leiden. Menschen werden auf dringend notwendige Operationen warten müssen und vieles mehr.
Man kann vor diesem nicht unwahrscheinlichen Szenario nicht die Augen verschließen. Man kann sagen: Das ist okay für mich, ich lebe damit, lassen wir die Dinge laufen. – Dann braucht man unserem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Oder man kann sagen: Das Risiko will ich nicht eingehen. Nichtstun, das passt mir nicht. Ich traue mich, vorausschauend zu denken und zu handeln. – Dann stimmt man unserem Gesetzentwurf zu,
({1})
dem einzigen heute zur Abstimmung stehenden Konzept gegen einen weiteren Pandemiewinter. Das Konzept ist ein tragfähiger Kompromiss, das Ergebnis ehrlichen Ringens um die beste Lösung.
({2})
Mit einer vorgeschalteten verpflichtenden Beratung all jener, die sich noch nicht zur Impfung entscheiden konnten, räumen wir noch einmal mit Desinformationen und Fake News auf. Wir geben der individuellen Aufklärung eine Chance; denn Impfungen sind der beste individuelle Schutz vor den Folgen von Covid, vor schweren Krankheitsverläufen und Tod.
Mit dem frühzeitigen Beschluss einer Impfpflicht für Personen ab 60 Jahren beugen wir einer Überlastung des Gesundheitssystems wirksam vor. Darüber hinaus beobachten wir das Pandemiegeschehen, befassen uns als Parlament zu vordefinierten Zeitpunkten damit und stellen so sicher, dass wir stets auf dem Pfad der Verhältnismäßigkeit bleiben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Winter behaupten, man habe es nicht kommen sehen, kann dieses Jahr keiner mehr. Lassen Sie mich Ihnen deshalb abschließend mit Blick auf die Abstimmung gleich zurufen: Ducken Sie sich nicht weg, auch wenn es Gegenwind gibt! Denken Sie vorausschauend. Fassen Sie den Mut, Ihrem Gewissen zu folgen!
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin für die Gruppe „Kubicki und andere“ ist die Kollegin Dr. Sahra Wagenknecht.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Halten wir fest: Die Impfstoffe schützen nicht davor, sich und andere zu infizieren.
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Schwere Verläufe sind mit Omikron zum Glück so selten geworden, dass selbst trotz Rekordinzidenzen kein Krankenhaus überlastet war.
Wie gut die Impfung gegen künftige Mutationen schützt, weiß kein Mensch, und dann häufen sich auch noch Berichte über Nebenwirkungen und Impfschäden. Trotzdem halten Sie unbeirrt daran fest, den Menschen eine Impfpflicht aufzuzwingen, weil der Kanzler Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren muss, weil ein kopfloser Gesundheitsminister, der sich durch sein erratisches Agieren längst unmöglich gemacht hat,
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zumindest in diesem Punkt offenbar Handlungsfähigkeit zeigen und Gesicht wahren will? Die deutschen Geisterfahrer gegen den Rest der Welt, wo kein Mensch mehr über Impfpflichten nachdenkt und diskutiert – das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
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Deshalb meine Bitte: Hören Sie auf, die Menschen zu bevormunden! Die Coronaimpfung muss eine persönliche Entscheidung bleiben!
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Nächste Rednerin für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“: Franziska Mascheck.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was wir hier erleben, ist eine ganze Menge Selbstbefassung. Manche sind auch des Lesens nicht so richtig mächtig. Aber worum geht es denn ehrlicherweise? Die ganze Pandemie hat uns zwei Jahre lang eine ganze Menge abverlangt, besonders Familien, Kindern, Jugendlichen. Ich bin Mutter von vier Kindern, ich weiß, wie es ist, neben der Arbeit irgendwie noch Lehrerin zu sein, zwischen Familien- und Erwerbsarbeit zerrissen zu werden. Auch Ältere waren eingeschränkt, waren manchmal sehr einsam, Kranke konnten nicht ausreichend behandelt werden, Unternehmen mussten schließen, Menschen haben ihre Arbeit verloren.
Das gesellschaftliche Leben, Kunst und Kultur fanden nicht mehr statt. Zwei Jahre lang haben wir alle Abstand gehalten, Masken getragen, Kontakte minimiert. Das Motto war stets: Flatten the curve. Ich danke all den Pflegerinnen und Pflegern, Ärztinnen und Ärzten sowie allen Freiwilligen,
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die mit ihrem riesigen Einsatz – nicht nur in der ersten Phase der Pandemie, sondern bis heute – dafür gesorgt haben, dass unser Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Ohne die Maßnahmen hätten wir das alles nicht geschafft.
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Immer wieder Einschränkungen der Grundrechte und ausgebranntes Krankenhauspersonal – das muss doch jetzt vorbei sein, und das kann vorbei sein; denn wir haben die Mittel in der Hand.
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Wir haben fast alle die Möglichkeit, uns impfen zu lassen. Doch nicht alle nutzen diese Möglichkeit. Also sind wir heute hier und diskutieren über eine Impfpflicht. Ich danke unserem Gesundheitsminister Karl Lauterbach und unserem Bundeskanzler Olaf Scholz, dass sie diese so herausfordernde Frage in die Hände des Parlaments gelegt haben.
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– Lachen Sie nur! – Es ist – das geht an die Union – die Pflicht jeder und jedes einzelnen Abgeordneten, sach- und lösungsorientiert abzustimmen – und unabhängig vom Parteibuch. Es ist eine Gewissensentscheidung!
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Wir Abgeordneten haben diskutiert. Wir haben nicht nur miteinander diskutiert, sondern ganz besonders mit Bürgerinnen und Bürgern, und zwar sehr lebhaft zu sehr unterschiedlichen Interessen. Die Debatte hier im Parlament spiegelt das heute, glaube ich, ganz gut wider. Aber unsere Aufgabe als Abgeordnete ist es doch, all diese Interessen abzuwägen. Die Impfung ist ein wichtiger Schritt zu gewohnter Normalität. Gegen Covid-19 geimpfte Menschen haben nachweislich mildere Krankheitsverläufe oder erkranken vielleicht gar nicht mehr, und sie bewahren unser Gesundheitssystem vor einer Überlastung. Darum geht es!
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Sie schützen uns in allen Lebensbereichen vor starken Einschränkungen, die wir alle gemeinsam zwei Jahre lang getragen haben.
Doch auch die persönliche Freiheit ist ein hohes Gut, genauso wie das gesellschaftliche Miteinander und ein funktionierendes Gesundheitssystem, und zwar für alle, die es brauchen. Darum, genau darum enthält unser Gesetzentwurf eine Beratungs- oder Impfnachweispflicht für alle Bürgerinnen und Bürger ab 18. Auf Basis dieser Beratung kann man dann seine eigene Entscheidung für eine Impfung treffen.
Besonders vulnerable Gruppen aber, also Menschen ab 60, sind jedoch verpflichtet, einen Impfnachweis vorzuzeigen, und müssen dieser Pflicht bis zum Herbst nachkommen.
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Damit übernehmen sie Verantwortung und verhindern auch weitere Grundrechtseingriffe.
Das Virus ist da, das Virus wird bleiben. Lassen Sie uns heute für den Herbst vorsorgen! Stimmen Sie heute für unseren Gesetzentwurf!
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Sepp Müller.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele von uns eint das Ziel, dass wir im Herbst dieses Jahres keine Überlastung des Gesundheitssystems haben wollen. Ich appelliere insbesondere an diejenigen, die heute unentschlossen in diesem Parlament sitzen, insbesondere aus der Ampelkoalition, sich unserem Antrag anzuschließen.
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Unser Antrag bedeutet Vorsorge. Er sieht unter anderem drei Punkte vor. Wir möchten erstens ein Impfregister, um zu wissen, wer denn überhaupt in unserem Land geimpft ist.
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Wir wollen zweitens im Zusammenhang mit der Einführung dieses Impfregisters die Menschen anschreiben und darüber informieren, welche Möglichkeiten sie haben, sich impfen zu lassen. Drittens wollen wir die Möglichkeit schaffen, dass wir regelmäßig einen Bericht des Bundesgesundheitsministers hier im deutschen Parlament beraten. Wenn dieser Bericht ergeben sollte, dass eine tödlichere Variante kommt, die ansteckender ist, dann müssen wir natürlich eine Impfpflicht scharfschalten. Das ist Vorsorge, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bitte schließen Sie sich unserem Antrag an.
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Herr Müller, gestatten Sie eine Frage oder Zwischenbemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von Janosch Dahmen?
Ja.
Sie haben das Wort, Herr Dahmen.
Vielen Dank, Herr Kollege Müller, dass Sie die Frage zulassen. – Ich möchte Sie gerne fragen, ob Ihnen bewusst ist, dass es in unserem Land erforderlich ist, dass ein Gesetz beschlossen werden muss, damit Regeln gelten, und es nicht ausreicht, einen Antrag hier im Parlament zu beschließen. Das ist der erste Teil meiner Frage.
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Der zweite Teil meiner Frage: Ist Ihnen bewusst, dass die drei Wesensmerkmale Ihres Antrags, die Sie beschreiben – eine verbesserte Datengrundlage, ein regelmäßiger Bericht, eine Befassung des Bundestages, verbunden mit einem Mechanismus der Aktivierung weiterer Altersgruppen –, bereits Gegenstand eines Gesetzentwurfes sind, über den wir heute hier im Bundestag abstimmen?
Der dritte Teil meiner Frage: Wenn dem so sein sollte, was hindert Sie daran, diesen Wesensmerkmalen, die auch in Ihrem Antrag stehen, bis hin zum Alter von 60 Jahren, heute mit einer Unterstützung hier im Bundestag den Weg zu ebnen?
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Denn das Wesen von Vorsorge besteht ja darin, dass man vorsorgt und nicht erst dann handelt, wenn der Schaden eingetreten ist. Also, die Feuerwehrwache baut man nicht erst, wenn es brennt, sondern im Vorfeld, damit die Feuerwehr vorbereitet ist.
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Insofern: Warum treffen Sie heute nicht Vorsorge für den Herbst, indem Sie dem Gesetzesvorschlag zustimmen, der vorliegt und der mit Regeln dafür sorgt?
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Danke, Herr Dahmen, für Ihre Frage; denn sie gibt mir die Möglichkeit, noch einmal die Unterschiede klarzumachen. Sie haben nämlich nicht die wesentlichen Bestandteile unseres Antrags aufgezählt, sondern haben sich weiteren Gesprächen, die wir angeboten haben, verwehrt, haben auf die Tube gedrückt
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und diese Abstimmung heute hier im Deutschen Bundestag erzwungen.
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– Es wäre schön, wenn Sie mir, nachdem Sie mir eine Frage gestellt haben, bei der Beantwortung zuhören könnten.
Ich möchte Ihnen die beiden großen Unterschiede sagen. Sie möchten mit Ihrem Gesetz, in dem über Nacht die Altersgrenze von 18 Jahre auf 50 Jahre und dann auf 60 Jahre verändert wurde, eine Beratungspflicht einführen. Sie möchten diejenigen verpflichten, die noch nicht geimpft sind, sich beraten zu lassen. Während Ihre Ampelkoalition den Ländern die Finanzierung für die Impfzentren ab Mitte dieses Jahres streicht, wollen Sie, dass Ungeimpfte beraten werden sollen. Wo soll denn das geschehen?
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Da lautet Ihre Antwort – das haben Sie vorhin zugerufen –: bei Ärzten und Apothekern. Das kann man tun. Aber seien Sie dann doch so konsequent und zahlen Sie den Pflegebonus auch den Medizinischen Fachangestellten, die vor Ort gerade die Krankenhäuser vor Überlastung schützen.
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Sie wollen eine Beratungspflicht, die wir so nicht möchten, weil sie so nicht umsetzbar ist. Das sagen Ihnen nicht nur die Verantwortlichen der gesetzlichen Krankenversicherungen, sondern das sagen Ihnen auch alle kommunalen Spitzenverbände. Sie ist nicht umsetzbar. – Punkt Nummer eins.
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Punkt Nummer zwei. Sie möchten heute eine Impfpflicht für alle ab 60 Jahre beschließen und im zweiten Schritt dann eine für die 18- bis 59‑Jährigen. Das unterscheidet uns sehr stark. Wir sagen: Eine Impfpflicht ist zum jetzigen Zeitpunkt weder verhältnismäßig noch geeignet noch angemessen. Und ich sage Ihnen auch, warum.
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Wir sehen in der aktuellen Situation auf den Intensivstationen tatsächlich keine Überlastung durch Coronainfizierte. Wir sehen aber eine Überlastung im Gesundheitssystem durch coronainfiziertes medizinisches Personal. Deswegen werden selektive Eingriffe verschoben. Dieses medizinische Personal ist geimpft. Sie sehen also: Ihre Impfpflicht, die Sie beschließen wollen, dient nicht dem Schutz vor Überlastung des Gesundheitssystems, sondern wir brauchen dafür einen geeigneten Impfstoff, den wir dann einsetzen, wenn eine tödliche Variante kommt. Vor diesem Hintergrund halten wir an unserem Impfvorsorgeantrag fest, sehr geehrter Herr Dahmen.
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Herr Müller, bevor Sie weitermachen, nehmen Sie mal einen Schluck Wasser.
Danke. Ich brauche neues, bitte.
Das kriegen wir hin. – Es gibt noch einen Fragewunsch aus der SPD-Fraktion, von Rolf Mützenich.
Sehr gerne.
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Herr Mützenich, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Müller, vielleicht können Sie verstehen, warum ich mich in dem Moment zu Wort gemeldet habe, als Sie hier behauptet haben, dass wir uns Gesprächen, die Sie uns bis zum Schluss angeboten haben, verwehrt haben. Ich möchte hier – und ich hoffe, mit Ihrem Einverständnis; Sie können ja auch gleich darauf antworten – darauf Bezug nehmen, dass wir mehrere fachpolitische Gespräche zwischen einzelnen Abgeordneten – unter anderem mit Ihnen – geführt haben und dass ich, nachdem uns die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Deutschland in einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz zweimal gebeten haben, hier im Deutschen Bundestag eine Impfpflicht auf den Weg zu bringen, auch das Gespräch mit der Union gesucht und versucht habe, Kriterien zu finden, um einen Weg des Gemeinsamen hier im Deutschen Bundestag zu gehen.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zumindest heute hier in dieser Debatte einmal richtigstellen würden, dass bis zum Schluss versucht worden ist, diesen Weg zu gehen. Am Ende haben wir aber Kenntnis davon bekommen, dass der Erste Parlamentarische Geschäftsführer den Mitgliedern seiner Fraktion etwas zur Kenntnis gegeben hat, was offensichtlich darin besteht, uns diese Chance zu verbauen, was ich sehr bedauere.
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Herr Mützenich, es ist ein sehr schräges Bild, welches Sie hier zeichnen.
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Es ist ein sehr schräges Bild, auch weil wir in den Gesprächen Verschwiegenheit vereinbart haben.
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Aber eins kann man sagen – das kann der Kollege Wiese nachher sicherlich bestätigen –: Unsere Fraktion – ich war auch Verhandlungsführer – hat jedes Mal darauf hingewiesen, dass unsere Fraktionsgremien darüber erst beraten und wir dann weiter in das Verfahren gehen. Was hat Ihre Fraktion gemacht? Am Montagvormittag schickt Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender um 11.19 Uhr eine E-Mail an alle Abgeordneten und stellt uns vor vollendete Tatsachen. So geht man nicht miteinander um, wenn man eine Lösung des Problems möchte. – Punkt Nummer eins.
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Punkt Nummer zwei, Herr Mützenich: Es ist ein sehr verschobenes Bild, welches Sie hier zeichnen, wenn Sie die 16 Ministerpräsidenten erwähnen und dann vergessen, den Halbsatz zu sagen, welche Kritik die Ministerpräsidenten an der bereits von uns mitgetragenen sektoralen Impfpflicht und deren Durchführung haben:
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dass die Kommunikation zwischen Bundesregierung, insbesondere des SPD-Bundesgesundheitsministers, und der Ministerpräsidenten überhaupt nicht klappt. Und die Kirsche auf die Sahne hat Karl Lauterbach mit der Rücknahme der Isolationszeiten gesetzt. Das ist ein kommunikatives Desaster. Diese Ampel ist in der Pandemiepolitik fertig!
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Herr Müller, Sie können wieder einen Schluck Wasser trinken. Ich frage Sie, ob Sie noch eine Zwischenfrage zulassen, und zwar von Frau Haßelmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, wir haben ausreichend Redezeit. Ich denke, ich komme zum Schluss, damit wir auch die Argumente abwägen.
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Sie können sich aber gerne zu einer Kurzintervention melden, Frau Kollegin. Aber lassen Sie uns die Argumente austauschen.
Dann lasse ich Ihre Redezeit jetzt wieder weiterlaufen, und wir fahren in der Debatte fort.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir ringen auch heute in diesem Parlament um den richtigen Weg. Wir haben viele ausgewogene Reden gehört; ein paar lasse ich mal außen vor. Darum möchte ich auch noch mal ausdrücklich für unseren Antrag werben. Vielleicht hätte die Kollegin Haßelmann die Frage gestellt, die die anderen Kollegen gestellt haben:
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Was passiert, wenn Sie später mit der Erstimpfung anfangen wollen? Auf diese Frage möchte ich gerne eingehen; das richtet sich gerade an die unentschlossenen Kollegen, die sich gerne unserem Antrag anschließen können.
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– Kolleginnen selbstverständlich auch, Frau Esken. – Karl Lauterbach hat am 2. Januar dieses Jahres in einer Sonntagszeitung und am 13. Januar dieses Jahres hier im Parlament dafür geworben, dass die Erstimpfung gegen den tödlichen Verlauf schützt und somit gegen die Belegung der Intensivbetten.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist auch die Antwort auf Ihre Frage – das richtet sich gerade an die Unentschlossenen –: Wenn Sie unserem Antrag folgen, wenn wir Vorsorge leisten und, wenn es eine tödlichere Variante gibt, die Impfpflicht nach Kohorten beschließen, dann reicht die Erstimpfung dazu aus, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Das ist geeignet, das ist angemessen, und das ist verhältnismäßig.
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Nun ist der Fokus heute auf dieses Parlament gerichtet. Viele möchten diese Debatte heute natürlich abschließen. Sie wollen eine Entscheidung, sie wollen vorankommen. Es kann aber am Ende sein, dass unser Antrag keine Mehrheit findet und wir deswegen hier im Parlament auch keine Mehrheit für unseren guten Vorsorgemechanismus sehen. Das wird uns aber nicht davon abhalten, liebe Kollegen, sehr geehrter Herr Mützenich, uns, wenn der Rauch verschwunden ist, die Türen offen sind – das geht ab morgen gerne weiter – und wir für Gespräche bereitstehen, gegen die Herbstwelle zu schützen.
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Das Impfregister ist wichtig, eine Dokumentation und ein Anschreiben derjenigen, die nicht geimpft sind, sind wichtig, und ein Vorsorgemechanismus für den Fall des Auftretens einer tödlicheren Variante ist wichtig, damit wir auch dann eine Impfpflicht beschließen können.
Vielen Dank.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention Frau Haßelmann.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren, die Argumentation, die gerade der Abgeordnete Müller aus der CDU/CSU-Fraktion hier dem Parlament dargebracht hat, lautet ja wie folgt: Heute darf es keine Entscheidung in der Sache für eine Impfpflicht geben, weil man aus Prinzip
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und aus Kritik an Herrn Lauterbach oder einfach weil man das Verfahren seit Wochen kritisiert, als Abgeordneter nicht selbstständig denken darf.
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Man darf aber ab morgen alle Türen bei der CDU/CSU wieder aufmachen und weitersprechen, damit am Ende vielleicht Herr Merz die Krone aufhat als Kompromissmacher.
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Meine Damen, das kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein!
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Wir haben eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, und zwar eine wirklich schwerwiegende Entscheidung in der Sache – weder für die CDU/CSU noch für Bündnis 90/Die Grünen noch für die Ampel und auch nicht für einen Gesundheitsminister, sondern für die Menschen im Land und für eine vorausschauende Pandemiebekämpfung.
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Ich möchte, Herr Müller, dass Sie in der Fraktion aufhören, der Öffentlichkeit die Legende zu erzählen, wir seien nicht gesprächsbereit. Jetzt liegt Ihre Verweigerungshaltung darin begründet, dass Sie am Montag um 11.11 Uhr eine Nachricht gekriegt haben. Seit vier Monaten reden wir über die Einführung einer Impfpflicht.
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Das ist der Fakt; das ist die Lage.
Alle 16 Ministerpräsidentinnen und ‑präsidenten, auch Herr Wüst in Nordrhein-Westfalen, der bald eine Landtagswahl vor sich hat, erwarten vom Deutschen Bundestag, dass wir die Impfpflicht einführen, und Sie ducken sich weg.
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Und zur Frage der Gesprächsangebote, meine Damen und Herren, weil Herr Mützenich sich dazu auch gehäußert hat: Ich kann nichts dafür, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU nicht in der Lage ist, einen Termin mit der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen in der Sache zu finden. Das tut mir leid; aber es ist so. – Vielen Dank.
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Herr Müller, Sie haben die Möglichkeit, zu erwidern.
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Frau Haßelmann, Sie haben recht: Wir haben heute eine sehr sachlich orientierte Debatte, in der wir wirklich ringen; wir ringen in der Sache um die richtige Lösung.
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Deswegen sind wir uns sicherlich darüber einig, dass es hier in diesem Parlament keine Trennung zwischen „moralisieren“ auf der einen Seite und „in der Sache eine unterschiedliche Auffassung haben“ auf der anderen Seite gibt. Ich gehe davon aus: Das trennt uns nicht, sondern ich sehe auch in Ihrer Fraktion, dass es unterschiedliche Meinungen zum Gesetzentwurf von Frau Baehrens und weiterer Abgeordneter gibt. – Punkt Nummer eins.
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Punkt Nummer zwei. Sie haben angesprochen, dass wir seit vier Monaten über die Einführung einer Impfpflicht diskutieren, und wollen damit das Bild erzeugen, dass meine Fraktion hier mal so locker einen Antrag hingeworfen hat.
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– Sie nicken, Frau Haßelmann. – Dem muss ich widersprechen.
Es war meine Fraktion, die dem Bundeskanzler und dem Bundesgesundheitsminister vor Weihnachten einen Fragenkatalog zukommen lassen hat, der nicht beantwortet wurde.
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Es war meine Fraktion, Frau Haßelmann, die bezüglich der allgemeinen Impfpflicht dann eine Kleine Anfrage gestellt hat, die nicht zeitgerecht beantwortet wurde.
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Es war meine Fraktion, die sich zuerst mit Expertinnen und Experten zusammengesetzt hat und dann über die allgemeine Impfpflicht in kompletter Fraktionsstärke debattiert hat.
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Und es war meine Fraktion, der es als Volkspartei gelungen ist, die Meinungen zu einen, in einem Antrag zu bündeln und dafür heute auch zu werben, damit wir diesen Weg des Vorsorgemechanismus gehen.
Frau Haßelmann, Ihnen steht es frei, sich uns anzuschließen. Es wäre der richtige Weg.
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Nächster Redner für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“ ist Stefan Schwartze.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich würde mehr über die Sache und die Situation der Menschen im Land reden als über das taktische Hin und Her und darüber, wer wann mit wem hätte sprechen sollen.
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Ich hätte hier heute Morgen auch gerne eine Impfpflicht ab 18 beschlossen, weil ich sie für die beste Vorsorge halte, die wir hätten treffen können.
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Ich muss feststellen: Die hat leider keine Mehrheit. Darum werbe ich heute umso entschlossener für den jetzt vorgelegten Kompromiss einer Impfpflicht ab 60.
Drei Punkte sind mir dabei ganz besonders wichtig. Ich möchte jetzt noch die bestmögliche Vorsorge vor dem nächsten Winter treffen; dabei ist Impfen unersetzbar, ganz besonders für die Älteren. Lassen Sie uns alles tun, damit wir eine Überlastung im Gesundheitssystem vermeiden, und die gibt es.
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Noch in der letzten Woche wurden in meinem Wahlkreis zwei von drei Krankenhäusern aus dem Regelbetrieb genommen, weil das Personal erkrankt war.
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Damit gibt es eine ernsthafte Situation für alle Menschen im Kreis. Wir sollten solche Situationen unbedingt verhindern.
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Jetzt bitte ich Sie, einmal die Perspektive zu wechseln, nicht die des Abgeordneten, sondern die Perspektive von Patientinnen und Patienten einzunehmen. Viele Menschen mussten seit dem Beginn der Pandemie dringend benötigte Behandlungen, dringend benötigte OPs verschieben. Was bedeutet das für diese Menschen? Die mussten weiter mit der Krankheit leben; die mussten mit Schmerzen leben. Die mussten mit der großen Ungewissheit leben: Wann bekomme ich endlich meine OP? Was wird das Ergebnis dieser OP sein? – Und das hat Spuren hinterlassen. Ich finde, über diese Menschen wird viel zu wenig geredet, und die müssen viel mehr in unseren Diskussionen berücksichtigt werden.
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Die haben viele Opfer erbracht.
Wir können an den Zahlen ablesen, dass viel weniger Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen gegangen sind. Selbst Krebspatienten sind nicht zur Nachsorge- oder zur Kontrolluntersuchung gegangen, sondern haben aus Angst vor Ansteckung, aus Angst davor, das Gesundheitssystem weiter zu belasten,
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auf diese wichtigen Termine verzichtet. Ich denke, auch die müssen wir in den Fokus nehmen.
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Ich habe mit vielen Menschen geredet, die an den Folgen einer Coronaerkrankung leiden, die schwerwiegende Folgen über lange Zeit ertragen müssen. Auch die möchte ich schützen. Das sind schwere Schicksale; das kann ganze Leben zerstören. Auch die müssen wir in den Fokus nehmen.
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Darum bitte ich Sie: Denken Sie an die Menschen, die OPs verschoben haben! Denken Sie an die Menschen, die unter den Langzeitfolgen einer Coronainfektion
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leiden!
Deshalb: Stimmen Sie unserem Kompromissantrag zu.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Johannes Huber.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Mitbürger! Verfassungsrechtlich muss nicht das vom Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht begründet werden, sondern immer die Einschränkung der Freiheit. Das Selbstbestimmungsrecht verbietet es, den Einzelnen zu seinem eigenen Schutz zur Impfung zu verpflichten. Es kommt also lediglich das Ziel des Fremdschutzes infrage. Die Geeignetheit jeglicher Impfpflicht ist dafür aber nicht gegeben, weil die verfügbaren Covid‑19-Impfstoffe keine ausreichende Immunität und damit keinen ausreichenden Fremdschutz erzeugen.
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Menschen mit einer Impfung sind bei einer Infektion nicht weniger ansteckend als Personen ohne Impfung; also kann die Impfung keine Infektionsketten unterbrechen. Die immer weniger gefährliche Omikron-Variante zeigt aktuell laut zwei dänischen Kohortenstudien sowie dem RKI-Wochenbericht, dass die Impfung nach wenigen Wochen keinen positiven Effekt mehr auf die Wahrscheinlichkeit einer Infektion hat, sondern die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sogar erhöht.
Die Erforderlichkeit einer Impfpflicht ist ebenfalls zu verneinen – Frau Schmidt, ich spreche besonders Sie an –, weil spätestens mit dem Auftreten der Omikron-Variante die Zahl der Erkrankungen mit schwerem Verlauf das Niveau einer normalen saisonalen Grippe erreicht hat.
Die Impfung ist auch nicht alternativlos, wie uns der heute sehr nervöse Herr Lauterbach immer noch glauben lassen möchte; denn es stehen heute erfolgreiche mildere Mittel wie bereits verwendete und zugelassene Medikamente zur Verfügung.
Es gibt auch keine signifikante Überlastung des Gesundheitswesens. Laut des DIVI-Intensivregisters am RKI betrug die mittlere Belastung der Intensivbetten durch Patienten mit Covid nur 9,5 Prozent. Eine Impfpflicht ist daher nicht verhältnismäßig, weil die verfügbaren, bedingt zugelassenen Covid-19-Impfstoffe weder fremdschützen noch sicher vor Risiken sind – gemessen daran, dass deren Gefährlichkeit und häufige Nebenwirkungen vom Paul-Ehrlich-Institut öffentlich dokumentiert sind. Ein Gesetz für eine Covid-19-Impfpflicht darf in der Folge nicht verabschiedet werden – auch nicht auf Vorrat –, da es zum Fremdschutz nicht geeignet, nicht erforderlich, nicht angemessen und damit verfassungswidrig ist.
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Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss, und zwar mit einem Vorschlag, unsere gespaltene Gesellschaft wieder etwas mehr zu versöhnen. Dazu muss aber die einrichtungsbezogene Impfpflicht wieder aufgehoben werden. Und Soldaten müssen heute mehr denn je genauso behandelt werden wie die Mehrheit in diesem Land, nämlich frei von jeglicher Impfpflicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie herzlich und darf als Nächster das Wort geben der Abgeordneten Nina Stahr für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es stimmt, wir treten in eine neue Phase der Pandemie ein. Endlich, endlich wieder Kindergeburtstag, ins Schwimmbad gehen, abends mit Freundinnen und Freunden in die Kneipe. Ich gönne es von Herzen jedem, der langsam wieder in diese Normalität zurückkommt. Das dürfen wir auch genießen.
Aber wir dürfen darüber nicht die vergessen, für die diese Normalität noch meilenweit entfernt ist.
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Stellvertretend dafür möchte ich heute von einem Mädchen hier aus Berlin berichten; ich nenne sie jetzt mal Lara. Lara wird in wenigen Tagen – genau wie ihre Zwillingsschwester – acht Jahre alt. Sie ist mit Spina bifida, also mit einem offenen Rücken, auf die Welt gekommen. Sie hat entgegen allen ärztlichen Voraussagen doch Laufen gelernt. Sie ist eine Kämpferin – genauso ihre Eltern –, und doch ist ihre Gesundheit weiterhin fragil. Wir wissen nicht, was passiert, wenn sie jetzt Corona bekommt.
Für Lara und ihre Geschwister und für alle anderen Schattenfamilien gilt: kein Kindergeburtstag, kein Schwimmbad, und die Eltern sitzen abends allein statt mit Freundinnen und Freunden in der Kneipe – und das seit mehr als zwei Jahren. Es ist unsere Verantwortung, im Blick zu haben, dass auch für Lara und ihre Familie das Recht auf Freiheit gilt.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Die Frage ist ja, wie Ihr Vorschlag eigentlich administriert werden soll. Sie schlagen eine Beratungspflicht vor, Sie schlagen eine Impfpflicht vor. Wie soll das eigentlich technisch und praktisch umgesetzt werden?
Ich frage das deshalb, weil Ihr Wahlkreis ja in Berlin ist, und Berlin ist ja dafür bekannt, dass es besonders lange dauert,
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wenn man administrative Dinge erledigen will, einen Personalausweis anfordern will, sich ummelden will oder etwas anmelden will; teilweise dauert das ja Wochen und Monate hier in Berlin. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass das tatsächlich in Berlin auch umgesetzt werden kann?
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Lieber Herr Kollege, vielen Dank für diese Zwischenfrage. – Ich weiß nicht, ob Sie das wissen: Ich war, bevor ich hier in den Bundestag gekommen bin, Berliner Landesvorsitzende der Grünen. Ich durfte in dieser Funktion auch Koalitionsgespräche mit der FDP in Berlin führen. Das war leider nicht erfolgreich. Ich muss aber sagen: Wir haben eine sehr, sehr gute Zusammenarbeit mit den Linken in Berlin. – Deswegen: Ich finde beide Konstellationen sehr konstruktiv. Und ich kann Ihnen sagen: Wir haben innerhalb der letzten fünf Jahre in der rot-rot-grünen Koalition in Berlin massive Fortschritte gemacht. Angesichts dessen, was vorher die Große Koalition – tut mir leid, liebe Kolleginnen und Kollegen –, also Schwarz-Rot, in Berlin runtergerockt hat – ja, „Sparen, bis es quietscht“ –, haben wir extrem viel wieder aufbauen können. Ja, wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Aber wir haben sehr viel erreicht.
Ich höre bei Ihnen heraus: Sie wollen das als FDP auch im Berliner Abgeordnetenhaus unterstützen. Das kann ich nur befürworten. Herzlichen Dank dafür! Ich bin mir sicher: Wenn wir alle gemeinsam versuchen, das hinzubekommen, dann werden wir auch die Ämter entsprechend ausstatten können, diese Beratungspflicht und dann die Impfpflicht – wenn sie denn zieht, auch bei den Jüngeren – gut gemeinsam umzusetzen. Ich freue mich auf Ihre Unterstützung dabei.
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Ich komme zurück zu meiner Rede. Es ist unsere Verantwortung, im Blick zu haben, dass auch Lara und ihre Familie ein Recht auf Freiheit haben. Deshalb ist es gut, dass wir heute über einen Kompromiss diskutieren, der einen Weg eröffnet, vorbereitet in den Herbst zu gehen, und damit besonders die zu schützen, die es brauchen.
Es ist kein Geheimnis, dass ich mich eigentlich für eine Impfpflicht ab 18 eingesetzt habe, gerade mit Blick auf die besonders gefährdeten Menschen. Aber ich werbe nun aus voller Überzeugung für diesen Kompromiss, weil dieser Weg einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, das Infektionsgeschehen zu verringern.
Deshalb schaue ich insbesondere in Richtung der CDU/CSU-Fraktion. Warum? Weil dieser Kompromiss genau das beinhaltet, was Sie fordern.
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Das hat Frau Piechotta sehr genau ausgeführt. Insofern bitte ich Sie inständig: Denken Sie an Kinder wie Lara! Denken Sie an die Kinder, die alle massive Einschränkungen hinnehmen mussten in den letzten zwei Jahren. Lassen Sie das im Herbst nicht noch einmal zu! Lassen Sie bitte – für diese Familien – Ihre Parteispielchen beiseite! Lassen Sie uns zum Wohle der Menschen in diesem Land abstimmen! Ich bitte Sie inständig: Stimmen Sie diesem guten Kompromiss zu! Helfen Sie, das Infektionsgeschehen zu reduzieren! Und geben Sie den Menschen, die seit zwei Jahren isoliert sind, endlich ihre Freiheit zurück!
Vielen Dank.
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Nun erhält das Wort Dieter Janecek für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag könnte eine Sternstunde des Deutschen Bundestages werden, wenn wir ernst nehmen, was wir uns versprochen haben: dass diese wesentliche Entscheidung heute über die Einführung einer Impfpflicht in Deutschland eine Gewissensentscheidung jedes und jeder Einzelnen ist. Wir frei gewählte Abgeordnete tragen heute die Verantwortung, und wir lassen uns dabei nicht leiten von Fraktionszwängen und parteitaktischen Erwägungen.
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Herr Frei, Herr Müller, ich glaube Ihnen, dass Sie sich ernsthaft damit auseinandergesetzt haben, und ich zolle Ihnen Respekt; und ich zolle auch Herrn Kubicki Respekt und auch all denjenigen, die heute gegen eine Impfpflicht stimmen. Aber was ich Ihnen nicht glaube, ist, dass Ihre 197 Abgeordneten alle die gleiche Position haben, die sich völlig unterscheidet von der Position der acht CDU/CSU-Ministerpräsidenten.
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Geben Sie die Abstimmung heute frei! Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! Diese Pandemie hat uns allen viel abverlangt. Auch ich habe mich heute schwergetan, diesem Vorschlag zuzustimmen. Doch nach langer, intensiver Debatte ist heute der Tag, zu einer Entscheidung zu kommen, um bestmöglich auf den kommenden Herbst und Winter vorbereitet zu sein.
Ich glaube, dass dieser Antrag – Impfpflicht ab 60 Jahren – deswegen gangbar ist, weil er eben verhältnismäßig ist. Er konzentriert sich auf die hauptbetroffenen Risikogruppen, und es ist nun einmal so, dass über 90 Prozent der Intensivpatienten über 60 sind. Und es sterben immer noch zu viele. Die aktuelle Impfquote reicht nicht, um sicherzustellen, dass es nicht zu einer erneuten, schweren Belastung unseres Gesundheitssystems kommt.
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Lassen Sie mich zum Schluss eine persönliche Note sagen. Ich habe mich in den letzten zwei Jahren sehr oft zu dem Thema geäußert, dass Kinder und Jugendliche in der Pandemie aus meiner Sicht zu stark eingeschränkt worden sind. Ich fand, es war falsch, wie wir in der Summe vorgegangen waren.
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Auch deswegen will ich keinen Winter mehr erleben, in dem die mangelnde Impfquote bei den Älteren dafür herhält, weitreichende Einschränkungen bei Kindern und Jugendlichen zu rechtfertigen.
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Bitte stimmen Sie deswegen für den Kompromiss! Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie uns zusammenarbeiten in dieser wichtigen Frage!
Vielen Dank.
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Es folgt die Kollegin Heike Baehrens für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt gilt es, Farbe zu bekennen. Wer tatsächlich vorsorgen will, wer endlich ein Impfregister schaffen will, ja, wer sich zutraut, noch einmal mit einer richtigen Kraftanstrengung für das Impfen zu werben, mit einer engagierten Beratungskampagne die Impfquote auf das Niveau zu heben, das uns vor die nächste Welle bringt, der sollte heute dem Gesetz zur Pandemievorsorge zustimmen.
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Es war richtig, die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht ausführlich hier im Bundestag, aber auch in der gesamten Gesellschaft zu führen, auf die Fachexpertise aus den verschiedensten Bereichen zu hören und in Veranstaltungen, im Gespräch oder per Mail mit vielen, vielen Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren und fraktionsübergreifend um den richtigen Weg zu ringen. Da bleibt es irritierend und befremdlich, dass sich ausgerechnet die Christdemokraten diesem politischen Prozess der Konsensbildung entzogen haben.
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Herr Sorge, Sie haben vorhin gesagt: Wir reichen Ihnen die Hand zur Versöhnung. – Wir haben gar nicht gestritten, weil Sie sich der Diskussion entzogen haben.
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Sie wollen die Abstimmung heute aus rein parteitaktischem Kalkül zum Scheitern bringen. Das ist nicht in Ordnung; denn wer Vorsorge will, der muss vorsorgen und nicht erst dann reagieren, wenn die Infektionswelle in Sicht ist. Darum verabschieden Sie sich endlich von Ihrer Mogelpackung!
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Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir Brücken gebaut: eine Brücke zwischen zwei Gesetzentwürfen, eine Brücke zwischen vielen Abgeordneten, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen, die Vorsorge treffen wollen, um uns vor einem dritten Pandemieherbst zu schützen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?
Ja.
Vielen Dank. – Frau Kollegin Baehrens, da Sie mich ja direkt angesprochen haben, wollte ich Sie etwas fragen: Sie erwecken ja hier wieder den Eindruck, als seien wir nicht gesprächsbereit gewesen.
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Ich möchte diesen Eindruck hier nicht so stehen lassen.
Sie haben signalisiert, man könnte ja noch mal darüber sprechen. Diese Gespräche haben wir seit Ende letzten Jahres angeboten. Unsere Vorschläge sind immer belächelt worden. Dann kam unser Kompromissvorschlag; auch dieser ist mehr oder weniger belächelt worden. Als Sie jetzt auf den letzten Metern mitbekommen haben, dass Sie keine Mehrheit für die allgemeine Impfpflicht bekommen, wollten Sie uns dieses – in Anführungsstrichen – „Danaergeschenk“ machen, indem Sie sagten: Na ja, wir könnten ja mal über ein Impfregister reden; das kommt dann irgendwann. – Das ist vielleicht aus Ihrer Sicht ein Gesprächsangebot. Wir aber haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir uns grundsätzlich einmal zusammensetzen müssten.
Dieser Vorschlag, den wir gemacht haben, ist ja selbst von vielen Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion gutgeheißen worden. Die sagen uns ja selbst, das sei der gangbare Weg, weil Sie sich selbst nicht so sicher sind: von 18 auf 50, dann auf 60 Jahre. Sie haben Anfang der Woche einen Kompromiss verkündet in Bezug auf die Gruppe „Ü 50“. Man hat postwendend gesagt, das sei gar nicht abgesprochen worden. – Mit uns auch nicht.
Ich will in Bezug auf Ihr Argument, das Sie hier immer vorbringen – der Impfvorsorgemechanismus, den wir als Union vorgeschlagen haben, sei zu spät –, nur noch einmal darauf hinweisen, dass es darum geht, dass wir reagieren können. Und: Impfvorsorgemechanismus heißt: Wir müssen die Impfzentren momentan auf Stand-by halten. Wir können – das haben wir in der Hochphase bewiesen – Millionen von Menschen innerhalb von Tagen impfen.
Deshalb lautet meine Frage: Sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, dass es darum geht, Vorsorge zu treffen – das können wir mit unserem Vorsorgemechanismus sehr schnell tun –, anstatt jetzt pauschal in Grundrechte einzugreifen, mit dem Wissen, dass das für den Herbst überhaupt nichts bringen würde?
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Zum einen will ich noch mal mit dieser Mär aufräumen, Sie seien gesprächsbereit gewesen.
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Es ist der Versuch unternommen worden, mit Ihnen auf ganz unterschiedlichen Ebenen – zwischen den Fraktionen, zwischen Abgeordnetenkolleginnen und ‑kollegen – ganz konstruktiv in den Dialog zu kommen. Dieses war nicht möglich, weil Sie seit Monaten ausschließlich auf Ihren Antrag verweisen, der ja nicht mal ein Gesetzentwurf ist. Sie sind als größte Oppositionsfraktion nicht mal in der Lage, einen ordentlichen Gesetzentwurf für das vorzulegen, was Sie uns hier präsentieren wollen.
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– Das ist völliger Unsinn, Herr Frei. Das ist völliger Unsinn, was Sie da sagen.
Der andere Punkt ist: Sie selbst haben eben in Ihrem Beitrag noch einmal gesagt, Sie wollen reagieren. Wir reagieren seit zwei Jahren situationsangepasst und versuchen, die Infektionswellen so klein wie möglich zu halten. Reaktion alleine reicht nicht, sondern echte Vorsorge ist gefragt.
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Genau dafür liegt heute ein Gesetzentwurf zur Abstimmung vor, der ein gestuftes Vorgehen vorsieht und der vor allem zwei zentrale Punkte Ihres Antrages mit aufnimmt: Er sieht nämlich diese Umsetzung wirklich in Schritten vor und adressiert die Zielgruppe der über 60‑Jährigen, die durch eine Infektion besonders gefährdet sind. Vor allem – und da habe ich den Eindruck, Sie haben den Gesetzentwurf nicht einmal gelesen –: Es ist ein ganz klarer Auftrag, das Impfregister jetzt tatsächlich auf den Weg zu bringen. Das müssten Sie eigentlich heute unterstützen.
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Darum lade ich Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute noch einmal ein, für diesen Kompromiss zu stimmen; denn es ist nicht mehr zu akzeptieren, dass so viele Menschen an Corona sterben. Es darf nicht sein, dass wir noch einmal in einen Lockdown müssen. Es darf nicht mehr sein, dass Tumorpatienten auf Operationen warten müssen, dass Patienten wegen Personalausfall durch Corona nicht aufgenommen werden, dass wir alle – vor allem Familien mit Kindern oder auch alte Menschen – darunter leiden. Auch unserer Wirtschaft – auch das will ich an die CDU/CSU gerichtet sagen – sind die Pandemielasten nicht weiter zuzumuten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere noch einmal an Sie: Verlassen Sie Ihre parteipolitische Zwickmühle! Sorgen Sie jetzt mit uns vor! Stimmen Sie für unseren Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort Dr. Till Steffen für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute darüber, wie der nächste Herbst aussehen wird. Wir entscheiden heute darüber, ob wir endlich rauskommen aus dieser Dauerschleife von Lockdown und Lockerungen. Davon hat unser Land genug erlebt. Die Leute haben die Schnauze voll davon, und heute fällt hier die Entscheidung, ob wir es schaffen, da rauszukommen.
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Und wie entscheidet der Deutsche Bundestag? Der Deutsche Bundestag entscheidet dadurch, dass er Gesetze beschließt. Meistens sind das Gesetze, die ihm die Bundesregierung vorschlägt.
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Manche finden es gut, dass die Bundesregierung hierzu keinen Vorschlag gemacht hat, andere finden es blöd. Aber es ist so, wie es ist. Unsere Verfassung sieht nicht vor, dass man nur Gesetze beschließen kann, wenn die Bundesregierung einen Vorschlag macht,
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sondern jede Fraktion, jede Gruppe kann Vorschläge für Gesetze machen. Das haben wir gemacht, und wir haben diskutiert: mit Kollegen der Linken, mit Kollegen der FDP, mit Kollegen der Grünen und der SPD. Wir waren gesprächsbereit; das haben wir jetzt erörtert.
Und was liegt von Ihnen vor? Kein Gesetzentwurf, ein Besinnungsaufsatz liegt vor.
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Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein. – Wir haben uns das angeschaut. Es ist ja nicht gesagt, dass Ihr Antrag uninteressant ist. Da stehen interessante Punkte drin. Die haben wir eingearbeitet; das ist deutlich gemacht worden. Das Impfregister kommt, weil Sie es gefordert und wir es eingearbeitet haben, weil wir uns die Arbeit gemacht haben, daraus eine gesetzliche Formulierung zu machen. Wir haben das gemacht.
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Wir wollen in diesem Gesetz die besten Ideen zusammenführen, weil wir die besten Ideen brauchen, um die Pandemie zu bekämpfen.
Das ist es, Herr Frei, was Sie mit allen Mitteln bekämpfen wollen. Ich finde das traurig. Und dass Sie diesen Brief schreiben müssen, zeigt ja auch, was für ein Druck in Ihrer Fraktion herrscht. Ich möchte, dass wir heute entscheiden: ein anderer Herbst, ein anderer Winter und ein Weg raus aus der Pandemie.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Für eine Kurzintervention erhält das Wort der Abgeordnete Hilse von der AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Sie wollen heute entscheiden, dass sich jemand impfen lassen muss und dadurch – das zeigen auch die Statistiken vom Paul-Ehrlich-Institut – unter Umständen stirbt. Es gibt ein Bundesverfassungsgerichtsurteil – Sie werden sich wahrscheinlich daran erinnern – zum Luftsicherheitsgesetz. Darin hat das Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 Folgendes gesagt – ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin –:
Art. 1 Abs. 1 GG schützt den einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder durch den Staat selbst … Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden …, schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen …
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Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt …, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt …
Jemanden per Gesetz zu ermächtigen, Leben gegeneinander aufzuwiegen, also Menschenleben zu opfern, um andere Menschenleben zu schützen, schließt das Bundesverfassungsgericht somit aus. Dieses Gesetz, das Sie hier beschließen wollen, ist also nicht nur in höchstem Maße menschenfeindlich, sondern offensichtlich auch verfassungswidrig.
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Herr Abgeordneter, wollen Sie erwidern?
Herr Kollege, Ihre Verdrehungen und Falschbehauptungen
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werden durch Wiederholung nicht besser.
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Als letzter Redner in dieser Debatte erhält jetzt das Wort Dirk Wiese für die Gruppe „Baehrens, Janecek und andere“.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir treffen nach einer langen, intensiven Debatte jetzt, hier und heute im Deutschen Bundestag die Entscheidung darüber, ob diese Pandemie für uns im kommenden Herbst und Winter beherrschbar ist, ob wir, wenn wir heute eine negative Entscheidung treffen, wieder darüber nachdenken müssen, wieder Freiheitseinschränkungen auf den Weg zu bringen, wieder Schließungen in der Gastronomie auf den Weg zu bringen, wieder Einschränkungen für Kinder und Jugendliche auf den Weg zu bringen, oder ob wir hier heute die verantwortungsvolle Entscheidung treffen, vorzusorgen, richtig vorzusorgen, sodass die Pandemie für uns beherrschbar ist. Das ist die Entscheidung, die jetzt gleich hier und heute getroffen wird.
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Als größte Gruppe haben wir uns dafür entschieden, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben erkannt, dass eine Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 nicht da ist. Wir haben aber auch erkannt, dass, wenn wir die Anträge und Gesetzentwürfe zusammenlegen, es eigentlich eine Mehrheit für eine Impfpflicht im Deutschen Bundestag gibt. Diese Verantwortung haben wir angenommen. Wir haben Gespräche angeboten, und ich will ausdrücklich sagen: Ich bin der Gruppe „Ullmann“ dankbar, dass wir zusammengefunden haben, uns gemeinsam auf einen Gesetzentwurf verständigt haben, der genau dazu führen soll: die Pandemie beherrschbar zu machen. Da haben wir als stärkste Gruppe gemeinsam Verantwortung übernommen, und das ist auch gut so gewesen.
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Ich will es ausdrücklich formulieren: Ja, wir haben auch immer wieder mit Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesprochen. Lieber Sepp Müller, wir haben auch in der vergangenen Woche, am Mittwoch, auch mit dem Kollegen Stefan Müller zusammengesessen und haben in Gesprächen ausgelotet, ob es möglich ist, zusammenzukommen. Ich muss sagen, dass die CSU – das sei mir gestattet – in dieser Runde sehr viel konstruktiver gewesen ist und sich dem Kompromiss sehr viel mehr annähern konnte, als es die CDU getan hat.
Wir haben auch sehr deutlich gemacht, dass es aus unserer Sicht möglich ist, zusammenzufinden. Aber Gespräche sind etwas anderes als konkrete Verhandlungen. Ich muss auch das sehr deutlich sagen: Nachdem Friedrich Merz am Samstagmorgen einen Tweet abgesetzt hatte, waren die Gesprächskanäle ruhig. Es hat sich keiner mehr gemeldet, und es hat sich keiner mehr zu ernsthaften Verhandlungen von Ihrer Seite bereit erklärt. Das bedauere ich sehr und wird der Verantwortung nicht gerecht. Das muss ich auch sehr deutlich sagen.
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Lieber Friedrich Merz, ich sage auch das sehr deutlich: Im Sauerland sagen wir beide ja, dass Franz Müntefering im Zweifel recht hat: „Opposition ist Mist.“ Aber Opposition entbindet nicht von staatspolitischer Verantwortung. Das sage ich auch sehr deutlich.
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Man kann nicht hier im Deutschen Bundestag sagen: Ich verweigere mich heute staatspolitischer Verantwortung; aber morgen stehe ich für Gespräche wieder bereit.
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Das ist unverantwortlich, und das ist nicht seriös.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Der Abgeordnete Friedrich Merz wurde angesprochen. Wenn er möchte, kann er eine persönliche Erklärung abgeben.
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Frau Präsidentin! Ich bin hier in der Debatte sehr häufig persönlich angesprochen worden. Auch im Namen der Unionsfraktion würde ich gerne drei Bemerkungen machen:
Die erste ist: Es handelt sich hier – jedenfalls nach der Überzeugung der Mehrheit unserer Bundestagsfraktion – nicht um eine Gewissensentscheidung.
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Es kann sein, dass es sich bei einzelnen Abgeordneten um eine Gewissensentscheidung handelt. Aber dann legt das weder der Bundeskanzler noch ein anderer Redner hier im Deutschen Bundestag fest;
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dann entscheidet das jeder Abgeordnete für sich ganz allein. Bis auf sehr wenige Ausnahmen sind wir in unserer Bundestagsfraktion einer Meinung, was das Thema Impfpflicht betrifft. Deswegen gibt es von uns, anders als von allen anderen Bundestagsfraktionen hier, einen gemeinsamen Antrag.
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Die zweite Bemerkung ist: Wir – und auch ich persönlich – sind hier von vielen Rednern für unsere Haltung sehr hart kritisiert worden.
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– Na ja, wir akzeptieren das; das ist völlig in Ordnung. Aber darf ich mir doch einmal den Hinweis erlauben,
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dass die Tatsache, dass Sie sich überhaupt so intensiv mit uns beschäftigen müssen, ihre Ursache allein darin hat, dass die Fraktion der FDP überhaupt keine Zustimmung zu einer Impfpflicht im Deutschen Bundestag erwägt?
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Deswegen ist meine dritte Bemerkung:
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Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit einem Kompromiss, dann manipulieren Sie nicht die Reihenfolge der Abstimmungen, in der wir jetzt vorgehen.
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Denn das ist der entscheidende Test, ob Sie es mit einem Kompromiss ernst meinen. Der weiter gehende Antrag ist Ihrer.
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Unser Antrag ist ein weniger weit gehender Antrag. Diesen Antrag können wir gemeinsam beschließen und in einem Gesetz im Deutschen Bundestag auf den Weg bringen.
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Aber nicht so, wie Sie es machen, um offensichtlich davon abzulenken, dass Sie in Ihrer eigenen Regierung keine Mehrheit für das haben, was aus der SPD-Fraktion kommt.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Minuten und auch in den letzten zweieinhalb Stunden gehört, wo der Hase im Pfeffer liegt: Sie haben keine eigene parlamentarische Mehrheit; deswegen flüchten Sie sich in die Gruppenanträge. Das ist der einzige Grund. Und am Ende dieser Debatte ist es so, dass Sie versuchen, mit einer nicht angemessenen Reihenfolge der Abstimmungen das Verfahren zu torpedieren. Das akzeptieren wir nicht. Das ist ein deutlicher Beweis dafür, dass Sie der Überzeugungskraft Ihrer eigenen Vorlagen misstrauen. Das ist rechtsmissbräuchlich, und deswegen lehnen wir das ab.
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Worum geht es im Kern? Wir haben eine lange parlamentarische Tradition, dass immer zunächst über den weitestgehenden Antrag abgestimmt wird. So machen das Tausende Gemeinderäte bei uns in Deutschland. So machen das 16 Länderparlamente. Der Bundesrat macht es so; der hat es sogar in § 30 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung normiert. Und so macht es der Deutsche Bundestag seit Jahrzehnten.
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Es gibt praktisch keine Ausnahmen davon.
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Wenn ich eine finden wollte, dann wäre das vielleicht die im Jahr 2009 gewesen,
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als es um die gesetzlichen Regelungen für die Patientenverfügung ging. Seinerzeit ging es darum, dass man im Grunde genommen nicht exakt sagen konnte, welches denn der weiter gehende Antrag war. Hier ist es aber vollkommen klar: Fluchtpunkt ist die Realität, der gesetzliche Status quo. Und wer am weitesten vom gesetzlichen Status quo abweicht, der hat den weitestgehenden Antrag, und über den muss als Erstes abgestimmt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung ist der Auffassung, dass wir keine Maskenpflicht mehr brauchen. Diese Bundesregierung war – wenigstens für einige Stunden – der Auffassung, dass wir keine Quarantäne für Infizierte mehr brauchen.
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Diese Bundesregierung und diese Fraktionen hier im Parlament wollen uns aber weismachen, dass eine Impfpflicht mit einem klaren Eingriff in die Grundrechte nicht der weitestgehende Antrag sei. Das nimmt Ihnen doch kein Mensch im Land ab. Das ist einfach nicht schlüssig. Und deswegen bitte ich Sie, hier richtig abzustimmen.
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Ich will noch auf eines hinweisen.
Herr Kollege Frei, Sie sprechen aber jetzt zur Geschäftsordnung, nicht zu den Inhalten.
Ja, das will ich gerne machen, Frau Präsidentin.
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Die Güte der parlamentarischen Demokratie zeigt sich nicht darin, dass am Ende die Mehrheit entscheidet; das ist selbstverständlich. Sie zeigt sich darin, dass die Mehrheit auch Schranken akzeptiert – Schranken, die auch hergebrachtes Recht hier im Parlament darstellt.
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Und darauf müssen sich Abgeordnete auch verlassen können. Darum geht es: Tauschen Sie nicht billiges machtpolitisches Kalkül gegen politische Kultur in diesem Haus ein.
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Ein Letztes will ich noch sagen, dann komme ich zum Ende, Frau Präsidentin.
Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.
Wir haben bei dieser Frage eine starke Polarisierung hier bei uns im Land. Es geht auch darum, sie zu überwinden. Der von Ihnen vorgeschlagenen Abstimmungsreihenfolge, die letztlich nur zum Ziel hat, den eigenen Antrag zum Erfolg zu bringen, wird ein Makel anheften, sollte es Ihnen gelingen, hierfür eine Mehrheit zu gewinnen. Das wird die Akzeptanz nicht fördern.
Herr Kollege Frei, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das wird die Rechtssicherheit nicht fördern. Und es wird nicht dazu führen, dass Gräben in unserem Land zugeschüttet werden. Deswegen bitte ich um Zustimmung für unseren Antrag.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine wichtige Debatte; die müssen wir auch ordentlich führen. Aber man sollte bei einer Geschäftsordnungsdebatte nicht unter Überziehung der Zeit auf die Geschäftsordnung eingehen. Dafür möchte ich noch einmal eindringlich plädieren.
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Jetzt erhält das Wort Katja Mast für die SPD.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Thorsten Frei, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, dann zeigen immer vier Finger zurück. Das sollte man sich bewusst machen, wenn man solche Reden hält.
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Um was geht es hier eigentlich? Es geht um eine Abstimmungsreihenfolge. Es geht hier darum, dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sich nicht zu einer Abstimmungsreihenfolge im Deutschen Bundestag äußert und somit auch nichts festgelegt ist. Und es geht darum, dass die Verwaltung des Deutschen Bundestags allen Fraktionen anheimgestellt hat, auf zwei unterschiedlichen Wegen abzustimmen, nämlich über den Weg, zuerst die Gesetzentwürfe und dann die Anträge nach Reichweite, oder umgekehrt über den Weg, zuerst die Anträge und dann die Gesetzentwürfe nach Reichweite. Das ist das, worum es geht: Es geht nicht um mehr und nicht um weniger bei dieser Entscheidung.
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Es ist völlig normal in einer Demokratie, dass man, wenn es zwei verschiedene Wege gibt, darüber abstimmt und die Mehrheit am Ende entscheidet. Das ist das Normalste von der Welt. Im Jahr 2009 bei der Patientenverfügung – das hat mein Kollege ja gerade gesagt – gab es das auch schon mal. Es ist also nicht so, dass es nicht auch historische Vorbilder gäbe. Herr Merz, Sie dürften sich noch daran erinnern: Sie waren damals gerade noch Abgeordneter. Herr Frei war damals noch kein Abgeordneter.
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Was Sie hier aufführen, ist einfach großes Tamtam. Sie haben die Worte noch mal benutzt: Manipulation, Tricks, Machtkalkül. Das sind die Finger, die auf Sie zeigen an dieser Stelle.
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Das ist Verächtlichmachung von Demokratie und Parlament, und deshalb weise ich das auf das Entschiedenste zurück!
Wie kann man jetzt diese Anträge abstimmen? Man könnte sie in der Reihenfolge anhand der Anzahl der Unterschriften abstimmen. Dann würden wir zuerst Kubicki, dann AfD, dann Union und dann den Gesetzentwurf abstimmen.
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Wir können es abstimmen nach der Reihenfolge: Was schafft eigentlich für die Bürgerinnen und Bürger Klarheit?
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Die Bürgerinnen und Bürger, die uns heute zuhören, wollen doch, dass wir eine Entscheidung treffen in diesem Haus, damit sie wissen, woran sie sind mit der Impfpflicht!
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Also wollen sie, dass wir über die Impfpflicht als Letztes abstimmen; denn nur ein Gesetz gibt diese Sicherheit am Ende des Tages.
Es geht um Klarheit – Klarheit, die die Bürgerinnen und Bürger verdient haben, die zwei Jahre mit uns durch diese Pandemie gegangen sind. Der Stimmzettel, den wir vorliegen haben, sieht das doch ganz klar vor. Es gibt einmal die Reihenfolge der Tamtam-Partei CDU/CSU; das ist die erste Reihenfolge.
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Man kann aber auch die zweite Reihenfolge wählen; das ist nach der Geschäftsordnung möglich.
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Und all diejenigen, die meine Argumente hier nicht überzeugt haben – ich weiß, es gibt einige davon im Deutschen Bundestag –, die können sich, wenn sie nicht Steigbügelhalter sein wollen für dieses Spektakel, das CDU/CSU hier veranstalten, auch enthalten.
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Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie für Reihenfolge zwei bei dieser Abstimmung.
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Als Nächste erhält das Wort Dr. Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielleicht beruhigen wir uns jetzt alle erst mal wieder. Die Gemüter sind erhitzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, diese Geschäftsordnungsdebatte und auch die inhaltliche Debatte zeigen uns allen sehr, sehr deutlich, wie emotionalisiert diese Angelegenheit hier im Deutschen Bundestag behandelt wird. Es ist auch wichtig, dass wir wirklich eine verantwortungsbewusste Entscheidung treffen in der Situation, in der wir uns bei der Pandemiebekämpfung in unserem Land befinden.
In dieser Situation, Herr Frei, Herr Merz, haben Sie sich dafür entschieden, mit uns über die Abstimmungsreihenfolge diskutieren zu wollen
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und uns Tricksereien und rechtsmissbräuchliches Handeln vorzuwerfen. Dabei sind Sie es doch, die mit allen Mitteln versuchen, zu verhindern, dass Ihre Abgeordneten hier eine Entscheidung nach ihrem Gewissen treffen,
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die wirklich der Sache angemessen wäre. Sie versuchen hier mit allen Mitteln zu verhindern, dass Ihre Abgeordneten hier eine verantwortungsbewusste Entscheidung treffen, indem Sie hier so eine Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun brechen.
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Aber nicht wir sind es, Herr Frei, die Ihre Abgeordneten daran hindern, hier eine Entscheidung in der Sache verantwortungsbewusst zu treffen,
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sondern Sie sind es. Sie setzen Ihre Leute unter Druck. Sie sagen, sie sollen einem Impuls widerstehen, falls Ihr Antrag keine Mehrheit bekommt, anderen Vorlagen zuzustimmen. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Demokratieverständnis? Das ist unparlamentarisch.
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Das hat auch nichts mit verantwortungsbewusster Pandemiepolitik zu tun.
Auf Ihren hier geäußerten Wunsch diskutieren wir jetzt über die Abstimmungsreihenfolge. Meine Kollegin Katja Mast hat Ihnen gerade noch einmal erklärt,
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welche Varianten hier zur Abstimmung stehen, und auch, wie diese Abstimmungsvarianten auf den Stimmzettel gelangt sind. Es handelt sich dabei um Vorschläge, die uns die Bundestagsverwaltung unterbreitet hat,
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die alle Fraktionen bekommen haben, die auch die Antragsinitiativen, die Gruppen, bekommen haben und zwischen denen man jetzt entscheiden kann. Das ist demokratisch, das ist transparent, das ist sachgerecht.
Sie empfehlen Ihrer Fraktion die erste Variante. Wir empfehlen unserer Fraktion, für Abstimmungsvariante zwei zu stimmen.
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Uns in dieser Situation Tricksereien vorzuwerfen, ist absurd, meine Damen und Herren.
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Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Wenn wir jetzt endlich per Stimmzettelverfahren über die Abstimmungsreihenfolge entschieden haben, dann geht es hier wirklich um etwas. Dann geht es hier wirklich darum, eine sachgerechte Entscheidung mit Blick auf den weiteren Verlauf unserer Pandemie zu treffen.
Lassen Sie mich diese Bemerkung noch machen, Herr Frei: Artikel 38 des Grundgesetzes gilt auch für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herzlichen Dank.
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Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort Johannes Vogel.
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt hier eben vom eigentlich von mir sehr geschätzten Kollegen Thorsten Frei im Plenum des Deutschen Bundestages wieder etwas erlebt, was wir die letzten Tage schon erleben durften. Da haben Sie ganz heftig in die rhetorische Trickkiste gegriffen: unparlamentarisch, eine Manipulation. Sie haben sich sogar eben dazu verstiegen, es sei rechtsmissbräuchlich, dass hier über die Abstimmungsreihenfolge abgestimmt wird.
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Lieber Kollege Frei, das beschädigt die politische Kultur hier bei uns im Parlament. Das will ich ganz klar sagen.
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Es ist eben in der Sache nicht so eindeutig. Wie war es denn damals bei dem Gruppenantragsverfahren über das Berlin/Bonn-Gesetz? Wie ist es hier? Der AfD-Antrag übrigens ändert auch ganz eindeutig die Rechtslage in Deutschland, um Ihr Argument mal ad absurdum zu führen. Also, die Abstimmungsreihenfolge ist einfach nicht so ganz eindeutig.
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Und wir haben im Deutschen Bundestag eine ganz klare Regelung bei zahllosen Gruppenverfahren gehabt, nämlich: Wenn es kein Einvernehmen über die Abstimmungsreihenfolge gibt, dann wird über die Abstimmungsreihenfolge abgestimmt. So einfach, Herr Kollege Frei, so einfach ist es.
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Es wurde ja schon gesagt: 2009 hatten wir genau das zur Patientenverfügung; da war Ihr Fraktionsvorsitzender noch im Deutschen Bundestag. Da gab es keine Einigkeit. Danach wurde über die Abstimmungsreihenfolge abgestimmt. Irgendein Protest von Friedrich Merz, irgendein Theater, wie wir es hier heute erleben, irgendein Protest der Union ist im Protokoll nicht vermerkt.
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Sie pöbeln im Klassenzimmer rum, machen aber nicht mal Ihre Hausaufgaben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
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und das ist der Sache unangemessen, schlicht unangemessen.
Ich verstehe schon, worum es Ihnen geht. Sie wollen gerne, dass von den Anträgen, die sich irgendwie etwas mehr in Richtung Impfpflicht vorstellen können, Ihrer als Letztes abgestimmt wird, weil Sie hoffen, dass diejenigen, die irgendwas machen wollen, sich dann hinter Ihrem Antrag sammeln.
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Das ist okay, das dürfen Sie so wollen. Ich sage Ihnen aber, wie meine persönliche Meinung ist.
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Ich glaube, bei einer grundrechtssensiblen Frage wie bei einer Impfpflicht geht es nicht darum, irgendwas zu beschließen, sondern da muss jede einzelne Vorlage eine aktive Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag bekommen.
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Und ich sage Ihnen noch etwas: Ich persönlich stimme deshalb gleich für Abstimmungsreihenfolge zwei, weil sie genau das sicherstellt. Und dann gibt es entweder für eines der Konzepte hier eine Mehrheit, oder es gibt sie eben nicht, was auch ein legitimes Ergebnis dieser Debatte wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ihnen geht es nur darum, dass Sie sich irgendwie mit Ihrem Antrag durchsetzen,
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und das ist schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das ist schäbig, und leider reiht sich das ein – mein letzter Gedanke – in Ihren gesamten Umgang mit diesem Gruppenantragsverfahren. Von Anfang an und bis zur letzten Minute haben Sie das Gruppenantragsverfahren torpediert.
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Das ist eines der Verfahren, die unseren Parlamentarismus bei medizinethischen Fragen mit ausmachen. Da gab es oft Sternstunden des Parlaments. Und Sie machen gerade noch per Schreiben an Ihre Fraktionskollegen aus einer medizinethischen Frage eine parteipolitische. In meiner Fraktion gibt es das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Deshalb ist die Lage ganz einfach: Es gab keine Einigkeit über die Abstimmungsreihenfolge. Wir stimmen ab über die Abstimmungsreihenfolge – so machen wir das in unserer Demokratie; wir nennen das „Parlamentarismus“ –, und danach entscheiden wir klug in der Sache.
Vielen Dank.
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Das Wort erhält der Abgeordnete Martin Sichert für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschäftsordnung und die parlamentarischen Gepflogenheiten sind Grundlagen der Demokratie, und sie sorgen dafür, dass Gesetze nicht schon aus formalen Gründen scheitern. Hier hat man den Eindruck, dass selbst die Antragsteller zur Impfpflicht diese nicht wollen; denn sie stoßen das Tor weit auf für eine Klage vor dem Verfassungsgericht, sowohl durch das Vorgehen heute als auch durch das Prozedere gestern im Ausschuss.
Dass der Kompromiss zwischen der Impfpflicht ab 18 und der Impfpflicht ab 50 die Impfpflicht ab 60 sein soll, das ist wirklich bizarr. Viel bizarrer aber noch ist, dass im Gesundheitsausschuss gestern früh, nicht mal zehn Minuten nachdem er schriftlich vorgelegt wurde, über einen 25‑seitigen Gesetzentwurf abgestimmt wurde. Mittags, als der Tagesordnungspunkt zur Impfpflicht bereits drei Stunden beendet war, hieß es plötzlich, dass zwei Stunden später ein weiterer Änderungsantrag vom Gesundheitsministerium beschlossen werden müsse. Dieser Änderungsantrag sei notwendig, weil der in der Früh beschlossene zu viele rechtliche Mängel hatte. Mit so heißer Nadel ist das hier alles gestrickt!
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So bekamen wir dann im Gesundheitsausschuss um 13.54 Uhr per Mail und um 14.05 Uhr schriftlich einen nun 31‑seitigen Gesetzentwurf vorgelegt. Trotz unseres Protestes wurde darüber binnen nicht mal zehn Minuten abgestimmt, und um 14.15 Uhr war die Sitzung bereits beendet. Das, meine Damen und Herren, ist kein Parlamentarismus. Das ist eine Farce.
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Kein Mensch kann 31 Seiten voller Gesetzesänderungen binnen so kurzer Zeit in all ihren Auswirkungen erfassen.
Sie haben mit der Mehrheit der Ampelkoalition mal eben den Parlamentarismus ausgehebelt und wollen es jetzt im Plenum auch noch machen. Sie wollen nicht den weitestgehenden Antrag zuerst beraten. Von diesem über Jahrzehnte in allen Parlamenten, Parteien und Vereinen gelebten Verfahren wollen Sie abweichen, weil Sie glauben, dass das die einzige Möglichkeit ist, wie Sie eine irgendwie geartete Impfpflicht durchbekommen.
Dabei ist Ihr Ziel ein weiterer Schlag gegen die Demokratie.
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Denn jede einzelne hier im Bundestag vertretene Partei hat im Wahlkampf versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird. Hören Sie auf, die Demokratie und den Parlamentarismus zu beschädigen!
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Gerade aufgrund der massiven Grundrechtseingriffe, um die es hier geht, und der hohen Bedeutung ist es wichtig, dass die Geschäftsordnung und die parlamentarischen Gepflogenheiten eingehalten werden. Daher lassen Sie uns wie immer den weitestgehenden Antrag, nämlich Impfpflicht, zuerst abstimmen.
Zum Schluss noch eins: Dass der Bundeskanzler in dieser Zeit die Außenministerin vom NATO-Treffen abberuft und der Bundesregierung offensichtlich die Einschränkung der Grundrechte der eigenen Bevölkerung wichtiger ist als der Frieden in der Ukraine, das ist wirklich entlarvend.
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Schluss mit dieser unwürdigen Farce! Lang leben Rechtsstaatlichkeit und Demokratie! Leben wir wieder das Verfahren so, wie wir es immer getan haben.
Vielen Dank.
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Es folgt für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Jan Korte.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst, Kollegin Katja Mast: Ich finde es schon relativ bemerkenswert, als SPD-Fraktion anderen Fraktionen, zum Beispiel meiner, vorzuwerfen, Steigbügelhalter der CDU/CSU zu sein. Was haben Sie in den letzten 20 Jahren eigentlich gemacht? Da waren ja wohl Sie in erster Linie diejenigen, die dem Wohl der CDU/CSU gedient haben. Das ist ja absurd.
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Zum Zweiten möchte ich zu dem Verfahren hier anmerken: Auch ich halte die CDU/CSU-Fraktion nicht für eine in jeder Hinsicht seriöse Oppositionsfraktion.
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– Ja. – Was aber nun nicht geht – das ist absurd, und deswegen wollen wir gucken, wer hier ein Demokratieproblem hat –, ist, dass Sie einer Oppositionsfraktion vorwerfen, ihre Oppositionsarbeit zu machen. Das ist geradezu lächerlich und grotesk,
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um das auch in aller Klarheit zu sagen. Das ist ihr gutes Recht. Diese Argumentation ist nun wirklich aberwitzig!
Zum Dritten möchte ich Folgendes anmerken. Lieber Johannes Vogel, zu behaupten, alle machten hier in diesem Hause Parteipolitik außer den Parteien der Ampel, ist doch geradezu lächerlich.
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Können Sie mit so einem Klamauk mal aufhören? Was soll das denn? Das ist doch wirklich Gequatsche!
Ich möchte zunächst zum Verfahren feststellen: Wir wären jetzt nicht in dieser – wie soll ich sagen? – etwas aufgeladenen Situation hier in diesem Hohen Hause, wenn die letzte Bundesregierung und die jetzige Bundesregierung vernünftige Coronapolitik gemacht und das Land nicht ins Chaos gestoßen hätten.
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Das ist die Sachlage. Deswegen müssen wir das hier diskutieren.
Dann will ich sagen: Zu glauben, es gebe keine Überlastung des Gesundheitssystems – ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist. Da müssen Sie mal mit den Pflegerinnen und Pflegern reden.
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Im Übrigen hatten wir die Überlastung auch schon vor Corona, um das auch mal in aller Klarheit hier zu sagen.
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Nun sind wir bei der Geschäftsordnung. Ich kann für meine Fraktion Die Linke sagen, dass wir uns Anträge angucken und grundsätzlich immer nach Sachfragen entscheiden, wie wir uns hier verhalten werden.
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– Das ist so. Das ist ja auch seriös. Man guckt, was da drinsteht, was der Vorschlag ist, und dann gucken wir, was nach unserer Meinung am sinnvollsten ist. Das unterscheidet uns ja auch von Ihrer Coronapolitik. Lieber Kollege Lauterbach, man kann ein guter Arzt sein, aber das heißt noch nicht, dass man ein guter Gesundheitsminister ist.
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Deswegen gucken wir uns das hier an.
Eins wissen Sie ganz genau, und deswegen, finde ich, sollten auch Sie von der Ampel mal ganz ehrlich sein: Es ist geübtes Verfahren in jedem Ortsverein auch der Sozialdemokratischen Partei, meiner Partei, bei allen anderen Parteien, dass der weitestgehende Antrag zunächst abgestimmt wird. Das ist die übliche Praxis.
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Tun Sie doch nicht so, als ob das irgendwie anders wäre. Tun Sie doch nicht einfach so! Das ist die übliche Praxis.
Wenn ich das jetzt mal für die Bürgerinnen und Bürger übersetze, die uns hier zuhören – ich bin ein großer Anhänger des Impfens und halte das für einen großen Menschheitsfortschritt; aber das ist meine persönliche Meinung, darüber kann man ja streiten –, kann ich doch ganz einfach mal feststellen, dass ein Beschluss des Bundestages über einen Eingriff am Körper eines Bürgers doch wohl tendenziell ein weiter gehender Beschluss ist als ein Beschluss, der das nicht vorsieht.
({10})
Das ist doch ganz offensichtlich.
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Deswegen – ich fasse zusammen –: Nur weil Sie als Ampel keine Mehrheit haben, ist meine Fraktion nicht bereit, auf Logik und ein parlamentarisch sauberes Verfahren zu verzichten.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit sechs Wochen herrscht Krieg in Europa. Ein Krieg, der nahezu – ich sage „nahezu“ auch wegen des heutigen Tages – alles überlagert, ein Krieg, der unvorstellbares Leid über das ukrainische Volk bringt, ein Krieg, der seit sechs Wochen Flucht und Vertreibung für die Menschen in der Ukraine bedeutet.
In Deutschland sind bis heute rund 310 000 ukrainische Flüchtlinge angekommen; das ist zumindest die vom Bundesinnenministerium veröffentlichte Zahl. Weil es kein einheitliches Registrierungsverfahren gibt, ist allerdings von einer erheblichen Untererfassung auszugehen. Es wird nicht systematisch registriert, die Verteilung wird nicht koordiniert, und die Teilhabe wird nicht organisiert. Das heißt, Fakt ist: Wir wissen es eigentlich nicht ganz genau. Das, meine Damen und Herren, geht einfach nicht.
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Wir wissen, dass rund 85 Prozent der Schutzsuchenden Frauen sind, Kinder sind, Jugendliche sind. Natürlich ist es mehr als ein Zeichen unserer Solidarität, dass wir uns um die bei uns ankommenden Frauen und Kinder kümmern.
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Es ist unsere moralische Verantwortung, ihnen Schutz zu gewähren und aber auch Integration zu ermöglichen. Die Hilfsbereitschaft ist großartig; das wird jeder von uns in seinem eigenen Wahlkreis spüren. Unser Ehrenamt und unsere Freiwilligendienste leisten wirklich Übermenschliches vor Ort in den Kommunen.
Aber – ich sage es ganz deutlich an die Bundesregierung –: Darauf dürfen Sie sich nicht ausruhen.
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Wir müssen nach vorne schauen. Man hat das Gefühl, dass Sie, statt einen langfristigen Plan zu verfolgen, manchmal nicht mal von Tag zu Tag denken, weil immer noch nichts vorbereitet ist. Sie ducken sich weg. Sie lassen geschehen, statt zu gestalten. Wo ist denn der eigentliche Krisenstab? Wo ist denn ein Ukrainekabinett?
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Wir haben in den letzten Jahren immer zu allem ein Kabinett gehabt, wenn es irgendwo gehakt hat: Es gab ein Brexitkabinett, es gab ein Klimakabinett. Jetzt gibt es kein Ukrainekabinett. Wo ist denn der Flüchtlingsgipfel? Fehlanzeige! Wo sind denn die von der Polizei geforderten Schutzzonen an den Bahnhöfen? Nichts zu sehen!
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Wo ist denn ein Masterplan der Bundesregierung? Es kann doch nicht sein, dass wir als CDU/CSU-Fraktion Ihnen den Masterplan vorlegen müssen, weil Sie keinen eigenen hinbekommen. Das kann doch nicht funktionieren. Eine systematische Registrierung und Personenfeststellung der Ankommenden an den Bahnhöfen
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oder von denen, die Geflüchtete aufnehmen, finden nicht statt. Herr Scholz, Ihre Ministerinnen Faeser und Spiegel bekommen weder Registrierung, Schutz noch Integration auf die Reihe. Machen Sie es endlich zur Chefsache!
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Wir schlagen Ihnen heute 13 Maßnahmen vor – das sollte leicht zu überblicken sein –; denn für uns ist ein gut organisierter Staat die Grundlage dafür, dass Hilfe, Sicherheit, Integration auch für unsere ukrainischen Frauen und Kinder gelingen. Es wäre Aufgabe der Bundesregierung, hier tätig zu werden.
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Statt zu handeln, verweisen Sie immer auf Nichtzuständigkeiten. Dabei wäre es wichtig, dass Sie jetzt endlich mal beginnen, sich zu kümmern. Was ist denn mit den Sprach- und Integrationskursen, die ganz notwendig sind? Die sind haushalterisch nicht hinterlegt. Was ist denn damit, dass ukrainische Berufsabschlüsse anerkannt werden? Wie wäre es denn, wenn Sie auch endlich mal – wenn Sie unserem Masterplan schon nicht zustimmen – einen eigenen Masterplan auflegen würden? Das wäre Ihre Aufgabe. Das wäre ein Zeichen, dass Sie sich endlich aktiv für den Schutz, für die Verteilung, für die Fürsorge, für die Integration der ukrainischen Frauen und Kinder einsetzen.
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Wir haben diesen Masterplan. Wenn Sie sich jetzt die einzelnen Punkte anschauen, dann möchte ich Ihnen einfach zurufen, dass es ein Leichtes wäre, mal zuzugeben, dass aus der Opposition heraus auch gute Vorschläge kommen. An dieser Stelle würden Sie sich nichts abbrechen.
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Wie wäre es, wenn Sie vor allem denjenigen Schutz bieten, die hier traumatisiert ankommen? Wir haben hier seit dem 24. Februar traumatisierte Frauen und Kinder, die natürlich integriert werden müssen, die natürlich die Sprache erlernen müssen, aber mit deren Traumata auch umgegangen werden muss.
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Wo ist denn ein längst überfälliges Unterstützungsprogramm zur Bewältigung psychosozialer Belastungen? Auch da Fehlanzeige! Sie reden, aber Sie handeln nicht. Ich weiß langsam nicht mehr, warum Sie alle drei eigentlich überhaupt regieren wollten. Das weiß überhaupt niemand mehr in diesem Lande.
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Außer Reden nichts gewesen!
Was soll man davon halten, dass auch die Bundesfamilienministerin sechs Wochen nach Kriegsbeginn nur warme Worte übrig hat, aber auch nicht zum Handeln kommt?
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Wo ist denn die tägliche Einbindung des BMFSFJ in einen Krisengipfel im Kanzleramt? Die findet einfach nicht statt. Nur einmal in der Woche miteinander telefonieren reicht halt einfach nicht. Deswegen sage ich Ihnen: Werden Sie jetzt endlich Ihrer Aufgabe gerecht!
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Ich habe gestern mit der Kollegin Lindholz und unserem Fraktionsvorsitzenden ein sehr beeindruckendes Gespräch mit ukrainischen Frauen aus unterschiedlichen NGOs, mit ehemaligen Abgeordneten gehabt, die um nichts sehnlicher bitten als darum – wenn sie schon den Frieden in Europa verteidigen –, dass wir wenigstens hier unsere Hausaufgaben machen. Wir haben es zugesagt. Bitte machen Sie das auch.
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Die nächste Rednerin in der Debatte: Ulrike Bahr, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Seit inzwischen sechs Wochen folgen wir mit wachsendem Entsetzen dem Horror des russischen Angriffs auf die Ukraine. Inzwischen befindet sich ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung auf der Flucht. Etwa 300 000 Menschen, zum allergrößten Teil Frauen und Kinder, haben in Deutschland Aufnahme gefunden. Die Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft, aber auch in den Kommunen und bei den Wohlfahrtsverbänden ist beeindruckend; denn dieser Krieg ist nicht nur geografisch nah, er ist auch emotional sehr nah an uns dran.
2018 hat eine Stipendiatin des Internationalen Parlaments-Stipendiums aus Kiew drei Monate in meinem Bundestagsbüro gearbeitet. Zum Abschluss im Sommer 2018 hat ihre ganze Familie mich im Bundestag besucht. Kateryna hat anschließend in Deutschland Arbeit gefunden. Jetzt hat sie ihre Großmutter, Mutter und die kleine Schwester zu sich nach Berlin geholt.
Vor zwei Tagen berichtete sie entsetzt über die Massaker in Butscha. Die Familie hatte eine Datsche kurz hinter Butscha und fragt sich jetzt, ob die ehemaligen Nachbarn noch leben und ob sie ihren Garten je wiedersehen können. In dieser emotionalen Ausnahmesituation möchten Katerynas Angehörige nicht verteilt werden, sondern brauchen ihre Tochter, Enkelin und Schwester als Stabilitätsanker und Orientierungshilfe und möchten darum in Berlin bleiben. Das ist wohl für jeden überaus nachvollziehbar.
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Solche niedrigschwelligen Zugänge, die unproblematische Einreise und der visumsfreie Aufenthalt für 90 Tage treten gelegentlich in Konflikt mit der unverzüglichen Registrierung. Unsere Innenministerin Nancy Faeser arbeitet seit Wochen an der Verbesserung der Registrierung. Die Bundespolizei geht regelhaft durch die Züge, kontrolliert die ukrainischen Pässe und macht auf die Registrierung und die damit verbundenen Vorteile aufmerksam. Die Ausländerbehörden vor Ort werden vom Bundesinnenministerium im Einsatz von PIK-Stationen unterstützt, die einen Abgleich mit europäischen Datenbanken ermöglichen. Nur über die Registrierung gibt es einen Zugang zu Leistungen, zum längerfristigen Aufenthaltsrecht und zu einer Arbeitserlaubnis.
An Ankunftshotspots wie dem Berliner Hauptbahnhof weisen die Helferinnen und Helfer sowohl auf die Registrierung als auch auf die Gefahren privater Angebote hin; denn Schutz kann nur funktionieren, wenn wir wissen, wer gekommen ist und Schutz braucht. Die meisten Geflüchteten lassen sich auch zeitnah registrieren. Nach meiner Wahrnehmung läuft sehr vieles inzwischen sehr gut und koordiniert. Denn wir können auf Erfahrungen und Strukturen aufbauen, die es seit 2015 gibt und die Bund und Länder gemeinsam fortentwickelt und verbessert haben. Die Bund-Länder-Zusammenarbeit sowohl im Innenressort als auch im Bereich „Frauen und Familie“ ist eng abgestimmt. Richtig so!
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Die schnelle humanitäre Hilfe und der Schutz für geflüchtete Menschen aus der Ukraine ist kein gutes Feld für parteipolitische Profilierung. Hier müssen wir auf allen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen – zusammen helfen und tun das auch.
Eine befreundete Jugendamtsleiterin aus Bayerisch-Schwaben hat mir berichtet, dass all die Integrationsmaßnahmen, die der Antrag der Union auflistet, in ihrer Kommune bereits umgesetzt werden: Parallel zu Sprachkursen gibt es Spielgruppen für Kinder unter sechs Jahren. Schwangere und Wöchnerinnen in den Unterkünften werden von Familienhebammen betreut. Die Bundesagentur für Arbeit bietet regelmäßig Sprechstunden und Beratung in den Unterkünften an. Die 2016 gemeinsam mit UNICEF entwickelten Schutzkonzepte für Gemeinschaftsunterkünfte werden selbstverständlich angewendet. Auf die zentralen Bundesprogramme zur Integrationsförderung wird meine Kollegin Gülistan Yüksel noch eingehen.
Auch das BMFSFJ hat viele seiner zentralen Informationen zu Beratungsdiensten mit Blick auf die ukrainischen Frauen und Jugendlichen erweitert, so zum Beispiel die Hilfetelefone „Gewalt gegen Frauen“ und „Schwangere in Not“. Ein Angebot in russischer Sprache gibt es bereits, und Dolmetscherangebote auf Ukrainisch sind in Vorbereitung.
Der bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, KOK e. V., ist Partner bei der Schulung von Bundespolizei, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und von Hilfsorganisationen. Ministerin Spiegel hat gestern aus einem Briefing mit dem KOK von Anfang dieser Woche berichtet, dass Hinweisen auf Missbrauch, Ausbeutung und Zwangsprostitution sehr sorgfältig nachgegangen wird.
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Besonders froh bin ich, dass es seit Ende letzter Woche eine bundesweite Koordinierung zur Versorgung, Unterbringung und Verteilung von Kindern und Jugendlichen gibt, die aus evakuierten ukrainischen Kinderheimen mit ihren Gruppen und ihren Betreuerinnen kommen.
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In Kooperation mit dem Bundesverband SOS-Kinderdorf und dem Bundesverwaltungsamt können Kommunen Platzkapazitäten melden. Die Verteilung wird dann vom Bundesverwaltungsamt gesteuert.
Natürlich bleiben noch viele Fragen offen. Vormundschaft und Sorgerecht für die betroffenen Minderjährigen nach ukrainischem Recht sind oft nicht geklärt. Qualitätsstandards nach deutschem Jugendhilferecht können übergangsweise nicht garantiert werden. Hier brauchen wir schnell geprüfte Informationen, um pragmatische Übergangslösungen zu finden und so den deutschen Einrichtungsträgern rechtssicheres Handeln zu ermöglichen und sie in ihrem Engagement nicht in Konflikt mit der Heimaufsicht zu bringen.
Für die Finanzierung von Hilfen, zum Beispiel auch für Menschen mit Behinderungen, die ebenfalls in nennenswerter Zahl kommen und dringend Unterstützung brauchen, hoffe ich sehr auf eine schnelle Einigung bei der Ministerpräsidentenkonferenz heute Nachmittag.
Es ist sehr gut, dass es für solche umfassende Hilfe einen sehr breiten Konsens über die Fraktionen hinweg gibt. Ein ganz besonderer Dank gebührt aber der Zivilgesellschaft. In meinem Wahlkreis Augsburg gibt es eine recht große ukrainische Community und einen sehr aktiven ukrainischen Verein, der sich mit viel Herzblut und Engagement für die Landleute einsetzt und dabei sehr viel Unterstützung und Hilfe in der gesamten Stadtgesellschaft findet.
Das erlebe ich auch anderswo genauso. Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt vernetzt dieses großartige zivilgesellschaftliche Engagement für die Ukraine im Bündnis Alliance for Ukraine.
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Ich komme zum Ende. – Es bleibt zu hoffen, dass uns allen bei diesem Marathon nicht die Puste ausgeht. Die Menschen aus und in der Ukraine brauchen unsere Solidarität noch lange.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Dr. Gottfried Curio, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vielen Pseudoflüchtlinge von 2015 – Männer ohne ihre Familien, ohne Pässe, ohne Dank, ohne Rückkehrwillen –, sie waren das, was sie waren.
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Jetzt lernt Deutschland wahre Flüchtlinge kennen: Frauen und Kinder, mit Pässen, dankbar, rückkehrwillig.
So unterscheidet sich diese Flucht von der Migrationswelle 2015 in allem fundamental, nur in einem nicht: Wieder weigern sich die politisch Zuständigen, die Lage zu kontrollieren und zu erfassen. Die allseitige Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge ist ja fraglos. Effektive Hilfe funktioniert aber nur, wenn die Helfer die Kontrolle haben über das, was sie tun.
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Deutsche Sicherheitsbehörden warnen, Schleuser würden die erleichterten Einreisebedingungen aktiv bewerben, gefälschte ukrainische Pässe in Umlauf bringen. Deutschland stehe damit auch für terroristische Gruppierungen offen. Die Innenministerin aber nimmt trotz dieser Warnungen Sicherheitsrisiken für Deutschland sehenden Auges in Kauf. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren!
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Was es jetzt braucht, ist lückenlose Registrierung, Prüfung der Personaldokumente, Erfassung der Identität, Verhinderung von Trittbrettfahrern, die sich als Ukrainer ausgeben oder im Strom der Flüchtlinge mit einreisen, um hier Asyl zu beantragen.
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Die Ukraine ist kein Land afrikanischer Austauschstudenten. Nur eine vollständige Registrierung macht eine gute Organisation der Versorgung und eine belastungsgerechte Verteilung möglich.
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Aber die Innenministerin verweigert die Registrierung ausdrücklich. So werden im Schatten einer echten Flüchtlingskrise Unberechtigte hierhergelockt –
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ideal, um die Statistiken über illegale Migranten zu bereinigen, indem man sie im breiten Strom einer echten humanitären Zuwanderung, die unregistriert läuft, untertauchen lässt.
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Meine Damen und Herren, 2015 war kein Kontrollverlust – es war eine bewusste Kontrollverweigerung. Und jetzt droht sie sich zu wiederholen. Haben Sie denn nichts gelernt?
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Übrigens, so wie die illegale Migration in den Ukraineflüchtlingen versteckt werden soll, so soll jetzt das gesamte Missmanagement dieser Regierung als Kriegsfolge vertuscht werden. So sollen die schon im Februar, vor Kriegsbeginn, explodierten Energiepreise und die Inflation auf „kriegsverursacht“ umgedeutet werden. Dabei stecken da vor allem drin: uferloses Drucken von EZB-Geld für EU-Schuldenstaaten, CO2-Besteuerung. Was tatsächlich hinzukam, waren die hausgemachten Sanktionen, die uns selbst erheblich schaden. Das ist diese Regierung: Sich gesinnungsethisch in die Brust werfen! Aber Schaden vom deutschen Volk abwenden? Fehlanzeige, meine Damen und Herren!
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Was ist noch notwendig? Nichtukrainer, die jetzt mit ankommen, müssen, wie es die Massenzustromrichtlinie vorsieht, in ihr Heimatland zurück. Das alte Hunderttausender-Heer – die es sich nach wie vor auf Steuerzahlerkosten in Deutschland wohlergehen lassen –, die 300 000 vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer sind endlich zurückzuführen!
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Das setzt erhebliche Ressourcen frei: bei Unterbringung, im Bildungswesen, bei der Staatsfinanzierung.
Und bitte: Rückführen, rückführen, rückführen; nationale Kraftanstrengung – nie umgesetzt. Reine Propagandaparolen werden diesmal nicht reichen. Spätestens jetzt muss doch Schluss sein mit noch zusätzlichen globalistischen Umsiedlungs- und Resettlement-Programmen, meine Damen und Herren!
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Wichtig: Die Flüchtlinge selbst wollen nach Ende der Kämpfe zurück. Die Ukraine braucht nicht den Zynismus von Arbeitsminister Heil, der den hiesigen Fachkräftemangel durch Ukrainer decken will. Sie werden sehr bald in ihrer Heimat gebraucht! Die Ukraine wünscht deshalb Unterricht nach ukrainischen Lehrplänen, aber keine schulische Integration nach Deutschland. Der Unterricht in der Ukraine sei intensiver, mit höheren Anforderungen in kürzerer Zeit. Außerdem könne, heißt es vonseiten der Ukraine, in Integrationsklassen die eigene nationale Identität Schaden nehmen.
Liebe Altparteien-Politiker, wertvolle Hinweise: Man legt dort Wert auf Unterricht mit Niveau statt Absenkung zur Verschleierung
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der Probleme durch sprachfremde Schüler. Und für alle, die jetzt gelb-blaue Fahnen schwenken, aber bestimmt nie die deutschen Farben: Man legt dort Wert auf nationale Identität und ihre Wahrung.
Ich danke Ihnen.
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Die nächste Rednerin in der Debatte ist Bundesministerin Anne Spiegel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Zuhörende! Es ist nun fünf Wochen her, dass dieser schreckliche Angriffskrieg von Putin in der Ukraine gestartet ist.
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– Sechs Wochen, pardon.
Es sind schreckliche Bilder, die uns tagtäglich erreichen und die uns alle fassungslos machen. Aber sie machen uns nicht tatenlos. Wir handeln als Bundesregierung, und das von Anfang an. Wir stehen zusammen, und wir arbeiten daran, dass wir die zu uns fliehenden Frauen und Kinder aus der Ukraine vom ersten Tag an gut aufnehmen können. Unzählige Helferinnen und Helfer haben sich auch ehrenamtlich engagiert und tun das nach wie vor. Viele Menschen haben auch private Unterkünfte angeboten.
Für diese wirklich großartige Hilfsbereitschaft der vielen Ehrenamtlichen in der Bundesrepublik, die das Ankommen der Menschen, die Schreckliches und Traumatisches erlebt haben, erleichtern, möchte ich mich an dieser Stelle ganz, ganz herzlich bedanken.
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Ich hatte gestern im zuständigen Ausschuss schon ausführlich berichtet, was wir auch in der Bundesregierung machen, um die ukrainischen Frauen und Kinder gut aufnehmen zu können. Ich möchte hier auf einige Punkte eingehen, die sehr wichtig sind.
Zum einen gibt es die bundesweite Koordinierung für die Aufnahme von Kindern aus ukrainischen Waisenheimen mit ihren Betreuerinnen und Betreuern. Denn es ist sehr wichtig, dass wir diese Kinder, die in ihrem jungen Leben schon so viel durchgemacht haben, die Dramatisches im Krieg und auf der Flucht erlebt haben, als Gruppe mit ihren Betreuerinnen und Betreuern zusammen unterbringen können. Deswegen gibt es zwei Säulen: Es gibt die „SOS Meldestelle“, die auch dank des großartigen Engagements der SOS-Kinderdörfer ins Leben gerufen wurde. Hier können Kapazitäten an Unterkünften in Waisenheimen gemeldet werden. Dann erfolgt – das ist die zweite Säule – über das Bundesverwaltungsamt die Verteilung auf die Länder nach dem Königsteiner Schlüssel. Ich möchte ausdrücklich betonen: Es gibt ein gemeinsames unaufgeregtes und entschlossenes Handeln von Bund, Ländern und Kommunen an dieser Stelle, und das ist auch richtig. Der gemeinsame Maßstab unseres Handelns sind der Kinderschutz und das Kindeswohl.
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Des Weiteren gibt es den Schutz der Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution. Ich bin sehr froh, zu wissen, dass die Strukturen, die in den Jahren 2015 ff. beim Bundeskriminalamt, bei der Bundespolizei, bei den LKAs, aber auch beim KOK, dem Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Frauenhandel, aufgebaut wurden, zum Schutz der Frauen ineinandergreifen, dass man vor Ort präsent ist und dafür sorgt, dass Frauen sicher sind. Ich möchte betonen, dass Überfälle zum Glück nur Einzelfälle sind. Aber es ist gut, dass man hier genau hinschaut und sensibilisiert ist. Selbstverständlich sind die Hilfetelefone, die Beratungsstellen, alles, was wir hier an Infrastruktur haben – Hilfetelefone für von Gewalt betroffene Frauen oder Frauen in schwierigen Situationen, „Schwangere in Not“ und andere –, auch für die ukrainischen Frauen da. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Angebote jetzt über Dolmetscherinnen und Dolmetscher auch sprachlich zugänglich machen.
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Ich komme zu einem weiteren Punkt, der ganz besonders wichtig ist und bei dem wir in der Bundesrepublik eine Verantwortung, ja eine Verpflichtung haben –, zur Evakuierung von Holocaustüberlebenden aus der Ukraine. Dank des großen Engagements der Jewish Claims Conference ist es unter anderem gelungen, dass gestern 47 Holocaustüberlebende in die Bundesrepublik gebracht werden konnten. Das sind sehr schwierige Evakuierungen; denn die Menschen sind hochbetagt; sie sind teils schwerstpflegebedürftig. Aber es ist wichtig, dass wir hier zu der Verantwortung und Verpflichtung stehen, diese Menschen gemeinsam gut aufzunehmen.
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Selbstverständlich stärken wir die vielen Ehrenamtlichen, die jetzt aktiv sind. Nicht nur an den Bahnhöfen und den Ankunftspunkten, nein, auch bei den ersten Schritten der Integration sind sie da und stehen den ukrainischen Frauen und Kindern zur Seite. Da möchte ich exemplarisch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt nennen, die vom ersten Tag an sofort aktiv war und alles darangesetzt hat, hier die entsprechenden Strukturen bereitzustellen. Ebenso Organisationen wie „Menschen stärken Menschen“, wo über Patenschaften die ersten Schritte der Integration Hand in Hand gemeinsam gegangen werden –, und das neben vielen weiteren tollen Aktivitäten, damit die ukrainischen Menschen hier gut ankommen.
Dazu gehört auch der schnelle Zugang zu Integrationskursen, zu Sprachkursen. Selbstverständlich tun wir was. Selbstverständlich werden wir das weiter ausbauen, damit der Spracherwerb, aber auch der Zugang zum Arbeitsmarkt jetzt schnell vorangehen. Exemplarisch möchte ich hier „Mama lernt Deutsch“ nennen, einen Sprachkurs des Familienministeriums, bei dem neben dem Deutschlernen der Mütter auch dafür gesorgt ist, dass es eine Betreuung für die Kinder gibt.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich werde in den nächsten Tagen gemeinsam mit Vertretern deutscher Kinderschutzorganisationen nach Polen reisen. Das ist eine mir sehr wichtige Reise. Ich treffe dort unter anderem die polnische Familienministerin. Es ist wichtig, dass wir hier in der Europäischen Union zusammenstehen und uns gemeinsam dieser Herausforderung annehmen. Damit die Menschen, die Schreckliches durchgemacht haben – und es sind überwiegend Frauen und Kinder auf der Flucht –, hier gut aufgenommen werden. Damit sie eine psychosoziale Versorgung bekommen – das ist in den Strukturen des Ankommens enthalten. Damit vor allen Dingen die Kinder, die Schreckliches durchgemacht haben und zum Teil traumatisiert sind, wieder Kinder sein können. Das sollte unser aller Anstrengung wert sein.
Danke.
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Die nächste Rednerin in der Debatte ist Frau Clara Bünger, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin Spiegel! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union gefällt sich ganz offensichtlich darin, die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine unter dem Label „Sicherheit und Ordnung“ zu thematisieren.
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Wenn Sie jetzt noch einen Masterplan fordern, dann lässt das aus meiner Sicht nichts Gutes erahnen; denn unter dieser anmaßenden Überschrift hatte Ex-Innenminister Seehofer zahlreiche Verschärfungen im Umgang mit Schutzsuchenden propagiert.
Als Juristin sage ich Ihnen, Frau Bär: Rechtlich gibt es momentan keine Möglichkeit, eine systematische Registrierung der Geflüchteten aus der Ukraine zu erzwingen, solange sie keine staatlichen Leistungen und keinen Aufenthaltstitel beantragen.
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Bis zum 23. Mai können sie sich legal in Deutschland aufhalten, und dass die Übergangsverordnung jetzt verlängert werden soll, ist gut so.
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Sehr viele Geflüchtete können derzeit privat bei Bekannten und Verwandten unterkommen. Das ist doch positiv und sollte im Übrigen auch anderen Geflüchtetengruppen ermöglicht werden.
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Frau Bünger, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke.
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Wenn es Ihnen wirklich ein Anliegen wäre, geflüchtete Frauen und Kinder vor patriarchaler Gewalt zu schützen, dann müssten wir hier vor allem über die Situation in den Lagern und Massenunterkünften sprechen; denn dort sind Frauen sexuellen Übergriffen meist schutzlos ausgeliefert. Das sagte übrigens auch ein Vertreter des BKA im Innenausschuss. Und die Täter sind nicht nur Ehemänner, männliche Verwandte oder Mitbewohner, sondern Sicherheitsdienstmitarbeiter, Sozialarbeiter, Hausmeister, also Personen, die dort im staatlichen Auftrag tätig sind. Was lernen wir daraus? Staatliche Kontrolle ist nicht gleichbedeutend mit Schutz für Frauen. Der beste Schutz für Frauen und Kinder wäre es, sie nicht in Massenunterkünfte und AnkER-Zentren zu stecken, wie es die Union seit Jahren zur Abschreckung propagiert, sondern auf dezentrale Unterbringung zu setzen.
Als Sie in der letzten Legislaturperiode eine Verschärfung nach der nächsten im Flüchtlingsrecht durch den Bundestag gejagt haben – ich erinnere mich –, hat Sie die Sicherheit von Frauen herzlich wenig interessiert.
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Vor diesem Hintergrund wirkt Ihr Antrag heuchlerisch und aus meiner Sicht auch peinlich.
Die Union fordert einen Hilfsgipfel. Wir denken auch, dass es einen Flüchtlingsgipfel braucht, um von Anfang an eine gute Abstimmung von Bund, Ländern und Kommunen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Fachverbänden zu gewährleisten; denn Fachverbände wissen am besten über praktische Probleme Bescheid, und ihre Kompetenz muss bei der Entwicklung kurz-, aber auch mittel- und langfristiger Maßnahmen genutzt werden.
Ich war diese Woche mit meiner Kollegin Petra Pau im Ankunftszentrum in Tegel. Das Ankunftszentrum ist das erste Zentrum deutschlandweit, in dem Hilfsorganisationen zusammen unter einem Dach arbeiten. Das ist schon mal gut, weil Dinge so besser koordiniert werden können; denn es kommen mittlerweile sehr viele Menschen besonders vulnerabler Gruppen an, darunter auch Menschen mit Kriegsverletzungen. Eine Mutter ist dort mit ihrem kriegsverletzten Sohn, der sehr schnell in ein Krankenhaus gebracht werden musste, angekommen. Dank der guten Zusammenarbeit konnte die Versorgung des Kindes professionell und schnell koordiniert werden. Das ist gut und sollte Vorbildfunktion haben.
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Dennoch gibt es sehr viele Baustellen. Immer noch müssen Schutzlücken geschlossen werden. Es muss sichergestellt werden, dass alle, die aus der Ukraine geflohen sind, geschützt werden. Das heißt, auch Drittstaatler/-innen und insbesondere Studierende brauchen diese Rechtssicherheit.
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Wir müssen aber auch diejenigen schützen, die sich dem Kriegsdienst in Russland verweigern, und diejenigen, die in Russland gegen den Krieg protestieren. Ich bekomme immer mehr Anfragen von Menschen aus Russland, die fliehen wollen. Wir dürfen diese mutigen Menschen nicht alleine lassen.
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Und schließlich: Lassen Sie uns das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz endlich aufheben!
({5})
Wir wollen alle Schutzsuchenden gleich behandeln, und zwar menschenwürdig.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Silke Launert.
Vielen Dank. – Schade, dass Sie die Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Sie hätte zu Ihrem Satz, dass es rechtlich keine Möglichkeit gebe, diese Registrierung durchzuführen, gepasst. Dann hätte die Antwort auf die Nachfrage das ergänzt.
Sie haben recht: Wir von der Union hätten gerne eine Registrierung, möglichst grenznah, eine Feststellung, wer alles im Land ist,
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vielleicht sogar vor Ort, aber spätestens danach. Meine Frage im Innenausschuss, ob das denn rechtlich zu ermöglichen ist, ob wir eine gesetzliche Grundlage schaffen können, wofür wir als Gesetzgeber auch zuständig sind, entweder national oder europarechtlich,
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wurde von der Innenstaatssekretärin ganz klar bejaht, und so ist es auch. Man kann diese rechtliche Grundlage schaffen. Daher tut es mir leid, dass Sie hier so tun, als sei das rechtlich nicht möglich. Wir sind dazu da, eine Grundlage zu schaffen, wenn es zweckmäßig ist, und gerade angesichts der hohen Zahlen ist es zweckmäßig.
({2})
Wir wollen auch helfen; aber es muss strukturiert sein. Wir müssen wissen, wie viele Kinder da sind,
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wenn sie in die Schulen kommen; wir müssen uns vorbereiten. Deshalb ist es echt schade, dass Sie hier falsche Auskünfte geben bzw., nennen wir es mal so, Halbwahrheiten verbreiten.
({4})
Frau Bünger, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
Sie haben ja selber erkannt, dass Sie da falschliegen. Sie haben gesagt, Sie wollten gern eine rechtliche Möglichkeit dafür schaffen, dass die Menschen registriert werden. Ich habe die rechtliche Lage beschrieben, wie sie ist, dass es derzeit keinen Zwang zur Registrierung gibt. Ich denke, das sollte auch so bleiben.
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Die nächste Rednerin in der Debatte: Gyde Jensen, FDP-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, liebe Union, dass Sie in Ihrem Antrag familienpolitisch genau die Programme aufzählen, die auch wir als Koalitionsfraktionen für eine gute Unterstützung für die ukrainischen Frauen, Kinder und Jugendlichen identifiziert haben und die im Übrigen im Familienministerium seit Wochen mit ganz großem Engagement entsprechend angepasst wurden und werden und sich mit eigenen Webauftritten und mit Übersetzungen zielgerichtet an Ukrainer/-innen wenden.
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Stichworte sind hier „Frühe Hilfen“, „Sprach-Kitas“ oder auch die Programme „Stark im Beruf“ und „Menschen stärken Menschen“. Dass es bei diesen einzelnen Programmen natürlich auch darum geht, sie haushalterisch zu stärken, haben wir auf dem Schirm. Da freuen wir uns auf die Zusammenarbeit im Rahmen der Haushaltsberatungen.
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Ich weiß natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass Sie an Ihrem gefühlten Alleinvertretungsanspruch als Fürsprecher der Anliegen der Kommunen in Deutschland festhalten. Diese Zeiten sind aber schon lange vorbei. Und wenn Sie ganz ehrlich sind, stimmt es, wenn Sie vermeintlich für die Kommunen in die Bresche springen wollen, nicht ganz mit dem überein, was wir über die Abstimmungen zwischen Bund, Ländern und vor allen Dingen den Kommunen hören. Diese Abstimmungen laufen nämlich sehr konstruktiv. Auf ihren Wunsch wurde zum Beispiel die zentrale Koordinierungsstelle für die Versorgung von Heim- und Waisenkindern auf Bundesebene eingerichtet.
Wer allerdings in dieser Debatte nicht konstruktiv ist, ist die CSU, und zwar schon seit Wochen. Wenn unbegleitete Minderjährige bzw. Minderjährige mit Betreuern einreisen – wir haben das auch in der Debatte zum Einzelplan 17 in der vergangenen Sitzungswoche gehört –, dann sollten diese Kinder entsprechend betreut werden und möglichst schnell Zugang zu Leistungen nach SGB VIII erhalten
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und nicht unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Letzteres ist natürlich im Sinne einer restriktiveren Haushaltsführung; aber dann stellen Sie sich bitte nicht hier hin und sagen, bei Ihnen stehe das Wohl des Kindes im Mittelpunkt,
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und dann stellen Sie bitte nicht solche Anträge. Was Sie dann bitte machen, ist Folgendes: Rufen Sie Ihren MP in Bayern an und sagen Sie ihm, er solle sich bitte nicht länger querstellen, auch im Rahmen der MPK nicht, und daran arbeiten, dass keine PMs herausgegeben werden, in denen eine Einigung, der er vorher zugestimmt hat, im Nachhinein ganz anders lautet!
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Jetzt gehe ich noch auf Ihren Antrag ein. Sie schreiben in Ihrem Antrag:
Den Schutz für sie müssen wir jetzt in den Vordergrund stellen und ihre Integration ermöglichen. Ein gut organisierter Staat ist die Grundlage dafür, dass Hilfe, Sicherheit und Integration für ukrainische Frauen, Kinder und Jugendliche gelingt.
Ich muss Ihnen sagen: Das macht mich ein bisschen traurig, und zwar aus dem Grund, dass es so floskelhaft klingt,
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weil Sie mit dem Schlagwort „Integration“ der damit verbundenen Herausforderung gar nicht gerecht werden, und zwar einerseits zu ermöglichen, dass diejenigen, die hier ankommen, sofort einen Platz in unserer Gesellschaft erhalten und sich zumindest für eine Zeit hier ein Leben aufbauen können, und andererseits gleichzeitig den starken Wunsch zu respektieren, ihre ukrainische Heimat außerhalb des ukrainischen Territoriums hier weiter zu bewahren, bis sie nach Hause zurückkehren. Unsere Bundesbildungsministerin kümmert sich zum Beispiel im Bildungsbereich genau darum, nämlich dass das Miteinander verzahnt ist.
Dann wären wir noch – ganz kurz, Frau Präsidentin – beim Stichwort „Masterplan“. Ich verstehe Ihren Wunsch; ich war auch in der letzten Legislatur dabei. Das Innenministerium hat sich ungern an Absprachen mit anderen Häusern beteiligt. Aber auch diese Zeiten sind vorbei.
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Deswegen brauchen wir flexible, schnelle Lösungen auf allen Ebenen, aber nicht einen staatlich-zentral verordneten Masterplan. Wir freuen uns dennoch auf die Beratung im Ausschuss.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner in der Debatte: Alexander Throm, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit sechs Wochen herrscht Krieg auf europäischem Boden, und die Bilder werden von Tag zu Tag schrecklicher, unerträglicher und brutaler. Das hat zur Folge, dass ein Viertel des ukrainischen Volkes sich auf der Flucht befindet; 4 Millionen Menschen haben ihr Land verlassen. Es ist unsere Pflicht, diesen europäischen Binnenflüchtlingen in Europa und in Deutschland Obhut und Schutz zu gewähren.
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Wir fühlen mit den Menschen; sie sind uns nicht nur geografisch, sondern auch emotional nahe. Deswegen gibt es in Deutschland eine große Hilfsbereitschaft. Darum möchte ich an dieser Stelle allen danken, die Menschen bei sich zu Hause aufnehmen, den Ehrenamtlichen, aber auch den Hauptamtlichen in unseren Behörden, die mit dieser Aufgabe betraut sind. Ein herzliches Dankeschön!
({1})
Jetzt wäre es Aufgabe der Bundesregierung, diese Hilfsbereitschaft aufzunehmen, zu fördern, zu unterstützen, damit es weitergeht, und Hilfe bestmöglich zu organisieren. Doch diese Bundesregierung hinkt seit sechs Wochen der Entwicklung hinterher.
({2})
Wir haben keine durchgehende Personenfeststellung. Wir haben kein gleichmäßiges System der Registrierung, keine gut organisierte Verteilung der Menschen innerhalb von Deutschland. Vor allem, Frau Ministerin Spiegel, haben wir keinen ausreichenden Schutz von Frauen und Kindern, wenn sie bei uns in Deutschland ankommen.
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Die Bundesregierung weiß bis heute nicht, wie viele Menschen sich hier aufhalten und wer und wo sie sind – ganz anders als in Polen, das viel stärker durch die Flüchtlingszahlen belastet ist. Gleichzeitig erklärt Frau Ministerin Faeser, die heute wieder mal mit Abwesenheit glänzt, in ihren vielen Interviews Folgendes: Die Polizei kontrolliert sehr intensiv in Bussen und Zügen. Besonders die Drittstaatler ohne ukrainischen Pass werden kontrolliert und registriert. – Dazu zwei Anmerkungen: Erstens. Sie erkennt mit diesen Aussagen an, dass eine Kontrolle notwendig ist; sonst würde sie das nicht immer wieder behaupten.
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Zweitens stimmt diese Behauptung von Frau Faeser, zuletzt in der „Leipziger Volkszeitung“ vom vergangenen Samstag, mit der Wahrheit und der Realität nicht überein. Es wird in Deutschland keine vollständige Personenfeststellung durchgeführt, insbesondere nicht bei Drittstaatlern, meine Kolleginnen und Kollegen.
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Deswegen wird die Innenministerin ihrer Aufgabe nicht gerecht, zu wissen, wer in Deutschland ist und wie viele es sind; das ist ihre Verantwortung. Sie schadet damit nicht nur den Sicherheitsinteressen unseres Landes, sondern auch den vielen Menschen, den Frauen und Kindern, die deshalb keinen Schutz erfahren können.
Die beiden Ministerinnen haben nichts gemacht, weder Frau Faeser noch Frau Spiegel. Wir haben im Innenausschuss darauf hingewiesen. Einzige Antwort: Wir werden die Bundespolizei sensibilisieren. – Bis heute gibt es keine Schutzzonen, kein Schutzkonzept. Frau Ministerin Spiegel, Sie haben gerade gesagt, Sie handelten unaufgeregt. Meinetwegen können Sie auch aufgeregt handeln – Hauptsache, Sie handeln.
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Die Ministerin Faeser ist auch auf europäischer Ebene gescheitert. Ja, die Massenzustrom-Richtlinie wurde aktiviert; das haben wir von Anfang an begrüßt. Das ist ein gutes Mittel, um den Menschen aus der Ukraine hier schnell und unbürokratisch eine Aufnahme zu gewähren. Aber es wurde entgegen den Vorschriften der Richtlinie selbst beim Beschluss nicht festgestellt, wie die Aufnahmekapazitäten in den einzelnen europäischen Ländern sind.
Jetzt ist die Frau Ministerin Faeser mit der Forderung nach einer verbindlichen Quote letzte Woche nach Brüssel gereist. Sie ist gescheitert. Sie ist ohne Ergebnis nach Deutschland, nach Berlin zurückgekommen.
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Es gibt keine Solidarität in diesem Bereich auf europäischer Ebene.
({8})
Die Ministerin ist gescheitert,
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und sie möge hier eine Lernkurve hinlegen für zukünftige Verhandlungen auch in anderen Bereichen der Migration, damit sie so nicht nochmals scheitert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das sehen offensichtlich auch die Koalitionspartner der Frau Ministerin so, insbesondere die Grünen. Ihr Vorsitzender hat einen Krisenstab im Bundeskanzleramt gefordert, ebenso die Vizepräsidentin Frau Göring-Eckardt. Und bei der FDP nicht viel anders: Der Herr Migrationsminister Stamp aus Nordrhein-Westfalen fordert ebenso einen solchen Krisenstab im Kanzleramt. Auch außerhalb der Politik gibt es Beispiele: Der Flüchtlingsbeauftragte der EKD fordert ebenfalls einen Krisenstab – nicht mehr im Innenministerium, sondern als Chefsache im Bundeskanzleramt. Ich hoffe, der Bundeskanzler hört diese Rufe aus seiner Koalition und beispielsweise aus der evangelischen Kirche.
Herzlichen Dank.
({11})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gülistan Yüksel, SPD-Fraktion.
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Kollege Throm, zu Ihnen am Anfang: Ich glaube, Ihnen müsste bekannt sein, dass die Ministerin heute entschuldigt ist. Deswegen finde ich es einfach unwürdig, dass Sie das immer wieder, in jeder Debatte versuchen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten und Bilder aus der Ukraine zerreißen einem das Herz. Noch vor ein paar Wochen gingen die Ukrainerinnen und Ukrainer ihrem normalen Alltag nach, so wie wir hier. Kinder gingen zur Schule und verabredeten sich zum Spielen. Menschen gingen morgens zur Arbeit, unternahmen abends etwas mit ihrer Familie und machten Pläne fürs Wochenende. Doch plötzlich ist alles vorbei. Putins Angriffskrieg hat die Menschen in der Ukraine aus ihrem Leben gerissen. Putins Bomben legen Wohnhäuser und Krankenhäuser in Schutt und Asche. Menschen müssen ansehen, wie ihre Lieben sterben. Dieses unermessliche Leid ist nicht in Worte zu fassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen, die zu uns fliehen, bieten wir zuallererst Schutz. Das ist unsere humanitäre Pflicht. Diesen Schutz geben wir ihnen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, als Bund gemeinsam mit Ländern und Kommunen, gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helferinnen und Helfern. Und auch wenn es heute schon mehrmals gesagt wurde – man kann es nicht oft genug sagen –: Danke an alle engagierten Helferinnen und Helfer!
({1})
Solche humanitären Katastrophen können wir nur gemeinsam bewältigen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zusammenarbeiten und solidarisch zusammenstehen. Die rasche Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie zeigt, dass die Idee eines solidarischen Europas mehr denn je mit Leben gefüllt ist. Die Richtlinie ermöglicht den Schutzsuchenden europaweit eine schnelle und unbürokratische Aufnahme sowie schnellen Zugang zu verschiedenen Bereichen des Lebens: zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, aber auch zu Sozialleistungen und zur medizinischen Grundversorgung. Hierunter fällt auch eine psychische Behandlung, die besonders wichtig ist; denn Krieg und Bomben traumatisieren. Das Abschiednehmen von Söhnen, Vätern, Brüdern, Ehemännern, nicht wissend, ob man sie wiedersieht, traumatisiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die erst mal bei Verwandten oder Freunden unterkommen. Ich finde es richtig, den flüchtenden und teilweise traumatisierten Menschen diese Möglichkeit zu geben; denn nach geltendem Recht können sie sich 90 Tage visumsfrei in Europa aufhalten. Bleiben sie länger bei uns oder brauchen sie staatliche Unterstützung, werden sie ohnehin registriert. Ich verstehe also diese Debatte, die Sie hier führen, überhaupt nicht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, in Ihre Richtung sage ich: Nachdem ich miterlebt habe, wie Sie in den letzten zwei Legislaturperioden in der Integrationspolitik agiert haben, was alles blockiert wurde und nicht ging – Stichwort „Integrationskurse für alle von Anfang an“ –, freue ich mich zwar, dass die Rolle in der Opposition wohl jetzt etwas zur Einsicht beigetragen hat, wundere mich aber umso mehr über den Antrag, den Sie hier vorgelegt haben. Wenn die Union von einem „Masterplan“ spricht, denke ich zuerst an Horst Seehofer.
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Dessen „Masterplan“ war nun wirklich alles andere als gute Migrations- und Integrationspolitik.
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Da ging es vor allem um Verschärfungen im Asylrecht. Es ging nicht um das Wichtigste: den Schutz der geflüchteten Menschen.
Ich bin froh, dass wir mit Nancy Faeser nun eine Innenministerin haben, die die Herausforderungen tatkräftig angeht.
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So gibt es ein neu eingerichtetes zentrales Hilfeportal Germany4Ukraine, das gebündelt auf Ukrainisch und Russisch über Aufenthalt, Hilfsangebote, Unterkünfte und ärztliche Versorgung informiert.
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Sobald die Geflüchteten im Netz der Telekom ankommen, werden sie mit einer SMS auf das Hilfeportal hingewiesen. In den Ankunftsbahnhöfen und Unterkünften sind die Helfenden für mögliche Gefahren sensibilisiert. Flyer und Anzeigetafeln warnen zusätzlich und klären über dubiose Hilfsangebote auf. Die Bundespolizei ist verstärkt präsent und unterstützt den sicheren Ablauf vor Ort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist aber auch, dass die Menschen schnell Struktur und Alltag bekommen durch Zugang zum Bildungssystem und zum Arbeitsmarkt, aber auch durch Angebote, die ein gutes Ankommen ermöglichen. Deshalb stehen den Geflüchteten vielfältige Angebote zur Verfügung. So hilft zum Beispiel die individuelle Migrationsberatung bei Fragen direkt nach der Ankunft. Es gibt Erstorientierungskurse zum Einleben in Deutschland, Integrations- und Sprachkurse sowie Kurse speziell für Frauen, kostenlose Onlineangebote zum Deutschlernen, aber auch zusätzliche Berufssprachkurse, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Angesichts der vielen Frauen und Kinder, die zu uns kommen, ist auch eine Kinderbetreuung sehr wichtig. Lassen Sie mich auch dazu zwei Beispiele nennen: Das gerade gestartete Bundesprogramm „Integrationskurs mit Kind“ unterstützt die Kursteilnehmerinnen bei der Betreuung nichtschulpflichtiger Kinder. Das Bundesprogramm „Stark im Beruf“ hilft Frauen mit Kindern bei der Orientierung in Deutschland und bei der Integration in unseren Arbeitsmarkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir haben bereits viele gute – neue und alte – Unterstützungs- und Hilfsangebote für Geflüchtete geschaffen. Unter Leitung des Bundesinnenministeriums stimmen Bund und Länder sich außerdem wöchentlich in der extra geschaffenen Bund-Länder-Koordinierungsstelle „Ukraine“ ab. Heute findet auch die Ministerpräsidentenkonferenz statt, bei der es unter anderem um die Klärung der offenen Finanzierungsfragen geht.
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Ich wünsche mir, dass diese nicht ewig diskutiert werden, sondern dass wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen.
Während die Union an vermeintlichen Masterplänen tüftelt, arbeiten wir weiter konsequent an pragmatischen und guten Lösungen.
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Denn die fliehenden Menschen brauchen vor allem eines – auch das müsste Ihnen eigentlich bekannt sein –: Sie brauchen schnell und unbürokratisch Schutz und Hilfe.
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Herzlichen Dank.
({10})
Die nächste Rednerin in der Debatte: Nicole Höchst, AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin Spiegel! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich über diesen Antrag; denn er zeigt, dass Sie von der Union die erste Stufe der bitteren Erkenntnis erklommen haben, die da lautet: Ihre Zuwanderungspolitik auf dem Flüchtlingsticket hat zu Kontrollverlust in verschiedenen Bereichen geführt. Sie stellen vollkommen zutreffend fest: Sicherheit und Schutz „geht nur, wenn wir wissen, wer zu uns gekommen und bei wem sie oder er untergekommen ist“. Damit sind Sie schon mal einen Schritt weiter als die jetzige Bundesregierung, die Ihren Merkel-„Huch, nun sind sie halt da“-Kurs seit 2015 fortsetzt.
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Vielen Dank, Union, für Ihr gutes Beispiel von partieller Amnesie, das uns heute als Antrag vorliegt! Ich freue mich, dass Sie nun die Sicherheit für Frauen, Kinder und Jugendliche für sich entdeckt haben – zwar spät, aber immerhin. Aber warum die Einschränkung auf ukrainische Flüchtlinge?
Kontroll- und Niveauverlust wurde Deutschland jüngst auch für die Bildung mit Blick von außen bescheinigt. Dies nahmen Bildungspolitiker der AfD aus Bund und Ländern am vergangenen Montag auch in den Blick bei ihrer Resolution zur Beschulung von ukrainischen Flüchtlingskindern. Diese sollen in Deutschland bestmöglich auf die Rückkehr in ihr Heimatland vorbereitet und Forderungen aus der Ukraine hierbei beachtet werden.
Wir erkennen das Recht ukrainischer Schüler auf schulische Bildung an. Selbstverständlich muss für sie schulische Bildung in Deutschland gesichert werden, auch zu einem Zeitpunkt, in dem die Schulen durch Lehrermangel und durch die Coronamaßnahmenpolitik der langjährigen Bildungsnotstandsleugner in Bund und Ländern ohnehin am Rande der Belastungsgrenze stehen.
Ein Konzept zur Beschulung von ukrainischen Flüchtlingskindern muss die Bedürfnisse der Schüler und die bildungspolitischen Forderungen aus der Ukraine zur Grundlage nehmen, die die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka während der Kultusministerkonferenz im März geäußert hat. Die Ukraine ist eine stolze Nation, die um ihre Unabhängigkeit kämpft und ihre Eigenständigkeit bewahren möchte. Anders als im Jahr 2015 handelt es sich im Jahr 2022 überwiegend um Kriegsflüchtlinge, die nicht in Deutschland bleiben, sondern in ihre Heimat zurückkehren werden.
({1})
Leider hat „No border, no nation“-Deutschland aus 2015 und Corona nichts gelernt und hat es somit generell schwer, Schutz- und Bildungsversprechen zu halten, solange die Weichen nicht, wie zum Beispiel nach dem Vorbild Polens, ganz grundsätzlich neu gestellt werden – Doppelpunkt –: Grenzzaun, Grenzsicherung, schnelle Verfahren, rigorose Abschiebung nicht Bleibeberechtigter. – Die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland zeigt uns Dinge, die Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, die letzten Jahre nicht sehen wollten. Stellen Sie sich endlich den Realitäten!
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Julian Pahlke, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Vielleicht erst einmal ein paar Worte an den ganz weit rechten Rand: Ich bin sehr froh, dass sich der Verfassungsschutz um Sie kümmert. Sie sind ein Sicherheitsrisiko für dieses Land.
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Wir leben in wahrlich ungewöhnlichen Zeiten. Die Union schwingt sich zum Retter geflüchteter Menschen auf. Ich bin fast ein bisschen erschrocken; ich hätte Ihnen das nach 16 Jahren Asylrechtsverschärfungen und Obergrenzen gar nicht zugetraut. Schaut man aber auch nur ein bisschen genauer hin, dann wir klar: Für die Union gibt es offenbar zwei Arten von geflüchteten Menschen: einmal ukrainische Frauen und Kinder, die jetzt vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine fliehen, und dann alle anderen.
Stimmt, unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind viele Frauen und Kinder, für die die Bundesregierung und unsere Ministerin Anne Spiegel, wie sie eben auch schon berichtet hat, eine ganze Reihe an Maßnahmen beschlossen haben. Aber es fliehen eben nicht ausschließlich Frauen und Kinder, auch wenn die Union das gerne so hätte.
Plötzlich wollen Sie SIM-Karten an Geflüchtete verteilen. Das ist ja eine nette Idee. Aber warum nur an Frauen, und warum nur an ukrainische Staatsangehörige? In guter alter Unionsmanier lassen Sie etliche Menschen außen vor. Sie ignorieren Menschen, die keinen ukrainischen Pass haben, die männlich oder queer sind, alte Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen, die in der Ukraine gearbeitet oder studiert haben. Flucht hat viele Gesichter. Flucht ist nicht nur weiß und weiblich.
({1})
Ich hatte gehofft, dass die grauen Herren bei der CDU und CSU ihr neu entdecktes Mitgefühl auch für etwas Sinnvolles nutzen. Aber auch jetzt reden Sie nur von Kontrollen und Registrierung; dabei sind die juristisch überhaupt noch nicht mal möglich. Ihre Agenda in den letzten Jahren war doch eine ganz andere: Abschiebezentren, Arbeitsverbote, Hau-ab-Gesetz und Ihre absurde Obergrenze. Ich würde ja gerne glauben, dass Sie jetzt ein ehrliches Interesse am Schutz von Menschen auf der Flucht entwickelt haben. Ihre Politik überall dort, wo Sie an der Macht sind, spricht aber eine andere Sprache.
Für die wenigsten Probleme sind Ihre pauschalen Forderungen nach sogenannten Grenzkontrollen eine Lösung. Die Identität Geflüchteter wird bereits bei jedem Grenzübertritt in Polen, Ungarn oder Rumänien festgestellt.
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Danach ist die Bundespolizei an den Grenzen der Bundesrepublik präsent, kontrolliert in den Zügen die Pässe; das habe ich selbst gesehen, als ich von Warschau nach Berlin gefahren bin.
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Wir brauchen keine zusätzliche Registrierung und aufwendige Grenzkontrollen,
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die die Flucht weiter verzögern und nur Ihre Seehofer-Nostalgie bedienen.
Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten. Es sind Zeiten, in denen wir zeigen können, zu was wir in der Lage sind. So wie die Zehntausenden Freiwilligen: Sie helfen an den Bahnhöfen, bei Behördengängen, verschaffen Wohnungen und helfen überall dort, wo es nötig ist – nicht erst seit dem 24. Februar, sondern seit 2015. Reden Sie von der Union jetzt bitte nicht davon, christlich zu handeln, wenn Sie gleichzeitig Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen.
Herzlichen Dank.
({5})
Der nächste Redner in der Debatte: Stephan Thomae, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Doro Bär, lieber Alexander Throm, bei Ihren Debattenbeiträgen habe ich mich an das Schauspiel „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist erinnert. Darin geht es um den Dorfrichter Adam, der über eine Tat zu Gericht sitzen muss, von der er genau weiß, dass er selber sie begangen hat.
({0})
Das kam mir in den Sinn, als Sie aufgezählt haben, welche Fehler und Versäumnisse sich diese Regierung zuschulden kommen ließ.
({1})
Es sind eigentlich die Fehler und Versäumnisse Ihrer Regierung aus der letzten Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 folgende.
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Einen nationalen Flüchtlingsgipfel – daran entsinne ich mich sehr gut – hielt die Union in den Jahren 2015 folgende für völlig unnötig. Oder ein anderes Thema: Eine gleichmäßige europäische Verteilung der Flüchtenden ist auch der Union in der letzten Flüchtlingskrise nicht gelungen. Von daher sind es die gleichen Versäumnisse und Fehler, die damals schon geschehen sind, die Sie uns jetzt vorhalten.
({3})
Gab es ferner bedarfsorientierte Unterstützung, psychosoziale Betreuung in den Jahren 2015 folgende? Nein, all das gab es nicht. Das sind Ihre Versäumnisse und Fehler gewesen, die Sie uns jetzt vorwerfen und die Frau Spiegel wahrscheinlich besser meistert, als es Ihnen damals gelungen ist.
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Dann gibt es eine ganze Reihe von Punkten, die machen wir doch eigentlich.
({5})
Sie fordern, die Beförderungsabläufe zu verbessern. Bundesminister Volker Wissing hat im Verkehrsministerium einen Koordinationsstab eingerichtet, der genau das tut und leistet, was Sie fordern. Jetzt kann man sagen: Es läuft nicht alles perfekt, noch nicht alles rund. – Ja, weil die Dinge sich auch laufend ändern. Aber es ist im Gang, und es läuft, wie ich finde, eigentlich schon sehr gut.
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Zu den Schulangeboten für Kinder. Wovon spricht Bildungsministerin Stark-Watzinger denn jeden Tag? Ich finde, dass die Kommunen die Beschulung schulpflichtiger Kinder in den Schulen eigentlich sehr gut meistern.
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Aber das heißt nicht, dass ich alles falsch finde, was in Ihrem Antrag steht. Thema Registrierung: Ja, natürlich wäre es gut, ein genaues Bild davon zu haben: „Wie viele Menschen sind da, und wer ist da?“, um bedarfsgerechte Angebote für die Frauen und Kinder zu unterbreiten. Nur: Es ist – das haben wir gerade in der Kontroverse gehört – rechtlich und auch faktisch nicht ganz so einfach. Wenn ein ukrainischer Staatsangehöriger mit biometrischem Pass in den Schengenraum einreist, im Privat-Pkw von Freunden, Bekannten, Verwandten über Polen, Slowakei, Ungarn, Österreich oder Tschechien nach Deutschland kommt und hier innerhalb von 90 Tagen keine Leistungen beantragt, vielleicht auch weiterreist oder ausreist, dann ist es rechtlich und faktisch gar nicht so einfach zu erkennen: Da ist jemand da.
Herr Kollege Thomae, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Throm?
Von Herrn Throm; das habe ich gesehen. Sehr gerne, Herr Kollege Throm.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Thomae. – Ich danke Ihnen zunächst einmal auch dafür, dass Sie eingangs Ihrer Rede bestätigt haben, dass in dieser Bundesregierung entsprechende Fehler und Versäumnisse passieren, auch wenn Sie sie auf die Jahre 2015/2016 bezogen haben. Aber schade ist, dass diese Versäumnisse in Ihrer Bundesregierung in 2022 zumindest wiederholt werden nach Ihrer eigenen Aussage.
Zweitens. Sie haben darauf hingewiesen, dass Ukrainer mit biometrischen Pässen zu Recht hier nach Deutschland kommen dürfen und Freizügigkeit genießen. Ich frage Sie, wie Sie denn feststellen, dass die ukrainischen Staatsbürger tatsächlich biometrische Pässe besitzen. Müssen Sie dazu nicht eine Personenfeststellung durchführen? Weitere Frage: Sie waren, glaube ich, gestern im Innenausschuss dabei, als der Präsident der Bundespolizei bestätigt hat, dass genau diese Personenfeststellung auch in Zügen und Bussen nicht vollständig stattfindet. Können Sie das bestätigen?
Herr Kollege Throm, zunächst einmal habe ich nicht von „unseren“ Fehlern gesprochen, sondern ich habe gesagt, dass „Sie“ uns Fehler vorhalten, die aber Ihre eigenen Fehler gewesen sind. Das macht einen Unterschied.
({0})
Zum Zweiten findet die Grenzkontrolle an den Schengen- und EU-Außengrenzen statt; Polen, Ungarn, Slowakei sind Schengenstaaten, Rumänien ist kein Schengenstaat, aber ein EU-Staat. An diesen Außengrenzen findet die Zutrittskontrolle statt. Wenn sich aber jemand erlaubtermaßen in den Schengenraum begeben hat, auch dank der Notfallrichtlinie und der Beschlüsse der EU-Kommission, dann kann er natürlich auch innerhalb der Europäischen Union in andere Unionsländer weiterreisen. Das geschieht natürlich. Das erfahren Sie auch nicht automatisch.
Aber es wäre schon wichtig – das habe ich gesagt –, ein genaueres Bild zu erhalten: Wer ist denn nun eigentlich bei uns? Darüber muss man sich unterhalten. Darum sagte ich auch: Ihr Antrag enthält durchaus Vorschläge, die ich nicht total falsch finde. Es wäre in der Tat wichtig, zu wissen, wer bei uns ist, um die Menschen, die hier ankommen, auch bedarfsgerecht zu versorgen, vielleicht auch längerfristig zu versorgen. Deshalb ist das eine wichtige Frage. Das ist aber etwas anderes als eine Registrierungspflicht; denn da frage ich mich, wie Sie das faktisch durchsetzen wollen. Das ist der Unterschied zu dem, was Sie gesagt haben.
Ich sagte eben: Ich halte nicht alles in Ihrem Antrag für völlig verkehrt. Gesundheitscheck und Verwaltungslotsen sind Ideen, über die man sich durchaus unterhalten kann. Daher bin ich aus den Gründen, die ich soeben genannt habe, der Meinung, dass es schade wäre, Ihren Antrag in Sofortabstimmung abzulehnen. Lassen Sie uns doch diesen Antrag von Ihnen in aller Ruhe, konzentriert im Ausschuss beraten. Daher wäre ich für eine Überweisung in den Innenausschuss.
Vielen Dank.
({1})
Der nächste Redner: Josef Oster, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Menschen in Not, Kriegsflüchtlingen zu helfen, ist eine gemeinsame Überzeugung, die unser Land und unsere Gesellschaft verbindet und auszeichnet. Das ist auch etwas, was uns hier fraktionsübergreifend verbindet, wenn man von der AfD absieht.
({0})
Wenn ich das als Annahme voraussetze, dann verwundern einige Wortbeiträge aus der Regierungskoalition doch sehr. Denn dass im Moment bei der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge alles gut läuft, die Dinge in Ordnung sind, kann doch nicht im Ernst Ihre Einschätzung der Lage sein.
({1})
Frau Ministerin Spiegel, hier schöne Reden zu halten, reicht in einer solchen Situation nicht. Jetzt ist Tatkraft gefragt; nicht reden, sondern handeln. Das geschieht seitens der Bundesregierung viel zu wenig. Dass Sie nach sechs Wochen zu der Erkenntnis kommen, sich einmal die Situation in Polen anzuschauen, begrüße ich ausdrücklich, auch wenn es lange sechs Wochen gedauert hat. Die Polen machen vieles besser; das werden Sie dann schnell erkennen, Frau Ministerin.
({2})
Aber ich will Ihnen eines zugutehalten: Sie sind heute zumindest hier; das spricht für Sie. Ich wundere mich, dass die Innenministerin – das darf ich sagen – bei einer so zentralen Debatte heute hier nicht anwesend ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({3})
Ich will aber auch aufgreifen, was Herr Thomae gesagt hat. Also, es gehört schon viel Kreativität dazu, die Folgen des Ukrainekrieges und das, was wir im Zusammenhang mit der Aufnahme von Kriegsflüchtigen jetzt erleben, der alten Regierung in die Schuhe zu schieben. Der Krieg begann nun definitiv nach dem Regierungswechsel. Daher kann ich nicht verstehen, dass Sie diese Klamotte heute hier ausgepackt haben. Da war Ihre Kollegin Yüksel von der SPD ehrlicher. Sie hat hier einige Förderprogramme, die funktionieren, aufgezählt, hat aber nicht erwähnt, dass die ganzen Förderprogramme von der alten Regierung aufgelegt wurden, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({4})
Ich glaube, es besteht großer Handlungsbedarf. Ich möchte zwei, drei Punkte noch einmal aufgreifen. Das zentrale Instrument ist – das wurde hier von mehreren auch erwähnt – eine lückenlose Registrierung. Ohne eine konsequente Registrierung können wir keine Sicherheit gewährleisten, ohne eine lückenlose Registrierung kann es keine optimale Unterstützung der Flüchtlinge geben, und ohne eine lückenlose Registrierung kann es auch keine Integration der Menschen geben. Das ist Grundvoraussetzung für alles, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Der nächste Punkt ist eine gerechte Verteilung. Es ist zweifellos keine einfache Aufgabe, ein gerechtes System innerhalb Deutschlands und ein gerechtes System innerhalb Europas zu organisieren. Diese Aufgabe ist schwierig; das räume ich ein. Mir fehlt aber seitens der Bundesregierung ein ernsthaftes Bemühen, überhaupt eine Lösung finden zu wollen. Das geschieht zu wenig, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Es gäbe eine Menge zu sagen. Ich will zum Schluss festhalten: Die Bundesregierung macht es sich in dieser vielleicht größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg für meine Begriffe viel zu einfach. Wir haben eine wirklich wunderbare Situation, was die Akzeptanz und die Hilfsbereitschaft in unserer Gesellschaft betrifft. Aber wir dürfen nicht verkennen, dass diese Akzeptanz und Hilfsbereitschaft nicht unbegrenzt ist. Die Menschen in unserem Land haben die berechtigte Erwartung, dass die Bundesregierung die Flüchtlingsbewegung im Griff hat. Und diese Erwartung erfüllt die Bundesregierung bis zur Stunde nicht.
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Deshalb empfehle ich nochmals: Schauen Sie sich unseren Antrag noch einmal genau an. Er ist eine verdammt gute Handlungsgrundlage.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Es macht wütend, dass wir über den Schutz der geflüchteten Menschen aus der Ukraine überhaupt diskutieren müssen. Es macht wütend, dass Millionen Kinder und Frauen fliehen, weil das russische Regime einen brutalen Angriffskrieg führt. Deswegen muss noch einmal klar gesagt werden: Der beste Schutz für ukrainische Kinder und Frauen ist das sofortige Ende dieses sinnlosen und grausamen Krieges und der schnelle Wiederaufbau der Ukraine.
({0})
Solange dieser Krieg nicht beendet ist, müssen wir alles dafür tun, die ukrainischen Familien und Kinder bei uns behütet aufzunehmen. Wir müssen ihnen Schutz bieten, wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, hier in Deutschland anzukommen und eine neue Perspektive zu finden.
Ich habe mich deshalb gefreut, dass die Kolleginnen Breher und Prien am 1. April einen Masterplan zur Integration ukrainischer Kinder und Jugendlicher vorgelegt haben. Dieser Masterplan ist gut, oder besser gesagt: gut zusammengetragen, weil sie viele Forderungen und Vorhaben aus unserem Koalitionsvertrag, aus unseren Reden zum Haushalt des Familienministeriums und aus dem Familienausschuss in ihrem Masterplan zusammengefasst haben. Ich nenne hier nur exemplarisch die verstärkten Bemühungen für die Ausbildung von Fachkräften und die Aufstockung von bestehenden Kitaprogrammen. Ich habe mich auch gefreut, weil damit eine gemeinsame Position aller demokratischen Fraktionen in der Sache möglich gewesen wäre.
Umso enttäuschter war ich, als ich am Dienstagabend Ihren Antrag erhalten habe.
({1})
Es ist nichts mehr von konkreten Maßnahmen zur Integration der ukrainischen Kinder in unsere Kitas und Schulen zu lesen.
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Dabei ist genau das dringend notwendig.
Kollegin Bär, was ist denn in Ihrer Fraktion passiert, dass am Ende der gut zusammengeschriebene Masterplan zu so einer Enttäuschung geworden ist? Warum erwähnen Sie den notwendigen Ausbau des Bundesprogramms „Sprach-Kitas“ nicht mehr? Wohin ist Ihre Unterstützung für die Fortführung des Gute-KiTa-Gesetzes verschwunden?
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Warum wollen Sie auf einmal keine bundesfinanzierte Fachkräfteoffensive
mehr für die Kitas, obwohl genau jetzt jede zusätzliche Erzieherin, jeder zusätzliche Erzieher dringend benötigt wird?
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Sie fordern stattdessen völlig unkonkret unter Nummer 9 – Zitat –, „die Länder und Kommunen bei der Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen in das Bildungs- und Betreuungssystem … pragmatisch und schnell zu unterstützen“. Das ist eine Floskel und seit der Ministerpräsidentenkonferenz vor drei Wochen zwischen Bund und Ländern bereits vereinbart.
Das alles ist schon enttäuschend genug, aber an anderer Stelle handeln Sie konkret gegen gute und schnelle Hilfe für geflüchtete Kinder.
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Ihre Landesregierungen aus Bayern und Schleswig-Holstein – zur Erinnerung: Frau Prien hat den Masterplan geschrieben – wollen auf der Integrationsminister/-innenkonferenz nicht für die dringend benötigte bundesweite Ausweitung des Programms „Griffbereit“ stimmen. Dabei ist „Griffbereit“ genau das richtige Mittel; denn es ermöglicht den ersten Schritt, um ukrainische Kinder und Eltern hier vor Ort in die frühkindliche Bildung einzubinden. Das hat mich enttäuscht.
Was mich aber wirklich wütend macht, ist ein bitterer Halbsatz in Ihrem Antrag. Dort heißt es für alle Maßnahmen, die Sie jetzt vorschlagen – Zitat –:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel endlich einen Masterplan … zu erstellen …
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Alle Ihre Ideen für die schnelle und notwendige Hilfe stellen Sie also unter einen Finanzierungsvorbehalt.
({7})
Für Sie muss die Integration der ukrainischen Familien und Kinder ein haushaltspolitisches Nullsummenspiel sein.
({8})
Da stellt sich mir die Frage, wie ernst Sie Ihre Vorschläge tatsächlich meinen.
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Ich bin froh, dass wir als Ampelkoalition einen anderen Weg gehen
({10})
und mit Hochdruck an einem Ergänzungshaushalt arbeiten.
Dorothee Bär [CDU/CSU]: „Hochdruck“!)
Wir werden so schnell und unkompliziert Hilfe ermöglichen,
({11})
ohne versteckten Finanzierungsvorbehalt.
({12})
Das sorgt für dringend benötigtes zusätzliches Geld für die Arbeit in Kitas und Schulen, und wir werden diese Mittel brauchen.
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Denn Erzieher/-innen und Lehrer/-innen sagen mir: Wir wollen die Kinder fördern, aber wir müssen behutsam vorgehen und wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. – Sie sagen mir: Wir brauchen niedrigschwellige Angebote für die Kinder, von denen viele traumatisiert sind. – Sie sagen mir: Wir brauchen zusätzliches Personal. – Sie sagen mir: Wir brauchen zusätzliche Unterstützung für Ehrenamtliche, die Familien mit außerschulischen Aktivitäten helfen. – Sie sagen mir: Wir brauchen zusätzliche Mittel für die psychologische Betreuung der Kinder und Frauen, die auf ihrer Flucht teilweise Schreckliches erlebt haben.
Das alles wäre mit einem Finanzierungsvorbehalt, wie Sie ihn hier vorschlagen, nicht möglich. Ihr Antrag bewirkt deswegen genau das Gegenteil dessen, was er verspricht. Jeder, der wirklich helfen will, muss Ihren Antrag ablehnen.
Danke.
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Die nächste Rednerin in der Debatte: Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich will nicht auch noch meine Zukunft verlieren.“ Dieser Satz einer jungen ukrainischen Studentin hat mich ganz besonders berührt. Wir hören so viel über die Flüchtlinge, die zu uns kommen, führen Gespräche, treffen sie vor Ort. Darunter sind so viele Frauen, junge Mädchen und Kinder, die Hoffnungen haben, dass sie hier gut aufgenommen werden, dass sie ihre Zukunft hier fortsetzen können, dass sie gut integriert werden, dass sie die Chance auf Bildung haben und dass sie das, was sie sich an Bildung in der Ukraine aufgebaut haben, jetzt nicht auch noch verlieren wie so vieles, was sie zurücklassen mussten. Deshalb ist es unsere gemeinsame Verantwortung, ihnen diese Zukunft zu ermöglichen.
Das, was ich heute teilweise an Vorwürfen – gerade von den letzten Rednern – gehört habe, macht mich wirklich sprachlos. Ich frage mich: Was tut die Bundesregierung dafür, dass diese jungen Menschen eine Zukunft haben?
({0})
Was ich bisher wahrnehme, sind eine nach wie vor unklare Datenlage, wie viele Kinder und Jugendliche überhaupt hier sind, und auch eine teilweise Konzept- und sogar Sprachlosigkeit der Bundesregierung.
Wir haben eine Bundesfamilienministerin – sie hat den Saal gerade schon verlassen –, die mehr mit ihrer Vergangenheit beschäftigt ist
({1})
als mit den aktuellen Themen.
({2})
Alle Punkte, die heute erwähnt worden sind, sind Programme und Initiativen der letzten Regierungen, die jetzt fortgeführt werden, was richtig ist. Aber alles, was jetzt genannt wurde, sind die Aktivitäten von Ehrenamtlichen, von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt und von Hilfsorganisationen. Wir bedanken uns zu Recht bei ihnen,
({3})
aber das reicht nicht. Wir brauchen auch eigenes Engagement dieser Bundesfamilienministerin.
({4})
Das Gleiche gilt für die Bundesministerin für Bildung und Forschung. Wir haben – Stand letzte Woche – 41 000 ukrainische Kinder und Jugendliche in den deutschen Schulen und viele auch in den Kindergärten, und es können auch noch Hunderttausende werden. Vor Ort fragt man sich: Wie bewältigen wir das? Die Schulen sind seit zwei Jahren wegen Corona im Ausnahmezustand. Die Kindergärten sind gut gefüllt. Das ist eine Riesenkraftanstrengung.
Dann schaue ich in mein Bundesland, wo die SPD-Bildungsministerin sagt: Die integrieren wir alle in den Regelunterricht; die stecken wir einfach in die Klassen dazu.
({5})
Ob das eine Lösung ist für die Kinder, die hier jetzt traumatisiert ankommen, und für die Kinder, die schon in den Schulen sind, dahinter würde ich einmal ein großes Fragezeichen setzen.
({6})
Wenn sich dann unsere Bundesbildungsministerin zum großen Ziel gemacht hat, Bildungsgerechtigkeit in diesem Land zu fördern, dann kann sie genau an dieser Stelle zum ersten Mal damit anfangen: Bildungsgerechtigkeit für die Kinder, die zu uns kommen, und Bildungsgerechtigkeit für die, die schon da sind. Da erwarte ich konkrete Hilfe und konkrete Unterstützung und nicht einfach ein Abarbeiten des bisherigen Koalitionsvertrags.
({7})
Das gilt im Übrigen auch für den Bundesgesundheitsminister. Es gibt auch eine Menge Gesundheitsfragen, die zu klären sind. Jetzt werden die Impfzentren geschlossen, und das, obwohl wir alle wissen: In unserem Land gibt es die Masernimpfpflicht für die Kinder in den Kindergärten und Schulen. Es sind Untersuchungen zu machen. Trotzdem schließen wir die Impfzentren, die auch in dieser Situation, die in den nächsten Wochen noch schlimmer werden wird, so eine wertvolle Unterstützung sein könnten.
({8})
Ich habe mich gefragt: Frau Bünger von der Linken, warum beschimpfen Sie eigentlich hier die Union?
({9})
Es ist mir sehr schnell klar geworden: weil die Situation in Ländern wie Berlin, wo Sie mitregieren, besonders prekär ist.
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Da stehen die Ehrenamtler am Bahnhof und sagen: Diese Regierung lässt uns allein. Wir können als Ehrenamtler nicht alles schultern. Wir brauchen mehr Unterstützung, gerade von dieser Regierung hier in Berlin.
({11})
Deshalb sagen wir: Es braucht einen Masterplan für die Integration der Kinder und Jugendlichen. Wir unterstützen gerne auch mit konkreten Maßnahmen. Wir sind bereit, mitzumachen. Es muss eine gemeinsame Kraftanstrengung sein.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Aber ich erwarte da auch mehr Engagement dieser Bundesregierung.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Clara Bünger.
Vielen Dank. – Frau Schön, Sie hatten gerade die Situation in Berlin angesprochen. Berlin hat in den letzten Wochen jeden Tag 10 000 Menschen aufgenommen. Das ist eine ganz andere Anstrengung, die hier aufgebracht werden muss, als in anderen Bundesländern, in anderen Städten. – Das ist das eine.
Das andere ist: Wir haben mittlerweile ein Ankunftszentrum in Tegel, und das ist nicht der Hauptbahnhof. Ich glaube, Sie selber waren bisher noch nicht vor Ort. Sie müssten sich diese Einrichtung einmal anschauen.
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Ich habe es vorhin schon gesagt: Das ist die erste Einrichtung in Berlin, in der unter einem Dach alle Hilfsorganisationen zusammenarbeiten. Die Koordination funktioniert sehr gut. Ich denke, Sie sollten sich dort einmal hinbegeben und sich das anschauen. Dieses Ankunftszentrum sollte auch für andere Länder ein Vorbild sein. – So weit vielleicht mein Hinweis an Sie an dieser Stelle.
({1})
Frau Schön, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
Frau Kollegin, ich habe einen Riesenrespekt vor dem, was in Berlin geleistet wird. Das ist eine Riesenkraftanstrengung, die vor allem von Ehrenamtlern geleistet wird, auch von der Berliner Landesregierung, auch von Organisationen, die hier unterstützen und helfen. Das ist eine riesige, gemeinsame Kraftanstrengung. Aber auch in Berlin sagen viele: Wir brauchen mehr Unterstützung von dieser Bundesregierung – in allen Bereichen. Deshalb erwarte ich von dieser Bundesregierung, dass sie nicht nur das aufzählt, was von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden ist, sondern dass sich die Ministerinnen und Minister an einen Tisch setzen und gemeinsam mit Ländern und Kommunen konkret helfen.
Das gilt gerade für den Bildungsbereich, aber eben auch für alle anderen Themen. Dieser Antrag ist vor allem für die innenpolitischen Themen unser erster Vorschlag. Aber Sie können sich auch im Familien- und Bildungsbereich gerne an unseren Vorschlägen orientieren.
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Der letzte Redner in dieser Debatte: Muhanad Al-Halak, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kriegsbilder aus der Ukraine machen uns alle fassungslos. Auch bei mir kommen Bilder aus meiner eigenen Kindheit wieder hoch, die ich gerne vergessen hätte. Ich weiß, was es bedeutet, von einem Tag auf den anderen alles hinter sich zu lassen, was es bedeutet, vor Gewalt ins Unbekannte zu fliehen. Ich weiß aber auch, was es bedeutet, anzukommen und aufgenommen zu werden. Und zwar bedeutet es Zugang zu Bildung, Zugang zu Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft. Denn Schutz und Sicherheit bedeuten auch, das Gefühl der Ohnmacht zu bekämpfen, Teil der Gesellschaft zu sein und nicht nur eine Verwaltungsnummer. Schutz und Sicherheit bedeuten, die Chance zu erhalten, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen.
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Eines möchte ich an dieser Stelle unmissverständlich betonen: Die Notlage von geflüchteten Menschen auszunutzen, ist ekelerregend, erbärmlich und zutiefst zu verachten, meine Damen und Herren der Union.
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Aber dass Sie mit Ihrem Antrag den Eindruck erwecken, dass die Bundesregierung untätig zuschaut, während massenweise Frauen, Kinder und Jugendliche von Menschenhändlern abgegriffen werden, ist schlicht unwahr und unverschämt. Frauen und Mütter, die vor der Vernichtung zu uns fliehen, sind nicht einfach Opfer. Sie sind Löwinnen! Sie hatten vor einem Monat noch ein selbstbestimmtes Leben, einen Alltag. Jetzt verteidigen sie ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder. Und die Bundesregierung und unser Staat stehen dabei an ihrer Seite.
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Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oster aus der CDU/CSU-Fraktion?
Nein, die Möglichkeit, sich zu äußern, haben Sie ja in Ihrem Antrag gehabt.
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Der Schutz von Leib und Leben steht dabei natürlich an erster Stelle. Doch direkt danach muss das Ermöglichen von Chancen für ein selbstbestimmtes Leben stehen. Aber eines bleibt klar: Das Menschenbild, das Sie in Ihrem Antrag zeichnen, greift zu kurz. Das ist nicht mein Bild von Geflüchteten. Das wird auch bei einem Punkt deutlich, der mir persönlich sehr wichtig ist: den ehrenamtlichen Helfern. Sie betonen die Hilfsbereitschaft der Deutschen in dieser Situation. Dem können wir alle in diesem Saal sicherlich nur zustimmen. Aber ich sage Ihnen auch: Schauen Sie mal ein paar 100 Meter weiter Richtung Hauptbahnhof. Schauen Sie, wie viele dieser Ehrenamtlichen selbst erst vor wenigen Jahren zu uns geflüchtet sind. Es sind oftmals diese Menschen, die jetzt etwas zurückgeben. Es sind Menschen, die über alle Sprach- und Kulturunterschiede hinweg einfach nur helfen wollen und Menschlichkeit zeigen.
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Jeder Mensch in Not, dem geholfen wird, ist ein Gewinn für uns alle. Wenn Sie dies konstruktiv begleiten wollen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, dann muss dabei mehr rumkommen als im vorliegenden Antrag.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin, dann darf ich mich zunächst einmal sehr herzlich dafür bedanken, dass Sie meine Kurzintervention zulassen. – Aber es ist mir ein wirkliches Bedürfnis, diese Worte des Kollegen so nicht stehen zu lassen. Ich glaube, wir alle sind hier geneigt, einen politischen Wettbewerb zu führen und um die besten Wege und Lösungen zu ringen. Das ist Aufgabe dieses Parlamentes.
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Aber unserem Antrag zu unterstellen, wir wollten das Schicksal der Flüchtlinge, die zu uns kommen, ausnutzen, um daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen, das ist wirklich unter aller Würde dieses Hauses.
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Wir sind alle beeindruckt – das nehme ich für das gesamte Haus hier an – von der Not der Menschen, die traumatisiert zu uns kommen, und wir ringen darum, hier diesen Menschen zu helfen. Und es ist der FDP wirklich unwürdig, einer anderen demokratischen Fraktion eine solche Motivation zu unterstellen; das weise ich entschieden zurück.
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Herr Kollege, Sie können antworten, Sie müssen nicht. Bitte schön. – Bleiben Sie bitte stehen, Herr Kollege Oster? – Danke.
Durch Ihren Antrag ist bei mir dieser Eindruck erweckt worden. Deswegen habe ich das Thema angesprochen. Aber natürlich besteht auch in Zukunft das Angebot, dass wir tatsächlich konstruktiv zusammenarbeiten: Bundesregierung mit der Union; sehr gerne.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor uns liegt der Dritte Gleichstellungsbericht mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. In diesem Bericht kann man mehrere Kernpunkte herauslesen.
Ein Punkt ist: Wir müssen unsere Einstellung, unseren Blick auf die Dinge verändern. Dazu gehört, dass Frauen in der Digitalisierung mehr mitgestalten müssen und dass Digitalisierung eine Chance für Gleichstellung ist, dass wir dazu aber mehr Frauen den Weg in die IT-Berufe ebnen und wir diese zusätzliche Chance nutzen müssen, um Gleichstellung in diesem Land voranzubringen.
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Mit der Digitalisierung, über die wir hier reden, gehen wir in die vierte industrielle Revolution. Diese entwickelt sich aber weit schneller als die bisherigen Revolutionen, und sie ist nicht nur viel rasanter, sondern sie hat auch einen anderen Charakter. Gerade deshalb ist es ja eine Chance, dass wir das nicht einfach nur an uns vorbeiziehen lassen wie einen rasenden ICE, sondern dass wir – der Bedarf dafür ist da – Maßstäbe setzen, dass wir Standards setzen, dass wir Bedingungen für die Digitalisierung setzen. Genau das sagen uns auch die Sachverständigen im Dritten Gleichstellungsbericht. Sie sagen: Nutzt diese Chance! – Die Expertinnen und Experten um Frau Professorin Yollu-Tok haben im letzten Jahr ihr Gutachten für den Gleichstellungsbericht vorgelegt – 200 Seiten, 101 Handlungsempfehlungen. Ich freue mich sehr, dass dieser Bericht heute den Bundestag und später auch Sie im Ausschuss erreichen wird.
Eines begleitet uns bei dem Ganzen eigentlich andauernd: Es sind zu wenige Frauen in den IT‑Berufen; es sind zu wenige Frauen in den technischen Berufen; es sind zu wenige Frauen in den Studiengängen und Ausbildungsgängen zu diesen Berufen. Das müssen wir dringend ändern. Genau das gehen wir an, indem wir auch einen solchen Bericht vorlegen und Licht darauf werfen, aufklären und die Daten darstellen.
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Wir im Ministerium haben auch schon einige Projekte, die wir fortführen, die wir voranbringen, die wir neu auf den Weg bringen. Dazu gehört nach wie vor der Girls’ Day. Sie alle als Abgeordnete sind mitaufgerufen, da mitzumachen; denn auch unser Beruf als Politikerin und Politiker ist leider kein typischer Frauenberuf. Auch er gehört da dazu. Dazu gehört auch die Initiative YouCodeGirls. Da geht es nicht nur darum, möglichst niedrigschwellig Coding den Mädchen beizubringen, sondern auch darum, sie zu ermuntern, einfach mitzumachen und das nicht den Jungs zu überlassen.
Wir unterstützen Frauen in den KI-Berufen, in der KI-Branche darin, eigene Lösungen zu finden. Gerade die künstliche Intelligenz hat einen anderen Blickwinkel, den weiblichen Blickwinkel mehr als notwendig. Denn Algorithmen sind nicht geschlechtsneutral,
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Algorithmen können diskriminierend sein, Algorithmen können Frauen ausschließen. Diese Ungleichheiten multiplizieren sich, wenn wir das alles sich selbst überlassen; sie verstärken das Ganze. Deshalb wollen wir, dass Frauen in der KI nicht zusätzlich diskriminiert werden, wenn es darum geht, einen Job zu bekommen oder einen Kredit für ein Start-up in diesem Land.
Das können wir übrigens nicht national lösen, das müssen wir international angehen. Deshalb begrüßen wir in meinem Haus sehr, dass die EU-Kommission mit der KI-Verordnung einen Vorschlag macht, um die Qualität und die Sicherheit der Nutzung von Algorithmen, zum Beispiel bei der Personalauswahl, voranzubringen. Das Frauenministerium arbeitet hier sehr stark an der internationalen Vernetzung. Wir machen das auch nicht alleine, sondern wir machen das gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium – und das ist gut so. Denn das ist nicht nur ein Thema für das Frauenministerium, sondern hat auch einen wirtschaftlichen Aspekt in diesem Land.
Frauen sollten ganz selbstverständlich in der IT-Branche, in diesen Berufen arbeiten können, sie sollten ihre Expertisen, ihren Blickwinkel, ihre Lebenserfahrung miteinbringen. Damit verhindern wir Diskriminierung, damit senken wir Diskriminierungspotenzial nicht nur in der IT-Branche, sondern in der gesamten Gesellschaft.
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Dafür brauchen wir übrigens auch den Zugang von Frauen zu Führungspositionen auf allen Ebenen, und wir brauchen Kapital in der Digitalwirtschaft, damit wir das Ganze in diesem Bereich voranbringen können.
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In der bundesweiten Gründerinnenagentur arbeiten wir genau daran, all diese Punkte umzusetzen. Die Digitalisierung ist im vollen Gang. Ich habe vorhin von einem ICE in voller Fahrt gesprochen, und jetzt ist es an der Zeit, die Weichen richtig zu stellen.
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– Die Zwischenrufe des Kollegen sollen mich, glaube ich, aus dem Konzept bringen. Aber es gehört auch dazu, dass man genau das nicht zulässt, sondern dranbleibt, dranbleibt an der Gleichstellung, dranbleibt, die Themen voranzubringen, dranbleibt, auch dann diese Diskussionen zu führen, wenn sie einem Teil des Hauses überhaupt nicht gefallen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen drei Dinge: Wir brauchen Mut, wir brauchen Willen, und wir brauchen auch Geld, um das voranzubringen. Über das Letzte werden wir im Haushaltsverfahren reden. Mit den ersten beiden Dingen müssen wir schon heute und hier starten. Und übrigens, gerade als Politikerin sage ich: Das müssen wir in diesem Raum auch immer wieder verteidigen. Dieses Beispiel ist das beste Beispiel, um das noch einmal zu unterstreichen.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Nadine Schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 84 Prozent der Beschäftigten in der IT‑Branche in Deutschland sind Männer. 84 Prozent! Gerade einmal zwei von zehn Start-ups werden von Frauen gegründet. Selbst wenn der Zugang gelingt, verlassen mehr als 50 Prozent der Frauen die Digitalbranche wieder, im Topmanagement findet man auch in diesem Bereich nur sehr wenige Frauen. Nur 13 Prozent der Informatikprofessuren an deutschen Universitäten sind mit Frauen besetzt.
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Das sind erschreckende Zahlen, die im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gut aufgearbeitet sind.
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Diese Zahlen machen deutlich: Geschlechtergerechtigkeit, Chancengerechtigkeit ist in der Digitalbranche ein Problem, und zwar ein gewaltiges. Und das hat Konsequenzen.
Das hat wirtschaftliche Konsequenzen. Wir alle wissen: Diversität ist ein wichtiger Faktor für den Unternehmenserfolg; das haben zahlreiche Studien bewiesen. Und egal in welches Unternehmen ich komme, Thema Nummer eins ist der Fachkräftemangel. Vor allem im innovativen Mittelstand und bei Start-ups sagt man mir, dass man gerade im digitalen Bereich viel zu wenige Fachkräfte findet. Da frage ich mich schon, wie wir uns den Luxus erlauben können, auf die Hälfte der Bevölkerung nahezu zu verzichten.
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Das ist aber auch gesellschaftlich ein Problem. Durch die Digitalisierung ändert sich unser ganzes Leben. Da kann es uns doch nicht egal sein, dass die Frauen daran so wenig beteiligt sind. Auch das arbeitet der Gleichstellungsbericht gut auf, vor allem, was es heißt, wenn KI-Systeme aus Daten lernen, die einen Bias haben, was dazu führt, dass Ungerechtigkeiten aus der Vergangenheit auch auf die Zukunft übertragen werden. Der Gleichstellungsbericht bringt da sehr plastische, sehr gute Beispiele. Deshalb bedanke ich mich ganz herzlich bei Professor Dr. Yollu-Tok und ihrer Kommission für die wichtige Arbeit, dass sie dieses Thema so umfassend aufgearbeitet haben.
Ich will einige Anmerkungen machen, die mir wichtig sind. Ich finde es schade, dass der Bericht so wenig darauf eingeht, welche Chancen Digitalisierung für Emanzipation, für Gleichberechtigung, für Partizipation hat. Digitalisierung kann auch ein Treiber dafür sein, wenn man es richtig macht, wenn man die Weichen richtig stellt. Das kommt in meinen Augen in diesem Bericht ein bisschen zu kurz.
Mehr Geschlechtergerechtigkeit in der digitalen Welt ist nicht nur eine politische Aufgabe, es ist eine gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik. Aus diesem Grund haben wir vor anderthalb Jahren die Initiative „#SheTransformsIT“ gegründet mit Kolleginnen von allen demokratischen Fraktionen, mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Dieser Initiative können sich alle anschließen, haben sich auch schon viele tolle Menschen angeschlossen, Männer wie Frauen, die sagen: Den Zustand, den wir jetzt haben, können wir nicht so belassen, wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass es besser wird. – Auf diese gemeinsamen Initiativen müssen wir auch in Zukunft setzen. Ich ermuntere alle, sich dem anzuschließen.
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Aus diesem Grund haben wir auch die Bundesstiftung Gleichstellung ins Leben gerufen, die ganz explizit den gesetzlichen Auftrag hat, die digitalen Entwicklungen in den Blick zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sich die derzeitige Situation verbessert. Deshalb sage ich: Es hilft nicht, wenn wir mit dem Finger aufeinander zeigen, wir müssen das Thema gemeinsam angehen.
Das gemeinsam anzugehen, heißt aber, nicht nur weitere Regulierungen, Gesetze und Vorschriften zu schaffen, sondern auch als Gesetzgeber kritisch zu hinterfragen, ob wir nicht auch Gesetze haben, die in der digitalen Welt an Bedeutung verloren haben oder sogar kontraproduktiv sind. Ich nenne beispielsweise das Mutterschutzgesetz. Das Mutterschutzgesetz sieht beispielsweise vor, dass werdende oder stillende Mütter nach 20 Uhr nicht mehr arbeiten dürfen oder nur bis 22 Uhr mit Genehmigung der Behörde. Das passt überhaupt nicht zur Lebensrealität einer Frau in der digitalen Branche, die, wenn sie schwanger ist, vielleicht eher morgens oder mittags ihre Auszeit braucht, die aber abends sehr gut am PC arbeiten kann. Flexibilität ist in diesem Fall förderlich, und wir behindern sie durch unsere Regulierung, die gut gemeint war, aber aus einer Zeit kam, in der wir eher die Fabrikarbeiterinnen im Blick hatten, und die zu manchen Sachen einfach nicht mehr passt.
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Wir müssen den Blick weiten. Wir müssen in allen Ländern auf digitale Bildung setzen, damit wir die Mädchen wie die Jungs gleichermaßen schon früh für die tollen Möglichkeiten der Digitalisierung begeistern und sie dann automatisch Lust haben, in diesem Bereich tätig zu sein. Wir setzen dabei auf tolle Projekte – die Initiative YouCodeGirls ist genannt worden –, auf viele MINT-Initiativen aus dem Bildungs- und Forschungsministerium und auf die vielen Organisationen, die sich genau um diese Themen verdient machen, gerade auch Start-ups und Initiativen wie die Hacker School beispielsweise.
Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen Finanzierung bekommen, wenn sie den Mut haben, zu gründen. Das ist bisher nicht der Fall; auch das zeigt der Bericht.
Vor allem müssen wir Vorbilder schaffen. Janina Kugel hat einmal gesagt: „Wenn wir erfolgreichen Frauen mehr Sichtbarkeit verleihen, sehen Mädchen, dass ihnen alle Berufe offenstehen.“ Das gilt ganz besonders für den Digitalbereich. Deshalb haben alle eine Verantwortung, auch auf den Podien, in den Kongressen, im Bundestag, in der Politik und in der Wirtschaft für Sichtbarkeit zu sorgen, und dabei können alle mithelfen.
Danke.
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Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist Josephine Ortleb für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat in Deutschland der erste Supermarkt eröffnet, bei dem es keine Kassierer/-innen mehr gibt. Gezahlt wird einfach per App. Geöffnet ist der Laden rund um die Uhr. Für viele Menschen ist das praktisch: Sie können spontan einkaufen und brauchen nur eine App auf dem Handy. Für Supermärkte ist das günstig: Sie sparen sich das Personal. Doch für uns als Gesellschaft bedeutet dieser technologische Wandel soziale Veränderungen und Umbrüche, vor allen Dingen für die Frauen und für die Gleichberechtigung in Deutschland.
Für uns hier im Hohen Hause bedeutet das: Wir müssen ganz genau hinschauen. Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem kontaktlosen Supermarkt. Der Job an der Kasse wird eben oft von Frauen gemacht. Aber was passiert mit diesen Frauen, wenn ihre Arbeitskraft durch Geräte oder Computer ersetzt wird? Oder was passiert mit der älteren Kundin, für die das Plaudern an der Kasse häufig der einzige menschliche Kontakt am Tag ist? Denn wer glaubt, der digitale Wandel sei geschlechterneutral, der liegt falsch. Der Dritte Gleichstellungsbericht zeigt uns genau das auf.
Dank der guten Arbeit der unabhängigen Sachverständigenkommission sehen wir die vielen Dimensionen der Ungerechtigkeit und auch, was sich dringend ändern muss. Die wichtigste Erkenntnis ist aus meiner Sicht folgende: Einerseits spiegelt die digitale Welt die Machtverhältnisse unserer Gesellschaft wider, andererseits schafft sie auch neue Realitäten. Die digitale Welt und die reale Welt beeinflussen sich gegenseitig. Das heißt für uns als SPD-Bundestagsfraktion: Wir müssen weiter daran arbeiten, Strukturen aufzubrechen, die für Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft sorgen.
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Nur so schaffen wir gleichberechtigte Teilhabe in der Technologieentwicklung, bei der Verteilung von Arbeitsplätzen oder bei der Nutzung von sozialen Medien.
Wir müssen auch erkennen, wenn die Digitalisierung Ungerechtigkeiten verfestigt oder sogar verschärft. Denn Diskriminierungen werden häufig in Algorithmen festgeschrieben und sozusagen in Computersprache übersetzt. Wenn in Deutschland die meisten Entwickler und vor allen Dingen auch Designer von Produkten männlich sind, dann gestalten sie die digitalen Produkte oft anhand ihrer eigenen männlichen Lebenswelt. Deshalb sollten wir Unternehmen verpflichten, ihre Algorithmen auf deren Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen.
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Wie das gelingen kann, zeigt ein Start-up aus meinem Wahlkreis, QuantPi, das mit seiner Arbeit das Ziel hat, die Entscheidungen, die von Algorithmen getroffen werden, für alle nachvollziehbar zu machen. Das ist ein erster Schritt, und mit dieser beeindruckenden Arbeit gelingt es, die Gesellschaft gerechter zu machen.
Wenn wir es jetzt noch schaffen, den Anteil von Frauen in solchen Start-ups zu erhöhen und mehr Frauen den Zugang zu Risikokapital zu ermöglichen, dann kommen wir der Gleichberechtigung wieder ein Stück näher. Deshalb ist es gut, dass wir uns vorgenommen haben, Gründerinnen im Digitalsektor durch Stipendien zu stärken. Auch bei der Verteilung von öffentlichen Geldern, die in die Digitalbranche fließen, müssen wir Gleichstellung immer mitdenken.
Natürlich müssen wir daran arbeiten, dass Mädchen und junge Frauen sich Informatikberufe zutrauen. Ich denke, wir sind uns einig, wie wichtig es ist, dass Programme wie der MINT-Aktionsplan und die Bundesinitiative Klischeefrei weitergeführt werden.
Wir dürfen aber auch die vielen Frauen in den prekären Arbeitsverhältnissen nicht aus dem Blick verlieren. Sie verdienen wenig, leisten aber so viel unsichtbare Arbeit. Dazu gehören die alleinerziehende Mutter, die ihre Putzkraft auf einer Internetplattform anbietet, oder die junge Studentin, die online Nachhilfestunden gibt. Denn viele Dienstleistungen – Kinderbetreuung, Haushaltshilfe, Sprachunterricht – verschieben sich immer stärker in den digitalen Raum. Jobangebote werden von Nutzern online gestellt und selbstständig organisiert. Das macht zwar viele Frauen flexibel, aber es bestehen auch wirklich Gefahren, zum Beispiel die Gefahr, dass die rechtliche und soziale Absicherung nicht mehr greift. Die Frauen hangeln sich von Auftrag zu Auftrag und können es sich einfach nicht leisten, krank zu werden, kranke Kinder zu betreuen oder in den Urlaub zu fahren. Wir müssen dafür sorgen, dass auch auf digitalen Plattformen gute und faire Arbeitsbedingungen herrschen.
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Auch die Onlinebewertungen, die auf Internetplattformen geschrieben werden, und Kommentare, die in den sozialen Medien gepostet werden, sind ein Problem. Hier erleben Frauen Hass, Hetze und Sexismus.
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Manche ziehen sich komplett aus dem Internet zurück. Dagegen müssen wir mit guten Beratungsstrukturen und informierten Behörden ankämpfen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, was der Bericht der Sachverständigenkommission klarmacht: Gleicher Zugang für Frauen, gleiche Nutzungsmöglichkeiten für Frauen und gleiche Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen müssen immer und überall gelten, und zwar gleichermaßen für den Arbeitsmarkt, das Lernen, die Ausbildung, die Finanzwirtschaft, aber eben auch für digitale Plattformen – einfach immer und überall. Denn Gleichstellungspolitik ist auch Gerechtigkeitspolitik. Das gilt für die analoge wie auch für die digitale Welt, und dafür müssen wir kämpfen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Josephine Ortleb. – Als nächster Redner erhält das Wort Thomas Ehrhorn für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Geschätztes Publikum! Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung umfasst 276 Seiten – 276 Seiten Geschwurbel, möchte man sagen, 276 Seiten, auf denen man das immer gleiche Märchen erzählt von der diskriminierten Frau,
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die in der heutigen Gesellschaft nicht aus eigener Kraft in der Lage ist, in Chefetagen vorzudringen, die nicht aus eigener Kraft in der Lage ist, mit Digitalisierung fertigzuwerden, und die selbstverständlich auch bei gleicher Arbeit nicht den gleichen Lohn erhält. Die Frage, die sich auftut, ist die nach der Intention dahinter. Die Frage lautet: Cui bono? Wem nützt das? – Darauf werde ich noch kommen.
Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, und diese Unterschiede sind beweisbar. Sie zeigen sich zum Beispiel an den völlig verschiedenen Präferenzen, die Männer und Frauen zum Beispiel bei der Berufswahl haben,
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oder an unterschiedlichen Präferenzen bei den angestrebten Studiengängen. Und ja, es scheint auch heute noch so zu sein, dass es bei Frauen eine andere Bereitschaft gibt, zum Beispiel nach der Geburt des zweiten oder dritten Kindes nur noch in Teilzeit zu arbeiten. Das sind aber eben die Ergebnisse freier, eigener Entscheidungen. Diese Entscheidungen haben dann natürlich auch Auswirkungen auf die eigene Karriere und die Bezahlung, die zu erwarten ist. Genauso sieht es auch die kanadische Entwicklungspsychologin Susan Pinker, die in ihren Studien nachweist, dass gerade in besonders freien, gerade in wohlhabenden Gesellschaften die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die unterschiedlich gesetzten Prioritäten besonders stark hervortreten.
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Sie allerdings scheinen all das, was im Leben passiert, nur mit den von Ihnen selbst herbeifantasierten Benachteiligungen erklären zu wollen.
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Der letzte Schrei dabei ist scheinbar das sogenannte Gender-Care-Gap, welches Sie gerade erfunden haben. Da möchte ich Sie doch mal fragen – definieren Sie das doch mal –: Was ist eigentlich „häusliche Care-Arbeit“? Der Reifen- und Ölwechsel am Familienauto, ist das nicht vielleicht auch Care-Arbeit?
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Wie sieht es denn aus, wenn am Rasenmäher das Messer stumpf ist und ausgebaut und gewechselt werden muss? Ist das nicht vielleicht auch Care-Arbeit? Und wer macht das denn? Wie sieht es denn aus, wenn nach einem Sturmschaden mit der Kettensäge in der Hand auf dem eigenen Grundstück der Sturmschaden beseitigt wird?
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Ist das nicht vielleicht auch Care-Arbeit?
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Und wer macht das? Und erzählen Sie mir bitte nicht, dass diese Art von Arbeit durch Frauen erledigt wird.
Aber es spielt auch gar keine Rolle, wer es am Ende macht, weil Familien, weil Paare sehr wohl in der Lage sind, untereinander festzulegen, wer was besser kann, wer etwas lieber macht, und dementsprechend die Care-Arbeit im eigenen Haushalt am besten aufzuteilen, und zwar ohne Ihre einmischende Belehrung.
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Nein, meine Damen und Herren, was Sie hier eigentlich vorhaben, ist etwas ganz anderes: Sie versuchen, immer größeren Teilen der Bevölkerung einzureden, dass sie auf irgendeine Weise benachteiligt und diskriminiert werden. Sie versuchen, den Chor der Blöden immer größer werden zu lassen,
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der das Lied von der eigenen Benachteiligung immer lauter singt.
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Das ist genau der Grund, warum Sie in diesem Hause seit vielen Jahren einen Minderheitenhype betreiben, der für die Mehrheitsgesellschaft eigentlich unerträglich ist.
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Nein, Sie versuchen, Ihr Narrenschiff zu füllen mit den Menschen, die Sie auf diese Weise manipulieren. Wenn Sie das dann erreicht haben, soll dieses Narrenschiff genau dorthin fahren, wo Rot-Grün es immer hinsteuern wollte, nämlich direkt in den Sozialismus, meine Damen und Herren.
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Bedauerlich ist nur, dass viele erst dann merken werden, was Sie hier getan haben, wenn der Job und die Ersparnisse weg sind, die Steuerlast bei 70 Prozent liegt, die Wohnung kalt ist und die Regale im Supermarkt leergeräumt sind.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege?
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Vielen Dank.
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Können Sie bitte in der AfD-Fraktion noch mal überprüfen, dass die Masken auch wirklich über Mund und Nase sind! Das wäre sehr nett.
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Als Nächstes erhält das Wort Nicole Bauer für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie Tijen Onaran, Anabel Ternès oder Constanze Buchheim? Sie sind maßgebliche Mitgestalterinnen der digitalen Szene in Deutschland. Constanze Buchheim, die Unternehmerin der ersten Stunde deutscher Digitalwirtschaft, gründete 2009 i‑potentials, eine vielfach ausgezeichnete Personalberatung für digitale Spitzenpositionen. Die Professorin und Zukunftsforschende Anabel Ternès ist einer der führenden Köpfe für nachhaltige und digitale Bildung. Tijen Onaran vernetzt in der Initiative „Global Digital Women“ digitale Gestalterinnen miteinander und macht diese sichtbar. Sie zeigt uns starke Role Models und ist selbst eines davon. Denn nur wer sichtbar ist, findet auch statt. Und genau deshalb brauchen wir viel mehr weibliche Vorbilder in der digitalen Szene.
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Denn dort wird die Zukunft unseres Landes gestaltet, und da sollten Frauen mitwirken, mitentscheiden und mitentwickeln.
Mit nur 16 Prozent Frauenanteil ist die Digitalbranche weit davon entfernt. Deshalb bin ich froh, dass wir hier und heute mit dem Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung auf dieses Thema aufmerksam machen. Denn es ist Zeit, etwas zu verändern, weiblicher und vielfältiger zu werden. Diversity schafft einfach mehr Perspektiven, Kreativität und bessere Lösungsansätze. Nutzen wir also die Chance für den digitalen Wandel, entwickeln wir die besten Lösungen für Zukunftstechnologien, und bleiben wir international wettbewerbsfähig. Frauen sind der Business Case, meine Damen und Herren.
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Also, was können wir tun?
Erstens: auf frühe MINT-Bildung und einen Kulturwandel setzen. Wir wissen, dass geschlechtsspezifische Stereotypen bereits im Alter von sechs Jahren verinnerlicht werden. Deshalb gilt es, früh anzusetzen und MINT-Programme in der frühkindlichen Bildung zu verankern. Ich weiß es selbst, wie prägend es ist, als Mädchen den technischen Zugang ermöglicht zu bekommen. So fand ich auch persönlich meinen Weg in einen MINT-Beruf, als Ingenieurin, und entdeckte meine Leidenschaft für Innovationen – leider mit viel zu wenigen Frauen um mich herum, vor allem, wenn es im Karriereweg weiter nach oben ging. Deshalb brauchen wir einen Kulturwandel für mehr Frauen auf Topmanagementebene. Und die Zauberformel lautet dabei nicht „Fix the Women“, sondern „Fix the Company“.
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Zweitens brauchen wir viel mehr Frauen bei Techgründungen; denn noch gründen Frauen wesentlich weniger. Auch erkennen Investoren noch nicht das Potenzial der Frauen – wegen unbewusster Vorurteile und veralteter Rollenbilder. Unser Ziel muss es sein, die berufliche Selbstständigkeit von Frauen zu fördern, ihre Selbstverwirklichung in der digitalen Branche voranzutreiben und einen fairen Zugang zu Gründungs- und Wagniskapital zu schaffen. Und wir brauchen viel mehr Business Angels. All das haben wir in unserem Koalitionsvertrag. Und wir wären wirklich gut beraten, wenn wir dies in die Tat umsetzten.
Drittens brauchen wir viel mehr individuelle Freiheit und eine moderne Arbeitswelt; denn nicht nur die Coronapandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, mehr berufliche Flexibilität zu haben, um Erwerbsarbeit und Care-Arbeit unter einen Hut zu bringen. Zeitlich und örtlich unabhängiges mobiles Arbeiten hilft dabei. Selbstverständlich wird deshalb nicht automatisch die unbezahlte Sorgearbeit besser zwischen den Geschlechtern aufgeteilt. Doch es schafft eine neue Möglichkeit, auch innerhalb der Partnerschaft den Gender-Care-Share neu zu verhandeln. Machen wir uns das klar, und verabschieden wir uns ganz klar von überholter Präsenzkultur in den Unternehmen, veralteten Rollenbildern und Vorurteilen, meine Damen und Herren.
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Eine Sache liegt mir als Liberale ganz besonders am Herzen, wenn wir heute über Digitalisierung sprechen, nämlich die geschlechtsbezogene digitale Gewalt entschlossen zu bekämpfen. Jeden Tag werden Mädchen und Frauen Opfer digitaler Straftaten. Laut „Welt-Mädchenbericht 2020“ von Plan International sind 58 Prozent der Mädchen, in Deutschland sogar 70 Prozent der Mädchen Bedrohungen, sexistischen Kommentaren und Beleidigungen und Diskriminierungen im Netz ausgesetzt. Das schüchtert ein – und viele schweigen danach. Das dürfen wir nicht zulassen, meine Kolleginnen und Kollegen.
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Genau deshalb ist es für uns als Freie Demokraten klar und eine besondere Herzensangelegenheit, die Istanbul-Konvention auch mit Blick auf den Schutz von Mädchen und Frauen im digitalen Bereich umzusetzen. Überlassen wir diesen Bereich nicht den Hetzern und Hatern.
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Ja, die Digitalisierung bietet Chancen und Herausforderungen zugleich. Die digitale Transformation eröffnet neue Spielräume in der Arbeitswelt im Allgemeinen, beim persönlichen Aufstieg, bei der Work-Life-Balance, bei der fairen Chancenverwirklichung der Geschlechter. Und eins ist klar: Wir fürchten diesen Fortschritt nicht, sondern wir wollen ihn ganz klar gemeinsam gestalten – Männer und Frauen gemeinsam.
Herzlichen Dank.
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Es folgt für die Fraktion Die Linke die Kollegin Heidi Reichinnek.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Mitarbeiterin der Jugendhilfe habe ich mit zahlreichen Mädchen und jungen Frauen gesprochen, vor allem auch über ihre Erfahrungen in den sozialen Medien. Das hat mich oft entsetzt. Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut an ein Mädchen, das eindeutig untergewichtig war und sich trotzdem zu dick fand, weil ihr der Algorithmus immer neue verzerrte Bilder vorgesetzt hat. Dazu muss man wissen: 95 Prozent der 10- bis 18‑Jährigen nutzen soziale Medien; die Nutzungsdauer hat sich seit Beginn der Coronapandemie sogar verdoppelt. Dabei sehen junge Menschen im Schnitt 5 000 Bilder pro Woche. Bewusst oder unterbewusst vergleichen sich vor allem Mädchen und junge Frauen mit Bildern, die oft retuschiert oder nachbearbeitet sind und damit ein extrem schlechtes Körpergefühl vermitteln – ganz zu schweigen von den Beleidigungen, denen Frauen und Mädchen online ausgesetzt sind.
Laut dem vorliegenden Gleichstellungsbericht – wir haben es gerade gehört – werden 70 Prozent der befragten Mädchen in Deutschland online belästigt. Auch hier erinnere ich mich leider an viel zu viele Gespräche über die Folgen dieser Belästigungen: Rückzug aus den sozialen Medien, Hilflosigkeit, Angststörungen.
Obwohl der Dritte Gleichstellungsbericht mittlerweile über ein Jahr alt ist und sehr gute Lösungen präsentiert, sehe ich leider bisher recht wenig Fortschritte. Wo bleibt zum Beispiel eine umfassende Förderung von Vorbildern und positiven Beispielen? Im Gegensatz zur letzten und leider auch zur aktuellen Regierung sind hier viele junge Menschen bereits aktiv geworden; es gibt beeindruckende Accounts, die Selbstakzeptanz stärken, Austausch ermöglichen, Unterstützung anbieten. All diesen Menschen möchte ich an dieser Stelle einmal herzlichen Dank dafür sagen, dass sie sich das Internet zurückerobern.
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Aber auch die Medienschaffenden sind hier in der Pflicht. Auch der Ausbau der Medienbildung ist zentral. Das heißt, wichtig ist vor allem eine bessere strukturelle Förderung der Jugendarbeit, damit die Kolleginnen und Kollegen dort besser auf die Herausforderungen der sozialen Medien reagieren können und damit das Personal mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten kann, statt einen Antrag nach dem nächsten zu verfassen.
Und – das hat die Kollegin gerade sehr gut deutlich gemacht – es braucht klares Handeln gegen digitale Gewalt: etwa Überwachungs-Apps zur Verhinderung der Veröffentlichung von intimen Aufnahmen oder von Onlinestalking. Wir brauchen endlich flächendeckende Beratungsangebote und eine Stärkung von Fachkompetenz, vor allem bei Polizei und Justiz, am besten über verpflichtende Weiterbildungen. Frauenhäuser und Beratungsstellen brauchen IT‑Unterstützung, zum Beispiel durch gut erreichbare IT-Kompetenzzentren, die bei Fragen digitaler Gewalt technisch unterstützen.
Die To-do-Liste ist lang. Die letzte Regierung hat das leider verschlafen. Von der neuen Koalition, die sich „Fortschrittskoalition“ nennt, erwarte ich hier einiges. Ich gebe Ihnen einen Vertrauensvorschuss – verspielen Sie ihn nicht!
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Die Digitalisierung hat seit Corona auch unsere Arbeitswelt komplett umgekrempelt. Die Arbeit im Homeoffice führt zu Dauererreichbarkeit, Arbeitszeiten dehnen sich aus und Ruhephasen werden ausgehebelt. Gerade Frauen übernehmen im Homeoffice noch mehr Sorgearbeit als sowieso schon.
Ich erinnere kurz: Frauen haben bereits vor Corona 53 Prozent mehr Zeit für Haus- und Sorgearbeit erbracht als Männer; bei Paaren mit Kindern waren es sogar 83 Prozent mehr. Die Schließung von Kitas und Schulen hat zudem den Betreuungs- und Organisationsbedarf – Stichwort „Homeschooling“ – drastisch erhöht. Und wer hat das größtenteils aufgefangen? Es wird Sie alle sehr überraschen: Es waren die Frauen. Viele Frauen haben deswegen ihre Arbeitszeit reduziert. Und ja, auch Männer haben das teilweise gemacht. Doch nach zwei Coronajahren arbeiten die Männer jetzt wieder wie vorher, während jede fünfte Frau immer noch ihre Tätigkeit reduzieren muss, um unplanbaren Betreuungssituationen gerecht zu werden.
Was haben wir nun davon? Vor allem Mütter haben während der Pandemie das Vertrauen in die Politik verloren. Es wurde in den letzten zwei Jahren viel zu wenig getan, um Familien, speziell Mütter und Alleinerziehende, zu entlasten. Stattdessen erleben wir einen Rückfall in alte Muster: Mann verdient Geld, Frau kümmert sich.
Wissen Sie, was das besonders Perfide ist? Immer mehr – noch nicht genug – Männer wollen auch Gleichstellung im Privaten, sie wollen die Sorgearbeit fairer aufteilen, stoßen aber – wie Frauen seit Jahrzehnten übrigens auch – in der Realität an ihre Grenzen. Deswegen muss zum Beispiel endlich das Ehegattensplitting abgeschafft werden, statt mit einer solch fehlgeleiteten Politik weiter die traditionelle Rollenverteilung zu zementieren.
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Wenn wir uns mit Gleichstellung beschäftigen, dann müssen wir an den Kern der Problematik: Betreuungsangebote ausweiten, soziale und pflegerische Berufe, in denen Frauen klassisch überrepräsentiert sind, endlich mit besserer Bezahlung aufwerten, Minijobs nicht ausweiten, wie Sie es planen, sondern sie in voll sozialversicherungspflichtige Jobs überführen.
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Natürlich können wir stattdessen über einen Bericht diskutieren, der über ein Jahr alt ist. Das hilft nur leider niemandem da draußen, der auf unsere Arbeit angewiesen ist.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist Denise Loop. Es ist ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Liebe Zuhörer/-innen! Wussten Sie, dass biometrische Identifikationssysteme weiße Menschen besser erkennen als Schwarze, dass promovierten Frauen der Zugang zur Umkleide im Fitnessstudio verwehrt wurde, weil das automatische Zugangssystem den Doktortitel ausschließlich Männern zuordnete, und dass Stellenausschreibungen für Lkw-Fahrer auf einer sozialen Plattform vorrangig Männern angezeigt werden, während Anzeigen für Erzieher vorrangig Frauen gezeigt werden? Diese Beispiele aus dem Dritten Gleichstellungsbericht zeigen: Algorithmen führen bestehende Geschlechterstereotype fort, und sie können sie sogar verstärken.
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Auch deshalb ist es ein großes Problem, dass nur 16 Prozent der Frauen in der Digitalbranche tätig, sie kaum in deren Führungspositionen vertreten und sie auch bei der Gründung von Start-ups deutlich unterrepräsentiert sind. In anderen Worten: Frauen sind an der digitalen Transformation in diesem Land nicht angemessen beteiligt.
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Das hat Einfluss auf die Entwicklung von neuen digitalen Technologien; denn sie sind nie neutral, sie sind immer in gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Kontexten eingebettet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Digitalisierung hat Auswirkungen, und zwar ganz reale Auswirkungen im Alltag und auf die Teilhabechancen von Frauen und Mädchen. Das sieht man zum Beispiel an der Situation von Frauen im Homeoffice während der Pandemie. Auf der einen Seite kann das Arbeiten von zu Hause Chancen bieten, Erwerbs- und Sorgearbeit besser zu vereinbaren. Auf der anderen Seite zeigt sich aber, dass es gerade die Frauen sind, die unbezahlte Sorgearbeit im Homeoffice sehr viel stärker ausweiten als Männer. Das bedeutet: Auch hier muss bei der Erarbeitung von gesetzlichen Rahmenbedingungen die Perspektive von Frauen sehr viel stärker berücksichtigt werden.
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Eine weitere Realität ist: Frauen sind von digitaler Gewalt im Netz betroffen, insbesondere dann, wenn sie sich antirassistisch und queerfeministisch engagieren. Laut einer Studie – wir haben es heute schon mehrfach gehört – von Plan International Deutschland haben 70 Prozent der jungen Frauen in Deutschland im Internet bereits Bedrohungen oder Gewalt erlebt. Leider bestätigen auch aktuelle Zahlen, dass sie sich deshalb aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. Das ist ein Problem für die Demokratie. Das müssen wir ändern. Frauen haben ein Recht auf eine gleichberechtigte und sichere Teilnahme am öffentlichen Diskurs. Digitale Gewalt müssen wir immer und überall bekämpfen; denn jede Form von Diskriminierung der Frauen begünstigt geschlechtsspezifische Gewalt.
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Aus dem Dritten Gleichstellungsbericht lässt sich ein klarer Auftrag für die Ampelkoalition ableiten. Deswegen bin ich unserer Parlamentarischen Staatssekretärin Ekin Deligöz sehr dankbar für ihre deutlichen Worte und ihre Bitte, diese wichtigen Themen auch im Haushalt zu verankern; denn wir brauchen dieses Geld, um die Handlungsempfehlungen des Berichts in der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie zu berücksichtigen, um die Digitalisierungsstrategie um eine geschlechtersensible Perspektive zu erweitern und um MINT-Programme zu fördern, damit Geschlechterstereotype und Zugangsbarrieren für Frauen und Mädchen in der IT‑Branche abgebaut werden. Alle diese Maßnahmen sind notwendig.
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Denn wir wollen doch alle in einer Gesellschaft leben, in der nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch die Menschen in ihrer gesamten Vielfalt berücksichtigt werden. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der sich alle unabhängig vom Geschlecht sicher, diskriminierungsfrei und gleichberechtigt an den digitalen Transformationsprozessen beteiligen, damit alle Menschen gleichermaßen von den vielen Chancen der Digitalisierung profitieren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste der Name Karin Dorrepaal jedem ein Begriff sein; sie hat im Jahr 2004 geschafft, was noch keiner Frau in Deutschland vorher gelungen war: Sie war die erste Frau im Vorstand eines DAX-Konzerns. Von da an hat es lange 15 Jahre gedauert, bis der nächste Meilenstein erreicht war und mit Jennifer Morgan 2019 zum ersten Mal eine Frau das CEO-Büro in einem DAX-Konzern bezog.
Jetzt herrschen heute nicht mehr die Verhältnisse von 2004. Aber ein Frauenanteil in den Vorstandsbüros der 200 größten Unternehmen von gerade einmal 15 Prozent zeigt, dass die Chancengleichheit für Frauen in vielen Unternehmen immer noch Utopie ist. Sehr geehrter Kollege Ehrhorn, ob Sie es glauben oder nicht, es ist gar keine angeborene Eigenschaft von Frauen, nach dem zweiten oder dritten Kind freiwillig zu Hause zu bleiben oder nur halbtags zu arbeiten.
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Es ist die Aufgabe von uns allen hier, diese Zustände endlich zu ändern; denn auch außerhalb der Vorstandsetagen sieht es mit Frauen in der IT‑Branche mager aus. 2021 lag der Frauenanteil in dieser Branche in Deutschland bei 18 Prozent. In Informatikstudiengängen liegt der Frauenanteil bei knapp einem Viertel. Auf offene Positionen im Bereich „Programmierung und IT“ bewerben sich je nach Position nur 10 bis 20 Prozent Frauen. Im Start-up-Umfeld ist es kaum besser: In den Gründungsteams von vorwiegend digitalen Geschäftsmodellen und Plattformen sind nicht einmal 16 Prozent Frauen vertreten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf so nicht bleiben.
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Viele dieser Entwicklungen stützt auch der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, den wir heute hier beraten. Auf 276 Seiten legt die Sachverständigenkommission dar, wo der Handlungsbedarf für die Gleichstellung von Frauen in der Digitalbranche, in einer digitalisierten Gesellschaft besteht. Dass es im Jahr 2022 noch einen 276-seitigen Bericht zu dem Thema braucht, veranschaulicht genau die großen Herausforderungen, vor denen Frauen heute stehen, wenn sie im digitalen Kosmos Fuß fassen wollen.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen – das sollten wir hier alle gemeinsam tun –, müssen wir ein zweischichtiges Problem angehen: Erstens müssen wir uns der Tatsache stellen, dass Frauen immer noch zu selten in digitalen Jobs und Studiengängen vertreten sind. Zweitens müssen wir das Problem angehen, dass Frauen noch immer zu selten in Führungspositionen zu finden sind.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Arbeitgeber können es sich schlichtweg nicht leisten, auf weibliche Fachkräfte zu verzichten. Was es hier braucht, ist ein Dreiklang: Früh Aufmerksamkeit schaffen, Vorbilder aufzeigen und – ja, liebe Männer! – Karrieren von Frauen nicht im Weg stehen.
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Es muss bei Mädchen bereits im jungen Alter Aufmerksamkeit für die MINT-Berufe erzeugt werden. Zielgerichtete Kampagnen – die Initiative „YouCodeGirls“ ist da eine von vielen –, verpflichtende Angebote in Kitas und Grundschulen und geschultes Personal sind von großer Bedeutung. Ganz zentral sind natürlich auch Vorbilder – das wissen wir Frauen am allerbesten –: weniger Klischees, mehr Role Models. Wir brauchen weibliche Führungskräfte in IT‑Berufen, die die Diversität in Unternehmen erhöhen und einen Multiplikatoreffekt haben. Unbewusste Vorurteile, dass DAX-Vorstände grauhaarige Anzugträger zu sein haben, müssen endlich der Vergangenheit angehören.
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Was es hierfür eben auch braucht – auch das muss im Jahr 2022 immer noch angesprochen werden –, sind Männer in Führungspositionen, die diesem gesamtgesellschaftlichen Prozess offen gegenüberstehen; denn sie sind es meistens, die Einstellungen vornehmen und über Beförderungen entscheiden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt noch weiter ausführen, wie wichtig genügend Kitaplätze und Betreuungsangebote sind. Ganz unabhängig von der Branche, digital oder analog, möchte ich die Bundesregierung gerne dazu auffordern, sich weiter für den Ausbau dieser Plätze einzusetzen.
Sehr verehrte Damen und Herren, ich hoffe inständig, dass es zukünftig keines fast 300-seitigen Berichts mehr bedarf, um Frauen gleichzustellen, und dass solche Berichte bald der Vergangenheit angehören. Bitte lassen Sie uns endlich PS auf die Straße bringen!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält Dr. Carolin Wagner für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Guten Morgen! Oh, und falls wir uns heute nicht mehr sehen, guten Tag, guten Abend und gute Nacht!“ Die meisten von Ihnen dürften jetzt das grinsende Gesicht von Jim Carrey vor Augen haben, der im Film „Die Truman Show“ der Star seiner eigenen Serie ist, ohne davon zu wissen. Wie sollte er auch? Immerhin, so die Story des Films, ist der 29‑jährige Truman bereits als Baby in das Filmsetting quasi eingepflanzt worden. Dieses wurde ihm als Wirklichkeit verkauft, als eine simulierte Realität, die zu bröckeln beginnt, als eines vermeintlich normalen Tages plötzlich ein Scheinwerfer vom Himmel fällt und ihm vor die Füße knallt.
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Truman beginnt daraufhin, zu zweifeln. Er schaut genau hin und erkennt mehr und mehr, dass das, was er als Wirklichkeit begriffen hatte, purer Schein ist, und er beginnt, erbittert dagegen anzukämpfen.
Ziemlich ähnlich gelagert ist die Frage um die Gleichstellung; denn strukturelle Diskriminierung gegenüber Frauen in unserer Gesellschaft ist ein Fakt. Punkt!
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– Zu Ihnen komme ich gleich noch.
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Denn, werte Kolleginnen und Kollegen, vom Geschlecht hängen natürlich zahlreiche biologische Faktoren ab; aber vom Geschlecht hängen eben weder Wissen noch Können, Talent, Know-how, Neigung oder Interesse ab.
Ich sage aber auch ganz klar: Dies ist die Ausgangsbasis für Gleichstellungsarbeit, und wer diese Ausgangsbasis nicht teilt – das habe ich heute aus einigen Wortmeldungen herausgehört –, der erkennt natürlich auch nicht den Sinn und den Nutzen der Maßnahmen, die strukturelle Diskriminierung beseitigen. Wer das alles nicht sehen will, der blickt nur auf eine Kulisse, wie sie die Berge, der Himmel und das Meer in der „Truman Show“ sind.
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Das ist in der Konsequenz sehr, sehr tragisch, werte Kolleginnen und Kollegen; denn diese fallen ja nicht weg, nur weil man das Problem nicht erkennt und nicht wahrhaben will.
Was ist die Konsequenz dieser strukturellen Diskriminierung? Was ist die Konsequenz dieser wirkmächtigen Rollenklischees, die ständig repliziert werden? Die Konsequenz ist, dass wir viele Talente in diesem Land ungenutzt liegen lassen. Ganz deutlich zeigt sich dies mit einem Blick auf die IT- und Technikbranche. 16 Prozent, das ist der Frauenanteil in der IT‑Branche in der Bundesrepublik Deutschland, 18,5 Prozent sind es in der gesamten EU, und das, obgleich diese Branche eine Zukunftsbranche ist und unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Anschlussfähigkeit ganz erheblich davon abhängen, Digitalisierung und Informatik voranzutreiben.
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Nun ist klar: Es können ja in einem Beruf nur so viele Frauen eingesetzt werden, wie sich in die entsprechende Ausbildung begeben. Also, lassen Sie uns auf die Ingenieurs- und Informatikstudiengänge schauen. Der Anteil an Absolventinnen in der Abschlusskohorte liegt hier in den Ingenieurfächern bei gerade einmal 25 Prozent, im Bereich Informatik bei 21 Prozent. Natürlich muss man auch hier auf die vorherige Stufe der Bildungsbiografie gucken. Auch als Schulfach wird die Informatik von Mädchen weniger häufig auf erhöhtem Anforderungsniveau gewählt als von Jungen.
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Nun kann man sich aufgrund dieser Datenlage, aufgrund dieser Fakten auch einfach ganz bequem zurücklehnen, so wie es der Herr Ehrhorn eben tut, und sagen: Ja mei, das dürfen doch die Frauen selber wählen. Es wird ihnen doch nicht vorgeschrieben, dass sie Informatik studieren. – Ja, das stimmt vielleicht. Aber es stimmt eben auch, dass Frauen auf dem Weg zu einem solchen Studium und somit auf dem Weg zu einer Karriere in der IT- oder Technikbranche mit ungemein mehr Hindernissen und Stolpersteinen konfrontiert sind als ihre männlichen Weggefährten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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– Ja, Herr Ehrhorn, den Wirkungszusammenhang, den kann ich Ihnen auch noch erklären.
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Mädchen erfahren ganz früh, dass es schon irgendwie seltsam ist, wenn sie sich für Technik interessieren, wenn sie gern in der Werkstatt oder am Computerprogramm tüfteln. Es braucht eine hohe innere Antriebskraft und innere Stärke, sich dieser spürbaren Konfrontation zu entziehen und am Interesse für Technik dranzubleiben.
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Diese Erfahrung machen viele Mädchen und junge Frauen, die sich für eine solche Laufbahn entscheiden. Deshalb ist es unglaublich wichtig, mit dem Abbau derartiger Rollenklischees und Stereotype schon früh im Bildungsprozess anzufangen. Deswegen sind Projekte wie der Girls’ Day, der Boys’ Day, der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen und andere Maßnahmen so wichtige Bausteine auf dem Weg dorthin.
Bei all diesen Maßnahmen geht es darum, Kinder allgemein und Mädchen und junge Frauen im Speziellen frühestmöglich abzuholen, sie zu ermutigen und zu unterstützen. Solche Förderprogramme und ‑maßnahmen – das heben die Bundesregierung und der Sachverständigenrat im Gleichstellungsgutachten richtigerweise hervor – können gar nicht früh genug ansetzen.
Diese Programme wirken auch; das weiß ich aus eigener Erfahrung. Vor dem Antritt meines Mandats im Herbst 2021 durfte ich an einer technischen Hochschule in der Oberpfalz ein solches Förderprogramm für junge Frauen in MINT-Berufen umsetzen. Ziel dieses Programms war die Stärkung des MINT-Interesses von Schülerinnen in der Abschlussphase und beim Übergang zu einem Studium, also genau dann, wenn die Gefahr besteht, dass es zum Bruch kommt mit dem eigentlichen Interesse.
Das Bestärken dieser Schülerinnen in ihrem MINT-Interesse ging aber auch stark einher mit dem Bewusstmachen geschlechtsspezifischer Wirkmechanismen. Vielen der Mädchen, die bei diesem Projekt mitgemacht hatten, knallte ebenso wie Truman Burbank irgendwann plötzlich ein Scheinwerfer vor die Füße. Sie wurden sich bewusst, wie ihre Umwelt auf sie als technikbegeisterte Mädchen reagierte und was das wiederum mit ihnen selbst machte. Dieses Erkennen bestärkte viele von ihnen, ihren Weg in ein technisches Studium oder eine technische Ausbildung auch wirklich umzusetzen.
Dass also Projekte wie dieses zu Verbesserungen führen, sieht man auch insgesamt an leichten Aufwüchsen beim Anteil der Frauen in MINT-Studiengängen. Es sind keine großen Sprünge, die sich hier zeigen; aber der Anteil wächst. Er wächst langsam, aber er wächst; denn immerhin geht es darum, lange institutionalisierte Muster und Denkweisen in unserer Gesellschaft aufzubrechen, und das ist eben auch keine leichte Aufgabe, sondern ein langer Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und auch hierbei können wir uns ein Beispiel an einer Frau aus der Naturwissenschaft nehmen: Schon die zweifache Nobelpreisträgerin für Chemie und Physik Marie Curie sagte:
Ich habe gelernt, dass der Weg des Fortschritts weder kurz noch unbeschwerlich ist.
Und Gleiches gilt für den Weg der Gleichstellung der Geschlechter.
Deshalb lassen wir uns aber nicht aufhalten. Gehen wir weiter! Brechen wir weiterhin Rollenklischees auf und entfesseln damit viele Talente in diesem Land!
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Ich möchte den Abgeordneten Farle von der AfD-Fraktion bitten, doch bitte auch seine Maske immer aufzubehalten.
Als nächste Rednerin erhält das Wort für die AfD-Fraktion Mariana Harder-Kühnel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Bericht ist ein Paradebeispiel dafür, wie Steuergelder verschwendet werden.
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276 Seiten voller Ideologie, 276 Seiten voller hohler Phrasen über die geschlechtergerechte Gestaltung der Digitalisierung. Über 100 sogenannte Experten setzen sich mit Pseudoproblemen auseinander. 388‑mal ist von „Gender“ die Rede und 827‑mal von „Gleichstellung“. 827‑mal! Das ist geradezu obsessiv.
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Sie wollen mit aller Macht so auch in der Digitalisierung die Gleichstellung der Geschlechter durchsetzen. Wir brauchen aber keine Gleichstellung im Sinne von Ergebnisgleichheit. Wir brauchen vielmehr Gleichberechtigung im Sinne von Chancengleichheit.
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Chancengleichheit muss selbstverständlich gegeben sein. Das bedeutet aber nicht, dass man in allen Bereichen und mit aller Macht einen 50‑prozentigen Anteil von Frauen erzwingen muss, sondern einfach, dass es auch jeder Frau möglich sein muss, jeden Beruf zu ergreifen, den sie möchte.
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Wenn sich trotz Chancengleichheit nur 16 Prozent der Frauen für eine Karriere in der Digitalbranche entscheiden, dann ist das eben so.
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Akzeptieren Sie einfach die Unterschiedlichkeit der Geschlechter! Lassen Sie Frauen Frauen und Männer Männer sein!
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Mehr als jedes ideologisch versiffte Gleichstellungsprogramm würde Frauen Wertschätzung helfen. Wertschätzung für das, was sie sind, und für das, was sie leisten,
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zum Beispiel, indem man endlich die Anerkennung ihrer Erziehungsleistung in der Rente schafft.
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Wissen Sie was? Im angeblich ach so konservativen, ach so erzkatholischen Polen propagiert kein übergriffiger Staat, welche Rollen Mann und Frau in Familie, Beruf oder eben in der digitalen Welt zu spielen haben. Das Ergebnis: In Polen liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei 44 Prozent, im bunt-diversen Deutschland bei nur 28 Prozent. Also nehmen Sie doch bitte mal frauenpolitischen Nachhilfeunterricht bei unseren östlichen Nachbarn, meine Damen und Herren!
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Diskriminierung findet in Deutschland zwar statt, aber an ganz anderer Stelle als in der Digitalbranche. Diskriminierend ist es, Frauen als Dummchen darzustellen, die es ohne staatliche Quotenregelung zu nichts bringen.
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Diskriminierend ist es, die Lebensleistung von Frauen nur anhand ihres Berufslebens zu messen, während ihr Einsatz für Kinder und Familie unberücksichtigt bleibt.
Wer sich den Gleichstellungsbericht kritisch durchliest, der erkennt schnell, dass die dort angeführte angebliche Diskriminierung nichts weiter ist als ein Vorwand – ein Vorwand für die von der Ampel bereits auf allen Ebenen praktizierte Transformation. Die Transformation, mit der man die Gesellschaft umformen will, um das eigene ideologisch verblendete Weltbild zu etablieren.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Dass dies unter anderem durch staatlich erzwungene frühkindliche Bildung erreicht werden soll, zeigt die Gefährlichkeit dieser Regierung auf; denn Kinder sind keine ideologischen Projekte, sondern unsere Zukunft.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin erhält das Wort für die FDP-Fraktion die Kollegin Katja Adler.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr 14 Jahren erinnert der Equal Pay Day an den langen Weg zur Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Der Equal Pay Day zeigt jedes Jahr, dass die Gleichstellungsdebatte nicht mehr nur über die rechtliche Gleichstellung geführt werden darf, sondern über tatsächliche gleiche Verwirklichungschancen geführt werden muss.
Der nun Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung beschreibt die aktuelle Situation von Frauen insbesondere im Digitalbereich und gibt uns allen Handlungsempfehlungen und Hausaufgaben auf. Heute sind wir zwar gesellschaftlich angesprochen und sensibilisiert, weil sich zum Beispiel unternehmerischer Erfolg nachweislich in diversen Teams besser einstellt als in homogenen Teams. Dennoch werden gerade einmal 15,7 Prozent der Start-ups in Deutschland von Frauen gegründet. Nur 10 Prozent der Frauenteams erhalten Kapital von Business Angels, und nur 8 Prozent erhalten Risikokapital. Selbst bei staatlichen Fördermitteln erhalten nur 21 Prozent der Frauenteams eine Förderung. Und das, obwohl Unternehmen, die von Frauen gegründet werden, oftmals viel nachhaltigeren Erfolg nachweisen können.
Und haben Frauen den Schritt in die Digitalbranche gewagt, bleiben sie oft nur kurz dort. Die hohe Fluktuation wirft auch im Bericht ein Schlaglicht auf die Arbeits- und Unternehmenskultur. Verbreitete stereotype Vorstellungen von Frauen in einem männlich geprägten Arbeitsumfeld und manche Elemente der in diesen Unternehmen verbreiteten Arbeitsmethoden werden als zentrale Gründe dieser geringen Verweildauer von Frauen in der Digitalbranche gesehen. Schaffen wir also den Rahmen für einen Wandel der Arbeits- und Unternehmenskultur, um mehr Frauen langfristige Perspektiven zu bieten!
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Verschaffen wir mehr Frauen Zugang zu Finanzierungen und zu Förderungen! Verhelfen wir mehr Frauen zu mehr Sichtbarkeit! Zeigen wir, dass wir tolle Frauen in der Digitalbranche haben! Nur dies ist unser Weg zu dauerhaftem Erfolg und zur Konkurrenzfähigkeit auch im europäischen Vergleich.
Ein Wandel der Arbeits- und Unternehmenskultur ist auch bedingt durch einen Wandel unserer gesellschaftlichen Kultur insgesamt. Denn solange Mütter, die neben ihrer Familie auch ihre Karriere verfolgen, als Rabenmütter dargestellt werden, haben wir noch einen langen Weg vor uns hin zu einem wirklichen Kulturwandel in unserer gesamten Gesellschaft. Für diesen Kulturwandel braucht es mutigere Ansätze. Dafür braucht es alle Menschen unserer Gesellschaft. Es braucht Frauen, die sich für eine Karriere im Digitalbereich entscheiden, und es braucht Männer, die diesen Wandel aus voller, aus tiefer Überzeugung mittragen und vor allem vorantreiben und unterstützen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Also, liebe Frauen und liebe Männer: Seien wir mutig und gehen wir gemeinsam voran.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin ist Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesen Dritten Gleichstellungsbericht debattieren wir hier, weil es sich die Bundesregierung zur Aufgabe gemacht hat, die Erkenntnisse aus der Geschlechterforschung ernst zu nehmen und seine Handlungsempfehlungen in die konkrete politische Arbeit einfließen zu lassen. Und viele Empfehlungen stehen schon im Koalitionsvertrag und auch im Regierungsprogramm wie beispielsweise zu Gewalt gegen Frauen, die auch im digitalen Raum ausgeübt wird. Hier muss deutlich stärker gendersensibler Schutz gewährleistet werden.
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Die Regierung setzt auf Synergien und siedelt den kommenden Gleichstellungsbericht in der neuen Bundesstiftung Gleichstellung an. Das ist gut. Das wird jetzt gemacht. Aber, Kolleginnen und Kollegen, was nicht vorhersehbar war, das waren die Pandemie und ihre Auswirkungen. Unter Corona hat dieser Dritte Gleichstellungsbericht „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“ eine besondere Aktualität bekommen. Wir haben als Gesellschaft in der Pandemie einen Digitalisierungssprung gemacht. Aber was nicht gelungen ist, ist, geschlechtergerecht durch die Coronakrise zu kommen. Frauen haben in den letzten zwei Jahren zu oft und zu lange bis zur Erschöpfung das Unmögliche versucht: Homeoffice, Homeschooling, Haushalt – alles gleichzeitig. Nicht wenige, die systemrelevant sind oder nicht im Homeoffice arbeiten können und die gleichzeitig keine Kinderbetreuung zur Verfügung hatten, kündigten ihren Job.
Da müssen wir ehrlich sein, Kolleginnen und Kollegen: Die besten Rahmenbedingungen helfen Frauen nicht weiter, wenn sie nicht entlastet werden, wenn es keine Umverteilung von Care-Arbeit gibt,
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und vor allem, wenn nahezu erwartet wird, dass die Frauen es schon irgendwie machen, dass sie zurückstecken. Nein! Wenn die digitale Zukunft der Arbeit gestaltet wird, ist es zentral, Erwerbs- und Sorgearbeit zusammenzudenken, wirksame Regelungen zu schaffen und Kinder und Job partnerschaftlicher aufzuteilen.
Die Vorhaben der Ministerin Spiegel sind hier gut und wichtig. Sie wurden gestern im Ausschuss vorgestellt. Das gehen wir jetzt an, und ich freue mich auf die Umsetzung dieser Maßnahmen.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin erhält für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dorothee Bär das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Dritte Gleichstellungsbericht verbindet zwei Querschnittsthemen: auf der einen Seite Digitalisierungspolitik, auf der anderen Seite Gleichstellungspolitik. Wenn man auf die Handlungsempfehlungen des Berichts schaut, sieht man sofort, dass nicht nur sämtliche Bundesministerien betroffen sind, sondern auch alle politischen Ebenen angesprochen sind. Wenn man sich vor Augen führt, dass jedes Thema für sich genommen schon eine wahnsinnige Mammutaufgabe ist, sind es natürlich beide zusammen erst recht; und beide Themen sind absolute Herzensthemen von mir. Ich weiß, dass wir in beiden Bereichen schneller vorankommen müssen, weil wir das ganz besonders unseren Töchtern schuldig sind.
Ich habe deswegen nicht ganz verstanden, Herr Ehrhorn und Frau Harder-Kühnel, wie Sie hier solche Reden halten können. Im Kürschner habe ich gelesen, dass Sie auch Kinder haben; ich weiß jetzt nicht, ob Töchter dabei sind. Es ist aber schon etwas befremdlich. Ich frage mich, ob Sie sich nach einer solchen Rede morgen überhaupt wieder in Ihre eigene Familie zurücktrauen.
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Ganz ehrlich, Sie können froh sein, dass das, was Sie hier die ganze Zeit so reden, Unterhaltungen untereinander sind. Wir sind dank der FDP so nah an Ihnen dran, dass wir auch die Privatunterhaltungen mitbekommen; da tut einem wirklich alles weh. Da stehen einem alle Haare zu Berge.
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Das ist unterirdisch, was Sie hier alles von sich geben, nicht nur hier am Rednerpult. Das ist ganz, ganz schlimm.
Für mich steht im Mittelpunkt die Frage – und dafür ist dieser Bericht auch da –: Wie kann auch Digitalisierung geschlechtergerecht ausgestaltet werden? Denn unter den Bedingungen des digitalen Wandels zeigen sich Ungleichheiten noch einmal ganz neu; das haben sehr viele Vorrednerinnen heute schon von sich gegeben. Und sie zeigen sich auch alle anders. Wir haben schon den Gender Pay Gap besprochen, und wir haben den Gender Care Gap besprochen,
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wozu von Ihnen auch nur unflätige Dinge reingerufen wurden: „Motorölwechsel“ – liebe Leute, das glauben Sie doch nicht selber, was Sie hier von sich geben, Herr Ehrhorn! Aber ich möchte mich gar nicht lange mit Ihnen beschäftigen,
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weil das vergebliche Liebesmüh ist.
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Ich möchte einen weiteren Begriff einführen, nämlich den Gender Data Gap. Das bedeutet, dass anteilsmäßig – –
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– Ich weiß, dass Fremdwörter für Sie Glückssache sind, aber Sie können ja mal zuhören.
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Anteilsmäßig werden mehr Daten über Männer gesammelt als über Frauen. Es ist auch so, dass Daten nicht nach Geschlechtern unterschieden werden. Das führt eben nicht, wie man vielleicht auf den ersten Blick glauben könnte, zu einer Gleichbehandlung, sondern zum Gegenteil. Denn geschlechterspezifische Verschiedenheiten, die Sie auf der einen Seite immer rausholen, werden mit zum Teil fatalen Konsequenzen ignoriert.
Das berühmteste Beispiel ist sicherlich – das ist jetzt nicht originär digital, aber alle kennen es –, dass die Crashtest-Dummys immer überwiegend männlich waren.
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– Oh mein Gott, Sie sind ja noch blöder, als ich dachte! Jetzt mal ganz ehrlich!
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Es ist doch völlig klar, dass, wenn es nur männliche Crashtest-Dummys gibt, bei Unfällen Frauen leichter verletzt werden und sterben. Da fragen Sie mal das Verkehrsministerium, wenn Sie nicht glauben, was ich Ihnen hier erzähle. Das BMDV hat eine Datenlage dazu. Frauen haben eine andere Statur; da ist das doch logisch. Sie stehen hier und sagen, Männer und Frauen seien unterschiedlich, und dann glauben Sie es an der Stelle nicht. Das passt doch alles nicht zusammen. Meine Güte!
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Das Gleiche gilt doch, wenn es ein Diskriminierungspotenzial beim Einsatz von automatisierten Prozessen in der Plattformökonomie gibt. Es ist nämlich nicht so, dass Plattformarbeit immer auch eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit bedeutet. Bei Jobportalen – das ist auch schon angedeutet worden – erleben wir zunehmend automatisierte Prozesse, die auch auf der Auswertung von vielen Daten beruhen. Das heißt, künstliche Intelligenz arbeitet hier, um Sonderfälle zu minimieren. Wenn dann in solchen Datensätzen nur wenige Frauen vorkommen, werden diese vom Algorithmus als irrelevante Abweichungen ignoriert; und deswegen ist das ein ganz, ganz wichtiges Thema, weil Frauen natürlich keine irrelevante Abweichung sind.
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So sieht es also der Algorithmus, wenn wir nicht gegensteuern. Deswegen brauchen wir, um diese Ungerechtigkeiten zu beheben, Veränderungen auf mehreren Ebenen, beispielsweise bei der Gleichbehandlung der Bewerberprofile.
Es ist schon viel drüber gesprochen worden, wo wir ansetzen müssen: in den Kindergärten, in den Schulen. Aber wir können das Ganze nicht nur den Kindergärten und den Schulen überlassen. Wir brauchen auch an den Nachmittagen Angebote. Ich möchte an dieser Stelle mal einen großen Werbeblock machen. Es geht um ein wirklich ganz tolles Instrument, das wir in der letzten Legislaturperiode – leider nur singulär – in Deutschland haben einführen können. Ich gebe ganz offen zu: Ich hatte mir das in der Hoffnung, dass wir regieren, anders vorgestellt, nämlich dass wir es flächendeckend in Deutschland ausrollen. Ich möchte aber den Fraktionen der Ampel die Bitte mitgeben, sich das mal anzuschauen und vielleicht umzusetzen.
Wir haben nämlich auf Bestreben der Bundeskanzlerin ein sogenanntes digitales Lernzentrum mit Namen TUMO hier in Berlin eingeführt. TUMO ist ein Zentrum außerhalb der Schule, auf freiwilliger Basis, für Kinder von 12 bis 18 Jahren. Es ist dauerhaft, es ist kostenlos, es ist regelmäßig. Gerade für Mädchen ist es ganz großartig; denn es geht dort nicht nur um Digitales, sondern es nennt sich „Center for Creative Technologies“. Auch Sprache macht ja wahnsinnig viel. Wenn es um Kreativität geht, fühlen sich Mädchen eher angesprochen. Es ist leider immer noch so, dass es heißt: Die Jungs machen mal Mathe, und die Mädchen sollen lieber Sprachen lernen. Darauf sagen wir: Ja, Programmiersprachen beispielsweise.
Ich kann alle Kolleginnen und Kollegen nur ermuntern, sich das hier in Berlin einmal anzuschauen. Mein Wunsch wäre es, dass wir so etwas analog den Mehrgenerationenhäusern in jedem Landkreis in Deutschland, in jeder kreisfreien Stadt einrichten. Ein solches Zentrum vor Ort könnte jeder auch in seinem Wahlkreis gut brauchen, nicht nur in Berlin, wo es hervorragend funktioniert. Da würde ich Sie bitten, uns an dieser Stelle zu unterstützen.
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Liebe Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben uns als Union an Ihrer Seite, wenn wir die Handlungsempfehlungen der Sachverständigenkommission ernst nehmen, wenn wir sie in konkreten Schritten umsetzen. Holen wir also die weiblichen Crashtest-Dummys weg vom Beifahrersitz, holen wir sie hinter das Steuer, bauen wir diese Ungleichheiten ab!
Liebe Mädchen, die ihr heute zugeschaut habt, liebe Frauen, ihr werdet an diesen Debatten sehen: Ihr solltet nie die AfD wählen; das ist nicht zu eurem Besten.
Vielen Dank.
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Bitte noch einmal die Masken korrigieren; es sind ja Mund- und Nasenschutzmasken.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält das Wort Ariane Fäscher für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Interessierte an den Bildschirmen! In der Pandemie waren die Menschen durchschnittlich über zehn Stunden täglich online. Aktuell sind es immer noch mehr als sieben Stunden. Der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fokussiert daher mit gutem Grund auf die digitale Welt, und wie in der realen Welt sind auch in der digitalen Welt Mädchen und Frauen im Netz wesentlich häufiger Gewalt ausgesetzt. Hier knüpfe ich an die Debatte zum Internationalen Frauentag an und möchte noch einmal verstärken: Menschenrechte, Frauenrechte – es ist eins.
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Die vorgestern vorgestellte Kriminalitätsstatistik zeigt, dass Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu 92 Prozent Frauen und zu 50 Prozent unter 21 Jahre alt sind. Die Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern haben um 6,3 Prozent zugenommen, die Verbreitung pornografischer Schriften um 88 Prozent. Die virtuelle Welt wird dabei als Tatort immer relevanter.
Es gibt eine Vielzahl an Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen im Netz: Cybermobbing, Hatespeech, Bloßstellen und Anschwärzen, sogenanntes Doxing, Cyberstalking, Nötigung oder Erpressung, Verbreiten von Gerüchten und Schmähungen, Identitätsmissbrauch und auch die offene Androhung von Gewalt, begünstigt durch die Anonymität des Netzes und in räumlicher Distanz zum Opfer. Das bedeutet: Das Netz ermächtigt somit auch Feiglinge, zum Täter zu werden.
Unser Gehirn ist ein Wunderwerk. Es merkt sich über sogenannte Spiegelneuronen Erfahrungen und Gefühle, damit wir in einer künftigen Situation Muster erkennen, gewappnet sind, schnell reagieren können. Das soll unser Überleben sichern. Doch das heranreifende Gehirn eines unter 18‑Jährigen unterscheidet nicht zwischen wirklich erlebten Szenen und virtuell erlebten Erfahrungen und Emotionen. Ein Spiel, ein Film, eine Diffamierung im Netz wird genauso stark erlebt und genauso als Wirklichkeit abgespeichert. Das Internet prägt auf diese Weise direkt Selbst- und Rollenbilder.
Welchen Einfluss hat das Internet auf unsere Vorstellungswelten? Unendlich viele Fotos, Selfies werden verschickt, vermeintlich verschönt durch Filter. Das eigene Spiegelbild kann dann mit diesem virtuellen Ich nicht mehr mithalten, und das führt in der Realität zu Gefühlen von Minderwertigkeit, meist bei Frauen. Dazu kommen neue Vorbilder, Influencer/-innen, gecastet, um durch Schönheit Einfluss zu nehmen. Schönheit, Erfolg und Ware werden somit eine Einheit. Es entsteht ein auf Benutzen und Verbrauchen, ein auf Konsumieren ausgelegtes Menschen- und insbesondere Frauenbild.
35 Prozent des Datenverkehrs im Internet sind Zugriffe auf Pornos. Neun von zehn Konsumenten sind Männer. Der Erstkonsum ist gewöhnlich im Alter von elf bis zwölf Jahren. 71 Prozent der 14- bis 17‑Jährigen gucken mehrfach wöchentlich Pornodarstellungen. Wir erinnern uns an die Spiegelneuronen: Anhand dieser Bilder prägen sich die Vorstellungen der jungen Männer von Frauen und von Sex. Es prägt sich ein Selbstbild von einem Mann, der das Recht hat, alles, was er will, von der Frau zu bekommen, es sich nötigenfalls auch zu nehmen. Diese Bilder von Frauen als Objekt führen zu Enthemmung und zu höherer Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen. Der Anteil polizeilich gemeldeter Vergewaltigungen und schwerer sexueller Nötigung ist seit 2010 von 9,4 auf 11,9 Fälle pro 100 000 Einwohner gestiegen.
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Wo kommt das her? Was ist zu tun? Das Bundesfrauenministerium hat 2019 die bundesweite Initiative „Stärker als Gewalt“ gestartet. Auf der Onlineplattform „Aktiv gegen digitale Gewalt“ gibt es gesammelte Informationen über Formen digitaler Gewalt, was dagegen getan werden kann und wo es Hilfe für Betroffene und Fachkräfte gibt.
Es gilt das Wissen zu stärken, empfiehlt der Gleichstellungsbericht. Bei Straftaten soll erfasst werden, ob digitale Medien eine Rolle spielen. Fachberatungsstellen sollen ihre Kompetenzen im Bereich „geschlechterbezogene digitale Gewalt“ auf- und ausbauen. Ein Schutzschirm könnte Opfern unter anderem bei der Sicherung von Beweismitteln, dem Löschen von Hasskommentaren oder dem Schützen ihrer Accounts helfen.
Zentral bleibt als Forderung die Reform internationalen gesetzlichen Kinder- und Jugendmedienschutzes; denn bis jetzt ist es ein einziger Klick „Ich bin 18“, um auf der Pornoseite zu landen. Die Kinder und Jugendlichen sollen einerseits vor ungeeignetem Inhalt, aber insbesondere vor Interaktionsrisiken wie Mobbing, sexualisierter Anmache, Hassrede, aber auch vor Kontaktaufnahme durch Täter geschützt werden.
Die Kombination aus Sensibilisierung, digitalem Jugendschutz und einem funktionierenden Hilfesystem haben wir im Koalitionsvertrag als wichtige Eckpfeiler des Gewaltschutzes verankert. Das Thema gehört auch an den runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“; und diesen werden wir im Mai fortsetzen.
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Greifen wir darüber hinaus an der Wurzel an. Es sind die gelebten Rollenbilder und Vorbilder, die Männer- und Frauen-, Mütter- und Väterbild geben. Aber lassen Sie uns auch pädagogisch und in Kampagnen Menschen- und Rollenbilder prägen, in denen jeder Mensch gleich viel wert ist und darüber hinaus alles, was er oder sie möchte, sein kann.
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Und lassen Sie uns noch was völlig Verrücktes tun, nämlich unser Grundgesetz ernst nehmen, indem wir die Würde des Menschen, die Würde der Frau wieder als unantastbar anerkennen. Frauenrechte sind Menschenrechte, in der realen und in der virtuellen Welt.
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Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen, haben wir Tausende Beschäftigte gehabt, die sich in der Krise in Kurzarbeit befunden haben. Ich finde, wenn diese Beschäftigten, die oft schmerzhafte Einschnitte hinnehmen mussten, jetzt fette Steuernachzahlungen aufgedrückt bekommen, geht das nicht. Das muss auch hier diskutiert werden.
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Kurzarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt nicht nur weniger Geld. Kurzarbeit heißt natürlich auch, Angst davor zu haben, den Job zu verlieren, Angst, seine Miete nicht bezahlen zu können, Angst, mit der Familie nicht über die Runden zu kommen. Das Letzte, was man in dieser bescheidenen Situation dann noch gebrauchen kann, ist Post vom Finanzamt mit der besagten Nachzahlung.
Warum diese Nachzahlung? Nun, das Kurzarbeitergeld ist zwar steuerfrei; aber im Einkommensteuersatz gibt es eine Tücke, den sogenannten Progressionsvorbehalt, ein schreckliches Wort. Was heißt das? Um den richtigen Steuersatz auf das zu versteuernde Einkommen zu ermitteln, wird das Kurzarbeitergeld zu dem sonstigen Einkommen dazugerechnet.
Hier mal ein gutes Beispiel aus der Lebenswirklichkeit aus meinem Wahlkreis in der Lausitz: Eine alleinstehende Köchin hat letztes Jahr 40 000 Euro verdient, musste aber einige Monate in Kurzarbeit und hat währenddessen 5 000 Euro Kurzarbeitergeld bekommen. Wären diese 40 000 Euro ihr einziges Einkommen, läge ihr durchschnittlicher Steuersatz bei 21,1 Prozent. Die 5 000 Euro Kurzarbeitergeld werden aber bei der Berechnung des Steuersatzes obendrauf geschlagen. Das Problem ist, dass die Köchin also zu wenig Einkommensteuer gezahlt hat und deshalb 652 Euro nachzahlen muss, 652 Euro, die ganz schön wehtun können.
Obendrein, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen 100 000 Kurzarbeiter aufgrund dieser Sachlage eine Einkommensteuererklärung abgeben. Das haben viele auch nicht auf dem Schirm. Der erste Brief vom Finanzamt ist die Mahnung, der zweite Brief ist dann die schmerzhafte Nachzahlung – zwei Briefe, die man sich, glaube ich, verkneifen kann.
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Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich habe die Regierung gefragt, über welche Summe wir hier reden. Aus dem Progressionsvorbehalt ergibt sich allein für 2020 und 2021 eine zusätzliche Steuerbelastung von 3,5 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite sind diese 3,5 Milliarden Euro natürlich Einnahmen, die von denjenigen gezahlt werden, die es unbedingt brauchen. Um diese Ungerechtigkeit zu stoppen und nebenbei auch die Lohnsteuerhilfevereine und Steuerberater zu entlasten, wollen wir das Kurzarbeitergeld von diesem Progressionsvorbehalt temporär ausnehmen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sehr geehrter Herr Herbrand, ich darf Sie daran erinnern – aber Sie wissen es ja selbst –: Das haben Sie im Jahr 2020 als FDP-Fraktion hier in diesem Bundestag beantragt; wir haben damals zugestimmt. Heute stellen Sie den Finanzminister, und ich finde, jetzt könnten Sie einfach mal Nägel mit Köpfen machen, Sie als FDP mit Bündnis 90/Die Grünen und den Sozialdemokraten, die ja auch im Wahlkampf so oft bei Entlastungen vor allem über die gesprochen haben, die es nötig haben: die mit einem schmalen Geldbeutel.
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Es wäre jetzt das Mindeste, die Kurzarbeiter von diesen Nachzahlungen auszunehmen und zu schützen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Es folgt für die SPD-Fraktion die Kollegin Dagmar Andres.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
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Liebe Linke, grundsätzlich finde ich Anträge, die darauf abzielen, die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen zu senken, ja sehr charmant, und damit läuft man bei mir eigentlich offene Türen ein. Was wir aber in der SPD-Fraktion so gar nicht mögen, ist Ungerechtigkeit,
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und diese Ungerechtigkeit würden wir weiter ausbauen, wenn wir diesem Antrag folgen würden.
Wie der Kollege eben schon richtig erklärt hat: Es gibt einen Grundfreibetrag; der liegt bei knapp 10 000 Euro. Bis zu dem wird gar keine Einkommensteuer bezahlt. Mit steigendem Einkommen steigt dann auch der persönliche Steuersatz, und zwar von einem Eingangssteuersatz in Höhe von 14 Prozent bis zu einem Spitzensteuersatz von maximal 45 Prozent für die besonders Reichen; das gilt ab rund 255 000 Euro zu versteuerndem Einkommen pro Person. Wer mehr verdient, muss also auch mehr Steuern zahlen, und das ist vollkommen richtig so.
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Anstatt des Arbeitslohns oder auch zusätzlich zum Arbeitslohn kann man aber auch sogenannte Lohnersatzleistungen beziehen. Das sind zum Beispiel Elterngeld, Mutterschaftsgeld, Krankengeld oder eben auch das im Antrag erwähnte Kurzarbeitergeld. Diese Lohnersatzleistungen sind steuerfrei, stehen aber unter dem völlig korrekten Progressionsvorbehalt. Das heißt: Für diese Lohnersatzleistungen zahlt man zwar keine Einkommensteuer; aber diese steuerfreien Bezüge fließen in die Berechnung des persönlichen Einkommensteuersatzes mit ein. Also zahlt man für den Arbeitslohn einen höheren Steuersatz, als man ohne Kurzarbeitergeld gezahlt hätte.
Ich hatte ursprünglich auch ein Beispiel; das versuche ich jetzt schnell an Ihr Beispiel anzupassen mit einer Köchin A und einer Köchin B. Die Köchin A hat 40 000 Euro an Einkünften bei einer Vollzeittätigkeit im Kalenderjahr erzielt und darauf ihre Einkommensteuer gezahlt. Die Köchin B hat neun Monate im Jahr Vollzeit gearbeitet und war drei Monate in Kurzarbeit mit 40 000 Euro Einkommen und 5 000 Euro Kurzarbeitergeld: Warum soll sie jetzt die gleiche Steuerlast tragen wie die Köchin, die nur 40 000 Euro an Einkünften hat? Es müsste doch eigentlich gelten: Köchin A – 40 000 Euro und weniger Steuern; Köchin B – 45 000 Euro und mehr Steuern.
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Was soll denn dagegensprechen, dass eine höhere Leistungsfähigkeit eben auch höhere Steuern verursacht? Laut Bundesverfassungsgericht: nichts. In der Begründung einer übrigens unanfechtbaren Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht nämlich aus – und mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich zitieren –:
Der Progressionsvorbehalt berücksichtigt das Leistungsvermögen des Steuerpflichtigen in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise. Es liegt auf der Hand, daß Steuerpflichtige, die im Kalenderjahr neben eigenen Einkünften Lohnersatzleistungen bezogen haben, wirtschaftlich leistungsfähiger sind als Steuerpflichtige, die gleich hohe Einkünfte ohne Lohnersatzleistungen erzielt haben. Die Einbeziehung der Lohnersatzleistungen zur Berechnung des Steuersatzes begegnet daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Warum Die Linke den Progressionsvorbehalt nur aus dem Kurzarbeitergeld nehmen will, nicht aber aus den anderen Lohnersatzleistungen, wird im Antrag nicht erläutert. Dieser Antrag ist nicht neu und auch nicht besser als all Ihre diesbezüglichen Anträge zuvor. Wir empfinden das immer noch als ungerecht und werden ihn auch wieder ablehnen. In der Fortschrittskoalition der Ampel setzen wir nämlich darauf, mit vielen gerechten und vor allen Dingen geeigneten Maßnahmen insbesondere kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Das werden meine Kolleginnen und Kollegen in dieser Debatte sicherlich noch ausführlich darlegen. Dafür lasse ich denen jetzt auch 35 Sekunden mehr Zeit.
Vielen Dank.
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Wir schauen mal, ob sie die 35 Sekunden bekommen. – Dann erhält jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Olav Gutting das Wort.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die letzten zwei Jahre waren für viele Menschen in diesem Land eine herausfordernde Zeit. Wir haben in der Regierung und im Parlament viel dafür getan, um die Belastungen für die Menschen möglichst niedrig zu halten, um die Belastungen abzumildern. Eine Maßnahme davon war, dass wir das Kurzarbeitergeld so genutzt haben, dass Beschäftigte bei ihren Unternehmen beschäftigt bleiben konnten. Diese Maßnahme wurde von uns immer wieder verbessert, sie wurde verlängert. Wir haben zudem ermöglicht, dass Arbeitgeber auch steuerfreie Zuschüsse auf das Kurzarbeitergeld zahlen konnten.
Die aktuelle Ampelkoalition hat diese sinnvollen Maßnahmen fortgeführt. Es bleibt dabei, dass die Zugangsvoraussetzungen zum Kurzarbeitergeld bis zum 30. Juni dieses Jahres herabgesetzt bleiben. Und die maximale Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld wird befristet von 24 Monaten auf 28 Monate verlängert.
Das Kurzarbeitergeld – wir haben es vorhin schon gehört – beträgt in der Regel 60 bzw. 67 Prozent der Nettoentgeltdifferenz. Das ist in vielen Lohngruppen tatsächlich ein sehr niedriger Auszahlungsbetrag. Er erhöht sich zwar ab dem vierten Monat auf 70 bzw. 77 und ab dem siebten Monat auf 80 bzw. 87 Prozent der Nettoentgeltdifferenz; aber das ist natürlich nicht vergleichbar mit dem normalen Bruttolohn. Zusätzlich kann der Arbeitgeber diesen Betrag noch mit einer steuerfreien Zahlung erhöhen. Das wird auch oft von den Arbeitgebern gemacht. Man muss diese Zahlen, denke ich, nennen; denn es geht ja hier am Ende um den Vergleich zwischen den Nettobeträgen von normalem Arbeitnehmer und Kurzarbeiter. Es geht also darum: Was hat man am Ende in der Tasche?
Hier ist der Antrag der Linken, bei dem es faktisch um die Abschaffung des Progressionsvorbehalts für Kurzarbeitergeld geht,
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einfach falsch gedacht. Die Linke will mit ihrem Antrag einen anerkannten steuerlichen Grundsatz aushebeln, nämlich die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
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Nur der Progressionsvorbehalt stellt die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sicher. Wer mehr verdient, wer leistungsfähiger ist, der muss natürlich höhere Steuern bezahlen als der, der weniger hat. Das ist richtig, und das ist korrekt.
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Mit Ihrer Forderung nach der Verhinderung von möglichen Steuernachzahlungen – das ist ja nicht überall der Fall – setzen Sie von den Linken nun dieses Prinzip außer Kraft. Tatsache ist: Die Lohnersatzleistungen und damit auch das Kurzarbeitergeld sind steuerfrei. Sie sind das, und sie bleiben es auch. Diese Lohnersatzleistung wird ja lediglich zur Berechnung des individuellen Steuersatzes miteinbezogen. Wer Kurzarbeitergeld erhält, der zahlt für diesen Zeitraum in jedem Fall weniger Steuern als beim Bezug des normalen Bruttoarbeitslohns, völlig egal, ob als Köchin oder in anderen Berufen. Es ist so: Wer Kurzarbeitergeld bezieht, zahlt für diesen Zeitraum weniger Steuern.
Würden jedoch Lohnersatzleistungen bei der Berechnung des individuellen Steuersatzes bezogen auf das gesamte Jahreseinkommen – und darum geht es ja – nicht berücksichtigt, dann wäre das gegenüber den übrigen Steuerpflichtigen schlicht ungerecht. Es würde nicht nur den vollständigen Steuerausfall für diese Ersatzleistungen bedeuten, sondern auch die Anwendung eines niedrigen, eben dann nicht mehr angemessenen Steuersatzes für die übrigen Einkünfte. Und das kann man tatsächlich nicht befürworten. Wenn Sie von den Linken die mögliche Steuerbelastung für Kurzarbeiter nur isoliert betrachten, dann verabschieden Sie sich von diesem Prinzip der leistungsgerechten Besteuerung.
Wenn es Ihnen in diesem Antrag um eine generelle, grundsätzliche Steuersenkung ginge, dann wären wir offen für Gespräche, dann könnten wir gerne gemeinsam nach Lösungen suchen. Aber Sie wollen hier ja nur die steuerliche Behandlung des Kurzarbeitergeldes aussetzen und nicht den Progressionsvorbehalt auch bei den anderen Lohnersatzleistungen wie zum Beispiel Insolvenzgeld oder Arbeitslosengeld abschaffen.
Da zeigt sich eben dieser kurzfristige Effekt, und da zeigt sich eben auch der Unterschied zwischen Oppositionsparteien. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie noch mal erwähnt haben, dass die FDP, als sie noch in der Opposition war, so einen ähnlichen Antrag gestellt hat. Aber das ist halt der Unterschied: Wir sind auch in der Opposition vernünftig, wir sind auch in der Opposition verantwortungsbewusst,
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und wir wechseln hier nicht das Hemd von Populismus zu Regierung. Das ist der Unterschied: Wir sind auch in der Opposition eine verantwortungsbewusste Fraktion.
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Zusätzliche Belastungen für die Menschen, die schon unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gelitten haben, sollen verhindert werden. D’accord, selbstverständlich – da gibt es überhaupt kein Vertun –, das wollen wir auch. Aber wir in der Union stehen eben auch für den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, konkretisiert durch das Leistungsfähigkeitsprinzip, und das werden wir hier nicht ausblenden. Aktive Arbeitnehmer dürfen im Ergebnis nicht schlechtergestellt werden als Empfänger von Ersatzleistungen; aber genau das würde mit Ihrem Vorschlag in vielen Fällen geschehen.
Fazit. Wir halten fest: Unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Besteuerung ist im Einkommensteuerrecht der Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld folgerichtig, und er ist deswegen beizubehalten. Ergo lehnen wir Ihren Antrag hier heute ab.
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Als nächster Redner erhält das Wort Sascha Müller für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gäbe es das Kurzarbeitergeld nicht, man müsste es erfinden. Zahlreiche Beschäftigungsverhältnisse konnten während der Coronapandemie erhalten bleiben, eben weil es das Kurzarbeitergeld gibt. Auch ich war zu Anfang der Coronapandemie in Kurzarbeit, wenn auch nicht, wie in anderen Branchen, zu 100 Prozent, sondern nur mit reduzierter Arbeitszeit. Für mich als Sportjournalist gab es nun mal weniger zu tun, als alle Sportveranstaltungen abgesagt wurden, die Bundesliga komplett aussetzen musste, die Werbeeinnahmen ausblieben.
In der Redaktion haben wir in dieser Zeit genau darauf geachtet, nicht länger zu arbeiten, als es die strengen Regeln der Kurzarbeit erlaubten, was bei einer journalistischen Tätigkeit gar nicht so einfach ist: Artikel müssen recherchiert, mit Informanten muss gesprochen werden, Interviews müssen redigiert und autorisiert werden. Manches geführte Interview konnte, wie ich aus anderen Ressorts weiß, daher gar nicht erscheinen. Insgesamt waren wir aber froh, unseren Beruf weiter ausüben zu können; denn die demokratische Öffentlichkeit braucht guten Journalismus, und auch Journalismus ist systemrelevant.
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Woran wir sicherlich seinerzeit überhaupt nicht gedacht hatten, war der Progressionsvorbehalt. Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld bedeutet – es ist bereits gesagt worden –, dass das Kurzarbeitergeld zwar steuerfrei ist, der gezahlte Betrag aber zur Ermittlung des Steuersatzes auf das eigentliche Erwerbseinkommen herangezogen wird. Oft ergeben sich dadurch Steuernachzahlungen – ja –, aber das ist nicht zwingend. Es könnte auch der gegenteilige Effekt eintreten.
Zugegeben: Emotional kann ich das Anliegen des vorliegenden Antrags aus der Fraktion der Linken durchaus nachvollziehen. Natürlich ist es ärgerlich, wenn du zuerst staatliche Hilfe bekommst und dann zeitverzögert über die Einkommensteuer wieder was zurückzahlen sollst, obwohl das Kurzarbeitergeld doch eigentlich steuerfrei ist. Hier könnte der Eindruck einer gefühlten Ungerechtigkeit entstehen. Was aber passieren würde, wenn wir dem vorliegenden Antrag folgen würden, wäre: Wir würden aus einer vielleicht gefühlten Ungerechtigkeit eine tatsächliche Ungerechtigkeit machen.
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Unter Ziffer 2 des vorliegenden Antrags streichen Sie die Notwendigkeit, nach der Kurzarbeit eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Nun, für viele Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bliebe diese Notwendigkeit dennoch erhalten, zum Beispiel, wenn sie einen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung gestellt haben oder bei Verheirateten, wenn sie die Steuerklassen III und V gewählt haben, die es für den im Antrag genannten Zeitraum ja noch gibt. Wie Sie ja wissen, wollen wir als Ampel da ran.
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Das Ganze wird auch nicht besser, wenn Sie den Progressionsvorbehalt unter Ziffer 1 des Antrags ganz streichen. Damit hebeln Sie – auch das ist schon gesagt worden – den Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit aus, und Sie verschärfen den Unterschied – damit sorgen Sie vielleicht auch für eine weitere gefühlte Ungerechtigkeit – zwischen jenen, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Hilfen in Form von Kurzarbeitergeld erhalten haben, und etwa Soloselbstständigen, die ihre Überbrückungs- oder Neustarthilfen – das sind andere Instrumente, klar; aber dennoch nenne ich sie – nicht nur mit Progressionsvorbehalt, sondern sogar insgesamt versteuern müssen.
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Nebenbei: Eine bessere Absicherung, eine Art von Kurzarbeitergeld für Soloselbstständige, wäre mal eine Überlegung wert. Aber das nur am Rande.
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Nein, das rückwirkende Streichen des Progressionsvorbehalts für die Jahre 2020 bis 2022, wie im Antrag gefordert, kommt für uns in der Tat nicht infrage. Die damit einhergehenden Steuerentlastungen wären zudem – und darauf kommt es gerade heute, zu dieser Zeit, besonders an – noch nicht einmal zielgerichtet. Für mich – ich glaube, für meine damaligen Kolleginnen und Kollegen ebenso – war der sich ergebende höhere Steuersatz kein wirkliches Problem. Wenn sich Steuernachzahlungen ergeben haben, dann haben wir diese Steuern gerne gezahlt, damit der Staat sich um die Hilfen für die wirklich betroffenen Branchen und beispielsweise auch um Kunst- und Kulturschaffende kümmern konnte.
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Natürlich – Sie hätten ja Vorschläge machen können; das haben Sie aber leider nicht gemacht – könnte man darüber nachdenken, wie diese eingangs erwähnte gefühlte Ungerechtigkeit in der Zukunft abzumildern wäre. Das ist vielleicht auch eine Frage der Kommunikation. Da sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Sie hätten beispielsweise einen Freibetrag, ab dem der Progressionsvorbehalt erst gilt, beantragen können. Das haben Sie leider nicht gemacht. Man hätte natürlich darüber nachdenken können: Was könnte man in der Zukunft ändern, um einerseits die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zu erhalten und andererseits die böse Überraschung einer Steuernachzahlung für die Betroffenen zu vermeiden – das wird schwer gehen – oder aber vielleicht zumindest zu minimieren?
Das haben Sie mit dem vorliegenden Antrag aber nicht getan, und deshalb können wir uns auch nicht mit ihm anfreunden. Aber wir freuen uns auf die weitere Diskussion im Ausschuss.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Als nächste Rednerin erhält für die AfD-Fraktion Gerrit Huy das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linken sprechen in ihrem Antrag ein Problem an, das sich in vielen Fällen staatlicher Subventionspolitik wiederfindet: Sie ist nicht ehrlich. Genauer gesagt: Ihre Zahlen sind nicht ehrlich. So fließt in vielen Fällen gar nicht die angekündigte Subventionssumme an die Empfänger, sondern eine reduzierte Summe.
Im Fall des Coronakurzarbeitergeldes heißt das in der Regel, dass am Ende weniger als die angekündigten 60 oder 67 Prozent des vorherigen Einkommens im Portemonnaie des Kurzarbeiters landen. Warum? Es ist schon vielfach gesagt worden: Die Zahlung unterliegt dem sogenannten Progressionsvorbehalt. Sie fließt zwar formal steuerfrei vom Staat zum Empfänger, erhöht aber die Steuern auf sein übriges Einkommen, sodass ihm am Ende netto weniger verbleibt als angekündigt.
Und nicht genug, dass weniger Geld bei ihm landet,
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er muss dafür auch noch eine Steuererklärung abgeben, was besonders ärgerlich ist, wenn er das zuvor nicht gebraucht hat. Schon beim Bezug von nur 410 Euro Kurzarbeitergeld wird sie fällig, die Steuererklärung, was nicht nur beim Empfänger des Geldes, sondern auch in den Finanzbehörden einen erheblichen Mehraufwand auslöst. Die Regierung kann diesen Mehraufwand zwar nicht genau beziffern; aber einige Millionen zusätzliche Steuererklärungen dürften es schon sein.
Das erinnert fatal an andere hochbürokratische Regierungsvorhaben wie zum Beispiel die Grundrente, die etwa 1,3 Millionen Rentnern zugutekommen soll. Es ist sehr erfreulich und es ist auch höchste Zeit, dass diese 1,3 Millionen Rentner, die jahrzehntelang Rentenbeiträge eingezahlt haben, einen Aufschlag auf ihre viel zu niedrigen Renten erhalten.
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Dass dafür aber 1 000 neue Mitarbeiter in der Rentenanstalt eingestellt werden mussten, zeigt, dass auch die Grundrente wie so vieles andere ein bürokratischer Murks ist. Ein neuer Mitarbeiter für 1 300 Grundrenten – der Steuerzahler muss ihr Gehalt, die Nebenkosten, die Bürokosten und die Verwaltungskosten zahlen. Geht’s nicht auch mal einfacher?
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Muss jede neue Regierungsidee immer gleich in ein Arbeitsbeschaffungsprogramm ausarten? Einfache Lösungen, die man verstehen und nachvollziehen kann, mag die Regierung offenbar nicht. Man muss ja schon Steuerexperte sein, um beim Thema Kurzarbeitergeld noch durchzublicken.
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Aber egal, ob man es versteht oder nicht: Zahlen muss man immer, und die Größenordnung hat es in sich. Von den 12,6 Milliarden Euro ausgezahltem Kurzarbeitergeld in 2020 flossen rund 2,1 Milliarden Euro wieder an den Fiskus zurück. Das sind knapp 17 Prozent, die die Kurzarbeiter im Schnitt weniger im Portemonnaie hatten als angekündigt. Das gleiche Spiel im Jahr 2021: 8,1 Milliarden Euro wurden als Kurzarbeitergeld ausgezahlt. 1,4 Milliarden Euro flossen als Steuern wieder an den Fiskus zurück; wieder gut 17 Prozent. Das ist doch nicht fair. Die meisten Kurzarbeiter hatten große Mühe, mit dem coronabedingten Einkommensverlust zurechtzukommen. Und dann sollen sie am Ende noch Steuern nachzahlen? Und das auch noch bei der aktuellen Mehrbelastung durch die hohe Inflation? Geht’s noch?
Wir finden, die Regierung sollte sich ehrlich machen und dem Bürger grundsätzlich sagen, was Sache ist. Es wäre technisch übrigens überhaupt nicht schwierig, den Kurzarbeitern die Steuererklärung abzunehmen. Das würde helfen. Man würde den Progressionsvorbehalt abschaffen. Die Kurzarbeiter hätten mehr Geld, und die Behörden hätten weniger Arbeit. Das wäre doch eine Lösung.
Ähnliches gilt übrigens auch für die Rentenempfänger, die zunehmend in die Besteuerung ihrer Renten hineinrutschen. Viele von ihnen haben in ihrem ganzen Berufsleben keine Steuererklärung ausfertigen müssen, aber im Alter verlangt man es plötzlich von ihnen. Am besten noch elektronisch. Oder sollen sie sich dafür einen Steuerberater nehmen? Auch hier gilt, dass es technisch sehr wohl möglich wäre, dass die Finanzbehörden den Rentnern, die außer ihrer Rente nichts anders zu versteuern haben, diese Aufgabe einfach abnehmen; denn ihnen liegen alle nötigen Daten vor.
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Es wäre schön, wenn man den Behörden die Möglichkeit dazu einräumen würde.
Aber zurück zur faktischen Besteuerung des Kurzarbeitergelds. Liebe Linke, wir von der AfD können aus den dargelegten Gründen sehr gut verstehen, dass Sie diesen Antrag gestellt haben. Was wir nicht verstehen können, ist, dass Sie einen fast gleichlautenden Antrag von uns, den wir schon im Jahr 2020
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und dann noch einmal im Jahr 2021 gestellt haben, rundweg abgelehnt haben. Das war wohl auch nicht ganz ehrlich.
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Danke.
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Das Wort erhält der Kollege Markus Herbrand für die FDP-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon angedeutet worden: Dieser Antrag ist mir nicht ganz unbekannt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Eigentlich müsste man Lizenzgebühren dafür verlangen; denn er ist eins zu eins abgeschrieben worden.
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Man könnte ansatzweise auch eine Urheberrechtsklage daraus machen. Aber es ist halt schlecht gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Denn gute Ideen sind nur dann gut, wenn sie auch zum richtigen Zeitpunkt kommen, und gute Ideen verlieren ihre Wirkung, wenn sie zum falschen Zeitpunkt kommen. Sie kehren ihre Wirkung teilweise geradezu um. Das werde ich Ihnen gleich erläutern.
Aber auch ich komme nicht umhin, kurz darauf zurückzukommen, was der Progressionsvorbehalt eigentlich ist. Wir haben in Deutschland Einkünfte, die steuerfrei sind, und andere, die steuerpflichtig sind. In der Mitte liegen die Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Es ist ja schon erläutert worden, dass alle Einkünfte berücksichtigt werden, um den Steuersatz zu ermitteln. Da es in den meisten Fällen diesbezüglich zu Nachzahlungen kommt – nicht in allen, aber in den meisten Fällen –, hat der Gesetzgeber vorgesorgt und sieht eine Erklärungspflicht für diese Fälle vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihren Antrag nicht nur aus formalen Gründen ablehnen. Vielmehr gibt es dafür, Herr Kollege Görke, handfeste inhaltliche Gründe.
Im Ursprung hatte dieser Antrag im Jahr 2020 eine sehr nachvollziehbare und gute Agenda. Der Gesetzgeber kann frei darüber entscheiden, ob er Einkünfte steuerfrei stellt, ob er Einkünfte steuerpflichtig stellt oder ob er Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterwirft. Damals hat die Große Koalition unseren Antrag abgelehnt und gesagt: Wir wollen daran nichts ändern, Stichwort: „Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit“.
Wir hätten uns damals dafür entscheiden können, diesen coronabedingten Progressionsvorbehalt und auch die Erklärungspflicht auszusetzen. Das wäre seinerzeit eine große Unterstützung für die Menschen gewesen, es wäre auch eine Unterstützung für die Verwaltung gewesen. Nun aber, in 2022, ist es eigentlich zu spät – nein, es ist nicht eigentlich zu spät, es ist zu spät –, diesen Fehler der damaligen Großen Koalition zu beheben.
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Es würde geradezu zu neuen Ungerechtigkeiten führen; denn Sie wollen gleiche Sachverhalte in der Zukunft anders behandeln als in der Vergangenheit.
Und Sie werden nicht, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, für Bürokratieentlastung sorgen. Vielmehr werden Sie sogar für deutlich mehr Bürokratie sorgen. Denn: Wie wollen Sie das in der Praxis handhaben? Das müssten Sie mir mal erläutern. Die Erklärungen für 2020 sind ja schon längst abgegeben – jedenfalls in den meisten Fällen –, auch die 2021er-Fälle. Die müssten dann ja rückwirkend korrigiert werden. Wollen Sie das nur auf Antrag machen? Soll das die Verwaltung von Amts wegen machen? Ist das rechtlich überhaupt noch möglich? Es interessiert Sie vermutlich gar nicht, ob das rechtlich möglich ist.
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In der Tat, dieses Prozedere ist einfach zu kompliziert. Es führt aus meiner Sicht zu einer erheblichen Mehrarbeit für die Verwaltung, wenn die 2020er- und 2021er-Fälle jetzt wieder aufgerollt werden müssen. Deshalb, denke ich, ist dieser Antrag überhaupt nicht durchdacht, jedenfalls mit Blick auf die Vergangenheit.
Ehrlich gesagt, überlege ich immer noch, ob es eher für mich spricht, dass Sie diesen Antrag abgeschrieben haben, oder ob es eher gegen Sie spricht, dass Sie ihn so unreflektiert übernommen haben, auch unter Berücksichtigung der Vergangenheit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort für die SPD-Fraktion Parsa Marvi, und es ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag.
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Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Dem Antrag der Fraktion Die Linke können wir nicht zustimmen, weil er – wie schon verschiedene Rednerinnen und Redner hier ausgeführt haben – von seiner Systematik her unstimmig ist und als Einzelforderung unausgegoren ist.
Damit ist Ihr Antrag das glatte Gegenteil von der überaus zielgerichteten und wirksamen Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik, die wir seit zwei Jahren zur Eindämmung der Auswirkungen der Coronakrise einsetzen, die nicht zuletzt von der SPD in Regierungsverantwortung vorangetrieben wurde und die sich jetzt ganz konkret in der Arbeit dieser Ampelkoalition niederschlägt.
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Ich versuche, jedem Antrag – fast jedem Antrag –, den ich ablehne, etwas Positives abzugewinnen. Und ich werde auch bei Ihnen fündig. Ganz zu Beginn Ihres Antrags finden sich durchaus anerkennende Worte für unsere Politik zur Bewältigung der Coronakrise. Sie haben recht, dass das Modell der Kurzarbeit, das wir schon in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 mit dem damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz erfolgreich erprobt haben – und jetzt wieder mit Hubertus Heil –, unsere Gesellschaft vor starken Job- und Wohlstandsverlusten bewahrt hat. Dadurch wurden in der Spitze bis zu 2 Millionen Jobs gerettet; Herr Müller hat ganz lebensnah ausgeführt, welche Branchen davon betroffen waren.
Das Instrument der Kurzarbeit, das alleine in meiner Region über die Agentur für Arbeit Karlsruhe-Rastatt mehr als 9 000 Unternehmen in der Spitze genutzt haben, und die steuerfreie Lohnersatzleistung Kurzarbeitergeld waren und sind ein ganz zentraler Baustein und Markenzeichen unserer Krisenpolitik, die international Anerkennung und Nachahmer gefunden hat und unsere Volkswirtschaft bis heute stabilisiert.
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Millionen von Beschäftigten haben bisher vom Kurzarbeitergeld profitiert, das wir in den letzten zwei Jahren – Herr Gutting hat das, glaube ich, ausgeführt – immer wieder optimiert haben, mit einem Auszahlungsvolumen von über 42 Milliarden Euro. Die aktuelle Krisenlage, die sich verschärfenden Lieferkettenprobleme und die enormen wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zeigen, dass das Kurzarbeitergeld eine ganz wichtige Leistung ist, die dringend gebraucht wird.
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Aber damit bei dieser langen Debatte zu Ihrem Antrag nicht der Eindruck verfängt, dass wir uns im Zuge von Maßnahmen zur Stabilisierung und Entlastung nur einzig und allein auf das Kurzarbeitergeld konzentrieren müssten, helfe ich Ihnen gerne auf die Sprünge, wie umfassend das Antikrisenmanagement dieser letzten zwei Jahre war und wie umfassend es vor allen Dingen noch werden wird. Wir bringen Millionen von Beschäftigten und Unternehmen mit vielen durchdachten Maßnahmen durch diese Krise. So haben Zehntausende antragstellende Unternehmen profitiert. 181 Milliarden Euro, die im Übrigen in der Regel voll zu versteuern sind, hat der Staat während der Pandemie an Unternehmen ausgezahlt, als Sofort-, Überbrückungs- oder Neustarthilfen, über KfW-Kredite oder den Wirtschaftsstabilisierungsfonds für große Unternehmen.
Neben der Kurzarbeit haben genau diese Maßnahmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen und zur Vermeidung von Insolvenzen beigetragen. Im Jahr 2021 gab es knapp 14 000 Insolvenzen; das waren 12 Prozent weniger als im Vorjahr und 25 Prozent unter Vorkrisenniveau. Hinzu kommen konjunkturstützende Maßnahmen, die wir ganz konkret noch in dieser Woche in erster Lesung beim Corona-Steuerhilfegesetz und beim Steuerentlastungsgesetz im Bundestag beraten werden.
Auch die Bürgerinnen und Bürger entlasten wir in diesem Jahr mit einer Vielzahl von konkreten Maßnahmen in den Bereichen Mobilität, Energie und Steuernachlässen mit einem Volumen von mehr als 30 Milliarden Euro. Genau das kommt Familien und Beschäftigten, die Ihnen als Linke-Fraktion so wichtig sind, enorm zugute.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles zeigt: Die Ampelkoalition handelt umfassend und entschlossen, um unser Land gut durch die aktuellen Krisen zu führen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Unternehmen können sich sicher sein, dass diese Koalition zu zielgenauen Maßnahmen greift, die entlasten, Jobs und Wohlstand sichern. Sie können sich auf die Ampelkoalition verlassen. Wir haben eine abgestimmte Strategie. Das ist weitaus wichtiger als das ganz kleine Karo, das Die Linke hier mit ihrem Antrag zu spielen versucht. Wir werden diesen Antrag guten Gewissens ablehnen und mit unserer Arbeit einfach weitermachen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kurzarbeit und das Kurzarbeitergeld sind ein etabliertes Instrument, das wir in Deutschland haben, um Beschäftigung bei Schwankungen in der Nachfrage zu stabilisieren. Es ist auch ein dauerhaftes Instrument. Allerdings haben wir in der Finanzkrise und auch in der Coronapandemie die Zugangsregeln vereinfacht, und wir haben die Bezugszeiten deutlich erweitert, um damit sozusagen dem Schock, der den Arbeitsmarkt getroffen hat, entgegenzuwirken und zu einer Stabilisierung der Beschäftigung beizutragen. Ich glaube, das war eine richtige Entscheidung.
Jetzt muss man zur Kenntnis nehmen, dass das Kurzarbeitergeld keine Wohltat des Staates ist, sondern durch Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert wird. Anfang dieses Monats sind fast alle Maßnahmen im Zusammenhang mit Corona ausgelaufen. Deshalb sollten wir an der Stelle darüber nachdenken, ob wir aus Fairnessgründen gegenüber denjenigen, die das Ganze bezahlen, nämlich die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Beiträge entrichten, uns dringend mit der Frage nach dem Auslaufen der Sonderregelungen auseinandersetzen müssten.
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Ich glaube, das ist dringend geboten aus Fairness gegenüber denjenigen, die das Ganze bezahlen.
Der Antrag, der hier von der Fraktion Die Linke gestellt wird, bezieht sich auf den Progressionsvorbehalt nach § 32b Einkommensteuergesetz, und er bezieht sich ausschließlich auf die Jahre 2020 bis 2022. Ich habe eingangs gesagt: Das Kurzarbeitergeld gibt es dauerhaft, nur die Sonderregelungen zu Zugang und Dauer sind befristet. – Deshalb müssten Sie eigentlich, wenn Sie so einen Antrag stellen – das wäre denklogisch –, den Antrag unbefristet stellen. Das tun Sie ausdrücklich nicht. Deshalb ist das, wie man sieht, ziemlicher Unsinn.
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Zum Zweiten: Sie stellen hier steuerpolitische Grundsätze infrage. Das kann man tun. Man kann über die Frage, ob etwas steuerpflichtig ist oder nicht, diskutieren. Worüber man nach meiner Meinung nicht diskutieren sollte, ist das Prinzip der Leistungsfähigkeit. Das Prinzip der Leistungsfähigkeit ist ein geltender Grundsatz. Sie stellen dieses Prinzip jetzt mit Ihrem Antrag infrage. Das könnte man, wie gesagt, durchaus in die Diskussion bringen. Dann müssten Sie aber bitte schön nicht nur das geltende Prinzip infrage stellen, sondern Sie müssten einen neuen Satz von Prinzipien auf den Tisch legen;
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über den wir diskutieren, damit wir eine neue Grundlage für die Steuerpolitik in diesem Land haben.
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Das tun Sie aber nicht, sondern Sie greifen ein Prinzip heraus, stellen es infrage, heben es auf und setzen nichts Neues an diese Stelle. Das nenne ich „Willkür“, und ich möchte in diesem Land keine willkürliche Steuerpolitik.
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Ich fand das eben sehr charmant, Herr Herbrand, wie Sie für die FDP argumentiert haben. Es gibt Zeiten, da kann man Prinzipien außer Kraft setzen und stattdessen mit Willkür arbeiten. Und es gibt andere Zeiten, in denen man nicht mit Willkür arbeitet. Ich sage: Wenn man Prinzipien hat, dann gelten die dauerhaft, und dann muss man dauerhaft für diese Prinzipien eintreten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sie sollten sich in der FDP für die nächste Phase der Opposition gut überlegen, ob Sie, wenn Sie wieder Anträge formulieren, dann nicht ein paar Prinzipien aufrechterhalten.
Meine Damen und Herren, das Kurzarbeitergeld selbst ist nicht steuerpflichtig, und es werden auf das Kurzarbeitergeld auch keine Steuern gezahlt; es ist eine steuerfreie Leistung als Einkommensersatzleistung. Worauf Steuern gezahlt werden muss, ist das sonstige Einkommen jenseits des Kurzarbeitergeldes. Es ist aber, glaube ich, unstreitig, dass durch den Bezug des Kurzarbeitergeldes die Leistungsfähigkeit gesteigert wird. Und wenn die Leistungsfähigkeit steigt, dann ist es angemessen – die Kollegen haben das ausgeführt –, dass ein höherer Steuersatz auf dieses Einkommen fällig wird. Dann wird diese Steuer aus dem sonstigen Einkommen gezahlt. Deshalb bleibt das Kurzarbeitergeld vollkommen steuerfrei, meine Damen und Herren.
Ich bin schon überrascht, dass dieser Antrag jetzt gerade von den Linken kommt. Sie tragen uns hier in vielen Debatten vor: Je höher das Einkommen von jemandem und je höher seine Leistungsfähigkeit ist, umso höher müsste besteuert werden. Und Sie mahnen uns permanent, die Steuern in Deutschland für Menschen mit höheren Einkommen seien zu niedrig. Jetzt argumentieren Sie bei diesem Antrag denklogisch genau umgekehrt. Sie sagen: Es gibt Gründe, dass jemand eine höhere Leistungsfähigkeit hat, aber den wollen wir nicht besteuern. – Das hat auch nichts mit Ihrer Logik zu tun, die Sie von morgens bis abends vortragen: Wer mehr hat, soll bitte mehr zahlen.
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Meine Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt: Das Kurzarbeitergeld wird von den Beitragszahlern finanziert. An dieser Stelle will ich deutlich sagen: Das ist eine Solidarleistung der Menschen, die jeden Tag arbeiten, an diejenigen, die aktuell ein Problem haben. Dann muss ich aber bitte schön verlangen, dass diejenigen, die Solidarität empfangen, nämlich das Kurzarbeitergeld, auch selbst einen Solidarbeitrag leisten, indem sie vernünftig ihre Steuern entrichten. Dieser Meinung bin ich, und deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.
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Das Bundesverfassungsgericht – das ist richtigerweise vorhin gesagt worden – hat sich 1995 mit der Frage befasst und in zweierlei Hinsicht sehr deutlich gesagt, dass der Progressionsvorbehalt verfassungsgemäß ist, zum einen bezogen auf Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz, den allgemeinen Gleichheitssatz – das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt: er wird nicht verletzt –, und zum Zweiten bezogen auf das Sozialstaatsprinzip; es hat festgestellt, dass die Einbeziehung der Lohnersatzleistungen in den Anwendungsbereich des Progressionsvorbehalts keinen Verfassungsbruch darstellt.
Deshalb, glaube ich, ist es gut, wenn wir Ihren Antrag diskutieren. Es ist aber genauso gut und wichtig, dass wir ihn dann ablehnen.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen ergreift das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ja in Deutschland durchaus einige Gerechtigkeitsprobleme. Das sieht man, wenn man sich die Zahlen zu Armut und Ungleichheit anguckt. Es gibt auch im Steuersystem, im Sozialversicherungssystem und bei der Grundsicherung Gerechtigkeitsprobleme.
Jetzt bringt Die Linke, die kleinste Fraktion im Bundestag, hier einen Antrag ein und lässt uns 68 Minuten über den Progressionsvorbehalt beraten. Ich verstehe das, ehrlich gesagt, nicht.
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Ich gebe zu: Ich habe selbst schon mal mit dem Progressionsvorbehalt zu tun gehabt – ich habe kein Kurzarbeitergeld bezogen, sondern Arbeitslosengeld – und war dann auch erst mal etwas irritiert darüber, dass ich arbeitslos geworden bin und am Ende noch zusätzlich Steuern zahlen musste. Das ist ein Gefühl von Ungerechtigkeit, das viele Menschen haben. Mein Kollege Sascha Müller ist schon am eigenen Beispiel darauf eingegangen.
Aber von fast allen Rednerinnen und Rednern – es gibt ein paar Ausnahmen – ist gesagt worden, dass der Progressionsvorbehalt gerecht ist. Ich habe überlegt, wie ich das, nachdem das schon so viele Leute angesprochen haben, noch einmal erklären kann, und mir ist eingefallen: Da gibt es in steuerpolitischen Debatten ein bewährtes Instrument.
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Lothar Binding, liebe Claudia,
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ist nicht mehr im Bundestag, aber er hat seinen Zollstock weitergegeben.
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Wir stellen uns jetzt mal drei Personen vor. Die erste Person hat ein Erwerbseinkommen, das ungefähr so hoch ist wie dieser Teil des Zollstocks. Eine zweite Person hat ein Erwerbseinkommen, das ebenso hoch ist – wir haben ein ähnliches Beispiel schon von Frau Andres gehört –, und bei dieser Person kommt zu dem Erwerbseinkommen noch Kurzarbeitergeld hinzu. Nun gibt es eine dritte Person, die ein Erwerbseinkommen hat, das insgesamt so hoch ist wie das Erwerbseinkommen und das Kurzarbeitergeld der zweiten Person zusammen. Wir haben also Person A, Person B und Person C.
Wir sind uns ja eigentlich einig: Wer ein höheres Einkommen hat, soll auch höhere Steuern zahlen. Das sehen auch Sie von den Linken so, oder täusche ich mich da? – Ich sehe Nicken auch bei den Linken.
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Das ist gerecht im Steuersystem: Wer ein höheres Einkommen hat, soll höhere Steuern zahlen.
Klar ist: Wenn man die Personen A und C miteinander vergleicht, muss Person C mehr Steuern zahlen als Person A; da sind wir uns einig. Aber was ist mit Person B? Sie hat Arbeitseinkommen und bezieht zusätzlich Kurzarbeitergeld. Das Kurzarbeitergeld wird nicht besteuert, sondern nur das Arbeitseinkommen, das dem der Person A entspricht. Wenn es nach den Linken geht, würde Person B die gleichen Steuern zahlen wie Person A, obwohl Person B ein höheres Einkommen hat. Das wäre ungerecht; das ist auch schon gesagt worden. Es wäre aber auch nicht gerecht, wenn Person B genauso viel Steuern zahlen würde wie Person C; denn Person B bezieht zusätzlich Kurzarbeitergeld, das nicht versteuert wird.
Was ist die Lösung, die wir im Steuerrecht haben? Das ist der Progressionsvorbehalt, der besagt: Das Arbeitseinkommen wird besteuert, aber nicht mit dem Steuersatz der Person A, sondern mit dem der Person C, sodass wir im Endeffekt bei der Steuer ein Ergebnis haben: Person A zahlt die wenigsten Steuern, Person B die zweitwenigsten und Person C die meisten Steuern. Das ist gerecht, und das ist gut so. Deswegen ist der Antrag der Linken nicht sinnvoll und nicht gerecht. Dabei bleiben wir Grünen auch, ob als Opposition oder als Regierungspartei.
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Aber es gibt beim Kurzarbeitergeld durchaus auch Gerechtigkeitsprobleme, und die Ampelkoalition will sie auch angehen. Es geht um die Frage: Schützt das Kurzarbeitergeld in ausreichendem Maß vor Armut? Die Debatte haben wir in der letzten Legislaturperiode intensiv geführt. Die Grünen haben da immer das Instrument eines Mindestkurzarbeitergelds ins Gespräch gebracht. Das wäre eine wichtige Gerechtigkeitsfrage.
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Die Gerechtigkeitsfrage ist: Schützt es vor Armut? Wir haben als Ampel vereinbart, dass wir die Kurzarbeitersonderregeln in Bezug auf diesen Schutz bei geringen Einkommen evaluieren wollen. Wir wollen es nicht jetzt im laufenden Prozess machen, sondern nach der Coronapandemie. Dann werden wir uns dieser Frage noch mal stellen. Denn das ist eine wirklich wichtige Gerechtigkeitsfrage, der Progressionsvorbehalt ist es nicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Meine erste Rede im Deutschen Bundestag widme ich allen arbeitenden Bürgern in Deutschland.
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Ich rede von den Menschen, die jeden Tag morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, die ihre Familien ernähren und am Ende des Monats, wenn sie Glück haben, mit Ach und Krach noch eine Null auf ihrem Kontoauszug lesen.
Millionen dieser Menschen ist wegen Lockdown und Coronazwangsmaßnahmen die Existenzgrundlage streitig gemacht worden. Das weiß jeder, der normale Menschen persönlich kennt und nicht nur durch die abgedunkelten Scheiben seines Dienstwagens sieht. Wer gestern noch vollzeitbeschäftigt war, konnte dank Coronakrise schon morgen in Kurzarbeit sein. Während dieses Hohe Haus vor einigen Stunden eine alberne Debatte zur Impfpflicht geführt hat, sind Stand jetzt immer noch über eine halbe Million Menschen in Kurzarbeit. Das, meine Damen und Herren, sind die unsozialen Prioritäten dieser Regierung.
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Noch unsozialer ist nur die Steuerpolitik, die unsere in Kurzarbeit gefangenen Bürger zur Kasse bittet. In Deutschland gibt es den sogenannten Progressionsvorbehalt. Der sorgt dafür, dass zur Berechnung der Steuerlast das eigentlich steuerfreie Kurzarbeitergeld herangezogen wird. Das heißt im Klartext: Sie haben brutto insgesamt weniger Geld, weil das Kurzarbeitergeld den Verdienstausfall nur zum Teil ausgleicht, aber gleichzeitig erhöht das Kurzarbeitergeld ihre Steuerlast. Ausgerechnet diejenigen, die arbeiten wollen, aber nicht arbeiten dürfen, werden jetzt nachträglich von Herrn Lindner per Steuerbescheid abkassiert. Das muss wohl diese liberale Steuerpolitik sein, die uns die FDP immer versprochen hat.
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Und jetzt kommt ausgerechnet die Linkspartei aus ihrer Unter-5-Prozent-Ecke gekrochen und möchte die Kurzarbeiter steuerlich entlasten. Werte Kollegen der Linken, ich bin froh, dass die Genossen auch mal zwischen Antifa-Demo, Gendergedöns und Deutschlandhass
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etwas Zeit finden, um soziale Politik für das eigene Volk zu simulieren.
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Aber da war selbst Erich Honecker glaubwürdiger, als Sie es sind.
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Denn diesen Vorschlag zur Entlastung der Kurzarbeiter hat die AfD schon vor zwei Jahren gemacht. Lesen Sie es in der Drucksache nach! Was Sie mit zwei Jahren Verspätung beantragt haben, wurde von uns vor langer Zeit in einem viel größeren Paket für die gesamte arbeitende Bevölkerung gefordert. Aber so ist es immer im Sozialismus: Gerechtigkeit wird spätestens dann egal, wenn man das falsche Parteibuch hat.
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Unseren Antrag zur Entlastung der Kurzarbeiter haben Sie damals abgelehnt, und jetzt legen Sie hier dieses billige Plagiat vor.
Wir nehmen das als Ansporn – als Ansporn, um weiter für eine Entlastung aller arbeitenden Deutschen zu kämpfen, als Ansporn, dass man sozial sein kann, ohne dabei rot zu werden.
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Maximilian Mordhorst hat das Wort für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Schmidt, ich weiß nicht, ob Sie in der Debatte gerade anwesend waren. Es wurde, falls man es per Audio nicht versteht, noch mal mithilfe eines Zollstocks anschaulich erklärt, dass das Problem der Gerechtigkeitslücke, das Sie hier gerade herbeifabuliert haben, schlicht und ergreifend nicht vorhanden ist, sondern dass es so, wie es ist, gut funktioniert.
Ich wundere mich über die eine oder andere Rede in der Debatte und auch darüber, dass hier insinuiert wird, die Ampelkoalition wäre nicht in der Lage, insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land etwas zu tun.
Ich werde auf das Referat zum Progressionsvorbehalt jetzt verzichten – ich finde, der wurde von Kollegen schon sehr anschaulich erklärt –, sondern darlegen, inwiefern wir die Menschen gerade entlasten. Wir werden morgen noch über das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz sprechen, und wir werden sehr konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen, die die Menschen in der Mitte der Gesellschaft entlasten und ihnen helfen: steuerfreie Sonderzahlungen vom Arbeitgeber bis zu 3 000 Euro, die Verlängerung der Homeoffice-Pauschale und der degressiven Abschreibung, die Ausweitung des Verlustrücktrags, eine Verlängerung der Steuerberaterfristen – auch ein Vorschlag, den Sie gemacht haben und den wir verbessert haben –, Verlängerung der Investitionsfristen und zwei Entlastungspakete, nämlich die Abschaffung der EEG-Umlage, Direktzahlungen an Menschen, die es besonders benötigen, und vieles andere. Sie brauchen uns nichts von liberaler, aber auch von sozialer Steuerpolitik zu erzählen.
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Deswegen bin ich der Linken dankbar, dass sie dieses Thema aufgemacht hat. Es wurde jetzt, finde ich, sehr anschaulich erklärt, warum es weder systematisch noch zeitlich gerade passt und es nicht sinnvoll ist, Ideen aus einer anderen Zeit, die man von anderen übernimmt, ein paar Jahre später noch mal Wort für Wort in den Bundestag einzubringen. Das, was Sie gemacht haben, war aber auch ein Zeichen – an sich war es ja ein sinnvoller Impuls, der damals kam, der jetzt aber nicht mehr passt –, das den Eindruck erwecken soll: Die Linke hat auch bei Entlastungen ordentlich was auf der Pfanne und gute Ideen und möchte im Einkommensteuergesetz konkret etwas ändern.
Ich habe deswegen, weil das immer so eine Fassade ist, die Sie aufbauen – der Vorwurf ist dann, man möchte nicht mal den eigenen Antrag beschließen; das gibt es auch von der anderen Seite –, mal geguckt, was Sie wirklich steuerlich für die Menschen in Deutschland wollen. Die Frage ist dann, für wen man sich, wenn man die Wahl hätte, entscheiden würde.
Sie wollen eine Vermögensteuer von jährlich 5 Prozent einführen. Sie wollen die Erbschaftsteuer erhöhen. Sie wollen weitere ökologische Steuern auf den Weg bringen.
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Sie wollen die Kapitalertragsteuer anheben. Und bei den Vorschlägen und Ideen, die Sie den Menschen vorlegen, was Rente und Sozialversicherung angeht, werden auch noch die Sozialversicherungsbeiträge steigen. Wenn wir das machen würden, was Sie vorschlagen, abgesehen davon, dass es bürokratisch ist und systematisch und zeitlich nicht passt, dann hätten wir ein Mittelstands- und Mittelschichtsvernichtungsprogramm in Deutschland. Ich glaube, das wäre nicht sinnvoll. Ich bin deswegen sehr froh, dass wir seriös sind, dass wir ein bisschen hinter die Fassade blicken und diese kleinen Tricks nicht mitmachen.
Vielen Dank.
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Nadine Heselhaus hat das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise zeigt, wie wichtig ein handlungsfähiger und aktiver Sozialstaat ist. Für viele ging es ganz schnell um das wirtschaftliche Überleben. Wir brauchten einen schnellen Kraftakt, der eine deutlich tiefere Rezession abwenden konnte. Und das ist uns erfolgreich gelungen. Der Internationale Währungsfonds bestätigte Deutschland, wirtschaftlich deutlich besser durch das Krisenjahr 2020 gekommen zu sein als alle anderen großen europäischen Volkswirtschaften.
Dabei ist das Kurzarbeitergeld eine echte Erfolgsgeschichte. Mit einer Kombination aus Kurzarbeitergeld, steuerlichen Entlastungen und befristeten Steuersenkungen sowie einem erleichterten Zugang zu Leistungen der Grundsicherung konnten wir viele Existenzen sichern.
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Es ist ein großer Erfolg dieser Politik, dass wir die Einkommen so stark stabilisieren konnten.
Zu Beginn der Krise wurden Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld steuerfrei gestellt. Damit haben wir Betriebe dazu animiert, das Kurzarbeitergeld ihrer Mitarbeitenden zu erhöhen und das Absinken der Gehälter abzumildern. Diese Regelung wollen wir um sechs Monate bis Ende Juni verlängern. Wir haben die Mehrwertsteuer befristet gesenkt, um einen Impuls für den Konsum zu setzen und die Menschen mit geringem Einkommen beim alltäglichen Bedarf zu entlasten.
Das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz brachte schnell wirkende konjunkturelle Stützmaßnahmen. Dabei war es das Ziel, die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger und insbesondere der Familien mit Kindern zu stärken; denn Familien mit Kindern und insbesondere Alleinerziehende sind in Zeiten der Coronapandemie durch besondere Einschränkungen belastet. Mit einem Kinderbonus von insgesamt 450 Euro, der nicht auf Sozialleistungen angerechnet wird, haben wir vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen direkt gestärkt.
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Um die außergewöhnliche Belastung von Alleinerziehenden während der Pandemie zu berücksichtigen, wurde der jährliche Entlastungsbetrag um über 2 000 Euro erhöht. In Anerkennung der Situation von Alleinerziehenden insgesamt gilt dieser Betrag seit diesem Jahr unbefristet. Wir haben das Steuerrecht genutzt, um den Belastungen der Pandemie gezielte Entlastungen für die Menschen in Deutschland entgegenzusetzen.
Mit der Einführung der Homeoffice-Pauschale können bis zu 600 Euro pro Jahr
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als Werbungskosten geltend gemacht werden. Damit haben wir steuerlich nachvollzogen, was für viele Menschen zu ihrem neuen Alltag geworden war.
Wir haben einen Schutzschirm für Ausbildungen aufgespannt, weil wir wollen, dass alle jungen Menschen eine Ausbildung beginnen und auch erfolgreich abschließen können.
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Deshalb haben wir die Ausbildungsprämie auf 4 000 Euro verdoppelt, wenn das Ausbildungsangebot gleich bleibt, und auf 6 000 Euro erhöht, wenn sich die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht bzw. wenn Auszubildende aus insolventen Betrieben übernommen werden.
Auch durch Fristverlängerungen für die Abgabe der Steuererklärungen werden Steuerpflichtige und ihre Beraterinnen und Berater entlastet. Wir haben die Fristen für Steuererklärungen verlängert und verlängern sie erneut. Damit leistet die Steuerpolitik der Ampel einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Folgen der Coronapandemie und unterstützt eine schnelle Erholung nach der Krise.
Meine Damen und Herren, die meisten meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben bereits ausgeführt, warum es inhaltlich nicht angebracht und vor allem nicht gerecht wäre, das Kurzarbeitergeld aus dem Progressionsvorbehalt auszunehmen. Wenn wir dem Antrag der Linken folgen würden, dann würden wir den Grundsatz der Steuergerechtigkeit über Bord werfen.
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Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen, aus der AfD?
Nein, möchte ich nicht. – Für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland brauchen wir ein durchdachtes Gesamtkonzept. Morgen debattieren wir das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz. Darin enthalten ist die Verlängerung der steuerfreien Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld bis Ende Juni. Das ist eine Maßnahme, die tatsächlich sozial gerecht ist und den Menschen in Kurzarbeit mehr Einkommen ermöglicht.
Vielen Dank.
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Sebastian Brehm ist jetzt der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute dürfen wir einen Antrag der Linken diskutieren, der übrigens wortgleich mit dem Antrag der FDP aus dem Jahr 2020 ist. Es wurde lediglich der Veranlagungszeitraum von 2020, auf den sich der FDP-Antrag bezieht, auf die Veranlagungszeiträume 2020, 2021 und 2022 ausgeweitet.
Doch leider wird durch mehrmaliges Vortragen und Stellen eines solchen Antrags der Antrag nicht besser, oder um den Kollegen Herbrand von heute zu zitieren: Er ist halt einfach „schlecht gemacht“.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, um was geht es in Ihrem Antrag? Es ist ja heute schon viel diskutiert worden, aber vielleicht hilft es, wenn man das Ganze noch mal vorträgt, um aus dieser, ich sage mal, steuerlich lehrreichen Veranstaltung etwas mitzunehmen.
Es geht um Steuernachzahlungen für Bezieher von Kurzarbeitergeld. Kurzarbeitergeld ist grundsätzlich als Lohnersatzleistung steuerfrei. Das betrifft zum Beispiel auch das Insolvenzgeld, das Mutterschaftsgeld, Arbeitslosengeld und alle anderen Lohnersatzleistungen, die in § 32b Einkommensteuergesetz genannt werden.
Nun haben wir in Deutschland das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das bedeutet: Wer mehr Geld bekommt, zahlt auch mehr Steuern. Wir haben einen progressiven Steuertarif. Der Steuertarif steigt ab dem Grundfreibetrag progressiv an, sodass die prozentuale Besteuerung ebenfalls ansteigt. Nun ist die Frage, ob diese Lohnersatzleistungen, also auch das Kurzarbeitergeld, weiterhin in diese progressive Berechnung einbezogen werden sollen oder nicht.
Der zweite Punkt des Antrages ist die Steuererklärungspflicht nach § 46 Einkommensteuergesetz. Wer über 410 Euro Lohnersatzleistung jährlich bezogen hat, ist verpflichtet, eine entsprechende Steuererklärung abzugeben. Das betrifft auch die Bezieher von Kurzarbeitergeld.
Jetzt komme ich auf den springenden Punkt. Ihre pauschale Aussage, die Sie auch heute vorgetragen haben, Kollege Görke, es käme zu Steuernachzahlungen und deshalb sei der Progressionsvorbehalt abzuschaffen, stimmt so definitiv nicht. Es kommt eben darauf an: Wenn zum Beispiel ein Arbeitnehmer über zwei oder drei Monate zu 100 Prozent in Kurzarbeit war und in den anderen Monaten voll gearbeitet hat, dann ist in den Monaten, in denen er voll gearbeitet hat, überdurchschnittlich Lohnsteuer abgezogen worden, in diesem Fall erhält er Steuern zurück.
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Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Wenn man weniger Kurzarbeit hatte, also zum Beispiel 30 Prozent, dann wird es durch den Progressionsvorbehalt zu einer Steuernachzahlung kommen. Also, es kommt auf den Einzelfall an. Wenn jemand das gesamte Jahr zu 100 Prozent in Kurzarbeit war, wird er keine Steuern zahlen. Deswegen will ich sagen: Ihre Aussage ist definitiv falsch.
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Sie fordern doch immer eine gerechte Besteuerung. Jetzt stellen Sie sich einmal vor: Ein Ehegatte ist in Kurzarbeit, der andere Ehegatte hat Vermietungseinkünfte und ist nicht in Kurzarbeit. Wie wollen Sie es rechtfertigen, dass der Ehegatte, der voll arbeitet und zum Beispiel Vermietungseinkünfte hat, geringer besteuert wird, weil man die Einkünfte aus der Kurzarbeit aus dem Progressionsvorbehalt herausnimmt? Also das ist – der Kollege Dr. Meister hat es schon gesagt – mit Ihrer Ansicht von einer gerechten Besteuerung überhaupt nicht vereinbar.
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Schauen Sie sich einmal § 32b EStG wirklich in Gänze an. Sie haben bloß den ersten Buchstaben gelesen, § 32b EStG hat aber mehrere Buchstaben, die Buchstaben a bis k. Da sind zum Beispiel das Mutterschaftsgeld und das Elterngeld drin. Und diese Lohnersatzlistungen lassen Sie vollkommen außer Betracht. Also ich weiß nicht, wie Sie es rechtfertigen wollen, das Kurzarbeitergeld vom Progressionsvorbehalt auszunehmen. Denn wenn Sie so etwas machen sollten, was sagen Sie dann den Kranken, was sagen Sie der jungen Familie, in der die Mutter Mutterschaftsgeld bezieht? Sollen die mehr zahlen als derjenige, der in Kurzarbeit ist? Also ich glaube, Ihr Antrag ist völlig falsch und undurchdacht und letztlich auch populistisch.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinzu kommt die unterschiedliche Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge. Das lassen Sie auch komplett weg. Es könnte sogar sein, dass, wenn Sie das Kurzarbeitergeld steuerfrei stellen würden, derjenige, der in Kurzarbeit ist und steuerfreie Bezüge hat, also ohne Progressionsvorbehalt, mehr netto hat als derjenige, der arbeitet – aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen. Was wollen Sie zum Beispiel einer Krankenschwester sagen, die in der Pandemie unendlich viel geleistet hat, die Nachtschichten gemacht hat, die Doppelschichten gefahren hat? Wollen Sie ihr sagen: „Du bist weniger wert, du musst mehr Steuern zahlen“? Das würden Sie mit Ihrem Antrag so machen.
Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht das Ganze schon im Jahr 1995 als verfassungswidrig erklärt. Eine partielle Abschaffung des Progressionsvorbehalts ist insofern nicht möglich. Ich kann Ihnen aber sagen: Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode darüber nachgedacht, diese Lohnersatzleistungen steuerfrei zu stellen. Das ist aber leider an den Kolleginnen und Kollegen der SPD gescheitert. Wenn, dann muss man hier ein komplett neues System aufstellen. Da sind wir auf jeden Fall gesprächsbereit. Aber es muss dann alle Einkünfte betreffen.
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Offensichtlich würden Sie die Zwischenfrage gerne zulassen.
Sehr gerne.
Und da es noch über 20 Sekunden sind, die Sie danach Zeit haben, können Sie sich jetzt schon überlegen, was Ihr Schlussakkord ist. – Bitte schön.
Zunächst vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen. – Kollege Brehm, Sie sagten, dass Sie sich Gedanken darüber gemacht haben, das komplett steuerfrei zu stellen, daher frage ich Sie: Würde die Leistung denn dann nicht mehr zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zur Verfügung stehen? Was ich sagen will: Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, zu sagen: Das eine ist steuerfrei, das andere ist steuerpflichtig, anderes steht unter Progressionsvorbehalt. – Das ist Aufgabe des Gesetzgebers. Und unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit steht es auch dann zur Verfügung, wenn es steuerfrei ist und nicht unter dem Progressionsvorbehalt steht. Sehen Sie das anders?
Lieber Kollege Herbrand, erst einmal herzlichen Dank für die Zwischenfrage; sie verlängert meine Redezeit. – Ich habe ja gerade gesagt: Wenn man diese Einkünfte aus dem Progressionsvorbehalt herausnehmen will, dann bräuchte man ein komplett neues System. Wenn man sie nur einfach herausnehmen und steuerfrei machen würde, dann, glaube ich, wäre die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht gegeben, weil dann eben die Ungerechtigkeiten da sind. Wenn man diese nicht will, dann muss man sich ein neues System überlegen, das auch die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit widerspiegelt. Wie gesagt, da sind wir gesprächsbereit. Wir haben auch darüber nachgedacht, gerade in der Pandemie, auch im Zuge Ihres Antrages 2020, wie man ein solches System machen könnte. Hier sind wir in den Gesprächen zu den Jahressteuergesetzen nicht weitergekommen, aber wir können uns gerne über eine entsprechende Systematik unterhalten.
Sie sagen, dass Sie die Bezieher der kleinen und mittleren Einkünfte entlasten wollen. Dazu sage ich Ihnen: Das wollen wir auch. Morgen haben Sie die Gelegenheit dazu. Morgen haben Sie die Gelegenheit, unserem weiter gehenden Antrag zu weiteren Entlastungen von Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zuzustimmen. Ich bin gespannt, was Sie morgen um 9 Uhr machen. Sie werden es als Ampel wahrscheinlich ablehnen, Bezieher kleiner und mittlerer Einkünfte noch weiter zu entlasten. Aber trotzdem lade ich Sie morgen um 9 Uhr zu einer wunderschönen Debatte ein, in der es darum geht, dass wir eben genau dort die Entlastungen machen, wo sie notwendig sind: bei den Menschen, die in der Pandemie viel geleistet haben, die kleinere und mittlere Einkommen haben. Ich bin gespannt, wie Sie morgen abstimmen.
Herzlichen Dank.
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Der Kollege Michael Schrodi ist jetzt der nächste Redner in der Debatte für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brehm, Sie werden morgen hören, was wir dazu sagen. Ich weiß aber schon – das kann ich Ihnen versprechen –, dass wir Ihnen darlegen werden, dass die Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag aufgeschrieben haben, gerade nicht der Entlastung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen dienen, sondern denen an der oberen Einkommensgrenze. Deswegen werden wir ihn ablehnen. Wenn Sie sagen, dass Sie für Vernunft in der Opposition stehen, dann sage ich Ihnen: Es ist vernünftig, dass Sie in der Opposition sind. Das ist richtig an dieser Stelle.
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Ich bin froh, dass Die Linke diesen Antrag gestellt hat. Sie hat uns damit zum einen gezeigt, welche Verachtung die AfD für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übrig hat. Die AfD nannte das Kurzarbeitergeld bürokratische Subvention. Dabei haben wir mit dieser Maßnahme bis zu 3 Millionen Arbeitsplätze gerettet.
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Wir haben mit dem europäischen Programm SURE, das auf den Weg gebracht wurde, europäische Solidarität geübt. Wir haben gezeigt, wie ein starker Sozialstaat dabei hilft, zum sozialen Zusammenhalt beizutragen. Trotzdem bin ich dankbar für diesen Antrag, weil die Debatte gezeigt hat, wofür die AfD tatsächlich steht.
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Zum anderen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gibt es aber etwas, was mir nicht gefällt. Sie vermengen in Ihrem Antrag Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld. Sie schreiben, es gebe bei beidem „schmerzhafte Einkommenseinbußen und sozialen Ausschluss vom Arbeitsplatz“. Das ist doch nicht richtig. Es gibt beim Instrument Kurzarbeitergeld gerade keinen Ausschluss vom Arbeitsplatz, hier gibt es die Fortsetzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und genau nicht eine Herausnahme aus dem Arbeitsverhältnis. Und die Höhe des Kurzarbeitergeldes steigt ja mit der Dauer des Bezugs, damit wir eben die Härten auch abfedern. Ich glaube, deswegen ist es ungut, wenn Sie dieses beides auf diese Weise vermengen, –
Herr Kollege – –.
– das Kurzarbeitergeld und das Arbeitslosengeld.
Es ist gar nicht so einfach, bei Ihnen dazwischenzukommen. – Es gibt eine Zwischenfrage aus der AfD.
Nein, danke. Herr Gottschalk darf sich setzen.
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Herr Görke, es ist doch so – wenn Sie mir recht geben wollen –: Wer Kurzarbeitergeld erhält, zahlt am Ende weniger Steuern, als wenn er bei gleichem Lohn den zu versteuernden Arbeitslohn weiter bezogen hätte. Das Kurzarbeitergeld – das wurde schon gesagt – ist komplett steuerfrei. Natürlich erhöht es dann den individuellen Steuersatz, aber am Ende bleibt mehr Geld übrig. Ich kann Ihnen das einmal an einem Beispiel verdeutlichen: 3 000 Euro Lohn, neun Monate in Kurzarbeit, drei Monate vorher normal gearbeitet, Jahresgehalt am Ende 21 000 Euro, Einkommensteuer dann 680 Euro. Was passiert denn eigentlich bei einer Putzkraft, die durchgehend im Krankenhaus gearbeitet hat, bei einer Einzelhandelskauffrau, die bei jeder, auch der höchsten Inzidenz im Supermarkt gestanden hat, die ebenfalls ein Jahresgehalt von 21 000 Euro haben? Die haben 1 500 Euro an Steuern gezahlt; das sind 800 Euro mehr als der- oder diejenige in Kurzarbeit. Sie wollen mit Ihrem Antrag diese Lücke noch vergrößern. Das ist weder gerecht, noch entspricht es der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Insofern ist das kein Antrag, dem man zustimmen kann.
Ich danke Ihnen trotzdem für die Gelegenheit, die unglaublich guten Maßnahmen, die wir in den letzten zwei Jahren zur Bekämpfung dieser Pandemie auf den Weg gebracht haben, hier noch einmal in dieser Breite darlegen zu können. Vielen Dank dafür. Ich freue mich dann auch auf die nächsten Anträge der Linken.
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Der Kollege Gottschalk hat den Wunsch nach einer Kurzintervention.
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Da können Sie ruhig stöhnen. – Herr Kollege Schrodi, normalerweise kenne ich Sie ja tatsächlich als einen sehr vernünftigen Kollegen, mit dem man auch reden kann. Normalerweise kenne ich Sie auch so, dass Sie zuhören und dann auch verstehen und begreifen. Aber jetzt meiner Kollegin das Wort im Munde umzudrehen, gehört zu den Methoden, die Sie hier seit Langem anwenden. Das kann ich so nicht stehen lassen. Sie hat ganz klar formuliert – und das sagen wir auch immer im Finanzausschuss –: Wir sollten viele Dinge automatisieren und entsprechend schon in der elektronischen Datenverarbeitung vornehmen. Insoweit ist es ein bürokratisches Monster.
Wenn Sie in der Finanzverwaltung als Arbeitnehmervertreter mal nachfragen würden, würde man Ihnen dort nämlich tatsächlich sagen: Moment, das sind Millionen von Anträgen, die wir jetzt wegen des Progressionsvorbehalts bekommen. – Der Steuerzahler ist dazu ja eigentlich auch verpflichtet. Sich aber deshalb vielleicht einen Steuerberater nehmen zu müssen, ist schon ziemlich heftig.
Nun leiden Sie aber auch noch an partieller Amnesie und Kurzzeitgedächtnis. Da würde ich Ihnen gerne mal vorlesen, was der DGB noch vor einem Jahr zum Kurzarbeitergeld und zum Progressionsvorbehalt geschrieben hat. Da schreibt nämlich Ihr DGB – ich weiß ja nicht, ob da der Haussegen schief hängt –:
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Koalition
– da waren Sie noch in der GroKo; da wollte sogar die CDU eigentlich eine Entlastung vornehmen –
Millionen Beschäftigte, die Kurzarbeitergeld erhalten, an dieser Stelle im Regen stehen lässt. Wer mit dem Kurzarbeitergeld erhebliche Einkommenseinbußen hinzunehmen hat, soll nicht auch noch mit Steuernachzahlungen zu kämpfen haben.
So äußerte sich Stefan Körzell, DGB-Vorstand.
Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass die Menschen, die in Kurzarbeit sind, dann vielleicht auch bei den Renten bestraft werden, weil nämlich die Beiträge zur Rentenversicherung, die dann gemeinsam geleistet werden, entsprechend auf das zu niedrige Kurzarbeitergeld angerechnet werden? Auch da werden sie benachteiligt. Sie aber fragen meine Kollegin, wo wir hier eigentlich stehen. Wir haben ganz klar gesagt, dass das passieren soll, was Ihr DGB sagt. Dafür, dass Die Linke schlecht kopiert, können wir an der Stelle nichts. Aber dann bleiben Sie bei den Fakten und drehen hier nicht die Tatsachen so um, wie es Ihnen an dieser Stelle beliebt, lieber Kollege.
So!
Angesichts der technischen Möglichkeiten ist das Kurzarbeitergeld in dieser Form ist ein bürokratisches Monster. Das hat aber nichts damit zu tun, dass das eventuell tatsächlich steuerfrei zu stellen ist, auch wenn ich in vielen Ausführungen bei Herrn Meister bin.
Danke.
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Jetzt sind wir über die Grenze zwischen Kurzintervention und Rede gekommen, und ich frage Herrn Schrodi, ob er reagieren möchte. – Das will er.
Es sieht danach aus, ja. – Sehr geehrter Herr Gottschalk, ich kann ja nichts für das, was Ihre Kollegin hier vorne am Pult sagte. Sie sprach davon, dass es ein Bürokratiemonster sei, dass es eine der zahlreichen Subventionen sei, die unwirksam seien, die also nicht richtig seien an der Stelle. Das habe ich kritisiert. Ich habe Ihnen vorgehalten, dass Sie dieses Instrument, das uns so gut durch die Krise gebracht hat, verächtlich gemacht haben. Dass ich Ihnen das vorgehalten habe, müssen Sie aushalten. – Ad 1.
Ad 2: Sie suggerieren hier – leider ähnlich wie Die Linke –, dass bei denjenigen, die Kurzarbeitergeld bekommen, am Ende des Jahres durch Steuern ungerechterweise noch mal massiv etwas weggeschlagen wird. Wir haben Ihnen wiederholt erklärt, was der Progressionsvorbehalt ist, wie er wirkt und dass bei Menschen mit gleichem Einkommen – die einen beziehen Kurzarbeitergeld, die anderen haben dauerhaft gearbeitet – am Ende derjenige mit Kurzarbeitergeld weniger Steuern zahlt als derjenige, der durchgehend gearbeitet und Steuern gezahlt hat.
Ad 3: Sie wollen sich ja jedes Mal – und scheitern daran – als diejenigen darstellen, die die Menschen mit kleinen Einkommen vertreten wollen. Es gibt dazu eine Studie des ZEW vor der Bundestagswahl, in der die Steuerprogramme der einzelnen Parteien verglichen wurden und deutlich gemacht wurde, was für den Einzelnen so übrig bleibt. Für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen war bei Ihnen nichts dabei. Wo Sie mit Ihrem Steuerprogramm entlastet hätten, wäre bei den höchsten Einkommen gewesen. So viel dazu. Sie haben ein großes Herz für Besserverdiener, aber nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Sitzungswoche hat der Petitionsausschuss einstimmig beschlossen, eine Petition an das Bundesministerium des Innern und für Heimat zur Erwägung zu überweisen, soweit es um die Vereinfachung des eigenen Zugangs von Angehörigen zur Beihilfe im Rahmen des § 51 Absatz 7 der Bundesbeihilfeverordnung geht.
Ich möchte kurz erklären, worum es bei dieser komplizierten Petition geht. Der Stein des Anstoßes: Eine junge Frau wurde in der Praxis des Petenten zur Psychotherapie vorstellig. Als sie aber davon erfuhr, dass ihr Vater durch die geltende Rechtslage aller Wahrscheinlichkeit nach ohne jede Einwilligung der jungen Frau von der Therapie erfahren würde, verzichtete sie komplett auf diese Therapie. Aufgrund schwieriger Familienverhältnisse war dieser Bruch der Privatsphäre für sie nicht hinnehmbar.
Wie kommt es zu einer solch unsäglichen Konstellation? Das ist im Kern recht einfach: Die junge Frau ist die Tochter eines Beamten. Sie ist deshalb, wie die meisten Angehörigen, über die Beihilfe und die private Krankenversicherung abgesichert. Wer so mitversichert ist, ist zwar mitversorgt, hat aber eigentlich keinen eigenen Beihilfeanspruch. Das betrifft nicht nur Minderjährige; denn auch volljährige Kinder sind oft über ihre Eltern mitversichert. Personen, die in einer solchen Situation eine Therapie in Anspruch nehmen, müssen in Kauf nehmen, dass die Beihilfeberechtigten im Rahmen der Rechnungsstellung informiert werden. § 51 Absatz 7 Bundesbeihilfeverordnung bietet zwar die Möglichkeit eines eigenen Antragsrechts von Angehörigen, das setzt aber eine Anhörung des Beihilfeberechtigten voraus.
Nun können wir uns hier alle gut ausmalen, dass man bei ohnehin problematischen Familienverhältnissen diesen Weg nicht unbedingt wählen möchte. Die Anwendung dieses Paragrafen verhindert zwar, dass Informationen über die konkrete Therapie an den Beihilfeberechtigten weitergegeben werden; gleichzeitig wird aber natürlich deutlich, dass etwas verborgen werden soll. Dazu sagen wir: Das ist nicht zeitgemäß, es ist gefährlich, und gerecht ist es ohnehin nicht.
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In unserem Land räumen wir der informationellen Selbstbestimmung aus gutem Grund einen hohen Stellenwert ein. Da ziehen auch die diversen Begründungen nicht, die wir in der letzten Wahlperiode gehört haben. Eine Ungleichbehandlung bleibt eine Ungleichbehandlung, egal wie man es dreht und wendet, und das können und wollen wir an dieser Stelle nicht akzeptieren.
Letztlich demonstriert dieser Fall sehr deutlich die besondere Rolle des Petitionsausschusses.
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Er wird mit Problemen konfrontiert, die ansonsten unter den Tisch fallen würden, weil nicht viele Menschen betroffen sind oder schlicht die große Aufmerksamkeit fehlt.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Dank aussprechen: einmal dem Petenten, der uns auf dieses Problem hingewiesen hat, und zum anderen den Mitgliedern des Ausschusses, den ich seit einigen Monaten leiten darf. Wir sehen im Plenum und in den Fachausschüssen oft, wie verhärtet die Fronten zwischen den Fraktionen teilweise sind. Darauf, dass wir uns im Petitionsausschuss immer noch über alle Fraktionsgrenzen hinweg einigen können, bin ich sehr stolz.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fällt schwer, dieser Tage an etwas anderes zu denken oder über etwas anderes zu sprechen als den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Die Bilder von den schrecklichen Verbrechen an Zivilistinnen und Zivilisten in den Vororten von Kiew machen fassungslos und – ich kann nachvollziehen – manchen auch richtig wütend. Russland überschreitet alle Grenzen, begeht Kriegsverbrechen, bringt furchtbares Leid über die Menschen.
Wenn wir an all die Gefallenen und Ermordeten denken, die Verwundeten, die Traumatisierten, die Vertriebenen und Geflüchteten, wenn wir an all die Menschen denken, die unter diesem furchtbaren Krieg leiden, dann ist es kaum auszuhalten, dann ist es kaum möglich, ruhig und besonnen zu bleiben. Aber genau das, Ruhe und Besonnenheit, wird jetzt von uns verlangt; denn wir brauchen auf diese Grausamkeiten eine wirkungsvolle Antwort.
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Das Einzige, womit wir den Menschen in der Ukraine wenigstens ein Stück weit helfen können, ist ein sehr wohl entschlossenes, dabei aber besonnenes und planvolles Vorgehen, und genau so halten wir es in der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, wir dürfen, auch wenn das angesichts dieses verbrecherischen Krieges schwerfällt, nicht vergessen: Es gibt viele weitere Brandherde auf dieser Welt. Einer dieser Brandherde steht heute auf der Tagesordnung, nämlich Libyen. Nach Jahren des Bürgerkriegs herrscht dort mittlerweile ein brüchiger Waffenstillstand. Doch der Einheitsprozess ist ins Stocken geraten. Die für Dezember geplanten Wahlen eines landesweiten Parlaments wurden wegen Uneinigkeiten abgesagt. Es droht eine erneute Spaltung des Landes. Ein Wiederaufflammen des Konflikts muss unbedingt verhindert werden im Sinne des Friedens in Libyen, der Menschen in Libyen, im Sinne der Stabilität in der gesamten Region – denn dieser Konflikt strahlt bis in den Sahel – und nicht zuletzt auch im Sinne der Sicherheit Deutschlands und Europas. Libyen darf kein sicherer Hafen für Terroristen und Menschenschmuggler sein!
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Dazu gilt es, das Waffenembargo durchzusetzen, das die UN gegen Libyen verhängt haben, und die illegalen Ölexporte zu erschweren, mit denen sich die Konfliktparteien finanzieren. Außerdem ist es wichtig, dem Menschenschmuggel entgegenzuwirken, der von dort aus operiert und sich festgesetzt hat.
Genau diese Ziele verfolgen wir in der EU mit der Operation Irini, einer Aufklärungs- und Kontrollmission im zentralen Mittelmeer, deren Augen jedoch auch in die Luft und auf das Festland gerichtet sind. Unsere Bundeswehr unterstützt diese Operation mit bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten, mit einem Aufklärungsflugzeug und bis zu zwei Schiffen bzw. Booten – und das alles in einem Einsatzgebiet, das so groß ist wie ganz Deutschland. Heute ersuche ich Sie, dieses Mandat zu verlängern; denn unsere Bundeswehr leistet damit einen wertvollen Beitrag nicht nur für den Frieden und die Stabilität in der Region, sondern auch für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union.
Wir haben dieses Mandat sorgfältig überprüft und auch angepasst. Die bisher vorgesehene, aber faktisch nie durchgeführte Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine haben wir gestrichen.
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Libysche Einheiten haben sich wiederholt schwere Verfehlungen gegenüber Geflüchteten und Hilfsorganisationen zuschulden kommen lassen. Ihre Ausbildung ist mit unseren militärischen Grundsätzen und unseren Werten nicht vereinbar.
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Der Nutzen unseres Einsatzes liegt anderswo, und das bildet dieses neue Mandat ab.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz über ein Mandat sprechen, das gar nicht auf der Tagesordnung steht, weil wir es beendet haben, nämlich Atalanta; hier hat unsere Marine großartige Arbeit geleistet im Mittelmeer; das haben wir dort gesehen.
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– Seit 2008 ist unsere Marine am Horn von Afrika im Einsatz für die EU-Operation Atalanta, und zwar so erfolgreich, dass wir das Mandat jetzt endgültig beenden können. Die Piraterie ist zurückgedrängt, und alle Schiffe des Welternährungsprogramms, die es zu schützen galt, haben ihren Zielhafen erreicht. Deswegen kann ich nur sagen: Ein herzliches Dankeschön an alle Soldatinnen und Soldaten für diesen wertvollen Beitrag!
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Aber es zeigt auch: Wir brauchen eine starke Marine, so, wie wir sie da erlebt haben, erst recht angesichts der russischen Bedrohung. Deswegen haben wir unsere Präsenz in der Ostsee noch einmal erhöht und müssen dort auch in Zukunft Stärke zeigen.
Umso wichtiger ist es, dass wir die Marine für diese großen Aufgaben auch gut ausrüsten. Unter dem Begriff „Zeitenwende“ hat der Bundeskanzler ein Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro angekündigt. Es ist wichtig, dass dieses nun auch schnell und nachhaltig aufgesetzt wird, und ich sage Ihnen: Ein Teil davon wird auch in diese wertvolle Arbeit der Marine fließen.
Vielen Dank.
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Die Kollegin Annette Widmann-Mauz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Berliner Libyen-Konferenz ist es der Bundesregierung vor zwei Jahren gelungen, einen erfolgreichen diplomatischen Prozess zu etablieren, der die internationale Unterstützung für Libyen und den Friedensprozess im Land vorangebracht hat.
Seither übernimmt Deutschland in der EU-Mission Irini Verantwortung für die wichtigen Übereinkünfte dieser Konferenz: den Waffen- und Ölschmuggel über das Mittelmeer von und nach Libyen zu verhindern und Netzwerke von Schleuserkriminalität und Menschenhandel zu bekämpfen. Ich danke unseren Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr für ihren Einsatz und für ihren Beitrag zur Rückkehr von Frieden und Stabilität in Libyen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns nichts vor: Die Situation in Libyen ist heute anders als vor einem Jahr. Die für das letzte Jahr angesetzten Wahlen wurden abgesagt. Seit Mitte Februar konkurriert neben der Übergangsregierung eine weitere Regierung um die Macht im Land. Und trotz des großen internationalen Engagements gibt es auch weiter Verstöße gegen das Waffenembargo.
Die Operation Irini allein wird diese Probleme nicht lösen; sie selbst hat ihre Beschränkungen, zum Beispiel das Veto eines Flaggenstaats für entsprechende Kontrollen. Aber wir dürfen die Operation auch nicht kleinreden; denn sie schafft Rahmenbedingungen. Seit Beginn fanden über 6 000 Abfragen von Frachtschiffen statt, in 22 Fällen wurden verdächtige Schiffe auch durchsucht. Und die Operation steht nicht allein: Deutschland engagiert sich auch mit erheblichen Mitteln im Bereich der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit.
Eine dauerhafte politische Lösung und Frieden in Libyen kann es aber nicht geben, solange Waffen geliefert werden und die Konfliktparteien sich durch illegale Ölexporte finanzieren.
Die Bundeswehr hat Irini deshalb von Anfang an unterstützt, mit Fregatten, einem Aufklärungsflugzeug und Stabspersonal. Deutschland hat damit unterstrichen, dass es zu seiner Verpflichtung, substanzielle Unterstützung für Einsätze im Rahmen der GSVP der Europäischen Union zu leisten, steht.
Die Grünen haben im letzten Jahr ihre Zustimmung zum Mandat noch mit der Begründung verweigert, das Operationsgebiet würde Flüchtlingsrouten bewusst ausschließen. Mit dem Mandat, das die Bundesregierung heute vorlegt, sind die Grünen jedenfalls in der harten Regierungsrealität angekommen; denn weder am Einsatzgebiet noch an der Verpflichtung zur Seenotrettung hat sich tatsächlich etwas verändert.
Im Mandat der EU-Operation ist auch die Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine beschrieben. Diese Ausbildungskomponente ist unbestreitbar ein schwieriger Aspekt des Mandats. Die Führung der Operation selbst äußert in ihren Einsatzberichten Besorgnis über das Vorgehen der libyschen Küstenwache. Aus genau diesem Grund hat es bislang keine Ausbildung gegeben; zu unterschiedlich waren und sind die Vorstellungen zwischen der Europäischen Union und Libyen über die Ausbildungsinhalte. Die Bundesregierung – wir haben es gerade gehört – hat diesen Auftrag jetzt aus dem deutschen Mandat herausgenommen.
Damit bin ich bei einem wesentlichen Punkt: Eigentlich müssten wir doch gemeinsam das Interesse haben, dass die libysche Küstenwache nach internationalen Standards und unter Beachtung der Menschenrechte handelt und dafür auch ausgebildet wird. Welches Signal sendet Deutschland an seine Partner in der Europäischen Union, wenn wir eine Komponente des Mandats für uns von vornherein ausschließen? Und das in Zeiten, in denen wir eh international bereits als Zögerer und Zauderer gelten. Statt einsame Wege zu gehen, sollten wir besser gemeinschaftlich agieren.
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Das gilt im Übrigen auch für die Operation Atalanta am Horn von Afrika und die Ausbildungsmission EUTM Mali, bei denen die Regierung ihren Rückzug entweder bereits angekündigt hat oder erwägt. Bevor wir uns irgendwo ausnehmen oder zurückziehen, müssen wir doch bedenken, welche Konsequenzen damit verbunden sind, und vor allen Dingen, wem wir dadurch das Feld überlassen: Akteuren wie Russland und China? Das wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse, und das verheißt ganz bestimmt auch nichts Gutes für die Menschenrechte.
Also: Wir haben im weiteren parlamentarischen Verfahren einiges zu beraten: Was wollen wir eigentlich im nördlichen Afrika erreichen? Was sind dort unsere politischen Ziele? Was sind wir bereit dafür zu tun? Es ist an der Zeit, diesen Mandatstext und das weitere militärische Engagement Deutschlands im Sahel in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Das sollten wir jetzt auch dringend tun.
Vielen Dank.
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Max Lucks hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus den demokratischen Fraktionen!
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Beim Blick auf die Situation in Libyen werden wir mit einer Lage der Instabilität konfrontiert, eine Instabilität, die sich an zwei miteinander konkurrierenden Präsidenten zeigt, eine Instabilität, die sich in Wahlen äußert, die endlich Einheit schaffen sollen, aber immer wieder verschoben werden, aber vor allem eine Instabilität, die jederzeit wieder in einen Bürgerkrieg münden kann.
Wenn vor dem Hintergrund dieser fragilen Lage ein politischer Prozess zu mehr Frieden bei den Vereinten Nationen stattfindet und es für mehr Stabilität und Frieden im Land und in der Region eines Waffenembargos bedarf, dann ist es richtig, dann ist es unabdingbar, dann ist es klug, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland unserer Verantwortung stellen. Das tun wir mit diesem Bundeswehrmandat, weil das beste Waffenembargo nicht wirkt, wenn es nicht der internationalen Kontrolle unterliegt.
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Wir wissen, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Russland, die Türkei und Jordanien trotz der Berliner Libyen-Konferenz dazu bereit waren, am Waffenembargo der Vereinten Nationen vorbei völlig ungeniert Waffen an die jeweiligen Kriegsparteien in Libyen zu liefern. Transportflüge, der Transit über Land, mit dem Schiff über die Weltmeere – das sind die Wege, auf denen Luftabwehrsysteme dennoch in die Hände von Haftars Truppen und 120‑Millimeter-Mörsergranaten in die Lager der Zentralregierung gelangt sind.
Wir, meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ich – vor allen Dingen meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Vergangenheit –, haben genau aus diesem Grund immer verdeutlicht, dass wir die Beteiligung unserer Bundeswehr an der durch die Europäische Union geführten Operation im Mittelmeer für richtig und geboten halten. Mit dieser Marinemission leistet die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zur Überwachung des Waffenembargos und gegen den Ölschmuggel, um so die Finanzströme trockenzulegen.
Doch meine Fraktion hat in der Vergangenheit auch immer etwas Weiteres verdeutlicht: Wenn wir eine starke, eine effektive menschenrechtsgeleitete Mission Irini haben wollen, dann müssen wir die eklatanten Schwächen an diesem Mandat ausräumen, und das hat die Bundesregierung getan, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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– Ja, Frau Widmann-Mauz, Sie haben ja gerade Ihre Utopie von der menschenrechtsgeleiteten libyschen Küstenwache geschildert.
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Ich verweise auf die Berichte von Amnesty International: systematische Folter, sexualisierte Gewalt und Zwangsarbeit. All diese Menschenrechtsverletzungen hat Amnesty International in diesem Zusammenhang dokumentiert.
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Realität war, dass die Mandate der letzten Jahre genau diese Ausbildung der libyschen Küstenwache nicht ausgeschlossen haben.
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Das war von Anfang an falsch und ein Armutszeugnis für europäische Menschenrechtspolitik. Mit dem vorliegenden Bundeswehrmandat wird dem endlich ein Ende gesetzt.
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Liebe Frau Außenministerin Baerbock, liebe Frau Verteidigungsministerin Lambrecht, dafür bedanke ich mich bei Ihnen.
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Frau Widmann-Mauz, ich habe es Ihnen gerade noch mal rausgesucht. Die Bundesregierung bekennt sich in diesem Mandat endlich eindeutig zur Seenotrettung; denn da heißt es:
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Für alle im Rahmen von EUNAVFOR MED IRINI eingesetzten seegehenden Einheiten gilt die völkerrechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung für in Seenot geratene Personen.
Punkt!
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Es gab auch Zeiten in diesem Land, als dies nicht selbstverständlich war, liebe Kolleginnen und Kollegen. Alle Irini-Mandate zuvor verschlossen vor dieser Frage die Augen und duckten sich vor rechten Stimmen in Europa. Das haben wir nun geändert.
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Wo dieses neue, überarbeitete Mandat einen Unterschied macht, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sehen wir, wenn wir das Mandat aus dem letzten Jahr hinzuziehen; denn da heißt es noch – das ist ja ganz spannend –:
Darüber hinaus kann ein Mitgliedstaat veranlassen, dass der Operationskommandeur die Schiffe aus einem Teilbereich für maximal acht Tage zurückzieht und das PSK über einen sogenannten migrationsbezogenen „Pull Faktor“ entscheiden muss.
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Das ist vorbei. Die Mandate der letzten Jahre, liebe Kolleginnen und Kollegen, krallten sich an dem Mythos „Pull-Faktor“ fest, dieses nicht. Die Zeiten haben sich geändert.
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Dieses Mandat vereinbart Außenpolitik für Frieden und Stabilität in der Region nun endlich mit einer Außenpolitik im Sinne der Menschenrechte. Deshalb ist es jetzt ein richtiges Mandat, und ich werbe um breite Unterstützung dafür aus diesem Haus.
Danke.
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Joachim Wundrak hat das Wort für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über einen Bundeswehreinsatz, der in vielfacher Hinsicht umstritten ist. Irini ist die Nachfolgeoperation der Operation Sophia, die 2019 im Streit – insbesondere zwischen Italien und Deutschland – eingestellt werden musste.
Hintergrund der Einstellung von Sophia war der Streit um den Auftrag der Seenotrettung von Migranten, der sich im Widerstreit zum anderen Auftrag befand, nämlich der Eindämmung der Schleuserkriminalität. Mit Recht wies die Regierung Italiens damals auf den Widerspruch hin, dass durch diesen Einsatz die Schleusertätigkeit sogar befeuert wurde, indem die Anwesenheit der Sophia-Schiffe in das Kalkül der Schleuser einbezogen wurde.
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Zur gleichen Bewertung kam auch das britische Parlament, das den Einsatz von Sophia mehrfach als gescheitert bezeichnete.
Kernaufgabe der Nachfolgeoperation Irini ist nun die Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen zum Waffenembargo gegen Libyen. Zu den sekundären Aufgaben gehört die Informationsgewinnung über Menschenschmuggel und über illegale Exporte von Erdölprodukten aus Libyen.
Wie sieht denn nun die Bilanz der Auftragserfüllung nach zwei Jahren aus? Da ist zum einen die Unausgewogenheit bei der Durchsetzung des Waffenembargos. Dies steht im krassen Gegensatz zum Anspruch der EU, strikte Neutralität gegenüber den streitenden Parteien zu wahren. Die gewählte Regierung Libyens kritisiert, dass sie einseitig durch das Waffenembargo zur See benachteiligt ist, während der Streitgegner Haftar über Land- und Luftverbindungen massiv mit Waffen versorgt sei. Unter den Unterstützern der Regierungsseite befinden sich prominente NATO-Partner, darunter auch drei EU-Mitglieder. Auf der anderen Seite lieferten insbesondere Russland und die Ukraine erhebliche Waffensysteme an Haftar.
Daher, meine Damen und Herren, ist es nicht verwunderlich, dass die Durchsetzungsfähigkeit von Irini bei nahe null liegt. Das zeigte sich sehr deutlich bei mehreren Versuchen, Schiffe zu kontrollieren, die im Auftrage der Türkei und unter dem Verdacht des Waffentransports ins westliche Libyen unterwegs waren. Die Türkei wehrte sich vehement gegen die Durchsuchung der Schiffe und setzte sich in allen Fällen durch. Einzig wurde wohl ein Tanker mit Kerosin für Ostlibyen konfisziert, weil dieses angeblich statt für den zivilen Luftverkehr für militärische Zwecke bestimmt war.
Hier sind wir beim Stichwort: Das Ölgeschäft ist, wie jeder weiß, der wahre Hintergrund des andauernden Konflikts in Libyen.
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Auch die großen europäischen Ölfirmen sind präsent und erzielen hohe Gewinne. Auch beide Streitparteien arbeiten im Ölgeschäft gedeihlich zusammen, sodass wenig Interesse an einer Änderung des Status quo besteht.
Man muss also zu der Bewertung kommen, dass der Einsatz im Rahmen von Irini die mandatierten Aufträge, wenn überhaupt, nur sehr unzureichend erfüllt. Es handelt sich also im Wesentlichen um ein Schaufenstermandat für die EU, um deren sicherheitspolitische Ambitionen GSVP und PESCO zu befördern.
Vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage – und da gebe ich Frau Ministerin Lambrecht recht – wäre es weitaus sinnvoller und angebracht, Zeit- und Ressourcenaufwand unserer Marine auf den Kernauftrag der Bundeswehr, nämlich Landes- und Bündnisverteidigung vor allem in der Ost- und Nordsee, zu konzentrieren.
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Wir sehen dieses neue Mandat Irini daher als überflüssig an.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Kollege Ulrich Lechte hat das Wort für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen alle das Bild vom halb vollen Glas. Einige Menschen sehen ein Glas, das halb voll ist. Das, würde ich sagen, ist heute die Koalition. Andere Menschen sehen ein Glas, das halb leer ist. So ist es auch bei der EU-Operation Irini. Es gibt positive und negative Aspekte, und entsprechend konzentrieren sich Leute entweder mehr auf die eine oder die andere Seite; aber an beiden Seiten ist etwas dran.
Die Vereinten Nationen haben ein Waffenembargo gegen Libyen verhängt, um Waffenlieferungen an die Konfliktparteien im libyschen Bürgerkrieg zu unterbinden. Die Europäische Union hat daher 2020 die gemeinsame Operation Irini ins Leben gerufen, um dieses Waffenembargo zu überwachen und umzusetzen. Trotz dieses internationalen Engagements gibt es weiterhin Verstöße gegen das Waffenembargo. Es gibt Lieferungen von Waffen, Material und auch Kämpfern. Hier gibt es also noch einiges zu tun. In dieser Hinsicht ist das Glas also halb leer.
Jetzt lassen Sie uns aber auch auf das halb volle Glas blicken. Woher wissen wir denn so genau über die Brüche des Waffenembargos Bescheid? Das ist ein ganz erheblicher Verdienst der Irini-Operation.
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Die vielseitigen Aufklärungsfähigkeiten der EU – von Schiffen über Flugzeuge und Drohnen bis hin zum Satellitenzentrum der Europäischen Union – tragen zu einem engmaschigen Lagebild zu den Verstößen gegen das Waffenembargo bei. Eine rare Fähigkeit der Bundeswehr kommt dabei mit unserem Seefernaufklärer P‑3C Orion zum Einsatz.
Irini arbeitete sehr eng mit dem Expertenpanel des Libyen-Sanktionsausschusses der Vereinten Nationen zusammen. Durch die Weitergabe der Informationen von der Europäischen Union an die Vereinten Nationen tragen wir erheblich zur Transparenz bei. Diejenigen Staaten, die gegen das Waffenembargo verstoßen, werden somit sichtbarer, und der Druck durch die internationale Gemeinschaft auf sie wird erhöht. Deswegen wurde auch die Bedeutung der Irini-Operation für die Umsetzung des Waffenembargos mehrfach vom Expertenpanel der Vereinten Nationen betont. Daher möchten wir auch hiermit unseren Soldatinnen und Soldaten in der Operation Irini für diesen wertvollen Beitrag danken. Vielen Dank an dieser Stelle!
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In der FDP-Fraktion haben wir die Operation Irini bisher immer sehr kontrovers diskutiert. Wir haben uns gewünscht, dass Verstöße gegen das Waffenembargo nicht nur sichtbar gemacht werden, sondern dass auch wesentlich entschiedener gegen sie vorgegangen wird. Wir kennen die Berichte von den abgebrochenen Schiffsdurchsuchungen auf Bitten des Flaggenstaats. Aber letztlich haben wir uns immer für eine Zustimmung zum Irini-Mandat entschieden; denn die Lage würde sich ohne Irini nicht verbessern. Die Verstöße gegen das Waffenembargo hören ja nicht auf, nur weil wir nicht mehr so genau hinsehen. Im Gegenteil: Das Aufdecken der Missstände ist die Voraussetzung für deren Abstellung. Wir von der FDP haben also das halb volle und das halb leere Glas gesehen und uns entschieden, dass wir das Glas jedenfalls nicht umstoßen und somit gänzlich leeren wollen.
Die Grünen waren sich in der Vergangenheit ebenfalls nicht so ganz sicher, ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist, und hatten sich daher bisher mehrheitlich für eine Enthaltung beim Irini-Mandat entschieden. Daher freut es mich, dass wir in der Koalition die Grünen jetzt an Bord holen konnten. Vielen herzlichen Dank dafür! Dazu waren natürlich einige Änderungen am Mandat nötig. Durch diesen Diskussionsprozess ist das Mandat aber nur präziser und besser geworden.
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– Ich lasse euch sehr gerne klatschen.
Dass wir die Unterstützung der libyschen Küstenwache aus dem Mandatstext gestrichen haben, ist nur eine Anpassung an die Realität; denn das hat Deutschland seit Beginn von Irini nie umgesetzt. Auch dass wir die Pflicht zur Seenotrettung von der Begründung in den Mandatstext verschoben haben, ist völlig angemessen; denn das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und weitere Abkommen zur Seenotrettung gehören zweifellos zu den geachteten völkerrechtlichen Grundlagen auf unserem Planeten.
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Und schließlich haben wir eine Evaluation des Einsatzes hineingeschrieben, so wie wir es als Ampel für alle Mandate im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Man sieht also: Die Ampel wirkt, und unsere Bundeswehrmandate werden präziser und gehaltvoller. Aus diesen Gründen bitte ich Sie alle herzlich um Zustimmung zum Irini-Mandat.
Vielen Dank.
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Zaklin Nastic hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2020 begann die EU-Mission Irini als Nachfolgerin der maritimen EU-Mission Sophia. Sie soll den Waffenschmuggel im Rahmen des gegen Libyen verhängten Waffenembargos aufklären und verhindern. Die Mission ist aber derart schwach aufgestellt, dass selbst Embargobrecher nur müde lächeln können. Zum Beispiel muss der Flaggenstaat eines verdächtigen Schiffes erst einmal um Erlaubnis gebeten werden, wenn es durchsucht werden soll. Als die Bundeswehr im Jahre 2020 ein unter türkischer Flagge schipperndes Schiff zu durchsuchen begann, mussten die Soldaten wegen des Widerspruchs der Türkei unverrichteter Dinge wieder abziehen. Es kam zu einer diplomatischen Krise zwischen Ankara und Berlin. Die Türkei hat sich bekanntlich durchgesetzt. Geht man streng dem Mandatstext nach, bleibt Irini nicht mehr als Symbolpolitik für das heimische Publikum, und das ist wirklich schade.
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Wir wissen, dass viele der Waffen, die die Kriegsparteien in Libyen benutzen, nicht über den Seeweg nach Libyen kommen und dass Staaten wie Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ihr NATO-Bündnispartner Türkei – übrigens allesamt Staaten, die regelmäßig von Deutschland mit Waffen beliefert werden – diesen Konflikt über Luft mit Waffen befeuern. Stoppen auch Sie Ihre Unterstützung solcher Staaten, die Libyen weiterhin vernichten und Menschenleben zerstören!
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Gegen Irini spricht zusätzlich die Vorgeschichte. Libyen wurde durch die NATO im Jahre 2011 regelrecht zu einem Failed State gebombt. Der Machthaber Gaddafi wurde weggeputscht, ermordet. Klugerweise geschah das damals ohne die Zustimmung Deutschlands. Das ist übrigens ein Verdienst des damaligen Außenministers Westerwelle.
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Dann aber wurde Libyen zu einer gigantischen Flüchtlingsquelle und zum Aufmarschgebiet des IS und anderer Drittstaaten wie Frankreich, Türkei und Russland. Morde und Chaos sind in Libyen an der Tagesordnung. Um die EU weiter abzuschotten, begann man dann, die sogenannte libysche Küstenwache auszubilden. Diese schuf ein zusätzliches menschenrechtliches Desaster. Folter, Vergewaltigung, Versklavung, Tötung und Verschleppung von Tausenden Menschen gehen auf das Konto dieser sogenannten Küstenwache. Eine Schande für die EU!
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EU-Ermittler haben festgestellt, dass auch in offiziellen Haftanstalten schwerste Menschrechtsverletzungen gegen Geflüchtete begangen werden. Das ist wirklich ein Skandal.
Kürzlich sind erneut 90 Menschen auf tragische Weise vor der Küste Libyens ertrunken. Und die vier Personen, die gerettet werden konnten, sind nicht etwa nach Europa in Sicherheit gebracht worden. Nein, sie sind nach Libyen zurückgebracht worden, und das ist wirklich schändlich.
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Es hilft auch wenig, dass die Ausbildung der libyschen Küstenwache jetzt aus dem Mandat herausgenommen wurde, damit es für die Grünen zustimmungsfähig wird. Retten Sie endlich Menschenleben!
Wir Linken lehnen dieses Mandat ab.
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Christoph Schmid hat das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Mandat Irini soll dem Frieden eine Chance geben. – Keine Angst, ich bin völlig unmusikalisch; ich werde hier nicht „Give Peace a Chance“ singen. Und unwürdig gegrölt wurde heute in diesem Hohen Haus leider schon an anderer Stelle.
Geben wir dem Frieden eine Chance. Peace, also Frieden, oder die griechische Friedensgöttin Irini sollten aber nicht nur eine Chance erhalten. Frieden sollte für uns eine dauerhafte Verpflichtung sein. Leider sind friedliche Konfliktlösungen nur dann möglich, wenn die Konfliktparteien keinen Gewinn mehr zu erwarten haben. Darum ist es einerseits wichtig, dass man potenziellen Aggressoren nicht wehrlos gegenübersteht. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, dass Friedensprozesse begleitet und überwacht werden. Und da leistet die Mission Irini einen wesentlichen Beitrag für Libyen.
Natürlich richtet sich derzeit unser aller Augenmerk vor allem auf die Ostflanke der NATO. Dennoch dürfen wir gerade auch im Sinne unserer eigenen Sicherheit die Südflanke nicht vernachlässigen. Darum werbe ich aus voller Überzeugung für die Verlängerung des Mandats.
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Die Lage in Libyen ist nur eingeschränkt stabil; es kommt immer wieder zu Verstößen gegen das Waffenembargo der UNO. Durch Kontrollmaßnahmen sollen Verstöße gegen dieses Waffenembargo verhindert werden. Und ich sage es ganz deutlich: Schon alleine dieser Auftrag und unsere Präsenz sind ein deutliches Signal dafür, dass es uns sehr ernst mit der Umsetzung des Embargos ist. Wie bereits erwähnt, trägt der Einsatz auch zur Verhinderung von Menschenhandel und illegalen Exporten von Erdöl bei. So wird langfristig verhindert, dass die Erlöse das Land weiter destabilisieren.
Wie bei allen Bundeswehrmandaten wird auch Irini fortlaufend evaluiert und der aktuellen Lage angepasst. Nicht mehr fortgesetzt wird – wir haben es gehört – die Ausbildung der libyschen Küstenwache, die wir eh nicht wahrgenommen haben, weil es an staatlicher Kontrolle fehlt. Lassen Sie es mich klar zum Ausdruck bringen: Wir tolerieren kein Fehlverhalten gegen Flüchtlinge oder NGOs.
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Die Ausbildung durch deutsche Soldatinnen und Soldaten ist immer auch an einen Wertekodex gebunden, der von den Auszubildenden akzeptiert werden muss. Deshalb ist es richtig, dass dieser Teil der Mission herausgenommen worden ist.
Nun gibt es wie bei jedem Mandat von ganz rechts und von links die zu erwartende Kritik, dass die Mission entweder nicht robust genug, überflüssig oder wahlweise auch zu robust oder nicht zielführend wäre. 6 300 Verhöre, 250 Besuche an Bord und 35 an den UN-Sicherheitsrat übermittelte Sonderberichte zeigen aus meiner Sicht, dass die Mission durchaus erfolgreich ist.
Was erwarten die Menschen in Libyen von ihrer Zukunft? Sie erwarten Stabilität, sie erwarten Freiheit, sie erwarten Demokratie, und sie erwarten eine internationale Gemeinschaft, die bereit ist, sie auf diesem Weg zu begleiten. Und wovor haben die Menschen in Libyen Angst? Sie haben Angst vor einem Wiederaufflammen des Konflikts, und genau diese Angst müssen wir sehr ernst nehmen. Der Weg zu einer stabilen und friedlichen Gesellschaft muss vor allem aus Libyen selbst heraus entstehen. Aber wir können durch unsere Präsenz dazu beitragen, den Menschen Ängste zu nehmen und die Kräfte zu unterstützen, die sich dem Frieden verschrieben haben – ganz im Sinne von Irini: Geben wir dem Frieden eine Chance.
Ich danke Ihnen.
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Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Serap Güler. Ich heiße Sie willkommen zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr ist seit der russischen Invasion, die heute vor exakt sechs Wochen gestartet ist, zurück in der öffentlichen Debatte. Die Gesellschaft beschäftigt sich wieder mit unseren Streitkräften, mit unseren Soldatinnen und Soldaten, denen allen unser Dank für ihren Einsatz und für ihren Dienst für unser Land gilt.
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Der Fokus der Debatte liegt dabei im Moment nachvollziehbar auf der Landes- und Bündnisverteidigung. Und trotzdem dürfen wir unseren afrikanischen Nachbarkontinent nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen als Europäische Union weiterhin daran arbeiten, afrikanische Staaten zu stabilisieren, Rechtsstaatlichkeit zu stärken und Menschenrechte zu schützen. Ein Beitrag dazu ist die deutsche Beteiligung an der EU-geführten Mission EUNAFVOR MED Irini. Vor allem im Sinne der europäischen Zusammenarbeit begrüßen wir es, dass die Bundesregierung uns nun um die Verlängerung dieses Mandates ersucht.
Der Mandatstext betont ausdrücklich das europäische Engagement im Kontext einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Umso mehr fragen wir uns, wieso die Bundesregierung hier mit dem neuen Mandat einen Sonderweg geht; denn im Gegensatz zum EU-Mandat ist im neuen Mandatstext der Ampel – das wurde hier schon mehrmals erwähnt – die Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine nicht mehr enthalten. Daher die Frage an die Ampelkoalition: Was antworten Sie den restlichen Mitgliedern in der Europäischen Union, die sich an dieser Mission beteiligen? Sind unsere Werte mehr wert als die Werte der anderen Mitglieder in der Europäischen Union? Dass das absurd ist, wird hier sehr deutlich.
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Hier lässt sich ganz klar – das ist in der Rede von Herrn Kollegen Lucks sehr deutlich geworden – ein grüner Faden erkennen. Wie schon bei der Verlängerung des Irak-Mandats lässt sich auch hier die Reduzierung des Mandats weder militärisch noch mit sicherheitspolitischen Argumenten begründen. Nein, die Begründung liegt in der politischen Ideologie, wie folgendes Zitat aus dem Auswärtigen Amt deutlich macht: „das wiederholt inakzeptable Verhalten einzelner Einheiten der libyschen Küstenwache gegenüber Flüchtlingen und Migranten und auch gegenüber Nichtregierungsorganisationen“. Und es stimmt, das ist ein Problem. Zahlreiche auf der Libyen-Route abgefangene Migranten werden nach Libyen zurückgebracht oder sind dort willkürlicher Inhaftierung ausgesetzt.
Noch einmal: Ja, das ist ein Problem. Aber dieses Problem lösen Sie doch nicht, indem Sie sich auf den Standpunkt stellen: Macht die vor Ort herrschenden Probleme nicht zu unseren Problemen! – Deshalb müssen Sie sich hier den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie mit der Reduzierung des Mandats lediglich Ihr Gewissen reinwaschen, aber nicht zur Lösung des Problems vor Ort beitragen.
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Die Situation wird sich im Zweifel sogar verschlechtern und verschärfen; denn die Lücke, die hier entsteht, werden andere Nationen füllen, Nationen, auf die wir keinen Einfluss haben, Nationen, die ganz andere Werte und Normen haben als wir, wo Ihnen niemand sagen kann, wie eine solche Ausbildung vonstattengeht. Was sagt die Ampel denn, wenn im schlimmsten Fall – das ist alles nicht ausgeschlossen – russische Wagner-Söldner die Ausbildung der libyschen Küstenwache übernehmen? Was machen Sie dann? Eine außen- und sicherheitspolitische Begründung lässt sich also für uns hier nicht erkennen. Deshalb halten wir die Reduzierung des Mandats auch ganz klar für einen Fehler.
Die Ampel stellt sich mit diesem Alleingang gegen die Position der Europäischen Union. Dabei ist doch gerade in der aktuellen Situation und angesichts der Herausforderungen, vor denen Europa und die EU stehen, ein einheitliches Auftreten in der Sicherheits- und Außenpolitik wichtiger denn je. Auch das ist heute mehrmals betont worden. Das gilt gerade auch für unsere strategische Gegenküste: Instabilität in Nordafrika wirkt sich auch auf Europa aus, wie wir an zahlreichen Beispielen in den vergangenen Jahren sehen konnten.
Die Situation in Libyen ist weiterhin fragil. Der Weg zu einem Frieden zwischen den verfeindeten Milizen ist noch lang. Irini leistet hier einen wichtigen Beitrag, um sie wenigstens nicht mit noch mehr Waffen zu versorgen. Und die Waffen bleiben ja nicht in Libyen. Angesichts durchlässiger Grenzen instabiler Staaten finden sie ihren Weg in die gesamte Region und breiten damit die Instabilität auch in der Sahelzone aus. Das kann nicht in unserem Interesse sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Fraktion wird diesen neuen Mandatstext in den nächsten Tagen und Wochen beraten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt gerade in Zeiten eines Krieges in Europa nichts Politischeres als einen Blick auf die Landkarte. Von Moldau sind es genau 50 Kilometer bis nach Odessa. Putins Krieg ist nah, und in der zu Moldau gehörenden separatistischen Region Transnistrien stehen rund 1 500 russische Soldaten, die sich seit 23 Jahren weigern, abzuziehen. In dieser schwierigen Situation zeigt Moldau in einer ungemein beeindruckenden Weise europäische Solidarität.
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Das kleine Land mit seinen etwa 2,5 Millionen Einwohnern hat mehr als 120 000 Flüchtlinge, darunter 50 000 Kinder, aufgenommen. Hochgerechnet auf Deutschland, entspräche dies einer Aufnahme von 4 Millionen Menschen innerhalb weniger Wochen. Weitere 260 000 Ukrainer sind zudem durch Moldau in andere Länder Europas weitergereist. Was aber auf das Land zukommt, sollte Odessa verstärkt von den Russen angegriffen werden, ist dramatisch. Der Großraum Odessa hat genauso viele Bewohner wie Moldau Einwohner.
Was Moldau für die Flüchtlinge in dieser verzweifelten Situation leistet, ist, wie gesagt, enorm und verdient unseren herzlichen Dank, unsere Anerkennung und unseren tiefen Respekt, aber eben auch unsere volle Unterstützung und Hilfe.
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Diese europäische Solidarität, die Moldau gegenüber den Ukrainern zeigt, sollten auch wir gegenüber Moldau zeigen. Das ist der Kern unseres Antrags zur schnellen und umfassenden Unterstützung der Republik Moldau.
Die Herausforderungen sind so zahlreich wie schwierig. Moldau hat sich für den europäischen Weg entschieden, und wir müssen uns aus ganzer Überzeugung entscheiden, Moldau bei seinem Weg in die Europäische Union zu helfen. Auf diesem ist Moldau übrigens schon ziemlich erfolgreich unterwegs, mithilfe der Visumsfreiheit seit 2014 und mit dem Assoziierungsabkommen seit 2016. Die Grundlagen sind also gelegt. Das ist übrigens ein Beispiel für die kluge Europapolitik unserer Bundesregierung unter Angela Merkel in diesem wichtigen Teil Europas.
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Heute, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen bereits zwei Drittel der Ausfuhren Moldaus in die Europäische Union. Übrigens: Unter den Ausfuhren des Landes empfehle ich persönlich ganz besonders den exzellenten Wein. Das ist wirklich eine positive Erfahrung.
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Das bedeutet zunächst, dass jetzt ein Modell entwickelt werden muss, mit dem Moldau schnell an die Europäische Union herangeführt werden kann, zunächst beispielsweise schrittweise Richtung Binnenmarkt. Jedenfalls aber muss das Ziel klar sein: Moldaus Zukunft liegt nicht in irgendeinem ungefähren Europa, sondern in der EU; denn wo der Ordnungsrahmen der EU Einzug gehalten hat, folgen Stabilität und Prosperität. Daher fordern wir in unserem Antrag auch eine Anerkennung Moldaus als Beitrittskandidat der EU.
Deutschland genießt aus den Jahren der unionsgeführten Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moldau großes Vertrauen. Sie war die erste deutsche Regierungschefin, die das Land besucht hat. Das Kanzleramt unter Federführung von Christoph Heusgen hatte eine entschlossene, aber letztlich an Russland gescheiterte Initiative zur Lösung des Transnistrien-Problems ergriffen, die sogenannte Meseberg-Initiative. Auch der gestrige Besuch von Ministerpräsidentin Gavrilita zeigt das Vertrauen und die Erwartung an die jetzige Bundesregierung, Frau Ministerin. Wenn es darum geht, Moldau beizustehen, haben Sie die CDU/CSU natürlich an Ihrer Seite.
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Die gestrige Konferenz im Auswärtigen Amt, Frau Ministerin, ausgerichtet gemeinsam mit Frankreich und Rumänien, und auch die Solidaritätswirkung der Luftbrücke für die ukrainischen Flüchtlinge aus Chisinau nach Deutschland sind natürlich völlig richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne russische Obstruktion ist in einer europäischen Nachkriegsordnung auch eine Lösung des Transnistrien-Problems erreichbar. Die baltischen Staaten haben bewiesen, dass die Integration einer russischsprachigen Bevölkerungsgruppe möglich ist. Voraussetzung dafür ist aber, dass die russischen Truppen endlich aus Moldau verschwinden.
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Ein weiteres Thema liegt mir besonders am Herzen: die Zukunft der Volksgruppe der Gagausen. Die Gagausen sind ein christliches Volk im Süden Moldaus, das Autonomie genießt und von den Russen instrumentalisiert wurde. Auch hier gilt die Zukunft Europa.
Jetzt geht es aber darum, Solidarität in politisches Handeln zu verwandeln. Wir haben jetzt die Gelegenheit, sogar die Verpflichtung, dies zu tun, und dem dient unser Antrag, für den ich hiermit sehr herzlich um Ihre Zustimmung und Unterstützung bitte.
Danke sehr.
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Für die SPD-Fraktion hat Frank Schwabe das Wort. – Bitte schön.
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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich will mich bei der Unionsfraktion dafür bedanken, dass Sie diesen Antrag vorgelegt haben, weil das nicht nur der Bundesregierung die Gelegenheit bietet, deutlich zu machen, was sie in Sachen Republik Moldau tut – es ist ein beeindruckendes Engagement, was, glaube ich, im ganzen Haus und auch europäisch geteilt wird –, sondern eben auch die Haltung des Bundestages zeigt, dass er der Republik Moldau in diesen schwierigen Zeiten besondere Beachtung schenkt.
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Wir haben in der Republik Moldau eine ganz erstaunliche Entwicklung gehabt, jedenfalls bis vor ein paar Wochen. Jetzt droht vieles in Gefahr zu geraten. Wir haben die Situation, dass wir mit Moldau in der Tat das ärmste Land Europas haben; so muss man das sehen, wenn man sich den Entwicklungsindex anguckt. Sie haben so viele Probleme, dass man vor ein paar Jahren hätte glauben können, das funktioniere alles gar nicht, das sei eine Art Failed State. Wir haben dann aber gesehen, dass es in diesem Land unter mutiger Führung derjenigen, die heute Präsidentin ist, möglich war, voranzugehen und eine Perspektive für dieses europäische Land zu entwickeln. All das gerät gerade durch eine russische Aggression in Gefahr, aber eben auch dadurch, dass sich viele Geflüchtete auf den Weg in die Republik Moldau machen oder schon da sind.
Ich bin gerade erst aus der Ukraine wiedergekommen. Ich war im Westen der Ukraine, in Lwiw. Dort ist die Situation so, dass, wenn man da ist, man zunächst den Eindruck hat, da sei gar kein Krieg. Klar, man sieht Fahnen, man sieht auch Barrikaden. Aber im Grunde genommen geht das Leben dort seinen geregelten Weg. Die Menschen versuchen, sich in dieser schwierigen Situation einzurichten mit schon Hunderttausenden Geflüchteten aus dem Osten und dem Süden der Ukraine. Die Menschen versuchen, dort zu bleiben. Aber wenn sich der Krieg in der Tat in Richtung Odessa und in Richtung des Westens der Ukraine weiterentwickelt, dann reden wir über Millionen weitere Menschen, die sich auf die Flucht begeben werden und begeben müssen. Dann ist es erneut die Republik Moldau, die ganz im Fokus dieser Fluchtbewegung steht.
Es ist beschrieben worden, welche Herausforderungen die Republik Moldau mit dem russisch besetzten Teil, Transnistrien, hat. Die Republik Moldau ist eigentlich in derselben Situation wie andere Staaten in der Region, wie Belarus und die Ukraine, die sich bisher gar nicht zwischen Russland, der Europäischen Union oder sonst was entscheiden wollten, sondern eigentlich für Werte stehen. Sie sind auf der Suche nach Demokratie, nach Freiheit, nach einer vernünftigen ökonomischen und sozialen Entwicklung, und bisher war es völlig egal, mit wem man dort in Partnerschaft ist. Das ändert sich gerade, weil klar geworden ist und klar wird, dass bei einer solchen Entwicklung Russland für sehr lange Zeit nicht der Partner sein kann. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir die Perspektive aufzeigen, dass wir deutlich machen: Die Republik Moldau ist Teil der europäischen Wertegemeinschaft. Damit braucht es neben der Anbindung an den Europarat eben auch eine Anbindung an die Europäische Union.
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Ich habe gerade schon gesagt: Das Land oder jedenfalls die Regierung hat eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Viele von Ihnen haben die Ministerpräsidentin hier erlebt. Am Ende steht aber die Staatspräsidentin Maia Sandu für diese Entwicklung, eine so mutige und couragierte Frau, wie man sich das besser gar nicht vorstellen kann. Es ist wirklich eine politische Bilderbuchkarriere einer Frau, die aus der Zivilgesellschaft kommt und am Ende bereit war, politische Verantwortung zu übernehmen, und es wahrhaftig geschafft hat, eine deutliche Mehrheit der Menschen in diesem Land hinter sich zu versammeln.
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Deswegen ist es so wichtig, dass wir diese mutige Frau, diese mutigen Menschen in dem Land, die in so großer Gefahr sind, so umfassend unterstützen, wie es nur geht.
Ich will es noch mal unterstreichen: Nach meinem Eindruck soll das nach dem heute vorliegenden Antrag getan werden. Es soll am Ende das unterstützt werden, was unter Federführung des Bundeskanzlers und der Außenministerin auf den Weg gebracht wurde. Ich will aber auch die Entwicklungsministerin nennen, weil wir in den letzten Jahren viele Projekte dort hatten und diese jetzt noch mal konzentrieren. Das ist eben die Unterstützungsplattform, und das war diese wirklich so überaus erfolgreiche Konferenz, die wir in den letzten Tagen hier in Berlin sehen konnten, an der Frankreich und Rumänien auch ihren Anteil hatten.
Es ist schon gesagt worden: Der Anteil der Geflüchteten an der Gesamtbevölkerung beträgt zurzeit 4 Prozent, und das kann sich noch deutlich erhöhen. Das ist für dieses Land eine riesige Herausforderung.
Es gibt auch Herausforderungen im Energiebereich. Ich war vor zehn Jahren zum ersten Mal in Chisinau und habe mich damals gefragt, warum dieses Land nicht viel mehr im Bereich der Solarenergie macht. Es ist eigentlich prädestiniert dafür. Aber es mangelte eben an klaren Strukturen, an den Bedingungen für Investitionen in dem Land. Deswegen sind Justizreformen und die Bekämpfung der Korruption so wichtig. Auch da unterstützen wir entsprechend aus Deutschland. Wir helfen bei der wirtschaftlichen und der finanziellen Entwicklung des Landes. Ich will es noch mal sagen: Es sind am Ende round about 40 Millionen Euro aus dem Entwicklungsetat, und es sind noch mal 50 Millionen, die in Form von Krediten geleistet werden.
Die Republik Moldau ist nicht nur geografisch, sondern auch mit ihren klaren Entscheidungen in Richtung Demokratie Teil der europäischen Wertegemeinschaft. Deswegen ist es richtig, dass wir hier gemeinsam, die Bundesregierung, aber vor allen Dingen auch dieses Hohe Haus, die Republik Moldau in dieser schwierigen Zeit umfassend unterstützen.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Moldawien zeigt wie in einem Brennglas, welche Entwicklungen gerade unsere Aufmerksamkeit verdienen. Der „Guardian“ schrieb treffend: Die Armen helfen den Verzweifelten.
Zuallererst: Wir waren letzte Woche dort. Ich verneige mich tief vor der Initiative, der Professionalität, der politischen Entschlossenheit und vor allen Dingen der menschlichen Wärme dieses Landes. Auch dort kamen – Sie haben es schon gehört – zeitweise 15 000 Flüchtlinge an einem Tag über 67 Grenzübergänge an, prozentual zur Bevölkerung mehr als in jedem anderen europäischen Land. Doch die Politik macht einiges anders: Alle werden bei Einreise registriert; ihre Erfordernisse werden abgefragt. Dazu entstanden in nur sieben Stunden zahlreiche Zeltstädte. In Echtzeit werden diese Daten an alle Behörden des Landes überspielt. Nach drei Stunden Fahrt in die Städte stehen Psychologen, Diabetologen und Chirurgen schon bereit. Drittstaatler – andere nennen sie Studenten – werden erfasst und in Zusammenarbeit mit deren Heimatländern nach Hause gebracht.
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Zwei Drittel der Flüchtlinge im Land wohnen privat, auch Ukrainer bei Russen und umgekehrt. Schon nach zwei bis drei Tagen erhalten alle eine Debitkarte mit 120 Euro pro Monat, 480 Euro also für eine vierköpfige Familie. Damit können die Menschen in Moldawien im Supermarkt einkaufen.
Unsere Bundespolizei wäre entzückt; denn was wir hier an Fähigkeiten bewundern, ist zugleich Ihre Unfähigkeit und Ihr mangelnder politischer Wille. Und es geht noch weiter: Wenn Deutschland sich feiern lässt, dass der erste unserer Flieger nach Westeuropa voll besetzt gewesen ist, zeigt das nur, dass diese Flüchtlinge zum großen Teil gar nicht zu uns wollen. Sie wollen dort bleiben. Die Transporter anderer Länder starten derweil halb leer, und das jede Woche. Bei unserem Besuch an der Grenze haben wir übrigens ähnlichen Verkehr beobachtet in beiden Richtungen, Richtung Ukraine und zurück.
Sie machen Moldawien das Leben schwer mit zum Beispiel eskalierender Sanktionsrhetorik. Das Land ist abhängig, ja. Es erhält saisonal bis zu zwei Drittel subventionierte Energielieferungen aus Russland. Aber wenn Sie hier laut „Embargo“ schreien, dann müssen Sie dort erklären, wer die Preisdifferenz zum Weltmarkt künftig bezahlen soll. Moldawien kann es nicht. Die Pipelines zum Ersatz gibt es nicht. Ein Energieverbund mit der EU – er wäre für 200 Millionen Euro zu haben – existiert nicht. Ihre Symbolpolitik mit der ukrainischen Fahne im Knopfloch destabilisiert fast gewollt Länder wie Moldawien, die in dieser Zeit alles richtig machen, obwohl sie dazu fast kein Geld haben.
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Lassen Sie uns das Afghanistan-Desaster nicht wiederholen, meine Damen und Herren! Was wir hier lernen können, ist Pragmatismus. Was wir hier unterstützen können, sind Menschlichkeit und Deeskalation. An ihnen führt überhaupt kein Weg vorbei; denn diese Völker wissen, dass sie auch weiterhin zusammenleben müssen. Wir könnten mit unserer Hilfe vor Ort und nicht in deutschen Flüchtlingsunterkünften so viel mehr erreichen.
Die stete Kriegsrhetorik aus dem Westen verstört ebenfalls hier wie dort, wie am Sonntag die Meldung aus der Ukraine, Russland ziehe Truppen in der moldawischen Provinz Transnistrien zusammen, um in Odessa eine zweite Front zu eröffnen. Odessa ist nicht weit entfernt, 50 Kilometer. Moldawien selbst dementiert das auf allen Kanälen. Sie fragen sich: Wem nützt der Wunsch nach Störung der ohnehin komplizierten Staatlichkeit? – Es hängt also von uns ab, ob das Land den turbulenten Weg nach Europa weitergehen kann oder in den Strudel russischer Aggression gerissen wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir einen europäischen Flächenbrand verhindern wollen, dann knüpfen wir unsere Hilfe für die Ukraine ab sofort an klare Ansagen. Europa darf kein Interesse an einer Ausweitung des Konfliktes haben. Unser Interesse ist Frieden.
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NATO-Einladungen während einer Krise, wie es von Friedrich Merz gefordert wird, sind deswegen verantwortungslose politische Geisterfahrerei. Wahrscheinlich war die Entscheidung seiner Kaltstellung einer der wenigen klaren Momente der Merkel-Politik.
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Ein letzter Satz: Und doch zeigt auch eine stehende Uhr zweimal täglich die richtige Zeit. Dem Antrag der CDU/CSU auf schnelle Hilfe für Moldawien stimmen wir deswegen zu.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns an dieser Stelle auch fragen, auf welcher Seite wir stehen, wenn wir darüber reden, ob Sanktionen gelockert werden sollen oder nicht. Unsere Außenministerin hat es am Dienstag nach der Geberkonferenz ganz richtig gesagt: Leider stehen wir erst am Anfang der Krise, die der russische Krieg gegen die Ukraine ausgelöst hat, natürlich besonders vor Ort, aber eben auch im Nachbarland Moldau. Die Menschen dort berichten, dass sie Angst haben, von Russland mit überrollt zu werden. Auch gerade deshalb ist die neue Unterstützungsplattform für Moldau so wichtig.
Dabei möchte ich gerne zwei Punkte hervorheben. Erstens sehen wir endlich breite Solidarität mit Menschen auf der Flucht. Wir unterstützen Hilfsstrukturen vor Ort finanziell, und wir bringen Menschen nach Deutschland. Ich möchte mehr von dieser Solidarität.
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Gestern hatten wir im Auswärtigen Ausschuss die Ehre, mit der Ministerpräsidentin aus Moldau, Natalia Gavrilita, zu sprechen. Hier ergibt sich für uns der zweite wichtige Punkt für unsere Politik: Wir hören zu, was die Menschen vor Ort brauchen, was ihre Bedürfnisse sind, und handeln dann gemeinsam.
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Genau das kann die Unterstützungsplattform leisten. Genau dafür wurden mehr als 650 Millionen Euro finanzielle Unterstützung angekündigt, mit der die moldauische Regierung Stabilität, Freiheit und Sicherheit gewährleisten kann. Denn Sicherheit ist eben nicht nur eine militärische – das sehen wir hier ganz deutlich –, sondern auch eine energiepolitische Frage.
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Von Frau Gavrilita haben wir auch gehört, dass jede vierte Person in Moldau etwa 25 Prozent ihres Einkommens für Energiekosten ausgibt. Vergleichen Sie das einmal am Ende des Monats mit Ihren Ausgaben. Da wird einem die gesellschaftliche Dimension relativ schnell klar.
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Die Gaspreise in Moldau sind in den letzten sechs Monaten um das Achtfache gestiegen. Fast 100 Prozent der Gasversorgung in Moldau kommen aus Russland. Russland streut in der Bevölkerung Moldaus massivst Desinformationen. Auch damit ist wieder klar, dass sicherheitspolitische Fragen eben nicht nur militärische sind.
Auch unabhängig davon ist die sicherheitspolitische Lage höchst brisant. Die in Transnistrien stationierten Tausenden russischen Soldatinnen und Soldaten wurden bereits angesprochen. Moldau und die Vereinten Nationen fordern deren Abzug seit Jahren.
Was klar ist: Moldau ist nicht die Ukraine, nicht historisch und nicht politisch. Aber Odessa ist nur eine Autostunde von der moldauischen Grenze entfernt. Alles, was in der Ukraine passiert, hat auch direkte Auswirkungen auf Moldau. Also müssen wir weiter zuhören und weiter handeln.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Republik Moldau ist das ärmste Land Europas und gleich in zweifacher Hinsicht von dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine betroffen: zum einen durch die geografische Nähe – es ist schon angesprochen worden: eine Autostunde bis Odessa – und auch durch die innere Gespaltenheit des Landes – es gibt bei Teilen der Bevölkerung eine starke historische Verbindung nach Russland, bei anderen nach Rumänien oder Richtung EU – und zum anderen durch die Flüchtlinge, die über Moldawien aus der Ukraine geflohen sind. Über 100 000 sind dauerhaft in Moldawien, werden dort von Familien aufgenommen; ungefähr 300 000 haben Moldawien passiert. Also: Es ist ein Land, das sehr stark betroffen ist, und es ist richtig, dass hier humanitär in jeder erdenklichen Weise geholfen wird.
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Die CDU/CSU hat einen entsprechenden Antrag eingebracht. Da steht sehr viel Richtiges drin. Ich will aber auch ein paar Punkte ansprechen, die nicht drinstehen.
Moldawien ist gleichzeitig das Land, in dem vor einigen Jahren der größte Raub des Jahrhunderts stattgefunden hat: 1 Milliarde Dollar wurden aus dem Staatshaushalt gestohlen. Junge Menschen, die dagegen protestiert haben, sind kriminalisiert worden, waren im Gefängnis – ich habe sie in Chisinau besucht – und haben schließlich im Herbst letzten Jahres vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte recht bekommen. Diese unfassbare Korruption, die dahintersteht, ist auch unter der neuen Regierung bisher nicht aufgearbeitet worden. Und der Begriff „Korruption“, Herr Abraham, steht nicht ein einziges Mal in Ihrem Antrag. Auch das muss angesprochen werden.
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In dem Antrag steht, der Bundestag soll die Konrad-Adenauer-Stiftung in Moldawien unterstützen. Mit Verlaub: Einem solchen Antrag können wir nicht zustimmen.
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Wenn schon, dann alle Stiftungen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in der moldawischen Gesellschaft auch umstritten. Sie sitzt in der Regierung; das ist Thema dort.
Auch der enge Bezug in Ihrem Antrag zu Rumänien, das der zentrale Akteur sein soll, ist vor dem Hintergrund der Geschichte Moldawiens, denke ich, zumindest unsensibel.
Das sind ein paar Kritikpunkte. Ich will aber sagen: Die Hilfe für Moldawien, die humanitäre Hilfe in dieser Situation, ist dringend notwendig. Das unterstützen wir, aber nicht jeden Punkt in Ihrem Antrag.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilanz nach mehr als einem Monat Krieg ist verheerend: Wladimir Putin richtet in der Ukraine Blutbäder an. In der Mitte Europas sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Familien haben ihre Heimat verloren, Menschen wurden mitten aus dem Leben gerissen.
Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Putin weiß ganz genau, wie er durch gezielte Agitation über die direkten Konfliktlinien hinaus bekannte Ängste in den angrenzenden Staaten Europas schürt. Steigende Energiepreise, steigende Lebensmittelpreise, Wohnungsnot, Überlastung der Sozialsysteme, Diskussionen über die Verteilung der Menschen auf die Bundesländer und auf die gesamte Europäische Union – Putins Krieg hat viele Fronten. Eine davon verläuft mitten durch unsere öffentliche Debatte im Umgang mit den Folgen des Krieges und mit den sehr schwer zu ertragenden Bildern, die uns von den Kriegsschauplätzen erreichen. Die Bilder aus Butscha machen sprachlos. Aber wir können nicht zulassen, dass uns diese Sprachlosigkeit lähmt. Wir müssen der Sprachlosigkeit etwas entgegensetzen.
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Es ist unsere humanitäre Pflicht, in aller Deutlichkeit unsere Solidarität mit den Menschen und den Ländern zu bekunden, die nun unseren Schutz, unsere Hilfe brauchen. Dies gilt für die Menschen in der Ukraine sowie für die Menschen in der Republik Moldau, die am Rande dieses Krieges zwischen Fronten zerrieben zu werden droht.
Moldau kämpft seit dem Ende des Kalten Krieges darum, seine Souveränität gegenüber dem Einflussbereich Russlands zu bewahren. Es ist, wie viele postsowjetische Republiken, stets zwischen einer engeren Anbindung an den Westen und der Nähe zum großen Nachbarn im Osten zerrissen. Putin muss nicht erst in Moldau einmarschieren, um die gesamte Region weiter zu destabilisieren.
Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine droht Moldau nun eine humanitäre Katastrophe. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks wurden rund 400 000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Moldau versorgt. Moldau ist nach eigenen Angaben an der Belastungsgrenze, was die Aufnahme der Geflüchteten angeht. Es fehlt an Unterbringungsmöglichkeiten, an Wohnraum, an Medikamenten, an Nahrungsmitteln und an Infrastruktur. Die Bilanz nach mehr als einem Monat Krieg ist auch für die Republik Moldau verheerend. Dennoch haben trotz all dieser Unwägbarkeiten rund 100 000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Moldau Zuflucht gefunden. Rund die Hälfte davon, so schätzt das UNHCR, sind Kinder. Die Solidarität Moldaus mit den geflüchteten Nachbarn ist groß.
Moldau, wie die Ukraine, verdient unsere uneingeschränkte Unterstützung.
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Wir dürfen nicht zulassen, dass Putins Krieg diese gesamte Region weiter destabilisiert. Die große internationale Solidarität mit der Republik Moldau und mit der Ukraine sendet ein klares Signal an Wladimir Putin, dass wir bereit sind, die Kosten dieses unsäglichen Krieges mit zu tragen. Die Menschen in der Ukraine sind nicht allein. Die Menschen in Moldau sind nicht allein. Wir können helfen. Wir können Brücken bauen, und das tun wir auch.
Unsere Außenministerin war bereits in Moldau und hat die Initiative zur Bildung einer Luftbrücke angestoßen. Wir können den Menschen Schutz bieten. Unsere Solidarität ihnen gegenüber verdeutlicht, dass wir als demokratische Rechtsstaaten eine Gemeinschaft bilden, die Putins schrecklicher Gewalt die Perspektive auf ein Leben in Frieden und in Freiheit entgegensetzen kann.
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Wir sind bereit, unsere humanitären Werte gegen Russland zu verteidigen. Die internationale Geberkonferenz zugunsten der Republik Moldau am Dienstag in Berlin hat gezeigt, dass wir dringend benötigte Ressourcen zur Verfügung stellen können. 695 Millionen Euro Hilfszahlungen wurden Moldau zugesagt. Deutschland gibt einen Kredit in Höhe von 50 Millionen Euro frei und evakuiert weitere Geflüchtete. Damit versetzen wir die Republik Moldau in die Lage, adäquate Strukturen für die Versorgung der Menschen vor Ort zu schaffen. Ich möchte Annalena Baerbock ausdrücklich für ihr schnelles Handeln danken.
Es muss unser gemeinsames Ziel sein, eine Überlastung Moldaus zu vermeiden; denn nur wehrhafte Demokratien mit Zugang zu Ressourcen können ihre Souveränität nach außen und nach innen verteidigen. Der ungebrochene ukrainische Kampfgeist ist dafür derzeit das beste Beispiel.
Danken möchte ich zu guter Letzt auch der Ministerpräsidentin Moldaus und ihren Landsleuten für die große Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern.
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Es beweist große Stärke und ist ein Bekenntnis zu humanitären Werten, in dieser schweren Situation offene Arme zu haben und für jene in Not um Hilfe zu bitten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – In einer repräsentativen Umfrage in Moldau haben sich 60 Prozent der Moldauer, die daran teilgenommen haben, bei der Frage „Wo seht ihr die Zukunft von Moldau?“ für einen Weg in Richtung europäische Integration entschieden. Das ist auf doppelte Weise erstaunlich. Warum?
Zum einen ist es erstaunlich, weil Moldau alle Probleme hat, die ein Transformationsland der ehemaligen Sowjetunion bis heute mit sich umherschleppen muss. Zum anderen gibt es – das ist angesprochen worden – verschiedene Eigenheiten und Besonderheiten, die das Leben in dieser Republik besonders schwer machen.
Dazu gehört zum Ersten der nach wie vor anhaltende Transnistrien-Konflikt. Zum Zweiten sind die Gagausen angesprochen worden, die im Süden Moldaus leben, die stark russlandaffin sind und die sich eher der Eurasischen Wirtschaftsunion anschließen würden. Zum Dritten sind viele Moldauer ins Ausland abgewandert und arbeiten dort. Moldau und Rumänien sind stark lateinischsprachig geprägt, sodass eine Verständigung in Spanien, Frankreich und Italien relativ gut geht. Es arbeiten mehr Moldauer im Ausland, als es Beschäftigte im Land gibt. Eine große Zahl der Moldauer finanziert das Leben ihrer Familien aus dem Ausland heraus. Auch deswegen sind die 60 Prozent erstaunlich.
Zu dem anderen Aspekt, den Problemen eines Transformationslandes: Korruption, Amtsmissbrauch, Vetternwirtschaft, Diebstahl – das ist angesprochen worden –, Rechtmissbrauch, all das gibt es in Moldau. Trotzdem sagen 60 Prozent Ja zur europäischen Integration.
Das hat viel mit der neuen Regierung zu tun: mit der Präsidentin Maia Sandu, mit Natalia Gavrilita und ihrer Regierung und auch mit der Mehrheit im Parlament. Im Gegensatz zu fast allen Vorgängerregierungen gibt es keinen Skandal, keine Korruption, keinen Amtsmissbrauch, keine Vorwürfe, keine Schattenwirtschaft, keine oligarchische Verdächtigung, die mit dieser jetzigen Regierung oder mit der Präsidentin in Verbindung gebracht werden. Das ist ein großes Glück für Moldau. Und: Es sind Frauen, die das machen; denn die Männer haben vorher meistens schon versagt.
Meine Damen und Herren, Natalia Gavrilita hat einmal als Erklärung, warum es diesen Umschwung gibt, gesagt: Die Bürger der Republik Moldau haben genug von Regierungen, die lügen, von Politikern, die stehlen, von öffentlichen Diensten, die nicht für die Menschen arbeiten, von Entscheidungen, die das öffentliche Interesse nicht berücksichtigen.
In der kurzen Zeit, die diese Regierung und die Präsidentin bisher arbeiten konnten, hat es wenigstens drei existenzielle Krise gegeben, die Moldau getroffen haben. Zum Ersten Corona, das so ein kleines, so ein einkommensschwaches Land natürlich besonders trifft. Zum Zweiten sind schon vor der jetzigen Energiekrise die Gaspreise von Russland um 340 Prozent erhöht worden. Das kann eigentlich kein Mensch in Moldau bezahlen, auch nicht die Regierung. Auch deswegen braucht es unsere Unterstützung. Zum Dritten – es ist angesprochen worden – ist es die Ukrainekrise mit den ukrainischen Flüchtlingen.
Mehr als 100 000 Ukrainer sind bisher geblieben, etwa 400 000 Flüchtlinge sind durch das Land durchgereist. Die Situation ist gut organisiert; auch das ist angesprochen worden. Wir müssen davon ausgehen: Falls Putin seinen Angriff auf Odessa ausweitet und die Bevölkerung von Odessa losläuft – es sind 45 Kilometer bis Moldau –, dann wird sich diese Zahl erheblich vergrößern. Die Menschen aus der Ukraine wollen in Moldau bleiben – das ist angesprochen worden –, wegen der Sprache, wegen der Schulen, aber auch wegen der Nähe zur Heimat.
Die Frage ist: Was braucht Moldau? Sie brauchen Geld, wenn es geht, Budgethilfe: Unterstützung direkt ins Budget, in unterschiedlicher Größenordnung von vielleicht 500 Millionen Euro bis 1 Milliarde Euro, möglicherweise sogar über mehrere Jahre. Sie brauchen weitere Unterstützung im Rechtsstaatsprozess. Da muss Brüssel stärker hinschauen, was mit dem Geld und den Instrumenten, die Brüssel gibt, gemacht wird, damit das effizient eingesetzt wird und die Leute eine Veränderung sehen. Moldau möchte seine Exportquote für Produkte, die sie bisher limitiert in die Europäische Union verkaufen können, erhöhen: Moldauischer Wein, moldauische Früchte, Äpfel, gehören dazu. Die Exportquote zu erhöhen, ist ein Punkt. Ein weiterer Punkt – auch das wurde angesprochen – ist die Verbindung der Stromnetze über Rumänien, Interkonnektoren eingekoppelt in das europäische Netz, das dann hoffentlich noch genügend Strom hat, um auch Moldau mitzuversorgen. Das ist noch nicht gesichert. Ich glaube, eine EU-Beitrittsperspektive – auch das ist angesprochen worden – wäre als Zielvorstellung wichtig. Das wird sicherlich ein langer Prozess. Eine Beitrittsperspektive wäre auch wichtig, um die Menschen zu motivieren; 60 Prozent befürworten einen EU-Beitritt; das ist nicht schlecht.
Der Kollege Schwabe hat den Antrag der Union fast gelobt, zu Recht. Wir loben auch die Außenministerin Baerbock für ihre Arbeit; wir unterstützen das ausdrücklich. Wenn wir jetzt bei der Abstimmung zur Sofortabstimmung kommen könnten und den Antrag nicht erst in die Ausschüsse schieben, wäre das nicht nur für Moldau, sondern auch für unser Parlament eine gute Sache.
Vielen Dank.
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Ich bitte, auf das Wiederanlegen der Maske zu achten.
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Für die SPD-Fraktion hat nun Johannes Schraps das Wort.
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Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Angriffskrieg, den Russland auch in diesen Stunden gegen die Ukraine führt, stellt unsere gesamte europäische Gemeinschaft auf eine schwere Probe. Diese schwierige Situation hat eines noch einmal ganz deutlich gemacht: Nur wenn wir solidarisch zusammenstehen, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, dann sind wir in Europa und als Europa stark.
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Es reicht nicht aus, dass wir lediglich innerhalb der Europäischen Union gemeinsam handeln und solidarisch miteinander sind. Durch den russischen Angriffskrieg wird deutlich sichtbar, dass die europäische Staatengemeinschaft – das hat der Kollege Schwabe vorhin schon angesprochen –, die Gemeinschaft der Staaten, die ein rechtsstaatlich organisiertes, demokratisches und mit Freiheitsrechten unterlegtes System von Politik und Gesellschaft als ihre fundamentale, als ihre tragende Grundlage begreifen, aus mehr Ländern besteht als den 27 EU-Mitgliedstaaten.
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Die Ukraine kämpft seit mehreren Wochen auch für unsere Sicherheit und für unsere Freiheit. Moldau hat seit dem 24. Februar – es ist angesprochen worden – als ärmstes Land Europas die meisten Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen, ein Land, das – anders als Polen, Ungarn, Rumänien oder auch die Slowakei und Tschechien – als westliches Nachbarland der Ukraine noch kein EU-Mitglied ist. Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen; denn gerade vor dem Hintergrund der Möglichkeiten, die ein Land mit gerade einmal 2,6 Millionen Einwohnern hat, leistet die Regierung der Republik Moldau, leistet die Gesellschaft der Republik Moldau wirklich Außerordentliches bei der Aufnahme und der Unterstützung der Menschen, die vor Leid und Krieg aus der Ukraine flüchten müssen. Dafür kann man eigentlich gar nicht genug Anerkennung ausdrücken, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
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Auch deshalb halte ich es für ein außerordentlich wichtiges Signal, dass die Moldau im Zuge der Unterstützungs- und Geberkonferenz in dieser Woche in Berlin finanzielle Zusagen für internationale Hilfen in Höhe von knapp 700 Millionen Euro erhalten hat, darunter die angesprochenen 50 Millionen Euro ungebundene Finanzkredite aus der Bundesrepublik und auch die nochmalige Aufstockung des Hilfspakets aus dem BMZ auf 40 Millionen Euro. Diese Geberkonferenz war auch deshalb wichtig, weil wir damit gegenüber der russischen Regierung deutlich machen: Wir lassen die Moldau nicht im Stich, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Dieses Signal ist ganz wichtig.
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Diese finanzielle Unterstützung ist insbesondere in der aktuellen Situation eminent wichtig; das hat auch Premierministerin Natalia Gavrilita im Rahmen ihres Berlin-Besuches mehrfach betont, unter anderem am Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss. Diese Konferenz ist also eine sehr gute Initiative von Außenministerin Annalena Baerbock und auch von ihrem französischen und dem rumänischen Kollegen. Das, was die Bundesregierung bereits angestoßen hat, ist genau richtig. Das kann aus meiner Sicht aber auch nur ein Anfang sein. Es wird weitere und kontinuierliche Unterstützung notwendig sein, um die Stabilität der Moldau auch zukünftig zu gewährleisten.
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Gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen hier bei uns in Deutschland – wir machen uns viele Gedanken darüber, wie wir unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland am schnellsten beenden können, die je nach Ressource zwischen 35 und 55 Prozent beträgt – dürfen wir unsere Nachbarn in der europäischen Staatengemeinschaft nicht vergessen; denn einige EU-Mitgliedstaaten und eben auch die Republik Moldau hängen bei der Energieversorgung zu 100 Prozent von russischem Gas ab. Das sind ganz andere Dimensionen. Wir müssen uns also auch um diese Partner kümmern, wenn wir es mit unseren Zielen ernst meinen, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und damit auch von autoritären Regimen zu beenden.
Die Regierung der Republik Moldau hat vor einigen Tagen einen EU-Beitrittsantrag gestellt; das ist genannt worden. Als Teil der europäischen Staatengemeinschaft steht das der Republik Moldau, wie ich finde, auch ganz selbstverständlich zu. Aber bis zu einem EU-Beitritt gibt es noch zahlreiche Zwischenschritte, um auch in Zukunft eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten: im Rahmen der Östlichen Partnerschaft, im Zuge der Assoziierungsabkommen, bei den DCFTAs, bei der Visaliberalisierung. Überall gibt es aus meiner Sicht noch eine Menge Potenzial, das wir gemeinsam heben können. Auf dem weiteren Weg müssen wir sicherlich auch noch weitere Formen einer engeren Zusammenarbeit erarbeiten.
Im Vorstand des deutsch-moldauischen Forums versuche ich, wie übrigens auch mein Vorredner Manfred Grund, mit vielen Gleichgesinnten einen Beitrag dazu zu leisten, die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Moldau weiter zu vertiefen, und zwar gerade auch im zivilgesellschaftlichen Austausch. Frank Schwabe und auch andere Kollegen haben schon darauf hingewiesen: Wir haben jetzt eine proeuropäische Regierung in der Moldau, mit der man nach innenpolitisch sehr schwierigen und unruhigen Jahren jetzt endlich wieder eine vertrauenswürdige Kooperation aufbauen kann. Ein Grund mehr aus meiner Sicht, die Moldau zu unterstützen, so wie es unsere Bundesregierung derzeit sehr fokussiert tut.
Diese umfassende Unterstützung wird in dem Antrag, denke ich, sehr gut beschrieben. Es hätte ihn dafür nicht unbedingt gebraucht; aber das gibt uns heute und auch in der Beratung im Ausschuss noch einmal die Möglichkeit, das ganz wichtige Signal zu setzen, nämlich dass demokratische Regierungen bei uns immer Unterstützung finden.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Julian Pahlke das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokraten! Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht, so hat es Annalena Baerbock am Morgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine beschrieben. Zu dieser neuen Welt gehören neue Debatten: über Waffenlieferungen, über Energieabhängigkeiten, vieles, das wir uns vor wenigen Monaten nicht hätten vorstellen können. Dazu zählt auch die Selbstverständlichkeit, mit der insbesondere osteuropäische Staaten Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen und versorgen, auch Moldau.
Das Land mit gerade einmal 2,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist nicht an, sondern über der Grenze des Leistbaren dessen, was die Menschen und die Regierung noch aus eigener Kraft stemmen können. Deshalb organisiert unsere Außenministerin Geberkonferenzen, reist selber in das Land und stellt Mittel bereit, um Moldau nicht alleine zu lassen.
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Es geht um Sicherheit für Geflüchtete und Bürger/-innen des Landes, um Würde, damit niemand nach der Flucht ohne Dach und Nahrung dasteht, und es geht um Solidarität, die nicht nur in der Europäischen Union, sondern über die Europäische Union hinaus gelten muss.
Diese Solidarität beweisen wir. Dazu gehören die 40 Millionen Euro, die aus dem Entwicklungsministerium bereitstehen und die Aufnahme und Registrierung in Moldau unterstützen. Die internationale Geberkonferenz hat sogar über 650 Millionen Euro gemeinsam in den Topf geworfen. Die Bundesrepublik hilft mit einem Kredit aus. Die Liste ist lang. Das Auswärtige Amt hat die Evakuierung von Geflüchteten aus Moldau angekündigt, in einem ersten Schritt 2 500 Menschen. Diesem Beispiel sind andere Staaten gefolgt, sodass heute über 12 000 Plätze in Flugzeugen bereitstehen. Das hilft Geflüchteten, das hilft Moldau, und das ist insbesondere eines: solidarisch.
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Die moldawische Gesellschaft hat ihre Häuser für Menschen aus der Ukraine geöffnet, für ein Dach und etwas zu essen gesorgt, und das, obwohl das Land durch den Angriffskrieg selber über das Leistbare gefordert ist. Wer es wagt, sich an die Seite derer zu stellen, die Schutz und Hilfe brauchen, wird Gleichgesinnte finden. Diese Hilfsbereitschaft und Solidarität ist es doch, die wir uns in den letzten Jahren so sehr auch von der unionsgeführten Bundesregierung gewünscht hätten. Statt wegzuschauen, auch einmal hinfahren, statt Zäune zu ziehen, lieber aufnehmen, und statt hartherzig auf andere zu verweisen, solidarisch handeln.
Sie von der Union bezeichnen die Luftbrücke in Ihrem Antrag als „symbolische Geste“. Was wir den letzten Jahren von Ihnen gesehen haben, waren höchstens homöopathische Dosen der Solidarität.
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Seien wir ehrlich: Bisher haben sich CDU und CSU wenig dafür interessiert, wie Länder an den europäischen Außengrenzen damit umgehen, wenn viele flüchtende Menschen dort Schutz suchen, wie es Geflüchteten geht oder ob sie an einem sicheren Ort sind.
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Aber bewahren Sie sich den guten Willen. Wir werden auf Ihre Hilfsbereitschaft zurückkommen, wenn das nächste Rettungsschiff einen sicheren Hafen sucht
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oder wieder ein Lager brennt.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit fast vier Jahren ist die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vakant, und diesen Zustand können und wollen wir nicht länger hinnehmen.
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Daher legen wir heute als Ampelkoalition einen Gesetzentwurf vor, der die Leitung der Antidiskriminierungsstelle nicht nur stärkt und unabhängig macht, sondern auch ihre Wahl weg vom Ministerium, hier in den Deutschen Bundestag legt – eine klare Aufwertung für dieses so wichtige Amt.
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Ich danke den Koalitionsfraktionen sehr, dass sie diesen Gesetzentwurf so zügig einbringen; denn die Antidiskriminierungsstelle des Bundes spielt eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierung und damit für unsere offene Gesellschaft.
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Tag für Tag sind in unserem Land zahlreiche Menschen massiven, teils immer wiederkehrenden Diskriminierungen ausgesetzt. Viele finden etwa keine Wohnung, weil ihr Nachname nicht Lehmann, sondern Abdi ist. Andere werden auf der Straße beschimpft oder sogar angegriffen, weil sie Kippa oder Kopftuch tragen. Wieder andere müssen Angst davor haben, sich am Arbeitsplatz als lesbisch oder schwul zu outen, übrigens nicht nur dann, wenn ihre Arbeitgeberin die katholische Kirche ist. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Bei all diesen Beispielen ist klar: Nicht die Diskriminierten müssen sich ändern, sondern die, die diskriminieren, müssen sich ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die Antidiskriminierungsstelle ist für all diese Menschen und für viele weitere die zentrale Anlaufstelle. Hier bekommen sie Informationen über ihre Rechte, juristische Beratung, Expertise. Die ADS verschafft dem Thema Diskriminierung auch durch gute Öffentlichkeitsarbeit eine hohe Aufmerksamkeit, und sie untermauert die Debatte durch wissenschaftliche Untersuchungen. Wie wichtig eine grundlegende Stärkung der ADS ist, zeigt auch ihr aktueller Bericht. 2020 sind die Beratungsanfragen um 78 Prozent angestiegen und damit auf einem Höchststand.
Lassen Sie mich an dieser Stelle – ich denke, auch im Namen von Ihnen allen – allen Mitarbeitenden der ADS sehr für ihre tägliche wichtige Arbeit danken und ganz besonders Herrn Bernhard Franke, der die ADS jetzt schon seit einigen Jahren kommissarisch führt. Vielen Dank an dieser Stelle!
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Unser Gesetzentwurf will die Unabhängigkeit der ADS sicherstellen, indem die Leitung in Zukunft auf Vorschlag der Bundesregierung als Unabhängige Bundesbeauftragte oder Unabhängiger Bundesbeauftragter für Antidiskriminierung durch den Bundestag auf fünf Jahre gewählt wird. Mit der ebenfalls im Koalitionsvertrag verankerten weitreichenden Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wollen wir dann weitere Schritte gehen – hin zu einem umfassenden Diskriminierungsschutz.
Ich bin der festen Überzeugung: Antidiskriminierung ist mehr als die Abwesenheit diskriminierender Gesetze. Es ist die politische Aufgabe, aktiv Vielfalt anzuerkennen und politisch zu fördern. Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich um konstruktive und gute Beratungen zu diesem wichtigen Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Lehmann, Sie haben vorhin auf die Wichtigkeit von Antidiskriminierung hingewiesen. Ich möchte sagen: Es gibt sicherlich viele Themen, wo wir Gemeinsamkeiten haben. Sie haben auch Herrn Franke gedankt für die Arbeit der kommissarischen Leitung. Diesem Dank möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich anschließen. Die Antidiskriminierungsstelle hat in Coronazeiten tatsächlich sehr, sehr viele Fälle abgearbeitet, was mit einer kommissarischen Leitung sicherlich nicht so einfach war.
Aber ich glaube, wir müssen heute auch noch über ein anderes Thema sprechen. Ich habe mich ernsthaft gefreut auf die Arbeit im Familienausschuss und war sehr neugierig – neugierig auf den ersten Gesetzentwurf, den wir von Frau Spiegel vorgelegt bekommen würden; denn sie hat schon sehr blumig und wortreich angekündigt, was ihr am Herzen liegt, was ihr wichtig ist und welche Missstände sie in diesem Land bekämpfen will. Heute ist es endlich so weit: Wir haben den ersten Gesetzentwurf von Frau Spiegel vorliegen.
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Was ist der Inhalt? Der Inhalt ist eine Personalie: die Besetzung einer gut vergüteten, wenn nicht sogar sehr gut vergüteten und personell sehr gut ausgestatteten Stelle.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, dass der erste Aufschlag einer Ministerin durchaus den Ton für eine Legislatur setzt. Dass Sie, Frau Spiegel – Sie sind jetzt nicht anwesend, aber, Herr Lehmann, vielleicht richten Sie es aus –, im Schnellverfahren als erste offizielle Amtshandlung hier eine solche neue Stelle schaffen, das spricht Bände über Ihr Amtsverständnis und auch Ihre Amtsführung.
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– Nein, das ist nicht sehr billig.
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Die liebe Frau Spiegel hat es damit sehr eilig.
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Deshalb hat sie dieses Verfahren gewählt. – Frau Polat, Sie schütteln den Kopf.
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– Es ist zwar ein Gesetzentwurf der Fraktionen. Aber am 30. März hat Frau Spiegel bereits eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie festgestellt hat, dass das Kabinett einer Formulierungshilfe zugestimmt habe,
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die Fraktionen nur noch exekutieren müssten. Da sage ich: Liebe Fraktion von SPD und liebe Fraktion von FDP, wollen Sie sich von der Ministerin auf diese Art und Weise wirklich den Schneid abkaufen lassen?
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Seien Sie ein bisschen eigenständiger, und nehmen Sie Ihr Recht als gewählte, freie Abgeordnete hier wahr.
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Wenn Sie, liebe Frau Spiegel, schon einen Gesetzentwurf einreichen, der eigentlich schon in trockenen Tüchern ist, bevor er debattiert ist, dann habe ich einfach die Bitte, dass ihn auch alle Fraktionen zugeleitet bekommen und nicht wir als Oppositionsfraktion erst zwei Tage vorher informiert werden, obwohl doch schon alle anderen am 30. März über den Entwurf in Kenntnis gesetzt worden sind. Das wäre ein Gebot des Anstands.
Kollegin Wulf, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Schauws?
Wir kennen uns noch nicht, aber ja, bitte.
Vielen Dank, Frau Kollegin Wulf. Wir kennen uns aus dem Ausschuss.
Aber wir haben persönlich noch kein Gespräch geführt.
Wir haben persönlich noch kein Wort miteinander gewechselt. Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen.
Bevor Sie in Ihrer Rede fortfahren, möchte ich gerne etwas richtigstellen, damit das nicht in dem Dauerzustand einer Falschannahme bleibt – Sie haben es gerade versucht, darzustellen –, und eine Frage stellen. Das, was wir heute hier vorlegen, ist ein vorgezogener Antrag der Koalition aus SPD, Grünen und FDP zur sehr zügigen Besetzung der ADS nach vierjähriger Nichtbesetzung. Das ist der Grund, warum wir als Fraktion sagen: Wir wollen diese Stelle jetzt sehr schnell besetzen.
Wenn Sie sich im parlamentarischen Verfahren auskennen, was in der ersten Wahlperiode nicht immer so einfach ist, dann wissen Sie: Das geht so manchmal schneller, als wenn das Ministerium das macht. Deswegen haben wir als Fraktion gesagt: Wir haben die Intention dazu. Auch in der Zeit als Opposition habe ich vier Jahre lang für meine Fraktion immer gefordert, dass wir als Erstes diese Besetzung vornehmen. Diese Stelle zu besetzen, ist, finde ich, ein sehr, sehr guter Vorstoß.
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Dass Sie nun eine andere Geschichte erzählen und daraus machen wollen, dass die Ministerin hier nicht agiert oder etwas nicht tut, ist schlicht und ergreifend der falsche Ausgangspunkt. Deswegen wollte ich Sie fragen:
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Können Sie einfach erklären, warum Sie einen Gesetzentwurf der Fraktionen als einen Regierungsentwurf deklarieren, der er ja nicht ist?
Sehr gerne. Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Ich habe das gerade eben schon erläutert: Am 30. März gab es eine Pressemitteilung des Ministeriums, in der Frau Spiegel zitiert wird, dass sie eine Formulierungshilfe des Hauses im Kabinett verabschiedet hat und die Fraktionen diese jetzt noch einzubringen hätten. – Ich persönlich – ich war vorher im Landtag – finde das Verfahren, dass die Pressearbeit durch das Ministerium gemacht wird und die Fraktionen dann informiert werden, etwas ungewöhnlich. Deshalb stelle ich das so dar und kritisiere das.
Aus meiner Sicht ist das die erste Initiative von Frau Spiegel. Sie möchte damit auch gerne öffentlich wahrgenommen werden. Ansonsten hätte ja die Fraktion die Pressearbeit an dem Dienstag danach gemacht. Dass dieses Verfahren nicht ganz unstrittig ist, zeigen ja auch Ihre Reaktionen an dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wenn es schon so schnell gehen soll, dann habe ich mich tatsächlich gefragt, warum Sie diesen Gesetzentwurf nicht direkt in den Ausschuss einbringen; denn mit dieser Debatte zwingen Sie uns ja geradezu dazu, jetzt noch mal darüber zu reden, warum diese Stelle denn nicht besetzt worden ist.
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Diese Stelle ist ja nicht besetzt worden, weil Ihr Koalitionspartner, die SPD, es zu verantworten hat, dass diese Stelle eben nicht besetzt worden ist.
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Frau Giffey wollte damals diese Stelle besetzen.
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– Ja, Frau Dr. Giffey. Sie wollte diese Stelle besetzen.
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– Nein, wir haben an dieser Stelle keine merkwürdige Koalition.
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Das war keine inhaltliche Übereinstimmung. Diesen Zwischenruf weise ich aufs Schärfste zurück.
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Frau Dr. Giffey hat versucht, die Stelle zu besetzen, und hat es leider nicht geschafft. Sie hatte nämlich die Stelle einer Parteifreundin geben wollen, und daraufhin sind zwei Konkurrentenklagen aus dem Hause eingetroffen. Diesen Konkurrentenklagen wurde stattgegeben, weil man gesagt hat: Die Bestenauslese ist an dieser Stelle nicht eingehalten worden, und es war auch kein neutrales Verfahren, meine sehr geehrten Damen und Herren. Aus diesem Grund konnte diese Stelle über vier Jahre nicht besetzt werden. Die Grünen haben damals einen Antrag mit einem ähnlichen Inhalt eingereicht, wie wir ihn jetzt in diesem Gesetzentwurf finden. Und Sie, liebe Freunde von der FDP und von der SPD, haben damals diesen Antrag, dem Sie jetzt inhaltlich zustimmen wollen, tatsächlich abgelehnt.
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– Ja, aber die FDP war nicht in der Koalition.
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Das müssen wir an dieser Stelle noch mal festhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass diese Rede so viele Widersprüche auslöst. Ich finde das gut. Ich mag parlamentarische Kultur, und ich mag auch Diskussionskultur.
Also, wir stellen uns die Frage, ob hier wirklich alle Möglichkeiten geprüft worden sind, das Thema Antidiskriminierung zu stärken. Aus diesem Grund werden wir dazu eine öffentliche Anhörung beantragen und eine Ausschusssitzung durchführen. Wir freuen uns sehr auf die weiteren Beratungen zu diesem wichtigen Thema, und über die lebhafte Debatte freue ich mich auch.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit einigen Tagen haben die Klubs wieder auf. Wir alle können wieder tanzen gehen. Manche machen es nicht, weil sie wegen Corona noch vorsichtig sind. Andere können es aber auch nicht, weil sie an der Tür abgewiesen werden. Ihre Herkunft, ihre Nationalität oder ihr Aussehen entscheiden darüber, ob sie tanzen oder nicht.
Ähnlich ist es bei der Wohnungssuche. Wer anders aussieht oder einen andersklingenden Namen hat, hat es viel schwerer. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegt, dass jeder dritte Wohnungssuchende mit Migrationshintergrund schon einmal rassistische Diskriminierung erfahren hat. Jeder Dritte!
Das macht auf erschreckende Art und Weise deutlich: Diskriminierung ist kein Randphänomen. Es begleitet uns Tag für Tag immer und fast überall. Sie passiert oft da, wo Macht ungleich verteilt ist oder Menschen in Konkurrenz stehen:
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bei der Arbeitssuche, der Wohnungssuche, auf dem Amt oder eben vor dem Klub.
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In diesen Situationen zeigt sich: Wer nicht weiß, männlich, heterosexuell, jung und gesund ist, erlebt mehr Hürden im Leben, nach dem Motto: Wer nicht ins Raster passt, der fällt eben durch.
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Die Diskriminierung hat aber auch ganz konkrete Konsequenzen. Nehmen wir als Beispiel die 32‑jährige Frau, die den Job nicht bekommt, weil vermutet wird, sie könnte sich bald für eine Familiengründung entscheiden, oder die 56‑jährige Frau, die den Job nicht bekommt, weil man ihr unterstellt, dass sie weniger leistungsfähig ist. Wir als SPD-Bundestagsfraktion setzen uns für Respekt, Solidarität und Wertschätzung ein.
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Wir kämpfen für eine gerechtere Gesellschaft, für eine Gesellschaft, die nicht nur formelle Gleichheit festschreibt, sondern auch materielle Gleichheit schafft.
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Dafür brauchen wir ein Umdenken in der Gesellschaft. Aber solange dieses Umdenken noch nicht in allen Köpfen angekommen ist, brauchen Menschen, die Diskriminierungen erleben, eine starke Antidiskriminierungsstelle des Bundes; denn Antidiskriminierung ist unsere Antwort auf Ungleichheit. Dazu gehört auch eine starke Leitung der Antidiskriminierungsstelle, die politisch unabhängig, fachlich kompetent und öffentlich sichtbar ist. Sie muss sich im politischen Prozess einbringen, mit am Tisch sitzen und für die Belange von Betroffenen kämpfen können.
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Den vorliegenden Gesetzentwurf, hinter dem wir als SPD-Fraktion voll stehen, bringen wir als Ampelkoalition hier ein. Wir hätten auch gerne schon in der letzten Legislaturperiode etwas getan, aber wir konnten das nicht. Frau Wulf, das können Sie nicht wissen; da waren Sie noch nicht dabei. Wir haben aber auch in der letzten Legislaturperiode schon daran gearbeitet. Wir erreichen mit diesem Gesetz eine klare Stärkung dieser Position und damit eine Stärkung der Belange von vielen Betroffenen.
Der oder die unabhängige Beauftragte wird dann zukünftig vom Parlament gewählt. Das ist auch ein wichtiges demokratisches Signal.
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Außerdem entkoppeln wir die Amtszeit mit fünf Jahren von der Legislaturperiode. Damit stärken wir die fachliche Unabhängigkeit und vergrößern wir die Distanz zu Regierungsmehrheiten. Der Gesetzentwurf ist also ein wichtiger erster Schritt, der für das Auswahlverfahren um die Leitung der Antidiskriminierungsstelle Rechtssicherheit schafft.
Aber weitere Schritte müssen folgen. Dazu gehört für uns als SPD-Bundestagsfraktion, dass wir auch andere Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen: dass wir der Antidiskriminierungsstelle mehr Ressourcen geben, dass wir die Beratung in Zusammenarbeit mit den Ländern flächendeckend ausbauen, dass wir den Rechtsschutz verbessern und dass wir Schutzlücken schließen. Denn für mich ist klar: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes darf kein zahnloser Tiger sein.
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Ich möchte mich natürlich auch dem Dank an Herrn Franke anschließen; das ist der kommissarische Leiter, der mich mit seiner Arbeit in den letzten vier Jahren total beeindruckt hat. Ich möchte mich aber auch explizit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die trotz des steigenden Bedarfs an Beratungen während der Pandemie einen sehr engagierten Job gemacht haben. Sie zeigen uns, dass die Antidiskriminierungsstelle auf einem sehr guten Weg ist.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der nicht Konkurrenz und Machtkämpfe zählen, sondern das Miteinander zählt, das Miteinander von allen, ein Miteinander, das immer wichtiger wird, wenn man sich die öffentlichen Äußerungen mancher Kolleginnen und Kollegen aus anderen Parteien anhört.
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Wer Hass schürt, wer zum Beispiel von Spreu und Weizen spricht, wenn es um Menschen geht, die auf der Flucht sind, der legt den Nährboden für Diskriminierung.
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Genauso falsch und gefährlich ist es, wenn Kinder nicht über Vielfalt aufgeklärt werden. Kinder sind durchaus in der Lage, Mehrdeutigkeiten zuzulassen, besser als manch Erwachsener hier im Hohen Haus.
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Kinder verstehen ganz selbstverständlich: Unsere Welt ist nicht weiß und schwarz, sondern bunt.
Und nein, es ist nicht das Gleiche, ob man irgendwo nicht reinkommt, weil man keine Maske trägt und nicht geimpft ist, oder ob man irgendwo nicht reinkommt, weil man eine andere Hautfarbe oder eine andere Religion hat.
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Wer solche verqueren Vergleiche zieht, hat weder Diskriminierung noch unsere Geschichte richtig verstanden und sollte sich schämen.
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Wer solche Vergleiche zieht, der relativiert das Leid, welches von Diskriminierung Betroffene täglich spüren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir eine Kraft gegen Diskriminierung in Deutschland, die nicht still ist, sondern laut, eine Kraft, die Menschen Mut macht und zum Mitmachen einlädt, und nicht zuletzt eine Kraft, die dem Recht des Stärkeren klare Grenzen setzt, damit allen das Tanzen ermöglicht wird und niemand vor der Tür bleibt.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gereon Bollmann für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit einer Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Schaut man sich den Gesetzentwurf aber einmal genauer an, so ist die Enttäuschung groß; denn – Kollegin Wulf hat es ja schon erwähnt – es geht nicht um Inhalte, es geht um eine Stellenbesetzung.
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Die Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle wurde in letzter Zeit mehrfach – wir haben es auch schon gehört, von Herrn Lehmann – mit einer Konkurrentenklage angefochten. Nun trifft man aber nicht etwa eine rechtmäßige Auswahlentscheidung, sondern lässt den Posten vier Jahre lang vakant stehen, und jetzt soll es der Gesetzgeber möglichst schnell regeln. Der Bewerber soll nicht mehr auf den Vorschlag der Bundesregierung durch die Familienministerin ernannt, sondern er soll vom Bundestag gewählt werden.
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Wie schön aber auch, dass man jetzt einen passenden Bewerber ins Amt hieven kann, ohne eine unliebsame Konkurrentenklage befürchten zu müssen!
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Liebe Kollegen, im öffentlichen Dienst werden doch Tag für Tag zahlreiche Dienstposten vergeben. Nur weil man im Familienministerium zu einem rechtmäßigen Auswahlverfahren nicht in der Lage ist, muss man doch kein Gesetz ändern, Herr Lehmann.
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Es genügt einfach die strikte Einhaltung der Bestenauslese. Nehmen Sie da doch mal Nachhilfe!
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Natürlich funktioniert dies nicht, wenn man unbedingt einem politischen Günstling zu dieser Position verhelfen will.
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– Geben Sie sich doch mal ein bisschen mehr Mühe mit den Einwürfen!
Nach dem Gesetzentwurf soll der Bewerber durch den Bundestag gewählt werden. Aber hinter den Kulissen verbleibt die Entscheidung nach wie vor bei der Exekutive; denn ohne einen Vorschlag der Bundesregierung findet eine Wahl doch gar nicht statt. Es ist also ein Märchen. Die Leitungsstelle erhält durch einen Wahlvorgang gerade nicht eine Aufwertung.
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Denn die Exekutive hält die entscheidenden Fäden doch nach wie vor in der Hand.
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– Ja, meinen Sie.
Die Neuregelung widerspricht außerdem einer zentralen Bestimmung unseres Verfassungsrechts, nämlich dem Gewaltenteilungsprinzip aus Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
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– Schauen Sie da doch mal rein, Herr Rix. – Nach diesem Prinzip hat sich der Bundestag auf gesetzgeberische Tätigkeiten und die Kontrolle der Regierung zu beschränken. Die Besetzung eines Dienstpostens in der öffentlichen Verwaltung ist aber weder Gesetzgebung noch Kontrolle.
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Auch mit der Wahl des Bundeskanzlers kann man dies nicht vergleichen; denn die Kanzlerwahl ist eine Ausnahme, und Ausnahmen sind immer restriktiv zu handhaben. Deshalb wählt der Bundestag auch nicht die Minister, die Staatssekretäre oder sonstige Bewerber für den Höheren Dienst in Bundesoberbehörden.
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Die Personalrekrutierung ist im Gegenteil die vornehmste Aufgabe der Exekutive.
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Und wenn wir hier schon keine Minister wählen: Weshalb sollte es dann mit Blick auf die Gewaltenteilung richtig sein, einen Verwaltungsposten innerhalb eines Ministeriums durch eine Wahl zu besetzen? Mir erschließt sich das jedenfalls nicht.
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Wieder einmal missachtet ein Gesetzentwurf der Koalition unser Grundgesetz. Es hat schon etwas Erbärmliches, wieder ansehen zu müssen, wie mit tragenden und unveränderlichen Säulen eines freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaates sorglos umgegangen wird, wie abendländische Errungenschaften ignoriert werden, die so herausragende Denker wie Aristoteles, John Locke oder Montesquieu entwickelt haben, um ein Staatswesen durch die Teilung der Gewalten zu stabilisieren.
Wir lehnen die Wahl für diesen Dienstposten durch den Bundestag ab. Wir werden mit Spannung zuschauen, wie viele sonstige Freunde unser Grundgesetz in diesem Hohen Hause wohl noch hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die FDP-Fraktion erhält nun die Kollegin Gyde Jensen das Wort.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Menschen hier bei uns diskriminiert und benachteiligt werden, aus rassistischen Gründen, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, einer Behinderung, der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung oder aufgrund ihres Alters, dann ist das nicht nur ein Verstoß gegen unser Grundgesetz und eine Missachtung der dort festgeschriebenen Grundrechte, sondern es sind auch Grenzüberschreitungen unserer Gesellschaft, die wir so nicht akzeptieren, die wir in unserer Gesellschaft so nicht dulden.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur weil wir uns das so vornehmen, weil wir uns das zum Ziel setzen, weil wir dafür einen extrem breiten gesellschaftlichen Konsens haben – auch in diesem Haus –, hört ja die Diskriminierung, die Benachteiligung nicht einfach auf. Deshalb ist es unser Job, hier dafür zu sorgen, dass Betroffene jede Unterstützung dabei bekommen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, und dass all diejenigen, die in Unternehmen, die in Organisationen, in Vereinen oder in Institutionen die Voraussetzungen dafür schaffen möchten, dass gleichberechtigte Teilhabe ohne Einschränkungen möglich ist, bestmöglich beraten werden und begleitet werden, wenn sie das denn wünschen. Das machen in Deutschland engagierte Verbände, das machen zivilgesellschaftliche Organisationen schon seit Jahrzehnten, und das macht auch seit über 15 Jahren die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes.
15 Jahre sind nun schon eine gewisse Zeit, und wie das dann manchmal so ist: Im Laufe dieser Zeit hat sich gezeigt, dass wir bei der gesetzlichen Grundlage für die Antidiskriminierungsstelle ein bisschen nachbessern müssen. Das Besetzungsverfahren für die Leitungsstelle – der Staatssekretär Lehmann hat es gesagt – hat zu Konkurrentenklagen geführt, und deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, diese Situation zu beenden und endlich eine rechtssichere Grundlage für die Besetzung der Leitung zu schaffen.
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Das setzen wir hier jetzt um, und das setzen wir auch mit einer entsprechenden Priorität um, weil diese Stelle seit 2018 aufgrund der unsicheren Rechtslage lediglich kommissarisch besetzt ist. Auch an dieser Stelle von der FDP-Bundestagsfraktion ein ganz herzliches Dankeschön an Herrn Franke und an sein Team für die sehr gewissenhafte Arbeit in dieser herausfordernden Zeit.
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Zur gesetzlichen Regelung dieser Leitungsstelle gehört auch eine Klarstellung der Rechte und Pflichten, die in unserem institutionellen Gefüge damit einhergehen. Damit nehmen wir Empfehlungen unter anderem von Gremien wie der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ECRI, sowie aus Verbänden und Wissenschaft entgegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an die Leitung der Antidiskriminierungsstelle stellen wir zu Recht ganz besondere Ansprüche im Hinblick auf Rechte und Pflichten, die sich mit einem Arbeitsvertrag im Familienministerium so nicht abbilden lassen. So wie es auch unsere Erwartung an andere Institutionen, an Unternehmen, an Verbände ist, stellen wir auch an unsere Exekutive den Anspruch, gleichstellungsrechtliche Aspekte im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen.
Diese Art der Expertise zur Verfügung zu stellen, ist und soll die Aufgabe der Leitung der Antidiskriminierungsstelle mit dem gesamten Team sein. Sie erfüllt damit eine ähnliche Funktion wie andere Beauftragte der Bundesregierung, allerdings ohne bisher Beauftragte zu sein und damit auch entsprechende Beteiligungsrechte zu besitzen. Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf ändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Aufgabenerfüllung haben wir gerade als Parlamentarierinnen und Parlamentarier einen ganz besonderen Anspruch auf Unabhängigkeit. Darum ist es genau richtig, dass die Leitung der Antidiskriminierungsstelle vom Deutschen Bundestag gewählt wird und in einem Turnus von fünf Jahren auch wiedergewählt werden kann.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich dachte eigentlich, dass das hier partei- und koalitionsübergreifend Konsens sein könnte –: Dabei spielen Präferenzen von Parteipolitik, von Koalitionspolitik eben keine Rolle. Deswegen bilden wir das in diesem Gesetzentwurf so ab.
Mir ist wichtig, zu betonen: Indem wir die Leitung der Antidiskriminierungsstelle auf ein rechtlich durch und durch stabiles Fundament stellen, schaffen wir nicht irgendeine neue Behörde und keine neue Bürokratie. Die Leitungsstelle ist unabhängig, nutzt aber die bestehenden Verwaltungsstrukturen im Familienministerium. Die Antidiskriminierungsstelle kann ihren Job, den wir ihr gesetzlich vor über 15 Jahren zugedacht haben, auf dieser Gesetzesgrundlage besser, effektiver und rechtssicherer ausüben.
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Das ist unser Anliegen, und ich dachte, dass das auch die Koalitionsfraktionen plus die übrigen Fraktionen in diesem Haus eint. Deshalb möchte ich an dieser Stelle dafür werben, sich dem Entwurf anzuschließen. Wir freuen uns auch auf die beschlossene morgige Anhörung weiterer Verbände. Das ist erst der Anfang.
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Auf diesen Prozess freuen wir uns als Fraktion und werben an dieser Stelle um Zustimmung.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Gökay Akbulut das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll es größere Rechtssicherheit bei der Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geben. Dieses Vorhaben begrüßen wir durchaus; denn es ist untragbar, dass die Leitung dieser Behörde seit Jahren vakant ist.
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Wir leben in Zeiten, in denen rassistisch, antisemitisch und queerfeindlich motivierte Beleidigungen und Übergriffe erschreckende Dimensionen erreicht haben. Ressentiments und Vorurteile in der Bevölkerung sind auf einem beängstigend hohen Niveau; ich spreche hier auch aus eigener Erfahrung. Es ist daher inakzeptabel, dass die Antidiskriminierungsbehörde des Bundes nur kommissarisch geleitet wird. Das ist ein fatales Zeichen für die Betroffenen und für all diejenigen, die sich in der Antidiskriminierungsarbeit engagieren.
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Wir freuen uns, dass hier endlich eine Neuregelung geschaffen wird, bei der die Leitung dieser Behörde durch das Parlament gewählt wird. Die Wahl durch den Bundestag schafft größere Transparenz, wertet diese Leitungsstelle auf und erspart uns in Zukunft hoffentlich Peinlichkeiten bei der Besetzung, wie wir sie unter der ehemaligen Familienministerin Franziska Giffey erleben mussten.
Mit diesem Gesetzentwurf soll auch etwas mehr Klarheit über die Rolle der Antidiskriminierungsstelle im Gesamtgefüge der Bundesverwaltung geschaffen werden. Das gelingt jedoch nur begrenzt. So soll die Stelle bei allen Vorhaben, die ihre Aufgabenbereiche berühren, beteiligt werden. Das ist zwar ein Fortschritt gegenüber dem Status quo; aber insgesamt bleibt der Gesetzentwurf weit hinter den Anforderungen des Evaluierungsberichtes zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2016 zurück.
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Damals wurde empfohlen, die Antidiskriminierungsstelle in eine eigenständige oberste Bundesbehörde umzuwandeln, um ihre Unabhängigkeit von Regierungen auch langfristig zu garantieren. Diesen Schritt wollte die ach so fortschrittliche Ampelkoalition offenbar nicht gehen. Stattdessen erfolgt lediglich eine Umbenennung in „Die oder der Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung“. Doch anders als der neue Titel vermuten lässt, ist die Antidiskriminierungsstelle weiterhin dem Bundesfamilienministerium untergeordnet. Ihre Leitung bleibt unter der Rechtsaufsicht der Bundesregierung. Von einer unabhängigen Behörde, Herr Lehmann, kann hier wirklich nicht die Rede sein.
Auch in anderen Fragen kann der Gesetzentwurf viele Erwartungen leider nicht erfüllen. Eine Erweiterung der Diskriminierungsmerkmale findet hier nicht statt; kein Wort zum Verbandsklagerecht, keine wesentlichen Erweiterungen der Befugnisse der oder des Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung. So versäumt die Ampel die Chance, mit einer grundlegenden Reform einen Beitrag zur Stärkung und vor allem zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Antidiskriminierungsarbeit des Bundes zu schaffen.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Schahina Gambir das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine Familie fährt mit dem Zug von Berlin nach München. Kurz hinter Nürnberg betritt die Bundespolizei das volle Abteil und fragt gezielt und ausschließlich jene Familie – auf Englisch – nach ihren Ausweisdokumenten. Die Familienmitglieder, alle deutsche Staatsbürger/‑innen, legen ihre Personalausweise vor. Sie müssen aber nun auch noch ihre Taschen leeren und ihr Gepäck öffnen. Niemand sonst im Abteil wird kontrolliert, außer eben jene Familie. Sie sind die einzigen schwarzen Personen im Abteil.
Dies ist ein Beispiel aus der Praxis der Antidiskriminierungsstelle. Es ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, aufgrund ihrer Behinderung oder weiterer Gründe diskriminiert werden. Viele Menschen müssen Jahre, meist ihr ganzes Leben diese verletzenden und ausgrenzenden Erfahrungen machen. Sie kennen die Widerstände, mit denen die Mehrheitsgesellschaft und auch die Institutionen auf das Benennen von Diskriminierung reagieren. Deshalb brauchen sie eine Anlaufstelle, die nicht nur Feigenblatt ist.
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Die hohe Zahl an Beratungsanfragen und gemeldeten Diskriminierungsfällen zeigt, wie wichtig die grundlegende Stärkung der Antidiskriminierungsstelle ist, wie entscheidend es ist, dass die Antidiskriminierungsstelle und ihre Leitung entsprechende Handlungskompetenzen haben, und wie wichtig es ist, dass die gemeldeten Fälle und Erfahrungen so zurückgespiegelt werden können, dass dadurch die Stimme von Betroffenen Gehör findet in Regierung und Parlament.
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Davon ausgehend können wir politische Veränderungen einleiten, die uns weiter voranbringen – in Richtung einer diskriminierungsfreien Gesellschaft.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Anne Janssen für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Gehörloser seine Begleitung zur Vorbesprechung für eine notwendige Operation wegen der Besuchereinschränkungen in ein Krankenhaus nicht mitnehmen darf und wegen des Tragens einer Maske nicht von den Lippen ablesen kann, wenn diese Person mit offenen Fragen, Ängsten und Unsicherheiten vor dieser anstehenden Operation allein zurückbleibt, dann ist das eine Folge der Pandemie, aber dann ist das auch eine Form der Diskriminierung. Dies ist nur eins von zahlreichen Erlebnissen der Benachteiligung in den letzten beiden Jahren.
Viele Betroffene mussten auf notwendige Assistenzen in Schule und Beruf oder auf Beförderungsdienste verzichten. Häufig fielen erforderliche Therapien und Förderungen aus, medizinische und berufliche Rehabilitation fand nur eingeschränkt statt. Und wichtige Dienste und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen oder Ältere mussten zeitweise komplett schließen. Zudem waren Ersatzangebote wie digitaler Unterricht oder individuelle Beratung für Ältere oder eben Menschen mit Behinderung häufig nicht verfügbar oder aufgrund der persönlichen Einschränkungen nicht nutzbar. Die Coronapandemie stellt Menschen mit Behinderungen, Ältere und deren Angehörige in dieser Krise vor größte Herausforderungen. Gravierende Einschränkungen bei Gesundheit, Teilhabe und im einfachen Alltag sind noch heute das Ergebnis dieser Benachteiligungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Schilderungen sind messbar; denn die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erreichten im Jahr 2020 mit über 6 000 Eingängen im Vergleich zum Vorjahr 78 Prozent mehr Anfragen. Von den verschiedensten Formen der Diskriminierung bezog sich allein ein Drittel auf die Benachteiligung aufgrund einer Behinderung. Weitere 6 413 Beschwerden, Hilfe- oder Auskunftsersuche erreichten den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Diese Zahlen sprechen für sich.
Der Schutz vor Diskriminierung ist eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft und wichtiger denn je.
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Arbeit und Bedeutung der Antidiskriminierungsstelle sind vor diesem Hintergrund unbestritten, und ich danke der neuen Regierung für die Gelegenheit, dies heute einmal betonen zu dürfen.
Nun aber zu Ihrem Vorhaben, künftig die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf Vorschlag der Bundesregierung als Unabhängigen Bundesbeauftragten für die Dauer von fünf Jahren durch den Bundestag wählen zu lassen und durch den Bundespräsidenten berufen und benennen zu lassen. Nach der bekannten Problematik um die Nichtbesetzung der Leitung in den vergangenen vier Jahren kann ich Ihren Wunsch nach einer schnellen und unkomplizierten Lösung gut nachvollziehen. Der hier vorgeschlagene Weg findet auch durchaus Zuspruch unter den Experten. Ob die von Ihnen gewünschte Stärkung der Unabhängigkeit aber tatsächlich über ein politisches Wahlamt zu erreichen ist, wurde von den Sachverständigen ebenso angezweifelt.
Auch wenn das allererste Gesetz lediglich reine Verfahrenspolitik um eine Personalie ist und kein bisschen Mehrwert für die Ratsuchenden enthält, so ist eine baldige Neubesetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle doch wirklich wünschenswert. Da kann der Flüchtigkeitsfehler auf Seite 5 zu § 26i vor lauter Aufregung auch schon einmal übersehen werden.
Letztlich ist das neue Verfahren zur Besetzung aber nicht die einzige Forderung aus Ihren umfangreichen Reformwünschen der letzten Legislatur. Warum ergreifen Sie nicht die Möglichkeit, all Ihre Ideen in die Tat umzusetzen? Scheitert es nun doch an der Realität der Regierung oder vielleicht an den beiden Ampelpartnern, die damals gegen Ihren Antrag stimmten?
Das Vorhaben zur Aufstockung personeller und finanzieller Ressourcen aus Ihrem Koalitionsvertrag ist im Haushalt bisher jedenfalls noch nicht abgebildet. In Ihrer gestrigen Vorhabenplanung im Ausschuss fehlte der neue Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung bedauerlicherweise auch. Ich erwarte also mit Spannung das Ergebnis der Beratungen dieses Gesetzentwurfes sowie der Beratungen zum Einzelplan 17. Die von Ihnen geforderte umfassende Reform hin zu einem echten Antidiskriminierungsgesetz ist auf jeden Fall noch nicht zu erkennen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Kaweh Mansoori für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In Städten wie Berlin, München oder bei mir in Frankfurt – das wissen Sie – ist es schwer, eine Wohnung zu bekommen. Wenn Sie so einen Namen haben wie ich, ist es besonders schwer. Mir geht es gar nicht darum, über meine persönlichen Befindlichkeiten zu sprechen. Viele Kolleginnen und Kollegen, die heute hier im Haus sind, wissen, wovon ich spreche, und vor allem wissen das Millionen von Menschen in unserem Land, die nicht den Nachnamen Müller oder Schmidt haben. Wir wollen ihnen das ersparen, meine Damen und Herren.
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Studien belegen, dass oft ein nicht deutsch klingender Nachname ausreicht, um nicht zum Jobinterview oder zur Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden. Nicht alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verhindern; aber wir können zumindest alles Mögliche versuchen, um Menschen in unserem Land vor Diskriminierung zu schützen.
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Diskriminierung hat viele Gesichter. Ob aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen Religion, Weltanschauung, Behinderung, Geschlecht oder der sexuellen Identität: Diskriminierung zieht sich strukturell durch unsere gesamte Gesellschaft. Diskriminierung zerstört Lebensplanungen und hindert Menschen daran, ihr Potenzial zu entfalten. Diskriminierung passiert oft geräuschlos und bleibt für andere unsichtbar. Doch Diskriminierung ist gefährlich für die Betroffenen, aber auch für unsere Demokratie; denn Diskriminierung ist ein Nährboden für Hass und Gewalt, meine Damen und Herren.
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Vor einigen Wochen wurde Electra Pain, eine Dragqueen aus meiner Stadt Frankfurt, brutal überfallen. Das ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen: Vielfalt ist eben noch keine Selbstverständlichkeit. Ich frage Sie: Wollen wir solche Missstände akzeptieren? Ich möchte das nicht, meine Damen und Herren.
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Heute liegen erste Vorschläge vor, um die Antidiskriminierungsstelle in ihrer Wirkung und Unabhängigkeit zu stärken und deren Spitze zeitnah durch den Bundestag zu wählen. Ich finde, das ist gut; denn wirksamer Diskriminierungsschutz braucht auch starke Institutionen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Daran werden wir weiter anknüpfen.
In einem nächsten Schritt muss es natürlich um den rechtlichen Schutz vor Diskriminierung gehen. Wir werden deswegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz evaluieren, seine Schutzlücken schließen und den Anwendungsbereich ausweiten. Worum geht es da? Da geht es zum Beispiel um klar formulierte Pflichten für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, wenn es um den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geht. Dazu gehört auch, Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Rechte wahrzunehmen und auch durchzusetzen. Das beginnt bei der Aufklärung über eigene Rechte; denn Wissen ist Macht. Deswegen geht es auch darum, dass wir Beratungsstellen brauchen, die entsprechend ausgestattet sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es geht um Erleichterung und Eröffnung des Klageweges für Betroffene, aber auch für Verbände, möglicherweise auch für die Antidiskriminierungsstelle selbst.
Und es geht um Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, Zeit, die Betroffenen aufgrund kurzer Klagefristen häufig fehlt. Stellen Sie sich beispielsweise vor: Sie haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren und müssen innerhalb von zwei Monaten rechtlich klagen. – Es braucht aber Zeit, eine erlittene Persönlichkeitsverletzung zu verarbeiten und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das müssen wir auch im Antidiskriminierungsrecht berücksichtigen. Klagefristen müssen praktikabel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Deswegen ist das heute ein erster Schritt, was die Stelle betrifft. Aber wir werden in einem zweiten Schritt natürlich auch über die inhaltlichen Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sprechen; denn die Chancen eines jeden Menschen dürfen nicht durch Zufallslos bei Geburt bestimmt werden. Egal ob Mensch mit oder ohne Behinderung, egal welcher Familienname, ob mit oder ohne Kopftuch, ob hetero oder queer: Alle Menschen haben die gleichen Chancen verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Die Verwirklichung echter Chancengleichheit, das ist der Gradmesser für eine starke freiheitliche Demokratie, für eine Respektgesellschaft; daran müssen wir uns messen lassen. Dafür reichen keine bunten Fahnen, dafür reichen keine Lippenbekenntnisse – dafür brauchen wir ein starkes Antidiskriminierungsrecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen unabhängig von Putins Öl und Gas werden. Darüber sind wir uns mittlerweile fraktionsübergreifend weitestgehend einig – weitestgehend. Es gibt immer noch ein paar Unverbesserliche. Aber ich denke mal, zwischen den Parteien in der demokratischen Mitte herrscht Einigkeit darüber.
Wenn wir das erreichen wollen, dann brauchen wir auf der einen Seite den Ausbau der erneuerbaren Energien, und dann brauchen wir LNG; LNG muss russisches Gas ersetzen. Jetzt wissen wir alle, dass wir, um LNG nach Deutschland zu bekommen, eine funktionierende LNG-Infrastruktur brauchen.
Jetzt könnten einige sagen: „Warum hat man die denn noch nicht längst gebaut?“ oder: „Die hätte doch schon vor Jahren gebaut werden können.“
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Da muss man zu Beginn der Debatte eines sagen: Es gab gerade in der CDU viele engagierte Politiker, die sich genau dafür eingesetzt haben: Enak Ferlemann – der auch noch sprechen wird –, Oliver Grundmann – sitzt direkt daneben –, auch einige andere Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, die seit Jahren genau dafür werben, dass wir eine LNG-Infrastruktur in Deutschland aufbauen. Diese Personen waren aber bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs die einsamen Rufer in der Wüste und sind vor allem auf Widerstand der SPD gestoßen.
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– Liebe Kollegen der Ampelkoalition, jetzt lachen Sie hier. – Aber selbst im Februar dieses Jahres hat noch ein Parteitag der Grünen in Schleswig-Holstein beschlossen, kein LNG-Terminal zu bauen.
Jetzt wollen wir nicht Parteipolitik daraus machen, zurückschauen und danach fragen, wer Schuld hat. Stattdessen wollen wir nach vorne schauen und fragen: Wie können wir hier parteiübergreifend heute Abend eine Initiative beschließen, durch die mit dem Bau von LNG-Terminals möglichst noch in diesem Jahr, aber mindestens so schnell wie möglich begonnen werden kann?
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Dafür machen wir folgende Vorschläge: Wir sagen, wir wollen auf ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren verzichten; denn wir wissen ja von vielen anderen Infrastrukturprojekten, dass es manchmal viele, viele Jahre dauern kann, bis ein Infrastrukturprojekt in Deutschland realisiert wird. Ein Schienenprojekt, das nach einem klassischen Planfeststellungsverfahren geplant wird, dauert im Durchschnitt 20 Jahre. 20 Jahre, das ist viel zu lange. Genannt werden aber auch andere Zeiträume. Wir reden beim Bau von LNG-Terminals manchmal über das Ende der 2020er-Jahre; in den besten Fällen reden wir bisher über das Jahr 2025 oder 2026. All das ist viel zu lange, wenn wir unabhängig von Putins Gas werden wollen.
Deswegen sagen wir: Wir wollen Planung im Deutschen Bundestag machen. Wir wollen das Planrecht durch das Parlament schaffen, so wie wir das erfolgreich zum Beispiel nach der Wiedervereinigung in Deutschland gemacht haben; da haben wir sehr schnell eine funktionierende Infrastruktur aufgebaut. Das kann in dieser Krise, in der wir uns befinden, ein sehr, sehr gutes Vorbild sein. Deswegen: Planung durch Gesetz. Bitte unterstützen Sie diese Initiative!
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Wir weisen aber auch auf andere Punkte hin, nämlich dass wir an unterschiedlichen Standorten in Norddeutschland LNG-Terminals brauchen. Oliver Grundmann setzt sich seit vielen Jahren für den Standort Stade ein. Wir haben Wilhelmshaven. Wir haben trotz des Beschlusses des Grünenparteitags auch Brunsbüttel im Fokus. Aber wir wollen mit unserem Antrag auch den Osten Deutschlands nicht vergessen. Deswegen – auch ein wichtiger Punkt –: Ein LNG-Terminal in Mecklenburg-Vorpommern wäre im Sinne unseres Landes und würde auch Ostdeutschland in die Konzeption einbeziehen.
Ein weiterer wichtiger Punkt, zu dem wir Sie einladen wollen, ist, dass wir nicht nur an LNG denken, sondern wir wollen auch Wasserstoff und regenerative Kraftstoffe einbeziehen. Wenn wir jetzt die LNG-Infrastruktur von morgen bauen, dann sollten wir auch an Wasserstoff und regenerative Kraftstoffe von übermorgen denken, die wir auch so schnell wie möglich benötigen, damit Deutschland klimaneutral wird. Deswegen: Weiterdenken als nur an LNG, und gerade auch alternative Energieträger einbeziehen.
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Ein weiterer Punkt ist uns noch wichtig: Die Netzentgelte müssen deutlich wettbewerbsfähiger werden in Deutschland. Sie müssen abgesenkt werden, so wie das zum Beispiel unser Nachbarland Polen gemacht hat. Auch da bitten wir um Ihre Unterstützung.
Es gab vor einigen Jahren den schönen Spruch in der Werbung – er ist bekannt –: „Geht nicht, gibt’s nicht!“ Das muss auch beim Bau von LNG-Terminals gelten. Deswegen bitten wir Sie, liebe Ampelkoalition, nachdem das heute Vormittag kein Glanzauftritt von Ihnen war, dass Sie zumindest bei dem wichtigen Thema LNG-Terminals auf unsere Seite kommen und wir parteiübergreifend noch in diesem Monat einen Beschluss fassen, –
Kollege.
– dass LNG-Terminals noch in diesem Jahr gebaut werden können.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein netter Versuch, Herr Ploß; aber die Initiativen für den Bau von LNG-Terminals sind schon längst auf den Weg gebracht. Insofern kommt Ihr Antrag, auch wenn er vom Datum her noch mal einen Monat zurückversetzt wurde, schlicht zu spät.
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Die geopolitische Lage erfordert in der Tat, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als bei den Diversifizierungsstrategien tatsächlich noch einmal nachzulegen. Dass sich die Infrastruktur allein auf LNG fokussiert, das darf nicht stattfinden; das haben Sie in der Tat auch in Ihrem Antrag anklingen lassen. Es muss vielmehr natürlich darum gehen, dass man die Infrastruktur in Form von LNG-Terminals, die wir jetzt brauchen, so aufbaut, dass sie, wie man es nennt, „H2-ready“ sind, damit Wasserstoffanlandung ebenfalls ermöglicht wird. Alles andere wäre rückwärtsgewandt und würde uns nicht nach vorne bringen.
Ich möchte noch einmal kurz bei der Situation ansetzen, in der wir uns heute wiederfinden. Es ist durch einen Kraftakt der Bundesregierung und der beteiligten Unternehmen in der Tat jetzt schon gelungen, den Jahresmittelverbrauch bzw. den Import von russischem Gas von 55 Prozent im Jahresmittel 2021 auf 40 Prozent herunterzuschrauben. Das ist eine enorme Leistung. Insofern sieht man hier auch, dass es gelingt, sich unabhängiger von den Importen aus Russland zu machen, was aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine auch dringend geboten ist.
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Der Bau von LNG-Terminals – ich habe es schon erwähnt – muss aber unbedingt in Zusammenhang mit dem beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien geschehen, nämlich dahin gehend, dass wir Wasserstoffanlandung mit ermöglichen müssen und auch hier die Brücke in das Zeitalter der Erneuerbaren nicht abreißen lassen dürfen. Das wurde gestern auch mit dem Kabinettsbeschluss zum Osterpaket auf den Weg gebracht. Insofern werden wir hier nicht eine Offensive für fossile Energien starten, wie Sie, Herr Ploß, das gerade hier formuliert haben, sondern wir werden natürlich eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energien bekommen. Das darf überhaupt nicht unter den Tisch gekehrt werden.
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Die Möglichkeiten, die wir mit der Ampelkoalition in Richtung Ausbauoffensive ergreifen wollen, stehen unter der ganz klaren Überschrift, dass wir von einem überragenden öffentlichen Interesse der erneuerbaren Energien ausgehen. Das muss sich überall, in allen einzelnen Schritten, wiederfinden. Das heißt, bei unseren Bemühungen um Diversifizierung müssen wir auch schauen, in welchen Bereichen Gas etwa durch Bioenergie ersetzt werden kann. Auch hier ist der Vorrang erneuerbarer Energien wiederzufinden.
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Im Bereich der Wasserstofftechnologie werden dann übrigens auch sehr viele Arbeitsplätze zu finden sein; in Norddeutschland haben wir hier riesige Potenziale. Zugleich müssen wir schauen, dass wir dafür sorgen, dass die europäischen Rahmenbedingungen für die fossilen Importe, auf die wir noch eine Zeit angewiesen sein werden, so ausgestaltet werden, dass mögliche Emissionen vermieden werden. In der Vergangenheit, beim Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungs-Quote, ist es uns ja gelungen – Herr Grundmann wird sich erinnern, dass wir darüber verhandelt haben –, eine entsprechende Anforderung an die damalige Bundesregierung zu richten. Wir haben da im Kontext einer Methanstrategie hinsichtlich der Methanemissionen ganz klar adressiert, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzen soll, verbindliche strenge Standards zur klimaschonenden Förderung und Produktion fossiler Kraft- und Brennstoffe festzulegen.
Ich muss etwas abkürzen, weil die Zeit abläuft. – Jedenfalls möchte ich bei alldem noch mal hervorheben: Man muss immer mitdenken, dass natürlich auch die fossilen Energien, soweit wir noch von ihnen abhängig sind, Nachhaltigkeitsanforderungen unterworfen sind. Dieses Thema ist auch aufgegriffen worden: Im Dezember gab es von der Kommission einen Vorschlag, und wir sind darum bemüht, dass dieser beschleunigt umgesetzt wird.
Mir bleibt am Ende der Redezeit nur, noch kurz zu erwähnen, dass Ihr Antrag – ich habe es eingangs schon angerissen – quasi verfristet ist. In diesem Sinne werden wir ihn im Wege der Sofortabstimmung heute ablehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich bitte zu beachten, dass Sie bei Überschreiten der Redezeit auf Kosten der nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion sprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Steffen Kotré für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Kurzem überbietet sich die Politik mit Forderungen, unsere Energieversorgung umzugestalten, unsere Energieversorgung zu diversifizieren. Aber ich vermisse dabei einfach, dass die Kosten berücksichtigt werden: Das Ganze passiert konzeptionslos und eben leider ohne Kalkulation der Kosten.
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Laut dem vorliegenden Antrag wird also eine entsprechende LNG-Infrastruktur gefordert. Wir alle wissen aber, dass die hier nicht von heute auf morgen entstehen kann. Was stehen denn da für Kosten dahinter? Ist denn überhaupt mal das Transportproblem angesprochen bzw. überdacht worden? Es gibt kaum Transportkapazitäten, und das über Jahre hinaus. Man müsste also neue Schiffe bauen. Der Stahlpreis ist in die Höhe gegangen; auch da explodieren die Kosten. All diese Dinge werden das Ganze vermutlich so teuer machen, dass es sich ökonomisch gar nicht rechnet. Und selbst dieses LNG-Gas ist teurer als normales Rohrleitungsgas.
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Gut, wir wollen die Energieversorgung diversifizieren. Dazu gehört LNG-Gas, klar, aber eben nicht hektisch und panisch auf den Weg gebracht, und es müssen, wie schon gesagt, alle Kosten kalkuliert werden. Zur Diversifizierung gehören aber auch Kohle und Kernenergie, meine Damen und Herren. Und die haben den Vorteil, dass sie schon da sind. Wir müssen keine Infrastruktur bauen. Wir müssen einfach das nutzen, was jetzt schon da ist – eine völlig preiswerte Lösung, meine Damen und Herren.
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Zum Thema Kernenergie haben sich ja viele Experten zu Wort gemeldet
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und erläutert, dass der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke überhaupt kein Problem darstellt.
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Bei den Brennelementen gibt es keinen Engpass, und auch die Sicherheitsüberprüfungen stellen keinen Engpass dar. Wir kommen also mit deren Energie noch über den Winter, und wir sparen dazu auch noch Mengen von Gas ein. Das könnte doch der richtige Weg sein,
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wenn nicht die rot-grüne Ideologie dem einen Riegel vorschiebt und damit leider unsere Marktwirtschaft und unseren Wohlstand gefährdet.
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Und was soll denn der Unfug mit dem Wasserstoff? Das ist doch ökonomisch und ökologisch völlig sinnlos. Wir stecken doch viermal mehr Energie hinein, als wir herausbekommen. Wasserstoff ist das kleinste Molekül,
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es ist schwer zu speichern. Der Aufwand ist enorm. Selbst der Wirtschaftsminister Habeck hat davon gesprochen, dass wir beim Wasserstoff in der Testphase sind. Aber, liebe Freunde, wir können doch nicht testen. Wir können doch unsere Energieversorgung jetzt nicht auf die Teststrecke schicken. Nein, wir haben keine Zeit mehr für Experimente in der Energieversorgung.
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Gestern kam der Osterhase, brachte das Osterpaket und legte uns faule Eier ins Nest der Energiepolitik.
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Die totalitäre Klimaideologie nimmt Formen an. Wenn nun Windindustrie- und Photovoltaikanlagen zur nationalen Sicherheit gerechnet werden und nicht etwa die Versorgungssicherheit selbst, dann muss die links-grüne ideologiegetriebene Politik nichts mehr begründen. Dann kann sie einfach so entscheiden und alle Argumente, die richtig sind, vom Tisch wischen. Dann gibt es keine überbordenden Kosten mehr, dann interessieren nicht mehr die Wohlstandsverluste, die höhere Armut und auch die sinkende Versorgungssicherheit. Diese Argumente können dann einfach so vom Tisch gewischt werden.
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Das passiert ja auch schon: Windindustrieanlagen können jetzt in Schutzgebiete gestellt werden, PV-Anlagen auf Agrarflächen und sogar in Moore. Das ist ein Angriff auf unsere Natur. Das ist die Aufkündigung des Naturschutzes, meine Damen und Herren!
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Im Gespräch ist auch schon der Zwang, dass Hausbesitzer sich PV-Anlagen aufs Dach implementieren müssen. Das ist ein Angriff auf das Privateigentum. Das ist allerdings mit uns nicht zu machen.
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Achten Sie bitte auf die Zeit!
Wir schützen unsere Grundrechte, meine Damen und Herren. Das geht mit uns so nicht.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Ingrid Nestle.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion werden wir heute Abend nicht zustimmen, wir werden ihn ablehnen. Sie fordern nämlich jede Menge Dinge, die wir längst tun, die längst passieren. Nennen wir nur den zentralen Bestandteil im Titel Ihres Antrags, die LNG-Infrastruktur voranzutreiben. Tatsächlich treibt Minister Habeck die Infrastruktur mit einer Handlungsbereitschaft, mit einer Entscheidungsfähigkeit voran, die wir, ehrlich gesagt, bei der CDU-Hausleitung in der letzten Legislaturperiode schmerzhaft vermisst haben.
({0})
Sie verlieren an manchen Stellen auch etwas den Blick für die Realität. Herr Ploß, ich hatte den Eindruck, dass es Ihnen selber in Ihrer Rede auch ein bisschen aufgefallen ist. Im Antrag schreiben Sie nämlich, dass Sie wollen, dass „systemrelevante LNG-Terminals und FSRU-Anlagen“ – beides im Plural, also mindestens vier – „bis Ende des Jahres 2022 in Betrieb genommen werden“. Ich glaube, Sie haben in Ihrer Rede selbst gesagt, so schnell wie möglich, am besten noch in diesem Jahr, solle zumindest ein Terminal in Betrieb genommen werden. Ich glaube das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, hat ein bisschen den Blick für die Realität verloren.
({1})
Besonders spannend ist, dass Sie das fordern, die Sie in der letzten Legislaturperiode, ich glaube, fünf Planungsbeschleunigungsgesetze vorgelegt haben. Und trotzdem brauchen Infrastrukturprojekte wie Schienen und Straßen oft noch über ein Jahrzehnt.
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– Nur vier. Oh, das ist ja erfreulich.
Aber nicht nur diese Probleme gibt es, sondern der Antrag ist auch, finde ich, enttäuschend rückwärtsgewandt, weil wir in den letzten Wochen meiner Wahrnehmung nach in der Debatte schon weiter waren. Sie schreiben selbst am Anfang noch ganz zu Recht, ganz richtig:
Um die Energiesicherheit Deutschlands unabhängig von Russlands Öl und Gas zu gewährleisten, müssen nun alle zur Verfügung stehenden Optionen ergebnisoffen geprüft … werden.
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Richtig! Warum ist dann in Ihrem Antrag nichts zu lesen von Effizienz, nichts zu lesen von Energiesparen? Und zu erneuerbaren Energien fällt Ihnen nichts ein außer regenerative Kraftstoffe und Verzicht auf Kompensationsmaßnahmen. Das ist doch nicht ergebnisoffen, wird doch dem Maßstab „alle Maßnahmen prüfen“ nicht gerecht.
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Nehmen wir doch mal einen Bereich, der Ihnen anscheinend immer wieder schwerfällt. Ja, es würde wirklich helfen, wenn wir die 10-H-Regel bei der Windenergie endlich abschaffen würden.
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Denn die hat faktisch – man kann das an den Zahlen ablesen – den Ausbau der Windenergie in Bayern zum Erliegen gebracht. Im Jahre 2013 wurden noch 400 Genehmigungsanträge gestellt. 2014 kam 10 H. 2015 war die Zahl der Genehmigungsanträge um 90 Prozent zurückgegangen.
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Im Jahr 2021 waren noch null übrig. Dass wir diese Regelung abschaffen müssen, müsste vielleicht auch im Zentrum des Interesses stehen. Warum kann die CDU/CSU an dieser Stelle nicht mitgehen?
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Verehrte Damen und Herren, ich muss leider zum Schluss kommen. – Es reicht nicht, einfach nur zu sagen: Wir müssen von woanders importieren. – Ja, das ist auch wichtig. Aber auch im Jemen gibt es Krieg. Auch an anderen Stellen passieren schreckliche Dinge. Ja, wir wollen hin zu erneuerbaren Energien. Das ist die Zukunft.
Danke.
({8})
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bürgerinnen und Bürger! Der Bundestag muss eine unerträgliche Entscheidung treffen. In der Ukraine tobt ein grausamer Krieg. Dieser russische Angriffskrieg muss beendet werden.
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Ein logischer Gedanke ist es, kein russisches Erdgas mehr zu kaufen, damit kein Geld mehr in Putins Kriegsmaschinerie fließt. Ich sage es noch mal klar: Putins Krieg ist ein Verbrechen und in keinster Weise zu unterstützen.
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Heute stecken wir in der Zwickmühle, weil wir in Europa, in Deutschland für billiges Erdgas die Risiken ausgeblendet haben. Was viele nicht wissen: Wir brauchen Erdgas nicht nur zum Heizen, nicht nur für Glas- und Stahlindustrie, sondern auch für Lebensmittel und zur Herstellung von Pflanzendünger. Düngemittel sind knapp, weil man aus Profitgründen die Produktion auch nach Russland und Weißrussland verlagerte.
Ohne Düngerproduktion aus Erdgas in Deutschland reichen die Düngerbestände nur noch für dieses Jahr. Die Ukraine und Russland fallen als Weizenexporteure aus. In großen Teilen Afrikas gibt es wegen Trockenheit keine Ernten. Fehlt Dünger in Deutschland, werden Deutschland und Europa zum Weizenimporteur, statt zu exportieren. Wir dürfen nicht zum Importeur werden, weil wir sonst den armen Ländern das Essen wegkaufen und ein Massenhungertod droht.
Es besteht die Frage: Wie kann man die drohende Hungerkatastrophe abwenden, wenn es ein Gasembargo gibt? Ich habe keine Antwort. Als mittelfristige Lösung zum Aufbrechen des Dilemmas sind LNG-Hafenanlagen notwendig. Am besten wäre es, wenn diese in staatlicher Hand sind und sobald wie möglich auf Wasserstoff oder Ammoniak umgerüstet werden.
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Langfristig müssen wir regionale und europäische Wirtschaftskreisläufe wiederherstellen und die fatalen Abhängigkeiten von fossilen Energieimporten beenden.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Michael Kruse für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Herr Lenkert, vielen Dank, dass Sie dieses sehr wichtige Thema angesprochen haben, das in dem Antrag nicht so weitreichend thematisiert wird. Dass Sie auf die Zusammenhänge für die Ernährung der Weltbevölkerung hingewiesen haben, fand ich dieser Debatte sehr angemessen.
({0})
Nun komme ich zu dem Antrag. Insbesondere möchte ich als Erstes etwas zum Vorgehen sagen. Ich bin Oppositionsabgeordneter in einem Landesparlament gewesen, und da kenne ich es so: Als Opposition fordert man was, dann sagt die Regierung, dass sie es nicht tut. Und wenn es ein guter Vorschlag war, dann macht sie es vielleicht trotzdem hinterher und verkauft es als eigenen Erfolg.
({1})
Ihr Verständnis von Oppositionsarbeit ist offensichtlich ein anderes: Wir als Abgeordnete forderten etwas, die Regierung setzte es im Eiltempo um, und hinterher fordern Sie das auch von der Regierung und von der Ampel.
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Ich weiß nicht, das macht mich auf eine ganz merkwürdige Art und Weise betroffen.
Insbesondere die Tatsache, dass Sie offensichtlich auch die Ausschussdrucksachen – diese Themen werden ja wöchentlich im Ausschuss behandelt – nicht lesen, verleitet mich dazu, Ihnen diese vielleicht mal kurz vorzutragen. In der Ausschussdrucksache vom 5. April – die könnten Sie kennen – heißt es unter der Überschrift „Neue LNG-Terminals und FSRUs“:
Die Bundesregierung hat über die Unternehmen … und … drei FSRUs optioniert, um die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu erhöhen.
({3})
Wenn Sie uns das jetzt in Ihrem Antrag ernsthaft vorschlagen, dann kann ich nur sagen: Es ist genau wie beschrieben. Wir haben es uns überlegt, die Regierung hat gehandelt, jetzt fordern Sie es von uns. Das nehmen wir als Zustimmung zu unserer Arbeit. Herzlichen Dank dafür.
({4})
Was die konkreten Standorte betrifft, hätte ich mir sehr gewünscht, dass Sie in Ihrem Antrag ein bisschen differenzierter vorgehen; denn genau das wäre möglich gewesen. Sie wissen, dass wir für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nicht nur drei Standorte brauchen, sondern dass wir sie auch sehr gut über das Land verteilen müssen. Wir wissen, dass wir ein Schiff im Osten des Landes brauchen. Wir wissen, dass das zum Beispiel in Rostock oder in Lubmin liegen könnte. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft gerade mit Hochdruck, dass diese Schiffe dann auch an den richtigen Orten liegen. Wilhelmshaven und Hamburg sind weitere wichtige Standorte, damit wir über das gesamte Netz genügend einspeisen können. Dazu hätte ich mir konkrete Vorschläge oder Ideen gewünscht. Ihr Antrag fällt an dieser Stelle hinter das zurück, was in der Öffentlichkeit bekannt ist, und hinter das zurück, was wir in den letzten Wochen schon miteinander kommuniziert haben.
({5})
Ich kann nur empfehlen: Lesen Sie vielleicht einfach mal die Fachzeitungen; in denen wird das regelmäßig besprochen. Wenn Sie das tun, dann gewinnt Ihr Antrag beim nächsten Mal auf jeden Fall.
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Ich will aber auch positives Feedback geben. Planungen per Gesetz halten wir grundsätzlich für eine sinnvolle Sache, und deswegen ist das im Koalitionsvertrag ja auch vereinbart. Die Tatsache, dass wir dafür hohe Hürden von Gerichten auferlegt bekommen, führt dazu, dass wir hier sehr genau überlegte Maßnahmen vornehmen werden. Wenn wir sie vornehmen, laden wir Sie herzlich dazu ein, fachlich beizutragen.
Auf den Punkt, dass es beim Thema LNG-Terminals, insbesondere im Jahr 2022, schon im ersten Petitum Ihres Antrags gleich große Ungenauigkeiten gibt, ist die Kollegin Nestle dankenswerterweise schon eingegangen; deswegen muss ich dazu nicht mehr viel sagen. Er führt uns aber wie viele andere Punkte dazu, diesen Antrag hier heute abzulehnen. Insbesondere führt mich persönlich dazu die Tatsache, dass ich Ihren Antrag einfach mal durchgeblättert und mir jeden einzelnen Punkt angeschaut habe. Und tatsächlich konnte ich dann sehr viele Punkte – ich weiß nicht, ob Sie das von hinten sehen können – mit einem Haken belegen, weil wir es schlichtweg schon angegangen oder sogar erledigt haben. Somit bietet dieser Antrag keinen Mehrwert für die politische Entwicklung in diesem Themenbereich mehr.
({7})
Insbesondere der Punkt 21 macht mich in einer – –
({8})
– Ist das eine Zwischenfrage?
Moment! Das Wort erteile ich hier. Jetzt habe ich erst mal die Uhr angehalten.
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Dr. Ploß?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Kruse, vielen Dank für die Zwischenfrage. – Der Kern unseres Antrags ist ja, dass möglichst noch in diesem Jahr mit dem Bau begonnen wird. Jetzt sagen Sie, Sie erfüllen alle Punkte, die wir in unserem Antrag fordern, entweder bereits jetzt oder werden sie in Zukunft erledigen. Können Sie hier vor dem Deutschen Bundestag versprechen,
({0})
dass mit dem Bau der ersten LNG-Terminals noch in diesem Jahr begonnen wird?
({1})
Lieber Herr Kollege Ploß, ich danke für die Zwischenfrage; denn die kommt ja von Ihnen.
({0})
Ich kann Ihnen versichern, dass die regierungstragenden Fraktionen und die Regierung, die wir tragen, alles in ihrer Macht Stehende unternehmen werden, damit der Bau dieser Terminals sehr bald beginnt – so bald als möglich.
({1})
Wenn Sie Kenntnis darüber haben, dass es Ihnen oder uns hier im Hause möglich ist, die Unternehmen, die diese Terminals bauen sollen, beispielsweise per Gesetz oder Verordnung dazu zwangszuverpflichten, dies auf jeden Fall in diesem Jahr zu tun, dann würde ich mich gerne mit Ihnen in den fachlichen Austausch darüber begeben. Ich glaube, das ist nicht ohne Weiteres möglich.
({2})
Ich kann Ihnen aber versichern: Alles, was in der Macht dieses Hauses steht, wird dafür unternommen.
Der Rest Ihrer Frage ist so populistisch,
({3})
dass ich Ihnen entgegenhalte: Sie haben kein Instrument, um das zu erreichen; deswegen können Sie das nicht garantieren. Aus dem gleichen Grund kann ich Ihnen das auch nicht garantieren, Herr Kollege.
({4})
Jetzt komme ich noch zu Punkt 21 in Ihrem Antrag. Diesen Punkt fand ich ziemlich bemerkenswert. Wir machen hier wirklich Wichtiges. Sie wollen da, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, „dem Deutschen Bundestag zeitnah eine umfassende Analyse verschiedener Szenarien vorzulegen“, wie einseitige Abhängigkeiten von Russland im Öl-, Kohle- und Gasbereich abgebaut werden können. Ich möchte Ihnen gerne ein Dokument überreichen. Das stammt von der Bundesnetzagentur und nennt sich „BMWK Lagebild Energieversorgung“. Es datiert vom 5. April 2022, ist öffentlich verfügbar und beinhaltet all die Analysen, die Sie von der Bundesregierung fordern.
Wir machen hier nicht nur wichtige gesetzgeberische Arbeit, wir machen auch Bildungsarbeit.
({5})
Heute möchte ich dazu beitragen, Sie weiterzubilden. Ich hoffe, Sie übernehmen dieses Dokument von mir und lernen daraus.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Kollege Enak Ferlemann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir bearbeiten heute Abend hier einen exzellent gemachten Antrag.
({0})
Ich kann gar nicht verstehen, was die Kollegin Nestle und den Kollegen Kruse dazu bewegt, zu sagen, sie könnten diesem Antrag nicht folgen und wollten ihn auch gar nicht weiter beraten.
({1})
Ich glaube, das ist die Angst, sich in den Fachausschüssen einer sachlichen Debatte zu stellen,
({2})
wo Sie genau die Fragen beantworten müssten, die in diesem Antrag thematisiert werden. Das ist schon besonders, bei einem so wichtigen Thema zu sagen: Bitte keine Debatte; wir haben schon alles gemacht. – So ist es mitnichten. Wenn Sie den Antrag genau gelesen haben, erkennen Sie: Er adressiert genau die Fragen, die demnächst anstehen.
Warum ist das so?
Kollege Ferlemann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Kruse?
Nein.
({0})
Wir haben zu vergegenwärtigen, dass wir als Bundesrepublik Deutschland eine der erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt sind. Mit unseren im Verhältnis nur 82 Millionen Menschen schaffen wir eine unglaubliche wirtschaftliche Leistung. Darauf können wir alle gemeinsam stolz sein. Jeder in dieser Bundesrepublik trägt irgendwo einen Teil zu diesem Erfolg bei – die einen mehr, die anderen weniger, aber jeder irgendwo. Das ist genauso wie hier in diesem Hause auch: Die einen helfen mehr, die Wirtschaft nach vorne zu bringen, und die anderen weniger.
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Fakt ist aber, dass wir es schaffen, mit unseren nur 82 Menschen gegen Völker anzutreten, die über 1 Milliarde Einwohner haben. Und wir sind extrem erfolgreich,
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aber wir sind ein rohstoffarmes Land. Deswegen müssen wir importieren. Und wir werden immer ein Land sein, das Energie importieren muss. Es ist eine Illusion, zu glauben, mit Solardächern, Windmühlen und regenerativen Energien den Energiebedarf in Deutschland decken zu können. Das wird nicht funktionieren!
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Wir haben einen Energiebedarf in diesem Land von etwa 2 500 Terawattstunden. Wir können als Land etwa 30 Prozent davon selber bereitstellen. Wir sind darauf angewiesen, 70 Prozent in dieses Land zu importieren. Da kann man sich fragen, wie man das macht. Darüber kann man kontrovers diskutieren. Eine Möglichkeit ist es jedenfalls auch, verflüssigte Gase zu importieren.
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Das muss nicht nur LNG sein; das kann auch Wasserstoff sein, Ammoniak, Ethanol, was auch immer. Sie können das auch mit Biogas produzieren, erneuerbar, alles keine Frage; aber Sie brauchen diese Energie, um unsere Volkswirtschaft am Laufen zu halten.
Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Terminals bekommen, die Deutschland nicht hat. Daher müssen wir jetzt, gerade in dieser Krise, in der wir uns befinden durch diesen schlimmen Angriffskrieg der Russen auf die arme Ukraine, angeführt durch Putin, dafür sorgen, dass wir unabhängiger werden. Gut. Aber die Terminals brauchen wir jedenfalls so oder so und dürfen jetzt keine Fehler machen. Deshalb hätte ich mich gefreut, wenn wir noch intensiver darüber hätten diskutieren können.
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Warum? Weil wir natürlich die Problematik haben, dass mit Subvention einzelner Terminals versucht wird, den Markt nicht richtig abzubilden. Will man das eine fördern und das andere nicht? Ich sage: entweder alle oder keins. Wir haben vier Terminals im Wettbewerb. Wieso aber fördert man derzeit erkennbar nur eins?
Sie werden nach meiner Prognose und auch nach der des Kollegen Grundmann erleben, dass in der nächsten Woche wahrscheinlich das erste Konsortium antragsfähige, genehmigungsfähige Unterlagen für ein Terminal in Deutschland einreichen wird. Das werden die ersten sein. Ich gehe davon aus, dass der Standort Stade aufgrund seiner hervorragenden Möglichkeiten der Erste sein wird, der solche Anträge vorlegen kann. Und dann werden wir sehen, wie schnell die Genehmigungsbehörden sein werden. Dann werden wir sehen, ob das, was in diesem Antrag eingefordert wird – wovon Sie, Herr Kruse, ja gesagt haben, das sei alles schon erledigt –,
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auch wirklich stimmt. Wir werden also in relativ kurzer Zeit Ihre Rede auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen können.
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Die Regierung wird alles geben müssen, um das nach vorne zu bringen. Unsere Unterstützung haben Sie dabei. Es ist aber eine Menge zu tun.
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Das Ganze ist noch lange nicht so weit, wie Sie das hier vorgeben. Daher ist unser Antrag sehr sinnvoll und sehr richtig. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie dem heute zustimmen.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Dr. Ploß, ich finde es sehr interessant, dass Sie hier von der Unterstützung der erneuerbaren Energien sprechen. Noch vor vier Jahren war ich persönlich bei Ihnen und musste Ihnen sagen, dass der größte Arbeitgeber in Ihrem Wahlkreis die Windenergie ist; davon wussten Sie gar nichts. Das war sehr interessant.
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Nun sind wir es, die Tempo machen beim Ausbau der Windkraft und der Solaranlagen. Wir stärken die Bürgerbeteiligung, damit Kommunen von Windparks profitieren. Wir bauen Biogas aus, wir machen Strom aus erneuerbaren Energien auch für die Selbsterzeuger attraktiver und vieles, vieles mehr. Ich will das alles nicht mehr aufzählen. Kurzum: Wir starten in dieser Woche eine nationale Kraftanstrengung für die erfolgreiche Energiewende und für mehr Unabhängigkeit von Gas, Öl und Kohle.
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Und da kann ich die Union beruhigen: Auch den Aufbau der LNG-Infrastruktur treiben wir natürlich voran. Wir werden jetzt richtig Gas geben, weil wir vom Aggressor im Osten unabhängig werden müssen und – auch das ist Teil der Wahrheit – weil Sie von der Union jahrelang auf der Bremse standen.
Wir haben uns äußerst ambitionierte Ziele gesetzt. Wir werden klimaneutral bis zum Jahr 2045. Das ist kein Pappenstiel – das wissen wir –, denn wir leiten hier nichts weniger ein als den grundlegenden Umbau der deutschen und europäischen Wirtschaft.
Und die Union versucht uns hier im Bundestag mit ihrem Antrag ein faules Ei ins Nest zu legen. Ihnen geht es mit Ihrem Oppositionsgetrommel nicht um die Energiewende oder um Energiesicherheit oder um die Wirtschaft in Norddeutschland; Sie wollen bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein schlicht ihren blassen Ministerpräsidenten stützen.
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Der Schuss geht aber mächtig nach hinten los; denn ein einfacher Blick auf die Zahlen beweist es: Fünf Jahre regiert Daniel Günther in Schleswig-Holstein, und in diesen fünf Jahren ist unterm Strich nicht eine einzige zusätzliche Windkraftanlage gebaut worden.
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2017 gab es 2981 Anlagen, und – raten Sie mal – dieses Jahr sind es exakt genauso viele. Und Vopak, der Investor, der sich seit Jahren um den Bau eines LNG-Ports in Brunsbüttel bemüht, scheitert seit fünf Jahren an der fehlenden Zulassung durch die CDU-geführte Regierung in Schleswig-Holstein.
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Diese Blockade hat den Investor jetzt schon über 11 Millionen Euro gekostet. Erst jetzt, durch das Eingreifen der Ampelregierung im Bund, geht es endlich voran.
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Aber ich möchte mich nicht zu lange mit den Versäumnissen der Union befassen. Wichtig ist, dass wir jetzt nach vorne schauen und unsere Energieversorgung auf Zukunft trimmen.
Für den Bau von LNG-Anlagen und der notwendigen Infrastruktur werden wir nicht nur Flüssiggas anlanden. Genau diese LNG-Anlagen werden zukünftig auch grünen Wasserstoff von dort ins Netz einspeisen. Es ist genau dieser grüne Wasserstoff, der ganze Industriezweige klimaneutral machen wird und vollkommen neue Produkte für den Weltmarkt möglich macht. Made in Germany, meine Damen und Herren!
Es wird klimaneutral gebaute Häuser geben. Autos werden nicht nur mit erneuerbaren Energien gebaut; sie werden auch mit klimaneutralen Kraftstoffen fahren. Neue Technologien werden sich ansiedeln und Deutschland an die Weltspitze einer dekarbonisierten Wirtschaft katapultieren. Das, meine Damen und Herren, ist ja nicht nur Vision oder Utopie. Die Ansiedlung von Tesla, Intel und Northvolt zeigt uns gerade sehr deutlich, dass die Verfügbarkeit grüner Energie ein entscheidender Standortvorteil in Deutschland ist.
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Er wäre – so ehrlich muss man leider sein – noch viel größer, wenn dies in der letzten Legislaturperiode nicht aktiv von den unionsgeführten Landesregierungen verhindert worden wäre.
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Dort, wo Daniel Günther stehen geblieben ist und nur schnackt, laufen wir jetzt los und machen.
Der Antrag beinhaltet das, was wir eh schon tun, ist damit redundant und überflüssig und darum abzulehnen.
Vielen Dank.
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Einen schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Der nächste Redner ist Stefan Seidler. – Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Vielen Dank an den Kollegen der SPD, dass er die norddeutschen Aspekte hier vorgebracht hat. Grundsätzlich begrüße ich es ja auch, dass CDU und CSU nach 16 Jahren unionsgeführter Kanzlerschaft, nach Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sich nun endlich damit beschäftigen, wie wir die Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern verringern. Lieber spät als nie, nicht wahr?
Wenn die SPD allerdings die Öl- und Gasfelder bei uns in der Nordsee noch stärker fördern will, bleibt der Grundfehler weiter bestehen, nämlich das Festhalten an fossilen Brennstoffen. Nicht nur kommt der Bau der LNG-Infrastruktur in der jetzigen Krise zu spät, da er Jahre dauern wird; nein, er setzt auch das falsche Signal, indem wir weiter Milliarden von Euro eben nicht in erneuerbare Energien investieren. Da spielt es auch keine Rolle, ob das Gas von Katar ein bisschen weniger schlimm ist als das Gas von Russland, wie unser Wirtschaftsminister erst neulich gesagt hat. Wo das Gas herkommt, ist der Umwelt egal. Die Schäden sind die gleichen.
Und liebe Freunde von den Grünen, es hat doch auch einen Grund, weshalb die Grünen in Schleswig-Holstein gegen LNG sind, selbst wenn die Grünen hier auf Bundesebene etwas anderes sagen. Aber das klärt ihr lieber untereinander.
Wir im Norden aber wissen, dass ein LNG-Terminal, wie bei Brunsbüttel geplant, weder energiepolitisch noch klimapolitisch sinnvoll ist. Das Gas stammt unter anderem aus umweltschädlichem Fracking, und das kann ein Wirtschaftsminister Habeck auch nicht schönreden, wenn er in Talkshows von Mettbrötchen und Engeln spricht.
Wir müssen investieren in Grünen Wasserstoff – gerne aus Nordfriesland –, in regionale Kooperation und in Partnerschaften mit demokratischen Staaten wie Norwegen, die auch Gas produzieren. Doch wir wandern von einer unappetitlichen Abhängigkeit in die nächste. Statt mit dem Bären sollen wir nun mit den Hyänen kuscheln. Das darf allerhöchstens eine sehr befristete Notlösung sein. Vorrang muss der ehrliche und unumkehrbare Umstieg auf erneuerbare und saubere Energien sein.
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Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein.
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Die Bundesregierung steht in der Verantwortung. In der deutschen Energiepolitik muss endlich Schluss sein mit der Raubtierparade. Den Antrag der Union lehne ich ab.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Claudia Müller.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine treten wir mit entschiedenen Sanktionen entgegen. Das vorgestern in Brüssel vorgeschlagene fünfte Sanktionspaket zeigt das noch einmal sehr deutlich. Gleichzeitig erfordern diese Sanktionen auch bei uns ein Umdenken und rasches Handeln, besonders in Bezug auf unsere Energieversorgung. Das ist es, was wir mit der Bundesregierung aktuell tun – schnell, aber nicht kopflos.
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Das heißt, jetzt Schritte zu gehen, um erstens bestehende Lieferabhängigkeiten zu beenden, und zwar nicht nur in Bezug auf Gas, sondern eben auch bei Kohle und Öl, um zweitens – und das ist ein genauso wichtiger Punkt – im Bereich der erneuerbaren Energien nachhaltig umzusteigen und hier schnell voranzukommen. Und man muss ehrlich sein: Das wäre eigentlich schon längst überfällig gewesen.
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Das heißt, strategisch weitblickend wäre es gewesen, wenn bereits die Vorgängerregierungen nicht einseitig auf Importstrukturen fossiler Natur gesetzt hätten, insbesondere auf die, die ganz klar auf einen Anbieter zurückgehen. Vielmehr geht es darum, hier diverser zu werden
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und eben auch den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.
Aber wir wollen an dieser Stelle nicht über die Vergangenheit heulen – das hilft uns nicht weiter, auch wenn die CDU das gerne tut; ich verstehe das auch aus Ihrer Sicht –, sondern wir wollen nach vorne gucken.
Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein.
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Trotz des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien – Herr Ferlemann, da stimme ich Ihnen zu; wir werden ein Energieimportland bleiben – werden wir notwendige Infrastrukturen brauchen. Das heißt, wir werden Importterminals für flüssige und gasförmige Energieträger brauchen. Im ersten Schritt werden wir LNG-Importstrukturen benötigen – für die Übergangszeit aber in erster Linie schwimmend –, und genau das machen wir an dieser Stelle. Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck daran, hier schnell Kapazitäten zu schaffen. Es wurde schon erwähnt: Drei entsprechende FSRUs haben wir bereits gechartert. Wir suchen dafür nach den idealen Liegeplätzen. Das heißt aber auch: Wir müssen vor Ort Gasanschlüsse verändern.
Das alles treiben wir voran, damit wir eben im nächsten Winter nicht frieren werden.
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Zeitgleich geht es auch darum, diese Infrastrukturen so aufzustellen, dass wir in Zukunft Wasserstoff und synthetische Gase da hindurch importieren können, und gleichzeitig geht es darum – das geht übrigens nicht über die gleichen Wege –, auch entsprechende Ammoniakimportstrukturen aufzubauen. Da müssen wir auf jeden Fall schneller werden, wie übrigens auch – das ist schon mehrfach gesagt worden – beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
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Ich möchte an dieser Stelle all den Mitarbeitenden im Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium einmal Danke sagen, die momentan wirklich mit Hochdruck, mit unglaublich vielen Überstunden daran arbeiten, genau dies abzusichern. Das ist ein unglaublicher Kraftakt für alle, die daran beteiligt sind. Dafür gebührt ihnen auch unser Dank.
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Als Letztes noch ein Blick in die Zukunft: Um entsprechende Importkapazitäten nachhaltig zu schaffen, müssen wir auch an regulatorische Rahmenbedingungen ran. Das ist auch die Aufgabe dieses Parlamentes; das werden wir gemeinsam tun. Dafür laden wir Sie durchaus zur Zusammenarbeit ein.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde jetzt keine Kurzinterventionen mehr zulassen, weil wir doch schon recht spät dran sind. Wir wollen die Debatten alle noch bis zum Ende ordentlich führen.
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Als nächster Redner und auch zum Abschluss dieser Debatte erhält das Wort Timon Gremmels für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich hier den Antrag der CDU/CSU so lese, dann kann ich mir vorstellen, wie der zustande gekommen ist. Sie haben am Anfang der Woche überlegt: Was können wir beantragen? LNG ist gut. Setzen wir mal einen Praktikanten dran und sagen, er soll in 28 Punkten zusammentragen, was man so an Forderungen auf den Weg bringen kann. – So liest sich das, und der fleißige Praktikant oder die fleißige Praktikantin hat geguckt, was er oder sie so im Netz findet, und hat das zusammengestellt.
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Ein Großteil der Dinge, die hier drinstehen, ist aber von dieser Regierung schon umgesetzt, auf den Weg gebracht worden. Es war Olaf Scholz, der an diesem Pult am 27. Februar in der Regierungserklärung genau das gesagt hat: dass wir LNG-Ports brauchen, zwei Stück,
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dass die gebaut werden, dass die fertig gemacht werden für Wasserstoff-ready. Genau das hat er auf den Weg gebracht. Er hat das hier angekündigt, und das Ministerium hat gehandelt, natürlich nicht nur in Dokumenten des Ausschusses. Es gibt ein FAQ des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums vom 6. März dieses Jahres, wo auf sechs Seiten all das drinsteht, was getan wird. Wir handeln, während Sie hier Anträge formulieren.
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Ehrlich gesagt: Kein halbes Jahr nachdem Herr Altmaier die Invalidenstraße, den Sitz des Bundeswirtschaftsministeriums, verlassen hat, klingen doch solche 28 Punkte, die Sie auflisten, wie das Dokumentieren des eigenen wirtschaftspolitischen Versagens der letzten vier Jahre.
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Denn Herr Altmaier war doch der zuständige Minister, niemand sonst in diesem Haus; vielleicht, Herr Ferlemann, auch noch Herr Scheuer als Verkehrsminister. Darüber können wir gerne reden. Aber die beiden haben es doch nicht hinbekommen, was wir jetzt auffüllen müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Und natürlich brauchen wir LNG als Übergangstechnologie. Deswegen bitte ich bei allen Debatten darum, dass wir hier keine Lock-in-Effekte produzieren. Wir brauchen es für eine Übergangszeit, und danach müssen wir auf erneuerbare Energien setzen.
Herr Ferlemann, es ist falsch, dass wir Energie nicht auch exportieren. Wir in der Bundesrepublik Deutschland sorgen dafür, dass als Ersatz für viele französische Atomkraftwerke, die vom Netz gehen müssen, weil sie gewartet werden, Solarstrom, erneuerbarer Strom aus Deutschland exportiert wird.
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Genau das ist doch die Wahrheit! Wir sorgen mit unseren erneuerbaren Energien für Energiesicherheit.
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Und, Herr Ferlemann, wenn Sie sich jetzt hierhinstellen und beklagen, Sie würden eine inhaltliche Debatte zu Ihren Punkten haben wollen, aber gleichzeitig Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer beantragt, hier heute abzustimmen, dann streuen Sie den Menschen Sand in die Augen.
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Stattdessen sollten Sie beantragen, diesen Antrag in die Fachausschüsse zu überweisen! Dann diskutieren wir darüber.
Frau Präsidentin, ein letzter Punkt. Wenn die Union sagt, wir müssen da was korrigieren nach 16 Jahren Energiepolitik: Wo sind denn Ihre 28 Punkte zum Ausbau der erneuerbaren Energien?
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Das wäre doch mal ein Antrag gewesen! 28 Punkte, in denen Sie sagen: Das haben wir in den 16 Jahren falsch gemacht; das korrigieren wir jetzt, das stellen wir hier zur Debatte. – Da kommt nichts, und deswegen ist es gut, dass diese Regierung handelt und wir demnächst über das Osterpaket hier reden. So geht Energiepolitik von morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
In diesem Sinne: Glück auf!
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit über zwei Jahren befinden wir uns in einer andauernden Coronapandemie. Zwei Jahre, in denen sich mehr als 22 Millionen Menschen in Deutschland mit dem Coronavirus infiziert haben, etliche unter Langzeitfolgen leiden und mehr als 130 000 Infizierte bislang daran verstorben sind. Zwei Jahre, die geprägt waren von wiederkehrenden Einschränkungen, mentalen Strapazen und restriktiven Regelungen. Zwei Jahre, in denen insbesondere das Pflegepersonal in Krankenhäusern und in der Langzeitpflege besonderen Belastungen ausgesetzt war. Pflegekräfte haben in diesen zwei Jahren mit ihrem unermüdlichen, aufopfernden Einsatz maßgeblich dafür gesorgt, dass Deutschland und damit wir alle bisher die Pandemie so gut bewältigen konnten.
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Besonders in der zuletzt sehr starken Überlastungssituation in den Kliniken durch die Delta-Welle haben sie Opfer erbracht und Großes, ja Großartiges geleistet. Dafür gebühren ihnen Dank, Respekt und Anerkennung.
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Aus diesem Grund bekennen wir uns als Fortschrittskoalition zu dieser herausragenden Leistung und beraten hier und heute in erster Lesung das Corona-Pflegebonusgesetz für Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Wir lösen damit das Versprechen ein, das wir bereits mit dem Koalitionsvertrag gegeben haben, und stellen damit 1 000 Millionen Euro für Pflegekräfte bereit. Wir möchten damit nicht nur unsere aufrichtige Anerkennung und tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Nein, wir sind der festen Überzeugung, dass dieser Bonus etwas ist, was wir der Pflege schlichtweg schulden.
Die im Bundeshaushalt bereitgestellten Mittel sollen nach dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zu jeweils 500 Millionen Euro an die Pflegekräfte in Krankenhäusern sowie in der Langzeitpflege ausgezahlt werden. Im stationären Bereich werden 837 Krankenhäuser, die 2021 besonders von der Coronapandemie belastet waren, den Pflegebonus erhalten, um damit Prämien an die Pflegekräfte auszahlen zu können. Die Prämienhöhe für alle Pflegefachkräfte wird ferner einheitlich berechnet und könnte bis zu 1 700 Euro umfassen. Einheitliche Auszahlungsbeiträge haben den Vorteil, dass diese nicht mehr zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen in den Krankenhäusern ausgehandelt werden müssen.
Für Intensivpflegekräfte soll die Prämie nochmals um 50 Prozent, also voraussichtlich auf bis zu 2 500 Euro aufgestockt werden. Das tun wir, weil wir insbesondere diejenigen finanziell würdigen wollen, die an der vordersten Linie gegen das Virus um das Leben schwerst an Covid-19 Erkrankter gekämpft haben.
Im Bereich der Alten- und Langzeitpflege erhalten alle Beschäftigten von rund 30 100 Pflegeeinrichtungen die Prämie nach einem bereits erprobten Verteilungsschlüssel. Wir würdigen damit die Leistung von unzähligen Pflegerinnen und Pflegern in Altenheimen, die mit deutlich erhöhtem Aufwand und deutlich höherer Belastung Menschen während der Pandemie betreut, versorgt und gepflegt haben. Vollzeitbeschäftigte Pflegekräfte erhalten hierbei den höchsten Bonus in Höhe von bis zu 550 Euro. Aber auch Auszubildende, Freiwilligendienstleistende, Helferinnen und Helfer im Freiwilligen Sozialen Jahr und Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Servicegesellschaften haben Anspruch auf einen gestaffelten Bonus. Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang: Im Rahmen des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes sollen sämtliche dieser Prämien steuer- und sozialversicherungsfrei sein – auch das ein klares Zeichen für Wertschätzung.
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Für meine Fraktion kann ich ferner erklären, dass wir uns diese Steuer- und Beitragsfreiheit auch für freiwillig gezahlte Prämien vorstellen können, so zum Beispiel für Beschäftigte im Rettungsdienst oder MFAs in Arztpraxen. Im weiteren parlamentarischen Verlauf werden wir das sicherlich noch klären können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor meinem politischen Werdegang war ich im Klinikum Braunschweig in der Neurochirurgie tätig. Bis heute halte ich engen Kontakt zu den Beschäftigten, insbesondere in der Pflege. Eine davon ist Marion Steiner, eine ehemalige Kollegin auf der Intensivstation CHIPS. Mit dem Ausbruch der Pandemie hatte sie täglich mit immensen Belastungen zu tun. Neben der Versorgung von intubierten Covid-19-Erkrankten, die um ihr Leben kämpften, musste sie auch unzählige zusätzliche Dienste übernehmen. Ohne Menschen wie Marion hätten wir diese Krise nicht bewältigen können.
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Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen waren und sind die kritische Infrastruktur, die unser Land am Laufen gehalten hat. Genau diese Leistung und genau diesen Einsatz wollen wir auch in Zeiten knapper Kassen mit diesem Pflegebonusgesetz würdigen.
Mit Marion bin ich mir einig: Der Pflegebonus ist kein Allheilmittel. Wir können und werden es nicht dabei belassen. Strukturelle und nachhaltige Verbesserungen in der Pflege sind dringlicher denn je. Eine bessere Bezahlung von Pflegekräften, eine Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bessere Entwicklungsmöglichkeiten gehören elementar dazu. Im Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ haben wir uns genau darauf verständigt; denn gute Pflege ist eine immer wichtiger werdende Stütze unserer Gesellschaft, ein Gebot des Respekts. Und Pflegekräfte, so wie Marion, sollten es uns wert sein.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Herr Bystron, wenn Sie die Mund-Nasen-Bedeckung auch über die Nase ziehen würden. – Danke.
Als nächste Rednerin erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Simone Borchardt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ampel hat mit dem Entwurf für ein Pflegebonusgesetz einen Vorschlag zur Verbesserung der Situation in der Pflege vorgelegt. So weit alles gut. Auch wir als Union sind selbstverständlich der Auffassung, dass die Pflegenden in Deutschland deutlich mehr Wertschätzung verdienen, insbesondere in finanzieller Hinsicht, und das nicht erst seit der Coronapandemie.
Für die rund 4,6 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland sind die 1,2 Millionen Menschen in der Pflege eine unverzichtbare Stütze. Die Zahl der Pflegenden hält aber mit dem Anstieg der Pflegebedürftigen nicht Schritt, da die Attraktivität des Pflegeberufes gerade während der Coronapandemie stark gelitten hat. Als Geschäftsführerin einer Pflegeeinrichtung kann ich Ihnen sagen, dass dabei die einrichtungsbezogene Impfpflicht eine große Rolle spielt.
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Sehr geehrte Damen und Herren, angesichts der vielfältigen Herausforderungen hat sich die Union bereits in der Vergangenheit erfolgreich für spürbare Veränderungen in der Pflege eingesetzt.
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Wir haben mit unserer letzten Pflegereform für höhere Vergütungen im Pflegebereich gesorgt
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und damit einen wichtigen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung dieses Berufes geleistet.
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Und da wir das Thema ganzheitlich betrachten, haben wir auch die Pflegebedürftigen und deren Angehörige deutlich entlastet; denn seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt die Begrenzung des Eigenanteils für Pflegebedürftige in den stationären Einrichtungen.
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Für die Pflegekräfte in den stationären und ambulanten Pflegebereichen gilt zudem ab dem 1. September 2022 eine verpflichtende Tarifentlohnung.
Das sind alles strukturelle Verbesserungen, die die Union auf den Weg gebracht hat.
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Damit sind natürlich nicht alle bestehenden Probleme gelöst, und weitere Schritte sind notwendig. Deshalb begrüßen wir Ihre Initiative natürlich. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.
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Der von Ihnen vorgesehene Pflegebonus ist keine strukturelle Verbesserung im System, und daher wird er die Attraktivität der Pflegeberufe nicht wirklich verbessern. Wir brauchen keinen Tropfen auf den heißen Stein. Vielmehr sind nachhaltige Investitionen in die Verbesserung von Rahmenbedingungen vonnöten. Deutlich mehr Investitionen in die Qualifizierung von Fachpersonal sind ganz dringend geboten.
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Wir müssen das Thema Pflege neu denken und dürfen dabei die Angehörigen nicht aus dem Blick verlieren; denn die vollbringen Höchstleistungen.
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Der Pflegebonus soll offenbar als Anerkennung der im Gesundheitsbereich tätigen Männer und Frauen während der Pandemie verstanden werden. Warum, bitte schön, lassen Sie dann die Medizinischen Fachangestellten, die Zahnmedizinischen Fachangestellten und die Beschäftigten im Rettungswesen außen vor? Wir haben nur gehört: „vielleicht“, „wenn“ oder „aber“. Diese Fachkräfte haben während der Coronapandemie unter großem persönlichem Risiko den regulären Betrieb in den Praxen aufrechterhalten. Sie sorgten dafür, dass die ambulante Versorgung weiterhin funktionierte, dass Testungen fachgerecht durchgeführt werden konnten und auch die Impfkampagne sauber gestartet und durchgeführt werden konnte. Sie stehen täglich im Geschehen und bekommen keinerlei angemessene Wertschätzung, auch nicht mit diesem Entwurf.
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Die Herausforderungen sowohl in der Pflege als auch im Gesundheitsbereich sind vielfältig. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass alle Akteure im Gesetzesvorhaben berücksichtigt werden sollten. Das ist unser Anliegen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsparteien, Ihr Gesetzentwurf ist nicht ganzheitlich gedacht. Er löst keine Probleme struktureller Art, und er schließt für uns wichtige Leistungsträger im Gesundheitswesen von den Zahlungen aus. Gleichwohl ist die geplante Einmalzahlung sehr bürokratisch und unnötig kompliziert.
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Angesichts des heutigen Weltgesundheitstages ist das alles andere als rühmlich. Wir fordern Sie auf, hier nachzuarbeiten – dann haben Sie uns an Ihrer Seite –, indem Sie auch alle anderen Leistungsträger berücksichtigen. Genau aus diesem Grund werden wir diesem Gesetzentwurf so nicht zustimmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen Kordula Schulz-Asche.
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Frau Präsidentin! Frau Kollegin Borchardt, ich glaube schon, dass es ziemlich schwer ist, wenn man 16 Jahre lang regiert hat, die Zustände, die wir derzeit in der Pflege haben, so zu adressieren, wie Sie es gerade getan haben.
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Ich möchte Sie daran erinnern, dass zwei CDU-Minister in den letzten Legislaturperioden das Amt innehatten.
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Sie haben zusammen mit der SPD regiert, die Sie gar nicht erwähnt haben. Das heißt – deswegen gehe ich auch noch mal kurz darauf ein –, es gibt natürlich einige Maßnahmen, die gerade im letzten Jahr beschlossen wurden, um die Situation in der Pflege zu verbessern. Aber, meine Damen und Herren, auch in Ihrer Regierungszeit ist ein Pflegebonus beschlossen worden. Von daher: Hier so zu tun, als wäre das jetzt alles unzureichend, ist falsch.
Wir können auch gerne darüber sprechen, ob in diesem Pflegebonusgesetz jetzt Fehler enthalten sind oder es anders hätte gemacht werden müssen. Aber der erste Pflegebonus hat schon zu sehr viel Unmut geführt, und wir hoffen, dass das mit diesem zweiten Pflegebonus nicht der Fall sein wird, weil wir ihn einfach besser organisiert haben, als Sie es damals, in Ihrer Regierungszeit, mit Ihren Ministern getan haben.
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Meine Damen und Herren, wir reden über einen Gesetzentwurf für einen Pflegebonus als Anerkennung für die Arbeit von Pflegenden seit Beginn der Pandemie und besonders in der Delta-Welle, die wir im Winter hatten. Wir haben einen deutlich erhöhten Aufwand, deutlich erhöhte Belastungen bei den Pflegenden, die die Menschen in den Krankenhäusern und in den Pflegeeinrichtungen gepflegt, betreut und versorgt haben. Dafür stellen wir 1 Milliarde Euro in den Bundeshaushalt ein, die jeweils hälftig an die Krankenhäuser und an die Langzeitpflege ausgezahlt werden und sozialversicherungs- und steuerfrei gestellt werden sollen, damit diese Prämien auch tatsächlich bei den Menschen vor Ort ankommen.
Insbesondere die belasteten Krankenhäuser – das sind insgesamt 837 in Deutschland – können diese Prämien an ihre Pflegekräfte auszahlen und für die Intensivpflege einen Aufschlag von 50 Prozent obendrauf legen, weil natürlich in der Intensivpflege die Belastung besonders hoch war.
In der Langzeitpflege ist vorgesehen, dort einen bereits erprobten Schlüssel zu benutzen. Deswegen werden Vollzeitbeschäftigte in der Pflege einen Bonus von bis zu 550 Euro erhalten, aber auch andere Berufsgruppen: Wir haben Auszubildende, wir haben Freiwilligendienstleistende, wir haben Helfer/-innen im Freiwilligen Sozialen Jahr, wir haben Leiharbeiter/-innen, wir haben Personal- und Servicegesellschaften. Auch diese werden einen Bonus erhalten.
Aber, meine Damen und Herren, Boni werden an der zum Teil katastrophalen Situation, die wir in der Pflege haben, nichts ändern. Wir brauchen dringend eine Strukturreform, die in den letzten 16 Jahren versäumt wurde,
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eine Strukturreform, die auf Prävention von Pflegedürftigkeit setzt, die die Angehörigen unterstützt, die Tages- und Kurzzeitpflegeangebote – um nur ein Beispiel zu nennen – aufbaut, damit es tatsächlich zu einer Entlastung, zu einer besseren Pflege vor Ort kommt. Um das zu realisieren, brauchen wir ausreichend und gut qualifiziertes Pflegepersonal. Deswegen müssen wir jetzt schauen, wie wir dieses Personal gewinnen können.
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Das geht nur, meine Damen und Herren, mit einer Aufwertung der Pflege, mit mehr Eigenverantwortung, mit besseren Arbeitsbedingungen, mit Tariflöhnen und insbesondere in der Altenpflege überhaupt höheren Gehältern. Attraktiver müssen wir diesen Beruf machen: mit Familienfreundlichkeit und
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mit einem guten System von Aus-, Fort- und Weiterbildung. Das, meine Damen und Herren, steht jetzt an.
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Denn Pflege ist für diese Bundesregierung ein Schwerpunkt in der Arbeit.
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Wir müssen mehr Menschen für die Pflegeberufe gewinnen, um gute Pflege in den nächsten Jahrzehnten sicherstellen zu können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute endlich sprechen wir über den Pflegebonus, den viele Pflegekräfte nun jedoch leider als Hohn empfinden müssen. Der Pflegebonus kommt nämlich genau zu dem Zeitpunkt, ab dem Tausende Beschäftigte im Krankenhaus, im Pflegebereich in einem vakanten Beschäftigungsverhältnis arbeiten. Vakant deshalb, weil der Staat brutal in das Selbstbestimmungsrecht dieser Mitarbeiter eingreift.
Gerade jetzt müssen Tausende von ungeimpften Mitarbeitern von ihren Arbeitgebern an die Gesundheitsämter gemeldet werden. Da spielt es keine Rolle, ob diese Menschen in den vergangenen Jahren eine aufopferungsvolle Tätigkeit am Patienten ausgeübt haben und dafür kürzlich noch vom Balkon aus beklatscht wurden.
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Heute ist nur entscheidend, ob sie sich eine Injektion setzen lassen oder nicht. Die persönliche Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, haben sich viele dieser Pflegekräfte mit Sicherheit nicht einfach gemacht. Jedoch erleben sie oft an den Patienten, dass Risiko und Nutzen dieser Injektionen in einem eklatanten Missverhältnis stehen.
Doch nun zum Pflegebonus, bei dem es darum geht, Menschen etwas zurückzugeben für eine Leistung, die sie täglich erbringen, mit großer Energie und mit ganzem Herzen. Was Monate zur Formulierung brauchte, liest sich wie eine Rechenaufgabe einer Mathematikklausur. Ich gehe kurz auf Einzelheiten ein.
550 Euro sollen Mitarbeitern zugeteilt werden, die schwerpunktmäßig in der direkten Pflege und Betreuung von Pflegebedürftigen arbeiten. Nur 370 Euro erhalten alle weiteren Mitarbeiter, die in der Einrichtung tätig sind. Dies können zum Beispiel Beschäftigte aus der Verwaltung, der Küche oder auch aus der Garten- und Geländepflege sein, wenn sie – so wörtlich – „mindestens 25 Prozent ihrer Arbeitszeit gemeinsam mit Pflegebedürftigen tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig sind“.
Ich frage mich: Wer denkt sich solche Zahlen aus?
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Wie legt die Hausverwaltung fest, wer von der Garten- und Geländepflege mindestens 25 Prozent der Arbeitszeit gemeinsam mit Pflegebedürftigen tagesstrukturierend – usw. – verbringt oder nicht? Geht es noch komplizierter? In jedem Wahlkampf spricht man vom notwendigen Bürokratieabbau. Doch was entsteht, wenn Ministerialbeamte ein Gesetz schreiben? Fast immer ein kompliziertes und bürokratisches Monster.
Ist die Regierung nicht in der Lage, ein Gesetz zum Beispiel auf diese Art zu formulieren: „Die Beschäftigten, die schwerpunktmäßig in der direkten Pflege und Betreuung von Patienten arbeiten, erhalten für ihre Tätigkeit einen steuer- und abgabenfreien Bonus von 2 500 Euro. Alle anderen Beschäftigten, die nicht direkt am Patienten oder Pflegebedürftigen arbeiten, die aber für die Aufrechterhaltung der Einrichtung ebenfalls notwendig sind, erhalten diesen Bonus anteilig“?
Während die Rüstungsindustrie jetzt mit 100 Milliarden Euro gefördert wird, verhöhnt die Bundesregierung all diejenigen, die sich seit Jahren für den Dienst am Menschen aufopfern.
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So schafft man es gewiss nicht, die Attraktivität der Pflegeberufe zu erhöhen und dem Pflegenotstand zu begegnen. Deshalb fordere ich einen Pflegebonus, der seine Empfänger entsprechend würdigt.
Diesen Bonus müssen alle erhalten und nicht nur diejenigen, die in einem Krankenhaus gearbeitet haben, in dem in einem Jahr mehr als zehn mit dem Coronavirus infizierte Patienten behandelt und diese jeweils mehr als 48 Stunden beatmet wurden; so steht es nämlich im Entwurf. Was unterscheidet eine Pflegekraft, die in einem Krankenhaus gearbeitet hat, in dem nur neun Patienten innerhalb von zwölf Monaten mehr als 48 Stunden beatmet wurden, von einer Pflegekraft, die in einem Krankenhaus mit elf beatmeten Patienten gearbeitet hat?
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Kann diese Regierung, die ständig von Gerechtigkeit redet, nicht einfach ein unkompliziertes Gesetz machen, welches an die Mitarbeiter denkt? Aber wahrscheinlich denke ich da zu pragmatisch und volksnah. Deshalb: Machen Sie aus diesem theoretisch gut gemeinten Gesetz bitte auch ein praktisch gutes Gesetz! Dann werden wir diesem auch mit Freude zustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als Nächstes erhält für die FDP-Fraktion die Kollegin Kristine Lütke das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen die Bilder von den Krankenhausfluren in Bergamo in Italien, auf denen völlig erschöpfte Pflegekräfte zu sehen sind. Und wir alle erinnern uns, wie anders und merkwürdig Weihnachten und Geburtstage in den letzten beiden Jahren waren, an denen wir Angehörige, die krank oder pflegebedürftig waren, nicht besuchen konnten.
Einige von uns haben vielleicht anfangs wirklich am Fenster gestanden und applaudiert. Das war eine schöne Geste, und auch mich hat sie berührt. Gleichzeitig weiß ich aus eigener, persönlicher Erfahrung: Die Pflege braucht viel mehr als Applaus.
Als Pflegeunternehmerin habe ich insbesondere die erste Zeit der Pandemie sehr intensiv und hautnah erlebt. Eine gute Pflege für meine Bewohnerinnen und Bewohner unter den extremen Umständen der Pandemie zu gewährleisten, das konnte ich nur mit dem Fachwissen und vor allem der großen Bereitschaft meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Von der Pflegedienstleiterin über die Pfleger, über Reinigungskräfte, den Hausmeister oder das Küchenpersonal – alle haben das eigene Privatleben, die eigene Familie zurückgestellt. Pflegekräfte wurden noch mehr zu seelischen Unterstützern, zu Therapeuten, zu Ersatzfamilien. Und sie sehen, wenn dringender Handlungsbedarf besteht.
In meiner Einrichtung lebt eine alte Dame, die bereits stark an Demenz leidet. Vor Corona besuchte ihr Mann sie jeden Tag und hat sie in den Arm genommen. Sie hat ihn erkannt, sich gefreut, und sie ist aufgeblüht. Bereits in der ersten Woche der Pandemie, als der alte Herr jeden Tag kam, um ihr wenigstens noch durchs Fenster zuzuwinken, aber nicht mehr ins Haus durfte, sprach mich eine Mitarbeiterin an – sehr besorgt.
Mit ihrem geschulten Blick hatte sie schon nach wenigen Tagen gemerkt, dass die alte Dame stark abbaute: Sie konnte sich viel schlechter orientieren, sie erkannte ihren Mann auf der anderen Seite des Fensters nicht mehr, sie verlor jegliche Lebensfreude. Ihr fehlte die physische Begegnung, die Umarmung. Verstärkt haben die Pflegekräfte die alte Dame also in den Arm genommen, beim Sprechen ihre Hand gehalten und ihren Arm berührt. Und das alles in einer Extremsituation, auch dann, wenn es wieder ein paar Minuten extra waren, für die eigentlich gar keine Zeit war.
Warum berichte ich davon so ausführlich? Mir geht es darum, noch einmal deutlich zu machen, dass Applaus nicht genug ist und dass wir endlich echte Anerkennung für diese Berufe brauchen.
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Pflegende kümmern sich nicht nur um diejenigen, die ihre Unterstützung und Expertise akut brauchen, sondern sie leisten einen Dienst an der Gesellschaft. Das müssen wir honorieren, und zwar mit einem ganz anderen Bewusstsein und einem anderen grundsätzlichen Stellenwert dieser Berufe in unserer Gesellschaft, ganz unabhängig von der Pandemie. Deswegen wollen wir als Koalition die Arbeitsbedingungen und die Anerkennung der Pflegeberufe verbessern. Das steht schwarz auf weiß in unserem Koalitionsvertrag. Dafür haben wir konkrete Vorhaben, die wir auch umsetzen.
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Deshalb sprechen wir heute hier über den Pflegebonus. Wir haben dafür im Koalitionsvertrag 1 Milliarde Euro vereinbart. Damit würdigen wir die herausragende Leistung der Pflegekräfte während der Pandemie. Das ist gut, und das ist richtig. Aber das ist natürlich nicht genug; denn gute Arbeitsbedingungen gehen weit über die Bezahlung hinaus. Jeder aus der Praxis weiß doch, dass es im Alltag eigentlich immer wieder um eines geht, nämlich die Verlässlichkeit des Dienstplanes. Ein „Frei“ muss auch ein „Frei“ bleiben, um sich zwischen den Diensten zu erholen.
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Dazu benötigen wir ausreichend Personal und einen bedarfsgerechten Qualifikationsmix ebenso wie Springerpools. Wir müssen auch die Möglichkeiten der Digitalisierung viel stärker nutzen. Und wir brauchen familienfreundlichere Arbeitszeiten, mehr Karrierechancen durch Weiterbildungen und Akademisierung. Letzteres ist vor allem für die Anerkennung des Berufs wichtig. Pflegende – ob nun in Krankenhäusern oder in Alten- und Pflegeheimen – sind heute schon hoch qualifiziert; denn Pflege ist eben nicht nur ein Job, der körperlich und emotional fordernd ist, sondern ein Beruf, in dem neben ausgeprägten Soft Skills psychologisches, pflegerisches, medizinisches und organisatorisches Fachwissen gefragt ist.
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Werte Kolleginnen und Kollegen, Pflege ist eine hochkomplexe Profession, die so viel mehr verdient hat als nur Applaus. Dafür setzen wir uns als Koalition ein. Mit dem Pflegebonus machen wir einen ersten Schritt in diese Richtung.
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Für die Fraktion Die Linke erhält das Wort der Kollege Ates Gürpinar.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollegin Schulz-Asche, ich muss Ihnen leider mitteilen: Ihr Gesetzentwurf wird Unmut in der Belegschaft erzeugen, wenn Sie ihn durchsetzen. Warum? 1 Milliarde Euro klingt viel – Kollege Pantazis hat es mit 1 000 Millionen Euro versucht, damit es nach ein bisschen mehr klingt –, aber das reicht nicht aus. Wenn man anfängt, es aufzuteilen, muss man eine Auslese betreiben; ich will es nicht „Spaltung der Belegschaft“ nennen, aber in diese Richtung geht es. Wenn Sie beim Bonus für die Intensivpflegerinnen und ‑pfleger noch auf die 2 500 Euro kommen wollen, dann müssen Sie ein paar Kolleginnen und Kollegen weglassen. Ein Drittel der in den Krankenhäusern beschäftigten Pflegekräfte wird einfach weggelassen durch Ihre Regelungen, wer im Krankenhausbereich berücksichtigt wird und wer nicht.
Sie unterscheiden zwischen der Langzeitpflege – diese Pflegekräfte bekommen 550 Euro – und der stationären Pflege; sie bekommen ungefähr 1 700 Euro. Das ist, gelinde gesagt, eine Frechheit; denn Beschäftigte in der Langzeitpflege verdienen sowieso schon weniger.
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Sie lassen die Medizinischen Fachangestellten außen vor, Sie lassen die Zahnmedizinischen Fachangestellten außen vor, und Sie lassen die Rettungsdienste außen vor. Den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU sei gesagt: Wir haben einen solchen Antrag im Dezember 2021 eingereicht, über den namentlich abgestimmt wurde. Ich habe nachgeschaut: Sie haben nicht zugestimmt. Ich glaube, auch dieser Gesetzentwurf wird sich so nicht durchsetzen. Wenn Sie unsere Idee gut gefunden hätten, hätten Sie auch unserem Antrag zustimmen können. Das haben Sie nicht gemacht. Deswegen scheint mir das eher eine Markierung zu sein, als dass Sie es wirklich ernst meinen.
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Am allerinteressantesten ist ein Bereich, der quasi Langzeitpflege und Krankenhauspflege umdreht; denn Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden zwar in der Langzeitpflege berücksichtigt, aber bei den Krankenhäusern interessanterweise nicht. Auch die Pflegehilfskräfte werden in der Langzeitpflege berücksichtigt, bei den Krankenhäusern aber nicht. Insofern glaube ich schon, dass das ein bisschen Unmut erzeugen wird. Das Problem ist: Es ist schlicht und ergreifend zu wenig.
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Seit kurzer Zeit wissen wir auch: 1 Milliarde kann viel klingen, 1 000 Millionen kann viel klingen; aber 100 Milliarden Euro sind eben doch ein bisschen mehr. Weil schon jemand diese Zahl genannt hat, möchte ich auf eine andere Zahl hinweisen. Im letzten Jahr wurden Hilfen in Höhe von 130 Milliarden Euro für die Wirtschaft bereitgestellt. Davon hat auch BMW profitiert, und die hatten 1,64 Milliarden Euro Dividende ausgezahlt. Davon haben welche profitiert, die es nun wirklich nicht gebraucht haben. Und für die Pflegekräfte ist 1 Milliarde Euro übrig. Und dann bitte noch mal ganz viel klatschen, liebe Kolleginnen und Kollegen; das wird wohl reichen.
Den Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in NRW in die Tarifverhandlungen gehen, sage ich: Klatschen reicht nicht, es braucht eine richtige Auseinandersetzung. Denn die Koalition wird das nicht regeln. Das schaffen wir nur alle gemeinsam. Wir werden euch unterstützen, dass dabei etwas herauskommt wie bei Vivantes in Berlin, wie bei der Charité. Das werden wir gemeinsam schaffen. Vielen Dank! Viel Erfolg für die Kolleginnen und Kollegen in NRW!
Vielen Dank fürs Zuhören.
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Die nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion die Kollegin Tina Rudolph.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Ich würde Sie gern zur Genese des Pflegebonus noch einmal in das Jahr 2020 mit zurücknehmen wollen. Es gab eine erste Viruswelle, und es gab eine zweite. In den Krankenhäusern haben die Menschen rund um die Uhr und unter massivsten Belastungen gearbeitet, damals teilweise ohne ausreichende persönliche Schutzausrüstung, weil es diese schlicht nicht mehr gab, und ohne die Möglichkeit der Impfung, um sich selbst zu schützen.
Auch in Pflegeeinrichtungen und in den Diensten der ambulanten Pflege, in den Einrichtungen der Wiedereingliederungshilfe haben die Menschen extrem hart, extrem viel und unter hohen persönlichen Risiken gearbeitet. Auch der Rettungsdienst ist nach wie vor in jede Wohnung gegangen. Da wurde nicht gefragt, ob jemand Corona haben könnte, ob jemand ansteckend ist und ob man sich einem persönlichen eigenen Risiko aussetzt, sondern das wurde gemacht, einfach weil es selbstverständlich war.
Es war und ist für die Fachkräfte im Gesundheitssystem eine enorme doppelte Belastung; denn zu den beruflichen Belastungen kommen die gleichen persönlichen Herausforderungen hinzu, die wir alle in unserem Alltag in den letzten Jahren gespürt haben: die Sorgen, die Ängste, die Herausforderungen, auch im Privatleben, in der Familie, wenn zum Beispiel die Kitas und die Schulen geschlossen hatten.
Viele Firmen haben in den letzten beiden Jahren die Möglichkeit genutzt, ihren Mitarbeitenden Boni zu zahlen; auch der öffentliche Dienst hat von Coronaprämien profitiert. Für diese Zahlungen gab es Steuerfreibeträge. Die hohen Belastungen im Arbeitsalltag sollten damit wertgeschätzt werden. Aber ausgerechnet in den sozialen Bereichen war es nicht immer möglich, diese Anerkennung finanziell auszudrücken. Und ausgerechnet für die Pflege war es zunächst nicht möglich, diese Anerkennung finanziell zum Ausdruck zu bringen. Im Jahr 2021 gab es dadurch bereits zwei staatliche Coronaprämien: für die Alten- und für die Krankenpflege. Sie hatten damals schon ein Volumen von 800 Millionen Euro. Einige Berufsgruppen haben damals die Verteilung als nicht ganz glücklich empfunden. Es war auch so, dass nicht alle Pflegekräfte davon profitiert haben und dass die Höhe der Prämie sehr unterschiedlich gestaltet war.
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag deswegen jetzt noch einmal einen Pflegebonus angelegt, er ist diesmal mit 1 Milliarde Euro, den 1 000 Millionen Euro, unterlegt. Er soll dazu dienen, die kontinuierliche Belastung und die außerordentliche Leistung, die auch im dritten Jahr der Pandemie stattfindet, zu honorieren. Das ist ein großer Betrag.
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Es könnte auch wieder so sein – das legen erste Stellungnahmen tatsächlich nah –, dass damit nicht allen Wünschen entsprochen und Rechnung getragen wird, was den Bezugskreis angeht, und dass sich auch andere Berufsgruppen wünschen, einbezogen zu werden. Das kann ich nur allzu gut verstehen, und das parlamentarische Verfahren wird zeigen, was hier noch möglich ist.
Man muss aber betonen, dass wir hier einen Pflegebonus diskutieren, für den die Regierung einen großen finanziellen Rahmen zur Verfügung stellt. Damit setzen wir ein wichtiges Signal der Anerkennung und wissen gleichzeitig, dass es nicht bei einzelnen Signalen bleiben darf;
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denn wir haben ein strukturelles Problem. Uns fehlen die Pflegekräfte. Uns fehlt dort der Nachwuchs. Soziale Berufe, vor allem die Pflege, müssen endlich aufgewertet werden. Dazu gehören eine gute Bezahlung und wesentliche Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen. Das ist dann die wirkliche und nachhaltige Entlastung und die tatsächliche Anerkennung für all das, was die Menschen in den letzten Jahren für uns geleistet haben und auch weiterhin leisten, und dem sind wir in diesem Haus verpflichtet.
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In Zukunft darf es in der Pflege nicht mehr darum gehen, ein viel zu kurzes Tischtuch hin- und herzuschieben. Wir müssen dafür sorgen, dass auf diesem Tisch etwas Substanzielles liegt: angemessene Personalbemessungsinstrumente – die PPR 2.0 steht im Koalitionsvertrag, und sie muss kommen –, angemessene Bezahlung, kein finanzielles Ausspielen der Altenpflege gegen die Krankenpflege, gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, Entlastungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit und eine generelle Stärkung der Profession Pflege mit ganz konkreten Dingen, zum Beispiel durch ein Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss.
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Der Pflegebonus, meine Damen und Herren, ist nicht das Ende, keine singuläre Anerkennung, sondern der Pflegebonus ist unser Anfang. Ich wünsche uns gute weitere Beratungen. Wir schauen, was möglich ist.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank. – Und als nächste Rednerin in dieser Debatte erhält Diana Stöcker für die CDU/CSU das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit vielen Monaten warten die Beschäftigten in der Pflege auf den angekündigten neuen Pflegebonus. Sie haben sich diesen ebenso verdient wie die Beschäftigten im Rettungswesen und die Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten. Der Gesetzentwurf der Koalition ist nicht nur zu bürokratisch, sondern auch zu zaghaft. Sie haben nicht nur wesentliche Berufsgruppen schlicht vergessen; Sie haben auch die Chance verpasst, Einrichtungen mit Pflegekräften selbstständig einen steuerfreien Bonus auszahlen zu lassen und damit ein eigenes attraktives Instrument zur Mitarbeitermotivation und Anerkennung an die Hand zu geben.
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In den Einrichtungen brennt die Hütte. … Viele Pflegeeinrichtungen sind personell am Ende. … Der Bogen ist deutlich … überspannt.
So warnt Thorsten Mittag, Referent Altenhilfe und Pflege beim Paritätischen Gesamtverband, und als Gründe benennt er hohe Personalausfälle aufgrund von Omikron und die Belastung der verbliebenen Pflegekräfte, aufgezehrte Resilienzreserven und eine pessimistische Grundstimmung der Mitarbeiter, unbeantwortete Fragen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht, Überlastungsanzeigen der Einrichtungen, die bei den Pflegekassen ins Leere laufen.
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Die Politik müsse daher – so eine Forderung – „die Priorität jetzt auf den aktuellen personellen Notstand legen“.
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Es braucht daher mehr als einen staatlichen Pflegebonus. Es braucht grundsätzlich wieder mehr Anerkennung und Attraktivität des Pflegeberufes, damit sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden und damit die in der Pflege Tätigen im Beruf verbleiben. Es braucht aber auch ein auf die Zukunft gerichtetes Sofortprogramm für mehr Pflegekräfte. Hier nur drei Maßnahmen von vielen möglichen, die unmittelbar wirken würden:
Erstens: sofortige Anerkennung von qualifizierten Berufsabschlüssen im Pflegebereich aus dem Ausland. Es kann nämlich nicht sein, dass eine Pflegekraft aus Finnland mit einer dreijährigen Ausbildung in Deutschland keine Anerkennung bekommt, aber in der Schweiz sofort als Pflegekraft anerkannt und angestellt wird.
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Zweitens. Quereinsteigerfachkräfte, zum Beispiel Medizinische Fachangestellte, die über zertifizierte medizinische Qualifikationen und Berufserfahrungen verfügen, wie zum Beispiel Wundverbände anlegen und Spritzen geben, müssen dies auch bei einem Umstieg in die Pflege tun dürfen.
Und vor allem drittens. Es braucht die wirklich berufsständische Anerkennung der Pflegeberufe, damit diese selbstbestimmt und in eigener beruflicher Verantwortung Pflege gestalten und durchführen können. Reduzieren Sie die Überbürokratisierung der Pflege, und ermöglichen Sie so die Freigabe von Ressourcen, damit Pflegepersonen das tun können, was sie gelernt haben, nämlich pflegen!
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Der personelle Notstand in der Pflege ist sofort anzugehen. In der Arbeitsplanung des Gesundheitsministeriums für dieses Jahr ist davon aber nichts zu sehen.
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In der Pflege brennt personell die Hütte. Fangen Sie an, das Feuer zu löschen! Greifen Sie als Bundesregierung die Ideen auf und ruhen Sie sich nicht auf einem Pflegebonus aus, der zu kurz greift!
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Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält für Bündnis 90/Die Grünen Saskia Weishaupt das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitsaufwand, Abläufe und Gesundheitsrisiko haben sich für die Menschen in den Gesundheitsberufen durch die Pandemie drastisch verändert. Diese Mehrbelastung ist überall spürbar. Was wir jetzt mit dem Pflegebonus auf den Weg bringen, kann nur ein nettes Extra sein. Aber weil wir die Arbeit dieser Menschen wirklich wertschätzen, ist das nur ein erster Schritt. Wir als Koalition gehen die strukturellen Probleme in diesen Berufen in den nächsten Jahren endlich an.
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Es ist mir persönlich ein großes Anliegen, auch auf die Berufsgruppen hinzuweisen, die jetzt nicht von den Bonuszahlungen profitieren, aber alles dafür getan haben, dass wir gut durch diese Pandemie kommen: die Notfallsanitäterin, die die Erstversorgung der Coronapatienten garantierte und sie sicher ins Krankenhaus brachte,
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der Logopäde, der seine Patientinnen und Patienten nach einer Intubation mit Sprech- und Schlucktraining therapiert hat, die Physiotherapeutin, die Long-Covid-Patienten mit Bewegungstherapie wieder fit für den Alltag gemacht hat, oder die vielen, vielen Medizinischen Fachangestellten, ohne die es einfach nicht möglich gewesen wäre, so viele Menschen zu impfen.
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Sie alle haben eines gemeinsam: Sie werden im öffentlichen Diskurs oft vergessen. Aber sie verdienen genauso unsere Aufmerksamkeit und unseren politischen Tatendrang.
Der Pflegebonus ist gut. Aber wenn nichts weiter passiert und wir uns darauf ausruhen, dann wird er zur Symbolpolitik. In den nächsten Jahren wollen wir als Koalition ein krisenfestes Gesundheitswesen aufbauen. Das heißt: Wir verbessern das Mitspracherecht der Gesundheitsberufe, geben ihnen mehr Verantwortung und endlich mehr Kompetenzen.
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Wir wollen das Gesundheitswesen und seine verschiedenen Berufsgruppen zusammendenken. Denn seien wir ehrlich: Das stärkt uns alle.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen hatte ich ein Treffen mit dem Rabbiner Jeremy Borovitz. Er ist Überlebender des Anschlags in Halle und Vorsitzender einer jüdischen Studierendenorganisation in Berlin. Seine Mitstreiter/-innen und er haben nach dem Ausbruch des Angriffskrieges Studierende aus der Ukraine aufgenommen. Darunter sind auch Personen aus Nigeria, die als Drittstaatler/-innen, anders als ukrainische Staatsangehörige, in Deutschland bisher keinen Anspruch auf einen Schutzstatus haben, obwohl sie vor demselben Krieg fliehen mussten und obwohl auch ihre Pläne und Existenzen durch den Krieg zunichtegemacht wurden.
Ich habe mit drei wunderbaren Menschen gesprochen, die gerne ihr Studium in Deutschland fortsetzen möchten. Esther und Emmanuel wollen ihr Medizinstudium beenden, und Gottfried möchte an der Technischen Universität in München weiterstudieren. Sie sind hochmotiviert, aber die deutsche Bürokratie legt ihnen bislang Steine in den Weg. Deshalb ist es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn die Bundesregierung die Übergangsverordnung für Geflüchtete aus der Ukraine bis zum 31. August verlängern möchte.
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Dadurch haben die Studierenden etwas mehr Zeit, sich auf Studienplätze zu bewerben und sich zu orientieren. Sie brauchen aber mehr als das; sie brauchen Rechtssicherheit. Viel besser wäre es daher, ihnen ebenfalls Schutz nach § 24 Aufenthaltsgesetz zu gewähren.
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Für die deutsche Gesellschaft würde das kaum einen Unterschied machen; aber für die drei und für viele andere würde das die Zukunft bedeuten.
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Diesen Menschen dürfen wir ihre Zukunft nicht nehmen; wir müssen sie ihnen ermöglichen. Deshalb müssen wir diese Schutzlücken schließen.
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In aller Kürze möchte ich auf zwei weitere Punkte eingehen. Bei der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz soll beschlossen werden, dass Geflüchtete aus der Ukraine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten sollen und nicht nach dem diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetz. Das begrüßen wir ausdrücklich, und es wäre ein Riesenskandal, wenn das jetzt nicht klappen würde.
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Diese Verbesserung muss aber für alle Geflüchteten gelten. Es ist höchste Zeit, dass das verfassungswidrige Asylbewerberleistungsgesetz in Gänze abgeschafft wird.
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Letzter Punkt. Mich haben in den letzten Tagen mehrere Hilferufe von Oppositionellen aus Russland erreicht. Sie mussten fliehen, weil sie sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt oder gegen den Krieg protestiert haben. Jetzt sitzen sie in Drittstaaten fest. Am 16. März hat die Innenministerin hier in der Regierungsbefragung noch erklärt, dass auf europäischer Ebene Gespräche über Schutzangebote für russische Deserteure stattfinden. Das sind nette Worte; aber es müssen jetzt schnell konkrete Taten folgen.
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Vor allem braucht es humanitäre Visa, damit die Menschen sicher nach Deutschland gelangen können, und von diesem Schutz müssen auch Menschenrechtsaktivistinnen und ‑aktivisten profitieren, die mit ihrem Engagement gegen den Krieg ebenfalls hohe persönliche Risiken eingehen.
Vielen Dank.
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Es folgt für die SPD-Fraktion der Kollege Helge Lindh.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erzählen meistens die falsche Geschichte, und ich wünsche mir, dass wir in diesem Zusammenhang die richtige Geschichte erzählen.
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Als ich jüngst mit vielen Geflüchteten aus der Ukraine in meiner Stadt, in Wuppertal, ankam, hatte ein Hotel die Ankunft vorbereitet, Zimmer kostenlos gestellt, hatte ein Catering-Dienst, ohne Aufsehen zu machen, alles vorbereitet, um die Essensversorgung zu gewährleisten, hatte ein Bündnis von Sportvereinen aus einem ganz anderen Stadtteil dafür gesorgt, dass in dem Hotel Kinderspielzeug war, hatte ein deutsch-ukrainisches Netzwerk die Betreuung, Dolmetscherinnen und Dolmetscher gestellt. Das ist das Deutschland, das wir gegenwärtig in ganz überwiegendem Maße erleben, und das ist ein Deutschland, auf das wir stolz sein können und das uns auszeichnet.
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Dieses Deutschland, in dem Menschen gestresst sind durch die Pandemie und Sorgen haben aufgrund der Energiekosten, ist ein solches, das dennoch und gerade deswegen Solidarität zeigt. Das ist der Grund und das ist das Motiv, aus dem die Kommunen vernünftigerweise und selbstverständlich für eine vernünftige Finanzierung ihres Arbeitens kämpfen. Wir sind es ihnen schuldig, und deshalb ist alle Mühe notwendig, eine hinreichende Finanzierung sicherzustellen.
Es ist genau dieser Zweck entscheidend. Ich habe manchmal bei den Debatten den Eindruck, als ob wir die Finanzierung nur als instrumentelles Ziel begreifen würden, im typischen Spiel der Verantwortungszuweisung zwischen Kommunen, Ländern und Bund. Das ist sie aber nicht. Ich bitte darum und appelliere dringend, dass wir es diesmal noch besser als beim letzten Mal machen und es nicht – entschuldigen Sie den Ausdruck – versaubeuteln.
Damals, in der sogenannten Flüchtlingskrise 2014, 2015 und 2016, erlebten wir auch eine große Empathie und Begeisterung. Hoffentlich haben wir das nicht vergessen! Es war herausragend, wie sich die Menschen in diesem Land eingesetzt haben, wie sie Menschlichkeit ganz unprätentiös und selbstverständlich gezeigt haben. Es dauerte aber nicht sehr lange, bis das Kippen der Stimmung beschworen wurde. Das war aber nicht die Bevölkerung; das waren, wenn wir ehrlich sind, der politische und der mediale Bereich. Wenn wir aber immer ein Kippen beschwören, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Stimmung kippt.
Die Menschen aber und das, was sie hier in Berlin, in meiner Stadt, in so vielen Kommunen leisten, geben uns ein Beispiel, und wir müssen begreifen, was das für ein Geschenk ist, das uns die Bevölkerung dieses Landes gibt! Wir können stolz sein auf dieses Land. Wir sollten diese Solidarität als Motivation begreifen. Wir sollten gucken, dass wir die Schulen fitmachen, dass wir eine Infrastruktur in der sozialen Versorgung haben, dass wir die Kommunen entschulden, sodass das Engagement der Menschen glänzen kann. Für sie machen wir das – nicht für Kämpfer der Instrumentalisierung, nicht weil Menschen einfach Größen sind bei Registrierung und Finanzierung. Es geht hier um Lebewesen, gleich welcher Staatsangehörigkeit, um Menschen aus der Ukraine, die um ihr Leben kämpfen, die Schutz gefunden haben bei uns.
Das Putin-Regime – vergessen wir das nicht – will die Bevölkerung der Ukraine auslöschen, zum Teil wenigstens. Es will die Geschichte der Ukraine auslöschen, die Sprache auslöschen. Wir aber wollen, dass die Menschen in der Ukraine leben, dass die ukrainische Kultur leben kann und dass man, wenn man eine Heimat in der Ukraine hatte, egal welcher weiteren Herkunft man ist, hier in deutschen Kommunen gut gesichert und gut unterstützt eine neue Heimat finden kann. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort Markus Uhl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in meiner Heimatstadt und in meinem Wahlkreis, Homburg im Saarland, angekommen sind, da habe ich das Kardinal-Wendel-Haus besucht. Das ist ein ehemals kirchliches Haus, das kurzfristig zu einer Aufnahmestelle umfunktioniert wurde.
Eben wurde es hier schon geschildert: Es hat sich eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft gebildet, bei mir zu Hause und überall in Deutschland. Schülerinnen und Schüler, Kulturschaffende, Lehrerinnen und Lehrer, Unternehmerinnen und Unternehmer, viele engagierte Bürgerinnen und Bürger haben die Initiative ergriffen und viele Solidaritätsaktionen gestartet. Sie alle helfen dabei, die Situation vor Ort, die Situation für die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, besser zu machen. Sie helfen mit Spenden, mit Begleitungen bei Behördengängen oder auch mit einem neuen Zuhause auf Zeit.
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Durch ihr großes ehrenamtliches Engagement und den Einsatz der Kommunen gelingt es, die Lage in den Griff zu bekommen. Ich will an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an all diejenigen sagen, die da Tag für Tag mithelfen.
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Aber in den Gesprächen mit den Verantwortlichen und den Ehrenamtlichen vor Ort werden mir auch zahlreiche Probleme geschildert, und wir müssen Antworten auf diese Probleme liefern:
Erstens geht es um das Thema Registrierung. Wir müssen wissen, wer zu uns kommt; unsere Städte und Gemeinden müssen wissen, wer zu ihnen kommt, auch zum Schutz der Geflüchteten selbst. Dazu braucht es eine schnelle und zeitnahe Registrierung, idealerweise durch die Bundespolizei oder das BAMF an der Grenze oder in den Zügen.
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Damit diese Registrierung durchgeführt werden kann, meine Damen und Herren, braucht es die dazu erforderliche technische Ausstattung. Deshalb ist das Bundesinnenministerium an dieser Stelle gefordert, endlich dafür zu sorgen, dass überall da, wo wir es brauchen, die Registrierungsstationen vorhanden sind und dass das System auch fehler- und ausfallfrei läuft. Es kann nicht sein, wie bei uns erfolgt, dass die Registrierungen stundenlang dauern und die Menschen teilweise den ganzen Tag in der Warteschlange darauf warten, endlich registriert zu werden, und dann am Abend nach Hause geschickt werden, weil das System abgestürzt ist.
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Zweitens. Wir brauchen Planbarkeit und Verlässlichkeit. Wir müssen wissen, wie viele Menschen wo ankommen. Es kann nicht sein, dass kurzfristig angekündigt wird – auch so geschehen –, dass in wenigen Stunden mehrere Busse ankommen, dann alles hektisch vorbereitet wird und letztlich, ohne dass darüber informiert wird, gar kein Bus kommt. Im Nachgang stellte sich dann heraus: Die angekündigten Busse sind nie gestartet. – So entstehen Mehraufwände für Unterkunft, Verpflegung und Betreuungspersonal und auch gehörig Frust bei den ehrenamtlichen Helfern.
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Es darf am Ende nicht alleine von persönlichen Kontakten oder dem Zufall abhängen, wie viele Flüchtlinge in einer Kommune unterkommen. Wichtig sind, wie schon gesagt, frühzeitige Registrierungen und bei der Verteilung auf die Länder und Kommunen die Anrechnung derer, die private Unterkünfte gefunden haben, im Verteilschlüssel.
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Der Bund muss endlich verlässlich koordinieren und kommunizieren. Nur wenn das wirklich funktioniert, können die weiteren Schritte vor Ort auch klappen.
Drittens, meine Damen und Herren, geht es natürlich um die finanzielle Sicherheit für die Kommunen. Die Kommunen haben durch die Aufnahme der Flüchtlinge deutliche finanzielle Mehrbelastungen. Sie brauchen Klarheit und Verlässlichkeit, wie genau diese Mehrausgaben denn gedeckt werden können.
Klar ist für uns aber auch: Was die kommunale Finanzausstattung angeht, sind zunächst die Länder in der Pflicht. Sie müssen den Kommunen aufgabenangemessen und auskömmlich Finanzmittel zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch die finanzielle Ausstattung und Unterstützung bei den Aufgaben, die jetzt anstehen: Erstversorgung, Unterkunft, psychologische Hilfe oder angemessene Kinderbetreuung. Darüber, inwieweit sich der Bund auch an den flüchtlingsbedingten Mehrausgaben der Länder und Kommunen beteiligt, beraten ja gerade die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler. Ich will nur anmerken, dass es die unionsgeführte Bundesregierung war, die den Ländern und Kommunen während der Flüchtlingswelle von 2015 erheblich finanziell unter die Arme gegriffen hat.
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Meine Damen und Herren, die aktuelle Situation verlangt den Ländern und Kommunen viel ab, auch den Menschen vor Ort, den Ehrenamtlichen und den Hauptamtlichen. Deshalb brauchen wir umso mehr Klarheit, Verlässlichkeit und Koordination, um die notwendige Unterstützung der Menschen, die geflüchtet sind, zu ermöglichen, und deshalb muss die Bundesregierung endlich handeln. Koordinierung muss Chefsache sein; sie muss Sicherheit gewährleisten, Unterstützung sicherstellen und Integration ermöglichen.
Ein letztes Wort zu den Anträgen der Linken. Nur so viel: Wenn Sie einen guten Antrag und einen guten Leitfaden dafür brauchen, was jetzt konkret zu tun ist, meine Damen und Herren, dann nehmen Sie unseren Antrag
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zu einem Masterplan Hilfe, Sicherheit und Integration, den wir heute Mittag in diesem Hohen Hause debattiert haben.
Vielen Dank.
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Als nächster Redner erhält Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben ja gerade, wie schrecklich der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist, mit welchen brutalen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die Menschen in der Ukraine vorgegangen wird. Deswegen ist es unsere Aufgabe in Deutschland und Europa, alles Notwendige und alles Menschenmögliche zu tun, um die Menschen in der Ukraine gegen diesen schrecklichen Krieg zu unterstützen.
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Dazu gehört neben scharfen finanziellen, ökonomischen Sanktionen und notwendigen Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung natürlich, dass wir vor Ort und in den Nachbarländern humanitär helfen, aber auch hier Menschen aufnehmen und sie mit Respekt, mit Anstand und mit offenen Armen empfangen. Deswegen ist es sehr gut, dass sich so viele Menschen auch in Deutschland ehrenamtlich, freiwillig zusammengefunden haben.
Ich komme aus Hannover. Ich weiß, wie viele Menschen in Hannover aufgenommen wurden, wie viele Menschen dort helfen, wie sich die Landeshauptstadt einsetzt. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund und Ländern, dass die Ehrenamtlichen, aber auch die Kommunen tatkräftig bei dieser wichtigen Aufgabe unterstützt werden.
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Es geht dabei natürlich auch darum, dass wir den Menschen – den Frauen, den Kindern, aber auch den Männern –, die vor dem schrecklichen Krieg geflohen und in Deutschland angekommen sind, jetzt bei uns konkret helfen. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch darum, dass wir ihnen Möglichkeiten geben, eine Wohnung zu finden und sich gut einzuleben. Dazu gehört auch die Integration ins Gesundheitssystem, in Schule und Kita, aber auch in den Arbeitsmarkt. Deswegen ist es sehr richtig, dass der Bund konkret angeboten hat, dass die Geflüchteten aus der Ukraine jetzt Zugang zu den Leistungen der Sozialgesetzbücher II und XII erhalten. Das sind die richtigen Maßnahmen, damit sie in den Arbeitsmarkt integriert werden und hier richtig ankommen können, statt nach dem diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetz behandelt zu werden. Es ist ein richtiges und wichtiges Angebot des Bundes, dass die Menschen jetzt mithilfe des SGB II integriert werden.
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Aus meiner und aus unserer Sicht ist das eine ganz wichtige gesamtstaatliche Aufgabe, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam, sich gegenseitig unterstützend, schultern sollten. Ich will daran erinnern, dass der Bund in der Vergangenheit schon viel zur Unterstützung der Kommunen geleistet hat. Und ich finde, dass am Ende – das will ich auch aus Sicht eines Haushaltspolitikers des Bundes sagen – natürlich auch die Länder ihren Aufgaben gerecht werden müssen.
Der Bund wird dieses Jahr, 2022, Kredite in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrags aufnehmen, indem er die Notfallregel der Schuldenbremse nutzt, wegen Corona, aber auch zusätzlich wegen der Folgen des Krieges. Viele Länder planen jetzt noch mit Überschüssen und schwarzer Null ihre Haushalte, so zum Beispiel mein Heimatland Niedersachsen, aber auch NRW und Bayern. Gleichzeitig sehen wir, dass die Länder deutlich mehr Steuereinnahmen erhalten als der Bund. Ich glaube, das geht auch im zwischenstaatlichen Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht; alle Ebenen müssen sich beteiligen. Es kann nicht sein, dass der Bund am Ende Schulden in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrags macht und Bayern und NRW sich für die schwarze Null abfeiern; das geht in der Bundesrepublik Deutschland nicht.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass Bund und Länder heute auf der Ministerpräsidentenkonferenz eine gemeinsame, solidarische Lösung finden, wie wir die Menschen aus der Ukraine hier in Deutschland gezielt unterstützen und die Kommunen dabei auch entlasten.
Vielen Dank.
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Für die AfD-Fraktion erhält das Wort der Abgeordnete Peter Boehringer.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein gewisser Bruch, heute nach der Abstimmung zur – zum Glück! – abgewendeten Impfpflicht nun über Finanzen zu sprechen.
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Doch so sei es nun; so ist es.
Interessant ist, dass einzelne Parteien immer das Gleiche fordern, ganz egal, welche Krise wir haben:
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Die Grünen etwa fordern immer mehr Geld, wenn sie nicht gerade mehr Klimaschutz fordern. Und so – das haben wir eben gehört – ist die Antwort auf die Migration ebenfalls: mehr Geld.
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Ähnlich bei der FDP: Sie fordert, egal in welcher Krise, auch immer das Gleiche, nämlich Transparenz, weniger Schulden und Digitalisierung,
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um aber dann, wenn es drauf ankommt, regelmäßig irgendwelche Gründe zu finden, warum man dieses Mal ausnahmsweise doch wieder eingeknickt ist – außer bei der Digitalisierung, okay.
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Bei den Linken ist es so: Die fordern immer die Enteignung oder die Bezuschussung von allem und jedem durch den Steuerzahler.
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Für alle gilt, dass die Aussagen nicht dadurch richtiger werden, dass man sie ständig wiederholt.
Doch ja, wir haben in diesem Land zahlreiche Probleme: die steigenden Preise, die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum, die Flüchtlinge, die ins Land strömen, und natürlich auch, dass zahlreiche Kommunen kaum in der Lage sind, ihre Aufgaben finanziell zu bestreiten. Natürlich kann man jetzt sagen: Lass den Bund noch mehr Schulden machen! Lass die EZB noch mehr Geld drucken! Und dieses Geld verteilen wir dann in den Kommunen, und die bauen dann neue Flüchtlingsunterkünfte. – Nur, kein einziges unserer Probleme wird dadurch ursächlich gelöst, kein einziges.
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Im Gegenteil: Wenn wir Wohnraum, wie Sie es ja wollen, staatlich in großem Stil bezuschussen, dann heizen wir die Mietenteuerung ja noch weiter an. Das aber ist das Asozialste, was es gibt.
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Denn diejenigen, die schon länger hier leben, und zwar ganz gleich welcher Volksgruppe, finden dann erst recht keine bezahlbare Wohnung; die Bezuschussten sind ja für die Flüchtlinge. Ganz nebenbei schaffen wir auch noch die föderale Finanzverfassung ab, wonach Aufgaben und Finanzverantwortung zusammenfallen müssen; denn wenn der eine wirtschaftet und der andere bezahlt, dann führt das regelmäßig zu Misswirtschaft und Interessenkonflikten.
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Die erste Antwort auf die aktuellen Belastungen kann also nur dieselbe sein wie die auf die generelle Finanzmisere der Kommunen. Es braucht eine Steuerreform, welche die Finanzkraft und die Finanzautonomie der Kommunen stärkt.
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Die zweite Antwort auf die Wohnungsnot muss vor allem in einer generellen Begrenzung der Zuwanderung liegen, ganz explizit unabhängig von dem Ukrainekonflikt. Sie hat überhaupt nichts damit zu tun, die ukrainische Fluchtbewegung.
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Das Thema Fluchtbewegung – nicht die aus der Ukraine – ist schon seit sieben Jahren der Elefant im Immobilienmarkt, den außer der AfD irgendwie keiner ansprechen will. Mehr Menschen bedeuteten schon lange vor dem Ukrainekonflikt eine höhere Nachfrage nach Wohnraum. Um das zu erkennen, muss man kein Populist sein; einfaches Nachdenken genügt.
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Meine Damen und Herren, der größte Feind des Sozialen ist und bleibt der Sozialismus,
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der zweitgrößte die menschenfeindliche Massenzuwanderung. Offene Grenzen und ein Sozialstaat schließen sich aus, wie schon Milton Friedman wusste.
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Wenn Sie differenzierte, marktwirtschaftliche, menschengerechte und inländerfreundliche Antworten suchen, dann finden Sie sie bei der AfD.
Herzlichen Dank.
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Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Ann-Veruschka Jurisch von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie zufällig Hase Felix, den Kinderbuchhasen?
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Meine Söhne haben einen schönen blauen Kinderreisekoffer, auf dem dieser Hase aufgedruckt ist. Als ich neulich vor dem Berliner Hauptbahnhof beim Ankunftszelt für die Kriegsflüchtlinge über die Straße gegangen bin, kam mir eine ukrainische Mutter mit ihrem kleinen Sohn entgegen und lief auf dieses Zelt zu. Und der Junge zog genau den gleichen blauen Hasenkoffer hinter sich her. Diese kleine Begegnung hat mich unglaublich gerührt: Kinder, die ihrem Zuhause entrissen sind, ihr Liebgehabtes zurücklassen müssen und mit ein paar Habseligkeiten an der Hand ihrer Mütter ins Ungewisse gehen.
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Menschen, die auf der Flucht sind, kommen jetzt wieder in unsere Städte und Gemeinden. Sie brauchen als Allererstes Aufnahme, Schutz und Unterbringung, dann Lebensunterhalt, gesundheitliche Fürsorge, Bildung und weitere Integration in unsere Gesellschaft. Alle diese Aufgaben werden letztlich auf lokaler Ebene gelöst, von den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sowie von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen. Diese Menschen leisten im Moment Großes und haben auch in den letzten Jahren immer Großes geleistet. Ich danke ihnen sehr, sehr herzlich für ihr großes persönliches Engagement.
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Wir brauchen jetzt kluge Lösungen, um die Akteure in den Kommunen zu entlasten und zu stärken. Der zentrale Punkt ist, dass wir es jetzt schaffen müssen, auch noch weitere Menschen aus der Ukraine möglichst unbürokratisch bei uns in ganz Europa aufzunehmen und zu integrieren. Es ist ein humanitärer und auch ein sicherheitspolitischer Imperativ. Wir brauchen deshalb jetzt kluge Lösungen, um die Akteure bei uns in den Kommunen zu entlasten. Dabei geht es meiner Meinung nach – auch der Kollege Kindler hat es angesprochen – nicht in erster Linie um Geld vom Bund. Ich möchte dazu kurz anmerken: Die Kommunen haben 2021 einen Überschuss von 4,6 Milliarden Euro erzielt.
Ich bin als Liberale und überzeugte Europäerin sehr stolz darauf, dass es der EU mit der unglaublich schnellen Aktivierung der Richtlinie zur schnellen Aufnahme von Kriegsflüchtlingen gelungen ist, eine sehr unbürokratische Erteilung eines Aufenthaltsrechts zu ermöglichen. Ich würde mir aber wünschen, dass es eine echte gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik gibt; daran arbeite ich, daran arbeiten wir Freie Demokraten zusammen mit unseren Partnern von der SPD und den Grünen.
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Eine noch geschlossenere europäische Migrationspolitik würde es uns in der jetzigen Situation erlauben, die zweite Komponente der EU-Richtlinie zu aktivieren, nämlich einen europaweiten Verteilschlüssel, den sogenannten Solidaritätsmechanismus. Ohne diesen Solidaritätsmechanismus gilt im Moment das Prinzip der Selbstverteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas mit allen damit verbundenen administrativen und praktischen Herausforderungen, die auch in Deutschland der Königsteiner Schlüssel nicht vollständig zu lösen vermag.
Das zweite große Thema ist die Unterbringung der geflüchteten Menschen. Auch hier begrüße ich es sehr, wie unbürokratisch und Hand in Hand mit der Zivilgesellschaft an Lösungen gearbeitet wird. Über die Kooperation der Initiative „Unterkunft Ukraine“ mit dem BMI werden erfolgreich Geflüchtete mit aufnahmebereiten Familien in Deutschland zusammengebracht. Ich mache mich dafür stark, dass dieses Programm zum Wohle aller zukunftsfest gemacht wird und möglichst viele langfristige Wohnangebote anziehen kann.
Ein drittes Thema, für das ich mich als Liberale mit besonderer Leidenschaft engagiere, ist eine gelungene und auch längerfristige Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt; denn Arbeit gibt Halt, Struktur, und gerade in einer Fluchtsituation stärkt sie auch den Selbstwert.
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Deswegen setze ich mich dafür ein, dass wir geflüchteten Menschen, die bei uns arbeiten wollen, eine echte Bleibeperspektive verschaffen.
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Stichworte dabei sind ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild und der Chancenaufenthalt. An diesem Projekt, das auch in unserem Koalitionsvertrag steht, sollten wir jetzt mit aller Kraft und mit Geschwindigkeit arbeiten.
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Wir brauchen vielfältige und kluge Lösungen, um die Akteure in unseren Kommunen zu entlasten. Erstens: praktische Lösungen dafür, dass wir im Moment leider noch keinen europäischen Solidaritätsmechanismus haben. Zweitens: die Stärkung des Ehrenamts und die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft, einer Zusammenarbeit, die respektvoll und auf Augenhöhe ist. Und drittens schließlich: eine vorausschauende Gesetzgebungsarbeit. Es müssen jetzt die Weichen für das Thema Arbeitskräftemigration gestellt werden.
Ich danke Ihnen.
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Die nächste Rednerin der Debatte: Dunja Kreiser, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Schreckliche Bilder erreichen uns aus der Ukraine. Ich finde, es ist selbstverständlich, dass wir die Geflüchteten, besonders Frauen, Kinder und ältere Menschen, die vor dem dortigen Krieg Schutz suchen, bei uns aufnehmen. Ich möchte den Blick besonders auf Kinder richten, die mit ihren Müttern oder gar unbegleitet zu uns kommen. Die Kinder brauchen eine schnelle Teilhabe an frühkindlicher Bildung, den Zugang zu Kitas und Schulen; viele werden auch schnell Zugang zur Kinder- und Jugendhilfe benötigen. Dazu brauchen wir jetzt alle Unterstützung, und die Länder entlasten diesbezüglich schon sehr.
Ich sehe schon gute, pragmatische Lösungsansätze, zum Beispiel in Niedersachsen. Mein Kollege der Grünen, Herr Kindler, hat das bereits erwähnt. Es kann zum Beispiel eine Aufstockung der Kitaplätze funktionieren; ein Kind mehr pro Kitagruppe, bis zum 31. Juli befristet, ist das, was Niedersachsen unternimmt. Räume können auch ohne Prüfung der Mindestanforderungen genutzt werden – das betrifft Freizeiteinrichtungen, Gemeindeeinrichtungen, Turnhallen –, und das wohl auch über den 31. Juli hinaus.
Es wird eine schnelle Anerkennung der Berufsabschlüsse von Erzieherinnen, Lehrerinnen und Pädagoginnen möglich gemacht, es werden Fort- und Weiterbildungen angeboten. Durch den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 erhalten die geflohenen Menschen aus der Ukraine unkompliziert eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz und somit auch schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt. Das heißt, sie können auch vor der berufsrechtlichen Anerkennung tätig werden. Das entlastet unsere Kommunen, das entlastet die Träger von Einrichtungen, das entlastet auch unsere Einsatzkräfte, die in der vorherrschenden Krise schon Großartiges geleistet haben, aber insbesondere auch die Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen. Mein Dank gilt da insbesondere den Beschäftigten der Einrichtung in Evessen, aber auch denen in ganz Deutschland.
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Zusätzlich helfende Hände aus der Zivilbevölkerung in den Einrichtungen sowie die Schaffung von Netzwerken für Kommunikation und Gesprächskreise in den Kommunen – dazu kann ich nur aufrufen. Diese große Solidarität und dieser Einsatz sind unsere gesellschaftliche Stärke. Das müssen wir unterstützen, zum Beispiel auch durch ein Demokratiefördergesetz „Demokratie leben!“.
Die Integration durch Deutsch- und Orientierungskurse soll natürlich weiterhin von Deutschland gewährleistet werden; das haben wir ja mittlerweile schon im Ausschuss für Inneres und Heimat erfahren. Die Stärkung der Kommunen muss erfolgen. Ich denke, dass die MPK, die gerade noch läuft, sich damit befasst. Das ist auch ein Zeichen für mich, dass man sich sehr stark damit auseinandersetzt und dass die Kommunen ihre Stärkung aus dieser Runde erfahren.
Wir, verehrte Damen und Herren, werden unsere Kommunen nicht im Regen stehen lassen. Wir handeln, geben den Menschen Hilfe und bieten eine Perspektive für Geflüchtete und unsere Kommunen.
Abschließend – Frau Präsidentin, ich weiß, die Redezeit ist vorbei – möchte ich mich aber noch bedanken bei den Bürgerinnen und Bürgern, die Solidarität zeigen, bei all unseren Hilfsorganisationen, dem Technischen Hilfswerk, der Polizei, der Deutschen Bahn sowie den Rettungskräften.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner in der Debatte: Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bund und Länder beraten gerade über Unterbringung und Versorgung Geflüchteter aus der Ukraine und über die Aufteilung der Kosten, und natürlich ist das eine wichtige Frage für die öffentlichen Haushalte.
Unmittelbar verbunden mit diesen Zahlen ist aber auch und gerade das Schicksal von weit über 300 000 Menschen, die in Deutschland Schutz gesucht haben und suchen, Menschen, die gestern noch überlegt haben, welchen Kinofilm sie vielleicht nächste Woche anschauen, und die jetzt gucken müssen, ob, wann und in welche Ukraine sie wieder zurückkehren können, welche Zukunft ihre Kinder erwartet und ob die zurückgebliebenen Verwandten die russische Aggression überleben.
Dieser Krieg hat nicht nur die Nachkriegsordnung zerstört; er hat die hässliche Gestalt von Politik gezeigt, eine Politik überhöhter Egoismen, die selbst vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht zurückschreckt.
Jetzt ist es ein Gebot der Menschlichkeit, diejenigen, die bei uns Schutz suchen, gut zu versorgen. Vor diesem Hintergrund ist es das einzig Richtige, dass sich Bund und Länder darauf verständigen, aus der Ukraine geflüchteten Menschen Zugang zu den Leistungen der Sozialgesetzbücher II und XII zu verschaffen.
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Denn Zugang zur Krankenversicherung und zum Arbeitsmarkt sichert diesen Menschen schnelle gesellschaftliche Teilhabe und damit ein Stück Normalität in ihrer angespannten Ausnahmesituation. Eine Behandlung im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, wie es die Union gefordert hat, kann das eben nicht leisten.
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Ich möchte meine Rede heute auch dazu nutzen, um mich bei allen Kommunen, bei den Ehrenamtlichen, den Hauptamtlichen vor Ort zu bedanken, die den Geflüchteten unbürokratisch und schnell helfen. Unsere Kommunen beweisen abermals, dass sie äußerst fähige Krisenmanagerinnen sind; der großen politischen Verantwortung werden sie erneut gerecht.
Die Ampelkoalition verspricht eine verlässliche Finanzierung und entsprechende Handlungsspielräume für die Kommunen. Jetzt ist es dann auch für die Länder an der Zeit, die zugesagten Mittel sachgerecht an die Städte und Gemeinden durchzuleiten und zusätzlich noch zu verstärken.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass heute auch ein guter Tag für den Föderalismus wird. Bund und Länder beweisen, dass sie an einem Strang ziehen. Ich wünsche mir, dass die Einigkeit und die Einigung, die heute hoffentlich zustande kommt, dann auch Auftakt für eine bessere Migrations- und Integrationspolitik grundsätzlich sind. Ich wünsche mir, dass wir unsere Kommunen als das behandeln, was sie sind, nämlich die zentrale Ebene eines modernen Einwanderungslandes.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner: Matthias Helferich.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Für viele Menschen in unserem Land ist das Leben fast unerschwinglich geworden: Ein durchschnittlicher Einkauf beim Discounter ist 30 Prozent teurer geworden; das Heizen wird zum Luxus, und das Auto frisst ganze Gehälter.
Trotz der prekären Lage, in der sie sich wiederfinden, sind viele Bürger angesichts des Ukrainekonflikts bereit, flüchtende Frauen und Kinder aufzunehmen. Gerade in meiner Heimatstadt Dortmund zeigen sich viele solidarisch, trotz eigener Not. Solidarität und Hilfsbereitschaft müssen aber pfleglich behandelt werden; Solidarität darf nicht missbraucht werden. Das sicherzustellen, wäre Aufgabe der Kommunen gewesen.
Ich erzähle Ihnen einmal, wie das migrationspolitische Lagebild in Dortmund ist. Bei uns erhalten rund 2 200 Flüchtlinge Leistungen nach dem SGB II, rund 1 600 Migranten Gelder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. 27,2 Millionen Euro gibt die Stadt Dortmund jährlich für geduldete Ausländer aus, die abgeschoben werden müssten. Solidarisch wäre es, ausreisepflichtige Ausländer abzuschieben und die Steuerzahler damit zu entlasten.
Auch die kommunale Wohnungshilfe stößt durch die Massenmigration der letzten Jahre, die Sie alle befördert haben, an ihre Grenzen.
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Von 446 Wohnungen des Wohnungsvorhalteprogramms in unserer Stadt werden 253 von sogenannten Flüchtlingen belegt, allein 151 der Wohnungen von Ausländern, die durch die kommunale Ausländerbehörde abgeschoben werden müssten. Die Kommunen sind es, die Platz schaffen müssten für all jene, die jetzt unseren Schutz und unsere Hilfe verdienen.
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185 minderjährige, unbegleitete Ausländer haben wir in unserer Stadt; nur 5 Prozent von ihnen wurden auf ihr medizinisches Alter untersucht. Kosten für den Steuerzahler: 11 Millionen Euro – 11 Millionen Euro! Als arme Ruhrgebietskommune müssen wir Armutsmigranten aus Bulgarien, darunter Tausende Roma, mit rund 20 Millionen Euro Sozialhilfe jährlich versorgen. Unsere Kommunen brauchen also kein Geld; sie müssen endlich die vorhandenen Kapazitäten freischaffen.
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Wir Dortmunder, Hagener, Duisburger sind solidarisch; aber unsere Oberbürgermeister sind es nicht, weil sie weiterhin Tausende ausreisepflichtige Ausländer dulden. Es ist Zeit für die notwendige Herzlichkeit –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– gegenüber echten Kriegsflüchtlingen
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und die notwendige Härte gegenüber jenen, die unsere Solidarität –
Ihre Redezeit, Herr Helferich!
– seit 2015 missbrauchen.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit einem Antrag der Unionsfraktion vom 26. Januar, einem Antrag, der vor Beginn des russischen Angriffskrieges verfasst wurde und heute sicher anders lauten würde.
Als FDP-Fraktion sind wir von der Bedeutung der G 7 für die internationale Gemeinschaft überzeugt. Deutschland hat dieses Jahr mit dem Vorsitz eine hervorgehobene Rolle, und selbstverständlich nimmt die Bundesregierung diese Rolle an und wird sie auch ausfüllen.
Wir stehen hinter den gemeinsamen G‑7-Positionen von Carbis Bay aus dem letzten Jahr. Vor allem die Bekämpfung der Klimakrise und der Pandemie bestimmt das Papier des letzten Gipfels. Beide sind unverändert große Herausforderungen, die trotz des grausamen Krieges gegen die Ukraine nicht in Vergessenheit geraten sind. Sie können und dürfen auch nicht in Vergessenheit geraten; denn nie war offensichtlicher, wie untrennbar der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen, unsere Gesundheit, Frieden und Sicherheit in der Welt sowie nachhaltige, bezahlbare und unabhängige Energieversorgung miteinander verwoben sind und wie notwendig es ist, all diese Aufgaben gleichzeitig zu meistern.
Richtig ist: Deutschland trägt in Europa und in der Welt Verantwortung, und die Erwartungen an uns werden immer größer. Mir fallen Stichworte ein wie „Sondervermögen Bundeswehr“ oder die Anstrengungen, durch eine schnelle Energiewende endlich unabhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen zu werden. Es ist höchste Zeit!
Die gemeinsame Erklärung der G 7 mit Australien, Indien, Südkorea und Südafrika zur Rolle offener und freier Gesellschaften vom letzten Gipfel war ein wichtiges Zeichen. Gemeinsame Erklärungen sind das eine. Aber nur neun Monate nach Carbis Bay hat die UN-Generalversammlung über die Verurteilung des russischen Angriffs abgestimmt; Indien und Südafrika haben sich der Stimme enthalten. Die Zeit der Neutralität, des Abwartens und des Taktierens ist jetzt vorbei.
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Wer gemeinsam mit den sieben führenden Industrienationen für offene Gesellschaften kämpfen will, kann sich nicht gleichzeitig neutral gegenüber Russland verhalten. Im Systemwettbewerb heißt es jetzt: Farbe bekennen. Wir müssen unsere Russlandpolitik völlig neu bewerten, und es muss Schluss sein mit der Naivität.
Ihr Antrag enthält viele richtige Punkte, die aber wort- oder sinngleich im Schwerpunktpapier der deutschen G‑7-Präsidentschaft enthalten sind. Und Sie wissen, dass das Papier nur einen groben Ausblick auf das gibt, was im Juni auf Schloss Elmau beschlossen werden wird. Schon jetzt ist klar, dass Frieden und Sicherheit darin einen noch größeren Stellenwert bekommen werden als bisher.
Sie fordern mehr Multilateralismus. Wir stoßen eine Reform des UN-Sicherheitsrats an, stärken die Vereinten Nationen, den Europarat, die OSZE und weitere Organisationen, gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern.
Sie fordern Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen. Wir bekämpfen diese und kommende Pandemien, unterstützen Entwicklungsländer dabei und stärken die WHO.
Sie fordern ein Bekenntnis zum freien Handel. Sie hatten genügend Zeit, CETA und Mercosur umzusetzen. Wir werden das jetzt angehen. Die FDP war schon immer Partner des Freihandels.
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Sie fordern einen internationalen Klimaklub. Wir haben ihn im genauen Wortlaut im Papier stehen.
Sie fordern so viele Sachen; –
Herr Semet, kommen Sie bitte zum Schluss.
– wirtschaftliches Wachstum haben Sie leider vergessen. Aber dafür gibt es ja uns, die Freien Demokraten. Selbstverständlich werden wir die Präsidentschaft nutzen, um Antworten zu geben und globale Fortschrittsprojekte voranzutreiben.
Herr Semet, Ihre Redezeit!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der nächste Redner in der Debatte: Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab zwei Bemerkungen machen. Natürlich ist der Antrag angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine nicht aktuell und nimmt das wichtigste Thema nicht in den Blick. Wir wollten im Januar eine Sofortabstimmung über den Antrag, weil wir der Meinung waren: Der Deutsche Bundestag muss der Bundesregierung seine Meinung und seine Position zu der wichtigen G‑7-Präsidentschaft zu Beginn der Präsidentschaft mitgeben.
Ich habe gerade eben gehört: Wir sind uns in vielen Punkten einig. – Auch wenn man in einer Regierungskoalition ist, ist es trotzdem, finde ich, eine Aufgabe von Parlamentariern, dafür zu sorgen, dass die Regierung ihre Leitplanken vom Parlament bekommt. Es ist eigentlich ein bisschen schade, dass wir als Opposition einen solchen Antrag vorlegen mussten und dass so etwas von der Regierungskoalition nicht gekommen ist. Vielleicht machen wir das zukünftig anders; vielleicht versuchen wir sogar, was Gemeinsames hinzukriegen, wenn es um die Außen- und Sicherheitspolitik geht.
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Inhaltlich möchte ich feststellen, dass die G 7 – erfreulicherweise haben wir das in den letzten fünf Wochen erleben dürfen – mehr und mehr auch zum klaren politischen Sprachrohr der freien, starken Demokratien der Welt geworden ist. Es sind eben nicht nur die großen freien sozialen Marktwirtschaften, die dort zusammenarbeiten – Nordamerika, Europa, inklusive Großbritannien selbstverständlich, und Japan –, sondern es ist auch ein Bündnis von Staaten, die gemeinsame Werte vertreten und das jetzt auch entschlossener, als das früher der Fall war, in die Waagschale werfen. Deswegen freue ich mich darüber, dass die Sanktionspolitik, die die EU und die NATO organisiert haben – auch in der G 7 und gerade durch die G 7 –, eine besondere Schlagkraft erreicht und dass wir es auch geschafft haben, andere dazu zu bringen, sich anzuschließen – vielleicht auch deshalb, weil die G 7 dabei ist –, zum Beispiel Australien; es sind ja einige Beispiele genannt worden.
Ich glaube, im Blick auf das, was uns bevorsteht, müssen die G 7 ihr Programm in diesem Jahr schon ein gutes Stück weit erweitern, nicht nur direkt was den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, sondern auch was die Folgen dieses Konfliktes angeht.
Ich fürchte, dass wir spätestens im kommenden Jahr eine Nahrungsmittelknappheit erleben werden, die bei uns reichen Industrienationen im Zweifel natürlich weniger stark ins Gewicht fällt als in den Ländern, die sich hohe Kosten für Nahrungsmittel nicht leisten können. Ich wünsche mir, dass sich die G 7 – und das könnte ja vielleicht auch ein wichtiger Ausfluss des Gipfels auf Schloss Elmau und des dortigen Schlussdokuments sein – ganz klar dazu bekennt, dass es eine faire Verteilung der knappen Nahrungsmittel in der Welt gibt, wenn wir erleben müssen, was ich fürchte, dass die Nahrungsmittelversorgung in der Welt durch diesen Krieg Russlands gegen die Ukraine leidet.
Ferner glaube ich, dass wir auch eine besondere Anstrengung der G 7 brauchen, um die Folgen von Covid zu überwinden und wirklich eine globale Impfkampagne mit den entsprechenden Instrumenten in Gang zu bringen, die die G 7 dafür zur Verfügung hat.
Das sind zwei neue wichtige Aufgaben, bei denen ich mir wünsche, dass wir alle gemeinsam dahinterstehen, dass die deutsche Präsidentschaft deren Bewältigung mitbewirkt.
Danke schön.
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Der nächste Redner: Dr. Harald Weyel, AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! Vielleicht schon mal gleich vorab: G 7 ist keine Mini-UNO, und dieser Antrag hätte genauso gut von Rot-Rot-Grün, von einer rot-rot-grünen Regierung, sein können. Als Opposition ist die CDU/CSU mit diesem Antrag ein Totalausfall, wie mit vielem anderen auch.
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G 7 war 1975, zu Zeiten von Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing, zunächst mal als G 6 gestartet – ohne Kanada –; davor als G 5 – ohne Italien. Von 1998 bis März 2014 war G 7 sogar eine G 8 – mit Russland; man wagt es kaum auszusprechen. Ziel war eine eher informelle Wirtschaftszusammenarbeit, die die USA mit Deutschland, Frankreich, Italien sowie Japan verband.
Ging es in den 70ern oft um sehr Konkretes rund um Wirtschaft und Finanzen, so merkte schon ein Ex-Kanzler Schmidt in den 90ern an, dass bei den ganzen Gipfeleien schon längst nichts Nennenswertes mehr herauskäme und das Ganze eher ein Medienrummel geworden wäre.
Repräsentierte G 7 damals kaufkraftmäßig noch fast zwei Drittel des Weltsozialprodukts, so hat sich dies bis heute auf 30 Prozent mehr als halbiert. Sinnvoller erschien eine Formation im Stile der G 20, wo auch andere relevante Einzelstaaten und Schwellenländer seit der sogenannten Finanzkrise mitmachen und 85 Prozent des Weltsozialprodukts vertreten sind. Ab circa 20 Akteuren kann man allerdings schon nicht mehr vernünftig arbeiten, wie Lehrer und Soziologen seit Langem wissen. Man könnte sich das weitgehend zum Ritual gewordene Getue also teilweise oder weitgehend ersparen.
Altkanzler Schmidt merkte weiterhin an – und ich zitiere dazu die „Berliner Morgenpost“ vom 6. Juni 2015 –:
Ohne die Einbeziehung der … Schwellenländer wie China, Brasilien oder Südafrika und ohne die Teilnahme Russlands sei ein solcher Gipfel nicht mehr zeitgemäß, findet der Altkanzler.
({1})
Das kleinste G‑7-Mitglied Kanada ist inzwischen auch von Indien, Südkorea und der Türkei überholt worden. Und nicht nur in Kanada konnten wir ab Januar dieses Jahres besonders grell sehen, wie sehr die Bürgerfreiheit im dritten Coronaspukjahr selbst im Westen doch unter die Räder gekommen ist.
Sehen wir näher hin, dann sehen wir, dass aus G 7 inzwischen nur eine weitere reine Zeitgeistagentur geworden ist, deren Agenda identisch ist mit der von UNO, World Economic Forum, EU etc., und gewisse Branchenlobbys sind auch mit dabei. Wer hierbei als wessen Subunternehmer agiert, ist absolut zweitrangig. Man kann den realpolitischen Bodenkontakt seit dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges hier längst genauso verloren haben, wie viele nationale Institutionen ihn verloren haben.
Es beißt sich die Heißluftschlange der Verantwortungsverlagerung und – verschleierung dann selbst in den Schwanz. Schluss damit! Wir wollen weder eine Fortsetzung des alten Kalten Krieges noch seine Neuauflage. Wir wollen keinen Weltwirtschaftskrieg, keinen Umerziehungsstaat und keine Verplanwirtschaftlichung, wie wir das unter den Hauptrubriken „Corona“, „Klima“ etc. mit Fiskalausbeutung der eigenen Bürger untergejubelt bekommen.
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Herr Weyel, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir wollen Frieden und Freiheit und kein weiteres Forum für Schönreden, Kriegshetze und Lobbyterrorismus.
Herr Weyel, Ihre Redezeit, bitte!
Ich komme zum Schluss. – G 7 sollte ein Leuchtturm und kein Irrlicht sein, wozu Sie sie machen.
Danke schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht fassungslos. Die Bilder und Videos von getöteten Menschen, von zerstörten Städten und Infrastrukturen erreichen uns quasi im Minutentakt. Längst ist klar, dass Putin nicht nur militärische Ziele angreift, sondern auch Kliniken, Schulen, Wohnhäuser, Kirchen. Zivilisten werden auf offener Straße hingerichtet, und trotzdem wehren sich die Menschen, trotzen dem russischen Militär, verteidigen ihr Land und ihre Familien. Mein großer Respekt gilt dem mutigen ukrainischen Präsidenten und allen Ukrainerinnen und Ukrainern.
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Vor diesem dramatischen Hintergrund heute Abend über die Schließung von Stoffkreisläufen zu sprechen, erscheint erst einmal unpassend. Doch werden wir hart konfrontiert, wenn es um Rohstoffsicherheit in Deutschland geht. Das fehlende Sonnenblumenöl aus der Ukraine ist da bloß ein Anfang. Umfassende Embargos stehen im Raum. Deutschland ist als rohstoffarmes Land zwingend auf Importe angewiesen, und auch unabhängig von Kriegen und Konflikten in der Welt sind wir als Industrienation nach wie vor stark von Rohstoffen aus anderen Ländern abhängig.
Unsere Unternehmen haben berechtigte Sorge, dass es zukünftig auch zu Engpässen beim Stahl und bei wichtigen Rohstoffen, wie Eisen, Nickel oder auch Edelgasen, kommen wird, die wir entweder direkt aus der Ukraine oder auch aus Russland beziehen. Um diese Abhängigkeit möglichst gering zu halten und vor allem planbar zu machen, ist es zwingend nötig, die Rohstoffkreisläufe in Deutschland konsequent zu schließen.
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Der Kreislaufwirtschaft kommt daher eine Schlüsselrolle nicht nur in der Klima- und Umweltpolitik, sondern auch in der Wirtschafts- und in der Außenpolitik zu. Das Schließen von Stoffkreisläufen führt zu wirtschaftlichen Unabhängigkeiten und stärkt damit unsere politische Souveränität. Wir können froh sein, dass wir in Deutschland mit Blick auf die vergangenen Jahre auf eine erfolgreiche Politik zurückblicken können und uns mit unseren Erfolgen im internationalen Vergleich nicht zu verstecken brauchen.
Vor der Bundestagswahl haben wir beispielsweise gemeinsam mit unserem damaligen Koalitionspartner das Kreislaufwirtschaftsgesetz sehr erfolgreich novelliert. So kommt es, dass in Deutschland heute Rahmenbedingungen gelten, die es Unternehmen ermöglichen, in diesem Bereich mit modernster Technologie weltweit eine Vorreiterrolle einzunehmen. Daran wollen und daran müssen wir anknüpfen. Wir müssen wichtige Impulse setzen, anspruchsvolle und wirksame Vorgaben beschließen und somit die Rückgewinnung von Rohstoffen und das Schließen von Stoffkreisläufen voranbringen.
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Das muss allerdings dynamisch passieren. Wir müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen weiterentwickeln und passgenaue Instrumente für die unterschiedlichen Rezyklatgruppen identifizieren. Und damit müssen wir jetzt beginnen. Aus der Ampel hört man dazu leider nicht viel. Deswegen stellen wir diesen Antrag und fordern wir die Bundesregierung mit der Benennung klarer Maßnahmen auf, zu handeln.
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Dies geht jedoch nur, wenn das Bundesministerium endlich in den angekündigten Dialog mit den wichtigen Stakeholdern – mit den Wirtschaftsbranchen, den Herstellern und der Entsorgungswirtschaft – tritt. Die haben nämlich auch vor allem im eigenen Interesse vor, die Stoffkreisläufe zu schließen. Also, nehmen Sie die Chance doch bitte wahr! Unser Vorschlag liegt Ihnen ja vor.
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Die globale Bedeutung geschlossener Stoffkreisläufe beschränkt sich aus deutscher Sicht aber nicht nur auf Rohstoffimporte. Die Union hat gemeinsam mit der SPD in den vergangenen Jahren – aber auch mit der FDP – für ein innovationsfreundliches Klima gesorgt und Deutschland zu einem Exportweltmeister in Sachen Entsorgungs- und Recyclingtechniken sowie abfallarmer und reparaturfähiger Produkte gemacht. Dieses Innovationsklima, gepaart mit einer funktionierenden, stetig weiterentwickelten Kreislaufwirtschaft, hat zum einen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen und zum anderen den Entwicklungs- und Schwellenländern zu einem Know-how-Transfer bei Umwelttechnologien und ‑managementsystemen „made in Germany“ geführt.
Wir erwarten, dass die Bundesregierung diesen erfolgreichen Weg fortführt und mit einer echten Innovationsoffensive weiterentwickelt. Gerne unterstützen wir Sie dabei konstruktiv.
Abschließend möchte ich mit diesem Antrag die Bundesregierung und die Ampelkoalition aber noch einmal auffordern, Entscheidungen im Bereich der Kreislaufwirtschaft wie auch in der gesamten Umweltpolitik stets faktenbasiert zu treffen und eine rein von Ideologie gesteuerte Politik zu vermeiden.
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Erkennen Sie endlich an, dass zur Bewertung der Vor- und Nachteile von Mehrweg- bzw. Einwegprodukten einzig und allein wissenschaftlich erstellte Ökobilanzen als Entscheidungsgrundlage zugrunde gelegt werden können! Dazu, diese zu erstellen, haben wir das UBA auch schon in der vergangenen Legislaturperiode aufgefordert. Nur so kann eine konsistente, nachhaltige und vor allem ökologisch sinnvolle Politik ausgestaltet werden. Wir sind froh, dass in der Ampelkoalition die FDP auch noch ein Wörtchen mitzureden hat; das beruhigt uns etwas.
Wir bitten an dieser Stelle auf jeden Fall um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner in der Debatte: Michael Thews, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Union zeigt für mich so ein bisschen, dass die Union hier noch nicht ganz als Oppositionsfraktion angekommen ist. Als Oppositionsfraktion würde man einen Antrag stellen, mit dem man die Regierungsparteien ein bisschen antreibt, neue Sachen einbringt und eventuell auch mal provoziert. Bei Ihrem Antrag finde ich das aber einfach nicht.
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Ihre Forderungen, die Sie hier aufstellen, sind entweder überholt oder stehen bei uns im Regierungsprogramm.
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Ich rede aber immer gerne über Kreislaufwirtschaft – deswegen: danke für den Antrag –, auch zu diesem späten Zeitpunkt; denn es ist wichtig, dass wir Produkte langlebig machen, dass wir sie dann zu hundert Prozent recyceln und diese Materialien der Wirtschaft wieder zur Verfügung stellen. Wir müssen die Wirtschaft zum Schutz der natürlichen Ressourcen und zum Schutz des Klimas zur Kreislaufwirtschaft umbauen.
Im Koalitionsvertrag werden wir an vielen Stellen wesentlich konkreter als Sie in Ihrem Antrag: Wir wollen digitale Produktpässe einführen. Wir wollen außerdem ein Recyclinglabel. Mit der Beschleunigung der Entwicklung von Qualitätsstandards für Rezyklate werden wir hochwertige Stoffkreisläufe schaffen.
({2})
Wir schreiben höhere Recyclingquoten und eine produktspezifische Mindestquote für den Einsatz von Rezyklaten und Sekundärrohstoffen auf europäischer Ebene fest. Und vieles mehr! – Ich glaube, das ist ein Paket, was sich sehen lassen kann.
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Einen Satz in Ihrem Antrag kann ich aber zu hundert Prozent unterschreiben. Sie haben geschrieben: „Deutschland ist führend mit einer hervorragend entwickelten Kreislaufwirtschaft“. – Das stimmt, aber wir müssen natürlich daran arbeiten, dass das auch so bleibt.
({4})
Deutschland ist heute noch stark, aber wir wollen das natürlich auch in Zukunft sein.
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Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass bereits 14 Prozent der Rohstoffe über Recycling der Wirtschaft zugeführt werden. Ich sage: Wir könnten aber schon weiter sein.
Wenn ich mir das alles und auch die Zusammenarbeit in den letzten Jahren mal anschaue, dann muss ich sagen: Wir haben einiges erreicht – keine Frage, Herr Simon –, aber letzten Endes hätten wir noch mehr erreichen können. Ich kann mich noch sehr gut an die Koalitionsverhandlungen 2017 erinnern; Carsten Träger wird sich auch daran erinnern. Die Devise der Union war: Bloß nicht mehr machen, als die EU vorschreibt.
Wenn wir immer das gemacht hätten, was die EU uns vorschreibt, und nicht mehr, dann hätten wir kein Duales System in Deutschland, dann hätten wir kein Pfandsystem in Deutschland, und dann wären wir bei der Deponierung von Siedlungsabfällen auch nicht so früh ausgestiegen. Das wäre die Devise gewesen. Es ist also wichtig, dass Deutschland in bestimmten Dingen einfach mal vorangeht.
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Ich habe das in der Rede zum Haushalt beim letzten Mal schon erwähnt, aber ich betone das hier noch mal konkret anhand von zwei Beispielen:
Wir hatten tatsächlich auch über das Thema Mindestrezyklateinsatzquote verhandelt. Es gab da einen Vorschlag vom BMU, und der wurde von Herrn Altmaier wieder rausgestrichen. Da stand ganz klar drin: Wir wollen mehrere Kunststoffsorten weiterentwickeln, um die Mindestrezyklateinsatzquoten zu erhöhen. – Sie waren da skeptisch, haben gesagt: „Das behindert die Wirtschaft“, und haben das abgelehnt.
Das Zweite, was Sie abgelehnt haben, war die öffentliche Beschaffung. Wir haben gesagt: Ja, die öffentliche Beschaffung muss nachhaltiger werden. – Die Produkte, die dort beschafft werden, müssen nachweislich nachhaltiger werden. Wenn das aber nicht so ist, wenn also jemand eine Ausschreibung nicht entsprechend durchführt und derjenige, der ein nachhaltiges Produkt liefern könnte, den Zuschlag nicht bekommt, dann kann er das nicht einklagen, weil Sie diese Möglichkeit verhindert haben.
Insofern: Wenn ich mir die Vergangenheit angucke, dann muss ich aus meiner Sicht sagen, dass Sie an vielen Stellen eher innovationsfeindlich waren. Jetzt sind Sie aber auf einem anderen Weg.
Man muss ganz ehrlich sagen: Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, ist ein zahnloser Tiger. Es reicht eben nicht, in einem Antrag den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien zu recyceln, vor allen Dingen nicht, wenn es ein Downcycling ist.
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Wir freuen uns aber über Ihre Unterstützung unserer Anträge und Ihr Interesse an der Kreislaufwirtschaft.
Vielen Dank.
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Dr. Malte Kaufmann, AfD-Fraktion, ist der nächste Redner.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Antrag, liebe Kollegen von der Union, ist leider ein reiner Schaufensterantrag – „zahnloser Tiger“ wurde gesagt –, der abzulehnen ist. Sie wollen, dass der Bundestag die unionsgeführte Bundesregierung für ihre vermeintlichen Errungenschaften der letzten Legislaturperiode ausführlich lobt. In Wahrheit sind die Gesetzesinitiativen, die Sie im Antrag als Eigenleistung verbuchen wollen, zum großen Teil lediglich das Ergebnis der Umsetzung von EU‑Richtlinien.
Und nebenbei, zum Thema Selbstlob: Anscheinend ist Ihnen immer noch nicht aufgefallen, dass unserem Land die Ergebnisse Ihrer desaströsen 16 Merkel-Jahre von Tag zu Tag mehr auf die Füße fallen:
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Stichworte „Energiekrise“, „Inflationsbeschleunigung“, „Zerstörung der Verteidigungsfähigkeit unserer Bundeswehr“ und vieles mehr.
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– Ja, darauf komme ich zu sprechen. – Hielten Sie es da nicht für angebracht, einmal in sich zu gehen, die eigenen Fehler zu analysieren und dann endlich mit der Merkel-Ära zu brechen, anstatt so zu tun, als sei hier viel Gutes für unser Land geschaffen worden?
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– Das steht im Antrag drin, ganz groß auf der zweiten Seite.
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Jetzt wollen Sie also die „Rohstoffversorgung sicherer machen“. Ich frage Sie: Warum denn erst jetzt? Was haben Sie in den vergangenen 16 Jahren gemacht?
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Mit diesem Antrag kommen Sie nicht nur viel zu spät, sondern widersprechen Sie sich auch noch selbst.
Sie fordern beispielsweise – ich zitiere aus dem Antrag – „für die Beurteilung der Vorteile von Mehrweg- bzw. Einwegprodukten wissenschaftlich erstellte Ökobilanzen zu Grunde zu legen“. Unter anderem ignoriert die von Ihnen beschlossene erste Änderung des Verpackungsgesetzes genau diese wissenschaftliche Beurteilung.
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Ihr Ökoaktionismus ist sinnlos, kontraproduktiv und sogar schädlich. Darauf haben wir als AfD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode immer wieder hingewiesen.
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Und es geht weiter: Rohstoffengpässe in der Produktion wollen Sie nun durch eine Schließung des Kreislaufs beseitigen. Das hört sich gut an. Schaut man aber genauer hin, dann sieht man, dass wir unsere Rohstoffversorgung niemals durch die Umsetzung Ihrer Vorstellungen sichern können. Unser Land erwirtschaftet Jahr für Jahr einen Exportüberschuss von circa 170 Milliarden Euro. Wie wollen Sie so einen rohstoffintensiven Exportüberschuss mit Rohstoffrecycling im eigenen Land hinbekommen? Das wird nicht funktionieren.
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Zu unserem nationalen Interesse gehört deshalb zwingend eine diversifizierte, bezahlbare und verlässliche Energie- und Rohstoffversorgung. Echter Umweltschutz und ökologisches Denken ohne ideologische Verbohrtheit: Das geht nur mit der AfD!
Vielen herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Vor allem: Liebe Bürger, die unter den von Windindustrieanlagen ausgehenden Emissionen leiden! Diese Bundesregierung hat sich, wie auch die Vorgängerregierung, auf die Fahne geschrieben, die sogenannte Energiewende als Teil der großen Transformation durchzudrücken. Die Energiewende beruht auf der absurden Annahme, dass Deutschland das Weltklima retten könnte, wenn es nur seine gesamte Wirtschaft zugrunde richtet, das ganze Land in ein riesiges Industriegebiet verwandelt und die Menschen derart verarmen lässt, dass alles, was CO2 emittiert – Heizen, individuelle Mobilität usw. –, zum puren Luxus wird. Freiheit sieht anders aus.
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In der Zwischenzeit zerplatzen aufgrund des Ukrainekrieges Ihre Tagträume wie Seifenblasen. Die Bürger im Land müssen diesen Irrsinn mit den höchsten Strompreisen der Welt bezahlen. Menschen, die in der Nähe von Windindustrieanlagen wohnen, bezahlen das zusätzlich noch mit dem Wertverlust ihrer Grundstücke und mit einem massiven Verlust an Lebensqualität durch den Lärm dieser Vogelschredder:
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dem hörbaren Lärm und dem sogenannten Infraschall, der den menschlichen Körper selbst und das körperliche Wohlbefinden nachhaltig schädigen kann.
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Wie schaffen es nun die grünen Kommunisten und Umweltzerstörer, den Ausbau von Windindustrieanlagen gegen den massiven Widerstand der wirklichen Umweltschützer und zum Wohle ihrer eigenen Auftraggeber, der Windindustrie, durchzudrücken? Sie erklären, dass das Zupflastern deutscher Kulturlandschaften und das Töten Hunderttausender Vögel und Fledermäuse im öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen.
Was sich wie schwarzer Humor anhört, ist in Wirklichkeit ein Druckmittel gegenüber Gerichten,
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die bei Rechtsstreitigkeiten gewöhnlich für das öffentliche Interesse und die öffentliche Sicherheit entscheiden müssen. Jedem klar denkenden Menschen ist natürlich bewusst, dass es hier nicht um das öffentliche Interesse, sondern um die Interessen der Windindustrie geht, und dass es auch nicht um die öffentliche Sicherheit, sondern um die Sicherung der Profite der Windindustrie und nicht weniger Abgeordneter in diesem Parlament geht.
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Aber nicht nur die Menschen, sondern auch die Umwelt und die Natur zahlen einen hohen Preis. Immer mehr Lebensraum für unsere Flora und Fauna geht verloren. Selbst in Landschaftsschutzgebieten sollen jetzt Vogelschredder gebaut werden. Was die geplante Verdreifachung der Anzahl dieser Killermaschinen für unsere Vogelwelt bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Als Abwandlung des infantilen Zitats von Frau Göring-Eckardt sollte jeder Vogel in Deutschland wissen, dass die grünen Kommunisten und ihre Mitläufer
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ihn und seine Nachkommen in den nächsten Jahren der Profitgier und einer kranken Ideologie opfern werden.
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Es mag sein, dass sich einige wenige Kommunalpolitiker dieser Mitläuferparteien regional gegen Windindustrieanlagen engagieren. Die AfD aber ist die einzige Partei, die konsequent gegen den weiteren Ausbau der Windindustrie ankämpft.
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Das sollten vor allem die Menschen im zugepflasterten Norden wissen, die bald einen neuen Landtag wählen.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Hilse.
– Genau, letzter Satz. – Ich werde jetzt so wie viele Millionen Menschen den grandiosen Sieg feiern, den wir gemeinsam mit den Hunderttausenden Menschen auf der Straße heute errungen haben.
Vielen Dank.
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Ihre Maske bitte nicht vergessen! – Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Lina Seitzl, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zwar schon spät am Abend, aber diesen Unsinn will ich jetzt nicht unwidersprochen stehen lassen.
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Sie, die Abgeordneten der AfD, wünschen sich in Ihrem Antrag in eine Welt, in der fossile und nukleare Energiequellen „kostengünstig“ und schnell „verfügbar“ sind; so schreiben Sie es in Ihrem Antrag. Diese Welt existiert nicht mehr, und wenn wir ganz ehrlich mit uns sind, dann wissen wir, dass sie auch noch nie existiert hat.
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Kernkraftwerke produzieren nur auf den ersten Blick günstigen Strom. Sie produzieren vor allem hochradioaktiven Müll, für den wir jetzt aufwendig ein Endlager suchen, das diesen Müll irgendwie mehrere Tausend Jahre sicher aufbewahrt.
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Die exzessive Nutzung von fossilen Energiequellen hat zu einer beispiellosen globalen Erderwärmung geführt, gegen die wir jetzt mit allen Kräften ankämpfen müssen,
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und das alles, weil wir Menschen mit unserer Art, zu wirtschaften, und unserem Konsumverhalten zu weit, zu schnell und zu unbedacht in die Natur eingreifen.
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Ihr Antrag ist doch ein offensichtlicher Versuch, die Artenkrise gegen die Klimakrise auszuspielen. Er verteufelt Windkraft- und Solaranlagen und macht sie für das Aussterben von heimischen Arten verantwortlich.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion, was Sie aber übersehen: Allein durch den Klimawandel gehen weltweit 30 Prozent der wildlebenden Pflanzen- und Tierarten verloren. In Deutschland sind einheimische Bienenarten, Seevögel und Fische bedroht. Die große Pflanzen- und Insektenvielfalt, wie wir sie in den Alpen haben, werden bei einer Erderwärmung von 2 bis 3 Grad verschwinden. Diese Wahrheit blendet Ihr Antrag vollkommen aus.
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Stattdessen erzählen Sie Unsinn über erneuerbare Energien, deren Ausbau für die Bekämpfung des Klimawandels und natürlich auch für den Artenschutz zentral ist.
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Es zeigt sich doch einmal mehr: Von wissenschaftlicher Erkenntnis sind Sie weit weg. Stattdessen vergraben Sie sich in ideologische Debatten – fernab von jeglicher Realität.
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Ja, wir stecken mitten in der größten Biodiversitätskrise in der Menschheitsgeschichte. Aber wir werden sie nicht bekämpfen können, indem wir den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen oder gar zum Stillstand bringen.
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Stattdessen müssen die Bekämpfung des Klimawandels und die Bekämpfung des Artensterbens Hand in Hand gehen. Das ist eine große Aufgabe, der sich die Ampelkoalition aber mit aller Kraft annimmt.
Wir treiben jetzt schnell den Ausbau der Erneuerbaren voran. Gleichzeitig nehmen wir viel Geld für umfassende Populationsschutzmaßnahmen in die Hand, und wir erzielen damit eine Hebelwirkung für die Auenrenaturierung, die Wiedervernässung von Mooren und den natürlichen Klimaschutz.
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Wir handeln auch global und übernehmen eine Führungsrolle bei den Verhandlungen zu einem neuen globalen Rahmen für den Schutz der Biodiversität. Statt also Windkraft pauschal für das Artensterben verantwortlich zu machen, setzen wir auf Artenschutzmaßnahmen – hier bei uns und überall auf der Welt.
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Meine Damen und Herren, nach 16 Jahren Ausreden brauchen wir jetzt dringend mehr Tempo, um unseren Wohlstand nachhaltig zu sichern und unsere Natur- und Artenvielfalt zu bewahren. Was wir ganz sicher nicht brauchen, sind solche Vorschläge, wie wir sie hier gerade debattieren, die nichts, aber auch gar nichts zur Lösung unserer großen Probleme beitragen.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Mack, CDU/CSU-Fraktion.
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eines muss man den Kollegen von der AfD ja lassen: Kreativ sind Sie!
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Sie unterbreiten in jeder Sitzung einen neuen Vorschlag zur Energiepolitik des Landes, verpacken dabei Ihre ewiggestrigen Vorschläge immer wieder in ein neues, buntes, glänzendes Geschenkpapier und kleben eine Schleife mit der Aufschrift „2022“ drauf. Das verkaufen Sie dann als große Errungenschaft des 21. Jahrhunderts. Aber, liebe Kollegen, das ist ein vergiftetes Geschenk, das Sie hier vorlegen. Sie wollen zurück in die Vergangenheit, weil Ihnen die Vorstellung für eine moderne Energieversorgung dieses Landes fehlt.
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Sie weigern sich, die Realität des menschengemachten Klimawandels anzuerkennen und widersprechen dabei jeglichem wissenschaftlichen Konsens. Sie blenden die wichtigen Zukunftsfragen unserer Schöpfung einfach aus, und jetzt wollen Sie mit diesem Antrag Ihre Ideologie unter dem Deckmantel des Umweltschutzes durchsetzen. Dass Sie dafür ausgerechnet einen grünen Deckmantel wählen, ist dabei besonders beachtlich.
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Die Wahrheit ist doch: Sie halten die Energiewende für überflüssig.
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Dabei brauchen wir angesichts der aktuellen Kriegssituation doch mehr Energiewende anstatt weniger.
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Das zieht sich auch durch alle Ihre Anträge: Sie wollen zurück zur vermeintlich heilen Energieversorgerwelt der 90er-Jahre. Ob aber am Ende Atomstrom in Verbindung mit Braunkohle dem Naturschutz mehr zugutekommt als Windräder, wage ich doch schwer zu bezweifeln.
Die Energiewende ist gesetzt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss jetzt schneller vorangebracht werden. Wir müssen die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Wir müssen uns schneller als gedacht von Gas, Kohle und Öl aus Russland unabhängig machen. Herr Hilse, die Zukunft der Energieversorgung ist klimaneutral; die Zukunft heißt: erneuerbare Energien.
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Natürlich müssen Umwelt- und Naturschutzbelange auch künftig berücksichtigt werden. Dazu haben wir aber ein hervorragendes europäisches und nationales Regelwerk. Im Bundesnaturschutzgesetz sind der Ausgleich und der Ersatz von Eingriffen in den Naturhaushalt geregelt. Jedes Projekt muss auf seine Umweltverträglichkeit geprüft werden. Im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz haben wir klare Regelungen für die Rechte der Bürger und der Verbände. Natürlich muss die Frage erlaubt sein, ob diese Regelungen in jedem Fall zeitgemäß sind, ob sie den neuen Herausforderungen entsprechen und vor allem, ob sie das erforderliche Tempo im Ausbau ermöglichen. Hier sind tatsächlich Zweifel angebracht.
Die Koalition hat erste Vorschläge zur besseren Vereinbarkeit von Windenergieausbau und Artenschutz vorgelegt. Die Genehmigungen für Repowering-Projekte sollen vereinfacht werden, Artenschutzprogramme sollen gestärkt werden. Das sind richtige Ansätze. Aber sie gehen nicht weit genug. Was wir brauchen, ist eine umfassende Prüfung des Genehmigungsrechts. Wir müssen prüfen, an welchen Stellen der Verfahren unnötige Zeitverzögerungen eintreten. Es kann ja nicht sein, dass wir endlose Genehmigungsrunden drehen, Gutachten für Gutachten vorlegen und am Ende kein inhaltlicher Mehrwert im Verfahren festzustellen ist.
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Natürlich müssen wir auch die Bürger beteiligen; denn die Akzeptanz der Vorhaben erreichen wir nur, wenn wir die Anliegen der Bürger berücksichtigen. Aber eines ist auch klar: Wenn Natur- und Umweltschutz dafür missbraucht werden, um Projekte zu verhindern, dann sind wir auf dem Holzweg. Und wer auf dem Holzweg ist, kommt bekanntermaßen auf keinen grünen Zweig.
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Es gibt handfeste Hinweise: Die personelle Ausstattung der Gerichte reicht nicht aus, die Zahl der gerichtlichen Instanzen ist zu hinterfragen, und wechselnde Zuständigkeiten bei den Gerichten führen zu Wissensverlusten. Und man sollte schon einmal darüber nachdenken, ob die Abschaffung der Präklusion richtig war. Eigentlich müsste es doch logisch sein, dass man nicht fristgerecht eingebrachte Gesichtspunkte ausschließt. Das Ergebnis ist, dass dieses Mittel ganz bewusst dazu genutzt wird, Verfahren deutlich zu verlängern, und das kann nicht das Ziel sein.
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Also, wir brauchen einen anspruchsvollen Natur- und Umweltschutz, aber mit schlankeren Verfahren.
Meine Damen und Herren, ein Aspekt ist mir noch wichtig: Der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien ist richtig. Aber die Frage der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung darf nicht hierauf verkürzt werden. Es kann ja nicht sein, dass am Ende die Ampel entscheidet, bei welchen Projekten ein brütender Vogel oder eine sich sonnende Eidechse ernster oder weniger ernst zu nehmen ist.
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Was ist denn dann wichtiger? Nur das Windrad? Oder interessiert die Bürger nicht auch, ob das Kabel fürs schnelle Internet oder die langersehnte Umgehungsstraße nicht ebenso schnell umgesetzt werden muss?
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Braucht die Wirtschaft nicht schnelle und unbürokratische Verfahren, um im globalen Wettbewerb der Standorte zu bestehen?
Deutschland muss seine Infrastruktur weiterentwickeln. Kommunen brauchen also Planungssicherheit, wenn sie Gewerbe- oder Wohngebiete ausweisen wollen. Auch hier hemmen langjährige Verfahren die Fortentwicklung. Denken wir wirklich, dass wir es uns leisten können, bei jedem Projekt Jahre zu verlieren? Die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren ist der Schlüssel. Deshalb muss dieses Thema endlich in den Mittelpunkt gestellt werden.
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Liebe Kollegen von der AfD, wir haben eine klare Vorstellung von einer modernen Zukunft dieses Landes. Barack Obama hat 2014 gesagt:
Als Präsident und als Vater weigere ich mich, unseren Kindern einen Planeten zu hinterlassen, der nicht mehr repariert werden kann.
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Das ist eine klare Botschaft, was jetzt und was in Zukunft zu tun ist. Ihr Antrag hingegen weist in die Vergangenheit. Wir lehnen ihn deshalb ab.
Ich danke Ihnen.
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Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Jan-Niclas Gesenhues, Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorab: Ihr Antrag, den Sie vorgelegt haben, ist nichts weiter als die Anreihung von Pseudostudien, Verschwörungsmythen und Klimaleugnerei. Eigentlich erübrigt sich hier die Beratung über einen solchen Antrag. Sie können so einen Antrag hier zwar stellen, aber es ist fachlich zum Haareraufen, was Sie in diesem Antrag vorgelegt haben.
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Gehen wir mal auf ein paar Punkte ein. Nicht überraschend ist, dass die AfD-Fraktion mal wieder dieses alte Spiel spielt, zu versuchen, Klimaschutz und Naturschutz gegeneinander auszuspielen.
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Das ist schon in normalen Zeiten schäbig und falsch. Aber in der Lage, in der wir uns gerade befinden, in der wir über die Energiesouveränität unseres Landes diskutieren, ist es geradezu zynisch, so einen Antrag vorzulegen. Es zeigt einmal mehr: Sie haben den Ernst der Lage schlicht und einfach nicht erkannt.
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Die Wirklichkeit ist doch, dass Klimaschutz und Naturschutz sich gegenseitig bedingen. Gut gemachter Naturschutz ist auch Klimaschutz, weil gerade intakte Ökosysteme Unmengen an CO2 speichern: Moore, Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete. Deswegen ist Naturschutz ein Beitrag zum Klimaschutz.
Umgekehrt ist es aber ebenso richtig: Gut gemachter Klimaschutz ist auch ein Beitrag zum Artenschutz. Es ist doch die Klimakrise, die schon heute dazu führt, dass Korallenriffe kollabieren, dass Dürresommer unsere Wälder in Deutschland zerstören und dass ganze Ökosysteme zusammenbrechen. Das sollte mittlerweile eigentlich auch bei Ihnen angekommen sein. Klima- und Naturschutz bedingen sich gegenseitig, meine Damen und Herren.
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Richtig ist – das ist vorhin schon angesprochen worden –: Das Artensterben ist dramatisch. Die Artenkrise ist die zweite große globale Krise, die unsere Existenz gefährdet.
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Deswegen ist es wichtig, dass wir das Artensterben und den Verlust der Ökosysteme mit einer ambitionierten Naturschutzstrategie angehen.
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Schauen wir uns mal die Treiber dieses massiven Artensterbens an. Es sind eben nicht die erneuerbaren Energien, wie Sie das hier manchmal suggerieren, sondern es ist eine industrialisierte Form von Landwirtschaft mit Pestiziden und Mineraldünger, es ist die Versiegelung von Grünflächen, es ist der Verkehr, und es ist eben die Klimakrise. Genau deshalb ist es wichtig, das Klima zu schützen, um Arten zu schützen, meine Damen und Herren.
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Eine gute Nachricht: Unsere Bundesregierung geht Klima- und Naturschutz gemeinsam an. Ich habe es vorhin beschrieben: Das ist gerade in dieser aktuellen Lage so wichtig. Ich will hier unserem Bundesklimaminister Robert Habeck auch mal ausdrücklich einen Dank aussprechen, der für die Energiewende mit diesem Osterpaket mehr erreicht hat, als in den letzten 16 Jahren zusammen für die Energiewende erreicht worden ist, meine Damen und Herren.
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Eine weitere gute Nachricht ist: Dieses Osterpaket ist mit dem Artenschutz abgestimmt.
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– Ja, da können Sie ruhig lachen. Aber ich bin sehr froh, dass wir mit Steffi Lemke eine Bundesumweltministerin haben, die eine Anwältin des Artenschutzes ist. Das können Sie im Osterpaket auch nachlesen, wenn Sie mal reinschauen würden.
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Ich will Ihnen das auch aufzählen: Wir machen das Artenhilfsprogramm. Wir stellen für das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“, in dem wir Naturschutz und Klimaschutz miteinander verbinden, 4 Milliarden Euro bereit. Wir legen einen Bundesnaturschutzfonds mit über 550 Millionen Euro auf. Wir treiben auf internationaler Ebene den Biodiversitätsschutz voran, indem wir uns für ein Paris-Moment und für die Biodiversität bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Kunming dieses Jahr einsetzen. Das ist ganz entscheidend, und dann wird es darauf ankommen, das europäisch und national auch umzusetzen.
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Herr Gesenhues, kommen Sie bitte zum Schluss.
Deswegen ist auch der Artenschutz im Osterpaket abgesichert.
Wir gehen Klima- und Naturschutz gemeinsam an und stellen dadurch unsere Energiesouveränität sicher. Die aktuelle Lage zeigt, wie wichtig das ist.
Vielen Dank.
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