Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, guten Morgen! Lieber Herr Merz, Sie haben gestern Ihre Rede mit der Feststellung begonnen, es werde von Zeitenwende gesprochen, aber man würde sie nicht sehen. Nun, ich möchte für die Bundesregierung, aber auch für mein Ministerium sagen: Man muss blind sein, wenn man sie nicht sieht.
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Wir befreien uns in einer großen Geschwindigkeit von der Abhängigkeit von russischen fossilen Energien,
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und zwar nicht nur von den fossilen Energien, sondern wir kämpfen auch gegen eine Infrastruktur, die die Abhängigkeit noch vergrößert hat. Gazprom besitzt den größten Speicher in Deutschland. Dieser wurde über den letzten Sommer geleert, was als Vorbereitung diente, um uns in diesem Winter zu gängeln. Rosneft besitzt eine große Ölraffinerie in Ostdeutschland. Nord Stream 2 wurde gebaut. Wir haben all das korrigiert oder sind dabei, es zu korrigieren. Wenn man das nicht als Zeitenwende, als politische sowohl von der Qualität wie der Quantität, erkennt, dann will man das nicht erkennen.
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Sehr geehrte Damen und Herren, wenn man sich davon unabhängig machen will, muss man – noch – für Alternativen sorgen. Das heißt, wir bauen LNG-Terminals und kaufen die Rohstoffe ein, die wir brauchen, um diese LNG-Terminals zu betreiben. Der qualitative Unterschied besteht dabei nicht im Herkunftsland, der qualitative Unterschied ist, dass wir uns nie wieder in die Hand von einem Lieferanten alleine begeben wollen.
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Das, was wir machen, ist, die Energieversorgung in Deutschland breiter aufzustellen und sicherer zu machen. Der Weg über die Gasbrücke wird immer kürzer werden, je höher die Preise sind.
Wir bauen die Wasserstoffinfrastruktur auf. Wir sorgen dafür, dass der Hochlauf bei der Wasserstoffwirtschaft stattfindet. Dafür bauen wir die erneuerbaren Energien nach Jahren des Stillstandes mit großer Dringlichkeit aus; das Gleiche gilt für die Netze. Und wir sorgen für Effizienz und Einsparung. Ich verstehe, warum man darüber so wenig redet; denn das, was man einspart, das sieht man ja nicht. Aber es macht keinen Sinn, gegen die hohen Preise anzusubventionieren, wenn wir nicht den Verbrauch reduzieren, wenn wir nicht die Effizienz nach vorne bringen.
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Den Abschied von den fossilen Energien auch durch die Reduzierung des Verbrauchs mit Leibeskräften voranzubringen, das ist das Gebot der Stunde.
Wo ich Rolf Mützenich und Britta Haßelmann sehe, möchte ich noch sagen: Wir hatten eine interessante Nacht im Koalitionsausschuss,
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die zu einem guten Ergebnis geführt hat. Das Ergebnis ist gerade im Bereich der Effizienz vorzeigbar, ja, ich würde sagen, es wird sogar Ausrufezeichen setzen, wenn die Parteivorsitzenden nachher das Ergebnis des Koalitionsausschusses vorstellen. So geht eine Zeitenwende! So wird eine Zeitenwende gemacht!
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So lösen wir uns aus dem Klammergriff, der in den letzten Jahren entweder durch Unwissenheit oder durch strategische Blindheit immer enger um Deutschland gezogen wurde.
Ja, wir sind noch nicht in der Lage, ein sofortiges Embargo auf Kohle, auf Öl oder auf Gas aus Russland zu verhängen. Das muss man zugeben, und es ist bitter genug, es zugeben zu müssen. Aber dass wir das noch nicht können, heißt nicht, dass wir nichts tun. Schritt für Schritt sind wir jetzt schon dabei, die Abhängigkeit von Öl und von Kohle und von Gas strategisch zu reduzieren. Die Zahlen, die ich am Anfang des Krieges genannt habe, sie stimmen jetzt schon nicht mehr. Die Bundesregierung und die Unternehmen – dafür bedanke ich mich bei den Unternehmen, die mitziehen – sind jetzt schon dabei, ein schrittweises Embargo umzusetzen.
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Meine Damen und Herren, natürlich verstehe ich die Dringlichkeit, mit der Leute sagen: Macht doch schneller! – Vielleicht wäre ein Embargo, das jetzt sofort auf alle drei Rohstoffe verhängt würde, der Gamechanger. Vielleicht wäre der Krieg in der Ukraine dann nach drei, vier Tagen zu Ende – vielleicht aber auch nicht. Die Indizien sprechen, wenn man sich die russischen Aggressionen in den anderen Ländern anschaut, die zuvor betroffen waren, eher dagegen. Syrien, Georgien, der Angriff auf die Krim und die Sanktionen nach der Annexion der Krim – das alles ist Jahre her, teilweise über ein Jahrzehnt her. Wir können also nicht sicher davon ausgehen, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen könnten, zu einem sofortigen Ergebnis führen. Deswegen ist die Politik der Bundesregierung, nicht unbedacht zu handeln, sondern Schritt für Schritt die Voraussetzungen zu schaffen und uns außenpolitisch und sicherheitspolitisch Freiraum zu erkämpfen, um dann die Maßnahmen, die wir ergreifen, auch durchzuhalten. Das ist das Gebot der Stunde: eine kluge, umsichtige, aber energische Politik.
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Vieles von dem, was wir machen, unterstützen wir mit finanziellen Aufwendungen, und zwar – wenn ich auf den Haushalt meines Ministeriums schaue – mit erheblichen Aufwendungen. Aber wir sind auch dabei, die Überförderung der Vergangenheit zurückzufahren. Ich habe schon, als wir über die Förderung der Gebäudesanierung gestritten haben, gesagt, Subventionen sind die Ultima Ratio in einer Marktwirtschaft: Sie sind notwendig, wenn es die Märkte noch nicht gibt, aber da, wo die Märkte schon funktionieren, da kann man sie auch zurücknehmen. Und ich muss feststellen, dass wir nach 16 Jahren unionsgeführter Regierung eine Übersubventionierung in vielen Bereichen haben. Teilweise glaubt man wohl, die Leute in Deutschland würden sich nur noch bewegen, wenn man ihnen einen finanziellen Klaps auf den Hintern gibt. Komisch, dass wir Ihnen erklären müssen, wie Marktwirtschaft funktioniert!
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Es geht jetzt in dieser Situation von hoher Inflation und schwächelnder Konjunktur durch die Krise darum, die Kräfte des Marktes zu entfalten, und zwar nicht blind zu entfalten, sondern ihnen eine Richtung zu geben, sodass Verringerung des Rohstoffverbrauchs, Klimaschutz und Unabhängigkeit mit Wachstum und Wohlstand in diesem Land kombiniert werden. Das tun wir mit den großen Geldern, die meinem Haus zur Verfügung gestellt werden: mit 200 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds und dem Grundhaushalt, der ungefähr 11 Milliarden Euro beträgt.
Wir investieren in Wasserstoff. Wir investieren in Innovationen. Wir investieren in Cloud-Technologie. Wir investieren in die Effizienz von Antrieben und von Gebäuden.
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So schaffen wir die neuen Märkte. So schaffen wir Innovation in Deutschland, und so schaffen wir Wettbewerb um Innovation statt darum, wer am längsten im Status quo verharrt.
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Meine Damen und Herren, genau heute vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil gefällt. Es lässt sich zusammenfassen mit dem Satz: Wer das Klima schützt, schützt die Freiheit. – So haben die Richterinnen und Richter damals geurteilt,
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und es ging wie ein Beben durch die politische Landschaft. Heute, ein Jahr nach diesem Urteil, muss man übersetzen: Wer darum kämpft, sich von den fossilen Energien freizumachen, der kämpft für die Freiheit. Das, sehr geehrte Damen und Herren, bedeutet Zeitenwende. Machen wir uns frei von den fossilen Energien! Erst aus Russland, dann insgesamt! So kämpfen wir für die Freiheit. So kämpfen wir für die Ukraine. Für die Ukraine! Für die Freiheit!
Danke schön.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Jung.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor einer Woche hat Präsident Selenskyj hier zugeschaltet im Bundestag gesprochen. Er hat gesprochen von Bomben und Raketen auf Wohnungen, auf Krankenhäuser, auf Kindergärten, auf Schulen. Er hat gesprochen von Nord Stream 2; er hat in diesem Zusammenhang den Ausdruck gebraucht, das sei Zement für eine neue Mauer zwischen Freiheit und Unfreiheit in Europa. Er hat an unsere historische Verantwortung für die Ukraine appelliert. Diese Worte des frei gewählten Präsidenten der Ukraine, überfallen von Putin mit einem schrecklichen Krieg, wiegen schwer. Sie treffen unser Herz, unser Gewissen, und sie dürfen nicht folgenlos bleiben.
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Wir alle müssen uns fragen: Was hätten wir früher mehr tun müssen? Wie müssen wir jetzt Konsequenz zeigen? Und: Was können wir mehr tun? Die Antworten sind nicht einfach.
Aber eines möchte ich mit Blick auf die Ankündigung Putins von gestern, mit Blick auf die Sanktionierung der russischen Zentralbank sagen – dabei habe ich das unermessliche Leid der Menschen in Mariupol und an vielen anderen Orten in der Ukraine vor Augen – : Wir dürfen in dieser Situation nicht hinter unsere eigenen Beschlüsse zurückgehen und unsere eigenen Sanktionen unterlaufen.
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In einer anderen Konstellation, aber auch schweren Lage hat Helmut Schmidt als Bundeskanzler gesagt: „Der Staat darf sich nicht erpressen lassen.“ Heute gilt: Das freie Europa darf sich nicht erpressen lassen. Deshalb, Herr Minister und sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, braucht es hierauf jetzt eine klare, eine gemeinsame, eine europäische Antwort. Diese erwarten wir von den Beratungen der nächsten Tage.
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Der richtige Weg ist, alles zu tun, um von russischen Importen bei der Energie unabhängig zu werden. Herr Minister, auf diesem Weg haben Sie unsere ausdrückliche Unterstützung. Das ist unser Weg. Es ist richtig, das jetzt genau so zu tun. Ja, dafür haben wir eine gemeinsame Grundlage, nämlich den Beschluss des Bundestages, Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Dieser wurde nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von der Großen Koalition gefasst und nun von der Ampel übernommen. Jetzt geht es darum, Energiesicherheit und Klimaschutz zusammenzubringen. Deshalb ist es notwendig, den Weg, den wir eingeschlagen haben, weiterzugehen, nämlich Ausbau der erneuerbaren Energien – da darf es keinen Stillstand geben; dieser muss massiv beschleunigt werden –,
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die Steigerung der Energieeffizienz, die Fortführung der Wasserstoffstrategie. Das ist die eigentliche Antwort, das muss beschleunigt werden.
In diesem Sinne unterstützen wir auch das Oster- und das Sommerpaket. Wir werden uns die Inhalte genau anschauen. Wir werden eigene Vorschläge machen. Aber dieses Ziel unterstützen wir. Wenn gute Vorschläge gemacht werden in dem Sinne, wie Sie es beschrieben haben, wenn die Kraft der Natur und die Stärke des Marktes zusammengebracht werden, dann werden wir das mit Überzeugung im Bundestag unterstützen.
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Neben Oster- und Sommerpaket brauchen wir jetzt aber auch ein Winterpaket. Wir brauchen ein Paket zur Vorsorge für den kommenden Winter. Dieses muss kurzfristig auf den Weg gebracht werden, und darin müssen wir Vorsorge treffen bzw. kurzfristig darauf eine Antwort geben: Wie könnten wir ohne russische Importe über den nächsten Winter kommen? Das muss jetzt passieren.
Erstens ist es richtig, dazu alles zu unternehmen, um zusätzliche Kapazitäten zu erschließen und bei anderen Ländern als Russland einzukaufen, in Europa und weltweit. Das ist der richtige Weg. Das unterstützen wir.
Zweitens. Es ist richtig, die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass unsere Gasspeicher zu Beginn dieses Winters nicht gefüllt, sondern zu guten Teilen leer waren. Der Markt hat es hier eben nicht gerichtet,
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und das wird so lange gelten, wie Gazprom 20 Prozent der deutschen Gasspeicher unter seinem Einfluss hat.
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Deshalb werden wir als Union morgen im Bundestag den entsprechenden Gesetzentwurf unterstützen. Da gilt es jetzt, Konsequenzen zu ziehen.
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Drittens. Herr Minister Habeck, Sie haben angemahnt, es müsse auch über Einsparungen gesprochen werden. Ich sage Ihnen: Wir sind bereit, wenn Sie Vorschläge machen, ohne Vorfestlegungen mit Ihnen über die Dinge zu sprechen, die in dieser schweren Situation möglich und vertretbar sind. Das muss auch – ohne Vorfestlegung – zum Bestandteil des Winterpakets werden. Machen Sie Vorschläge; wir werden mit Ihnen darüber sprechen. Die Forderung, es dürfe keine Denkverbote geben, richtet sich nicht nur an Sie, sondern auch wir wollen sie beherzigen.
Aber – viertens – richtet sich die Forderung eben auch an Sie. Deshalb ist unsere Aufforderung, dass Sie das tun, was Sie angekündigt haben, nämlich dass Sie ergebnisoffen und ohne Vorfestlegung prüfen, und zwar auf Basis des gemeinsamen Bekenntnisses zum Kohlekompromiss und zum Ausstieg aus der Kernenergie, was in dieser Situation möglich ist und welche Optionen es gibt, also etwa eine Modifizierung des Stilllegungspfads bei der Kohle, aber auch ein möglicher Weiterbetrieb der letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke über den 31. Dezember hinaus. Ergebnisoffen und wirklich ohne Vorfestlegung – das ist unsere Erwartung.
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Fünftens. Sie haben über eine Einigung bei den Entlastungen berichtet. Zur Abfederung der gestiegenen Preise muss es mehr geben, als bisher vereinbart wurde. Sie haben jetzt über einige Dinge diskutiert. Wir werden sie bewerten. Es muss mehr gemacht werden, um die hohen Belastungen von Bürgern und Betrieben abzufedern. Wenn Sie gute Vorschläge machen, werden wir Sie dabei unterstützen. Wir haben unsere eigenen Vorschläge eingebracht. Diese sind nicht so bürokratisch wie das, was bei Ihnen diskutiert wird. Sie würden sofort und zielgenau wirken. Das wäre die Basis, um auch hier zusammenzukommen.
Letzte Bemerkung. Wenn Sie so vorgehen, dann kann gelingen, dass wir – so wie bei der Sondersitzung vor vier Wochen – über die Grenzen von Regierung und Opposition zu einem breiteren Konsens zusammenkommen. Mein fester Eindruck ist: In der Lage, in der wir sind, würde es unserem Land guttun.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Frank Junge.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Zeiten des verbrecherischen Angriffskriegs Wladimir Putins gegen die Ukraine mit all seinen Konsequenzen auch für uns, in den Zeiten, in denen wir immer noch die Folgen der Coronapandemie zu bewältigen haben, und in der Zeit der generationenübergreifenden existenziellen Zukunftsaufgaben braucht es einen Staat, der Stabilität schafft und Handlungsfähigkeit bewahrt. Herr Jung, genau das verkörpert unser Haushalt, den wir in dieser Woche diskutieren, und genau das verkörpert der Einzelplan vom Bundeswirtschaftsminister, den wir heute diskutieren.
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Denn mit ihm stellen wir nicht nur die notwenigen Mittel bereit, um die äußere, die innere und auch die soziale Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten; mit diesem Haushalt eröffnen wir auch ein Jahrzehnt der Investitionen in noch nie dagewesener Höhe in den Klimaschutz und in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Zusammen mit den entsprechenden Bereichen aus dem Energie- und Klimafonds – Herr Habeck hat es erwähnt – sind es etwa 11 Milliarden Euro, die in Ansatz gebracht werden. Sie investieren wir in Transformationsprozesse der Wirtschaft, und wir unterstützen damit auch nachhaltiges Wirtschaftswachstum, um die Auswirkungen der Coronapandemie wirklich vollständig hinter uns zu lassen. Ich finde es dabei überaus erfreulich, dass der Einzelplan 09, der uns jetzt vorliegt, im Vergleich zum ersten festgestellten Ansatz um 1,8 Milliarden Euro angewachsen ist. Allein das ist für mich ein Signal dafür, wie bedeutend und wichtig die Aufgabe ist und wie ernst die Bundesregierung diese Herausforderung nimmt.
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Wir werden mit diesen Mitteln in die Bereiche „neue Mobilität“, „Digitalisierung“ und „Weiterentwicklung der Wasserstoffwirtschaft“ genauso investieren, wie wir Innovationsförderung vornehmen werden, Hilfe bei Unternehmensgründungen leisten werden, die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen unterstützen werden und vor allen Dingen auch die Strukturschwäche, die wir im Land immer noch haben, bekämpfen werden. Außerdem sichern wir – es wurde erwähnt – die Gasversorgung, indem wir ausländische Bezugsquellen diversifizieren und mit massiven Investitionen unsere Wirtschaft im Land darauf vorbereiten, LNG-Terminals zu bauen und LNG zu nutzen.
Vor allem werden wir aber den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren; das will ich hier noch mal ganz klar unterstreichen. Denn wenn es uns gelingt, uns von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen,
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entziehen wir uns auch dieser verheerenden Preissteigerungsspirale, unter der wir gegenwärtig alle leiden. Deshalb ist das eine Aufgabe mit existenzieller Bedeutung auch für die zukünftigen Generationen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben diesen massiven Investitionen im Rahmen des EKF – ich nenne hier noch mal die 1,2 Milliarden Euro zur Dekarbonisierung der Industrie, ich nenne hier auch noch mal die 1,4 Milliarden Euro für die Schaffung von Lade- und Elektroinfrastruktur, ich nenne hier aber auch die 10 Milliarden Euro für die energetische Gebäudesanierung – richtet sich der Fokus dieses Haushaltes insbesondere auf den innovativen Mittelstand. Diesen wollen wir stärken und ihm durch gezielte Fördermaßnahmen mehr Wachstumsimpulse versetzen, um Innovation und Beschäftigung zu schaffen.
Ich will hier exemplarisch nennen, dass wir etwa 3 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren. Wir stellen über 1 Milliarde Euro für die Digitalisierung in diesem Bereich zur Verfügung; im Übrigen ist das ein Ansatz, der sich im Vergleich zum letzten verdoppelt hat. Diesen Ansatz flankieren wir zusätzlich mit 2,7 Milliarden Euro aus dem EKF. Ich glaube, das sind gut investierte Gelder, um unsere Wirtschaft auch im digitalen Bereich zukunftsfähiger zu machen.
Darüber hinaus erwähne ich ein neues Programm mit einem Volumen in Höhe von 10 Millionen Euro, mit dem wir gemeinwohlorientierte KMUs unterstützen – ein Bereich, den es so vorher noch gar nicht gegeben hat.
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Als letztes Beispiel will ich nennen, dass wir durch den verstetigten Haushaltsplanansatz für die GRW eine wichtige Größe haben, um bei der Strukturschwäche anzusetzen, so wie wir das in den vergangenen Jahrzehnten auch getan haben. Vor dem Hintergrund leistet auch die GRW wieder unverzichtbare Möglichkeiten zur Bekämpfung von Strukturschwäche und zur Angleichung der Lebensverhältnisse.
Liebe Kolleginnen und Kollegen – Herr Jung, ich nehme Ihr Angebot gerne freudvoll zur Kenntnis –, mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf haben wir jetzt schon gute Möglichkeiten, die Weichen in Richtung Transformation unserer Wirtschaft und Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu stellen. Ich glaube aber, dass kein Entwurf so gut ist, dass er nicht noch verbessert werden könnte.
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Im parlamentarischen Verfahren, lieber Andreas Mattfeldt, liebe andere Haushälter, wollen wir uns dem Prozess gerne stellen. Ich bin gespannt auf unsere Zusammenarbeit, und ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Wolfgang Wiehle.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Regierung muss alles tun, um die heutigen Krisen in Schranken zu halten und die Auswirkungen auf die Bürger wie auch auf die Wirtschaft zu begrenzen. Das Gegenteil wird jedoch gemacht; und Ihr Ministerium, Herr Kollege Habeck, spielt hier eine unrühmliche Rolle.
Die etablierte Politik leidet unter einer dramatischen Selbstüberschätzung, unter einer Überschätzung der Möglichkeiten, die dieses Land hat, aber auch EU-ropa und die westliche Welt. Das gefährdet unser Land, unsere Bürger und unsere Wirtschaft. Die, die nicht so viel haben, spüren es zuerst, und die, die weiterdenken, sagen es zuerst.
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Die harte Lockdown-Politik in der Coronakrise hat viele Existenzen zerstört und die Staatsverschuldung gewaltig ansteigen lassen. Machtpolitische Übertreibungen – ich nenne nur den Namen Söder – kosten mehr, als wir uns leisten können!
Jetzt auf den Angriffskrieg in der Ukraine mit hektischen Sanktionen zu reagieren, die uns mehr schaden als der russischen Regierung, die sich nun stärker China und Indien zuwendet – auch das zeigt eine Überschätzung dessen, was unser Land aushält.
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Wir erleben es jeden Tag an den Zapfsäulen!
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Es beweist selbsterzeugte Not, wenn nun Sie, Herr Minister Habeck, nach Katar pilgern, um dort um Gaslieferungen nachzusuchen. Die dortigen Regenten sind genauso wenig lupenreine Demokraten wie Herr Putin.
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Deutsche Regierungen verschärften diese Krisen, und Sie setzen Ihre ideologische Klimapolitik noch obendrauf.
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EU-ropa glaubt hier, den Oberlehrer für die ganze Welt spielen zu können, während China weiter Kohlekraftwerke baut. Die deutsche Politik stockt wie besessen die Brüsseler Vorgaben regelmäßig noch weiter auf.
Sie von der Ampel, aber auch Ihre schwarzen Sekundanten riskieren den Industriestandort Deutschland, Millionen von Arbeitsplätzen und den letzten Rest noch verbliebener Solidität der Staatsfinanzen. Es ist krasse Selbstüberschätzung, wenn man auf dem Weltmarkt der Erste sein will, der das epochale Hochrisikoprojekt der „Großen Transformation“ durchziehen will.
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Wachsende Summen werden in Wasserstoffstrategien in anderen Weltregionen wie Nordafrika gesteckt. Die Risiken für die Energieversorgung steigen dadurch weiter. Solche Beträge sind im Haushalt an mehreren Stellen versteckt, nicht zuletzt im sogenannten Energie- und Klimafonds. Dieser EKF wurde gerade durch den zweiten Nachtragshaushalt 2021 mit 60 Milliarden Euro neuen Schulden aufgefüllt. Vergessen Sie nicht: Auch das Geld im EKF müssen die Konsumenten und Steuerzahler mühsam erarbeiten!
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Fehlende Transparenz ist auch bei vielen Förderprogrammen zu beklagen, beispielsweise bei ZIM und GRW. Geradezu das Gegenteil von Transparenz beweist das Ministerium bei der Förderung effizienter Gebäude. Der knallharte Förderstopp vom 24. Januar hat bei vielen Bauherren das Vertrauen zerstört. Wie die Bundesregierung so auf 400 000 neue Wohnungen im Jahr kommen will, bleibt ihr Geheimnis.
Die AfD-Fraktion wird immer Transparenz verlangen, vor der Selbstüberschätzung der etablierten Politik warnen und die Interessen der Bürger im Auge behalten, die sich Experimente nicht leisten können und auch nicht wollen.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Karsten Klein.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Krieges von Wladimir Putin in der Ukraine und der damit einhergehenden Sanktionen sind natürlich auch in Deutschland zu spüren. Das spiegelt auch die ifo-Konjunkturprognose von gestern wider, die statt von einem Wachstum von 3,7 Prozent nur noch von 3,1 Prozent, in einem Alternativszenario nur noch von 2,2 Prozent ausgeht.
Diese wirtschaftlichen Verwerfungen führen natürlich auch zu Preissteigerungen. All das sind Belastungen, die natürlich bei unseren Bürgerinnen und Bürgern, bei sozial Schwachen, bei den Arbeitsplätzen, bei den Unternehmen ankommen, vor allem natürlich die energieintensiven Branchen treffen und die Logistikbranche, die Achillesferse unserer Wirtschaft.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es richtig gewesen, dass sich die Bundesregierung, dass sich die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP schon vor einigen Wochen auf ein erstes Entlastungspaket geeinigt haben,
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den Heizkostenzuschuss, den Coronazuschuss, den Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder, die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags und der Pendlerpauschale.
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Das waren wichtige Zeichen, dass wir in dieser Krise handlungsfähig sind, dass wir auch schon antizipieren, was sich in den nächsten Wochen entwickeln kann.
Genauso richtig ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Bundesregierung einen Ergänzungshaushalt angekündigt hat, einen Haushalt, der abbilden soll, was aufgrund der Ukrainekrise noch auf uns zukommen wird – was wir ja jetzt noch gar nicht vollumfänglich abschätzen können. Auch das zeigt Handlungsfähigkeit und Transparenz.
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Wir müssen im Zuge dieses Ergänzungshaushalts natürlich in den nächsten Tagen auch darüber sprechen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen, die Logistikbranche, die, wie gesagt, für uns so wichtig ist, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Morgen mit ihrem Auto zur Arbeitsstätte fahren und den Wohlstand, die Steuergelder erwirtschaften, die wir hier so gerne verteilen, entlasten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es ist in Anbetracht der Coronakrise und des Ukrainekrieges ein kraftvolles Zeichen, wenn diese Koalition, die jetzt gerade einmal 100 Tage im Amt ist, heute Nacht ein zweites Entlastungspaket verabredet hat, das in wenigen Minuten verkündet wird. Das zeigt: Wir sind handlungsfähig in so einer extremen Krisensituation.
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Sehr geehrter Herr Minister Habeck, Sie haben bei diesem Ergänzungshaushalt und bei den Haushaltsplanungen natürlich die Unterstützung der Freien Demokraten, wenn es darum geht, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern, von den fossilen Energieträgern wegzukommen, wie wir es auch vereinbart haben. Uns ist aber auch wichtig, dass wir dazu, wie wir es vereinbart haben, marktwirtschaftliche Instrumente nutzen. Ich fand Ihre Aussagen zum Thema Subventionen wirklich sehr treffend. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Instrumente, die im Einzelplan 09 und im EKF stehen, auch zielgerichtet und wirkungsorientiert eingesetzt werden. Es geht nämlich darum, wie viel CO2-Einsparung wir mit diesen Mitteln erzielen können. In der letzten Legislaturperiode gab es mehrere Berichte des Bundesrechnungshofes, in denen festgestellt wurde, dass diese Wirkungszusammenhänge nicht ordentlich funktioniert haben, dass das Steuerungsmanagement nicht ordentlich funktioniert hat. Deshalb müssen wir uns gemeinsam auf den Weg machen, an dieser Stelle nachzubessern, wenn wir wollen, dass die Steuermittel auch zu einem wirkungsvollen Ergebnis führen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der Ukrainekrieg hat natürlich auch noch zu einer ganzen Reihe von anderen Aufgaben im Aufgabenfeld des Wirtschaftsministeriums, im Einzelplan 09, geführt. Ich will am Ende meiner Rede drei kurz ansprechen:
Der erste Punkt ist das Thema Rüstungsexportkontrolle. Es muss jedem klar sein, dass wir mit unserer Bundeswehr und unserer Verteidigungsindustrie einen Beitrag zu dem Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen „Sicherung von Frieden“ leisten. Das muss natürlich berücksichtigt werden, wenn die Rüstungsexportkontrolle jetzt neu aufgestellt wird.
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Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Freihandel. Freihandel hat sich nicht überlebt. Ganz im Gegenteil: Es ist in dieser Situation umso wichtiger, dass wir uns zum Freihandel mit unseren Partnern, die gleiche Werte vertreten, bekennen.
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Der dritte Punkt, den ich noch kurz ansprechen möchte, ist das Thema Raumfahrt, ein großer Haushaltsposten in Ihrem Einzelplan, Herr Minister. Da haben wir wichtige Aufgaben. Es war richtig, dass sich alle Berichterstatter, lieber Kollege Mattfeldt, immer zum Ariane-Programm, zum unabhängigen Zugang zum Weltall bekannt haben. Diese Entscheidung war richtig; das wird in diesen Tagen noch einmal deutlicher. Deshalb müssen wir gemeinsam die ESA-Konferenz im Herbst vorbereiten, hier in diesem Haus auch mitgestalten, weil es da wirklich um die Zukunft unserer Nation geht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Victor Perli.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben recht, dass die alte Regierung einen schlechten Zustand hinterlassen hat. Aber, Herr Habeck, Sie haben eine Klimaregierung angekündigt, und Sie machen jetzt fossile Energiedeals mit Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der eine Despot wird durch andere Despoten ersetzt. Da gibt es nichts schönzureden.
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Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich am blutigen Jemen-Krieg beteiligt und missachten elementare Menschenrechte. Vor sieben Monaten haben die Grünen noch gefordert, die Fußball-WM in Katar abzusagen, weil dieses Land eine zu große Nähe zu den Taliban habe. Und mit diesem Land gehen Sie nun, Herr Minister, wie Sie selbst sagen, „großartigerweise“ eine langfristige Partnerschaft ein. Dabei müssen wir weg von solchen Partnerschaften. Das bedeutet: Wir müssen jetzt noch viel mehr in erneuerbare Energien und in die klimafreundliche Transformation der Gesellschaft und der Wirtschaft investieren. Aber genau das machen Sie mit diesem Haushalt nicht. Das findet Die Linke völlig falsch.
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Die Koalition behauptet, dass sie sich auf ein 200-Milliarden-Euro-Klimapaket für die nächsten fünf Jahre geeinigt habe. Das „Handelsblatt“ nennt das völlig zu Recht „plumpes Marketing“ und eine „Luftnummer“. Die 200 Milliarden sind zum allergrößten Teil Ausgaben, die schon längst – schon von der alten Regierung – eingeplant worden sind. Zudem sind nicht alles Investitionen fürs Klima. Ein Viertel entfällt auf die Streichung der EEG-Umlage. Hier übernimmt der Staat, was vorher die Stromkunden bezahlt haben. Das ist natürlich richtig. Aber es ist eben kein neuer Cent für Klimaschutz.
Viele Menschen leiden unter den steigenden Energiepreisen. Die Regierung muss hier viel massiver gegensteuern. Ihr Entlastungspaket ist ein ‑päckchen, das durch die hohen Preise und durch die steigenden Krankenkassenbeiträge, die Herr Lauterbach heute verkündet hat, bereits aufgefressen wird; es reicht überhaupt nicht. Eine warme Wohnung darf kein Luxusgut werden!
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Wir müssen Arbeitnehmer, arme Menschen und die Mittelschicht unterstützen, zum Beispiel durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie, zum Beispiel durch ein Energiegeld, durch Basistarife beim Strom, durch eine Erhöhung von Hartz IV und der Grundsicherung.
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In diesen Wochen zocken die Energiekonzerne die Bürgerinnen und Bürger besonders ab, sie sichern sich Extraprofite, sie nutzen diesen schlimmen Krieg aus, um besonders hohe Preise, zum Beispiel beim Sprit, zu erheben. Wir finden, es ist sinnvoll, dass man hier mit einer Sondersteuer diese Extraprofite abschöpft.
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Es ist spannend, dass jetzt auch Nobelpreisträger Joseph Stiglitz genau das vorschlägt. Wir sind sehr interessiert, ob Sie das aufgreifen werden. Es wäre sozial gerecht, meine Damen und Herren.
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Es ist auch höchste Zeit, dass endlich die Preise an den Strombörsen begrenzt werden.
Meine Damen und Herren, die bittere Wahrheit ist, dass diese Bundesregierung in den nächsten fünf Jahren mehr als doppelt so viel für Rüstung ausgeben möchte wie fürs Klima. Wir finden, das muss dringend korrigiert werden. Dazu werden wir als Linke diese Haushaltsberatungen nutzen. Ich freue mich auf die Beratungen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Felix Banaszak.
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Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ – diese Worte haben für mich seit der letzten Woche einen anderen Klang; denn es waren diese Worte, mit denen Wolodymyr Selenskyj die gesamte deutsche Politik, gewissermaßen uns alle, so deutlich kritisiert hat. Mich hat das nachdenklich gemacht, und ich finde: Er hat recht.
Wir haben uns in der Vergangenheit aus durchaus nachvollziehbaren ökonomischen Gründen und Motiven geopolitisch falsch entschieden. Wir wären heute souveräner, etwa in Bezug auf Importstopps, wenn wir uns weniger abhängig gemacht hätten von fossilen Rohstoffen aus Russland oder – der Minister hat es angesprochen – durch den Verkauf von Gasspeichern an Gazprom.
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– Dazu komme ich gleich noch.
Wer diese Zusammenhänge in der Vergangenheit angesprochen hat und etwa Nord Stream 2 infrage gestellt hat, wurde belächelt und belehrt, das sei ein rein privatwirtschaftliches Projekt.
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Wenn wir uns also jetzt dieser Zeitenwende, über die so viel gesprochen wird, stellen, muss klar sein: Es darf nicht allein eine verteidigungspolitische Zeitenwende sein; es muss auch eine energiepolitische Zeitenwende sein.
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Denn jedes Windrad, das wir aufstellen, schützt unser Klima und unsere Freiheit. Mit jedem Solarpanel, das wir montieren, werden wir unabhängiger von Kohle, Gas und Diktatoren.
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Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch massive Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft: Die hohen Energiepreise bedrohen gerade die energieintensive Industrie, Lieferketten brechen ein, Produktion geht zurück. Die EU hat gestern einen Beihilferahmen beschlossen. In dem werden wir in den nächsten Wochen und auch mit dem Ergänzungshaushalt dafür sorgen, die Unternehmen zu unterstützen, die es brauchen.
Meine Damen und Herren, die genannten Effekte treffen nicht alle Unternehmen. Sie treffen insbesondere die, die sich eigentlich gerade auf den Weg in die Transformation zur Klimaneutralität gemacht haben und die jetzt mit ihren Belegschaften vor großen Unsicherheiten stehen – Unsicherheiten, ob diese Transformation noch gelingen kann oder ob es um das bloße Überleben geht. In einer Situation, in der sich die ökologische Krise und die ökonomische Krise gleichzeitig derart zuspitzen und in der eine kluge Transformation beide Krisen adressiert, muss ein Bundeshaushalt Antworten auf diese Unsicherheiten und Herausforderungen geben. Soweit das jetzt möglich ist, tut es dieser Haushaltsentwurf.
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Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen, das stellvertretend für viele steht. Duisburg, die Stadt, aus der ich komme und die ich hier vertreten darf, ist überregional bekannt als Stadt von Kohle und Stahl. Die Kohle geht jetzt, Schritt für Schritt, und das ist richtig. Aber der Stahl soll bleiben, und er soll grün werden.
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3 Prozent der deutschen CO2-Emissionen entstehen allein am Standort von thyssenkrupp Steel in Duisburg. 3 Prozent an einem Standort! Das ist das Zehnfache des gesamten innerdeutschen Flugverkehrs. Gleichzeitig gibt es 17 000 gut bezahlte Arbeitsplätze an diesem einen Standort, auf einem Werksgelände fünfmal so groß wie Monaco. Diese Zahlen machen deutlich, wie groß die Herausforderung ist. Aber sie machen auch deutlich, wie riesig der Hebel ist, wenn uns diese Transformation gelingt: ökologisch für den Klimaschutz, sozial und ökonomisch für gute Arbeitsplätze.
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Deswegen geben wir in den nächsten Jahren 14 Milliarden Euro für den Umbau der Industrie aus, für Klimaschutzdifferenzverträge, Carbon Contracts for Difference. Wir fördern eine Wasserstoffinfrastruktur im Industriemaßstab, verdoppeln die Ausbaukapazitäten für Elektrolyseanlagen, schaffen eine Wasserstoffaußenwirtschaft, wie es sie noch nie gab. All das tun wir, damit die Unternehmen, die jetzt diese Unsicherheit erleben, Sicherheit für ihre Investitionen haben, die jetzt anstehen.
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Und wir sorgen dafür, dass die Emissionen im Energiebereich und im Gebäudebereich zurückgehen. Wir gehen weg vom Prinzip der Vorgängerregierung, staatlich zu fördern, was eh schon State of the Art ist, hin zum Prinzip der maximalen CO2-Einsparung pro Euro, den der Staat zahlt. Das ist kluge Politik.
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Wir haben noch vieles andere vor. Aber die Grundlage all dessen ist der massive, der beschleunigte, der ambitionierte und flächendeckende Ausbau der erneuerbaren Energien.
Herr Jung, ich habe mich sehr gefreut, dass Sie da Unterstützung zugesagt haben. Vielleicht telefonieren Sie ja mal mit Hendrik Wüst oder Markus Söder. Denn wenn wir diesen Ausbau wollen, dann müssen Windausbaublockadegesetze wie 1 000 Meter in NRW und 10 H in Bayern endlich der Vergangenheit angehören.
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Es ist doch absurd, dass die CDU-geführte Landesregierung von NRW morgens sagt: „Wir wollen fünf Jahre früher klimaneutral sein“ und am gleichen Nachmittag 1 000 Meter Abstand für Windräder von der Wohnbebauung beschließt. Das blockiert den Ausbau. Damit gewinnt man vielleicht Wahlen, aber nicht die Zukunft.
Wir wollen die Zukunft gewinnen. Dieser Haushalt ist eine gute Grundlage. Wir werden weiter daran arbeiten. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Hansjörg Durz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nichts weniger als eine Zeitenwende erleben wir seit dem 24. Februar, übrigens exakt seit einem Monat. Nur, in diesem Haushaltsentwurf ist diese Zeitenwende nicht angekommen.
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Wir sprechen ja jetzt schon von einem Ergänzungshaushalt. Dieser Haushaltsentwurf ist noch geprägt von der Vorgängerkrise, also von der Coronakrise, und übrigens auch von der Vorgängerregierung. Die Grundpfeiler dieses Wirtschaftshaushalts tragen nach wie vor die Handschrift von Peter Altmaier. Kernelemente dieses Einzelplans kann man auch deshalb übrigens gut unterstützen.
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Das gilt sowohl für die deutliche Steigerung der Ausgaben im Bereich der Digitalen Agenda, wo weitgehend bisherige Projekte fortgeführt werden, als auch für die höheren Ausgaben im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Geld fließt in viele Projekte, die von der Union aufs Gleis gesetzt wurden.
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Das gilt für den Aufbau einer souveränen Cloud-Infrastruktur – GAIA‑X – oder für Maßnahmen zur Innovationsförderung; Stichwort „Agentur für Sprunginnovationen“. Schön, dass auch ein grüner Wirtschaftsminister die Prestigeprojekte seines schwarzen Vorgängers fortführt! Die Ideen scheinen offensichtlich gar nicht so ganz schlecht gewesen zu sein.
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Doch in den Tiefen dieses Haushaltes finden sich natürlich auch klassisch grüne Themen. Diese 2 Milliarden Euro mehr sind bereits angesprochen worden. Die Ausgabenkapitel, die davon am meisten profitieren, sind die Bereiche Klimaschutz, Energie und Nachhaltigkeit. Darin finden sich Projekte wie die Unterstützung von Reallaboren oder von Klimaschutzkampagnen.
Ich stelle mir aber die Frage: Wie wollen Sie die ganzen Förderprojekte – Sie haben ja eben eine ganze Reihe von Förderprojekten aufgezählt – administrieren, wenn Sie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nicht ausreichend mit Stellen ausstatten?
Und ich stelle mir zum Zweiten die Frage: Wo bleiben denn jene, die die Energiewende am Ende in unserem Land umsetzen? Wer installiert denn Wärmepumpen in den Häusern? Wer schraubt denn die Solaranlagen auf unsere Dächer? Herr Habeck, es ist ausgerechnet der Mittelstand, der in diesem Haushaltsentwurf der große Verlierer ist.
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Im Haushaltskapitel „Mittelstand“ kürzen Sie 200 Millionen Euro. Das ist das völlig falsche Signal an die Menschen und Unternehmen, die die Energiewende in unserem Land umsetzen.
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Doch die Unternehmen wollen nicht nur Unterstützung, etwa für Forschung und Entwicklung. Sie wollen von ihrem Wirtschaftsminister vor allem hören, ob die Zeitenwende, die in der Außen- und Sicherheitspolitik angekommen ist, auch eine Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik ist. Davon ist in diesem Haushalt nämlich bisher nicht viel zu sehen. Angenommene Werte für Inflations- und Wachstumszahlen sind längst überholt. Das ist gar kein Vorwurf, sondern das ist schlicht Fakt.
In diesem sich eintrübenden wirtschaftlichen Umfeld erwarten Unternehmen zunächst einmal eines: dass sich ihr Wirtschaftsminister dafür einsetzt, dass sie nicht auch noch mit zusätzlichen Belastungen traktiert werden. Ihr Kollege Christian Lindner forderte am Dienstag hier: „… alles vermeiden, was Menschen und Betriebe … weiter belasten könnte“. Herr Habeck, springen Sie über Ihren Schatten; sagen Sie Ja zu einem Belastungsmoratorium. Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann doch zumindest auf Ihren Finanzminister.
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Zudem hätten die Unternehmen, die besonders unter dem Sanktionsregime leiden, jetzt wirklich gerne gewusst, wie die von Ihnen versprochenen Schutzmaßnahmen aussehen. Doch während die Merkel-Regierung es schaffte, in weniger als drei Wochen nach den Coronaausbrüchen von Heinsberg erste konkrete Unterstützungsmaßnahmen vorzustellen, gelingt Ihnen das mit einem kleineren Hilfspaket bisher nicht. Wo sind denn diese Maßnahmen?
In den vergangenen Wochen mussten wir alle lernen, dass viele frühere Überzeugungen durch den russischen Angriffskrieg obsolet geworden sind. Dazu gehört die Annahme, Russland mit wirtschaftlichen Abhängigkeiten einbinden zu können. Wir begrüßen es deshalb, dass Sie, Herr Habeck, sich derzeit redlich bemühen, alternative Quellen für Gas und Öl in der Welt aufzutun, um die Energieversorgung in unserem Land sicherzustellen. Ich habe übrigens Respekt davor, Herr Habeck; denn ich bin mir sicher, dass Ihnen das nicht leichtfällt. In Ihren Gesprächen mit den Scheichs beugen Sie sich nicht nur den Realitäten, sondern mit Sicherheit platzen gleichzeitig auch grüne Träume.
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Natürlich sind Energielieferungen aus diesen Ländern eine Alternative. Eine energiepolitische Strategie, die wir übrigens noch nicht sehen, darf aber – das ist Ihnen auch klar – nicht bloß vom Zar zum Scheich reichen. Sie muss gerade jetzt technologieoffen und ohne Denkverbote alle Möglichkeiten, übrigens auch alle Möglichkeiten in unserem Land, in den Blick nehmen und Fehler der Vergangenheit vermeiden.
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Denn wir wollen schließlich alle diversifizieren, uns also breiter aufstellen. Deutschland darf sich energiepolitisch nie wieder in eine solche Abhängigkeit begeben.
Stattdessen bekommen wir dieser Tage deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, gleichgesinnte Partner an der Seite zu haben. Deshalb gilt es jetzt, CETA zu ratifizieren.
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Auch dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Herr Habeck, zu einer Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik gehört auch engere Zusammenarbeit mit Demokratien. Ebnen Sie jetzt CETA, der Zusammenarbeit mit Kanada den Weg – wenn nicht mit Kanada, mit wem denn dann? und wenn nicht jetzt, wann denn dann? –,
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und zwar nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern auch als klares Signal an die Autokraten dieser Welt.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Verena Hubertz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Bleibt alles anders“, und zwar anders, als wir es uns erhofft haben? Anders als wir gedacht haben, ist Corona noch nicht vorbei. Und schlimmer als wir befürchtet haben, herrscht ein Krieg in der Mitte unseres Kontinents. Das ist eine Katastrophe für die Menschen in der Ukraine. Wer aber darauf wartet, dass alles wieder so wird, wie es einmal war, wird vergeblich warten müssen.
Wir sehen die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Krieges: höhere Energiekosten, unterbrochene Lieferketten, Verlust von Handelspartnern. Das zeigt auch die Schwächen unserer Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, unsere starke Abhängigkeit von Rohstofflieferungen aus einzelnen Ländern, aber auch von fossilen Energieträgern.
Wird jetzt alles immer schlechter? Da sage ich ganz klar: Nein. Ich bin überzeugt: Deutschland bleibt die stärkste Wirtschaft auf diesem Kontinent, in Europa.
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Und wir bleiben soziale Marktwirtschaft; aber wir werden sie weiterentwickeln, hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft, die auf erneuerbare Energien setzt, die Ressourcen effizient verwendet und nachhaltig arbeitet.
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Dafür müssen wir einiges ändern. – Ja, das wollen vielleicht manche in diesem Land nicht, aber wir schon.
Damit die Wirtschaft stabil bleibt, haben wir Maßnahmen eingeleitet, um die direkten Folgen, die wirtschaftlichen Folgen des Krieges abzufedern. Wir werden nachher noch ein Entlastungspaket vorstellen; aber das wird nicht reichen. Wir müssen auch an die Wurzel des Problems und langfristig agieren. Wir brauchen nachhaltiges Wachstum. Das bedeutet, dass wir nicht überall Geld draufwerfen und fördern, was da ist, sondern das, was in der Zukunft wachsen kann. Mit dem Klima- und Transformationsfonds machen wir das. 200 Milliarden Euro sind dort drin. Damit werden wir ein nachhaltiges Instrument schaffen – für diesen Wandel.
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Bei allem Wandel wollen wir eines bleiben, und das ist ein Hochtechnologiestandort. Damit das so bleibt, wie es war, müssen wir auf Innovation setzen. Dafür sind über 5 Milliarden Euro in diesem Wirtschaftshaushalt vorgesehen. Zur Zukunft gehört aber auch, zu schauen, wo wir noch gezielt reininvestieren müssen. Gezielt investieren müssen wir unter anderem in unsere Mikrochiptechnologie und ‑industrie. Das tun wir mit rund 2,7 Milliarden Euro.
Geld ist das eine; wir brauchen aber auch die Leute, die anpacken und es umsetzen. Deswegen brauchen wir auch einen neuen Gründungsgeist in diesem Land. Es gibt viele Ideen, die zu kleinen und großen Unternehmen führen. Wir brauchen vor allen Dingen auch mehr große Unternehmen, die aus Innovationen entstehen. Hier müssen wir an die Rahmenbedingungen ran, von Wachstumskapital bis Mitarbeitendenbeteiligung; „ESOP“ sei als Stichwort genannt. Auch hierfür legen der Haushalt und unser Koalitionsvertrag die Grundlage.
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Wir haben viele Chancen in diesem Land. Wir sind Chancenland. Wir müssen die Chancen besser nutzen, bei der Einwanderung zum Beispiel. Wir haben eine starke Willkommenskultur in Deutschland, aber die Bürokratie steht manchmal im Weg, wenn es schnell gehen muss. Wir sprechen deswegen explizit nicht nur von einem Fachkräftemangel, sondern von einem Kräftemangel. Uns fehlen überall Leute, um auch diesen Wandel zu gestalten. Deswegen müssen wir moderner werden. Wir müssen schneller und digitaler werden; Stichwort „Planungsbeschleunigungen“. Und wir brauchen insbesondere für unsere Wirtschaft weniger Bürokratie. Das packen wir als starke Querschnittsaufgabe in dieser Regierung an, die für Fortschritt steht.
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Bundeskanzler Olaf Scholz hat es gestern sehr gut auf den Punkt gebracht, indem er sagte: „… große Krisen sind immer auch ein Anstoß zu Aufbruch und Veränderung“. In Deutschland sind wir gut, Dinge weiterzuentwickeln, aber wir tun uns manchmal schwer damit, völlig neue Wege zu gehen. Ja, es ist vieles nicht mehr so wie vorher, wie vor Corona und vor dem Angriffskrieg. Es ist eben „anders“ in dieser neuen Zeit.
Jetzt habe ich in meiner Rede viel über „anders bleiben“ gesprochen. Vielleicht ist dem einen oder anderen das Zitat ja bekannt. Es ist nämlich eine Zeile aus einem Song von Herbert Grönemeyer.
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Ich würde gerne mit einem Appell, ebenfalls aus Grönemeyers Text, enden: „Genug ist zu wenig, … geh voran“.
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Präsidentin Bärbel Bas:
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Leif-Erik Holm.
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Sehr geehrte Bürger! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Morgen habe ich den Fernseher eingeschaltet, um mal zu schauen, wie es denn nun wird mit den Energiepreisen. Es stieg kein weißer Rauch auf. Auch heute, Herr Minister, kam noch kein weißer Rauch hier in der Debatte. Wir müssen also jetzt bis 11 Uhr warten.
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Dafür kam aber ein Bericht aus Italien. In Italien liegen die Benzinpreise mittlerweile schon wieder auf Vorkriegsniveau – dank einer einfachen Steuersenkung. Unsere Bürger fahren in Belgien tanken, fahren in Frankreich tanken, in Polen tanken, weil die alle schon was für ihre Bürger und Unternehmen getan haben. Und Sie kommen hier nicht aus dem Knick, Herr Minister.
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Seit Wochen doktern Sie hier rum. Ihr langes Rumgezerre an Tankrabatt, Mobilitätsgeld, Steuerlösungen, das ist wirklich an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
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Elf Stunden Verhandlung heute Nacht. Elf Stunden für eine ganz einfache Sache – schnell und unkompliziert möglich –: Allein die Senkung der Energiesteuer auf das EU-Minimum würde das Tanken um etwa 30 Cent je Liter billiger und damit erträglicher machen. Das kriegen wir hier auch – da bin ich mir ganz sicher – ganz schnell durch den Bundestag. Also kommen Sie endlich in die Pötte!
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Aber vielleicht haben Sie es auch gar nicht so eilig. Ihnen sind die hohen Preise ja sogar ganz recht. Es geht schließlich um die große Transformation, um eine ideologisch verbohrte Energiewende, die vorne und hinten nicht funktioniert.
Man sieht an Ihrem Haushalt, dass Sie trotz der aktuellen Lage weitermachen wollen wie bisher. Sie wollen die Zuschüsse für E-Autos noch mal drastisch erhöhen – von 1,6 Milliarden Euro auf 5 Milliarden Euro. 600 Millionen Euro wollen Sie fürs Klima und die Biodiversität im Ausland ausgeben. Ich frage Sie: Ist das jetzt wirklich wichtig?
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Wenn Sie glauben, dass Deutschland sich das immer noch leisten kann, dann ist die Zeitenwende, von der Sie, Herr Minister, auch gesprochen haben, in der Regierung offensichtlich noch nicht angekommen.
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Für uns ist klar, was zu tun ist: Wir müssen schnellstmöglich runter von den hohen Energiepreisen – Thema Inflation –; das ist ganz, ganz dringend. Und wir müssen für Energiesicherheit sorgen. Das geht eben ganz sicher nicht mit noch mehr erneuerbaren Energien. Die machen uns nämlich nicht unabhängiger, sondern zusätzlich auch noch wetterabhängig.
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Nein, es ist klar: Wir brauchen einen gesunden, grundlastfähigen Energiemix, und dazu gehört auch die Kernkraft.
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Belgien hat gerade den geplanten Atomausstieg um zehn Jahre verschoben. Bei uns wird behauptet, das ginge nicht. Das sagt jedenfalls das zuständige Umweltministerium, das ja eine Laufzeitverlängerung geprüft hat.
Im Deutschen Arbeitgeber-Verband wird schon von einer „expertenfreien Prüfung“ geätzt – zu Recht. Wörtlich heißt es in dem Bericht weiter:
Der Öffentlichkeit wurde Kompetenz vorgetäuscht, die es im BMUV nicht gibt, und der eigene Ministerkollege
– also Sie, Herr Habeck –
wurde düpiert. Fatal ist dies deswegen, weil ein Weiterbetrieb von sechs Kernkraftwerken die mit Abstand wirkungsvollste, preisgünstigste und am einfachsten umzusetzende Maßnahme wäre, mit der die Versorgungssicherheit für Strom auf umweltfreundlichem Wege maßgeblich erhöht werden könnte.
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Exakt das ist das, was wir seit Jahren sagen. Wer eine schnelle Lösung der Energieprobleme und Umweltprobleme haben möchte, der kommt an der Kernkraft nicht vorbei.
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Deshalb ist es Zeit, Herr Minister, dass Sie dieses Thema zur Chefsache machen, dass Sie es dahin zurückholen, wo dieses Thema hingehört: ins Wirtschaftsministerium. Handeln Sie endlich!
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Ansonsten müssen Sie sich nicht wundern, dass Sie vor den Scheichs weiter tief buckeln müssen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Reinhard Houben.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es auch schwerfällt: Energiepolitik für Anfänger!
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Wo kommt Uran im Moment her? – Lieferland Nummer 1: Russland; Lieferland Nummer 2: Kasachstan. Herr Holm, bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.
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Meine Damen und Herren, Deutschland braucht einen innovativen, wettbewerbsfähigen Mittelstand. Deswegen sind im vorliegenden Haushalt Innovationsförderung, Digitalisierung und die Förderung von Gründergeist und Selbstständigkeit mit hohen Posten eingeplant. Ich persönlich möchte in meinen drei Minuten Redezeit auf zwei Zahlen eingehen:
Die erste Zahl lautet: 2,5 Milliarden Euro. 2,5 Milliarden Euro sind für den Bereich „Luft- und Raumfahrt“ im Haushalt vorgesehen. Die Forschung im Bereich der Raumfahrt ist eine entscheidende Grundlage für viele Dinge unseres alltäglichen modernen Lebens. Maßgebliche technologische Neuerungen, gerade im Bereich Medizin, sind auf die Raumfahrt zurückzuführen, und Satelliten stellen unter anderem Navigation und vernünftige Wettervorhersagen sicher.
Länder wie Frankreich und Italien haben das erkannt. Sie setzen ein Zeichen und erhöhen gerade die Mittel für ihre nationalen Programme. Es gibt für die Bundesregierung sicherlich Möglichkeiten, dort mehr zu investieren, gerade vor dem Hintergrund, dass wir durch die Nichtzusammenarbeit mit Russland natürlich nicht mehr die Fähigkeit haben, den Raumfahrtbetrieb mit entsprechenden Raketen weiter aufrechtzuerhalten.
Die zweite Zahl in unserem Haushalt lautet: 5 Milliarden Euro, 5 Milliarden Euro für den Kauf von Elektroautos. Ich stelle die Fragen: Geben die Marktpreise nicht eine zusätzliche Attraktivität des Elektroautos her? Es ist sinnvoll, die CO2-Reduzierung auch im Verkehr durchzusetzen. Ist es aber wirklich sinnvoll, hier so viel Geld einzusetzen? Denn: Kann die Nachfrage in diesem Jahr überhaupt in der geplanten Höhe befriedigt werden? Und in diesem Zusammenhang stelle ich auch die Frage, inwieweit Plug-in-Hybride gerade hinsichtlich der Bedingungen für die CO2-Reduzierung wirklich die eierlegende Wollmilchsau sind.
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Deswegen rege ich an, dass wir unter den Ampelpartnern einmal eruieren, ob wir diesen Haushaltsposten nicht reduzieren und dafür den Haushaltsposten für das Nationale Weltraumprogramm erhöhen. Ich glaube, es ist die richtige Zeit dafür. Es ist technologisch nötig, und wir haben in Deutschland genug Know-how und genug Industrie – gerade auch mittelständische Industrie –, die wir an dieser Stelle unterstützen sollten.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Als Techniker bin ich es gewohnt, in Gesamtprozessen vom Anfang bis zum Ende zu denken. Das ist auch in der Wirtschaft – gerade bei der Energie – erforderlich. Das BMWK macht das leider nicht.
Ein Beispiel: Durch Spekulation explodieren die Energiekosten. Die Glashersteller geraten unverschuldet in Not; vielen droht die Insolvenz. Ohne Glas gibt es aber nicht nur keine Glasflaschen, sondern auch keine Fenster für die energetische Sanierung, keine Ampullen für Medikamente und auch keine Glasfasern für schnelles Internet.
Wenn die Glasindustrie in Schwierigkeiten schlittert, dann liegt das auch daran, dass diese Koalition an den Symptomen herumdoktert, statt Lösungen anzubieten. Sie prüfen Liquiditätshilfen. Das reicht nicht. Das ist genauso unzureichend wie die Unterstützung für Menschen mit niedrigem Einkommen.
Gleichzeitig kletterten die Erlöse für EON trotz Corona von 41 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf 77 Milliarden Euro im Jahr 2021. Für RWE stiegen sie im gleichen Zeitraum von 13,6 Milliarden Euro auf 24,8 Milliarden Euro.
({0})
Und die Profite klettern weiter.
Die Linke fordert, gegen diese Spekulationen vorzugehen. Wir brauchen eine Preisaufsicht und eine Preisfestsetzung nach Herstellkosten.
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Diese Extraprofite müssen dringend abgeschöpft werden. Dieses Geld benötigen wir für sozial gerechte Energiekosten für die Menschen und für tragbare Energiepreise für die Unternehmen – auch für die Glasindustrie in Thüringen und Franken.
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Kolleginnen und Kollegen, nur der Ausbau von erneuerbaren Energien schützt uns zukünftig vor Preisexplosionen bei Erdgas und Erdöl.
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Jeder Kubikmeter Erdgas und jeder Liter Erdöl, die Deutschland nicht braucht, senken die Einnahmen von aggressiven Autokraten. Von Russland bis Arabien gibt es dann weniger Geld zum Waffenkauf.
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10 Milliarden Euro mehr für die Energiewende bedeuten mehr soziale Gerechtigkeit und bringen mehr für den Klimaschutz und deutlich mehr für die internationale Sicherheit als 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Lisa Badum.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist wahr: Robert Habeck ist Grüner,
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und er hat in Katar und auch hier offen gesagt, dass Abhängigkeitsenergien eine schmutzige Kehrseite haben. Wenn wir ehrlich sind, wussten wir all die Jahre, dass wir mit unseren Geldern für Kohle, Öl und Gas auch Gewalt und Unterdrückung finanzieren. Und gerade weil wir diese Abhängigkeit nicht sofort beenden können, ist es so wichtig, das Dilemma dieser Abhängigkeit schonungslos zu beleuchten, so lange, bis wir sie endgültig beseitigt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Oder wie „Der Spiegel“ schrieb: „Die neue deutsche Ehrlichkeit, das strategische stating the obvious, ist grün.“
Nur weil wir uns zu arabischen Staaten hingewandt haben – das haben Sie hier ja alle offensichtlich bemerkt –, heißt das doch nicht, dass wir nicht mit weiteren Ländern 100-Prozent-Erneuerbare-, Klimapartnerschaften Richtung „Grüner Wasserstoff“, Richtung „Transformation der Wirtschaft“ anstreben müssen. Das wollen wir, und das können wir doch, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Die Zahl der Verbündeten wächst – auch in Europa. Der European Green Deal wird aktuell in Brüssel verhandelt, und das ist der Schlüssel zu unserer Unabhängigkeit von den Fossilen.
({3})
Über diesen Schlüssel wird in Brüssel gerade diskutiert. Die EU kann eine Gasreduktionsstrategie verabschieden, Ziele bei Effizienz und Erneuerbaren anheben. Und ehrlich gesagt: Ehemalige Bremser wie Polen und Ungarn sind seit der Zeitenwende vorne mit dabei; die fordern mehr Tempo für Erneuerbare.
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Denn es ist klar: Solange wir die Klimakrise und Kriege mit europäischen und mit deutschen Geldern finanzieren, bleiben wir unfrei, bleiben wir abhängig. Deswegen setzt Freiheit in der Energiepolitik voraus, diese in der Verantwortung zu Ende zu denken, in jede Einzelentscheidung hinein und auch vor Ort. Und deswegen werde ich nicht müde, zu wiederholen: Die 10-H-Regel in Bayern muss abgeschafft werden.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Thomas Gebhart.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, wird von Tag zu Tag brutaler. Und dieser Krieg macht uns von Tag zu Tag klarer und führt uns vor Augen, dass es notwendig ist – notwendig im wahrsten Sinne des Wortes: um die Not zu wenden –, dass wir so schnell wie möglich unabhängig werden von diesen Importen von russischen Energieträgern, von Kohle, Öl und Gas, meine Damen und Herren.
Wir müssen so schnell wie möglich unabhängig werden, um diese Kriegsmaschinerie nicht immer weiter zu finanzieren – sei es auch indirekt –,
({0})
und wir müssen unabhängig werden, um sicherzustellen, dass auch im nächsten Winter bei uns die Wohnungen nicht kalt werden und die Industrieanlagen, die auf Gas angewiesen sind, nicht abgeschaltet werden müssen.
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Meine Damen und Herren, wir unterstützen diejenigen Maßnahmen, die sinnvoll sind, um diese Ziele zu erreichen. Es wurde angesprochen: Wir stimmen zum Beispiel morgen hier im Deutschen Bundestag Ihrem Gesetzentwurf zu, wonach die Betreiber von Gasspeichern Füllstandsvorgaben einhalten müssen. Und wir stimmen dem nicht nur zu; wir haben es aktiv unterstützt. Wir haben auf die formale Anhörung verzichtet, und zwar aus einem einzigen Grund: damit dieses Gesetz schneller in Kraft treten kann, damit es bereits in diesem Frühjahr und in diesem Sommer seine Wirkung entfalten kann. Und ich sage Ihnen: Wir werden weitere sinnvolle Maßnahmen an dieser Stelle ausdrücklich unterstützen.
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Aber, meine Damen und Herren, was wir jetzt brauchen, und zwar unverzüglich – und das ist Ihre Aufgabe, Herr Minister Habeck –, ist, dass Sie alle Handlungsoptionen auf den Tisch legen, etwa: die Stromerzeugung, zumindest aus den ungekoppelten Gaskraftwerken, reduzieren und ersetzen, die drei noch nicht abgeschalteten Kernkraftwerke länger laufen lassen oder neue Lieferquellen für Gas erschließen. Das sind nur drei Optionen aus einer ganzen Reihe.
All diese Optionen müssen jetzt auf den Tisch. Und sie müssen vor allem sauber und ehrlich bewertet werden – das ist der entscheidende Punkt –: Was bringen sie? Was kosten sie? Wie schnell können sie überhaupt dazu beitragen, das Problem zu lösen?
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Was bedeuten sie geopolitisch, etwa auch im Hinblick auf die Menschenrechte? Und dazu gehört eben auch die Frage, Herr Minister Habeck: Ist es wirklich klug, sich in die Arme des Emirs von Katar zu werfen, um sich aus den Armen von Putin zu befreien? Ich bin gespannt, was man in fünf oder in zehn Jahren dazu sagen wird.
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Noch ein Punkt. Wir reden über kurzfristig notwendige Maßnahmen. Es ist ein Muss, dass wir unser Ziel, klimaneutral zu werden, dabei immer konsequent mitdenken. Das erwarte ich von einem guten Plan: dass wir die kurzfristigen Maßnahmen jetzt so angehen, dass sie dem Klimaschutz nicht im Wege stehen, sondern dem Klimaschutz dienen, etwa indem wir erneuerbare Energien ausbauen, Wind- und Sonnenenergie, erneuerbare Kraftstoffe, zum Beispiel aus Resten und Abfallstoffen, einsetzen und vieles mehr.
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Ein letzter Punkt. Die steigenden Energiepreise sind für immer mehr Menschen in diesem Land ein immer größer werdendes Problem, übrigens auch für viele Unternehmen. Was wir brauchen, ist eine effektive Entlastung. Wir haben dazu Vorschläge gemacht, etwa die Mehrwertsteuer zu reduzieren, die Energiesteuer zu reduzieren. Das waren sinnvolle Vorschläge, die schnell umzusetzen wären, die unbürokratisch wären.
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Es ist jetzt wirklich ein Gebot der Stunde und es ist die allerhöchste Zeit, dass die Regierung so wie andere europäische Regierungen auch an dieser Stelle effektiv handelt.
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Ja, zur Wahrheit gehört: Diese Maßnahmen, über die wir reden, kosten den Staat Geld. Aber genau aus diesem Grund wäre es umso wichtiger, dass Sie gerade in einer solchen Situation Prioritäten setzen: Worauf kommt es jetzt wirklich an? Sich einfach nur bis über beide Ohren zu verschulden, die Inflation immer weiter nach oben treiben zu lassen, ist eine Politik, die am Ende die Menschen in diesem Land ärmer macht. Und sie macht vor allem diejenigen ärmer, die ohnehin nur wenig haben. Das ist nicht der Weg, den Deutschland gehen sollte. Deswegen: Fangen Sie endlich an, und setzen Sie Prioritäten!
Herzlichen Dank.
({8})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Miersch.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die Haushaltsdebatte, und deswegen möchte ich mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion bei Ihnen, Herr Minister, ausdrücklich bedanken. Das, was Sie in den ersten 100 Tagen leisten mussten, war nicht „von null auf hundert“, sondern es war „von null auf zweihundert“. Es sind Herausforderungen gewesen, die, glaube ich, selten so groß waren.
({0})
Deswegen möchte ich meine Redezeit hier ganz bewusst nutzen.
Herr Kollege Perli von der Linkspartei,
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es ist so schrecklich einfach, jemandem vorzuwerfen, in dieser Situation nach Katar zu reisen. Und, Herr Gebhart, es ist so schrecklich einfach, dann zu fragen, ob das richtig war. Ein Bundeswirtschaftsminister ist verantwortlich dafür, abzuwägen: Wenn ich die Konsequenzen aus diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ziehen will, dann muss ich gleichzeitig Versorgungssicherheit für die Wirtschaft und für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gewährleisten. – Und dann ist es wohlfeil, hier diese Dinge zu kritisieren.
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Ihnen, Herr Perli, nehme ich das sogar noch ab, weil Sie gute Opposition machen.
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Aber Sie, Herr Kollege Gebhart, lasse ich nicht aus der Verantwortung.
In dem Zusammenhang, Herr Durz: Auch als Roter kann ich sagen und Ihnen im Namen der SPD-Bundestagsfraktion versichern: Grüne Träume zerplatzen in diesen vier Jahren mit Sicherheit nicht.
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Denn ich bin mir sehr sicher: Das, was meine Kolleginnen und Kollegen und ich mit Ihnen in der Großen Koalition erlebt haben, passiert uns mit FDP und Grünen nicht.
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Wir wissen, dass es nur einen Schlüssel zur Energiesouveränität gibt, und das ist der maximale Ausbau der erneuerbaren Energien, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich warte darauf, dass Sie mit uns vor Ort kämpfen, wenn sich wieder Initiativen gegen Windräder bilden. Es ist natürlich schrecklich einfach, erst mal gegen diese Dinge zu sein.
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Aber spätestens jetzt muss doch jedem klar sein: Es ist im öffentlichen Interesse, dass wir mit dem maximalen Ausbau weiterkommen, Herr Kollege Gebhart.
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Wenn Sie diesen Vorwurf erheben, dann gucken Sie doch einmal in die Bundesländer, in denen Sie politische Verantwortung tragen. Dann sehen Sie nämlich, dass dort der Ausbau der Erneuerbaren alles andere als zukunftsgerecht erfolgt. Deswegen: Stellen Sie sich hier nicht hin und reden Sie nicht vom Zerplatzen grüner Träume, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({9})
Was auch in diesen Zusammenhang – Erfahrungen mit Ihnen in den letzten Jahren – passt,
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ist die Frage, was denn die Alternativen sind. Ich habe Herrn Merz auf der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am Sonntag vor vier Wochen, glaube ich, gesagt: Sie haben keinen inneren Kompass.
({11})
Denn alleine das, was Sie heute wieder geliefert haben – man könnte mal über eine Laufzeitverlängerung nachdenken –, ist an Doppelzüngigkeit nicht zu überbieten.
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Herr Söder in Bayern ist da nun ganz vorne mit dabei. Ich hatte jahrelang mit der Suche nach einem atomaren Endlager zu tun. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es ist so widersprüchlich und doppelzüngig, jetzt für die Laufzeitverlängerung zu plädieren, aber in den letzten Jahren alles dafür getan zu haben, dass kein atomares Endlager gefunden wird, und schon gar nicht in Bayern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({13})
Dass die AfD in ihren Wahlkreisen wahrscheinlich sofort dazu bereit ist, mag ja sein.
({14})
Aber wer in diesen Zeiten Atomkraft als zukunftsfähig bezeichnet, dem kann ich nur sagen: Schauen Sie doch in die Ukraine! Wo sind denn die Gefährdungspotenziale? Was wird denn jetzt gerade in kriegerischen Auseinandersetzungen genutzt?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Zeitenwende ist es wichtig, Sicherheit zu geben, und zwar auch denjenigen, die Sorgen haben, ob zum Beispiel Energie bezahlbar bleibt. Ich bin stolz, dass die Ampelkoalition auch heute wieder zeigen wird, dass wir die Menschen nicht im Stich lassen, dass wir selbstverständlich auch die Energiekosten als elementaren Bestandteil der Daseinsvorsorge sehen und dass wir die Chancen nutzen, die aus jeder Krise erwachsen. Das ist unsere Aufgabe, und ich bin froh, dass wir um 11 Uhr ein Paket präsentieren, das diesen Anforderungen gerecht wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Alle Minister schwören, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Leider widmen sich einige Minister weniger dem Wohl des deutschen Volkes, sondern vorrangig – je nachdem, welchem Ressort sie vorstehen – dem Wohl verschiedener Interessengruppen – Finanzspekulanten, Pharmakonzerne, ausländische Rohstofflieferanten, Rüstungsfirmen, Beraterfirmen, die die Berater der Ministerien beraten – und sehr deutlich dem Wohl der Profiteure der Wind- und Solarindustrie. Dafür wird das Geld der hart arbeitenden Bevölkerung verschleudert.
Knapp 28 Milliarden Euro sind bereits aus dem Energie- und Klimafonds eingepreist. Ein verantwortungsvoll agierendes Wirtschaftsministerium würde kurzfristig die Abhängigkeit von Stromimporten durch konsequente Nutzung der eigenen Ressourcen, vor allem der Braunkohle, verringern und versuchen, Deutschland langfristig unabhängig von Energierohstoffimporten zu machen.
({0})
Kostengünstige und sicher zur Verfügung stehende Energie ist der Schlüssel zu allem: zu einer funktionierenden und erfolgreichen Wirtschaft und damit zum Wohlstand für alle.
Statt nun aber genau darauf hinzuarbeiten, gibt diese Bundesregierung zig Milliarden Euro für sogenannte erneuerbare Energien aus. Praktisch handelt es sich um parasitäre Energien, da sie niemals allein funktionieren, sondern immer konventionelle Kraftwerke benötigen, die dann einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.
({1})
Mit der sogenannten Wasserstoffstrategie begibt sich Deutschland wiederum in Abhängigkeit, diesmal eben nur in Abhängigkeit von anderen Ländern, da die Wasserstoffproduktion in Deutschland aufgrund der exorbitanten Energiekosten vollkommen unrentabel ist.
Der einzige Weg, Deutschland langfristig weitgehend unabhängig von Energierohstoffimporten zu machen, ist die Erforschung und Nutzung der Kernenergie mit sogenannten Flüssigbrennstoffreaktoren.
({2})
Diese sind GAU-sicher, sie hinterlassen keine hochradioaktiven Reststoffe, die über geologisch lange Zeiträume gelagert werden müssen,
({3})
und sie verarbeiten die Reststoffe der heutigen Kernkraftwerke. Allein mit den bei uns gelagerten, hochradioaktiven Reststoffen könnten wir Deutschland mehr als 100 Jahre sicher mit Strom und anderer Energie versorgen.
({4})
Die Ausbeute der Energie im Verhältnis zur aufgewendeten Energie liegt bei diesen Reaktoren mehrere Hundert Mal höher als bei den parasitären Energien.
({5})
Mit der hohen Prozesswärme können synthetische Kraftstoffe jedweder Art hergestellt werden. Die Kosten für den Endverbraucher sind weit, weit niedriger als die, die sie heute tragen müssen. Ja, es würde Zeit in Anspruch nehmen, aber nur einen Bruchteil der parasitären Energien kosten. Wir könnten uns dann auch die knapp 24 Milliarden Euro für die Endlagersuche sparen. Am Ende dieses Weges wäre Deutschland weitgehend unabhängig von jeglichen Energierohstoffimporten und hätte preiswerte Energie im Überfluss.
({6})
Allen hier, die ohne ideologische Scheuklappen, pragmatisch und vor allem langfristig Deutschlands Energieprobleme lösen wollen, empfehle ich unsere Broschüre „Weiter Horizont“.
({7})
Denken wir nicht in Legislaturperioden, handeln wir weitsichtig! Die grüne Energiewende ist gescheitert. Starten wir die blaue Energiewende! Entsprechende Haushaltsanträge werden wir selbstverständlich einreichen.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Olaf in der Beek.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsfragen sind auch immer Grundsatzfragen. Wir reden also in dieser Woche nicht nur über die Verteilung von finanziellen Mitteln, sondern auch über die politische Schwerpunktsetzung für die nächsten Jahre. In der Ampelkoalition wird der Klimaschutz einen prominenten Teil in der Finanzplanung und damit auch in unserer Politik einnehmen. Wie von Bundesfinanzminister Christian Lindner angekündigt, werden wir bis 2026 allein 200 Milliarden Euro für Klimaschutz und Transformationen bereitstellen.
({0})
Unser Anspruch ist es nun, jeden Euro so effizient und so effektiv wie möglich einzuplanen. Mit der Gießkanne überall Geld zu verteilen, ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll. Dabei haben wir einiges zu tun. Unsere Klimapolitik muss vor allem international verankert werden. Ein wichtiger Baustein ist dabei der Klimaklub, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Je mehr Partner wir auf der globalen Ebene dafür gewinnen können, desto mehr werden wir auch von unseren Investitionen profitieren können.
({1})
Es ist unser Anspruch, im globalen Vergleich voranzugehen. Neben Investitionen im internationalen Bereich müssen wir uns natürlich auch national der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe stellen. Dabei spielen Instrumente wie das Klimageld eine entscheidende Rolle. Hier arbeitet die Ampelkoalition mit Hochdruck an der konkreten Ausgestaltung.
({2})
Auch die Potenziale, die sich für unsere Wirtschaft und dabei insbesondere für Industrie und Mittelstand bieten, müssen wir nutzen und als Staat die bestmöglichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Technologieoffenheit, Mut zu Innovation und die Bereitschaft zur Transformation: Die Ampelkoalition liefert „German Mut“.
({3})
Wenn wir zielgenau und nachhaltig investieren, werden wir nicht nur als Volkswirtschaft profitieren, sondern gehen entscheidende Schritte auch für die nächsten Generationen.
Entschuldigung, Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Auch in der Energiepolitik stehen wichtige Zukunftsinvestitionen an. Wir haben noch nie so intensiv wie jetzt über die Energieversorgung in Deutschland diskutiert. Abhängigkeiten beenden, die Diversifizierung unserer Energieversorgung vorantreiben: Das sind die drängenden Aufgaben der Ampel.
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Dabei müssen wir unter anderem schnellstmöglich LNG-Terminals bauen.
Langfristig werden wir dafür sorgen, Deutschland so energieautark wie möglich zu machen. Hier geht es neben dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien auch um gezielte Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Technologien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben allen Schwierigkeiten, die uns derzeit beschäftigen, müssen wir im Hinblick auf die Klima- und Energiepolitik auch über Chancen reden, Chancen für unsere Wirtschaft, Chancen für unsere Gesellschaft und auch Chancen für die Staatengemeinschaft. Klimaschutz kann nur gemeinsam erfolgreich sein. Gehen wir mit diesem Haushalt den ersten konsequenten Schritt in die richtige Richtung!
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernd Westphal.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Bundeshaushalt ist immer auch die Stunde des Parlaments. Hier werden politische Ziele und Maßnahmen mit Geld unterlegt. Wir dürfen eines dabei nicht vergessen: Wir haben das den fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den innovativen und mutigen Unternehmern, aber vor allen Dingen den innovativen Start-ups, der Industrie und dem Mittelstand zu verdanken. Sie schaffen erst die Voraussetzungen und den politischen Spielraum dafür, finanziell etwas zu verteilen.
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Alle wissen, dass der Haushalt 2022 unter geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eingebracht wird. Die Ampelkoalition ist in den ersten 100 Tagen enorm gefordert. Es sind große Themen, denen wir gegenüberstehen und die wir bei den Koalitionsverhandlungen natürlich nicht auf dem Zettel hatten.
Die Regierung unter Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz leistet eine hervorragende Arbeit. Das zeigt sich auch durch die breite Zustimmung in der Bevölkerung. Mit einer anspruchsvollen Politik auf internationaler Ebene, mit Geschlossenheit und einer besonnenen Politik geben wir Orientierung, Halt und Sicherheit. Jetzt kommt es darauf an, diesen Zusammenhalt in diesen schwierigen Zeiten angesichts der großen Herausforderungen zu organisieren. Man darf sich nicht im Klein-Klein verzetteln. Deshalb sage ich ganz deutlich: Die Rede von Friedrich Merz gestern Morgen
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wird einer verantwortungsvollen Politik nicht gerecht.
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Aus der Wirtschaft und von den Unternehmen erfahren wir hohe Zustimmung zur Politik der Bundesregierung. Jetzt geht es um die Schaffung sicherer, verlässlicher Rahmenbedingungen für Investitionen. Dadurch sichern wir das Wirtschaftswachstum der Zukunft. Das heißt nicht unbedingt, dass wir mehr von dem brauchen, was wir jetzt haben, aber wir müssen besser werden; nicht mehr, sondern besser. Wir brauchen bessere Autos mit besseren Antrieben, bessere Energiesysteme, besseren Maschinenbau, eine höhere Effizienz und mehr Digitalisierung.
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Den Klimaschutz werden wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Nur durch klimaneutrales Wirtschaften wird es gelingen, moderne Produkte, neue Marktperspektiven und vor allen Dingen eine sicherere Zukunftsperspektive für Arbeits- und Ausbildungsplätze zu entwickeln. Die Anstrengungen zum Erreichen von Klimaneutralität werden an Dynamik zulegen müssen. Das sichert der Haushalt in der jetzigen Form ab. Und mit jedem Euro, den wir in erneuerbare Energien, in den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, in eine moderne Infrastruktur investieren, wird Putin das Kriegswerkzeug aus der Hand genommen, und das ist das Ziel unserer Investitionen.
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Dass Deutschland für Investitionen attraktiv ist, zeigen die Entscheidungen der Unternehmen in Deutschland. So machen sich die Stahlindustrie, die Chemieindustrie, die Automobilindustrie und andere auf den Weg, ihre Produktion klimaneutral zu organisieren. Diese Transformation dürfen wir jetzt nicht gefährden. Auch ausländische Investoren wie Tesla, Northvolt oder Intel zeigen, dass die Standortbedingungen in Deutschland optimal sind, dass wir mit der Politik dieser Bundesregierung Investoren aus der ganzen Welt einladen, um hier in Deutschland zu investieren. Das ist ein positives und gutes Zeichen.
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Meine Damen und Herren, der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine erfordert natürlich auch Veränderungen in der Wirtschaftspolitik und bei unseren Maßnahmen. Die Sanktionen zeigen in Russland massiv Wirkung – das ist die Absicht –, sie treffen gezielt, aber haben natürlich auch Auswirkungen auf unsere Unternehmen. Deshalb sind Entlastung und Unterstützung jetzt nicht nur berechtigterweise für private Haushalte, sondern auch für Unternehmen notwendig, wichtig und richtig. Die Unternehmen brauchen eine stabile Brücke, um aus diesem Krisenmodus herauszukommen und wieder Fuß fassen zu können. Der Haushalt enthält hierfür die richtigen Signale, und ich bin davon überzeugt, dass mit einem Instrument aus dem Ergänzungshaushalt die Stabilisierung und Absicherung erfolgt. Die Europäische Kommission hat hierfür den beihilferechtlichen Rahmen geschaffen, den wir jetzt auch ausnutzen müssen.
Wir haben die Belastungen durch Corona noch nicht hinter uns gelassen. Wir waren auf einem guten Weg raus aus der Pandemie und auf Wachstumskurs. Ich will an dieser Stelle sagen: Wir hätten schon viel weiter sein können, wenn wir endlich eine höhere Impfquote hätten. Deshalb: Stimmen Sie dem Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht zu! Wir brauchen genau diese Rahmenbedingungen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage ist zu ernst für parteipolitische Spielchen. Wir dürfen die Risiken von Inflation, geringem Wachstum, Rückgang der Kaufkraft und Lieferengpässen auf keinen Fall unterschätzen. Niemand möchte eine weitere Eskalation des Krieges. An dieser Stelle danke ich besonders dem Bundeswirtschaftsminister, der mit einer sehr anspruchsvollen Politik dafür sorgt, unseren Wirtschaftsstandort Deutschland zu stabilisieren und die Energieversorgung sicherzustellen, für sein Engagement.
Wir in der Ampelkoalition organisieren Sicherheit im und durch Wandel; darauf können Sie sich verlassen. Der eingebrachte Haushaltsentwurf ist gut. Wir werden ihn in der parlamentarischen Beratung an der einen oder anderen Stelle noch besser machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Mattfeldt.
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Frau Präsidentin! Herr Wirtschaftsminister Habeck, Sie sehen mich irritiert, und zwar deshalb, weil Sie ankündigen, dass gestern Nacht wichtige Entscheidungen getroffen worden sind, dann aber hier im Parlament sagen: Schaut euch doch die Pressekonferenz um 11.00 Uhr an.
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Herr Habeck, das geht nicht! Wenn Sie solche Entscheidungen treffen, dann müssen Sie die, wenn Sie hier vor dem Parlament reden, auch ansprechen.
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Das ist eine Missachtung des Parlamentes. Das funktioniert so nicht, und das gehört sich nicht.
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Ich darf auch sagen, dass selten nach dem Zweiten Weltkrieg die Verantwortung für einen Wirtschaftshaushalt so groß war wie in diesem Jahr. Mehr denn je kommt es in diesem Jahr auf eine sinnvolle, abgewogene Ausgabenpolitik an. Wir wollen uns durch die Ausgabenpolitik in die Lage versetzen, die derzeitigen Herausforderungen, die durch Putins grausamsten Angriffskrieg entstanden sind, zu bewältigen. Und das verlangt uns und auch Ihnen weiß Gott alles ab.
Sie, Herr Minister, möchten zur Bewältigung dieser schwierigsten Rahmenbedingungen die Wirtschaft mit ungefähr 11 Milliarden Euro stabilisieren. Das hört sich zunächst einmal viel an, aber in Wahrheit sind das lediglich 700 Millionen Euro mehr, als 2021 schon vorgesehen waren. Ich bin sehr skeptisch, ob dies bei den derzeitig vor uns liegenden Problemen wirklich ausreichend ist. Ich habe mal gelernt: In einer Krise muss man eher klotzen als kleckern.
Vor allen Dingen, Herr Minister Habeck, muss man sinnvoll investieren in Bereiche, die das Rückgrat unserer Wirtschaft darstellen, investieren in Wirtschaftsbereiche, die heute mit erheblichen Steuereinnahmen dazu beitragen, dass Klimaschutzprojekte, die auch wir in der Union für notwendig halten, zukünftig und dauerhaft finanzierbar sind. Das sind Investitionen in Innovation, in Forschung; davon profitiert ganz besonders der Mittelstand. Der Mittelstand, wenn ich das sagen darf, Herr Habeck, entwickelt nicht für die Schublade; der Mittelstand entwickelt für die Marktreife. Das ist auch zwingend erforderlich. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen diese Wirtschaftszweige von Industrie, Handel und Handwerk ein bisschen fremd sind. Ich habe den Eindruck, Sie müssen sich ihnen erst ein Stück weit nähern. Glauben Sie mir, wir wollen gerne helfen, dass das gelingt.
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Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie hier massiv die Mittel streichen. So muss das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, das den Mittelstand bei Innovationen unterstützt, mit 35 Millionen Euro weniger auskommen als noch 2021. Beim Innovationsprogramm IGP haben Sie sogar 49 Millionen Euro gestrichen; Gleiches gilt für die Industrielle Gemeinschaftsforschung. Was aber an Ihrem Entwurf am dramatischsten ist, ist, dass Sie jetzt, wo nach der Coronakrise wieder ausländische Touristen zu uns kommen können, den ohnehin schon knappen Etat der Deutschen Zentrale für Tourismus, die im Ausland für Urlaub in Deutschland wirbt, um 10 Millionen Euro – das ist fast ein Viertel – kürzen.
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Ich finde, das ist schlichtweg die Härte.
Herr Mattfeldt, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Banaszak?
Auf jeden Fall, meine Redezeit ist immer zu knapp.
Vielen Dank, Herr Kollege Mattfeldt, für die Möglichkeit. – Sie haben gerade gesagt, der Minister habe mit solchen Dingen wie Industrie eigentlich nichts am Hut. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass gegenüber dem Regierungsentwurf Ihrer, der unionsgeführten Regierung 10 Milliarden Euro mehr für die Dekarbonisierung der Industrie in den nächsten Jahren vorgesehen sind, damit die Energiewende gelingen kann? Und nehmen Sie in diesem Zusammenhang auch zur Kenntnis, dass das Gelingen auch davon abhängt, dass der Energie- und Klimafonds, bald Klima- und Transformationsfonds, ausreichend ausgestattet ist? Und kann ich Ihre Ankündigung, dass es jetzt um klotzen statt kleckern geht, so verstehen, dass Sie die angekündigte Klage gegen den Nachtragshaushalt 2021, der die finanziellen Möglichkeiten, diese Investitionen auf den Weg zu bringen, überhaupt erst schafft, zurücknehmen werden?
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Geschätzter junger Kollege Banaszak,
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wir beide mögen uns ja sehr; aber jetzt diskutieren wir über den Einzelplan 09. Ich freue mich, dass Sie den Energie- und Klimafonds ansprechen; denn dadurch habe ich noch ein bisschen mehr Munition; dafür hatte ich in meiner Rede keine Zeit. Dieser Energie- und Klimafonds stellt demnächst 200 Milliarden Euro zur Verfügung für Bereiche, die unter Corona nicht leiden.
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Das sind Bereiche, die sowieso schon extrem gut ausgestattet sind. Wenn wir mit dem Energie- und Klimafonds vernünftig investieren, sind wir auf Ihrer Seite.
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Wenn wir in diesen Haushalt hineinschauen, dann könnte man meinen, Herr Habeck ist nur Klimaschutzminister. Aber Herr Habeck ist auch Wirtschaftsminister einer der größten Volkswirtschaften der Welt, nicht nur Klimaschutzminister,
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und er kürzt Mittel für den Mittelstand, für die Industrie, für das Handwerk und für den Handel. Das findet sich hier wieder. Das sind Bereiche, die das Rückgrat unserer Wirtschaft darstellen; die können Sie nicht kaputtmachen.
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Das sehen wir in diesem Haushalt. Deshalb ganz deutlich: Wir grätschen da rein, wo es erforderlich ist, und hier ist es erforderlich. Man kann diese Industriezweige nicht kaputtsparen. Das geht einfach nicht.
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Deshalb sage ich: Die Kürzung bei der DZT ist ein Schlag ins Gesicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mehr als manch andere unter der Coronakrise gelitten haben. Es hätte sich gehört, Herr Minister Habeck, diesen Etat richtig aufwachsen zu lassen, statt ihn zu kürzen. Ich finde, das ist beschämend. Ich darf schon jetzt ankündigen: Wir werden dazu einen sehr klugen Antrag vorlegen. Wie ich Sie kenne, werden Sie sich den zu Gemüte führen; wir beide werden darüber sprechen, und ich glaube, dann kommen wir auch vielleicht zu einer vernünftigen Lösung.
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Denn Sie werden es den Mitarbeitern dort nicht erklären können, warum Sie für diese Branche mit über 2 Millionen Mitarbeitern keinen zusätzlichen Cent übrig haben, aber gleichzeitig Klimainvestitionen in Biodiversität und Klimaschutz – übrigens ausschließlich im Ausland – unterstützen wollen. Das werden die Menschen eben nicht verstehen.
Ich habe mich auch – das darf ich noch sagen, Herr Habeck – über den fast halbierten Ansatz bei den LNG-Bunkerschiffen gewundert. Ja, die Verringerung hier ist planmäßig. Ja, es handelt sich hier um die Ausfinanzierung eines Projektes. Aber Sie haben es ja selber angekündigt: LNG ist die Herausforderung. – Hier kein Anschlussprojekt anzudocken, ist fast schon fahrlässig. Auch bei Energiespeichern hätte ich mir etwas gewünscht. Hier brauchen wir doch jetzt Haushaltansätze. Hier fehlen die Ansätze; wir Norddeutschen sagen: Wir haben hier noch bannig Luft nach oben. – Ich glaube, hier sollten wir noch nacharbeiten.
Aber, Herr Minister, ich will nicht nur meckern; ich möchte auch loben. Es ist vernünftig, was Sie im Bereich der Luft- und Raumfahrt gemacht haben. Sie führen das fort, was wir bereits in der letzten Legislaturperiode gemacht haben. Das ist klug. Ich habe mich auch gefreut, dass Sie bei der Erschließung von Auslandsmärkten die Mittel um 145 Millionen Euro angehoben haben. Ähnliches gilt auch für den Bereich Wasserstoff. Auch hier haben Sie den von der alten Regierung eingebrachten Mitteln noch einmal einen Aufwuchs zuteilwerden lassen. Auch das ist eine kluge Sache.
Herr Minister Habeck, Sie haben jetzt in den Beratungen Zeit, gemeinsam mit uns Parlamentariern aus diesem Entwurf etwas Vernünftiges zu machen. Sie wissen, dass Sie mich als Ihren Hauptberichterstatter bei guten Ideen an Ihrer Seite finden, übrigens alle Berichterstatter für Ihren Haushaltsentwurf. Vielleicht einen Satz zum Abschluss, Herr Habeck: Läuft die Wirtschaft, dann läuft es auch mit dem Klimaschutz. – In diesem Sinne freue ich mich auf tolle Beratungen in den kommenden Wochen. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Nina Scheer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst ein paar Worte an Herrn Mattfeldt richten. Sie haben zuletzt ein bisschen versöhnlicher geklungen, aber Sie haben auch sehr gönnerhaft ausgeführt, dass wir den Haushalt noch verbessern könnten. Ich muss Sie daher daran erinnern, dass etwa die Nationale Wasserstoffstrategie – vorgelegt von unserem ehemaligen Wirtschaftsminister, Herrn Peter Altmaier – gerade einmal 13 Prozent für erneuerbare Energien im Bereich Wasserstoff im Jahr 2030 vorgesehen hat. 13 Prozent – das war die Handschrift, mit der wir zu tun hatten unter Ihrer Wirtschaftsführung in der Koalition. Das war einfach nicht in Ordnung.
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Insofern bin ich froh, dass dieses Kapitel abgeschlossen ist. Wir brauchen von Ihnen wirklich keine Belehrungen, wie dieser Haushalt auf den Weg zu bringen ist und wie die Energiewende zu stemmen ist.
Und ich möchte hier aufs Schärfste zurückweisen, wenn aufgrund der aktuellen Situation, der bekannten Krisen, es nun notwendig geworden ist, ein zweites Entlastungspaket zu schnüren und hierbei auch Nachtzeiten in Anspruch zu nehmen. Alle haben daran mitgewirkt, dass das ermöglicht wird, aber Ihnen fällt dazu nichts anderes ein, als hier der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass die Minister nicht in der Lage seien, das zunächst dem Parlament zu präsentieren. Das ist einfach billig.
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Die aktuell steigenden Energiepreise zeigen, wie schnell aus Abhängigkeit von fossilen Energien Handlungszwänge werden können. Insofern ist auch die Energiepreiskrise, die eine Preiskrise der fossilen Energie ist, ein Barometer für die Verwundbarkeit von Volkswirtschaften. Diese fortbestehende Abhängigkeit von fossilen Ressourcen muss auch vor dem Hintergrund des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine als Zeitraffer betrachtet werden. Dieser Zeitraffer eröffnet uns Schaltstellen, um jetzt akut und drastisch zu handeln, etwa mit dem zweiten Entlastungspaket, aber auch mit weiter gehenden Maßnahmen. Wir debattieren morgen einen Gesetzentwurf zu Gasspeicheranlagen im Bundestag; auch das ist eine Reaktion auf die aktuelle Situation. Es ist natürlich auch aufs Schärfste zurückzuweisen, dass Russland jetzt auf vertragswidrige Weise die Energieimporte in Rubel beglichen haben möchte. Das ist vertragswidrig; das ist keine Frage der Verhandlung.
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Zur Energiesicherheit gehört auch die Frage der Entlastung; ich habe das angesprochen. Ich möchte betonen: 15 Milliarden Euro wurden bereits vereinbart. Das muss doch mal festgehalten werden!
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Die heute beschlossenen und vorzustellenden Maßnahmen sind weitere Möglichkeiten. Die einmaligen Heizkostenzuschüsse sind auf den letzten Metern noch mal verdoppelt worden; 710 000 Menschen profitieren davon. Und auch die EEG-Umlage wird jetzt zur Mitte des Jahres vorzeitig abgesenkt, was natürlich eine enorme Entlastung ist.
Herr Perli, ich muss Sie korrigieren: Das ist jetzt nichts, was irgendwo jenseits der Energiewende ist, nein. Durch die Absenkung der Strompreise begünstigen wir auch Wärmepumpen. Und natürlich ist das ein Bestandteil der Energiewende.
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Das darf man nicht separiert betrachten.
Zur Energiesicherheit gehört auch, fiskalpolitisch schnell weiter voranzukommen. Deswegen sieht auch der Energie- und Klimaschutzfonds – die neue Bezeichnung wird „Klima- und Transformationsfonds“ sein – weitere Aufwüchse vor; das ist ganz klar. Aber auch regulativ müssen wir natürlich vorankommen. Deswegen ist es so wichtig, dass zu Ostern jetzt schnell ein großes Paket mit weiter gehenden Maßnahmen kommt, dass wir die Hemmnisse beseitigen, dass Planungssicherheit geschaffen wird, dass der Aufbau erneuerbarer Energien schnell vorangeht. Die erneuerbaren Energien schicken uns keine Rechnung!
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Das sind – frei nach Franz Alt – die bezahlbaren Energien. Importabhängigkeiten bringen uns hingegen in Geiselhaft, und daraus müssen wir uns befreien.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie ist leider nicht vorbei; das zeigt auch ein Blick in diesen Haushaltsentwurf. Wer noch immer glaubt, die Pandemie würde jetzt schnell enden, der sieht: Es ist leider nicht so weit. Wir haben das auch in dem Einzelplan 15 berücksichtigen müssen.
Der Einzelplan 15 war ursprünglich fast nur halb so groß, wie er jetzt ist, und wir überschreiten für das jetzt laufende Jahr sogar das Budget des Einzelplans des letzten Jahres. Das heißt, die Kosten sind deutlich gestiegen; wir geben deutlich mehr Geld aus. Die Fragen sind: Lohnt sich das? Wofür wird das Geld ausgegeben? Diese Fragen müssen beantwortet werden, und sie können beantwortet werden.
Wenn wir darauf zurückblicken, was Deutschland bisher geleistet hat, wie viel wir ausgegeben haben, dann sehen wir, dass auf der Habenseite steht, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern, die eine ähnliche Altersstruktur wie Deutschland haben, die aber zum Teil weniger ältere Ungeimpfte haben, eine verhältnismäßig niedrige Sterblichkeit haben. Deutschland ist es also gelungen, bei der Sterblichkeit einen Erfolg zu verbuchen, auf den wir auch stolz sein können. Das muss im Rahmen einer solchen Debatte auch gesagt werden.
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Denn wir müssen ja fragen: Wofür machen wir das Ganze? Wir haben das gemeinsam geschafft.
Es sind nicht nur die Ausgaben gewesen; es sind auch die vielen Menschen gewesen, die sich an die Regeln gehalten haben,
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die Kinder, die sich die Masken aufgesetzt haben, die Erwachsenen, die nicht die Restaurants, die Klubs besucht haben. Diejenigen, die sich an die Regeln gehalten haben, haben den allerhöchsten Teil der Kosten getragen; das sind die immateriellen Kosten. Ihnen möchte ich zu Beginn dieser Rede meinen ausdrücklichen Dank aussprechen.
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Wir müssen aber weitermachen; wir müssen uns konzentrieren. 200 bis 300 Tote pro Tag, 300 000 neue Fälle – das ist keine Situation, die wir akzeptieren können. Das ist eine Lage, die so nicht bleiben kann. Wir müssen im Kampf gegen Corona weitermachen.
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Es gibt keinen Freedom Day; es gibt keinen Grund, hier nachzulassen. Wir müssen zusammenstehen, und wir müssen durch diese schwere Welle der Pandemie noch durchkommen.
Daher appelliere ich übrigens auch an dieser Stelle an die Länder: Wir haben hier ein Gesetz gemacht, das Infektionsschutzgesetz. Der eine oder andere hätte sich ein Gesetz gewünscht, in dem der Bund Regeln für ganz Deutschland macht. Das ging aber nicht, weil wir nicht in ganz Deutschland eine Überlastung des Gesundheitssystems haben. Das wäre dafür die Voraussetzung gewesen.
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– Seien Sie doch einfach still! Ich glaube, das, was Sie hier vortragen, interessiert außer Ihren eigenen Reihen niemanden.
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Niemand will das hören! Ich spreche hier für das gesamte Haus. Niemand will das hören.
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Das ist doch nichts Konstruktives. Was ich von der rechten Seite hier höre, ist doch nur störender Lärm, und so geht es allen Kollegen von mir. Es ist beschämend, dass man sich das anhören muss, beschämend.
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– Nein, das ist nicht parlamentarisch. Im Parlament geht es um die sachliche Auseinandersetzung,
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aber nicht um hämische Bemerkungen im Angesicht von 300 Toten pro Tag.
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Ich appelliere an die Länder:
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Bitte nutzen Sie das Infektionsschutzgesetz, das wir jetzt gemacht haben! Nutzen Sie dieses Infektionsschutzgesetz! Es ist richtig: Wir haben nicht deutschlandweit eine Überlastung des Gesundheitssystems; daher waren flächendeckende Regeln nicht mehr möglich. Aber es gibt zahlreiche Regionen, wo zum Beispiel die Krankenhäuser überlastet sind,
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wo die Pflegeuntergrenzen unterschritten sind, wo die Notfallversorgung abgemeldet werden muss, wo verlegt werden muss, weil nicht genug Betten da sind, wo wir planbare Eingriffe absagen müssen. All diese Gegenden sind überlastet, und dort kann und soll das Infektionsschutzgesetz eingesetzt werden. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass das in Mecklenburg-Vorpommern, aber nicht nur dort, versucht wird.
Wir müssen jetzt zusammenhalten. Wir dürfen nicht betonen, dass die Regeln, die wir gerne hätten, die aber rechtlich nicht gehen, nicht da sind; sondern wir müssen die Regeln, die wir gemeinsam gemacht haben, einsetzen zum Schutz all derer, die sie brauchen, die auf uns angewiesen sind.
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Die Kosten, die wir derzeit tragen, sind Kosten für Impfstoffe, die wir besorgen, Kosten für Impfzentren, Bürgertestungen, Arzneimittel und Ausgleichszahlungen sowie für den Schutz von Versorgungsstrukturen. Das gesamte Geld wird sinnvoll eingesetzt; das muss hier auch gesagt werden.
Wir verschwenden nichts; wir verhandeln hart. Aber das ist das Geld, das das Gesundheitssystem braucht, und das ist insbesondere auch das Geld, das die Krankenhäuser brauchen; denn die Krankenhäuser tragen den schwersten Teil der Last der Versorgung dieser Patienten seit mehr als zwei Jahren. Ihnen gebührt mein besonderer Dank, insbesondere den Pflegekräften, aber auch den Ärzten und – was man viel zu wenig hört –
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auch den vielen Menschen, die in diesen Krankenhäusern arbeiten und den Betrieb am Laufen halten.
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Das sind diejenigen, denen wir hier danken. Das sind diejenigen, für die wir die Mittel zur Verfügung stellen.
Auch die gesetzliche Krankenversicherung hat natürlich wegen der wirtschaftlichen Entwicklung massive Einnahmenrückgänge gehabt. Wir füttern hier bei; wir unterstützen sie mit 14 Milliarden Euro, sodass die gesetzliche Krankenversicherung weiter auch für all diejenigen funktionieren kann, die erkranken und die Hilfe brauchen, aber von Covid nicht betroffen sind.
Wir haben darüber hinaus zwei Formen von Kosten, die viel zu selten erwähnt werden, die aber in einer Haushaltsrede auch erwähnt werden müssen, weil sie da sind, weil es hohe Kosten sind.
Das sind zum einen die Kosten, die diejenigen tragen, die an Long Covid erkrankt sind. Diejenigen, die an Long Covid erkranken, verlieren nicht nur ihre Produktivität für die Wirtschaft; sondern auch ihre Lebensqualität verändert sich oft von heute auf morgen und, soweit wir das jetzt wissen, auf unbestimmte Zeit. Long Covid wird zu den wichtigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland gehören, und zwar insbesondere auch bei denjenigen der mittleren Lebensphase. Das können wir nicht akzeptieren. Schon alleine deshalb müssen wir gegen die hohe Inzidenz ankämpfen.
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Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen: Es ist die Impfung, die auch vor Long Covid am sichersten schützt. Wir haben jetzt – Gott sei Dank! – klare Hinweise darauf, dass das Long-Covid-Risiko,
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wenn man sich infiziert, aber geimpft ist, deutlich reduziert ist,
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und das ist etwas, was wir hier sagen müssen, woran wir appellieren müssen.
Die zweite Ebene der Kosten, die hier erwähnt werden muss, die auch immer wieder zu kurz kommt, betrifft diejenigen, die die geistigen, die seelischen Kosten tragen. Das betrifft diejenigen, deren Hochzeit abgesagt wurde, deren Feier abgesagt wurde, deren Geburtstag nicht gefeiert werden konnte, auch nicht, wenn es der letzte Geburtstag gewesen ist. Menschen haben ihren letzten Geburtstag nicht mehr feiern können. Bildungschancen sind verloren gegangen. Auch den Kindern, die Opfer gebracht haben, die ihre Freunde nicht besuchen konnten, und den älteren Menschen, die in den letzten Lebensjahren ihre Angehörigen nicht mehr sehen konnten, schulden wir, dass wir diese Pandemie beenden. Und es gibt einen Weg, diese Pandemie zu beenden.
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Gehen Sie diesen Weg mit mir!
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Der Weg aus der Pandemie heraus – das betone ich jedes Mal – ist die allgemeine Impfpflicht. Denn mit der Impflücke, die wir jetzt haben, werden wir im Herbst die gleiche Debatte führen, die wir jetzt führen.
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Wir werden hier erneut die Debatte darüber führen: Reicht das Infektionsschutzgesetz aus? Was müssen wir schließen? Müssen die Kinder Masken tragen? Die gesamte Debatte, sie kommt erneut. Der einzige zuverlässige Weg aus der Pandemie heraus ist die allgemeine Impfpflicht. Es ist auch der Weg, den der größte Teil der Bevölkerung will. Ich glaube, es ist auch der Weg, den der größte Teil des Bundestages will. Somit: Nehmen wir uns doch die Kraft, und beenden wir die Pandemie in diesem Jahr! Wir haben es in der Hand.
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Wir können in diesem Jahr die Pandemie beenden, und wir sollten diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.
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Wir wollen nicht, dass es immer so weitergeht. Wir haben die Impfstoffe. Wir wissen, welche Varianten im Herbst mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
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Wir dürfen nicht warten. Hier appelliere ich ausdrücklich auch an die Union. Ich weiß, dass es in der Union viele gibt, Herr Frei – bei Ihnen, nicht rechts von Ihnen –, die im Prinzip die allgemeine Impfpflicht richtig finden und mitgehen wollen.
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Ich appelliere einfach an Sie: Wir dürfen das nicht verschieben. Ihr Vorschlag ist – unbenommen – nicht in jedem Punkt falsch. Aber wenn wir zu spät beginnen mit der Impfpflicht, dann werden wir sie erst für das nächste Frühjahr durchgezogen haben. Das kommt dann zu spät.
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Bedenken Sie auch die hohen wirtschaftlichen Kosten. Denken Sie an die Enttäuschung, die zu erwarten wäre, wenn wir das nicht schaffen.
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Ich weiß, dass wir hier miteinander verhandeln müssen, aber ich appelliere an alle hier, die vernünftig sind: Das können wir gemeinsam bewältigen. Die Impfpflicht ist das, was wir brauchen; sonst drehen wir uns im Kreise herum und beenden die Pandemie in diesem Jahr nicht. Das wäre eine verlorene Gelegenheit, eine Gelegenheit, die wir nicht wiederbekommen werden.
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Ich möchte mich noch einmal direkt an die Ungeimpften wenden:
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Nutzen Sie wenigstens eine Impfung in diesen Tagen; denn mit einer Impfung reduzieren Sie schon sieben Tage nach der Impfung deutlich Ihr Risiko, intensivmedizinisch versorgt zu werden oder sogar zu sterben.
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Noch nie war das Risiko für die Ungeimpften so hoch,
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sich zu infizieren und schwer zu erkranken. Ein großer Teil der 300 Menschen, die jetzt pro Tag versterben, sind Ungeimpfte.
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Daher appelliere ich an die Ungeimpften: Tun Sie sich selbst den größten Gefallen, den Sie sich tun können!
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Nichts ist schlimmer, als in den letzten Tagen, bevor der Sommer kommt und wir eine Pause bekommen, noch schwer zu erkranken oder gar zu versterben. Nutzen Sie die Gelegenheit, die wir Ihnen bieten!
Ich danke Ihnen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie und gebe nunmehr das Wort an den Abgeordneten Tino Sorge von der CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Bundesgesundheitsminister, ich habe wirklich das Gefühl: Täglich grüßt das Murmeltier. – Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier in der Haushaltsdebatte mal wirklich über Grundsatzfragen des Haushaltes reden,
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dass wir darüber reden, wie wir langfristig unser Gesundheitssystem finanzieren, und nicht, dass Sie hier schon wieder die Impfpflichtdebatte vom Zaun brechen. Aber das zeigt mir einmal mehr, dass offensichtlich eine sehr hohe Nervosität bei Ihnen herrscht; denn die allgemeine Impfpflicht, für deren Mehrheit Sie hier werben, hat in diesem Haus keine Mehrheit, lieber Kollege Lauterbach.
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Man kann sagen, dass Haushaltsdebatten auch immer etwas ganz Besonderes sind; denn wir debattieren eben über grundsätzliche Fragen. Aber in Anbetracht dessen, was die Ampel und was auch Sie sich in den letzten Tagen wieder geleistet haben, ist das hier überhaupt nichts. Es gibt widersprüchliche Aussagen des Bundesgesundheitsministers zur Finanzierung des Gesundheitssystems. Da gibt es einen Referentenentwurf eines GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, der publik wird, und einen Tag später sagen Sie, es gebe gar keinen Entwurf. Deshalb: Lieber Bundesgesundheitsminister, machen Sie endlich ernst! Bessere Kommunikation hatten Sie versprochen und angekündigt. Davon ist leider nichts zu sehen. Vielleicht klappt das ja in den nächsten Wochen und Monaten mal wieder besser.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch wieder konstatieren, dass offensichtlich diese Einigkeit in der Ampel so nicht besteht, wenn der Bundesgesundheitsminister bei der Frage, wie er die Finanzierungslücke im Bereich der GKV decken will, verkündet, das sei mit dem Kanzler abgesprochen, das sei mit dem Bundesfinanzminister abgesprochen, und einen Tag später der Bundesfinanzminister Lindner sagt, das seien individuelle Vorstellungen des Kollegen Lauterbach. Wenn dann auch noch der Finanzstaatssekretär sagt, man warte erst mal die Ergebnisse des Schätzerkreises im Herbst ab, dann kann ich nur sagen: Wer so widersprüchlich Finanzplanung betreibt, wird keinen Erfolg haben, und – noch viel schlimmer – wer solche Kabinettskollegen hat, der braucht wahrlich keine Opposition, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es scheint ja mittlerweile schon zum guten Ton zu gehören, dass auch innerhalb des Bundeskabinetts Ihre Vorstöße, lieber Herr Bundesgesundheitsminister, nur noch zu Schulterzucken führen. Beim Infektionsschutzgesetz haben Sie den Bundesjustizminister bei der Frage der Hotspots überrascht,
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beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ausgerechnet den Finanzminister. Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Die Finanzierung des Gesundheitssystems ist eine Teamaufgabe, und diese Teamaufgabe sollten Sie in der Ampelkoalition auch erfüllen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich würde ja auch mal was Positives sagen. Aber wenn ich mir ganz objektiv die Fakten anschaue, dann kann ich bisher sagen: Jedes einzelne Projekt der Ampel ist ein Flop. Ich sage Ihnen auch, warum. Feststellung der Pandemielage: im November, in die Delta-Welle hinein, aufgehoben. Genesenenstatus: Chaos mit Ansage, deutscher Sonderweg; alle europäischen Länder machen was anderes.
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Finanzstabilisierungsgesetz: auf Eis gelegt.
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Allgemeine Impfpflicht: entgegen der Behauptung, die Sie hier aufstellen, keine Mehrheit im Parlament. Infektionsschutzgesetz: ging haarscharf am Koalitionsbruch vorbei. Triage-Entwurf: offene Arbeitsverweigerung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.
Und letztendlich – das darf ich und das kann ich Ihnen hier leider auch nicht durchgehen lassen –: Sie stellen sich hierhin, loben die Pflegekräfte, loben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im medizinischen System, im Gesundheitssystem. Seit über vier Monaten warten wir auf den Coronabonus für die MFAs, für die ZFAs. Jetzt machen Sie endlich ernst mit den Ankündigungen! Wir haben hier einen Antrag gestellt. Stimmen Sie diesem Antrag zu,
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um diese Wertschätzung auch tatsächlich konkret den Menschen vor Ort zu zeigen!
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Und: Die Liste wird ja immer länger. Das Schlimme an der ganzen Situation ist, dass man sich hier vorkommt wie der Mahner und das Gefühl hat: Täglich grüßt das Murmeltier. – Wir haben Sie schon vor Wochen gebeten, dass Sie als BMG mal eine Vorhabenplanung vorlegen. Sie sind mittlerweile über 100 Tage im Amt. Es gibt keine konkrete Vorhabenplanung.
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Es gibt keine Planung, welche Vorhaben Sie wann, wie, in welcher Zeitschiene umsetzen wollen.
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Und auf das, was Sie sagen, kann man sich wegen der Halbwertszeit ja leider nicht wirklich verlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Weil wir bei den Problemen sind: Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie hier auch mal einige Sätze dazu sagen, wie es bei den Krankenkassenfinanzen weitergehen soll, wie es im Herbst weitergeht und insbesondere wie es bei der Pflegeversicherung weitergehen soll. Sie vertagen die Frage der auskömmlichen Finanzierung der Pflegeversicherung auf 2023 und verlagern sie in eine Kommission. Sie geben keine Perspektive bei der Frage der Krankenhauslandschaft. Ich kann Ihnen sagen: Diese Aufschieberitis wird Ihnen auf die Füße fallen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelkoalition.
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– Kommen Sie jetzt nicht mit dem Argument, wer in den letzten Jahren regiert hat; das waren nämlich auch die Kollegen der SPD. Aber ich will uns das jetzt alles ersparen.
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Was ich bemerkenswert finde, ist, dass die Ampel in der Haushaltsplanung für 2023 vorsieht – meine Kolleginnen und Kollegen werden dazu noch konkreter was sagen –, den Etat des BMG um zwei Drittel zu kürzen. Da frage ich Sie allen Ernstes: Ist das genau die Wertschätzung, die Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgesundheitsministeriums, die Sie dem Gesundheitssystem entgegenbringen, die Sie hier immer proklamieren? Das ist fahrlässig. Das Gesundheitsressort spart am falschen Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deshalb lassen Sie mich zum Schluss, lieber Herr Bundesgesundheitsminister, noch sagen: Sie haben vor einigen Tagen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Brief geschrieben, in dem Sie ihnen nach 100 Tagen im Amt gedankt haben. Sie haben geschrieben, dass Sie den Beschäftigten für die Arbeit im Ausnahmezustand ausdrücklich danken. Das ist richtig. Sie haben gleichzeitig aber auch darauf hingewiesen, dass die Arbeitsbelastung, also der permanente Ausnahmezustand im Arbeitsalltag, letztendlich zu vermeiden sein sollte. Deshalb kann ich leider nur sagen: Wenn Sie das getan hätten, was Sie sagen, dann hätten Sie keine Kürzung des BMG-Etats von 65 Prozent bereits im Entwurfsstadium zugelassen.
Und deshalb meine Bitte, die Bitte unserer Fraktion: Lassen Sie sich bei den Haushaltsberatungen nicht vom Bundesfinanzminister über den Tisch ziehen. Sprechen Sie vorher mit den Kolleginnen und Kollegen, sodass das, was Sie hier ankündigen, auch synchron zu dem ist, was Sie dann tatsächlich machen.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Vielen Dank, Herr Sorge. – Wir kommen jetzt zur Kollegin Dr. Paula Piechotta für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Lauterbach! Corona ist nicht vorbei; das stimmt. Dieser Satz wird ja jetzt gerade immer mantraartig wiederholt, weil bestimmte Kolleginnen und Kollegen das nicht verstehen wollen.
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Aber er verdeckt schon ein Stück weit, dass sich die Pandemie deutlich verändert hat in den letzten gut zwei Jahren.
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Deswegen würde ich Sie gern noch mal kurz mitnehmen in das erste Jahr der Coronapandemie. Da war ich nicht hier; da war ich selber in der Klinik. Und da war es tatsächlich so, dass wir sehr viel damit zu tun hatten, dass uns in der Klinik alle Masken geklaut wurden und dass nie Desinfektionsmittel da war, bis überall Sicherheitsdienste standen. Dann gab es irgendwann das Problem, dass man nicht mehr wusste, welche Patienten man jetzt noch behandeln durfte und welche nicht. Permanent fehlten Kollegen in den Dienstplänen.
Ich gebe zu: Da hat man die Debatten hier im Bundestag wirklich nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Aber das, was man mitbekommen hat, war: Da wurde geklotzt und nicht gekleckert. Da war für alles Geld da.
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Und es war auch unglaublich spannend, zu sehen – obwohl wir alle immer wieder darauf hingewiesen haben, dass Klinikbetten alleine noch keine Patienten versorgen können, dass Beatmungsgeräte allein noch keine Patienten versorgen können –, dass das der ganz große Schwerpunkt bei den Coronabeschaffungsmaßnahmen und Zusatzausgaben der ersten Monate war.
Ich sage das deswegen, weil das was mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen gemacht hat. Wenn du unglaublich viele Lücken im Dienstplan hast und du kommst abends zum Nachtdienst und du läufst durch einen Flur, der voller Betten in Originalverpackung steht, die mit Boni der Bundesregierung beschafft wurden, ohne dass sie jemals in Benutzung gehen werden, wenn du siehst, das Geld ist da, aber es ist kein Kollege da, der mit dir zusammen im Nachtdienst ist, dann macht das etwas mit dir, weil es dir zeigt: Da werden die falschen Prioritäten gesetzt. Und wenn du morgens vom Nachtdienst aus der Klinik rauskommst und du fährst nach Hause und da ist die Coronateststation und du weißt ganz genau, dass sich da gerade jemand eine goldene Nase verdient, sich aber an den Tarifverträgen in den Kliniken nichts geändert hat, dann macht das was mit den Leuten, die im Gesundheitswesen arbeiten.
Deswegen reicht es nicht, denen heute Danke zu sagen, sondern wir müssen jetzt in die Phase kommen, wo wir auch die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen dramatisch verbessern, und dafür brauchen wir auch jeden Euro. Denn wir haben die letzten Monate kontinuierlich Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen verloren.
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Da ist einfach unglaublich viel schiefgelaufen; das wissen wir alle. Deswegen müssen wir heute auch kritischer draufschauen. Es wurde viel Geld mit vollen Händen ausgegeben: Maskenbeschaffung, Coronateststationen, diese Bettenzuschüsse à 50 000 Euro, FFP-Masken-Ausgabe über die Apotheken. Da ist unglaublich viel schiefgelaufen, und das muss jetzt vorbei sein.
Ja, wir wollen Corona beenden, und wir wollen alles, was notwendig ist in dieser Krise, ausfinanzieren. Aber wenn wir kritisch auf alles draufschauen, was jetzt im Einzelplan drinsteht, dann geschieht das nicht, weil wir Corona nicht beenden wollten, sondern weil wir wissen, dass die Mittel in diesem Etat – jeder Euro, den man dafür finden kann, dass sich die Gesundheitsbedingungen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessern und ebenso die Patientenversorgung – dort noch besser aufgehoben sind. Das ist der einzige Grund, warum wir so kritisch draufschauen. Und ich glaube, im dritten Jahr der Coronapandemie muss man das auch erreichen können.
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Und damit kommen wir zum Grundproblem. Eigentlich sollten wir in der Haushaltsdebatte bei dem Einzelplan 15 gar nicht so viel Ausgabenkritik an der GKV machen. Aber warum müssen wir das machen? Weil wir jetzt quasi eine teilweise steuerfinanzierte gesetzliche Krankenversicherung haben. Wir sind als Grüne Fans der Bürgerversicherung, ja. Aber so ein teilweise steuerfinanziertes Versicherungskonzept ist nicht unsere Idee. Das ist absurderweise eines der Vermächtnisse von Jens Spahn im Gesundheitsministerium, und davon müssen wir ganz schnell wieder wegkommen.
Aber wenn es jetzt schon so ist – und es sieht ja eher so aus, als ob das immer weitergeht –, dann ist es nur folgerichtig, dass auch das Bundesfinanzministerium mit in den Schätzerkreis reingenommen werden muss, und dann ist es auch nur folgerichtig, dass auch der Haushaltsausschuss in die Ausgabenkritik der GKV einsteigen muss. Ich halte das aber nicht für ideal, schon allein, weil dann Kollegen wie Herr Mattfeldt im schlimmsten Fall mit darüber entscheiden, was im GKV-System noch finanziert wird und was nicht. Nichts gegen den Kollegen Mattfeldt, aber das ist keine ideale Lösung.
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– Na ja, das bezweifle ich halt.
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Ich habe jetzt ungefähr dreimal betont, wie wichtig bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen sind. Natürlich gibt es in diesem Etatentwurf den Coronabonus; da steht 1 Milliarde Euro drin, man kann das machen. Aber es sollte sich niemand der Illusion hingeben – wir hatten ja schon Coronaboni in der Vergangenheit –, dass wegen so einem Coronabonus jemand, der nach fünf Nachtdiensten in Folge völlig ausgebrannt ist und sich fragt, ob er in dieser Art und Weise diesen Beruf in Vollzeit bis zur Rente durchsteht, nicht in Teilzeit geht oder irgendjemand zusätzlich im Beruf bleibt. Und auch deswegen sage ich wieder: Ja, man kann das machen, aber die Frage ist: Was hätten wir mit dieser Milliarde gegebenenfalls auch an Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen erreichen können?
Ja, die Pandemie ist nicht vorbei. Aber die Zeit der wenig zielgerichteten Coronamaßnahmen und der Verschwendung bei den Coronamaßnahmen muss vorbei sein. Wir brauchen jetzt eine sehr gute Kommunikation zwischen Haushaltsausschuss und dem Bundesgesundheitsministerium, damit wir eine sehr gute gemeinsame Grundlage dafür schaffen, was wir in diesem dritten Jahr der Coronapandemie zielgerichtet finanzieren können und was nicht.
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Wir brauchen jeden Euro, den wir zusätzlich finden können, für eine solide, zukunftsfeste Aufstellung unseres Gesundheitswesens, das gerade echt auf dem Zahnfleisch geht. Wir brauchen mehr Mittel für eine echte Prävention.
Da reiße ich jetzt noch mal die Punkte an, die im Koalitionsvertrag stehen und die sich alle noch nicht im Haushalt des Ministeriums abbilden.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Ich gehe nachher auf die Kollegin zu und würde jetzt einfach schnell zum Ende kommen.
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– Tino Sorge, ich komme auch gerne zu Ihnen persönlich.
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Wir brauchen jeden Euro für eine echte, neue Präventionsstrategie, und da reiße ich die Punkte an, die alle noch nicht im Einzelplan ausfinanziert sind, die aber im Koalitionsvertrag stehen. Wir brauchen jeden Euro für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die dringend notwendig ist in dieser Situation. Und wir brauchen auch jeden Euro – da spreche ich jetzt auch als eine Vertreterin aus Sachsen – für die Sicherung der medizinischen Versorgung und pflegerischen Versorgung im überalterten ländlichen Raum. Darüber hat hier heute noch niemand gesprochen. Auch das wird eine Herkulesaufgabe, auch das ist noch nicht ausreichend abgebildet. Und auch das werden wir in den nächsten vier Jahren ausfinanzieren müssen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nunmehr erhält das Wort für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Wolfgang Wiehle.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Unterschied, ob man Politik für die Gesundheit macht oder ob man mit Krankheit Politik macht. Es ist ein Unterschied, ob man im Angesicht neuartiger Gesundheitsgefahren über das richtige Verhalten aufklärt und das Nötige organisiert oder ob man den Menschen Angst macht, um sich anschließend als der große Retter in Szene zu setzen.
Es ist ein Unterschied, ob man gegen neue Erreger Impfstoffe entwickelt, diese gut testet und sie den Menschen anbietet oder ob man sie den Menschen aufzwingt, ohne Rücksicht auf deren persönliche Entscheidung und deren Grundrechte.
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Dieser Unterschied macht sich auch im Haushalt bemerkbar. Andere Länder wie Schweden, wo sich keine Regierung als Retter aus hochgepuschter Angst aufgespielt hat, sind wirtschaftlich viel besser durch die Krise gekommen. Das ist freilich ein Thema für andere Einzelpläne dieses Bundeshaushalts.
Aber auch der Einzelplan 15 zeigt eine deutliche Aufblähung. Der Haushalt des Gesundheitsministeriums ist mit über 52 Milliarden Euro so groß wie nie zuvor, und das, obwohl der Höhepunkt der Coronakrise hinter uns liegt. Die Gründe dafür liegen in der völlig verfehlten Impfkampagne. So hatte die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen 677 Millionen Impfstoffdosen bestellt. Teilt man das durch die Anzahl der Bundesbürger, rund 83 Millionen, so ergibt das mehr als acht Impfstoffdosen pro Kopf, vom Säugling bis zum Greis, bei einer Impfquote von 100 Prozent. Auch wenn viel Impfstoff an Entwicklungsländer verschenkt wird, zeigt das klar: Diese Bundesregierung rechnet mit einem Dauerbooster-Zwangsabo für alle Deutschen!
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Kurz vor Weihnachten hatte der Einkauf von Covid-Impfstoffen bereits rund 4 Milliarden Euro verschlungen, und für dieses Jahr sind nun über 6 Milliarden Euro angesetzt. Millionen Bundesbürger haben sich aber in ihrer persönlichen Nutzen-Risiko-Abwägung gegen die Impfung entschieden. Das hat ganz offensichtlich mit den teils massiven Nebenwirkungen der Impfstoffe zu tun, auch wenn diese offiziell immer noch geleugnet werden. Die Regierung inszeniert deshalb eine regelrechte Werbematerialschlacht. Der Haushaltsansatz für Öffentlichkeitsarbeit beträgt nun 215 Millionen Euro nach gut 5 Millionen Euro im letzten Jahr. Das ist das 40‑Fache! Wir alle wissen, dass es auch mit der Werbeschlacht nicht gelungen ist, die Menschen in unserem Land zu überzeugen. Deshalb wird ja jetzt über den Zwang via Impfpflicht debattiert – und damit das Vertrauen vieler Bürger in den Staat für Jahrzehnte aufs Spiel gesetzt.
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Weitere 2,8 Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren in sogenannte Pandemiebereitschaftsverträge fließen. Pharmaunternehmen bekommen dieses Geld, damit sie Kapazitäten vorhalten
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und innerhalb von drei Monaten die Produktion von Impfstoffen hochfahren können. Nur, welches Vakzin, meine Damen und Herren, ist innerhalb von drei Monaten entwickelt und getestet? Natürlich kann man experimentelle Impfstoffe anbieten, aber eins muss dabei ein für alle Mal Tabu sein, nämlich eine Impfpflicht!
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Diese und weitere Ausgabeposten werden in den nächsten Wochen Gelegenheit für intensive Diskussionen sein. Auf eins können sich die Deutschen verlassen: Die AfD wird nie mit Krankheit Politik machen, und die AfD wird immer auf der Seite der Freiheit stehen!
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Vielen Dank. – Nunmehr erhält für die FDP-Fraktion der Kollege Karsten Klein das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn erst mal allen Menschen in diesem Land danken, die in der Coronakrise die Einschränkungen mitgetragen haben, die geholfen haben, dass sich das Virus nicht weiterverbreiten kann, die all die Eingriffe ertragen mussten. Vor allem möchte ich mich aber natürlich stellvertretend bei denjenigen bedanken, die im Gesundheitssystem gearbeitet haben und dort arbeiten, den Pflegerinnen und Pflegern, aber auch den vielen helfenden Kräften, die deren Arbeit möglich machen.
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Ganz besonders möchte ich mich bei den Menschen bedanken, die für sich selber und für andere Verantwortung übernommen haben und sich haben impfen lassen. Impfen ist der Schlüssel, um diese Pandemie zu bekämpfen und zu beenden.
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Deshalb ist es richtig, dass Sie sich haben impfen lassen. Dafür noch einmal einen ganz herzlichen Dank an dieser Stelle.
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Sehr geehrter Herr Minister, es ist richtig: Corona ist nicht vorbei. Deshalb gilt es, wachsam zu bleiben, die Balance zwischen Eingriffen und Öffnungen immer wieder auszutarieren und auch zu halten. Ich finde, dass wir gemeinsam in dieser Koalition dabei sehr erfolgreich unterwegs gewesen sind – bei allen Widrigkeiten, die die letzten Monate mit sich gebracht haben. Wir haben die Delta-Welle zwar nicht gebrochen, haben aber die Delta-Welle überstanden ohne diese schlimmsten Auswirkungen, die ja prognostiziert worden sind, und vor allem ohne flächendeckende Lockdowns, die ja von vielen – auch auf Länderebene von der Unionsseite – immer wieder gefordert wurden.
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Wir haben die Omikron-Welle überstanden ohne die schlimmen Auswüchse, die an die Wand gemalt worden sind, und das, weil wir eben sehr behutsam, sehr austariert vorgegangen sind. Es ist also eine sehr erfolgreiche gemeinsame Politik von dieser Ampel aus SPD, Grünen und FDP in dieser Krise.
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In den letzten Tagen wurde bekannt gegeben – das ist wenig überraschend, Herr Minister –, dass wir bei den Krankenkassen mit einem Defizit von 17 Milliarden Euro rechnen müssen. Das ist nicht überraschend, vor allem nicht für diejenigen, die schon in den letzten vier Jahren hier gesessen haben. Wir alle wissen, dass die Spahn’sche Gesetzgebung nach Berechnungen der Krankenkassen für Kostensteigerungen von über 12 Milliarden Euro sorgt. Das ist ein Problem, auf das wir zugelaufen sind und das uns die Vorgängerregierung sozusagen mit auf den Weg gegeben hat. Deshalb sollten alle, die so kräftig nach Zahlen fragen, einfach mal eine interne Diskussion starten; da kann man vielleicht einiges lernen.
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Herr Minister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass der Bund in dieser Pandemie finanziell sehr kraftvoll agiert hat und nach wie vor agiert. Allein in den zwei Haushaltstiteln für Ausgleichszahlungen im Krankenhauswesen und für zusätzliche Leistungen an den Gesundheitsfonds werden aktuell 26,3 Milliarden Euro bereitgestellt. 12,5 Milliarden Euro haben wir für das Testen in den letzten Monaten bereitgestellt. 1,5 Milliarden Euro sind darin für das Impfen vorgesehen. Wir haben kraftvoll reagiert, und das war in der Krise natürlich auch richtig.
Ich will an dieser Stelle schon noch mal die Frage stellen – das wird in den nächsten Wochen auch im Hinblick auf das Defizit intensiv zu diskutieren sein –, ob die Länder ihrer Rolle bei der Finanzierung im Gesundheitssystem und bei solchen Pandemien überhaupt gerecht werden. Wir haben den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst geschlossen, mit dem der Bund 4 Milliarden Euro für eine ureigene Aufgabe der Länder zur Verfügung stellt. Dass wir nicht in der Lage sind, in dieser Pandemie über moderne Technologien zu kommunizieren, dafür tragen die Länder die Verantwortung. Dass in dieser Pandemie in einem Hochtechnikland wie unserem gefaxt werden musste, dafür tragen die Länder die Verantwortung. Es wäre jetzt längst an der Zeit, dass die Länder dies nicht nur eingestehen, sondern endlich eigene finanzielle Mittel vorsehen und kraftvoll dagegen angehen.
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Der Bund hat darüber hinaus für die Digitalisierung der Krankenhäuser 3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. 70 Prozent der Investitionen in die Digitalisierung übernimmt bei diesen Projekten der Bund. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich finde die Digitalisierung im Gesundheitssystem zentral und wichtig, gerade auch in den Krankenhäusern – da besteht auch ein großer Nachholbedarf –, aber das zeigt doch eklatant, dass die Länder ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht festgestellt, dass die Länder pro Jahr eine Investitionslücke von 4 Milliarden Euro entstehen lassen, weil sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, für die Krankenhausinfrastruktur, für die Gebäude die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen. 4 Milliarden Euro!
Dabei geht es aber nicht nur um Investitionsmittel, um die Krankenhausinfrastruktur herzustellen, sondern da geht es auch um die Kosten für den Betrieb der Krankenhäuser. Veraltete Strukturen führen dazu, dass eben keine moderne Technik eingesetzt werden kann. Dies wiederum sorgt dafür, dass es keine modernen Prozesse und Abläufe gibt. Das belastet die Krankenkassen durch hohe Betriebskosten und betrifft damit letztendlich auch den Bundeszuschuss und damit den Bundeshaushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deshalb will ich Sie, Herr Minister, an dieser Stelle auffordern: Wir müssen – das ist leider in der letzten Legislaturperiode verschlafen worden – mit den Ländern endlich das Kaffeegeschirr zur Seite stellen. Wer kraftvolle Pressekonferenzen gibt, der sollte auch kraftvoll da agieren, wo er in Verantwortung ist. Das gehört zur Wahrheit mit dazu.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass wir beim Thema Bundeszuschuss, bei der Frage, wie die Krankenkassenbeiträge in der Pflegeversicherung austariert werden, klarmachen sollten – die Kollegin Piechotta hat das gerade schon sehr gut formuliert –: Da das Thema Bundeszuschuss immer mehr in die Debatte eingebracht wird, ist es deshalb auch Aufgabe hier im Deutschen Bundestag, über diese Finanzierung zu sprechen. Auf jeden Fall sollte man, wenn man über Aufteilungen und Kostenbelastungen nachdenkt, den Bundestag und vor allem den Haushaltsausschuss und den Gesundheitsausschuss mit einbeziehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt Dr. Gesine Lötzsch das Wort.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Berlin findet gerade ein großer Gesundheitskongress statt, und Bundesminister Lauterbach forderte: Gesundheit muss einen neuen und größeren Stellenwert in der Gesellschaft bekommen. – Das ist richtig.
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Doch wo, Herr Lauterbach, wird das im Bundeshaushalt abgebildet? Wir haben es nicht gefunden.
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Stellen wir uns doch nur einmal drei Minuten vor, aus dem „Sondervermögen Bundeswehr“ würde ein „Sondervermögen Gesundheit“ werden. Was könnten wir mit 100 Milliarden Euro alles erreichen? Wir könnten verhindern, dass die Krankenkassenbeiträge weiter steigen. Sie dagegen wollen die Beiträge noch vor der Sommerpause erhöhen. Das ist falsch. Das lehnen wir ab, meine Damen und Herren.
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Wir könnten endlich unsere Krankenhäuser sanieren. Die Linke hat in den vergangenen Jahren immer wieder ein Krankenhausinvestitionsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro über zehn Jahre gefordert. Die Hälfte müssten natürlich die Länder tragen. Stellen Sie sich vor: Der Bundeskanzler eröffnet statt einer neuen Autofabrik mal eine neue Geburtsklinik oder eine Kinderstation, statt dass welche geschlossen werden.
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Oder, meine Damen und Herren, wir nutzen das Geld für eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens. Wir führen endlich die Bürgerversicherung ein. Dann müssten die Menschen nicht mehr Monate auf einen Termin bei einem Facharzt warten.
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Wir könnten endlich die absurden Fallpauschalen abschaffen. Wir schreiben dann ins Grundgesetz zum Thema Gesundheit: Gesundheit ist keine Ware.
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Jeder Mensch hat das Recht auf eine gute Krankenversorgung. – Wagen Sie endlich Fortschritt.
Oder wir starten eine Kampagne, wie es die Bundeswehr getan hat, aber stattdessen suchen wir Pflegekräfte, die für ihre Arbeit auch gut bezahlt werden.
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Ein CDU-Abgeordneter twitterte kürzlich – Zitat –: „Es muss allen klar sein, dass #Bundeswehr Grundvoraussetzung für unser Leben ist“. Na ja, ich sage: Grundvoraussetzung für das Leben sind erst einmal eine Mutter und eine Hebamme.
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Meine Damen und Herren, eine Umfrage unter angestellten Klinikhebammen ergab, dass 90 Prozent der Befragten Überstunden leisten müssen und keine Pause machen können und dass die Hälfte der Hebammen drei Frauen parallel betreuen muss. Das ist doch nicht zu fassen. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
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Wir brauchen also – völlig unabhängig von Corona; Corona hat aber noch eins draufgesetzt – endlich gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Wir brauchen für die Menschen, die in der Pflege arbeiten, aber auch für alle, die im Krankenhaus arbeiten, für Ärztinnen und Ärzte sowie für die, die für die Logistik zuständig sind, zuverlässige Tarifverträge, gute Bezahlung und vor allen Dingen Arbeitszeiten, die auch das Leben für diese Menschen lebenswert machen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Svenja Stadler.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Gesundheitsminister Lauterbach! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krankenhaus- und Gesundheitsversorgung ist eine zentrale Säule unserer Sicherheit. Wenn wir plötzlich aus unserem Alltag gerissen werden, sei es durch einen Unfall oder durch einen Burn-out oder einfach nur durch eine Erkältung, dann wissen wir: Wir werden aufgefangen. Manchmal ist dann eine stationäre Betreuung ganz ratsam. An der einen oder anderen Stelle hilft auch eine Kur, oder es helfen einfach nur Medikamente aus der Apotheke von nebenan. Wir wissen: Egal ob diese Behandlung 1 000 Euro kostet oder auch nur 1 Euro, wir werden in dieser Situation nicht alleine gelassen.
Jetzt müssen wir aber genauer hinschauen. Wir müssen genauer auf unser Gesundheitssystem schauen; denn lange wird es das nicht mehr schaffen. Die Krankenhäuser, Versicherungen, Pflegeeinrichtungen und all die anderen zusätzlichen Player in diesem großen System sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Doch es wird immer deutlicher, dass ebendiese Sicherheit nicht mehr selbstverständlich ist. Fachkräfte fehlen unter anderem in den Krankenhäusern und in den Pflegeeinrichtungen. Wir nehmen wahr, dass mehr und mehr Apotheken schließen, weil die Nachfolge nicht geregelt ist, und dass gerade in den ländlichen Räumen die Ärzteversorgung nach und nach wirklich zu wünschen übrig lässt.
Jetzt kommt die Digitalisierung dazu. Damit treten neue Suchtpotenziale auf oder eben auch körperliche Belastungen in den unterschiedlichsten Altersgruppen. Dem müssen wir begegnen. Gleichzeitig ist die Digitalisierung eine Chance für das Gesundheitswesen – das ist gar keine Frage –, und eben nicht nur, um Bürokratie abzubauen.
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Es gibt ältere Menschen und auch Menschen, die lange Zeit krank sind, die aber so lange wie möglich zu Hause bleiben wollen. Für diese brauchen wir ein flexibles Handeln im Gesundheitssektor. Anders ist das nicht möglich.
Vieles von dem, was vor Jahren funktioniert hat, ist heute veraltet und kann nicht mehr funktionieren, weil es längst überholt ist. Da müssen wir uns selbstkritisch die Frage stellen, ob wir in der Vergangenheit effektiv gehandelt haben, ob wir die falschen Wege genommen haben, weil wir eben nicht zielorientierte Entscheidungen getroffen haben. Ja – da stimme ich Herrn Klein zu –, auch die Bundesländer wurden ihrer Verantwortung nicht gerecht, und sie dürfen da jetzt auch einiges tun.
Momentan – ich finde, das sollten wir uns auch mal anschauen – behandeln wir die Probleme, die sich auftun, wie Krankheiten. Wir lindern doch nur die Symptome. Nehmen wir als Beispiel einmal den Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds: Wir wollten ihn bei 14,5 Milliarden Euro stabil halten, doch nun stocken wir ihn abermals auf, dieses Mal um 21,7 Milliarden Euro zusätzlich. Damit schließen wir auf der einen Seite die Lücke bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, auf der anderen Seite decken wir die Kosten für Leistungen in der Pandemie.
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– Herr Sorge, nein, brauchen wir nicht.
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Dabei geht es um Leistungen wie Bürgertests, Versorgungsaufschlag für Krankenhäuser, Arzneimittel und eben auch Schutzmasken.
Diesen Herausforderungen, Herr Sorge, begegnen wir, indem wir die Gesundheitsfinanzierung weiterentwickeln wollen.
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Schauen Sie einfach in den Koalitionsvertrag. Das hilft. Lesen hilft dem, der es kann.
Es wird Zeit, dass wir uns endlich mit den Ursachen befassen. Wir müssen die grundlegenden Probleme in diesem System erkennen und dann die richtigen Weichen stellen.
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Denn nur so gelingt es uns, dieses Gesundheitssystem endlich zukunftstauglich zu machen. Das ist nicht einfach, und das bedeutet auch harte Auseinandersetzungen mit all den Playern in diesem System. Aber es ist wichtig.
Die Ausstattung in vielen Krankenhäusern ist weit entfernt von dem, was möglich sein könnte. Deshalb ist es richtig, die nötigen Reformen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung auf den Weg zu bringen.
Der technologische Fortschritt ist der Schlüssel zu mehr Effizienz; denn der Alltag wird dadurch vereinfacht. Wir können dadurch Krankheiten mit besseren Methoden begegnen und auch mehr Krisensicherheit schaffen. Deshalb stärken wir mit 187 Millionen Euro die Forschung. Davon fließen alleine 54,2 Millionen Euro in Digitalisierung und Innovation im Gesundheitswesen. Damit werden wir unter anderem KI-Projekte zur Krisenbewältigung oder auch Maßnahmen zur Förderung von Datenverfügbarkeit finanzieren. Denn kaum etwas treibt doch den Fortschritt besser voran als der permanente und stetige Austausch, das Teilen von neuen Erkenntnissen und eben auch das gemeinsame Arbeiten an gemeinsamen Problemen.
Das ist nicht nur national zu betrachten, sondern eben auch global. Auch dieser Verantwortung sind wir uns bewusst. Die Pandemie hat doch wieder einmal deutlich gezeigt, dass Gesundheit nicht an eigenen Staatsgrenzen aufhören darf. Wir stellen knapp 159 Millionen Euro für internationale Aufgaben des Gesundheitswesens zur Verfügung; das sind 13,8 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr.
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Das Projekt der WHO „Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence“ in Berlin – das finde ich bemerkenswert und deswegen möchte ich das hier nennen; Sie sollten sich das mal angucken, wenn Sie Zeit haben, Herr Sorge – unterstützen wir mit 30 Millionen Euro jährlich. Damit begegnen wir globalen Gesundheitskrisen in Zukunft geschlossen und sind auch endlich darauf vorbereitet.
Jetzt möchte ich an dieser Stelle noch eines klarstellen.
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– Jetzt kommt es, genau.
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Deutschland steht übrigens an der Seite der Ukraine, ganz klar und deutlich.
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Wir wissen um die Menschen, die zu uns kommen, und wir wissen um die Menschen, die mit Verletzungen diesen weiten Weg zu uns geschafft haben. Wir wissen um die seelischen Verletzungen, die diese Menschen mit sich tragen, und wir werden diese Menschen unterstützen, ohne Wenn und Aber.
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Insgesamt ist der Etat des Gesundheitsministeriums auf knapp 52,6 Milliarden Euro angewachsen. Das bedeutet einen Zuwachs von 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr – eine stolze Summe, die den Willen dieser Bundesregierung zeigt, auch während der Pandemie die Bürgerinnen und Bürger nicht im Stich zu lassen und Sicherheit zu garantieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit muss neu gedacht werden. Sicherheit im Wandel ist auch ein Gesundheitssystem im Wandel. Wir sind bereit dafür. Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken! Ich freue mich nun auf die Beratungen; es wird spannend.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für eine Kurzintervention bekommt jetzt der Kollege Herr Sorge das Wort. Er hat versprochen, eine sehr kurze Kurzintervention zu machen.
Vielen Dank, Frau Bundestagspräsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Schade, Frau Kollegin Stadler, dass Sie meine Zwischenfrage während Ihrer Rede nicht zugelassen haben; denn ich wollte Sie eigentlich loben und Ihnen danken. Ich wollte Ihnen danken für Teile Ihrer Rede, in der Sie darauf hingewiesen haben, dass die Digitalisierung ein ganz wichtiger Punkt ist, gerade für das zentrale System des Gesundheitswesens.
Deshalb meine Frage: Sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, dass wir in der letzten Legislatur in der Große Koalition – also Union und SPD gemeinsam mit dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn – im Bereich der Digitalisierung viel erreicht haben? Sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, dass wir – Union und SPD – gemeinsam in der letzten Legislatur im Bereich der Digitalisierung viel auf den Weg gebracht haben, beispielsweise den Health Innovation Hub, die DiGAs, also digitale Anwendungen im Gesundheitswesen, Maßnahmen im Bereich der Telemedizin, die telekonsiliarärztlichen Möglichkeiten?
Insofern herzlichen Dank für Teile Ihrer Rede in diesem Kontext. Es würde mich interessieren, ob Sie das genauso sehen wie ich.
Vielen Dank.
Frau Kollegin, Sie können antworten, Sie müssen nicht. – Aber Sie möchten es.
Herr Sorge, dass Sie mich loben wollten, finde ich ja gut. Es ist gerade nur nicht so herausgekommen; aber das ist okay.
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Ich finde, wir haben in der letzten Legislatur tatsächlich versucht, mit Ihnen einiges auf den Weg zu bringen. Dann hat sich gezeigt, wo die Schwachstellen sind. Diese Schwachstellen nehmen wir jetzt natürlich auf und werden sie in der Ampelkoalition erfolgreich beheben.
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Vielen Dank. – Nunmehr erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Dietrich Monstadt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Seit über 100 Tagen regiert die links-liberale Koalition.
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– Hören Sie erst mal zu, bevor Sie sich beschweren. – Der artikulierte politische Wille der Regierung, mehr für eine bessere gesundheitliche Versorgung zu tun, kommt in diesem Haushalt, jedenfalls nach unserer Wahrnehmung, nicht zum Ausdruck. Auch die bisherige Bilanz ist – ich darf das mal so formulieren – durchaus überschaubar; mein Kollege Tino Sorge hat hierzu, wie ich finde, zutreffend ausgeführt. Frau Kollegin Dr. Piechotta, Ihnen rufe ich zu: Was hat Sie in dieser Koalition davon abgehalten, das, was Sie hier gefordert haben, auch tatsächlich umzusetzen? Darüber sollten Sie mal nachdenken.
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Meine Damen, meine Herren, bekanntermaßen liegen mir die Bekämpfung einer der größten Volkskrankheiten Deutschlands – Diabetes mellitus – und die Versorgungssituation der Betroffenen besonders am Herzen. Wir als Union haben gemeinsam mit der SPD in der letzten Legislaturperiode einen umfassenden Antrag zur Einführung einer Nationalen Diabetes-Strategie hier im Bundestag mehrheitlich beschlossen. Es länge nun an der neuen Regierung, im Sinne der über 10 Millionen Betroffenen die angesprochene Intensivierung der Bekämpfung von Diabetes mellitus auch umzusetzen. Bedauerlicherweise ist eine Weiterentwicklung und Umsetzung dieser Nationalen Diabetes-Strategie in diesem Haushalt nicht abgebildet. Die geplanten Ausgaben für Aufklärung und Prävention sollen nicht etwa erhöht werden, wie man beim Begriff „intensivieren“ meinen könnte. Die Ansätze der Vorjahre bleiben gleich; sie werden nicht angehoben. Das heißt: Vor dem Hintergrund der aktuellen Inflation sinken die real zur Verfügung stehenden Finanzmittel. – Worte und Handeln stehen hier im krassen Widerspruch!
Meine Damen und Herren, auch bei der Erkrankung Adipositas besteht dringender Handlungsbedarf. 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind von Übergewicht betroffen, 8 Prozent der Kinder von Adipositas. 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen sind übergewichtig;
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23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen sind adipös. – Ja, aus eigener Betroffenheit kann man darüber gut reden; das stimmt, da haben Sie recht.
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Übergewicht und Adipositas begünstigen viele chronische Krankheiten, die dann beträchtliche Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem auslösen. Es ist daher von herausragender Bedeutung, in diesem Bereich präventiv zu handeln. Ich frage Sie, Herr Minister, ganz konkret: Wollen wir, dass unsere Kinder immer dicker werden? Wollen wir, dass sie als Erwachsene potenziell an Diabetes erkranken? – Auch hier, Herr Minister, brauchen wir die in diesen Tagen vielbeschworene Zeitenwende.
Meine Damen und Herren, aus den oben beschriebenen Problemen folgt nach meiner Auffassung, dass wir das Vergütungssystem, die Zahlung an die Selbstverwaltung, also den sogenannten Morbi-RSA, neu justieren müssen: weg von kurativen Behandlungsansätzen, hin zu mehr Prävention und Verhaltensänderung. Ziel muss sein, bereits die Entstehung von vermeidbaren Krankheiten zu verhindern. Wesentliche Verhaltensänderungen müssen motiviert werden.
Weitere wichtige Ansätze aus der letzten Legislaturperiode werden ebenfalls nicht in der erforderlichen Intensität angegangen, wie beispielsweise das Endoprothesenregister Deutschlands,
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ein Register, das die Operationsdaten der Krankenhäuser sammelt und analysiert. Die Transformation dieses privat aufgebauten Registers in den öffentlichen Bereich droht zu scheitern. Man lässt unter völliger Verkennung der Ausgangssituation zu, dass durch eine mangelnde Datenerfassung die vielfältigen Aussagemöglichkeiten dieses Registers verloren gehen. Auch hier finden Sie im Haushalt leider keine Ansätze.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass dieser Haushaltsentwurf keine Verbesserung für die Gesundheit der Menschen in Deutschland erkennen lässt. Ich hoffe, dass wir in den kommenden Haushaltsberatungen noch notwendige Anpassungen vornehmen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Es folgt jetzt für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Maria Klein-Schmeink.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es eigentlich bedauerlich, dass das Niveau der Debatte der Größe der Aufgabe nicht wirklich gerecht wird. Das finde ich wirklich bedauerlich!
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Denn man muss sich mal klarmachen, dass es um die großen existenziellen Fragen geht, insbesondere um die Unversehrtheit des Körpers, aber auch um die Themen „Gesundheit“ und „Versorgung bei Pflegebedarf“. Das sind die größten Fragen, die die Bevölkerung umtreiben. Wer weiß das besser als diejenigen, die jetzt gerade in der Ukraine erleben, wie schlimm es ist, wenn genau das nicht gewährleistet ist.
Das zeigt sehr deutlich, wie wichtig unsere Aufgabe ist, die wir hier gemeinsam zu bearbeiten haben. Das gilt für den Bereich der Gesundheit, das gilt für den Bereich der Pflege. Wir haben mit der gesetzlichen Krankenversicherung und mit der Pflegeversicherung wirksame Instrumente, um Sicherheit zu schaffen und auch zu finanzieren. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Versicherungssysteme mit ihrer Aufgabe mitwachsen und dem berechtigten Anspruch der Bevölkerung gerecht werden können.
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Es reicht nicht, nur darauf zu verweisen „man könnte doch“, „man sollte doch“, sondern wir müssen ganz konkret liefern und leisten.
Genau da stehen wir vor großen Herausforderungen. Die 16 Jahre unionsgeführte Regierung hat uns ein riesiges Defizit in der GKV hinterlassen.
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Die 16 Jahre uniongeführte Regierung hat uns eine fast nicht handlungsfähige soziale Pflegeversicherung hinterlassen. Und wir haben neue Aufgaben zu stemmen, erstens mit der Pandemie, zweitens mit der Aufnahme der vielen, vielen Geflüchteten, die jetzt zu uns kommen und fast alle auch einen hohen Versorgungsbedarf haben.
Das sind die Herausforderungen, die wir zu stemmen haben, und das können wir nur gemeinsam; gemeinsam mit dem Gesundheitsminister und gemeinsam hier im Parlament müssen wir dafür die Voraussetzungen schaffen.
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Wenn ich sehe, Herr Sorge, wie selbstgefällig Sie sich hierhinstellen,
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groß etwas einklagen, aber nicht einmal im Ansatz Problemlösungen liefern – selbst jetzt nicht, wie es aufscheint –,
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dann muss ich fragen: Wie wollen Sie denn diese Finanzierungsprobleme lösen? Sie waren in politischer Verantwortung in der letzten Wahlperiode, bei der mittelfristigen Finanzplanung. Wo findet sich in Ihren Konzepten, in Ihrem Wahlprogramm auch nur eine Antwort darauf, wie Sie diese Probleme lösen wollen?
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Antworten verlange ich natürlich auch von einer Opposition. Wir haben viele Jahre miteinander gerungen; aber wir haben in all den Jahren immer wieder Vorschläge geliefert. Das erwarte ich auch von Ihnen.
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Wir haben in der Ampelkoalition einige Stellschrauben verabredet, die deutlich machen, wie wir dieses geerbte Defizit denn lösen wollen. Wir haben vereinbart, dass es eine Dynamisierung des Bundeszuschusses gibt, wobei im Übrigen versicherungsfremde Leistungen ausgekehrt werden, nicht Aufgaben der GKV, sondern versicherungsfremde Leistungen. Sie haben in den letzten Jahren, als es noch Überschüsse gab, viele, viele Ausgaben immer wieder in eine Richtung geschoben: nämlich in die GKV und zusätzlich in die SPV.
Dann haben wir – eine große Aufgabe – vereinbart, dass wir die Kosten der Beiträge für ALG-II-Beziehende endlich anpassen, dass die Beiträge so refinanziert werden, dass sie annähernd dem Umfang der Belastungen für die GKV entsprechen.
({8})
Diese Frage wird immer wichtiger werden, weil jetzt über 200 000 Geflüchtete dazukommen, die natürlich nach einer gewissen Zeit auch in diesen Regelkreislauf kommen.
Dann haben wir die Übernahme der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige in der SPV vereinbart. Auch das ist eine ganz, ganz wichtige Aufgabe, die da gesetzlich und gesellschaftlich geleistet wird.
({9})
Sie haben dafür gesorgt, dass das nur den Versicherten übergeholfen wird und eben nicht – über den Haushalt – steuerfinanziert wird.
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Da haben wir eine Aufgabe, die zu lösen ist.
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Weiterhin haben wir das Problem in der SPV, dass die häusliche Krankenpflege noch immer nicht adäquat refinanziert wird. Auch das wird etwas sein, was wir zu lösen haben.
Wir haben also in der Ampel Vereinbarungen getroffen, wie wir diese strukturellen Probleme lösen wollen. Wir haben gleichzeitig aber auch viele, viele Ansätze verankert und vereinbart, wo wir die überfälligen Antworten liefern wollen, die da sind: die große Krankenhausreform, die große Reform der grundlegenden Versorgung im ländlichen Raum. Wir haben viele, viele Aufgaben, insbesondere bei der Fachkräftesicherung, zu stemmen.
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Alles das gehen wir an. Wir werden dafür sorgen, dass das verlässlich, stabil finanziert wird.
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Darum werden wir in den nächsten Wochen ringen. Ich hoffe, Sie machen konstruktiv mit
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und nicht nur mit einer billigen Polemik, die jede Antwort vermissen lässt.
Danke schön.
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Es folgt die Kollegin der AfD Dr. Christina Baum.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Es ist die Gesundheit, die der wahre Reichtum ist, nicht Gold- und Silberstücke“; das Zitat ist von Mahatma Gandhi. Nicht erst seit Corona wissen die Deutschen ihr bisher gut funktionierendes Gesundheitssystem zu schätzen.
Noch bis vor wenigen Jahren gab es in fast jeder größeren Gemeinde einen Hausarzt, einen Zahnarzt, eine Apotheke und in unmittelbarer Nähe, leicht erreichbar, auch ein Krankenhaus und Fachärzte. Doch diese Grundstrukturen bröckeln immer mehr, vor allem im ländlichen Raum, der dadurch immer unattraktiver wird. Viele Ärzte nehmen neue Patienten gar nicht mehr auf, weil sie bereits überlastet sind. Termine in sechs Monaten oder noch später sind keine Seltenheit mehr. Wie viel teurer die Behandlungen dadurch werden, weil sich der Gesundheitszustand der Patienten bis zum sehnlichst erwarteten Termin bereits drastisch verschlechtert hat, ist nicht verifizierbar, auch nicht, wie viele Patienten eventuell in der Zwischenzeit verstorben sind.
Verantwortlich für die inzwischen akut gewordenen Miseren sind die Regierungen der letzten Jahre; denn die Probleme sind seit Langem bekannt.
({0})
Doch auch mit der neuen Regierung ist keine Besserung in Sicht. Trotz der unglaublichen Steigerung der Ausgaben von 15,3 Milliarden im Jahr 2019 auf über 52 Milliarden in diesem Jahr kommt kein Cent davon zum Beispiel in der Pflege an. Die schlimmste Entwicklung von allem jedoch ist die profitorientierte Krankenhauspolitik. Durch das DRG-Fallpauschalensystem wurde unsere Gesundheit zur Ware.
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Aufgrund des ökonomischen Drucks wird nur noch geschaut, mit welcher Behandlung das meiste Geld zu verdienen ist. Diese Entwicklung muss gestoppt werden!
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Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge.
Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn ich mit Ihrem Beamtenapparat den aktuellen Haushalt durchgehen könnte, dann fände ich genug Geld, um unser Gesundheitssystem wieder auf Vordermann zu bringen. Die Mittel für eine Verstümmelung unserer Kinder, verharmlosend und irreführend „Geschlechtsumwandlung“ genannt,
({3})
würden von mir ebenso gestrichen wie alle Ausgaben zur Durchsetzung der Genderideologie oder für den fiktiven Kampf gegen rechts, der nichts weiter als einen Kampf gegen die Opposition darstellt.
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Und hören Sie endlich auf, ein ganzes Volk zu bevormunden! Glücklichsein, Zufriedenheit und Lebensfreude sind die wichtigsten Voraussetzungen für unser alle Gesundheit; denn Gesundheit beruht auf einem Gleichgewicht zwischen Körper, Seele und Geist.
({5})
Nie zuvor wurde dieses Gleichgewicht so zerstört wie durch Ihre Coronamaßnahmen.
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Werfen Sie endlich die Masken zusammen mit allen Maßnahmen und der Impfpflicht in die Mülltonne! Denn dort gehören sie hin.
Vielen Dank.
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Es folgt für die FDP-Fraktion die Kollegin Nicole Westig.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir zurück zur Sache und zur Gesundheitspolitik.
({0})
Als Fortschrittskoalition begegnen wir den vielfältigen Herausforderungen, die hier alle schon genannt worden sind, mit einem großen Verantwortungsbewusstsein gegenüber den aktuellen und künftigen Generationen.
({1})
Eine große Baustelle in unserem Gesundheitswesen ist die Pflege, und das nicht erst seit der Pandemie. Wenn wir Patientinnen und Patienten bedarfsgerecht versorgen wollen, wenn Menschen in Würde alt werden können sollen, dann müssen wir hier endlich ran.
({2})
Die Pflege steht deshalb weit oben auf der Agenda dieser Koalition. Wir wollen die Arbeitsbedingungen dort nachhaltig verbessern. Das gelingt uns jedoch nur dann, wenn wir den Personalmangel beheben und mehr Menschen für die Pflege gewinnen.
({3})
Deshalb müssen wir in die Bildung, in Ausbildung und Akademisierung, investieren. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir Pflegewissenschaft und Pflegeforschung voranbringen. Diese sind kein Selbstzweck; sie geben uns evidenzbasierte Antworten auf die Frage nach einer guten und bedarfsorientierten Patientenversorgung,
({4})
und das kommt uns allen als Gesellschaft zugute. Eine besondere Rolle spielt dabei auch die Pflegepädagogik; denn zu viele Lehrerinnen und Lehrer fehlen an unseren Pflegeschulen, was mitunter zur Schließung führt. Das muss sich ganz schnell ändern.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt auf jeden Ausbildungsplatz an. Deshalb ermöglichen wir die Pflegeausbildung künftig auch an Rehakliniken.
Ein weiterer Baustein für mehr Pflegepersonal liegt natürlich in der Zuwanderung. Deshalb ist es gut, dass sich diese Koalition ganz klar dazu bekennt, Deutschland zu einem modernen und weltoffenen Einwanderungsland zu machen.
({6})
– Dass Sie damit ein Problem haben, wissen wir. – Allerorten haben wir Fachkräftemangel,
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aber nirgends fällt er uns so übel auf die Füße wie in der Pflege. Mit diesem Haushalt fördern wir auch die Möglichkeit, Pflegekräfte im Ausland nach deutschem Standard auszubilden.
({8})
Doch das ist nicht genug. Bei der Gewinnung der besten Köpfe konkurrieren wir mit Ländern, in denen Pflegende eine größere Autonomie haben als bei uns. Deshalb ist es wichtig, die Heilkundeübertragung endlich umzusetzen.
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Denn Pflegende können mehr, als sie dürfen. Wir sind die Koalition, die den Menschen etwas zutraut. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun.
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Diese brauchen Pflegende dringender denn je.
Mit der „Community Health Nurse“ schaffen wir ein neues Berufsbild.
Hochqualifiziert
({11})
soll sie die pflegerische Versorgung gerade im ländlichen Raum mitgestalten. Sie hilft, damit auch Menschen mit Pflegebedarf länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, und sie stärkt pflegenden Angehörigen den Rücken.
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, Pflege in unserem Land ist zu einem ganz großen Anteil Angehörigenpflege. Fast drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen betreut. Diese Menschen brauchen dringend Unterstützung. Deshalb wollen wir Leistungen wie die Kurzzeit- und Verhinderungspflege zu einem flexiblen Entlastungsbudget zusammenfassen.
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Die Pflegegeldleistung wollen wir dynamisieren, und wir wollen mehr Kurzzeitpflegeplätze schaffen. Damit ist es nicht getan. Wichtig ist aber, dass wir endlich anfangen, hier Entlastung zu schaffen.
Als Fortschrittskoalition wollen wir entbürokratisieren, vereinfachen, beschleunigen und vernetzen, gerade im Gesundheitswesen, und dabei endlich den Digitalisierungsstau in unserem Land beheben.
({13})
Überbordende Dokumentationspflichten müssen auf den Prüfstand. Machen wir es Pflegenden mit digitalen Anwendungen so einfach wie möglich! Schenken wir ihnen mehr Zeit! Nutzen wir KI, um Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen das Leben zu erleichtern!
Wir stärken aber auch unsere Kommunen; denn sie wissen am besten, wie sie ihre Quartiere für ein gutes Leben im Alter, auch mit Pflegebedarf, gestalten. Wir fördern innovative Wohnformen. Das Pflegeheim sollte stets die allerletzte Station sein. Damit das gelingt, setzen wir als Ampelkoalition verstärkt auf Prävention und Rehabilitation. Pflegebedarf hinauszuzögern, Lebensqualität bis ins hohe Alter zu ermöglichen, das ist das Gebot der Stunde. Dafür setzen wir uns mit aller Kraft ein.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, vor allen Dingen an diejenigen, die die Zeit immer so wunderbar einhalten.
Es folgt für die Fraktion Die Linke der Kollege Ates Gürpinar.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Schön, dass Sie wieder da sind! – Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ampel einigt sich heute auf ein Entlastungspaket, und Sie, Herr Lauterbach, kündigen eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge an. Ist das eigentlich schon Satire, Herr Lauterbach?
({0})
Herr Spahn hat bereits alle Ersparnisse der Krankenkassen munter aufgebraucht. Ja, wenn wir hier nicht tätig werden im Hause, dann drohen ab 2023, spätestens ab 2024 massive Steigerungen für die Beitragszahlenden der Krankenkassen. Aber das bedeutet doch eine Aufgabe für Sie, Herr Lauterbach. Sie haben doch die Funktion, das zu verhindern. Sie müssen eine ordentliche Reform auf die Reihe bringen, Herr Lauterbach. Das ist Ihre Aufgabe.
({1})
Das ist ein Bruch der Versprechen aller Koalitionsparteien, die Normalverdienenden nicht zusätzlich zu belasten. Die Leute werden es in ihrem Geldbeutel richtig spüren, wenn den Kassen 17 Milliarden Euro fehlen. Da geht es um circa 1 Prozentpunkt. Das bedeutet Lohnkürzung, meine Damen und Herren. Nichts anderes bedeutet das, und das dürfen Sie nicht zulassen.
({2})
Bei den jetzigen Preisen und der Inflation dürfen wir das nicht zulassen. Stoppen Sie das, Herr Lauterbach!
({3})
Schaffen Sie eine solidarische Gesundheitsversicherung, in die alle einzahlen, ohne Beitragsbemessungsgrenze, sodass auch wir, die wir hier so schön sitzen, endlich etwas Ordentliches dazu beitragen! Dann würden die Beiträge sogar sinken, Herr Lauterbach.
({4})
Herr Scholz hat an manche Minister gestern Dank verteilt. Sie, Herr Lauterbach, waren nicht dabei. Machen Sie sich nichts daraus! Ein Dank vom Kanzler ist nichts wert. Denn wie Sie bedankte er sich in seiner Rede einmal mehr auch bei denjenigen, die uns durch die Pandemie bringen – und das bei dem ganzen Genöle, was sich Pflegekräfte, Rettungssanitäterinnen und Medizinische Fachangestellte seit zwei Jahren anhören müssen. Er dankte, Sie klatschten. Dann meinte Herr Scholz, dass es damit nicht getan sei, und es folgte in seinen erläuternden Ausführungen – nichts. Nichts für die Pflegekräfte, nichts für die Medizinischen Fachangestellten, nichts für die Rettungssanitäter! Für die, die uns durch die Pandemie bringen, folgte nichts. Herr Lauterbach, ein Dank vom Kanzler ist also generell relativ wenig wert. Warten Sie nicht darauf! Tun Sie etwas!
({5})
Wenn Sie sich am Ende von den Pflegekräften, von den Patientinnen und Patienten, von den Beitragszahlenden einen Dank abholen, dann haben Sie wirklich etwas geschafft. Deswegen ende ich nicht mit „vielen Dank“, sondern: Bringen Sie endlich etwas auf die Reihe! Frohes Schaffen!
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Es folgt für die SPD-Fraktion die Kollegin Heike Baehrens.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der großen Krisen, die diesen Haushaltsplan prägen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz gestern in seiner Rede in der Generaldebatte deutlich gemacht, dass eben das nicht vernachlässigt wird, was wir uns für die Zukunft vorgenommen haben. Aufbruch und Fortschritt gestalten, das werden wir auch unter diesen schwierigen Bedingungen in der Gesundheitspolitik tun.
({0})
Schauen wir auf die Digitalisierung, und zwar nicht nur in den Schulen und den Verwaltungen, sondern gerade auch im Gesundheitswesen. Wir werden diesen Rückstand aufholen, der heute schon mehrfach angesprochen worden ist. Denn Digitalisierung kann Dinge einfacher machen: für Patientinnen und Patienten, die bessere und passgenauere Vorsorgeangebote bekommen, für Reisende, die ihren Impfpass einfach auf dem Smartphone dabeihaben können, für Pflegende, die weniger Zeit für Bürokratie verschwenden müssen, für die Forschenden, die bessere Daten für ihre Arbeit brauchen, und für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, der stärker und moderner werden muss.
({1})
Daran arbeiten wir nicht nur mit neuen Gesetzen, sondern auch, indem wir uns intensiver um die Umsetzung kümmern. Das haben wir uns als Fortschrittskoalition vorgenommen, und dabei erwarten wir eine konstruktive Mitarbeit aller Beteiligten im Gesundheitswesen; denn wenn wir erfolgreich mit der Digitalisierung sind, dann können auch Argumente wie „Papiermangel“ nicht mehr vorgeschoben werden.
({2})
Moderne Gesundheitspolitik braucht Aufgeschlossenheit und Gestaltungswillen auf allen Ebenen der Selbstverwaltung.
Aufbruch und Fortschritt braucht es unbedingt aber auch in der Pflege. Auch das hat die Pandemie nachdrücklich gezeigt; da knüpfe ich gern an das an, was Frau Westig eben schon gesagt hat. Gute Pflege geht nur mit stabiler und solider Finanzierung. Deshalb braucht die soziale Pflegeversicherung dauerhaft einen ordentlichen Bundeszuschuss.
({3})
Aber auch über diesen ersten Schritt hinaus müssen wir für eine nachhaltige Finanzierung der Pflege sorgen, damit das gelingen kann, was wir uns vorgenommen haben. Denn wir wollen die Belastung der Pflegebedürftigen in Grenzen halten: bei den Eigenanteilen in der stationären Pflege, mit der Einführung des flexiblen Entlastungsbudgets für alle, die zu Hause gepflegt werden, und durch die regelhafte Dynamisierung des Pflegegeldes. Wir werden Pflegebedürftige und ihre Angehörigen durch den Ausbau der Tages- und Nachtpflege stärken.
Wir werden diejenigen nachdrücklich stärken, die in der Pflege arbeiten.
({4})
Sie brauchen endlich bessere Arbeitsbedingungen. Sie müssen sich auf ordentliche Personalschlüssel in den Krankenhäusern und in den Pflegeheimen ebenso verlassen können wie auf eine gute Bezahlung.
({5})
Dazu braucht es auch die Stärkung der Pflege in den Gremien der Selbstverwaltung.
({6})
Aber auch hier, in der Pflegepolitik, gilt: Alle Akteure müssen an einem Strang ziehen. Da sind die Arbeitgeber genauso gefordert, innovative und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle endlich auch in der Praxis umzusetzen. Und – da will ich an den Kollegen Klein anknüpfen – die Länder müssen endlich in vollem Umfang die Verantwortung für die Investitionskostenfinanzierung unserer Krankenhäuser und auch der Pflegeheime tragen; denn sonst bleibt die Pflege unterfinanziert.
({7})
Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zukunftskoalition zu sein, das bedeutet, Strukturen zu schaffen, die über die vier Jahre dieser Legislaturperiode hinausreichen. Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit.
({8})
Vielen Dank, Kollegin Baehrens. – Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Michael Hennrich.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltswoche bietet immer eine wunderbare Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, nach hundert Tagen Ampelregierung ganz besonders. Es ist ein gutes Signal, wie Sie, Frau Piechotta, es auch formuliert haben, dass das Thema „Gesundheit und Gesundheitsschutz“ nicht am Geld scheitert. Was mich aber stört, ist, dass wir in den letzten Wochen und Monaten nur über das Thema „Pandemie und Covid“ gesprochen haben.
Sosehr ich Sie, lieber Herr Lauterbach, geschätzt habe in den schwierigen Monaten der Pandemie, wo Sie einen klaren Kurs gefahren sind, so sehr verzweifle ich momentan an der Politik in der Pandemie.
({0})
Sie sorgen weder für Klarheit, was die Zukunft des Gesundheitssystems angelangt, noch für Orientierung. Lassen wir die Diskussion über die Impfkampagne einmal Revue passieren: Wir hatten eine Diskussion darüber – die haben Sie angezettelt –, dass zum Ende des Jahres zu wenig Impfstoff da wäre. Heute sehen wir, dass Impfstoff auf Halde liegt. Wir haben eine völlig verquere Debatte über das Thema Impfpflicht. Es wäre meines Erachtens Ihre Aufgabe gewesen, einen vernünftigen Plan vorzulegen, abgestimmt mit den Koalitionspartnern, und nicht das Instrument der Gewissensentscheidung herbeizureden. Jetzt stehen wir vor den Scherben dieser Debatte über die Impfpflicht, und es geht weder vor noch zurück.
({1})
Auch das Thema Infektionsschutzgesetz hat Spuren hinterlassen.
Aber viel wichtiger ist mir, dass Sie vom Modus des Pandemieministers endlich in den Modus des Gesundheitsministers wechseln,
({2})
dass Sie die Strukturreform vornehmen, auf die wir alle warten. Das Allerwichtigste ist, dass Sie uns einen Vorhabenplan vorlegen. Unter Minister Spahn wussten wir für ein Jahr genau, was an Gesetzesvorhaben kommen soll. Bisher steht da bei Ihnen auf der Habenseite nichts.
({3})
Sie haben vor Kurzem im Bereich Arzneimittel einen Finanzierungsentwurf vorgelegt, über den es sich wirklich lohnt zu diskutieren. Da gibt es sicher Elemente, die auch eine unionsgeführte Regierung eingeführt hätte. Orphan-Drug-Regelung, Rückwirkung des Erstattungsbetrages, Bezahlbarkeit von Kombinationstherapien, Verwurfsproblematik – das sind alles Dinge, über die es sich lohnt zu diskutieren. Aber ich gebe ganz offen zu: Ich halte es für fatal, wenn Sie jetzt im einzigen Wirtschaftsbereich, der in Deutschland international bestens positioniert ist, nämlich die Pharmaindustrie – wir haben es endlich geschafft, wieder ein Stück weit Apotheke der Welt zu werden –, für Verunsicherung sorgen durch Diskussionen über Herstellerabschlag und Ähnliches. Das ist ein fatales Zeichen, was die Investitionstätigkeit internationaler Konzerne angeht. Ich bitte Sie eindringlich, das zurückzunehmen.
({4})
Ich will Sie auffordern, endlich deutlich zu machen, wie es weitergeht mit dem Thema Digitalisierung. Jens Spahn hat das wunderbar aufs Gleis gesetzt.
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Ich habe den Eindruck, dass Sie die Räder wieder zurückdrehen wollen, dass es im Kern keine elektronische Patientenakte geben soll, kein E-Rezept. Zu dem ganzen Thema – wie geht es weiter mit den Apps? wie können wir Effizienzreserven heben? – haben wir bis zum heuten Tage nichts gehört. Das gehört zu Ihren Aufgaben. Wir als Opposition würden uns gern mit Ihnen streiten. Aber dafür gibt es zwei Voraussetzungen: Erstens. Legen Sie Pläne vor! Zweitens und noch viel wichtiger: Kommen Sie in den Gesundheitsausschuss, um mit uns diese Dinge zu diskutieren!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin folgt für Bündnis 90/Die Grünen Kordula Schulz-Asche.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben gerade die Erschütterung Europas durch den Krieg gegen die Ukraine. Millionen Menschen jeden Alters flüchten aus ihrem Land und viele davon zu uns. Wir müssen befürchten, dass dieser Krieg länger dauert. Deswegen stehen wir hier zusammen im Kampf für Demokratie und Frieden in der Ukraine und auch weltweit.
Wir müssen aber auch darauf achten, dass durch solche Entwicklungen andere Krisen nicht in Vergessenheit geraten. Dazu gehört der demografische Wandel, den wir in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten erleben werden. Und dazu gehört der Pflegenotstand, den es schon vor Corona gab, der sich aber durch die Coronapandemie erheblich verschärft hat. Deswegen wird diese Regierung handeln. Ich möchte meinen Vorrednerinnen Frau Westig und Frau Baehrens ausdrücklich für ihre Beiträge danken.
({0})
Lassen Sie mich aus meiner Sicht noch mal einige Punkte hervorheben. Dazu gehört die Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe. Das geht durch höhere Löhne,
({1})
vor allem aber durch bessere Arbeitsbedingungen. – Danke schön. Ich bin auch Verdi-Mitglied.
({2})
Das geht durch höhere Löhne, das geht durch bessere Arbeitsbedingungen, vor allem auch durch bessere Personalbemessungsinstrumente, durch familienfreundliche Arbeitszeiten usw. usf. Wir müssen die Pflege durch ein Zusammenspiel im Gesundheitswesen aufwerten,
({3})
durch heilkundliche Tätigkeiten, durch neue Berufsbilder wie die Community Health Nurse in der Gemeindepflege, und wir brauchen mehr Unterstützung für die pflegenden Familien, auch durch Infrastruktur wie Tages- und Kurzzeitpflege.
({4})
Das sind alles überfällige Projekte, die in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurden. Und wir brauchen mehr Menschen, die bereit sind, in der Pflege zu arbeiten, und zwar so schnell wie möglich.
({5})
Pflege muss für junge Menschen attraktiv sein. Deswegen fangen wir natürlich mit Ausbildung, Fort- und Weiterbildung an. Aber ich möchte auch über die Anerkennung ausländischer Fachkräfte reden. Die müssen wir endlich deutschlandweit harmonisieren.
({6})
Meine herzliche Bitte an die Bundesregierung und die Bundesländer ist, jetzt möglichst schnell ein bundeseinheitliches Verfahren der Berufsanerkennung für Pflegefachkräfte aus der Ukraine zu schaffen, mit allem, was dazugehört, mit Sprachkursen usw. usf., und dieses Verfahren, wenn es etabliert ist, bitte auch bei allen anderen ausländischen Pflegekräften, die zu uns kommen, anzuwenden.
({7})
Wir brauchen bundeseinheitliche Lösungen. Dieses Hin und Her zwischen den Bundesländern muss endlich ein Ende haben. Wir werden sonst den demografischen Wandel nicht meistern können.
Wir haben nicht mehr viel Zeit, der steigenden Anzahl von Menschen, die auf professionelle Hilfe angewiesen sind, und den Familien, die sie unterstützen, zu helfen. Lassen Sie uns gemeinsam endlich ein massives und gutes Fundament für die Pflege schaffen!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nunmehr erhält das Wort für die AfD-Fraktion Jörg Schneider.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre wünschenswert, dass staatliche Haushalte die Form von Unternehmensbilanzen hätten. Dann müssten nämlich für die Folgen verfehlter Politik Rückstellungen gebildet werden. Man würde im aktuellen Haushalt schon sehen, was für Kosten da zukünftig auf uns zukommen, und da wäre nach zwei Jahre verfehlter Coronapolitik einiges im Argen. Ich nenne einige Beispiele.
Infolge des Lockdowns haben die Fitnessstudios in Deutschland 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Die sind auch nicht wieder zurückgekommen. Wenn ich das auf andere Bereiche des Breitensports übertrage, dann bedeutet das: Ein Fünftel der Menschen, die vor Corona regelmäßig Sport getrieben haben, verbringen nun ihre Freizeit maßgeblich auf der Couch. In einer älter werdenden Gesellschaft ist das tatsächlich ein Problem. Das sind zukünftige Kosten, die dort auf unser Gesundheitssystem zukommen.
({0})
Sie möchten es gerne dramatischer? Die EU schätzt, dass 1 Million Krebserkrankungen unerkannt blieben. Auf Deutschland heruntergebrochen sind das 200 000 Fälle. Jetzt sagen Sie bitte nicht, das hinge mit der Überlastung des Gesundheitssystems zusammen! Unser Gesundheitssystem war nie überlastet. Vorsorgeuntersuchungen finden bei niedergelassenen Ärzten statt, und in deren Praxen herrschte zum Teil gähnende Leere, weil sich die Leute aufgrund der von Ihnen geschürten Coronaängste nicht mehr zum Arzt trauten.
({1})
Verpasste Vorsorge, verspätet eingeleitete Therapien, geringere Heilungschancen, längere Therapien, höhere Kosten: Ihre Coronaangst hat allein in diesem Bereich erhebliche zusätzliche Kosten verursacht, und sie wird viele Menschen Lebensjahrzehnte kosten.
Aber das Dramatischste ist
({2})
tatsächlich das, was wir unseren Kindern und Jugendlichen angetan haben. Wir alle wissen doch: Unter freiem Himmel, an der frischen Luft, findet eine Infektion mit Corona nicht statt. Wir wissen auch: Für Kinder und Jugendliche ohne Vorerkrankungen ist Corona weitestgehend harmlos.
Gehen Sie auf die Straßen, und dann sehen Sie dort Kinder, die alleine unterwegs sind und eine Maske tragen! Dann frage ich mich: Was hat man diesen Kindern eigentlich erzählt? Und ich frage mich: Was haben sich diejenigen, die diesen Kindern anscheinend vollkommen überzogene Vorstellungen von den Gefahren von Corona vermittelt haben, eigentlich dabei gedacht?
30 Prozent aller Jugendlichen weisen Zeichen psychischer Störungen auf. Die Zahl der Suizide unter Jugendlichen hat sich während Corona vervierfacht. Herr Minister Lauterbach, Sie haben im Oktober des vergangenen Jahres verkündet, alle Ungeimpften würden bis März entweder geimpft, genesen oder verstorben sein. Damit haben Sie sich einmal mehr an die Spitze derjenigen gesetzt, die in diesem Land mit vollkommen unbegründeten Schreckensszenarien und Schreckensprognosen Paranoia und Hysterie schüren, und damit tragen Sie, Herr Minister Lauterbach, die Verantwortung für die Folgen dieser Paranoia und dieser Angst.
({3})
Unsere Regierung kann froh sein, dass sie ihren Haushalt nicht in Form einer Unternehmensbilanz veröffentlichen muss. Dann könnten Sie nämlich gleich das Insolvenzverfahren anmelden.
Danke.
({4})
Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Erich Irlstorfer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nur sagen: Es freut einen Gesundheitspolitiker, wenn man sieht, welchen beachtlichen finanziellen Einzelplan wir hier haben, der ein enormes Potenzial entfalten könnte.
Herr Lauterbach, ich möchte ganz kurz Ihre Rede zum Anlass nehmen, um zu sagen: Ja, es ist klug, vorsichtig zu sein; darüber brauchen wir überhaupt nicht zu reden. Ich finde es aber genauso klug, dass man reagiert, wenn man einen Virus kennt und einen passgenauen Impfstoff hat. Deshalb halte ich das Vorsorgegesetz der Union für richtig.
({0})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dieser milliardenschwere Finanzplan bedeutet nicht automatisch, dass wir Veränderungen erreichen. Diese Veränderungen sind im Koalitionsvertrag ja klar skizziert. Eines ist aber klar: Am Anfang steht eine Idee, dann benötigt man Geld, und dann muss man in die Umsetzung kommen. Das ist das, was jetzt Ihre Aufgabe ist.
Es wurden das GKV-System, die Pflegeversicherung und dergleichen angesprochen; die beiden Kolleginnen von den Grünen, Kollegin Klein-Schmeink und Frau Dr. Piechotta, haben das angemerkt. Man sprach hier von einem heruntergewirtschafteten System und dergleichen.
({1})
Diese Meinung teile ich nicht.
Sie haben uns über Jahre erzählt, die Bürgerversicherung wäre die Lösung. Wenn unser System so schlecht ist, kann ich Sie nur eines fragen: Warum haben Sie es dann nicht umgesetzt?
({2})
Sie sind jetzt in der Regierung. Hätten Sie diesen Systemwechsel doch gemacht!
({3})
Sie hatten nicht den Mut, und vielleicht wissen Sie auch, dass es falsch wäre.
Ich möchte hier die Punkte anbringen, die mir besonders wichtig sind, zum Beispiel – das ist klar – die Pflege und der Dreiklang aus Pflegebedürftigen, Angehörigen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Herr Minister, ich kann Ihnen nur sagen: 100 Tage sind jetzt vergangen. Das, was Sie hier für die Pflege auf den Weg gebracht haben, ist ein Murks beim Pflegebonus und eine einrichtungsbezogene Impfpflicht. Das schadet dem System in meinen Augen, weil es Menschen arbeitslos macht und die Ressourcen in der Pflege noch weiter schwächt.
({4})
Es wurde auch immer vom „Pflegereförmchen“ geredet, das wir auf den Weg gebracht haben. Ich kann nur sagen: Bisher sehe ich nichts, was in der Pflege wirklich in die Richtung gehen würde, dass die Dinge, die Sie vorher angekündigt haben, auch umgesetzt werden. Das ist in meinen Augen schwach. Ankündigungen reichen nicht.
({5})
Das Gleiche gilt für die Kinder- und Jugendmedizin. Wir finden hier kein Wort darüber.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Sehr gerne.
Herr Irlstorfer, Sie haben gerade von dem „Pflegereförmchen“ gesprochen und gesagt, dass wir das nicht wertschätzen würden. Wenn Sie einmal genau hinschauen, dann müssten Sie uns sagen können, wie Sie diese Pflegereform angefasst haben, wie Sie sie refinanziert haben. Wir wissen, dass wir Mitte des Jahres dazu kommen müssen, den Pflegebeitrag anzuheben, weil all das, was Sie in der letzten Wahlperiode dazu beschlossen haben, gar nicht refinanziert war, Sie also keine tragfähige Finanzierung geschaffen haben.
({0})
Wo sind Ihre Vorschläge dafür, wie das passieren soll?
Vorschläge und Lösungen, verehrte Kollegin, sind schon auch Regierungsarbeit.
({0})
Das, was in unserer Verantwortung war, haben wir durch Tarifmaßnahmen geregelt,
({1})
und wir haben das natürlich auch mit den privaten Pflegeunternehmen geregelt. Das war kein einfacher Weg, aber wir wollten eine ordentliche Bezahlung; das haben wir auf den Weg gebracht. Wir wollten auch die Entlastung der Angehörigen. Auch das haben wir gemacht, und das war auch finanziert.
({2})
Ich möchte mit der Kinder- und Jugendmedizin fortfahren. Wir alle wissen, dass die generalistische Ausbildung für den Bereich „Kinder- und Jugendpflege“ Schwächen hat. Ich würde mir wünschen – das würde nicht einmal Geld kosten –, dass die Evaluierung vorgezogen wird. Das wäre wichtig. Auch Neugeborenenscreening und all diese Dinge sind notwendig, damit wir schneller Diagnosen bekommen.
Damit bin ich bei einem Thema, bei dem ich auch wieder froh war, dass es eine gewisse Abbildung in Ihrem Koalitionsvertrag findet, nämlich dem Chronischen Fatigue-Syndrom. Das steht im Koalitionsvertrag. ME/CFS ist eine ganz schwere Erkrankung. Seltene Erkrankungen wie ME/CFS, bei der es „nur“ – in Anführungszeichen – 300 000 Betroffene gibt, haben aber keine Lobby. Wir müssen auch das in den Mittelpunkt unserer Politik aufnehmen.
({3})
Ich bitte Sie darum, dass wir das hinbekommen. Wir werden uns als Union dafür einsetzen. Wir werden hier konstruktiv mitarbeiten, weil wir ins Gelingen verliebt sind
({4})
und weil wir hier keine parteipolitischen Spielchen spielen. Long Covid und ME/CFS: Das sind zwei Seiten einer Medaille. Ich danke den Selbsthilfegruppen, ich danke Frau Professor Scheibenbogen und auch Frau Professor Behrends, dass sie hier nicht lockerlassen.
({5})
Lassen Sie uns das wirklich angehen!
Ich habe Briefe dazu aus dem Kanzleramt und aus dem BMG bekommen; die waren unterirdisch und ernüchternd. Die möchte ich nicht zitieren; ich möchte es auch nicht bewerten.
Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, bitte.
Lassen Sie uns hier anfangen! – Ich bin mit meiner Rede am Ende, Frau Präsidentin.
Ich danke Ihnen und hoffe, dass wir ein konstruktives Miteinander hinbekommen.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. Mehr wollte ich auch gar nicht. – Es folgt für die SPD-Fraktion die Kollegin Heike Engelhardt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie! AfD-Fraktion! Wir haben in dieser Woche bereits viel zum Haushalt allgemein und in dieser Debatte natürlich viel zum Gesundheitshaushalt gehört.
Ich wollte eigentlich ganz bewusst nicht auf die verschwurbelten Ausführungen zur Impfung und zum Infektionsschutz eingehen. Jetzt muss ich dazu aber doch kurz etwas sagen: Was ich hier wieder von ganz rechts gehört habe, zeigt mal wieder deutlich, dass es Ihnen eben nicht um die Gesundheit der Menschen in diesem Land geht.
({0})
Schrille Töne in Richtung des Ministers, falsche Zahlen zum Personaletat für das Ministerium –
({1})
wer lesen kann, ist im Vorteil.
({2})
Niemand redet von pauschalen Kürzungen, aber wir werden die Pandemie überwinden und dann weniger Kräfte dafür binden müssen.
Und schon sind wir beim Haushalt. Das Gesundheitsministerium hat in diesem Jahr einen Etat von mehr als 52 Milliarden Euro. Wie in den letzten Jahren ist der Großteil dieser Mittel für die Folgen und die Bekämpfung der Coronapandemie vorgesehen. Nur mal zum Vergleich: Vor Corona lag der Etat über mehrere Jahre ziemlich konstant bei knapp über 15 Milliarden Euro. Wir geben also alleine in diesem Einzelplan 37 Milliarden Euro mehr aus, um die Pandemie zu bekämpfen.
({3})
Dabei dürfen aber die anderen Aufgaben nicht zu kurz kommen. Wir haben uns in dieser Legislatur viel vorgenommen. Wir wollen unter anderem die Pflege stärken, wir wollen eine Eins-zu-eins-Betreuung bei den Hebammen erreichen, wir wollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen mehr als vorantreiben, wir wollen psychische Krankheiten entstigmatisieren,
({4})
wir wollen Vielfalt ermöglichen, und wir wollen noch ganz viel mehr.
Das alles kostet. Wir hoffen deshalb, dass das Finanzministerium dafür auch die Mittel bereitstellen wird, wenn wir demnächst hier im Parlament die Gesetze dazu verabschieden werden.
({5})
Auch sind wir Schutzsuchenden aus der ganzen Welt gegenüber verpflichtet. Wir müssen und wir wollen sicherstellen, dass wir diese Menschen bestmöglich medizinisch versorgen.
({6})
Die aktuellen schrecklichen Entwicklungen werden sicherlich zu weiteren ungeplanten Ausgaben führen. Lieber Herr Minister, wenn Sie dafür zusätzliche Mittel benötigen, dann haben Sie die SPD-Fraktion auf Ihrer Seite.
({7})
Was ich mir wünschen würde, ist, dass sich die angestrebte stärkere Rolle in der Welt auch bei unseren Zahlungen an die multilateralen Organisationen ausdrückt.
({8})
Der Einzelplan 23 wurde zwar gestern verhandelt; aber gerade da wünsche ich mir, dass wir auch in der aktuellen Lage zum Beispiel unsere Beiträge für das Welternährungsprogramm oder für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria erhöhen. Bei aller Einsicht und bei allem Verständnis für unsere Ausgaben im Verteidigungsetat bin ich mir ganz sicher: Jeder Cent, den wir in humanitäre Hilfen investieren, ist ein Beitrag zum Weltfrieden.
Vielen Dank.
({9})
Herzlichen Dank für die Punktlandung. – Als letztem Redner zu diesem Einzelplan gebe ich jetzt das Wort an den Kollegen Dr. Helge Braun von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Lauterbach! Ich freue mich auch, dass Klaus Holetschek – als einziger Gesundheitsminister der Länder – heute hier ist und der Debatte folgt; denn Gesundheit ist schließlich eine gemeinsame Aufgabe. Vielen Dank für Ihren Besuch!
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In dieser Debatte haben mehrere Redner der Koalition darauf hingewiesen, was eigentlich die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten – und das teile ich auch –, nämlich dass sie eine gute Gesundheitsversorgung bekommen, die ihnen, wenn sie krank werden, moderne Medizin nach bestem Standard gewährleistet. Es gibt ebenso eine große Erwartung derjenigen, die in den Berufen im Gesundheitswesen tätig sind, dass sich jetzt im dritten Jahr der Pandemie die Arbeitsbelastung wieder der Normalität nähert, dass sich Arbeitsbedingungen verbessern. Und genau das ist die Erwartung und unsere Aufgabe.
Jetzt frage ich mich: Was ist im Haushalt dazu zu finden, sodass man die Hoffnung haben kann, dass das auch wirklich passiert? Sie, die Rednerinnen und Redner der Koalition, haben mehrere Dinge angesprochen, die Sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen haben: Stärkung des ländlichen Raums, Stärkung pflegender Angehöriger und vieles andere mehr. Im Haushalt findet sich dazu nichts.
Es findet sich nicht nur nichts dazu im Haushalt, sondern es ist auch so, dass die Haushaltsspielräume in diesem Haushalt schon mehr als ausgereizt sind, sodass auch die Erwartung, dass da vielleicht noch was kommt, aus meiner Sicht eher gering ist.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?
Ja, bitte.
Herr Braun, Sie waren ja lange im Kanzleramt auch für den Gesamtüberblick zuständig. Ist Ihnen klar, dass das Wesentliche dessen, was wir im Gesundheitswesen und auch in der Pflege ausgeben, beitragsfinanziert ist und der Zuschuss ja nur einen kleinen Anteil dessen ausmacht, was wir im Gesundheitswesen ausgeben? Dieser Zuschuss – das sei auch noch mal allen hier gesagt – ist ja dafür da, versicherungsfremde, gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu finanzieren. Das ist die Aufgabe des Zuschusses an den Gesundheitsfonds.
Wenn Sie Beispiele dafür vermisst haben, wie wir unsere Aufgaben im Koalitionsvertrag umsetzen wollen, sage ich Ihnen: Diese Aufgaben sind erst mal etwas, was wir innerhalb des Leistungskataloges der SPV und der GKV leisten.
Von Ihnen erwarten wir Konzepte dafür, wie wir die Bereinigung hinkriegen, dass die Aufgaben, die gesamtgesellschaftlich sind – das sind zum Beispiel pandemiebedingte Kosten –, dann auch wirklich über den Steuerhaushalt finanziert werden, und dass Sie dabei mitgehen.
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Ist Ihnen das klar? Denn Sie haben gerade eigentlich eine völlig falsche Herleitung an der Stelle vorgenommen.
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Ich habe, ehrlich gesagt, gedacht, es dauert ein bisschen länger, bis der Punkt kommt, aber ich habe ihn schon ein kleines bisschen erwartet. Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: Mehrere Ihrer Redner haben eben darauf hingewiesen, dass man die gesetzliche Krankenversicherung eben nicht mit versicherungsfremden Leistungen überlasten soll. Deshalb ist die Frage, ob das alles, was Sie sich da im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, am Ende in die GKV gehört, etwas, über das man, glaube ich, als Erstes noch diskutieren muss.
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Das Zweite, was Sie, glaube ich, auch sehen müssen, ist, dass die GKV schon jetzt erheblich unterfinanziert ist. Und wenn ich noch in die mittelfristige Finanzplanung schaue, dann mache ich mir richtig Sorgen um die gesetzliche Krankenversicherung. Denn das, was Karl Lauterbach in den Interviews, sozusagen im Vorgriff auf das Gesundheitsfinanzierungsgesetz, ankündigt, ist, dass wir im nächsten Jahr ein Loch von 17 Milliarden Euro haben werden und dass er noch mal einen Zuschuss von mindestens 5 Milliarden Euro braucht, um die GKV überhaupt zu finanzieren, also ohne dass zusätzliche Projekte, die Sie vielleicht vorhaben, umgesetzt werden können. Das alles ist nicht nur nicht in der mittelfristigen Finanzplanung abgebildet, sondern es ist sogar so, dass der Finanzminister trotz der Finanzierungslasten durch die Coronapandemie, die Sie eben angesprochen haben, offenkundig davon ausgeht, dass man den Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit im nächsten Jahr mehr als halbieren kann, weil da so gut wie gar keine Kosten mehr anfallen. Und auch da sind die Spielräume ausgereizt.
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Also, ich habe sehr, sehr große Sorgen, ob das, was Sie sich vorstellen, überhaupt realisierbar ist. – Deshalb herzlichen Dank für diese Frage.
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Es ist aber eben nicht nur die gesetzliche Krankenversicherung, die vor großen Finanzierungsherausforderungen steht. Da spielen natürlich die Ukrainekrise und die aktuelle Wirtschaftsentwicklung auch mit rein. Wir rechnen mit einer stärkeren Inflation; wir rechnen damit, dass die Wirtschaft sich nicht ganz so positiv entwickelt. Das heißt, die 17 Milliarden Euro, die wir im nächsten Jahr als Lücke erwarten, werden möglicherweise noch mehr. Der Bundesfinanzminister hat von diesem Pult aus zwar sehr deutlich gemacht, dass er zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger nicht will. Aber wenn es so kommt, dann ist eine Beitragserhöhung im Bereich der GKV unausweichlich, und – Sie haben es ja gerade auch gesagt – auch im Bereich der Pflegeversicherung sind Beitragserhöhungen alles andere als ausgeschlossen.
Wenn wir wollen, dass die deutsche Wirtschaft uns über die Steuereinnahmen durch diese Krise trägt, dann müssen wir es schaffen – das ist unsere Aufgabe –, dass auch in Zukunft die Beiträge zur Sozialversicherung in der Summe nicht über die 40-Prozent-Grenze steigen. Das hat die bisherige Regierung immer geschafft, und an dieser Grenze werden wir auch Sie messen.
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Neben GKV und PKV sind natürlich die Ausgaben für Corona ganz entscheidend. Sie, Herr Bundesminister, haben in Ihrer Rede eingangs noch einmal deutlich gemacht, dass momentan die Infektionszahlen ein historisches Hoch haben. So viele gemeldete Neuinfektionen wie am heutigen Tag gab es in der ganzen Pandemie noch nicht. Gerade vor dem Hintergrund des von Ihnen angesprochenen Long-Covid-Problems, das eben nicht auf schwere Verläufe begrenzt ist, sondern das es auch bei leichteren Verläufen gibt, muss man sich schon Sorgen machen; denn zwei Drittel aller Infektionen sind in der Amtszeit der neuen Regierung entstanden, nur ein Drittel in der ganzen Zeit davor.
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Sie lassen die Infektionszahlen laufen, und das bildet sich auch im Haushalt ab. Denn Sie brauchen gegenüber dem ersten Regierungsentwurf für die Coronapolitik 18,8 Milliarden Euro mehr.
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Das ist eine Aufgabe, an der Sie arbeiten müssen.
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Zum Thema Testen. Je mehr Infektionen, desto mehr muss natürlich getestet werden. In unserem System ist es momentan so – und der Kollege Klein hat ja sehr intensiv darüber gesprochen, was die Aufgabe der Länder oder der Kassenärztlichen Vereinigung ist –, dass der Bund nicht wirklich eine Kontrolle über das Testen ausübt; der Bundesrechnungshof hat das kritisiert. Die Kassenärztliche Vereinigung soll die Kontrolle durchführen, verdient aber umso mehr Geld, je mehr insgesamt ausgegeben wird. Das heißt, das Anreizsystem ist völlig falsch. Und wenn man in das dritte Jahr der Pandemie geht und weiß, dass man dieses Instrument noch lange brauchen wird, dann muss man dafür sorgen, dass es auch kosteneffizient ist. Deshalb müssen Sie dringend etwas an dem Erstattungssystem für die Tests ändern.
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Da in dieser Woche in weiten Teilen des Landes die Maskenpflicht weggefallen ist und wir in der Situation sind, dass nur sieben Landkreise in Deutschland eine Inzidenz von unter 1 000 haben, ist es ganz entscheidend, dass wir jetzt nur noch für Hotspots, die unklar definiert sind, über die Länder Coronamaßnahmen beschließen. Da sagt ja der Bundesjustizminister jedes Mal, dass er eigentlich der Meinung ist, es gebe keine Überlastungsphänomene und keine Belastungsphänomene mehr in den Krankenhäusern.
Gleichzeitig haben Sie, Herr Bundesgesundheitsminister, entschieden, dass die Ausgleichszahlungen in den Krankenhäusern weiter fortgesetzt werden – mit Geld vom Steuerzahler, das wir im Bundeshaushalt dafür in die Hand nehmen, dass geplante Operationen ausfallen. Menschen in Deutschland können ihre geplante Gallenoperation, ihre geplante Leistenoperation nicht durchführen lassen, weil die Belastungssituation im Gesundheitswesen durch den Ausfall von Kolleginnen und Kollegen immer noch so hoch ist, dass wir ohne die Ausgleichszahlungen nicht zurande kommen. Wenn das keine Belastungssituation im Gesundheitswesen ist, dann weiß ich auch nicht.
Deshalb meine herzliche Bitte: Arbeiten Sie auch daran, dass wir aus diesem System herauskommen und dass wir ein dauerhaft funktionierendes System der Krankenhausfinanzierung bekommen! Dort ist in den letzten Jahren auch seitens der Länder nicht genug investiert worden; das hat nicht zu mehr Qualität in unserem Gesundheitssystem geführt.
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Die Krankenhausfinanzierung ist eine zentrale Aufgabe, und auch darüber findet sich nichts Gutes in diesem Regierungsentwurf.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Inter arma silent leges – wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht –, so hieß es in der Antike, so hieß es noch im Mittelalter, und so, glaubt offenbar Wladimir Putin, gelte es noch heute. Doch das ist falsch.
Der Überfall Putins auf seine Nachbarn ist eine Verletzung des Völkerrechts. Am vergangenen Mittwoch hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Eilverfahren entschieden, dass der russische Angriff auf die Ukraine unverzüglich gestoppt werden müsse und Putins sogenannte völkerrechtliche Begründung des Angriffs eine Lüge ist. Wo die Waffen sprechen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, schweigt das Recht eben nicht.
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Die Art und Weise, wie Putin den Krieg in der Ukraine führen lässt, ist in vielerlei Hinsicht verbrecherisch. Auf vielen Ebenen werden derzeit Beweise für die völkerstrafrechtlichen Verbrechen Russlands gesichert: Der Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof ermittelt; Eurojust koordiniert die Ermittlungen innerhalb der Europäischen Union, und der Generalbundesanwalt ermittelt bereits im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens. Damit ist klar: Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht nicht, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen.
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Wir Deutschen haben eine besondere historische Verantwortung für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen. Daher haben wir im Rahmen einer Pioniertat des Völkerstrafrechts bereits Folterknechte Assads in Deutschland nach dem Weltrechtsprinzip vor Gericht gestellt, und wir werden auch russische Kriegsverbrecher in Deutschland vor Gericht stellen, wenn wir ihrer habhaft werden. Niemand sollte unsere Entschlossenheit unterschätzen.
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Nirgendwo dürfen sich Kriegsverbrecher sicher fühlen, erst recht nicht in Deutschland; denn gerade bei uns gilt: Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht nicht.
Putin führt seinen Krieg gegen die Ukraine; er führt ihn aber auch gegen die Prinzipien der liberalen Demokratie. Daher müssen wir der Ukraine beistehen; wir müssen aber auch die Prinzipien der liberalen Demokratie verteidigen, auch bei uns hier zu Hause. Daher möchte ich an dieser Stelle klar sagen: Den Krieg gegen die Ukrainer führt der russische Präsident verbrecherisch; aber es ist kein Verbrechen, russisch zu sein. Wer Menschen ausgrenzen oder diskriminieren möchte, nur weil sie aus Russland stammen oder weil sie Russisch sprechen, verletzt die Prinzipien der liberalen Demokratie. Das werden wir hier nicht tolerieren, meine Damen und Herren!
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Deutschland bleibt ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, egal woher ein Mensch kommt und welche Sprache er spricht; denn Unrecht bekämpft man nicht mit Unrecht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Die Werte der liberalen Demokratie sind die Entscheidungen der Mehrheit und die Freiheit des Individuums. Der Publizist Fareed Zakaria warnte schon 2003, also lange bevor der Terminus geläufig wurde, vor illiberalen Demokratien. Damit meint er ein Staatswesen, das der Mehrheit alles erlaubt und dem Individuum nichts an Respekt entgegenbringt. Denn eines ist ja wahr: Wenn alle über alles abstimmen, bestimmt am Ende niemand mehr über sich selbst.
Deshalb legt die Ampelkoalition so viel Wert auf beide Werte: die Demokratie und die Freiheit. Daher stärken wir den Respekt vor dem Individuum; denn genau das ist ja gerade das Liberale an der liberalen Demokratie.
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Genau deshalb stärken wir die Bürgerrechte durch die Ersetzung der Vorratsdatenspeicherung und die Reform bei der Quellen-TKÜ. Genau deshalb stärken wir die Selbstbestimmung im Familienrecht durch neue Möglichkeiten in einer neuen Zeit. Und genau deshalb werden wir eine grundrechtsorientierte und evidenzbasierte Sicherheitspolitik betreiben. Wir erstellen eine Überwachungsgesamtrechnung mit Blick auf die bestehenden Sicherheitsgesetze, und wir unterziehen die Überwachungsbefugnisse des Staates einer Generalrevision.
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All das war schon richtig, als wir den Koalitionsvertrag abgeschlossen haben; aber in Anbetracht des verbrecherischen Angriffs auf die Prinzipien der liberalen Demokratie ist all das noch wichtiger geworden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aus dem Bundesministerium der Justiz leisten wir unsere Beiträge dazu. Wir tun dies so, dass dies hoffentlich auch aus Sicht strenger Haushälter bestehen kann; denn im Vergleich geben wir nicht besonders viel Geld aus, nehmen dafür aber besonders viel von diesem Geld selber wieder ein. Deshalb meine ich: Jeder Euro für das Haus des Rechts und der Freiheit ist eine gute Investition in die liberale Demokratie.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Frau Präsidentin, dass Sie zu Beginn meiner Rede auf das Alternativprogramm aufmerksam machen, nehme ich Ihnen nicht weiter übel. Ich kann die Intention verstehen.
Der freiheitliche Verfassungsstaat hat exakt zwei Mittel, um politisch zu agieren, um Lebenswirklichkeit zu gestalten: Geld, also die Einnahme von Steuern und die Ausgabe dieser Gelder andererseits, und zum Zweiten Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung. Regelmäßig habe ich den Eindruck, dass wir im Umgang mit dem Handlungsmittel Geld – auch hier im Hause – viel skrupulöser sind als im Umgang mit dem Recht. Für uns Rechtspolitiker jedenfalls darf ich das Gegenteil behaupten.
Meine Damen und Herren, aber weder Freiheit noch Rechtsstaatlichkeit sind in Euro und Cent aufzuwiegen. Das sehen wir in diesen Wochen sehr eindrücklich bei dem tapferen Kampf des ukrainischen Volkes gegen die russischen Invasoren, aber auch bei unseren Sanktionen als Antwort auf diesen Angriffskrieg. Dieser Krieg wird Europa verändern, er wird Deutschland verändern. Vieles von dem, was wir bislang gesagt und gehofft haben, hat seine Gültigkeit verloren. Der russische Präsident führt hier nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch gegen die Demokratie. Und er führt zugleich Krieg gegen Recht und Rechtsstaatlichkeit.
Nicht nur, dass wir hier Zeuge des größten Völkerrechtsbruchs in der europäischen Nachkriegsgeschichte sein müssen; vielmehr geht es dem Kriegsverbrecher im Kreml mit der geplanten Besetzung der Ukraine auch darum, keine rechtsstaatlichen Strukturen in seiner Nachbarschaft aufkommen zu lassen. Die Ukrainer setzen ihr Leben ein für die Freiheit und die unter vielen Widrigkeiten aufgekeimte Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land. Sie haben auch deshalb unser aller Unterstützung verdient, meine Damen und Herren.
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Aus diesem Grunde habe ich mich in dieser Woche einer Petition angeschlossen, die die Schaffung eines weiteren neuen internationalen Sondertribunals für die russischen Kriegsverbrecher fordert, nicht als Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten der Aufarbeitung, sondern als Ergänzung und in Partnerschaft dazu. Herr Bundesminister, ich konnte Ihnen in sehr vielem, insbesondere bei dem, was Sie zum Thema Ukraine gesagt haben, zustimmen. Aber ich muss Ihnen auch sagen: Während die Ampelregierung den Etat des Generalbundesanwalts in diesen Zeiten doch tatsächlich senken will, rege ich dringend an – auch namens meiner Fraktion –, dass wir im Haushalt des Generalbundesanwalts zusätzliche Stellen und Mittel bereitstellen, um russische Kriegsverbrechen für künftige Verfahren zu dokumentieren. Wir sollten dabei auch ukrainische Flüchtlinge ermutigen, uns entsprechende Hinweise und Informationen zu geben, damit wir diesen Verbrechen nachgehen können.
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Meine Damen und Herren, die furchtbaren Berichte, die uns täglich aus diesem Krieg erreichen, relativieren natürlich manche innenpolitische Kontroverse. Und doch kann die weltpolitische Lage natürlich niemals eine Entschuldigung sein für Fehler oder Schludrigkeiten einer nationalen Politik; auch darüber müssen wir reden. Wer allen Ernstes etwa die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche – Sie kennen das Thema – zur ersten rechtspolitischen Priorität erklärt, wie es in der Ampel geschehen ist, der sollte, so meine wirklich herzliche Bitte, sein politisches Koordinatensystem doch noch einmal einer kritischen Überprüfung unterziehen.
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Ich erwarte bei einem solchen Thema zumindest – viel ist es nicht –, dass die Grenzen, die unser Grundgesetz und das Verfassungsgericht zum Schutz ungeborener Kinder gezogen haben, auch ernst genommen werden.
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Und ich erwarte Ehrlichkeit in der Debatte. Vielleicht ist das schon zu viel verlangt; ich weiß es nicht.
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Denn derjenige, der ein Werbeverbot streichen will, nimmt dadurch doch schon denklogisch Werbung zumindest billigend in Kauf.
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Wer das Grundrecht auf Leben und die Menschenwürde des Embryos geringschätzt, handelt, wie ich finde, auch nicht liberal. Es geht um Grundwerte und Freiheitsrechte.
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Das Gegenteil von „liberal“ sind auch die Pläne für ein neues Kindergrundrecht – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen. Wir als Union wollen Kinder mit und nicht gegen ihre Eltern schützen. Das war der Kern des von uns mitausgearbeiteten Vorschlags in der letzten Wahlperiode. Die Ampel will hingegen mehr staatlichen Einfluss bei der Kindererziehung zulasten der Eltern.
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Die damit angestrebte staatliche Lufthoheit über den Kinderbetten kennen wir von Olaf Scholz,
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aber bislang nicht von Liberalen.
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Meine Damen und Herren, ich habe inzwischen den Eindruck, dass die FDP hier nicht nur ihre Sitzplätze für uns als Unionsfraktion freigemacht hat, sondern gleich noch ein gutes Stück ihrer liberalen Positionen für uns freigeräumt hat.
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Ich will aber auch gerne noch auf einen kleinen Erfolg des Justizministers und seines Ministeriums eingehen, nämlich auf die Gewinnung der Zuständigkeit für den Normenkontrollrat und – ein wichtiges Thema – für bessere Rechtsetzung. 2006 hat eine CDU-geführte Bundesregierung die Thematik ganz bewusst im Bundeskanzleramt angesiedelt. Das hat die Bedeutung der Aufgabe unterstrichen, aber auch die Durchschlagskraft des Normenkontrollrats ganz erheblich erhöht oder erst wirklich geschaffen. Dass die Ampelmehrheit nun eine Zuständigkeitsverschiebung in ein Fachressort vornimmt, zeigt, dass die Koalition insgesamt das Thema nicht mehr so ganz ernst nimmt.
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Das ist schlecht für die Sache. Aber – ich baue Ihnen gern eine Brücke – wenn das Justizministerium diese Aufgabe jetzt schon an Land gezogen hat – das freut mich ja für den Herrn Minister –, dann machen Sie bitte auch was draus.
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– Die Sorge habe ich eben. Das will ich doch gerade erklären, warum ich die Sorge habe, Herr Kollege.
Der Wahlslogan der FDP im Bundestagswahlkampf war ja, glaube ich: „Nie gab es mehr zu tun.“ Der passt bei dem Thema wirklich leider wie die Faust aufs Auge. Ja, Defizite bei der Gesetzgebungsqualität gab es unstreitig auch in den letzten Jahren. Aber was wir bei den ersten Arbeitsproben der Ampelkoalition erleben mussten, ist wirklich ein neuer Tiefpunkt in Sachen Qualität der Gesetzgebung.
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Ich nenne Ihnen ein Beispiel, ganz frisch aus der letzten Sitzungswoche: Novellierung des Infektionsschutzgesetzes. Indem Sie hierin auf dem bisherigen Höhepunkt der Ansteckungszahlen das Gros der Schutzmaßnahmen abgeschafft haben, haben Sie den Charakter des Infektionsschutzrechts schlichtweg verkannt. Es ist eben kein klassisches Gefahrenabwehrrecht, sondern vor allem ein Risikovorsorgerecht. Ein solches Gesetz darf also niemals nur die aktuelle Gefahrenlage abdecken, sondern es muss auch noch funktionieren, wenn diese sich verschärft. Wenn es aber die Länder macht- und wehrlos macht, ist es eben kein vorausschauendes, sondern ein schlechtes Gesetz. Wenn man es nur mit „Wir können es ja nur nachbessern“ begründet, ist das eigentlich die denkbar schwächste Begründung und Rechtfertigung für ein Gesetz, meine Damen und Herren.
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Aber auch der Weg zu diesem Gesetz schreibt Geschichte. In der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist aus guten Gründen vorgeschrieben, dass vor einem Kabinettsbeschluss die fachlich kompetenten Verbände zu beteiligen sind. Die Beteiligung gab es auch. Sie begann mittwochnachts um 1.08 Uhr und endete acht Stunden und 52 Minuten später. Sie haben es wirklich geschafft, Verbändebeteiligung bei einem zentralen Gesetz zu einer bloßen Farce verkommen zu lassen.
Wohlgemerkt: Dieser Zeitdruck ist nicht durch die Dynamik der Pandemie entstanden – dann würde ich es ja noch verstehen –, sondern weil sich die Ressorts bei Corona an der Stelle ineinander verkeilt haben. Das haben sie übrigens auch bei der Frage der Impfpflicht gemacht. Das Grundgesetz weist dem Bundestag die Entscheidung über solche wichtigen Fragen zu. Die Regierung legt einen Regierungsentwurf vor und teilt dem Parlament nicht nur großzügig Gewissensfragen zu. Das ist nämlich keine Stärkung, sondern eine Schwächung des Parlaments, was Sie hier unternommen haben.
Meine Damen und Herren, in zentralen regelungsbedürftigen Fragen vorsichtshalber gar keinen Gesetzentwurf vorzulegen, wie hier, ist aber noch kein Beitrag für bessere Rechtsetzung.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Esther Dilcher für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Bundeshaushalt sind im zweiten Regierungsentwurf Einnahmen und Ausgaben in Höhe von jeweils rund 457 Milliarden Euro veranschlagt bei Steuereinnahmen in Höhe von 332 Milliarden Euro.
Im Justizhaushalt, also in diesem Einzelplan 07, den wir jetzt beraten, sind Gesamtausgaben von rund 935 Millionen Euro und Einnahmen von 644 Millionen Euro, also nicht Steuereinnahmen, sondern eigene Einnahmen, eingestellt. Also beträgt der Anteil der Ausgaben des Justizhaushaltes am Gesamthaushalt lediglich etwa 0,2 Prozent. Und: Es ist ein Verwaltungshaushalt. Das gibt nicht viel Spielraum für Projekte, Förderprogramme oder zusätzliche neue Ausgaben, da ein Umschichten hier schier unmöglich erscheint.
Das Justizministerium ist in erster Linie das Gesetzgebungsministerium, entweder durch eigene Gesetze oder durch Begleitung der anderen Ministerien in deren Gesetzgebungsprozessen. Dafür sind Ausgaben von 127 Millionen Euro eingestellt.
In den letzten zwei Jahren kamen aus dem Bundesministerium der Justiz, beschleunigt durch die Herausforderungen der Coronapandemie, wichtige Gesetze im Sanierungs- und Insolvenzrecht, die Verkürzung der Restschuldbefreiung, die Mietpreisbremse, Schutz vor Wohnungskündigungen bei Mietschulden usw. Ich möchte das alles jetzt hier nicht weiter ausführen.
Im Haushalt des Bundesministeriums der Justiz entfällt in dieser Legislatur das Kapitel der Verbraucherpolitik, was ich persönlich sehr bedauere, weil ich das betreut habe, auch im Rechtsausschuss, und mir das immer sehr viel Spaß gemacht hat.
Zum Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz gehören drei von fünf Bundesgerichten, nämlich der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof, sowie der Generalbundesanwalt. Dafür sind Ausgaben von insgesamt 162 Millionen Euro vorgesehen.
Auch der zentrale Dienstleister der deutschen Justiz, nämlich das Bundesamt für Justiz, wird mit Haushaltsmitteln im Einzelplan 07 veranschlagt, und zwar mit Ausgaben in Höhe von 99 Millionen Euro.
Hier möchte ich aber einmal die Einnahmenseite näher beleuchten. Jeder, der bereits einmal ein Führungszeugnis beantragt hat, hat dazu beigetragen, dass dem Justizhaushalt dadurch auch Einnahmen zufließen. 1 200 Beschäftigte bieten im Bundesamt unter anderem Bürgerdienste an, neben dem Führungszeugnis zum Beispiel Hilfe bei Auslandsadoptionen, Auslandsunterhalt, internationalem Sorgerecht; sie führen die Register bei der Musterfeststellungsklage, das Gewerbezentralregister und sind Schlichtungsstelle für den Luftverkehr. Wer mal auf der Seite nachguckt, der wird überrascht sein, was das Bundesamt für Justiz alles leistet.
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Sie bieten Dienstleistungen für Gerichte und Behörden, zum Beispiel Justizfortbildungen, internationale Rechtshilfe in Strafsachen sowie in Zivil- und Handelssachen, und sie sind zuständig für die Vollstreckung bei EU-Geldstrafen und EU-Geldbußen sowie auch bei EU-Kontopfändungen. Insgesamt sind dafür im Haushalt Einnahmen in Höhe von 135 Millionen Euro, die also über den Ausgaben liegen, veranschlagt.
Ein weitaus größerer Betrag wird bezüglich Einnahmen für gewerbliche Schutzrechte im Rahmen von Gebühren in Höhe von 455 Millionen Euro beim Deutschen Patent- und Markenamt geschätzt – bei Ausgaben von 245 Millionen Euro. Auch da liegen die Einnahmen über den Ausgaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Ausdruck dafür, dass Deutschland ein Forschungs- und Innovationsstandort ist, und dieser Indikator findet sich im Justizhaushalt wieder. Ich finde das großartig.
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Selbst in der Krise oder vielleicht gerade wegen der Krise wurde die Anmeldung von Patenten im Bereich von umweltfreundlichen Antriebstechniken, im Bereich von Digitalisierung, Medizintechnik, Infektionsschutz und in anderen Bereichen beflügelt. Darauf können wir alle stolz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie sehen: Es gibt eine Besonderheit in diesem zwar kleinen, aber trotzdem sehr bedeutsamen Haushalt des Bundesministeriums der Justiz; es besteht nämlich eine mehr als 68-prozentige Deckungsquote.
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Die Bundesrepublik ist ein moderner Verfassungsstaat, der drei wesentliche Aufgaben hat: zum Ersten die äußere Sicherheit, also die Landesverteidigung, zum Zweiten die innere Sicherheit, also den Frieden in der Gesellschaft, und zum Dritten die Gesellschaftsgestaltung. Darunter verstehen wir all das, was wir mit sozialer Sicherung und Daseinsvorsorge in Verbindung bringen.
Ich meine, Grundvoraussetzung ist dabei zunächst die innere Sicherheit. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns nicht, dass alles perfekt funktioniert, dass jede Ungerechtigkeit aufgelöst, jedes Verbrechen verhindert und jeder oder jede grenzenlos Freiheit genießen kann; zumindest die Mehrheit in diesem Haus erwartet das nicht.
Diese Grundsätze sind verfassungsmäßig verankert. Artikel 20 Grundgesetz begründet für die Bundesrepublik unter anderem das Sozialstaatsprinzip, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Sie werden sich fragen, warum mir diese Klarstellung in dieser Haushaltsdebatte so wichtig ist.
Mir ist das wichtig, weil das Bundesministerium der Justiz ein Gesetzgebungsministerium ist, das an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist, weil bei uns die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Und ich finde, unser Rechtsstaat funktioniert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich finde es beschämend, dass ein demokratisch gewählter Abgeordneter hier von der rechten Seite in Russland in Medien behaupten darf, es gebe in Deutschland keine Demokratie und andere Meinungen würden durch die „regierende Elite“ in deutschen Medien, im Internet und sogar durch körperliche Gewalt unterdrückt. Es bestürzt mich zutiefst, dass durch solche Äußerungen dem Kriegstreiber Putin von deutschen Abgeordneten Schützenhilfe geleistet wird.
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Es ist fast unerträglich, aber es macht mich nicht stumm; denn die Freiheit von Abgeordneten, die Hass und Hetze gegen Deutschland verbreiten, endet genau hier – hier, wo meine Freiheit beginnt. Freiheit ist nämlich hier auf Erden nicht grenzenlos. Hier ist die Grenze! Ich bin dankbar, dass wir in Deutschland Freiheitsrechte haben, die durch unsere Verfassung garantiert werden – Handlungsfreiheit in Artikel 2, Meinungsfreiheit in Artikel 5,
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Versammlungsfreiheit in Artikel 8 –, die die Rechte anderer nicht verletzen dürfen und nur beschränkt werden können durch ein Gesetz.
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Herr Brandner, Sie bestätigen ja gerade, dass Sie das sogar noch gut finden, was da passiert.
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In Russland zu behaupten, in Deutschland gebe es keine Demokratie und keine Meinungsfreiheit, ist ein vernichtender Schlag ins Gesicht aller Menschen in Russland, die gegen diesen Krieg auf die Straße gehen,
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die sich öffentlich in Rundfunk und Fernsehen gegen diesen Krieg und für Frieden aussprechen, die mutig Widerstand leisten und damit um ihr Leben fürchten müssen. Ich bin entsetzt, wie weit Sie hier am rechten Rand gehen, um sich Verbündete zu suchen,
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und die Äußerungen Ihres Kollegen unkommentiert – bis auf einen kurzen Kommentar des stellvertretenden Bundessprechers, der ja hier auch schon wieder von der rechten Seite dazwischenruft – stehen lassen.
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Mir fällt es oft schwer, Ihre Redebeiträge zu ertragen.
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Trotzdem nehmen die demokratischen Parteien in diesem Haus diese Herausforderung an. Aber Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass wir Ihre hetzerischen Kommentare widerspruchslos hinnehmen müssen. Nein, genau hier ist der Ort, um sich damit auseinanderzusetzen
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– aber nicht von Ihnen, Herr Brandner –,
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in der öffentlichen Debatte; denn unsere Demokratie hält das aus. Ich bin überzeugt: Die Mehrheit der demokratischen Parteien hier im Haus, die sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt und diese nicht verleugnet, sieht das genauso wie ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
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Unser Rechtsstaat funktioniert, und das verdanken wir unserem Gesetzgebungsministerium,
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dessen Haushalt wir hier debattieren, sowie vielen engagierten Beschäftigten in der Justiz und den Gerichten, die in der Pandemie an ihre Grenzen gekommen sind.
Ich freue mich auf spannende Haushaltsberatungen. Ich habe nämlich vom Ministerium schon so einiges gehört, was man vielleicht noch anpacken könnte.
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Dafür wären zusätzliche Ausgaben erforderlich. Mal gucken, ob wir da noch was verändern können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich bitte, zu beachten, dass nach wie vor die Allgemeinverfügung gilt. Das heißt, die Maske kann hier vorn von der amtierenden Präsidentin abgenommen werden, wenn sie die Rednerinnen und Redner aufruft oder Hinweise zur Debatte gibt, und natürlich von der aktuellen Rednerin oder dem aktuellen Redner am Pult. Für Zwischenrufe haben wir schon seit Wochen die Praxis, dass die Maske Mund und Nase weiter bedeckt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – diesen Dreiklang haben wir diese Woche hier in diesem Haus schon häufig gehört, gebetsmühlenartig wiederholt. Doch wie genau steht es eigentlich damit?
Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.
Das sagte Jean-Jacques Rousseau.
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Nun, bedeutet das, dass man keine Steuern mehr zahlen muss oder Knöllchen nicht mehr bezahlen muss? Nein, natürlich nicht. Wobei: Da beginnen sich die Geister ja schon zu scheiden, bei der Höhe der Steuern oder der Höhe der Bußgelder – beides übrigens kritisiert von der FDP während ihrer Oppositionszeit. Weiß das hier noch jemand? Diese flammenden Plädoyers gegen die finanzielle Ausbeutung der Bürger und der Kampf für die Freiheit, der Kampf gegen übergriffige Coronamaßnahmen, für mehr Wissenschaftlichkeit bei der politischen Entscheidungsfindung, gegen einen bevormundenden Staat und für mehr Eigenverantwortung – und natürlich der Kampf gegen die Impfpflicht.
Unsere Gesellschaft hat noch nie so tiefe Einschnitte in ihr gewohntes Leben hinnehmen müssen wie in den letzten zwei Jahren der Coronapolitik. Während ganz zu Beginn noch alle auf die Maßnahmen vertraut haben, wurde den meisten Menschen relativ schnell klar, dass man sich nicht ewig vor einem Virus verstecken kann. Die Politik der Koalition von Union und SPD griff das auf und versprach den Menschen die Rückkehr zur Normalität, sobald es eine Impfung gäbe, eine Impfung, die für alle verfügbar sein sollte, aber zu der niemand gezwungen werden sollte.
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Bis hierhin war noch alles halbwegs normal. Aber ab einem gewissen Punkt wurde die Pandemie nicht mehr überwiegend rational bekämpft, sondern sie wurde zu einem Spielball der üblichen politischen Spielchen,
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die die Konsensparteien hier untereinander spielen und die übrigens mit der Sache nichts mehr zu tun haben und auch nicht mehr mit dem Wohle des Volkes.
Es standen verschiedene Wahlen an. Jede Partei hatte gegen die jeweils andere Partei ein und dieselbe politische Granate in der Hand. Da stand sinngemäß drauf: Die Maßnahmen sind nicht ausreichend. Wegen Ihrer Partei sterben Menschen! – Was folgte, war ein Überbietungswettkampf an Forderung nach besseren, härteren, endgültigeren und mehr und mehr und mehr Maßnahmen.
Wir als AfD haben diesen Irrsinn sehr früh erkannt, kritisiert und uns für eine schrittweise Rücknahme der Maßnahmen eingesetzt.
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Die eben erwähnte Granate flog dann natürlich auch in unsere Richtung; aber zum Glück lautet unser Parteimotto ja „Mut zur Wahrheit“.
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Aber auch die FDP erkannte irgendwann, dass es einen relevanten Wähleranteil gibt, der sich ein Ende dieser ganzen Maßnahmen wünschte. Und mehr noch: Man durfte die Unzufriedenen ja nicht zur AfD wechseln lassen. Also begann auch die FDP, den Maßnahmenirrsinn zu kritisieren, und sie bekam auch dankbaren Zuspruch. Das wurde später sogar noch verstärkt, und zwar als sich die Bürger nach sehr viel Geduld endlich an die deutsche Gerichtsbarkeit erinnert hatten und klagten. Doch die Gerichte, auf die unsere Bürger in ihrem Glauben an Rechtsstaatlichkeit alles gesetzt hatten, fanden das alles so in Ordnung mit den Maßnahmen.
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Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich damals mit Juristen gesprochen hatte, wie schockiert die waren. Und die Bürger, die schon so viel hatten auf sich nehmen müssen, fühlten sich auf einen Schlag machtlos und im Stich gelassen.
Aber es gab Hoffnung auf Erlösung; denn die Herren Kubicki, Lindner und Buschmann kämpften für die Freiheit und versprachen, keine Impfpflicht einzuführen. Ich muss gestehen: Auch ich habe Ihnen damals durchaus geglaubt, und ich habe mich auch sehr darüber gefreut, dass nicht nur die AfD zu einem realen Politikkurs zurückgekommen ist.
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Genau deshalb kann ich sehr gut nachfühlen, wie verraten, verkauft und verarscht sich Ihre Wähler jetzt fühlen.
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Sie unterstützen jetzt alles, wogegen Sie gekämpft haben. Und ein FDP-Justizminister, der nicht klar und deutlich sagt, dass die geplante Impfpflicht ein absolutes No-Go ist, nicht die rechtsstaatliche rote Fahne hebt und einem Lauterbach nicht entschieden widerspricht, der ist ein Schlag ins Gesicht für alle Freunde der Freiheit.
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Die Frage nach der kompromisslosen Verteidigung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung wäre für mich, für meine Fraktion ein absolutes „deal or no deal“. Aber die FDP verhilft einer Koalition zur Mehrheit, die genau das abschaffen möchte. Niemand, der ein Herz in der Brust und ein Minimum an Erinnerungsvermögen hat, wird Ihnen das jemals verzeihen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Bruno Hönel das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Buschmann! Herr Espendiller, von einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingeordnet ist, lassen wir uns nichts über die Verfassungsmäßigkeit unserer Gesetzgebung sagen; nur dass Sie das mal wissen. Kehren Sie vor Ihrer eigenen Haustür!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten den Einzelplan 07, den Etat des Justizministeriums, und im Zentrum dieser Debatte stehen damit unweigerlich unser Rechtsstaat und unsere Demokratie. Der funktionierende Rechtsstaat ist eine wesentliche Säule unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ja, die unabhängige Gerichtsbarkeit ist das Fundament unserer freien und offenen Gesellschaft.
Der Wert von Freiheit und Demokratie ist unermesslich, und das wird uns in diesen Tagen durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins brutal vor Augen geführt. Und man kann es nicht oft genug sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Bundesregierung, wir als Parlamentarier/-innen, wir stehen gemeinsam und unverrückbar gemeinsam mit unseren europäischen Partnern an der Seite der Ukraine. Und dafür bin ich Ihnen allen sehr dankbar.
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Der Etat des BMJ ist mit 597 Millionen Euro für Personalausgaben in großem Maß von Kontinuität und Stabilität geprägt; so wie eben auch unser Rechtsstaat. Wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben, lieber Herr Buschmann: Dass Sie als eines Ihrer ersten Vorhaben in Ihrer ja noch recht kurzen Amtszeit gemeinsam mit Ministerin Anne Spiegel die Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch vorangetrieben haben, das rechne ich Ihnen hoch an, Herr Buschmann.
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Endlich kommen wir in der gesellschaftlichen Realität des 21. Jahrhunderts an. Endlich machen wir Schluss mit diesem Unrecht 219a. Es ist höchste Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Sie sehen, wir haben uns als Koalition einiges vorgenommen. Der Einzug der Digitalisierung in die Justiz wird in den kommenden Jahren von dieser Regierung vorangebracht. Wir legen dafür den Digitalpakt für die Justiz auf. Klar dabei ist – und das will ich unmissverständlich auch als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen klarmachen –: Wir werden dabei ein besonderes Augenmerk auf die konsequente Wahrung der Bürger/-innenrechte und des Datenschutzes legen.
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Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen und an dieser Stelle den gemeinnützigen Stiftungen und Vereinen danken, die ja aus diesem Etat gefördert werden und die eine extrem wichtige Arbeit leisten in unserem gemeinsamen Kampf gegen Diskriminierung, gegen Rassismus und gegen Antisemitismus.
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Die entsprechenden Ansätze im Entwurf werden auf hohem Niveau verstetigt, in Teilen erhöht, beispielsweise bei der Stiftung Forum Recht um 1 Million Euro oder auch bei der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit um 460 000 Euro. Wir stärken die Arbeit für Vielfalt, Gerechtigkeit und Demokratie. Das ist das richtige Signal, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Und mit Blick auf die Justizbehörden ist festzuhalten, dass der Pakt für den Rechtsstaat Wirkung entfaltet hat, auch wenn wir in einigen Feldern sicherlich noch Nachholbedarf haben. Herausgreifen möchte ich hier exemplarisch die Hasskriminalität, wo wir nach wie vor – das muss man sagen – ein Vollzugsdefizit haben. Bund und Länder müssen gemeinsam noch besser darin werden, diese Straftaten frühzeitig zu erkennen, diese Anschläge auf unser Grundgesetz konsequent zu verfolgen und zu ahnden. Da sind wir gemeinsam in der Verantwortung.
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Egal ob in der analogen Welt oder im digitalen Raum: Das Internet ist eben kein rechtsfreies Paralleluniversum. Hass ist keine Meinung; und das werden wir auch Ihren rechten Trollen ganz, ganz deutlich machen. Darauf können Sie sich verlassen!
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Und was passiert, wenn wir die Bedeutung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips, wie es sich aus Artikel 20 unseres Grundgesetzes ergibt, nicht unentwegt hochhalten, ja, wenn wir unsere lebendige Demokratie nicht mit allen Mitteln verteidigen, das können wir in Russland sehen, wo kritische Stimmen weggesperrt und mundtot gemacht werden, wo die Justiz längst nicht mehr unabhängig ist, wo ein Klima der Angst vor Behörden herrscht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Inneren wie im Äußeren stellen wir uns derartigen Tendenzen mit aller Kraft entgegen. Wir stehen für eine bürger/-innennahe, für eine transparente Justiz auf Augenhöhe, wir schützen den Rechtsstaat, und wir verteidigen unsere lebendige Demokratie, die wehrhaft ist, gegen die Feinde der Freiheit, auch die, die da ganz rechts sitzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Clara Bünger das Wort.
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Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie das Strafrecht auf den Prüfstand stellen will. Das begrüßen wir. Ankündigungen reichen aber nicht aus, Sie müssen die Vorhaben auch umsetzen.
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Herr Buschmann, Sie haben es selbst in einem Interview gesagt: Weniger Menschen sollen wegen sogenannter Ersatzfreiheitsstrafen in Haft kommen; denn wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und diese nicht bezahlen kann,
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muss stattdessen ins Gefängnis. Andere Länder der EU sind hier viel weiter, und auch in Deutschland muss endlich etwas passieren.
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Streichen Sie die Ersatzfreiheitsstrafen, zumindest für diejenigen, die gar kein Geld haben!
Die Ersatzfreiheitsstrafe ist mittlerweile zur häufigsten Form der Freiheitsstrafe geworden. Darauf weist auch der Jurist Ronen Steinke hin. 2019 saßen schätzungsweise 51 000 Personen hinter Gittern – allein aus dem Grund, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen konnten. Damit werden arme Menschen doppelt bestraft.
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Von Ersatzfreiheitsstrafen sind besonders häufig Menschen betroffen, die ohne Ticket im öffentlichen Verkehr fahren. Nach § 265a des Strafgesetzbuchs wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleicht. Zum Vergleich: Wer beispielsweise ohne Parkschein parkt, muss ein Bußgeld bezahlen, begeht aber keine Straftat. Alles andere wäre auch vollkommen unverhältnismäßig. Das ist beim Fahren ohne Fahrschein aber auch so; deshalb wollen wir diese Ungleichbehandlung abschaffen.
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2020 gab es über 43 000 Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrschein. Meistens geht es dabei um Geldstrafen. Trotzdem müssen Schätzungen zufolge jedes Jahr mehrere Tausend Menschen in den Knast, weil sie ohne Ticket gefahren sind. Und wen betrifft das? Nicht diejenigen, die einfach vergessen haben, sich ein Ticket zu kaufen, sondern arme und prekär lebende Menschen, Obdachlose und Suchtkranke, die sich kein Ticket leisten können und erst recht keine Geldstrafe bezahlen können. Ich will Ihnen noch sagen: Der damalige SPD-Politiker Karl Liebknecht hat den Begriff „Klassenjustiz“ geprägt. Natürlich hat sich seitdem viel gewandelt, aber eines hat sich nicht geändert: Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Das ist ungerecht, und das muss sich aus unserer Sicht ändern.
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Bei der Verfolgung von angeblichen oder vermeintlichen Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern kommt es regelmäßig zu Gewaltexzessen. Ich nenne mal ein Beispiel: Im März 2021 wird ein Mann von einem Polizeihund der Bundespolizei gejagt und wird von Beamten überwältigt, gefesselt und zur Polizeiwache gebracht. Und was hatte dieser Mann getan? Er war nicht gewalttätig gegenüber anderen Menschen. Nein, er ist ohne Ticket im Regionalexpress gefahren. Das ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es hier zu Übergriffen. Dieser Umgang mit Menschen, nur weil sie sich kein Ticket leisten können, ist absolut unverhältnismäßig.
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Deshalb werden wir zur Streichung des § 265a einen Gesetzentwurf einbringen.
2018 haben wir das gemeinsam mit den Grünen gefordert. Ich weiß, dass das für einige von Ihnen, wie der Kollegin Canan Bayram, ein wichtiges Thema ist. Ich bitte Sie, dass Sie uns an dieser Stelle unterstützen.
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Die Initiative Freiheitsfonds hat hier im Übrigen schon Großartiges geleistet. Die Aktivistinnen und Aktivisten sind nämlich der Meinung, dass man sich nicht auf die Politik verlassen kann. Das ist ja auch in gewisser Weise verständlich. Die Initiative befreit nämlich deutschlandweit Menschen aus dem Gefängnis, die wegen Fahrens ohne Fahrschein hinter Gittern sind. Sie haben bisher 305 Personen freigekauft, 24 051 Hafttage aufgelöst und dem Staat damit 3,6 Millionen Euro erspart, die die Inhaftierung der Menschen noch gekostet hätte. Vielen Dank an euch an dieser Stelle!
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Ersatzfreiheitsstrafen sind nämlich nicht nur ungerecht, nein, sie sind auch noch teuer für die Steuerzahler/-innen. Wenn wir den § 265a streichen, dann sorgen wir nicht nur für eine enorme Entlastung bei den Gerichten, sondern auch in den Justizanstalten. Außerdem würde man einen Paragrafen, den die Nazis 1935 aus sozialdarwinistischen Gründen eingeführt haben, aus dem StGB entfernen. Dafür ist es wirklich höchste Zeit.
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Um die Ungleichbehandlung im Recht zu verringern, braucht es natürlich mehr als das; das ist klar. Es braucht auch eine gut ausgestattete Justiz. Der Personaletat im Haushaltsplan sollte daher noch viel deutlicher aufgestockt werden, und es sollte in jedem Strafverfahren Pflichtverteidiger/-innen für alle geben.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Dr. Thorsten Lieb für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Buschmann! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Dr. Krings, ich danke ganz herzlich für die Vorlesung, die Sie uns vorhin haben angedeihen lassen.
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Aber ich kann Ihnen versichern: Sie brauchen sich um den liberalen Kompass der FDP in dieser Bundesregierung keine Sorgen zu machen.
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Während wir zur Beseitigung von Rechtsunsicherheiten zum Beispiel den § 219a StGB abschaffen, ist es doch Ihre Fraktion, sind es die Unionsparteien, die bei jedem publikumsträchtigen öffentlichen Ereignis nach neuen Strafvorschriften oder nach Verschärfung von Strafvorschriften rufen.
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Das ist keine liberale Justizpolitik. Liberale Justizpolitik ist das, was wir machen.
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Es ist mir ganz persönlich eine Ehre, das Bundesministerium in diesem Hause nicht nur in der Rolle als stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses, sondern auch haushalterisch begleiten zu dürfen. Drei Themen möchte ich heute ansprechen.
Erstens. Der Rechtsstaat ist, wie schon angesprochen wurde, einer der wesentlichen Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und über den Etat dieses Grundpfeilers sprechen wir heute. Das ist wichtig zu betonen; denn das Vertrauen in Justiz und Rechtsstaat ist gerade in herausfordernden Zeiten, in Zeiten der Krise, besonders notwendig. Demokratie und Rechtsstaat sind nämlich keine Schönwetterereignisse und Schönwetterinstitutionen. Sie beweisen gerade in der Krise ihren Wert, und gerade in der Krise sind wir als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam gefordert, die Werte des Rechtsstaats zu verteidigen.
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Heute vor genau einem Monat, am 24. Februar 2022, sind wir Zeuginnen und Zeugen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine geworden, eines besonders perfiden und massiven Eingriffs in Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Man mag die Frage aufwerfen: Was hat das mit dem Rechtsstaat hier zu tun? Ich sage: sehr, sehr viel. Denn im Rechtsstaat – da schließe ich mich dem Bundesminister gerne an – gehört auch die rechtliche Aufarbeitung eines völkerrechtlichen Angriffskrieges maßgeblich dazu. Wir können stolz darauf sein, mit der Generalbundesanwaltschaft in diesem Land eine Institution zu haben, die besonders aktiv und besonders kompetent in der Lage ist, derartige Sachverhalte aufzuklären und auszuermitteln. Darauf setzen auch wir alle gemeinsam für die Aufarbeitung des Krieges in der Ukraine, liebe Freundinnen und Freunde.
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Wir werden in den Haushaltsberatungen selbstverständlich sehr genau draufgucken, ob wir das mit dem, was angesetzt ist, ermöglichen. Denn um es klar zu sagen: Auch im Krieg, auch im Konflikt sind es wir als freiheitliche Demokratie, die den rechtsstaatlichen Kompass nicht verliert. Auch das unterscheidet eine Demokratie von einer Diktatur.
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Zum zweiten Punkt. Digitalisierung von Justiz und Rechtsstaat bietet große Chancen, und zwar insbesondere für den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht und zum Rechtsschutz. Dazu haben wir uns als Koalition besonders ambitionierte Vorhaben ausgedacht: Die Verstetigung des Paktes für den Rechtsstaat gehört dazu, ergänzt durch einen Digitalpakt, aber eben auch vereinfachte Verfahren für Kleinforderungen. Bei niemandem soll der Zugang zum Recht daran scheitern, dass die Forderung zu klein oder das Geld zu wenig ist, liebe Freundinnen und Freunde.
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Dennoch ist es als sparsamer Haushälter wichtig, an einer Stelle zu betonen: „Pakt für den Rechtsstaat“ bedeutet – wenn wir da aus Bundesmitteln gemeinsam mit den Ländern zu Lösungen kommen –, dass wir gemeinsam mit den Ländern zu Entscheidungen kommen müssen, was die richtigen Wege und die richtigen Entscheidungen sind. Es geht nicht darum, ein Füllhorn auszuschütten, sondern darum, als Bund und Länder gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir gezielt die Digitalisierung in der Justiz zu dem Erfolg bringen, den wir alle gemeinsam möchten.
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Drittens. Auf eines möchte ich an der Stelle besonders hinweisen: 20 Jahre Anwaltserfahrung zeigen mir, dass es besonders in diesen Bereichen notwendig ist, dass wir alle Beteiligten an einen Tisch bekommen. Dazu gehören die Anwälte, dazu gehören aber auch Berufe wie die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, auch das Gerichtsvollzieherwesen. Ich halte es für notwendig, dass wir bei allen Verhandlungen und Detailplanungen mit allen Beteiligten gemeinsam dafür sorgen, den Sprung in das Digitalisierungszeitalter zu dem zu führen, was wir wollen. Das sichert die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates; das ist unser aller gemeinsame Aufgabe. Die Ampel wird an dieser Stelle liefern, um den modernsten, digitalsten und funktionsfähigsten Rechtsstaat in Europa zu gewährleisten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Etat des Bundesjustizministeriums hat das geringste Volumen aller Einzelpläne; er würde nur gut zwei Tage reichen, um den Sozialetat abzudecken. Er ist dennoch von elementarer Bedeutung, weil wir wissen, dass Rechtsstaatlichkeit Demokratie begründet, und weil dieser Etat mit dem Deutschen Patent- und Markenamt grundlegend den Schutz des geistigen Eigentums begründet.
Das Deutsche Patent- und Markenamt – dieser Hinweis sei mir gestattet – hat Einnahmen von rund 450 Millionen Euro, und dem stehen rund 250 Millionen Euro Ausgaben gegenüber. Das zeigt, wie gut dieses Amt arbeitet. Aber es deutet auch darauf hin, dass möglicherweise gerade für Start-ups und Unternehmensgründer bei der Frage der Gebühren für die Anmeldung geistigen Eigentums, für Markenanmeldungen noch Raum für Senkungen besteht, um damit die Bedingungen für Unternehmensgründung auch im Bereich des geistigen Eigentums zu verbessern.
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Wir müssen bei diesem Haushalt auch über den Generalbundesanwalt sprechen, und zwar ganz konkret wegen des Krieges in der Ukraine. Hier finden Kriegsverbrechen statt. Diese müssen dokumentiert werden. Aber entscheidend ist auch, dass es vor dem Hintergrund des Weltrechtsprinzips nirgendwo auf der Welt eine Zuflucht für Kriegsverbrecher geben darf. Rechtspolitisch muss ganz klar sein: Kriegsverbrechen gehören aufgeklärt, angeklagt und abgeurteilt. Dazu braucht die Justiz entsprechende Kapazitäten. Und wenn der Generalbundesanwalt für Dokumentation und Strukturermittlungsverfahren mehr Stellen braucht, muss er sie jetzt bekommen.
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Wir sprechen auch über die Frage des Funktionierens des Rechtsstaats. Da möchte ich klar und deutlich zum Ausdruck bringen: Der Rechtsstaat in Deutschland funktioniert; er arbeitet korrekt. Wer immer den Eindruck erwecken möchte, der Rechtsstaat würde nicht ordnungsgemäß funktionieren, stellt sich auf die Seite derjenigen, die den Rechtsstaat aus anderen Motiven in Misskredit bringen möchten. Das sind Feinde der Freiheit. Wir stehen zum Recht, das in Deutschland verwirklicht wird.
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Aber natürlich muss dieser Rechtsstaat besser werden. Das bedeutet: Er muss digitaler werden. Ich finde es gut und richtig, dass der Digitalpakt der Justiz fortgeführt wird und dass die Frage „Wie können wir bei der digitalen Gestaltung nicht nur im Strafrechtsbereich, sondern auch im Zivilrechtsbereich verfahren?“ eine zentrale Rolle erhält.
Wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass im Strafverfahren ein Paradigmenwechsel dergestalt eintreten kann, dass vielleicht auch die Hauptverhandlungen Wort für Wort protokolliert werden.
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Ob wir deswegen eine audiovisuelle Aufzeichnung brauchen, mag ich infrage stellen. Aber ich glaube, dass durch Digitalisierung mehr Raum entsteht, um Strafverfahren aufzuzeichnen und damit auch die Frage von Rechtsmitteln praktikabler zu gestalten.
Aber wenn wir über den digitalen Bereich sprechen, dann dürfen wir nicht vergessen, dass in der digitalen Sphäre auch grausame Straftaten entstehen und dort ihren Rückzugsraum haben. Ich denke an Drogenhandel im Darknet, ich denke auch an die furchtbaren Verbrechen des Kindesmissbrauches und der Kinderpornografie. In diesem Zusammenhang braucht der Rechtsstaat auch die entscheidenden Aufklärungsinstrumentarien. Ich weiß, dass man über Einzelheiten der Vorratsdatenspeicherung trefflich verfassungsrechtlich streiten kann; aber die Vorratsdatenspeicherung in Abrede zu stellen, wäre vor dem Hintergrund des Aufklärungsbedürfnisses des Staates mehr als fahrlässig. Wir halten daran fest.
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Ich möchte mit Blick auf den rechtspolitischen Dialog zwischen Bund und Ländern auch noch kurz auf das Thema Impfpflicht zu sprechen kommen. Es gibt einen Gesetzentwurf, den der Bundeskanzler, der Vizekanzler und auch der Bundesgesundheitsminister in ihrer Funktion als Abgeordnete unterzeichnet haben. Es geht jetzt nicht um die gesundheitspolitische Bewertung dieses Gesetzentwurfes; aber was mir bei diesem Entwurf fehlt – und diese Frage muss diskutiert werden –, ist der Umstand: Was macht es denn eigentlich mit unserer Justiz auf der Ebene der Amtsgerichte, wenn wir im Rahmen der Impfpflicht einer Situation gegenüberstehen, in der wir möglicherweise Hunderttausende von neuen Bußgeldverfahren haben? Dass in diesem Gesetzentwurf praktisch nichts zum Thema Justiz steht, zeigt, dass hier ein großer Nachholbedarf besteht, meine Damen und Herren.
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Ich kann nur darauf hinweisen, dass es bei der Schwerpunktsetzung darum gehen muss, die aktuellen Herausforderungen des Rechts abzubilden. Das ist neben der Frage der Digitalisierung auch das soziale Mietrecht. Es geht darum, im Bereich des Mietrechts das zu regeln, was den Menschen auf den Nägeln brennt,
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die Frage der Kündigungen beispielsweise oder die weiter ansteigenden Mietpreise. Ich glaube, dass eine Fokussierung auf Themen, die eher dem Koalitionsfrieden dienen, wie § 219a, nicht im Mittelpunkt der rechtspolitischen Agenda stehen sollte.
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Es geht – abschließend – darum, dass wir das Recht verteidigen und deutlich machen, dass Freiheit und Demokratie Recht voraussetzen, dass wir Recht nicht diskreditieren, sondern es in den Etatplänen abbilden. Aber lassen Sie uns gemeinsam über die notwendigen Verbesserungen sprechen.
Herzlichen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Sonja Eichwede das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz ist im Vergleich zu anderen Einzelplänen recht klein, in seiner Leistung und Reichweite aber bei Weitem nicht zu unterschätzen.
Gerade in der heutigen Zeit, einen Monat nach dem völkerrechtswidrigen Überfall und Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, und in einer Zeit, in der wir weltweit eine Zunahme von autoritären Regimen haben, ist es wichtig, einen gut funktionierenden Rechtsstaat nach innen und nach außen zu haben.
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Aus diesem Grund begrüßen wir ausdrücklich die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes, den Angriffskrieg als völkerrechtswidrig darzustellen und Putin aufzufordern, die Kriegshandlungen sofort einzustellen; der Minister wies darauf hin. Nach innen ist es sehr wichtig, dass der Generalbundesanwalt entsprechende Ermittlungen, wie schon angesprochen wurde, aufgenommen hat.
In der Ampelkoalition arbeiten wir gemeinsam an der Fortentwicklung, der Modernisierung und der Stärkung unseres Rechtsstaats; denn es gilt die Stärkung des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren.
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Hierfür sind natürlich gerade die Haushaltsverhandlungen und ‑entscheidungen entscheidend; denn insbesondere die Ausstattung der obersten Bundesgerichte und des Generalbundesanwalts haben hier einen unermesslichen Stellenwert. Hinter dem vermeintlichen Standardtitel „Finanzierung der Bundesgerichte“ verbirgt sich folglich das Rückgrat unseres Rechtsstaats.
Besonders herauszustellen ist dabei, dass an unseren Gerichten gerade während der Coronapandemie – nicht nur auf Bundesebene, die wir ja hier heute besprechen – fortwährend ein erhöhtes Maß an Arbeit unter besonders schwierigen Bedingungen geleistet wurde; denn die Arbeit konnte nicht verkürzt werden. Sie musste fortwährend weitergeführt werden. Hierfür gebührt allen Kolleginnen und Kollegen in der Justiz unser aufrechter Dank.
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Denn mit jedem Blick in eine einzelne Akte machen sie unseren Rechtsstaat lebendig. Hier ist jeder einzelne Cent sehr, sehr gut investiertes Geld.
Darüber hinaus bietet der Haushaltsplan auch weitere Unterstützung und Zuschüsse für wichtige Organisationen, die unser demokratisches Zusammenleben und unsere Sicherheit fördern, die auch Hand in Hand mit dem Vorhaben der Koalitionsparteien gehen, notwendige rechtliche Veränderungen in unserem Land anzustreben. Dafür möchte ich hier drei Beispiele herausgreifen.
Erstens. Hass und Hetze im Internet sind täglich präsent. Betroffenen wiederum muss aber Orientierung gegeben werden, und es muss ihnen Hilfe dabei zuteilwerden, wie sie juristische Möglichkeiten nutzen können. Die Organisation HateAid setzt genau hier an, bietet kostenlose Beratung für Betroffene und die Möglichkeit, Prozesskostenfinanzierung zu beantragen. Diese Förderung ist unglaublich wichtig; denn Hass ist keine Meinung.
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Zweitens. Die Stärkung unserer demokratischen Zivilgesellschaft und der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus müssen weiter vorangetrieben werden, gerade in den heutigen Zeiten. Deshalb ist die weitere Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung sowie des Anne-Frank-Zentrums elementar; denn Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
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Drittens nenne ich noch ein weiteres sehr wichtiges Thema aus einem anderen Bereich: Denn die Förderung des Vereins Gewaltfrei in die Zukunft e. V. bringt den Kampf gegen häusliche Gewalt in Form einer Non-Profit-App ins digitale Zeitalter. Durch diese App wird Betroffenen Hilfe angeboten. Es werden ihnen Hinweise zu Einrichtungen und Frauenhäusern bereitgestellt und somit ein Weg aus der Gewalt aufgezeigt. Hier müssen wir nämlich nicht nur rechtlich bessere Weichen stellen, sondern auch darüber hinaus handeln. Deshalb begrüße ich diese Förderung sehr.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zwar ist der Umfang des Einzelplans durch den Wegfall des Verbraucherschutzes – es wurde schon angesprochen – etwas kleiner geworden, aber wir wissen den Verbraucherschutz auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen im Umweltministerium sehr gut aufgehoben. Bei den Themen, die noch bei uns liegen, wie die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, werden wir uns mit Herzblut einbringen.
Zusammenfassend ist zum Einzelplan 07 des Bundeshaushalts zu sagen: Er ist vielfältiger, als er auf den ersten Blick erscheint. Er enthält hochaktuelle Titel. Er ist gerade in unserer jetzigen Zeit wichtig; denn wir müssen den Rechtsstaat stärken und schützen, und wir brauchen diese Projekte auch, um die verantwortungsvolle Politik, für die wir als Ampel stehen, umzusetzen.
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Dort, wo wir Verbesserungs- und Erweiterungspotenzial sehen, werden wir uns in die Verhandlungen einbringen. Ebenso werden wir weiter an der Fortsetzung des Pakts für den Rechtsstaat und des DigitalPakts arbeiten, um der Justiz die Unterstützung in Personal und Ausstattung zukommen zu lassen, die sie braucht.
Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen und auf die weitere Debatte und verbleibe mit herzlichem Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen den berühmten Dialog aus dem Film „Der Pate“: Amerigo Bonaseras Tochter ist von zwei jungen Männern misshandelt worden. Das Gericht hat die Täter laufen lassen. Nun erscheint Bonasera beim Mafiapaten Don Corleone, um dort auf anderem Wege Genugtuung für geschehenes Unrecht zu erwirken. – Eine eindringliche künstlerische Darstellung der Erkenntnis, dass der Rechtsstaat nicht allein aus Gerichtsgebäuden und Gesetzbüchern besteht, sondern dass er steht und fällt mit dem Vertrauen, das die Bürger in ihn setzen.
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Eng damit verknüpft ist die alte Frage, wer eigentlich die Wächter bewacht, oder – im vorliegenden Kontext – die Frage, wer die Wächter bzw. Richter zuallererst einsetzt.
Damit bin ich bei dem, was das Justizressort nach dem Regierungsvertrag in dieser Wahlperiode tun soll – Zitat –: „Wir reformieren die Wahl … für … Richter an den obersten Bundesgerichten“. Nicht deutlich wird, ob das Bundesverfassungsgericht mit angesprochen ist; dabei wäre gerade dies dringlich. Denn wegen seiner besonders herausragenden Rolle im Staate wirkt sich hier der Vertrauensverlust besonders nachteilig aus. Dass es diesen gibt, wird hoffentlich niemand bestreiten wollen. Ich zitiere die Überschrift eines Artikels, der im September in der Zeitschrift „Cicero“ erschienen ist:
Corona, Klima, Rundfunkbeitrag: „Karlsruhe“ entwickelt sich immer mehr zum Erfüllungsgehilfen der Politik.
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Für unsere Demokratie ist das brandgefährlich. Wohin steuert das Bundesverfassungsgericht?
Ein Beispiel von vielen.
Nach dem Grundgesetz werden die Richter von Bundestag und Bundesrat gewählt. In der Praxis hat eine Gruppe von vier Parteien – CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne – das Gericht unter sich aufgeteilt und besetzt reihum die Richterstühle. Das ist kein besonderes Geheimnis, man kann das, wenn man sich dafür interessiert, immer wieder lesen.
Wir haben bereits in der zurückliegenden Wahlperiode den Vorschlag gemacht, die Richterwahl von den politischen Parteien weg zu verlagern und hin zu einem Wahlgremium, das aus der Justiz selbst besetzt wird.
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Das ist hier einhellig abgelehnt worden. Wenn aber weiterhin die Besetzung des Verfassungsgerichts durch Parteipolitiker erfolgen soll, dann muss man über andere Reformansätze reden.
Derzeit erfolgt die Wahl von Verfassungsrichtern ohne Aussprache.
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Als Begründung wird angeführt, eine öffentliche Erörterung führe zu einer Politisierung des Gerichts, die aber verhindert werden müsse.
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Das nun ist bestenfalls eine Lebenslüge, schlimmstenfalls Heuchelei. Die Funktion des Verfassungsgerichts ist per se eine hochpolitische, und es wird von Parteipolitikern besetzt.
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Anderswo, etwa in Amerika, geht man damit weitaus offener und dadurch auch ehrlicher um. Dort werden die Kandidaten vor ihrer Berufung einem von der demokratischen Öffentlichkeit mitzuverfolgenden Anhörungsprozess unterzogen. Das notwendige Vertrauen in die Integrität des Gerichts dürfte ein solches Verfahren weitaus eher fördern als die Vorgehensweise, die hierzulande praktiziert wird.
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Das Verfahren der Richterwahl ist zentral für den Rechtsstaat. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sinnvolle Reformen auch hier im Hause möglich sein werden.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erst die Coronapandemie und dann, vor einem Monat, auch noch der schreckliche Angriffskrieg auf die Ukraine. Selbstverständlichkeiten sind eben solche nicht mehr. Es braucht eine Politik, die dem gerecht wird, eine Politik, die anpassungsfähig ist, die aber auch selbstkritisch ist und die vor allen Dingen in diesen schwierigen Zeiten sehr kritisch hinschaut und das Geld in das Richtige investiert.
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Gerade im Justizbereich kosten die meisten Verbesserungen aber gar kein Geld, und das ist das Positive an dieser Stelle. Denn wir brauchen gerade jetzt eine starke Demokratie und dafür eine leistungsfähige Justiz und ein Recht auf Höhe der Zeit.
Leider finden wir genau das nicht vor; denn im Rechtsbereich liegen 16 Jahre Reformstau hinter uns.
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Es liegen 16 Jahre hinter uns, in denen gesellschaftlicher Wandel gerade nicht in Gesetze geflossen ist. Dort draußen leben Menschen, deren Lebensrealität sich nicht in unseren Gesetzen widerspiegelt. Und genau das stört das Vertrauen ins Recht.
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In der Justiz haben die Mitarbeitenden vor und während der Coronapandemie Großes geleistet. Aber eine leistungsfähige Justiz besteht nicht nur aus sich aufopfernden Mitarbeitenden, sondern sie braucht eine vernünftige Ausstattung, ein vernünftiges System. Wir sind während der Pandemie im Bereich der Digitalisierung sehr viel weiter gekommen, als wir uns das vorher gedacht haben. Trotzdem ist in den Amtsgerichten in der Fläche die Abkehr vom Faxgerät und von der Papierakte immer noch die große Herausforderung. Da müssen wir ran!
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Der Rückstau von gestern behindert die Entscheidungen von morgen. Deswegen bin ich so froh, Herr Bundesminister Buschmann, dass wir mit Ihnen jemanden haben, der die Digitalisierung ernst meint, wie man an Ihrem Referentenentwurf von gestern sehen kann. Deswegen gehen wir als Ampel dieses Thema gemeinsam an. Wir geben schon jetzt mehr Geld für die Digitalisierung der Justiz aus, und wir arbeiten am Digitalpakt für die Justiz, um hier voranzugehen.
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Dem aber nicht genug. Wir wollen für eine effektive Rechtsmittelkontrolle im Strafprozess Verhandlungen digital protokollieren. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, ihre Ansprüche schnell und unkompliziert durchzusetzen, und mit der gleichen Maßnahme Amtsgerichte entlasten. Deswegen wollen wir ermöglichen, dass man Kleinforderungen im digitalen Prozess durchsetzen kann.
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Und wenn die Kraft mal nicht reicht oder der Gegner finanziell zu übermächtig ist, wollen wir es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich zusammenzuschließen. Deswegen stärken wir den kollektiven Rechtsschutz noch weiter.
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Die Digitalisierung ist eine große Chance für eine leistungsfähige Justiz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt endlich – endlich! – können wir gesellschaftliche Realität in Gesetze gießen. Jetzt endlich können wir dafür sorgen, dass wir nach 16 Jahren Stillstand ein Recht auf Höhe der Zeit haben. Das ist für uns als Fortschrittskoalition die ganz große Aufgabe.
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In keinem Bereich wird das so deutlich wie im Familienrecht. Deswegen ermöglichen wir es lesbischen Ehepaaren, dass, wenn ein Kind geboren wird, sofort beide Mütter sind.
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Deswegen ermöglichen wir eine Elternschaftsanerkennung unabhängig von Geschlecht und Ehe. Deswegen ermöglichen wir Menschen, für die die Ehe nicht das Konstrukt der Wahl ist, rechtlich verbindlich Verantwortung füreinander zu übernehmen; denn das ist längst überfällig.
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Dem nicht genug. Wir schaffen ein Selbstbestimmungsgesetz. Und ja, Herr Dr. Krings, wir schaffen § 219a Strafgesetzbuch ab. Ich freue mich auf Ihre fachlichen Ausführungen. Aber das ist längst überfällig; denn wir wollen Informationen ermöglichen und nichts anderes.
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Und weil uns entsprechende Nachrichten erreichen: Ja, natürlich, wir legalisieren auch Cannabis.
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Denn wenn sich Menschen und Lebensrealitäten in Recht und Gesetz wiederfinden, dann stärkt das das Vertrauen.
Aber ein Recht auf Höhe der Zeit ist nicht nur politisch zu verstehen, sondern noch dringender denn je auch mit Blick auf die Realität da draußen. Die Rede ist von Energiesouveränität. Wir müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, und wir müssen dafür sorgen, dass die Energiewende aufgrund von guten und vernünftigen Gesetzen, von klaren Auslegungsregelungen bis in die Fläche nicht an den Gerichten scheitert.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Recht ist kein Selbstzweck. Es steht im Dienste der Bürgerinnen und Bürger, und genau diesen schulden wir eine leistungsfähige Justiz und ein Recht auf Höhe der Zeit. Gehen wir es gemeinsam an!
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun die Kollegin Susanne Hierl zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über den, wenn wir es vergleichen, betragsmäßig kleinsten Haushalt aller Ministerien. Manch einer behauptet sogar, es wäre die langweiligste Debatte dieser Woche, die wir führen.
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Dieser Meinung bin ich nicht.
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Lassen Sie uns einmal einen Blick auf ein paar Projekte der Ampel werfen, die in dieser Legislatur vorgesehen sind. Da ist zum einen die Verbesserung der Qualität der Gesetzgebung. Bei neuen Vorhaben soll „frühzeitig“ und „ressortübergreifend“ diskutiert werden, „auch in neuen Formaten“. Die Praxis soll mit einbezogen werden, vor allem die Betroffenen. Und auch „die Erfahrungen und Erfordernisse von Ländern und Kommunen“ sollen miteinbezogen werden. Das begrüße ich zu hundert Prozent.
Aber wie sieht denn die Umsetzung in der Praxis aus? Nehmen wir zum Beispiel die Einführung der sektoralen Impfpflicht zum Ende letzten Jahres. Ich kann mir schwer vorstellen, dass hier eine frühzeitige Einbeziehung der Betroffenen erfolgt ist: der Verantwortlichen in den Einrichtungen, der Pflegerinnen und Pfleger, der Kommunen und Länder. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass die Diskussion über die Durchsetzbarkeit dieser Impfpflicht erst Wochen nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens Fahrt aufgenommen hat. Hier haben Sie noch viel Luft nach oben, Ihre eigenen Ansprüche zu erfüllen.
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Weiter wollen Sie den Gesetzen eine Synopse beifügen, das heißt, der aktuellen Rechtslage die neue, geänderte Rechtslage gegenüberstellen. Für die Anwender in der Praxis – wie zum Beispiel Anwälte, Steuerberater oder auch Behörden – wäre das eine wirkliche Erleichterung. Bisher kann ich davon aber nichts feststellen.
Inhaltlich kündigt das Ministerium an, unter anderem die größte Reform des Familienrechts durchzuführen. Das Wohl des Kindes soll hierbei zentral sein, heißt es im Koalitionsvertrag. Es geht um die Ausweitung des „kleinen Sorgerechts“, es geht um Änderungen im Unterhalts- und Umgangsrecht, und es geht auch um die Verantwortungsgemeinschaften. Das sind Themen, die Millionen von Menschen bei uns im Land betreffen. Fragt man aber nach der zeitlichen Umsetzung, so kann das Ministerium keinen Zeitpunkt nennen.
Stattdessen kümmert man sich mit Hochdruck um die Abschaffung des § 219a Strafgesetzbuch.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz ehrlich: Ist das unser größtes und vordringlichstes Problem, das wir momentan zu lösen haben,
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die Abschaffung des Werbeverbots für den Schwangerschaftsabbruch?
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Herr Minister, ich kann gut verstehen, dass Sie schnelle Erfolge wollen und in der Legislatur sehr früh Ihr Lieblingsthema durchsetzen. Das kann man so machen. Aber ich meine, Sie setzen die Prioritäten völlig falsch.
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Ich hoffe, dass das Ministerium bei allen Vorhaben, die kommen, über den Tellerrand hinaussieht und wirklich die Bedürfnisse der Praxis mit in die Gesetzgebungsinitiativen einbezieht. Die Betroffenen würden es Ihnen danken. Seien Sie versichert: Wir werden alle Projekte ganz genau beobachten und werden uns weiterhin tatkräftig mit einbringen.
Haben Sie herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Unsere Haushaltsberatungen werden natürlich, zu Recht, von Putins brutalem Angriffskrieg auf die Ukraine überlagert. Wir alle sind immer noch entsetzt. Aber wir stehen ganz fest an der Seite der Ukraine. Eines ist dabei klar – das will ich gerade auch in einer rechtspolitischen Debatte ausdrücklich so sagen –: Diesen brutalen Überfall dulden wir nicht. Es muss die Stärke des Rechts gelten, es darf nicht das Recht des Stärkeren gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Besonders in der Rechtspolitik und auch mit diesem Haushalt werden wir uns dafür einsetzen, dass Konflikte und Streitigkeiten gerade auf internationaler Ebene friedlich gelöst werden, und zwar in rechtsstaatlichen Verfahren. Wir machen mit diesem Haushalt viel; zum Beispiel unterstützen wir wichtige internationale Einrichtungen wie die WTO, den Internationalen Seegerichtshof oder auch – ganz besonders wichtig für uns – die rechtsstaatliche Aufbauarbeit der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit. Wir leisten mit diesem Haushalt also wirklich einen Beitrag dafür, dass solche internationalen Konflikte friedlich gelöst werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben uns in dieser Wahlperiode rechtspolitisch sehr viel vorgenommen. Dazu gehört, dass wir im Strafrecht genau prüfen: Welche Vorschrift brauchen wir überhaupt noch? Denn wir wollen eine effektive Kriminalpolitik. Dann gehört es eben dazu, dass wir den § 219a StGB, für den es kein praktisches Bedürfnis mehr gibt, endlich streichen.
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Auch das will ich hier deutlich sagen: Wenn Frauen in schwieriger Lage sind, dann brauchen sie schnell und einfach Zugang zu Informationen. Es kann einfach nicht sein, dass Ärzte Schwangerschaftsabbrüche vornehmen dürfen, darüber aber nicht sachlich informieren dürfen. Deswegen werden wir diesen Widerspruch auflösen. Im Übrigen wird Werbung für Schwangerschaftsabbrüche auch nicht zulässig sein. Es gibt weiterhin das ärztliche Standesrecht.
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Also, schneiden wir diesen alten Zopf endlich ab! Es ist gut, dass wir als eines der ersten Projekte in der Ampelkoalition diese nicht mehr notwendige Vorschrift des § 219a endlich streichen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Kollege Fechner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion?
Na logo. – Ich wusste doch, wer es macht.
Lieber Kollege, wir haben die Diskussion ja schon öfter geführt und wissen, wo wir stehen; die Argumente sind mehrfach ausgetauscht. Ich möchte hier aber doch noch einmal nachfragen.
Wir sind hier in einer Rechtsdebatte. Zu § 219a hat das Bundesverfassungsgericht ausführliche Urteile gemacht. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Das ungeborene Kind entwickelt sich von Anfang an als Mensch und nicht zum Menschen; es hat von Anfang an Menschenwürde und Lebensrecht. – Das kommt mir in der Diskussion, die wir hier führen, doch sehr zu kurz.
Mich würde jetzt mal Ihre Auffassung interessieren: Teilen Sie diese Haltung des Bundesverfassungsgerichts, dass es sich von Anfang an um einen Grundrechtsträger handelt, dessen Rechte mit abgewogen werden müssen? Sehen Sie da nicht doch auch das Schutzkonzept gefährdet, wenn wir hier Werbung ermöglichen,
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die ja weit über das häufig genannte Beispiel, Informationen auf der Internetseite zu bringen, hinausgeht und viel aktiver daherkommt?
Und: Wenn Sie zum Schluss kommen: „Es gibt hier ein Lebensrecht des Kindes“, würden Sie dann sagen, dass die Bezeichnung als „Schwangerschaftsgewebe“ noch unter den Begriff „sachliche Information“ fällt?
Danke schön.
Liebe Frau Kollegin, selbstverständlich ist für uns der Schutz des ungeborenen Lebens von ganz besonderer Bedeutung und sehr, sehr wichtig. Dafür haben wir auch schon einiges getan. Aber das Schutzkonzept, das wir hier haben, und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werden weiterhin bestehen bleiben. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, diese Vorschrift abzuschaffen. Genau deswegen machen wir das, liebe Kollegin.
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Wir haben in der Rechtspolitik auch einige wichtige EU-Richtlinien umzusetzen. Ich finde, eine ist besonders wichtig. Wir haben an den vielen Lebensmittelskandalen, die erst durch Whistleblower aufgedeckt wurden, gesehen, wie wichtig es ist, dass es mutige Menschen gibt, die Missstände aufdecken. Deswegen wollen wir zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher die EU-Whistleblower-Richtlinie schnell umsetzen. Wenn jemand so mutig ist, dass er persönliche Nachteile riskiert, dann müssen wir dafür sorgen, dass ihm nicht gekündigt werden kann, dass er keinen Schadenersatz bezahlen muss, dass seine Rechtsstellung sicher ist. Deswegen wollen wir diese Richtlinie möglichst schnell umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir werden auch den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland verbessern, indem wir die Verbandsklagerichtlinie rasch umsetzen. Das gibt den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, gemeinsam in einer Gemeinschaft ihre Rechte umzusetzen. Das stärkt die Rechtsposition der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das kann auch die Justiz entlasten; das ist uns ein wichtiges Ziel. Vor allem: Es wird dann derjenige recht bekommen, der recht hat – und das schnell und kostengünstiger, als es heute der Fall ist. Auch das ist ein ganz wichtiges Projekt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die besten Gesetze bringen aber bekanntlich nichts, wenn die Justiz kein Personal hat, zu wenige Richterinnen und Richter hat, die die Gesetze dann auch anwenden. Gerade deshalb ist es ein großer Erfolg gewesen, dass wir in der vergangenen Wahlperiode mit 200 Millionen Euro vom Bund über 2 000 Stellen für Richter und Richterinnen, für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen geschaffen haben. Da brauchen wir eine zweite Auflage. Wir wollen einen weiteren Pakt für den Rechtsstaat mit einem klaren Schwerpunkt auf Digitalisierung. Ich will hier aber auch ausdrücklich anmerken: Wir müssen hier beraten, wie wir gerade mit Blick auf das Folgepersonal in den Geschäftsstellen für mehr Personal sorgen. Das ist der Maschinenraum der Justiz; auch um diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen wir uns kümmern.
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Wir freuen uns sehr, dass wir mit der Stiftung Forum Recht mit Standorten in Leipzig und in Karlsruhe eine ganz wichtige Einrichtung geschaffen haben, einen Ort, wo für den Rechtsstaat und die großen Vorteile einer parlamentarischen Demokratie geworben werden kann. Ein herzliches Dankeschön an alle, die sich in Karlsruhe und in Leipzig engagieren! Dass wir im Haushalt dafür etwa 3,5 Millionen Euro vorgesehen haben, ist, glaube ich, auch ein ganz wichtiges Zeichen für einen starken Rechtsstaat in Deutschland.
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Wir müssen die Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland deutlich beschleunigen. Es geht nicht mehr, dass wir viele Jahre auf die Schaffung von Baurecht für Windkraftanlagen, für Solarparks oder für Bahnstrecken warten müssen. Dazu gehört insbesondere, dass wir auch die Verwaltungsgerichte personell gut ausstatten.
An der Stelle darf ich Klärungsbedarf meiner Fraktion anmelden und schon mal die Frage stellen, warum ausgerechnet beim Bundesverwaltungsgericht eine deutliche Reduzierung der Personalausgaben vorgesehen ist. Darüber wollen wir in den anstehenden Beratungen durchaus noch mal sprechen.
Alles in allem zeigen der vorliegende Haushalt und die vielen Gesetzesvorhaben der Ampel, dass die Rechtspolitik eine ganz wichtige Rolle in der Ampelkoalition spielt und dass wir mit ganz vielen konkreten Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger hier aufwarten können.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Tobias Peterka für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer! Man kann erst einmal froh sein, dass das Justizministerium unter der Ampel an die FDP gefallen ist; denn sicher hätte es noch weitaus gruseliger kommen können, wie wir bei den Reden heute wieder eindrucksvoll beobachten konnten.
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Die Budgetierung an sich ist bekanntlich wenig spektakulär in diesem kleinen Teilhaushalt. Bei den ganzen Freigiebigkeiten, die ein Kanzler Scholz andernorts noch absegnen wird, kann eine sparsame Haushaltsführung im Justizministerium leider ohnehin nichts mehr groß reißen – FDP hin, Buschmann her.
Immerhin: Die steigenden Einnahmen des Patent- und Markenamtes sind natürlich erfreulich; es wurde schon erwähnt. Auch die von Minister Buschmann geforderten Internetstreifen auf sozialen Plattformen werden in den Bereich der Länder oder zumindest des Innenministeriums fallen, wenn denn überhaupt Stellen geschaffen werden und nicht die Polizeiwache Buxtehude jetzt auch noch einen Facebook-Account dazu einrichten muss. Den Digital Services Act, den der Minister anscheinend dafür herangezogen hat, um sich nun auf ihn zu verlassen, werden wir natürlich noch genau unter die Lupe nehmen. Es kann nämlich nicht sein, dass immer mehr auf die sogenannte europäische Ebene geschaufelt wird, insbesondere bei einem Themenbereich, den die beiden anderen Ampelparteien lange per NetzDG mit schöner deutscher Gründlichkeit selber regeln wollten.
Vielleicht sollte, analog zu den angesprochenen Cyberstreifen, auch einmal verstärkt die digitale Kompetenz der Rechtsprechung gestärkt werden. Damit meine ich nicht unbedingt die digitale Aktenführung und dergleichen; da hinken wir derart hinterher, dass wohl erst ein kompletter Generationswechsel eintreten muss, auch wenn die Regierung hier von 2026 herumfabuliert. Nein, Schulungen in allen Belangen digitaler Sachverhalte wären für die Bundesrichter dringend anzuraten. Für die Länderebene findet sich dann vielleicht sogar der eine oder andere Synergieeffekt, gern auch innerhalb der Deutschen Richterakademie. Dadurch könnten nicht zuletzt für den Bereich der Kryptowährungen hanebüchene und wirtschaftsschädliche Urteile vermieden werden.
Und ja, immerhin, es wird bei den Gießkannenförderungen ein interessantes Projekt zu rechtlichen Implikationen der Blockchain mit 300 000 Euro bedacht. Die 250 000 Euro für die Amadeu-Antonio-Stiftung hingegen wären deutlich sinnvoller angelegt, wenn man diese ebenfalls auf praktische und zukunftsgerichtete Themenfelder umleiten würde.
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Abschließend: Ich hoffe, dass die Beratungsfunktion des Justizressorts innerhalb des Kabinetts mit Nachdruck wahrgenommen wird. So könnten die schlimmsten ideologischen Auswüchse der Ampel operativ, aber vielleicht auch haushalterisch vermieden werden. Viel Glück bei dieser Sisyphusarbeit!
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Bayram das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Justiz wird auch dadurch entlastet, wenn wir mit dem, was wir uns vorgenommen haben, jetzt tatsächlich starten, nämlich liberalisieren, legalisieren und entkriminalisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, § 219a war erst der Anfang.
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Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein heißt eben auch, tatsächlich Menschen in den Blick zu nehmen, die in Gefängnissen landen, weil sie nicht über die notwendigen Mittel für einen Fahrschein verfügen.
Es ließe sich viel über die Cannabislegalisierung sagen. Sie ist seit Langem überfällig. Neulich habe ich gehört, dass der Anteil der Menschen, die kiffen, auch bei der CDU zugenommen habe, meine Damen und Herren.
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Wenn das nicht bedeutet, dass das Thema hier im Deutschen Bundestag angekommen ist und wir alle gemeinsam die Verantwortung für eine Lösung haben, ja, dann weiß ich auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir werden nicht nur das Strafgesetzbuch entmotten; wir werden uns auch die Verfahren anschauen. Es gab einige, die hier heute gesagt haben – gerade auch mit Blick auf die Gräuel, die derzeit nicht weit von uns in der Ukraine stattfinden –: Das muss dokumentiert werden. – Wir haben in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass wir Täter, die Gräueltaten in Syrien begangen haben, vor deutsche Gerichte stellen konnten. Das, meine Damen und Herren, sollte weiterhin unser Anspruch bleiben.
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Dafür brauchen wir Unterstützung, damit diejenigen, die Opfer solcher Angriffe werden und dann bei uns hier in Deutschland als Geflüchtete ankommen, ihre Peiniger demnächst vor Gericht durch ihre Zeugenaussagen überführen können. Da sind wir noch nicht gut genug aufgestellt. Da müssen wir digitalisieren, und wir müssen besser dokumentieren.
Ich sage Ihnen aber auch: Wir müssen in den Prozessen die Demokratie schützen. Sie haben es bestimmt alle mitbekommen: Sowohl die NPD als auch die AfD machen eine Kampagne, die Schöffenwahlen im nächsten Jahr dafür zu nutzen, um in die Herzkammer, wenn man so will, unseres Rechtsstaates Menschen zu setzen, von denen wir nicht erst seit der Gerichtsentscheidung in Köln wissen, dass sie die Feinde unserer Demokratie sind.
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Deswegen werden wir den Pakt für den Rechtsstaat fortschreiben und so ausstatten, dass das gelingt, was für uns alle entscheidend ist. Der Rechtsstaat ist eben nur so gut, wie er Vertrauen seitens der Bevölkerung genießt. Und dieses Vertrauen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir als Gesetzgeber auch immer im Blick haben, wenn wir Gesetze machen.
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Aktuell reden wir viel über Sanktionen gegen Oligarchen. Als Abgeordnete, in deren Wahlkreis Menschen leben, die Erwartungen an diese Ampelkoalition in Sachen Mietrecht haben, will ich hier eines deutlich machen: Wir müssen wissen, wem die Häuser gehören. Wir müssen wissen, wer hinter diesen Immobilien steht. Nur dann können wir wirklich Sanktionen umsetzen, meine Damen und Herren. Es ist mittlerweile schon so, dass wir uns fragen lassen müssen: Warum schaut ihr eigentlich nicht so genau hin? Ist es euch egal, mit welchem Geld Waffen bezahlt werden, die gegen Menschen in der Ukraine eingesetzt werden?
Für meine Fraktion, ich glaube, für die Mehrheit dieses Hauses kann ich sagen: Es ist uns nicht egal. Wir wollen das bekämpfen. Wir wollen Verschleierung von Eigentum bei Immobilien und in anderen Bereichen bekämpfen. – Fangen wir gemeinsam damit an, mit einem Immobilienregister, das tatsächlich transparent ist und ausweist, wer schmutziges Geld für schmutzige Kriege ausgibt, meine Damen und Herren.
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Und um heute wirklich deutlich zu machen, dass uns der Schutz der Schöffinnen und Schöffen wichtig ist, sollten wir verabreden, während der Haushaltsberatungen miteinander darüber zu reden, wie wir die Kommunen und die Länder dabei unterstützen können, dass diese Verfassungsfeinde dort nicht reinkommen. Da reichen mir Ihre bisherigen Vorschläge noch nicht, Herr Buschmann. Darüber müssen wir noch mal miteinander reden.
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Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erhält nun die Kollegin Franziska Hoppermann das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit einer knappen Milliarde Euro bildet der Einzelplan 07 nur einen kleinen Teil des Bundeshaushalts ab; das wurde heute schon mehrmals gesagt. Diese Summe spiegelt allerdings nicht seine Relevanz wider. Der Etat des BMJ ist für die Judikative auf Bundesebene und somit für eine funktionierende Gewaltenteilung von immenser Bedeutung.
Die vergangenen Jahre haben wir mit der unionsgeführten Regierung bewiesen: Mit einer vernünftig ausgestatteten Strafverfolgungsbehörde auf Bundesebene leisten wir einen großen Beitrag für Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit in unserem Land.
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Ich möchte dies anhand einiger Zahlen konkretisieren: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir eine substanzielle Steigerung und Stärkung des Haushalts erreichen können. 2017 haben wir begonnen mit 838 Millionen Euro, und 2021 waren wir bei 957 Millionen Euro. Einen Bereich möchte ich besonders hervorheben: Wir haben aus gemeinsamer Überzeugung in der letzten Legislaturperiode den Etat des Generalbundesanwalts sogar verdoppelt.
Aufgrund der äußeren und inneren Gefahrenlage war diese finanzielle Aufwertung des Staatsschutzes auch bitter nötig. Nicht nur die Zahl rechtsextremistischer Übergriffe, sondern auch die Zahl islamistischer und linksextremistischer Anschläge hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Jetzt beobachten wir aber, dass die Ampelkoalition diese Erfolge riskiert. Mehrere meiner Vorredner aus der Koalition haben den Stellenwert des Generalbundesanwalts ja sogar hervorgehoben. Sie aber senken in Ihrem Entwurf für 2022 den Personaletat des Generalbundesanwalts gegenüber dem Entwurf der Vorgängerregierung um 15 Prozent.
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Herr Minister, das ist unverantwortlich!
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Im Koalitionsvertrag steht – das forderten Sie aus den Reihen der Koalition heute ja auch mehrheitlich –, dass Sie den Pakt für den Rechtsstaat fortführen und ihn sogar um einen Digitalpakt Recht erweitern wollen. Im Haushalt aber finden wir dazu nichts, übrigens in keinem Einzelplan. Dabei ist gerade die Judikative – und deren gemeinsam mit den Ländern vereinbarte Stärkung – eine der wichtigsten Säulen unseres Rechtsstaats und damit unserer Gesellschaftsordnung und Demokratie.
Vor dem Hintergrund vielfältiger Herausforderungen und zusätzlicher Belastungen wie die Verfolgung von Straftaten im Bereich Kinderpornografie und Hass und Hetze im Netz – der Kollege Hönel hat es beschrieben – sowie die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist eine funktionierende Gerichtsbarkeit essenziell. Setzen Sie das nicht leichtfertig aufs Spiel!
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Ein weiterer wichtiger Punkt ist die bis 2026 umzusetzende Digitalisierung des Rechtsverkehrs. Seit vielen Jahren arbeiten insbesondere die Länder an deren Umsetzung. Aber auch Ihr Haus, Herr Minister Buschmann, hat hier noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Sie haben den Digitalpakt Recht in Ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Kollege Lieb hat ihn vorhin auch noch einmal angepriesen. Ich bin sehr gespannt, wann sie ihn verhandeln wollen und was da überhaupt drinstehen soll.
Aber Sie und Ihr Haus könnten bereits jetzt einiges für mehr Effizienz, Effektivität und Rechtsschutz in Deutschland tun. Ein paar Beispiele aus dem Bereich E-Justice. Im Rahmen der AG E-Justice II wird von den Ländern laufend Verbesserungsbedarf hinsichtlich einzelner Regelungen zur E-Akte und zum elektronischen Rechtsverkehr identifiziert. Hier hat der Bund die Regelungskompetenz. Ich greife nur drei Punkte auf, die besonders wichtig sind, die Sie dringend angehen müssen:
Erstens: die Anpassung der materiellen Formerfordernisse an das Prozessrecht, damit zum Beispiel Kündigungen in Anwaltsschriftsätzen weiterhin möglich bleiben und keinen Zusatzaufwand auf Anwalts- und Gerichtsseite erfordern.
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Zweitens: die Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Festlegung eines einheitlichen Aktenübermittlungsstandards, damit sichergestellt ist, dass die verschiedenen Akteure elektronische Akten ohne größeren Aufwand untereinander übermitteln können.
Drittens: die Vermeidung zusätzlichen Aufwands durch sinnvolle Gestaltung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichtsvollziehern. Der Wegfall von Schriftformerfordernissen, Siegelungen, Ausdrucken, Versenden und Wiedereinscannen – das sind wirklich einfache Möglichkeiten für Effizienzgewinn, ganz ohne zusätzlich erforderliche Ausgaben, und das ist uns Haushältern immer besonders lieb.
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Und wir haben hier sogar einige Einsparpotenziale, sowohl in der Verwaltung als auch aufseiten der Wirtschaft und der Bürgerinnen und Bürger.
Herr Minister, legen Sie in Ihrem Haushalt nach, und legen Sie vor allem los!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Kaweh Mansoori für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wir sind mit dem Anspruch in diese Legislatur gestartet, unser Land zukunftsfest zu machen. Das Bundesministerium der Justiz spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die rechtlichen Voraussetzungen für den Fortschritt zu schaffen. Als Ampelkoalition haben wir uns vorgenommen, rechtspolitische Vorhaben umzusetzen – auch wenn es denen rechts außen nicht passt –, die die Würde aller Menschen in den Mittelpunkt stellen und die Vielfalt in unserer Gesellschaft anerkennen, meine Damen und Herren.
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Ob Reformen des Kindschaftsrechts, Modernisierung des Abstammungsrechts, des Familien- und Personenstandsrechts oder die Stärkung von Diskriminierungsschutz – die Liste von rechtspolitischen Vorhaben dieser Koalition ist lang. Das erwarten die Menschen von uns. Dieser Haushalt schafft die finanziellen Voraussetzungen dafür, dass wir das auch schaffen werden, meine Damen und Herren.
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Für viele der von mir genannten Vorhaben haben zivilgesellschaftliche Organisationen lange gekämpft. Eine starke Zivilgesellschaft ist der Motor für gesellschaftlichen Fortschritt und Modernisierung. Eine starke Zivilgesellschaft leistet wertvolle Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Deswegen ist es wichtig, dass im Justizhaushalt Zuschüsse für Projekte vorgesehen sind wie beispielsweise das Projekt „Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus – Stärkung von Strafverfolgung und Opferschutz“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte oder für die Kampagne „Hundert Jahre Frauen in juristischen Berufen“ des Deutschen Juristinnenbundes oder für die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die mit ihren Bildungs- und Forschungsprojekten der Diskriminierung wegen der sexuellen und geschlechtlichen Identität entgegenwirkt, meine Damen und Herren.
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Jeder Mensch ist in seiner Einzigartigkeit besonders und verdient Respekt und Anerkennung. Diejenigen, die sich dafür starkmachen, verdienen unsere Unterstützung.
Neben den gesellschaftspolitischen Fortschritten stellen wir in der Rechtspolitik auch die Weichen für den sozial-ökologischen Umbau unseres Landes oder, wie der Bundesfinanzminister es zu Beginn der Beratung formuliert hat, für nachhaltiges Wachstum, meine Damen und Herren. Der Ausbau einer sauberen Verkehrsinfrastruktur und der erneuerbaren Energien ist eine Versicherung für nachfolgende Generationen und bedeutet nachhaltige Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze. Jemand muss diese Dinge konzipieren, jemand muss sie bauen, jemand muss sie warten. Dabei fließen Millionen an Steuern in die Sozialkassen, an den Fiskus zurück. Das ist Wohlstand, der unser Land stärker macht und unsere Zukunft besser, meine Damen und Herren.
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Stellen Sie sich vor, Sie sind Investorin mit Gewissen, Sie wollen 25 Millionen Euro in saubere Windenergie investieren, Sie kommen zum Anwalt – zum Beispiel zu mir –, und der sagt Ihnen: Es dauert sechs Jahre, bis Ihr Windrad gebaut ist. Sie müssen eine Ausschreibung gewinnen. Sie werden Tausende von Euro in das Projekt stecken, ehe Sie die erste Kilowattstunde Strom verkauft haben. Sie werden Wälder roden für Ihre Antragsunterlagen. Die rechtliche Abschätzung ist unübersichtlich und unberechenbar. Vielleicht wird Ihr Windrad gar nicht gebaut. – Sie fahren frustriert nach Hause, und wenn wir nicht gerade Niedrigzinsen hätten, würden Sie Ihre 25 Millionen Euro lieber in ein Sparbuch stecken.
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Es braucht mehr Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren – nicht als Selbstzweck, sondern weil der demokratische Rechtsstaat in der Lage sein muss, die großen Herausforderungen unserer Zeit auch anzupacken.
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Planungsbeschleunigung ist Ermöglichungsrecht. Es legt den Grundstein für Milliardeninvestitionen – für öffentliche, aber vor allem auch für private – und ist damit notwendige Voraussetzung dafür, dass wir in der Zukunft Steuereinnahmen haben, Steuereinnahmen, mit denen wir hier in diesem Haus viel Gutes bewirken werden.
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Es wird dabei unter anderem darum gehen, dass Papierakten nicht von Büro zu Büro wandern, dass die Behörde dieselbe Einwendung nicht fünfmal prüft, sondern einmal, dass Sie keine Habilitationsschrift zur Vogelkunde gelesen haben müssen, um die Risiken eines Windrads für die Rotmilan-Population selbst rechtssicher einschätzen zu können, und dass wir Gerichte so ausstatten, dass sie zügig Urteile sprechen und Verfahren abschließen können. Der Kollege hat es gesagt: Darüber werden wir reden müssen.
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Wir müssen das schaffen, weil die Menschen sonst das Vertrauen in unsere Staatsform verlieren. Wir brauchen effektiven Rechtsschutz, aber wir brauchen auch effiziente Entscheidungsstrukturen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine zentrale Säule von wehrhaften Demokratien – darüber ist in den letzten Tagen viel gesprochen worden – ist ein handlungsfähiger und starker Rechtsstaat. Das alles ist unendlich kostbar, und deswegen können und müssen wir uns das leisten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute vor einem Monat hat Putin mit seinem furchtbaren, verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen. Millionen von Menschen fliehen vor Gewalt und Zerstörung. Sie suchen Zuflucht, auch in unserem Land. Viele Bürgerinnen und Bürger zeigen sich solidarisch und helfen sehr aktiv. Ihnen allen gebühren mein großer Respekt und Dank.
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Auch der Staat beweist in der jetzigen Lage seine Handlungsfähigkeit: Kommunen, Länder und der Bund leisten in dieser herausfordernden Situation einen großen humanitären Kraftakt. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf der bestmöglichen Versorgung, Unterbringung und Verteilung der Geflüchteten – in Deutschland und in der gesamten EU.
Jetzt geht es darum, den historischen Schulterschluss, den wir durch die gemeinsame Aufnahme in der EU erreicht haben, in praktisches Handeln umzusetzen. Das hat meine oberste Priorität.
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Wir etablieren Bus- und Zugverbindungen, um Geflüchtete aus Polen und Deutschland nach Frankreich zu bringen und von dort in andere EU-Staaten. Mein Dank gilt ausdrücklich Frankreich, das gemeinsam mit uns einen Hub zur Verteilung – über Bordeaux, Dijon und Lyon – eingerichtet hat.
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Wir haben gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium sofort eine Stabsstelle für die Koordinierung der Verteilung der Ankommenden eingerichtet. Täglich sind in unserem Auftrag Sonderzüge und Busse unterwegs.
Auch bei der Registrierung unterstützt mein Haus die Länder sowohl personell als auch materiell. Um den Geflüchteten eine zentrale, vertrauenswürdige, digitale Anlaufstelle in Deutschland bereitzustellen, haben wir kurzfristig das Hilfsportal „Germany4Ukraine“ entwickelt. Um darüber hinaus die erste Orientierung in Deutschland zu erleichtern, öffnen wir die Integrations- und Sprachkurse für Schutzsuchende aus der Ukraine.
Ich will betonen, was mir persönlich besonders am Herzen liegt – und deswegen haben wir den Schutz dort auch sehr verstärkt –: der Schutz der geflüchteten Frauen, die hier in Deutschland ankommen. Ihnen gilt unsere gesamte Aufmerksamkeit.
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Auch die Beschaffung von Hilfsgütern und medizinischem Material für die Ukraine und angrenzende Staaten haben für mich eine hohe Priorität.
Mein besonderer Dank – und ich denke, unser aller – gilt den Einsatzkräften des THW, der Bundespolizei und des BAMF. Ihre engagierte Arbeit und das große Engagement – das will ich hier noch mal betonen – der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sowie der Hilfsorganisationen kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Deswegen noch mal mein ausdrückliches Dankeschön an alle – gerade an die ehrenamtlichen Kräfte in unserem Land.
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Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist eine Zäsur, und wir müssen unsere Sicherheit auch im Lichte neuer Realitäten sehen. Deswegen möchte ich klar vorwegsagen: Das wird auch zusätzliche finanzielle Belastungen nach sich ziehen, die in diesem Haushaltsentwurf noch nicht berücksichtigt sind; das will ich ausdrücklich sagen. Ich denke hier insbesondere an weitere Investitionen in den Zivilschutz, den Grenzschutz, die innere Sicherheit und vor allen Dingen – und das hat oberste Priorität – in den Integrationsbereich, die erforderlich sein werden. Aber auch die deutsche Cybersicherheitsarchitektur werden wir weiter stärken. Wir haben alle Schutzmaßnahmen gegen russische Attacken hochgefahren.
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Kommen wir nun zum vorliegenden Haushaltsentwurf. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat hat sich für die nächsten vier Jahre hohe Ziele gesetzt. Wir wollen Sicherheit im Wandel gewährleisten und bringen das voran, was wir uns als Fortschrittskoalition vorgenommen haben.
Wir wollen Sicherheit für alle gewährleisten, unsere Demokratie stärken und entschieden gegen jede Form von Extremismus vorgehen.
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Wir wollen Deutschland zu einem vielfältigen Einwanderungsland machen, Menschen integrieren, aber auch mit aller Härte Straftäter und Gefährder in ihre Heimatländer zurückführen. Wir wollen eine bürgernahe, transparente und digitale Verwaltung schaffen, Krisen meistern und auf Katastrophen vorbereitet sein, und ich will den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft fördern und mich für gleichwertige Lebensverhältnisse starkmachen. Beim gesellschaftlichen Zusammenhalt kommt vor allen Dingen auch dem Sport eine große Rolle zu.
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Der vorliegende Haushaltsentwurf schafft dafür die Basis. Wir stärken mit zusätzlichen Mitteln und neuen Stellen die innere Sicherheit in unserem Land. Der Haushaltsentwurf sieht für den Einzelplan des BMI ein Gesamtvolumen von rund 15 Milliarden Euro vor. Das ist ein Plus von 1,6 Milliarden Euro im Vergleich zum ursprünglichen Finanzplan, und das sind 1 660 Stellen mehr für Sicherheit, Integration und Zusammenhalt.
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Ich kann den Bürgerinnen und Bürgern versichern: Dieses Geld ist gut investiert. – Wir werden Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus frühzeitig und entschlossen bekämpfen. Politische Bildung, Prävention und entschlossenes Handeln unserer Sicherheitsbehörden gehören aus meiner Sicht eng zusammen. Das ist auch Kern des Aktionsplans gegen Rechtsextremismus: auf der einen Seite präventive Maßnahmen, auf der anderen Seite die ganze Härte des Rechtsstaates.
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Wir nehmen zusätzliche Gelder in die Hand, um unsere Sicherheitsbehörden besser auszustatten und auf dem Stand der Technik zu halten.
Als Zeichen der Wertschätzung gegenüber unseren Polizistinnen und Polizisten wollen wir die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage wieder einführen. Das bedeutet für mich echte Wertschätzung und keine Sonntagsrede, und ich finde, das haben die Polizeibeamtinnen und ‑beamten in unserem Land mehr als verdient.
({10})
Wir werden aber auch das Bundespolizeigesetz novellieren. Wir investieren in den Ausbau des Netzes des Bundes und in die IT-Sicherheit.
Wir wollen Integration von Anfang an. Das ist ein Schlüssel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wir bauen die Integrationskurse aus und verbessern das Kursangebot.
Wir setzen die Förderung von jüdischen Einrichtungen konsequent fort und bekämpfen Antisemitismus mit aller Entschiedenheit.
({11})
Zu einem modernen Staat gehört eine bürokratiearme, transparente und digitale Verwaltung. Das müssen Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag aber auch spüren. Deswegen sehen wir erhebliche Mittel für die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen vor.
Mit dem Haushaltsentwurf setzen wir außerdem sehr wichtige Akzente im Bereich des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe. Wir müssen künftig besser auf mögliche Krisen, Katastrophen und Klimafolgen vorbereitet sein. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wurde mit dem Konjunkturpaket des Haushaltes 2021 mit zusätzlichen Sachmitteln in Höhe von fast 100 Millionen Euro bereits erheblich gestärkt. Zudem kamen 50 Stellen hinzu. Mit dem jetzt vorgeschlagenen Haushalt satteln wir noch einmal drauf. Das BBK soll für 2022 insgesamt nochmals 112 Stellen und 19,5 Millionen Euro mehr erhalten. Das sind sogar 32 Millionen Euro mehr als geplant.
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– Und wenn ich Ihnen das sagen darf: Jawoll, angesichts der aktuellen Lage freue ich mich auf Ihre Unterstützung, in einem Ergänzungshaushalt da noch mal draufzusatteln, meine Damen und Herren.
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Wir bekennen uns zu unserer Schutzverantwortung, wenn Menschen vor Krieg und Verfolgung fliehen. Es ist richtig, dass wir die Ausgaben für humanitäre Aufnahmen erhöhen. Deshalb unterstütze ich die beabsichtigte Stärkung des Bundeshaushalts durch einen Ergänzungshaushalt auch in dieser Hinsicht, meine Damen und Herren.
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Wir wollen die gesellschaftliche Kraft des Sports stärken. Dazu setzen wir auf Integration und Inklusion im Sport. Aber wir fördern natürlich auch den Spitzensport und haben deshalb auch dafür die Mittel erhöht. Die Spitzensportreform steht weiterhin an. Unter anderem wollen wir die Großereignisse wie die Nationalen Spiele der Special Olympics 2022 und die Special Olympics World Games 2023 unterstützen, und wir wollen – ich glaube, darauf freuen wir uns alle – die Fußball-EM 2024 in Deutschland zu einem großen Fest des Sportes machen.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben uns viel vorgenommen, und ich möchte das mit Ihnen gemeinsam umsetzen. Mein Dank für die vertrauensvolle Zusammenarbeit gilt allen Berichterstatterinnen und Berichterstattern im Haushaltsausschuss. Ich darf hier besonders Jamila Schäfer, Dr. Thorsten Lieb und natürlich Martin Gerster erwähnen.
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Herzlichen Dank!
Ich werbe um Ihre Unterstützung. Die Herausforderungen sind sehr groß. Dieser Krieg mitten in Europa zeigt: Äußere und innere Sicherheit gehören zusammen. Gerade jetzt müssen wir sie stärken.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Investitionen in die Sicherheit – sie sind nicht immer populär, aber sie sind zwingend notwendig. Deshalb hat auch schon die letzte Bundesregierung unter der Führung der Union in den letzten acht Jahren massiv in die innere Sicherheit investiert.
({0})
Wir haben den Haushalt des Bundesinnenministeriums von 5,9 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf knapp 15 Milliarden Euro im vergangenen Jahr fast verdreifacht. Es ist gut, Frau Ministerin, dass Sie diesen Weg weiter gehen; es ist gut, dass wir weitere Aufwüchse sehen. Und ich unterstütze ausdrücklich auch die Wiedereinführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage und sehe das als ein sehr gutes Zeichen.
({1})
Zum Thema Bevölkerungsschutz will ich an dieser Stelle aber kritisch anmerken – ich werde dazu später noch kommen –: Das reicht leider bei Weitem nicht aus. Um Sicherheit zu gewährleisten, brauchen wir neben Geld auch Weitsicht, und wir brauchen die Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen. Und das, liebe Frau Ministerin, vermisse ich an der einen oder anderen Stelle.
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Mit Ihrem Aktionsplan Rechtsextremismus betreiben Sie vor allem eines, und das ist Augenwischerei. Denn vieles aus dem Plan hatten wir schon in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Ich nenne hier das Förderprogramm „Demokratie im Netz“ oder auch den Lagebericht über Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst.
Um rechtsextreme Netzwerke auch effektiv aufdecken zu können, brauchen die Sicherheitsbehörden aber an moderne Methoden angepasste Befugnisse. Es reicht nicht, dass ich den Festnetzanschluss abhören oder SMS-Nachrichten lesen darf. Wenn ein entsprechender Verdacht vorliegt, dann muss es mir auch möglich sein, Messengerdienste mit Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung zu erfassen.
({3})
Da ist es eben nicht ausreichend, wenn wir hier keine entsprechenden Befugnisse haben.
({4})
Bei der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine verweigern Sie beharrlich die Übernahme der Führungsverantwortung in unserem Land. Nach wie vor kommen täglich teilweise mehr als 10 000 Frauen und Kinder nach Deutschland.
({5})
Seit Wochen warnen Polizei und Helfer vor Pädophilen und Menschenhändlern, die dieses Chaos ausnutzen. Und trotzdem: Es gibt zwar in der Zwischenzeit endlich mehr Präsenz der Bundespolizei an den Bahnhöfen,
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aber es gibt immer noch keine Schutzzonen und keine geordnete Aufnahme. Und das geht einfach nicht.
({7})
Es gibt auch bis heute, trotz Ihrerseits immer wieder vorgenommener Ankündigungen, keine systematische Registrierung bei der Einreise, so wie es die Polen machen. Wir wissen eben nicht genau, wer in unser Land kommt. Die Verteilung in unserem Land funktioniert eben nicht reibungsfrei. Sie muten hier den Kommunen ganz massive Belastungen zu.
Bei mir im Wahlkreis ist gestern ein Bus mit Flüchtlingen angekommen, die eigentlich nach Niedersachsen hätten fahren sollen. Sie waren zutiefst verunsichert, sie waren verängstigt, und es war auch für die Helfer vor Ort eine sehr schwierige Situation.
({8})
Vor drei Tagen sind bei uns Busse überhaupt nicht angekommen, obwohl die Helferinnen und Helfer stundenlang gewartet haben – um dann kurz vor Mitternacht zu erfahren, dass die Busse gar nicht erst abgefahren sind. Ich bringe das bewusst als Beispiel; sie sind in Berlin nicht abgefahren.
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Es ist wichtig, dass wir den Ehrenamtlern danken. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Ministerin, damit frustrieren Sie die Ehrenamtler. Dieses Chaos müssen Sie sofort abstellen! Wir müssen wissen, wer kommt, und die Kommunen vor Ort müssen informiert sein.
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Es braucht den nationalen Krisenstab, und es braucht auch den nationalen Flüchtlingsgipfel. Und wenn Sie hier schon nicht auf die Union hören, damit Verbesserungen eintreten, dann hören Sie doch wenigstens auf die kommunalen Spitzenverbände, die das fordern, auf die Hilfsorganisationen wie die Diakonie, auf die Länder und auf Ihre Koalitionspartner; denn die alle wissen aus gutem Grund, warum sie diesen Gipfel fordern. Das ist keine Zeit des Abwartens, das ist auch keine Zeit für Befindlichkeiten einer Ministerin, sondern es ist eine Zeit des Handelns. Bitte handeln Sie hier endlich!
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Wirklich große Sorge bereitet mir der Umgang der Ampel mit dem Bevölkerungsschutz. Am Dienstag sagte Bundesfinanzminister Lindner hier an dieser Stelle – ich zitiere aus dem Protokoll –: „Fraglos ist der Zivilschutz im Kern natürlich eine Aufgabe der Länder.“ Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist fraglos falsch. Gemäß Artikel 73 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes ist der Zivilschutz ausschließlich Aufgabe des Bundes, und der Bund unterstützt die Länder auch im Katastrophenfall.
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Da muss ich mich wirklich wundern: Nach zwei Jahren Corona, nach der Flut und jetzt nach der wirklich erschreckenden Bedrohung durch Russland ist diese Ahnungslosigkeit des Bundesfinanzministers in keinster Weise mehr nachvollziehbar.
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Sie fordern zu Recht, dass die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro gestärkt wird. Das ist gut, das ist richtig, und das ist wichtig. Aber das Bundesamt für Bevölkerungsschutz ist mindestens auch wichtig, wenn nicht ebenso wichtig, weil es die zweite Seite der Medaille der äußeren und inneren Sicherheit darstellt.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz wird mit mickrigen 10 Millionen Euro jetzt im zweiten Entwurf zusätzlich gefördert. Armin Schuster, der Präsident des BBK, hat angekündigt, dass er noch 135 Millionen Euro braucht, um all das, was wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben, umzusetzen. Er bekommt zusätzlich 10 Millionen. Das ist viel zu wenig und reicht gerade einmal, um Warn-SMS zu versenden.
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Sie investieren keinen zusätzlichen Euro in Sirenen, in die NINA-Warn-App, in die nationale Reserve für Trinkwasser, Notstrom, Gesundheit und Notunterkünfte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist fahrlässig.
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Wir haben doch gesehen, was wir brauchen: Wir brauchen ein resilientes Deutschland. Wir haben hier im vergangenen Jahr, in der letzten Legislaturperiode, die Neuausrichtung des BBK mit seiner Zentralstellenfunktion beschlossen. Wenn Sie wollen, dass dieses Amt den Anforderungen gerecht werden kann, dann braucht es, verdammt noch mal, eine bessere finanzielle Grundausstattung; sonst schaden Sie dem Bevölkerungsschutz.
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Ich bitte Sie dringend, an der Stelle nachzubessern – dringend!
Ich will zum Abschluss sagen: Wenn Sie es ernst meinen mit der zivilen Verteidigung, mit der Warnung, mit der Neuausrichtung des BBK und seiner Zentralstellenfunktion, dann brauchen wir für die nächsten zehn Jahre ein Sondervolumen von mindestens 10 Milliarden Euro. Deshalb bitte ich Sie alle nachdrücklich: Wir müssen an dieser Stelle für einen Zivilschutz und einen besseren Bevölkerungsschutz in Deutschland nachbessern.
Danke schön.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Als nächste Rednerin erhält die Kollegin Jamila Schäfer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Herausforderungen der Innenpolitik in den letzten Jahren waren oft größer als der politische Wille, sie wirklich anzugehen, seien es zum Beispiel eine lösungsorientierte Migrationspolitik, der Kampf gegen Rechtsextremismus oder ein wirksamer Zivilschutz. Es ist super, dass Sie da jetzt mehr tun wollen. Das hätten Sie natürlich auch schon in den letzten 16 Jahren machen können.
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Die neue Regierung ist jetzt angetreten, um das zu ändern. Wir wollen ein vorbereiteter und ein anpackender Staat sein, und der vorliegende Haushalt des Innenministeriums zeigt das Selbstvertrauen und auch den politischen Willen zum Anpacken schwarz auf weiß.
In der Migrationspolitik haben wir die ideologische Sackgasse der letzten Jahre endlich hinter uns gelassen, nämlich den Trugschluss, dass die Bekämpfung von Migration politische Handlungsfähigkeit sei. Aber wer suggeriert, dass man in einer krisengebeutelten Welt Migration einfach so ausknipsen kann, der wird stets an der Realität scheitern. Um die Herausforderungen wirklich anzupacken, müssen wir Migration als Realität anerkennen und selbstbewusst gestalten.
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Die Gesellschaft ist hier schon lange weiter, als die Politik der letzten Jahre es gewesen ist. Die Zivilgesellschaft war es doch, die „Wir schaffen das“ geschafft hat.
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Aber darauf darf sich der Staat jetzt natürlich nicht ausruhen. Bund und Länder dürfen die Kommunen und auch die Freiwilligen nicht im Stich lassen. Neben besseren Strukturen für die Erstaufnahme und Versorgung geht es jetzt darum, allen bei uns ankommenden Menschen mit Integrationskursen und Integrationsangeboten zur Seite zu stehen. Zu ihrer Ausfinanzierung werden wir bis in den Ergänzungshaushalt hinein das Notwendige tun.
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Frau Kollegin, darf ich Sie einen kleinen Moment unterbrechen? – Ich würde gerne den Justizminister und Frau Künast bitten, ihr Gespräch außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen. Die AfD-Fraktion hat sich schon beschwert, zu Recht, dass sie gestört wird. Und es ist auch optisch nicht sehr klug.
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Frau Kollegin, Sie haben das Wort. – Entschuldigung.
Noch ein Versäumnis müssen wir korrigieren. Während rechtsextreme Gewalttaten immer mehr geworden sind und die Radikalisierung antidemokratischer Gruppen zugenommen hat, haben die Innenminister in der Vergangenheit oft weggesehen und verharmlost. Aber diese Verharmlosung hat rechten Netzwerken viel Raum gegeben und eine massive Sicherheitslücke erzeugt.
Der NSU, die Anschläge in Halle, in Hanau und auch der Mord an Walter Lübcke sind nur die Spitze des Eisbergs des menschenverachtenden Rechtsterrorismus in Deutschland. Aber ich kann Ihnen sagen: Die Zeiten der Bagatellisierung sind vorbei!
({0})
Diese Bundesregierung übernimmt Verantwortung und hat den Kampf gegen Rechtsextremismus endlich zur zentralen Priorität deutscher Innenpolitik gemacht. Damit setzt Ministerin Faeser die richtigen Schwerpunkte. Vielen Dank dafür!
({1})
Es ist gut, dass die Experten und Expertinnen unserer Behörden und vor allem im Bundesinnenministerium in diesem Bereich vermehrt und verstärkt werden sollen. Die Bundeszentrale für politische Bildung fördert die Medienkompetenz, um Fake News zu entlarven und die gesellschaftliche Resilienz zu stärken. Durch den Kreml gesteuerte Desinformations- und Hasskampagnen im Netz sind zu einem wahlbeeinflussenden Faktor im Westen geworden. Deshalb ist jeder Euro, der in Projekte gegen Rechtsextremismus gesteckt wird, ein Beitrag zur internationalen Widerstandsfähigkeit von Demokratien, gerade im globalen Systemwettbewerb, und das müssen wir weiter ausbauen.
({2})
Ich finde es sehr gut, dass wir im Kontext von Putins Angriffskrieg jetzt endlich über den Zivilschutz sprechen. Das ist längst überfällig. Das zeigten schon der fehlgeschlagene Warntag 2020 und auch die Flutkatastrophe im letzten Sommer. Die Katastrophenhilfe und der Zivilschutz wurden in den letzten Jahren wirklich gefährlich vernachlässigt. Das lag auch, ehrlich gesagt, daran, dass in der Union oft Sicherheit beim Militär aufgehört hat, und genau dieses verkürzte Sicherheitsverständnis ist ein Sicherheitsrisiko.
({3})
Auch hier dürfen wir uns nicht auf der Arbeit der Ehrenamtlichen ausruhen; denn die funktioniert genau dann am besten, wenn es eine professionelle Struktur gibt, die ansprechbar ist und die den Überblick behält. THW, Rotes Kreuz und die Freiwilligen Feuerwehren haben immer wieder Großartiges geleistet. Aber wir brauchen ein starkes Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe als zentrale Koordinierungsstelle.
({4})
– Ja, und geeignetes Gerät und auch eine angemessene personelle Ausstattung brauchen im Haushalt eine entsprechende Finanzierung.
Wir haben jetzt schon viel über die Bundeswehr und deren Stärkung gesprochen. Aber im Notfall ist es eben auch wichtig, dass wir unsere Zivilbevölkerung im Katastrophenfall schützen und auch versorgen können. Also setzen wir die seit einem Jahr vorliegende Neuausrichtung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe jetzt endlich in die Realität um.
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Ich komme zum Schluss.
Darum würde ich bitten, Frau Kollegin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen keine Angst vor den innenpolitischen Herausforderungen der vergangenen Jahre haben. Der vorliegende Haushalt gibt uns die Mittel und den Rahmen an die Hand, um diese endlich anzugehen.
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Nutzen wir sie!
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Schäfer. – Nächster Redner ist der Kollege Marcus Bühl, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man „Haushalt für Innenpolitik und Heimat“ hört, klingt das erst mal sehr gut. Das hört sich nach Steuermitteln für den Schutz unserer Heimat an und nach allen erforderlichen Maßnahmen zur Sicherheit unserer Bürger. – Die Realität, Frau Ministerin, sieht leider ganz anders aus, angefangen beim völlig unzureichenden Grenzschutz, viel zu wenigen neuen Bundespolizisten, mangelhaftem Katastrophenschutz oder dem geplanten Absinken des Gesamthaushaltes.
Um bei den tragischen Ereignissen der letzten Wochen zu bleiben: Die Bundespolizei muss an den Grenzen genau kontrollieren können, wer ein echter Flüchtling und wer ein Trittbrettfahrer ist.
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Das Leid der flüchtenden Ukrainer darf nicht als Einfallstor einer unkontrollierten Einwanderung nach Deutschland missbraucht werden. Und jetzt, wo wir zeitweise so viele Frauen, Kinder und Familien unterbringen, müssen endlich alle ausreisepflichtigen und abgelehnten Asylbewerber der vergangenen Jahre abgeschoben werden.
({1})
Frau Minister, während Polen vorbildlich Flüchtlinge registriert, scheitert die deutsche Regierungspolitik schon wieder an der konsequenten Bekämpfung illegaler Migration – es mutet geradezu absurd an –, unter anderem schlicht aus Mangel an Fingerabdruckgeräten und der Möglichkeit des Abgleichs unter den Behörden. Bereits 2017 wurde bekannt, dass mehr als 90 Prozent der Ausländerbehörden Fingerabdrücke nicht elektronisch abgleichen können; ein völlig unhaltbarer Zustand.
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Bleiben wir beim Thema „innere Sicherheit“. 1 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei sind ein Anfang, aber zuerst kommt die Ausbildung und erst in drei Jahren dann die eigentliche Verstärkung. Und vor allem: In den kommenden Jahren geht jährlich ein beträchtlicher Teil der Beamten in den Ruhestand. Insofern ist die Nettoverstärkung nicht groß, sondern kompensiert hauptsächlich die altersbedingten Abgänge. Erschreckend kommt hinzu, dass die mittelfristige Finanzplanung bereits nächstes Jahr ein Absinken des Haushalts des Innenministeriums um 2,6 Milliarden Euro vorsieht. Von den neuen Polizisten, die dieses Jahr bei der Bundespolizei fertig ausgebildet sind, werden viele in Ballungszentren mit hohen Mieten versetzt, Mieten, die sich die jungen Polizeiabsolventen oft nicht leisten können und so Wohngemeinschaften bilden oder lange Strecken pendeln müssen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf für eine Lösung; und die Lösung heißt nicht, dass die Wohnungsfürsorge des Bundes Wohnungen in den Ballungsgebieten zu den gleichen hohen Mieten anbietet.
Kommen wir zu ein paar Punkten bei der Sachausstattung unserer Sicherheitskräfte. Die im letzten Jahr gestartete und von uns in der letzten Legislatur bereits intensiv unterstützte Auslieferung des neuen modularen Körperschutzes begrüßen wir ausdrücklich. Es bleibt zu hoffen, dass die flächendeckende Ausstattung zügig erfolgt. Die Umsetzung der vom Parlament bereits im Jahr 2019 beschlossenen Umflottung der Transporthubschrauber der Bundespolizei schleppt sich dahin. Eine Vergabe des Auftrags ist nach fast dreijähriger Dauer noch immer nicht erfolgt. Dabei müssen die fast 40 Jahre alten Transporthubschrauber sehr dringend ersetzt werden.
Beim Digitalausbau hinken wir anderen Ländern um viele Jahre hinterher. Viel zu oft funktioniert der Digitalfunk bei polizeilichen Einsatzlagen nicht störungsfrei. Bei den Bereitschaftspolizisten der Länder sind die Ausrüstungen oft nicht kompatibel und gleichwertig, wodurch gemeinsame Einsatzlagen mit der Bundespolizei ganz erheblich erschwert werden.
Es gibt viel zu tun, Frau Ministerin. Ich freue mich auf die kommenden Haushaltsberatungen, in denen wir uns mit unseren Anträgen für die innere Sicherheit starkmachen werden, um Deutschland vom Kopf zurück auf die Füße zu stellen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Bühl. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Thorsten Lieb, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident, willkommen zurück. Wir haben Sie vermisst. Schön, Sie wieder zu sehen!
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– Genau, finde ich auch.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Faeser! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen habe ich das Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main besucht. Direkt neben dem Gemeindezentrum befindet sich eine Grundschule; auch eine Kita ist dort untergebracht. Das ist ein deutliches Zeichen für die Aktivität der Gemeinde. Aber jedes Mal, wenn man da vorbeigeht, stellt man fest: Die fortbestehende Notwendigkeit von Sicherheitseinrichtungen ist ausgesprochen erdrückend. Immer wieder stelle ich mir die Frage: Wie fühlt sich das an für die Kinder und Jugendlichen, jeden Tag in einer solchen Situation in Schule und Kita zu kommen?
Dass Sicherheitseinrichtungen leider weiter notwendig sind, zeigt eine aktuelle Studie. Es ist erschütternd, zu lesen, dass in diesem Land rund ein Drittel der jungen Erwachsenen unter 30 Jahren antisemitisch denken. Trotz aller Anstrengungen ist es 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Holocaust nicht gelungen, das Gespenst des Antisemitismus endgültig aus diesem Land zu vertreiben. Deswegen sage ich eines klar: Solange irgendeine jüdische Einrichtung oder Institution in diesem Land noch diese Art von Sicherung benötigt, bleibt die Bewältigung dieser zentralen Herausforderung auf der Tagesordnung; das muss uns klar sein. Wir müssen alle gemeinsam mit aller Kraft Tag für Tag gegen Antisemitismus in diesem Land kämpfen.
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Ich bin der Regierung und der Ministerin ausgesprochen dankbar, dass das nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern dass sich die Notwendigkeit des Handelns durch einen klaren Fußabdruck im Etat zeigt, nämlich insbesondere durch die konkret angekündigte Ausfinanzierung der umfassenden Maßnahmen, zum Beispiel die Mittel für Prävention im Umfang von mehr als 10 Millionen Euro. Ich freue mich sehr darauf, im Rahmen der Detaildiskussion gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Mittel effizient und zielgerichtet eingesetzt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade das Bundesministerium des Innern zeichnet sich durch eine besondere Vielfalt der Aufgaben aus: gesellschaftlicher Zusammenhalt und Heimat, IT und Netzpolitik, Verfassung, Verwaltungsmodernisierung; die Liste lässt sich fast unendlich verlängern. Jedes dieser für unsere Gesellschaft zentralen Themen wäre wahrscheinlich eine eigene Debatte wert; und in den kommenden Wochen haben wir dazu reichlich Gelegenheit.
Vor allem der Ukrainekrieg und die offenen Aufgaben im Bereich des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes haben schon jetzt enorme Auswirkungen auf den aktuellen Etat. Erste Antworten sind im Entwurf enthalten; dafür haben wir zu danken. Aber uns allen in diesem Saal muss, glaube ich, bewusst sein: Die Lage ist dynamisch, die Lage wird sich weiterentwickeln, und natürlich können wir – Stand heute – noch nicht abschließend sagen, wohin uns die Reise führt. Jeder, der anderes formuliert und glaubt und erwartet, wir müssten heute eine abschließende Aussage treffen, hat die Welt nicht verstanden; denn man kann nicht wissen, wie die Lage sich entwickelt.
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Gerade angesichts der Fülle der Aufgaben und der aktuellen Herausforderungen ist es wichtig, sich zu fokussieren. Ich zum Beispiel werde mein Augenmerk darauf legen, die Vielzahl von Programmen mit teilweise ähnlichen Zielstellungen sehr genau auf den Prüfstand zu stellen, um abschätzen zu können, ob wir die entsprechenden Ziele auch erreichen. Die anstehenden und dringend notwendigen Digitalisierungsaufgaben betreffend sage ich mit über zehn Jahren anwaltlicher Erfahrung in IT-Projekten: Wir müssen sehr genau hingucken; Projekte neigen dazu, länger zu dauern und teurer zu werden. Was wir aber als Ampel wollen, ist, mit jedem eingesetzten Euro in diesem Bereich das Maximum an Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung herauszuholen, liebe Freundinnen und Freunde.
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Daneben muss der Fokus – es wurde schon angesprochen – auf den aktuellen Herausforderungen liegen. Viele Dinge – ich gucke in Richtung der Union – sind zu lange liegen geblieben. Großen Ankündigungen auf Pressekonferenzen ist wenig bis gar nichts gefolgt. Die 16 Jahre unter einem unionsgeführten Innenministerium haben mehr offene Baustellen
({5})
und mehr Fragen hinterlassen, als dass Aufgaben erledigt worden sind; das ist doch die Wahrheit.
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Und Sie hätten im ersten Regierungsentwurf die Chance gehabt, nachzuarbeiten; das ist jedoch unterblieben. Wir als Ampel packen das jetzt an. Die 10 Millionen Euro für das BBK sind genau richtig investiert, so können wir dort endlich einen Sprung machen und nach vorne kommen. Es wird höchste Zeit; es darf uns kein fehlgeschlagener Warntag mehr passieren wie 2020.
({7})
Frau Ministerin, das Bundesministerium des Innern trägt besondere Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für die Sicherheit in unserem Land. Dafür haben Sie meine, unsere Unterstützung. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Lieb. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Victor Perli, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den schlimmen Krieg in der Ukraine sind Millionen Menschen auf der Flucht. Tausende kommen jeden Tag nach Deutschland. Wir erleben eine große Welle der Solidarität aus der Bevölkerung und in den Kommunen. Alle, die sich hier einsetzen, haben große Anerkennung und Respekt verdient. Herzlichen Dank!
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Dieser Haushaltsentwurf wurde wegen des Kriegsausbruchs dem Parlament eine Woche später vorgelegt. Dafür haben wir volles Verständnis. Wir haben kein Verständnis dafür, dass nicht ein einziger zusätzlicher Euro bereitgestellt wurde, um die Kommunen dabei zu unterstützen, die Flüchtlinge jetzt gut zu betreuen.
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Die Städte und Gemeinden müssen bei der Unterbringung der Geflüchteten komplett in Vorleistung treten. Dabei hat der Bund eigentlich eine Rücklage, die sogenannte Flüchtlingsrücklage, um Menschen in Not zu helfen. Ich habe mit mehreren Bürgermeistern in meiner Heimat gesprochen, in Salzgitter und Wolfenbüttel. Sie sind unzufrieden. Sie mieten Wohnungen an, sie sorgen für Integration, sie stellen Personal ein; aber sie wissen nicht, was sie an Unterstützung bekommen: nicht vom Bund und nicht vom Land. Frau Ministerin, warum haben Sie mit diesem Haushaltsentwurf keine Soforthilfe bereitgestellt, um zu zeigen: „Wir gehen hier schnell voran, und wir möchten, dass Sie alle mitmachen“?
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Komplett aus der Zeit gefallen ist, dass in diesem Haushaltsentwurf Kürzungen bei der Integration vorgesehen sind, zum Beispiel bei den Integrationskursen. Das muss zurückgenommen werden. Sie haben angedeutet, dass es in diese Richtung geht. Das finden wir richtig. Die Mittel in diesem Bereich müssen erhöht werden, genauso bei der Migrationsberatung. Wir bekommen Briefe von den Wohlfahrtsverbänden, in denen es heißt: Wir brauchen jetzt dringend mehr Unterstützung. Wir brauchen Handlungssicherheit. – Wir als Linke finden, die müssen sie auch bekommen.
Mit Blick auf den Krieg stellen sich jetzt viele Bürgerinnen und Bürger Fragen: Wie gut sind wir eigentlich in einer Notsituation, im Ernstfall geschützt? Wie ist der Katastrophenschutz in meiner Region aufgestellt? Auch die Coronapandemie und die Hochwasserkatastrophe im letzten Jahr haben gezeigt, dass es viel Verbesserungsbedarf gibt. Es war zum Beispiel ein großer Fehler – das ist natürlich auch ein Ausdruck der Kaputtsparpolitik im Neoliberalismus –, dass man vielerorts die Sirenen abgebaut hat. Was für ein Wahnsinn, dass man die jetzt wieder aufstellen muss. Das war völlig falsch.
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Wir haben auch keinen Überblick, wo es welche Warnmittel gibt. Das muss dringend behoben werden. Das hat Herr Seehofer oft angekündigt, und es ist nicht passiert. Das darf nicht mehr vernachlässigt werden. Wir brauchen ein Update beim Bevölkerungs- und Katastrophenschutz.
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Meine Damen und Herren, es ist erschreckend, dass inzwischen 600 Neonazis per Haftbefehl gesucht werden. Die NSU-Mordserie, der Terroranschlag eines Nazis in Hanau mahnen: Es darf nicht weggeschaut werden, hier muss konsequent entwaffnet werden. Frau Ministerin, Sie haben einen sehr ambitionierten Plan vorgelegt, wie Sie gegen Nazistrukturen, gegen Rassismus, gegen völkische Ideologie vorgehen möchten. Das begrüßen wir ausdrücklich, und wir werden Sie dabei unterstützen, auch mit eigenen Vorschlägen. Ich hoffe, dass wir das in den Haushaltsberatungen diskutieren werden, und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit und ein entschlossenes Handeln. Klare Kante gegen rechts!
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Perli. – Als nächsten Redner hören wir den Kollegen Martin Gerster, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin Nancy Faeser! Es hat wirklich lange gedauert, aber jetzt steht tatsächlich zum allerersten Mal in der Geschichte unseres Landes eine Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums.
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Zum ersten Mal seit 16 Jahren ist die SPD wieder direkt verantwortlich für die Innenpolitik des Bundes. Und endlich – endlich! – ist es möglich, zusammen mit den Grünen und auch mit der FDP so manche innenpolitische Weiche neu auszurichten, neu zu stellen.
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Viel Zeit zur Einarbeitung, die sonst übliche 100-Tage-Schonfrist, gab und gibt es für die neue Ministerin Nancy Faeser und ihr Team nicht. Putins Angriffskrieg bringt viel Leid für Millionen Menschen, viele Tote, Verwundete und Geflüchtete. Krieg mitten in Europa – ich hätte mir das wie so viele andere Menschen überhaupt nicht vorstellen können. Daher machen sich viele Menschen auch große Sorgen um die Sicherheit in Europa. Auch für die Innenpolitik in Deutschland entstehen immense Herausforderungen. Einige davon waren bereits vor Kriegsbeginn in der Ukraine offenkundig; andere sind ganz neu hinzugekommen. Orientierung, klare Haltung, Handlungsstärke sind jetzt gefragt, wenn Sicherheit im Wandel das Gebot der Stunde ist.
Was sich jetzt schon sagen lässt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unsere Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist ein Gewinn für unser Land und die Bundesregierung.
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Vom ersten Tag an hat sie sich vor Ort einen Eindruck von den vielfältigen Aufgaben verschafft und zahlreiche Gespräche geführt: bei der Bundespolizei, beim Technischen Hilfswerk, aber auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und in den EU-Mitgliedstaaten. Sie ist präsent, sie stellt sich den Medien und der Öffentlichkeit, sie erklärt ihre Politik und welche Schritte jetzt notwendig sind. Das ist gerade jetzt, in diesen Zeiten, ganz besonders wichtig, und es tut gut, daran weiterzuarbeiten. Ich glaube, wir sind hier auf einem sehr, sehr guten Weg.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ampelregierung, die SPD an der Spitze des Bundesinnenministeriums, dazu noch eine Frau – böse Gerüchte wurden in die Welt gesetzt, dass jetzt im Haushalt des Bundesinnenministeriums übelst gekürzt werden würde. Der überarbeitete Regierungsentwurf liegt nun vor und siehe da: Das Gesamtvolumen des Einzelplans liegt bei 15 Milliarden Euro. Das ist, wenn man den Baubereich herausrechnet, ein neuer Rekord, ein Zuwachs von 844 Millionen Euro. Außerdem sieht der Entwurf 1 660 zusätzliche Stellen vor. Ich finde, das ist ein sehr gutes Verhandlungsergebnis, das uns hier für die weiteren Haushaltsberatungen vorgelegt wurde.
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Vor allem die Bundespolizei profitiert vom Stellenaufwuchs. Das ist, wie ich finde, enorm wichtig. Unsere Bundespolizistinnen und Bundespolizisten leisten seit Jahren nahezu Unglaubliches in Einsätzen verschiedenster Art. Ich denke da vor allem, aber nicht nur an die Einsätze im Zusammenhang mit den Demonstrationen und sogenannten Spaziergängen gegen die Coronapolitik. Zu Recht stehen rund 1 000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei im Haushaltsentwurf. Das ist eine klare Botschaft, wie ich finde: Wertschätzung und Entlastung für unsere Polizeikräfte, die für uns Rechtsstaat und Demokratie verteidigen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, was uns als SPD-Fraktion, aber auch mich persönlich – ich habe es jetzt auch in den Redebeiträgen von Jamila Schäfer und dem Kollegen Thorsten Lieb gehört – freut, ist, dass wir in diesem Regierungsentwurf auch eine neue Schwerpunktsetzung vorfinden. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus ist jetzt Sache der Chefin. Das zeigt sich in dem neuen Aktionsplan, den die Innenministerin vor wenigen Tagen persönlich vorstellt hat, und auch im Haushaltsentwurf. Die Bundesregierung hatte im letzten Jahr schon ein Paket auf den Weg gebracht, um entschieden gegen rechte Gewalt, gegen Rassismus, gegen Hetze und Hass im Netz und auf der Straße vorgehen zu können. Die wehrhafte Demokratie braucht aber aus meiner Sicht nicht nur Beschlüsse, sie braucht auch Mittel, und die sind in diesem Haushaltsentwurf jetzt endlich sichtbar, und das ist auch gut so.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, aber auch dem Zivilschutz und der zivilen Verteidigung kommt immer größere Bedeutung zu. Starkregen, Stromausfälle und einige andere Szenarien erfordern eine größere Aufmerksamkeit. Das ist vollkommen richtig. Beim THW, beim BBK sieht der Regierungsentwurf mehr Mittel und auch mehr Personal vor – sehr gut. Aber die Frage für die anstehenden Haushaltsberatungen ist in der Tat, ob wir nicht noch mehr tun müssen, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden.
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Zum Glück können wir auf viele ehrenamtliche und hauptamtliche Einsatzkräfte bauen, die immer zur Stelle sind, wenn andere Hilfe brauchen. Dafür an dieser Stelle ein Dankeschön, und zwar wirklich von Herzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Regierungsentwurf ist bekanntlich vor dem Angriff Putins auf die Ukraine erarbeitet worden. Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, der Zivilschutz und neue Aufgaben, um unsere Bevölkerung zu schützen, erfordern bei unseren Haushaltsberatungen eine neue Prioritätensetzung; das haben schon einige vor mir angesprochen. Vor allem aber brauchen wir für die große Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine Schutz, Unterstützung und Integration. Deshalb gilt es jetzt, zügig Deutschkurse und Kinderbetreuung zu organisieren und Berufsabschlüsse schnell anzuerkennen. Ich finde, auch der Sport kann Menschen unkompliziert zusammenbringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren – sehr geehrter Herr Präsident, ich sehe schon, Sie wollen mir ins Wort fallen –,
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letzter Satz: „Sicherheit im Wandel“ bedeutet, dass wir unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat gegen Extremisten verteidigen, dass wir diejenigen wertschätzen und unterstützen, die sich hauptamtlich und ehrenamtlich jeden Tag aufs Neue für unsere Sicherheit einsetzen, und dass wir denjenigen Schutz und Zuhause bieten, die jetzt vor Krieg und Zerstörung fliehen mussten und müssen.
Herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Gerster. – Ich bin von Sozialdemokraten nichts anderes gewöhnt. Dass aus einem Satz dann fünf werden,
({0})
ist einfach der sozialdemokratischen Seele geschuldet.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthilde Wittmann, CDU/CSU-Fraktion, mit ihrer ersten Parlamentsrede.
({1})
Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über den Haushalt des Innenministeriums reden, dann reden wir eigentlich über einen der relevantesten Haushalte, die wir hier zu besprechen haben; denn wir reden darüber, dass die Sicherheit in unserem Land gewährleistet wird für unsere Bürgerinnen und Bürger und gerade auch für diejenigen, die jetzt in diese Sicherheitszone zu uns flüchten. Deswegen sollten wir diesen Haushalt ganz besonders ernst nehmen.
({0})
Ich freue mich, Frau Bundesministerin, dass der Haushalt eine hohe Kontinuität zu den Haushalten aufweist, die in den letzten Jahren aufgewachsen sind, wie Frau Kollegin Lindholz ja bereits mitgeteilt und ausgeführt hat. Sie weisen auf Steigerungen im Personalbereich genauso wie in den Ausgaben hin, die wir auf die verschiedenen Politikfelder verteilen, und damit machen Sie eigentlich ein Kompliment an die Vorgängerregierungen,
({1})
die damit nämlich genau das angesetzt haben, worauf Sie aufbauen können. Sie haben ein wohlbestelltes Haus vorgefunden,
({2})
und wir sind an Ihrer Seite, wenn Sie es in gleicher Art und Weise weiterführen.
({3})
Entgegen dem Gelächter, das sich hier in der Mitte des Hauses mal wieder auftut, kann dies alles auch mit Zahlen unterlegt werden: Die Kriminalitätsstatistik sagt uns ganz eindeutig, dass bei nahezu jedem Straftatbestand die Zahlen kontinuierlich nach unten gehen. Daran wollen wir gemeinsam weiterarbeiten. Und wir wollen uns einer Sache noch mal besonders annehmen, nämlich der Bereiche, wo sie steigen: Die Straftaten steigen dort, wo digitaler Bezug da ist, und sie steigen überall dort, wo sexuelle Motivation im Raum steht, insbesondere bei Kindern. Da sollten wir keine Gelegenheit auslassen, es gemeinsam anzupacken, dagegen vorzugehen.
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Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber auch auf den aktuell brennendsten Punkt, den wir haben, eingehen: die Frage der Migration und vor allen Dingen die Frage der Zufluchtsuchenden hier bei uns. Denn das ist nicht die Migration, die wir aus 2015 kennen; das ist eine Notsituation, in der wir gehalten sind, allen, allen zu helfen, die jetzt kommen, und zunächst auch schlicht nur deswegen, weil sie in Not geraten sind, und unabhängig davon, wie ihr ursprünglicher Status war.
({5})
Da, glaube ich, haben wir am Anfang die Lage unterschätzt, und, Frau Ministerin – dort hört es dann leider auf mit der Einigkeit –, da haben auch Sie die Lage unterschätzt. Ich denke an unsere Sondersitzung im Innenausschuss am 9. März, als Sie noch davon sprachen, dass eine Registrierung so gar nicht nötig wäre und dass der Königsteiner Schlüssel nicht benötigt würde; denn die Länder würden ja auf Zuruf sagen, sie hätten noch Kapazitäten. Ja, klar, was mache ich denn, wenn akut geflohen wird? Natürlich sage ich: „Da kriege ich noch eine Turnhalle her“ und: „Das schaffen wir schon.“
Im Übrigen schaffen es die Ehrenamtlichen, und es schaffen – das will ich einmal hier erwähnt haben – die vielen schon seit Monaten überlasteten Angestellten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunen. Dort wird es geschafft.
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Und Sie haben nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 17. März nachgesteuert; denn seither wird ja faktisch der Königsteiner Schlüssel angewendet, der im Moment das Mittel der Wahl ist, gleichwohl man da sicher auch noch mal nachjustieren könnte.
Dabei hätten wir das Ganze so einfach haben können. Es beginnt bei der Zusammenarbeit mit Polen und an den Außengrenzen der Anrainerstaaten zur Ukraine. Dort kommen die Menschen an und werden systematisch registriert. Was hindert uns daran, dort mit den Grenzbehörden zusammenzuarbeiten, digitale Schnittstellen zu schaffen und Verbindungsbeamte zu stellen, so wie wir es an der österreichisch-deutschen Grenze im Rahmen der Hauptflucht getan haben?
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Bis heute ist dazu nichts passiert. Da hilft es mir nichts, dass ich Busse und Bahnen habe, die eingesetzt werden; sondern da muss ich, Kollegin Lindholz, wissen: Wann fahren sie ab? Wo fahren sie hin? Wann kommen sie an? Das wissen wir vor Ort nämlich oft gar nicht, und meine Landräte erzählen mir da schwierige Sachen.
({8})
Wir gehen davon aus, dass wir immer noch nicht wirklich registrieren – das tun wir nämlich nicht –, sondern wir greifen in Wirklichkeit auf das unbeliebte Mittel der Schleierfahndung zurück. Die Bundespolizei geht in die Züge und versucht, aufzunehmen. Wir erwischen aber nicht die, die natürlich beginnen, das auch ein Stück weit für sich auszunutzen. Die wollen wir aber als Erste erwischen.
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Ich möchte noch einen weiteren Punkt ganz kurz ansprechen. Sie haben in einem Interview gesagt, es würde vor Ort, bei den Ausländerbehörden, hapern. Das kann ich so nicht stehen lassen. Ich möchte noch mal sagen: Ich bedanke mich bei den Kommunen und den Ehrenamtlichen; sie arbeiten perfekt Hand in Hand. Beim Blick vom Bund nach unten zu Land und Kommune kann ich das nicht feststellen.
({10})
Lassen Sie mich ein Letztes ansprechen: die Frage des Extremismus. Vollkommen zu Recht sagen Sie, dass Sie dies mit großen Mitteln unterlegt haben, und wir sind da an Ihrer Seite. Das haben alle Redner in den letzten Jahren, auch für die vorhergehende Bundesregierung, jeweils gesagt. Aber seien Sie bitte nicht blind – und ich habe das heute mit Freude gehört – bei der Frage des Linksextremismus und auch des islamistischen Extremismus!
Da muss ich einfach noch ein Wort sagen: Linksextremismus richtet sich fast immer gegen unsere Polizeibeamten, und das gilt es zu stoppen. Diese gilt es zu schützen, und zwar insbesondere vor Aussagen einer Bundesministerin, die es als eine Form des zivilen Ungehorsams, als legitim betrachtet. Da sind wir nicht bei Ihnen.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Wittmann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lamya Kaddor, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind Szenen, die ich nicht vergessen werde, und ich möchte diese gerne hier mit Ihnen teilen. Hauptbahnhof Berlin, Freitagnachmittag, Ende einer Sitzungswoche, vor mir eine junge Frau mit einem Säugling im Wagen. Sie kann ihr Abteil nicht finden; mehrere Taschen hängen an ihr. Sie beginnt zu schwitzen. Die Reihung der Waggons hat sich verändert; die DB hat das auch schon durchgesagt. Aber wie soll sie das verstehen?
Ihr Ticket und das Abteil wollen einfach nicht zusammenpassen. Ihr Säugling schreit, und sie kann einfach nicht mehr, zumindest denke ich das. Ihr fällt sichtlich ein Stein vom Herzen, als ich sie auf Englisch frage, ob ich ihr helfen kann. Sie muss ein paar Abteile weiter. Sie lächelt mich an und geht dann von dannen.
Was, denke ich bei mir, wenn ich das wäre, mit meinen Kindern an der Hand in einem fremden Land, in einem fremden Zug, ein paar Habseligkeiten, die ich retten konnte, zusammengerafft in einer Tasche, mein Mann zu Hause geblieben, um Deutschland zu verteidigen? In welches Land würde ich überhaupt gehen? Wer würde mir helfen?
Szenenwechsel: Zu Hause in Duisburg angekommen; mein Nachbar, Frührentner, ist ehrenamtlich beim THW aktiv. Er möchte nach Polen fahren, um dort direkt zu helfen. Seine Frau will ihn auf keinen Fall fahren lassen; sie hat Angst um ihn.
Meine Damen und Herren, sie hat Angst, weil ihr Mann nach Polen will – Europa. Wir sprechen hier von Europa. Wir erleben gerade tektonische Verschiebungen, und Sicherheit, also die Sicherheit, in der wir uns zu sehr wähnten, ist ein zerbrechliches Gut. Ich bin den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern so dankbar für die Selbstverständlichkeit, mit der sie helfen, den Polizistinnen und Polizisten, den THW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Städten und Gemeinden.
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Wir stemmen gerade als Land und als EU eine Menge, und ich bin – das möchte ich einmal deutlich sagen – beeindruckt von meinem Land und, ja, dankbar, dass wir das so hinkriegen.
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Ich bin auch sehr dankbar dafür, dass wir für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen eine europäische Einigung herbeigeführt haben. So geht Europa. Es ist unser Europa, und es ist gut möglich, dass dieses Europa den Kreml überrascht hat. Und wenn dem so ist, dann ist das gut.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, und doch: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt uns nicht nur international, ganz anders als in den letzten Jahrzehnten, vor immense Herausforderungen. Was heißt das eigentlich für eine vorausschauende Innenpolitik? Wir brauchen eine nationale Sicherheitsstrategie, die einen erweiterten Sicherheitsbegriff zur Grundlage hat. Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er gestern hier im Hohen Haus von Verteidigung und Sicherheit sprach. Wir können und dürfen militärische Verteidigung nicht ohne den zivilen Krisenschutz für die Menschen in unserem Land denken.
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Die vergangenen Tage haben auch gezeigt: In der Ukraine handelt es sich nicht nur um einen militärischen Krieg, sondern auch um einen Informationskrieg, der im digitalen Raum ausgefochten wird. Gegen hybride Angriffe sollten wir gewappnet sein. Mögliche Beeinträchtigungen der kritischen Infrastruktur auch durch Cyberangriffe müssen ernst genommen werden. Dazu gehört ein möglicher Ausfall der Strom-, Wasser- oder Wärmeversorgung.
Wir wollen eine strategische Neuausrichtung und zügige Umsetzung der Konzeption „Zivile Verteidigung“. Stellen wir uns nur einen Stromausfall in einer Großstadt wie Hamburg oder in meinem Wahlkreis Duisburg vor. Nur drei Tage ohne Strom würden uns lahmlegen und Chaos erzeugen. Wir müssen schnell reagieren können. Wir müssen handeln, bevor so etwas passiert, nicht wenn so etwas passiert.
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Hier geht es aber auch nicht um Panikmache; aber kluge Politik handelt vorausschauend. Deshalb gehen wir mit klarem Blick unsere neuen Aufgaben an.
Es ist daher genau richtig, dass Sie, Frau Bundesinnenministerin Faeser, bereits angekündigt haben, den Zivilschutz auszubauen. Jetzt gilt es, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unabhängiger zu stellen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe braucht eine massive personelle und materielle Stärkung. Das BBK muss eine Zentralstelle sein, um sich an veränderte Lagen schnell anpassen zu können.
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Auch das THW steht bereit, seine Aufgaben umfassend zu erfüllen und, wo nötig, anzupassen, zum Beispiel bei der Lebensmittelbevorratung, die zentral organisiert gehört.
Die Resilienzfähigkeit ist für unsere hochtechnologisierte Gesellschaft einfach zentral, und zwar nicht nur beim Zivilschutz. Es ist ein Trauerspiel, wie die Behörden, die im Ernstfall genuine Schutzpflichten des Staates umsetzen müssen, in den vergangenen Jahren vom zuständigen CSU-geführten Haus kleingehalten und personell abgekanzelt wurden.
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„Wie konnte das geschehen?“, möchte man an dieser Stelle Herrn Seehofer fragen. Aber gut, lassen wir das jetzt; es würde aller Voraussicht nach nichts bringen.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die russische Invasion der Ukraine hat auch durch Desinformation und Cyberattacken eine ernstzunehmende Bedrohungslage geschaffen. Aber hybride Angriffe sind nicht erst ein Problem seit Beginn des Putin’schen Krieges.
– Sofort, Herr Präsident. – Eines ist aber auch klar: Demokratiefeinde mit Zugang zu Informationen, Waffen und Munition, Extremisten jeglicher Art dürfen nicht Diener dieses Staates sein; auch jeder Einzelfall ist einer zu viel. Das werden wir nicht dulden und, wo nötig, auch das Dienstrecht anpassen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben sich alle so gefreut, dass ich wieder präsidiere; das wird sich ändern mit der Freude, glaube ich.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Wirth, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Der große Wurf ist der Ampelkoalition mit dem Einzelplan 06 des Innenministeriums erwartungsgemäß nicht gelungen. Die drängendsten Probleme unseres Landes möchte auch die neue Bundesregierung nicht anpacken.
Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen zeigen uns in vielen Bereichen die Fehlentwicklung der deutschen Innenpolitik auf und in kaum einem so deutlichen Maße wie in der Asyl- und Migrationspolitik. Seit der Merkel’schen Grenzöffnung haben sich Hunderttausende Ausreisepflichtige in Deutschland festgesetzt – wertvolle Kapazitäten, die wir nun dringend für tatsächlich hilfsbedürftige ukrainische Frauen, Kinder und Greise gebrauchen könnten.
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Hier bedürfte es dringend einer nationalen Kraftanstrengung, um geltendes Recht endlich umzusetzen.
Im Bereich des Grenzschutzes und der Bundespolizei offenbart sich ebenfalls Aufstockungsbedarf. Nach Einschätzung des Vorsitzenden der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, würden höchstens 60 Prozent der über Polen einreisenden Flüchtlinge kontrolliert – eine Chance, die von vielen Drittstaatsangehörigen genutzt wird, um unerkannt unter den ukrainischen Flüchtlingen hier einzureisen.
Um die innere Sicherheit ist es ebenfalls schlecht bestellt. Ministerin Faeser wirft ihr Augenmerk offenbar nur auf vermeintlichen Rechtsextremismus. Auf dem linken Auge ist sie völlig blind; islamischer Terrorismus scheint nur Nebensache zu sein.
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Was wir dringend bräuchten, ist ein Paradigmenwechsel der deutschen Innenpolitik: Stärkung der inneren Sicherheit durch Aufstockung der Polizei- und der Sicherheitsbehörden, konsequente Abschiebung Ausreisepflichtiger und effektive Grenzkontrollen.
Ein waschechter Skandal ist es, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung nicht bei den Globalzuschüssen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit bedacht wurde.
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Es verstößt nicht nur gegen höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung politischer Strömungen von 1986, sondern auch gegen die jahrzehntelang geübte Praxis des Deutschen Bundestages. Sie schaden damit nicht nur, wie von Ihnen beabsichtigt, der AfD, sondern der Demokratie in unserem Lande insgesamt.
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Es ist ein Schlag ins Gesicht für Millionen Wähler und zeigt, dass Ihnen selbst offenkundig rechtswidriges Verhalten zur Sicherung der eigenen Macht legitim zu sein scheint. Man sollte sich schämen für Sie.
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Zum Schluss möchte ich noch Herrn Haldenwang bitten, einen Blick auf den Einzelplan 06 zu werfen. Neuerdings wird ja die Ansicht, die Volkszugehörigkeit sei nicht identisch mit der Staatsangehörigkeit, als verfassungsfeindlich eingestuft.
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Dass deutsche Staatsangehörigkeit nicht zwingend deutsche Volkszugehörigkeit sein muss, sieht man schon an der finanziellen Förderung deutscher Staatsbürger sorbischer Volkszugehörigkeit. Ebenfalls fördert das BMI ausländische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit, insbesondere in Osteuropa. Dies begrüßen wir selbstverständlich ausdrücklich.
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Dies nur, um zu verdeutlichen, mit welch absurden Argumentationslinien die Alternative für Deutschland in die vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit gerückt werden soll.
Herrn Haldenwang sei ebenfalls empfohlen, häufiger den Zahlen des im Geschäftsbereich des BMI angesiedelten Statistischen Bundesamtes zu vertrauen. Neuerdings arbeitet er allen Ernstes mit Zahlen der durch Anetta Kahane geführten Amadeu-Antonio-Stiftung,
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ein Sammelbecken von ehemaligen SED-Spitzeln und Kommunisten.
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Vielleicht ist das der Preis, damit ein Christdemokrat auch unter der Ampelregierung weiterhin das Bundesamt für Verfassungsschutz führen darf; wer weiß.
Den Bundeshaushalt lehnen wir ab.
Vielen Dank und Glück auf!
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wirth. – Nächster Redner ist der Kollege Manuel Höferlin, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt des Innenministeriums zeigt vor allem eins: Er zeigt einen Paradigmenwechsel der Fortschrittskoalition in der Innenpolitik – sowohl sachlich als auch vor allen Dingen im Stil, meine Damen und Herren. „Im Stil“ bedeutet, dass dieser Haushalt nämlich davon geprägt ist, dass nicht parteitaktisches Aufrechnen, sondern im Kern Zusammenarbeit in der Sache stattfindet. Diese Fortschrittskoalition möchte gemeinsam etwas für die Menschen und das Land bewegen, und das ist gut so.
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Das führt am Ende eben nicht zu einem Stückwerk, sondern zu einem Gesamtwerk.
Ich könnte mir es jetzt leicht machen und mal breit ausführen, warum der Fortschritt so dringend gebraucht wird, was in den letzten 16 Jahren unter der Union in der Innenpolitik falsch gemacht wurde oder was gar nicht gemacht wurde.
Aber: Erstens, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie selbst, dass die Innenpolitik unter Ihnen in den letzten 16 Jahren nicht immer eine Sternstunde war, vor allen Dingen mit falschen Prioritätensetzungen.
Zweitens möchte ich doch lieber nach vorne schauen – auf das, was wir machen können, was unser Land voranbringt und was Fortschritt für die Bürgerinnen und Bürger bewirken kann. Dafür müssen wir lediglich mal schauen, in welchen Feldern die Fortschrittskoalition mehr tut, als das bisher der Fall war.
Sehen wir zum Beispiel die Mittel beim Bevölkerungsschutz. Ich sage es mal so: Der Warntag war im besten Fall eine Warnung für uns.
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Die schreckliche Katastrophe im Ahrtal und die Folgen haben die Versäumnisse der letzten Jahre im Zivil- und Bevölkerungsschutz aufgezeigt. Und der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine zeigt deutlich, dass darüber hinausgehend auch noch der Abbau des Zivilschutzes in den letzten Jahren vorangetrieben wurde. Das muss sich dringend ändern, und das gehen wir mit diesem Haushalt an, und zwar mit Hochdruck, meine Damen und Herren.
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Herr Oster sagte vorhin, das sei alles zu wenig Geld. Der entscheidende Punkt ist gerade beim Bevölkerungsschutz und beim Zivilschutz – das muss ich ganz klar sagen –: Wir können nicht einfach nur Geld darauf schütten, so wie Sie das bei Problemen in den letzten Jahren immer getan haben, in der Hoffnung, das Problem löse sich von alleine, sondern gerade beim Bevölkerungsschutz und beim Zivilschutz ist das Problem, dass die Strukturen nicht richtig gestimmt haben, dass nicht klar war, wer eigentlich wen anruft, dass die Organisation nicht ordentlich war.
Ich habe sehr interessiert zugehört, Frau Lindholz. Sie haben letztlich ja zugesagt, dass eine Zentralstellenfunktion des BBK notwendig sei. Ich freue mich auf Ihre Unterstützung, auch auf die Unterstützung der Länder, die von Ihnen geführt werden, falls wir dafür eine Grundgesetzänderung brauchen. Ich danke Ihnen für die Zusage der Union. Herzlichen Dank dafür!
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Da ich nur drei Minuten habe, will ich noch sagen, bevor der Herr Präsident mich ermahnt, dass zum Beispiel die Transformation durch die Digitalisierung dazu führt, dass wir die Sicherheit im Cyberraum voranbringen müssen. Ferner müssen wir die Gesellschaftspolitik so ausrichten, dass Extremismus jeder Art von allen Akteuren bekämpft und eine starke Prävention vorangetrieben wird.
Ich bin überzeugt, dass dieser Haushalt Fortschritt bedeutet, und die Fortschrittskoalition wird ihn gemeinsam nach vorne bringen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Höferlin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Martina Renner, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich fange mal mit der Habenseite an. Der Entwurf des Haushaltes setzt ein positives Signal: keine Gelder für die extrem rechte Desiderius-Erasmus-Stiftung.
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Rechte Elitenbildung darf nicht aus staatlichen Mitteln finanziert werden. Das muss auch in Zukunft so bleiben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechtsextreme Netzwerke zerschlagen, Neonazis entwaffnen, Finanzströme rechter Akteure austrocknen – das sind die Forderungen, die Die Linke seit Jahren vertritt. Mit der Vorstellung des Aktionsplanes gegen Rechtsextremismus sind diese Forderungen jetzt im Bundesministerium angekommen. Wir finden das gut.
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Aber gerade weil wir diese Punkte seit Jahren fordern, wissen wir auch, dass Absichtserklärungen alleine nicht reichen. Es braucht den Willen, diesen Aktionsplan auch durchzusetzen. Und das kann nur gelingen, wenn die Sicherheitsbehörden des Bundes hier mitziehen. Mehr Geld alleine wird nicht automatisch zu besseren Ergebnissen führen.
Wir fordern erstens, das Geld zielgerichtet so einzusetzen, dass damit das Bundeskriminalamt in die Lage versetzt wird, rechtsextreme Netzwerke effektiv zu bekämpfen. Das setzt vor allem eine bessere fachspezifische Ausbildung, also im Ergebnis ein besser geschultes Personal, voraus. Ich möchte ein BKA, das mit Energie die einfachste Ermittlerregel verfolgt: Folge den Waffen, folge dem Geld.
Wir fordern zweitens: in Zukunft keine weiteren Mittelaufwüchse für den Inlandsgeheimdienst.
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Der Inlandsgeheimdienst war noch nie ein Verbündeter beim Kampf gegen rechtsextreme Netzwerke, sondern hat diesen Kampf aktiv verhindert und Neonazis vor Strafverfolgung geschützt.
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– Das ist Realität! Schauen Sie mal in die Berichte der Untersuchungsausschüsse. Da können Sie das alles nachlesen.
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Es geht beim BfV nicht um mehr Geld. Ich wünsche mir eine Aufklärung darüber, wie das ideologische und organisatorische Wirken von Hans-Georg Maaßen vielleicht heute noch die Arbeit des Amtes bestimmt.
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Da braucht es dringend eine parlamentarische wie eine öffentliche Aufklärung.
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Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Bitte?
Sie sollen freundlicherweise zum Schluss kommen. Sie haben jetzt noch einen Satz, und dann muss ich Ihnen bedauerlicherweise das Wort entziehen.
Herr Präsident, ich nehme jetzt auch die drei Sätze von SPD und Grünen.
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Frau Kollegin, Sie sind bereits 50 Sekunden über Ihrer Redezeit. Sie haben einen letzten Satz, Frau Kollegin.
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Genau. – Ich hoffe, dass Sie gemeinsam mit uns nicht nur den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus in die Tat umsetzen, sondern auch bei dem Versprechen bleiben, wie Sie es im Koalitionsvertrag formuliert haben, nämlich dass es keine Mittel für staatliche Hacking-Tools gibt. Auch das werden wir in Zukunft sehr genau verfolgen als Opposition.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Renner. – Ihre Fraktion hat nicht mehr als zwei Minuten angemeldet, und wenn Sie dann drei Minuten reden, ist die Redezeit um 50 Prozent überschritten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Regierungsentwurf liegt vor. Sicherheit ist das zentrale Versprechen eines modernen Staates. Darüber werden wir in den nächsten Wochen ringen und debattieren, wenn es darum geht, den guten Haushaltsentwurf – wie das unser Haushälter Martin Gerster auf den Punkt gebracht hat – noch besser zu machen. Wir haben ja schon einiges an Vorschlägen vernommen.
Das Wichtigste an den Anfang, liebe Kolleginnen und Kollegen: Diese Sicherheit steht im Wandel. Wir sind mit anderen Herausforderungen konfrontiert; das sehen wir, wenn wir die Cyberlage betrachten oder wenn wir die digitale Bedrohungslage unseres Staates, unserer Gesellschaft betrachten. Aber seit mehr als vier Wochen sind wir mit einer Situation konfrontiert, die nichts Geringeres ist als die größte humanitäre Katastrophe auf dem europäischen Kontinent seit Ende des Zweiten Weltkrieges.
Wenn ich jetzt in Richtung der CDU/CSU schaue, dann vernehme ich einiges an Vorwürfen, die in den Raum gestellt worden sind, die aber – und das will ich in aller Deutlichkeit sagen – nicht den Hauch einer Chance des Beweises dafür haben, dass sie der Realität entsprechen. Sie sollten sich fragen, ob Sie angesichts dieser Situation Ihrer Rolle als konstruktive Opposition überhaupt gerecht werden, wenn Sie hier mit Falschbehauptungen arbeiten.
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Ich kann Ihnen versichern: Das, was Sie hier machen, ist eine Traumaaufarbeitung Ihrer missglückten Amtszeiten von Thomas de Maizière und Horst Seehofer.
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Da wurde auf der einen Seite von Angela Merkel gesagt: „Wir schaffen das“, und auf der anderen Seite rief der bayerische Ministerpräsident wenige Wochen danach: Es ist die Herrschaft des Unrechts.
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– Frau Kollegin, ich sehe Sie.
Und Sie lassen, Herr Kollege Hartmann, offensichtlich die Zwischenfrage auch zu? – Dann bitte schön.
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Also, normalerweise beginnen Sie im Ausschuss immer damit, die Opposition, also uns, zu beschimpfen. Jetzt haben wir das auch hier in Ihrer Rede. Aber ist Ihnen bewusst, dass wir in der Sondersitzung die Ministerin gefragt haben, ob sie sich Gedanken gemacht hat, wie man das effizient verteilt? Sie hat uns gesagt, sie geht davon aus, dass es im Moment funktioniert und dass die Länder das freiwillig übernehmen.
Ist Ihnen bewusst, dass wir im Ausschuss in der Sondersitzung auch gefragt haben, ob sie – bzw. der Staatssekretär; die Ministerin war dann schon weg – sich Gedanken über die Kosten gemacht hat? Wir wussten damals schon, dass die Kommunen fragen werden: Wer bezahlt das? Was können wir anmieten? – Und die Antwort des Staatssekretärs war: Über so was müssen wir uns jetzt noch keine Gedanken machen.
Waren Sie da anwesend, und ist Ihnen bewusst, dass auf diese Kernfragen im Zusammenhang mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise da keine Antworten kamen, sondern nur: „Das löst sich alles von alleine“?
({0})
Liebe Frau Kollegin, da wir in der Vergangenheit gemeinsam an allen Sitzungen des Innenausschusses teilgenommen haben, zumindest was diese Wahlperiode angeht, ist die Antwort auf den letzten Teil Ihrer Frage, ob wir gemeinsam anwesend waren: Ja.
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Ich frage Sie aber umgekehrt, ob Ihnen bewusst ist, dass es einen erheblichen Unterschied dazu gibt, wie die Vorgänger von Frau Nancy Faeser als Innenministerin mit der Frage von Flucht und Migration umgegangen sind. Ich benenne namentlich Thomas de Maizière, und ich benenne auch Horst Seehofer, der in den letzten zwei Jahren der Pandemie im Übrigen als zuständiger Minister für den Bevölkerungsschutz vollkommen auf Tauchstation war, Frau Kollegin.
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Wir haben ein, zwei Lehren aus der Situation von 2015/2016 gezogen. Ich sage es Ihnen ganz konkret: Erstens haben wir als Ampelkoalition auf eines geachtet, nämlich dass wir die Obleute und Sprecher aller Fraktionen des Innenausschusses in regelmäßige Lage-Briefings einbezogen haben. Das gab es bei CDU/CSU nicht. Das war der erste Punkt.
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Der zweite Punkt ist: Im Rahmen dieser Gespräche ist regelmäßig – –
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– Fragen Sie Ihren Sprecher, es sind mindestens drei Besprechungen gemeinsam durchgeführt worden.
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Im Rahmen dieser Besprechungen ist dynamisch über die Lage informiert worden, und zwar dass sich in den ersten Wochen das Geschehen der Migration unterschiedlich verhalten hat im Vergleich zu dem zweiten Teil der Migration. Wir redeten zu Anfang über mehrere Tausend Flüchtende. Da gab es eine große Welle der Freiwilligkeit, wo die Länder Plätze nach dem Pledging-Verfahren angeboten haben. Sie haben gesagt: Wir bieten Plätze an, wir wollen aber keine Verteilung.
Als wir dann feststellten, dass bestimmte Hotspots entstanden sind wie Berlin oder Hamburg,
({5})
und die Länder auch deutlich auf den Bund zugegangen sind, haben wir gesagt: Wir müssen zu einer festen Verteilung übergehen. Das ist im Rahmen dieser Besprechungen auch angesprochen und thematisiert worden. O-Ton, Zitat: Wir sind noch nicht an dem Punkt der festen Zuweisung. Wir werden an diesen Punkt kommen.
Dritter und letzter Punkt, Frau Kollegin.
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– Ach, Herr Kollege Oster, jetzt hören Sie zu!
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Ich frage Sie: Ist Ihnen bewusst, dass der nun in Rede stehende § 24 des Aufenthaltsgesetzes, der novelliert worden und entsprechend in das deutsche Recht eingefügt worden ist, zu Zeiten der Union in das Aufenthaltsrecht übernommen worden ist, die Regelungen dort seit Regierungswechsel nicht verändert worden sind
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und die Kapazitäten der deutschen Behörden auch nicht verändert worden sind? Das heißt, Sie tragen im Kern die Verantwortung dafür, dass das Recht existiert und dass sie dieses anwenden lassen müssen.
Und es gibt einen Unterschied zu Horst Seehofer und Thomas de Maizière, den wir hier noch erwähnen müssen.
({9})
Herr Kollege.
Nancy Faeser ist die erste Innenministerin in Deutschland, der es gelungen ist, dass alle europäischen Staaten an einem Strang ziehen,
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und ist nicht wie der ehemalige Innenminister auf Tauchstation gegangen, während sich Angela Merkel gegen den Rest der europäischen Staaten gestellt und gesagt hat: Wir schaffen das. – Das ist Ihre Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das geht mir in dieser Migrationsdebatte dermaßen auf die Nerven.
Herr Kollege, die Frage ist ausreichend beantwortet.
Sie schauen sich nicht das Kollektiv der Geflüchteten an. Es sind andere Menschen gekommen – Frauen, Kinder und Gebrechliche –, und Sie diskutieren über Registrierung.
({0})
Sie versuchen, das auseinanderzutreiben, anstatt dafür zu sorgen, dass wir alle zusammenstehen in dieser Situation, die unser Land und diesen Kontinent fordert. Sie werden Ihrer Rolle nicht gerecht.
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So, nun geht es mit Ihrer Rede weiter.
Meine Redezeit läuft nun weiter. – Wir machen ein Angebot an die Union, weil sie die demokratische Opposition ist. Wir können das in jeder Innenausschusssitzung durchexerzieren. Sie haben 16 Jahre lang die Verantwortung getragen. Sie haben es doch nicht auf die Kette bekommen. Sie waren doch auf Tauchstation, und Sie versuchen jetzt, das auseinanderzutreiben; aber wir werden stärker sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es ist eine europäische Herausforderung, und es muss uns bewusst sein – dabei gucke ich in die ganz rechte Ecke dieses Hauses –: Wer mit zwei Reden jedes Mal Geflüchtete und angebliche Trittbrettfahrer
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in den Mittelpunkt stellt, es aber nicht ein einziges Mal schafft, Putin, der diesen Angriffskrieg führt und die Ursache ist, zu verurteilen, der verpasst etwas.
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Uns muss bewusst sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Jetzt ist die Stunde Europas gekommen.
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Jetzt kommt es darauf an, dass wir gemeinsam diese humanitäre Katastrophe bewältigen. Da wir in den Haushaltsberatungen sind und wissen, dass der Regierungsentwurf einen Tag vor dem Angriff eingebracht worden ist,
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müssen wir auch in aller Offenheit sagen – Frau Lindholz, ich habe es gehört; aber ich kann es Ihnen auch noch mal erklären –:
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Wir müssen anerkennen, dass der Regierungsentwurf zunächst von Ihnen eingebracht und von uns verbessert worden ist.
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Und er wird noch einmal besser werden; denn es wird einen weiteren Schritt geben müssen.
Sicherheit im Wandel braucht auch mehr Investitionen, und die sind Sie schuldig geblieben. Es waren Ihre Innenminister, es waren Ihre Finanzminister, die Personal abgebaut haben, die Mittel gekürzt haben und die immer über die schwarze Null geredet haben, aber zu selten über Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sie sind verantwortlich dafür, dass der Bevölkerungsschutz in Deutschland nicht leistungsfähig war. Der Warntag war Ihr Horst-Seehofer-Flop und nicht unserer, und das wird nicht noch mal passieren,
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weil wir jetzt regieren und weil Sie in der Opposition sind, und das haben die Wählerinnen und Wähler entschieden.
Wir werden mehr in den Zivilschutz investieren müssen; das sage ich Ihnen zu. Da die Friedensdividende verbraucht worden ist, was die Streitkräfte angeht, müssen wir mehr in den Bevölkerungsschutz, mehr in den Zivilschutz und mehr in den Cyberschutz investieren. Ich bin mir sehr sicher, dass die Ampelkoalition genau diesen Weg in den Haushaltsberatungen gehen wird; das sage ich Ihnen zu. Und wenn Sie dann doch einen konstruktiven Beitrag leisten möchten, indem Sie zum Beispiel auf die Länder einwirken
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und ein gemeinsames „Wir schaffen das“ daraus machen, und wenn wir wirklich an die Seite der Länder rücken wollen, dann werden wir diese Krise auch gemeinsam bewältigen.
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Ich möchte mich an die Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem Land wenden. Ich glaube, wenn der Tag kommt, an dem wir sagen: „Heute ist Waffenstillstand in der Ukraine“ – wir hoffen auf diesen Tag, damit dieser Krieg endet; aber schon jetzt sind, Stand heute, 3,5 Millionen Menschen nach Europa geflohen, und dazu kommen noch Millionen Binnenvertriebene in der Ukraine, wer in diesem Hohen Haus glaubt denn wirklich, dass dann Millionen Geflüchtete sofort zurückgehen? Die Ukraine wird einen Marshallplan zum Wiederaufbau brauchen. Wir werden in Gebäude, in Schulen, in Krankenhäuser – alles zerstört, zerbombt – investieren müssen.
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Die drei Jahre, die der temporäre Schutz jetzt umfasst, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind erst der Anfang. Es wird uns fordern. Und das, was jetzt binnen vier Wochen quasi im Zeitraffer passiert, entspricht dem, was 2015 und 2016 passiert ist.
Lassen Sie uns als demokratische Kräfte in diesem Haus zusammenarbeiten.
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Lassen Sie uns dafür sorgen, dass diese gemeinsame Aufgabe Europas und Deutschlands bewältigt wird; es ist eine Bund- und Länderaufgabe. Aber die Kosten dürfen nicht erneut – dieser Fehler wurde 2015/2016 gemacht – an den Kommunen hängen bleiben. Sie tragen sowieso die Hauptlast.
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Herr Kollege.
Danke an die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. Wir stehen an Ihrer Seite!
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Vielen Dank, Herr Kollege Hartmann. Das war immerhin der längste Redebeitrag in diesem Geschäftsbereich.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Herr Kollege Hartmann, erlauben Sie mir, Ihrem Gewissen und Ihren Erinnerungen etwas auf die Sprünge zu helfen. Es war Bundesinnenminister Horst Seehofer, der nach diesem schrecklichen Attentat am 19. Februar 2020 in Hanau sofort eine außerordentliche Innenministerkonferenz initiiert hat und dann – auf sein Betreiben hin – ein 89-Punkte-Programm der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auf den Weg gebracht hat.
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Es war Horst Seehofer, der etwa vor einem Jahr – noch weit vor der schrecklichen Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – mit dem BBK-Präsidenten ein Zehn-Punkte-Papier auf den Weg gebracht hat, um das BBK und damit den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz in Deutschland zu verbessern und zu stärken. Es war Horst Seehofer, der mit einigen anderen Regierungen in der Europäischen Union eine Koalition der Willigen geschmiedet hat, um insbesondere schiffbrüchige Personen in Deutschland und in anderen Ländern aufzunehmen.
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Sie gehen also fehl in Ihrem Urteil, dass die letzte Periode eine schlechte Periode in der Innenpolitik war; das Gegenteil ist der Fall. In keiner Legislaturperiode seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland haben die Sicherheitsbehörden in Deutschland so viel zusätzliches Personal bekommen wie in der letzten Legislaturperiode.
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Das war eine erfolgreiche und eine gute Legislaturperiode für die Sicherheitsbehörden. Ich erlaube mir einfach, zu sagen, dass Ihre Rhetorik, Herr Kollege Hartmann, der krisenhaften Situation, in der wir uns heute befinden, in keiner Weise Rechnung trägt.
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Da sind aus meiner Sicht mehr Seriosität und auch mehr Demut angemessen.
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Sehr verehrte Frau Bundesinnenministerin, ich bin durchaus der Auffassung, dass Sie diese Idee von der Koalition der Willigen richtigerweise übernommen haben. Ich weiß selber, wie schwer es ist, wenn man die Ratspräsidentschaft innehat und mit 27 EU-Ländern einen Kompromiss erreichen will. Trotzdem möchte ich Ihnen wärmstens ans Herz legen, sich nicht nur in Deutschland weiterhin für eine gerechte Verteilung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge einzusetzen, sondern bitte auch auf europäischer Ebene.
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Ich bitte Sie auch dringend, endlich die Defizite zu beseitigen, die nach wie vor im Bereich der Registrierung bestehen. Es ist nach wie vor ein Defizit, dass nicht alle ukrainischen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen und die wohlgemerkt willkommen sind, lückenlos registriert werden. Auch hier ist der Bund am Zug. Bis dato lassen Sie die Länder, die Kommunen und vor allem die Zehntausenden von Ehrenamtlichen jämmerlich im Stich.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in einem anderen wichtigen gesellschaftspolitischen Bereich ist von der Bundesinnenministerin derzeit noch nicht allzu viel zu hören. Das ist der Sportbereich. In den ersten 100 Tagen sind Sie nur mit einer Bemerkung aufgefallen, nämlich damit, dass Sie erklärt haben, Sie würden nicht zu den Olympischen Spielen nach Peking reisen. Das war aus meiner Sicht, mit Verlaub, eine Fehlentscheidung, weil unsere Athletinnen und Athleten es verdient gehabt hätten, dass sie auch durch ein Mitglied der Bundesregierung, vor allem durch die Sportministerin, Anerkennung für ihre Leistungen finden.
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Das war aus meiner Sicht ein Defizit.
Beim Blick auf den aktuellen Haushaltsentwurf fällt darüber hinaus auf, dass ein zentrales Vorhaben Ihrer Bundesregierung, nämlich die Schaffung einer unabhängigen Instanz zur Mittelvergabe im Spitzensport, überhaupt nicht durch irgendeinen Titelansatz abgedeckt ist. Für diese unabhängige Instanz ist in diesem Haushalt kein einziger Euro vorgesehen.
Ein anderes wichtiges Thema: Unsere über 90 000 Sportvereine, die in den zwei Jahren der Coronapandemie wirklich gedarbt und gelitten haben, brauchen mehr als nur warme Worte. Sie brauchen auch entsprechend Geld. Aber auch was die Verbesserung und den Neustart der Arbeit unserer über 90 000 Sportvereine anbelangt, steht kein einziger Euro im Haushaltsentwurf des Sportetats zur Verfügung.
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Wir unterstützen Sie – das sage ich ganz nachdrücklich – auch bei der Schaffung eines Zentrums für Safe Sport, eines Zentrums, das vor allem zum Ziel hat, sexualisierte Gewalt im Sport zu bekämpfen, eines Zentrums, das Athletinnen und Athleten davor schützen soll, dass sie psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt werden. Dass dafür gerade mal ein Haushaltsansatz von 300 000 Euro vorgesehen ist, ist vollkommen unzureichend. Das sage nicht nur ich; das sagt auch der Verein Athleten Deutschland e.V.
Also lautet mein klares Petitum, sehr geehrte Frau Bundesinnen- und ‑sportministerin, hier wirklich endlich die Hausaufgaben zu machen. Der Sport ist einer der wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche in unserem Land, und die bisherigen Aussagen und vor allem die bisherigen Haushaltsansätze tragen dem in keiner Weise Rechnung.
Herzlichen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundene millionenfache Vertreibung führen uns vor Augen: Wenn wir heute über den Schwerpunkt des Haushalts des Ministeriums des Innern und für Heimat sprechen, dann sprechen wir vor allem über Menschen und – das wurde schon gesagt – über einen neuen Stil an der Spitze des Hauses, der es darum geht, in der Flüchtlingspolitik zu gestalten und nicht zu spalten, meine Damen und Herren.
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Ministerin Faesers Kompass ist auf die Menschen ausgerichtet, nicht auf Zahlen. Sie spricht von Verantwortung. Begriffe wie „Sturm“ oder „Lawine“ kommen ihr im Zusammenhang mit Geflüchteten nicht über die Lippen. Meine Damen und Herren, diese Haltung ist es, die unsere Koalition in der Flüchtlingsfrage auszeichnet, und sie unterscheidet sich diametral von Ihnen von der Union, meine Damen und Herren. Mit dieser Haltung hat Frau Faeser in Brüssel dazu beigetragen, dass wenige Tage nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine erstmals seit über 20 Jahren die EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz von Vertriebenen aktiviert wurde.
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Frau Ministerin Faeser hat es treffend formuliert: Wir retten Menschenleben unabhängig vom Pass.
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Nach jahrelangen Streitigkeiten und offener Abschottung zeigte sich die Europäische Union in der Flüchtlingspolitik so geeint wie noch nie. Die Geschlossenheit und Solidarität, mit der die EU-Staaten sich jetzt bei der Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine präsentieren, ist ein wichtiges Signal. Dies muss eine Blaupause für die künftige europäische Flüchtlingspolitik sein, einer Politik, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Die Antwort auf die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg muss sich aber auch maßgeblich im Einzelplan 06 der neuen Ampelkoalition und vor allem in den Beratungen zum Ergänzungshaushalt abbilden; Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen.
Wir werden den aktuellen Herausforderungen mit einer Integrationsoffensive begegnen. Wir treten ein für gleiche Rechte von Anfang an, ohne Wenn und Aber und unabhängig vom Pass, meine Damen und Herren.
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Deshalb müssen jetzt auch die gesetzlichen Weichen gestellt werden – ich hatte das in meiner letzten Rede schon gesagt –, und, Frau Ministerin, die Mittel für die Integrations- und Sprachkurse müssen wir noch deutlich erhöhen.
Teilhabe findet auf vielen Ebenen statt; auch das wurde heute schon gesagt. Ich möchte hier insbesondere den Kommunen danken, die in Vorleistung treten, und all den Freiwilligen, insbesondere auch den ukrainischen Migrantinnen- und Migrantenorganisationen, die die Aufnahme der Geflüchteten mit großem Einsatz ermöglichen.
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Die Anerkennung dieses Engagements darf sich nicht auf Worte beschränken, sondern muss sich noch stärker im Haushalt widerspiegeln.
Frau Ministerin, ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands ist unser System der Migrationserstberatungsstellen. Auch hier reicht es nicht, die Arbeit der Wohlfahrtsverbände zu loben; man muss sie auch budgetär angemessen ausstatten.
Schließlich gilt es, die vielen Menschen nicht zu vergessen, die ins Asylverfahren gehen. Deshalb muss jetzt die flächendeckende, behördenunabhängige Asylverfahrensberatung kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was sich selbstverständlich auch im Haushalt abbilden muss.
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Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, am 7. April wird es ein Gipfeltreffen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler geben. Dort wird sich entscheiden, ob die Menschen und ihre Bedarfe im Mittelpunkt stehen oder ob sich diejenigen durchsetzen, die Menschen in Geflüchtete erster und zweiter Klasse einteilen und die Integration ausbremsen wollen. Zur Teilhabe von Anfang an gehört es, Geflüchtete aus der Ukraine über die Leistungen des SGB zu versorgen. Sie müssen krankenversichert und in den Arbeitsmarkt integriert werden. Teilhabe gelingt nicht durch das Abstellen ins Sondersystem der Asylbewerberleistungen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das wird auf dem kommenden Flüchtlingsgipfel die zentrale Frage sein, auch in Bezug auf die Kostenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen; denn bleiben die Menschen im diskriminierenden Sondersystem, tragen vor allem die Kommunen die finanziellen Lasten. Diese Frage erneut über Pauschalen regeln zu wollen, ist ein Griff in die Mottenkiste der CDU und CSU. – Sie hören aufmerksam zu, Herr Kollege. Sie wissen, was ich hier gerade sage.
Unsere Aufgabe ist es nun, dass dieser Haushalt sowie der Ergänzungshaushalt vom Geist unseres Koalitionsvertrages getragen werden. Wir wollen in der Migrations- und Integrationspolitik einen Neuanfang gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Ich freue mich auf die Beratungen, Frau Ministerin.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. – Nächster Redner ist der Kollege Jörn König, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Und vor allem: Liebe Sportler! Der Sporthaushalt wurde in der 19. Wahlperiode quasi verdoppelt. Nun ist Korrelation noch nicht zwingend eine Kausalität; aber in diesem speziellen Fall war entscheidend, dass die AfD zum ersten Mal im Deutschen Bundestag vertreten war.
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Die neue Bundesregierung hat den Sporthaushalt immerhin stabil gehalten bei jetzt 313 Millionen Euro ohne Coronahilfen.
Wir als ausgewiesene Sportfreunde von der AfD fordern aber einen Aufwuchs auf 360 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2022. Und konstruktiv, wie wir sind, haben wir die entsprechenden Haushaltsanträge schon vorbereitet. Langfristig fordern wir einen Sportetat von 1 Milliarde Euro, also in etwa der Größenordnung des Kulturetats. Für die hat der Bund nämlich auch keine originäre Zuständigkeit.
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Wir können uns das als Sportnation und – das höre ich immer wieder – als reiches Land ganz locker leisten.
Es gibt allerdings auch Warnsignale. Aus dem wichtigen Haushaltstitel „Zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports“ wurden 33 von 191 Millionen Euro im Jahre 2020 nicht verbraucht. Was war den Grund für diese 17 Prozent Minderverbrauch? Corona? Die Verschiebung von Olympia in Tokio? Vielleicht. Vielleicht gibt es aber nach Jahrzehnten der Vernachlässigung des Sports gar keine Sportler, Trainer und Strukturen mehr, die die erfreulichen Erhöhungen der letzten vier Jahre sinnvoll aufnehmen können.
Wir von der Alternative für Deutschland haben in der Vergangenheit immer wieder Vorschläge gemacht, um den gesellschaftlichen Stellenwert des Sports zu erhöhen.
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Wir haben uns mit Anträgen dafür eingesetzt, dass es für einen Olympiasieg 100 000 Euro gibt, dass die Trainervergütung sicherer und mit Inflationsausgleich ausgestattet wird und dass die Fördergrenze für Sportgroßveranstaltungen aufgehoben wird. Wir von der Alternative für Deutschland werden auch in Zukunft für den Sport genau so weitermachen.
Sport frei und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege König. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Philipp Hartewig, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Sportministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Bereich, der in den vergangenen Jahren besonders unter den pandemiebedingten Einschränkungen gelitten hat, ist der Sport, der Sport mit all seinen Facetten: von der Gesundheitsprävention über den klassischen Breitensport und die gesamte Fitnessbranche bis hin zum Leistungssport. Es ist daher unsere besondere Aufgabe und Verantwortung, den Sport zu schützen, zu unterstützen und zu entwickeln,
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beim Schutz vor Einschränkungen, mit Debattenimpulsen für die gesellschaftliche Bedeutung des Sports bis hin zum Fundament erfolgreicher Spitzensportpolitik – insbesondere für uns als Bund –, zu den Finanzen. Der Spitzensportetat im Einzelplan 06 – beim Breitensport sind wir eher in anderen Bereichen aktiv, Kollege Mayer, zum Beispiel im Baubereich, über den vor zwei Tagen gesprochen wurde – ist ein solches Fundament.
Der vorliegende Entwurf mit einem deutlichen Aufwuchs ist angesichts der schwierigen Haushaltslage ein starkes Signal. Es ist eine gute Stärkung des Spitzensports.
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Und Deutschland braucht wettbewerbsfähigen Spitzensport, genauso wie unsere Athletinnen und Athleten beste Trainings- und Wettkampfbedingungen benötigen. Der Entwurf beinhaltet die Unterstützung aller beteiligten Akteure, die ihren wertvollen Beitrag leisten.
Von der Verbandsförderung, unmittelbarer Athletenförderung, der Athletenvertretung durch Athleten Deutschland über den Kampf gegen Doping, die Förderung der Sportstätten für Hochleistungssport, die Förderung nationaler und internationaler Sportgroßveranstaltungen bis hin zum wichtigen und notwendigen Aufwuchs bei IAT und FES – erfolgreicher Spitzensport hat viele Bausteine. Im Zentrum stehen dabei aber natürlich die wichtigsten aller Akteure: die Athletinnen und Athleten, die mit größter Disziplin an der Verwirklichung von Lebensträumen arbeiten und dabei unsere besten Botschafterinnen und Botschafter in der Welt, aber auch Vorbilder für unsere Jugend sind.
An der Stelle aber auch Danke an alle Beteiligten: die großartigen Trainerinnen und Trainer, die Ehrenamtlichen in allen Bereichen und Eltern, die finanziell und mit hohem Zeitaufwand große Entbehrungen auf sich nehmen. Großer Dank aber auch an unsere Partner wie Sporthilfe, DOSB, DBS, Bundeswehr oder Bundespolizei; denn Karriere und Sport müssen immer zusammengedacht werden. Gute Sportpolitik ist immer Teamaufgabe.
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Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir stehen mit diesem Haushalt an der Seite des Spitzensports. Wir sind nicht nur die Koalition des Aufbruchs, sondern auch die Koalition des sportlichen Erfolgs. Wir haben hier eine gute Grundlage. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
Sport frei und vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hartewig. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Berghegger, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Innenministeriums mit seinen 19 nachgeordneten Behörden umfasst rund 15 Milliarden Euro und über 80 000 Stellen; ein breitgefächerter Strauß an Aufgaben. Ich würde sagen: ein Schlüsseletat für das Zusammenleben in unserem Land. Aber dieser Teilhaushalt ist nicht vollständig aussagekräftig; denn erst der Ergänzungshaushalt wird die Auswirkungen des Ukrainekrieges auf unsere Finanzen abbilden, so wie es der Finanzminister angekündigt hat. Deshalb hier keine Diskussion im Detail – das machen wir gerne im Haushaltsausschuss und in der zweiten und dritten Lesung –, sondern nur einige grundsätzliche Anmerkungen. Wichtig ist erst mal der Hinweis: Bitte legen Sie uns den Ergänzungshaushalt rechtzeitig vor, dass wir unsere Parlamentsrechte wahren und insbesondere unsere Oppositionsrechte ausreichend wahrnehmen können.
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Eine grundsätzliche Anmerkung. Seit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz vom 27. Februar diskutieren wir die Einrichtung des „Sondervermögens Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro. Aber aufgrund von Anmerkungen aus den Koalitionsfraktionen und der Rede des Bundeskanzlers gestern in der Generaldebatte möchte ich wenige klarstellende Anmerkungen machen, damit das nicht in die falsche Richtung läuft.
Erstens. Gestern hat der Bundeskanzler in der Debatte das 2‑Prozent-Ziel der NATO nicht mehr erwähnt. Wir in der Unionsfraktion gehen aber fest davon aus, dass wir ab diesem Jahr dauerhaft mindestens 2 Prozent des BIP in die Verteidigung investieren,
so wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung Ende Februar gesagt hat.
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Zweitens. Gestern hat der Bundeskanzler außerdem gesagt, dass das wichtigste Ziel des Sondervermögens sei, dass die längst überfälligen Investitionen in Verteidigung und Sicherheit nicht zulasten der dringend notwendigen Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gehen dürften. So weit, so gut. Als Unionsfraktion gehen wir fest davon aus, dass die 100 Milliarden Euro vollständig in die Ertüchtigung der Streitkräfte – das heißt, in die Verteidigung – fließen und nicht im Rahmen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs anderen Bereichen zur Verfügung gestellt werden, so wichtig sie auch sein mögen.
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Andere Aufgaben müsste die Koalition dann in den jeweiligen Etats finanzieren und darstellen.
Drittens. Ich sage es an dieser Stelle so deutlich, sehr geehrte Ministerin, weil ich die Diskussion auch bei diesem Etat in die richtige Richtung lenken will. Denn neben der richtigerweise deutlichen Stärkung der militärischen Verteidigung – wir haben es heute mehrfach gehört – muss die korrespondierende zivile Verteidigung – der Zivilschutz, der Bevölkerungsschutz – deutlich verstärkt werden. Das muss jedoch aus dem regulären Etat erwirtschaftet werden und darf nicht aus dem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro finanziert werden.
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Frau Ministerin, ich höre wohl, dass Sie sagen, es gebe eine Aufstockung, aber wenige – wie soll ich es formulieren? – Ergänzungen. Wenn Sie sagen: „Es gibt 100 neue Stellen für das BBK“, dann ist das schön und gut. Zur Vollständigkeit hätte dazugehört, zu sagen, dass damit die knapp 100 befristeten Stellen endlich entfristet werden können.
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Und wenn Sie sagen, dass das BBK im letzten und in diesem Jahr mit Konjunkturpaketmitteln arbeiten konnte, dann müssen wir die Frage stellen: Was ist ab dem nächsten Jahr? Denn diese Mittel stellen keine nachhaltige Finanzierung dar.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK, schützt und unterstützt Menschen in besonderen Notsituationen. Ehrlicherweise führte es – das haben wir auch gehört – in den letzten Jahren ein Schattendasein. Der „Spiegel“ titelte vor einigen Jahren mal: „Das vergessene Amt“. Das war ein Auslöser.
Sehr geehrte Frau Schäfer – Sebastian Hartmann hat es auch angesprochen –, ich finde, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen: Die Union hatte 16 Jahre lang das Innenministerium inne und ist für die Situation des BBK verantwortlich. – Einige Erklärungen dazu.
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Die Situation des Bevölkerungsschutzes verändert sich seit ungefähr 30 Jahren, immer in Absprache mit der Ministerpräsidentenkonferenz. Anfang der 90er-Jahre wurde das in Verantwortung des Bundes zurückgefahren. Mitte der 90er-Jahre fing man an, die Luftschutzkeller zurückzubauen. Ende der 90er-Jahre wurde die Vorgängerbehörde des BBK aufgelöst.
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Und ein gewisser Otto Schily – er war politisch mal so, mal so zuzuordnen – hat 2004 das BBK neu gegründet. Wir verlassen uns sehr auf 1,6 Millionen Ehrenamtliche in diesem Themenfeld. Deswegen kann man nicht so einfach sagen: Das war die Union; die ist für alles Schlechte verantwortlich. – Das Gegenteil ist der Fall: Fast alle Fraktionen aus diesem Parlament waren – über die Ministerpräsidentenkonferenz oder über die Regierungsverantwortung hier – mit diesem Thema befasst.
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Wir sehen doch gerade in der jüngsten Zeit, welche wichtigen Funktionen das BBK bei der Bewältigung der Coronapandemie, bei der Hochwassersituation und aktuell bei der Bewältigung der Folgen des Krieges in der Ukraine hat.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie waren, glaube ich – nach meinem Kenntnisstand –, mit dem Präsidenten des BBK in Tegel und haben sich dort das Labor 5 000 – vom DRK betrieben –, ein Projekt des BBK, angeschaut. Zurzeit melden sich tagtäglich viele Leute beim BBK und bitten um Rat und Unterstützung. Deswegen ist es nur klug und richtig, das von der alten Bundesregierung beschlossene Konzept zur Neuausrichtung des BBK, aus dem letzten Jahr, jetzt dringend umzusetzen, es mit Stellen und Mitteln zu unterlegen.
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Frau Ministerin, an dieser Stelle hätte ich mir ehrlicherweise gewünscht, dass das schon – als Antwort auf die Auswirkungen der Krisen, die wir haben: Corona, Hochwasser – in diesem Regierungsentwurf auftaucht. Das haben Sie leider nicht geschafft. Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Deswegen bitte ich: Da müssen wir deutlich nachlegen, spätestens mit dem Ergänzungshaushalt.
Ein zweites grundlegendes Thema: Die bewilligten Mittel müssen natürlich auch abfließen und dürfen nicht als Reste übertragen werden, und die Stellen, die wir vorsehen, müssen natürlich zügigst besetzt werden. Ich hatte vorhin gesagt: Dieser Etat allein weist über 80 000 Stellen aus, einen ganz großen Teil davon im Sicherheitsbereich. Egal ob man sich die absoluten oder die relativen Zahlen der unbesetzten Stellen ansieht, das ist eine ganze Menge. Das liegt sicherlich zum Teil daran, dass Stellen freigehalten werden für Auszubildende, die jetzt gerade vorbereitet werden und dann die Stellen übernehmen sollen. Aber nicht nur.
Wir haben aus gutem Grund die Sicherheitsüberprüfung eingeführt, in vielen sicherheitsrelevanten Bereichen. Aber wir müssen doch aufpassen, dass bei den Stellen, die diese Überprüfung durchführen, die Abläufe gestrafft werden, dass wir ausreichend Personal dorthin bekommen, dass die Wartezeiten nicht so lang sind; denn es kann nicht sein, dass uns gute, qualifizierte Leute, wenn das Monate dauert, in der Zwischenzeit abwandern und zu anderen Arbeitgebern gehen. Wir brauchen jede gute Frau und jeden guten Mann hier für diese Tätigkeiten.
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Ich kehre jetzt zum Anfang meiner Anmerkungen zurück. Frau Ministerin, alles andere ist zurzeit nebensächlich, widmen Sie sich bitte mit ganzer Kraft den Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine. Alles andere kann im Moment dahinter zurückstehen. Sorgen Sie bitte für eine gute, für eine schnelle, für eine professionelle Aufnahme der Flüchtlinge aus der Ukraine. Das kann nicht dauerhaft durch das Ehrenamt geleistet werden. Sorgen Sie für eine lückenlose Registrierung, für eine angemessene Verteilung und Unterbringung der Menschen in unserem ganzen Land. Berücksichtigen Sie dabei auch diejenigen, die über private Wege und Kontakte hierhingekommen sind; das ist doch ganz wichtig.
Zu guter Letzt – auch das wurde mehrfach erwähnt –: Lassen Sie die Kommunen nicht im Stich! Sorgen Sie für eine angemessene Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
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Schieben Sie das nicht auf eine Ministerpräsidentenkonferenz, die irgendwann Anfang April kommen wird.
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Lassen Sie das nicht einfach geschehen, übernehmen Sie eine aktive Rolle! Das erwartet, glaube ich, die Bevölkerung – und wir auch.
Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
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Vielen Dank, Herr Kollege Berghegger. – Ich finde es schön, wenn Sie dafür gelobt werden wollen, dass Sie die Zeit einhalten. Das ist eigentlich selbstverständlich; aber Sie sind heute einer der wenigen, die die Zeit eingehalten haben.
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Nächster Redner ist der Kollege Matthias Helferich, fraktionsloser Kollege.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Es soll nicht unkommentiert bleiben, dass eine Mehrheit hier der AfD und der Linken Vertreter im Parlamentarischen Kontrollgremium verwehren. Sie wollen hier die großen Demokraten sein; doch das Gremium, das den Verfassungsschutz und andere Geheimdienste kontrollieren soll, bekommt keine Vertreter der Oppositionsparteien auf der demokratisch-linken, auf der demokratisch-rechten Seite. Das zeigt: Sie sind Extremisten der Mitte,
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und Sie führen die Geheimdienste gegen die Oppositionsparteien in diesem Land ins Felde.
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Sie wollen 675 Millionen Euro in Integrationskurse stecken. Als Kommunalpolitiker aus Dortmund weiß ich, dass die Erfolge der Integrationskurse nach der Integrationskursverordnung gar nicht nachgehalten werden. Wir wissen nicht einmal, wer das Sprachlevel B1 erfolgreich abschließt.
Aber das haben Sie auch erkannt und diese Chance genutzt, um Ihrem Milieu wieder etwas Geld zuzupumpen. Die Regierung buttert 13 Millionen Euro in die – Zitat – „Erprobung einer sozialpädagogischen Begleitung von Teilnehmenden in Integrationskursen …“. Konkret wollen Sie also sozialpädagogische Massenzuwanderungsgewinnler dafür bezahlen, dass sie den Müßiggängern mit Migrationshintergrund noch das Händchen dabei halten, wenn diese Deutsch auf Grundschulniveau erlernen. Und das soll Ihre Fachkräftezuwanderung sein?
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Das Geld wäre besser in die Rückführung all jener Zuwanderer investiert, die sich lediglich in unsere Kriminalstatistik integriert haben und in Clans organisiert sind.
Sie haben groß angekündigt, Frau Faeser, dass Sie eine umfassende Rückführungsoffensive gegen Clans und kriminelle Ausländer starten wollen. Doch wie meine Anfrage an die Bundesregierung ergab, können Sie nicht beziffern, wie hoch die Abschiebung von Clanmitgliedern und kriminellen Ausländern ist – mein Name ist Ampel, ich weiß von nichts!
Ihre Massenzuwanderungspolitik ist ein Mastprogramm für Clanstrukturen in meinem Heimatland NRW. Das polizeiliche Lagebild des LKA zeigt dies ganz klar. Das libanesische Clan-Establishment hat jetzt schon Angst vor den syrischen und irakischen Clanstrukturen. Wenn Sie es mit der Sicherheit in unserem Lande wirklich ernst meinen, dann starten Sie Ihre Rückführungsoffensive! Ich werde Sie gerne dabei unterstützen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Helferich.
Bevor Herr Frei protestiert, muss ich die Aussage korrigieren, die Herr Helferich gemacht hat: dass es keine demokratische Oppositionsfraktion im Parlamentarischen Kontrollgremium gebe. Noch jedenfalls, Herr Frei, gehören Sie für mich zur demokratischen Gesamtheit des Parlaments.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir eben gehört haben, war nicht nur fraktions-, sondern auch würdelos.
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Sprach und ging; das ist ja kein parlamentarisches Verhalten.
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Aber kommen wir zu unserem Tagesordnungspunkt. Vor vier Jahren stand an diesem Pult bei der Debatte über den Haushalt des Bundesministeriums des Innern der damalige Bundesminister Horst Seehofer.
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Er hat in seiner Rede einen Masterplan Migration angekündigt, der zuerst zu einem Riesenstreit in seiner eigenen Fraktion, in seiner eigenen Partei und danach in der gesamten Regierung geführt hat.
Der Unterschied ist, dass wir heute eine Regierung haben, die vom ersten Tag an handelt, und zwar mit Geschlossenheit und Entschlossenheit.
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In dieser Rede hat der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer ebenso angekündigt, dass er nun reisen werde; er hat sich als Ziel ausgerechnet Österreich ausgesucht, ist zum damaligen Bundeskanzler Kurz gefahren – der uns glücklicherweise mittlerweile auch abhandengekommen ist –
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und von dort dann weiter nach Ungarn, hat also ausgerechnet denjenigen den Rücken gestärkt, die jahrelang für die Blockade einer europäischen, gemeinsamen Politik im Bereich von Migration und Asyl verantwortlich waren.
Der Unterschied ist, dass wir heute eine Innenministerin haben, die aus dem Stand zu diesem gemeinsamen europäischen Vorgehen beigetragen hat und einen einstimmigen Beschluss herbeigeführt hat, sodass wir heute unkompliziert und gemeinsam die Geflüchteten aufnehmen können; das ist der Unterschied. Das ist eine Glanzleistung von Ihnen, Frau Innenministerin.
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Als letztem Redner in dieser Debatte steht es mir zu, ein paar Dinge noch einmal geradezurücken, die in der Debatte so nicht stehen bleiben können. Das Erste ist der Schutz der Menschen, die zu uns kommen. Werte Kollegen von der Union, Sie schildern das so, als ob die Menschen – die Frauen, die Kinder – an den Bahnhöfen in diesem Land von Menschenhändlern in Empfang genommen würden und von Triebtätern abgeholt würden, die sie in ihre privaten Wohnungen locken wollen. Sie wissen ganz genau: Das ist ein Zerrbild, das Sie hier entwerfen.
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Die Wahrheit ist, dass wir eine Fülle von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen haben, die nach Kräften alles tun, dass die Menschen hier gut in Empfang genommen werden können.
Sie sollten aufhören, solche Zerrbilder zu entwerfen, zu versuchen, in diesem Land einen Generalverdacht zu erzeugen.
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Ich kann Ihnen versichern: Diese Regierung tut alles – mit der Bundespolizei, mit Informationskampagnen, mit Hilfetelefonen –, dass die Menschen hier den Schutz erhalten, den sie suchen, und dass sie die Sicherheit haben, die sie brauchen.
Ein zweiter Punkt ist die Registrierung, die Sie hier immer wieder ansprechen. Die Gefahr, die Sie hinter dem Busch wittern, kennen Sie selber ganz gut – ich weiß, was da bei Ihnen los ist –; denn es war Ihr eigener Innenminister – damals noch de Maizière –, der vor den Bundestag getreten ist und gesagt hat: Alle sind registriert. – Hinterher hat sich herausgestellt: Das war gar nicht so.
Heute haben wir eine völlig veränderte Situation: Die Menschen reisen visumfrei ein. Sie haben 90 Tage Aufenthaltsrecht. Sie werden am Ende, dort, wo sie ankommen, registriert. Es gibt kein Defizit in der Umsetzung, Kollege Mayer, sondern das ist Recht und Gesetz.
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Es ist der Rechtsstaat, den wir hier zur Anwendung bringen, und es hat seine gute Ordnung.
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Mehr noch: Die Bundespolizei kontrolliert jeden Zug und jeden Bus und kommt so zu der Zahl, die uns mittlerweile allen vorliegt, von etwa 230 000 Menschen, die mittlerweile im Land sind.
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Zu diesen werden noch diejenigen hinzukommen, die privat eingereist sind oder an den Grenzen direkt abgeholt werden. Der Rechtsstaat funktioniert also.
Das können wir auch dank unserer Sicherheitsbehörden leisten. Diese werden wir mit diesem Haushalt noch einmal mit einem Aufwuchs bei der Bundespolizei von fast 1 000 Stellen stärken. Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt unserer Verantwortung sehr deutlich gerecht werden.
Ich bitte Sie: Tun Sie alles, damit wir dieser Bewährungsprobe gemeinsam gerecht werden können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Castellucci. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Ukraine verteidigen gegenwärtig Landwirtinnen und Landwirte ihr Land und versuchen gleichzeitig, unter Einsatz ihres Lebens dennoch irgendwie die Felder zu bestellen. Wenn mein ukrainischer Amtskollege Roman Leshchenko neulich beim G‑7-Treffen, vor Sandsäcken sitzend, berichtet, dass er seinen Aufenthaltsort jeden Tag aus Sicherheitsgründen wechseln muss, führt einem dies vor Augen, worum es gerade eigentlich geht. Deshalb tun wir alles in unserer Macht Stehende – auch mein Haus tut das –, um den Menschen in der Ukraine in dieser schwierigen Zeit beizustehen.
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Lassen Sie mich das von hier aus sagen: Die Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung ist wirklich beeindruckend. Auch die Unternehmen, für die wir eine Koordinierungsstelle in meinem Ministerium eingerichtet haben, leisten wirklich Tolles in Sachen Lebensmittelhilfen. Über 3 000 Tonnen Hilfsgüter haben wir bislang über die Grenze in die Ukraine gebracht. Deshalb möchte ich mich an der Stelle – ich nehme an, im Namen von allen – sehr bedanken für den unermüdlichen Einsatz der vielen Engagierten, der Unternehmen, aber auch meines eigenen Hauses.
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Aber machen wir uns nichts vor: Die Auswirkungen des Krieges gehen weit über die Ukraine hinaus. Fast 50 Länder beziehen laut UN-Welternährungsorganisation ihr Getreide aus der Ukraine oder aus Russland, um ihre Versorgung zu sichern. Deshalb haben wir im Rahmen der deutschen Präsidentschaft der G 7 sofort mit den Agrarministerinnen und Agrarministern gemeinsam ein Signal gesetzt, nämlich, dass es jetzt ganz entscheidend darauf ankommt, dass die Märkte offenbleiben und der globale Handel nicht zusammenbrechen darf; denn Marktunsicherheiten führen zu zusätzlichen Preissteigerungen. Das ist das Gegenteil dessen, was wir jetzt gerade brauchen.
Darum ist es jetzt elementar, dass wir auch das World Food Programme der Vereinten Nationen besser unterstützen. Die Welt kann sich auf Deutschland verlassen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass das World Food Programme entsprechend ausgestattet wird.
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Ich sage aber auch ganz klar: Es muss auch darum gehen, nachhaltige Landwirtschaft auf der einen und Ernährungssicherheit auf der anderen Seite in den Ländern vor Ort zu stärken. Das ist doch der Kern des Rechts auf Nahrung. Das unterstützen wir mit vielen internationalen Programmen.
Für unser Land, für die Bundesrepublik Deutschland, können wir sagen: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicher. Ich sage aber auch – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Wir können die Folgen des Krieges nicht ungeschehen machen. Wie sollten wir das machen, mit welchen Maßnahmen?
Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Bundesregierung jetzt über weitere Maßnahmen versucht, unsere Bevölkerung angesichts der rapide steigenden Preise zu entlasten. Ich möchte aber auch die Gelegenheit nutzen, die Bevölkerung zu bitten, uns zu helfen: beim Einkauf verantwortungsvoll und vernünftig vorzugehen, gerade in diesen Zeiten Solidarität zu zeigen. Auch das ist ein Beitrag in der jetzigen Zeit.
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Natürlich hat dieser Krieg auch Auswirkungen auf unser Land. Wir haben gemerkt: Wir sind verletzlich bei Krisen. Das spüren gerade in ganz besonderer Weise unsere Landwirtinnen und Landwirte: bei steigenden Kosten etwa für Mineraldünger oder für Energie, was uns große Sorgen bereitet. Deshalb haben wir ein erstes Maßnahmenpaket aktiv und vor allem schnell auf den Weg gebracht. Wir wollen für 2022 als Ausnahmeregelung den Aufwuchs auf ökologischen Vorrangflächen der Kategorien „Brache“ und „Zwischenfrüchte“ für Futtermittel freigeben.
Zudem werden wir über diesen Haushalt an Stellschrauben drehen, die uns auf dem Weg zu einer weniger krisenanfälligen Landwirtschaft voranbringen. Wir werden die bestehenden Programme zur Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in der Landwirtschaft ausbauen und gleichzeitig verbessern. Wir werden unsere Eiweißpflanzenstrategie finanziell aufstocken, um das Angebot an regional erzeugten Futtermitteln auszubauen. Nicht zuletzt wollen wir in digitale Innovationen investieren, damit Dünger effektiver eingesetzt werden kann und darüber unsere Landwirtinnen und Landwirte Kosten sparen.
Wir arbeiten zudem intensiv daran, bis zu 180 Millionen Euro für schnelle Krisenhilfe direkt auf die Höfe zu bringen. Wir wollen die dafür zugesagten 60 Millionen Euro aus der Brüsseler Krisenreserve mit nationalen Mitteln um weitere 120 Millionen Euro über den Ergänzungshaushalt aufstocken. Ich will an dieser Stelle sagen: Ich zähle da auch auf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Freundinnen und Freunde der Landwirtschaft im Parlament, damit unsere Bäuerinnen und Bauern in dieser Zeit gut durch die Krise kommen.
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Wir befinden uns in einer Lage der vielfachen Krisen. Deshalb müssen wir Ernährungssicherheit, Klimaschutz und den Erhalt der Biodiversität miteinander in Einklang bringen. Der Hunger in der Welt ist bereits heute dort am größten, wo die Klimakrise mit ungebremster Wucht zuschlägt.
Manche fordern nun, dass wir unter dem Eindruck des Krieges einfach die alten Rezepte aus dem Schrank hervorholen. Dabei übersehen sie, dass es genau diese Rezepte waren, die uns in die vielfachen Krisen und Abhängigkeiten manövriert haben. Darum wäre es genau falsch, diesen Weg zu nehmen.
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Wir erleben doch gerade auf schmerzhafte Art und Weise – wir haben eben über den Etat der Innenministerin diskutiert –: Auch Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik ist Sicherheitspolitik. Wenn wir unabhängig werden wollen von Putin, braucht es konsequente Schritte hin zu einer nachhaltigen und gegenüber Krisen robusteren Landwirtschaft. Wenn wir den Weg einer nachhaltigen Energieversorgung und Landwirtschaft schon vor zehn Jahren gegangen wären, dann wären wir heute weniger krisenanfällig.
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Ich habe einen Wunsch. Ich wünsche mir, dass, wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, es dann nicht heißt: Hätten wir uns 2022 auf den Weg gemacht in Richtung nachhaltige Energieversorgung und nachhaltige Landwirtschaft. – Deshalb: Machen wir es heute! – Damit wir in zehn Jahren Bilanz ziehen können und sagen können: Wir haben gelernt aus der Krise. Wir machen es besser.
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Deshalb müssen wir dringend aufhören, Krisen gegeneinander auszuspielen; denn das verschärft die Krisen nur. Der jüngste Weltklimabericht – ich rate wirklich allen: lesen Sie ihn durch! – spricht da eine sehr klare Sprache: Wenn wir unsere Böden, unser Wasser, die Artenvielfalt und das Klima nicht schützen, dann wird das noch wesentlich heftigere Krisen hervorrufen und die Versorgungssicherheit erst recht gefährden. Dürren, Überschwemmungen, das Artensterben sind heute schon für viele Menschen in der Welt Realität. Wir haben es im Ahrtal gesehen: Weit entfernt ist das von uns nicht. Wenn, wie jetzt, schon die ersten drei Wochen im März sehr trocken sind – die Landwirte und Landwirtinnen wissen, wovon ich rede –, dann steigt auch bei uns die Sorge vor schlechten Ernten und damit vor höheren Preisen. Auch in dieser Hinsicht ist Übernutzung nicht der richtige Weg. Die nachhaltige Nutzung von Natur und Umwelt ist auch wirtschaftlich der günstigere Weg.
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Meine Damen, meine Herren, damit Landwirtschaft eine Zukunft hat, braucht es vor allem Landwirtinnen und Landwirte. Kurz vor der Jahrtausendwende, 1999, gab es noch über 470 000 Betriebe. Bis heute ist die Zahl auf unter 265 000 gesunken. Hinter jedem einzelnen Hof stehen Familien, über Generationen hinweg geschaffene Werte, stehen Traditionen und steht vor allem auch eine Verankerung im ländlichen Raum. Diese Zahlen zeigen doch die bitteren Folgen einer Politik, die in der Vergangenheit immer nur eines gesagt hat: Wachse oder weiche! – Genau diese Geschichte von Wachsen oder Weichen, die dürfen wir und die werden wir jetzt nicht fortschreiben; denn wir brauchen die Bäuerinnen und Bauern für die Versorgung unseres Landes.
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In den letzten Tagen hat mir eine Seite vorgeworfen, ich würde einen ökologischen Sündenfall betreiben, weil wir Brachflächen für Futtermittel freigegeben haben.
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Die andere Seite wirft mir ideologische Sturheit vor, weil ich es wage, über Umwelt- und Klimaschutz zu reden. Ich ziehe es vor, auf die Zwischentöne zu hören und denjenigen, die miteinander vernünftig arbeiten wollen, eine Chance zu geben, ganz im Sinne der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Kommission.
Meine Damen, meine Herren, ich muss zum Schluss kommen. Darum bitte ich Sie: Unterstützen Sie uns! Wir haben eine erste Milliarde als Anschubfinanzierung in den Haushalt eingestellt. Jetzt wollen wir weitere Schritte gehen. Das Königsrecht des Parlaments darf gerne genutzt werden; Sie dürfen da gerne noch etwas drauflegen.
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Bei allen Meinungsverschiedenheiten im Detail haben wir nach wie vor die Chance auf eine Landwirtschaft, die ökonomisch, ökologisch und nachhaltig ist. Es liegt an uns allen, ob wir, wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, sagen können: Unsere Saat ist aufgegangen, unsere Landwirtschaft ist eine Branche für Zukunftsbauer.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Irgendjemand aus der Grünenfraktion hat gerade reingerufen, so andächtig habe man die Unionsfraktion noch nie erlebt. Das lag vielleicht an der Rede des Herrn Ministers, in der wenig Konkretes drin war, wenig zu dem, was gemacht werden muss, wenig zu den Vorhaben dieser Bundesregierung in der Landwirtschaftspolitik.
Ich will eingangs auch durchaus anerkennend sagen – Sie haben es angesprochen –: Was Ihr Ministerium zusammen mit der deutschen Ernährungswirtschaft mit Lebensmittellieferungen an Hilfe für die Ukraine leistet, verdient wirklich Anerkennung.
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Wir sind schon wieder mit einer Situation, mit einer großen Krise für unser Land konfrontiert, die der Koalitionsvertrag der Regierung nicht vorhergesehen hat, auch gar nicht vorhersehen konnte, nämlich mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Dadurch ist vieles anders. Das gilt eben auch für die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik.
Vor nicht einmal einem Vierteljahr haben wir erstmals in dieser Legislaturperiode in diesem Haus grundsätzlich über die Ausrichtung der deutschen Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik diskutiert. Ich habe damals in meiner Rede deutlich gemacht, dass auch unter einem Bundesminister Özdemir die Ernährungssicherung für alle mit möglichst fairen Preisen und die Einkommenssicherung unserer Landwirte im Zentrum der Agrarpolitik stehen sollte. Im Protokoll Ihrer damaligen Rede, lieber Cem Özdemir, sucht man den Begriff „Ernährungssicherung“ vergeblich. In den ersten 100 Tagen Ihrer Amtszeit – das ist gerade auch so ein bisschen angeklungen – haben Sie viel auf die Vorgängerregierung geschimpft. Es verging wirklich kaum ein Tag, an dem Sie nicht bei Twitter oder in Interviews auf die Vorgängerregierungen verwiesen haben
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und der Vorgängerregierung Versäumnisse vorgeworfen haben.
({2})
Das waren viele Jahre mit der SPD, auch vier Jahre mit der FDP in den 16 Jahren, in denen wir Verantwortung tragen durften.
Aber Sie haben immer wieder versäumt, darauf hinzuweisen, was sich alles getan hat in diesen vergangenen Jahren. Sie haben gerade kurz die Zukunftskommission Landwirtschaft angesprochen.
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Das gehört doch absolut zu den Erfolgen der gemeinsamen Politik, die wir mit der SPD gemacht haben.
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Allein der Prozess – das sagt Ihnen jeder der Beteiligten, egal ob Naturschutzverband, Landwirtschaftsverband, wer auch immer – war schon sehr hilfreich.
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Es sind konkrete Ergebnisse erarbeitet worden. Jetzt geht es natürlich um die Umsetzung. Da sind Sie in der Verantwortung.
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Für die Koalition, für den Minister muss das ein Erwachen in der Realität der Regierungsverantwortung sein, das sicherlich besonders schmerzhaft ist. Denn nun wird aufgrund der Dramatik der Situation in der Ukraine ganz offensichtlich, dass eine hinreichende Versorgung und gesunde Lebensmittel nicht durch Sonntagsreden entstehen, sondern etwas mit Produktion zu tun haben, mit finanziellen Rahmenbedingungen und mit dem Markt. Das muss wieder in das Zentrum, in den Mittelpunkt Ihrer Landwirtschaftspolitik gerückt werden.
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Wenn wir wollen, meine Damen und Herren, dass unsere Landwirte in der Lage bleiben, die Ernährung für Menschen zu sichern, dann brauchen sie Planungssicherheit, dann brauchen sie ökonomische Luft zum Atmen, und sie brauchen vor allem Wertschätzung. Das sollte in der aktuellen Situation doch allen klar sein.
Bevor jetzt aber – das ist gerade auch schon angeklungen – der übliche Rollback-Vorwurf kommt: Nein, wir wollen keinen Rollback in der Landwirtschaftspolitik. Wir stehen zu unseren Zielen beim Klima- und Umweltschutz, bei der Förderung der Biodiversität, beim Tierwohl und beim nachhaltigen Anbau. Zur Regierungsverantwortung gehört aber, sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen und das Beste daraus zu machen.
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Das heißt auch, dass Ziele beibehalten werden, aber, wenn es nötig ist, auch mal in einem anderen Tempo oder in einer anderen Reihenfolge.
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Dazu rufe ich Sie auf, Herr Minister. Haben Sie den Mut, nicht einfach so weiterzumachen, sondern die Politik klug an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen.
Ich will an dieser Stelle gar nichts sagen zu Ihrem Vorstoß, weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin.
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Wichtiger als solche Pressegeschichten ist doch: Wir alle wissen um die große Bedeutung der landwirtschaftlichen Produktion in der Ukraine und in Russland für die Menschen vor Ort, bei uns und auf der gesamten Erde. Deshalb gilt es jetzt, in einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland und Europa und die Nahrungsmittelversorgung nachhaltig krisenfest zu machen. Oder anders gesagt: Wir müssen auch bei uns in Europa, bei uns in Deutschland wieder mehr Nahrungsmittel produzieren.
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Auf keinen Fall aber sollten wir weniger produzieren. Und die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU geplante Flächenstilllegung von 4 Prozent der wertvollen Ackerfläche verbietet sich zum jetzigen Zeitpunkt, meine Damen und Herren.
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Herr Minister, die Landwirte brauchen Unterstützung beim Umbau der Tierhaltung. Sie müssen in Ihrem Haushalt dafür sorgen, dass dieser Umbau dauerhaft finanziell abgesichert wird. Sie haben gerade selbst angedeutet, dass die bisher vorgesehenen Mittel dafür nicht ausreichend sind. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie mit Ihrem Koalitionspartner FDP beim Thema Steuerfinanzierung nicht weiterkommen. Ich glaube auch nicht, dass eine Abgabe die Lösung sein wird. Also muss das Geld für den Umbau aus dem Haushalt kommen. Sie müssen sicherstellen, dass die nötigen Mittel im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden, Herr Minister.
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Was aktuell gar nicht geht, sind noch mehr Belastungen vonseiten des Staates. Die hohen Energiepreise sind dramatisch genug. Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen wir ein Belastungsmoratorium, ein Belastungsmoratorium für die bäuerlichen Familienbetriebe, für die Viehhalter, für die Winzer oder auch für unsere Fischer. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen: 80 Prozent des Umsatzes sind Energiekosten bei manchen dieser Fischereibetriebe. Ohne konkrete Hilfe wird es für diese Betriebe nicht möglich sein, die nächsten Wochen zu überleben.
Dieses Beispiel zeigt: Mehr denn je braucht die Land- und Ernährungswirtschaft einen Minister, der für ihre Interessen kämpft. Haben Sie Mut. Ihr Koalitionsvertrag ist angesichts der aktuellen Herausforderung ohnehin weitestgehend nur noch Makulatur. Tun Sie das Notwendige in der Bundesregierung und in Brüssel!
Drei Punkte will ich Ihnen noch mit auf den Weg geben.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Erstens. Die EU-Agrarpolitik muss die Ernährungssicherheit grundlegend stärker in den Blick nehmen. Zweitens. Der EU-Green-Deal und die Farm-to-Fork-Strategie müssen grundlegend neu bewertet und einer Folgenabschätzung unterzogen werden. Drittens. Es gilt, nachhaltige und ökologische Intensivierung mit modernen Technologien und Innovationen zu fokussieren.
Das ist meine Meinung, –
Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.
– das steht aber auch in einem aktuellen Papier Ihres Koalitionspartners FDP. Das sind kluge Worte, denen Sie folgen sollten, Herr Minister.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Bilger. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Esther Dilcher, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Haushaltsreden zum Einzelplan des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft haben wir ein Augenmerk auf die Belastungen der Landwirtschaft in der Coronazeit gelegt. Bei ganz vielen Maßnahmen darüber hinaus zu Fragen wie „Wem steht ein Kitaplatz zu?“ und „Wer hat vorrangig Zugang zu irgendwelchen Leistungen?“ haben wir die Landwirte ein bisschen aus den Augen verloren und deren Systemrelevanz noch nicht festgestellt. Ich denke aber, wir sind uns einig, dass auch diejenigen, die unsere Lebensmittel produzieren, nämlich unsere Landwirte mit ihren Familien, systemrelevant sind.
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Sie arbeiten nicht etwa im Homeoffice, sondern täglich – 24/7 – bei Wind und Wetter, Sommer wie Winter, auf den Feldern, in den Ställen, aber auch im Büro, weil in vielen Bereichen ausgedehnte Dokumentationspflichten bestehen.
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Diesen Arbeitseinsatz können wir gar nicht genug wertschätzen.
Viele Kinder kennen den Beruf des Landwirts oder der Landwirtin nur noch aus dem Bilderbuch. Bei ihnen reift dann manchmal der Berufswunsch: Ich werde Treckerfahrer.
Söhne und Töchter von Landwirten sind heute jedoch keineswegs mehr selbstverständlich bereit, die elterlichen Betriebe zu übernehmen. Sie wissen nämlich, mit welchen Sorgen und Nöten bzw. Herausforderungen ihre Eltern zu kämpfen haben: Afrikanische Schweinepest, Coronapandemie, Vogelgrippe, zu viel oder zu wenig Sonne, zu viel oder zu wenig Regen, Ausfall von Erntehelfern, Umsetzung von politischen Entscheidungen. – Oft genug müssen alle Familienmitglieder selbst mit anfassen, weil viel Arbeit zu leisten ist, aber die Betriebe nicht genug abwerfen, um Mitarbeitende anzustellen.
Die Landwirte in meinem Wahlkreis sind bereit, in Veränderungen zu investieren. Aber, so sagen sie mir – insbesondere wenn ich mit den Kreislandwirten rede –, sie wünschen sich dann auch die Sicherheit, dass ihre Darlehen noch abbezahlt werden können, bevor sie wieder weitere Maßnahmen auferlegt bekommen, bevor wir weitere Maßnahmen von ihnen fordern und sie dann vor der schwierigen Entscheidung stehen: Sollen wir jetzt nachfinanzieren, oder sollen wir gleich die Notbremse ziehen und den Betrieb aufgeben?
Unsere politischen Entscheidungen sollen unsere Landwirtschaft zukunftsfähig machen, und das bedeutet Veränderung. Aber wenn wir etwas einfordern, dann muss das auch entsprechend gefördert werden. Diese Gewissheit brauchen unsere Landwirte.
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Diese Familien lieben ihre Arbeit und wollen sie auch gerne fortsetzen. Wir haben es eben gehört: Das sind oft Generationenbetriebe. Dafür brauchen sie unsere Unterstützung, und dafür werden wir uns in der Fortschrittsampel auch einsetzen.
Der zweite Regierungsentwurf für den Haushaltsplan 2022 des Ministeriums sieht einen Gesamtetat in Höhe von 7,1 Milliarden Euro vor. Das sind rund 570 Millionen Euro weniger als 2021, aber das ist noch dem Auslaufen des zeitlich befristeten Konjunkturprogramms „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ geschuldet. Fast 4 Milliarden Euro davon – das heißt, über die Hälfte des Gesamtetats – sind Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik, also für die Alterssicherung der Landwirte, die landwirtschaftliche Krankenversicherung und Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wobei hier auch nicht unerwähnt bleiben soll, dass letztere Zuschüsse von 177 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro gekürzt wurden, mit der Begründung, das sei eine Anpassung an die Finanzplanung – und das aufgrund einer Entscheidung in der letzten Legislatur unter einer Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner.
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Das wird in den Haushaltsberatungen sicherlich noch zu Diskussionen führen.
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– Ich finde das auch unfassbar; das war noch in der alten Legislatur. Das werden wir sicherlich noch diskutieren müssen.
Zu den Aufgaben des Ressorts gehören auch der gesundheitliche Verbraucherschutz und Ernährung. Dafür sind Ausgaben in Höhe von 168 Millionen Euro vorgesehen, zum Beispiel für Zuschüsse an die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. Der größte Anteil aus diesem Kapitel in Höhe von 138 Millionen Euro steht für die Erstattung der Verwaltungskosten des Bundesinstituts für Risikobewertung zur Verfügung. Und was macht dieses Institut? Dieses Institut bewertet gesundheitliche Risiken für unsere Gesellschaft, ermittelt neue gesundheitliche Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher und transportiert dies entsprechend in die Öffentlichkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ob wir nicht schon genug Herausforderungen im Hinblick auf die Sicherstellung von gesunder Ernährung gehabt hätten, kommt jetzt noch der Krieg in der Ukraine dazu. Putins Einmarsch in die Ukraine bedroht die Nahrungsmittelversorgung nicht nur hier im Land, sondern von Millionen Menschen weltweit. Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Dank unserer Landwirte werden wir in Deutschland von Lieferengpässen beim Weizen in der Europäischen Union aber nicht betroffen sein. So äußerte sich bisher der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied.
Wir alle haben beim Einkaufen bestimmt schon selbst festgestellt, dass Sonnenblumenöl im Lebensmitteleinzelhandel knapp geworden ist. Deutschland deckt diesen Bedarf zu über 90 Prozent aus Importen. Die Ukraine ist dagegen bei Sonnenblumenöl Exportland Nummer 1 mit 51 Prozent, und Russland hat einen Anteil von 27 Prozent. Nicht nur in diesem Bereich müssen wir also mit Rohstoffverknappung rechnen. Wer hätte das vor dem 24. Februar 2022 gedacht!
Ich möchte unbedingt appellieren, dass wir jetzt nicht, wie zu Beginn der Coronapandemie, wieder völlig unsinnige Hamsterkäufe starten und statt Toilettenpapier jetzt Sonnenblumenöl horten. Das ist eine ganz eindringliche Bitte – auch nach draußen an alle, die das hören.
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Die ländlichen Räume, die Forstwirtschaft und die Fischerei schauen mit großem Interesse auf die Entwicklung des Haushalts des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Für diese stehen unter anderem die in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ veranschlagten Mittel – die sogenannten GAK-Mittel – zur Verfügung. Sie sind überwiegend zweckgebunden in Form von Sonderrahmenplänen. Der Bund stellt den Ländern hierfür Mittel bereit. Die Durchführung der Fördermaßnahmen obliegt dann den Ländern.
Einige Sonderrahmenpläne will ich nennen: Sonderrahmenplan für Maßnahmen des Insektenschutzes – dafür stehen 150 Millionen Euro im Haushalt –, Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“ mit 190 Millionen Euro und Sonderrahmenplan „Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels“ mit 25 Millionen Euro. Darüber hinaus stehen Mittel für Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls – 15 Millionen Euro – und für Maßnahmen zur Bewältigung der durch Extremwetterereignisse verursachten Folgen im Wald – 120 Millionen Euro – zur Verfügung. Denn auch in diesen Bereichen stehen wir vor großen Herausforderungen. Der Haushalt heißt zwar „Ernährung und Landwirtschaft“, aber wir dürfen unsere Forstwirte hier nicht vergessen.
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Ich bin sehr gespannt, wie wir hier in der Ampel zukünftig mit dem Wald umgehen. Es gibt einige, die meinen, man solle den Wald in Ruhe lassen, damit er sich erholt. Seit Jahrhunderten werden aber auch unsere Wälder, genau wie Ackerland, bewirtschaftet. Daran darf sich meiner Auffassung nach und auch nach Auffassung meiner Fraktion nichts ändern.
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Nur eine sinnvolle Bewirtschaftung wird uns die Möglichkeit geben, unseren Wald fit für die Zukunft zu machen und ihn zu nutzen, um einen wichtigen Beitrag für mehr Klima- und Umweltschutz, zum Erhalt der biologischen Vielfalt und zur Instandhaltung natürlicher Ökosysteme zu leisten, aber zum Beispiel auch für die Produktion von Bauholz.
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Auch dafür lohnt es sich, dass in diesem Haushaltsentwurf 200 Millionen Euro zusätzlich für die Honorierung der Ökosystemleistungen des Waldes eingestellt sind.
Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen und sicherlich sehr, sehr spannende Diskussionen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Kollegin Esther Dilcher. – Es folgt nun für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Peter Felser.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kollegen! Liebe Landwirte draußen in den Betrieben! Wie oft wurde in dieser Woche das Wort „Zeitenwende“ bemüht? Russische Panzer haben zu einer 180‑Grad-Wende in der Verteidigungspolitik geführt. Schauen wir mal rein in den Einzelplan 10, ob dort eine Wende zu erkennen ist!
Eine kleine Miniwende haben wir bei der Digitalisierung. Erstmals bekommen wir ein Budget für die künstliche Intelligenz; das begrüßen wir. Das ist richtig, das ist zukunftsweisend, wenngleich es nur ein bescheidender Anfang ist, wenn man die Ausgaben für KI mal mit denen von China und den USA vergleicht. Aber immerhin!
Wir begrüßen auch, dass Sie in den Bereich „Ausgewogene Ernährung“ investieren, in Bildung und Aufklärung. Das ist in Zeiten von Adipositas und von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gut. Da ist das Geld gut und richtig investiert.
Jetzt aber zu dem, was an diesem Haushalt, Einzelplan 10, vor allem auffällt. In welchem Bunker, in welcher Blase, in welchem Elfenbeinturm, Herr Minister, haben Sie das hier eigentlich zusammengeschrieben? Das ist ja null Komma null an die aktuelle Lage angepasst. Wo finden sich in diesem Plan bitte die Auswirkungen der Coronakrise, wo die derzeitige schwere Inflation, wo die Düngerkrise? Wo finden sich die Maßnahmen hinsichtlich der Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine? Davon findet sich fast gar nichts in Ihrem Entwurf. Sie ignorieren all diese Krisen und arbeiten einfach weiter nach ideologischer Tagesordnung, so als ob nichts passiert wäre. Das ist grundlegend falsch, und das lehnen wir ab.
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Sie haben es gerade selber gesagt: Die Landwirtschaft steht mit dem Rücken an der Wand. „Wachsen oder Weichen“ – diese Parole hat uns sehr viel Schaden zugefügt. Jedes Jahr schließen Tausende Höfe in Deutschland, und die bäuerlichen Familien verlieren ihre Existenz. Mit den explodierenden Energiekosten, Betriebsmittelkosten und Düngerkosten wird das Höfesterben weitergehen. Mit diesem Haushalt werden am Ende des Jahres wieder Tausende Höfe ihre Hoftore für immer schließen müssen. Das lehnen wir ab. Beenden Sie endlich das Höfesterben!
Aber, liebe Kollegen, es geht und ginge ja definitiv anders. Frankreich hat kurzfristig ein Hilfspaket über 460 Millionen Euro aufgestellt. Damit werden die finanziellen Folgen des Ukrainekriegs für die französischen Landwirte abgemildert. Das sind rein steuerliche Erleichterungen. So geht Hilfe für die Landwirtschaft. Österreich, Dänemark und Polen handeln ähnlich. Und sogar die EU-Kommission plant jetzt noch ein zusätzliches Unterstützungspaket von 500 Millionen Euro und die Freigabe der Krisenreserve; Sie haben es gerade gesagt, Herr Minister. Warum machen Sie in Deutschland nicht von der Möglichkeit Gebrauch, den Landwirten national zu helfen?
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Uns verwundert, dass die Bundesregierung nur so spärliche Entlastungen für die heimische Landwirtschaft vorgesehen hat. Umfangreichere Entlastungen wären aber dringend erforderlich. Es kommt ja noch dazu, dass Sie die Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung jetzt um 77 Millionen Euro gekürzt haben. Wo soll das hinführen?
Aber noch mal zur aktuellen Lage. Wir haben Krieg in Europa, Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft. Und da halten Sie es nicht für geboten, Herr Minister, die nationalen Getreidereserven für Krisenzeiten aufzustocken? Jahrelang wurde hier gespart. Große Teile der Bestände sind überlagert und liegen schon länger als zehn Jahre; sie sind gar nicht mehr nutzbar. So ein Zustand ist nicht hinnehmbar. Das, liebe Kollegen, ist das Gegenteil von Krisenvorsorge.
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Krisenvorsorge hieße jetzt aber auch, dass wir auf allen landwirtschaftlichen Flächen Lebensmittel anbauen dürften. Setzen Sie bitte jetzt, in dieser Situation, die ohnehin falschen Vorgaben aus! Ja, richtig: Die ökologischen Vorrangflächen müssen jetzt bewirtschaftet werden, aber nicht nur dieses Jahr, sondern bitte auch in den nächsten Jahren. Die Instrumente dazu gibt uns Brüssel ja auch an die Hand, und die anderen Länder machen das genauso.
Unsere Landwirte dürfen hier nicht weiter eingeschränkt werden. Sie sprechen von der 4-Prozent-Zwangsbrache. Die ist nächstes Jahr ausgesetzt; sie muss aber für immer verhindert werden. Denn wenn das kommt – das sage ich Ihnen –, können Sie diesen Irrsinn keinem mehr erklären. 4 Prozent Zwangsbrache: Das entspricht 4,2 Millionen Hektar in der Europäischen Union. Und diese aus ideologischen Gründen einfach stillzulegen, wäre der absolute Wahnsinn. Das könnten Sie keinem mehr erklären.
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Nur zum Vergleich: Auf diesen Flächen könnten über 25 Millionen Tonnen Weizen angebaut werden. Marokko, Ägypten, Tunesien, Algerien, Äthiopien: Diese Länder benötigen zusammen knapp 28 Tonnen Weizen pro Jahr. Da sehen Sie, wohin das führt.
Liebe Kollegen, in Afrika verhungern Menschen; bei uns steigen die Preise in den Himmel. In dieser Lage weiter an Ihrer Ideologie festzuhalten, wäre völlig unverantwortlich. Am Montag haben die ersten Bauern bereits angekündigt: Sie werden diesen Irrsinn durchbrechen, sie werden für die hungernden Menschen Weizen anbauen – und dann eben illegal anbauen. Das haben die Landwirte angekündigt. So weit sind wir schon.
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Kommen Sie endlich in der Wirklichkeit an! Kanzler Scholz vollzieht seine 180-Grad-Wende in der Verteidigungspolitik; im Wirtschaftsministerium darf man wieder etwas lauter über Laufzeitverlängerungen für die Kernkraft nachdenken. Leiten Sie jetzt bitte im Ministerium eine Agrarwende ein – eine Agrarwende, die unsere Bauern schützt und die sicherstellt, dass für unsere Bürger jederzeit gute und gesunde Lebensmittel zur Verfügung stehen. Das wäre und das ist das Gebot der Stunde.
Vielen Dank.
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Es folgt der Kollege Frank Schäffler für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es wird dieser Tage viel von einer Zeitenwende gesprochen, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber ich glaube, auch in der Landwirtschaftspolitik stehen wir vor einer Zeitenwende.
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Das Umdenken ist erforderlich, weil wir den Fokus stärker auch bei der Ernährungssicherheit als wichtigem Standortfaktor für Deutschland und für Europa sehen müssen.
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Ich glaube, dass man das am besten dadurch erreicht, dass man die Landwirte, die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland, als Unternehmer respektiert und die Voraussetzungen dafür schafft, dass sie mit ihrer Hände Arbeit auch tatsächlich wirtschaftlich erfolgreich sein können.
Dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen. Wir wollen eben nicht mit der Gießkanne, wie es die Vorgängerregierung mit der Bauernmilliarde gemacht hat, einfach Geld unter die Menschen streuen, sondern es müssen die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, damit die Landwirte auch tatsächlich eine Zukunft haben.
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Derzeit sind die Landwirte vor ganz schwierige Voraussetzungen gestellt. Die Vorgängerregierung hat durch gesetzliche Rahmenbedingungen immer wieder Unsicherheit geschaffen; es gab keine Planungssicherheit für die Landwirte. Darunter haben sehr viele Betriebe gelitten. Jetzt
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sind die Schweinepreise und die Weizenpreise zwar wieder angestiegen; aber gleichzeitig stellen wir fest, dass die Preise für Dünger, Diesel und Erdgas noch stärker ansteigen und deshalb die Landwirte in ihrer Situation nicht wirklich bessere Voraussetzungen haben.
Darauf hat die Koalition heute reagiert. Wir haben heute verkündet, dass wir die Energiesteuer auf europäisches Mindestmaß reduzieren wollen. Das hat Auswirkungen auf den Dieselpreis, das hat auch Auswirkungen auf den Ölpreis. Das heißt, das sind ernste und konkrete Maßnahmen, von denen wir glauben, dass wir mit ihnen auch den Landwirten in ihrer Situation durchaus helfen können.
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Auch die Energiepauschale von 300 Euro hilft den Landwirten. Auch der Familienzuschuss für die Kinder hilft den landwirtschaftlichen Familien.
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Ich glaube also, da haben wir heute etwas vorgelegt, das man durchaus vorzeigen kann.
Im Einzelplan 10 haben wir die Mittel für die Eiweißpflanzenproduktionsstrategie auf 5,6 Millionen Euro erhöht. Die Mittel für die Digitalisierung in der Landwirtschaft werden auf 51,4 Millionen Euro erhöht. Und wir haben die Förderung des präventiven Hochwasserschutzes auf 100 Millionen Euro erhöht.
Aber: Umweltschutz muss mit Augenmaß stattfinden. Er darf den Landwirten nicht die wirtschaftliche Grundlage entziehen. Hier ist es notwendig, finde ich, dass die geplante 4‑prozentige Flächenreduktion durch die GAP-Reform, die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, in dieser schwierigen Situation noch mal überprüft wird.
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Für Deutschland würde das bedeuten, dass 700 000 Hektar künftig nicht mehr bewirtschaftet werden. Rechnerisch könnten dort 4 Millionen Tonnen Weizen produziert werden.
Der Verein „Land schafft Verbindung“ hat jetzt in meiner Heimatregion Petershagen im Kreis Minden-Lübbecke dazu eine bemerkenswerte Aktion gestartet, wo er auf einem Feld entsprechend diese 4 Prozent als Verzweiflungsakt eingezeichnet hat, um deutlich zu machen, dass die Bäuerinnen und Bauern Lebensmittel produzieren, die – auch weltweit – gebraucht werden, um die Ernährungssicherheit der Menschheit zu sichern.
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Wir müssen insgesamt Landwirte als Unternehmer verstehen und entsprechend Eingriffe ins Eigentum der Landwirte vermeiden. Wenn wir das tun, dann muss der Staat auch dafür geradestehen und finanzielle Mittel bereitstellen.
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Wenn jetzt die EU den Krisenreservefonds, wie es der Minister vorhin auch gesagt hat, entsprechend aktiviert, dann muss auch klar sein, dass man historische Fehler nicht noch einmal macht. Ich glaube, wenn der Staat Lagerkosten für Schweinefleisch und für andere Produkte letztendlich finanziert, dann ist das der falsche Weg.
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Diese Produkte müssen auf den Markt; sonst erleben wir wie im letzten Jahrhundert Milchseen und Butterberge.
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Ich glaube, das wäre der falsche Weg. Dann muss man am Ende wieder langwierig darauf setzen, die Marktmechanismen in Gang zu setzen. Das wäre aus meiner Sicht der völlig falsche Weg.
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Was unsere Landwirte jetzt brauchen, sind Verlässlichkeit, Wertschätzung und vor allem ein Moratorium an Vorschriften. Daran wollen wir als FDP und in der Koalition arbeiten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält das Wort Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Weizenpreis geht durch die Decke. Kostete eine Tonne Weizen Anfang Februar 264 Euro, sind es in dieser Woche bereits 376 Euro. Hungersnöte bedrohen Millionen von Menschen. Und was tut die Bundesregierung effektiv gegen diese Not, Herr Minister? Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.
({0})
Sie wollen sich im Rahmen der deutschen G‑7-Präsidentschaft dafür einsetzen, dass die Märkte offenbleiben und der globale Handel funktioniert. Doch wie wollen Sie das machen? Wo ist im Bundeshaushalt das Geld eingestellt, um die Weizenpreise zu drücken? Wir haben es nicht gefunden, meine Damen und Herren.
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Marktgläubigkeit hilft nicht weiter. Der Amazon-Kapitalismus – heute bestellt und morgen geliefert – ist nicht nur hochriskant, sondern lebensgefährlich, und Vorsorge darf für diese Bundesregierung kein Fremdwort sein.
Da bin ich schon bei den ökologischen Vorrangflächen; vorhin wurden Brachen genannt. Ich fand es wichtig und richtig, dass diese Flächen gesichert wurden, und nun wollen Sie einen Teil dieser Flächen für die Futterproduktion freigeben. Ich frage Sie: Wäre es nicht viel sinnvoller, ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen Ackerland in das Grundgesetz zu schreiben? Das wäre gut für unsere Ernährungssicherheit.
({2})
In den vergangenen 15 Jahren haben sich die Preise für Ackerland verdreifacht. Gerade in Ostdeutschland haben Investoren – Franz Müntefering von der SPD nannte sie einst Heuschrecken – vielen Bäuerinnen und Bauern das Arbeiten unmöglich gemacht.
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Statt ökologische Flächen zu bewirtschaften, sollten sie Ackerland kaufen und preiswert verpachten.
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Das würde den Bäuerinnen und Bauern helfen und die Ernährung langfristig sichern.
Wir brauchen einen Preisdeckel für Ackerland. Besser wäre es noch, wenn Grund und Boden Gemeineigentum wären. Das wäre wirklich nachhaltig, meine Damen und Herren.
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Für wen, meine Damen und Herren, ist die Lebensmittelversorgung in unserem Land wirklich gesichert? Der Hartz-IV-Satz hat schon vor der Krise nicht zum Leben gereicht. Mit steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel wird es für viele Menschen eng und bedrohlich. Sie müssen für einen Inflationsausgleich sorgen und sofort den Hartz-IV-Satz und die Minirenten anheben. Das wäre der richtige Weg.
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Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher: Ein Sondervermögen Ackerland würde uns langfristig mehr Sicherheit bringen als ein Sondervermögen Rheinmetall – ja, Rheinmetall –; denn es geht nicht um die Bundeswehr, sondern um die Aktienkurse von Rheinmetall. Nur kann man Aktien leider nicht essen.
Vielen Dank.
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Es folgt der Abgeordnete Dr. Sebastian Schäfer für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen diese Debatte hier, während Menschen in der Ukraine aufgrund des Krieges hungern und keinen Zugang zu frischem Trinkwasser haben. Es geht für diese Menschen um existenzielle Fragen. Das dürfen wir bei allen innenpolitischen Debatten nicht vergessen.
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Ich bin Cem Özdemir sehr dankbar, dass er schnell reagiert und eine Koordinierungsstelle für Lebensmittelhilfen eingerichtet hat, worüber bereits mehr als 3 000 Tonnen an Lebensmittelhilfen in die Ukraine geliefert wurden.
Aber die Auswirkungen des Krieges beschränken sich nicht nur auf die Ukraine. Russland und die Ukraine werden möglicherweise längerfristig als Getreideexporteure ausfallen. Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, rechnet infolge des Ukrainekrieges mit einem 20‑prozentigen Anstieg der weltweiten Lebensmittel- und Futterpreise. Das hätte dramatische Folgen gerade für die Länder des Globalen Südens, insbesondere in Ostafrika, die von russischen und ukrainischen Getreideimporten besonders abhängig sind. Daher ist es richtig, dass der Landwirtschaftsminister angekündigt hat, sich gemeinsam mit der Außenministerin dafür einzusetzen, das World Food Programme besser auszustatten, um so einer globalen Ernährungskrise entgegenzuwirken.
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Unsere Lebensmittelversorgung in Deutschland ist gesichert. Es gibt keinen Grund für Hamsterkäufe. Dennoch spüren unsere Landwirtinnen und Landwirte, deren Lage schon vorher alles andere als einfach war, die Auswirkungen dieses schrecklichen Krieges. Die Preise für Diesel, aber ganz besonders auch für Dünger sind nach oben geschnellt.
Und dennoch: Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, Krisen gegeneinander auszuspielen. Die Klimakrise ist und bleibt eine Menschheitsaufgabe.
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Deshalb stellen wir mit diesem Haushalt die Weichen für eine klimaschonendere Landwirtschaft und eine tierwohlorientierte Nutztierhaltung. Das bedeutet weniger Tiere in den Ställen, und das ist auch richtig so. Der übermäßige Konsum von tierischen Erzeugnissen ist ein Problem für die Gesundheit, für die Umwelt und für die Lebensmittelsicherheit.
Ab 2023 stellen wir 1 Milliarde Euro als Anschubfinanzierung zur Verfügung, um den klimafreundlichen und tiergerechten Umbau der Tierhaltung entscheidend voranzubringen, und wir ermöglichen mit der Kennzeichnung der Haltungsbedingungen mehr Marktwirtschaft.
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Auch hier müssen wir eine jahrelange Blockade der Union auflösen. Die Bürgerinnen und Bürger können dann mit einer informierten Kaufentscheidung die Zukunft unserer Landwirtschaft mitgestalten.
Das ist eine gewaltige Herausforderung, vor der wir bei der Landwirtschaft und bei der Ernährung der Welt stehen. Wir werden das nur gemeinsam schaffen.
Herzlichen Dank.
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Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Christina Stumpp.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es bereits gesagt, doch ich möchte noch einmal darauf hinweisen, weil man es gar nicht häufig genug sagen kann: Sie stocken im Haushalt das Personalbudget um 20 Prozent auf, und die Land- und Forstwirtschaft hat die Abstriche zu verkraften.
({0})
Ich möchte deshalb gerne aufzeigen, wo das Geld in Ihrem Ressort nötiger gebraucht wird als im Aufbau eines Beamtenapparats.
Der deutsche Wald ist die grüne Lunge und wichtiger Klimaschützer unseres Landes. Er bindet rund 14 Prozent des jährlichen CO2-Ausstoßes. Außerdem ist er ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und sichert viele Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen. Seine Bedeutung, aber auch seine Gefährdung nimmt durch den Klimawandel ständig zu. Deshalb müssen wir den Wald der Zukunft jetzt gemeinsam gestalten.
Um die Wälder klimaresistenter aufzuforsten, sind im vorliegenden Haushalt für den Zeitraum 2022 bis 2026 nun 900 Millionen Euro vorgesehen. Das sind 180 Millionen Euro pro Jahr. Zwar ist eine grundsätzliche Unterstützung für den Umbau unserer Wälder begrüßenswert, aber dazu wird das Geld bei Weitem nicht reichen. Das Thünen-Institut geht davon aus, dass dafür in den kommenden 30 Jahren insgesamt 14 Milliarden Euro notwendig sein werden, eher sogar 43 Milliarden Euro, weil Dürre, Stürme und Borkenkäferplagen von Jahr zu Jahr zunehmen werden.
({1})
Bricht man den Betrag auf die Jahre herunter, bedeutet das, dass wir für den Waldumbau zwischen 466 Millionen und 1,4 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagen müssen. 180 Millionen Euro sind da viel zu knapp bemessen und somit ein Tropfen auf den heißen Stein.
({2})
Die Frage, wie die Honorierung von Ökosystemleistungen für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung pragmatisch erfolgen soll, ist noch offen. Aber eines ist gewiss: Auch dafür werden wir öffentliche Gelder bereitstellen müssen; das hat selbst die EU mit ihrer Waldstrategie 2030 festgehalten.
Aber wir brauchen nicht nur Gelder für den Waldumbau, sondern auch für den Bereich der Tierhaltung. Wenn wir den gesellschaftlichen Forderungen, mehr für das Tierwohl zu tun, nachkommen wollen, werden dafür finanzielle Fördermittel notwendig sein; denn ohne zusätzliche Gelder kann auch dieser Umbau nicht gelingen.
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Die Bundesregierung will eine verbesserte Tierhaltung erreichen, indem sie sich für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung und eine EU-weit einheitliche Regelung einsetzt.
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Die EU will diese Option für weitere bestimmte Lebensmittel prüfen und gegebenenfalls bis zum vierten Quartal 2022 einen Vorschlag vorlegen. Aber vom Warten werden keine Ställe umgebaut, und es wird auch nicht mehr Tierwohl erzeugt.
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Frankreich hat es im Rahmen eines Modellprojektes vorgemacht: Ab dem 1. März dieses Jahres müssen dort Restaurants und Kantinen die Herkunft des angebotenen Schweine-, Geflügel- und Lammfleischs angeben. Wir brauchen in Deutschland deshalb eine Kombination aus Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung wie die 5‑D-Kennzeichnung, die garantiert, dass das jeweilige Tier in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet wurde, und zwar so schnell wie möglich.
({6})
Das gibt unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern die notwendige Gewissheit und sichert das Tierwohl. Unsere Landwirtinnen und Landwirte brauchen dafür Rechtssicherheit beim Baurecht und beim Immissionsschutz, aber sie brauchen auch Fördergelder; denn mehr Tierwohl wird sich nicht nur durch den Ladenpreis finanzieren lassen.
({7})
Die Borchert-Kommission hat hierzu Vorschläge für die Finanzierung gemacht, beispielsweise über eine höhere Mehrwertsteuer für alle Fleischprodukte. Die Konzepte liegen auf dem Tisch. Setzen Sie sie bitte um!
({8})
Nicht nur die Borchert-Kommission hat bereits hervorragende Arbeit geleistet; auch die Zukunftskommission Landwirtschaft, kurz: ZKL, hat ausgezeichnete Vorschläge ausgearbeitet, damit unsere heimische Landwirtschaft auch weiterhin ein starker und wertvoller Bestandteil in unserem Land bleiben kann. Dafür, so die ZKL, brauche es Wertschätzung, Wertschöpfung, die Steigerung des Klima- und Umweltschutzes und der Biodiversität sowie wirtschaftliche Tragfähigkeit und Planungssicherheit für die Landwirtschaft, insbesondere für unsere Junglandwirtinnen und Junglandwirte.
({9})
Die Empfehlungen dafür wurden im Spannungsfeld von Agrar-, Umwelt- und Gesellschaftspolitik gemeinsam errungen. Deshalb sollten die Kompromisse der ZKL unbedingt in die Arbeit der Regierung mit einbezogen werden.
({10})
Der Wandel unserer Landwirtschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ökologisches Handeln muss in ökonomischen Erfolg umgesetzt und finanziell angemessen unterstützt werden. Die ZKL hat gezeigt, wie sinnvoll runde Tische sind.
Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte zum Abschluss noch einen Appell an Sie richten: Berufen Sie jetzt einen Lebensmittelgipfel ein!
({11})
Die Auswirkungen des schrecklichen Krieges in der Ukraine zeigen uns, wie fragil der Markt auch hier in Deutschland ist. Sie zeigen uns, dass alle voneinander abhängig sind und wir gerade in solch einer schwierigen Situation wie dieser oftmals zu wenig Verständnis für die Nöte der anderen haben. Deshalb brauchen wir jetzt unter Einbeziehung der Politik einen runden Tisch –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– mit den Vertretern der gesamten Wertschöpfungskette: vom Acker über die Ladentheke bis hin zum Verbraucher.
({0})
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Denn wie sagte der Agrarwissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Norman Borlaug: „Mit leeren Mägen und menschlichem Elend kann man keine friedliche Welt aufbauen.“
Danke.
({0})
Ein Zitat von einem Nobelpreisträger geht noch; aber achten Sie bitte ein wenig auf Ihre Redezeiten. – Als nächste Rednerin erhält das Wort für die SPD-Fraktion Peggy Schierenbeck.
({0})
Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrter Minister Cem Özdemir! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In dem Spruch „Der Mensch ist, was er isst“ liegt sehr viel Wahrheit, und deswegen brauchen wir eine Ernährungsstrategie. Kaum ein Politikbereich betrifft die Menschen in unserem Land so unmittelbar wie die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik; das merken wir gerade in diesen Tagen. Wir alle wollen gesundes Essen auf dem Tisch haben; doch in der Praxis ist das oft gar nicht so einfach. Dass wir etwas ändern müssen, darin sind wir uns alle einig. Es liegt also nicht an der Zielsetzung.
Wir wollen eine gesunde Ernährung zu angemessenen Preisen, Transparenz für den Verbraucher, Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei der Herstellung unserer Lebensmittel, eine artgerechte Tierhaltung und eine angemessene Entlohnung unserer Landwirte. Bisher ist es aber leider so: Die einfachste und billigste Wahl beim Essen und beim Einkauf ist oft die ungesunde: billig für die Hersteller, aber teuer für unsere Gesundheit und unsere Umwelt.
({0})
Die Folge: Krankheiten, die durch eine unausgewogene Ernährung begünstigt werden, nehmen in Deutschland stark zu. Es gibt einen deutlichen Trend zu Übergewicht und Adipositas und dadurch zu Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Ein großes Problem ist der viel zu hohe Konsum von verstecktem Zucker; in Deutschland liegt dieser deutlich über der Empfehlung der WHO.
Die Ampel steht für eine neue Ernährungspolitik, die auf Gesundheit und Nachhaltigkeit setzt und Verbraucherinnen und Verbraucher viel stärker als bisher unterstützt.
({1})
Wir planen daher bis 2023 eine umfassende Ernährungsstrategie. Es muss für alle leichter werden, sich gesund zu ernähren, unabhängig von Bildungsstand, Herkunft und finanziellen Möglichkeiten. Studien zeigen, dass sich insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Familien ungesünder ernähren und dass sie häufiger von ernährungsbedingten Krankheiten betroffen sind. Für mich steht fest: Eine wirksame und nachhaltige Ernährungsstrategie muss insbesondere diese Kinder in den Blick nehmen; denn gesunde Ernährung ist auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
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Ziel der Strategie ist es, faire Ernährungsumgebungen zu schaffen. Das beinhaltet einen einfacheren Zugang zu nachhaltigen Angeboten, verständliche Informationen und mehr Preisanreize für die nachhaltigere Wahl. Zu den Bausteinen der Ernährungsstrategie gehören: Modellprojekte für eine kostenlose, gesunde und nachhaltige Schulverpflegung, keine an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz, ein verpflichtender Nutri-Score, und zwar europaweit, sowie verbindliche Reduktionsziele für den Gehalt von Zucker, ungesunden Fetten und Salz in Nahrungsmitteln. Der Blick in die Nachbarländer, zum Beispiel nach Großbritannien, zeigt, dass dies nicht zulasten des Geschmacks gehen muss.
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Diese längst überfälligen Ziele wollen wir möglichst schnell in die Tat umsetzen. Für den Ernährungsbereich gilt: Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. Wissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte, Fachverbände, Krankenkassen und Verbraucherschützer/-innen fordern schon lange ein Umdenken in der Ernährungspolitik, zumal ernährungsbedingte Krankheiten jährlich rund 70 Milliarden Euro an gesundheitlichen Folgekosten verursachen – 70 Milliarden! Es ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es geht um die Gesundheit und um die Entwicklungschancen unserer Kinder und Jugendlichen. Ein Weiter-wie-bisher ist die teuerste Lösung.
Damit es für alle leichter wird, sich gesund zu ernähren, drehen wir an vielen Stellschrauben. Dazu gehört, gesunde Produkte finanziell attraktiver und ungesunde Produkte entsprechend ihren Folgekosten teurer zu machen. Auch die Verursacher der Folgekosten müssen mehr zur Verantwortung gezogen werden.
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Außerdem wollen wir eine pflanzenbasierte, proteinreiche Ernährung fördern. Weniger Fleisch und weniger tierische Produkte insgesamt sind gut fürs Klima und für die Gesundheit. Im Rahmen der Eiweißpflanzenstrategie wollen wir pflanzliche Alternativen stärken. An die Bundesregierung gerichtet, sage ich: Vielen Dank für die Unterstützung!
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Meine Damen und Herren, genau das ist für mich eine aktiv gestaltende Ernährungspolitik. Es geht nicht darum, dass uns der Staat vorschreibt, was wir essen sollen,
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sondern es geht darum, dass er die Rahmenbedingungen – auch sozialpolitisch – schafft, damit eine gesunde Ernährung für alle leichter möglich ist.
An dieser Stelle möchte ich noch mal betonen, wie wichtig daher eine ressortübergreifende Zusammenarbeit ist. An der Ernährungsstrategie sollen neben dem BMEL auch das Gesundheits-, das Umwelt- sowie das Arbeits- und Sozialministerium beteiligt werden.
Ich freue mich darauf, zusammen mit unserem Ernährungsminister Cem Özdemir
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und meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Ampelkoalition den Aufbruch in der Ernährungspolitik voranzubringen.
Vielen Dank.
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Es tut doch auch mal gut, hier eine gewisse Begeisterung für die Regierungsbank rüberzubringen; das ist ja nicht immer so.
Jetzt erhält das Wort für die AfD-Fraktion die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Viele Vorredner haben bereits betont, wie wichtig eine funktionierende Landwirtschaft und die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln für unser Land sind. Das wird uns gerade in diesen turbulenten Zeiten auf schmerzlichste Art und Weise vor Augen geführt. Wir debattieren hier allen Ernstes im Jahre 2022, ob bei uns Lebensmittelknappheit droht oder Lebensmittel rationiert und unbezahlbar werden. Das zeigt uns allen, wie ernst die Lage ist.
Aber, Herr Minister, eine funktionierende Landwirtschaft braucht den finanziellen Rahmen und Zukunftssicherheit, um uns mit wertvollen Lebensmitteln zu versorgen. Vor allem benötigt die Landwirtschaft einen Finanzrahmen, der die Anpassung an die gegebene Situation wiedergibt. Ihr Entwurf lässt mich an Ihrer Absicht und Ihren Worten erheblich zweifeln.
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Im größten Posten, „Landwirtschaftliche Sozialpolitik“, hat die Ampel den größten Einschnitt in Ihrem Ministerium gemacht: ein Minus von mehr als 250 Millionen Euro gegenüber 2021. Ihre Erklärung dazu lautet im Wesentlichen, dass Sie ein stärkeres Absinken der Rentenempfänger im Bereich Landwirtschaft erwarten und sich an den pandemiebedingt ausgefallenen Rentenanpassungen im Jahr 2021 festklammern. Sie missbrauchen hier die Ausnahmesituation der letzten Jahre und nehmen den Landwirten ihre ohnehin geringe Altersvorsorge weg. Das ist genau das Gegenteil einer zukunftsorientierten Landwirtschaft.
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Nicht nur bei der Altersvorsorge, auch bei dem Zuschuss zur Unfallversicherung gibt es sehr große Einschnitte; das haben wir heute schon gehört. Von 176 Millionen Euro im Vorjahr sinken diese auf 100 Millionen Euro. In Ihrer Erklärung führen Sie aus, dass dies bei einem Beispielbetrieb zu einer Mehrbelastung bei den Unfallversicherungsbeiträgen von mehr als 22 Prozent führt. Es ist nicht mal ein Versehen oder Ignoranz, nein, Sie gehen hier mit Vorsatz vor und belasten die Landwirte zusätzlich, und das ist in diesen Zeiten unverzeihlich.
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Auch auf der normativen Ebene legen Sie den Landwirten immer mehr Steine in den Weg: Ob es die Düngeverordnung ist, die Rahmenbedingungen für die Familienbetriebe, der mit Hauruck angepasste Mindestlohn – all dies machen Sie und Ihre Kollegen in Brüssel. Das Bürokratiemonster EU bringt viele Bauern zum Verzweifeln, vor allem, wenn diese in der Konkurrenz innerhalb und außerhalb der EU bestehen wollen.
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Wir sehen ja gerade in diesen Tagen, wie verheerend es ist, wenn wir von Importen komplett abhängig sind. Jetzt kommen noch die gestiegenen Dieselpreise hinzu, die die Bauernbetriebe extra stark treffen und gerade in Deutschland ins Unermessliche steigen. Ihre Politik ist eine Naturkatastrophe für die Landwirte, eine Katastrophe die den Namen „Ampel“ trägt.
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Paradoxerweise erkennen Sie die Fehler Ihrer Entscheidungen und lindern die finanziellen Auswirkungen in der Landwirtschaft dann selbst über Bundesprogramme – Stichwort: Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Diese Mittel steigen um 173 Millionen Euro auf insgesamt über 1,3 Milliarden Euro an. Darauf kann man dann natürlich stolz sein. Aber viel Geld hilft eben auch nicht immer viel, besonders wenn man nicht kontrolliert, wofür es ausgegeben wird und ob wirklich eine Kofinanzierung durch die Länder erfolgt. Der Bundesrechnungshof hat bereits mehrmals angemahnt, hier stärker bzw. überhaupt einmal zu kontrollieren. Auch wir im Rechnungsprüfungsausschuss mussten uns bereits damit befassen und haben Ihr Ministerium aufgefordert, diese Praxis zu ändern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Dieser Einzelplan ist eine Zumutung für alle Landwirte in Deutschland. Er ist geprägt von Kürzungen dort, wo es keineswegs angebracht ist, und voll mit Ausgaben, die ähnlich wie der Koalitionsvertrag, Luftschlösser in den Himmel bauen. Die ganzen Wohlfühlideen à la Klimafonds, die Einführung neuer Ämter wie das des Tierschutzbeauftragten und Co können wir uns in diesen Zeiten nicht mehr leisten. In Zeiten, in denen sich die Bürger die Frage stellen müssen, ob es morgen noch etwas zu essen gibt, oder panisch Hamsterkäufe tätigen, klingt der Satz von Ihnen, Herr Minister – ich zitiere – „Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin“, äußerst zynisch.
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Wir sind in einer Krise! Passen Sie Ihr Handeln entsprechend an, und stellen Sie dort Geld zur Verfügung, wo es benötigt wird, damit eine Versorgungssicherheit zu jeder Zeit gewährleistet ist.
Ich bedanke mich.
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Das Wort erhält für die FDP-Fraktion der Kollege Karlheinz Busen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst meinem Kollegen Gero Hocker, der hier eigentlich stehen sollte, gute Genesung wünschen. Alles Gute, Gero!
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Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, wir alle wissen, die Kornkammer in Europa brennt und der Ukrainekrieg hat nicht nur schwere Folgen für die Energieversorgung, sondern auch für die Lebensmittelversorgung. Die Getreidepreise steigen ins Unermessliche – das haben wir gehört –, und wo in Zukunft das Sonnenblumenöl herkommen soll, ist fraglich; derweil ist auch der heimische Anbau von Ölsaaten stark rückläufig. Da haben wir noch einiges zu klären.
Schon heute ist klar, dass die Strategie in der Landwirtschaft und in der Ernährungspolitik – da sind wir uns alle einig – überdacht werden muss.
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Ein Verzicht auf ungefähr 13 Prozent der Produktion – das wäre die Auswirkung der Farm-to-Fork-Strategie, die kommen soll – können wir uns im Moment nicht erlauben.
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Ich bin froh, dass Frankreichs Präsident Macron die Herausforderung erkannt hat und damit in der Europäischen Union vorangeht. Dem Beispiel sollte Deutschland folgen. Flächenstilllegungen können wir uns jetzt weniger denn je erlauben.
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Es ist ein guter und wichtiger Schritt, dass der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir angekündigt hat, ökologische Vorrangflächen für die Lebensmittelproduktion freizugeben. Aber damit die Maßnahme nicht wirkungslos bleibt, muss auf diesen Flächen unbedingt auch Pflanzenschutz zur Anwendung kommen dürfen.
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Es handelt sich hier nicht – das muss ich ausdrücklich sagen – um Pflanzengift, es handelt sich um Pflanzenschutz.
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Ich bin mir sicher: Der Druck, Flächen zu bewirtschaften, statt sie stillzulegen, wird mit jedem Tag des Krieges größer. Die Preise für Lebensmittel steigen massiv. Während wir in Deutschland nur etwas tiefer in die Tasche greifen müssen, sind die Menschen in ärmeren Ländern akut von einer Hungersnot bedroht; die Entwicklungsministerin Frau Schulze hat bereits eindringlich darauf hingewiesen. Herr Minister, Sie haben vorhin selbst gesagt, was da auf uns zukommt. Die Knappheit von Lebensmitteln dürfen wir durch das Festhalten an überholten, vermeintlich nachhaltigen Strategien nicht noch weiter befördern.
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Auch beim Dünger zeigt sich, wie abhängig wir von den Märkten der Ukraine und Russlands sind. Deshalb brauchen wir mehr denn je die Tierhaltung, die uns wertvollen Dünger im Sinne der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft liefert.
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Die Bundesregierung wird mehr für die Investitionssicherheit der Betriebe tun, mehr für die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, und wir werden mehr für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Betrieben, vor allem auch in der Tierhaltung in Deutschland, tun.
Meine Damen und Herren, Herausforderungen gibt es nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Forstwirtschaft. In Deutschland wird vor allem schnell wachsendes Nadelholz gebraucht; angepflanzt wird aber überwiegend langsam wachsendes Laubholz. Gleichzeitig werden Nadelhölzer aus Russland importiert, was im Moment, aber sicher auch in der Zukunft nicht mehr möglich sein wird.
Die heimische Industrie spürt bereits jetzt, dass die Nachfrage nach sibirischer Lärche tot und diese nicht mehr zu bekommen ist. Auch diese Praxis müssen wir überdenken. Nadelholz muss in unseren Wäldern mindestens 60 Prozent ausmachen; zum Bauen wird nun mal Nadelholz gebraucht.
Das Thünen-Institut hat errechnet, dass bei der Fortführung des Waldumbaus bis 2100 der Nadelholzanteil von heute ungefähr 70 Prozent auf weniger als 30 Prozent zurückgeht. Es wäre auch ein fatales Signal, Importe weiter auszuweiten, erst recht aus Ländern, die den Regenwald demontieren.
In Deutschland dürfen weitere Waldflächen auch nicht stillgelegt werden. Wir brauchen für einen klimaresilienten Wald ebenso klimarobuste und nichtheimische Baumarten.
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– Na ja, der Koalitionsvertrag ist auch nur ein Papier,
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das aufgrund einer anderen Weltlage überarbeitet werden kann.
Die Zeitenwende, die wir erleben, muss die notwendigen Schritte in der Land- und Forstwirtschaft nach sich ziehen, und wir, die Bundesregierung, werden daran arbeiten.
Vielen Dank.
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Das Wort erhält die Abgeordnete Ina Latendorf für Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im Januar hat, wie gerade eben auch, der Minister eine flammende Rede zu agrarpolitischen Herausforderungen gehalten. Aber danach ist dieser Etat eine einzige Enttäuschung. Die Kürzung um 570 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr ist aus meiner Sicht ein Skandal.
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Es stehen 7,1 Milliarden Euro im Plan. Nach Abzug der Mittel für Rente, Unfall- und Krankenversicherung bleiben gerade noch 3,3 Milliarden Euro – nur 3,3 Milliarden! -
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für Gestaltung, also für mehr Tierwohl, verbesserte Arbeitsbedingungen, bessere Lebensverhältnisse im ländlichen Raum. Ich sage: Hier werden Versprechen gebrochen.
Die alten Probleme wie Insektenschwund, Tierwohldefizit, sterbende Wälder und mehr sind alles andere als abgeräumt. Corona und ASP sind hinzugekommen; wir haben Nahrungsmittel- und Energiepreiserhöhungen. Eine Lösung der alten und neuen Probleme ist mit den veranschlagten Mitteln einfach utopisch.
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Für die Rüstung sind plötzlich 100 Milliarden Euro da. Dieses Geld wäre viel, viel besser angelegt bei Investitionsförderung, Unterstützung für Bäuerinnen und Bauern oder beim Umsteuern für eine gesunde Ernährung, für eine soziale und ökologische Landwirtschaft. Aber das ist Ihnen alles nur 3,3 Milliarden wert. Eine Schande!
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Angesichts der weltweiten Nahrungsmittelkrise wäre eine elementare Stärkung globaler Zusammenarbeit erforderlich. Und was machen Sie? Sie kürzen die Mittel für die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen, der FAO und anderer Partner, von 12,7 Millionen Euro auf 11,2 Millionen Euro. Im Einzelplan 23 ist es noch schlimmer. Geht uns der Hunger in der Welt nichts mehr an?
Herr Minister, ich schlage vor, Sie nehmen die Gelder, die Sie in die staatliche Förderung von Agrarexporten stecken, und unterstützen damit die Welthungerhilfe und die FAO für eine echte Entwicklung.
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Und noch ein Punkt: Ich bin im ländlichen Raum, Vorpommern, groß geworden, lebe im zweitgrößten Flächenland Deutschlands. Die Kürzung um rund 15 Millionen Euro im Bundesprogramm Ländliche Entwicklung hat mich wirklich erschrocken, und das bei Vorhaben, die dazu dienen sollen, ländliche Räume als attraktive Lebensräume zu erhalten. Ehrlich gesagt: Ich und meine Fraktion halten das für blanken Hohn!
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Mit diesem Etat ist eine moderne, neue Agrarpolitik für die Zukunft nicht zu machen.
Vielen Dank.
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Für seine erste Rede im Deutschen Bundestag erhält jetzt das Wort Niklas Wagener für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Unserem Wald geht es so schlecht wie nie. Die ökologische und politische Trockenheit der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass um uns herum, in Brandenburg, nun schon wieder die zweithöchste Waldbrandstufe ausgerufen wurde. Das zeigt: Wie in so vielen Bereichen hat uns die Union infolge ihrer fehlgeleiteten Klimapolitik eine waldpolitische Kahlschlagfläche hinterlassen.
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Als Ampel stehen wir hinter den Waldeigentümerinnen und ‑eigentümern, die ihren Wald zu einem klimastabilen und artenreichen Mischwald umbauen. Wir wollen in diesem Jahr 200 Millionen Euro bereitstellen, um diejenigen zu honorieren, die die Ökosystemleistung des Waldes, also den Beitrag der Wälder zu Klima-, Hochwasser-, Trinkwasserschutz und vielem mehr, durch eine nachhaltige Bewirtschaftung voranbringen. Wir wollen motivieren, gemeinsam für den Wald anzupacken. Und auch bei der geplanten Novelle zum Bundeswaldgesetz gilt für uns das Motto: Regeln, nicht um zu verhindern, sondern um zu ermöglichen.
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Meine Damen und Herren, tagtäglich setzen sich Förster, Jägerinnen, Waldeigentümer und Naturschützerinnen für das Beste in unseren Wäldern ein; nur die politischen Mehrheiten in diesem Lande hatten den Wald aus den Augen verloren. In den vergangenen 30 Jahren wurden 60 Prozent des Forstpersonals in Deutschland abgebaut; zeitgleich verdoppelte sich die Rehwildpopulation in unseren Wäldern. Das Wild gehört zum Wald wie die Butter aufs Brot. Nur ist es wie so oft im Leben: Trägt man zu dick auf, wird es irgendwann ungesund.
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Dass jedes Jahr Hunderte Millionen Euro Fördergelder, die für das Bäumepflanzen in den Wäldern ausgeschüttet werden, häufig direkt in den Mägen von Wildtieren landen, ist nichts anderes als Steuergeldverschwendung.
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Lassen Sie uns also gemeinsam dafür eintreten, dass die gepflanzten Bäume erfolgreich aus dem Äser heraus- und zum Wald der Zukunft heranwachsen.
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Kolleginnen und Kollegen, Putins furchtbarer Krieg trifft die Menschen in der Ukraine hart. Die wichtigen und richtigen Sanktionen treffen am Ende auch den Holzmarkt. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, in der Holz- und Sägeindustrie regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Die Ampel verfolgt genau dieses Ziel und wird mit einer Holzbauinitiative vor Ort die langlebigere Nutzung des wertvollen Klimarohstoffs Holz voranbringen.
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Lassen Sie uns gemeinsam für den Wald eintreten; er braucht uns mehr denn je.
Ich danke Ihnen.
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Eine Punktlandung bei der ersten Rede. Herr Kollege, das sollten Sie so beibehalten.
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Vielen Dank.
Als nächster Redner erhält das Wort Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Bundesminister! Debatten um den Agrarhaushalt sind immer so eine grundsätzliche Aussprache über Agrarpolitik zwischen einer Regierungskoalition und einer Opposition. Wenn ich mir aber jetzt die Redebeiträge der FDP anschaue, frage ich mich: Seid ihr eigentlich Mitglied der Ampel?
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Bei diesen Redebeiträgen, da frage ich mich schon: Wisst ihr, welchen Koalitionsvertrag ihr unterschrieben habt? Oder sind diese Redebeiträge hier nur dazu da, um sich gegenüber den deutschen Bauern draußen zu rechtfertigen, die euch bei der Bundestagswahl ihre Stimme gegeben haben?
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesen Tagen wird sehr viel gesprochen von einer „Zeitenwende“: Zeitenwende in der Sicherheitspolitik, in der Außenpolitik, in der Innenpolitik. Ja, wir müssen auch von einer Zeitenwende in der Agrarpolitik reden.
In der Ukraine gibt es kaum noch Menschen, die sich tagtäglich um Tiere kümmern und die Feldarbeit machen, weil sie an der Front stehen. In der Ukraine wird darüber diskutiert: Sollen wir den Diesel jetzt in den Traktor, in den Mähdrescher oder in den Panzer geben? Dass wir in diesen Zeiten über so etwas in Europa diskutieren müssen, das bewegt mich einfach.
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Vor allem stehen wir als Deutsche und als Europäische Gemeinschaft nicht nur vor einer Herausforderung, was die Sicherheitslage in der Ukraine angelangt, sondern auch, was die Ernährungslage in der Europäischen Gemeinschaft und weltweit anbelangt. Und bei dieser Ampelkoalition steht im Koalitionsvertrag zu Ernährungssicherung kein einziges Wort. Da hat euch der Koalitionsvertrag eingeholt, meine Damen und Herren.
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Ich begrüße es, wenn auf europäischer Ebene darüber diskutiert wird, die Greening-Auflagen zu lockern und über die 4 Prozent Stilllegung ab 2023 zu reden. Aber ich bitte auch darum, dass die Bundesregierung hier schnell handelt. Denn unsere Bäuerinnen und Bauern wollen säen; sie wollen die Sämaschine anhängen. Im Märzen der Bauer – und nicht im Mai, Juni oder Juli, wenn Agrarrat ist, ist das zu entscheiden. Es muss jetzt die Entscheidung her, jetzt müssen die Flächen freigegeben werden, jetzt muss gehandelt werden.
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Meine Damen und Herren, wir wissen, dass auf diesen Flächen zwar nicht die große Menge angebaut werden kann; aber wir müssen auch überlegen, wie wir zukünftig weiterarbeiten. Es ist wichtig, dass wir eine Selbstversorgung in Deutschland bekommen; aber wir haben auch eine internationale Verantwortung. Wir sind hier in einer Gunstlage, und wir können auch andere Menschen auf dieser Welt mit unseren Produkten, mit unseren hochwertigen Produkten ernähren; und das ist auch unsere Aufgabe.
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Es ist bereits angeklungen: Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Viele Länder, gerade im nordafrikanischen Bereich, stehen vor der Herausforderung, dass sie kein Getreide, keine Ernte mehr bekommen.
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Herr Kollege?
Nein.
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– Ich weiß, was Sie fragen wollten.
Ich habe es verstanden.
Im Lichte dessen: Wir stehen am Vorabend einer humanitären Katastrophe, wenn ich nach Nordafrika schaue. Wir haben hier als deutsche Politiker eine Verantwortung, diese drohende Hungerkatastrophe zu verhindern; und da sind alle in der Bundesregierung gefordert, nicht nur der Bundeslandwirtschaftsminister, auch die Bundesentwicklungsministerin und der Bundeskanzler. Wir alle sind gefordert, hierauf Antworten zu liefern; und ich sehe diese Antworten leider Gottes noch nicht.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber einen Punkt erwähnen, den auch der Minister angesprochen hat, das Thema „Wachsen oder Weichen“. Wenn ich wiederum in diesen Koalitionsvertrag schaue, stelle ich fest: Dort steht ein Aspekt drin, durch den wir, wenn wir es so umsetzen, wieder ein Bauernsterben produzieren. Es ist das Verbot der Anbindehaltung von Milchkühen. Ich bitte darum, dass man auch für den Umbau der Tierhaltung die notwendigen Finanzmittel bereitstellt. Hier brauchen auch die kleinbäuerlichen Betriebe, die einen Anbindestall in einen Laufstall umbauen wollen, unsere Unterstützung; und da sind mir noch viel zu wenig Finanzmittel hinterlegt.
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Gerade wenn es um eine Landwirtschaftsform geht, die wir sehr gerne haben, nämlich die Weidetierhaltung, brauchen wir eine Antwort darauf, wie wir damit umgehen, wenn neue Herausforderungen auf sie zukommen.
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Und da geht es um das Thema Wolf. Liebe FDP – es sind ja einige Jäger in der FDP –, vielleicht können Sie in den Koalitionsgesprächen dafür sorgen, dass man den Wolf im Bestand entsprechend regulieren kann. Ich setze da ausnahmsweise auf die Bundesregierung.
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Wir sehen auch eine weitere große Herausforderung. Es ist mir in dieser Debatte – ich sage das ganz offen – eigentlich zu wenig über das Thema Ernährung gesprochen worden; denn die deutsche Landwirtschaft produziert hervorragende Lebensmittel. Es ist wichtig, dass diese Lebensmittel konsumiert werden; aber es muss auch eine ausgewogene Ernährung stattfinden. Und die ausgewogene Ernährung muss davon begleitet werden, was wir beim Tagesordnungspunkt davor diskutiert haben, nämlich von Sport und Bewegung. Es muss alles wieder mobilisiert werden, gerade nach dieser Coronapandemie; und das ist unser aller Aufgabe.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Künast hat die brüske Zurückweisung sehr sportlich genommen.
Es folgt jetzt für die SPD-Fraktion die Kollegin Sylvia Lehmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach zwei Jahren der Pandemiebekämpfung mit großen Konjunkturprogrammen und mit leicht veränderten Ressortzuständigkeiten der neuen Regierung stellen wir im Bereich „Ernährung und Landwirtschaft“ bewusst keinen neuen Rekordhaushalt auf, eben nicht nach dem Prinzip „Höher, schneller, weiter“. Mit diesem Haushalt stellen wir uns unserer Verantwortung und halten gleichzeitig die gegebenen Wahlversprechen ein.
Stärker als bislang müssen wir die landwirtschaftliche Produktion an den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Prinzipien der Nachhaltigkeit ausrichten. Hierbei geht es um die Welternährung, den ökologischen Landbau, die biologische Vielfalt und das Tierwohl.
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All das spiegelt der Bundeshaushalt 2022 wider.
Der neu ausgerichtete nationale Strategieplan für die Gemeinsame Agrarpolitik liegt der Europäischen Kommission vor. Er beinhaltet einen nun stärkeren Ausbau des ökologischen Landbaus auf 30 Prozent. Bis 2027 stehen 30 Milliarden Euro zur Verfügung, die sich auf 40 Millionen Menschen in ländlichen Räumen auswirken und für 300 000 Betriebe relevant werden können.
Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ ist das wichtigste nationale Förderinstrument. Der Haushaltsansatz steigt und beläuft sich auf 1,3 Milliarden Euro.
Ich hoffe, dass sich vor allem die Landwirtinnen und Landwirte über den nun um 65 Millionen Euro höheren Etat für den Insektenschutz freuen. Ich jedenfalls freue mich sehr.
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Ich kann mich noch gut an die Diskussion im letzten Jahr erinnern.
Wir stärken die Ackerbaustrategie und stocken diesen Titel um weitere 3 Millionen Euro auf 18,5 Millionen Euro auf. Gleichzeitig verpflichten wir uns bis 2025 mit weiteren 9 Millionen Euro, die in Anspruch genommen werden können. Hiermit möchten wir den Landwirtinnen und Landwirten Wege aufzeigen, wie sie künftig ökologisch verträglicher, ökonomisch tragfähiger und sozial ausgerichteter Ackerbau betreiben können.
73 Millionen Euro investieren wir in Forschung und Innovation. Damit investieren wir beispielsweise in die Digitalisierung, in die Eiweißpflanzenstrategie und in innovative Züchtungsstrategien. Mit solchen Forschungsprojekten erhöhen wir auch den Selbstversorgungsgrad unseres Landes und schützen uns vor den Auswirkungen schwerer Krisen im Ausland.
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Wir alle kennen die schrecklichen Bilder aus der Ukraine und wissen, dass dieser Krieg weltweite Auswirkungen hat. Wir spüren sie in den Supermärkten und an den Tankstellen. Menschen anderer Länder und Kontinente finden sich in humanitären Katastrophen wieder. Die Versorgung in Deutschland ist gesichert. Doch für uns ergeben sich internationale Verpflichtungen.
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Auch wenn einige das nutzen wollen, um notwendige Erneuerungen über Bord zu werfen: Nein, die Welt ändert sich nicht zurück. Wir halten am Transformationsprozess fest.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Lehmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach den vielen Ankündigungen von Ihnen, Herr Minister, in den ersten 100 Tagen war ich doch verwundert, als ich den Entwurf für den Agrarhaushalt gelesen habe. Im Wesentlichen setzen Sie nämlich unsere Politik fort. Sie kürzen in einem Bereich beträchtlich: bei den Sozialleistungen der Landwirte. Von einem verpflichtenden Tierwohllabel, wie im Koalitionsvertrag angedeutet, bleibt fast nichts übrig.
Natürlich – das weiß jeder – können Sie sagen: Es herrscht Krieg. Dieser wird nicht nur militärische Folgen haben, sondern auch die weltweite Ernährungssituation stark beeinflussen. Die Außenministerin sprach gestern von einem „Kornkrieg“. Sie empfehlen den Menschen öffentlich, im Kampf gegen Putin doch weniger Tiere zu halten und weniger Fleisch zu essen. Betrifft die Verringerung der Zahl der Nutztiere nur die Nutztiere oder auch die Millionen Haustiere? Was soll das bringen? Nutztiere fressen Gras und Futtermittel, die oftmals Abfallstoffe sind. Und sie liefern uns – ganz wichtig in der jetzigen Zeit – Düngemittel.
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In der Praxis hat man den Eindruck, dass viele hier nach dem Motto handeln: Was kümmern mich Krieg und Wetter, ich kauf mein Brot beim Bäcker.
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Von dem Ansinnen, die Lebensmittelpreise zu senken, habe ich jetzt nichts mehr gehört. Ich bin gespannt, wie das möglich sein soll.
Es gibt auch Änderungen im Agrarhaushalt. Sie kürzen die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Alterssicherung um 106 Millionen Euro und zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung um 70 Millionen Euro, weil Sie eine geringere Belastung erwarten.
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Gleichzeitig – das ist schon gesagt worden – steigen die Personalkosten auf nie dagewesene 436 Millionen Euro – nach dem Motto: mehr Geld für die Verwaltung, weniger für die Bäuerinnen und Bauern.
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Prima, kann ich da nur sagen!
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Wenn der Zuschuss zur Unfallversicherung so bleibt, steigt der Beitrag für die bäuerlichen Betriebe um 14 Prozentpunkte. In der aktuellen Situation ist das einfach inakzeptabel! Ich rufe die Koalition auf, im Rahmen der Haushaltsberatungen mindestens wieder auf den alten Stand zu kommen, also ohne die Kürzung um 177 Millionen Euro.
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Und wie geht es mit dem Zukunfts- und Investitionsprogramm Landwirtschaft weiter? Die Landwirte wollen investieren und warten ebenso wie Händler und die Industrie auf die nächsten Förderrunden. Ich kann nachvollziehen, dass für dieses Jahr der Baransatz zugunsten der Verpflichtungsermächtigungen verringert wurde. Wir müssen aber sicherstellen, dass wir die bis 2024 gegebenen Zusagen einhalten und das Programm zu Ende finanzieren. Dieses Programm ist für unsere Betriebe und die Gesellschaft sogar eine Win-win-win-Situation. Es macht erstens moderne Technik erst erschwinglich; es leistet zweitens einen Beitrag zum Klimaschutz, zum Beispiel durch verringerte Ausgasung, und sorgt drittens für eine bessere Ausnützung von knappen Dünger- und Pflanzenschutzmitteln.
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Was die CMA-Nachfolgeagentur betrifft, findet sich der Zuschuss ebenfalls nicht mehr.
Sehr geehrter Herr Minister, ich vermisse auch eine deutliche Initiative zur Förderung von Tierwohlställen, wie von Ihnen für dieses Jahr schon angekündigt. Wir haben mit dem Corona-Konjunkturpaket 300 Millionen Euro für den Stallumbau bereitgestellt. Wir wissen genau: Teure Haltungsbedingungen einseitig in Deutschland müssen ausgeglichen werden. Wieso wollen Sie das eigentlich erst im Jahr 2023 angehen? Den Insektenschutz haben Sie exakt in der Höhe der Mittel nach den Plänen der Großen Koalition fortgeführt. Sehr geehrter Herr Minister, Sie werden der Verantwortung in diesen Kriegstagen mit Ihrem Handeln nicht gerecht.
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Die EU stellt Deutschland 60 Millionen Euro an Hilfen zur Verfügung. Dass Sie das verdreifachen – das habe ich heute gehört –, ist richtig, aber insgesamt zu wenig. Und da gebe ich meiner Kollegin von der Linken recht: Man kann weder von Aktien noch von Geld herunterbeißen.
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Es droht Hunger in Europa und in Afrika, spätestens im Herbst. Das muss uns allen klar sein. Es ist ein Ergänzungshaushalt angekündigt. Ich bin gespannt, was drinstehen wird. Herr Minister, tun Sie alles dafür, den absehbaren Getreideausfällen aus der Ukraine entgegenzusteuern. Kommen Sie nicht mit der Aushebelung des Insektenschutzes und des Umweltschutzes oder damit, dass wir jetzt beim Kampf gegen den Klimawandel zurückdrehen wollten. Russische Panzer werden für die Extensivierung und Biodiversifizierung riesiger Flächen in der Ukraine sorgen – viel, viel mehr, als uns allen hier lieb ist.
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Der Landwirtschaftsminister der Ukraine – Sie haben auf ihn Bezug genommen, Herr Minister – hat uns ja geradezu angefleht, alles zu tun, um einen Hungersturm zu verhindern. Unterstützen Sie höhere Ernten in diesem Jahr, statt zu extensivieren. Geben Sie unter anderem Brachflächen und geeignete Grünlandflächen wenigstens für wenige Jahre für Sommergetreideanbau respektive Sommerweizen frei. Die Bauern in Deutschland sind in der Lage, mehr zu erzeugen. Man muss sie nur lassen. Die Zeit drängt, den Hunger im Herbst zu bekämpfen.
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Handeln Sie nicht verantwortungslos! Handeln Sie jetzt!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Und als nächste Rednerin erhält für die SPD-Fraktion Anna Kassautzki das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Gimme, gimme – Moor / Gimme – Moor“, sang 2007 schon Britney Spears. Dabei ging es ihr aber nicht um Biotope und Feuchtgebiete. Genau dafür wäre das aber ein gutes Motto.
Über 95 Prozent aller Moorflächen in Deutschland sind trockengelegt. „Na und?“, könnte man meinen. Na ja, Moore machen zwar nur 3,6 Prozent der Landfläche Deutschlands aus, waren aber 2019 für 6 Prozent der deutschen Treibhausemissionen verantwortlich.
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Zum Vergleich: Das entspricht von der Menge her knapp 30 Prozent der Gesamtemissionen der deutschen Industrie.
Moore sind erst mal quasi wie ein Kompost im Garten – Biomasse –, doch zerfällt im nassen Moor die Biomasse durch die mangelnde Luftzufuhr nicht, sondern bildet Torf und bindet darin Treibhausgase. Gesunder Torf nimmt Wasser auf, zum Beispiel bei Starkregenereignissen. Gleichzeitig haben Moore durch ihre Feuchtigkeit auch einen kühlenden Effekt auf ihre direkte Umwelt, und bei Hitzewellen entstehen durch Verdunstung wieder Regenwolken. Moore sind also unsere natürlichen Verbündeten vor Ort, um die Auswirkungen der Klimakrise zu bekämpfen.
({1})
Durch trockengelegte Moore finden die eigentlich gestoppten Zersetzungsprozesse der Biomasse nun doch statt. Dabei emittieren Unmengen an Treibhausgasen wie CO2, Lachgas und Methan. Das entspricht 40 Prozent der Emissionen der deutschen Landwirtschaft. Die gute Nachricht ist aber: Wir können da was machen. Wir können Moore wiedervernässen. Nasse Moore stoppen nicht nur die Emissionen; nach ungefähr 20 Jahren nehmen sie als gesunde Moore auch wieder CO2 aus der Luft auf. Wir können aber nicht alle Moore wiedervernässen, sonst würde unter anderem das Hannoversche Rathaus versinken. Ich kenne da einige Leute, die hätten etwas dagegen.
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Drei von vier Moorquadratmetern sind als trockene Moorflächen landwirtschaftlich genutzt. Durch Wiedervernässung verlieren wir sie aber nicht als produktive Flächen für die Landwirtschaft; denn Wiedervernässung ist nicht gleich Renaturierung.
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Wir können auf wiedervernässten Mooren zum Beispiel Photovoltaikanlagen errichten, Weidetierhaltung betreiben – übrigens auch beides in Kombination – oder in sogenannten Paludikulturen Rohrkolben und Schwarzerlen anbauen. Man kann auf nassen Hochmooren Torfmoose anbauen – und damit der Gartenbauindustrie einen alternativen Rohstoff zu Torf, Kokos- oder Holzfasern bieten. Strom, Fleisch, Biogas, Bau- und Dämmmaterial – und gleichzeitig speichern wir richtig große Mengen CO2. Gimme Moor!
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Ich bin froh, dass wir im Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft Mittel zur Torfminderung eingeplant haben. Aber auch im Klima- und Transformationsfonds haben wir Mittel zur Förderung von Paludikulturen, zur Unterstützung der Landwirte und Landwirtinnen und zum Ausstieg aus dem Torfabbau eingestellt, denn: Moor muss nass!
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Klimawandel und Transformation sind aber nicht nur für Moore relevant, sondern unter anderem auch für die Fischerei. Der Zustand der Nord- und insbesondere der Ostsee ist alarmierend. 18 Prozent der Ostsee sind tote Zonen; da gibt es quasi kein Leben mehr. Die Fischbestände, insbesondere Dorsch und Hering, kollabieren. Es ist aber verkürzt und falsch, auf die Fischer/-innen als Schuldige zu zeigen. Die Ursachen dafür sind multikausal und hängen vor allem damit zusammen, wie Umwelt- und Klimapolitik auf den verschiedenen Ebenen in den letzten Jahrzehnten gelaufen bzw. nicht gelaufen ist.
Unser Bedarf an Fisch wird steigen. Er ist relativ CO2-arm und braucht wenig Futter. Es ist aber illusorisch, dass wir unseren kompletten Bedarf aus Nord- und Ostsee decken. Deshalb müssen wir über einen massiven Ausbau der landgestützten Aquakulturen reden. Die Fischer/-innen, insbesondere die Kutterfischer/-innen, haben außerdem mit den aktuellen Spritpreisen sehr zu kämpfen. Es lohnt sich schlichtweg nicht für sie, rauszufahren. Wir unterstützen als Fortschrittskoalition unsere Fischer/-innen bei ihren Herausforderungen,
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beim Umbau der oft veralteten Flotten und, wo gewünscht, beim Umbau auf Aquakulturen, damit die Bestände in Nord- und Ostsee sich erholen können.
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Durch den Brexit haben sich die Verhandlungen um die Quoten auf europäischer Ebene noch einmal erschwert. Wir brauchen aber europäische Lösungen. Den Beständen hilft es nichts, wenn wir hier die Quoten runterschrauben, andere Staaten sie aber dafür entsprechend erhöhen. Wir werden deswegen zeitnah eine Zukunftskommission Fischerei ins Leben rufen; das haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen. Gemeinsam mit den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort schaffen wir eine gute Perspektive für diese wichtige Branche.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. – Ich darf den letzten Redner für diesen Einzelplan ankündigen, das ist Johannes Schätzl für die SPD-Fraktion
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle sind hier angetreten, um Landwirtschaft neu zu denken. Ich habe diese Diskussion jetzt 90 Minuten lang aufmerksam verfolgt, und ich muss zugeben: Ich bin schon ein wenig erstaunt über so manche Äußerungen und Auffassungen vor allen Dingen von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union. Sie wollen offensichtlich – das ist meine Zusammenfassung Ihrer Forderungen – alles daransetzen, eine maßgeblich von Ihnen geprägte Politik, eine Politik, die aber in vielen Bereichen nicht zum Ziel geführt hat, fortzusetzen; ich habe es mir notiert. Sie sagten zwar – das haben Sie erwähnt –, Sie wollten keinen Rollback. Im nächsten Satz haben Sie aber sofort gesagt: Wir müssen das Tempo verringern. – Sie haben also davon gesprochen, dass wir die gleichen Ziele haben, halt nur nicht jetzt. Sie wollen Brachflächen freigeben, ökologische Ziele noch mal zurückstellen und den European Green Deal noch mal überplanen. Achtung, Spoiler! Das wird nicht funktionieren.
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– Ich gebe Ihnen ja recht. Die Probleme haben Sie teilweise richtig formuliert. Nur kann ich Ihnen bei der Schlussfolgerung nicht recht geben.
Wir müssen auf die Landwirtinnen und Landwirte hören. Und ja, die haben Sorgen. Die sprechen über gestiegene Dieselpreise, gestiegene Düngerpreise, über hohe Rohstoffpreise bis hin zur Frage von deren Verfügbarkeit. Aber die einzige Antwort auf diese Probleme kann doch nur sein, dass wir diese Probleme nachhaltig lösen, und das können wir nur, wenn wir ressourcenschonend und ökologisch arbeiten.
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Egal ob wir es Precision Farming, Digital Farming oder Smart Farming nennen: Um diese Ziele zu erreichen, um nachhaltige Landwirtschaft zu ermöglichen, brauchen wir vor allen Dingen eines: Wir brauchen eine digitale Landwirtschaft.
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Deswegen ist es folgerichtig, dass die Bundesregierung einen Haushalt vorgelegt hat, der im digitalen Bereich um über 40 Prozent erhöht wurde. Es stehen 51,4 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen 51,4 Millionen Euro haben wir es in der Hand, den digitalen Wandel, von dem Kollege Auernhammer 2018 vollkommen richtigerweise gesagt hat, er sei größer als die Umstellung vom Pferd zum Schlepper, zu gestalten.
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Wir brauchen dieses Geld, um eine Datenplattform zu schaffen, wir brauchen es für Projektförderungen und Studien. Wir brauchen es auch – und das haben Sie vorhin erwähnt – für Investitionsförderungen vor allen Dingen von kleinen und mittelständischen Betrieben, damit sie die hohen Investitionskosten bezahlen können. Und wir brauchen dieses Geld für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Mit dem vorgelegten Haushalt haben wir dieses Geld zur Verfügung.
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„Vom Pferd zum Schlepper“ wird jetzt also zu „vom Schlepper zum sensorgesteuerten Agrarroboter“. Die Verwendung von digitalen Möglichkeiten ist heute aber nur die Spitze eines enormen Eisberges. Das Potenzial von digitalen Agrartechnologien ist gewaltig; und wir werden es nutzen.
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Das neue Zeitalter in der Landwirtschaft wartet nicht mehr auf uns; es hat schon vor Jahren begonnen. Nun liegt es an uns, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Chancen, die uns die Digitalisierung bietet, zu nutzen. Und diese Koalition wird das tun.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir hier Haushaltsberatungen führen, tobt in der Ukraine ein brutaler Annexionskrieg von russischer Seite. Wir alle sind gefordert, das Leid der Menschen zu lindern und Russland zu isolieren. Wir tun das, indem wir die wissenschaftliche Kooperation mit staatlichen Stellen in Russland eingestellt haben, indem wir zusammen mit den Ländern, der Wissenschaft und den Stiftungen flüchtenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Studierenden bei uns Chancen geben.
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Wir tun das, indem wir die KMK unterstützen und in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium der Ukraine den Kindern und Jugendlichen wieder ein Stück Normalität und Bildung geben – sei es digital im ukrainischen Bildungssystem oder in unseren Schulen.
Der Angriff auf die Ukraine hat unsere Regierungsarbeit verändert. Aber eines ist unverändert geblieben: die Bedeutung von Bildung und Forschung. Theodor Heuss wird zitiert mit: „… die äußere Freiheit der Vielen lebt aus der inneren Freiheit der Einzelnen.“
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Ob Desinformation, Fake News oder das Wissen über Demokratie: Richtig ist, dass jeder Euro für Bildung eine doppelte Investition ist – in jeden Einzelnen und für uns alle, meine Damen und Herren.
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Die Rohstoffabhängigkeit von Russland hat gezeigt: Wir müssen endlich mehr für unsere technologische Souveränität tun – nicht weil wir uns abschotten wollen, nicht weil wir wissen, dass der Freihandel wichtig ist, sondern weil wir anhand unserer Werte entscheiden wollen, mit wem wir Handel treiben, meine Damen und Herren.
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Vieles wussten wir. Wenig wurde getan. Jetzt machen wir Tempo. Für die Freiheit.
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Das spiegelt auch unser Haushaltsentwurf wider. 20,3 Milliarden Euro investieren wir in Bildung und Forschung. Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als 2019, dem letzten Haushalt vor Corona. Entgegen dem Vorhaben der Großen Koalition steigt der Haushalt mittelfristig und sinkt nicht.
Wir haben in dem laufenden Haushalt bereits die ersten wichtigen Projekte angeschoben, obwohl wir – auch das gehört zur Wahrheit – große Haushaltsrisiken übernommen haben. Ein kleines Beispiel: Der PFI war nicht bis zum Schluss gegenfinanziert. Und trotzdem: Zukunftsinvestitionen behalten Priorität. Für neue Chancen. Wir sind das Chancenministerium.
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Wir machen Tempo bei der Bildung, damit wir rauskommen aus dem Mittelmaß. Bei der jüngsten KMK haben wir in großer Einigkeit die Lübecker Erklärung abgegeben, weil uns wichtig war, dass wir Geflüchteten aus der Ukraine Perspektiven eröffnen. Hier hat der Schulterschluss zwischen Bund und Ländern geklappt. Das geht auch an anderen wichtigen Stellen; denn eines eint uns: Bildung schafft Lebenschancen. Deswegen darf der Bildungserfolg nicht länger von der sozialen Herkunft abhängen.
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Was haben wir vor? Wir sehen: Der DigitalPakt Schule nimmt Fahrt auf, aber noch zu langsam; das zeigen die aktuellen Zahlen. Wir müssen weiter beschleunigen. Mit der Exzellenzinitiative „Berufliche Bildung“ verleihen wir der beruflichen Ausbildung neuen Schub. Und ganz wichtig: Das BAföG muss schnell attraktiver, moderner und flexibler werden, meine Damen und Herren.
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Allein 2022 stehen 2,3 Milliarden Euro bereit. Den eigenen Weg selbstbestimmt gehen können, seine Talente entfalten und einbringen können: Das ist essenziell für unsere Freiheit.
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Wir machen Tempo bei Forschung und Innovation, damit wir unabhängiger werden von Rohstofflieferanten, souveräner bei den Technologien – auch für mehr Nachhaltigkeit. Mit China stehen wir in einer Werteauseinandersetzung: Freiheit statt Kontrolle, Vertrauen statt Überwachung. Gerade deshalb ist es sinnvoll, jetzt in Zukunftsfelder zu investieren: in Quantentechnologien, in IT-Sicherheit, in Mikroelektronik, in künstliche Intelligenz. Wir müssen schneller von unserer hervorragenden Grundlagenforschung zu hervorragenden neuen Produkten kommen. Deswegen schaffen wir die „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“, für deren Start in diesem Jahr 15 Millionen Euro vorgesehen sind. Seien Sie versichert: Das wird mehr, meine Damen und Herren.
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Die SprinD muss schneller und agiler werden; für die Bundesagentur für Sprunginnovationen werden wir den Titelansatz im Haushaltsjahr 2022 fast verdoppeln und danach weiter erhöhen. Sie erhält ein Freiheitsgesetz; denn für uns ist klar: Das Innovationsland Deutschland darf nicht stillstehen, wenn es um die Zukunft geht.
({10})
Bis 2026 planen wir mit 4 Milliarden Euro mehr als die Vorgängerregierung. Damit investieren wir in Forschung und Entwicklung und steigern das Ganze auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2025.
Vom britischen Philosophen und Mathematiker Alfred North Whitehead stammt der kluge Satz – ich zitiere –:
Die Kunst des Fortschritts besteht darin, inmitten des Wandels Ordnung zu wahren, inmitten der Ordnung den Wandel aufrechtzuerhalten.
Beides tun wir mit diesem Haushaltsentwurf: Wir halten Kurs und setzen Impulse für Neues.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält das Wort Nadine Schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, in Ihrer letzten Rede hier im Deutschen Bundestag haben Sie von Missionen gesprochen,
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und ich dachte: Wow! Missionen, das ist ja visionär. Das ist Zukunft. Das ist begeisternd. – Bei Missionen denke ich an den Weltraum, an den Astronauten Matthias Maurer aus meiner Heimat, der gerade auf der ISS ist und dort gestern einen Außeneinsatz gemacht hat. Vor zwei Wochen hat er mit Schülerinnen und Schülern aus meinem Wahlkreis gesprochen und hat sie mit seinen Erkenntnissen von der ISS wirklich inspiriert.
Missionen haben Sie auch angekündigt, und ich muss sagen, die Ziele, die Sie mit diesen Missionen verbinden, begeistern mich auch: mehr Bildungsgerechtigkeit, mehr Mut, mehr Innovation, mehr Fortschritt. Das alles haben Sie angekündigt. Aber zu einer Mission gehört nicht allein die Vision. Um eine Mission wirklich zum Erfolg zu bringen, gehört mehr dazu: ein auskömmliches Budget, eine Strategie und ein guter Zusammenhalt aller Akteure, die an dieser Mission beteiligt sind.
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Ich würde gern mal einen Blick darauf werfen, was Sie davon bisher in den ersten 100 Tagen Ihrer Amtszeit vorbereitet haben.
Beginnen wir mit dem Budget. Wir reden ja heute über den Haushalt; Sie haben gesagt, das Budget steigt. Also, ich sehe jetzt erst mal: Für das nächste Jahr sinkt das Budget, und dann steigt es im Laufe der Legislaturperiode um 1,5 Prozent. Zum Vergleich: In der letzten Legislaturperiode haben wir den Haushaltsansatz um 20 Prozent gesteigert, im Laufe der Amtszeit von Angela Merkel haben wir ihn verdreifacht. So viel zur Einordnung der Steigerung.
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Eines Ihrer Lieblingsprojekte, das „Startchancen“-Programm, finden wir noch gar nicht im Budget. Sie können dankbar sein, dass der Pakt für Forschung und Innovation abgesichert ist – da liegen nämlich die Hauptsteigerungen.
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Das ist ein Versprechen an die Wissenschaft, an die Forschung in unserem Land, dass wir ihnen Verlässlichkeit bieten, und das ist noch das Ergebnis der Vorgängerregierung.
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Frau Ministerin, Sie haben selbst gesagt: In Zeiten des Wandels brauchen wir Innovation. Sie haben selbst gesagt, statt „kleiner Schritte des Verzichts“ wollen Sie „große Schritte des Fortschritts“. Also sorgen Sie dafür, dass der Haushalt Ihres Hauses diesem Anspruch auch Rechnung trägt.
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Zweiter Punkt: Strategie und Steuerung. Auch hier will ich wieder zitieren, nämlich in diesem Fall Ihren Staatssekretär Thomas Sattelberger, der im Oktober angekündigt hat, die Regierung werde „mit intelligenten Prognoseprozessen, stringentem Projektmanagement und messbaren Ziel- und Leistungsindikatoren“ aufwarten. Wo sind sie?
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Ein solches Projektmanagement bräuchte es zum Beispiel beim Thema Digitalisierung. Liebe Kollegen der FDP, Sie haben wie wir gefordert, dass es in dieser Legislaturperiode ein Digitalministerium braucht. Bis heute wissen wir bei ganz vielen digitalen Themen nicht einmal, wer den Hut aufhat, wer wofür zuständig ist. Herr Wissing kann es uns nicht sagen, die Bundesregierung kann es nicht sagen. Frau Ministerin Stark-Watzinger, für so viele Ihrer Themen brauchen Sie Digitalisierung, brauchen Sie digitale Innovationen.
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Da kann es Sie doch nicht zufriedenstellen, dass Sie nach 100 Tagen immer noch nicht wissen, wer in dieser Regierung wofür zuständig ist.
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Selbst bei Ihren eigenen Projekten haben wir bisher keine Konzeption vorliegen: Die DATI, die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation, wurde angekündigt; ein Konzept haben wir noch nicht. Im Haushalt steht Geld, das ist aber von Ihrem Parteifreund Christian Lindner gesperrt worden mit dem Vermerk: Das Geld können wir erst freigeben, wenn ein vernünftiges Konzept vorliegt. Wo ist es? – Fehlanzeige.
Letzte Woche in Leipzig und auch heute hier haben Sie die SprinD gelobt und ein SprinD-Freiheitsgesetz in Aussicht gestellt; aber Eckpunkte, Vorschläge, was genau Sie damit regeln wollen, kennen wir nicht – Fehlanzeige. Bis heute liegt nichts auf dem Tisch.
Das BAföG-Änderungsgesetz haben wir auch noch nicht im Bundestag. Das soll aber zum Wintersemester schon in Kraft treten. Auch Verbesserungen beim Digitalpakt wurden für März angekündigt. Heute ist der 24. März, und auch hier haben wir noch keine konkreten Vorschläge. Ich sage Ihnen: Werden Sie bitte konkret, damit wir mit den Themen vorankommen.
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Was mich am meisten bekümmert: Schon nach 100 Tagen bröckelt der Zusammenhalt in dieser Regierung. Sie haben das wichtige Thema Flüchtlinge angesprochen. Ich würde erwarten, dass sich die Familienministerin, der Sozialminister, der Gesundheitsminister und die Bundesbildungsministerin mal an einen Tisch setzen und mit Ländern und Kommunen besprechen, was es jetzt braucht, um die vielen Tausend Flüchtlingskinder gut in unsere Schulen zu integrieren. Auch hier: keine Zusammenarbeit, keine konkreten Ideen.
Liebe Frau Kollegin, Sie haben leider keine Zeit mehr jetzt.
Ich komme zum Schluss und wünsche mir, dass Ihre Missionen erfolgreich sind. Aber dafür müssen Sie auch die Voraussetzungen schaffen, und zwar jetzt.
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Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort Dr. Wiebke Esdar.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bildung und Wissenschaft sind das Fundament unserer Demokratie, das Fundament unseres Wohlstandes und das Fundament unserer Freiheit. Weil uns in diesen Tagen auf so schreckliche Weise vor Augen geführt wird, wie fragil unsere Demokratie, unser Wohlstand und unsere Freiheit sind, vorab das klare Bekenntnis: „Sicherheit im Wandel“ heißt für uns auch, dass wir die jungen Geflüchteten aus der Ukraine – ob das Kinder sind, die aus der Schule gerissen wurden, oder Jugendliche, die mitten im Studium stecken – unterstützen. Dieser schreckliche Krieg darf ihnen nicht das Recht auf Bildung nehmen.
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Wir wissen, dass ganz viele Hochschulen und Schulen bereits voll in die Unterstützung vor Ort eingetreten sind. Die Universität Bielefeld beispielsweise stellt die Turnhalle als Notunterkunft zur Verfügung. Die Buschkampschule bei uns in der Senne organisiert wie ganz viele andere einen Spendenlauf, und die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld unterstützt wie viele andere auch die Unternehmen, die Jobchancen für Geflüchtete schaffen. All diesen Bemühungen in der ganzen Republik gilt mein ganz herzlicher Dank; denn es geht jetzt darum, dass wir den Menschen, die zu uns gekommen sind, ermöglichen, ihren Bildungsweg fortzusetzen und Arbeit zu finden.
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Meine Damen und Herren, Bildung ist nicht nur Fundament unserer Demokratie, unseres Wohlstandes, unserer Freiheit. Bildung, ganz individuell, ist auch Fundament für ein selbstbestimmtes Leben und für wirtschaftliche Unabhängigkeit. Darum werden wir die Mittel für Bildung und Forschung steigern und gemeinsam mit den Ländern dafür sorgen, dass das Geld dort ankommt, wo es vor allem gebraucht wird. Das beginnt mit der frühkindlichen Bildung, geht über die Schulen, die wir besonders da fördern wollen, wo die Startchancen weniger gut sind, und führt zu einem grundlegend reformierten BAföG.
Wenn ich das BAföG mal herausgreifen darf: Wir werden es strukturell modernisieren – in der letzten Legislaturperiode ist das leider nicht gelungen –, weil es doch völlig überholt ist, dass in Zeiten von lebenslangem Lernen eine Altersgrenze besteht.
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Wir brauchen endlich eine Förderung für ein Teilzeitstudium; denn wir wollen es digitaler und elternunabhängiger gestalten.
Frau Ministerin, Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, diese großen Projekte so umzusetzen, wie wir sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Ich sage an dieser Stelle aber auch: Wir wollen einfordern, dass es insbesondere in den Bund-Länder-Projekten zukünftig eine bessere parlamentarische Beteiligung gibt.
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Aber weil die FDP-Fraktion dies in der letzten Legislaturperiode auch immer wieder gefordert hat, glaube ich, dass wir das gut hinkriegen.
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Meine Damen und Herren, bereits im Sondierungspapier haben wir uns auf das 3,5-Prozent-Ziel verständigt. 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen für Forschung und Entwicklung aufgewandt werden. Wir brauchen das; denn Forschung und Entwicklung sind das Fundament, um unsere ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen.
Wir werden den Beitrag dafür erhöhen – nicht nur monetär, sondern wir tragen auch zur Lösung dieser Herausforderungen bei, indem wir sie besser adressieren und die Forschung zielgerichteter und missionsorientiert aufstellen. Mit sechs zentralen Zukunftsfeldern werden wir dem BMBF Themenschwerpunkte an die Hand geben.
Das Ganze geschieht selbstverständlich unter voller Wahrung der Freiheit von Forschung und Lehre. Aber wer Milliarden öffentlicher Mittel bereitstellt, der hat auch den Anspruch, mitzuentscheiden, wofür das Geld aufgewendet wird. Die Forschung bleibt immer ergebnisoffen. Aber wir wollen, dass sich im Haushalt ganz klar abbildet, wie die Wissenschaft uns dabei unterstützen kann, diesen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.
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Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten Voraussetzungen für gute, erfolgreiche Forschung ist, dass Forschende gut arbeiten können. Als jemand, der selbst mit vielen befristeten Verträgen als Doktorandin und als Postdoc gearbeitet und geforscht hat, weiß ich, wie viel Raum es allein einnimmt, wenn man unter unsicheren Zukunftsbedingungen forschen soll, wie viel Raum das im Kopf einnimmt, der dann für Forschungshypothesen, für Ergebnisinterpretationen fehlt. Es frisst aber auch zeitliche Ressourcen, wenn man sich um den Anschlussvertrag bemühen muss.
Darum haben wir den Mittelansatz zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erhöht. Wir werden aber auch Karrierewege außerhalb der Professur stärker unterstützen. Und wir werden Hochschulen, die sich auf den Weg machen, ihre Personal-, Governance- und Organisationsstruktur zu modernisieren, finanziell unterstützen. Denn ich bin davon überzeugt, dass es auch die althergebrachte hierarchische Struktur der deutschen Wissenschaft ist, die an vielen Stellen besseren Arbeitsbedingungen im Weg steht.
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Das wird zusammen mit der Novelle des WissZeitVG dazu führen, dass wir endlich Verbesserungen der Arbeitsbedingungen von Bundesseite anstoßen. Ich will bereits an dieser Stelle an die Länder appellieren: Ziehen Sie da bitte mit!
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Ein weiterer Punkt, bei dem ich „Endlich!“ rufen möchte, ist die DATI; denn die Debatte um die deutsche Transfergemeinschaft führen wir hier schon ein paar Jahre. Jetzt kommt endlich die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation. Wir wollen bei der Transferforschung besser werden, und ich bin überzeugt davon, dass wir das gut hinbekommen, vor allem, weil wir besonders gut aufgestellte Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben.
Wer übrigens eine Blaupause dafür sucht, wie diese Verbundforschung zwischen Unternehmen und Hochschulen bzw. Wissenschaftseinrichtungen gelingen kann,
({8})
den lade ich herzlich in meine Heimat ein. Denn bei it’s OWL entwickeln wir seit zehn Jahren sehr erfolgreich in Verbundprojekten Lösungen für die Industrie 4.0.
DATI soll auch zusammenführen, was es an einzelnen Förderungen in den verschiedenen Häusern schon gibt. An der Stelle wende ich mich ans BMWK – Franziska Brantner als Staatssekretärin ist da –: Mein Plädoyer lautet, dass Forschungseinrichtungen und ‑programme wie beispielsweise AiF und ZIM, die durch das BMWK gefördert werden, in den Bereich der DATI fallen sollen. Lassen Sie uns das unter dem Dach der DATI bündeln; denn nur so schaffen wir es, dass es sichtbarer wird, dass wir wegkommen von dem Förderwirrwarr, dass das eine Haus zu wenig weiß, was das andere macht.
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Meine Damen und Herren, wir haben uns im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Wir wollen mehr Fortschritt wagen, auch im Bereich Bildung und Forschung. Darum ist es richtig, dass der Plafond des BMBF ab 2022 von 20,3 Milliarden Euro auf 21,1 Milliarden Euro bis 2025 aufwächst. Das sind 4 Milliarden Euro mehr als bisher vorgesehen. Auch deshalb freue ich mich auf die Beratungsrunden.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank. – Es folgt der Abgeordnete Marcus Bühl für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Regierungsentwurf für den Haushalt des Bundesministeriums für Forschung und Bildung soll für 2022 bei knapp über 20 Milliarden Euro liegen. Wenn man sich den Einzelplan betrachtet, Frau Ministerin, dann entsteht auch dieses Jahr der Eindruck eines bunten Gemischtwarenladens. Umso wichtiger ist die richtige Priorisierung bei der Mittelverteilung. Schwerpunktsetzungen zum Beispiel in einem so wichtigen Bereich wie der künstlichen Intelligenz kommen mir dabei deutlich zu kurz.
Mit der Grundgesetzänderung im Jahr 2019 wurde der Föderalismus weiter aufgeweicht. Der Bund greift mit dem DigitalPakt Schule in die Kompetenzen der Länder ein. Einen durchschlagenden Erfolg kann man bisher allerdings nicht sehen. Beim Basis-DigitalPakt Schule in Höhe von 5 Milliarden Euro sind zum Jahresende 2021 gerade einmal 19 Prozent der Fördermittel abgeflossen. In meinem Heimatbundesland Thüringen wurden von der rot-rot-grünen Minderheitsregierung bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Mittel abgerufen, was ziemlich bezeichnend ist.
Frau Ministerin, wenn das Tempo weiter so läuft – ähnlich wie beim flächendeckenden Breitbandausbau –, haben die Schüler von heute ihre Ausbildung längst beendet, wenn der DigitalPakt Schule vollendet ist.
({0})
Die Modernisierung und Instandhaltung von Schulgebäuden wurde über Jahrzehnte durch die Bundesländer vernachlässigt, sodass ein milliardenhoher Investitionsstau aufgelaufen ist. Dabei ist der Investitionsstau in der Gebäudeinfrastruktur mittlerweile ein massives Problem. Oder anders gesagt: Was nützt das neueste Tablet, wenn die sanitären Einrichtungen nicht funktionieren, der Putz von den Wänden fällt oder Fenster nicht zu öffnen sind?
({1})
Die Länder müssten eigentlich hier ihrer Pflicht nachkommen, und den Kommunen fehlen leider oft die notwendigen Eigenmittel. Wir als AfD-Bundestagsfraktion werden in dieser Haushaltsberatung eigene Vorschläge unterbreiten, damit Schule in funktionstüchtigen Schulgebäuden stattfinden kann.
({2})
Aus unserer Sicht kommt im vorgelegten Haushaltsentwurf die Förderung der beruflichen Bildung zu kurz. Wir setzen uns für Chancengleichheit ein, egal ob mit Studienabschluss oder beruflicher Ausbildung. Im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarländern sehen wir immer wieder, dass Deutschland wegen seines dualen Ausbildungssystems eine geringere Jugendarbeitslosigkeit hat. Wir können stolz sein auf unsere Handwerker und Industriearbeiter, die die deutsche Qualität weltweit bekannt gemacht haben.
({3})
Sie gehören gefördert und unterstützt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. – Als Nächstes folgt für Bündnis 90/Die Grünen Bruno Hönel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Frau Schön, die Bundesregierung ist jetzt seit 100 Tagen im Amt.
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Sie haben 16 Jahre regiert. Sie haben 16 Jahre die Bildungsministerin gestellt. Wo war denn Ihr Digitalministerium? Ich habe es nicht gesehen. Ich habe nur ein bisschen was von Doro Bär mitbekommen, und die hatte vor allem Flugtaxis im Kopf. Also, mal ehrlich: Ein bisschen piano, Frau Schön.
({1})
Gestatten Sie mir noch eine zweite Vorbemerkung. In den vergangenen Tagen häuften sich Berichte über russische Angriffe auf zivile Einrichtungen, teilweise auf Kindergärten und Schulen, in denen Menschen Zuflucht suchen. Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte. Das sind Angriffe auf wehrlose Menschen, die sich an Orten in Sicherheit bringen, an denen bis vor Kurzem noch Schulunterricht war. Es sind aber auch Angriffe auf die Infrastruktur, die der Ukraine und ihrer Bevölkerung Schaden zufügen werden. Dieser Krieg muss enden! Ich bin der Bundesregierung und allen voran Annalena Baerbock sehr dankbar, dass sie alles dafür tun.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Koalitionsvertrag deutlich gemacht, dass wir ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen wollen. Der Etat für Bildung und Forschung steht dabei selbstverständlich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wenn wir den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken wollen, brauchen wir Investitionen in alle Bildungsbereiche. Die positiven Effekte der Investitionen gehen jedoch deutlich über die wirtschaftlichen Vorteile hinaus. Investitionen in Bildung ermöglichen individuelle Unabhängigkeit und soziale Teilhabe, die entscheidend zu einer offenen und gerechten Gesellschaft beitragen.
({3})
Investitionen in Forschung ermöglichen Innovationen, die den Wohlstand in Deutschland auch in Zukunft sichern können. Sie liefern Erkenntnisse, die es uns ermöglichen, die Auswirkungen des Klimawandels besser zu verstehen, um angemessen und passgenau zu reagieren. Investitionen in Bildung und Forschung sind daher Zukunftsinvestitionen in den Wohlstand und das Wohlergehen unserer Gesellschaft.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Haushaltsentwurf ist ein guter Entwurf; das will ich ausdrücklich sagen. Trotz Corona und trotz des Angriffskrieges auf die Ukraine sind im Gesamthaushalt 30,4 Milliarden für Bildung und Forschung vorgesehen. Das ist ein Rekord. Allein der im Einzelplan 30 enthaltene Bildungs- und Forschungsetat wird bis 2026 auf 21,1 Milliarden anwachsen; das bedeutet 4 Milliarden mehr, als die Vorgängerregierung vorgesehen hatte. Sie sehen: Die Ampelkoalition ist sich ihrer Verantwortung bewusst und investiert nachhaltig und zukunftsorientiert in künftige Generationen.
({5})
Als einen ersten großen Reformschritt sieht der vorliegende Entwurf vor, die BAföG-Mittel für Studierende um 350 Millionen Euro anzuheben. Dieser Schritt trägt maßgeblich zur Chancengerechtigkeit in Deutschland bei; er ermöglicht es uns, sowohl die Zahl der BAföG-Empfängerinnen und ‑empfänger als auch die Bedarfssätze signifikant zu erhöhen.
({6})
Die Union hat eine gerechtere Form des BAföG nicht auf die Kette bekommen. Wir machen uns da jetzt dran, weil wir wissen, dass gute und gerechte Bildung eben nicht vom Geldbeutel abhängen darf.
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Wir vergessen dabei nicht die berufliche Bildung. Wir fördern die Aufstiegsfortbildung mit 786 Millionen Euro; das sind rund 47 Prozent mehr als im Vorjahr. Wir unterstützen damit nicht nur Studierende, sondern die Breite der Gesellschaft, unsere Azubis – in Zeiten massiver Transformation auf dem Arbeitsmarkt und vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das so wichtig.
({8})
Wir investieren in die Zukunft, stellen über 1 Milliarde Euro für die Entwicklung neuer Technologien bereit. Wir setzen bereits im ersten Haushalt das um, was Sie von der Union immer angekündigt, aber eben nie gemacht haben.
Das Gleiche gilt für die Innovationsförderung. Wir verdoppeln den Ansatz für Sprunginnovationen, und wir gründen die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation. Die Union hat gründungswillige Wissenschaftler jahrelang im Regen stehen lassen und riesiges Potenzial verschenkt.
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Das ändern wir jetzt, und das ist gut so.
({10})
Die großen leistungsstarken Institute und außeruniversitären Einrichtungen atmen auf; denn auch deren Finanzierung bauen wir aus und sorgen so für Planungssicherheit. Es macht Spaß, darüber zu sprechen –
({11})
das merken Sie –, weil unsere Koalition eine neue Ära für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland einleitet.
({12})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht nur diesen Entwurf abfeiern;
({13})
ich will auch kritische Töne anklingen lassen.
({14})
Im Bereich der Wissenschaftskommunikation hätte ich mir mehr Mut gewünscht. Der Ansatz wird zwar um 32 Prozent gesteigert; aber die Ambitionslosigkeit der Union in diesem Bereich darf für uns eben kein Vergleichskriterium sein.
({15})
Wir alle haben in den letzten Jahren erlebt, wie Wahrheiten als Lügen und Lügen als Wahrheiten verkauft werden, um Altkanzlerin Merkel bei einer großen Rede zu zitieren. Fake News vergiften den politischen Diskurs. Fakten zum Klimawandel oder zur Wirkung von Impfstoffen werden geleugnet. Zu viele gehen rechten Narrativen auf den Leim.
({16})
Wir müssen besser werden bei der Vermittlung von Wissen, wir müssen Wissenschaft verstehbar machen. Das muss sich auch im Haushalt abbilden.
({17})
Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer sind kein Nice-to-have, sie sind ein Must-have. Hier muss in den nächsten Jahren mehr passieren!
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Entwurf stößt erste wichtige Projekte der neuen Ampelkoalition an, die nun im parlamentarischen Haushaltsverfahren und in den kommenden Jahren noch weiterentwickelt werden müssen. Investitionen in Grundlagenforschung zu Nachhaltigkeit, Klima und Energie sind essenzielle Bestandteile des Etats, um Deutschland sicherer vor den Auswirkungen der Klimakrise zu machen. Diese Mittel gilt es kurz- und mittelfristig zu erhöhen.
Auch der zweite Teil der BAföG-Reform, die Digitalisierung von Bildungsstätten sowie der gerechte Zugang zu Bildung werden uns in den kommenden Jahren beschäftigen.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bis vor Kurzem selbst noch studiert und auch für eine gewisse Zeit BAföG bezogen – bis ich erfreulicherweise von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wurde.
({20})
Ich weiß, wie es ist, für 200 bis 300 Euro alles offenlegen zu müssen und Behörden abzuklappern und noch ein Dokument einzureichen und noch ein Dokument einzureichen. Ich kann mich gut erinnern, wie der Druck des Dispos, obwohl ich neben dem Studium gearbeitet habe, zum Ende des Monats gestiegen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sollte es nicht sein! Das BAföG muss elternunabhängiger werden, es muss unbürokratischer werden! Und es muss garantieren, dass sich Studis auf ihre Ausbildung konzentrieren können und nicht auf die E‑Mail-Korrespondenz mit dem BAföG-Amt.
({21})
Das ist unser gemeinsames Ziel, und das gehen wir an, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Für Die Linke folgt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Krieg hat viel mit Bildung und Forschung zu tun. Das wusste schon Bundespräsident Gustav Heinemann von der SPD. Er sagte am 1. September 1969 in einer Radiosendung: Wir brauchen eine Friedensforschung.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich die Position der Linken zu Putins Krieg gegen die Ukraine beschreiben und unterstreichen: Der Krieg von Putin und seiner russischen Armee gegen die Menschen in der Ukraine ist ein Verbrechen.
({0})
Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand, und diese Armee muss aus der Ukraine abgezogen werden! Die Menschen in der Ukraine und überall in der Welt haben ein Recht auf Frieden.
({1})
Wir müssen aber auch über die Zukunft diskutieren, und wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mit dem Russland nach Putin umgehen wollen. Darum ist es wichtig, dass wir die Kooperationen mit den russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weiter pflegen. Darum ist es wichtig, dass wir die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in Russland bleiben, bleiben müssen, aber gegen den Krieg sind, auch deutlich unterstützen; das ist unsere Aufgabe, meine Damen und Herren.
({2})
Ich finde es auch richtig, dass die Kooperation nicht überall abgebrochen wird. Als Vorbild können wir die Raumfahrt nehmen: Auf der ISS arbeiten Astronauten/Kosmonauten aus den USA, aus Russland und aus Deutschland zusammen, und das sollte uns doch Hoffnung für die Zukunft geben, meine Damen und Herren!
({3})
Das Bildungssystem in Deutschland ist chronisch unterfinanziert. Deutschland liegt im Bildungsranking der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, jenseits von Platz 30, was öffentliche Ausgaben für Bildung betrifft. In keinem anderen vergleichbaren Land hängt der Bildungserfolg so sehr davon ab, wie reich die Eltern sind. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren!
({4})
Für das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen Bundeswehr soll die Schuldenbremse nicht mehr gelten, da wird der Turbo eingeschaltet. Aber für Bildung und Forschung wird die Zukunftsbremse ab 2023 wieder angezogen. Wir müssen also die Schuldenbremse aus unserem Grundgesetz beseitigen; diese Grundgesetzänderung ist dringlich, meine Damen und Herren.
({5})
Stellen wir uns einen Augenblick vor, wir hätten ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen Bildung und Forschung. Das Kommunalpanel 2021 der Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, berichtet von einem Investitionsstau bei den Kommunen von 149 Milliarden Euro. Davon entfallen rund 50 Milliarden Euro auf den Bereich Bildung. Hier müssen wir investieren! Das ist auch ein großer Friedensdienst.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({6})
Vielen Dank. – Es folgt für die FDP-Fraktion der Kollege Christoph Meyer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 16 Jahre CDU-geführtes Bildungsministerium,
({0})
davon die letzten vier Jahre geprägt von einer Hausspitze, die mit den Themen regelmäßig überfordert war, die mit den Themen regelmäßig fremdelte: von der Milchkanne über das christliche Menschenbild, das über technologischen Fortschritt gestellt wurde, von den Peinlichkeiten beim Hochschulpakt, was die Zweckentfremdung von Mitteln angeht – keine Rückforderung von überzahlten Mitteln –, über das BAföG, ebenfalls schon erwähnt, bis hin zum DigitalPakt. Ich glaube, die Rede der neuen Bildungsministerin Frau Stark-Watzinger hat sehr, sehr deutlich gezeigt, dass es jetzt Zeit ist für einen Neustart in der Bildungs- und in der Forschungspolitik, und dafür tritt diese Koalition an.
({1})
Es ist gut, dass wir endlich eine kompetente Ministerin haben, für die Begriffe wie „Algorithmus“ oder „künstliche Intelligenz“ keine Fremdwörter sind, die klarmacht, dass wir in dieser Koalition einen Fokus auf Bildungs- und Forschungspolitik legen wollen.
Dieser Fokus spiegelt sich auch in der Finanzplanung wider: 4 Milliarden Euro mehr bis 2026. Wir steigern die öffentlichen Ausgaben im Bildungsbereich – das wurde hier bereits mehrfach erwähnt – bis 2025 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Der vorliegende Haushalt ist ein Haushalt für Fortschritt, eine Initialzündung für die Dekade der Zukunftsinvestitionen. Mit diesem Haushalt wird endlich Tempo gemacht für lebenslange beste Bildung. Wir schaffen Aufstiegschancen und legen einen klaren Fokus auf junge Menschen. Eine Viertelmilliarde Euro mehr für die Stärkung des BAföGs im zweiten Regierungsentwurf im Vergleich zum ersten Regierungsentwurf, den Sie noch zu verantworten haben, meine Damen und Herren von der Union.
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Wir legen Grundlagen für eine bessere Spitzenforschung. Die Begabtenförderung wird ausgebaut. Die Mittel für die Wissenschaftskommunikation wurden bereits erwähnt. Man kann sicher darüber diskutieren und diesen Entwurf noch besser machen. Wir sind am Beginn der Haushaltsberatungen. Mal sehen, was in diesem Jahr und in den nächsten Jahren geht. Ich bin gespannt, was wir hier in dieser Koalition noch alles erreichen können.
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Innovationen ermöglichen, die technologische Souveränität sicherstellen – das alles wird durch diesen Entwurf auf den Weg gebracht. Wir fördern neue Konzepte. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen, deren Gründung – das wissen Sie alle – in den letzten vier Jahren vor allem von der FDP eingefordert wurde, wird jetzt endlich so ausgestattet, dass sie ihre Arbeit richtig machen kann.
Zukunftstechnologien, Mikroelektronik und IT-Sicherheit, Grundlagenforschung auf europäischer Ebene – das wurde alles schon angesprochen. Unsere Ministerin wird das jetzt alles voranbringen.
Beste Bildung und Forschung sind die Grundlagen unseres Wohlstandes. Sie legen das Fundament für eine auch zukünftig prosperierende Wirtschaft. Beste Bildung ist aber auch der basale Garant für unsere intellektuelle Souveränität, die Grundlage für einen freien, selbstbestimmten und selbstbewussten Menschen in einer liberalen Gesellschaft.
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Angelehnt an den Philosophen Ludwig Wittgenstein könnte man behaupten – damit schließe ich –: Forschung und vor allem lebenslange Bildung sind ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes. – Das ist heute wichtiger denn je.
Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. – Ja, so schnell wechselt das Präsidium.
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst mal muss ich sagen: Ich freue mich, dass ich als Oppositionspolitiker überhaupt hier reden darf.
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Nach den Erfahrungen im Ausschuss scheint das keine Selbstverständlichkeit zu sein.
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Zweitens muss ich sagen: Respekt für die Redner der Koalition! So viele Modelle zum Schönreden sind uns in 16 Jahren nicht eingefallen.
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Ich will einfach mal ein paar Fakten auf den Tisch legen. 100 Tage Regierung: Frau Ministerin, Ihre Bilanz ist zero. Sie reden über ganz vieles, angekommen ist hier nichts an Vorlagen.
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Punkt zwei: das Budget. Wir haben in 16 Jahren diesen Haushalt verdreifacht: von etwas über 7 Milliarden Euro auf zum Schluss fast 21 Milliarden Euro. Dieser Haushalt ist über all die Jahre gestiegen. Sie sind die Erste, die ein fettes Minus mitbringt.
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Es sind minus 650 Millionen Euro mit der globalen Minderausgabe. Minus 650 Millionen Euro! Es ist das erste Mal seit 16 Jahren, dass dieser Haushalt eine Beule kriegt.
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Es werden jetzt 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben mit tollen Projekten – Stichwort „Dual Use“;
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wir wissen von DARPA, was da in anderen Ländern geht –, es sind 100 Milliarden Euro für die Transformation vorgesehen, es sind offensichtlich noch 60 Milliarden Euro aus Coronakrediten übrig, die jetzt umgeschichtet werden. Und für den Bildungshaushalt ist nichts drin? Gar nichts? Ich muss sagen: Das zeigt nicht, dass dieses Haus Gewicht in dieser Regierung hat, und das ist für uns ein Problem.
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Das Problem geht weiter, und zwar ins BMWK; denn ein großer Teil der Forschungsmittel ist da verortet. Eine satte Milliarde – Stichwort „ZIM“ – ist – puff! – verschwunden; die ist einfach weg. Im Oktober ist das erfolgreiche Programm ausgelaufen. Auf Druck der Häuslebauer haben Sie bei der KfW nachgegeben. Die Mittelständler lassen Sie verhungern. Im Juni soll es wieder starten. Es liegen 1 500 unbearbeitete Anträge vor. Bis das erste Geld bewilligt wird, ist ein Jahr rum. 600 Millionen Euro öffentliches Geld, 400 Millionen Euro private Mittel: Weg! Einfach weg!
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Ihre Bilanz – Stand heute – nach 100 Tagen sind minus 1,65 Milliarden Euro. Wie wollen Sie denn das 3,5-Prozent-Ziel erreichen? Mir ist das völlig unklar. Ihr Staatssekretär Thomas Sattelberger hat im Ausschuss auf meine Frage, ob wir jetzt wegen der vielen neuen Themen zum Steinbruch werden, gesagt: Nein, wir erreichen das.
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Ich bin mal gespannt, wie. Er konnte es ja leider nicht einrichten, heute hier zu sein; sonst könnte er es uns möglicherweise erklären.
Zu Ihrer BAföG-Reform titelt der „Tagesspiegel“ heute: „Studentenwerk kritisiert ‚Minimalkorrekturʼ, Studierende sehen ‚Reförmchenʼ“. – Das lasse ich einfach nur mal so im Raum stehen.
({10})
„Parlamentsreif“, haben Sie gesagt, sei dieser Entwurf. Also, wir haben nichts im Parlament. Ich habe letztens mit der GEW gesprochen und gefragt: Was haltet ihr von dem Entwurf? Da sagt die GEW zu uns: Wir sind gar nicht beteiligt worden im Verbändeverfahren. – Was ist denn da los? Also: Ich glaube, beim Handwerklichen ist – –
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– Da hilft das Aufregen leider nicht weiter. Sie können es ja der GEW schicken.
Kommen wir mal zur DATI. Ich höre ja seit 100 Tagen von der DATI. Ich habe den Kollegen Sattelberger bei der Transferkonferenz gesehen. Er hat sich dort selbst sehr gefallen.
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Da wurde von Hunderten Millionen usw. geredet. Jetzt gucke ich in diesen Entwurf und lese: Es sind 15 Millionen Euro – in Worten: fünfzehn!
Herr Kollege, wenn Sie eine Zwischenfrage erlauben, erlaube ich sie auch.
Ja, bitte.
Lieber Kollege Jarzombek, vielen Dank für Ihre Ausführungen. – Zu Ihren Erwartungen, wie schnell die Ampel all die wunderbaren Projekte, die Sie genannt haben, jetzt auch umsetzt: Die haben Sie völlig zu Recht. Wir sind ja auch schon dabei. Das sieht man daran, dass für die DATI jetzt schon Geld eingestellt ist, obwohl sie noch zu gründen ist. Es braucht ein Anfangsbudget, bevor es richtig losgehen kann.
Ich will nur an die Gründung der SprinD erinnern, die erst 2019 gegründet wurde, also mit deutlich mehr Verzug im Vergleich zum Koalitionsvertrag, als es jetzt bei der DATI der Fall ist, bei der es ja jetzt schon, noch in der Gründungsphase, quasi losgeht und für die schon in diesem Jahr Geld eingestellt ist.
({0})
Insofern: Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir da ziemlich rasch unterwegs sind beim Aufbau einer solchen neuen Innovationsagentur, die damit auch sehr schnell einen neuen Drive ins Innovationssystem geben wird, in ein Instrument, das ja die Union die letzten Jahre immer abgelehnt hat, wo es immer hieß, da sei gar keine Lücke, die man füllen müsste? Also: Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass da offensichtlich doch eine Lücke ist und dass wir die jetzt sehr schnell auch füllen werden?
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Also, liebe Kollegin Anna Christmann, ich freue mich sehr über diesen Punkt. Gucken wir doch mal gemeinsam in das hinein, was der Finanzminister aufgeschrieben hat; das ist ja die Beratungsgrundlage heute. Er hat nicht nur 15 Millionen Euro aufgeschrieben, sondern er hat sie auch gesperrt bis zur Vorlage eines schlüssigen Konzepts. Das letzte Mal, als ein Finanzminister geschrieben hat: „gesperrt wegen nicht vorhandenem schlüssigen Konzept“, war bei der Pkw-Maut. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf dem Weg, diese DATI ans Laufen zu bringen.
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Ja, ich sage mal: In 100 Tagen kann man auch ein schlüssiges Konzept bauen.
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Ich halte das für durchaus machbar.
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– Ja, ja, ja.
Da wir schon bei der Presselektüre und Ihren Kommentaren sind: Kollege Kaczmarek hat gestern im „Tagesspiegel“ zur DATI erklärt, man müsse jetzt erst mal klären, ob das Konzept eigentlich von der Regierung oder von den Parlamentsfraktionen eingebracht wird.
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Ich glaube, wenn über diese Frage heute, nach 100 Tagen, noch keine Klarheit herrscht, dann haben Sie echt noch eine Menge Strecke zu gehen.
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Was diese DATI machen soll, habe ich nicht verstanden.
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Ich sehe Leute, die sind verliebt in eine Institution und suchen deshalb zwanghaft ein Problem. Das Problem haben sie aber noch nicht gefunden. Ich bin gespannt darauf.
Währenddessen lese ich im „Tagesspiegel“, dass das BMWK – liebe Anna Christmann, Sie verantworten ja im BMWK solche Themen – das Programm IGF mit einem Volumen von 200 Millionen Euro weiterbetreibt und dabei ist, das Programm zu modifizieren, um genau die Themen anzugehen, die eigentlich die DATI angehen soll. Vielleicht reden Sie mal miteinander. Wir haben danach gefragt, und da hat die Ministerin im Ausschuss gesagt, dass die Staatssekretärin Brantner und der Herr Sattelberger viel miteinander reden.
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Auf die Frage „Wann war das?“ haben wir keinen Termin genannt bekommen. Und dann wurde uns noch gesagt: Über die Milliarde von ZIM und über EXIST wurde nicht geredet.
Also, ich frage mich: Was haben Sie eigentlich die ganzen 100 Tage gemacht? Ich habe heute die Antwort in der „Bild“-Zeitung gefunden: Der Kollege Sattelberger – Sie haben es vielleicht gesehen –
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posiert im Raumanzug auf TikTok,
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er streitet sich mit Herrn Kaeser auf Twitter,
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er hat einen netten Hund, den er da präsentiert, und seinem Mann hat er auch Komplimente gemacht.
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Das finde ich großartig.
Kommen Sie zum Schluss.
Ich kann am Ende nur sagen: Schluss mit den Gags, ran an den Speck! Auf geht’s!
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Der nächste Redner ist der Kollege Sönke Rix, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Es ist nach Niveau gerufen worden, und ich habe gesagt: Fairerweise erst mal abwarten, bitte nicht vorher loben.
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Lieber Thomas Jarzombek, ich will ganz kurz darauf eingehen: Du hast beschrieben, dass wir verliebt seien in DATI, in das, was wir jetzt daraus machen. Ich sage: Besser in dieses Projekt verliebt sein als in die Autobahnmaut. Das muss man durchaus sagen.
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Und besser verliebt sein in solche Sachen als in Raumfahrttaxis oder so. Von daher: Wollen wir erst mal gucken.
Zu den Hinweisen auf Auftritte des Kollegen Sattelberger auf TikTok, mit Verlaub: Das kann man ja sehen, wie man möchte. Aber das entbindet Sie nicht davon, hier Ihre Ideen einzubringen, hier mal zu sagen, was Sie machen wollen,
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statt nur die Tatsache zu beschreiben, dass wir nicht schnell genug sind, um all das aufzuarbeiten, was im CDU-geführten Bildungsministerium so lange liegen geblieben ist.
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Das ist ein bisschen wenig, finde ich, für eine konstruktive Opposition. Und das, habe ich so verstanden, wollen Sie ja eigentlich sein.
Ich hatte mir extra Zettel und Stift hingelegt und gedacht: Na ja, von Thomas kann man vielleicht noch ein bisschen was lernen.
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Das habe ich leider vermisst. Aber vielleicht klappt das ja bei der zweiten und dritten Lesung.
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Meine Damen und Herren, diesen Haushalt muss man vor der aktuellen Lage betrachten. Die Welt ist eine andere seit wenigen Tagen, wenigen Wochen. Putins Krieg gegen die Ukraine hat die Welt dramatisch verändert. Menschen verlieren ihr Leben. Menschen verlieren ihre Zukunft, ihre Heimat. Menschen haben Angst. Jetzt ist es ganz besonders wichtig, gerade im Hinblick auf die Situation in der Ukraine, den Menschen – nicht nur den Menschen in der Ukraine, sondern insgesamt – Zuversicht zu geben und Sicherheit zu vermitteln.
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Das ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Haushalts.
Da gibt es einmal die äußere Sicherheit. Darüber haben wir im Rahmen der Debatte über den Verteidigungshaushalt und der Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes diskutiert und nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, als wir über das gesamte Programm diskutiert haben.
Es gibt die innere Sicherheit. Wir haben alle ein Bedürfnis, zu gucken: Was ist hinsichtlich der Cyberkriminalität anders geworden? Wie ist die Situation? Hat sie sich verändert?
Es gibt die Sicherheitsfrage im Bereich der Energie: Kann ich mir die Energie noch leisten? Gibt es eigentlich noch genügend Energie? Wird meine Heizung immer noch funktionieren?
Ich bin sowohl der Bundesregierung als auch der Ampelkoalition insgesamt dankbar, dass sie auf diese drei wesentlichen Angstsituationen Antworten geben. Wir sorgen dafür, dass die Menschen auch in diesen Feldern ein Gefühl der Sicherheit bekommen.
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Natürlich wollen die Menschen, die aus der Ukraine zu uns flüchten, hier eine Sicherheit haben. Ich bin all den Menschen und Institutionen dankbar, die dafür sorgen, dass diese Menschen hier richtig ankommen. Aber wir müssen den Menschen auch sagen: Wir kümmern uns um eure Sicherheit auch im Rahmen von Ausbildung, von Bildung, von Betreuung, von Schule. Auch das ist etwas Wesentliches. Deshalb bin ich dem Finanzminister dankbar, dass er sagt: All das, was wir diesbezüglich an zusätzlichen Ausgaben haben, werden wir im Etat noch mal gesondert ausweisen. – Das ist ein wichtiges Signal, glaube ich, für die geflüchteten Menschen, die zu uns kommen.
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Wir brauchen die soziale Sicherheit auch für die Menschen hier in unserem Land, weil sie sich gerade in Zeiten des Umbruchs fragen: Ist all das, worauf ich mich noch bis vor wenigen Wochen oder Monaten, worauf ich mich bis vor Kurzem verlassen konnte, noch sicher? Deshalb brauchen wir die soziale Sicherheit. Dazu gehört auch Sicherheit im Bildungsbereich. Und für diese Sicherheit sorgen wir, indem wir sagen: Ja, wir machen weiter bei der Digitalisierung von Schulen. Wir machen nicht weniger, wir machen sogar mehr in diesem Bereich. Das ist die Sicherheit, die die Menschen brauchen; denn sie sagen: Meine Kinder sollen auch digital vernünftig ausgestattet sein; die Schule soll digitalisiert sein. – Das wollen wir gemeinsam weiter mit den Ländern machen. Da gibt es keine Abstriche. Diese Sicherheit geben wir.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP],
Dann wollen wir für Studierende – das ist schon erwähnt worden – die BAföG-Reform. Natürlich fragt sich jetzt jeder junge Mensch: Kann ich mir ein Studium jetzt leisten? Wie wird meine soziale Situation sein? Wie wird die wirtschaftliche Situation sein? Darauf antworten wir als Staat: Ja, wir schaffen mit dem BAföG eine Absicherung für dich, wir sichern dich ab, du kannst studieren, du kannst elternunabhängig, altersunabhängig und unkompliziert an BAföG rankommen. – Das ist das, was wir uns vorgenommen haben. Das bietet Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Meine Damen und Herren, was auch sehr wichtig ist, ist, dass wir es schaffen, die Startchancen für Schülerinnen und Schüler in besonderen Situationen, an besonderen Schulen, an besonderen Orten zu verbessern. Da sagen wir als Bund: Das wollen wir gemeinsam mit den Ländern machen. Ich betone: gemeinsam mit den Ländern. Wir wollen die Länder nicht aus der Verantwortung lassen; aber wir werden als Bund auch hier unseren Beitrag leisten.
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Und wir werden dafür sorgen, dass all das, was wir in der letzten Koalition im Wissenschafts- und Forschungsbereich angefangen haben, in Krisenzeiten abgesichert ist. Wir wollen sogar noch mehr; das ist gerade eben von meinen Vorrednerinnen sehr deutlich beschrieben worden.
Also, unterm Strich: Sicherheit im Wandel ist wichtig, und wir gehen mit diesem Entwurf des Haushalts einen ersten Schritt.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Rix. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste Haushaltsdebatte dient einmal mehr dazu, die Bildungslage oder besser: Bildungsnotlage der Nation ganz grundsätzlich zu betrachten.
Frau Stark-Watzinger, Sie haben ein schweres Erbe angetreten. Sie übernahmen die Verantwortung für ein ideologisch sturmreif geschossenes Bildungssystem, in welchem immer mehr Schüler Einser-Abiture ablegen und gleichzeitig das Bildungsniveau immer weiter verfällt.
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Schüler haben immer mehr Kompetenzen, können aber immer weniger. Das ist traurige Realität.
({1})
Trösten Sie sich bei aller Kritik ein Stück weit: Selbst ein Wunder wäre überfordert damit, aus einer solch verfahrenen Ausgangslage ein Bildungshochleistungsdeutschland zu erschaffen.
Die jüngste Kritik der Generalkonsulin der Ukraine erteilte dem deutschen Schulsystem eine denkwürdige Klatsche. Sie bat darum, die ukrainischen Kinder nach ukrainischem Schulsystem zu beschulen, nach ukrainischen Lehrplänen mit ukrainischen Lehrern. Ansonsten drohe der Ukraine eine verlorene Generation. Der Unterricht in der Ukraine sei intensiver, vollziehe sich in kürzerer Zeit als in Deutschland und habe ebenso höhere Anforderungen. Die kriegsgebeutelte Ukraine hält Deutschland den Spiegel vor. Es gefällt nicht, was wir darin sehen, nämlich die traurigen Augen einer verlorenen Bildungsgeneration Deutschlands.
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Sie selbst sagten ja völlig zu Recht, dass es nicht hinnehmbar sei, dass ein Fünftel der Schüler die Schulen verlässt, ohne richtig lesen zu können. Doch wo sind Ihre Lösungen? Dabei wissen wir seit Jahrzehnten: Die Schulinfrastruktur, die Lehreraus‑, ‑weiter‑ und ‑fortbildung benötigen dringend eine große nationale Kraftanstrengung.
Leider, Frau Ministerin, setzt Ihr Bildungshaushalt das lange bange Warten auf den großen Wurf in der Bildungspolitik nahtlos fort. Bildung ist ganz offensichtlich das ungeliebte Stiefkind der bunten Republik Deutschlands. Das drückt sich auch in nackten Zahlen, nämlich dem Rückgang des Bildungsetats um 2,5 Prozent aus. Sie halten Kurs? Ja, auf den Eisberg. Vor der Flüchtlingskrise bis zur intellektuellen Kernschmelze kaputtreformiert, weiterhin überfrachtet mit unhaltbaren, bunten, nachhaltigen und Hauptsache ideologiebeseelten Heilsversprechen, sinkt das Bildungsniveau stetig weiter.
({3})
Das coronabedingt Versäumte kann nicht nachgeholt werden. Mangelnde Digitalisierung, babylonisches Sprachenwirrwarr in den Klassensälen, erschreckend viele Kinder mit Todeswunsch und Lehrermangel überall.
Liebe Bildungsnotstandsleugner hier im Saal und an der Regierung, Deutschland erwartet von Ihnen den Blick auf die Schulen dieses Landes. Nehmen Sie Ihre Kollegen von der Ampel ins strenge Gebet, und holen Sie alle Fraktionen in Bund und Ländern ins Boot für diesen überfälligen Neustart! Es muss Ihnen doch klar sein: Die Zukunft unseres Landes wird an den Schulen entschieden.
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Ohne studier- und ausbildungsreife Schulabsolventen wird es keinen Nachwuchs für Hochschulen und Betriebe, für Wissenschaft und Forschung und damit keinen Wohlstand und kein Lebensglück für möglichst alle mehr geben. Wir müssen endlich zurück in die Zukunft; das heißt, Rückkehr zu den Kernaufgaben von Schule und Bildung: Rechnen, Schreiben, Lesen, kreatives Vernetzen, kritisches Denken.
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Wenn Deutschland, das früher einmal die meisten Nobelpreisträger hervorbrachte und dessen dreigliedriges Schulsystem und berufliche Bildung weltweit führend und anerkannt waren, wieder auf die vorderen Plätze des Bildungsrankings vorstoßen möchte, müssen Sie endlich grundsätzlich etwas ändern.
Frau Ministerin, Kindern gilt unsere ganze Liebe, sie sind unser höchstes Gut und unsere ganze Hoffnung für unsere gesellschaftliche Zukunft. Ihre Gesundheit, ihr Schutz und ihre Bildung haben allerhöchste Priorität.
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Ihre geistige und moralische Unabhängigkeit ist die Essenz unserer Freiheit und Demokratie, und das möchten wir in Ihrem Haushalt ganz grundsätzlich abgebildet sehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Höchst. – Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute können wir mit Freude endlich den ersten Haushalt für Bildung und Forschung beraten, der mehr Chancengerechtigkeit, Innovationsfreude und Zukunftsmut atmet.
({0})
Was wir heute klug investieren, zahlt sich morgen doppelt und dreifach aus.
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen: Krieg, Klimakatastrophe, Pandemiekrise. Wissenschaft und Forschung sind Frühwarnsysteme und helfen uns, diese und andere Krisen zu bewältigen. Würden alle gleichermaßen auf die Wissenschaft hören, dann wäre für Krisenvorsorge so viel gewonnen.
({1})
Missionsorientierte Forschung, Forschung für Klima, Energie, Frieden, Migration und Gesundheit sind kein Nice-to-have, sondern elementar für die Resilienz und Robustheit unserer Gesellschaft.
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Bildung und Forschung sind die Quellen unseres künftigen Wohlstands, Wachstums und Fortschritts, und darum müssen sie gerade jetzt besser finanziert werden. Wenn wir die 2020er-Jahre zum Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen machen wollen, muss sich das unter anderem in unserem Einzelplan 30 widerspiegeln, und das tut es.
16 lange Jahre haben Ministerinnen der Union – Frau Schavan, Frau Wanka und Frau Karliczek – das BMBF geleitet. Ein Wechsel an der Hausspitze tat gut
({3})
und sorgt für frische Luft und mit den Projekten des Ampelkoalitionsvertrags für neuen Drive.
Jeder Euro, der in diesen Haushalt fließt, wird zum Zukunftseuro, wenn wir damit für Bildung für alle, für Freude am Forschen und für einen nachhaltigen und klimaneutralen digitalen Umbau unserer Volkswirtschaft sorgen. Darum bin ich froh, dass der Regierungsentwurf schon jetzt eine ordentliche Schippe auf den alten Entwurf der GroKo drauflegt. Bis 2025 werden es über 4 Milliarden Euro mehr werden – für Schulen, Hochschulen, Azubis, Studis, Labore und forschende Unternehmen.
({4})
Zentrale Projekte gleisen wir 2022 auf. Mit dem Programm „Startchancen“ für mehr Bildungsgerechtigkeit werden wir Schulen in benachteiligten Regionen und Quartieren unterstützen.
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Der DigitalPakt bekommt ein Update, um unsere Schulen endlich für Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter fit zu machen, und die überfällige Modernisierung des BAföG läuft jetzt an.
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Wir werden es in mehreren Reformschritten zu einem Chancengerechtigkeitsgesetz entwickeln.
Ich höre von den Oppositionsbänken jetzt schon wieder, dass das alles noch nicht reicht. Ist ja klar: In 100 Tagen kann nicht alles anders, aber vieles besser werden.
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Ich wünsche mir: Lassen Sie uns wettstreiten um die besten Konzepte! 100 Tage ohne Oppositionsanträge: Da fehlt uns was.
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Lassen Sie uns gern zusammenwirken, damit Deutschland ein agileres Land der Ideen wird, mit Chancen für alle, egal welcher Herkunft, von der Kita bis zur Weiterbildung, mit Offenheit für Neues, mit Strategien zur Fachkräftesicherung, mit besseren Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und mit mehr Dynamik im Innovationsprozess.
Gerade als Ausschussvorsitzender bin ich optimistisch, dass wir als selbstbewusstes Parlament auch diesen Haushalt an notwendigen Stellen noch besser machen werden.
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Wichtig wird auch der Ergänzungshaushalt sein, mit dem wir auf den russischen Angriffskrieg reagieren; denn Hunderttausende Schüler/-innen, Studierende und Forschende – ukrainische sowie aus Drittstaaten – müssen vor Krieg fliehen. Ihre Aufnahme ist eine Mammutaufgabe für unser Bildungs- und Forschungssystem.
Wissenschaftsfreiheit und weltweite wertegeleitete Wissenschaftskooperationen zeichnen uns als Land aus. Daher ist das Einfrieren institutioneller Kooperationen mit dem Putin-Regime so wichtig.
Wir können auf viele Programme und Erfahrungen aus 2015 folgende zurückgreifen. Wir können die Verfolgtenprogramme aufstocken, und die Programme „Welcome“ und „Integra“ sind Blaupausen für jetzt.
Die Hilfsbereitschaft hier im Land ist derzeit riesengroß – an Schulen, in Ausbildungsbetrieben und an Hochschulen, von der HRK über den ZDH bis zum DAAD. Danke an alle, die sich engagieren!
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Ich wünsche mir in einer Zeit, in der uns der Krieg auf der Seele liegt und Corona noch in den Knochen steckt, eine neue Kultur der Zusammenarbeit, vor allem zwischen Bund, Ländern und Kommunen, im Sinne eines kooperativen Bildungsföderalismus und einer Verantwortungsgemeinschaft für bessere Bildung. Sei es die Aufnahme von Geflüchteten, die Bewältigung der Coronafolgen, die überfällige Modernisierung unserer Bildungseinrichtungen, die technologische Souveränität Europas oder die klimagerechte Transformation: Die Herausforderungen sind riesig und in den letzten Jahren angewachsen. Sie dulden keinen Aufschub. Mit diesem Haushalt ist ein wichtiger Schritt getan.
Ich freue mich auf die Beratungen für mehr Zukunftsmut und mehr Zukunftsinvestitionen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schön, dass das Präsidium fast wieder vollständig ist! – Ich habe mich also zu Ihrem Haushalt zu äußern, der auf Grundlage Ihres Koalitionsvertrages, der unter dem Label „Mehr Fortschritt wagen“ läuft, geschrieben worden ist. Das ist ja erst einmal eine tolle Geschichte und löst bei mir ungemeine Erwartungen aus. Fortschritt beginnt mit Bildung und Forschung.
Wir durften von Ihnen bei der Überschrift also Fulminantes erwarten. Was aber ist passiert? Ihr „Chancenministerium“, wie Sie es vorhin bezeichnet haben, hat als Erstes mal die Chance genutzt, dass seine Mittel um 2,5 Prozent gekürzt werden. Da passt was nicht zusammen.
({0})
Ich kann es Ihnen auch nicht ersparen: Wer die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr als Investitionen in Freiheit und Zukunft bezeichnet, muss sich hier fragen lassen: Wieso werden Ausgaben für Bildung und Forschung nicht genauso bewertet?
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Sie wollten hier doch das Aufstiegsversprechen und mehr Bildungsgerechtigkeit umsetzen. Ihre Mission muss sein, gemeinsam mit den Ländern in den nächsten vier Jahren dafür zu sorgen, dass das Bildungs- und Hochschulsystem endlich ausfinanziert wird.
Sie haben gute Ideen in Ihrem Koalitionsvertrag. Ich nenne nur einmal das Begegnen von Hochschulen für Angewandte Forschung und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften mit Universitäten auf Augenhöhe. Das werden Sie aber nicht zum Nulltarif bekommen – schon gar nicht für weniger. Sie brauchen für die Fachhochschulen Zugang zu Förderprogrammen. Sie brauchen die Angleichung von Lehrleistungen. Sie brauchen andere Besoldungsstrukturen. Sie brauchen mehr Anreize für die Entwicklung eines wissenschaftlichen Mittelbaus, und es braucht eben auch die Unterstützung von Ihrer Seite für die Länder und die Hochschulen bei der Einrichtung von Promotionsrechten an den Hochschulen für Angewandte Forschung. Und nun fragt man sich doch: Wie soll das alles gehen? Sie müssen es mit den Ländern finanzieren. Und da können wir fünfmal über die DATI sprechen – sie wird das Problem nicht lösen.
({2})
Insofern will ich nur sagen: Wenn Sie die Mittel insbesondere für jene, die aus der Ukraine kommen, für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, für einen Neustart, für die Schülerinnen und Schüler erst über den Zusatzhaushalt bereitstellen wollen, dann hoffe ich nur, dass wir nicht die gleiche Überraschung erleben wie mit diesem Haushalt.
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Vielen Dank, Frau Dr. Sitte. – Es ist auch eine Methode, eine Maske aufzusetzen, um die Redezeit zu verlängern. – Nächster Redner ist der Kollege Mario Brandenburg, FDP-Fraktion.
({0})
Willkommen zurück, Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerne hätte ich eine Rede zum Haushalt gehalten; aber leider hat sich mein Zettel mit vielen hier geäußerten Thesen gefüllt.
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Ich möchte, Frau Schön, Herr Jarzombek, darauf eingehen.
Zu DATI und dem Vorwurf, dass da Gelder gesperrt sind:
({1})
Es ist ordentliche Buchführung, dass, wenn ein Konzept noch nicht vorliegt, die Gelder gesperrt werden.
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Da ist es egal, ob das Haus gelb ist und das andere Haus grün. Das nennt sich: Compliance.
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Dass dies aber nicht immer Ihre Stärke ist, kann man beispielsweise an der Batteriezellforschung im Vorgarten Ihrer ehemaligen Bildungsministerin sehen.
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Dann wird hier kritisiert, dass es nur 15 Millionen Euro für etwas gibt, was in Gründung ist. Wir sprechen hier über dieses Jahr. Da geht es darum, Leute einzustellen, ein Gebäude zu finden, von mir aus einen Kicker und einen Kaffeeautomaten zu besorgen und das Ding einfach mal auf die Straße zu setzen. Das zu kritisieren, zeigt aber den elementaren Unterschied: Wir überlegen uns Projekte, schauen, was sie kosten, und schreiben sie in den Haushalt. Sie schreiben einfach Geld in den Haushalt und hoffen, dass irgendjemand daraus ein Projekt macht. Deswegen sind Sie abgewählt, deswegen machen wir das jetzt.
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Herr Kollege Brandenburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Ich habe mir das jetzt eine Stunde lang anhören müssen; jetzt müssen Sie es sich am Stück anhören. Wir haben noch viel Spaß im Ausschuss.
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– Nein, nein, nein. 60 Minuten, das tut weh! Ich habe nur noch anderthalb Minuten und mache das jetzt fertig.
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Dann komme ich zu SprinD. Was dazu gesagt wurde, finde ich wirklich interessant; denn das ist doch eigentlich auch Ihr Baby. Wir versuchen doch gerade, Ihrem Baby mehr Freiheit zu geben, weil wir uns doch eigentlich einig sind, was das Ziel ist und wo wir hinwollen: mehr disruptive Innovationen aus Deutschland. Wenn Sie uns, während wir versuchen, quasi Ihr Baby zu befreien, das Sie gefesselt haben, anfeinden, dann werde ich daraus, ehrlich gesagt, leider nicht schlau. Aber vielleicht können Sie mir im Ausschuss erklären, wo Sie damit hinwollten.
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Nachdem Sie sich persönlich angegriffen fühlten, muss ich dem Kollegen Sattelberger zur Seite springen: Wenn jemand in Quarantäne ist, dann ist er nicht im Plenum. Ich glaube, das ist in der CDU/CSU-Fraktion ähnlich; ich will es jedenfalls hoffen. Das ist das gängige Verfahren. Insofern war der Anwurf billig. Wenn Sie es nicht gewusst haben, dann: Schwamm drüber.
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Leider waren es so viele Anwürfe, dass nicht einmal drei Minuten reichen. Ich fand auch putzig, hier das TikTok-Verhalten von Herrn Sattelberger zu kritisieren und dann einen Satz zu sagen wie: Er fand sich in seiner Rolle auf irgendeinem Podium gut. – Also, Herr Jarzombek, wenn Sie eine dritte Hand gehabt hätten, dann hätten Sie sich noch beim Reden gefilmt. Insofern sollte man mal vor seiner eigenen Haustür kehren.
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Leider habe ich jetzt keine Zeit mehr für irgendetwas Inhaltliches. Ich freue mich auf den Ausschuss und wünsche uns allen einen schönen Abend.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Brandenburg. – Ich wollte nur sagen: Es ist nicht nur sinnvoll, sich in Isolation zu begeben, wenn man infiziert ist; es ist auch vorgeschrieben.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ingeborg Gräßle, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht sollten wir wieder zur Sachlichkeit zurückkehren.
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Dieser Klamauk ist doch unangemessen
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und eigentlich auch dieses Hauses und unserer Mission unwürdig.
Ich möchte, Frau Ministerin, darauf zurückkommen, dass wir bis jetzt im Forschungsbereich einen extrem dynamischen Haushalt hatten, den dynamischsten überhaupt.
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Und jetzt starten Sie mit einem Minus von 2,5 Prozent. Wir finden das ausgesprochen bedauerlich.
Wenn man sich die Kürzungen anschaut, dann sieht man, dass bei der allgemeinen Projektförderung um 8 Prozent gekürzt wurde. Das ist da, wo Kreativität und Flexibilität sitzen. Da ist übrigens auch das Forschungsschiff „Polarstern“ angesiedelt, das zu einer wirklich beeindruckenden Reise aufgebrochen ist. 8 Prozent weniger – das ist eine empfindliche Kürzung.
Wenn man sich jetzt anschaut, wo der Bereich des größten Wachstums ist, dann sieht man – jawohl! –: beim Ministerium plus 16 Prozent fürs Personal. Das ist doch unangemessen, und auch das lässt schon wirklich viele Fragen offen. Deswegen: Wir sehen nicht, dass hier – abgesehen von dem Weihrauchfass – wirklich Prioritäten gesetzt wurden und Zukunftserwartungen erfüllt werden. Schade, schade!
2019 gab es eine BAföG-Erhöhung um 15 Prozent. Jetzt gibt es 240 Millionen Euro mehr, aber natürlich nur für die Abfederung der Coronafolgen. Ich finde es wichtig, die Coronafolgen bei den Studentinnen und Studenten abzufedern. Ich selbst weiß, wie wichtig BAföG ist: Ich habe mit dem BAföG sowohl das Abitur gemacht als auch zu studieren angefangen. Nur glaube ich, dass man auch hier wirklich kleine Brötchen backen muss und aufhören muss, Selbstverständlichkeiten mit einer Lobhudelei zu übergießen, die für alle normal denkenden Menschen schwer erträglich ist.
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Ich möchte unsere Aufmerksamkeit auf das Aufstiegs-BAföG lenken. Die Gleichbehandlung der Ausbildungsgänge – berufliche Ausbildung, akademische Ausbildung – muss uns wichtig sein,
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gerade wenn wir sehen, wie wichtig die berufliche Schiene in den kommenden Jahren sein wird. Ich war gestern beim Baden-Württembergischen Handwerkstag, der hier in Berlin zu Gast war. Die Kollegen sagten uns dort, dass sie angesichts des Bedarfs an Wärmepumpen im Rahmen der Energiewende 60 000 zusätzliche Monteure brauchen. Das heißt: Hier müssen wir doch Geld zur Verfügung stellen, damit die Meister auch ausbilden können. Wir müssen hier viel mehr tun als bisher. Sonst werden wir es nicht schaffen. Hier geht es nicht darum, einfach nur zu kritisieren, sondern es geht um eine fundamentale Aufgabe beim Management des Klimawandels. Also: statt Fridays for Future lieber Montag bis Freitag fürs Klima!
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Noch ein Punkt: Wasserstoff. Für den Ausbau müssen alle Ebenen – auch durch Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren – zusammenwirken. Mein Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd hat mir vor zehn Tagen diese 176 Seiten in die Hand gedrückt. Das ist ein Leitfaden für die Genehmigung einer Wasserstofftankstelle.
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Eine will er bauen, nur eine! Und jetzt schlägt er sich mit der Industrieemissionsrichtlinie der EU herum, die in Deutschland so umgesetzt wurde,
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dass für die Herstellung, egal welche Menge produziert wird, das ganze komplexe Verfahren durchlaufen werden muss. In Frankreich gilt das erst ab 40 Kilo pro Tag. Wir reden hier doch auch über bessere Planungsverfahren. Wir müssen also auch darüber reden, was wir sonst noch jenseits des Geldes machen müssen. Unser Vorschlag wäre: Machen Sie sich daran, packen Sie es an! Die ganzen Technologieskeptiker sitzen jetzt bei Ihnen in der Regierung.
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Wir wollen, dass die Energiewende gelingt. Machen Sie etwas! Deutschland wartet.
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Geld ist nicht alles, Strukturreformen sind wichtig – das schreibt die Expertenkommission Forschung und Innovation in einem übrigens beeindruckenden Gutachten, und auch der Bundesrechnungshof schreibt es.
Wir müssen auch in den nächsten Monaten über die lange Leidensgeschichte der Bund-Länder-Beziehungen reden. Jede Regierung hat sie bisher erlitten. Sie führen, Frau Ministerin, ein Ministerium des goldenen Zügels. Der Bund erkauft sich Mitsprache über Zuschüsse. 51 Prozent der Mittel entfallen auf Bund-Länder-Vereinbarungen. Der Bund zahlt, die Länder schaffen an – oder auch nicht –, und der Bund hat nur wenig Möglichkeiten der Mitwirkung. Das gilt übrigens auch für den Nachfolger des Hochschulpakts und für die kommenden Bildungsplattformen.
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Ich glaube, dass wir gut daran täten, die Strukturen zu vereinfachen, dass wir gut daran täten, mit Mut die Dinge so zu vereinfachen, dass auch die Projektträger vor Ort und die Kommunen besser mit dem zurechtkommen, was an Regulierung vorgelegt wird.
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Übrigens fehlt dann auch nicht mehr das Geld für neue Aufgaben. Das ist der Stoff, aus dem Veränderungen gemacht werden, und da haben Sie uns an Ihrer Seite.
Danke schön.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Gräßle.
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– Nein, Sie waren 15 Sekunden drüber; aber das ist egal.
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Ich habe mich ja bei Ihnen bedankt.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carolin Wagner, SPD-Fraktion. Es ist ihre erste Parlamentsrede.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Damen und Herren! Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind drei Eckpfeiler, auf die wir setzen müssen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Genau deshalb sind diese drei Bereiche als Schwerpunkte im Koalitionsvertrag enthalten. Genau deshalb finden sich diese drei Bereiche im Titel des Jahresgutachtens der Wirtschaftsweisen. Mit Blick auf den Bildungsetat greifen diese drei Bereiche genau deshalb unmittelbar zusammen.
Da geht es natürlich um Bildung – klar, sonst wäre es nicht der Bildungsetat –, aber es geht auch zentral um Digitalisierung, die auch den Bildungsbereich massiv verändert. Deshalb nehmen wir eben viel Geld in die Hand, um etwa mit dem DigitalPakt Schule digitale Kompetenzen schon im Kindesalter zu verankern.
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Und wozu? Zu Recht natürlich, meine Damen und Herren. Denn wir müssen eine digital kompetente, eine medienkritische Gesellschaft werden. Auch das ist ein zentraler Pfeiler für ein resilientes Land, den wir neben der Debatte um militärische Ausrüstung für unsere Wehrhaftigkeit nicht aus den Augen verlieren dürfen.
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Bildung wird aber nur dann zu guter Bildung, wenn sie nachhaltig ist, wenn sie auf professionellen, auf didaktischen Konzepten basiert. Dafür braucht es in allen Bildungsbereichen das am besten ausgebildete Fachpersonal, und für dieses braucht es die besten Arbeitsbedingungen.
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Unsere Ampelkoalition zeigt sich hierfür als verlässlicher Partner und leistet mit einem großen Posten für das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses einen Beitrag hierzu. Das, werte Damen und Herren, ist Sicherheit im Wandel.
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Mit über 20 Milliarden Euro fördern wir effektiv – und darauf kommt es an: effektiv –die Ressource in diesem Land: ganz viele kluge Köpfe.
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Mit unseren Maßnahmen wie etwa dem Startchancenprogramm oder dem LebensChancen-BAföG werden wir Strukturen im Bildungssystem spürbar verbessern. Wir heben Potenziale und erneuern damit unser Versprechen des Bildungsaufstiegs.
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Beim BAföG etwa hören wir endlich auf, mit Pflaster und Tupfer das System am Laufen zu halten. Nein, wir unterziehen es jetzt der überlebensnotwendigen Operation; denn nach Jahren sinkender Gefördertenquoten wollen wir endlich wieder deutlich mehr junge Talente aus einkommensschwachen Familien fördern, damit sie ein Studium aufnehmen, damit eben eine akademische Ausbildung nicht länger vom Geldbeutel der Eltern abhängt, werte Kolleginnen und Kollegen.
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Neben all diesen Dingen darf eine Sache niemals zu kurz kommen, und das ist das Thema Gleichstellung. Gerade einmal 26 Prozent der Professuren in diesem Land sind von Frauen besetzt. Zu viele weibliche Talente gehen uns im Wissenschaftssystem verloren.
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Deshalb ist es wichtig, dass wirkungsvolle Maßnahmen wie etwa das Professorinnenprogramm weiterhin finanziert werden; denn es führt bei den beteiligten Hochschulen zu einem enormen Wandel, auch und gerade für die darunter liegenden Qualifikationsstufen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bildung ist der Schlüssel zur Welt. Gute Bildung führt eher zu einem sicheren Arbeitsplatz und einem höheren Einkommen, eher zu besserer Gesundheitsversorgung und Teilhabe. Bildung ist das Fundament für ein selbstbestimmtes Leben im Sinne der Sozialdemokratie, und dafür sorgen wir in der Zukunftskoalition der Ampel unter anderem eben mit unseren Bildungsvorhaben.
Chancengerechtigkeit und Aufstiegschancen fallen nicht einfach so vom Himmel. Man muss sie aktiv durch Strukturen herstellen und verankern, und darum kümmern wir uns. Wir schaffen Perspektiven, wir schaffen Zukunft für 83 Millionen Menschen.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Wagner. – Als nächsten Redner hören wir den Kollegen Dr. Michael Kaufmann, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Der Koalitionsvertrag der Ampel ist im Hinblick auf das Thema Forschung vor allem eine Sammlung von Phrasen und luftigen Absichtsbekundungen.
Ich habe mir vom Haushaltsentwurf Klarheit darüber erhofft, wie denn die Koalition ihr Motto „Mehr Fortschritt wagen“ in die Tat umsetzen möchte. Bei diesem Motto sollte doch wohl eine substanzielle Kraftanstrengung im Bereich der Forschung zu erwarten sein, die sich auch monetär widerspiegelt. Stattdessen sinkt der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Im Gegensatz zur Bundesministerin kann ich keine Steigerung erkennen.
Doch es gibt Lichtblicke. In einigen Bereichen wird deutlich in Forschung investiert, so im Bereich der Photonik. Zu den deutlich höheren Ausgaben für IT-Sicherheit kann ich nur sagen: „Guten Morgen! Endlich aufgewacht?“
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Doch den Lichtblicken im Haushalt stehen Enttäuschungen und Fragezeichen gegenüber. Im Koalitionsvertrag findet sich unter anderem der Satz – ich zitiere –:
Unsere … Hochschulen für Angewandte Wissenschaften … werden wir als Herz des Wissenschaftssystems stärken ...
Warum, liebe Ampel, wird dann der Etat für Forschung an Fachhochschulen gekürzt? – Versprochen, gebrochen.
Ein weiteres großes Fragezeichen steht hinter dem Posten „Nachhaltigkeit, Klima, Energie“. Diesen Titel wollen Sie ernsthaft im aktuellen Bundeshaushalt kürzen? Ich vermute, dass hinter dieser Kürzung nicht die Einsicht steht, diese Mittel zukunftsträchtiger einsetzen zu wollen. Vielmehr befürchte ich, dass der Finanzminister intransparente Fonds plant, um diesen Posten am Haushalt vorbei finanzieren zu können.
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Thema Energie: Bei der gegenwärtigen Lage sollte doch klar sein, dass erhebliche Anstrengungen auch in der Forschung nötig sind, um eine sichere, bezahlbare Energieversorgung in unserem Land zu gewährleisteten. Hierzu vermisse ich im aktuellen Haushaltsentwurf den passenden Schwerpunkt. Rund um Deutschland werden neue Kernkraftwerke geplant und gebaut, in Polen, in Tschechien, in Holland und in Frankreich sowieso. Warum sind wir als führender Forschungsstandort
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auf Kernenergie aus unseren Nachbarländern angewiesen?
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Selbst die EU-Kommission drückt der Kernkraft einen grünen Stempel auf.
Die deutsche Industrie darf den Anschluss nicht verpassen und soll, nein, muss sich am Ausbau der Kernkraft in unseren Nachbarländern und weltweit beteiligen. Und natürlich brauchen wir kerntechnische Forschung an unseren Universitäten und Forschungszentren.
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Dieses Thema fehlt völlig im Titel „Innovation durch neue Technologien“.
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Die Ampel steht hier auf Rot.
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Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion des Haushaltsentwurfs.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kaufmann. Ich hole hier etwas Versäumtes nach: Es war auch Ihre erste Parlamentsrede.
Vielleicht darf ich die Fraktionen bitten, wenn die Redezeiten angemeldet werden, mitzuteilen, wenn es sich um eine erste Parlamentsrede handelt, damit ich es auch aufrufen kann. – Herzlichen Dank, Herr Dr. Kaufmann.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Marlene Schönberger, Bündnis 90/Die Grünen, und hier kann ich sagen, weil angemeldet, mit ihrer ersten Parlamentsrede.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Politik war in meinem Leben immer wichtig. Es war das Thema am Esstisch, und das nicht nur, weil mein Opa Gemeinderat war. Dass das nicht bei allen Menschen so ist, weiß ich, aber es ist unsere politische Verantwortung, unsere Demokratie für alle Menschen erlebbar zu machen.
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In Bildungseinrichtungen ist während der Pandemie vieles hinten runtergefallen: kulturelle Angebote, queere Schulprojekte, Besuche von Synagogen. Die politische Bildung ist zu kurz gekommen. Gleichzeitig haben sich mit Corona antisemitische Verschwörungsideologien in allen Teilen unserer Gesellschaft verbreitet. Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie.
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Aus meiner Forschungsarbeit an der Uni München weiß ich: Wer glaubt, dass mächtige Eliten im Hintergrund Strippen ziehen, hält Demokratie und politische Teilhabe für verachtenswertes und nutzloses Theater. Die Folgen sind antisemitische Gewalttaten, und auch Mandatsträger/-innen werden zur Zielscheibe, Gemeinderäte genauso wie wir Bundestagsabgeordnete. Zur Stärkung unserer Demokratie leisten Geistes- und Sozialwissenschaften einen unerlässlichen Beitrag, etwa die Antisemitismusforschung. Ich finde, das muss mehr Anerkennung finden, auch in diesem Haushalt.
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Wenn wir die Symptome einer verfehlten Bildungspolitik nicht nur abmildern wollen, wenn wir unsere offene demokratische Gesellschaft und ihre Menschen stärken wollen, dann brauchen wir eine zukunftsfähige politische Bildung, die nicht mit alten Lösungen auf neue Herausforderungen reagiert, und das gibt es mit uns.
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Wir müssen Pädagoginnen und Pädagogen das Handwerkszeug mitgeben für den Umgang mit jeglicher Diskriminierung, Verschwörungsideologien und Fake News. Auch dafür brauchen wir die über 70 Millionen Euro, die für eine Qualitätsoffensive in der Ausbildung von Lehrkräften vorgesehen sind.
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Genauso müssen wir die Medienkompetenz stärken. Die Fähigkeit, zu filtern und Quellen auf ihre Seriosität zu überprüfen, ist unverzichtbar in unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft.
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Es muss unser Anspruch sein, dass jeder Mensch, der unser Bildungssystem durchlaufen hat, gegen Verschwörungsideologien und antisemitische Einstellungen gewappnet ist.
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Dass es hier Defizite gibt, sieht man auch hier im Hohen Haus.
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Genau deshalb brauchen wir mehr und bessere politische Bildung. Durch Programme wie Bildung für nachhaltige Entwicklung, durch Zusammenarbeit mit NGOs, in Kooperation mit Initiativen und Stiftungen, mit den Ländern, über Ministerien und Fachbereiche hinweg, von der Kita bis hin zur Erwachsenenbildung: Bringen wir den Stein ins Rollen!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Menschen auch dahinterstehen. Mit zukunftsfähiger moderner politischer Bildung machen wir unsere Demokratie stark, robust und wehrhaft. Wir legen die Grundlage für eine Gesellschaft der Vielen.
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Menschen für Demokratie, für unsere offene Gesellschaft zu begeistern, das muss im Fokus stehen, auch im Bildungssystem.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Schönberger. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Martina Englhardt-Kopf, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen wird uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig Ressourcen und Rohstoffe für unser Land sind. Sie bilden die Basis für jegliche Wertschöpfung. Alle Branchen und Bereiche erleben Engpässe, Knappheit und Preissteigerungen in einem Ausmaß, wie es vorher nicht denkbar gewesen wäre.
Über die wohl wichtigste Ressource, die wir in unserem Land haben, reden wir heute. Das ist das Humankapital, das sind die Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Menschen in unserem Land haben.
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Um diese wertvolle Ressource weiter auszubauen, zu stärken und zu entwickeln, braucht es weiterhin beste Rahmenbedingungen, beste Bildungschancen im Bereich duale Ausbildung, Hochschule, aber auch im Bereich lebensbegleitendes Lernen sowie bei Fort- und Weiterbildungsangeboten.
Ich möchte heute in meiner Rede den Schwerpunkt auf die berufliche Bildung legen, die häufig zu kurz kommt. Unser duales Ausbildungssystem ist der Markenkern der deutschen Berufsausbildung. Viele Länder beneiden uns um gut ausgebildete Fachkräfte, um Auszubildende, die zeitgleich im Betrieb und an den Schulen auf einem sehr hohen Niveau praxisorientiert lernen.
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An beruflichen Fachschulen werden Techniker und Meister ausgebildet, die in verantwortungsvollen Bereichen, gerade im Handwerk, hervorragende Arbeit leisten. Damit das in der Zukunft so bleibt, braucht es eine Transformation der beruflichen Bildung.
Veränderungsprozesse machen vor der Arbeitswelt nicht halt. Digitalisierung, Automatisierung, Big Data und eine zunehmende Vernetzung halten Einzug ins Arbeitsleben. Was kann der Bund tun? Wir brauchen weiterhin bundeseinheitliche Standards und Anpassungen im Bereich der Ausbildungsordnungen und der Rahmenlehrpläne. Neue Berufsbilder im Zuge der Transformation von Wirtschaft und Industrie müssen zügig erkannt und entsprechend aufgesetzt und umgesetzt werden. Wir müssen hier schneller reagieren, damit wir gut qualifizierte Fachkräfte, insbesondere im Bereich der IT, des Handwerks oder der Pflege, für morgen ausbilden.
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Die letzte Bundesregierung hat in diesem Bereich einiges auf den Weg gebracht; ich denke an die Reform im Bereich der Pflege. Letzten Freitag haben wir von der Union einen entsprechenden Antrag zum Thema „Weiterbildung und Umstellung in medizinischen Fachberufen“ gestellt. Wir brauchen Berufsbilder auf der Höhe der Zeit, die auch in Zukunft die Versorgung gewährleisten. Wir brauchen sie aber auch, um mit anderen Ländern wettbewerbsfähig zu bleiben. Das betrifft alle Branchen, auch den Pflege- und Gesundheitsbereich. Das ist gut für unsere Wirtschaft. Nur so können wir bestehen. Wir brauchen die am besten ausgebildeten Fachkräfte, aber auch die entsprechenden Lernorte dafür. Ich denke an die beruflichen Schulen; der DigitalPakt Schule wurde heute bereits angesprochen.
Aus der Praxis kommend, kann ich sagen: Es scheitert an der Bürokratie. Wir haben umfangreiche Förderrichtlinien, die vor Ort nicht umgesetzt werden können; das führt zu den vollen Fördertöpfen. Ich bitte dringend, diesen Prozess zu verschlanken und zu vereinfachen. Wir brauchen einen Booster für innovative Lernorte, damit wir eine gute Arbeit vor Ort machen können.
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Es gibt noch viele Stellschrauben, die wir ansprechen könnten; ich komme aber zum Schluss. Bei der Transformation der beruflichen Bildung muss der Bund der Taktgeber sein, gemeinsam mit den Ländern. So können wir weiter kräftig investieren und die berufliche Bildung in die Zukunft führen.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Englhardt-Kopf. – Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Holger Becker, SPD-Fraktion, zu seiner ersten Parlamentsrede.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Historisch gesehen ist Deutschland ein starker Standort für Wissenschaft und Forschung. Deutschland im 21. Jahrhundert ist leider noch kein Innovationsstandort adäquater Stärke. Das wollen wir ändern; dafür tritt diese Fortschrittskoalition an.
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– Schauen wir mal.
Oft genug scheitern Innovationen in diesem Land an bestehenden erstarrten Strukturen. Für den Bereich „Forschung und Wissenschaft“ haben wir uns daher vorgenommen, ihn nicht einfach nur zu stärken, sondern auch Instrumente zu entwickeln, die für sich selbst eine Innovation darstellen, nämlich dahin gehend, wie man die Förderung von Wissenschaft und Forschung und ihren Transfer organisieren kann. Jeder einzelne Akteur in der Wissenschafts- und Forschungslandschaft wird Ihnen sagen: Das ist mehr als überfällig.
Erste notwendige Instrumente dafür haben wir bereits zur Verfügung: die in der letzten Legislaturperiode eingeführte Agentur für Sprunginnovationen, SprinD, die heute schon mehrfach angesprochen worden ist, die neu zu schaffende Agentur für Transfer und Innovation, DATI, oder auch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM. All das sind Werkzeuge, die in diesem Haushaltsentwurf bereits mit erheblichen Summen ausgestattet sind; aber das ist erst der Anfang.
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Denn auskömmliche Finanzausstattung ist nur eine Seite der Medaille. Genauso wichtig, wenn nicht gar das zentrale Erfolgskriterium für die Schaffung echter Innovationen ist es, die handelnden Personen das tun zu lassen, was sie am besten können: erstens, exzellente Wissenschaft und Forschung zu betreiben, zweitens, diese exzellente Forschung in technische, soziale oder Dienstleistungsinnovationen zu übertragen und, drittens, an Schulen und Hochschulen dieses Landes diesen Geist an die kommende Generation weiterzugeben.
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Solche Ziele erreicht man allerdings nicht, wenn man die handelnden Personen in ein bürokratisches Korsett zwingt, hochrisikobehaftete Ziele einfordert, aber gleichzeitig rigide Förderrichtlinien erlässt und externes Mikromanagement betreibt.
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All das sind Hindernisse, die Forschende eine Unmenge Zeit kosten, aber nichts, absolut gar nichts zum Ergebnis beitragen.
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Wir werden dafür sorgen, dass Forschung schneller, unbürokratischer, digitaler und internationaler wird: für Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen genauso wie für die forschenden Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen. Denn es sind die KMU in diesem Land, die oftmals die Treiber von Innovationen sind.
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Sie verdienen daher unsere besondere Unterstützung.
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Hierfür werden wir neue Methoden der Forschungs- und Innovationsförderung entwickeln und in der dazugehörigen Verwaltung selbst Prozessinnovationen durchsetzen. Wir legen in dieser Legislaturperiode den Grundstein für ein Innovationsjahrzehnt; ein Jahrzehnt, in dem wir alle Menschen in unserem Land für die Inhalte von Wissenschaft und Forschung begeistern wollen; ein Jahrzehnt, in dem wir die Antworten auf relevante Probleme der Menschheit, sei es der Klimawandel, Energie- und Versorgungssicherheit oder Gesundheitsfragen, finden werden; ein Jahrzehnt, in dem wir unser Land langfristig auf einen nachhaltigen Erfolgskurs in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft führen wollen.
Erlauben Sie mir zum Schluss eine persönliche Bemerkung als jemand, der seit mehr als 25 Jahren selbst Forschung und Entwicklung sowohl in Akademie als auch in innovativen Unternehmen betrieben hat. Als ich in den Bundestag gewählt worden bin, haben sich ganz viele Kolleginnen und Kollegen bei mir gemeldet und gesagt: Du hast ja jahrelang kritisiert, wie die Forschungsförderung in diesem Land organisiert ist. Jetzt schau, wie du es besser machen kannst. – Die Aufgabe ist ganz klar. Wir wollen das besser, wir können das besser, und wir werden das besser machen.
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Ich freue mich darauf, das in dieser Legislaturperiode mit Ihnen anzugehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Als vorletzte Rednerin in dieser Debatte erhält das Wort die Kollegin Kerstin Radomski, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin! Heute starten wir die Beratungen des Regierungsentwurfs des Bundeshaushalts 2022. Wir tun das mitten in einer bewegten Zeit, über der der Begriff „Zeitenwende“ schwebt. Deshalb sind Bildung und Forschung, über die wir heute sprechen, ein so wichtiges Politikfeld, wenn nicht sogar, würde ich sagen, das wichtigste, damit wir wie auch unsere Kinder und Enkel eine gute Zukunft haben. In Zeiten der Veränderung ist ein solides Fundament umso wichtiger, damit wir nicht als Getriebene in die Zukunft gehen, sondern als Gestaltende, Aktive und Innovative.
Blicken wir auf den vorliegenden Regierungsentwurf. Im Vergleich zum ersten Regierungsentwurf schrumpfen hier die Ausgaben für Forschung um 169 Millionen Euro. Und nicht nur das! In der Titelgruppe 40 „Nachhaltigkeit, Klima, Energie“ reduzieren Sie den Ansatz der Vorgängerregierung um ganze 175 Millionen Euro. Und auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften – ein besonders wichtiges Thema für die SPD – kommt es zu Kürzungen um 3 Millionen Euro.
Meine Damen und Herren, die Reden der letzte Tage, vor allen Dingen die der Koalitionäre, lassen anderes erwarten als eine Kürzung in dem als so wichtig adressierten Bereich „Klima und Energie“.
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Aber offensichtlich ist neben vielen Umschichtungen einfach kein Geld da, um die angedachten Projekte zu finanzieren. Ebenso sind wesentliche Projekte des Koalitionsvertrags nicht finanziell im Regierungsentwurf unterlegt. Wo sind die finanziellen Mittel für das Programm „Startchancen“? Wo findet sich Ihr Lebenschancen-BAföG?
Der Regierungsentwurf bleibt leider deutlich hinter den Ankündigungen zurück, was sich auch bei der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation zeigt. Statt der – wie man hörte – von den Verhandlern vorgesehenen 50 Millionen Euro in diesem Jahr für den Aufbau soll es nun weniger als die Hälfte geben. Die Regierung hat die Ansätze für DATI und Transfer leider auf Kreisliganiveau ausgestattet statt auf Bundesliganiveau.
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Zusätzlich sollen bis zur Vorlage eines schlüssigen Konzepts 15 Millionen Euro auch noch gesperrt sein. Meine Damen und Herren, dann sind wir also sehr gespannt auf das schlüssige Konzept. Ich kann für unsere Fraktion sagen – ich hoffe auch, dass die Koalition diesen Anspruch hat –: Es reicht uns nicht, dass ein FDP-Finanzminister darüber entscheidet, ob das Konzept der FDP-Bildungs- und Forschungsministerin schlüssig ist.
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Wir erwarten, ehrlich gesagt, auch von der SPD und von den Grünen eine Anstrengung dafür, dass es zu einer qualifizierten Sperre kommt. Das bedeutet – für alle Nichthaushälter –, dass dieses Konzept im Haushaltsausschuss und damit auch von Parlamentariern beraten wird.
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Wir werden den entsprechenden Antrag einbringen – das wird Sie nicht wundern –, und wir freuen uns natürlich, wenn die Koalition ihn unterstützt.
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Als Opposition kann man aber auch loben, wenn es angebracht ist. In der vergangenen Legislaturperiode haben wir die Bundesagentur für Sprunginnovationen ins Leben gerufen. Diese soll marktverändernden Forschungsergebnissen und Innovationen zum Durchbruch verhelfen. Dass Sie diese Einrichtung würdigen und die Mittel auf 97 Millionen Euro erhöhen, begrüßen wir.
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Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Haushaltsberatungen, auf das gemeinsame Tun für eine bessere Zukunft in Deutschland, und ich setze auf das parlamentarische Verfahren und vor allen Dingen auf die Abgeordneten der Ampelkoalition, dass sie etwas für den Forschungsstandort Deutschland tun.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Radomski. – Letzter Redner des heutigen Tages ist der Kollege Ruppert Stüwe, SPD-Fraktion, der ebenfalls seine erste Parlamentsrede hält.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Debatte um den Haushalt des Zukunftsministeriums muss ich sagen: Ich bin froh, dass wir in einer Koalition zusammenarbeiten, die nach vorne schaut und aktiv gestalten will. Das war ja nicht immer der Fall.
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Für mich ist klar: Bildung und Forschung gehören in die Mitte unserer Gesellschaft. Aktuell zeigt sich das für mich ganz praktisch im Engagement der Wissenschaft im Zusammenhang mit Putins verheerendem Angriffskrieg auf die Ukraine. Unsere Wissenschaftler/-innen und Studierende kommen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nach. Sie wollen über 100 000 Geflüchteten aus dem Wissenschaftssystem eine Perspektive in Deutschland bieten. Denn wer in der Ukraine einen Studienplatz oder einen Arbeitsplatz in der Wissenschaft hatte, den dürfen wir aus Deutschland nicht wegschicken.
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Daher möchte ich mich bei den Wissenschaftseinrichtungen, insbesondere beim DAAD und bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, außerordentlich bedanken. Sie haben schnell und zielgerichtet reagiert und sofort richtige Konzepte auf den Tisch gelegt. Ich möchte in dieser Debatte aber auch den Blick auf die Max-Weber-Stiftung lenken, die für das Deutsche Historische Institut in Warschau verantwortlich ist. Hier wird zum Beispiel ganz praktisch Solidarität mit vertriebenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Ukraine gelebt. Dafür meinen ganz herzlichen Dank an dieser Stelle.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die erweiterte und gelebte Form der Wissenschaftsdiplomatie in Deutschland und Europa, die wir brauchen. Es ist nicht nur ein Gebot des Anstands und der humanitären Hilfe, sondern ein kultureller, sozialer und ökonomischer Gewinn, dass wir diese vielen Talente aufnehmen und fördern. Dafür stellt der Haushaltsentwurf schon heute mehr Mittel zur Verfügung. Für das, was wir im Wissenschaftssystem im Zusammenhang mit dem Krieg noch brauchen, werden wir im Ergänzungshaushalt Vorsorge treffen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch ein Wort an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Russland richten, die, die sich mutig gegen diesen Krieg geäußert haben: Wir sehen Ihr Engagement; wir wissen um Ihre Bedrohung. Sie werden diejenigen sein, mit denen wir in Zukunft wieder Brücken bauen können.
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Wissenschaft gehört für mich in die Mitte unserer Gesellschaft. Wer könnte nach der Pandemie noch daran zweifeln? Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben wir zu danken für unabhängige Ratschläge, für Impfstoffe, Therapien und nicht zuletzt für bahnbrechende Erkenntnisse, die auch dem weiteren Fortschritt in der Gesundheit dienen und allen zugutekommen.
Das zeigt: Eine moderne Gesellschaft braucht Bildung und Wissenschaft, nicht nur als Basis für Fortschritt und Wohlstand; Bildung und Wissenschaft sind auch die Grundlage für eine vernunftbasierte Gesellschaft. Diese Grundlage müssen wir schützen, und wir müssen diese Grundlage stützen.
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Das Stützen machen wir in diesem Haushalt ganz konkret, zum Beispiel, indem wir endlich Bewegung in das Thema Forschungsdaten bringen. Auch hier haben die letzten zwei Jahre gezeigt: Die Wissenschaft braucht eine robuste, effektive und sichere Dateninfrastruktur. Das spiegelt sich jetzt auch im Haushaltsentwurf wider.
Die Wissenschaft zu schützen, ist mir ein besonderes Anliegen. In der Pandemie hat sich leider immer wieder gezeigt, wie schnell wissenschaftliches Engagement Opfer von Populismus und Schwurbelei wurde. Was nicht geht, ist, eine wissenschaftliche Erkenntnis zu einer Meinung unter vielen zu machen, in der Pandemie übrigens genauso wenig wie beim Klimaschutz.
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Das können wir nicht zulassen; denn es gibt keine Alternative zu Wissenschaftlichkeit und demokratischem Diskurs.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun, am Ende der heutigen Debatte, möchte ich mit John F. Kennedy schließen. Der hat einmal gesagt: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“
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Ich würde sagen: Das gilt genauso für die Forschung und die Wissenschaft. Ich finde, das ist ein guter Startpunkt für unsere Beratungen.
Vielen Dank.
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