Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 27. Februar, also vor mehr als drei Wochen, haben Sie, Herr Bundeskanzler, von dieser Stelle aus eine Regierungserklärung abgegeben und von einer Zeitenwende gesprochen. Wir teilen diese Einschätzung unverändert, zumal Putin seinen Krieg in der Ukraine immer brutaler gegen die Zivilbevölkerung führt und wir bis heute kein Mittel gefunden haben, dieses Verbrechen zu beenden. Es ist in der Tat eine Zeitenwende.
Aber erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, einen Eindruck wiederzugeben, den meine Fraktion und auch ich persönlich in der gestrigen Debatte gewonnen haben. In Ihrer Koalition, auch in der Einbringungsrede des Bundesfinanzministers, ist von einer Zeitenwende nicht wirklich viel zu bemerken gewesen.
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Sie gehen von Grundannahmen aus, von denen wir schon heute wissen, dass sie einfach nicht stimmen. Das Wachstum unserer Volkswirtschaft wird in diesem Jahr, 2022, nicht 3,6 Prozent betragen, sondern deutlich weniger. Die Inflationsrate wird nicht wieder sinken, sondern sie wird eher weiter steigen. Die Lieferketten sind unterbrochen, und wir müssen befürchten, dass weitere Lieferketten unterbrochen werden. Die Steuereinnahmen werden vermutlich deutlich niedriger ausfallen als erwartet, und vor allem die Ausgaben werden durch den Ukrainekrieg und alle seine Folgen deutlich steigen.
Das wissen wir alle. Das wissen auch Sie. Sie sprechen beschönigend von einem „Ergänzungshaushalt“, den Sie wahrscheinlich schon im nächsten Monat vorlegen müssen, und zwar in einer Größenordnung von bis zu 50 Milliarden Euro. Trotzdem legen Sie in dieser Woche einen Bundeshaushalt vor, so als ob nichts gewesen wäre. Meine Damen und Herren, wenn es richtig ist, was Sie sagen, Herr Bundeskanzler, mit der Zeitenwende, dann müssten Sie im Grunde genommen große Teile Ihres Koalitionsvertrages heute eigentlich neu verhandeln.
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Die einzige wirklich ernsthafte Abweichung von alledem, was im letzten Jahr auch schon richtig war, ist der Plan, ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zu errichten. Wenn ich richtig zugehört habe – ich bin gestern Vormittag die ganze Zeit hier gewesen und habe wirklich versucht, aufmerksam zuzuhören –, dann hat gestern keiner der Redner der Koalition hier im Parlament von den notwendigen 2 Prozent Verteidigungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, gesprochen – keiner. Das Wort hat keine Rolle gespielt.
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Deshalb möchte ich hier gerne noch mal an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 27. Februar erinnern.
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Sie haben die Einrichtung dieses Sondervermögens von 100 Milliarden Euro vorgeschlagen und haben dann anschließend gesagt – wörtlich –:
Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent
– mehr als 2 Prozent! –
des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.
Der Eindruck ist entstanden: 100 Milliarden plus 2 Prozent jedes Jahr. Diesen Eindruck haben Sie durch diese Rede entstehen lassen.
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Sie haben dann im nächsten Satz den Vorschlag unterbreitet, dieses Sondervermögen, also in Wahrheit 100 Milliarden Euro neue Schulden, an der Schuldengrenze des Grundgesetzes vorbei in die Verfassung, in das Grundgesetz, aufzunehmen.
Damit zeigt sich jetzt in der Systematik, wie Sie Haushaltsplanung machen, ein gewisses Bild. Das Bild ist wie folgt: Sie schöpfen den Kernhaushalt – so nennen Sie ja mittlerweile den Bundeshaushalt; der heißt jetzt bei Ihnen „Kernhaushalt“ –
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bis zur Obergrenze der möglichen Schulden aus. Sie verlängern die Feststellung einer Notlage aus der Coronapandemie mit dem Aussetzen der Schuldenbremse und beanspruchen weiter auch in diesem Jahr zusätzliche 100 Milliarden Euro Schulden. 60 Milliarden Euro transferieren Sie zweckentfremdet in einen Fonds, den Sie jetzt „Klima- und Transformationsfonds“ nennen; das ist also ein klassischer Nebenhaushalt. Sie kündigen jetzt schon an, diese Notlage noch in diesem Jahr erneut zu beantragen – Sie können sie nicht feststellen; Sie können sie nur beantragen, weil wir sie hier beschließen müssen –, weil es unvorhergesehene Ausgaben aus dem Krieg in der Ukraine gibt.
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Weil das alles nicht reicht, soll die Schuldenbremse des Grundgesetzes im Grundgesetz selbst mit noch einmal 100 Milliarden Euro Schulden für die Bundeswehr einmalig ganz außer Kraft gesetzt werden. Das ist die Systematik. Damit wollte ich nur einmal klarmachen, was Sie unter – so haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, es ja gestern hier mehrfach gesagt – einer soliden und stetigen Haushaltsplanung und Haushaltsführung verstehen.
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Nun wollen wir keinen Zweifel daran lassen, dass auch wir es für dringend notwendig erachten, die Bundeswehr mit mehr Mitteln auszustatten, sie neu auszurüsten.
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– Wissen Sie, dass nun ausgerechnet von der FDP an dieser Stelle immer wieder Zwischenrufe kommen,
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ist insofern erstaunlich, als in den letzten vier Wahlperioden in keiner einzigen Wahlperiode der Etat des Bundesministers der Verteidigung so gering angestiegen ist wie in der Zeit, als Sie an der Regierung beteiligt gewesen sind.
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In keiner Zeit ist der Verteidigungshaushalt so schlecht behandelt worden wie in der Zeit, in der Sie, die FDP, in der Regierung waren. Das nur mal zu den Zwischenrufen, die wir hier ständig hören.
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– Sie machen es mit diesen permanenten Zwischenrufen nicht nur sich selber schwerer, als es notwendig ist, sondern auch uns.
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– Frau Strack-Zimmermann, Sie als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses sind zu einer gewissen Zurückhaltung verpflichtet.
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Wenn Sie hier das Sprachrohr der Zwischenrufer aus Ihrer Fraktion werden, dann diskreditieren Sie sich selbst als Vorsitzende dieses Ausschusses, die eigentlich die wichtige Aufgabe hat, dieses Problem gemeinsam mit uns zu lösen und es nicht unnötig schwerzumachen.
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Wir stehen heute im Grunde genommen da, wo wir vor 40 Jahren schon einmal standen, als wir über die Nachrüstung in der NATO und in der Bundeswehr sprechen mussten. Wir hatten damals das Glück, einen Bundeskanzler Helmut Schmidt zu haben, der das gegen seine eigene Partei durchgesetzt hat. Hätte er es nicht, wäre die Geschichte nach 1982 anders verlaufen, als sie verlaufen ist, meine Damen und Herren.
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Und genau an dieser Stelle – genau an dieser Stelle! – stehen wir heute wieder. Wir stehen nicht nur vor einer massiven Bedrohung, sondern sehen uns einer tatsächlich eingetretenen kriegerischen Auseinandersetzung in Europa gegenüber, ausgehend von Russland, der wir jetzt etwas entgegenzusetzen haben.
Deswegen will ich hier für meine Fraktion feststellen: Wir wollen jetzt wirklich der Bundeswehr helfen.
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– Ich weiß gar nicht, was an diesem Satz falsch ist. Was bringt Sie zu solchen Reaktionen?
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– Entschuldigung, wir wollen der Bundeswehr jetzt wirklich helfen. – Noch mal: Meine Damen und Herren, wir stehen dazu; wir wollen dies. Und Sie, Herr Bundeskanzler, werden verstehen, dass wir, wenn Sie den Weg einer Grundgesetzänderung hier gehen wollen, nur unter klar vereinbarten, geregelten Vereinbarungen überhaupt erwägen, diesen mitzugehen.
Ich will Ihnen sechs Punkte sagen, wie wir uns das vorstellen können.
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– Meine Damen und Herren, Sie wollen von uns die Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung.
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– Also, ich darf mal hier eine Feststellung treffen, weil Sie hier ständig dazwischenrufen:
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Sie bemühen sich ja vernünftigerweise um Gespräche mit uns. Wir sollen viele Dinge mit Ihnen zusammen machen. Deswegen zwei Feststellungen:
Erste Feststellung. Sie werden in Zukunft für jedes Gesetz, das Sie hier im Deutschen Bundestag verabschieden wollen, eine eigenständige Mehrheit brauchen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist nicht die Ersatzbank, von der Sie sich beliebig Ersatzspieler aufs Spielfeld holen können, wenn Sie Ihre eigene Mehrheit nicht haben.
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Das gilt für alle Vorhaben, einschließlich der Impfpflicht; damit das klar ist.
Zweite Feststellung. Wenn wir überhaupt zu einer Grundgesetzänderung kommen, dann füllen wir das in der Weise auf, dass dann eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Wir werden es aber nicht so machen, dass einige von Ihnen sagen: Da machen wir nicht mit; die Union wird es schon richten. – Nein, wir richten es nicht.
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Sie werden mit jedem einzelnen Abgeordneten hier Ja sagen müssen zu dem, was dann mit der Grundgesetzänderung verbunden sein wird
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– mit jedem einzelnen.
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Das geht nur unter folgenden Bedingungen:
Erstens. Wir wollen und wir werden Sie, Herr Bundeskanzler, auf die zugesagten 2 Prozent festlegen –
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nicht 100 Milliarden, sondern 2 Prozent.
Zweitens. Die Ausgaben müssen so, wie Sie es hier gesagt haben, Investitionen in die Bundeswehr sein,
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für nichts anderes, nur für die Bundeswehr.
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Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen,
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auch feministische Entwicklungshilfepolitik – aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr.
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Wir schlagen Ihnen vor, dass wir begleitend ein Gesetz über die Fähigkeiten und die Finanzierung der Bundeswehr verabschieden, damit dies auch in einem einfachgesetzlichen Rahmen festgehalten wird.
Drittens. Die 2 Prozent des BIP müssen dauerhaft erreicht werden und nicht nur einmalig.
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Rein rechnerisch sind sie mit den 100 Milliarden Euro nach fünf Jahren bereits erschöpft. Wir wollen, dass über diese fünf Jahre hinaus nicht irgendwo, sondern im Kernhaushalt der Bundesrepublik Deutschland die Kernaufgabe Verteidigung mit mehr als 2 Prozent des BIP der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird.
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Das ist die Voraussetzung, dass wir da überhaupt zu einer gemeinsamen Lösung kommen können.
Viertens.
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Wir wollen vor der Verabschiedung wissen, welche Anschaffungen für die Bundeswehr aus den 100 Milliarden Euro denn finanziert werden sollen. Dem Gesetzentwurf zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“, den Sie vorgelegt und im Kabinett verabschiedet haben, fehlt die Anlage „Wirtschaftsplan“. Der Wirtschaftsplan ist nicht vorhanden. Den haben Sie noch nicht verabschiedet. Das ist in Ordnung so; das kann man wahrscheinlich zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht. Aber wir werden hier nicht einen Blankoscheck über 100 Milliarden Euro erteilen, und Sie machen anschließend damit, was Sie wollen. Das ist nicht die Arbeitsteilung.
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Wir schlagen Ihnen vor, dass es dazu ein geeignetes Begleitgremium gibt, das darüber wacht, dass dies auch tatsächlich stattfindet und dass diese Investitionen in die Bundeswehr in den nächsten Jahren auch tatsächlich erfolgen. Wir wollen in diesem Begleitgremium dauerhaft mit darüber entscheiden, wie die Investitionen der Bundeswehr umgesetzt werden.
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Fünftens – ich weiß, dass Sie so denken, Herr Bundeskanzler; deswegen will ich es gerne aufgreifen –: Wir müssen gemeinsam versuchen, das Beschaffungswesen zu ändern.
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Es hat doch keinen Sinn, es so zu lassen, wie es heute ist: dass da eine Behörde in Koblenz sitzt und arbeitet, es einen Riesenrückstau in den Genehmigungen gibt und diese 100 Milliarden Euro nicht wirklich ausgegeben werden können.
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Das Beschaffungswesen muss anders organisiert werden, als es heute organisiert ist.
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Und schließlich sechstens. Meine Damen und Herren, wenn wir schon eine Ausnahme von der Schuldenbremse im Grundgesetz machen und diese mit einer Grundgesetzänderung beschließen – das ist ja der Mechanismus –, dann muss in dem Errichtungsgesetz über das Sondervermögen, das ja nur aus Schulden besteht, auch ein Tilgungsplan hinterlegt werden.
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Ich will auf diesen Sachverhalt hinweisen, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Es kann doch wohl nicht sein, dass bei einer verfassungsgemäßen Überschreitung der Schuldenobergrenze von Verfassungs wegen ein Tilgungsplan vorgelegt werden muss, aber dann mit einer zusätzlichen Ausnahme von dieser Schuldenobergrenze, mit der noch mehr Schulden gemacht werden müssen, ein Tilgungsplan nicht erstellt wird. Das ist Ihre Vorstellung, Herr Bundeskanzler, aber nicht unsere.
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Lassen Sie mich noch einmal zur Ausgangslage zurückkommen, zu dem, was Sie mit „Zeitenwende“ beschrieben haben. Wir brauchen einige Informationen. Wir hätten gern von Ihnen, Herr Bundeskanzler, gleich in Ihrem Redebeitrag hier einige Fragen beantwortet.
Die erste Frage ist: Welche Waffen hat die Bundesrepublik Deutschland denn nun eigentlich wirklich geliefert?
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Diese Frage müssen wir leider stellen, weil das, was da geliefert worden sein soll, unter Geheimhaltungsvorbehalt gestellt wird. Im Verteidigungsausschuss wird darüber unter Geheim informiert, soweit ich informiert bin, auch nicht sauber informiert. Es gibt Spekulationen in der Öffentlichkeit, dass das, was Sie zugesagt haben, gar nicht geliefert worden ist, und dass das, was bestellt werden könnte, entweder im Kanzleramt oder im Wirtschaftsministerium oder im Außenministerium blockiert wird und nicht genehmigt wird. Herr Bundeskanzler, es wäre gut, wenn Sie hier Klarheit schaffen
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und gleich in Ihrem Beitrag sagen, was die Bundesrepublik Deutschland liefert und was sie gegebenenfalls auch bereit ist zu bezahlen.
Wir würden dann, zweitens, gerne von Ihnen wissen: Welche Verabredungen werden eigentlich in der Europäischen Union getroffen? Es hat einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gegeben. Sie haben darüber hier im Deutschen Bundestag nicht informiert, weder vorher noch nachher, obwohl das eigentlich gute Übung gewesen ist, dass so etwas gemacht wird. Wenn Sie das schon nicht gemacht haben, dann sagen Sie bitte heute: Wie stellt sich die Europäische Union eigentlich den Umgang mit der Volksrepublik China vor?
Ich erwähne das deshalb, weil wir doch nicht völlig außer Betracht lassen können, was dieses große Land in dieser Krise auf dieser Welt tut. Da könnte der nächste große Konflikt für die ganze Welt drohen. Was ist die Antwort der Europäer auf die Haltung der Volksrepublik China, die sich erkennbar nicht bereitfindet, hier ein klares Wort zu finden zu diesem Konflikt, zu diesem Krieg, der in der Ukraine stattfindet?
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Ich habe eine weitere Frage: Herr Bundeskanzler, welche Verabredungen werden eigentlich in der NATO getroffen? Es wird ja in dieser Woche, morgen, in Brüssel einen Sondergipfel der NATO geben. Wie sehen das eigentlich die NATO-Mitgliedstaaten? Und was ist die Meinung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Regierung
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zur Haltung der Türkei? Die Türkei beteiligt sich nicht an den Sanktionen gegen Russland. Wie gehen Sie damit um? Was machen Sie? Wie wirken Sie auf die türkische Regierung ein? Und welche Haltung nimmt die NATO gegenüber ihrem Mitgliedsland Türkei ein in dieser Frage? Auch das ist doch ein Punkt, der in der Öffentlichkeit einmal dargelegt werden muss.
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Und schließlich: Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit, Herr Bundeskanzler, hat die Bundesrepublik Deutschland zurzeit die Präsidentschaft in der G-7-Gruppe. Auch dazu soll es ja morgen einen Sondergipfel geben unter Beteiligung des amerikanischen Präsidenten. Was plant die Bundesregierung eigentlich, aus dieser Präsidentschaft heraus zu tun? Ich lese nun in einem großen Interview in der Zeitung, dass Ihr Finanzminister ein neues Freihandelsabkommen mit Amerika vorschlägt. Ist das auch Ihre Meinung, dass es sinnvoll ist, Herr Bundeskanzler, ein solches Freihandelsabkommen abzuschließen? Und wenn es Ihre Meinung ist, warum haben wir dann nicht wenigstens jetzt schon das lange ausverhandelte Freihandelsabkommen mit Kanada verabschiedet?
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Das liegt seit Jahren auf dem Tisch. Ihr Finanzminister redet über TTIP, ein neues Abkommen mit Amerika, und diese Fraktionen da – die SPD und die Grünen – verweigern bis zum heutigen Tag eine Verabschiedung dieses Freihandelsabkommens. Das wäre doch jetzt der richtige Zeitpunkt, ein solches Abkommen zu verabschieden, hier im Deutschen Bundestag auch zu ratifizieren, damit klar wird auf der Welt: Wir verstehen dies als Antwort. Wir geben eine klare Antwort auf diese neue Spaltung der Welt, die uns durch den Krieg in der Ukraine droht.
Herr Bundeskanzler, ich will abschließen mit folgendem Satz: Wenn Sie wirklich sagen – und wir teilen diese Einschätzung –, dass wir Zeitzeugen einer Zeitenwende sind, dann müssen Sie durch diese Zeitenwende auch sichtbar und hörbar führen. Das erwarten wir vom Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
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Das Wort für die Bundesregierung ergreift der Bundeskanzler Olaf Scholz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit großer Tapferkeit und Durchhaltevermögen kämpfen die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine für ihre Heimat. Putins Offensive steckt fest, trotz aller Zerstörung, die sie Tag für Tag anrichtet. Und wir sowie unsere Freunde und Partner halten zusammen. Ich habe noch die Worte im Ohr, die Präsident Selenskyj letzte Woche hier gesprochen hat: „Es ist schwer für uns, ohne die Hilfe der Welt zu bestehen.“ Deshalb sage ich heute ganz klar: Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen.
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Seit Kriegsbeginn liefert Deutschland Panzer- und Luftabwehrwaffen, Ausrüstung und Munition an die Ukraine. Die Europäische Union stellt zusätzlich 1 Milliarde Euro an Militärhilfe bereit. Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben wir Sanktionen verhängt, die ihresgleichen suchen. Über Monate hinweg haben wir sie bis ins kleinste Detail vorbereitet, damit sie die Richtigen treffen, damit sie wirken. Weltweit haben wir für Unterstützung geworben. Mein ganz besonderer Dank gilt dafür der Außenministerin Annalena Baerbock.
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Und wir sehen: Die Sanktionen wirken. Russlands Wirtschaft wankt, die Börse ist weitgehend geschlossen, die Währung ist abgestürzt, es fehlen Devisen, ausländische Unternehmen verlassen zu Hunderten das Land. Doch das ist erst der Anfang. Viele der härtesten Folgen werden sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Und: Wir schärfen die Sanktionen ständig nach.
Natürlich höre ich die Stimmen derjenigen, die eine Flugverbotszone oder NATO-Friedenstruppen in der Ukraine fordern. So schwer es fällt: Wir werden dem nicht nachgeben.
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In fast 80 Jahren Nachkriegsgeschichte haben wir das Unvorstellbare erfolgreich vermieden: eine direkte militärische Konfrontation zwischen unserem westlichen Verteidigungsbündnis, der NATO, und Russland. Dabei muss es bleiben.
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Viele Bürgerinnen und Bürger machen sich große Sorgen, weil sie verstehen, dass sich genau dies hinter Begriffen wie „Flugverbotszone“ und „Friedenstruppen“ verbirgt. Tag für Tag erreichen mich Hunderte besorgter Briefe und E-Mails. Überall, wo man derzeit mit Bürgerinnen und Bürgern spricht, begegnet einem früher oder später die Frage: Wird es Krieg geben, auch hier bei uns? Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Die NATO wird nicht Kriegspartei. Da sind wir uns mit unseren europäischen Verbündeten und den Vereinigten Staaten einig.
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Das ist ein Gebot der Vernunft. Alles andere wäre unverantwortlich.
Meine Damen und Herren, über Jahrzehnte hinweg ist unsere Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas aus Russland gewachsen. Ja, wir werden diese Abhängigkeit beenden, so schnell, wie das nur irgendwie geht. Das aber von einem Tag auf den anderen zu tun, hieße, unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen. Hunderttausende Arbeitsplätze wären in Gefahr. Ganze Industriezweige stünden auf der Kippe. Zur Wahrheit gehört auch: Schon die jetzt beschlossenen Sanktionen treffen viele Bürgerinnen und Bürger hart, und zwar bei Weitem nicht nur an der Zapfsäule. Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht härter treffen als die russische Führung; das ist unser Prinzip.
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Niemandem ist damit gedient, wenn wir sehenden Auges unsere wirtschaftliche Substanz aufs Spiel setzen. Das sehen im Übrigen auch unsere Freunde und Partner so, mit denen wir diesen gemeinsamen Kurs von Beginn an so abgesteckt haben.
Meine Damen und Herren, die Bilder, die uns Tag für Tag aus der Ukraine erreichen, sind kaum auszuhalten. Bilder von zerstörten Wohnungen, zerbombten Krankenhäusern und belagerten Städten,
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von toten Soldaten und immer mehr getöteten und verletzten Zivilisten, von Frauen und Kindern, die mit dem wenigen, was sie einpacken konnten, vor Putins Bomben, Panzern und Raketen fliehen. Zugleich haben sie bei uns im Land und überall in Europa eine überwältigende Welle des Mitgefühls und der Solidarität ausgelöst. Hilfsorganisationen berichten, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland noch nie so hoch war. Zehntausende haben den Fliehenden nicht nur ihre Herzen geöffnet, sondern auch ihre Häuser und Wohnungen. Vor allem Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei, Moldau, Rumänien oder Ungarn leisten Außerordentliches.
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Das ist ein Lichtblick in diesen dunklen Tagen. Und für diese Hilfsbereitschaft, für diese Offenherzigkeit sage ich den Bürgerinnen und Bürgern hier bei uns und in ganz Europa von ganzem Herzen Danke.
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Rechtlich schafft die EU-Richtlinie, die allen Geflüchteten aus der Ukraine vorübergehenden Schutz gewährt, Klarheit. Das ist gut so. Praktisch aber stehen wir vor einer gewaltigen Aufgabe. Ich bin dankbar, dass Innenministerin Nancy Faeser sie entschlossen anpackt. Herzlichen Dank dafür!
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Es ist die Pflicht und Schuldigkeit aller – Bund, Länder und Gemeinden –, im Sinne der Sache zusammenzuarbeiten, anstatt erst einmal lange über Verantwortlichkeiten zu debattieren. Deshalb bin ich froh, dass wir uns bei der Ministerpräsidentenkonferenz letzte Woche geeinigt haben, die offenen Fragen gemeinsam bis zum 7. April zu klären. Und ich bin froh, dass alle Staats- und Regierungschefs der EU vor zwei Wochen in Versailles die Bereitschaft ihrer Länder bekräftigt haben, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Nachbarn zu entlasten.
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Daran müssen wir uns jetzt alle halten.
Noch ist völlig unklar, wie viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen werden. Wir wissen nur: Es werden viele sein. Noch lässt sich nicht abschätzen, wie groß der Bedarf an humanitärer Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau in der Ukraine sein wird oder welche Verwerfungen der Krieg weltweit verursacht. Schon jetzt warnen die Vereinten Nationen vor Hunger und Instabilität aufgrund steigender Lebensmittelpreise. Klar ist nur: Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen.
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Deutschland wird helfen, hier bei uns, in Europa und in der Welt. Die Bundesregierung ist dazu bereit, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Ich bin Finanzminister Christian Lindner sehr dankbar, dass er in den kommenden Wochen einen Ergänzungshaushalt ausarbeiten wird, um unser Land durch diese schwere Zeit zu bringen.
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Noch etwas ist mir wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir werden nichts unversucht lassen, bis wieder Frieden herrscht auf unserem Kontinent. Mit Präsident Selenskyj habe ich mich immer wieder über die Lage und die nächsten Schritte ausgetauscht. Und auch mit Präsident Putin habe ich in den vergangenen Tagen oft, lange und intensiv gesprochen. Putin muss die Wahrheit hören über den Krieg in der Ukraine, und diese Wahrheit lautet: Der Krieg zerstört die Ukraine; aber mit dem Krieg zerstört Putin auch Russlands Zukunft. Die Waffen müssen schweigen, und zwar sofort!
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Ob die laufenden Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum Erfolg führen, vermag heute niemand zu sagen. Noch steht der Beweis aus, dass es Putin dabei nicht nur um einen Diktatfrieden geht. Eins aber steht vollkommen außer Frage: Über die Ukraine verhandeln die Ukrainerinnen und Ukrainer, ihr Präsident und seine Verhandlungsdelegation und niemand sonst!
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Alles aber, was wir zur Unterstützung der Ukraine bei der Suche nach einer politischen Lösung beitragen können, werden wir tun. Dass wir Europäer dabei eine zentrale Rolle übernehmen, halte ich für ganz entscheidend, und zwar nicht nur, weil sich der Krieg in der Ukraine geografisch vor unserer Haustür abspielt. Es geht um europäische Werte: um Demokratie und Freiheit und die Stärke des Rechts.
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Diese Werte zu erhalten und zu verteidigen, darin liegt die zentrale Aufgabe unseres Staates.
Auch hier wirkt der Krieg im Osten Europas wie ein Brennglas, weil er uns zu vermeintlich neuen, in Wahrheit aber längst überfälligen Schwerpunktsetzungen bringt. Ich spreche von der Entscheidung, deutlich mehr in unsere eigene Sicherheit und Verteidigung zu investieren. Sicherheit heißt, uns europäisch und transatlantisch so aufzustellen, dass wir uns gegen alle Angriffe verteidigen können. Das bedeutet europäische Souveränität, gerade in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, im Einklang mit der NATO. Deutschland wird dazu beitragen. Darin liegt eine nationale Kraftanstrengung für alle demokratischen Kräfte.
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Wir wollen daher ganz bewusst ein „Sondervermögen Bundeswehr“ errichten und in unserer Verfassung verankern. Die Ausplanung ist schon fortgeschritten; und dafür bin ich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sehr dankbar.
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Danken möchte ich auch allen, die bereit sind, diesen Weg mitzugehen, ganz ausdrücklich auch Ihrer Fraktion, lieber Herr Merz.
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Über die Ausgestaltung werden wir weiter miteinander reden im Sinne der Sache, im Sinne der Sicherheit unseres Landes und der Bürgerinnen und Bürger.
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Es ist völlig in Ordnung, dass Sie hier und an anderer Stelle dazu Ihre Vorstellungen formulieren; es soll eine gemeinsame Sache werden, die wir für unser Land tun.
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Vier Ziele werden wir mit dem Sondervermögen erreichen.
Erstens. Alle Investitionen kommen, abgesichert im Grundgesetz, einem klaren Zweck zugute: unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit.
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Zweitens. Wir schaffen langfristige Planungssicherheit und Verlässlichkeit, die gerade für die anstehenden Großvorhaben notwendig sind.
Drittens. Wir behalten die Tragfähigkeit unserer Finanzen im Blick, einschließlich der Schuldenregel des Grundgesetzes und der Maastricht-Kriterien.
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Und das Wichtigste: Viertens. Die längst überfälligen Investitionen in Verteidigung und Sicherheit gehen nicht zulasten der dringend nötigen Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft
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oder zulasten guter, zukunftsfähiger Arbeitsplätze, bezahlbarer Energie, fairer Renten und eines leistungsfähigen Gesundheitssystems.
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Denn machen wir uns nichts vor: Der Klimawandel schreitet immer weiter voran. Die Coronapandemie ist noch nicht vorbei, und die Digitalisierung hat sich in den vergangenen zwei Jahren noch einmal rasant beschleunigt mit Auswirkungen auf unseren Staat, unsere Unternehmen und jede und jeden von uns.
Ja, wir brauchen einen Staat, der für Stabilität und Sicherheit sorgt – gerade jetzt. Aber zugleich brauchen wir einen Staat, der in die Zukunft investiert, der an der Seite der Bürgerinnen und Bürger steht. Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, das ist unser Anspruch.
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Wir können beides, weil Deutschland gut dasteht, auch im internationalen Vergleich. Und wir leisten beides, weil wir einen klaren Plan für dieses Land und für seine Zukunft haben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der enormen Herausforderungen, die vor uns liegen, will ich gar nicht auf alle Politikfelder eingehen, in denen wir die Weichen auf Aufbruch stellen. Drei große Themen aber will ich herausgreifen, weil sie die Bürgerinnen und Bürger ganz besonders beschäftigen.
Erstens: die Energie- und Klimapolitik. Ich habe den Zielkonflikt schon beschrieben, vor dem wir hier stehen. Wir müssen einerseits dringend unabhängig werden von russischem Öl und Gas, ja, von fossilen Energieträgern insgesamt. Und andererseits brauchen wir verlässliche und bezahlbare Energie. Kurzfristig heißt das: Wir sichern uns zusätzliche Kapazitäten für Kohle, Gas und Öl. Dafür bin ich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sehr dankbar.
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Wir diversifizieren unsere Lieferquellen, und zwar schon in den kommenden Monaten. Dabei setzen wir auf die vorhandenen Flüssiggasterminals an der westeuropäischen Küste, und wir werden sehr viel schneller als bisher eigene LNG-Terminals bauen. Und schließlich arbeiten wir an einem Gesetz, das die großen Energiekonzerne verpflichtet, ihre Speicher mit bestimmten Mindestmengen zu füllen.
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Parallel dazu entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen. Ein erstes Paket im Umfang von über 15 Milliarden Euro werden wir in den kommenden Tagen noch einmal deutlich aufstocken. Der Heizkostenzuschuss wird verdoppelt, und auch bei den gestiegenen Kosten für Mobilität werden wir die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich entlasten.
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Auch beim Europäischen Rat morgen und übermorgen wird es um eine besser integrierte europäische Energiepolitik gehen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Versorgungsengpässe. Und auch über die hohen Preise und spekulativen Exzesse werden wir sprechen. Ich sage aber auch ganz offen: Ein Aushebeln von Marktmechanismen oder Dauersubventionen – gerade von fossiler Energie – wird es nicht geben.
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Fiskalisch wäre so etwas nicht durchzuhalten, und ökologisch würden völlig falsche Anreize gesetzt.
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Über die kommenden Monate hinausgedacht, gibt es daher nur eine nachhaltige Antwort auf Energieabhängigkeit und hohe Energiepreise:
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erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
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Unser Ziel – Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 – ist heute wichtiger denn je. Ich hoffe, dass wir nun wirklich alle an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, Genehmigungsverfahren für neue Windparks und Photovoltaikanlagen, Energietrassen und Speicher deutlich zu beschleunigen und Energie effizienter zu nutzen.
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Nicht „Jetzt mal langsam!“, sondern „Jetzt erst recht!“ – so lautet die Devise.
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Bewegung wollen wir auch in die internationale Klimapolitik bringen. Unser Ziel als Vorsitz der wirtschaftsstarken Demokratien der Welt, der G 7, ist ein offener, kooperativer Klimaklub. Es geht darum, mit den Ambitionierten gemeinsame Standards für klimafreundliches Wirtschaften zu etablieren, anstatt auf die Langsamsten zu warten. So entsteht ein Markt, der Klimaschutz belohnt, anstatt ihn zum Standortnachteil zu machen.
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Der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unser Weg aus der Coronapandemie. Seit Deutschland vor ziemlich genau zwei Jahren zum ersten Mal in den Lockdown gegangen ist, hat kein anderes Thema die Bürgerinnen und Bürger so sehr beschäftigt und belastet. Fast 130 000 Menschen sind seither an Corona verstorben. Viele weitere kämpfen mit den Folgen der Infektion: gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial.
Trotz alledem sind wir insgesamt besser durch diese Krise gekommen als viele andere Länder.
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Das ist kein Zufall. Wir verdanken das den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes: den Pflegekräften in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen, den Ärztinnen und Rettungssanitätern, die seit nun 24 Monaten an vorderster Front gegen das Virus kämpfen – bis zur Erschöpfung und darüber hinaus,
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den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen, Erziehern und Eltern, die nervenzehrende Monate hinter sich haben zwischen Unterrichtsausfall, Homeschooling, Homeoffice und Schule unter Pandemiebedingungen, und natürlich auch den Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die sich an die Coronaregeln gehalten haben, die sich haben impfen lassen, die auf vieles verzichtet haben, was unser Leben schön und lebenswert macht. Ich finde, es ist höchste Zeit, ihnen allen dafür noch einmal zu sagen: Danke!
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Doch damit ist es nicht getan. Wir werden den Weg aus der Krise solidarisch zu Ende gehen. Deshalb haben wir den Zugang zur Grundsicherung erleichtert, die Wirtschaftshilfen und die Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld verlängert. So ist der deutsche Arbeitsmarkt stabil durch die Pandemie gekommen. Die Wirtschaft kommt langsam wieder in Schwung und kann die vollen Auftragsbücher abarbeiten, auch weil Fachkräfte eben nicht entlassen wurden. Das ist gut – auch mit Blick auf die Belastungen, die der Krieg in der Ukraine für die Wirtschaft mit sich bringt und bringen wird.
In fast allen Staaten um uns herum sind die Coronabeschränkungen inzwischen gelockert oder nahezu komplett aufgehoben worden.
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Auch der Bundestag hat das Infektionsschutzgesetz letzte Woche angepasst. Es ermöglicht weitere Lockerungen. Die Länder erhalten aber zugleich die Möglichkeit, Einschränkungen in Kraft zu setzen, wenn die Lage das erfordert. Als Bundesregierung bleiben wir umsichtig; denn nichts wäre schlimmer, als die mühsam erreichten Erfolge aufs Spiel zu setzen. Für mich heißt das vor allem: Wir werden alles dafür tun, dass eine neue Infektionswelle unser Land im Herbst nicht wieder zum Stillstand bringt – dann vielleicht mit einer Virusvariante, die viel gefährlicher ist als Omikron.
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Um ein solches Déjà-vu zu vermeiden, brauchen wir die Impfnachweispflicht. Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns diesen Schritt in den nächsten Wochen gemeinsam gehen! Er führt uns aus der Pandemie. Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, und in einer Gesellschaft erfordert Freiheit für alle auch Solidarität von allen.
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Dieser Gedanke, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht weit über die Pandemie hinaus. Vor uns liegen enorme Aufgaben: die wirtschaftliche Transformation voranbringen,
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die Klimakrise in den Griff bekommen, demografischen Wandel gestalten, Frieden in Europa sichern. All das wird uns nur gelingen, wenn wir als Gesellschaft solidarisch zusammenhalten.
Gesellschaftlichen Zusammenammenhalt zu stärken, das ist das dritte große Handlungsfeld der Bundesregierung. Die Bürgerinnen und Bürger müssen spüren: Jeder und jede Einzelne zählt. Mein Beitrag, meine Anstrengung wird wertgeschätzt. Zentraler Ausdruck dafür sind faire, anständige Löhne. Darum hat die Bundesregierung auch als eines ihrer ersten Vorhaben die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro auf den Weg gebracht; am 1. Oktober tritt sie in Kraft.
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Wenn wir über faire Löhne, auskömmliche Renten, bezahlbare Mieten oder eine gute Absicherung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit reden, dann reden wir nicht über staatliche Geschenke, sondern über den Kitt, der unser Land zusammenhält.
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Um die enormen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, brauchen wir diesen Zusammenhalt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Gedanken will ich noch hinzufügen. Alle Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen wir umso besser, wenn wir sie gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern in Europa und der Welt angehen. In diesem Geist kommen morgen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der NATO und auf meine Einladung hin auch der G 7 zu einem außergewöhnlichen Gipfeltreffen in Brüssel zusammen. Auf den Tag genau 65 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge werden wir der Welt zeigen: Wir stehen zusammen.
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Wir stimmen uns eng ab und entscheiden auch über die nächsten Schritte gemeinsam.
Selten waren die Geschlossenheit der Europäischen Union, der Schulterschluss innerhalb der NATO und die Einigkeit der G 7 so groß wie heute. Und ich bin Präsident Biden sehr dankbar, dass er dies mit seiner Reise nach Brüssel unterstreicht. Diese Geschlossenheit bleibt unser größtes Pfund im Einsatz für Frieden, Freiheit und Demokratie. Unsere Bündnisse und Allianzen werden diese Bewährungsprobe bestehen. Mehr noch: Sie werden gestärkt aus ihr hervorgehen.
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Geschlossen wie nie werden wir in den kommenden Monaten die Verteidigungsfähigkeit der NATO stärken, und geschlossen wie nie werden wir im Europäischen Rat morgen und übermorgen eine neue europäische Sicherheitsstrategie annehmen, den Strategischen Kompass.
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Damit gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung europäischer Souveränität.
Wir erleben gerade, welche Dynamik die Zeitenwende auch auf europäischer Ebene mit sich bringt. Das werden wir nutzen. Wer Sicherheit in Europa will, der kommt gar nicht umhin, die Krisenresilienz der EU deutlich zu stärken, in der Wirtschafts- sowie in der Energiepolitik, aber auch bei neuen Technologien oder im Cyberraum. Und wer mit strategischem Blick auf die Landkarte Europas schaut, der muss doch alles daransetzen, dass wir die Länder des westlichen Balkans unterstützen, damit sie möglichst bald der Europäischen Union beitreten können.
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Dass wir angesichts der Tragweite solcher Entscheidungen auch unsere Entscheidungsmechanismen innerhalb der EU anpassen müssen, liegt auf der Hand. Auch da möchte ich Bewegung hineinbringen.
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Meine Damen und Herren, große Krisen sind immer auch ein Anstoß zu Aufbruch und Veränderung. Gerade erleben wir das, trotz oder vielleicht gerade wegen des Schreckens, den der Krieg in der Ukraine auslöst. Politische Weichen werden neu gestellt in Deutschland und Europa.
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Der Rückhalt in der Bevölkerung dafür ist groß, weil die Bürgerinnen und Bürger spüren: Ohne Frieden ist alles nichts. Freiheit und Demokratie sind plötzlich keine abstrakten Begriffe mehr, sondern etwas, das es zu verteidigen lohnt.
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Und überall in unserem Land wird Solidarität sichtbar. Millionen Menschen spenden, sie gehen zu Friedenskundgebungen, sie helfen den Geflüchteten aus der Ukraine. Mir macht das Mut, weil es zeigt, dass wir in der Krise über uns hinauswachsen, weil es zeigt, wie viel Gutes in unserem Land steckt, und weil es zeigt, was wir gemeinsam bewegen können.
Schönen Dank.
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Tino Chrupalla hat das Wort für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Herr Bundeskanzler, eines hat Ihre Rede eigentlich deutlich gezeigt: Deutschland ist absolut im Ungleichgewicht. Mittlerweile ist überall sichtbar, wovor wir Sie, werte Bundesregierung, und Ihre Vorgänger lange gewarnt haben. Die deutsche Gesellschaft ist gespalten, gespalten in jene, die erst an der Tankstelle sehen, dass ihr Leben nun mehr Geld kostet, und in solche, die schon lange kein Auto mehr besitzen und zukünftig auch noch für die Freiheit frieren sollen. Nach allen Wahlversprechen der SPD für einen höheren Mindestlohn stehen die Bundesbürger nun vor den Scherben der Illusion von Wohlstand und Sicherheit. Und das haben abschließend Sie zu verantworten, Herr Bundeskanzler.
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Auch die Mittel für Ihren Haushalt, den wir hier beraten, müssen erwirtschaftet werden. Das machen alle, die tagtäglich mit ihrer Arbeit zur Wertschöpfung beitragen; einige von Ihnen kennen das vielleicht noch und wissen, was das bedeutet.
Werte Kollegen, mehr als zwei Jahre haben wir den Bürgern viel abverlangt.
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Rechtlich fragwürdige Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus haben Existenzen gekostet und Wohlstand gefährdet. Kleine und mittelständische Unternehmen betrifft das ebenso wie das Handwerk. Doch es sind genau diese Menschen, die für den Erhalt unserer sozialen Sicherungssysteme sorgen. Auch da von Ihnen, Herr Bundeskanzler, kein Wort an diese Menschen. Denen ist klar: Am Anfang einer jeden Investition muss es eben einen Kassensturz geben; das gehört zu ordentlicher Haushaltsplanung dazu. Die Regierenden müssen den Bürgern erklären können, wie viel sie wofür ausgeben und vor allen Dingen weshalb. Noch viel wichtiger: Das muss zum Wohle unseres Landes passieren und nicht allein im Raumschiff Berlin plausibel erscheinen. Sie müssen eine Vision für Deutschland vorlegen – dazu kam heute kein Wort –, und die muss sich auch im Entwurf eines Bundeshaushaltes abbilden.
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Sie aber fabulieren von Digitalisierung und meinen Breitband, reden von sozialer Gerechtigkeit und erzeugen genau das Gegenteil, nämlich Spaltung. Denn so wichtig uns die Digitalisierung von Prozessen sein muss: Die Wohnung wärmt das eben nicht, und auch die Allgemeinbildung zukünftiger Generationen wurde bislang nicht allzu positiv davon beeinflusst.
Deutschland, meine Damen und Herren, fehlen Facharbeiter und Handwerker. Ohne diese können technische Anlagen beispielsweise im Bereich der digitalen Infrastruktur nicht aufgebaut und auch nicht gewartet werden. Dieser Zustand führt nicht zu digitaler Souveränität, sondern zu einseitigen Abhängigkeiten. Es muss zuallererst eine tragfähige Infrastruktur in den Bereichen Verkehr, Kommunikation, Gesundheit, Bildung usw. gesichert werden. Diese Beispiele sind nur eine Auswahl und zeigen gleichzeitig, wie viele Baustellen wir eigentlich vor uns herschieben. Die Unterschiede zwischen ländlichen Gebieten und den Ballungsgebieten nehmen in rasendem Tempo zu. Es ist eben das beschriebene Ungleichgewicht, was Sie mit Ihrer politischen Arbeit tagtäglich verstärken.
Versprochen haben insbesondere die Genossen von der SPD im Wahlkampf des letzten Jahres sehr viel. Zentral war die Anhebung des Mindestlohns. Aus heutiger Sicht deckt diese Erhöhung nicht einmal mehr die Kosten der Inflation. Nahrungsmittel und Kraftstoffe waren nur der Anfang. Mittlerweile folgte Warenknappheit, und es droht der Stillstand der verarbeitenden Industrien aufgrund von fehlenden Rohstoffen.
Welche Maßnahmen ergreift eigentlich die Bundesregierung? Der Bundesfinanzminister legte gestern seinen Haushaltsentwurf vor – nichts Konkretes war darin enthalten; auch heute sagte der Bundeskanzler nichts Konkretes –, der schon bei der Präsentation überholt war. Sie, werte Bundesregierung, betreiben eine Politik der Inflation in diesem Land.
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Sie verstecken Ihr Desinteresse an Deutschland und unseren Bürgern nicht einmal mehr. Stück für Stück lassen Sie Ihre Masken mittlerweile fallen. Die Idee einer sozialen Marktwirtschaft wurde zugunsten einer ideologisch rot-grün gefärbten Staatspolitik begraben.
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Bestes Beispiel dafür ist der Besuch des Bundesministers Robert Habeck in Katar. Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal vorstellen: Weil die Bundesregierung helfen möchte, Russland wirtschaftlich und ökonomisch auszuhungern, sollen wir auf günstige Erdgaslieferungen durch Nord Stream 1 und 2 verzichten, und der Wirtschaftsminister verhandelt die Lieferung von arabischem Gas. Verstöße gegen Menschenrechte scheinen plötzlich keine Rolle mehr zu spielen, sehr geehrte Damen und Herren. Mehr Doppelmoral, werte Bundesregierung, gibt es wohl doch kaum.
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Herr Bundeskanzler, Ihre Politik markiert ein Zeitalter der Extreme. Die Extremposition, sich frei von russischem Gas machen zu wollen, ist spiegelbildlich zum Ziel von Zero Covid zu sehen. Beides sind ideologiegetriebene Trugbilder, die unendliche Ressourcen verschwenden, und ihr Ziel, wenn überhaupt, nur ansatzweise überhaupt erreichen können. Was also ist denn Ihr Ziel, Herr Bundeskanzler? Das haben Sie auch heute nicht klar zum Ausdruck gebracht. Wohin möchten Sie unser Land eigentlich führen? Im Moment jedenfalls treiben Sie den Keil immer tiefer in unsere Gesellschaft. Den Bürgern wird zum Beispiel ein Freedom Day versprochen, und sie erhalten erneut ein föderales Regelchaos. Ich stimme Ihnen ja zu, dass Politik immer um einen gewissen Ausgleich bestrebt sein sollte. Allerdings muss dieser Ausgleich auch bei der Basis der Wähler und natürlich unseren Bürgern ankommen. Sie aber blockieren die Zukunft unseres Landes.
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Meine Damen und Herren, weiterhin im Haushalt des Bundeskanzlers findet sich der Geschäftsbereich Ostdeutschland. Dazu kam von Ihnen heute, Herr Bundeskanzler, kein einziges Wort. Wie Sie wissen, teilen weite Gebiete der neuen Bundesländer das gleiche Schicksal wie zum Beispiel Gebiete in Nordrhein-Westfalen oder auch im Saarland. Verpackt wird es unter dem Schlagwort „Strukturwandel“ – meinem Lieblingswort. Es meint jedoch die Deindustrialisierung weiter Landstriche. Die Probleme damit sind bekannt, werden jedoch gerade jetzt eben nicht angepackt. Gelder aus Strukturförderprogrammen werden in Kultur- und Prestigeobjekte investiert, anstatt damit wertschöpfende Arbeitsplätze zu schaffen. Man sieht es in Ostdeutschland wirklich überall: Da werden Tennishallen oder Radwege gebaut, aber für bestehende Betriebe ist eben kein Geld da. Wir müssen Förderungen für wertschöpfende Betriebe und Arbeitsplätze schaffen, und das hat sowohl die vorherige Bundesregierung als auch die jetzige komplett verpasst.
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Die Debatte um Energiesicherheit liegt vor uns auf dem Tisch. Es handelt sich dabei um die Grundversorgung unserer Bürger und unserer Wirtschaft. Herr Habeck, wissen Sie eigentlich, wie lange es dauert, bis man Großmaschinen oder auch Kraftwerke in Betrieb genommen hat? Denn wenn Sie das wüssten, würden Sie mit der realen Gefahr eines Blackouts ganz anders umgehen. Auch hier wieder die ideologische Verblendung in einer politisch und existenziell so wichtigen Debatte! Sie wissen es: Alternative Energieträger sind eben nicht grundlastfähig. Eine Debatte um moderne Gas- und Kernkraftwerke ist in diesem Zusammenhang längst überfällig; und die fehlt.
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Den östlichen Bundesländern wird der Strukturwandel eines jedenfalls nicht gewähren: Wohlstand, Sicherheit und ein wirtschaftliches Umfeld, in dem sich gerade junge Generationen niederlassen können. Die ohnehin verfrühte Abkehr vom letzten fossilen Energieträger in Deutschland, der Braunkohle, bis 2030 muss jetzt revidiert werden. Ich sage es ganz bewusst: Ja, es ist wichtig, auch über Naturschutz zu reden. Aber das Wohlergehen der Menschen muss hier Priorität haben. Ich wiederhole mich: Wir sprechen hier von der Grundversorgung, und die muss ein Staat garantieren.
Ebenso eine staatliche Aufgabe ist das Thema „innere Sicherheit“. Jetzt werden Stimmen laut, man solle Kriegsflüchtlinge auf die Bundesländer im Osten verteilen, weil dort ja weniger Menschen leben; das habe ich alles 2015 schon mal gehört. Auch hier wird wieder der zweite vor dem ersten Schritt gemacht. Zuerst müssen wir mal wissen – und darauf kommt es an, Frau Faeser –: Wer kommt denn eigentlich in unser Land?
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Diese Menschen müssen registriert werden. In keinem anderen Land der Erde mit ihren 192 Staaten kann man einfach einreisen, ohne registriert und kontrolliert worden zu sein.
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In Deutschland ist das möglich. Können Sie so – die Frage muss gestellt werden – überhaupt für die Sicherheit der Kriegsflüchtlinge und auch der anderen Bürger in Deutschland garantieren? Diese Politik, Herr Scholz, ist eben nicht zu Ende gedacht.
Meine Damen und Herren, wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass Konfliktherde auf Deutschland übergreifen. Ja, wir haben Krieg in Europa. Aber wir befinden uns nicht im Krieg mit irgendeinem Staat, und das soll auch so bleiben.
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Wir lassen uns auch nicht in einen dritten Weltkrieg hineinziehen, nicht durch Worte und auch nicht durch Versprechungen wie beispielsweise Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet der Ukraine.
Werte Bundesregierung, eskalieren Sie nicht ständig höher! Weder 500 Millionen Euro noch 1 Milliarde Euro für Waffen werden den Krieg in der Ukraine beenden. Vielmehr wird durch diese fehlgeleitete Politik auch noch Blut an den Händen der deutschen Bürger kleben. Das darf nicht sein! Eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung rasselt zumindest indirekt in Europa mit dem Säbel und hat für seine Bürger nach vier Monaten kaum mehr als Inflation, neue Schulden und soziale Verarmung im Angebot. Das, Herr Bundeskanzler, werden unsere Kinder und Enkelkinder ihr ganzes Leben abtragen müssen.
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Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf die Finanzierungspläne der Bundeswehr eingehen. Wofür wird der Verteidigungsetat eigentlich seit Jahren verwendet? Diese Frage muss man sich ja jetzt bei dieser Debatte stellen. Hier wird nämlich nur der Mangel verwaltet, den schon die letzten drei Verteidigungsminister identifiziert hatten.
Herr Merz, ich muss zu Ihrer Rede, die ich mir eben angehört habe, wirklich sagen: Was Sie zur Bundeswehr gesagt haben, ist ja schon fast Kabarett. Sie waren zwar 13 Jahre nicht da, aber vielleicht sollten Sie sich mal mit Frau von der Leyen an einen Tisch setzen und fragen, wofür das Geld eigentlich ausgegeben wurde. Für Beraterverträge wurde das Geld zum Fenster rausgeschmissen. Das hat auch die CDU mit zu verantworten.
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Werte Kollegen, die Bundeswehr gehört zu Deutschland. Wir brauchen eine Verteidigungsarmee, die sowohl materiell als auch personell gut ausgestattet ist. Allerdings sollte man sich wirklich fragen, weshalb die Debatte gerade jetzt mit so viel Energie betrieben wird. Eines steht fest: Auch die unreflektierte Summe von 100 Milliarden Euro wird die Lage innerhalb kürzester Zeit nicht verbessern. Neue und moderne Waffensysteme brauchen zuallererst eines: Menschen, die diese auch bedienen können.
Wie soll die neue Bundeswehr eigentlich personell aussehen?
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Auch darüber muss diskutiert werden, bevor man über weitere Kosten und weitere Summen spricht. Werden die neuen Generationen ihr Vaterland eigentlich verteidigen können und vor allen Dingen wollen? Lassen Sie mich dazu etwas Persönliches sagen: Ich habe drei Kinder, davon zwei Söhne. Ich frage Sie – Sie haben ja auch Kinder und Enkelkinder –: Würden Sie Herrn Lauterbach, Verteidigungsministerin Lambrecht, Frau Baerbock, Herrn Lindner, Herrn Habeck und Herrn Scholz Ihre Kinder anvertrauen? Dieser Bundesregierung?
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– Sie ja – das kann ich mir denken –, ich nicht. Ich würde – das sage ich auch ganz ehrlich – meine Kinder auch nicht Herrn Merz anvertrauen.
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Denn mit Herrn Merz als Bundeskanzler wären wir schon im dritten Weltkrieg.
Hier geht es – auch darüber müssen wir im Bundestag sprechen – um Identität, um deutsche Tugenden, um Ehrlichkeit, Fleiß und Ordnung – das braucht die zukünftige Generation – und vor allen Dingen um Vaterlandsliebe. Das muss gewährleistet sein; denn Mentalitäten lassen sich zum Glück nicht auf Knopfdruck ändern.
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Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Auch ich würde mich freuen, wenn sich Konflikte allein durch Gespräche lösen ließen. Ich meine, dass jetzt die Zeit der Diplomatie erst begonnen hat. Deshalb: Schicken Sie Diplomaten statt Waffen. Agieren Sie als Vermittler; denn nur so schafft man Frieden.
Vielen Dank.
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Jetzt spricht Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern Abend einen Artikel gelesen, geschrieben von den letzten zwei verbliebenen internationalen Journalisten, die bis vor Kurzem noch aus Mariupol berichtet haben. Sie haben geschrieben: Wir sind geblieben, obwohl es lebensgefährlich war, weil die Welt wissen muss, was hier passiert, weil die Welt wissen muss, wie die Wahrheit aussieht. – Und sie haben recht.
Es ist unser aller Aufgabe, über die Wahrheit in diesem Krieg zu sprechen, auch wenn sie kaum auszuhalten ist, auch wenn die Bilder, die Geschichten, die wir über diesen Krieg erfahren, so unerträglich sind, dass man kaum darüber sprechen kann: über die Kinder, die im Bombenhagel sterben, über Geburtskliniken, die beschossen werden, und über die vielen Toten, die nicht einmal mehr ordentlich begraben werden können. Über all das müssen wir sprechen. Die Welt muss die Wahrheit wissen; denn nichts fürchtet Putin mehr.
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Deshalb unterdrückt er gerade mit allen Mitteln immer härter und immer autoritärer die Informationsmöglichkeiten für sein eigenes Volk. Deshalb sperrt er jeden in Russland weg, der es wagt, einen anderen Gedanken zu formulieren. Nichts fürchten autoritäre Regime mehr als die Idee von Demokratie und Freiheit. Auch deshalb versucht Putin gerade, die Ukraine zu zerstören.
Doch an dieser Stelle – das sage ich ganz klar – hat Putin den Krieg schon längst verloren. Die Idee von Demokratie und Freiheit, die ist so stark, die kann man nicht wegbomben;
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die ist so stark, die kann man auch nicht wegsperren. Das beweisen ihm die vielen mutigen Menschen in seinem Land jeden Tag. Und es ist unser aller Aufgabe hier in Europa, dies zu verteidigen.
Zu den wenigen positiven Erfahrungen in dieser dunklen und grausamen Zeit gehört es, dass die EU, dass die demokratischen Länder in Europa es geschafft haben, hier gemeinsam zu stehen.
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Es ist gut, zu sehen, mit welcher Geschlossenheit, mit welcher Entschlossenheit die europäischen Staaten direkt nach Kriegsbeginn gemeinsam mit ihren Verbündeten ein hartes, ein scharfes Wirtschaftssanktionspaket auf den Weg gebracht haben in einem Ausmaß, das wir vorher noch niemals beschlossen hatten,
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mit Maßnahmen wie der Sanktionierung der russischen Zentralbank, über die wir vorher noch nicht einmal diskutiert hatten. Diese Sanktionen werden die russische Wirtschaft hart treffen; sie leidet jetzt schon stark darunter. Aber es ist natürlich wichtig, dass wir weiter an zusätzlichen Sanktionen arbeiten, jeden Tag, auch mit Blick auf die fossilen Importe aus Russland.
Ich bin extrem froh, dass die Europäische Union es in dieser Krise geschafft hat, zusammenzustehen in einer Frage, an der sie in der Vergangenheit immer gescheitert ist, dass sie es geschafft hat, jetzt solidarisch zusammenzustehen bei der Aufnahme der vielen Geflüchteten, die aus der Ukraine zu uns kommen. Alle haben gesagt: Wir helfen schnell und unbürokratisch. Wir kriegen das gemeinsam hin.
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Dass das funktioniert, liegt auch an der großartigen Hilfsbereitschaft der Menschen überall in Europa: der Menschen, die einfach zu Hauptbahnhöfen gehen und den erschöpften Familien, die dort ankommen, einen Platz in ihrer eigenen Wohnung anbieten; der Ehrenamtlichen, der Zivilgesellschaft, der Feuerwehr, des THW, die schon während Corona so viel geleistet haben und die auch jetzt wieder da sind und ganz selbstverständlich helfen und Infrastruktur und Unterstützung aufbauen. Ihnen allen gehört unser Dank.
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Es ist unser Job, diese Hilfe jetzt besser zu koordinieren. Es ist unser Job, die Kommunen hierbei zu unterstützen. Und es ist auch unser Job, die Länder innerhalb Europas zu unterstützen, die hierbei an ihre Grenzen stoßen. Deswegen ist es so wichtig, dass unsere Außenministerin Annalena Baerbock gerade noch mal betont hat, dass es eine Luftbrücke innerhalb der Europäischen Union braucht, um zu einer gemeinsamen und solidarischen Unterbringung und Verteilung der geflüchteten Menschen zu kommen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Putin gerade macht, erschüttert ganz Europa. Es ist ein Angriffskrieg, der unser aller Sicherheit infrage stellt. In so einer krassen Situation muss Politik in der Lage sein, Entscheidungen neu zu bewerten. Dazu gehört für uns auch die Entscheidung über Investitionen in unsere eigene und in die europäische Sicherheit. In dieser gefährlichen Zeit, in der die Sicherheit in Europa so herausgefordert ist, ist es sinnvoll, dass die deutsche Bundesregierung die Ausgaben für unsere eigene Sicherheit deutlich erhöht. Und deshalb ist es richtig, ein Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse zu schaffen, das diese Investitionen ermöglicht.
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Herr Merz, ich habe Ihrer Rede sehr gut zugehört, und sie hat mich in Teilen erschüttert. Es hat mich erschüttert, dass Sie es geschafft haben, so lange an diesem Rednerpult zu stehen, ohne einen einzigen Satz über die Situation der Menschen in der Ukraine zu verlieren.
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Das wäre Ihre Verantwortung gewesen. Ich finde es unangemessen, dass Sie das nicht getan haben.
Und auch bei dem, worüber Sie gesprochen haben, habe ich mich gefragt, warum das so verwirrt war. Dass Sie ausgerechnet der FDP vorwerfen, dass sie es in den 16 Jahren, in denen die CDU/CSU das Verteidigungsministerium verantwortet hat, und in einer Zeit, in der Wolfgang Schäuble Finanzminister war, nicht gebacken gekriegt hat, die Bundeswehr mit ausreichender Ausrüstung zu versorgen, das fand ich eigentümlich.
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Ich sage Ihnen auch: Ja, wir müssen mehr in die Sicherheit investieren, und wir müssen mehr in die Ausrüstung der Bundeswehr investieren. Aber es waren Ihre Beschaffungspannen, die dazu geführt haben, dass sie jetzt so schlecht aufgestellt ist.
Wir müssen Sicherheit auch breiter definieren. Sicherheit im 21. Jahrhundert bedeutet, gegen Cyberangriffe gerüstet zu sein; das ist moderne Sicherheitspolitik.
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Und Sicherheit heißt auch, unsere Partnerländer beim Thema Sicherheit zu unterstützen. Wir leben in einer global vernetzten Welt; da kann man Sicherheit nicht mehr national denken. Ich habe es Ihrerseits als ein bisschen störrisch wahrgenommen – nur so kann ich mir das erklären –, dass Sie das, was wir gemeinsam im Rahmen der NATO als Sicherheitsbegriff verankert und vereinbart haben und worauf Sie Ihre Haushaltsplanung in den letzten 16 Jahren gestützt haben, jetzt hier infrage stellen wollen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es gesagt: In einer Zeit, die so krass ist wie diese, muss man in der Lage sein, Fragen neu zu bewerten und zu neuen Schlüssen zu kommen.
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Und deswegen, Herr Merz, habe ich mich auch gewundert, dass wir in Ihrer Rede keinen einzigen Satz zum Thema Energiesouveränität gehört haben.
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Wir sind in fatalem Maße abhängig von russischem Gas, von Kohle und Öl. Es ist die Politik der Union in den letzten 16 Jahren gewesen, die uns in diese fatale Abhängigkeit geführt hat. Wir müssten nicht in dieser Situation sein, wenn wir Ernst gemacht hätten mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und mit der Energieeffizienz.
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Was wir in den letzten Jahren von Ihnen immer wieder gehört haben, zuallererst bei dem Projekt Nord Stream 2, war: Projekte mit Russland, das ist nur Wirtschaft.
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Ich sage Ihnen, davon müssen Sie sich ein für alle Mal, schlussendlich verabschieden. Man kann mit autoritären und totalitären Regimen keine Geschäfte machen,
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ohne dass es außenpolitische Bedeutung hat.
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Man kann sich nicht derart vom Import fossiler Brennstoffe abhängig machen, ohne dass das ein extrem hohes Sicherheitsrisiko mit sich bringt.
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– Ich weiß, warum Sie jetzt hier schreien. Ich gebe Ihnen darauf eine ganz klare Antwort: In dieser Situation, in der wir so abhängig sind von fossilen Brennstoffen aus Russland, in dieser Situation, in der Putin Kinder bombardiert, müssen wir alles dafür tun, um von russischem Gas unabhängig zu werden.
Und weil auf den Weltmärkten gerade nichts anderes zu kaufen ist, muss man es auch in Katar und Saudi-Arabien kaufen.
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Aber das heißt eben auch: Wenn man es mit dieser Politik ernst meint, dann muss man jetzt den Weg gehen, sich unabhängig zu machen von fossilen Brennstoffen,
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dann kann man nicht, was Sie hier die ganze Zeit fordern, den Kohleausstieg zurückdrehen, den Atomausstieg zurückdrehen. In Bayern und in Nordrhein-Westfalen den Ausbau der Windenergie zu blockieren, das ist eine Politik, die den Ernst der Lage, die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat.
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Herr Merz, Sie haben in Ihrer Rede kein einziges Wort zum Thema Energieeffizienz gesagt. Sie haben in Ihrer Rede keine Perspektive aufgezeigt. Ich frage mich ganz ehrlich: Warum hat die Union mehr Angst vor Wärmepumpen, vor der energetischen Gebäudesanierung und vor Windrädern als vor der Abhängigkeit von autoritären Regimen? Diese Antwort müssen Sie geben!
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Ich sage Ihnen eines: Diese Regierung wird einen Aufbruch schaffen. Wir werden Ernst machen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien,
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dass wir auf jedem Dach in diesem Land irgendwann eine Solarzelle haben, Ernst machen mit der Reduzierung unserer Abhängigkeit von Gas. Ich würde mich freuen, wenn die CDU/CSU hier nicht die ganze Zeit auf der Bremse stehen würde.
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Herr Merz, Sie haben eine Grundsatzfrage zum Haushalt gestellt. Sie haben gefragt: Warum reagieren wir sozialpolitisch nicht auf die Lage? Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass der Finanzminister schon jetzt einen Ergänzungshaushalt angekündigt hat,
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weil es notwendig ist, die Menschen zu entlasten. Einen Tag vor dem Beginn des Krieges durch Russland haben wir ein Paket in Höhe von 13 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, das breite Entlastung bringt. Abschaffung der EEG-Umlage, Anhebung des Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer, Anhebung der Grundsicherung in Form eines Einmalzuschlags, Erhöhung des Kinderzuschlags, all das haben wir jetzt schon auf den Weg gebracht, um die Menschen in diesem Land zu unterstützen.
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Aber es ist richtig – und das sagen wir ganz klar –: Die Menschen brauchen weitere Entlastungen. Denn schon jetzt steigen die Gaspreise enorm,
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schon jetzt ist damit zu rechnen, dass auf eine Durchschnittsfamilie in diesem Jahr Mehrkosten aufgrund gestiegener Gaspreise von 1 000 Euro oder mehr zukommen.
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Das ist eine Belastung bis in die Breite der Gesellschaft herein.
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Darauf wird diese Koalition Antworten geben
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im Rahmen eines Ergänzungshaushaltes: breit, sozial gerecht und ökologisch nachhaltig.
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Ich würde mich freuen, wenn die Opposition diese letzten zwei Schwachstellen irgendwann beenden würde und den Weg mit uns gehen würde.
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Der Kollege Dr. Dietmar Bartsch hat das Wort für Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist still geworden,
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aber nicht in der Ukraine – dort tobt seit 28 Tagen der verbrecherische Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Zivilbevölkerung, gegen Frauen und Kinder; dieser Angriff hat einen Präsidenten zu einem Kriegsverbrecher gemacht –; still geworden ist es, meine Damen und Herren, um die Ampel. Sie haben geschwiegen nach der Ansprache des ukrainischen Präsidenten hier im Parlament. Das war der Regierung und des Deutschen Bundestages unwürdig.
({1})
Still ist es auch geworden, als Wirtschaftsminister Habeck in Katar über Menschenrechte geredet hat. Ganz demütig hat er dort eine langfristige Energiepartnerschaft erbeten. Katar ist das Land, dem die Außenministerin – damals war sie allerdings noch nicht Außenministerin – die Fußball-WM wegnehmen wollte, weil die Taliban im Emirat Katar eine Heimat gefunden hatten und weil die Arbeiter auf den WM-Baustellen mit Füßen getreten wurden wie der Ball auf dem Rasen. Mit denen macht man keine Geschäfte. Was für eine Doppelmoral, Katharina Dröge! Das ist Ihre wertegeleitete Außenpolitik?
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Der eine Autokrat muss runter vom Platz, und der andere kommt rauf?
Machen wir uns endlich unabhängig von dieser unerträglichen Energieabhängigkeit!
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Das ist der Weg: massive Investitionen in Wasserstoff, energetische Gebäudesanierung, in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz.
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Aber da lässt Ihr Haushalt eben zu wünschen übrig; das ist alles viel zu wenig.
Meine Damen und Herren, sehr groß waren die Ankündigungen der Ampel im letzten Jahr. Der „Möglichkeitsraum“ habe sich erweitert, hat Christian Lindner gesagt. Großes könne geleistet werden, hat Robert Habeck gesagt. Sie klangen ziemlich großspurig, wie eine Fußballmannschaft in der Saisonvorbereitung. Aber seit dem Anpfiff, beim ersten Pflichtspiel, geht unter dem Druck der Realität nicht mehr viel. Sie spielen Fehlpässe, Sie streiten intern, kriegen kaum einen erfolgreichen Abschluss hin.
({5})
Ich weiß auch: Es ist eine besondere Situation. Wir haben diesen furchtbaren Krieg, wir haben die Pandemie, wir haben die Herausforderungen des Klimawandels, wir haben die schreiende soziale Ungerechtigkeit. Aber auf die tiefgreifenden Probleme unseres Landes, die sozialen Verwerfungen und gesellschaftlichen Entfremdungen, da haben Sie keine Antworten. Die Krisen dieser Wochen überfordern Sie, meine Damen und Herren. In der Ukraine bringen Sie den Präsidenten gegen sich auf, bei der Pandemie bringen Sie die Bundesländer gegen sich auf, und bei den steigenden Preisen – insbesondere bei Lebensmitteln und Energie – bringen Sie die Bürgerinnen und Bürger gegen sich auf, weil Sie streiten, anstatt zu handeln. Diese 100 Tage Ampel geben bisher Anlass zu Ernüchterung.
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Sie hatten doch alle drei im Wahlkampf versprochen, die kleinen und mittleren Unternehmen zu entlasten. Jetzt feiern Sie hier ihre Entlastung. Aber Sie sind keine Entlastungskoalition, Sie sind eine Belastungskoalition.
({7})
Selten haben die Bürger unter einer neuen Regierung in so kurzer Zeit so viel Kaufkraft verloren. Das ist doch die Wahrheit: Die Kaufkraft zählt und nicht einzelne Entlastungsmaßnahmen. Das ist die Wahrheit.
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Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Die Preise für Lebensmittel, für Energie, für Sprit gehen durch die Decke, meine Damen und Herren. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sehen sich zu der Entscheidung gezwungen: Heizen oder einkaufen? Ist das der Respekt, von dem Sie immer gesprochen haben? Nein, meine Damen und Herren, das ist respektlos.
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Diese Preisexplosion produziert Millionen Verlierer – Familien, Kinder, Rentner – und einen Gewinner: Das ist Finanzminister Christian Lindner. Allein dieses Jahr darf er wegen der höheren Preise mit Mehreinnahmen über die Mehrwertsteuer von 20 Milliarden Euro rechnen. Aber das ist das Geld der Bürgerinnen und Bürger. Folgen Sie doch endlich unseren europäischen Nachbarn, und entlasten Sie die Bürgerinnen und Bürger bei Lebensmitteln und bei Energie! Zehn Länder haben da etwas auf den Weg gebracht, unterschiedliche Initiativen. Und Sie kündigen an, kündigen an und machen Minimaßnahmen. Das reicht nicht. Die Ampel diskutiert, widerspricht sich. Aber die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger brauchen jetzt Entlastung und nicht erst mit der Steuererklärung.
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Die Mineralölkonzerne und die Raffinerien, die sich richtig satt verdienen, haben natürlich kein Problem damit, wenn ihnen die Bundesregierung die Gewinne sichert. Aber an die trauen Sie sich nicht ran.
({11})
Die Profite der Konzerne steigen, und der Staat zahlt? Das ist doch absurd, meine Damen und Herren! Besteuern Sie die Konzerne, und senken Sie die Preise durch steuerliche Zurückhaltung! Reden hilft nicht, Handeln ist angesagt, und da machen Sie deutlich zu wenig.
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Wollen Sie wirklich so lange warten, bis die Spritpreise wieder sinken? Verschaukeln können sich die Bürgerinnen und Bürger wirklich allein, meine Damen und Herren.
Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner verliert in diesen Wochen in Rekordzeit an Wohlstand. Das ist und bleibt inakzeptabel.
({13})
Falls Sie sagen, das wäre nicht finanzierbar: Die Bürgerinnen und Bürger schützen Sie nicht vor der Preisexplosion, aber über Nacht erklären Sie, dass 100 Milliarden Euro, in Form eines Sondervermögens, für Aufrüstung der Bundeswehr vorhanden sind. Warum eigentlich 100 Milliarden Euro und nicht vielleicht 87 oder 112 Milliarden?
({14})
Geht es Ihnen um den Bedarf, oder geht es Ihnen um eine schlagzeilenträchtige Zahl? Ich habe das Gefühl, das Zweite.
Meine Damen und Herren, was Sie da vorhaben, ist der Wahnsinn. Und im Gegensatz zu den anderen Fraktionen dieses Hauses kann ich eines sagen: Wir streiten nicht darum, wer bei Aufrüstung der Beste ist. Wir finden diesen Weg falsch, wir wollen einen anderen Weg gehen. Bei Aufrüstung werden Sie von der Linken immer Widerstand bekommen, auch bei der Grundgesetzänderung, meine Damen und Herren.
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Ich will eines ergänzend sagen und aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren. Sie schreiben darin: „Die Ausgaben für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe … und Entwicklungszusammenarbeit sollen … im Maßstab eins-zu-eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen auf Grundlage des Haushaltes 2021.“ Aber den Etat für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kürzen Sie sogar. Ihr Haushalt verstößt gegen den eigenen Koalitionsvertrag. Oder gibt es ein „Sondervermögen Humanitäre Hilfe“? Nichts davon habe ich gehört, meine Damen und Herren.
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Auch wir als Linke sagen: Natürlich muss die Bundeswehr ordentlich ausgestattet werden. Aber wer die Strukturen bei der Bundeswehr nicht grundlegend reformiert und das Managementproblem abstellt, wird weiter Milliarden verbrennen. Zu spät, teurer als geplant, nicht einsatzfähig: So läuft die Beschaffung bei der Bundeswehr doch seit Jahren. Und ich weiß auch noch, wer die Verteidigungsministerinnen und die Verteidigungsminister gestellt hat. Die Bundeswehr hat nicht zuerst ein Geld-, sondern ein Strukturproblem. Wenn Sie das nicht lösen, werden weiterhin Milliarden einfach versenkt werden.
({17})
Wir haben in unserer Gesellschaft auch das Gegenstück: Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Da fehlt Geld für Bücher, für eine Jacke im Frühling, für einen Ausflug in den Zoo. Mehr als 20 Prozent Armut unter Kindern! 20 Euro mehr gibt es für 2,9 Millionen Kinder in Armut. Der reale Mehrbedarf laut Sozialverbänden liegt aber bei 78 Euro. Dieses Geld ist komischerweise nicht da. Es ist deshalb eine Politik der sozialen Kälte, dass Sie die Kindergrundsicherung, die Sie im Koalitionsvertrag angekündigt haben – was wir gelobt haben –, bisher null im Haushalt berücksichtigen; nichts ist im Haushalt eingestellt. Die Kinder bleiben arm. Das ist ein Armutszeugnis für Ihre Politik. Sie gründen eine Arbeitsgruppe. Na Donnerwetter! Haben Sie die Kindergrundsicherung vielleicht schon abgeschrieben?
({18})
Ihr Haushalt, meine Damen und Herren, ist ein sozialpolitisches Streichorchester. Die Kindergrundsicherung kommt nicht vor. Zusätzliche Monate Elterngeld, wie Sie es angekündigt haben – wo sind die? Wo ist das Bürgergeld statt Hartz IV? Und was ist eigentlich mit der Rente, lieber Hubertus Heil? Ja, auch ich begrüße die Steigerung; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir wissen beide, dass diese durch die Inflation mehr oder weniger aufgefressen wird. Im Vergleich zu 2003, meine Damen und Herren, hat sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die von Grundsicherung, also von Hartz IV, leben müssen, mehr als verdoppelt. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind Frauen. Jede dritte Rentnerin und jeder dritte Rentner mit 40 Versicherungsjahren müssen von einer Rente unter 1 200 Euro leben, bei mir in Mecklenburg-Vorpommern im Übrigen jeder zweite.
({19})
Ein komplettes Arbeitsleben und dann Armutsrisiko? Das ist und bleibt inakzeptabel. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht.
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Lieber Herr Heil, deswegen fordern wir zwei Dinge. Erstens. Sie haben vor drei Jahren einen guten ersten Vorschlag zur Grundrente vorgelegt; der war wirklich gut, dem hätten wir glatt zugestimmt. Herausgekommen ist aber ein Reförmchen. Sie haben das damit begründet, dass die Union in der Regierung war. Okay. Aber jetzt ist die Union nicht mehr in der Regierung. Handeln Sie jetzt! Stellen Sie diese Grundrente jetzt noch mal hier im Bundestag vor, damit wirklich etwas passiert! Zweitens. Heben Sie das Rentenniveau auf 53 Prozent an! Beim Rentenniveau sind wir europäischer Abstiegskeller. Das ist die Wahrheit. Die Renten sind nicht stabil, wenn die Preise explodieren.
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Unstrittig ist, meine Damen und Herren: In diesen Zeiten müssen doch stärkere Schultern mehr tragen. Aber die Einzigen, vor die Sie sich verlässlich schmeißen, sind die Multimillionäre und Milliardäre. In der Pandemie sind die Superreichen in einen einzigen Goldrausch verfallen. Die zehn reichsten Deutschen haben ihr Vermögen um 100 Milliarden Euro vergrößert.
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Kein Geld da? Was für eine Farce! Da rächt sich, dass Sie einer großen Steuerreform zu Beginn Ihrer Regierungszeit eine Absage erteilt haben. Was ist denn mit den Steuerversprechen wie der Vermögensteuer oder Vermögensabgabe? Der Einzige, der sein Versprechen einlöst, ist Finanzminister Lindner. Er ist der Vermögensverwalter der Superreichen, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit.
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Wer bezahlt denn die 100 Milliarden Euro für Aufrüstung? Sozialdemokraten und Grüne wollten im Wahlkampf noch bei den starken Schultern, bei den dicken Portemonnaies zugreifen. Und was ist jetzt? Pustekuchen! Lindner entscheidet, nicht der Kanzler. Wer bezahlt denn den Schuldenhaushalt 2022? Die kleinen Leute bezahlen Ihre Rechnung, wenn Sie die Steuern für die Reichen nicht anheben, meine Damen und Herren. Die Schulden für die Bundeswehr sind die Streichungen bei sozialer Sicherheit, wenn Sie nicht den Mut haben, endlich etwas bei den Vermögenden abzugreifen.
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Ich sage Ihnen voraus: Ihre Aufrüstung werden Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Hartz-IV-Empfänger mit dem berühmt-berüchtigten Gürtel bezahlen, den sie noch enger schnallen sollen.
Meine Damen und Herren, Ihr Haushalt ist wenig Zukunft und kaum Zusammenhalt. Ihr Haushalt ist ein Segen für die Rüstungsindustrie und eine fette Rechnung für die, die tagtäglich hart für ihr Geld arbeiten müssen. Aber Sie geben das Geld planlos und teilweise gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag aus.
Herzlichen Dank.
({25})
Christian Dürr hat das Wort für die FDP-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Angriffskrieg auf die Ukraine überschattet die Tagespolitik in einer Weise, wie man sie sich nicht hätte vorstellen können, nicht hätte vorstellen wollen. Die Menschen in der Ukraine kämpfen um ihre Freiheit, und viele verlieren dabei ihr Leben. Der Freiheitskampf der Ukraine steht für die Werte Europas, für die Werte Deutschlands und für unsere Freiheit. Es ist Wladimir Putin, der fundamentale Werte infrage stellt und das auch schon über einen sehr langen Zeitraum getan hat, meine Damen und Herren. Wir müssen uns daher auch die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte und wie wir in Europa widerstandsfähiger gegen Freiheits- und Demokratiefeinde werden.
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Genau das gilt sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer eigenen Gesellschaft. Dieser Krieg, den die russische Seite begonnen hat, den Wladimir Putin begonnen hat, betrifft uns alle in Europa – uns alle. Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen auch für unsere Freiheit. Das dürfen wir diesen Menschen nie vergessen.
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Der Westen – Europa, die Europäische Union, die Vereinigten Staaten von Amerika, die NATO – steht geschlossen und hat bereits harte Sanktionen verhängt. Die Finanzreserven der russischen Notenbank wurden eingefroren, der Rubel ist um über 40 Prozent gefallen, und mehr als 400 westliche Firmen haben Russland bereits verlassen und den Rücken gekehrt.
Wir wissen, dass wirtschaftliche Sanktionen den Krieg nicht von heute auf morgen beenden werden – leider! Deswegen ist es richtig, dass wir uns für Waffenlieferungen entschieden haben. Wir liefern Waffen in ein Konfliktgebiet aufgrund einer absoluten Ausnahmesituation. Damit bricht diese Regierungskoalition mit einem Tabu vorheriger Bundesregierungen. Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Ich halte diese Entscheidung aber ausdrücklich für richtig, meine Damen und Herren.
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Hier geht es auch darum, Verantwortung zu übernehmen. Ich höre immer wieder – Herr Merz sagte so etwas vorhin in einem Nebensatz –, der Bundeskanzler sei nicht laut genug.
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Vor zwei Wochen habe ich gelesen, lieber Herr Kollege Merz, dass Sie als Vorsitzender der Unionsfraktion über ein Eingreifen der NATO in diesen Konflikt spekuliert haben.
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Herr Merz, das ist nicht nur fahrlässig, das ist verantwortungslos. Hätten Sie da besser geschwiegen, Herr Merz!
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Verantwortungsvolles Handeln gilt auch in Bezug auf unsere Streitkräfte; das ist in den Reden gesagt worden. Wir als Ampelkoalition stellen ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Ausstattung der Bundeswehr und zur verbesserten Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes bereit. Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit – denn auch das geht leider manchmal in der Tagespolitik unter –: Wir sind es den Soldatinnen und Soldaten schuldig, dass wir an dieser Stelle handeln. Denn die Stärke der Bundeswehr darf nicht gefährdet sein, meine Damen und Herren.
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Wir alle kennen die Zahlen – sowohl die Kolleginnen und Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss als auch die aus dem Haushaltsausschuss, dem ich in der vergangenen Wahlperiode angehörte – und wissen, wo die Probleme liegen. Wir können keine weiteren Abstriche bei der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zulassen. Es geht um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, aber vor allem um die Frauen und Männer hier in Deutschland, die bereit sind, ihr Leben für unsere Freiheit zu riskieren. Insbesondere jetzt, in dieser dramatischen sicherheitspolitischen Situation in Europa, müssen wir hinter unseren Soldatinnen und Soldaten stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Herr Merz hat das ja getan; da ist der Rückblick auch notwendig, das teile ich. Ich teile aber ausdrücklich auch das, was die frühere Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor einigen Tagen gesagt hat. Sie sagte: „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben.“ Herr Merz, sie hatte recht. Die Vernachlässigung der Truppe war ein historischer Fehler, und diesen historischen Fehler wird diese Regierungskoalition jetzt korrigieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich musste vorhin schon schmunzeln; es war ja eine sehr steile These, die Sie aufgestellt haben. Man muss sich das überlegen: Die mangelhafte Finanzierung der Bundeswehr in Deutschland lag an der Regierungsbeteiligung der Freien Demokraten zwischen 2009 und 2013, als wir unter anderem den Bundesgesundheitsminister, die Bundesjustizministerin, den Bundeswirtschaftsminister, den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den Außenminister gestellt haben.
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Natürlich lag der Grund dafür nicht darin, dass die Union seit 2006 den Bundesverteidigungsminister gestellt hat und seit 2005 die Bundeskanzlerin, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Merz, Sie haben vorhin gesagt, Sie haben den Reden gestern gelauscht. Ich hätte Ihnen geraten: Sie hätten die letzten 16 Jahre zuhören sollen, was in diesem Deutschen Bundestag passiert ist. Das wäre sinnvoll gewesen, lieber Kollege.
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Meine Damen und Herren, wir dürfen uns in Bezug auf die Auswirkungen dieses furchtbaren Angriffskrieges in Europa nichts vormachen. Alle Bereiche des zivilen und wirtschaftlichen Lebens sind auch bei uns von diesem Krieg betroffen. Wir sehen jeden Tag ehrenamtliche Helferinnen und Helfer an den Bahnhöfen. Wir sehen Ukrainerinnen und Ukrainer in Bussen und Bahnen, in Unterkünften oder bei Freunden und Familien, die sie bei sich zu Hause aufnehmen. Ich will an dieser Stelle unterstreichen: Es ist eine ganz zentrale Aufgabe, den flüchtenden Menschen zu helfen und das natürlich bundesweit, gemeinsam mit Ländern und Kommunen zu koordinieren.
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Ich bin stolz auf die Solidarität der Menschen in Deutschland. Herzlichen Dank dafür, dass Sie bereit sind, diesen Menschen in dieser schwierigen Situation zu helfen!
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In diesen Tagen wird auch in Bezug auf die Sanktionen sehr viel über unsere Stärke gesprochen. Nach fast vier Wochen Krieg muss man eines sagen: Die geopolitische Stärke des Westens, die geopolitische Stärke Deutschlands ist vor allen Dingen auch unsere wirtschaftliche Stärke. Wir müssen diese Sanktionen aufrechterhalten und gegebenenfalls verschärfen können; darüber wird jetzt ja bereits wieder gesprochen. Nur dann sind wir in der Lage, den Menschen in der Ukraine auch wirklich zu helfen.
Wenn wir über den Konflikt in der Ukraine sprechen, müssen wir natürlich auch über die Folgen hier in Deutschland sprechen, meine Damen und Herren. Wir müssen dafür sorgen, dass die Beschäftigten in Deutschland, dass die Unternehmen diese Krise gut überstehen. Dazu gehört auch, dass wir über die sehr hohen Energiekosten sprechen müssen, über die Heizkosten und über die Einkommenssituation der Menschen in unserem Land. Wir haben uns deshalb als Ampelkoalition bereits vor einigen Wochen politisch auf den Weg gemacht und in der vergangenen Woche hier im Deutschen Bundestag erste Entscheidungen getroffen: Wir verdoppeln den Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, und wir unterstützen damit vor allen Dingen Menschen mit geringen Einkommen. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit; das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.
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Wir werden die Pendlerpauschale anheben. Das ist wichtig vor allem für die Menschen, die jeden Tag auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu fahren.
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Wir haben Einmalzahlungen für Bezieher von Sozialleistungen auf den Weg gebracht und einen Sofortzuschlag für Kinder aus sozial schwachen Familien eingeführt. Dazu kommen die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages – in noch nie dagewesener Höhe in einem einzigen Schritt – und des Grundfreibetrages, meine Damen und Herren.
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Diese Maßnahmen – weil ich gerade die Zwischenrufe aus der Union gehört habe – werden wir sogar steuerlich rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres einführen, um das auch noch mal zu unterstreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Darauf kann man auch ein Stück weit stolz sein.
Und dann machen wir das, was die Union jahrelang nicht geschafft hat, was sie jahrelang in Wahlprogramme geschrieben, was sie jahrelang immer wieder aufgerufen, aber am Ende nicht wirklich durchgesetzt hat: Wir werden die Menschen insbesondere bei den Stromkosten entlasten. Diese Bundesregierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten wird die EEG-Umlage für alle Menschen, für alle Unternehmen in Deutschland vollständig und für immer abschaffen, und das bereits zum 1. Juli dieses Jahres. Das ist ein Verdienst dieser Seite des Hauses, über das Sie in den letzten Jahren nur gesprochen haben, liebe Kollegen der Union.
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Dass die Energiekosten bei vielen Unternehmen mittlerweile bis zu 30 Prozent ihrer Ausgaben und darüber betragen, ist leider keine Seltenheit mehr. Deshalb haben wir uns für die genannten Entlastungsschritte entschieden. Gleichzeitig müssen wir strategisch unabhängiger werden, insbesondere von russischem Erdgas, meine Damen und Herren. Deshalb begrüße ich die aktuellen Anstrengungen des Bundeswirtschaftsministers, jetzt auch andere Erdgasquellen zu erschließen. Das ist wichtig.
Entsprechend wichtig ist es auch, in Deutschland etwas zu tun. Dabei denke ich beispielsweise natürlich an die LNG-Terminals, die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung bereits erwähnt hat, an die Standorte in Wilhelmshaven, in Brunsbüttel und – als Niedersachse darf ich das sagen – natürlich auch in Stade.
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– Danke, Kollege Klingbeil. – Denn eines ist doch ganz klar: Deutschland wird auch zukünftig auf Energieimporte angewiesen sein. Deswegen müssen wir jetzt die richtigen Infrastrukturentscheidungen treffen.
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Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muss man eines sagen: Diese Koalition hat eine doppelte Hypothek geerbt: auf der einen Seite eine viel zu starke Abhängigkeit von Russland bei Energieimporten und auf der anderen Seite – deswegen haben wir im Energiebereich bereits entlastet – bereits vor der Ukrainekrise historische Belastungen der deutschen Stromkunden, der deutschen Kunden für Gas etc. pp. Das sind zwei große Hypotheken, von denen wir uns jetzt befreien wollen. Unsere Botschaft lautet: Wir lassen unsere Unternehmen und die Menschen in Deutschland bei der Frage der Energieversorgung nicht im Regen stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die Arbeit dieser Koalition wird bislang insbesondere durch Krisen und deren Folgen bestimmt. Doch wir machen uns natürlich auch Gedanken über die Zukunft: wie wir Fortschritt organisieren, wie wir mehr Fortschritt wagen, meine Damen und Herren. Nicht nur die Krisenbewältigung steht auf unserer Agenda, sondern wir richten den Blick auch nach vorne.
Ich will einen Punkt ansprechen, der in den letzten Jahren in Deutschland zu kurz gekommen ist; mein persönlicher Eindruck ist, es lag nicht am Koalitionspartner SPD.
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Ich glaube, es ist, insbesondere vor dem Hintergrund der Unsicherheit in der Welt, die Aufgabe der deutschen Politik, jetzt zu sagen: Diese Bundesregierung wird das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft erneuern, meine Damen und Herren. Das ist jetzt eine ganz entscheidende Frage, auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
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Wir werden uns um Gründerinnen und Gründer kümmern. Wir werden die Planungszeiten in Deutschland halbieren. In Deutschland gibt es 83 Millionen kluge Köpfe, die Lust haben, durchzustarten, die Lust haben, etwas aus ihrem Leben zu machen, die Lust haben, sich zu engagieren, ob ehrenamtlich oder im Beruf, meine Damen und Herren. Diese Art der Freiheit meine ich: das eigene Leben zu gestalten, etwas daraus zu machen und, ja, auch wirtschaftlichen Erfolg zu ernten. Dieses zentrale Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft muss jetzt im 21. Jahrhundert nach so vielen Jahren des Mehltaus endlich erneuert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir werden das sehr konkret tun, indem wir beispielsweise 4 000 Talentschulen gründen, meine Damen und Herren. Und wir werden das tun – das ist gerade mir als ehemaligem Landespolitiker ein Herzensanliegen –, indem wir endlich einen Digitalpakt 2.0 auf den Weg bringen. Meine Fraktion hat der unionsgeführten Bundesregierung in der vergangenen Wahlperiode zu einer grundgesetzändernden Mehrheit verholfen, damit über einen Digitalpakt die Digitalisierung endlich bei den Schulen ankommt, und über Jahre ist nichts passiert. Ich erinnere mich sehr genau an die Reden der ehemaligen Bundesbildungsministerin an dieser Stelle, die schulterzuckend dastand, und man hatte den Eindruck, sie ist Abteilungsleiterin in einem schlecht geführten Baumarkt, nach dem Motto „Das ist nicht meine Abteilung“. – Nein, das ist unsere Abteilung!
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Den Digitalpakt 2.0 für Schulen, mehr Chancengleichheit, sozialer Aufstieg durch bessere Bildung – das werden wir jetzt gewährleisten. Die Bildungsfrage ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land,
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und ich bin Bettina Stark-Watzinger ausdrücklich dankbar dafür, dass sie das zur Chefsache gemacht hat.
Als Koalition wollen wir in den kommenden Wochen deutlich machen, dass wir trotz der Pandemiebekämpfung, trotz dieses furchtbaren Krieges natürlich zusätzliche Mittel für die wichtige Zukunftsaufgabe bereitstellen, nämlich die Transformation unserer Volkswirtschaft hin zu mehr Klimaneutralität.
Richtig ist – und das will ich zum Schluss sagen –, dass wahrscheinlich kaum eine Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, wahrscheinlich gar keine neue Bundesregierung, unter solchen Rahmenbedingungen gestartet ist: eine Pandemie, ein Krieg in Europa, der zusätzlich zu all dem schrecklichen Leid der Menschen in der Ukraine auch noch unsere eigene Sicherheit hier in Deutschland bedroht, meine Damen und Herren, und gleichzeitig gigantische Zukunftsaufgaben bei der Digitalisierung, bei der Dekarbonisierung unseres Landes und – das als letzten Punkt – natürlich auch bei der demografischen Frage, die aus meiner Sicht eine entscheidende soziale Frage in den kommenden Jahren sein wird.
Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren: Deutschland ist eines der ältesten Länder der Welt. Mein Vater ist 81 Jahre alt und sehr gesund, und ich freue mich darüber, dass Menschen in Deutschland gesünder älter werden. Das ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt, und gleichzeitig ist es eine gigantische Herausforderung. Wir sehen das an den Zahlen im Bundeshaushalt von Christian Lindner, an den Zuschüssen an die gesetzliche Rentenversicherung.
Die Frage der Demografie ist eine Frage des sozialen Zusammenhalts in Deutschland in den kommenden Jahren. Wir werden das nicht allein aus eigener Bevölkerung schaffen. Deswegen ist ein Punkt zum Schluss richtig – weil ich vorhin auch über die Solidarität und Offenheit gegenüber geflüchteten Menschen aus der Ukraine sprach –: Wir müssen – auch losgelöst davon in die Zukunft gedacht – auch eine andere historische Aufgabe als Ampelkoalition lösen, Herr Merz, wozu die Union in den letzten 16 Jahren nicht in der Lage war: Wir müssen aus Deutschland endlich ein modernes Einwanderungsland machen, meine Damen und Herren, –
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wir sind es unserem Wohlstand schuldig –, ein weltoffenes Einwanderungsland, das unseren Wohlstand in Zukunft sichert, gleichzeitig die Globalisierung voranbringt und auch unseren Platz inmitten der weltoffenen Länder sichert.
Herr Dürr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dem Bundeskanzler für die Rede heute Morgen dankbar, und ich bin dem Bundesfinanzminister sehr dankbar für einen soliden Haushalt.
Und das als letzten Satz, Frau Präsidentin: Ja, man kann unterschiedlicher Meinung in der Haushaltspolitik sein; aber bei der Frage der Schuldenbremse und dabei, sich an Verträge zu halten, traue ich Olaf Scholz und dieser Ampelkoalition meilenweit mehr als dieser Oppositionsfraktion.
Ganz herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Mathias Middelberg hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, Sie haben hier heute in einem fast erschöpfenden Beitrag Ihre eigene Regierung unter Erwähnung der einzelnen Ministerkollegen und ‑kolleginnen gelobt, und Herr Dürr hat gerade schon die Regierungspolitik – alle möglichen Ankündigungen – gelobt, die noch gar nicht stattgefunden hat.
({0})
Das beeindruckt vielleicht den einen oder anderen in Ihren eigenen Reihen, aber wenn man jetzt mal ganz nüchtern Bilanz der letzten 100 Tage zieht und sich ein paar Projekte sehr konkret anguckt, dann kommt man, glaube ich, zu einer anderen Einschätzung.
Der Bundeskanzler hat hier angekündigt, eine Impfpflicht werde Ende Februar/Anfang März eingeführt. Das ist schon eine wertige Aussage, immerhin ist der Bundeskanzler Chef der Regierung, nach der Verfassung mit der Leitung der Regierungsgeschäfte beauftragt. Gehandelt hat die Regierung zu diesem Thema nicht; jedenfalls haben wir kein Handeln der Regierung dazu festgestellt.
({1})
Infektionsschutzgesetz: Da feiern Sie sich auch für das, was Sie gemacht haben. Tatsächlich haben Sie uns bei der Debatte in der letzten Woche zum Infektionsschutzgesetz das Maximum an Meinungsdifferenz in Ihrer Koalition vorgeführt und haben damit gezeigt: Diese Regierung ist gar nicht handlungsfähig.
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Sie haben die Lösung des Problems an die Länder delegiert, weil Sie selbst nicht lösungsfähig sind.
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Thema Energiepreise. Herr Dürr, Sie haben eben gesagt, Sie freuen sich darüber, dass jetzt in der Koalition darüber gesprochen wird –gesprochen wird!
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Natürlich ist es für die Menschen, die in diesen Monaten bangen, ob sie überhaupt noch finanziell klarkommen, ob sie ihre Tankrechnung noch bezahlen können, die als Pendler 200, 300 oder 400 Euro im Monat mehr bezahlen müssen, die als Busunternehmer oder als Gewerbetreibende um ihre Existenz bangen, sicherlich eine wichtige Information, dass Sie über das Thema in der Koalition sprechen.
({5})
Besser wäre es, wenn Sie dieses Problem jetzt entschieden angehen würden. Wir haben dazu klare Vorschläge unterbreitet; sie sind sehr einfach umsetzbar. Wenn Sie das machen würden, könnten wir das noch in dieser Woche im Bundestag beschließen, der Bundesrat könnte das zeitnah absegnen, und dann wären die Beschlüsse unmittelbar an der Tankstelle wirksam.
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Das Thema Zeitenwende hat Friedrich Merz völlig zu Recht angesprochen. Wir haben ja hier die verschiedenen Konsequenzen aus dem furchtbaren Krieg in der Ukraine diskutiert, und wir haben auch über das Sondervermögen diskutiert. Ich glaube, da ist es schon so, wie Friedrich Merz das auch festgestellt hat: Irgendwie müssen wir das, was jetzt stattfinden muss, auch geistig noch nachvollziehen, und vor allen Dingen müssen Sie in diesem Teil des Hauses das geistig wirklich verarbeiten.
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– Ja, ich sage das ganz deutlich.
Ich kann mich sehr genau an den letzten Bundestagswahlkampf erinnern. Da wurden häufig auch die Verteidigungspolitik, die Verteidigungsausgaben, die Ausgaben für die Bundeswehr diskutiert. In manchen Veranstaltungen wurde gefragt: Wer ist denn für die Einhaltung des 2‑Prozent-Ziels der NATO? Da habe ich die Hand gehoben und auch der Kollege der FDP, der damals kandidiert hat. Die Kollegen, die aus den anderen Parteien kandidiert haben, haben jeweils gesagt: Nein, das kommt nicht infrage. Das ist ein blödes Ziel, das wollen wir nicht machen. Die Bundeswehr ist für uns nachrangig. Wir haben ja kaum noch relevante Verteidigungsaufträge, so ein paar internationale Einsätze.
({8})
Es geht darum, das jetzt verstanden zu haben: Welches ist denn jetzt die Lehre aus diesem Krieg, diesem unglaublichen Tabubruch? Sie besteht darin, dass wir tatsächlich in dem einen oder anderen Punkt umdenken müssen. Dieses Land, Europa ist wieder bedroht, und wir müssen uns auch wieder auf ein Szenario der Landesverteidigung einstellen. Deswegen müssen wir in dem Bereich nacharbeiten.
Die FDP hat dabei wenig nachzuarbeiten, aber dieser Teil der Regierung hat das wirklich geistig zu verarbeiten, und dass das erfolgt, stellen wir hier nicht fest.
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Wenn wir über die Verwendung der 100 Milliarden Euro reden und uns dann gestern der Kollege Kindler aus der Grünenfraktion erklärte, dabei ginge es auch um zivile Krisenprävention irgendwo in Teilen der Welt, dann kann ich nur sagen: Das zeigt ganz deutlich, dass die Botschaft nicht verstanden wurde; denn der Ukrainekrieg zeigt uns, dass die Maßnahmen ziviler Krisenprävention, dass alle Maßnahmen der Diplomatie hier leider – leider! – gescheitert sind.
Deswegen müssen wir zurück zu einem klaren Szenario der absoluten Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit. Deswegen sagen wir: Die 100 Milliarden Euro müssen der Bundeswehr und ihrer Ausstattung zur Verfügung stehen.
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Ich will an einem Punkt noch mal nachfassen. Ich fand sehr bemerkenswert, was Sie, Herr Kollege Habeck – ich sage das ausdrücklich und anerkennend –, hier an dem Sonntag vor drei Wochen in der Debatte zum Thema Waffenlieferung gesagt haben, wie Sie sich auch selber ein bisschen damit gequält haben und Ihre eigene Fraktion dazu angesprochen haben, die sich nämlich auch mit dem Thema quält. Ich habe dafür durchaus Verständnis. Aber das zeigt ja gerade, dass wir diese Situation, diese Zeitenwende, von der der Bundeskanzler zu Recht gesprochen hat, wirklich auch innerlich verarbeiten und ernsthaft darauf reagieren müssen. Es ist nicht mit einem Lippenbekenntnis getan, bei dem man sagt: So, jetzt nehmen wir mal diese 100 Milliarden, dann ist die Sache für uns gegessen, und das auch noch neben der Schuldenbremse. – Nein, wir müssen das wirklich verstehen. Deswegen ist für uns die Forderung auch essenziell, dass wir, wenn das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausläuft, daran festhalten müssen, dass die Bundeswehr absolut verteidigungsbereit bleiben muss. Das muss auch in Zukunft so gelten.
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Gerade deswegen sagen wir: Das 2‑Prozent-Ziel muss eingehalten werden, auch über dieses Datum des Auslaufens des Sondervermögens hinaus.
Ich hätte jetzt gerne noch einiges zu Ihrem Haushalt gesagt. Sie haben Glück, dass Ihnen das jetzt erspart bleibt, weil meine Redezeit leider für die anderen Punkte aufgebraucht ist.
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Aber eine Bemerkung, Herr Dürr, will ich mir doch noch erlauben. Sie haben sich eben bei Herrn Lindner dafür bedankt, dass er einen soliden Haushalt vorlege. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das, was vorliegt, kann allenfalls eine vorläufige, überschlägige Betrachtung dessen sein, womit wir irgendwie noch rechnen müssen. Denn ehrlicherweise diskutieren wir in dieser Woche über vier Bundeshaushalte: den Kernhaushalt mit 100 Milliarden Neuverschuldung, das Sondervermögen mit 100 Milliarden Neuverschuldung, dann diskutieren wir über einen Ergänzungshaushalt zur Ukraine, von dem wir noch gar nicht wissen, wie viele Milliarden da hineingebucht werden sollen, und dann diskutieren wir noch über die 60 Milliarden, die Sie mal eben vom alten Jahr und der alten Regierung in Ihre Zeit übertragen haben. Das waren Kreditermächtigungen für Coronamaßnahmen, die verfallen hätten müssen, weil wir sie nicht in Anspruch genommen haben.
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Die haben Sie mitgenommen, um sie jetzt für ganz andere Zwecke, nämlich als „Klimamittel“, einzusetzen. Das ist die ehrliche Betrachtung. Da von solide zu sprechen, ist, sage ich mal, mindestens höchst ambitioniert und trifft eher nicht zu.
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Der nächste Redner ist Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltspolitische Debatten werden in der Regel von Themen der Wirtschafts-, Sozial-, Klima- und Innenpolitik dominiert. Doch die Ukraine, die Welt und unsere bisherigen Regeln wurden in den Morgenstunden des 24. Februar angegriffen. Tod, Leid, Flucht – seit mehr als vier Wochen verstört uns die Brutalität, mit der Putin einen Staat einäschern will. Wir sehen aus der gar nicht so großen Ferne Bilder der Unmenschlichkeit, die wir in Europa nicht mehr für möglich gehalten haben. Und wir sehen bei uns, besonders aber in Polen, Ungarn oder Moldawien, wie Millionen von Frauen, Kindern und älteren Menschen fliehen müssen. Sie alle werden einer friedlichen Heimat beraubt.
Dennoch darf der Krieg die Agenda, in der wir der Welt von gestern eine neue Zukunft gegenüberstellen wollen, nicht aufheben. Im Gegenteil: Gerade jetzt sind wir gefordert, Antworten zu geben, wie wir nach dem Zeitenbruch des Krieges die Herausforderungen für unser Land, für Europa und den Planeten meistern können.
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Der Krieg, meine Damen und Herren, hat vieles verändert. Zusammen mit den anderen Ländern unterstützen wir ein beispielloses Sanktionsregime, das – wir müssen es sagen – auch uns nicht unbeschadet zurücklassen wird. Die Folgen werden Jahre nachwirken.
Wir haben der Ukraine im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen Waffen zur Selbstverteidigung geliefert und leisten wie kein anderes Land wirtschaftliche und humanitäre Hilfe. Wo wir können, werden wir diese Hilfe auch weiterhin leisten. Meine Fraktion wird das verantwortungsvoll und gewissenhaft zusammen mit der Mehrheit dieses Hauses tun. Darauf, meine Damen und Herren, können Sie sich verlassen.
({1})
Gegenwärtig wachsen die Kommunen und die Zivilgesellschaft über sich hinaus. Engagierte Bürgerinnen und Bürger nehmen Frauen, Kinder und Familien mit großer Wärme in Empfang, organisieren kurzfristig eine Bleibe, medizinische Hilfe und die Teilnahme am Schulunterricht für die Kinder. In Momenten wie diesen wird uns gewahr, dass unsere demokratische und bürgerschaftliche Verfasstheit von unschätzbarem Wert ist.
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Für ein friedliches Miteinander, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für diese gelebte Solidarität möchte ich mich bei den vielen, vielen Menschen in Deutschland bedanken. Vielen Dank dafür!
({3})
Meine Damen und Herren, auch in den Organisationen der Staatengemeinschaft tut sich Wegweisendes. Die Europäische Union hat zu neuer Geschlossenheit gefunden. Morgen besucht der amerikanische Präsident die Europäische Union und die NATO. Dass in Washington mit Joe Biden ein Staatsoberhaupt amtiert, das die Zusammenarbeit mit Europa wie kein Zweiter verkörpert, ist ein Glücksfall.
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Was für eine Erleichterung gegenüber dem Erlebten, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, wir dürfen den Europarat in Straßburg und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Wien nicht vergessen. Beide Institutionen haben ihre eigenen Stärken und müssen eine wichtige Rolle in der Nachkriegszeit einnehmen, zumal die Anstrengungen durch Entsandte aus vielen Parlamenten in der OSZE und im Europarat ergänzt werden können. Gemeinschaftliches Handeln – das zeigt sich in diesen Wochen – ist ein Wert an sich, und genau das brauchen wir in diesen Tagen.
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Ebenso – und das wird aus meiner Sicht oft vergessen – schafft das Völkerrecht Klarheit und Überzeugungskraft. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof ein Ermittlungsverfahren zu Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eröffnet hat.
({6})
Nach unserem Verständnis müssen sich die Ermittlungen aber außerdem auf den Vorwurf des Angriffskrieges beziehen; das sind wir den Opfern und der Ukraine schuldig. Die Möglichkeit, Verantwortliche persönlich zur Rechenschaft zu ziehen, darf nicht ungenutzt bleiben. Darauf bestehen wir, meine Damen und Herren!
({7})
Nachdem auch der Internationale Gerichtshof vergangenen Mittwoch angeordnet hat, dass Russland die militärische Gewalt in der Ukraine sofort beenden muss, kann sich niemand mehr in Moskau hinter fadenscheinigen juristischen Argumenten oder abwegigen Vergleichen verstecken. Die Richterinnen und Richter in Den Haag haben völkerrechtliche Klarheit geschaffen. Das ist ein Fortschritt im internationalen Recht, und genau das ist auch gut für dieses Parlament; denn wir stehen hinter dem internationalen Recht und haben es auf den Weg gebracht.
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Selbst in New York ist nicht alles beim Alten geblieben. Zwar hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut als unfähig erwiesen, seinem Auftrag zur Wahrung des internationalen Friedens nachzukommen. Russland legte erwartungsgemäß ein Veto ein; aber auch die Volksrepublik China enthielt sich der Stimme. Solange Peking – und das sage ich hier ganz klar – aus dem manifesten Bruch des Völkerrechts keine Konsequenzen für das eigene Handeln zieht, bleibt die Volksrepublik China hinter den selbst geweckten Erwartungen zurück. Wir sagen klar: Lösen Sie sich aus der Schlinge eines Kriegsverbrechens, solange das noch möglich ist! Stellen Sie sich auf die Seite der Menschlichkeit und des Friedens!
({9})
Aber auch Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate haben das Privileg ihres nichtständigen Sitzes im Sicherheitsrat nicht ausgefüllt. Leider wollte Abu Dhabi den Überfall auf die Ukraine nicht verurteilen. Es war daher richtig, dass der Wirtschaftsminister dieses Verhalten bei seinem Besuch angesprochen hat. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken.
({10})
Anders als der Sicherheitsrat hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine klare Entscheidung getroffen. 141 von 193 Staaten verurteilten die Aggression Russlands. Nur 5 stimmten mit Nein, 35 Regierungen enthielten sich der Stimme, und 12 Repräsentanten waren in New York nicht anwesend. Auf den ersten Blick ist das ein klares Votum. Doch wir, zumal wir Europäer, sollten genauer hinschauen: Die größte Zahl der Staaten, die die militärische Aggression Russlands nicht verurteilt haben, befindet sich auf dem eurasischen Kontinent oder in Afrika, also unmittelbar in unserer Nähe oder in nicht ganz weiter Ferne.
Deswegen würde ich Ihnen gerne eine Karte zeigen, die die vielleicht neue Weltordnung, die zumindest im Entstehen ist, veranschaulicht; denn wir sollten uns vergegenwärtigen, was das bedeutet. Im Verhältnis zur Weltbevölkerung ist das die Hälfte der Menschheit. Darunter befinden sich viele autoritär regierte Staaten, aber auch Demokratien wie Indien oder unvollständige Demokratien wie Südafrika oder Sri Lanka. Fünf Staaten auf dieser Karte, welche sich der Verurteilung Russlands nicht anschließen wollten, sind außerdem Atomwaffenmächte.
Ich finde, es lohnt sich, in einer solchen Debatte den Blick auf eine Weltordnung zu lenken, die vielleicht im Entstehen begriffen ist; denn sie ist nicht schwarz oder weiß, wie uns einige immer einreden wollen. Auf diese im Entstehen begriffene Weltordnung wird es keine einfachen Antworten geben, schon gar nicht allein militärische, und das sollte den meisten in diesem Haus hoffentlich auch klar sein.
({11})
Dass wir die Ausrüstung – das sage ich gleich mit dazu – der Soldatinnen und Soldaten verbessern, bleibt dennoch richtig genauso wie die Anschaffung von neuen Geräten. Meine Fraktion wird dabei gleichzeitig darauf achten und hinwirken, dass der Bundestag bei der Verausgabung der Mittel ein entscheidendes Wort mitreden wird. Ohne Parlamentskontrolle, meine Damen und Herren, gibt es keine demokratische Sicherheitspolitik, und die Bundeswehr muss eine Parlamentsarmee bleiben.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD ist nach wie vor der Auffassung, dass zur Kriegsverhinderung mehr gehört als immer größere Rüstungsausgaben, und schon gar nicht gehört dazu, nachfolgenden Generationen vorzuschreiben, wie hoch diese Ausgaben zu sein haben, wie die Union es will.
({13})
Wenn einige zudem meinen, zur Bündnisverteidigung gehöre ein weltweites militärisches Engagement unserer Streitkräfte, so sagen wir denen: Das ist nicht unser Verständnis einer klugen Außen- und Sicherheitspolitik.
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– Ja, genau das. Ich höre ein Aha aus Ihrer Fraktion. Sie hätten sich in den letzten 16 Jahren dazu durchringen können. Wir haben nämlich noch vieles und anderes zu tun.
Kollege Mützenich.
Bevor wir allein große Investitionen tätigen und immer wieder neue Ziele formulieren, so wie Sie das hier tun, sollten wir zuerst klären, was die Bundeswehr leisten kann, aber auch leisten soll.
({0})
Kollege Mützenich!
Ja?
Ich habe die Uhr angehalten. – Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Zeulner?
Ich wollte das eigentlich nicht. Sie meldet sich schon seit zehn Minuten; ich weiß nicht, ob sich das jetzt auf das Aktuelle bezieht.
Sie holen einfach keine Luft.
Bitte.
Sehr geehrter Kollege Mützenich, vielen herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Als Chef der stärksten Fraktion im Deutschen Bundestag würde ich Sie einfach persönlich etwas fragen wollen. Wir haben im Moment eine Situation, in der sich viele Menschen in unserem Land dankenswerterweise um die ankommenden Flüchtlinge kümmern. In meiner Region beispielsweise sind Flüchtlinge aus Riwne angekommen. Das sind Mütter mit Kindern, die große Sorge um ihre Männer haben, die an der Grenze zu Weißrussland wahrscheinlich massiv unter Druck geraten könnten; denn es besteht die Gefahr, dass Weißrussland dort eine unrühmliche Rolle einnimmt.
Deswegen die konkrete Frage: Was unternehmen Sie als Chef der stärksten Fraktion im Deutschen Bundestag, um die Zivilisten, die Männer, die Bürgerwehren dort zumindest so weit zu schützen, dass sie Brustpanzer zur Verfügung haben, dass sie Helme zur Verfügung haben? Denn nach jetzigem Kenntnisstand stehen sie sozusagen mit bloßen Händen da und haben die berechtigte Sorge, dass sie dort in einen weiteren Konflikt, in eine weitere Auseinandersetzung mit hineingezogen werden. Gibt es schon Abmachungen mit Unternehmen, die Brustpanzer produzieren? Sie wissen, wie es im Moment angesichts des aktuellen Weltgeschehens diesbezüglich aussieht. Es geht letztlich um Zivilisten, um Menschen, die sich in einer Bürgerwehr organisiert haben. Losgelöst von den Waffenlieferungen, die ja auch zur Debatte stehen – aber das ist noch mal eine andere Hausnummer –: Was unternehmen Sie konkret, um diesen Menschen zu helfen?
({0})
Sehr geehrte Kollegin, Sie haben in Ihrer Zwischenfrage zwei Dinge angesprochen.
Das Eine ist, dass viele Frauen mit ihren Kindern, aber auch ältere Menschen nach Deutschland kommen. Ich habe eben – ich hoffe, für das ganze Haus – gesagt: Vielen Dank an die, die bürgerschaftliches Engagement zeigen und diesen Menschen eine Bleibe geben. – Ich denke, auch Sie werden ihnen gesagt haben, dass sie willkommen sind und dass wir alles dafür tun, dass in der Zeit, in der sie bei uns sind, Humanität waltet und auf das erste Angebot Weiteres folgt.
Ich will die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion daran erinnern, dass sich die Ministerpräsidentenkonferenz – also auch unionsgeführte Bundesländer – für genau diese Willkommenskultur entschieden hat, aber gleichzeitig auch gesagt hat: Wir wollen uns gemeinsam mit dem Bund, mit den Ländern und mit den Kommunen auf den Weg machen, um letztlich auch die finanziellen Lasten gemeinsam zu teilen. Das ist meine Einladung an Sie: Helfen Sie uns dabei, dass in dieser Arbeitsgruppe Gutes auf den Weg gebracht wird.
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Das Zweite betrifft die Waffenlieferungen. In der Tat, diese Bundesregierung hat zusammen mit dem Parlament eine schwerwiegende Entscheidung getroffen. Ich habe ganz bewusst – manchmal überhört man das hier – vor dem Hintergrund des internationalen Rechts gesagt: Auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen, dass sich nämlich Länder selbst verteidigen können, sind auch wir bereit gewesen, an die Ukraine Waffen zu liefern – zur Selbstverteidigung. – Ich finde, das ist nicht nur beachtenswert, sondern das ist ein Solidarbeitrag, den wir innerhalb des Bündnisses, innerhalb der Europäischen Union, aber auch als souveränes Land geleistet haben, und ich finde, das können Sie den Menschen, die Sie angesprochen haben, auch durchaus sagen. Das ist ein wichtiger Schritt, und wir werden diese Hilfe auch weiterhin leisten, meine Damen und Herren.
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Aber – das sage ich auch ganz klar –: Sie können sich Ihrer Verantwortung nicht entziehen, indem Sie hier an die Bundeswehr bestimmte Erwartungen äußern, ohne aber uns dabei zu helfen, auch andere Fragen mit zu beantworten. Ja, wir wollen große Investitionen tätigen. Aber wir wollen eben zuerst klären, was diese Bundeswehr leisten kann und was sie leisten soll. Alles auf einmal – das habe ich gesagt – wird nicht gehen, zumal die Erfahrungen der Beschaffung, Kollege Merz, einschließlich der Sonderwünsche einem Realitätstest unterzogen werden müssen.
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Warum wir in Europa jährlich mit 200 Milliarden Euro Verteidigungsausgaben nicht wehrhafter sein können, erschließt sich mir nicht. Auch das ist eine große Aufgabe innerhalb der Europäischen Union, aber auch des Militärbündnisses der NATO.
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Ich finde, zu einer ernsthaften Debatte im Deutschen Bundestag gehört, genauso wie über die Frage der Waffenlieferungen auch darüber zu sprechen, dass wir als stärkste Wirtschaftsmacht in Europa zudem lernen müssen: Es ist ein langer Weg des Lernens, mit dem größten Rüstungsetat in Europa verantwortungsvoll umzugehen, ohne humanitäre Hilfe, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Abrüstung zu vernachlässigen. Wir wollen diese Bereiche genauso gestärkt sehen wie die Investitionen in die Bundeswehr, meine Damen und Herren.
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Deswegen sage ich auch ganz klar: Unsere Überzeugungen resultieren nicht aus weltfremdem Idealismus oder, wie uns immer vorgeworfen wird, aus reiner Naivität. Sie stützen sich auf die Erfahrung einer Politik, die den Kalten Krieg maßgeblich mit überwunden hat. Darauf werden wir Sozialdemokraten immer stolz zurückblicken und daraus die richtigen Schlussfolgerungen für unser konkretes heutiges Handeln ziehen. Beides ist möglich, meine Damen und Herren. Genau diesen Weg wird meine Fraktion auch in den nächsten Jahren gehen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Pandemie, Klimawandel und der Krieg in der Ukraine fordern uns alle heraus. Der Finanzminister hat recht: Als Solidargemeinschaft müssen wir zusammenstehen. – Darin, Herr Kollege Lindner, stimmen wir überein. Wenn wir dann noch übereinkommen, dass in gefährlichen Zeiten starke Schultern der Solidargemeinschaft zusätzlichen Halt geben müssen, tun wir das, lieber Kollege Lindner, auch sehr gerne. Diese Unterstützung werden Sie haben.
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Zum Schluss möchte ich auf den Moment zurückkommen, als wir in einer neuen Koalition zusammengefunden haben. Wir sind gemeinsam der Überzeugung: Innere Reformen, die soziale Kraft und die Sicherung der Freiheit sind die besten Antworten auf autoritäre Herausforderungen im Inneren wie im Äußeren. Nur so bleiben wir attraktiv als demokratische Gemeinschaft und konkurrenzfähig als moderne Sozial- und Wirtschaftsnation. Kurzum: Wir müssen politisch, wirtschaftlich und technologisch vorangehen. Darin liegt die große Stärke unseres Landes und seiner Menschen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien werden alles dafür tun, dass das in den nächsten vier Jahren möglich wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deswegen wollen wir gute Arbeit durch eine kluge ökonomische und ökologische Transformation sicherstellen und neue Arbeit schaffen. Wir wollen an die erfolgreiche Tradition einer kooperativen Sozialpolitik anknüpfen und zusammen mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und den Bundesländern unser Wirtschaftsmodell stärken. Das ist unser Bild von der Zukunft, und wir werden es verwirklichen, meine Damen und Herren.
Weil wir ein starkes Land sind und mit Verstand gewirtschaftet haben, können wir die Herausforderungen meistern. Wir brauchen soziale Sicherheit im Inneren, gerade dann, wenn die äußere Sicherheit bedroht ist.
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Dazu gehört die Anhebung des Mindestlohns genauso wie das Grundrecht auf Wohnen zu erschwinglichen Preisen. Die Pandemie hat uns zudem gelehrt, warum wir ein Gesundheitssystem brauchen, das Solidarität, gute Beschäftigung und Vorsorge zusammendenkt.
Wir haben versprochen, dass wir Deutschland moderner, ökologischer und gerechter machen wollen. Deshalb unterstützt meine Fraktion den Etatentwurf der neuen Bundesregierung und wird gleichzeitig weitere Verbesserungen vorschlagen.
Mit dem Haushalt haben wir die Herausforderungen der Zeitenwende angenommen. Damit schaffen wir ein Fundament für die Zukunft, und ich finde, diesen Weg sollten und können wir gemeinsam gehen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat Dr. Alexander Gauland für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selten noch ist eine neu ins Amt gekommene Regierung so schnell und so gründlich auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Wenn es nicht um Deutschland, um uns alle ginge, könnte man fast Schadenfreude empfinden; aber das ist hier nicht mein Ziel.
Da bittet ein grüner Wirtschaftsminister, dessen Ziel das Ende der fossilen Energiewirtschaft ist, arabische Scheichs um Flüssiggas, und eine Außenministerin, die von feministischer Außenpolitik träumt, muss sich eine neue Sicherheitsarchitektur ausdenken. Und allem steht ein Regierungschef vor, dessen Partei noch kürzlich bewaffnete Drohnen für unvereinbar mit dem deutschen Friedenswillen hielt.
Ja, meine Damen und Herren, in puncto Sicherheit hat die Regierung schnell gelernt, und 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind schon ein erstaunlicher Lernerfolg für Politiker, die im festen Glauben an eine regelbasierte, multilaterale Außenpolitik groß geworden sind. Doch wie immer in Fällen von Überkompensation droht jetzt die Übertreibung.
Ich weiß, es ist schwer, im Angesicht von Ruinen, einem Angriffskrieg und Millionen Flüchtlingen die eigenen Fehler, also die Fehler des Westens, in der Vergangenheit zu benennen. Nur so viel: Man soll niemals eine Großmacht demütigen. Bismarck hat darin 1870/1871 geirrt, die Sieger des Ersten Weltkrieges 1919 in Versailles und der Westen, meine Damen und Herren, leider nach 1989. Denn was wir getan haben, war eine Demütigung Russlands. Wir haben eine Weltordnung aufzubauen versucht, ohne auf diese Großmacht Rücksicht zu nehmen.
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Das, meine Damen und Herren, heißt, dass trotz allem, was geschehen ist, trotz dieses Angriffskrieges eine europäische Friedensordnung nur mit Russland, aber niemals gegen das größte Land Europas möglich ist.
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Es ist der Irrtum des russischen Präsidenten, zu glauben, Größe käme allein durch Gewehrläufe oder heute durch Atomraketen. Größe und Stärke eines Landes beruhen zumeist auf der Akzeptanz des Staates nach innen wie nach außen, und das ist das Defizit des russischen Präsidenten.
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Die großen Zaren, auf die er sich gerne beruft, waren Reformer: Alexander I., der Bezwinger Napoleons, und Alexander II., der Bauernbefreier.
Was sollten, was können wir tun, um Russland auf diesen europäischen Weg zurückzuführen? Wir können eintreten als ehrlicher Makler für eine neutrale Ukraine. Das wäre die Zukunft.
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Meine Damen und Herren, damit ich nicht falsch verstanden werde: Neutralität heißt nicht Neutralität der Gedanken und Herzen, sondern Neutralität der Taten. Sanktionen, die das russische Volk treffen, sind falsch, wie die Lieferung von Angriffswaffen, die nichts besser, aber vieles noch schlimmer machen, oder gar Kriegshandlungen wie die Sperrung des Luftraums über der Ukraine. Ich bin dem Bundeskanzler dankbar, dass er ganz klar gesagt hat, dass wir nicht Teil dieses Krieges, dieser Auseinandersetzung sind und dass das auch so bleiben muss.
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Meine Damen und Herren, Neutralität im Angesicht eines drohenden Weltkrieges mit Atomwaffen ist eben nicht mit unterlassener Hilfeleistung eines Privatmannes zu vergleichen, weil das Opfer nicht Mitglied der freiwilligen Feuerwehr ist, wie Henryk Broder kürzlich in der „Welt“ meinte. Und nein, lieber Herr Döpfner, Herausgeber der „Welt“, wir versagen nicht vor der Geschichte als Deutsche, wenn wir auf dieser Neutralität und auf dem Frieden beharren.
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Meine Damen und Herren, ich weiß, es ist viel Kritik daran geübt worden, wie wir uns hier nach der Rede des ukrainischen Präsidenten verhalten haben; das will ich nicht wieder aufrufen. Doch auch der ukrainische Präsident kann nicht wollen, dass die Freiheit der Ukraine auf den Trümmern Europas errichtet wird. Im Atomzeitalter ist der Kompromiss kein Appeasement, sondern überlebensnotwendig. Das wusste gerade Egon Bahr, lieber Herr Mützenich.
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Am Ende wird eine neutrale und demilitarisierte Ukraine von allen Beteiligten das Bekenntnis abfordern, ob Tod und Zerstörung wirklich notwendig waren, um dieses Ergebnis zu erzielen, und die Bundesregierung, lieber Herr Scholz, wird daran gemessen werden, wie nachdrücklich sie sich für eine solche Lösung verwandt hat.
Es ist das eine, nach dem Völkerrecht ein theoretisches Recht auf Bündniszugehörigkeit zu haben, und das andere, in einer Staatenordnung, wie sie nun einmal ist, seinen Platz mit Klugheit zu behaupten. Einflusssphären verschwinden nicht dadurch, dass man sie leugnet, und ein Abbruch aller Beziehungen zu Russland ändert nichts an seiner Lage, Größe und seinem geopolitischen Einfluss. Pragmatisches Handeln bleibt deshalb auch hier oberstes Gebot.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat die Staatsministerin Claudia Roth.
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Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krieg herrscht in Europa. Menschen werden getötet, werden verletzt, Menschen müssen fliehen, Familien werden zerrissen, Existenzen zerstört. Dahinter tritt alles zurück, wirkt alles andere klein und unbedeutend. Doch gerade jetzt in dieser Situation müssen wir uns auf das besinnen, was wir mit unseren Mitteln tun können, um zu helfen, wo wir helfen können.
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Gerade jetzt geht es darum, unser demokratisches Modell, unsere so wertvolle Kultur der Demokratie zu stärken und zu verteidigen. Deswegen ist Kulturpolitik auch Sicherheitspolitik.
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Dieser Krieg zerstört nicht nur das Leben von Millionen von Menschen. Er zerstört auch ukrainische Kulturgüter. Er macht ukrainische Künstlerinnen und Künstler, Journalisten und Journalistinnen, die sich mit großem Einsatz für eine demokratische Entwicklung in der Ukraine starkgemacht haben, zu Verfolgten und zu Vertriebenen. Bedroht sind aber auch viele russische Künstlerinnen, Journalisten und Wissenschaftlerinnen, die für die letzten Freiräume gekämpft haben und nun auf der Flucht vor dem Putin-Regime sind.
Deswegen sage ich: Wenn wir es ernst meinen mit den Werten, die für alle Menschen gelten, wenn wir die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Kultur verteidigen wollen, dann unterstützen wir jetzt alle diejenigen, die für diese Werte eintreten,
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dann wehren wir uns gegen eine nationalistische Instrumentalisierung von Kultur, dann widerstehen wir Versuchen von Kulturboykotten und öffnen unser Land für die, die heute auf der Flucht vor Kriegstreibern, vor Autokraten und verbrecherischen Regimen sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir nur gemeinsam schaffen: ressortübergreifend, in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern, zwischen Innen und Außen und nicht zuletzt zwischen Regierung und Parlament. Kultur- und Medienpolitik sollten wir heute mehr denn je gemeinsam angehen.
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Ich darf mich an dieser Stelle ganz besonders bei Annalena Baerbock, aber auch bei allen Landesministerinnen und ‑ministern und Kultureinrichtungen für diese Zusammenarbeit bedanken.
Wir haben in einem ersten Schritt in meinem Haus eine Schnittstelle eingerichtet, eine Taskforce, die Innen und Außen, Zivilgesellschaft und Länder verbindet. Gemeinsam organisieren wir Hilfe und Aufnahmeprogramme für Künstlerinnen und für Journalisten. Wir unterstützen aufnahmebereite Kultureinrichtungen, und wir koordinieren Ad-hoc-Maßnahmen zur Rettung von Kulturgütern.
Ein Thema liegt mir dabei ganz besonders am Herzen – deswegen haben wir als Bundesregierung es auch auf die Agenda der G 7 gesetzt –: Wir müssen das demokratische Gesellschaftsmodell verteidigen und stärken, das heißt, wir müssen uns um die Meinungsfreiheit und die Meinungsvielfalt kümmern, um unabhängige Medien, die seriös und verlässlich informieren,
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bei uns, aber auch in Europa und im globalen Rahmen und ganz besonders im Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, der Schöpflin Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung, mit Reporter ohne Grenzen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen wir Arbeits- und Aufnahmemöglichkeiten für bedrohte Journalistinnen und Journalisten schaffen.
Liebe Demokratinnen und Demokraten, ich bin überzeugt: Kultur lebt im öffentlichen Raum, und der öffentliche Raum lebt von ihr. Kultur ist ein Lebenselixier für unsere Demokratie. Deswegen ist Kulturpolitik auch Gesellschaftspolitik, und die müssen wir gerade in und nach der Pandemie stärken.
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Wir müssen gerade jetzt dafür sorgen, dass sie ihre Kräfte entfalten kann. Was für Kräfte sie entfalten kann und wie stark ihre Stimme ist, das haben wir doch erst am letzten Sonntag bei „Sound of Peace“ hier in Berlin am Brandenburger Tor gesehen.
Doch diese Kraft funktioniert nicht, indem wir nur Fördermittel ausreichen und einzelne herausgehobene Institutionen bedenken. Wir wollen die Kultur als einen offenen Raum begreifen, in dem wir Ideen, Projekte, Visionen fördern und unterstützen und in dem wir es ermöglichen, dass Menschen angstfrei ihre Stimme erheben können.
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Diese Freiheit von Kunst und Kultur, ihre Widerständigkeit und Verschiedenheit – genau das brauchen wir wie die Luft zum Atmen. Deshalb habe ich gesagt, dass ich die Kulturstaatsministerin der Demokratie sein möchte. Weil ich für die Kulturpolitik einer offenen Gesellschaft stehe, sage ich: Eine offene Gesellschaft unterschiedlichster, auch widerstreitender Ideen und Ausdrucksformen gedeiht nur, wenn sie Gegensätze aushalten, Leidenschaften ertragen und Freiheit gewähren kann.
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Dafür brauchen wir Mittel. Deshalb bin ich sehr froh, dass das Bundeskabinett den zweiten Regierungsentwurf für den Haushalt 2022 beschlossen und den Etat für Kultur und Medien auf insgesamt 2,14 Milliarden Euro erhöht hat. Das ist eine Steigerung von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ich bin zufrieden, dass wir mit diesem Haushaltsentwurf Impulse setzen können, die wirklich in unserem Sinne wirken werden. Auch daher möchte ich für diesen Entwurf werben.
Diese Mittel sind gut angelegt: für die Kreativität unserer Gesellschaft, indem wir gemeinsam mit Robert Habecks Ministerium das Thema Kreativwirtschaft stärken und ressortübergreifend gemeinsam fördern wollen,
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für die Vielfalt und Demokratie in unserer Gesellschaft, indem wir zusätzliche Mittel gegen Rechtsextremismus und Rassismus bereitstellen, indem wir uns der Aufarbeitung des Kolonialismus energisch widmen und neue Mittel vor allem für die gemeinsame kulturelle Zukunft mit Afrika und den Ländern des Globalen Südens zur Verfügung stellen wollen, und vor allem, indem wir Nachhaltigkeit und Klimapolitik zu einem zentralen Thema machen.
Mit dem Sektorvorhaben „Green Shooting“ für die Filmwirtschaft haben wir begonnen.
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– Ja, da lachen Sie. Informieren Sie sich erst einmal darüber, was das bedeutet. Alle Produzenten und Filmemacher, öffentliche wie auch private, sind dabei, weil sie auch in der Kulturbranche einen Beitrag gegen die Klimakrise leisten wollen.
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Wir werden jetzt mithilfe einer eigenen Arbeitseinheit „Kultur und Nachhaltigkeit“ dieses Thema über alle Sektoren hinaus verstärken und am Aufbau des Green Culture Desk arbeiten, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Freiheit, Vielfalt und Nachhaltigkeit – das sind die Themen, die uns den Weg nach vorn in die Zukunft weisen sollen. Wir werden sie gemeinsam anpacken und die Kulturpolitik für eine Koalition des Aufbruchs gestalten. All das will ich in einem Plenum der Kultur, in enger Zusammenarbeit, in Abstimmung mit allen erreichen, die in der Kultur und die für die Kultur wirken: Künstlerinnen und Künstler, Kultureinrichtungen, Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft. Ich will gemeinsam mit Ihnen die Kräfte von Kunst und Kultur weiter entfesseln. Und ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich Sie in großer Mehrheit dabei an meiner Seite weiß.
Vielen Dank.
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Während hier vorn alles für den nächsten Redner vorbereitet wird, bitte ich darum, zu überprüfen, ob gegebenenfalls die Mund-Nasen-Bedeckung verrutscht ist, und, wenn das der Fall sein sollte, die entsprechende Ordnung wiederherzustellen.
Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
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Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach so viel Verve kann ich dann nur wieder als nüchterner Haushälter mit der Analyse der Situation anfangen. Aber das ist, glaube ich, auch eine gute Aufgabenteilung innerhalb dieser Koalition.
Meine Damen und Herren, ich will in dieser Zeit zum Nachdenken anregen. Was ist eigentlich unsere Aufgabe? Was ist die Aufgabe von uns allen, nicht nur von der Koalition, sondern von uns allen als Parlamentarier in Zeiten eines Krieges in Europa, in Zeiten der Not? Es ist vor allen Dingen eine Aufgabe, von der wir wissen, dass das, was wir heute besprechen, sich am Ende des Jahres noch mal ganz anders darstellen wird. Der Haushalt, den wir beraten, wird am Ende des Jahres noch einmal ganz anders sein, weil diese Zeitenwende, Herr Merz, eben da ist und wir alle noch gar nicht genau wissen, wie sie sich auswirken wird.
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Aber wir müssen dafür sorgen, dass ein Haushalt dafür Vorsorge trifft. Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht buchhalterisch rangehen, sondern aufzeigen, wo die Grundlinie hingeht. Deswegen will ich noch mal deutlich sagen: Im Kernhaushalt zeigen wir an, wo wir hinwollen, wie wir zur Einhaltung der Schuldenbremse kommen wollen; aber durch den Ergänzungshaushalt zeigen wir auch, dass wir die Realitäten annehmen, die Realitäten eines Krieges, die Realitäten der Not, die Realitäten der Flucht. Der Ergänzungshaushalt – auch das möchte ich den Kollegen von CDU/CSU noch mal sagen – wird dann in diesen Haushalt integriert; er wird am Ende nicht alleine stehen, sondern das wird – lassen Sie es sich gerne vom Kollegen Haase mal erklären – zusammengeführt.
Das ist auch nicht – wie Sie es behauptet haben – irgendetwas Neues. Kollege Dobrindt weiß das inzwischen; er hat aus München auch einen bösen Anruf gekriegt, wie ich gehört habe. Franz Josef Strauß hat mit Ergänzungshaushalten in den 60er-Jahren gearbeitet, als die Notwendigkeit dafür bestand. Wir nehmen also ein Mittel der Vorausschau, wissend, wie die Lage ist, wissend, dass wir darauf aufbauen müssen. Das ist Haushaltspolitik, wie sie auch sein muss.
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Meine Damen und Herren, ich will doch zur CDU noch zwei, drei Worte sagen. Zum Thema Verteidigung ist schon viel über die Frage gesagt worden, wer Minister ist. Aber, Herr Kollege Merz, wenn Sie sagen, die CDU habe immer gewollt: Ich zeige Ihnen mal, was der Unterschied in der realen Politik ist: erster Entwurf Einzelplan 14, Verteidigung: bei Ihnen für dieses Jahr 50 Milliarden Euro – ja, wir auch 50 Milliarden Euro –, aber in den nächsten drei Jahren bauen Sie das auf 47 Milliarden Euro ab.
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Was macht diese Koalition, wissend, wie schwierig das für manchen Koalitionspartner ist? Wir bauen auf.
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Allein in der Planung sind wir schon besser, als Sie es unter einer CDU-geführten Regierung mit einer CDU-Verteidigungsministerin waren. Das ist der Unterschied zwischen Glaube und Realität.
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Ich würde kulturell immer sagen: Das ist der Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit.
Meine Damen und Herren, dann komme ich noch mal zu der Frage – das zum Schluss – der Verfassungsänderung. Ich fand es schon bemerkenswert, dass Sie, Herr Merz, für Ihre Fraktion jetzt gesagt haben, Sie würden nur so viele Stimmen geben, dass es für eine Zweidrittelmehrheit reicht. Da sage ich den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Dann könnt ihr schon mal gucken, wer einer Verfassungsänderung zustimmen darf und wer nicht, der dann erklären muss: Oh, ja, ich war zwar Abgeordneter, frei gewählt, aber sorry, ich durfte nur so abstimmen,
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wie meine Fraktion es gesagt hat. – Das ist kein Umgang mit Verfassungsänderungen.
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Da nehmen Sie sich ein Beispiel an der FDP in den letzten Jahren. Es war nicht nur bei der Digitalisierung so; das war auch so, als es den Gemeinden bei der Frage der Gewerbesteuer schlecht ging. Wer hat da die Verfassungsänderung mitgemacht, um die Zweitdrittelmehrheit hinzukriegen? Die FDP in der Opposition, die das nicht hätte tun müssen, aber aus Verantwortung getan hat.
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Meine Damen und Herren von der CDU, da Sie ja wissen, dass ich immer gerne mit Shakespeare ende, tue ich das auch dieses Mal. – Ich weiß, ich kriege gleich wieder Ärger.
Den Ärger bekommen Sie mit Frau Teuteberg; so einfach.
„Wehe, wer zu spät bereut!“ „König Lear“, erster Akt, vierte Szene. – Ich hoffe, Sie haben bessere Szenen.
Danke.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Dorothee Bär das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich starte mit meiner Rede, möchte ich mich bei Ihnen und auch bei der Kollegin Göring-Eckardt bedanken, dass Sie sich auch diese Woche so wacker allein im Präsidium schlagen.
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Es ist ja nicht selbstverständlich, dass Sie das zu zweit die ganze Woche schon rocken. Vielen herzlichen Dank! Aber das war es, ehrlich gesagt, auch schon mit den Freundlichkeiten.
Ich will, genauso wie mein Fraktionsvorsitzender vorhin, betonen, dass wir dem Bundeskanzler sehr dankbar waren, dass er in seiner Regierungserklärung vor drei Wochen von einer Zeitenwende gesprochen, das Ganze beschrieben und sehr ehrlich ausgeführt hat, was es jetzt einfach braucht. Deswegen – das gebe ich zu – habe ich mir sehr viel erwartet – es war ja nach Ihrer Regierungserklärung, dieser Sonntagsrede, Ihre erste Rede –: dass Sie, Herr Bundeskanzler, heute noch mal das große Ganze aufzeigen.
Und was war das für eine Rede? Ich sage es Ihnen ganz offen: Bei mir ist hängen geblieben: viel Lob, viel Eigenlob. Wir haben früher mal gelernt: Eigenlob stinkt. – Man hat sich ja auf der Regierungsbank gar nicht schnell genug wegducken können, wie man von Ihnen in Grund und Boden gelobt wurde. Da war ein Lob an Nancy Faeser. Da war ein Lob an Christian Lindner. Da war ein Lob an Annalena Baerbock. Da war ein Lob an Robert Habeck. Und dann habe ich darauf gewartet:
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Wann lobt er denn endlich mal die Bundesfamilienministerin? Sie war die Einzige, die nicht gelobt wurde.
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– Ach ja, Hubertus Heil wurde auch nicht gelobt. Stimmt! Jetzt, wo Sie es reinrufen! – Aber Anne Spiegel eben auch nicht. Und warum wurde Anne Spiegel nicht gelobt? Weil natürlich überhaupt keine Familienpolitik in diesem Land stattfindet, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber das zieht sich ja durch. Die mangelnde Familienpolitik ist ja nicht erst eine Erfindung der Grünen. An Familienpolitik – es hat ja heute so viel Vergangenheitsbewältigung von der Ampelkoalition stattgefunden –
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hat es schon in der letzten Legislaturperiode gemangelt. Da hat Olaf Scholz, damals als Vizekanzler, es auch nicht für notwendig erkannt, als Frau Giffey den Abflug gemacht hat, um Wahlkampf in Berlin zu machen, das Familienministerium nachzubesetzen.
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Stattdessen hat Frau Lambrecht eine Zusatzaufgabe bekommen, die sie auch nicht erfüllt hat, genauso wie ihre aktuelle Aufgabe nicht. Also auch da: Ein roter Faden zieht sich durch diese rote Bundesregierung.
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Das muss man tatsächlich feststellen.
Ich meine, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man sagen: Na gut, so ist halt die amtierende Regierung. – Aber ich sage Ihnen ganz offen: Das Herz schmerzt, wenn man sieht, dass Familien, Frauen, Kinder auf der Prioritätenliste dieser Regierung ganz, ganz, ganz unten angesiedelt sind.
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Das ist wirklich sehr traurig, weil uns im Moment das Schicksal der geflüchteten Frauen und Kinder extrem berührt.
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Sie haben alle unseren Schutz verdient. Sie fliehen vor Putins Bomben,
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und deswegen sind sie bei uns willkommen. Wir stehen – das haben Sie einfach noch nicht auf dem Schirm – nicht vor einer kurzfristigen, sondern vor einer Jahrhundertaufgabe. Wir haben jetzt schon mehr als 225 000 Frauen und Kinder; genau weiß man es nicht. Das hat der Kanzler ja heute auch in seiner Rede gesagt – Zitat –: Wir wissen nicht, wie viele Flüchtlinge kommen. – Okay, eine steile These für einen amtierenden Bundeskanzler. Aber wir könnten wissen, wie viele tatsächlich schon da sind. Wir wissen es nicht. Warum? Weil unser Land nicht systematisch registriert, weil die Verteilung nicht koordiniert wird, weil die Teilhabe nicht organisiert wird. Das heißt: Die Bundesregierung hat sich noch nicht darauf vorbereitet, die Aufnahme der Menschen zu koordinieren, die Schutz vor den Bomben suchen. Das ist wirklich skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel.
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Herr Scholz, ich erwarte, dass Sie das jetzt zur Chefsache machen. Wenn es schon teilweise so ein Trauerspiel mit Ihren Ministerinnen ist, dass sie noch nicht mal Lob verdient haben – das haben auch nicht alle verdient, die Sie heute gelobt haben –, müssen Sie das einfach zur Chefsache machen. Schauen Sie bitte mal nach Polen! Es reicht doch ein Blick zu unseren Nachbarn. Da kommen auch jeden Tag viele Flüchtlinge an. Aber alle, die ankommen, werden dort auch registriert, spannenderweise mit einer deutschen Software. Die könnten wir im eigenen Land auch nutzen. Deswegen ist es ein Offenbarungseid, zu sagen: Wir wissen es nicht. – Diese Software, die in Deutschland entwickelt wurde, wird in Polen genutzt. Wir brauchen die Registrierungspflicht. Wir brauchen keine Bundesregierung, die hier eine Verantwortungsflucht macht.
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Nicht nur Sie wissen es nicht. Sie können sich ja noch nicht mal bei den Fachministerinnen erkundigen. Nancy Faeser hat gesagt: „Niemand hat eine Glaskugel“, die Familienministerin war jetzt über 100 Tage abgetaucht, und die Verteidigungsministerin blamiert Deutschland in Brüssel. Das heißt: Ich würde mir wünschen, dass Sie Ihren Laden aufwecken, dass Sie da wirklich mal sagen: „Frauen und Kinder jetzt zuerst“, und das aus dem Kanzleramt raus koordinieren. Das wird auf jeden Fall funktionieren.
Erst wenn wir jede Frau und jedes Kind registrieren, können wir sie schützen. Dann wissen wir: Gibt es Verwandtschaft? Dann wissen wir: Gibt es Unterkünfte? Dann können Bund, Länder und Kommunen planen. Ich habe es in der letzten Woche an gleicher Stelle schon mal gesagt: Unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker erwarten sich mehr von dieser Bundesregierung.
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Die leisten vor Ort wirklich die Hilfe, die notwendig ist, die organisieren Matratzen und Betten, die organisieren Eingewöhnung in unseren Kindertagesstätten und Schulen, und die rechnen jetzt schon damit, dass die Kinder länger hier bei uns bleiben. Aber unser Kanzler sagt: Wir wissen einfach nicht, wie viele da sind. – Das ist ein Kontrollverlust, den wir hier haben.
Ja, wir haben momentan eine große Welle der Solidarität – das ist ja auch von allen erwähnt worden –; aber die kann auch schnell vorbei sein, wenn die Ehrenamtlichen merken, dass sie völlig allein auf weiter Flur sind. Ehrenamt muss auch koordiniert werden. Das wollen übrigens auch unsere Hilfsdienste, denen ich an dieser Stelle auch danke.
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Was mich wirklich immer extrem zur Weißglut bringt, ist, wenn Sie sagen: „Wir tun alles, was notwendig ist“, oder wenn Frau Faeser angesichts der Taten skrupelloser Krimineller, die versuchen, die Situation hilfloser Menschen auszunutzen, sagt: Wir reagieren mit aller Härte des Gesetzes. – Ich sage Ihnen dazu: Es ist zu wenig, im Nachgang, wenn schon etwas passiert ist, zu reagieren. Es reicht doch nicht, einer Frau, die vergewaltigt wurde, im Nachgang zu sagen, dass wir sie schützen oder dass wir uns um die Täter kümmern.
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Es muss vorher verhindert werden, dass es gar nicht zu solchen Straftaten kommt. Deswegen brauchen wir jetzt einen umfassenden Schutzschirm für die Frauen, für die Kinder aus der Ukraine. Wir brauchen eine Registrierung für alle Abholer. Ich wiederhole noch mal meine Frage aus der letzten Woche, auch an das BMFSFJ, an das Bundesfamilienministerium: Wo ist Ihr 24/7-Krisenstab? Wo sind Sie jeden Tag unterwegs und nicht nur einmal die Woche, wie es aus dem Hause zu hören war?
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Der Kanzler hat heute noch was Schönes gesagt; ich darf ihn noch mal zitieren. „Auf uns können Sie sich verlassen“, hat er an die Ukraine gerichtet gesagt – mit einer Woche Verspätung. Dann frage ich Sie schon mal: Warum ist dann immer noch der ukrainische Botschafter enttäuscht, dass aus Berlin seit drei Wochen keine Antwort kommt? An dieser Stelle mal ein Riesendankeschön an den ukrainischen Botschafter, der wirklich einen tollen Job macht, auch wenn er von Teilen der Regierung oder der Medien beleidigt wird. Er macht eine tolle Arbeit. Selenskyj ist vor ein, zwei Tagen gefragt worden – das hat er gestern veröffentlicht –, welche Staats- und Regierungschefs er schätzt, mit welchen Staats- und Regierungschefs er im täglichen Austausch ist. Warum nennt er dann Duda? Warum nennt er an der Stelle beispielsweise auch Macron oder Boris Johnson? Warum nennt er die Regierungschefs der baltischen Staaten? Da muss der deutsche Regierungschef doch genannt werden. Und wenn Selenskyj ihn nicht nennt, heißt das, dass er sich auf uns nicht verlässt und mit Ihnen nicht in Kontakt ist, Herr Scholz.
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Zum Haushalt gäbe es auch noch viel zu sagen. Dieser Haushalt ist ein Haushalt, der nicht generationengerecht ist. Dieser Haushalt ist wirklich eine ganz, ganz große Hypothek für die kommenden Generationen. Wir erleben wirklich eine ganz große Umverteilung. Es wird alles auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Es ist ja vom Kollegen Mützenich angesprochen worden, dass es noch große Verbesserungen geben wird. Deswegen sage ich Ihnen: Das hoffe ich sehr für die Kinder in unserem Land.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Achim Post das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir spüren doch alle – na, ich muss sagen: fast alle –, dass das eine ganz besondere Debatte ist, keine normale Generaldebatte, sondern die erste Haushaltsdebatte nach der Zeitenwende. Diese Zeitenwende wurde markiert durch den Angriffskrieg, durch den aggressiven Krieg von Putin gegen die Ukraine. Das ist ein Krieg, ein Angriff auf ein großes Land, auf ein großes Volk, auf eine große Kulturnation. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Angriff auf die Menschlichkeit.
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Deshalb hat der Bundeskanzler vor dreieinhalb Wochen hier in diesem Hause, in diesem Plenarsaal eine Rede gehalten, die es in sich hatte, die klug war, die stark war, die die politischen Koordinaten neu justiert hat, die schon jetzt einiges verändert hat und die in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren noch vieles verändern wird, liebe Kolleginnen und Kollegen; da bin ich ganz sicher. Ich will Ihnen noch eines sagen: Die Reaktionen in diesem Haus waren auch bemerkenswert. Die waren nämlich überwiegend, weit überwiegend so, dass der sicherheitspolitische Kompass, den der Bundeskanzler skizziert hat, von fast allen geteilt wurde. Die waren weit überwiegend so, dass wir hier in diesem Hause bei Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zusammenstehen und zusammenhalten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist ein hohes Gut, das wir uns in den nächsten Wochen und Monaten bewahren sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deshalb komme ich zum Sondervermögen für die Bundeswehr; das wurde hier ja bereits angesprochen. Selbstverständlich ist es so, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass die Ampelkoalition mit Ihnen darüber redet, wofür das Geld ausgegeben wird, dass sie mit Ihnen darüber redet, wie man das zurückzahlt, dass wir mit Ihnen darüber reden, wie die Beschaffung modernisiert und reformiert werden soll. Das ist doch selbstverständlich. Ich hoffe doch sehr, dass wir alle über die Sache reden. Der eine oder andere – der eine ist jetzt nicht mehr da, Herr Merz – muss sich entscheiden, was ihm wichtiger ist: Staatstheater oder Staatsräson?
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Dann haben wir über den Ergänzungshaushalt des Kollegen Lindner geredet. Manche haben so getan, als sei das irgendwie geheim. Der Bundesfinanzminister hat sehr frühzeitig dargelegt, dass er einen Ergänzungshaushalt vorlegen will. Er hat sehr frühzeitig dieses Haus darüber informiert, dass er einen Ergänzungshaushalt vorlegen will. Und er hat sehr frühzeitig auch die Medien darüber informiert. Was daran geheim oder ein Schattenhaushalt sein soll, ist mir schleierhaft. Das ist alles in Ordnung, genau so, wie er es gemacht hat. Deshalb unterstützt meine Fraktion den Ergänzungshaushalt des Bundesfinanzministers.
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Wir haben doch wohl viel zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. Oder will hier irgendjemand die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger bei den hohen, rasant ansteigenden Energiekosten nicht entlasten? Ich glaube, doch wohl kaum. Will hier irgendjemand nichts dafür tun, dass wir die Energiesicherheit in Deutschland deutlich erhöhen und verbessern? Und will hier irgendjemand nichts dafür tun, dass die Flüchtlinge und unsere Kommunen mehr Geld bekommen und klare Planungssicherheit für die nächsten Wochen und Monate haben? Ich glaube, nicht. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordere ich Sie alle auf: Reden Sie dann darüber, wenn der Ergänzungshaushalt vorliegt, dann können wir streiten, dann können wir diskutieren; aber tun Sie nicht so, als sei das ein Geheimhaushalt und eine Geheimdiplomatie.
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Zum Bundeshaushalt. Sie alle, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, können sich darauf verlassen, dass diese Ampelkoalition, dass diese Bundesregierung das, was im Koalitionsvertrag steht, umsetzt, und zwar nicht nur bei den Schwerpunkten, aber auch bei den Schwerpunkten: mit mehr Geld für Klimaschutz und Digitalisierung, mit mehr Geld für Transformation und Arbeit, mit mehr Geld für einen funktionierenden Sozialstaat und auch mit mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit. Hier haben wir noch Luft nach oben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Lassen Sie uns am Tag vor dem Europäischen Rat, am Tag vor dem Gipfel, auch über Europa reden; denn all das, was in Deutschland, was im Deutschen Bundestag, was in der größten Volkswirtschaft Europas diskutiert wird, ist auch von Belang für Europa. All das, was wir hier besprechen, müssen wir europäisch einbetten. Deshalb ist es gut und richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Bundeskanzler gerade in den letzten Wochen und Monaten nicht nur mit Frankreich, sondern mit all unseren Verbündeten in der Europäischen Union und darüber hinaus in Gesprächen ist und überlegt, wie man aus dieser Krise herauskommt. Denn diese Krise bietet auch Möglichkeiten.
Sie bietet neue Möglichkeiten für eine Flüchtlingspolitik mit mehr Solidarität. Wir haben gerade darüber geredet, was die Polen, die Ungarn, die Tschechen, die Slowaken, die Moldawier, die Rumänen leisten. Das ist nicht geringzuschätzen. Das ist eine Menge, und dafür gebührt ihnen unser Dank.
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Und wir haben die Chance, in Europa die Energiewende mit mehr Mut voranzubringen; denn – das wurde von vielen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt – die beste Politik für mehr Unabhängigkeit – nicht nur von russischem Gas, nicht nur von russischer Steinkohle, nicht nur von russischem Erdöl, sondern grundsätzlich – ist der beschleunigte Ausbau von erneuerbaren Energien, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deshalb ist es richtig: Die Europäische Union kann aufbauen auf einem starken Fundament für Zukunftsinvestitionen durch den Wiederaufbaufonds. Und wir machen es richtig, wenn wir den Nationalstaaten Luft zum Atmen geben. Es war richtig, den Stabilitäts- und Wachstumspakt in diesem Jahr noch auszusetzen. Und ich finde es vernünftig, dass die Europäische Kommission überlegt, wie man mit der Ukrainekrise in den nächsten Monaten und Jahren umgehen kann.
Denn eines ist doch klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: All das, was wir heute besprochen haben, all das, was wir in den nächsten Wochen und Monaten machen wollen, kann am besten diese Bundesregierung, dieser Bundeskanzler; denn sie agieren entschlossen und besonnen. Ich hoffe – ich würde hoffen –, dass man das von allen in diesem Hause sagen könnte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bin froh, dass dieser Bundeskanzler in diesen schwierigen Zeiten dieses Land regiert. Alle anderen fände ich nicht so gut.
Schönen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Politik sollte Kunst nicht beurteilen oder sie gar durch Vorgaben versuchen zu instrumentalisieren. Politik muss der Kunst den Rücken freihalten.“ Das schrieben Sie, Frau Roth, 2018 in Ihrer „Brüsseler Erklärung – für die Freiheit der Kunst“. Diese Worte kann ich zu einhundert Prozent unterschreiben. Aber was machen Sie heute? Sie richten einen Green Culture Desk ein, eine zentrale Beratungs- und Vernetzungsstelle für den ökologischen Umbau der Kultur. 100 Millionen Euro wollen Sie von den Grünen in den nächsten drei Jahren am liebsten dafür ausgeben. Green Consultants sollen ausgebildet werden, die die Kulturinstitutionen flächendeckend beraten. Über Monitoring und Reporting – man beachte den kulturfremden Business-Sprech – müssen diese Institutionen dann Bericht erstatten über ihre Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit.
Bitte werfen Sie den Regierungen in Ungarn, Polen oder Österreich nie wieder vor, die Kreativszene für ihre Zwecke instrumentalisieren zu wollen.
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Das ist pure Heuchelei, werte Grüne. Frau Roth, Sie machen genau das, was Sie den anderen scheinheilig vorwerfen.
Bei dieser Green Culture geht es nicht nur um energetische Gebäudesanierung, CO2-Reduzierung und Ähnliches. Das ist nur der Anfang. Schon jetzt steht im Haushaltsentwurf: Es wird neben Umweltthemen auch die Geschlechtergerechtigkeit gefördert. – Also Quoten für Frauen, für Migranten, für sexuelle Minderheiten, Bekenntniszwang zu Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit und vor allem gegen rechts, sprich: gegen Positionen, die vor Kurzem noch bürgerlicher Common Sense waren. Das ist es, was Sie der Kultur zwangsweise verordnen wollen. Das ist das Gegenteil von Freiheit.
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Über allem schwebt der Klimaschutz wie eine Art heilige Monstranz, dem sich alle zu unterwerfen haben, dem die Kultur zu dienen hat. Die Ironie dabei ist: Alle Ihre Klimamaßnahmen zusammen werden das Weltklima nicht um ein Hundertstel Grad beeinflussen. Dazu sind sie im Weltmaßstab viel zu marginal.
Sie schüren Angst und Schuldgefühle bei den Bürgern und vor allem bei der Jugend, um sich dann selbst als die Retter und Erlöser anzubieten – von Problemen, die Sie selbst erst maßlos aufgebauscht haben. Ganz ähnlich gehen Sie bei Corona vor. Die horrenden Schäden im Kulturbereich, die Sie jetzt mit Krokodilstränen beklagen, haben Sie doch durch Ihre überzogenen Maßnahmen selbst herbeigeführt. Und die dienen jetzt dazu, die Kultur noch abhängiger zu machen von staatlichen Zuwendungen und damit formbarer.
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Worauf das alles hinausläuft, wird ausgeplaudert vom Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit, einer von der BKM geförderten Initiative. Ich zitiere von der Homepage dort:
… ist den meisten handelnden Akteur*innen klar, dass der Prozess der Erneuerung auch das Beenden von Altem bedeuten muss. Ein Green Deal muss daher genauso innovativ
– und jetzt kommt’s –
wie palliativ gedacht sein.
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Welche Kultur soll denn hier zu Grabe getragen werden, meine Damen und Herren? Es sind die Reste der bürgerlichen Hochkultur und der christlich-abendländischen Kultur, lauter Werke alter weißer Männer, die entsorgt werden können. Darum wollen Sie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zerschlagen. Darum sind Ihnen die Bibelworte auf der Kuppel des Berliner Stadtschlosses ein Dorn im Auge.
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Dazu passt – ich komme zum Schluss –, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung der deutschen Mehrheitsgesellschaft bei jeder Gelegenheit Alltagsrassismus unterstellt. Frau Alabali-Radovan, wenn Sie einmal den islamistischen Anschlag vom Breitscheidplatz genauso wortreich beklagen – und Gegenmaßnahmen ankündigen – wie den Anschlag von Hanau, dann nehme ich Ihnen Ihre Betroffenheit ab. Bis dahin gilt: Für Sie gibt es Rassismus nur in eine Richtung.
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Das ist nicht glaubwürdig. Sie betreiben eine durchschaubare Klientelpolitik. Die AfD-Fraktion wird sich dem weiterhin entschieden entgegenstellen.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Andreas Audretsch das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verhandeln diesen Haushalt heute und in den kommenden Wochen in einer Zeit voller Krisen. Putins Angriff zwingt viele Menschen auf die Flucht, darunter sind auch viele Kulturschaffende, viele Medienschaffende. Auch in Russland – das ist die zweite Seite der gleichen Medaille – gibt es viele Kulturschaffende, die dort unterdrückt werden, die fliehen müssen, die sich auf den Weg machen und die ins Exil gehen müssen.
Meinungsfreiheit, freie Medien, freie Kultur – all das sind machtvolle Instrumente. Das sieht man in genau diesen Zeiten. Das sieht man, wenn man sich anschaut, was dort passiert. Menschen wie die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch oder der Journalist Jahor Martinowitsch, für den ich eine Patenschaft übernommen habe, müssen fliehen, werden eingesperrt, werden verfolgt und bedroht. Sie alle haben unsere Unterstützung verdient.
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Sofortige Hilfe für Geflüchtete ist das, was wir jetzt brauchen, und speziell Programme für Medien- und Kulturschaffende. Wir brauchen Exilprogramme. Wir brauchen Programme, damit diese Stimmen – das sind nicht nur Stimmen, sondern das sind scharfe Schwerter, auch in der Auseinandersetzung mit Diktatoren wie Wladimir Putin – der Demokratie und der Freiheit gerade jetzt, in dieser Zeit, nicht verstummen.
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Hier in Deutschland merken wir, dass sich autoritäres Denken und Großmachtsfantasien auch bei uns und auch hier im Deutschen Bundestag breitmachen. Das, was der Kollege Jongen gesagt hat, erinnert daran, was er die ganzen letzten Jahre verbreitet hat, nämlich dass sich Theater und Kultur in Deutschland nur noch an den zwölf Jahren des Dritten Reiches abarbeiten würden und dass all denjenigen, die diesen Großmachtsfantasien nicht folgen, Gelder gekürzt werden müssen.
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Das ist das, was wir beim autoritären Denken Putins und an anderer Stelle sehen und was wir hier sehen.
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Und es wird noch schlimmer: Alexander Gauland war 2015 in Sankt Petersburg und hat den russischen Rechtsextremen und Vordenker Alexander Dugin dort getroffen. Ihre Verbindungen genau dorthin sind elementar und im Detail belegt. Das ist das, was wir hier erleben und worauf wir antworten müssen mit viel Klarheit, mit Unmissverständlichkeit. Wir machen eine Kulturpolitik für die Freiheit des Denkens, für die Freiheit der Meinung,
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für die Vielfalt. Das ist die Art, wie wir darauf antworten.
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Ich möchte das konkret machen. Wir investieren in Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, in Maßnahmen gegen Rassismus.
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Wir arbeiten die koloniale Vergangenheit auf. Wir statten die Deutsche Welle anständig mit Geld aus. Wir geben zusätzliche Mittel an das Jüdische Museum.
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Und wir sorgen dafür, dass der Etat der Staatsministerin und Beauftragten gegen Rassismus und für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan, anständig ausgestattet wird, und kämpfen hier gemeinsam für eine offene Gesellschaft, für Freiheit und Vielfalt. Das ist unsere Politik, und dafür stehen wir gemeinsam ein.
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Viele Kulturschaffende haben in den vergangenen Jahren der Pandemie besonders gelitten. Und was mich in dieser Zeit beeindruckt hat, ist, dass es gerade die Kulturschaffenden waren, die immer wieder Solidarität gezeigt haben, die immer wieder solidarisch waren. Was das für uns als Politik bedeutet, ist, dass Solidarität beidseitig sein muss. Deswegen werden wir das Programm „Neustart Kultur“ fortführen, und wir werden die Künstlersozialkasse anständig finanzieren. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man die Sicherheit im Leben nicht hat, die man braucht, um seine Arbeit zu machen. Wir sorgen dafür, dass das im Kulturbereich nicht der Fall ist.
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Letzter, aber zentraler Punkt. Die Klimakatastrophe duldet keinen Aufschub, und deswegen stellen wir auch dieses Thema in den Mittelpunkt unserer Kulturpolitik. Der Green Culture Desk ist angesprochen worden. Wir machen das jetzt. Wir stellen Geld dafür ein und sorgen dafür, dass auch die Kulturbranche an dieser Stelle ihren Beitrag leisten kann. Wir wissen, wie sehr Sie das wollen; auch an dieser Stelle arbeiten wir zusammen.
Ich freue mich auf die Beratungen, Claudia Roth, und ich freue mich auf die Beratungen mit Ihnen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Thomas Hacker für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mit Politik kann man keine Kultur machen; vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.“ Das sind Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss. Ja, es stimmt: Politik kann keine Kultur machen. Kultur, aber auch die Medien sind immer etwas Eigenes, etwas Einzigartiges. Sie sind Abbild, Spiegelbild und Brennglas der Debatten unserer Zeit. Sie beeinflussen und prägen unsere Gesellschaft. Sie berühren und verändern Menschen und Meinungen. Sie sind Lebenselixier für unsere demokratische Gesellschaft.
Als Ampelkoalition sind wir mit einem Bekenntnis zur Vielfalt in Kultur und Medien angetreten. Wir wollen Kultur mit allen und für alle ermöglichen, ihre Freiheit sichern, mit kulturellen und künstlerischen Impulsen den gesellschaftlichen Aufbruch befördern und neue Debattenräume schaffen. Aber Kultur und Medien brauchen auch die richtigen Rahmenbedingungen, und hier ist die Politik gefordert. Die Coronapandemie hat uns doch gezeigt, wie unverzichtbar Musik, Theater, Tanz oder Kino für unser Leben sind.
Heute erleben wir in der Ukraine das Unvorstellbare: Menschen kämpfen um ihr Leben, und der Krieg zwingt sie zur Flucht. Kultur mit allen zu ermöglichen, ist auch Verpflichtung, Menschen auf der Flucht einzubinden und ihnen hierzulande kreatives und journalistisches Arbeiten zu ermöglichen.
Unser Bekenntnis zur Kultur- und Medienvielfalt drückt sich durch einen spürbaren Mittelaufwuchs auch in einer volkswirtschaftlich schwierigen Zeit aus. Dafür bin ich Finanzminister Christian Lindner und Kulturstaatsministerin Claudia Roth sehr dankbar. – Liebe Frau Bär, wenn es was zu loben gibt, dann kann man auch loben.
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Wir wollen den Herausforderungen der Gegenwart begegnen, den Kreativen und Kulturschaffenden den Weg aus der Pandemie ebnen. Wir müssen die Deutsche Welle stärken, damit sie im Informationskrieg bestehen kann, Programme in russischer und belarussischer Sprache ausbaut, und darüber nachdenken, wie russischsprachige, faktenbasierte Angebote auch russischsprachige Zielgruppen bei uns im Inland erreichen.
Klar ist: Die Stärkung der Programme und die notwendigen technischen wie personellen Ausstattungen kosten Geld. Das ist aber unumgänglich im Interesse unserer europäischen Werte; es sind Investitionen auch in unsere Freiheit.
Russische Journalistinnen und Journalisten brauchen unsere Unterstützung, damit sie schnell Arbeitsvisa erhalten und ihre Arbeit hier in Deutschland fortsetzen können. Unabhängige russische Informationen für die Bevölkerung Russlands: Das ist, wofür wir uns einsetzen.
Eine freie Gesellschaft muss auch um ihre eigene Vergangenheit und Verantwortung wissen. Die Bundesstiftung Aufarbeitung leistet hier hervorragende Arbeit. Sie ist Anlaufstelle, Förderinstitution und Katalysator zivilgesellschaftlichen Engagements. Ihre Handlungsfähigkeit zu stärken, stärkt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Und: Wir müssen Wege finden, die Kulturschaffenden aus der Ukraine zu unterstützen, ihnen Zuflucht, Sicherheit und Auftrittsmöglichkeiten zu geben. Gleiches gilt aber auch für die Künstlerinnen und Künstler aus Russland und Belarus, die Putins Krieg eben nicht unterstützen und deswegen unseren Respekt und unsere Hilfe brauchen. Der Barbarei des Krieges können wir nur gemeinsam begegnen. Kultur hilft, Gräben zu überwinden und Menschen zusammenzuführen. Und genau deswegen kann man mit Kultur Politik machen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu den außen- und sicherheitspolitischen Themen sprechen; aber zunächst möchte ich an das anknüpfen, was von den Kulturpolitikern des Bundestages gerade gesagt wurde. Ich finde, wir haben ein leistungsfähiges Instrument, eine starke Stimme der freien Welt, die von uns aus, von Deutschland aus, im Ausland die freie Meinung pflegt und unsere Position und die Position der freien Welt verkündet – das ist die Deutsche Welle. Ich glaube, eine Konsequenz aus der Erfahrung der letzten Monate – mit der wachsenden Unfreiheit auch hier bei uns in Europa, mit der Aggression durch Russland, aber auch mit dem, was in China vorgeht – ist, dass wir alle gemeinsam dafür sorgen müssen, dass die Deutsche Welle ihren Auftrag noch besser erfüllen kann, als sie das schon tut.
Ich finde, dass wir darüber hinaus auch darüber nachdenken müssen, wie wir den Falschinformationen und den Fake Facts, die auch in unser Land hineinstrahlen, zum Beispiel in russischer Sprache, konsequent etwas entgegenhalten, damit nicht etwa diejenigen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die aus alter Gewohnheit und wegen ihrer Sprachkompetenz doch stark russische Medien konsumieren, mit diesen falschen Behauptungen überhäuft werden und eben keine Chance haben, ihr Bild richtigzurücken. Deswegen brauchen wir, glaube ich, in Deutschland auch eine nationale Anstrengung zur Überwindung von Fake Facts.
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Das ist mein Beitrag zum Kulturteil der heutigen Debatte.
Ansonsten möchte ich anknüpfen an das, was zu Russlands Überfall auf die Ukraine gesagt wurde. Wir haben gegenüber dem Bundeskanzler, der Bundesregierung erklärt – es wurde durch unseren Fraktionsvorsitzenden heute bekräftigt und wiederholt –, dass wir die notwendige Politik als Konsequenz aus der Zeitenwende, die wir erleben, unterstützen. Das bedeutet aber nicht, dass wir bereit sind, alles kritiklos hinzunehmen, sondern, dass wir konstruktiv unsere eigenen Vorschläge dazu machen.
Und es gibt eine Frage, die für mich über allen Debatten dieser Tage steht. Das ist die Frage: Tun wir genug, um die Ukraine zu unterstützen? Das ist die Frage, die auch letzten Donnerstag, als der ukrainische Präsident Selenskyj zu uns gesprochen hat, hier im Raum stand. Er kam zu der bitteren Aussage, dass wir aus seiner Sicht, aus der Sicht der Ukraine, nicht genug tun, um die Ukraine zu unterstützen. Jetzt kann man zu dieser Aussage unterschiedliche Meinungen haben; aber es wäre natürlich gut gewesen, wenn die Bundesregierung, wenn der Bundeskanzler sowohl gegenüber der ukrainischen als auch gegenüber der deutschen Öffentlichkeit hier klargestellt hätte, was wir tun, warum wir bestimmte Dinge, nämlich eine konkrete NATO-Einmischung in diesen Krieg, ablehnen, aber ansonsten natürlich an der Seite der Ukraine stehen. Diese Chance wurde leider nicht genutzt.
Ich kann aus meiner Perspektive den Eindruck, den Präsident Selenskyj hat – wir täten nicht genug –, leider auch nicht ganz entkräften. Es gibt drei wesentliche Felder, auf denen wir agieren könnten. Das eine könnte die Verstärkung der Militärhilfe für die Ukraine sein. Dabei gäbe es die verschiedensten Wege. In diesem Zusammenhang stellt sich zum Ersten die Frage: Was hat die Bundeswehr im Bestand, was wir gegebenenfalls abgeben können? Es stellt sich zum Zweiten die Frage: Was kann die deutsche Industrie kurzfristig liefern? Dafür wären entsprechende Ausfuhrgenehmigungen zu erteilen, und es wäre im Übrigen auch die Frage zu klären, wer das bezahlt. Es gibt drittens Partnernationen, die deutsche Waffen in ihrem Bestand haben, die sie nicht ohne Weiteres, ohne unser Einverständnis, an andere Länder abgeben dürfen.
Zu all diesen drei Fragen ist die Bundesregierung gefordert, kurzfristig Entscheidungen zu treffen. Wir hören jetzt seit Tagen, dass man dies unter Geheimhaltung tun will und dass man einen Weg findet, den Deutschen Bundestag zu unterrichten. Wir als Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses – ich glaube, die Kollegen im Verteidigungsausschuss sehen das ähnlich – haben leider noch nicht ausreichende Informationen aus der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags, was konkret geliefert ist, und wir können deswegen auch nicht gegenhalten, wenn wir Vorwürfe aus der Ukraine oder von anderswo bekommen. Das ist sehr schade, weil es unserem Image schadet, unabhängig davon, ob man die Vorwürfe im Einzelfall widerlegen kann oder nicht. Es ist einfach eine vertane Chance für uns Deutsche.
Das zweite Feld, auf dem wir agieren könnten, ist die Sanktionspolitik. Dazu haben wir natürlich auch Fragen an die Bundesregierung, was konkret die Umsetzung angeht, zum Beispiel: Brauchen wir in Deutschland möglicherweise eine Verschärfung der Gesetze, um Sanktionspolitik gegen Personen im Land umzusetzen, oder brauchen wir das nicht? Auch diese Fragen sind weiterhin unbeantwortet. Ich glaube, dass die CDU/CSU-Fraktion bereit wäre, gegebenenfalls notwendige Gesetzesänderungen zur Durchsetzung von Sanktionen zu beschließen. Es ist zwar nicht unsere Sache, jetzt darüber zu entscheiden, ob das notwendig ist; aber wir sehen dort große Defizite.
Drittens. Was meines Erachtens von der Regierung auch hätte kommen müssen – und der Bundeskanzler hätte heute die Gelegenheit dazu gehabt –, sind Antworten auf folgende Fragen: Was folgt eigentlich aus dem Krieg der Russen gegen die Ukraine? Was folgt aus dem Krieg Putins gegen die Ukraine für unsere strategische Gesamtaufstellung? Es langt ja nicht, dass wir uns mit den tagesaktuellen Herausforderungen beschäftigen, sondern wir müssen ja darüber hinausgehen. Was bedeutet das für unsere europäische Energiesicherheitsstrategie? Was bedeutet das für unsere Westbalkanpolitik, bei der wir als Europäische Union – das gilt auch für Deutschland – doch sehr zögerlich mit den Aufnahmeprozessen waren? Was bedeutet das für unsere Haltung gegenüber Serbien? Serbien will in die Europäische Union. Gleichzeitig betreibt der Präsident von Serbien, Herr Vucic, eine Schaukelpolitik zwischen Russland und Europa, bei der sich die Waagschale manchmal sehr stark Richtung Russland neigt. Da müssen wir klare Ansagen machen, insbesondere weil in Serbien ja in Kürze Wahlen sind. Das erwarte ich von der Bundesregierung.
Ich glaube, dass wir im Hinblick auf die Einsätze in Afrika, in der Sahelzone klar sagen müssen: Es geht nicht nur um die Stabilisierung der Sahelzone und der dortigen Regierungen sowie um die Befriedung und Abwehr von Terrorismus, sondern es geht auch um die Frage: Welche Ziele und welche Interessen verfolgen eigentlich Russland und China in diesem Teil Afrikas? Die malische Militärregierung, genauso wie andere Regierungen in der Region, vertraut offensichtlich mehr auf bezahlte Söldner von Putin als auf reguläre Truppen auf der Basis von UN- oder EU-Einsätzen. Auch darauf, glaube ich, muss die Bundesregierung uns eine Antwort geben.
Auch die Handelspolitik ist ein wichtiges Feld. Ich kann mich erinnern, dass der damalige Bundeswirtschaftsminister Gabriel, SPD, hier verkündet hat, CETA könne man zwar machen, aber TTIP gehe nicht. Das war ein ganz großer Fehler. Das war eine Steilvorlage für den amerikanischen Präsidenten Trump, das dann tatsächlich zu kippen. Ich glaube, dass wir den Mut und das Engagement haben sollten, auch die Handelspolitik als Teil unserer konkreten Abwehrpolitik gegen diktatorisches und aggressives Verhalten anderer einzusetzen.
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Das gilt meines Erachtens auch für die Frage, wie wir mit China umgehen. Ich fürchte, dass wir mit China das nächste autokratische, diktatorische Gegenüber in der Weltpolitik haben werden, dessen wir uns gemeinsam erwehren müssen. Ich glaube, dass die Bundesregierung gut beraten ist, über die Lösung der Alltagsherausforderungen hinaus auch auf diese mittel- und langfristigen strategischen Fragen Antworten zu geben.
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In diesem Sinne freue ich mich darauf, dass wir die Dinge vielleicht doch besprechen, dass wir das gemeinsam hier im Parlament diskutieren und dass wir dadurch dazu beitragen, dass wir insgesamt als Demokraten für die Zukunft eine bessere Situation schaffen als das, was wir heute, im Frühjahr des Jahres 2022, leider vorfinden.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat die Kollegin Simona Koß für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Zeiten von internationaler Desinformation und in Zeiten Putins Angriffskriegs auf die Ukraine zeigt sich: Eine offene und pluralistische Gesellschaft ist wichtiger denn je, und ebenso eine Gesellschaft kultureller Vielfalt.
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Unser sozialdemokratisches Credo für den Kulturbereich „Kultur für alle“ setzt Zeichen und macht einen Aufbruch in der Kulturpolitik möglich. Mit diesem Haushalt setzen wir das um, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Dafür stellen wir im Haushalt für das Jahr 2022 2,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Gut investiertes Geld, meine sehr verehrten Damen und Herren!
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Wir werden Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern. Mit einem Kulturplenum wollen wir einen Zukunftsdialog Kultur schaffen und dabei Kommunen, Länder, Bund und Kulturakteure und Kulturakteurinnen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft einbeziehen.
Lassen Sie mich im Folgenden auf einige kulturpolitische Aspekte, die meiner Fraktion ganz besonders wichtig sind, eingehen: Wir werden die Kulturförderung des Bundes weiterentwickeln und hierbei die Kulturstiftung des Bundes und die Förderfonds stärken.
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Die Coronapandemie hat gezeigt, wie wichtig eine verbesserte Absicherung von Soloselbstständigen in der Künstlersozialkasse ist. Aus diesem Grund wollen wir für eine bessere soziale Absicherung der Kultur- und Medienschaffenden sorgen.
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Wir treten ein für Mindestgagen und Ausstellungshonorare, und wir werden die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln, sodass sie auch der freiwilligen Versicherung gegen Einnahmeausfälle offensteht.
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Weiterhin werden wir die Filmförderung durch eine Novellierung des Filmförderungsgesetzes weiterentwickeln und mit einem Zukunftsprogramm Kino das Kino als kulturellen Begegnungsort insbesondere in ländlichen Regionen stärken.
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Weiterhin ist uns wichtig, die Erinnerungskultur voranzubringen und die Entwicklung einer postkolonialen Erinnerungskultur zu fördern.
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Wir werden – und das liegt mir sehr am Herzen – das Denkmal zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland nun endlich auf den Weg bringen.
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Und, meine Damen und Herren, wir fördern Orte deutscher Demokratiegeschichte wie zum Beispiel das Hambacher Schloss, die Frankfurter Paulskirche und das Haus der Weimarer Republik.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sprach eingangs von der Bedeutung der Stärkung der Presse- und Medienfreiheit. Aus diesem Grund verstärken wir den Kampf gegen Hetze und Desinformation. Wir werden Journalistinnen und Journalisten im In- und Ausland mit besseren sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Seite stehen. Ich danke an dieser Stelle all den Korrespondentinnen und Korrespondenten, die uns unter Einsatz ihres Lebens aus der Ukraine mit Informationen versorgen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stärken mit diesem Haushalt die Deutsche Welle als Botschafterin Deutschlands in der Welt. Nie war sie so wertvoll wie heute. Ihr Etat wächst von 390,5 Millionen Euro im Jahr 2021 auf 404 Millionen Euro in diesem Jahr.
Zum Schluss sei erwähnt, dass wir selbstverständlich die umfangreichen und gut wirkenden Coronahilfsprogramme für Kultur- und Medienschaffende auch im Jahr 2022 fortsetzen und damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung unserer Kultur- und Medienlandschaft leisten.
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Ich freue mich auf die Zusammenarbeit bei den Beratungen und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Erhard Grundl das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine drei Minuten einem einzigen Punkt widmen. Wenn Krieg nicht mehr „Krieg“ heißen kann, wenn das Wort „Invasion“ in Bezug auf den Überfall Russlands auf die Ukraine bei Androhung von bis zu 15 Jahren Haft nicht benutzt werden darf, dann ist das das Ende von Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.
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Das ist es, was wir im Krieg gegen die Ukraine gerade erleben.
Dieser Krieg ist auch ein Krieg um die Meinungshoheit und damit ein Krieg gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen einen freien öffentlichen Diskurs und gegen eine kritische Zivilgesellschaft. Es zeigt, wie fundamental wichtig die freie Presse ist und wie sehr totalitäre Regime sie fürchten.
Vor zehn Jahren haben Nadeschda Tolokonnikowa, Marija Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch, drei junge Russinnen – besser bekannt unter ihrem Bandnamen „Pussy Riot“ –, Folgendes gesungen – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Mutter Gottes … verjage Putin … Alle Gemeindemitglieder kriechen zur Verbeugung. Das Phantom der Freiheit ist im Himmel. Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt. Der KGB-Chef, ihr oberster Heiliger. Er wirft die Demonstranten in Scharen ins Gefängnis. Um den Höchsten nicht zu beleidigen, müssen Frauen gebären und lieben. … Mutter Gottes … werde Feministin …
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Für diese Zeilen sind die drei Frauen zwei Jahre ins Arbeitslager geschickt worden. Dieser abscheuliche Schuldspruch von Putins Justiz zeigte jedem und jeder, wie sehr Diktatoren die Freiheit der Kunst fürchten. Und die bittere Wahrheit ist: Wir haben damals zugeschaut. Wir haben business as usual gemacht, versehen vielleicht mit einer kleinen Protestnote am Revers. Das, meine Damen und Herren, darf uns nie wieder passieren.
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Inzwischen sind in Russland die letzten unabhängigen Medien verboten worden, Facebook und Twitter wurden eingeschränkt. Aber Putin kämpft – wie letztendlich alle Diktatoren – einen aussichtslosen Kampf. Die Zahl der Menschen in Russland wächst, die die Verbote mitbekommen und die der monopolistischen Staatspropaganda misstrauen. Russische Journalistinnen und Journalisten haben gelernt, kreativ mit der Repression umzugehen und Verbote gegebenenfalls zu umgehen. Sie erfinden sich immer wieder neu, etwa die „Nowaja Gazeta“ oder Marina Owsjannikowa, die im Staatsfernsehen mit einem Plakat gegen den Krieg protestierte. „Hier werdet ihr belogen“, das stand auf dem Schild. Das sind die wahren russischen Heldinnen in Putins Angriffskrieg.
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Was diese Menschen machen, ist kreativ, und es ist für sie selbst gefährlich. Ich verbeuge mich hier am Rednerpult in diesem Hohen Hause in Demut vor dem Mut dieser Menschen.
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Es reicht aber nicht, hier ein Loblied auf die mutigen Menschen in Russland anzustimmen. Es ist entscheidend, dass wir in den kommenden Wochen die richtigen Konsequenzen ziehen. Wir müssen als Deutscher Bundestag dafür einstehen, dass die Kunstfreiheit und die unabhängige Presse als das eingestuft werden, was sie sind, nämlich die entscheidenden Voraussetzungen für unser Leben in Freiheit. Umso wichtiger ist das Soforthilfeprogramm für geflohene ukrainische Künstlerinnen und Künstler der Kulturstaatsministerin, für das zunächst 1 Million Euro zur Verfügung stehen werden.
Ja, Putins Propaganda benutzt auch das Wort „Befreiung“. Aber ich habe die Geflüchteten aus der Ukraine gesehen, und ich konnte auch mit einigen von ihnen sprechen. Sie fliehen nicht vor Befreiern, sie fliehen vor denen, die sie unterjochen wollen und ihren Willen zur Freiheit mit Panzern und Bomben brechen wollen.
Meine Damen und Herren, das Punkgebet von Pussy Riot wird noch da sein, wenn der Diktator längst Geschichte ist.
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Das ist die Macht der Freiheit der Kunst. Lassen Sie uns sie bewahren.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Kollege Stefan Seidler.
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Staatsministerin Roth! Der Südschleswigsche Wählerverband, der SSW, ist zum ersten Mal seit 60 Jahren wieder im Bundestag vertreten; das ist an sich ein großer Erfolg.
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Doch die Mitglieder des SSW haben diesen großen Schritt nicht aus einer nordischen Laune heraus gewagt, sondern, weil wir nicht länger tatenlos bleiben können. Es muss sich etwas ändern für die heimischen Minderheiten hier in Deutschland, aber auch für den Norden insgesamt.
Es wurde viel über Kultur gesprochen. Erlauben Sie mir, in dieser Generaldebatte mit vielen großen Fragen in diesen Teilbereich ganz tief einzutauchen.
Die Projektförderung für die friesische Volksgruppe soll sinken. Welches Signal sendet das den Friesen? Doch nicht nur die Kürzungen sind ein Problem, die Struktur ist es ebenfalls; denn Gelder gibt es nur im Rahmen von Projektförderung. Davon müssen wir aber wegkommen und hinkommen zu einer dauerhaften, nicht projektgebundenen Förderung der nationalen Minderheiten. Nur so schafft man Planungssicherheit, Stabilität und Vertrauen. So, wie es jetzt ist, können die Leute keine dauerhaften Arbeitsverträge unterzeichnen und müssen teils Kredite aufnehmen, um die Zeit bis zur Projektfördermittelfreigabe zu überbrücken. Das geht so nicht. Friesische Kultur ist kein Projekt in Deutschland, sondern ein stetiger Teil unserer Gesellschaft.
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Dringend werden auch Gelder für den Dachverband der dänischen Minderheit benötigt. Die Pandemie hat Freizeit-, Sport- und Kulturleben sowie das Ehrenamt insgesamt hart getroffen. Minderheiten hat es umso härter getroffen. Deswegen sind die kulturellen Einrichtungen der Minderheiten umso wichtiger für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt, und sie müssen gerade jetzt gefördert werden. Die Bundesförderung für die dänische Minderheit ist seit 20 Jahren nicht mehr aufgestockt und an die Bedürfnisse angepasst worden.
Sehr geehrte Staatsministerin Roth, sorgen Sie dafür, dass das vielfältige kulturelle Leben der Minderheiten in unserem Land weiter Bestand hat.
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Wir erfahren gerade schmerzhaft, wie verwundbar Freiheit und Demokratie in Europa sind. Stärken können wir unsere deutsche Demokratie, wenn die Mehrheit auf die Minderheiten zugeht und ihnen Anerkennung und Unterstützung zuteilwerden lässt. In Europa darf nicht das Recht des Stärkeren gelten, so wie Putin das gerade versucht, sondern das Verständnis für den anderen muss Vorrang haben.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Linda Teuteberg das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland inzwischen beim Kanzleramt angesiedelt ist, ist, finde ich, eine gute Entscheidung,
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und zwar nicht so sehr, weil nicht auch ein Fachressort – zuständig war vorher das Bundesministerium für Wirtschaft – gute Arbeit machen und sich der Anliegen annehmen könnte, sondern weil es kein rein ökonomisches Anliegen ist. Die innere Einheit unseres Landes ist eine Querschnittsaufgabe, und allein deshalb ist das richtig.
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Sosehr übrigens Bill Clinton mit seinem Ausspruch „It’s the economy, stupid“ in mancherlei Hinsicht recht hatte – Wirtschaft ist wahrlich wichtig –, ist sie nicht alles. Insofern – auch wenn es manche nicht gern hören wollen – sage ich – aus dem Osten unseres Landes kommend – noch mal: Viele der strukturellen, nachhaltigen wirtschaftlichen Probleme und auch die der Eigentums- und Vermögensverteilung bestehen wegen der Vorgänge in den Jahren vor 1989 und nicht wegen jener danach.
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Es lohnt, sich daran zu erinnern; denn in diesen Tagen vor 50 Jahren wurden die letzten privaten Familienunternehmen in Ostdeutschland verstaatlicht – 11 000 Betriebe gab es noch –; am 13. Juli 1972 meldete Erich Honecker den Abschluss der Verstaatlichungskampagne an Breschnew. Damals und noch viel früher wurden die Probleme geschaffen, die wir zum Teil heute noch haben. Es ist gut, dass manche durchgehalten und nach der Wiedervereinigung wieder investiert haben oder das Unternehmen, in dem sie zuvor als Angestellter im ehemals eigenen Betrieb tätig sein mussten, wiederbelebt haben. Ich nenne als Beispiele die Sika Werke in Leipzig, die Firma Kathi in Halle oder Schuke Orgelbau in Potsdam; sie stehen für viele.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer unser Land durch eine Brille der Unterschiede betrachtet, der wird zwangsläufig irgendwo in allen Himmelsrichtungen Spaltungen erkennen. Es gibt aber viele Themen, die für unser ganzes Land wichtig sind. Es geht um gleichwertige – nicht um gleiche – Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Es geht um Mobilität, Bildung, Chancen, Demografie und Fachkräfte, und das beschäftigt viele Regionen in unserem Land.
Der Osten unseres Landes sollte sich darauf konzentrieren, eigene Stärken zu entwickeln und auszubauen, statt andere Regionen zu kopieren. Und wir haben dort Stärken, nämlich eine starke Wissenschaftslandschaft und die Verkehrsinfrastruktur. Wir haben aber in ganz Deutschland einiges zu tun, um unser Planungs- und Genehmigungsrecht zu vereinfachen. Davon würde die ganze Republik profitieren,
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aber auch und gerade Ostdeutschland. Unser Planungs- und Genehmigungsrecht muss ein Ermöglichungsrecht werden.
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Wir müssen in Generationen denken, unsere Vorhaben aber endlich in überschaubaren Zeitfenstern realisieren.
Was mir besonders wichtig ist, ist, dass wir viel mehr gesamtdeutsche Debatten brauchen, schon im Allgemeinen, aber jetzt ganz besonders über unser Geschichtsbild. Was ist eigentlich unsere historische Verantwortung, auch gegenüber unseren Nachbarn in Europa? Ich sage das hier nicht, um ohne Grund Kritik zu üben, auch nicht aus Häme. Aber mich hat es beschämt, was in den letzten Jahren zum Teil los war, zum Beispiel, als 2017 durch mein Bundesland NATO-Truppentransporte stattfanden, weil die Polen und Balten nach der Annexion der Krim und den Ereignissen in Georgien darum gebeten hatten. Da hat der Ministerpräsident meines Bundeslandes die Sicherheitsbedenken Polens als „Befindlichkeiten“ disqualifiziert.
Kollegin Teuteberg, wir haben Ihre drei Minuten wirklich verteidigt gegen die Überziehung.
Ja. – Wir sollten deutlich machen: Wir werden gemeinsam außenpolitisch und sicherheitspolitisch erwachsen, wir machen Außen- und Sicherheitspolitik mit und nicht gegen unsere Nachbarn.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU hat nun der Kollege Sepp Müller das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der fürchterliche Angriffskrieg in der Ukraine lässt die Europäische Union näher zusammenrücken. Der fürchterliche Angriffskrieg in der Ukraine rückt den Osten Deutschlands mehr in den Mittelpunkt. Hinter uns liegen 16 erfolgreiche Jahre der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Osten Deutschlands zum Standort der Zukunftstechnologie haben werden lassen.
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Lieber Herr Bundeskanzler, Sie wollen den Osten zur Chefsache machen. Da ist es gut, dass Sie da sind. Schade, dass Ihr Staatsminister, Herr Schneider, heute nicht anwesend ist. Das ist eine Despektierlichkeit gegenüber dem Osten. Es zeigt, welche Prioritäten die Mitglieder Ihres Kabinetts setzen: Wir reden über den Osten, und der zuständige Staatsminister ist leider nicht anwesend. Das ist das falsche Signal Richtung Osten, Herr Bundeskanzler.
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Mit dem Magnet für Zukunftstechnologien sind wir im Osten Deutschlands Kraftzentrum geworden, im Bereich Zukunftstechnologien, aber auch im Bereich der Wirtschaft. Denken Sie nicht nur an die Erfolgsgeschichte in Sachsen – mit dem Silicon Saxony –, die Dresden heute zum Mikroelektronikstandort Nummer eins in der Welt hat werden lassen, denken Sie auch an das Tesla-Werk, Herr Bundeskanzler, wo Sie gestern waren, oder stellen Sie sich vor, was für einen kräftigen Schub 17 Milliarden Euro Investitionen von Intel dem Standort in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt, Magdeburg, bringen.
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Das sind gute Nachrichten, und wir tun gut daran, dass wir in den neuen Bundesländern, im Osten Deutschlands, auch selbstbewusst sagen: In den letzten Jahren gab es die letzten großen Investitionen im Osten Deutschlands nur, weil 16 Jahre Regierung unter der CDU/CSU den Osten in den Vordergrund gestellt haben.
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Ich würde mich freuen, wenn die Ampelregierung diesen klaren Kurs fortsetzt. Nun sprechen wir über den Haushalt. Kollege Fricke von der FDP hat ein paar Haushaltskennzahlen genannt; dazu komme ich später. Aber es gibt auch Dinge, die kein Geld kosten, für deren Umsetzung man nicht die Mitwirkung einer starken Opposition braucht, sondern die die Ampel auch ohne Hilfe umsetzen kann.
Da ist das Thema – danke, Kollegin Teuteberg von der FDP –: Wir brauchen schnellere Planungs- und Genehmigungsprozesse. Wenn wir uns die Bahnstrecken anschauen, die die innerstaatliche Grenze überqueren, die wir bis vor 32 Jahren hatten, dann finden wir in der Regel nichtelektrifizierte Bahnstrecken, beispielsweise die von Magdeburg über Haldensleben nach Wolfsburg. Um diese Strecke zu elektrifizieren, brauchen wir alleine für das Genehmigungsverfahren zehn Jahre. So lange darf das nicht dauern! Wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel ernst meinen, dann muss ein schnelleres Planungs- und Genehmigungsrecht jetzt umgesetzt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Die Mehrheit hier hat es in der Hand, in Aufsichtsgremien von nachgeordneten Einrichtungen wie beispielsweise der Bundesagentur für Arbeit, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, aber auch dem Umweltbundesamt zukünftige Posten auch mit Ostbiografien zu besetzen. Da sehe ich, Herr Bundeskanzler, vom Thema „Respekt gegenüber dem Osten“ nichts. Sowohl in der BA – dort wird jetzt Andrea Nahles versorgt – als auch bei der KfW als auch im Umweltbundesamt – obwohl wir eine Umweltministerin aus Dessau-Roßlau haben – wird sich kein Ossi wiederfinden. Das geht nach 32 Jahren nicht mehr auf die Haut eines Ossis, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Das sind zwei Punkte, die Sie ohne Geld machen können.
Schauen wir uns die Politik der Ampel nach 107 Tagen an und stellen wir sie auf den Prüfstand. Sie hatten ja gesagt, dass Sie den Osten zur Chefsache machen wollen und deswegen auch die zentrale Koordinierungsfunktion übernehmen wollen. Koordinierung? Weit gefehlt! Schauen wir uns den Haushalt an: Die Personalkosten für den Ostbeauftragten steigen um 1,6 Millionen Euro, obwohl das von uns damals eingeführte Ehrenamtsprogramm – „Machen!“ hieß es in der Überschrift – nicht mehr stattfindet. Wo ist der Respekt gegenüber dem Osten? Wir brauchen keine Versorgungsposten für Sozialdemokraten, wir brauchen vor Ort Hilfe, damit der Osten unterstützt werden kann. Da müssen Sie ansetzen.
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Wir befinden uns inmitten der größten Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Gerade in den östlichen Bundesländern werden diese Flüchtlinge aufgenommen. Sie kommen in Berlin an, sie kommen im Osten an, sie kommen in Dresden an, sie kommen an der Grenze an. Und ja, wir werden auch im Osten dieser Verantwortung gerecht. Nur erwarte ich dann von einem Bundeskanzler Führung. Ich erwarte von einem Bundeskanzler Antworten auf die Frage, wie eine Flüchtlingsverteilung innerhalb Deutschlands, aber insbesondere innerhalb der Europäischen Union ausgestaltet werden kann. Da sind Sie sprachlos, Herr Bundeskanzler.
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Wir müssen auch erwarten, dass die neuen Bundesländer weitere Maßnahmen brauchen. Wir haben gut bezahlte Arbeitsplätze, wir haben Zukunftstechnologie, wir haben freie Märkte, die gefüllt werden können, wir haben auch freie Kitaplätze; wir haben, wenn wir uns den Osten in Gesamtheit anschauen, die beste Kindergartenversorgung in der ganzen Bundesrepublik. Aber was wir nicht haben, ist ein Förderprogramm, um Wohnungsbestand aufzubauen. Der Klimaminister Habeck hat das KfW-Programm eingestampft. Was ist das für ein fatales Signal! Wir brauchen erneuerbare Energien auf der einen Seite, aber auch energetische Maßnahmen, um den Wohnungsbestand im Osten zu sanieren. Da sind Sie gefordert, Herr Bundeskanzler.
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Zum Thema „Staatsminister Schneider“ habe ich schon etwas gesagt. Er ist leider nicht da. Dann kann ich meine Notizen zur Seite schieben, und er kann das nachlesen, oder wir werden das beim nächsten Mal bilateral besprechen.
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Aber das Thema ist wichtig. Sie hatten gesagt, Sie wollen den Osten zur Chefsache machen, Sie wollen das Amt des Ostbeauftragten aufwerten, indem Sie es ins Bundeskanzleramt holen. Herr Schneider hat in seiner ersten Rede als Staatsminister gesagt, dass er dieser Regierung das Ostgesicht geben möchte, dass Bundeskanzler Olaf Scholz den Osten zur Chefsache erklären wird. Aber eines will ich Ihnen auch sagen, liebe Ampel: Ich bitte um Verständnis, dass es mir nach 100 Tagen zunehmend Sorge bereitet, wenn Olaf Scholz etwas zur Chefsache erklärt.
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Infektionsschutzgesetz, Impfpflicht, Stärkung der Bundeswehr und dann noch den Osten – dann soll das Thema doch lieber bei dem nicht anwesenden Staatsminister Schneider bleiben.
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Dann hat es zumindest ein Ossi in der Hand, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Wir haben heute in Ihren Ausführungen nichts zum Thema Kohle gehört. Drei der vier ostdeutschen Bundesländer sind vom Ausstieg aus der Braunkohleverstromung betroffen. Aber was wir lesen konnten, ist sehr interessant. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem noch nicht abgestimmten Papier betreffend das Maßnahmenpaket zum Umgang mit hohen Energiepreisen, in das SPD-Minister Heil hat reinformulieren lassen: Die Bundesregierung muss bei der Frage der einheimischen Gasförderung auch gesellschaftspolitischen Sprengstoff im Blick behalten. Bereits das Aufschieben der Stilllegung von Kohlekraftwerken wird auf Widerstand stoßen. – Widerstand, Herr Heil, gibt es aus der Arbeitnehmerschaft gegen Ihre vorgezogenen Pläne zur Stilllegung der Kohlekraftwerke. Halten Sie sich an den Plan, bleiben Sie bei 2038! Alles andere ist Kokolores.
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Auch Zitate sind Bestandteil der Redezeit; ich habe das dem Kollegen Fricke gestern schon sagen müssen, und ich muss es auch an dieser Stelle sagen.
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Das Wort hat die Kollegin Svenja Stadler für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, Herr Müller, die Ampelkoalition redet nicht, sie macht einfach.
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– Allein die Reaktion zeigt ja, dass Sie das total gut finden.
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Schon seit zwei Jahren begleitet uns das Thema Corona in unserem Alltag. In der Vergangenheit haben wir oft reagiert. Jetzt handeln wir zukunftsorientiert.
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Haben wir bzw. die Ärztinnen und Ärzte zu Beginn der Pandemie noch nicht gewusst, wie wir mit Intensivpatienten umgehen müssen, so sind wir doch heute in diesem Bereich ein ganzes Stück weiter. Vielleicht erinnern Sie sich: Am Anfang hatten wir gar keinen Impfstoff, zwischendurch nicht genug Impfstoff, und jetzt ist ausreichend Impfstoff für alle vorhanden. Konnten wir uns am Anfang nicht vorstellen, was Isolation für Menschen bedeutet, gerade auch für Ältere und für Kinder und Jugendliche, so wissen wir es doch jetzt. Unser Handeln in diesem Bereich ist sehr viel weitsichtiger geworden. In diesen zwei Jahren ist der Gesundheitsetat auf 52 Milliarden Euro angewachsen. Das ist gut so. Das ist richtig für die Gesellschaft, aber auch für die Impfstoffstrategie und vor allen Dingen für die medizinische Infrastruktur.
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Ja, einige – liebe Union, ich sehe Sie da besonders an – würden jetzt sagen: „Mensch, läuft doch! Haken dran, nächstes Projekt!“ Aber das machen wir in der Ampelkoalition nicht so – auch nicht unser Gesundheitsminister Lauterbach. Wir stellen uns nämlich die Fragen: Welche Lehren für die Zukunft ziehen wir aus der Pandemie? Welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen, damit das Gesundheitssystem zukunftsfähig ist? Diese Fragen haben uns bei den Haushaltsberatungen begleitet und begleiten uns auch zukünftig. Wir brauchen doch – es ist klar – eine Infrastruktur. Wir brauchen eine Infrastruktur, um auf die nächsten Pandemien schnellstmöglich reagieren zu können, sowohl was die Forschung betrifft, aber auch, was die Produktion betrifft. In diesem Bereich haben wir bereits die Grundlagen geschaffen.
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Wer dachte, dass ein Virus an der Grenze haltmacht, muss spätestens bei Corona gemerkt haben, dass das nicht der Fall ist. Deswegen nehmen wir auch da die Verantwortung an und sehen es als eine Selbstverständlichkeit, sowohl national als auch international unseren Beitrag zu leisten und unsere Beiträge im Rahmen der WHO permanent zu steigern.
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Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung zu Hause: Das war richtig – anstrengend. Wer glaubt noch, dass das einfach so nebenbei gemacht ist? Einige hier wissen, wie schwer das ist. Hinzu kommt bei vielen Menschen auch die Sorge um die finanzielle Grundlage und darum, was jetzt passiert. Deshalb müssen wir uns genau anschauen, was passiert ist.
Wir sehen: Die Anzahl derjenigen Kinder und Jugendlichen, die eine Verhaltensauffälligkeit haben, steigt. Wir sehen auch steigende Zahlen bei Krankheitstagen und Kuranträgen von Erwachsenen. Wir müssen uns um die Langzeiterkrankungen wegen Covid kümmern, aber genauso auch um die Menschen, die von den ganzen Coronamaßnahmen einfach nur noch erschöpft sind. Pillen allein reichen dafür nicht. Es reichen auch keine Spezialkliniken. Es gibt viele Klinikverbünde und auch sektorübergreifende Netzwerke. Diese gilt es jetzt zu stärken. Darüber hinaus bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, bestehend aus mehreren Maßnahmen.
Wissen Sie was? Wer den Koalitionsvertrag der Ampel gelesen hat, stellt fest, dass wir aus der Pandemie gelernt haben. Dort sind schon die ersten Schritte hin zu einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem angekündigt. Deswegen bin ich dankbar. Die Ampelkoalition hat das im Blick. Wir geben Sicherheit im Wandel, und das ist gut so.
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Was das im Einzelnen für den Gesundheitsetat tatsächlich bedeutet, diskutieren wir morgen Vormittag. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Schahina Gambir das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch bis Sonntag finden die Internationalen Wochen gegen Rassismus statt. Das ist gut so. Viele Menschen können es sich nicht aussuchen: Sie erleben fast täglich Rassismus. Rassismus fängt nicht erst mit Gewalt an. Er ist tief in unserer Gesellschaft und auch in unseren staatlichen Institutionen verwurzelt. Er zeigt sich da, wo Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer vermeintlichen Kultur abgewertet, ausgegrenzt und benachteiligt werden. Es ist an der Zeit, dass wir Rassismus endlich strukturell bekämpfen und er aktiv verlernt wird.
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Staatsministerin Reem Alabali-Radovan zur ersten Antirassismusbeauftragten zu machen, war ein erster wichtiger Schritt der neuen Bundesregierung.
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Er zeigt: Wir wollen Rassismus endlich ganzheitlich und koordiniert bekämpfen, unter anderem mit einem Partizipationsgesetz, Änderungen im AGG und natürlich mit dem Demokratiefördergesetz, das Ministerin Anne Spiegel nun auf den Weg gebracht hat.
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Nicht nur in diesen Tagen erleben wir, wie stark unsere Zivilgesellschaft ist und was sie bereit ist zu leisten. Über 230 000 Menschen sind bisher aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Jeden Tag werden es mehr Menschen. Ich bin froh, dass ihnen hier unkompliziert Sicherheit und Schutz gewährt wird.
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Es ist gut und richtig, dass sie unbürokratisch einreisen können, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungseinrichtungen für Kinder sowie zu Integrationskursen bekommen. Wir sehen, wie viele Kapazitäten und Möglichkeiten wir haben, wenn wir nur wollen.
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Und ja, es gibt viele Bemühungen, damit sich Bund, Länder und Kommunen bestmöglich unterstützen können, um den Menschen in und aus der Ukraine gemeinsam zu helfen. Doch hier brauchen wir noch viel mehr Koordinierung, am besten direkt aus dem Kanzleramt.
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Insgesamt gilt: Alle Menschen haben das Recht auf Flucht vor Krieg, Verfolgung und Elend und auf ein Leben in Sicherheit – ganz gleich, welchen Pass sie haben, vor welchem Krieg und wann sie fliehen mussten. Wir zeigen uns mit allen Geflüchteten solidarisch. Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben.
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Auch deshalb ist es so wichtig, jetzt eine Integrationsoffensive zu starten. Alle Posten im Bereich Integration müssen aufgestockt werden. Hier muss der Bund seiner Verantwortung, die er im Rahmen der jetzigen Haushaltsberatungen hat, gerecht werden. Dies gilt vor allem für den Ergänzungshaushalt. Lassen Sie uns diesen solidarischen Weg weiterhin gemeinsam beschreiten!
Vielen Dank.
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Dr. Christiane Schenderlein hat für die CDU/CSU-Fraktion nun das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bereits am zweiten Kriegstag sangen Hunderte Menschen vor dem Brandenburger Tor die Europahymne. Am Sonntag nahmen am gleichen Ort Tausende am „Sound of Peace“-Konzert teil. Und auch das Symphonieorchester von Kiew spielte vergangene Woche die „Ode an die Freude“. Wieder einmal ist es die Musik, die Kultur, die verbindet.
Die aktuelle Lage in Europa erfordert es, dass wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das so bleibt. Daher möchte ich zu Beginn unseren Dank auch an die Kulturstaatsministerin richten. Sie haben hierzu Gespräche geführt, eine Taskforce eingerichtet und ein Soforthilfeprogramm aufgelegt. Aber klar ist: Dies entspricht auch unserer Erwartungshaltung an eine Staatsministerin. Wir stehen an der Seite der Künstlerinnen und Künstler sowie der Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine, in Russland und in Belarus.
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Leider müssen wir in diesen schweren Zeiten auch unserem Tagesgeschäft nachgehen. Der hier vorgelegte Kulturhaushalt der Ampelregierung strebt an, den Erfolgskurs der Union zumindest fiskalisch fortzuführen. Es hat sich noch nie bezahlt gemacht, an der Kultur zu sparen, erst recht nicht in diesen Zeiten. Daher setzen die von uns erreichten 2 Milliarden Euro den Maßstab für die Ampel.
Der Bund hat sich in den letzten Jahren als verlässlicher Partner erwiesen. Mit 45 Prozent trägt die kommunale Ebene aber nach wie vor den Löwenanteil der Kulturausgaben. Die Coronapandemie hat in diesem Zusammenspiel eine neue Dimension aufgezeigt: Ohne den Bund geht es nicht. Das Regierungs- und vor allen Dingen das Rettungsprogramm „Neustart Kultur“ war und bleibt die richtige Antwort zum Erhalt unserer vielfältigen Kulturlandschaft.
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Im europaweiten Vergleich ist das eine einzigartige Kraftanstrengung. Daher begrüßen wir das Vorhaben der Ampel, in einen intensiveren Austausch mit den Ländern zu treten. Das im Koalitionsvertrag angekündigte „Plenum der Kultur“ lässt aber noch auf sich warten. Mehrfach haben wir hier eine Konkretisierung eingefordert.
Während die angestellten Künstler durch das Kurzarbeitergeld aufgefangen wurden, mussten die freischaffenden Künstler oft monatelang um ihre Existenz bangen. Dies zu ändern, sollte ein parteiübergreifendes Anliegen in dieser Wahlperiode sein.
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Für uns ist von größter Bedeutung, dass bestehende, lange bewährte Strukturen nicht infrage gestellt und neue Schwerpunkte den aktuellen Herausforderungen gerecht werden. Wir haben zum Beispiel Zweifel, ob ein neues 6,5‑Millionen-Euro-Programm mit dem Titel „Globaler Süden“ derzeit Priorität haben muss – es fällt eigentlich in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes – oder ob das neue 5 Millionen Euro teure Programm „Kultur und Klima“ noch in diesem Jahr zu einer verbesserten Kulturförderung beiträgt. Wir sagen Ja zu Nachhaltigkeit und Vielfalt; aber zur Kunstfreiheit gehört, dass Kultur bunt sein darf, ohne grün sein zu müssen. Neue Schwerpunkte im Kulturhaushalt dürfen weder zulasten von bestehenden gehen noch zu einer Belastung werden.
Wir begrüßen die Übernahme der Mehrausgaben für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und für die Deutsche Welle aus dem ursprünglichen Regierungsentwurf. Wir müssen aber auch sicherstellen, dass die Kultur in der Fläche, vor allen Dingen in den strukturschwächeren Regionen, gestärkt wird.
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Dafür haben wir als Union die Grundlage gelegt: für das Zukunftsprogramm Kino, das Denkmalschutz-Sonderprogramm oder auch für den Deutschen Buchhandlungspreis. Daran müssen wir festhalten.
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Die Kultur hat zwei dramatische Jahre hinter sich. Die Stärkung unserer Kultur- und Kreativlandschaft und unserer Kreativ- und Kulturwirtschaft müssen oberste Priorität haben. Daher fordere ich die Ampelfraktionen auf, dies nicht aus den Augen zu lassen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Awet Tesfaiesus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, dass große Teile unseres Kulturgutes nicht in unseren Museen liegen, sondern auf einem anderen Kontinent. Stellen Sie sich weiter vor, Sie hätten – zum Beispiel – noch nie von Karl dem Großen gehört, weil dieser Teil Ihrer Geschichte wie ausradiert ist. Auch Werke von Schiller, Goethe, Kant lägen nicht in unseren Bibliotheken. Um sie zu erforschen, müssten Sie in ein anderes Land reisen, wofür Sie ein Visum brauchen, was Ihnen in der Regel nicht gewährt wird. Was würde das mit Ihnen machen? Was würde das mit uns als Gesellschaft machen?
Was wir hier heute lediglich als Gedankenspiel betreiben, ist für viele Menschen in Afrika, Asien, Südamerika Realität. Große Teile ihrer Geschichte liegen in Europa, in unseren Museen und Archiven. Es ist unsere Verantwortung, zurückzugeben, was nicht uns gehört.
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Denn Kultur ist nicht nur „nice to have“. Kultur speichert Wissen. Kultur ist wichtig für die Identitätsbildung. Kultur ist der Diskussions- und Resonanzraum einer Gesellschaft.
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Kultur kann noch mehr: Kultur kann helfen, andere Perspektiven einzunehmen, Schritte in den Schuhen eines anderen zu gehen. So ist Kultur eine wichtige Chance für Pluralismus und den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
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Kultur kann Brücken bauen, und so kann Deutschland Goethe und Anton Wilhelm Amo sein, Fassbinder und Fatih Akin, Ostern und Pessach und Bayram.
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Diese Vielfalt ist unsere Stärke. Ich danke der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, dass sie diese wichtige Diskussion aufgreift und Gelder bereitstellt für die Aufarbeitung des Kolonialismus, für die Provenienzforschung, für die Digitalisierung der Sammlungsbestände aus Unrechtskontexten.
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Denn die Vergangenheit ist nicht vorbei. Die Auswirkungen von Versklavung, Kolonialismus, Rassismus sind noch immer präsent. Wir können den Herkunftsgesellschaften heute und in Zukunft nur auf Augenhöhe begegnen, wenn wir den Paternalismus ablegen.
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Unsere postkoloniale Erinnerungskultur fängt genau damit an. Schaffen wir eine Erinnerungskultur, die einer modernen Migrationsgesellschaft gerecht wird und sich nicht von Eurozentrismus leiten lässt. Der vorgelegte Haushaltsplan setzt hier wichtige Signale. Er macht Hoffnung, aber er gibt uns Aufgaben mit, und die packen wir an.
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Das Wort hat die Kollegin Kerstin Radomski für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundeskanzlers, auch „Einzelplan 04“ genannt, umfasst viele wichtige Bereiche, von der Kontrolle der Nachrichtendienste bis zur Integration.
Sehr geehrte Kollegin Gambir und Herr Audretsch, ich möchte auf die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration eingehen. Wenn Sie sich diesen Bereich im Bundeskanzleramt genau ansehen, können Sie feststellen, dass zwischen dem ersten und dem jetzt vorliegenden zweiten Regierungsentwurf im Grunde genommen keine Unterschiede vorhanden sind.
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Obwohl: Mir fällt auf, es gibt einen kleinen Unterschied. Unsere Integrationsstaatsministerin hat bei den Maßnahmen gegen Rassismus ganze 10 Millionen Euro in den ersten Regierungsentwurf geschrieben. Jetzt sind wir bei 8 Millionen Euro.
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Ich möchte mich in meiner Rede aber auf die Kultur konzentrieren und freue mich, dass die Kulturstaatsministerin schon vor mir einige Akzente gesetzt hat.
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Die im Entwurf vorgesehenen 2,1 Milliarden Euro sind ein Zeichen dafür, dass der Bund die Kultur in angespannten Zeiten auch finanziell würdigt; das muss man sagen. Der Entwurf steht damit auch hier in der Tradition der bisherigen Kulturstaatsministerin Monika Grütters, in deren Amtszeit der Etat erstmals die 2‑Milliarden-Euro-Grenze überstieg, 2021 ergänzt um 1 Milliarde Euro für das Konjunktur- und Rettungsprogramm „Neustart Kultur“, das viele Kulturschaffende durch die Pandemie gebracht hat. Für uns hier im Bundestag gilt: Es ist gut, dass wir bei diesem Etat mehr als in anderen Bereichen fraktionsübergreifend an einem Strang ziehen.
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Sinnvoll finde ich deshalb, dass Sie auch hier Projekte und Förderungen der Vorgängerregierung weiterführen und wie schon geplant finanziell aufwachsen lassen. Dazu gehören zum Beispiel die auch von Ihnen erwähnte Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einem Aufwuchs von 5,7 Millionen Euro und die Deutsche Welle mit 13,5 Millionen Euro zusätzlicher Unterstützung. Die noch von der Großen Koalition initiierte „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ wurde jetzt erstmals als Institution in den BKM-Haushalt aufgenommen. Bei ihrer Gründung war uns wichtig, das Bewusstsein insbesondere der jüngeren Generation für den Wert der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu schärfen.
Trotz aller anerkennenden Worte möchte ich betonen, dass wir als Opposition Ihre Arbeit wachsam und kritisch begleiten. Kunst lebt von Freiheit der Gedanken und Ferne von Ideologie. Wer Ihren Koalitionsvertrag aufmerksam liest, kommt unweigerlich zu dem Gedanken, dass die dort erwähnte Green Culture ein wenig mehr ideologiebeladen ist, als Sie es zugeben.
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Deshalb lautet mein Appell an Sie: Lassen Sie sich nicht zu sehr von den hauptstadtzentrierten Debatten vereinnahmen, die vom Rest ablenken!
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Das Wohl unserer Künstlerinnen und Künstler hängt nicht von aufgeregten Kritikern des Kreuzes auf der Kuppel des Humboldt Forums ab, sondern davon, ob die soziale Situation von Kulturschaffenden verbessert wird, und dies gerade auch in der Fläche Deutschlands.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Für uns ist es wichtig, dass Sie sich konkret bemühen. Deshalb: Treten Sie in Kontakt mit den Kulturschaffenden, auch in Ihrem größten Projekt im Einzelplan, dem Humboldt Forum!
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Es steht hier direkt in Berlin, es ist eröffnet, es ist einen Besuch wert.
Ich freue mich auf die Verhandlungen und danke für die Aufmerksamkeit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich melde mich zurück; es gibt wieder Verstärkung im Präsidium.
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– Vielen Dank.
Als nächster Redner erhält das Wort der fraktionslose Matthias Helferich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Ich, ich, ich, ich – kein Wort dominierte die Darbietung von Emilia Fester aus der letzten Woche stärker, kein Wort spiegelt den Geist ihres Haushaltsentwurfs besser wider: Egozentrik, Selbstbedienungsmentalität, Patronage, 165 Millionen Euro für Ihr Projekt „Demokratie leben!“.
Der vermeintliche Kampf gegen rechts ist nur ein Patronagesystem für all jene, die nach ihrem gescheiterten Studium keinen Platz in diesem Parlament erhielten
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wie Kevin Kühnert und daher als Berufsantifaschisten versorgt werden müssen. Sie haben Ihr Agitprop privatisiert und finanzieren Ihr Vorfeldnetz der Gehirnwäsche und Propaganda auf Steuerzahlerkosten:
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8 Millionen Euro für ein Beratungszentrum samt zentraler Hotline zur Erstellung eines Rassismusbarometers.
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Präventionsprogramme gegen den islamistischen Extremismus lassen Sie hingegen austrocknen: statt 5 Millionen Euro in 2021 jetzt nur noch 3 Millionen Euro.
Eigentlich müssten Ihnen die GEZ-Zwangsmilliarden zur Herrschaftssicherung reichen, möchte man meinen. Doch Sie lassen sich auch eine regierungsnahe Hofjournaille etwas kosten – oder besser: den Steuerzahler. 3 Millionen Euro stellen Sie zum Schutz und zur strukturellen Förderung journalistischer Arbeit zur Verfügung. Ein regierungskritischer Journalismus wäre ja auch gefährlich. Er könnte ja über weitere Verfehlungen der Ampelminister berichten, wie jüngst über Familienministerin Spiegel, die nicht nur in der Flutkatastrophe versagte und sich lieber um ihr Image sorgte.
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Aber auch beim heutigen Haushaltsentwurf versäumen Sie es, die Opfer von Flutdieben zu entschädigen. Hunderte Plünderer aus 24 Nationen nutzten das Leid der Flutopfer aus und bereicherten sich an ihrem Hab und Gut. Entschädigungen für die deutschen Opfer? Natürlich Fehlanzeige.
Ihr Haushaltsentwurf ist das Produkt einer abgehobenen Kaste, die nur noch sich selbst im Blick hat.
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Sie betreiben, wie es Finanzminister Lindner ja gestern sagte, Stabilitätspolitik. Aber es ist Stabilitätspolitik für die eigene Macht. Da verwundert es nicht, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung nicht mit Mitteln bedacht wird. Es ist der Futterneid der Ricarda Langs in diesem Hause, der das Erstarken oppositioneller Kräfte fürchtet.
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Dieser Haushalt steht für die Entsolidarisierung mit dem eigenen Volk und für die Versorgung des linksliberalen eigenen Milieus.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Runde erhält das Wort die Kollegin Dr. Paula Piechotta von den Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Helferich, es ist ja gut, dass gleich nach Ihnen eine von diesen grünen Frauen sprechen kann. Man muss nicht alles teilen, was sie sagen, aber: Solidarität mit Emilia Fester, mit Anne Spiegel und auch mit Ricarda Lang!
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Jetzt zurück zum Thema: Ich freue mich wahnsinnig, dass der Beauftragte für die neuen Länder, der Beauftragte für Ostdeutschland, jetzt endlich wieder Teil dieser Debatte ist.
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Lieber Carsten Schneider, Sie haben auch in den letzten Wochen schon sehr viel über die Wirtschaftsförderung gesprochen, die wir im Osten brauchen, und über gute Arbeitnehmer/-innenrechte im Osten, die wir brauchen. Da werden Sie uns immer an Ihrer Seite wissen.
Ich glaube aber, gerade in diesen Zeiten – der Kanzler hat am Anfang dieser Debatte darüber gesprochen –, wenn wir den großen Rückhalt in der Bevölkerung brauchen, der ja zweifelsohne da ist, müssen wir dann aber auch darüber sprechen, dass, obwohl jetzt auch im Osten gerade viele Gewissheiten im Wanken sind und die Macht des Faktischen auch bei uns im Osten dazu führt, dass viele neu darüber nachdenken, was wir für ein Verhältnis zu Russland haben, immer noch extreme Unterschiede – auch in diesen Wochen, auch in der Einstellung zur NATO, auch in der Einstellung dazu, dass die Maßnahmen der Bundesregierung jetzt berechtigt sind – zwischen Ost und West existieren.
Liebe Linda Teuteberg – – Wenn sie jetzt noch da wäre, würde ich ihr sagen: Ja, man kann nicht immer alles nach Ost und West eingruppieren; aber man kann auch nicht wegreden, dass es bestimmte Unterschiede, zum Beispiel in der Coronakrise, immer noch gibt.
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Dafür, dass der Ostbeauftragte jetzt wieder im Bundeskanzleramt angesiedelt ist, haben viele Leute in diesem Haus, aber auch außerhalb dieses Hauses gekämpft. Deswegen muss man hier auch noch mal Danke sagen an die vielen in der Zivilgesellschaft und in den Medien, die vor allem ab 2015 als dritte Generation Ostdeutschland und auch als vierte Generation Ostdeutschland, wenn ich das mal so nennen darf – Leute, die nach 1976 geboren sind –, endlich wieder angefangen haben, lauter, vernehmbarer und gründlicher darüber zu diskutieren, wo die Probleme Ostdeutschlands sind und wie wir mit der Analyse dieser Probleme zu einer Lösung kommen, damit wir am Ende auch in diesen schweren Zeiten, die jetzt kommen werden, eine breite Grundlage der gesellschaftlichen Solidarität und Akzeptanz der Maßnahmen der Bundesregierung in Ost und West haben.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere: „Natürlich kann“ Putin „einen Menschen töten. Natürlich kann er ein Land überfallen. Aber wenn die ganze Welt zusammenarbeitet, dann ist er verloren. Dann gewinnen wir.“ – Zitat Ende.
So hat es die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk vor Kurzem ausgedrückt und hinzugefügt: „Die einzige Möglichkeit, zu widerstehen, ist, keine Angst zu haben.“ – Das muss Maßstab sein, und das ist der Maßstab unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns.
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Das ist unser Auftrag: zusammenzustehen, zu handeln, mit Mut und mit einer klaren Haltung. Darauf kommt es jetzt in der Außen- und Sicherheitspolitik an, im Lichte des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von Russland, aber auch darüber hinaus.
Dafür brauchen wir einen doppelten strategischen Ansatz. Zum einen müssen wir in der Lage sein, kurzfristig und pragmatisch jetzt zu handeln, und zweitens müssen wir zugleich unsere langfristigen Ziele entschlossen verfolgen. Dafür dient unsere nationale Sicherheitsstrategie, wobei ich mich sehr darauf freue, sie gemeinsam mit Ihnen zu erarbeiten.
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Auf diesem doppelten strategischen Ansatz – ja, das ist eine Herausforderung – fußt auch unser gemeinsamer Haushalt. Akut müssen wir jetzt alles dafür tun, dieses furchtbare Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer irgendwie abzumildern. Der Brutalität dieses Krieges setzen wir Menschlichkeit entgegen, mit humanitärer Hilfe, mit medizinischer Versorgung, mit Schlafsäcken, mit Lebensmitteln, mit allem, was jetzt so dringend gebraucht wird und nötig ist.
Es ist sehr gut und wichtig, dass wir für die Ukraine einen Sondermittelposten von 1 Milliarde Euro in diesem Haushalt geschaffen haben. Ein Drittel davon geht jetzt direkt in die humanitäre Hilfe. Es ist auch klar – es kann leider niemand vorhersehen, wie viel wir noch brauchen werden –, dass wir weitere Mittel mobilisieren werden, falls wir mehr als diese Milliarde Euro brauchen.
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Akut müssen wir jetzt zusätzlich an der Seite unserer Partnerinnen und Partner in Mittel- und Osteuropa stehen. Deswegen arbeiten wir mit Hochdruck – ich habe das jetzt „humanitäre Hubs“ genannt – an Drehscheiben, von wo aus wir aus den unterschiedlichen Ländern Menschen in Sicherheit bringen können, und zwar solidarisch. Ich habe das vor einer Woche hier schon mal gesagt, ich habe es am Montag im Rat der Außenminister gesagt – Sie hatten gefragt: was machen wir eigentlich bei G 7? –: Ich tue alles dafür, dass wir bei unseren G-7-Treffen dafür sorgen, dass Menschen nicht nur in Europa, sondern auch über den Atlantik verteilt werden; denn diese Menschen können sich nicht freiwillig verteilen. Jeder, der Verwandte oder Freunde irgendwo in Europa hat, kann da hingehen – das ist ja das Gute, dass sie jetzt visumfrei bei uns einreisen können –; aber Stand heute können sie nicht visumfrei in die USA, nach Kanada oder nach Großbritannien. Das ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe.
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Diese Millionen Kinder brauchen Schulplätze, Kitaplätze, und es werden weitere kommen.
Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl auf 8 Millionen, und das ist nur die Schätzung für die nächsten Wochen. Das bedeutet: Wenn wir – und das ist unsere humanitäre Verantwortung – nicht nur dafür sorgen wollen, sondern sorgen müssen, dass Familien nicht auf der Straße schlafen, dann müssen wir jetzt europaweit und über den Atlantik gemeinsam verteilen.
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Klar geht es auch immer darum: „Wer macht was?“; aber auf andere mit dem Finger zu zeigen, ist in solchen Situationen immer das Einfachste. Ich glaube, das Wichtigste ist, sich selber zu fragen: Was tun wir pragmatisch, zügig, und zwar ohne lange Koordinierungsrunden, sondern ganz anpackend in diesen Tagen? Deswegen startet jetzt am Freitag oder Samstag der erste Flug von Moldau direkt nach Deutschland – Rheinland-Pfalz hat als erstes Bundesland zugesagt –, um Geflüchtete aus Moldau herauszubringen. Ich freue mich, dass sich viele, viele andere Länder dieser Initiative angeschlossen haben.
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Verantwortung zeigen wollen wir als größte europäische Volkswirtschaft aber auch in der EU, in der NATO und in der G 7. Wir hatten hier ja auch die Debatte über die Waffenlieferungen. Ich sage da mal ganz ehrlich Danke. Danke, dass Sie auch nachbohren und sagen: Was ist bei den Lieferungen gewesen? Warum hat es gehapert? – Mir geht das auch bis an die Nieren, wenn ich den Anruf von meinem ukrainischen Außenministerkollegen bekomme, der fragt: Wo sind die Waffen? – Natürlich telefonieren wir hinterher und schauen: Wo hat es gehakt? Aber ich kann klar und deutlich sagen: Die weiteren Strela-Lieferungen sind auf dem Weg.
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal sagen – und es ist nichts, worauf ich stolz bin; denn ich glaube, wir alle hätten uns gewünscht, dass es keinen Krieg gibt und keine Waffenlieferungen; aber ich sage es hier laut und deutlich, weil es offensichtlich ja immer untergeht –: Wir sind einer der größten Waffenlieferer in dieser Situation. Das ist nichts, was uns stolz macht; sondern das ist das, was wir jetzt tun müssen, um der Ukraine zu helfen.
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Wir tun alles, dass – weil wir eben nicht viele Waffen haben, die wir selber liefern können – wir mit den Unternehmen in Kontakt sind, um darauf zu drängen, dass weitere Lieferungen möglich werden.
Ja, wir bringen ein Sondervermögen auf den Weg. Und ich hoffe wirklich sehr, dass wir darüber keinen parteipolitischen Streit entfachen. Wir haben eine Zeitenwende eingeleitet. Ich weiß, Regierungs- und Oppositionsrollen, ich muss mich manchmal auch noch an meine neue Rolle gewöhnen; aber in diesem Moment geht es doch nicht darum, dass man sagt: „Wer hat was zuerst oder zuletzt oder als Zweiter oder als Dritter vorgeschlagen?“;
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sondern in diesem Moment geht es darum, das, was offensichtlich in der Vergangenheit nicht gut gelaufen ist, besser zu machen.
Und ja, wir Grünen haben gesagt: Vor ein paar Jahren hätten wir vielleicht kein Sondervermögen auf den Weg gebracht. – Aber ist das eine Schwäche?
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Ich finde, das ist eine absolute Stärke, zu sagen: Jetzt müssen wir unsere Politik ändern. – Lassen Sie sie uns gemeinsam ändern,
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auf der Höhe der Zeit, auf der Höhe der Verantwortung! Unsere Verantwortung ist doch, dass wir nicht die Debatten von vor 20 Jahren führen. Das war auch meine Botschaft auf dem westlichen Balkan. Wir können Ewigkeiten darüber reden, was in der Vergangenheit war; wir müssen die Geschichte kennen, Fehler anerkennen, um es in Zukunft besser zu machen. Aber die Höhe der Zeit sagt doch: Sicherheit, Verteidigung und Bündnisfähigkeit bedeuten, gerade in der NATO zusammenzustehen. Deswegen haben wir in der NATO die Gespräche darüber geführt: Wie können wir unsere Fähigkeiten einbringen, und zwar nicht nur auf dem Papier?
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Alle Ökonomen hier wissen es. Was sind denn das für Fähigkeiten, wenn wir dann, wenn das BIP runtergeht, weniger für Sicherheit machen, und wenn es hochgeht, mehr machen? Es geht um die Fähigkeiten,
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und deswegen wollen wir gemeinsam mit Ihnen dafür sorgen, dass wir unsere Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit stärken.
Ich sage an dieser Stelle vielleicht auch einmal – ich habe lange überlegt, ob ich darauf reagiere; aber weil es dann zweimal kam, gestern bei Herrn Dobrindt und dann heute bei Ihnen, Herr Merz, mache ich es –: Die Bundeswehr hier herauszustellen und dann im gleichen Satz zu sagen: „Okay, Bundeswehr und nicht mehr diese feministische Außenpolitik“, das bricht mir das Herz.
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Und wissen Sie, warum? Weil ich vor einer Woche bei den Müttern von Srebrenica war und die mir beschrieben haben, wie die Spuren dieses Krieges in ihnen drin sind, und gesagt haben: „Frau Baerbock, damals wurde nicht gehandelt, Anfang der 90er-Jahre“, als sie, als ihre Töchter, als ihre Freundinnen vergewaltigt worden sind, Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht anerkannt war, nicht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wurde.
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Deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise.
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Das ist kein Gedöns! Das ist kein Gedöns, sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich nicht in die Bundeswehr investieren will, sondern das hat damit zu tun, dass ich meinen Blick weite für alle Opfer in Kriegen.
Daher ist auch unsere nationale Sicherheitsstrategie darauf angelegt, dass wir neben den dringenden militärischen Ausgaben eben unser Verständnis von einem erweiterten Sicherheitsbegriff, von einem Human-Security-Ansatz weiter fortschreiben. Denn wir wissen ganz genau: Dort, wo sich Krisen weiter verschärfen, liegt das auch daran – und wir sehen ja, dass Russland schon einen Kornkrieg vorbereitet –, dass auch die Frage der Lebensmittelsicherheit etwas mit Sicherheit zu tun hat. Die große Gefahr ist, dass sich jetzt die Situation in der Sahelzone weiter verschärft. Deswegen ist es so gut und wichtig, da wir ja zum Haushalt sprechen, dass wir auch die Fragen der humanitären Hilfe, der Lebensmittelsicherheit und der Unterstützung auch von Kleinbauern in diesem Haushalt gemeinsam mit verankert haben.
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Danken möchte ich an dieser Stelle auch dafür, dass wir die Kulturmilliarde – auch da kann man sagen: was hat die Kulturmilliarde jetzt mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun? – wieder in diesem Haushalt verankert haben. Wir fördern damit Wissenschaftler/-innen, Künstler/-innen, Journalistinnen und Journalisten, gerade auch aus Russland, die jetzt verfolgt werden, die jetzt hier zu uns nach Deutschland kommen können, genauso wie aus Afghanistan oder aus anderen Ländern dieser Welt.
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All das ist Teil einer umfassenden wertegeleiteten Außenpolitik, die schnell und pragmatisch in akuten Krisen handelt und nicht lange herumdiskutiert und die auf der anderen Seite einen strategischen Ansatz hat, über den eigenen Tellerrand und auch in die nächsten Jahrzehnte zu schauen. Denn die einzige Möglichkeit, zu widerstehen, ist, keine Angst zu haben – so hat Tanja Maljartschuk es gesagt. Jetzt ist es an uns, mutig und entschlossen zusammenzustehen. Für die Freiheit und den Frieden in Europa.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält für die CDU/CSU-Fraktion das Wort der Kollege Roderich Kiesewetter.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Außenministerin, Sie haben gerade die Rede gehalten, die wir von unserem Bundeskanzler erwarten,
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und das ist kein verstecktes Lob.
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Wir finden es als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßenswert, dass der Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes aufwächst. Wir finden es begrüßenswert, dass die Mittel für die strategische Krisenkommunikation, die Krisenprävention und die Auswärtige Kulturpolitik entsprechend aufwachsen. Das begrüßen wir. Was wir aber vermissen, Frau Außenministerin – auch Sie haben es nicht angesprochen –, ist die Frage der Nachhaltigkeit der Finanzierung. Wir kommen in diesem Haushalt erstmals über die 6-Milliarden-Euro-Schwelle, aber schon im Jahr 2024 rutschen wir wieder auf unter 5 Milliarden ab. Das haben Sie uns nicht erklärt. Woran liegt dieser Rückgang?
Das Zweite, was uns am Herzen liegt: Sie sprechen von einer nationalen Sicherheitsstrategie. Sie wissen, dass viele in der Union dies begrüßen, und ich glaube, dass das auch im Hohen Haus hier weit Widerhall findet. Aber wenn Sie eine nationale Sicherheitsstrategie ansprechen, dann kommt es doch im Wesentlichen darauf an, dass sie auch finanziert ist. Wenn Sie im Koalitionsvertrag sagen, Sie stehen für das 3-Prozent-Ziel, dann müsste der Haushalt im Auswärtigen Amt auf knapp 10 Milliarden Euro aufwachsen; das tut er nicht. Er liegt bei 6 Milliarden Euro. Wenn Sie ein 3-Prozent-Ziel verfolgen, bei 2 Prozent für Verteidigung – wobei uns unklar ist, in welcher Weise die 2 Prozent erreicht werden sollen – und 0,7 Prozent für Entwicklung, dann bleiben 0,3 Prozent für Diplomatie; was sehr richtig ist. Aber das wären nun mal als Hausnummer 10 Milliarden Euro, und da sehen wir die Größenordnung nicht.
Bei einer nationalen Sicherheitsstrategie geht es ja darum, Prioritäten zu setzen. Wenn Sie Prioritäten setzen, interessenorientiert, dann bedeutet das auch, dass Sie Preisschilder verteilen müssen. Diese Preisschilder bedeuten, dass wir erhebliche Herausforderungen haben. Sie haben nur leider wenige angesprochen. Wir sind ganz auf Ihrer Seite in der Bewältigung des Ukrainekrieges. Ich glaube, da stehen wir sehr eng zusammen.
Aber es gibt noch andere Herausforderungen der strategischen Gleichzeitigkeit. Was passiert gerade auf dem Balkan, in der Republika Srpska? Sie waren dankenswerterweise auf Ihrer Reise dort. Wie geht es in der Nachkriegsordnung mit Moldau weiter? Was passiert mit China? Wie wird sich China verhalten, wenn der Krieg in der Ukraine hoffentlich erfolgreich für uns und die Ukraine zu Ende gegangen ist? Wie wird sich China verhalten, wenn die Sanktionen wirken? Was ist die Zukunft von Taiwan? Wie stellen wir uns in Menschenrechtsfragen auf, was die Uiguren in Tibet, die gesamte soziale Kontrolle der chinesischen Bevölkerung und den Umgang mit den Spratly-Inseln im Indopazifik angeht? All das müssen wir berücksichtigen. Dafür brauchen wir eine nationale Sicherheitsstrategie.
In einem weiteren Schritt hinsichtlich der strategischen Gleichzeitigkeit müssen wir auch einpreisen, dass die USA vor einschneidenden Neuwahlen stehen. Ich erwarte schon ein Zeichen der deutschen Außenministerin und der deutschen Außenpolitik – der Bundeskanzler hat es heute nicht angesprochen –, dass wir transatlantisch eine faire Lastenteilung bringen müssen. Friedrich Merz hat heute deutlich gemacht, dass wir auf Amerika nur dann setzen können, wenn die Amerikaner auch wissen, dass die Europäer in ihrem Umfeld Verantwortung übernehmen. Diese Verantwortung zu übernehmen, bedeutet eine sehr klare Fokussierung auf Smart Power. Smart Power heißt eben nicht nur Diplomatie, sondern auch die Bereitschaft, Hard Power anzusetzen – Sie umschreiben das ja mit „Diplomatie und Härte“. Aber diese Diplomatie und Härte muss in der Vernetzung des Haushalts deutlich werden; das fehlt mir. Kein Hinweis auf Ihr 3-Prozent-Ziel, kein Hinweis darauf, wie Sie eine nationale Sicherheitsstrategie mit glaubwürdiger Verteidigung, vernünftiger Entwicklungszusammenarbeit und einer sehr schlagkräftigen Diplomatie verknüpfen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns im Jahr eins eines europäischen Krieges darum, den Zusammenhalt zu zeigen, den diese Regierung im Parlament braucht. Aber wir erwarten umgekehrt auch, dass finanziell keine Luftnummern gemacht werden, dass finanziell sehr klar unterfüttert wird, wie sich diese Bundesregierung die Finanzierung der Außenpolitik vorstellt. Das sind Sie noch schuldig geblieben. Wir sind bereit, das in der nächsten Lesung intensiver aufzugreifen.
Zur strategischen Ausrichtung unseres Landes gehört aber auch, dass wir begreifen müssen, was die Nachbarländer von uns erwarten. Da hat die Bundesrepublik Deutschland eine Scharnierfunktion. Die Sicherheitsbedrohung der osteuropäischen Länder und die Fragen des Klimawandels und des Migrationsdrucks der südeuropäischen Länder müssen wir zusammenbringen. Wir müssen als Deutsche auch sehr arg aufpassen, dass nicht mit Blick auf strategische Autonomie Frankreich Interessen durchsetzt, die uns womöglich von einem Amerika abkoppeln, das vor schwierigen Wahlen steht.
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Wir haben alles zu tun, um den transatlantischen Zusammenhalt zu bewahren, und wir haben alles zu tun, dass wir gegenüber den USA und auch unserer eigenen Bevölkerung die Interessen deutlich machen, innerhalb Europas für Zusammenhalt zu sorgen. Wir haben alles zu tun, dass wir auf dem Balkan eine Lösung finden für einen Zwischenschritt zur Aufnahme in die Europäische Union, die auch ein Modell für die Ukraine sein kann, dass, wenn die Beitrittsreife auf absehbare Zeit nicht gegeben ist, wir eine Art Drittstaatenabkommen schließen, ein Abkommen, in dem diese Staaten sich wiederfinden und sich nicht von der Europäischen Union abkoppeln lassen
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und mit dem die Balkanstaaten bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und auch dem Reformdruck zu entsprechen. Gleiches wäre für die sehr schwierige Lage in der Türkei zu sagen, wo wir Angebote machen müssen, damit die Türkei sich weiter in Richtung Europa orientiert. Es wird auch eine Zeit nach Erdogan geben.
Lassen Sie mich noch eines sagen: All diese diplomatischen Anstrengungen wären nichts ohne die Frauen und Männer, die im diplomatischen Dienst an Tausenden Dienstposten weltweit ihren Dienst leisten. Es ist beeindruckend, was hier im Sinne der regelbasierten internationalen Ordnung geleistet wird. Unser Dank – ich glaube, der Dank des ganzen Hauses – gilt allen im diplomatischen Dienst unseres Landes weltweit.
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Es gibt hier auch kleinere Herausforderungen. Ich will das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten ansprechen. Ich will jetzt keinen Hausmeisterpunkt machen; aber hier kann man noch etwas leistungsstärker werden. Wir erwarten, dass das Bauen in den Botschaften, die Digitalisierung und die Cyberresilienz deutlich verbessert werden, und da gehört es sich schon, dass das Auswärtige Amt dieses federführend leisten kann.
Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir strategische Vorausschau leisten wollen, müssen wir alles tun, um die Ukraine zu stabilisieren, alles tun, dass die regelbasierte Ordnung auch in diesem furchtbaren völkerrechtsverletzenden Krieg ihren Stellenwert hat und dass es wert ist, für sie zu kämpfen. Deshalb danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir brauchen eine starke deutsche Diplomatie. Aber sie muss nachhaltig finanziert sein. Das sehen wir im Moment nicht.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Als nächste Rednerin erhält für die SPD-Fraktion die Kollegin Wiebke Papenbrock das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist heute so groß wie noch nie zuvor. In diesem Jahr benötigen weltweit dreimal so viele Menschen humanitäre Hilfe wie noch vor zehn Jahren. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, spricht von 327 Millionen Menschen. Darunter sind mehr als 177 Millionen Kinder. Nur zum Vergleich: In Deutschland leben etwa 13 Millionen Kinder. Das ist die Ausgangslage, mit der wir jetzt in die Haushaltsberatungen gehen. Auf die humanitäre Notlage von Millionen von Menschen müssen wir schnell und effizient reagieren, und das tun wir auch, auch ganz aktuell bei der Ukraine.
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Die Vereinten Nationen melden heute 3,5 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine. Dazu kommen 6,5 Millionen Binnenvertriebene, die in anderen Landesteilen Schutz suchen. Das sind zusammen fast 10 Millionen Menschen, die alles zurückgelassen haben und oft unter Lebensgefahr geflüchtet sind. Dann sind da natürlich noch all jene, die in ihren Heimatstädten geblieben sind und die mitten im Kriegsgebiet ausharren. Allein ihre Zahl wird auf über 30 Millionen geschätzt.
Natürlich hat der Krieg in der Ukraine Auswirkungen auf unseren Haushalt. Die Bundesregierung hat bereits Soforthilfen veranlasst: für humanitäre Hilfe, für den Katastrophenschutz und für NGOs, damit sie die Zivilbevölkerung unterstützen können.
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Es werden jetzt kurzfristig weitere 350 Millionen Euro über den Haushalt des Auswärtigen Amtes für die Ukraine bereitgestellt,
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zusätzlich zu den 2 Milliarden Euro, die wir im Auswärtigen Amt für die humanitäre Hilfe insgesamt bereitstellen. Wir reagieren also auf die dramatische Situation, die dieser brutale Angriffskrieg verursacht, und wir bieten auch in Zeiten des Wandels Sicherheit und Verlässlichkeit.
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„Sicherheit im Wandel“ bedeutet für unsere Außenpolitik, dass wir schnell und effizient reagieren, dass wir Verantwortung übernehmen und dass wir ein international verlässlicher Partner sind.
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Der Regierungsentwurf sieht beim Haushalt des Auswärtigen Amtes vor, dass der Großteil der Mittel in die humanitäre Hilfe fließt, und er soll den Vereinten Nationen zugutekommen. Sie wollen wir finanziell und personell unterstützen, und wir wollen ihnen insgesamt mehr Geld zukommen lassen.
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Außerdem soll die Arbeit weltweiter Hilfsorganisationen gefördert werden. Was wir auch noch unterstützen, sind Maßnahmen, um Frieden und Stabilität langfristig zu fördern.
Putins Einmarsch in die Ukraine hat das Land in eine schwere humanitäre Krise gestürzt. Es fehlt an Wasser, Lebensmitteln und oft lebenswichtigen Medikamenten. Laut Weltgesundheitsorganisation ist die Situation in vielen Krankenhäusern verheerend. Viele Regionen sind vollständig von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten. Helferinnen und Helfer kommen nicht mehr zu den eingeschlossenen Menschen durch, um sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Dabei muss der Zugang zu lebensrettender Hilfe sichergestellt werden. Wir unterstützen deshalb zum Beispiel das Polnische Rote Kreuz und das Ukrainische Rote Kreuz. Sie leisten wertvolle Arbeit bei der Erstversorgung von Flüchtlingen.
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Wie in fast jedem Krieg trifft auch der Krieg in der Ukraine die Zivilbevölkerung besonders hart, vor allem Frauen und Kinder. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen spricht von rund 7,5 Millionen Kindern, die aktuell unter diesem Krieg leiden. Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass Deutschland im letzten Jahr weltweit eine der wichtigsten Stützen für UNICEF war, nämlich nach den USA der zweitgrößte Geldgeber.
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Ich habe jetzt viel über die Ukraine gesprochen. Was mir aber auch ganz wichtig ist: Wir dürfen die anderen Kriegs- und Krisenregionen der Welt nicht aus dem Blick verlieren,
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auch wenn sie nicht die Schlagzeilen beherrschen: Afghanistan, den Jemen, Syrien, Äthiopien, den Südsudan und so viele andere.
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In vielen Ländern herrschen Krieg und Hungersnöte. Deshalb hat Deutschland in der letzten Woche zum Beispiel bei der Geberkonferenz für den Jemen seine Unterstützung zugesagt.
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Und wir werden auch in diesem Jahr mehr Mittel für Afghanistan bereitstellen; das ist im Haushalt bereits verankert.
Was man auch nicht vergessen darf: In allen Ländern wütet noch immer die Coronapandemie. Sie lässt die Bedarfe noch mehr in die Höhe schnellen. Deshalb – das möchte ich zum Schluss noch sagen – sind uns unsere europäischen und internationalen Partnerschaften so wichtig. Mit nationalen Alleingängen kommen wir hier nicht weiter.
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Wir brauchen den Austausch und die Zusammenarbeit. Wir sehen jetzt beim Schulterschluss mit unseren europäischen Nachbarn und unseren internationalen Bündnispartnern: Wir können zusammenhalten. Und genau darauf kommt es jetzt an.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Papenbrock. – Es folgt für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Ich will heute zuerst über all die Ukrainer und ganz besonders über die Frauen und Kinder sprechen, die gerade aus Angst um ihr Leben ihre Heimat verlassen müssen.
Wir erleben gerade einen Krieg auf dem Boden des europäischen Kernlandes. Das war für mich noch vor kurzer Zeit beinahe unvorstellbar, da ich der festen Überzeugung war, dass heutzutage wirklich jeder verstanden haben sollte, dass es bei einem Krieg nur Verlierer gibt. Wir verurteilen diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine aufs Schärfste, und wir werden die Bundesregierung bei sämtlichen humanitären Maßnahmen unterstützen, die das Leid der Ukrainer jetzt lindern können.
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Leider – und das muss ich hier auch ansprechen – gibt es keine Krise ohne Krisengewinner. So erleben wir auch jetzt wieder einmal, wie die Hilfsbereitschaft unseres Landes ausgenutzt wird und sich unter die ukrainischen Kriegsflüchtlinge auch illegale Migranten mischen,
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die keinen Schutz suchen, sondern die großzügigen Sozialleistungen des deutschen Staates. Hier muss die Innenministerin tätig werden.
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Für die deutsche Außenpolitik bedeutet die Ukrainekrise einen Paradigmenwechsel. Wir befinden uns heute mitten in der Manifestation einer neuen Weltordnung, allerdings nicht ganz so, wie sich das einige vorgestellt haben.
Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung steht zu lesen, dass Europa und die transatlantische Partnerschaft das Fundament deutscher Außenpolitik bilden. Das sehen wir auch so. Doch ein Haus hat nicht nur ein Fundament, und wir fragen uns: Soll es eigentlich nur bei diesem Fundament bleiben? Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren in große Abhängigkeiten begeben, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Dem sollte eigentlich mit einer Diplomatie mit Fingerspitzengefühl Rechnung getragen werden; doch das deutsche Gebaren war manchen internationalen Partnern gegenüber oft überheblich.
Im Haushaltsentwurf bekennt man sich freimütig dazu, dass man „politische Prozesse in Ländern“ unterstützen will und man „höhere Standards im Bereich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte“ erreichen will – wohlgemerkt in anderen Ländern. Sosehr wir alle hier die Werte und Errungenschaften europäischer Aufklärung und Zivilisation schätzen – und ja, auch wir sind überzeugt davon, dass das universelle Werte sind –,
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so naiv ist es doch, diese Werte eins zu eins auf andere Länder mit ganz anderen Kulturen übertragen zu wollen.
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Dieser Versuch ist bislang überall gescheitert, und dennoch bildet er einen elementaren Bestandteil deutscher Außenpolitik.
Mehr noch: Das in Teilen oberlehrerhafte Auftreten Deutschlands hat unserem Ansehen in anderen Ländern sogar geschadet. Verstärkt wurde das noch dadurch, dass bisher alle Bundesregierungen in ihren völkerrechtlichen Erwägungen, sagen wir mal, etwas selektiv waren. Andere würden hier von Doppelmoral sprechen; aber dazu führen die Kollegen gleich noch aus.
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Der Punkt ist, dass auch die deutsche Außenpolitik dazu beigetragen hat, dass die westliche Wertegemeinschaft als arrogant und ignorant wahrgenommen wurde.
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Und genau das rächt sich jetzt:
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Während wir in Deutschland über Sanktionen diskutieren und uns empfohlen wird, für die gute Sache auch mal zu frieren, hat sich rund um China, Russland und die anderen BRICS-Staaten ein neuer Machtblock gebildet, und dieser ist innerlich entschlossen, der westlichen Wertegemeinschaft nun selbstbewusst entgegenzutreten. Wir wollen kein russisches Gas oder Öl mehr? Macht nichts. Dann kaufen eben China, Indien und Pakistan, und das zu günstigen Preisen.
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Und was ist mit den Sanktionen des Westens? Die sind denen egal.
So ist es den Machthabern der Vereinigten Arabischen Emirate auch egal, dass die westliche Wertegemeinschaft Syriens Präsidenten Assad für einen Kriegsverbrecher hält. Herr Assad wurde in Abu Dhabi letzte Woche herzlich empfangen, und man versicherte sich gegenseitig die Pflege guter Beziehungen.
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Und so kam es, dass der als „Schlächter“ bezeichnete syrische Präsident und der deutsche Wirtschaftsminister Habeck sich dann in den Emiraten die Klinke in die Hand gaben, als Herr Habeck fast zeitgleich auf seiner Nahost-Energie-Tour war.
Die Vereinigten Arabischen Emirate, China und Indien hatten sich übrigens auch bei der Resolution gegen Russlands Überfall im UN-Sicherheitsrat enthalten, „sehr zum Missfallen der USA“, wie es im „Handelsblatt“ hieß.
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Reaktion auf dieses Missfallen: keine.
An dieser Stelle sollte sich Deutschland nun endlich mal fragen, was das für unsere Außenpolitik bedeutet. Weitermachen wie bisher können wir offenkundig nicht. Aber wir sehen momentan noch nicht, dass diese Erkenntnis auch bei der Bundesregierung angekommen wäre.
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Deutschland hat immer noch einen guten Ruf in der Welt. Wir sollten darauf aufbauen, überholte Vorstellungen hinter uns lassen und mit frischem Blick in die neue Legislatur starten.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Als nächster Redner erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Michael Link.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dmitrij Muratow, der Friedensnobelpreisträger, sagte unlängst, als er auf den Krieg gegen die Ukraine angesprochen wurde, sinngemäß: Wenn der russische Generalstab angesichts des Leidens der Zivilbevölkerung von einem Vorgehen, einer Operation „nach Plan“ spricht, dann ist das an Zynismus nicht mehr zu überbieten.
Der Überlebenskampf der Ukraine betrifft auch uns unmittelbar als die dunkelste Stunde Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Prominente deutsche Völkerrechtler wie Otto Luchterhandt oder Christian Tomuschat sprechen von klaren Indizien für Völkermord in Mariupol und von russischen Kriegsverbrechen an vielen anderen Orten in der Ukraine. Es ist gut, dass das bald untersucht wird; die Lage ist extrem ernst. Deshalb: Danke für die engagierte Rede der Ministerin, die deutlich gemacht hat, dass wir hier kein „business as usual“ machen, dass wir Dinge neu denken, neu angehen und dass wir dort, wo sich die Wirklichkeit weiterentwickelt hat, über den Koalitionsvertrag hinausgehen. Das war ein starkes Signal Deutschlands, und da müssen wir jetzt Kurs halten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat jetzt den zweiten Regierungsentwurf vorgelegt. Kollege Kiesewetter hat auf vieles hingewiesen, was man gerne noch zusätzlich machen könnte. Ich erinnere mich gut an frühere Haushaltsverhandlungen, in denen wir, als wir in der Opposition waren, oft auch gemeinsam genau auf diese Dinge wie das 3‑Prozent-Ziel hingewiesen haben. Wir haben es in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Wir bekennen uns als Koalition zu diesem 3‑Prozent-Ziel. Es ist natürlich ein Ziel, das man nicht über Nacht erreicht – genauso wenig wie das Ende der Energiekäufe –; das ist richtig.
Wir machen uns auf den Weg, und wir laden Sie ein, in den Haushaltsverhandlungen gemeinsam mit uns diesen Entwurf dort, wo wir es brauchen, auch noch zu verbessern. Wir wissen: Da muss noch einiges nachgelegt werden, und daran arbeiten wir gerne gemeinsam. Wir greifen auch gerne Vorschläge von Ihrer Seite auf, wenn wir uns im Haushaltsausschuss auf gute Vorschläge einigen.
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Das gilt zum Beispiel auch – die Ministerin hat es angesprochen –, da jetzt das Thema Waffenlieferungen im Mittelpunkt steht, im Bereich der Rüstungskontrolle; da haben wir gute Ideen. Wir haben auch weiter gehende Ideen zur Lösung der anderen Krisen, die aktuell nicht auf dem Bildschirm sind. An die müssen wir ebenfalls dringend denken.
Ja, in der Tat – wie oft haben wir das auch damals in der Opposition gefordert –: Wir müssen hin zum „Sondervermögen Bundeswehr“, um den transatlantischen Erwartungen der USA und übrigens auch Kanadas, also beiden transatlantischen Partnern, gerecht zu werden, die das seit langer Zeit fordern. Daran muss man immer wieder erinnern; das hat ja nicht erst Trump erfunden. Wir kommen dieser Forderung jetzt nach. Wir machen das, weil wir auch transatlantisch ein klares Signal der Verantwortung senden wollen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ganz wichtig, dass wir jetzt weiter deutsche Signale senden, die zeigen, was man sonst noch machen kann. Ich finde es gut, dass die Bundesregierung signalisiert hat, dass Deutschland bei der neuen EU-Eingreiftruppe – darüber soll ja bald beschlossen werden – eine führende Rolle als einer der größten Truppensteller übernehmen soll. Das ist ein wichtiges Signal, und es ist ganz entscheidend, dass wir jetzt solche Signale senden. Dadurch übernehmen wir Führungsverantwortung und können zeigen, was noch mehr geht. Europa und unsere europäischen Partner warten darauf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das aber auch dann tun, wenn es tatsächlich hart wird, und das machen wir. Der Weg der Sanktionen ist auch für uns nicht einfach; das ist klar. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit dem Ergänzungshaushalt weiter nachsteuern und dann im parlamentarischen Verfahren gemeinsam überlegen, wo wir noch nachschärfen können. Dieses Thema bleibt gerade bei der Unterstützung der Zivilgesellschaft in Osteuropa ganz entscheidend.
Damit möchte ich zum Ende kommen. Unsere Kritik an Russland ist nie eine Kritik am russischen Volk. Sie richtet sich gegen Wladimir Putin, sein paranoides Regime und gegen seine Steigbügelhalter. Umso mehr zollen wir den Tausenden Russinnen und Russen Respekt, die gegen diesen brutalen Krieg protestieren.
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Über 15 000 Festnahmen mutiger Demonstranten in Russland sprechen für sich. Sie sprechen für das andere, für das europäische Russland. Ich will mit Dmitrij Muratow, dem Friedensnobelpreisträger, dem legendären Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, schließen. Er hat damals gesagt, als er den Preis bekam: Die Welt hat ihre Liebe zur Demokratie verloren.
Die, die heute in Russland auf die Straße gehen, die für das andere europäische Russland stehen, und die, die in der Ukraine für das Überleben des ukrainischen Staates und für ihr eigenes Überleben kämpfen, die stehen für die Liebe zur Demokratie. Ihnen gilt unser ganzer Respekt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächster erhält in dieser Debatte das Wort der Kollege Victor Perli für Die Linke.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bilder des furchtbaren Krieges in der Ukraine, das Blutvergießen, die Zerstörung – all das geht unter die Haut und macht wütend. Die militärische Aggression Russlands muss sofort enden. Die Waffen müssen schweigen, damit das Leid endlich endet!
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Die mutigen Antikriegsdemonstranten, die in Moskau, in Sankt Petersburg und in vielen anderen Orten festgenommen worden sind, müssen sofort freigelassen werden. Es ist niemals ein Verbrechen, sich für den Frieden einzusetzen. Es ist ein Verbrechen, einen Angriffskrieg zu führen!
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Den Geflüchteten aus der Ukraine muss schnell geholfen werden. Die Mittel dafür müssen weiter aufgestockt werden. Das ist Solidarität, und die ist richtig.
Meine Damen und Herren, es ist bekannt, dass die Ampelkoalition massive Hochrüstungspläne hat; dazu komme ich noch. Weniger bekannt ist, welche Kürzungen sie vornehmen möchte. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf sollen die Ausgaben für Humanitäres, für Krisenprävention und Entwicklungspolitik zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder sinken. Die großen sozialen und demokratischen Herausforderungen und die Klimaherausforderungen treten im Vergleich zum Militärischen in den Hintergrund, und das finden wir völlig falsch.
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Auch bei der auswärtigen Kultur- und Bildungsarbeit sind drastische Kürzungen geplant. Beim Goethe-Institut, das in 98 Ländern deutsche Kultur und Sprache fördert, sollen 19 Millionen Euro gestrichen werden.
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Ich bitte Sie! Das können Sie doch nicht ernsthaft als Botschaft hier aussenden, dass Außenpolitik jetzt heißt: Mehr Geld für Waffen, aber weniger Geld für Kultur und Konfliktprävention.
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Das wäre ein verheerendes Signal.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich muss die Bundeswehr in der Lage sein, die Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen; das ist der Auftrag unseres Grundgesetzes.
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Aber die geplante Beschaffung von zum Beispiel 35 Atombombern hat nichts mit Verteidigung zu tun. Das sind Angriffswaffen.
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Deutschland hat den siebtgrößten Rüstungsetat der Welt. Er ist in der Amtszeit von Angela Merkel um 50 Prozent aufgestockt worden und so groß wie der von Frankreich. Wenn die Hochrüstungspläne der Ampelkoalition durchkommen, haben wir den drittgrößten Rüstungsetat der Welt nach den USA und China. Dann fließt fast jeder fünfte Euro aus dem Bundeshaushalt in die Armee.
Ich zitiere:
Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer.
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Dieser Satz steht im gestern veröffentlichten Appell „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“. Binnen weniger Stunden haben sich bereits über 13 000 Menschen angeschlossen: Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Kulturschaffende, Wissenschaftler, Vertreter der Kirchen, Journalisten, Gewerkschafter, Linke, Sozialdemokraten, Grüne, Prominente wie Margot Käßmann, die Schauspielerin Katja Riemann und Bela B von der Musikgruppe „Die Ärzte“. Sie zeigen die Vielfalt derer, die sich den Hochrüstungsplänen von SPD, Grünen, FDP und Union entgegenstellen.
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Das ist keine Randposition. Das ist die Mitte der Gesellschaft, die hier Stellung bezieht.
Das ist ein Appell zum Nachdenken, und es ist ein Aufruf zu einer gesellschaftlichen Debatte. Denn bereits vor dem Ukrainekrieg haben die NATO-Staaten, einschließlich Deutschland, mehr als 15‑mal so viel für Rüstung ausgegeben wie Russland. Die bittere Wahrheit ist, dass dieser Krieg einer Atommacht auch mit noch deutlich höheren Rüstungsausgaben wohl nicht verhindert worden wäre. Ja, wir brauchen umfassende Sicherheitskonzepte, und wir brauchen Schutz vor militärischen Angriffen. Ein Wettrüsten macht unsere Welt aber nicht sicherer, sondern gefährlicher. Das ist eine Lehre aus dem Kalten Krieg. Die müssen wir beachten.
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Die Frage ist: Wo soll das alles enden? Ein Nuklearkrieg – das muss doch völlig klar sein – hätte als Schlachtfeld Europa. Das ist die reale Gefahr.
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Liebe Sozialdemokraten und liebe Grüne, was Sie einmal mit der CDU/CSU ins Grundgesetz bringen, das kriegen Sie ohne die nie wieder raus. Ich appelliere an Sie, an Ihr Gewissen: Lassen Sie das bleiben! Sie haben in der Rede von Herrn Merz gehört, wo das jetzt hinführt. Wir möchten das nicht. Wir appellieren an Sie: Keine Aufrüstung ins Grundgesetz! Kein Wettrüsten mit Verfassungsrang!
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht doch mal wieder eine Bemerkung: Wenn man seine Maske so aufsetzt, dass sie alle fünf Sekunden unter die Nase fällt, könnte man auf die Idee kommen, sie ein kleines Stück höherzusetzen; dann fällt sie nämlich nicht so schnell wieder runter, und dann müssen wir auch nicht ständig darüber reden.
Als Nächstes erhält das Wort für die Grünen Jamila Schäfer.
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir im Herbst den Koalitionsvertrag miteinander verhandelt haben, da haben wir uns in die Hand versprochen, die Koalition zu sein, die Krisen nicht länger aussitzt, sondern sie anpackt. Diesem Anspruch wollen wir gerecht werden, und das gilt natürlich auch für diese Haushaltsberatung.
Die beste Krisenbekämpfung setzt an, bevor die Krise entsteht. Teurer als Investitionen in die Diplomatie, die Krisenfrüherkennung und die Krisenvorsorge sind die Krisen, die wir nicht bekämpfen und nicht verhindern. Darum muss Vorsorge die Leitlinie unserer werteorientierten Außenpolitik sein.
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Wir dürfen also weder zu spät anfangen, über Sicherheit nachzudenken, noch dürfen wir Sicherheitspolitik zu eng fassen. Sicherheit bemisst sich auch, aber nicht nur an den Fähigkeiten der Bundeswehr. Sicherheit schaffen zum Beispiel auch unsere Goethe-Institute und politischen Stiftungen als Anlaufstellen für gefährdete Menschenrechtsverteidiger/-innen in Autokratien. Sicherheit schafft auch, dass wir jetzt Nachhaltigkeit und Menschenrechte zur zentralen Priorität der deutschen Außenpolitik gemacht haben. Und dass wir diese Ziele in den letzten Monaten so klar und glaubwürdig wie fast noch nie nach vorne gestellt haben, ist auch ein entscheidendes Verdienst unserer Außenministerin Annalena Baerbock. Vielen Dank dafür!
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Schon 100 Tage nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages haben sich die Vorzeichen dieser Regierungsarbeit durch den Angriffskrieg Putins komplett verändert. Diesen neuen Herausforderungen müssen wir jetzt natürlich auch in diesem Haushalt Rechnung tragen. Die 350 Millionen Euro für humanitäre Hilfe für die Ukraine sind ein Anfang. Sie ermöglichen die Erstversorgung der Kriegsopfer. Doch es bedarf an dieser Stelle natürlich einer langfristigen Unterstützung.
Vor diesem Hintergrund müssen wir auch noch mal verstärkt über die Östlichen Partnerschaften sprechen und in diese investieren; denn gerade jetzt müssen wir ja denjenigen den Rücken stärken, die sich unter höchsten persönlichen Risiken Putins Regime und seiner Propaganda entgegenstellen. Ich finde, ehrlich gesagt, da ist noch ein bisschen Luft nach oben, wenn wir bisher erst 19 Stipendien für belarussische Studierende und Wissenschaftler/‑innen finanziert haben.
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Diese mutigen Menschen verdienen mehr. Sie verdienen es, Sprachrohr für die Demokratisierung sein zu können, ohne um das eigene Leben fürchten zu müssen. Sie verdienen angemessen finanzierte Programme, um ihre wichtige Arbeit fortführen zu können, und sie verdienen es, uns eben als verlässliche Partner an ihrer Seite zu haben.
Zu einer werteorientierten Außenpolitik gehört es aber auch, sich nicht einfach von einer Krise in die nächste treiben zu lassen. Nach 20 Jahren Einsatz in Afghanistan unter deutscher Beteiligung gilt es, hier auch weiterhin Verantwortung zu übernehmen, das heißt, die gefährdeten Ortskräfte und ihre Familien in Sicherheit zu bringen, aber eben auch, das Land selbst nicht abzuschreiben. Darum ist es absolut richtig, dass weiterhin Mittel für die Menschen in Afghanistan bereitgestellt werden.
Ich komme zum Schluss. – Außenpolitik braucht eine solide Basis und Planungssicherheit – gerade in diesen Zeiten. Das ist zentrale Aufgabe dieser Haushaltsaufstellung. Dafür zähle ich auf Sie; dafür zähle ich auf uns, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächster erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Alexander Radwan.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Wir führen heute eine Debatte zum Etat des Auswärtigen Amts unter dem Eindruck der Ukrainekrise, in der Krieg, Not, Tod und Flucht wieder Realität in Europa sind. Wir von der Union werden die Regierung bei der Bewältigung dieser Krise und der Herbeiführung von Frieden in Europa unterstützen, wo wir können. Das ist unser gemeinsames Ziel.
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Der Bundeskanzler hat an dieser Stelle von „Zeitenwende“ gesprochen. Ich sage: Willkommen in der Realität! Aber für viele hier in diesem Hause ist es eine Zeitenwende in der eigenen Politik, gerade wenn ich Kollegen hier anschaue und an deren Äußerungen zur NATO, zur Bundeswehr, zur atomaren Teilhabe in den letzten Jahre denke.
Ich hoffe, Frau Ministerin, dieses 2-Prozent-Ziel wird für unsere Bundeswehr nachhaltig sein. Denn wir müssen zukünftig – das haben wir ja gelernt – in der NATO verstärkt Verantwortung übernehmen. Wir müssen einen elementaren Beitrag dazu leisten, dass dieser Kontinent sicher ist. Darum brauchen wir eine entsprechende nachhaltige Investition dahinein.
Wichtig sind die Einheit Europas und die Einheit der NATO. Ich als ehemaliger Europaabgeordneter kann hier nur sagen: Der Satz der Gründer der Europäischen Gemeinschaft „Nie wieder Krieg in Europa!“ ist heute mehr denn je gültig. Bei allen Diskussionen, die wir in den letzten Jahren, auch in der eigenen Parteienfamilie, zu bestimmten Ländern geführt haben, bin ich heute froh, dass Polen und Ungarn Mitglied der Europäischen Union sind.
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Der Eindruck, der sich in Brüssel breitgemacht hat, ist, dass Deutschland Bremser ist. Da ging es um die Waffenlieferungen; da geht es um die Frage SWIFT. Frau Ministerin, von Deutschland wird in der Europäischen Union aufgrund unserer Stärke und Größe erwartet, dass wir führen und dass wir Lösungen anbieten, statt diese zu verhindern.
Dann erleben wir – das ist keine Kritik –, dass ein grüner Minister nach Doha, also nach Katar, fährt und dort zwar nicht als Bittsteller, wie manche Zeitungen kommentiert haben, aber eben nicht auf Augenhöhe verhandelt. Das würde ich aber von einem deutschen Minister erwarten: Augenhöhe.
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Aber ich würde auch erwarten, dass wir diese Länder auf Augenhöhe behandeln. Denn das, was wir jetzt ein Stück weit zurückbekommen, hat damit zu tun, wie sie uns in den letzten Jahren empfunden haben. Darum müssen dem, was dort jetzt verhandelt wurde, neue Projekte und neue Kooperationen folgen. Es ist nicht nur Katar, es wird auch Saudi-Arabien sein.
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Ohne die wird es nicht gehen.
Zu dem, was ich vorhin von der Fraktionsvorsitzenden gehört habe, Folgendes: Ja, wir bekommen hoffentlich zukünftig aus Abu Dhabi Grünen Wasserstoff. Das wird ein Stück weit das Klimaproblem lösen helfen; aber die Region ist immer noch die gleiche. Darum sollten wir dort auf Augenhöhe – Sie haben ja in Ihrer Rede gefordert, den Blick zu weiten; ich möchte den Blick weiten – verhandeln und uns entsprechend positionieren.
Sie haben die Strategie angesprochen. Eins haben uns die Ukrainethematik, die Energiethematik und auch das Thema „Lieferketten und Corona“ doch vor Augen geführt: Die europäischen Volkswirtschaften sind anfällig. Schauen Sie sich auch einmal andere Strategien an, wie zum Beispiel die Strategie, die China verfolgt; Stichwort „Seidenstraße“, Stichwort „Technologie und Wirtschaft“. Schauen Sie nach Russland und dessen Strategie in Sachen Militär, Kooperationen und Rohstoffe. Das Gleiche gilt für Afrika und Indien. All dies sind harte Themen, die dazu geführt haben – der Fraktionsvorsitzende Mützenich hat es ja vorhin dargestellt –, dass 50 Prozent der Weltbevölkerung eben nicht auf unserer Seite war, als in der UNO darüber abgestimmt wurde. Wir müssen in unsere Sicherheitsstrategie mit aufnehmen, dass wir zukünftig aus einer Position der Stärke heraus multilateral in vielen Regionen verankert sind.
Ich möchte hier noch eins ansprechen: CETA. Wir haben ja noch nicht einmal die Kraft, mit Freunden in der G-7-Gruppe entsprechende Abkommen zu schließen. Liebe Freunde von der FDP, ich weiß nicht, was der Finanzminister da vorhat. Wollte er nur ablenken, dass er CETA in dieser Regierung nicht durchsetzen kann, oder meint er das mit TTIP ernst? Unsere Unterstützung hat er, und mich würde es freuen, wenn er bei diesem Thema die gleiche Durchsetzungskraft hätte wie beim Thema „Masken und Corona“. Das wäre für Deutschland wichtiger als dieses andere Thema, meine Damen und Herren.
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Deutschland muss ein starker Partner in der Welt sein, der langfristig gefragt ist und aus der Stärke heraus dann auch eigene Werte durchsetzen kann.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Ja, Frau Präsidentin. – Das ist viel eher möglich, als nur mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Welt zu fahren.
Besten Dank.
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Vielen Dank. – Und es folgt für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Nils Schmid.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben Krieg in Europa. Deshalb ist die vordringliche Aufgabe deutscher und europäischer Außenpolitik, diesen Krieg möglichst schnell zu beenden. Ich bin dem Bundeskanzler, der Außenministerin, unseren europäischen Partnern, unseren Partnern in der NATO und unseren Partnern in der Welt dankbar, dass jetzt mit Vollgas, mit voller Kraft daran gearbeitet wird, mit diplomatischen Bemühungen, mit Gegendruck durch Waffenlieferungen – es gehört auch dazu, dass wir militärischen Gegendruck am Boden brauchen – und natürlich mit weitreichenden ökonomischen und finanziellen Sanktionen einen Waffenstillstand und nach Möglichkeit eine politische Lösung dieses Krieges zu erreichen.
Und eins ist klar: Das Ergebnis kann kein russischer Diktatfrieden sein, sondern es muss ernsthafte Verhandlungen geben, die auch für die legitime, demokratisch gewählte ukrainische Regierung unter Präsident Selenskyj akzeptabel sind. Wir alle sollten zusammenstehen, diese Bemühungen diplomatisch zu begleiten, zu unterstützen. Ein ganz herzliches Dankeschön an die Bundesregierung dafür.
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Es ist völlig normal, dass wir bei den Sanktionen nachschärfen. Wir müssen uns die Frage stellen: Reichen sie aus? Müssen wir noch eine Schippe drauflegen? Nicht umsonst wird das fünfte Sanktionspaket verhandelt. Wenn wir den Energiesektor betrachten, ist klar: Es geht nicht nur um Öl, Gas und Kohle, es geht auch um Rosatom, den großen russischen Nuklearkonzern, der innerhalb der EU – in Finnland, in Ungarn – Projekte betreibt, der sich an einem französischen Nuklearunternehmen beteiligen will. Es geht natürlich auch darum, immer zu überprüfen: Brauchen wir noch mehr Waffenlieferungen? All das ist jetzt notwendig, um diesen furchtbaren Krieg möglichst schnell zu beenden.
Ich will ausdrücklich anerkennen – das sage ich in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU –, dass wir da gemeinsam im Deutschen Bundestag zusammenstehen. Ich würde mir aber auch wünschen, dass diese Gemeinsamkeit von Dauer ist. Eins muss ich dann schon sagen: Es passt halt nicht zusammen, wenn einerseits aus den Reihen der Union ein sofortiges Ölembargo gefordert wird und andererseits Ministerpräsidenten der Union an Zapfsäulen posieren und sich über steigende Spritpreise beklagen. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren.
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Ja, es ist eine Zeitenwende. Ja, das bedeutet auch eine Neujustierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik; aber das ist keine völlige Kehrtwende, keine Aufgabe der Prinzipien. Wir bleiben im Rahmen von Dialog und Abschreckung, stärken Abschreckung – militärisch, nichtmilitärisch –, die Widerstandskraft, aber geben den Dialog auch unter schwierigsten Umständen nicht auf. Man muss natürlich mit denjenigen reden, die die Waffen in der Hand halten, die den Einfluss und die Macht innehaben. Deshalb ist es richtig, dass die Neujustierung, die die Bundesregierung jetzt plant, eine Stärkung der NATO zum Inhalt hat, dass es darum geht, die Ostflanke der NATO mit zusätzlichen Truppen, zusätzlichen Waffensystemen abzusichern. Aber es bleibt auch dabei – das bildet sich auch in diesem Bundeshaushalt ab –: Die ganze Breite der internationalen Verpflichtungen Deutschlands gilt es in den Blick zu nehmen. Dazu gehört auch die Stärkung des Auswärtigen Amtes. Dazu gehört der Aufbau der Personalreserve, der in diesem Bundeshaushalt fortgesetzt wird. Wir haben uns nicht umsonst das 3-Prozent-Ziel vorgenommen. Wir machen Außenpolitik aus einem Guss, und ich bin froh, dass dieser Bundeshaushalt dies auch zum Ausdruck bringt.
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Die Zeitenwende ist aber auch Anlass für uns, darüber nachzudenken, was sich in der Außenpolitik der vergangenen 30 Jahre bewährt hat und was nicht. Die Entspannungspolitik beruhte auf drei Elementen: Es geht um Handel, es geht um Zivilgesellschaft, und es geht um gemeinsame Regeln.
Wandel durch Handel ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Es gehört auch dazu, dies anzuerkennen. Wir müssen auch anerkennen, dass 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt inzwischen in autoritären Staaten erwirtschaftet werden, dass umgekehrt ein Drittel unseres Handels und unserer Investitionen – aus der freien Welt – in autoritär regierten Staaten stattgefunden haben und stattfinden. Das heißt, die Verflechtung hat unglaublich zugenommen, aber der erhoffte Effekt der Liberalisierung, der Friedensbildung hat deutlich nachgelassen. Das wird klar, wenn wir nach Russland schauen. Mit Abstrichen gilt das auch für China.
Damit ist doch die Frage gestellt: Wie schaffen wir es, in dieser neuen Zeit außenpolitisch mit autoritären Regimen umzugehen, die nicht nur nach innen Unterdrückung ausüben, sondern auch nach außen bei Weitem nicht den Status quo anerkennen, sondern aggressiv, militärisch und nichtmilitärisch, ausgreifen, Nachbarstaaten überfallen und die bestehende Weltordnung infrage stellen? Das ist natürlich nicht nur mit Blick auf Russland eine Aufgabe, die wir annehmen müssen, sondern das gilt in einer anderen, aber weitaus umfassenderen Form auch für die Herausforderungen durch China. China ist jetzt nicht das Land, das alle Nachbarn überfällt – manche sagen: noch nicht –; aber China hat Grenzkonflikte mit fast allen Nachbarn, die zum Glück im Moment nicht militärisch ausgetragen werden, und wenn, dann nur sehr selten und beschränkt in den letzten Jahrzehnten.
Aber die Frage muss schon erlaubt sein: Sind wir außenpolitisch ausreichend gewappnet für die Auseinandersetzung mit autoritären Staaten, die auch nach außen aggressiv auftreten? Das ist ja der große Unterschied zu der Entspannungspolitik der 70er-Jahre. Da konnte man noch um des lieben Friedens willen – im wahrsten Sinne des Wortes – hinnehmen, dass das kommunistische Diktaturen waren, solange sie den Frieden in Europa nach den gemeinsamen Regeln bewahrt haben. Man konnte darauf hoffen, durch Wandel und durch zivilgesellschaftlichen Austausch etwas zu ändern. Aber dieses Rezept geht immer weniger auf. Ich glaube, wenn wir über eine Zeitenwende reden, müssen wir auch darüber reden, wie wir diese neuen Herausforderungen noch besser angehen. Am besten mit einer Außenpolitik, die alles zusammennimmt: Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Mittel der Diplomatie.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Genau das werden wir tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort für die AfD-Fraktion Stefan Keuter.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Noch ein Wort zu meinem Vorredner, dem Dr. Schmid, der dieses Schreckgespenst der Chinesen an die Wand gemalt hatte. Ich möchte nur erwähnen, dass die Chinesen seit Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Jahren keinen Krieg angefangen haben. Wenn wir Richtung Westen schauen, sieht das leider anders aus.
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Wir beraten heute aber den Haushalt des Auswärtigen Amtes. Dieser liegt bei 6,6 Milliarden Euro und damit von der Höhe her zwischen dem Etat vom Bauministerium und dem vom Landwirtschaftsministerium. Der Etat vom Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist etwa doppelt so hoch. Da sieht man, welchen Stellenwert die deutsche Außenpolitik für die Bundesregierung nur noch hat.
Schauen wir uns einmal an, was Ministerin Baerbock mit ihrem Budget im laufenden Jahr machen möchte: 1,92 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe – dies natürlich zusätzlich zu dem, was wir schon an Entwicklungszusammenarbeit leisten –;
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863 Millionen Euro Beiträge für die Vereinten Nationen,
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ein Bürokratiemonster, welches die Probleme der Welt durch ihre Sitzungsrituale und Blauhelm-Missionen kaum zu lösen imstande ist; 485 Millionen Euro für Krisenprävention, Stabilisierung und – Achtung – Friedensförderung.
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Davon ist weltweit nicht viel zu spüren. Daran ändern auch die im Haushaltstitel vorgesehenen 250 000 Euro für ein Frauennetzwerk zwischen Deutschland, Lateinamerika und der Karibik nichts, auch nicht die 3 Millionen Euro für den Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina.
Alle Versuche, Länder mit anderen Wertevorstellungen sozusagen auf westlich zu drehen, sind bisher krachend gescheitert. Außenpolitik muss immer den Ausgleich verschiedener nationaler Interessen suchen. Ich sehe leider keine Ausformulierung deutscher Interessen. Schwerpunkte der deutschen Außenpolitik sind derzeit die weltweite Förderung von Genderideologie, demokratischen Initiativen, Klimawandel und Teilhabe.
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Wir müssen akzeptieren, dass unsere westliche Werteorientierung nicht die einzige auf der Welt ist und dass es Staaten gibt, die an ihren Wertesystemen festhalten wollen,
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und wir nicht alle sanktionieren können, die ihre eigenen Werte behalten wollen.
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Frau Ministerin Baerbock, ich hatte große Angst aufgrund Ihrer ganzen Ankündigungen einer feministischen Außenpolitik.
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Wenn ich mir jetzt den Haushalt angucke, bin ich relativ beruhigt. Ich finde hier lediglich Haushaltstitel von circa 20 Millionen Euro und zwei Planstellen im Auswärtigen Amt, eine A-16-Stelle, eine A-14-Stelle. Da sehe ich, dass der Kelch der großen feministischen Außenpolitik an uns vorbeigegangen ist. Oder man könnte auch sagen: Herzlich willkommen in der Realpolitik!
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Es gibt auch böse Zungen, die sagen, die Unglaubwürdigkeit und die Verlogenheit der grünen Politik setze sich hier fort – nicht nur im Auswärtigen Amt, sondern auch, wenn wir auf Minister Habeck schauen, der nach Katar reist. Vor zwei Jahren haben Sie als Grüne noch Katar gescholten und den FC Bayern München, der dort ein Trainingslager abgehalten hatte. Jetzt dachte ich: Der arme Minister! Ihm schien bei der Begrüßung der Schuh aufgegangen zu sein; so tief hat er sich verbeugt.
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Das ist schäbig. Das tragen wir als AfD nicht mit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster Redner in dieser Debatte erhält das Wort Jens Beeck für die FDP-Fraktion.
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Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Keuter, es hat uns alle eigentlich nicht wirklich überrascht, aber Respekt! Wie man in nur drei Minuten Redezeit so deutlich machen kann, dass man zu etwas spricht, wovon man keine Ahnung hat, das ist schon beeindruckend.
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Sie verwechseln Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Aufgaben der humanitären Hilfe. Sie zeigen, dass Sie keine Ahnung davon haben, wie Länder in Lateinamerika und der Karibik aufgestellt sind, und verbinden das mit ein paar Dingen, die Sie in der „Bild“-Zeitung gelesen haben.
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Das ist einer Rede zum Haushalt des Auswärtigen Amtes in diesen Zeiten nicht wirklich würdig, aber im Grunde passt das vielleicht doch auch wieder.
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Sehr geehrte Frau Bundesministerin Baerbock, ich wollte am Anfang eigentlich eine persönliche Bemerkung machen. Nun mache ich sie jetzt: Wir leben in einer Zeit mit Herausforderungen, von denen wir alle geglaubt haben, dass wir in diesem Jahrhundert damit nicht mehr konfrontiert werden. Wir erleben gerade den aggressiven Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, verbunden mit unsäglichem Leid und Tod in Europa, verbunden mit einer unfassbaren Dimension an Vertreibung von Menschen aus ihrem Zuhause. In dieser Zeit wird Deutschland von einer in Wort und Tat empathischen, glaubwürdigen und in der Sprache erfrischend deutlichen Außenministerin vertreten. Ganz herzlichen Dank dafür! Ihr Einsatz wird in Deutschland und in der Welt wahrgenommen und wertgeschätzt.
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Diese großen Aufgaben, derer Sie sich annehmen, bilden sich auch in den Haushaltsansätzen ab. Im Kapitel 0501 bleiben die Mittel für humanitäre Hilfe auf hohem Niveau, für globale Partnerschaften ebenfalls. Und das ist gut und richtig so; denn das erlaubt uns, die zentrale Rolle, die bei immer häufiger auftretenden und immer komplexer werdenden Konflikten in der Welt von uns zu spielen erwartet wird, auch gemeinsam wahrnehmen zu können. Dabei sind jenseits der aktuellen Krisen weitere Ertüchtigungen unserer Strukturen allerdings auch erforderlich, Frau Bundesministerin. Rund um Afghanistan beispielsweise sind unsere Botschaften seit vielen Jahren überlastet.
In meiner Heimatstadt Lingen (Ems) im niedersächsischen Westen lebt ein hochqualifizierter Mann, einer der Facharbeiter, bei denen wir uns freuen, dass sie hier sind. Er ist seit über zwei Jahren mit seiner Frau verheiratet, und seit ebenfalls über zwei Jahren kann sie nicht nach Deutschland einreisen. Das ist inhuman, das ist unwürdig. Da erhoffe ich mir schnelle Abhilfe; und ich bin mir sicher, dass wir gemeinschaftlich daran arbeiten können.
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Die aktuelle Situation ist geeignet, den Blick auf die Kriegssituation in Europa zu fokussieren; das ist auch richtig. Über den Tag hinaus ergibt sich daraus aber auch der Imperativ internationaler Politik, nämlich diejenigen enger zusammenzuführen, die sich einer regelbasierten internationalen Ordnung verpflichtet fühlen und die für demokratische Staatsführung stehen. Dazu, Herr Kollege Keuter, finden wir gerade und auch in Lateinamerika und der Karibik Partner. Deswegen ist es absolut richtig, dass wir im Jahr 2019 eine Lateinamerika- und Karibikinitiative im Auswärtigen Amt gestartet haben. Sie braucht ausdrücklich eine Intensivierung und verdient eine bessere Pflege. So bieten wir diesen Ländern unsere Zusammenarbeit, die sie sehr erhoffen, an und können ihnen auf dem Weg zu unseren gemeinsamen Zielen helfen – übrigens ausdrücklich, Kollege Espendiller, auf Augenhöhe.
Übrigens: Wenn die eine Oppositionspartei sagt, wir würden von oben herab mit anderen Menschen umgehen, und die andere sagt, wir würden uns zu tief verbeugen, dann ist das ein gutes Zeichen dafür, dass unsere Bundesaußenministerin wahrscheinlich genau den richtigen Weg gefunden hat.
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Wir suchen Partner in der Welt und keine Vasallen, noch unterwerfen wir uns selbst.
Die Probleme unserer Zeit lassen sich vielfach nicht mehr national adressieren – nicht beim Klimawandel, nicht bei der Pandemie und der Gesundheitsvorsorge, nicht dabei, den universellen Menschenrechten freiheitliche Geltung zu verschaffen. Wir brauchen verlässliche Partner in der Welt. Wir wollen verlässliche Partner sein. Dieser Verantwortung stellt sich diese Bundesregierung.
Die Aufgaben sind groß und herausfordernd wie selten. Frau Baerbock, die Freien Demokraten sind an Ihrer Seite, wenn wir uns diesen Herausforderungen mit einem vernetzten Ansatz und der Idee des Multilateralismus stellen. Viel Erfolg bei Ihrer weiteren Arbeit in unser aller Interesse!
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Vielen Dank. – Für seine erste, kurze, Rede bekommt jetzt der Abgeordnete Boris Mijatović für die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder, die uns aus der Ukraine erreichen, rütteln uns emotional auf, sind unfassbar, und es geht keine Rede zum Haushalt los, ohne nicht zu appellieren und zu fordern, dass es durch Korridore, die funktionieren, endlich sichere und dauerhafte humanitäre Hilfe gibt.
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Ich bin Annalena Baerbock sehr dankbar für ihren Redebeitrag und opfere eine Minute meiner Redezeit gerne, weil sie klar angesprochen hat, was die Aufgaben unserer Zeit sind. Wenn wir davon reden, dass wir in einer Zeitenwende leben, dann reden wir nicht nur über die Ukraine, sondern auch über andere Krisenländer – über Äthiopien, über den Jemen, über Libyen und Afghanistan – und über Krisen an vielen anderen Orten auf der Welt. Lassen Sie mich hinsichtlich der Zeitenwende deswegen drei Punkte betonen, die aus Sicht der Menschenrechte und der humanitären Hilfe dringend notwendig sind:
Erster Punkt. Wir brauchen starke Institutionen, meine Damen und Herren. Die Menschen fliehen heute nicht nur vor Krieg und Gewalt, sie fliehen auch aus klimapolitischen Gründen.
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Da müssen wir uns aufmachen und diese Institutionen stärken.
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Der Schlüssel dazu sind flexible Mittel. Diese flexiblen Mittel sind ein zentrales Argument, um für diese Herausforderungen gewappnet zu sein; und dafür möchten wir uns auf den Weg machen. Geben wir den Profis das Vertrauen, ihre Arbeit auch wirklich gut aufzustellen!
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Der zweite Punkt ist die Aussöhnung. Auch hier müssen wir uns jetzt schon Gedanken darüber machen, wie es in „post-conflict areas“ weitergeht. Die Ukraine und Russland können nicht für die nächsten 20, 30 Jahre komplett aufgerüstete Staaten in Europa bleiben. Es kann nicht unser Interesse sein, dass Aussöhnung verpasst wird. Wir müssen heute schon anfangen, Fakten für Kriegsverbrechen zu finden und zu sammeln, und wir müssen die internationalen Institutionen wie den Internationalen Strafgerichtshof, aber auch kleinere Einheiten wie die International Commission on Missing Persons wappnen und starkmachen, damit sie diesen Aufgaben gerecht werden können.
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Ein letzter Punkt. Es ist von Claudia Roth gesagt worden – und ich bin ihr sehr dankbar –: Wir brauchen an der Stelle den internationalen Austausch. Jugendhilfe, Jugendaustausch sind die Zukunft, und da müssen wir stark werden, damit Menschenrechte eine Grundlage haben.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
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Ganz herzlichen Dank. – Nunmehr erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Gunther Krichbaum.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es verwundert nicht, dass die heutigen Haushaltsberatungen ganz im Lichte des bestialischen Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine stehen. Herr Gauland redete vorhin von den Fehlern des Westens, weil man die Einflusssphären von Russland nicht respektiert habe. Das ist schon deshalb falsch, weil souveräne Länder grundsätzlich selbst darüber entscheiden, welchen multistaatlichen Bündnissen sie sich anschließen; sie haben ihr Schicksal selbst in der Hand.
Selbst das ist aber irrelevant in dem Moment, in dem Bomben auf unschuldige Menschen geworfen werden, Geburtskliniken, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten zerschossen werden. Dann gibt es keine Neutralität mehr.
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Es ist doch schon längst kein Krieg „Armee gegen Armee, Militär gegen Militär“ mehr. Es ist ein Krieg der russischen Armee, des sie befehligenden Präsidenten gegen die Zivilbevölkerung; es ist ein Krieg gegen die Menschen. Mariupol und andere Städte werden eingekesselt. Es ist das Schlagwort der humanitären Katastrophe darauf angewandt worden. Ich glaube, es gilt, das ein Stück weit zu übersetzen: Es gibt keinen Strom mehr. Es gibt keine Wärme mehr; die Temperaturen nachts fallen unter den Gefrierpunkt. Es gibt keine Nahrungsmittel. Es gibt kein Trinkwasser; Menschen dehydrieren. Noch vor wenigen Tagen haben die Menschen den Schnee geschmolzen, den es jetzt aber aufgrund der Temperaturen gar nicht mehr gibt. Sie trinken das Wasser aus verbliebenen Pfützen, sie trinken das Wasser aus den Heizungsrohren. Von den sanitären Umständen ganz zu schweigen! – Wir machen uns in Deutschland kein Bild davon! Grüne Korridore, die es erlauben würden, dass die Flüchtlinge die Stadt verlassen können, werden von Russland verweigert.
Es ist nicht nur eine Entvölkerungsstrategie, es ist ein Vernichtungskrieg, der hier geführt wird. Deshalb müssen die Sanktionen deutlich und spürbar verschärft werden. Solange Gas fließt, fließt auch Geld. Geld, das in die Kriegsmaschinerie von Putin geht. Deshalb: Setzen Sie die Forderungen der Union um, und sanktionieren Sie! Schließen Sie Nord Stream 1! Setzen Sie die größte russische Bank, die Sberbank, auf die Sanktionsliste! Begleichen Sie die Rechnungen, wie es Christoph Heusgen, der neue Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, eingefordert hat, mit Überweisungen auf ein Treuhandkonto!
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Doch was macht die deutsche Bundesregierung? Sie zaudert, und sie zögert. Frau Baerbock, die Bundesregierung sitzt im Bremserhäuschen. Das war bei Waffenlieferungen so, das war bei SWIFT so und zuletzt auch hier, als der Deutsche Bundestag peinlicherweise eine Aussprache nach dem flammenden Appell von Selenskyj verweigerte. Es war ein kollektives Versagen, das wir hier erlebten.
Es mangelt an allem, es mangelt aber auch an Waffen. Ich darf mit der Erlaubnis der Präsidentin aus einem Statement der Präsidialadministration der Ukraine zitieren:
Es mangelt stark an Waffen. Wir haben Dutzende, Tausende von mobilisierten Freiwilligen, die bereit wären, zu kämpfen. Aber sie haben keine Waffen. Grob gesagt: Pro sechs kampfbereiten Freiwilligen gibt es nur ein Gewehr. Wichtig ist nicht nur, die Waffen zu haben, sondern sie auch rechtzeitig zu bekommen. Hätten wir genug davon, auch von schweren Waffen, könnten wir schon längst Konterattacken starten. Denn den Russen fehlt es vor allem an Munition, Benzin, Essen. Wir haben bloß nicht genug Waffen, um diese Konterattacken zu starten.
So weit der O‑Ton aus der Ukraine selbst. Nehmen wir es ernst! Die Enttäuschung der Ukraine über die deutsche Bundesregierung – es muss so offen ausgesprochen werden – sitzt knochentief. Knochentief!
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Überdies: Die Bundesregierung ist auch nicht in Europa wahrnehmbar. Macron ist der Taktgeber. Herr Scholz, Sie brauchen ja nicht unbedingt Angela Merkel zum Vorbild nehmen;
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aber Helmut Schmidt wäre schon zupackender gewesen. An dieser Entschlossenheit fehlt es.
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Ich höre immer wieder: Die ukrainische Armee kann diesen Krieg nicht gewinnen.
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Es wird nur in eine Richtung spekuliert, nämlich: Wie viele Tage wird es wohl dauern, bis die Ukraine tatsächlich zusammenbricht? – Meine Gegenfrage ist: Warum sollte die Ukraine diesen Krieg eigentlich nicht gewinnen können?
Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Ja, bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege, Sie haben ja davon gesprochen, die Bundesregierung würde zu wenig Waffen liefern. Ich würde gerne von Ihnen wissen: Können Sie mir erklären, warum die Bundeswehr, obwohl der Verteidigungshaushalt schon in den letzten Jahren ja durchaus gestiegen ist, überhaupt keine Waffen hat, die sie liefern kann? Ist Ihnen bekannt, dass es viele Überlegungen gab, Waffen zu liefern, dass aber die Bundeswehr uns gesagt hat: „Wir können diese Waffen nicht liefern; denn wir haben sie nicht“? Welche Waffen sollte die Bundesregierung also liefern, wenn die Bundeswehr – unter anderem nach Aussage des Generalinspekteurs – blank ist?
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Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Zwischenfrage, weil sie mir Gelegenheit gibt, das etwas ausführlicher zu sagen und darzustellen. Es war die deutsche Bundesregierung, die sich beharrlich geweigert hat, andere europäische Länder, die lieferbereit waren, liefern zu lassen. Deswegen diese Verzögerungen. – Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt: Die Industrie kann liefern. Hier auf dieser Bank sitzt die Bundesregierung; sie muss nur Ja dazu sagen.
Ich möchte eines hier durchaus differenzieren. Es war Wirtschaftsminister Habeck, der schon vor Monaten gesagt hat: Wir müssen bereit sein, auch diesen „Schwarzen Schwan“ neu zu denken, dass wir also auch Waffen in eine Krisenregion liefern. – Wir können hier nicht zuschauen, wie eine ganze Region, ein ganzes Land vor die Hunde geht!
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– Bitte bleiben Sie noch stehen. – Dieser Realitätssinn hat seitens der Bundesregierung gefehlt, und dieses Fehlen kostet Menschenleben – jeden Tag, jede Stunde! Deswegen liegt es an uns, zu handeln, an dieser Bundesregierung, zu handeln! Dass sie das nicht tut, ist nicht länger hinnehmbar.
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Deshalb bitte ich auch Sie alle, die Sie diese Bundesregierung tragen: Setzen Sie sich dafür ein, dass endlich entschlossener gehandelt wird, damit die Menschen dort nicht zugrunde gehen!
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Ganz herzlichen Dank. Die Frage ist beantwortet.
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Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir müssen mehr tun, um die Ukraine zu stützen. Die Ukrainer sind kampfbereit, sie sind widerstandserprobt. Ein Satz auch noch dazu, weil es oft in Vergessenheit gerät: Die Ukraine hat schon im letzten Jahrhundert unter Russland gelitten. Der Holodomor, der hier in Deutschland nur wenigen etwas sagt, sagt in der Ukraine jedem Kind etwas. Stalin hat systematisch Städte ausgehungert. Nach den untersten Schätzungen gab es 3 Millionen Tote, nach den oberen das Doppelte. Die Ukrainer möchten sich widersetzen und Widerstand leisten. Wir sollten sie nicht alleine lassen.
Ein Letztes: Es wird sich auch die Frage stellen, wer für die angerichteten Schäden einzustehen hat. Natürlich könnte man sagen: ein internationaler Fonds. Das ist die eine Möglichkeit; dann zahlen auch die Steuerzahler. Oder man wendet das Verursacherprinzip an; das heißt: Russland selbst muss herangezogen werden, seine Devisenreserven. Wir sollten jetzt auch völkerrechtlich alle Möglichkeiten überprüfen, die es erlauben, Russland in Haftung zu nehmen für die entstandenen Schäden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege Frank Schwabe.
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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Eigentlich wäre das jetzt nicht Teil meines Redebeitrages gewesen, aber man soll ja hier auch aufeinander eingehen, nachdem Sie, Herr Krichbaum, das hohe Loblied auf die Außenpolitik der Union gesungen haben. Wir sind uns doch, glaube ich, einig, dass wir wollen, dass die Europäische Union zusammenhält, und dass wir manchen Ländern Perspektiven geben müssen, die sonst in andere Einflussbereiche abzugleiten drohen. Wie passt es dann eigentlich, dass Sie persönlich, wenn ich es richtig verstanden habe, in den letzten Jahren auf den Westbalkan gefahren sind, um Albanien und Nordmazedonien von einem Beitritt zur Europäischen Union abzuhalten, und ihnen eben nicht die Beitrittsperspektive eröffnet haben?
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Also, vielleicht wäre es gut, auch ein bisschen Selbstkritik an dieser Stelle zu üben.
({1})
In diesen Stunden, in diesen Minuten werden wir Zeuginnen und Zeugen von Kriegsverbrechen. Kinder in Mariupol drohen zu verhungern und zu verdursten. Wir mussten die schrecklichen Berichte des griechischen Konsuls zur Kenntnis nehmen, der davon geredet hat, dass Leichenteile auf den Straßen liegen.
Deswegen will auch ich mich ganz herzlich bei der Außenministerin stellvertretend für die gesamte Bundesregierung bedanken für das, was Sie tun. Ich weiß, dass das auch Ihnen am Herzen liegt; aber es ist wahnsinnig wichtig, dass wir alles tun, um Kriegsverbrecherinnen und Kriegsverbrechern das Handwerk zu legen und um sie zu bekommen. Ob dazu der Internationale Strafgerichtshof das richtige Instrument ist oder andere Instrumentarien oder ob wir Sonderinstrumentarien brauchen, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten prüfen müssen. Aber wir müssen jetzt das Signal an die Kriegsverbrecherinnen und Kriegsverbrecher ausgeben: Wir werden alles versuchen, euch zu bekommen. – Für die Ukraine, aber auch für den Rest der Welt.
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Es ist in der Tat eine Zeitenwende – viele haben es beschrieben, der Bundeskanzler auch –, die mit dem russischen Angriffskrieg verbunden ist. Aber wir leben ja schon seit Längerem in einer Zeit der Krisen. Es ist der Klimawandel, es sind Kriege und Bürgerkriege in Syrien, im Jemen, in Myanmar, Venezuela, Kolumbien, die uns beschäftigen.
Deswegen ist es richtig, eine militärische Antwort zu geben; es geht ja gar nicht anders. 100 Milliarden Euro, das wird sein müssen. Nicht, weil wir uns darüber freuen, sondern weil wir die Einsicht haben, dass das sein muss. Und das will ich dann auch noch mal sagen: Es ist wichtig, dass wir das historisch schultern, denn – Herr Merz, Sie haben ja heute auch lange Linien der deutschen Politik aufgezeichnet – am Ende wird man zurückgucken auf diese Zeit, und man wird sich fragen: Wer ist am Ende verantwortlich gewesen, diese 100 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen und zu schultern? Und da wird es dann wahrscheinlich nicht um Spiegelstrichfragen gehen, sondern um diese ganze lange Linie. Lassen Sie uns das wirklich gemeinsam organisieren!
Aber es geht nicht nur um diese 100 Milliarden Euro, sondern es geht eben auch um humanitäre Hilfe, um Entwicklungszusammenarbeit, um Krisenprävention – jetzt in der Ukraine, aber auch in anderen Teilen der Welt. Ich habe mir die Zahlen heute noch mal angeguckt, und es ist wirklich unfassbar – ich habe hier oft darüber geredet –: Die Zahlen werden jedes Jahr höher. Wir haben einen Bedarf von ungefähr 42 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe weltweit; im letzten Jahr war er ein Stück weit niedriger, aber er ist in den letzten Jahren immer mehr gewachsen. Wir jedoch sind nicht in der Lage, zumindest die Hälfte der Bedarfe zu befriedigen. Das wäre weniger als das, was wir jetzt im Bundeshaushalt für die Verteidigung drinstehen haben. Die Welt ist also nicht in der Lage, das entsprechend zu organisieren. Wir haben in Somalia die Situation, dass 5, 6, 7 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind und wir weltweit nicht mal 3 Prozent der Needs, der Notwendigkeiten abdecken können. Deswegen: Lassen Sie uns alles tun!
Ich finde wirklich, man kann das so sagen: Deutschland ist in den letzten Jahren Weltmacht geworden im Bereich der humanitären Hilfe. Wir sind überall. UNICEF ist genannt worden, aber auch bei vielen anderen Organisationen sind wir auf Platz zwei oder Platz drei der Beitragszahler. Lassen Sie uns alles tun, das Signal zu geben: Wir brauchen militärische Stärke, wir brauchen aber auch die zivile Antwort in Form von Krisenprävention, humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit. Auch dieses Signal muss von diesem Bundeshaushalt ausgehen.
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Wir müssen alles tun, um zivile Instrumente und die humanitäre Hilfe zu stärken. Vor allen Dingen müssen wir uns aber als Demokratie stark machen. Wenn wir schon richtigerweise beschreiben, dass es nicht um einen Konflikt zwischen Völkern geht, sondern um einen Konflikt von Systemen, von Diktaturen und Demokratien, über Freiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit, dann lassen Sie uns doch jetzt alles tun, um die Institutionen zu stärken, die dafür stehen:
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die Europäische Union, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und eben auch der Europarat.
Wir haben Russland aus dem Europarat rausgeschmissen, und zwar sehr schnell.
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Ich will es hier noch mal sagen, damit sich da sozusagen keine Märchen festsetzen: Russland ist nicht freiwillig ausgetreten, sondern sie haben versucht, noch einen Marketing-Coup zu landen. Wir haben sie rausgeschmissen,
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und zwar mit einer einstimmigen Entscheidung der Parlamentarischen Versammlung und am Ende auch mit einer einstimmigen Entscheidung im Ministerkomitee. Das war richtig und notwendig.
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Aber jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen. Wir müssen begreifen, welche Rolle solche internationalen Institutionen spielen. Wenn ich über den Europarat rede – und ich rede häufiger darüber –, dann habe ich immer den Eindruck, dass man erst mal Nachhilfe leisten und erklären muss, was er ist, und das ist eigentlich total bitter. Denn es ist die europäische Institution, die für Menschenrechte, für Gerechtigkeit, für Rechtsstaatlichkeit und für Demokratie steht. Sie steht für all das, von dem wir glauben, dass es entsprechend zu stärken ist.
Im Namen von vielen Kolleginnen und Kollegen aus fast allen Fraktionen, die dort mit dabei sind – Armin Laschet ist ja stellvertretender Leiter der deutschen Delegation –, sage ich: Lassen Sie uns alles tun, um den Europarat zu stärken, ihn jedenfalls nicht zu schwächen. Es fehlen 34 Millionen Euro dadurch, dass Russland seine Beiträge nicht mehr zahlen wird. Ich wünsche mir und stelle mir vor, dass wir von Deutschland ausgehend eine internationale Initiative starten mit dem Ziel, dieses Geld zu substituieren, diesen Anlass aber auch nutzen, diese Institution insgesamt zu stärken. Ich weiß, dass sich da bei der Außenministerin das Herz öffnet, weil sie selbst einmal Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats war. Lassen Sie uns das gemeinsam hier im Deutschen Bundestag tun.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort für die AfD-Fraktion Markus Frohnmaier.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die links-gelbe Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine wertebasierte und feministische Außenpolitik festgeschrieben. Jetzt liefert sie Waffen in die Hände weißer, heterosexueller Männer in der Ukraine. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag auch einen Gender-Aktionsplan für die ganze Welt angekündigt, und jetzt entsendet sie Robert Habeck zum Kniefall nach Katar. Einen Gender-Aktionsplan hat Herr Habeck nicht im Gepäck, aber dafür eine Einkaufsliste für Flüssiggas.
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Dank Habeck wissen wir jetzt auch, dass das Imperium des Bösen Russland ist und Katar eine Musterdemokratie nach westlichem Vorbild – mit kleinen Abstrichen.
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Erlauben Sie eine Frage aus der CDU/CSU-Fraktion?
Da kann nichts Normales kommen. Ich würde gerne weitermachen.
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Die Abstriche sehen so aus: Katar hält Gastarbeiter wie Sklaven. Frauen dürfen ohne Erlaubnis ihres Ehemanns nicht mehr arbeiten. Katar finanziert islamistische Terroristen. In Katar werden Menschen öffentlich ausgepeitscht. Meine Damen und Herren, wer sich immer gefragt hat, was eigentlich diese wertebasierte und feministische Außenpolitik ist, der bekommt heute die Antwort: Es ist eine verlogene und prinzipienlose Politik.
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Sie haben auf der diplomatischen Bühne völlig versagt. Schon in der Vorgängerregierung gab es keinerlei Bemühungen um eine gemeinsame Umsetzung der Minsker Abkommen. Im Gegenteil: Statt Druck aufzubauen, wurden trotzdem Milliardenbeträge – auch bilateral – in die nach wie vor korrupte Ukraine überwiesen. Gleichzeitig wies man Moskau mit Bildern des linken Gesellschaftsumbaus – mit Transgender-Einhörnern vor Bundeswehrpanzern – auf die eigene Schwäche hin.
Die deutsche Antwort auf diese Krise kann nur heißen: die Herstellung von Energiesouveränität – dafür brauchen wir Kern- und Kohlekraft –, eine verteidigungsfähige Bundeswehr mit Wehrtechnik made in Germany, die konsequente Ausrichtung der Außenpolitik an den nationalen Interessen Deutschlands und ein starkes Deutschland als Vermittler. Das würde heute gebraucht, aber Sie haben sich frei nach Habeck für eine dienende Rolle und gegen eine souveräne deutsche Außenpolitik für die Bürger hier in Deutschland entschieden.
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Es folgt für die FDP-Fraktion die Kollegin Renata Alt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Frohnmaier, das war eine Rede, die an Absurdität wirklich nicht zu überbieten war.
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Anstatt sich hier damit zu beschäftigen, wie die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik aussieht, sollten Sie sich tatsächlich mit Ihrem eigenen außenpolitischen Handeln in Bezug auf Russland auseinandersetzen.
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Meine Damen und Herren, schon seit vier Wochen führt Russland einen Angriffskrieg in der Ukraine. Seit vier Wochen sterben Menschen in Charkiw, Irpin, Cherson und Mariupol. Jeder vierte Ukrainer und jede vierte Ukrainerin musste mittlerweile fliehen. Davon sind 50 Prozent Minderjährige. Wir beobachten derzeit eine schreckliche humanitäre Katastrophe inmitten Europas. Die genauen Ausmaße dieser Katastrophe kennen wir noch gar nicht.
Trotz des Krieges in der Ukraine dürfen wir aber die Not in den anderen Teilen der Welt nicht vergessen. Was derzeit medial fast keine Erwähnung findet, ist die Lage in Afghanistan. Knapp sechs Monate nach dem Zusammenbruch der Regierung und dem Abzug der westlichen Truppen sind die Menschen in Afghanistan dringend auf Hilfe angewiesen. Ein Drittel der Bevölkerung in Afghanistan ist von Unterernährung bedroht.
Noch viele weitere humanitäre Krisen laufen derzeit unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit oder bahnen sich an. In Somalia leiden die Menschen unter der katastrophalen Dürre, im Jemen unter den Folgen eines verheerenden Stellvertreterkrieges. Noch nie war der Bedarf an humanitärer Hilfe so groß wie zurzeit, sagt die Europäische Kommission. Unser Ziel muss aber sein, humanitären Krisen vorzubeugen und Menschenrechte nachhaltig zu schützen.
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Schon bevor humanitäre Hilfe nötig wird, bevor ein Konflikt ausbricht, muss agiert werden. Wir brauchen deshalb eine kluge und vorausschauende Diplomatie. Wir werden auch weiterhin dort helfen, wo unsere Hilfe nötig wird – aber bitte nicht mit der Gießkanne. Uns ist es wichtig, dass die Organisationen unterstützt werden, die das größte Know-how haben und die vor Ort am besten helfen können.
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Deutschland ist die zweitgrößte Gebernation weltweit, wenn es um die humanitäre Hilfe geht. Darauf können wir stolz sein.
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Ich wünsche mir aber, dass wir auch dementsprechend weltpolitisch mitgestalten. Frau Bundesministerin, Sie machen einen guten Job. Ich bin mir sicher, dass Sie sich hier auf dem Gebiet auch noch durchsetzen werden.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Ja, Frau Präsidentin. – Mit diesem Haushaltsentwurf werden wir sicher auch in der Zukunft unserer Rolle international gerecht werden.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Carsten Körber.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es herrscht Krieg in Europa. Stand heute dauert der Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, exakt vier Wochen. Seit einem Monat töten russische Raketen, Bomben und Granaten. Sie töten Frauen, Kinder, junge und alte Männer, unschuldige Zivilisten und Soldaten. Die Opfer Wladimir Putins gehen in die Zigtausende. Zu diesen Opfern zähle ich ausdrücklich auch die einfachen russischen Soldaten. Ihre Befehlshaber haben ihnen gesagt, es gehe ins Manöver, und plötzlich fanden sie sich in einem Krieg gegen Brüder, gegen Freunde, gegen Verwandte wieder. Für eine solche Tragödie die richtigen Worte zu finden, ist wahrlich nicht leicht.
Sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Frau Baerbock, die Art und Weise, wie Sie als Außenministerin unser Land in den vergangenen Wochen repräsentiert haben – sei es auf einer Pressekonferenz mit dem notorischen Lügner und russischen Außenminister Lawrow, sei es vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen –, Ihr Auftreten, aber auch Ihre klaren Worte haben unserem Land zur Ehre gereicht. Dafür danke ich Ihnen.
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Eine solche Klarheit in der Sprache, eine solche Haltung und eine solche Präsenz würde ich mir allerdings auch vom Bundeskanzler wünschen.
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Was Bundeskanzler Scholz hier abliefert – oder eben auch leider nicht abliefert –, verletzt beinahe schon die Würde des Amtes.
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Wo ist der Bundeskanzler? Wo ist seine politische Führung? Wo war er am vergangenen Donnerstag? „Schande“, „Blamage“, „Tiefpunkt“, „würdelos“, „zum Fremdschämen“, so lauteten am Freitag vergangener Woche die Schlagzeilen zum Abtauchen des Bundeskanzlers nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Das muss man erst mal fertigbringen: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird in aller Öffentlichkeit von einem Staatsoberhaupt in höchster Not persönlich angesprochen. Und was tut der Kanzler? Nichts. Er sitzt mucksmäuschenstill auf der Regierungsbank. Es wäre Scholz’ moralische Pflicht gewesen, dem ukrainischen Präsidenten direkt zu antworten.
Warum hat der Bundeskanzler nicht reagiert? Ich verstehe es nicht. Kanzler und Bundesregierung haben doch in den letzten Wochen eine durchaus beeindruckende Reihe von Entscheidungen getroffen, etwa die Zustimmung für das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr. Darauf könnte man doch stolz sein. Warum also dieses Schweigen? Ich kann es mir nur so erklären, dass die Bundesregierung die öffentliche Debatte scheut, damit die Widerstände oder auch die widerstrebenden Interessen innerhalb der Ampelkoalition nicht zutage treten.
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Wir brauchen aber in dieser Zeit eine Regierung, die einig und geschlossen ist, und zwar nach innen und nach außen. Als Bürger dieses Landes hoffe ich wirklich, dass sich diese Koalition noch finden wird.
Ob der Ampel dabei ausgerechnet der aktuelle Haushaltsentwurf weiterhilft, darf gerne bezweifelt werden. Der Finanzminister und sein Staatssekretär haben in der vergangenen Woche den Regierungsentwurf vorgestellt, in unserer Arbeitsgruppe, aber auch im Haushaltsausschuss. Und da war mit Händen greifbar, wem beide politisch näherstehen und mit wem sie lieber regieren wollten, wenn sie denn könnten.
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Aber Regieren ist kein Wunschkonzert, und das lernt die Ampel gerade.
Wir debattieren jetzt den Etat des Auswärtigen Amts. Liebe Frau Baerbock, Sie haben offensichtlich gut mit dem BMF verhandelt. In den Verhandlungen ist für den Einzelplan 05 noch einiges dazugekommen. Aber Knackpunkt bei diesem Einzelplan ist und bleibt der stark abknickende Finanzplan. Da hat sich Finanzminister Lindner leider ein schlechtes Beispiel an seinem Amtsvorgänger genommen. Die Finanzplanung ist allerdings Regierungshandeln; das Parlament, aber auch wir Haushälter haben darauf leider relativ wenig Einfluss. Trotzdem kann ich Ihnen die Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Frage des abknickenden Finanzplans versichern.
Liebe Frau Baerbock, lassen Sie sich bitte von dem vielleicht auch unerwartet klaren und starken Lob zu Beginn nicht täuschen.
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Ihr Auftreten ist zweifelsohne beeindruckend.
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Das heißt aber nicht, dass wir uns in den nächsten Wochen den Etat nicht ganz genau anschauen. Das ist keine Drohung, sondern im besten Sinne ein Versprechen. Ich freue mich auf gute, spannende, konstruktive Beratungen über einen neuen Etat – mit alten und neuen Kollegen.
Vielen Dank.
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Als letzter Redner für diesen Einzelplan erhält das Wort für die SPD-Fraktion Christian Petry.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Körber, ich habe die Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden heute Morgen gehört. Ich bin froh und stolz, dass wir eine Ampelregierung mit dem Sozialdemokraten Olaf Scholz an der Spitze haben, die besonnen handelt.
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Sie versuchen hier, mit Geschichten, die Sie ständig wiederholen, die Regierung in ein anderes Licht zu rücken. Aber das wird Ihnen nicht gelingen.
Wir führen diese Debatte im Zeichen des Krieges. Das ist eine sehr schwierige Debatte. Wesentliches Ziel des Auswärtigen Dienstes – so steht es im Haushaltsentwurf – sei der „Aufbau eines vereinten Europas“; Punkt fünf der Aufzählung vorn. „Sicherheit im Wandel“ bedeutet auch eine Neuausrichtung Europas durch Wiederaufbauprogramme – Stichwort „Next Generation EU“ –, Solidarität statt Austerität, mehr Transfer und eine ausgeglichenere Lebensqualität in Europa. Das sind die Ziele. Jetzt sind wir mitten im Krieg. Trotzdem sind diese Ziele immer noch sehr wichtig.
Ich bin stolz auf die Hilfsbereitschaft und auf die Solidarität, die wir schon in der vorangegangenen Pandemie in Europa zeigen konnten. Diese Solidarität hilft uns jetzt auch in der Krise bei der Unterstützung der Flüchtlinge. Die Aufnahmebereitschaft von Ländern wie Polen, Ungarn, der Slowakei, Tschechien, aber auch Rumänien und Moldawien ist sehr hoch. Ich würde mich freuen, wenn wir auf europäischer Ebene nun ein dauerhaftes Aufnahmeszenario für die Geflüchteten aus aller Welt hinbekommen. Das ist bisher nicht gelungen. Aber auf dramatische Weise haben wir nun die Möglichkeit, das zu schaffen; und ich denke, dies wird auch gelingen.
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Dafür braucht die Europäische Union eine ausreichende finanzielle Ausstattung; darüber werden wir auch reden müssen. Der Haushaltsentwurf, den das Auswärtige Amt vorgelegt hat, beinhaltet auch Möglichkeiten über das hinaus, was wir beredet haben.
Wir wollen in den einzelnen Gesellschaften positiv wirken. Hierfür haben wir das Goethe-Institut, die Stiftungen, den Europarat; alles ist genannt worden. Sie müssen ausreichend finanziert sein. Sie haben unsere Unterstützung. Man kann auch noch nachlegen; denn wir wollen selbstverständlich die demokratischen Kräfte überall in der Welt – auch dort, wo sie noch nicht zum Zuge kommen – mit diesen, manchmal bescheidenen Möglichkeiten unterstützen. Dafür müssen im Haushalt ausreichende Mittel zur Verfügung stehen. Dafür werden wir uns einsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ein weiteres Thema, das ich ansprechen möchte, ist die Erweiterung der Europäischen Union. Das ist auch in der Krise ein wichtiger Punkt. Die Anträge Moldawiens, Georgiens und der Ukraine sind nachvollziehbar. Es ist gut, dass der Rat sehr schnell beschlossen hat, dass die Kommission einen Vorschlag machen soll, wie wir diese Staaten möglichst zügig an die Europäische Union heranführen und später auch in die Europäische Union aufnehmen können.
Dies müssen wir im Gleichklang mit den Staaten des Balkans tun. Diese haben wir viel zu lange hingehalten. Herr Krichbaum, Sie waren einer von denen, die hingehalten haben; dies hier anders darzustellen, war schon sehr interessant zu hören. Wir brauchen in diesem Jahr die Beitrittskonferenzen mit Nordmazedonien und Albanien. Wir müssen uns hinsichtlich der Frage der Visaliberalisierung auf dem Balkan einigen. Wir müssen Bosnien-Herzegowina stabilisieren. Und wir müssen ein ernstes Wort mit Serbien reden; denn der russische Einfluss dort ist relativ groß. Auch das muss hier gesagt werden.
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Michael Roth – ich sehe, er ist da – hat hier sehr viel Vorarbeit geleistet; diese wird fortgeführt. Ich bin stolz auf deine Arbeit auf dem Balkan, aber auch anderswo. Das ist es, was wir brauchen, liebe Frau Baerbock. Damit – das ist ein starkes Signal – wollen wir die Aufnahmebereitschaft der Europäischen Union unterstützen und mit entsprechenden Programmen sicherstellen.
Ein nächster Punkt ist die Handelspolitik; der Kollege Radwan hat sie angesprochen. Ich bin auch der Meinung, dass wir sehr zügig CETA ratifizieren müssen.
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Denn mit wem sonst als mit der freien demokratischen Welt sollten wir Handelsverträge schließen? Und wir werden auch mit weiteren demokratischen Staaten Abkommen aushandeln und diese an Konditionen wie Arbeitsschutz, soziale Standards und Demokratie binden. Auch das wird eine Stärke der Europäischen Union sein. Da sind wir an Ihrer Seite, liebe Frau Baerbock.
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Ein letztes Thema ist die deutsch-französische Zusammenarbeit, ein Steckenpferd von mir. Hier konnten wir in der letzten Wahlperiode sehr viel erarbeiten; ich nenne Michael Link, Frau Brantner – sie ist im Moment nicht anwesend –, Herrn Jung von der CDU. Ich glaube, das ist sehr wichtig; denn die deutsch-französische Zusammenarbeit ist der Nukleus für vieles, was in Europa passiert. Wenn wir hier auf allen Gebieten gut zusammenarbeiten – und dies noch mit Bürgerbeteiligung –, dann ist das eine Stärke. Ziel muss sein, dass wir künftig nicht mehr von grenzüberschreitender Zusammenarbeit reden, sondern nur noch über Zusammenarbeit und das Wort „Grenze“ weglassen können. Auch das dürfen wir in der heutigen Zeit nicht aus den Augen verlieren.
Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Zeiten ist Solidarität entscheidend. Europa ist solidarischer geworden denn je; das müssen wir nutzen. Die „Einheit in Vielfalt“ in Europa ist eine Stärke, auch um diese Krise zu bewältigen und den Krieg zu stoppen. Dafür setzen wir uns ein. Dafür soll der Bundestag ein deutliches Signal senden.
Glück auf!
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Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es tobt ein brutaler Angriffskrieg mitten in Europa. Es ist ein Krieg, in dem Russland alle zivilisatorischen Werte aufgegeben hat und mit äußerster Brutalität seinen Nachbarn bekämpft. Millionen Menschen sind auf der Flucht, und nur wenige Meter von hier, am Berliner Hauptbahnhof, kommen viele von ihnen an – vertrieben aus ihrer Heimat, in der Krieg herrscht. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder mit ganz kleinem Gepäck. Unzählige Menschen sind ins Elend gestürzt, sind von Todesangst gezeichnet. Viele Menschen sterben.
Es ist ein Krieg – das sage ich klar und mit schwerem Herzen –, dessen Heraufziehen wir nicht rechtzeitig erkannt haben, den wir vielleicht auch nicht wahrhaben wollten und den wir trotz sehr intensiver Bemühungen nicht verhindern konnten. Es ist aber auch ein Krieg, meine Damen und Herren, dem wir nicht tatenlos zusehen und auch nicht tatenlos zusehen dürfen und der deshalb auch zu Recht hier in unserer Haushaltsdebatte sehr intensiv in der Diskussion ist.
Wir haben Russland mit beispiellosen Sanktionen belegt. Und wir unterstützen die Ukraine, wo wir können, seit dem Ausbruch des Krieges auch mit der Lieferung von Waffen und Ausrüstung. Das ist für uns keine einfache Entscheidung gewesen, aber wir haben sie getroffen.
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Und ich weiß, das Interesse ist immer ganz groß: Was wird denn geliefert? Wann wird es geliefert? Wohin wird es geliefert? Aktuell kann man wieder lesen, dass Strelas geliefert werden, und es werden auch weitere Waffen geliefert werden. Aber, meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Verständnis: Das sind Entscheidungen, die im Bundessicherheitsrat geheim getroffen werden. Dabei geht es nicht um eine Formalie, sondern es geht um den Schutz derjenigen, die solche Lieferungen und Transporte durchführen.
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Deswegen bitte ich darum, von öffentlichen Diskussionen darüber, wann, was, wie geliefert wird, abzusehen; denn dann werden diejenigen, die diese Lieferungen durchführen, zur Zielscheibe, und das dürfen wir nicht zulassen. Das dürfen wir nicht zulassen!
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Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Transporte gegebenenfalls zur Zielscheibe von russischen Angriffen werden; denn die betreiben Aufklärung, die beobachten, wo welche Transporte unterwegs sind. Und wenn wir wollen, dass diese Waffen auch tatsächlich in der Ukraine ankommen, dann dürfen wir nicht so darüber reden, dass die Transporte mithilfe der Aufklärung nachvollzogen werden können.
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Bei aller Solidarität mit der Ukraine muss aber auch ganz klar sein, dass die NATO als Verteidigungsbündnis und damit auch Deutschland nicht selbst Kriegspartei werden darf. Darin bin ich mir mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg und unseren amerikanischen Freunden sehr einig; auch im Kreise der EU-Verteidigungsminister sind wir uns darüber einig. Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat es heute Morgen noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt: Wir dürfen als Bündnis nicht Kriegspartei werden.
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Meine Damen und Herren, dieser entsetzliche Krieg zeigt uns allen auch, dass wir in Deutschland mehr für unsere eigene Sicherheit und für die Sicherheit unserer Verbündeten tun müssen. Wir stehen fest an der Seite unserer Verbündeten in Osteuropa, denen Putin schon seit Langem droht. Und diese Drohungen sind ernst zu nehmen. Unsere verstärkte Präsenz an der NATO-Ostflanke ist dabei ein wichtiger Beitrag, und wir leisten ihn gern. Doch wir müssen auch in der Lage sein, ihn leisten zu können. Für Sicherheit, die man sehen und spüren kann, brauchen wir deshalb eine deutliche Steigerung unserer Leistungsfähigkeit.
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Die Bundesregierung hat aus diesem Grund entschieden, ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr einzurichten. Ich sage Ihnen allen: Jetzt stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, dieses Vorhaben auch mit aller Kraft durchzuführen. Und ich nehme Sie alle dafür in die Verantwortung,
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dass die Ausrüstung für die Bundeswehr jetzt auch tatsächlich kommt.
({7})
Meine Damen und Herren, Deutschlands Einsatz für Freiheit und Frieden in Europa hat viele Gesichter. Wir stehen ein für die Ordnung, die uns frei und sicher macht: diplomatisch, humanitär und mit enormem Engagement der Zivilgesellschaft. Deutschland schützt diese Ordnung der Freiheit und des Friedens auch mit seinen Streitkräften, unserer Bundeswehr, mit Soldatinnen und Soldaten, die in den Einsatz gehen, die helfen und schützen und kämpfen, die unseren Partnern und Freunden seit fast 70 Jahren beistehen, die ihr Leben einsetzen, die manchmal einen hohen Preis bezahlen für ihren Dienst an unserem Gemeinwesen, an unseren Werten und die allein durch ihre Anwesenheit oftmals zeigen: Deutschland ist nicht schutzlos, Deutschland steht zu seinen Verbündeten, Deutschland lässt sich durch militärische Drohungen nicht einschüchtern.
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Und jetzt endlich werden wir mit diesem Sondervermögen diese Frauen und Männer der Bundeswehr mit dem ausstatten, was sie benötigen, um genau diesen Auftrag zu erfüllen. Ich höre in diesen Tagen häufig, dass das schon ganz oft versprochen worden sei. Ja, aber jetzt wird auch gehandelt.
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Wir geben unserer Bundeswehr ihre volle Einsatzbereitschaft zurück; denn viel zu lange ist gespart und gekürzt worden.
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Unser Ziel liegt klar vor Augen: Wir brauchen eine Bundeswehr, die in der Lage ist, die klassische Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung ohne Einschränkung wahrzunehmen. Wir machen die Decke, die einfach immer zu kurz war, egal wie sehr man an ihr zog, wieder länger. Wir machen sie endlich ausreichend groß und geben den Soldatinnen und Soldaten damit ein deutliches Zeichen unserer Anerkennung und unseres Respekts,
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ein Zeichen, auf das sie lange gewartet haben, das sie zu Recht erwartet haben und das sie vor allen Dingen verdienen.
Meine Damen und Herren, ich habe in den vergangenen Monaten mit sehr vielen Frauen und Männern unserer Bundeswehr gesprochen: in Litauen, im Irak, in Jordanien, an den Standorten, in der Ausbildung. Keiner von denen will Säbelrasseln, Hochrüstung oder die Militarisierung unseres Lebens, aber alle wollen die richtige Ausstattung, die richtige Ausrüstung für ihren Job. Das fängt bei der Bekleidung an, die zu Kälte, Hitze und Nässe passen muss – das ist keine Hochrüstung; das ist eine Selbstverständlichkeit –,
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und geht weiter mit Schutzwesten und Gefechtshelmen, die das Schlimmste verhindern, wenn es darauf ankommt. Das ist keine Aufrüstung. Das ist einfach nur gute Ausrüstung.
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Das geht weiter mit modernen Funkgeräten, die mit denen unserer Partner kompatibel sind, mit ausreichenden Munitionsvorräten, mit Transporthubschraubern, Luftverteidigungsgerät und Korvetten, die es erst möglich machen, den Verfassungsauftrag der Bundeswehr zu erfüllen, und die es nicht nur auf dem Papier geben darf, sondern die tatsächlich vorhanden sein müssen. Das, meine Damen und Herren, ist keine Militarisierung. Das ist eine Ausstattung, die eine wehrhafte Demokratie braucht,
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um ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen, um nicht erpressbar und ein verlässlicher Bündnispartner zu sein und um handlungsfähig zu bleiben, wenn andere uns bedrohen oder vielleicht sogar angreifen. Dafür nehmen wir diese 100 Milliarden Euro jetzt in die Hand. Ich weiß, das ist viel Geld. Aber es ist genau das Geld, das wir brauchen, um diesen Auftrag erfüllen zu können.
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Ich höre oft: Das allein reicht aber nicht, sondern ihr müsst jetzt auch ans Beschaffungswesen ran. – Ja, selbstverständlich! Da gehen wir jetzt auch ran. Wir sind schon die ersten Schritte gegangen.
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Es gab schon die ersten Entscheidungen im Bundeskabinett, die genau dies betreffen. Ich kann ankündigen: Weitere werden folgen. Da werden wir handeln, und vor allen Dingen werden wir da ohne teure Berater handeln.
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Meine Damen und Herren, wir sprechen bei der Bundeswehr von unserer Parlamentsarmee und unseren Streitkräften, die nur Sie, der Deutsche Bundestag, in den Einsatz schicken können. Aber wenn das so ist, dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass die Männer und Frauen entsprechend ausgerüstet sind. Daher gilt jetzt für uns alle, genau diese Aufgabe zu erfüllen.
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Ich freue mich, dass ich die Wehrbeauftragte Eva Högl da an meiner Seite weiß. Sie hat in ihrem aktuellen Bericht gerade wieder auf Mängel hingewiesen. Heute treten wir an, diese Mängel zu beheben.
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Meine Damen und Herren, ich erwarte von Ihnen, dass Sie dieser Verantwortung nachkommen. Dabei geht es nämlich gar nicht darum, ob ich als Verteidigungsministerin oder ob der Kanzler diese Entscheidung trifft, sondern darum, dass wir diese Entscheidung alle gemeinsam treffen, um zu zeigen, dass wir hinter unseren Soldatinnen und Soldaten stehen, die diese wehrhafte Demokratie verteidigen.
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Das ist unsere Aufgabe. Ich bitte Sie: Machen Sie da mit!
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Kerstin Vieregge das Wort.
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Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zweifelsohne müssen wir uns – als Bundestag und als Gesellschaft – angesichts Putins Angriffskrieges in der Ukraine eingestehen: Wir alle haben Fehler gemacht und waren blauäugig.
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Ohne Wahrnehmung militärischer Bedrohung haben wir die Lehren von Adenauer, Brandt und Schmidt augenscheinlich vergessen. Verhandlungen sollten immer Vorrang haben. Aber – das sehen wir besonders jetzt – ohne eigene hinreichende militärische Stärke ist für ein Unrechtsregime wie in Russland das Nichtverhandeln weiterhin eine Option. Die eigene Schwäche wird von Diktatoren nicht als ausgestreckte Hand verstanden, sondern als Einladung.
Erst nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem russischen Eingreifen in der Ostukraine im Jahr 2014 haben wir wieder begonnen, über die Bedeutung der Landes- und Bündnisverteidigung zu sprechen. Die Sicherheitslage hat sich bereits damals grundlegend verändert. Die Ukraine ist nicht erst seit dem 24. Februar dieses Jahres ein aktiver Kriegsschauplatz.
Auf dem NATO-Gipfel 2014 wurde das kontrovers diskutierte 2‑Prozent-Ziel in den Vordergrund gerückt. Während SPD-Kabinettsmitglieder wie der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Gipfelergebnisse ausdrücklich lobten, bezeichnete der spätere Parteivorsitzende Martin Schulz das 2‑Prozent-Ziel als „falsch und unsinnig“. Bis Mitte Februar 2022 fand diese Aussage breite Zustimmung in der SPD.
({1})
Wir als Union haben immer für eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsetats plädiert und uns damit eindeutig zur Erfüllung des 2‑Prozent-Ziels bekannt.
({2})
Aber die dafür notwendige Steigerung des Verteidigungsetats wurde durch unseren damaligen Koalitionspartner gedeckelt.
({3})
Von der langjährigen Bremsklotzhaltung der SPD bei Themen wie der Fortsetzung der nuklearen Teilhabe und der Bewaffnung von Drohnen will ich gar nicht erst sprechen.
({4})
Am 27. Februar bin ich zunächst der naiven Annahme erlegen, dass der Knoten bei der SPD endlich geplatzt sei. Der Bundeskanzler verkündete eine Zeitenwende in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik. Fortan sollten jährlich mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investiert werden. Zudem sollte zusätzlich ein einmaliges „Sondervermögen Bundeswehr“ mit 100 Milliarden Euro eingerichtet werden.
({5})
– Hat er wohl gesagt; das kann Ihnen Herr Merz gleich zeigen.
({6})
Aber es hat nur wenige Tage gedauert, bis die Bundesregierung zurückgerudert ist. Statt über 2 Prozent plus Sondervermögen reden wir jetzt über 2 Prozent durch Sondervermögen.
({7})
– Schauen Sie doch mal in der Rede nach! – Somit bleibt es zwar ein wichtiges politisches Signal, aber mit scharfer Abrisskante. Eine bedrohungsgerechte und nachhaltige Ertüchtigung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung wird so nicht erreicht.
Zusätzlich gibt es erkennbare Bestrebungen innerhalb der Ampel, die enge Zweckbindung des vorgesehenen Sondervermögens aufzuweichen. Dem ist entschieden entgegenzutreten. Diese 100 Milliarden Euro müssen ausschließlich der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden.
({8})
Wenn der Finanzminister sein Ziel, die Bundeswehr zur wirksamsten Armee Europas zu machen, ernst meint, dann darf sich die Bundesregierung keiner billigen Taschenspielertricks bedienen. Das Sondervermögen ist als Kompensation des Investitionsdeltas der Vergangenheit zu betrachten.
Auch das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro wird nicht ausreichen, um alle vorhandenen Fähigkeitslücken für die Landes- und Bündnisverteidigung zu schließen. Hier bedarf es eines langfristigen Anstiegs der laufenden Verteidigungsausgaben, insbesondere der Rüstungsinvestitionsquote auf mindestens 20 Prozent. Die Rüstungsplanung muss über die kommenden zehn Jahre und damit über die Legislaturperiode hinaus einen verlässlichen Korridor erhalten.
({9})
Gemäß dem heute besprochenen Entwurf für den Einzelplan 14 wird der reguläre Verteidigungshaushalt jedoch bei rund 50 Milliarden Euro eingefroren. Warum?
({10})
Dies begründet die Sorge, wie es wohl mit dem Verteidigungsetat aussehen wird, wenn im Jahr 2027 über die dann vergangenen Jahresscheiben diese 100 Milliarden Euro ausgegeben sein werden.
Mancher mag glauben: Kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht stellt sich die Bedrohungslage wieder als geringer dar. Vielleicht haben wir einen Boom mit höheren Steuereinnahmen. Vielleicht glauben Sie, dass fortgesetzt höhere Verteidigungsausgaben dann das Problem der nächsten Regierung seien.
Wir müssen jetzt die Weichen für eine langfristige Stärkung der Bundeswehr stellen. Die finanzielle Stagnation des Einzelplans 14 ist angesichts der stärker ansteigenden Inflation nicht hinnehmbar.
({11})
Dazu kommen steigende Betriebskosten sowie die zusätzlich zu schaffenden Planstellen. Seriöse Planung erfordert langfristige Finanzierungssicherheit. Erst dann wird die Rüstungsindustrie auch die notwendigen Kapazitäten schaffen und einen Techniker mehr einstellen. Diese Entwicklung wird unserer Bundeswehr und unserer Wirtschaft – und damit insgesamt der Wehrfähigkeit unserer Gesellschaft – mit diesem Regierungsentwurf verweigert.
Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, entsprechend der Ankündigung des Bundeskanzlers zu handeln. Das würde die Übererfüllung des 2‑Prozent-Zieles bedeuten und ein zusätzliches, im Grundgesetz verankertes zweckgebundenes Sondervermögen für die Bundeswehr. Das sind wir nicht nur unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig, sondern auch unseren Verbündeten. Das wäre dann wirklich mal ein deutliches Signal.
({12})
Sehr geehrte Frau Ministerin, in Interviews kundzutun, dass es Sie überrascht habe, wie schlecht es um die Bundeswehr stehe, ist fadenscheinig. Man muss wirklich schon aktiv weggeschaut haben, um die Debatte über den Zustand der Bundeswehr nicht mitbekommen zu haben.
({13})
Dass dies einem langjährigen Kabinettsmitglied so geht, überrascht mich wiederum wirklich.
({14})
Nachdem bereits einige vorgeschobene Plattformentscheidungen getroffen wurden, unter anderem die Beschaffung der F‑35 und der EloKa-Eurofighter, muss aber zwingend sehr zeitnah ein dimensionsübergreifender, bedrohungsgerechter Gesamtansatz vorgelegt werden, der zeigt, wie die bestehenden Fähigkeitslücken in der LV/BV qualitativ sowie quantitativ geschlossen werden sollen.
({15})
Diese Krise erfordert entschlossenes und zielgerichtetes Handeln – ohne ideologische und parteipolitische Scheuklappen. Eine Bundeswehrstruktur zur LV/BV muss her. Die sauber herausgearbeiteten militärischen Handlungsempfehlungen liegen Ihnen bereits vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zu befürchten, dass von der angekündigten Zeitenwende lediglich eine halbherzig umgesetzte, zeitlich begrenzte Erfüllung eines bereits 2014 beschlossenen Zieles übrig bleibt.
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Danke schön.
({17})
Das Wort hat Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht an der Ukraine und auch nicht an der großen Mehrheit der europäischen Staaten gescheitert, Frieden und Sicherheit auf unserem Kontinent gemeinsam über Verhandlungen, Verträge und Vertrauen zu garantieren. Es ist Wladimir Putin, der als Kriegsverbrecher brutal und skrupellos unsere Freundinnen und Freunde in der Ukraine und auch unsere Friedensordnung fundamental angreift; dem es in seiner barbarischen Ideologie völlig egal ist, wie viele unschuldige Menschen in der Ukraine sterben, wie viele Tausende von russischen Soldaten fallen und dass sein Kriegskurs auch den Menschen im eigenen Land massiv schadet.
Wer jetzt meint, der ukrainischen Regierung die Kapitulation nahelegen zu müssen, damit der Kriegsterror endet, der betreibt nicht nur eine Umkehr der Schuld, die schlicht unerträglich ist; so, als ob Wladimir Putin dann mit seiner Aggression aufhört, als ob man ihm danach vertrauen könnte. Eine solche Logik ist nicht einfach nur zynisch, sondern sie ist geschichtsvergessen und dumm.
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Es ist mehr als ein Gebot der Solidarität, die Ukrainer/-innen zu unterstützen; diejenigen, die vor dem Bombenhagel fliehen genauso wie diejenigen, die so unfassbar tapfer gegen ihn kämpfen. Dazu gehören Hilfe für die Geflüchteten, Versorgung der Verwundeten und auch weitere Waffenlieferungen.
Wir müssen auch alles tun, um die weltweite politische Isolation des Kremlregimes zu verschärfen und weitere, noch härtere Sanktionspakete zu schnüren und Lücken zu schließen. Dazu gehört auch, so schnell wie nur irgendwie möglich und verantwortbar, die Energieimporte aus Russland zu beenden. An diesen Fragen arbeiten hier im Parlament, aber vor allem auch in der Bundesregierung Tag für Tag alle mit Hochdruck und größter Entschlossenheit. Gerade weil wir nicht militärisch eingreifen können, ohne einen dritten Weltkrieg in Kauf zu nehmen, müssen wir alles andere umso mehr und umso entschlossener tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Krieg führt uns in aller drastischen Deutlichkeit vor Augen: Eine kluge Realpolitik der Werte begegnet Kriegsverbrechern nicht zaghaft, weil hier ein lukratives Geschäft winkt. Sie schaut nicht aus eigener Bequemlichkeit weg bei Regelbrüchen, bei Aggressionen, bei Gewalt. Eine kluge Realpolitik der Werte stellt sich diesen mit großer Entschlossenheit entgegen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden bestehende Bündnisse wie die NATO und die Europäische Union deutlich stärken. Dass wir unsere militärischen Beiträge zur gemeinsamen Landes- und Bündnisverteidigung im Osten schnell erhöht haben, war ein notwendiger und gebotener Schritt, nicht als Beitrag zu Aufrüstung und Eskalation, sondern zum Schutz der eigenen Bürger/-innen und unserer Verbündeten. Genau dazu braucht es eine gut ausgestattete Bundeswehr. Das fängt bei der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten an, reicht aber natürlich bis zum Schließen von Fähigkeitslücken, zum Beispiel bei der Flugabwehr. Vor diesem Hintergrund hat das Kabinett ein Sondervermögen zur Stärkung der Landes- und Bündnisverteidigung beschlossen, für die Bundeswehr und für eine moderne Sicherheitspolitik, die auch Fragen von Cybersicherheit und Stabilisierung mitdenkt.
So schnell und so entschieden wir sein wollen, müssen wir zugleich auch sorgfältig und pragmatisch sein. Ich kann die Union – einige von Ihnen – einladen, andere auffordern, diese Grundgesetzänderung nicht aus parteitaktischen Gründen zu blockieren, sondern aus staatspolitischer Verantwortung mitzutragen.
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Aber – das sage ich auch in aller Klarheit – dieses Geld ist definitiv nicht dazu da, die bayerische Wünsch-dir-was-Liste eines Herrn Söder zu bedienen.
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Es geht auch nicht darum, abstrakt Prozentzahlen zu erfüllen oder das Geld schnellstmöglich rauszuhauen und so gar einen nächsten Rüstungsskandal zu riskieren. Im Gegenteil: Diese Ampelkoalition hat schon im Koalitionsvertrag eine Wende bei der Beschaffungspolitik angekündigt, hin zu marktverfügbaren, seriösen, schnellen Lösungen, die sicherheitspolitischen Prioritäten und dem Grundsatz eines verantwortungsvollen Einsatzes von Ressourcen folgen.
Zugleich müssen wir aber besser und enger mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten: uns abstimmen, zusammen planen und, wo immer es geht, gemeinsam die gleichen Systeme beschaffen. Wenn in Europa nun viele Staaten investieren, dann darf viel Geld nicht viele nationale Einzelprojekte bedeuten, sondern jeder Euro soll europäische Handlungsfähigkeit und mehr gemeinsame Sicherheit stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit muss uns mehr wert sein. Sicherheit ist auch mehr als nur Militär. Für echte Sicherheit braucht es auch mehr humanitäre Hilfe, mehr Entwicklungszusammenarbeit, eine stark aufgestellte und reaktionsfähige Diplomatie, Cybersicherheit, Zivilschutz, Energiesouveränität,
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um die Folgen dieses grausamen Krieges zu lindern und auch unsere Lehren zu ziehen, damit wir das schützen und stärken, was uns lieb und teuer ist: unsere Sicherheit, unsere Freiheit und unsere Friedensordnung.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Regierungskunst gründet sich auf Vorausschau, und genau an dieser Fähigkeit, der Fähigkeit zur Vorausschau, fehlt es in der deutschen Verteidigungspolitik seit mindestens drei Jahrzehnten. Nun sind auf einmal alle aufgewacht, die Regierung rudert wild mit den Armen, kopflose Hektik macht sich breit. Selbst die Grünen wollen Panzer kaufen.
Wo stehen wir also? Russland hat die Ukraine angegriffen, und auf europäischem Boden tobt ein Krieg. Da fällt auf einmal auf: Ups, die Bundeswehr ist gar nicht verteidigungsfähig. – Meine Damen und Herren, Sie hätten in den letzten viereinhalb Jahren mal auf unsere Kollegen hören sollen. Unsere Verteidigungspolitiker haben Ihnen das immer wieder gesagt und eine bessere Ausstattung der Bundeswehr angemahnt.
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Jetzt sind wir in der Situation, dass wir die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands mit einer Regierung erneuern müssen, die die Verteidigungsausgaben noch kurz vor Beginn des Ukrainekriegs sogar senken wollte.
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Die populistische Ankündigung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr durch Kanzler Scholz war offenkundig auch als Drohkulisse gedacht, um die Russen an den Verhandlungstisch mit den Ukrainern zu zwingen.
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Wirklich gut läuft das leider gerade nicht, und für die deutsche Verteidigungspolitik ergibt sich aus diesem Politaktionismus jetzt der Zwang, dass man nach der 100-Milliarden-Euro-Rhetorikgranate auf die Schnelle ein schlüssiges Konzept vorlegen muss. Leichter gesagt als getan.
Unsere Fraktion begrüßt die Etaterhöhung für den Einzelplan 14, und wir wären auch bereit, weitere Etaterhöhungen mitzutragen, mit denen wir uns dem 2‑Prozent-Ziel der NATO annähern. Hierzu müssen aber auch zwei Dinge gesagt werden. Punkt eins: Die NATO muss wieder ein reines Verteidigungsbündnis werden.
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Zum anderen – Punkt zwei – wird uns eine alleinige Etaterhöhung ohne eine grundlegende Strukturreform und eine Reform des Beschaffungswesens nicht weiterbringen; denn wir befürchten, dass jetzt im Schnelldurchlauf Gerät angeschafft wird, das eben nicht dem neuesten Stand der Technik und den Anforderungen der Truppe entspricht.
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Diese Befürchtung teilt auch Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der im „Handelsblatt“ die Erwartung äußerte, das für teils überholtes Material unnötig viel Geld ausgegeben werden wird.
Dazu passt leider auch ein Statement von Verteidigungsministerin Lambrecht aus dem „Handelsblatt“. Sie sagte – Zitat –: „Wir warten nicht ab, bis alles bis ins letzte Detail ausgeplant ist.“ Ja, das bezog sich auf das Sofortprogramm für die Grundausstattung der Truppe. Dass Sie sich daran halten, das finden wir auch sehr löblich, aber trotzdem: Das Verteidigungsministerium muss sicherstellen, dass Mittel effizient eingesetzt werden und nicht der Verschwendung Tür und Tor geöffnet wird.
Die Truppe braucht nämlich noch mehr als Funkgeräte und Unterwäsche,
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zum Beispiel auch Kampfjets, was uns direkt zu der von Ihnen geplanten Anschaffung der F‑35 führt. Für die Uneingeweihten: Die F‑35 ist ein Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug der fünften Generation, gebaut von der amerikanischen Firma Lockheed Martin. Das Spannende an dieser Beschaffung ist, dass die neue Bundesregierung jetzt 35 Stück dieser Flugzeuge bereitstellen will, obwohl die alte Regierung das eigentlich schon 2019 verworfen hatte.
Und siehe da, schon fliegt uns ein Artikel in der „Welt“ um die Ohren mit dem schönen Titel „Schrottflieger F‑35? Pentagon-Papier enthüllt 845 Fehler bei neuem Bundeswehr-Jet“. Wichtigster Kritikpunkt in dem Papier ist die mangelnde Zuverlässigkeit der F‑35. So war die für die Bundeswehr geplante F‑35A im Jahresdurchschnitt 2020 gerade einmal zu 54 Prozent einsatzfähig. Im Vergleich: Andere moderne Kampfjets haben eine Einsatzfähigkeit von mindestens 80 Prozent. Die F‑35 ist offenbar eine Hangar-Königin.
Aber es kommt noch besser. Gekauft werden soll diese F‑35 für die sogenannte nukleare Teilhabe, zu der wir vertraglich verpflichtet sind. Das bedeutet, dass das Flugzeug im Ernstfall mit den Freifall-Atomwaffen vom Typ B61 bestückt werden soll. Nun ist es aber so, dass die F 35 aktuell die B61 gar nicht tragen kann. Der Grund: ein Softwarefehler, der wohl schon länger besteht
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und dessen Behebung auch noch Jahre dauern wird. Selbst die USA haben ihre Bestellung wegen dieser Mängel mittlerweile gekürzt.
Da ergeben sich jetzt ein paar sehr interessante Fragen an die Frau Ministerin und an Herrn Scholz. Sie wollen also ein Flugzeug für die nukleare Teilhabe beschaffen, aber die von Ihnen ausgewählte F‑35 kann diese nukleare Teilhabe aktuell gar nicht leisten. Ich frage Sie: Haben Sie das gewusst? Und wenn Sie es gewusst haben, warum bestellen Sie es dann überhaupt? Oder haben Sie es nicht gewusst? Dann frage ich mich: Warum haben Sie es nicht gewusst? Und natürlich ist auch die Frage interessant: Hat die alte Regierung das gewusst, das Projekt deswegen eingestellt, aber Ihnen hat es keiner gesagt, und jetzt stehen wir da und haben die Niete im internationalen Waffenschrottwichteln gezogen?
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Ganz ehrlich, wir befürchten, dass diese Bundesregierung sich mit den 100 Milliarden Euro Sondervermögen nicht nur auf eine ordnungspolitische Irrfahrt begibt – dass gerade die FDP das mitmacht, ist auch ein Skandal –, sondern auch einer nachhaltigen Ertüchtigung unserer Streitkräfte mehr schaden als nutzen wird.
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Herr Abgeordneter Espendiller, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der SPD-Fraktion?
Gern als Kurzintervention gleich. – Bei der von Ihnen geplanten Verankerung dieses Sondervermögens im Grundgesetz befürchten wir zudem, dass Sie dauerhaft die Schuldenbremse damit aushebeln werden; ich meine, wir wissen ja, wie es unter dem Strich läuft.
Ich könnte an dieser Stelle jetzt noch einiges mehr sagen, aber dazu werden wir in den Beratungen ja noch ausführlich Gelegenheit haben. Ich hoffe, dass bis dahin noch mehr Vernunft in die Reihen der Regierung eingekehrt ist, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Für die FDP hat nun der Kollege Karsten Klein das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige und verbrecherische Krieg, den Wladimir Putin über die Ukraine gebracht hat, hat in den letzten Wochen die zivilisierte Welt enger zusammenrücken lassen. Für uns Freie Demokraten, für die Ampel insgesamt steht der vernetzte Ansatz von Diplomatie, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Verteidigung bewusst im Zentrum unserer Außen- und Sicherheitspolitik.
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Die letzten Wochen haben leider auch gezeigt: Wer unseren Frieden und unsere Freiheit erhalten will, der muss auch über die Fähigkeiten verfügen, diese Werte – Frieden und Freiheit – zu verteidigen, der muss über ein glaubwürdiges Abschreckungspotenzial verfügen.
Deshalb ist es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Ampel, dass SPD, Grüne und FDP in dieser Situation mit dem „Sondervermögen Bundeswehr“, mit 100 Milliarden Euro ein klares Signal für die Verteidigung unserer Werte – Frieden und Freiheit – und an unsere Partner aussenden.
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Ich gehe fest davon aus, dass alle demokratischen Parteien in diesem Haus die Schaffung dieses Sondervermögens unterstützen werden. Die Summe aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und dem Kernhaushalt, in dem in dieser Legislaturperiode 200 Milliarden Euro eingeplant sind, ermöglicht es, das 2‑Prozent-Ziel zu erreichen. Sie ermöglicht es, drohende Fähigkeitslücken zu verhindern. Sie ermöglicht es, bestehende Fähigkeitslücken zu schließen. Sie ermöglicht es, in die Verteidigung der Zukunft zu investieren; vor allem aber ermöglicht sie es, unsere Soldatinnen und Soldaten – und ich betone: alle unsere Soldatinnen und Soldaten – mit Ausrüstung und Material auf zeitgemäßem Niveau auszustatten.
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Das „Sondervermögen Bundeswehr“ ist aber auch der zentrale Schlüssel, um die Planbarkeit vor allem von großen Rüstungsprojekten sicherzustellen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode ja immer wieder sehr kurzfristige Anhebungen des Wehretats feststellen müssen, die eben gerade nicht wirklich zur Verbesserung der Ausstattung der Bundeswehr beigetragen haben; denn im Gegensatz zum Sondervermögen hat der Haushaltspolitik der Union im Verteidigungsministerium eben die Planbarkeit gefehlt, um große Rüstungsprojekte verlässlich durchzuführen.
Deshalb will ich gerade bei der starken Rhetorik, die heute Morgen hier von Ihrem Fraktions- und Parteivorsitzenden Herrn Merz vorgetragen worden ist, eines hier noch mal feststellen: Die Misere bei der Bundeswehr trägt einen Namen, und der heißt: CDU und CSU.
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Sie haben 16 Jahre die Kanzlerin in diesem Land gestellt, in dem entscheidenden Zeitpunkt 2011 Kanzlerin und Finanzminister gestellt und das Verteidigungsministerium mit Theodor von Guttenberg besetzt.
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Deshalb tragen Sie die Verantwortung, und deshalb erwarten wir auch von Ihnen, dass Sie sich dieser Verantwortung in den nächsten Tagen stellen werden und hier nicht mit vielen Worten darüber hinwegtäuschen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union.
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Aber, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vergangenheit hat natürlich auch gezeigt, dass Geld alleine noch nicht das Material auf den Hof bringt, dass Geld alleine noch nicht das Material zur Truppe bringt. Auch die Planbarkeit ist für sich genommen noch nicht ausreichend. Daher geht es natürlich auch um die Frage, wie wir in Zukunft den Beschaffungsprozess organisieren werden. Es geht darum, Beschaffungszeiten zu verkürzen, es geht darum, die Qualität der beschafften Materialien und Ausrüstungsgüter zu erhöhen, und es geht darum, den Zulauf verlässlicher zu organisieren.
Deshalb, Frau Ministerin, begrüßen wir Freien Demokraten es, dass Sie die Veränderung und Beschleunigung im Beschaffungswesen zu einer zentralen Aufgabe in Ihrer Amtszeit gemacht haben.
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Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten dann natürlich auch gemeinsam darüber sprechen, wie wir Ausschreibungen in Zukunft organisieren wollen – national, europäisch, die Ausnahmemöglichkeiten des Europarechts auch ausnutzend. Wir werden über Schwellenwerte diskutieren – Sie haben einen ja bereits angehoben –, und wir werden natürlich auch darüber sprechen, dass wir mehr marktgängige Materialien und Ausrüstung statt wünschenswerte bestellen.
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Aber all diese Maßnahmen und Veränderungen müssen natürlich letztlich auch dazu führen, dass Steuermittel, dass Haushaltsmittel wirtschaftlicher, effizienter und effektiver eingesetzt werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. Da schaue ich beim Thema Nachfolgebeschaffung zum Beispiel auf den Tornado. Hier müssen wir einfach auch das Ende der Nutzungsdauer im Blick haben; denn jedes Mal, wenn wir die Nutzung über die geplante Nutzungsdauer hinaus verlängern, kostet das eine große Menge Geld – Geld, das uns dann fehlt, um in moderne Ausrüstung zu investieren.
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Aber, Frau Ministerin, wir müssen natürlich in diesem Prozess angesichts dieser historischen Situation auch die Verteidigungsindustrie dafür in die Verantwortung nehmen, dass sie dann auch vertragsgemäß, fristgemäß und zu den vereinbarten Kosten liefert. Aber wenn wir die Verteidigungsindustrie in die Verantwortung nehmen wollen, müssen wir sie auch in die Lage versetzen, diese Verantwortung auszufüllen.
Damit bin ich beim Thema Taxonomie und beim Thema Rüstungsexportkontrolle. Es wäre grotesk, wenn wir auf der einen Seite 100 Milliarden Euro ins Schaufenster stellen, um dann die Tür für die Finanzierung für die Durchführung dieser Projekte vor allem bei der mittelständischen deutschen Rüstungsindustrie über die Taxonomie zumachen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Vorhaben finanzieren und durchführen zu können, die wir benötigen, um unsere Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen, um das 16. Nachhaltigkeitsziel der UN – Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen – erfüllen zu können, brauchen wir in dieser historischen Situation auch in Brüssel eine Zeitenwende beim Thema Taxonomie.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat heute Morgen gesagt: „Die Waffen müssen schweigen.“ Dieser Satz ist richtig. Aber der Haushalt widerspricht dieser Äußerung, und das ist eine Schieflage. Es braucht einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine,
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und Putin muss die russische Armee zurückziehen. Die Menschen in der Ukraine, die Menschen überall in der Welt haben das Recht, in Frieden zu leben.
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In der Sondersitzung am 27. Februar hat Olaf Scholz den Eindruck erweckt, 100 Milliarden Euro als „Sondervermögen Bundeswehr“ wären eine direkte Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Das trifft aber nicht zu. Die Rüstungsprojekte standen schon vorher im Koalitionsvertrag oder sind bereits im Haushaltsausschuss von der damaligen Koalition, also mit der Union, gemeinsam beschlossen worden.
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Und es ist auch ein Ammenmärchen, meine Damen und Herren, die Bundeswehr sei kaputtgespart worden.
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Olaf Scholz hat in seiner Amtszeit als Finanzminister für einen Aufwuchs bei der Bundeswehr gesorgt, und zwar von addiert 38,5 Milliarden Euro.
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Allein in einer Sitzung des Haushaltsausschusses vor der Sommerpause wurden Waffenbeschaffungen für über 20 Milliarden Euro bewilligt. Ein Vergleich: Die Bundesregierung will für „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ in 2022 insgesamt nur 12,5 Milliarden Euro ausgeben. Da ist eine Schieflage; so geht das nicht!
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In dieser Sitzung wurde auch FCAS als Nachfolger des Eurofighters beschlossen. Insgesamt soll dieses Luftkampfsystem 100 Milliarden Euro kosten. Das Sondervermögen wird also gar nicht ausreichen, um die ganze Wunschliste der Bundeswehr zu erfüllen.
Friedrich Merz hat ja heute Morgen schon deutlich gemacht, dass er mehr will, dass ihm das alles nicht reicht. Darum frage ich die Ampelkoalition: Warum lassen Sie sich von der CDU in Geiselhaft nehmen? Haben Sie das wirklich nötig, meine Damen und Herren?
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Nicht nur wir, auch der Bundesrechnungshof und die Soldatinnen und Soldaten stellen berechtigterweise die Frage: Wo ist denn das ganze viele Geld für die Bundeswehr geblieben? Wo? Die Antwort ist: Unfähigen Generälen und Politikern ist die Rüstungsindustrie wichtiger als unsere Sicherheit. Das ist die Wahrheit!
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Kollegin Lötzsch – ich habe die Uhr angehalten –, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Strack-Zimmermann?
Vielen Dank, nein.
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Im Abschlussbericht einer Reformkommission unter Leitung von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker aus dem Jahr 2000 heißt es, im Unternehmen Bundeswehr müsse endlich einem betriebswirtschaftlichen Denken und Handeln neuer Raum gegeben werden. Das ist 22 Jahre her, und es hat sich nichts geändert. Die Bundeswehr ist zu einer Steuergeldvernichtungsmaschine geworden, und das darf nicht sein, meine Damen und Herren.
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Ja, die Bundeswehr hat im Bundestag eine große Lobby; doch die Lobby der Rüstungsindustrie ist noch größer. Es wird nicht angeschafft, was die Bundeswehr für die Landesverteidigung braucht, sondern das, was die Rüstungskonzerne unbedingt teuer verkaufen wollen.
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Nur ein Beispiel: An dem Tag, an dem der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde, stand die Aktie des Rüstungsunternehmens Rheinmetall bei 82,98 Euro.
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Am 22. März, also 100 Tage später, stand sie bei 182 Euro, das ist ein Wertzuwachs von 100 Euro in 100 Tagen. Das sagt doch alles, meine Damen und Herren.
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Im Koalitionsvertrag stand auch schon die Ablösung des Tornados. Sie kaufen jetzt den Atombomber F‑35. Die „FAZ“ schwärmte vom „Ferrari für die Luftwaffe“. Die Verteidigungsministerin Lambrecht hatte vor wenigen Tagen noch versprochen, dass es keine Beschaffung mit überteuerten Goldrandlösungen geben werde. Welch ein Hohn!
Die F‑35-Jets sollen 15 Milliarden Euro kosten. Zum Vergleich: Für den gesamten sozialen Wohnungsbau hat die Bundesregierung 14,5 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode eingeplant. Das ist zu wenig; da brauchen wir mehr Geld, meine Damen und Herren.
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Der F‑35 ist ein Tarnkappenjet; das Flugzeug kann, unerkannt vom feindlichen Radar, Atombomben über weite Strecken transportieren. Können Sie mir erklären, warum wir für die Landesverteidigung Atomwaffen unerkannt in andere Länder fliegen müssen?
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Das sind doch ganz klar Angriffswaffen. Das lehnen wir ab.
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Das Sondervermögen ist nicht der Schlüssel zu mehr Sicherheit; es sind Kriegskredite, und das ist mit der Linken nicht zu machen.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren an den Fernsehschirmen! Der französische Wirtschaftspolitiker Jean Monnet hat einmal gesagt: „Wer einen Staat verteidigen will, muss ihn verteidigungswürdig machen.“
Werte Kolleginnen und Kollegen, keiner von uns hätte sich vorstellen können, dass Putin tatsächlich die Ukraine angreift, damit alle Friedensbemühungen, die wir an den Tag gelegt haben, ad absurdum führt und letztendlich alle Werte und Regeln der Völkergemeinschaft bricht. Der 24. Februar 2022 ist eine Bruchstelle, eine Zäsur, und zeigt: Die Friedensdividende ist aufgebraucht.
Das russische Bedrohungsszenario zeigt auch: Unsere Sicherheit ist im Wandel. – Diese Koalition stellt sich dieser Verantwortung. Wir sanktionieren Russland, unterstützen die Ukraine, und wir tun somit das Notwendige und vor allen Dingen auch das Richtige.
Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass sehr viele Menschen in unserem Land Sorgen und Ängste haben angesichts dieser furchtbaren Nachrichten und Bilder aus der Ukraine. Denn, meine Damen und Herren, unsere Welt ist nicht mehr die, die wir vor dem 24. Februar kannten, und sie wird mit Sicherheit auf absehbare Zeit auch nicht mehr so werden.
Dennoch muss jedem Aggressor klar sein: Wir werden uns unsere Freiheit, unsere Werte und unsere Demokratie von niemandem nehmen lassen.
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Wir werden diesen Völkerrechtsbruch nicht tatenlos akzeptieren. An dieser Stelle: Mein Dank gehört ganz besonders unseren Soldatinnen und Soldaten, ob in Europa oder in der Welt im Einsatz.
Liebe Soldatinnen und Soldaten, wir als Parlamentarier und die Menschen im Land sind stolz auf unsere Parlamentsarmee, und wir stehen hinter euch. Wir haben Respekt und Achtung vor eurer Einsatzbereitschaft für unser Land. Das habt ihr auch verdient. Ihr setzt eure Gesundheit und euer Leben für unsere Werte einer freiheitlich-demokratischen Welt ein. Dafür kämpfen auch die ukrainischen Truppen im Gegensatz zu Putins Militär, das zur Bekämpfung der Demokratie und Freiheit missbraucht wird. Dennoch steht bei aller Unterstützung für die Ukraine eines fest: Die NATO und Deutschland dürfen nicht Kriegspartei werden.
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Unserem Bundeskanzler Olaf Scholz möchte ich für seine klare und mutige Rede am 27. Februar hier in diesem Hause danken. So geht Regieren; das ist Haltung.
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Diese Zeitenwende braucht auch klare Botschaften:
Erstens. Unsere Demokratie ist wehrhaft; dieses Land ist stark.
Zweitens. Deutschland ist ein zuverlässiger Bündnispartner, der bereit ist, noch mehr Verantwortung in Europa, aber auch in der Welt zu übernehmen.
Mit dem von ihm angekündigten Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro können wir endlich die notwendigen Investitionen und Rüstungsvorhaben umsetzen, und dies erfolgt nicht auf Kosten anderer wichtiger Themen wie Bildung, Sozialstaat, Klima etc.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Ausrüsten und nicht Aufrüsten ist hier die Devise. Die Friedensdividende ist ja aufgebraucht; deswegen ist ein aktiver Beitrag zur Sicherheit im Wandel notwendig. Sicherheit und Frieden sind das Fundament, auf dem unsere Zukunft aufgebaut wird. Wir müssen die Bundeswehr technologisch auffrischen. Unsere Bundeswehr wird zu einer leistungsfähigen und modernen Armee ausgebaut und ist damit ein zuverlässiger Kooperationspartner in Europa.
Dazu gehören aber nicht nur großes technisches Gerät wie Kampfflugzeuge, Schiffe etc. Dazu gehört vor allem die persönliche Ausstattung, also winterfeste Kleidung, Unterwäsche, Schutzwesten, Nachtsichtgeräte etc. Ich bin der Ministerin sehr, sehr dankbar, dass sie das ganz oben auf dem Schirm hat.
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Natürlich müssen wir auch das Beschaffungs- und Vergabewesen schnellstens reformieren. Auch hier noch einmal meinen Dank an die Ministerin: Sie haben schnell reagiert, Sie haben schnell entschieden und gezeigt, dass Sie Führungsqualitäten haben. Wir werden das Beschaffungswesen reformieren und jetzt auch sehr schnell beschleunigen.
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Ich denke hier nur an das Thema Unterschwellenvergaben und die Anhebung des Auftragswertes von 1 000 auf 5 000 Euro; das spart circa 30 Prozent der Beschaffungsvorgänge ein, weil es einfacher wird. Ich denke aber auch an die schnellen Einkaufsverfahren unter Anwendung europäischen Rechts. Wir können in Zukunft aufgrund der nationalen Sicherheitslage und der Dringlichkeit auch ohne aufwendige Ausschreibungen Beschaffungen vornehmen. Und ich finde es auch richtig, dass wir aus bestehenden Rahmenverträgen jetzt schnellstmöglich Kontingente abrufen und vor allen Dingen marktverfügbare Produkte einkaufen werden.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Bundesregierung ist gerade 100 Tage im Amt und hatte wahrlich keine Zeit für umfangreiche Einarbeitung. Aber wir stellen uns den Herausforderungen, wir kümmern uns um die innere und äußere Sicherheit, um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft, und wir nehmen die Menschen in diese neue Zeit mit.
Sicherlich hat Deutschlands Einsatz für Frieden, Freiheit und Demokratie sehr viele Facetten. Wir wollen eine Sicherheitsarchitektur, die wir diplomatisch, wirtschaftlich, politisch, humanitär, aber auch mit dem großen Engagement der deutschen Zivilgesellschaft sichern. Unsere Bundeswehr versetzen wir in die Lage, die klassische Landes- und Bündnisverteidigung ohne Einschränkungen wahrzunehmen. Wenn dieses Parlament unserer Bundeswehr einen Auftrag gibt, dann müssen wir uns unserem Gewissen und unserer Verantwortung stellen und dafür sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bestens ausgebildet und bestens ausgerüstet das Land verlassen.
Ja, die Sicherheit ist im Wandel. Um noch einmal auf Jean Monnet zurückzukommen: Ich weiß, dass unser Staat, unsere Demokratie verteidigungswürdig sind, und ich bin überzeugt, dass wir ihn noch verteidigungswürdiger machen müssen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten!
Danke schön.
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Das Wort hat Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute Tag 27 des Kriegs in Europa. Seit 27 Tagen kämpfen Menschen 700 Kilometer von hier buchstäblich mit allem, was sie haben, um ihre Freiheit, um ihre Sicherheit und um die schlichte Existenz ihres Landes.
Vor 24 Tagen hat Bundeskanzler Scholz hier eine historische Rede gehalten und die Zeitenwende beschrieben, die wir gerade alle erleben. Er hat in seiner Rede fünf Handlungsanweisungen an die Bundesregierung erteilt. Nummer vier betrifft die Bundeswehr. Er will eine fortschrittliche, moderne, professionelle Armee, die uns zuverlässig schützt. Meine Damen und Herren, für dieses Ziel hat er die große Unterstützung von CDU und CSU.
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Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, seit dieser Zeit herrscht in der Bundeswehr eine Mischung aus Freude und Panik: Freude, weil sie endlich auch von links die Anerkennung bekommt, die sie verdient, von einer Partei, die sich in den letzten Jahren im Wesentlichen dadurch hervorgetan hat, dass sie die Nichtbewaffnung von Drohnen durchsetzen wollte; Panik, weil sie weiß, dass sie mit nur mehr Geld den Handlungsauftrag des Bundeskanzlers nicht erfüllen kann. Vom Gefreiten bis zum General weiß jeder in der Bundeswehr, dass dafür die Strukturen verändert werden müssen.
Frau Ministerin, seit 23 Tagen warten alle in der Bundeswehr auf eine große konzeptionelle Rede von Ihnen. Sie warten darauf, dass Sie erklären, was „Zeitenwende“ konkret für die Bundeswehr bedeutet, welche Fähigkeiten sie in dieser neuen Zeit, in dieser neuen Lage braucht und wie Sie all dieses ganze Geld eigentlich vernünftig ausgeben wollen.
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Frau Ministerin, Sie haben diese Rede heute am Tag 23 wieder nicht gehalten und damit eine große Chance verpasst.
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Es wäre so einfach gewesen. Als Sie ins Amt gekommen sind, lagen die Vorschläge auf dem Tisch, wie die Einsatzbereitschaft erhöht werden kann, wie die Strukturen verschlankt werden können, wie die Beschaffung beschleunigt werden kann.
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Sie haben sie vom Tisch genommen. Das ist Ihr gutes Recht, wenn Sie glauben, dass die Vorschläge der alten Ministerin und des Generalinspekteurs falsch waren. Aber, Frau Ministerin, dann sind Sie zumindest in der Pflicht, etwas Besseres vorzulegen. Denn einfach zu glauben, man kippt von oben 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr rein und damit wird alles besser, ist illusorisch und unverantwortlich.
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Frau Ministerin, in dem Moment, als Sie die Vorschläge vom Tisch gewischt haben, hat Ihre Staatssekretärin eine neue Reform angewiesen. Ich darf aus der Anweisung zitieren; sie kursiert nämlich in der Zwischenzeit im Internet. Es ist schon fast bizarr. Sie hat geschrieben:
Im Rahmen der Bestandsaufnahme sind „Leitrationale“ zu entwickeln, an denen Optionen für mögliche strukturelle Veränderungen ergebnisoffen zu bewerten sind.
Auf Deutsch: Sie wissen nicht, was Sie tun.
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Im BMVg wird noch gerätselt, was denn „Leitrationale“ überhaupt sind. Ich habe das Wort mal gegoogelt; das gibt es überhaupt gar nicht.
Frau Ministerin, Sie sind die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, und wir haben eine Situation, in der in Europa Krieg herrscht. Die Soldatinnen und Soldaten erwarten von Ihnen klare Ansagen und keine Wortneuschöpfungen.
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Sie erwarten Führung, und sie erwarten diese Führung aus dem Bundesverteidigungsministerium und nicht aus dem Bundeskanzleramt. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. Dazu gehört bisher nicht der Beschluss über die Beschaffung von Rüstungsprojekten. Das ändert sich gerade. Das ist keine gute Entwicklung; aber wir nehmen das mal so hin.
Aber eine Richtlinienentscheidung hat er getroffen, und er hat sie auch an diesem Pult hier formuliert. Davon habe ich aber heute von Ihnen nichts gehört. Er hat am 27. Februar an diesem Pult gesagt: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“
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Meine Damen und Herren, davon lese ich im vorliegenden Haushalt nichts – keinen Satz, keine Fußnote, gar nichts.
Frau Ministerin, wenn Sie der Bundeswehr etwas Gutes tun wollen, dann setzen Sie im Kabinett durch, dass dieser Satz Gesetz wird.
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Damit wäre der Bundeswehr viel mehr geholfen als mit dem Sondervermögen.
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Das Sondervermögen ist gut und wichtig, aber wenn das Sondervermögen weg ist, fällt die Bundeswehr wieder auf das alte Niveau zurück. Was Sie schaffen müssen, ist, dass die Bundeswehr langfristig gut und sicher finanziert ist; das ist Ihre Aufgabe und Ihre Pflicht.
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Frau Ministerin, Sie haben gesagt, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Hören Sie bitte auf, diese Bundeswehr zu verzwergen!
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„Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee“ bedeutet, dass wir mit den Soldaten sprechen und dass die Soldaten auch genau zuhören, was hier gesprochen wird. Viele der Soldatinnen und Soldaten haben die Rede der Bundesaußenministerin zu den Waffenlieferungen an die Ukraine letzten Mittwoch hier gehört. Auch daraus möchte ich zitieren:
Wir tun alles. Und wenn wir zaubern könnten, wenn wir mehr Waffen liefern könnten, dann würden wir das tun.
Natürlich kann die Bundeswehr mehr Waffen liefern – Dänemark liefert im Moment mehr Waffen als wir –; Sie wollen es nur nicht. Meine Damen und Herren, die Truppenteile melden nach oben, sie melden auch an uns, sie geben uns Hinweise, und sie beschweren sich darüber, dass sie bei der Leitung nicht durchdringen. Das ist das Problem.
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Der Höhepunkt war dann Ihr Interview im Deutschlandfunk am letzten Sonntag. Dort haben Sie gesagt: „Die Möglichkeiten über die Bundeswehr sind erschöpft.“ Da haben Sie wahrscheinlich schon erfasst, dass Sie übers Ziel hinausgeschossen sind. Am Dienstag dann die Kehrtwende in der „Bild“-Zeitung: „Die Ministerin hätte gerne mehr geliefert, aber der Kanzler persönlich habe das verhindert.“
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Unter Angela Merkel wäre das ein Kündigungsgrund gewesen, so ein Schuss ins Bundeskanzleramt.
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Aber, meine Damen und Herren, darum geht es gar nicht. Das ist peinlich, und es ärgert auch unsere Soldatinnen und Soldaten,
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weil sie sehen, dass die Ukrainer im Krieg sind. Sie brauchen die Waffen jetzt und heute und nicht erst an Tag 100 des Krieges, wenn die Ressortabstimmungen in Deutschland abgeschlossen sind.
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Meine Damen und Herren, es ist nicht nur die Bundeswehr, die auf eine große Rede unserer Ministerin wartet;
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es ist auch die europäische Öffentlichkeit. Die Anforderung an eine deutsche Verteidigungsministerin ist, dass sie in einer solchen Lage Führung in Europa übernimmt und erklärt, was diese Zeitenwende auch für die europäische Sicherheitsarchitektur bedeutet. Wie können wir gemeinsam in Europa die Einsatzfähigkeit unserer Armeen verbessern? Wie können wir besser zusammenarbeiten?
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Wo fehlen Fähigkeiten? Was ist die Rolle der NATO und der USA in Zukunft? Wer, wenn nicht Deutschland, soll diese Rolle übernehmen? Frankreich ist im Wahlkampf, England ist draußen. Frau Ministerin, es kommt jetzt auf Sie an.
Ich möchte Ihnen für Ihre Arbeit einen Führungsgrundsatz aus der Bundeswehr mit auf den Weg geben: „Geführt wird von vorne!“
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dr. Sebastian Schäfer das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Frau Wehrbeauftragte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 60 Jahren, 1962, erschien eine historische Ausgabe des „Spiegel“. Der Titel war, bezogen auf die damals noch junge Bundeswehr, „Bedingt abwehrbereit“. Heute haben wir eine Bundeswehr, auf deren demokratische Tradition als Parlamentsarmee wir stolz sein können; ich will mich hier dem Dank des Kollegen Schwarz ausdrücklich anschließen.
Dennoch müssen wir hier auch heute ein Problem konstatieren: bedingt beschaffungsbereit.
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Wir haben einen gewissen historischen Fortschritt: Heute kommt bei einer solchen Schlagzeile nicht mehr die Polizei in die Redaktionsräume. Nach 16 Jahren, in denen Politikerinnen und Politiker von der Union das Bundesministerium der Verteidigung geführt haben, ist diese bedingte Beschaffungsbereitschaft zur Binse geworden. Wir sehen ja auch hier und heute, wie groß das Interesse der Union an der Bundeswehr ist. Da helfen auch Dampfplaudereien aus der CSU nichts.
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Die Bundeswehr wurde auf Verschleiß gefahren. Wir alle wissen: Das kann eine Weile gut gehen, aber die Folgekosten sind deutlich höher. Seit dem Weißbuch 2016 und dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr 2018 liegen die Investitionsdefizite auf dem Tisch. Es wurden enorme Zusagen auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik gemacht und große Ansprüche formuliert. Aber die Bundeswehr braucht jetzt nicht nur Bremsscheiben und Zündkerzen. Wir brauchen für die Sicherstellung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit eine Generalsanierung.
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Die Ampel legt mit dem Sondervermögen ein Sanierungskonzept vor. Allerdings sind fehlende Finanzmittel nicht das einzige Problem; denn alles Geld der Welt hilft nichts, wenn es nicht effizient eingesetzt wird. Das haben wir in den letzten Jahren mit deutlich höheren Etatansätzen als in der Vergangenheit gesehen.
Deshalb müssen wir im Blick behalten, worum es geht. Wir wollen die Bundeswehr mit dem Material ausstatten, das sie für die Erfüllung ihrer Aufträge und Anforderungen im Rahmen der Verpflichtungen gegenüber NATO, EU und UN benötigt. Das Beschaffungswesen steht in der Öffentlichkeit zu Recht in der Kritik: Das Material kommt zu spät, ist zu teuer oder wird mit Mängeln ausgeliefert. Die Beispiele sind leider Legion: das Transportflugzeug A400M, der Schützenpanzer Puma oder leider ganz aktuell die beiden Tankerschiffe, die angeschafft werden sollen. Wir zahlen zu viel für zu wenig.
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Damit muss definitiv Schluss sein, wenn wir jetzt 100 Milliarden Euro für die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zur Verfügung stellen.
Was können wir tun? Wir müssen wissen, was wir bestellen wollen. Wir müssen vermeiden, dass es in der Realisierungsphase von Projekten zu Änderungen der Anforderungen kommt, da Änderungen in der Regel zu hohen Kostensteigerungen führen. Es muss neben der Priorisierung geklärt werden, ob es Lösungen von der Stange gibt, also Standardprodukte, die nicht nur billiger, sondern meistens auch zuverlässiger sind und die wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern beschaffen können.
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Finanzmittel für die Projekte, die aus dem Sondervermögen finanziert werden, sind so auszugestalten, dass keine gegenseitige Deckungsfähigkeit mehr besteht; durch die Überjährigkeit des Ansatzes besteht kein Anlass dafür. Wir brauchen zudem für jedes Vorhaben eine Budgetobergrenze. Es darf keinen Freibrief für die Industrie geben, überhöhte Preise aufrufen zu können.
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Und wir müssen natürlich die parlamentarische Kontrolle sicherstellen. Das Beschaffungsamt in Koblenz ist eine Riesenbehörde mit über 6 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bisher plant die Behörde eine Vielzahl größerer Projekte, ohne zu wissen, welche überhaupt eine Chance auf Realisierung haben. Wir müssen aussichtslose Projekte beenden; denn damit werden unnötige Ressourcen gebunden.
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Ich erwarte vom Ministerium, dass für die jetzt zu finanzierenden großen Projekte auch eine Reform der Strukturen angegangen wird. Die Ankündigung einer Taskforce ist mir da zu wenig.
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Taskforces hatten wir in der Vergangenheit schon genug; es muss jetzt konkret werden.
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Es darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Beschaffung nicht mehr um Wahlkreisinteressen gehen.
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Es geht um Notwendigkeiten für unsere Bundeswehr.
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Wenn das Parlament seiner Parlamentsarmee einen gefährlichen Auftrag gibt, dann sind unsere Soldatinnen und Soldaten bestmöglich zu schützen. Unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist es, das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler effektiv und effizient auszugeben. Lassen Sie uns das gemeinsam tun!
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Niemand mag Rechthaber. Deswegen verzichte ich auch darauf, zu wiederholen, was die AfD seit über vier Jahren in jeder Haushaltsdebatte gefordert hat.
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Entscheidend ist: Der Groschen scheint jetzt auch bei der Regierung gefallen zu sein.
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Mit Ausnahme weniger Linkspazifisten sind sich in diesem Haus alle einig: Deutschland braucht eine einsatzbereite Bundeswehr, und die 100-Milliarden-Euro-Finanzierung ist der notwendige Startschuss dafür. Um die Mittel aber auch richtig einzusetzen, muss die Bundesregierung jetzt die Reform des Beschaffungswesens angehen. Tut sie das nicht, werden die fehlenden Waffensysteme nicht schnell genug in der Truppe ankommen. Die AfD fordert deshalb – Achtung: Lösung – die Aufhebung der Trennung der Artikel 87a und 87b Grundgesetz. Damit würde die Truppe endlich unmittelbar an der Bedarfsdeckung beteiligt werden.
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Zudem fordert die AfD die Reaktivierung der Wehrpflicht, jetzt erst recht. Denn mehr Waffensysteme brauchen auch mehr Soldaten. Eine Zweckentfremdung der Mittel darf es hingegen nicht geben. Wir sagen klar: Die Bundeswehr zuerst!
Sehr geehrte Kollegen, fast jeder von Ihnen spricht immer von der persönlichen Ausstattung unserer Soldaten, wenn es um Ausrüstung geht. Das ist für deutsche Verteidigungspolitiker offenbar ein beliebter Ausweg, um den Wählern die brutale Zumutung eines Landkriegs zu ersparen. „Persönliche Ausstattung“, das klingt nach mütterlicher Fürsorge mit Socken und warmen Jacken. Aber wir reden hier über Waffensysteme, die unser Land in die Lage versetzen, eine Invasion, wie sie gerade 1 000 Kilometer von uns entfernt stattfindet, aufzuhalten. Dafür reichen keine Schutzwesten; dafür braucht es überlegene Feuerkraft an Land, in der Luft und zur See.
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Die Aufrichtung von Deutschlands Streitkräften braucht auch das richtige Personal. Die Presse zweifelt bereits an der Eignung von Verteidigungsministerin Lambrecht für diese Mammutaufgabe. Die „Bild“ fragte gestern: „Kann diese Ministerin Krieg?“
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Das muss sie bis jetzt glücklicherweise noch nicht können; aber sie muss die größte rüstungspolitische Offensive seit Aufstellung der Bundeswehr managen.
Dafür ist es zwingend erforderlich, Vertrauen in den Apparat, Vertrauen in die Soldaten zu haben. Die Verteidigungsministerin selbst muss nicht jedes Detail der Umsetzung kennen. Sie muss aber der Funktionsweise von Streitkräften vertrauen und sie akzeptieren, und sie muss wissen, dass Soldaten eben nicht nur einen Job machen, Frau Ministerin.
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Die Bundeswehr ist, wenn man sie richtig führt und sie ihre Fähigkeiten entfalten lässt, ein sehr effektiver Apparat – vermutlich der beste, den Deutschland hat. Jetzt ist es an der Zeit, diesem Apparat und unseren Soldaten zu vertrauen. Meine Damen und Herren, ohne Geld wird es keine einsatzbereite Bundeswehr geben. Aber ohne Motivation, ohne Hingabe, ohne festen Willen, Deutschland zu verteidigen, wird es auch keine einsatzbereite Bundeswehr geben.
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Letzte Woche sprach Präsident Selenskyj aus dem belagerten Kiew zu uns – ein echter Kriegspräsident, der sein Volk in schwerster Stunde führt, motiviert, am Leben hält; ein Präsident, der auf sein Privileg verzichtete, evakuiert zu werden. Wir sehen ukrainische Männer, die in Scharen zu den Waffen greifen, um russische Panzer abzuschießen.
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Wir sehen ukrainische Frauen, die zu den Waffen greifen, um russische Panzer abzuschießen. Wir sehen ein Volk, das der Welt zeigt, wozu Vaterlandsliebe und Zusammenhalt fähig sind. Können wir Deutsche das auch?
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Eine Umfrage der INSA ergab, dass nur drei von zehn Deutschen willens sind, unser Land zu verteidigen. Wenn das stimmt, hat Deutschland ein Problem, das nicht mit Geld zu beheben ist. Um in Zukunft das zu schaffen, was die tapferen Ukrainer jetzt leisten, –
Herr Abgeordneter.
– muss jeder, der es mit Deutschlands Wehrhaftigkeit ernst meint, an einer geistig-moralischen Wende in unserem Land, für unser Land mitarbeiten. Der Überfall auf die Ukraine ist der letzte Warnschuss. Nehmen Sie ihn bitte ernst.
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Dr. Marcus Faber hat für die FDP-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen mussten wir alle schmerzlich erleben, dass Frieden auch in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Putin ist ein eiskalter Despot. Er schreckt auch nicht davor zurück, Kinderkrankenhäuser in Schutt und Asche zu legen.
Der unverhohlene Einmarsch in die Ukraine zeigt, dass wir diesen Angriff ohne Wenn und Aber verurteilen müssen. Wir haben rasch konsequente Maßnahmen ergriffen, gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten. Dabei können Sanktionen aber nur der Anfang sein, um uns diesem Aggressor in den Weg zu stellen. Eine Antwort auf diese militärische Invasion muss eben auch entschlossenes Handeln sein, ohne deutsche Sonderwege.
Die westliche Unentschlossenheit wurde seit dem Einmarsch in Georgien 2008 und auch bei der Eroberung der Krim 2014 von Russland schamlos ausgenutzt. Sie wurde als das wahrgenommen, was sie ist: Schwäche. Und wegen dieser Schwäche haben wir heute eine vollkommen neue Sicherheitslage. Deswegen diskutieren wir heute zusätzliche Investitionen in Verteidigung, meine Damen und Herren.
Ich bin Finanzminister Lindner sehr dankbar, dass er nun ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro angekündigt und auch auf den Weg gebracht hat. Dieses Geld ist dringend nötig, um den Investitionsstau aufzulösen, den die Union bei der Bundeswehr hinterlassen hat.
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Wir werden endlich die NATO-Ziele, zu denen sich Deutschland verpflichtet hat, auch umsetzen. Wir haben diese Ziele selbst unterschrieben, und wir werden 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung einsetzen.
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Wir bringen jetzt 100 Milliarden Euro auf den Weg, und wir setzen damit ein Signal: Wir setzen damit das Signal, dass Deutschland seine Verpflichtungen im Bündnis wieder ernst nimmt. Ich bin sehr froh, dass wir das mit einem so breiten Rückhalt hinbekommen, dass nämlich außer der Linkspartei tatsächlich alle zustimmen.
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Meine Damen und Herren, wir setzen unsere sicherheitspolitischen Prioritäten neu. Wir haben uns hier lange über Auslandseinsätze in Mali oder in Afghanistan unterhalten. Es geht jetzt um Bündnisverteidigung; es geht jetzt um Landesverteidigung. Wir können uns hier nicht länger hinter den USA verstecken. Europa braucht eigene Kapazitäten bei der Verteidigung. Deutschland braucht eigene Kapazitäten bei der Verteidigung.
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Wir haben einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Wir beschaffen 35 Tarnkappen-Jets F-35A, damit Deutschland die nukleare Teilhabe in der NATO fortsetzen kann. Das ist wichtig. Wir beschaffen zusätzlich 15 Eurofighter, um den elektronischen Kampf auch in der Luft zu führen. Das ist auch wichtig. Diese Schritte waren über zehn Jahre überfällig; deswegen bin ich so froh, dass wir sie jetzt endlich ergriffen haben.
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Ein noch wichtigerer Schritt ist Munition. Wir brauchen Munition, Munition und Munition. Wir werden über 20 Milliarden Euro in Munition investieren. Heute sind wir am Tag 28 von Putins Krieg in der Ukraine. Die NATO hat eigentlich einen Standard, wonach für 30 Tage Munition vorzuhalten ist. Davon ist die Bundeswehr weit, sehr weit entfernt. Deswegen ist es jetzt notwendig, dass wir Munition beschaffen, damit wir ernsthaft abschrecken können, damit wir sie nicht einsetzen müssen.
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Ich möchte noch ein drittes Projekt nennen. Wir sehen bei den grausamen Bildern, die täglich in den Abendnachrichten gezeigt werden, dass es auf funktionierende Landstreitkräfte ankommt. Deswegen müssen wir in das deutsche Heer investieren. Wir brauchen eine Kampfwertsteigerung beim Kampfpanzer Leopard 2. Wir brauchen eine Modernisierung der Schützenpanzer Puma, und wir brauchen mehr Schützenpanzer Puma. Auch das müssen wir jetzt schnell in Angriff nehmen.
Das zeigt: Es ist eine große Aufgabe, es ist eine sehr große Aufgabe. Die Bundeswehr wurde über Jahre, ja Jahrzehnte, kaputtgespart; sie wurde krankgespart. Dieses Investitionsprogramm, das wir jetzt auf den Weg bringen, ist die richtige Medizin dafür, damit wir die Verteidigungsfähigkeit dieser Republik wieder erhöhen.
Ich habe noch eine schlechte Nachricht zum Schluss: Das alles wird nicht morgen früh vor Ort sein. Das steht nirgendwo auf dem Hof. Wir werden das nicht abholen können. Wenn wir neue Flugzeuge und neue Panzer wollen, dann müssen die gebaut werden. Deswegen ist es so wichtig, dass diese Koalition sich darauf verständigt hat, jetzt Produkte zu kaufen, die am Markt etabliert sind, die nicht entwickelt werden müssen, die bereits funktionieren, damit wir sehr schnell etwas haben, was bei der Truppe ankommt, womit wir die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit verbessern können.
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Das alles muss nun schnell gehen. Das Drama ist da: Mitten in Europa ist Krieg; das sehen wir Tag für Tag. Deswegen sage ich Ihnen: Wir haben keine Zeit – fangen wir an!
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind aktuell in einer Situation, die sich vor wenigen Wochen noch niemand hätte vorstellen können – sicher auch durch Fehleinschätzung. Jetzt haben wir Krieg in Europa. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sehen sich einem Aggressor gegenüber, der nicht müde wird, Völkerrecht zu brechen, Städte zu bombardieren, die Zivilbevölkerung zu attackieren und Menschen unmenschlich leiden zu lassen. Die Bilder des Krieges machen tief betroffen.
Olaf Scholz hat am 27. Februar von einer Zeitenwende gesprochen. Dies verlangt, dass auch Entscheidungen getroffen werden, die sich vor einigen Wochen noch niemand hätte vorstellen können – wie die Waffenlieferungen an die Ukraine. Der Krieg in der Ukraine hat uns gezeigt, wie fragil und unbeständig unsere Friedensordnung in Europa sein kann. Der Krieg hat uns vor Augen geführt, dass wir in Europa und in der NATO zusammenstehen und gemeinsam handeln müssen.
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Die Wehrbeauftragte hat im aktuellen Bericht hervorgehoben, wie wichtig es ist, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Bundeswehr ihre Kernaufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung ausführen kann. Dafür und für ihre Einsätze im Rahmen des internationalen Krisenmanagements müsse die Bundeswehr so gut wie möglich ausgestattet sein: mit einer Ausstattung, die zu unserer Verteidigung befähigt – und ja, dazu zählen auch Waffen und Munition –, und mit einer Ausstattung, die dem Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten dient.
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Deswegen werden wir jetzt und in naher Zukunft die Mängel bei personeller und materieller Ausstattung sowie bei der Infrastruktur, die durch Einsparungen in über 20 Jahren entstanden sind, beheben.
Der Anstieg des Verteidigungsetats der letzten Jahre ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen und wir werden mit dem angekündigten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro noch mehr tun, um die bestehenden Ausstattungslücken zu schließen.
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Lassen Sie uns heute und im weiteren parlamentarischen Verfahren debattieren, welche Lösungen es gibt, wo Modernisierungen nötig sind und wie die Bundeswehr den außergewöhnlichen Herausforderungen und der besonderen Verpflichtung gerecht werden kann.
Aufgrund der neuen Bedrohungslage ist diese Haushaltsdebatte eine besondere Debatte für uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die über den Verteidigungshaushalt entscheiden. Es ist auch eine besondere Debatte für die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten; denn die Entscheidung wird sie in Zukunft unmittelbar betreffen. Und es ist auch eine besondere Debatte für mich ganz persönlich, weil es meine erste Rede als Verteidigungspolitikerin im Deutschen Bundestag ist. Ich selbst bin nie Soldatin gewesen und war beruflich vorher nicht mit Auslandseinsätzen oder dem Beschaffungswesen der Bundeswehr befasst. Aber als Volksvertreterin höre ich die Besorgnis der Menschen – Sorgen um die Menschen in der Ukraine und Sorge, dass sich der Krieg weiter ausdehnt –, und ich höre denen zu, die in Sicherheits- und Verteidigungsfragen erfahren sind. Das sind natürlich vor allem unsere Einsatzkräfte selbst.
In meinem Wahlkreis liegen sowohl der Fliegerhorst Wunstorf als auch die Wilhelmstein-Kaserne in Luttmersen. Beide habe ich bereits besucht und dort den Soldatinnen und Soldaten zugehört. – An dieser Stelle herzliche Grüße in die Heimat und noch einmal vielen Dank für den freundlichen Empfang und die Zeit, die Sie sich genommen haben. Ich bin beeindruckt von Ihrer Motivation für die Aufgaben, die Sie erfüllen müssen.
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Das Bild, das ich mir vor Ort machen konnte, ist deutlich: Es geht bei der Erhöhung des Verteidigungsetats und beim geplanten Sondervermögen nicht um Aufrüstung; das will ich an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen. Es geht darum, die Bundeswehr so auszurüsten, dass die Einsatzfähigkeit sichergestellt ist.
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Und das ist letztlich auch ein Akt der Wertschätzung für die Menschen, die ihre Aufgaben für uns bestmöglich erfüllen wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Die Verteidigungsministerin und viele meiner Vorrednerinnen und Kollegen haben heute schon erwähnt, um welche Reformen, zum Beispiel bei der Beschaffung, und Investitionen es gehen könnte. Die Ausgaben im Verteidigungsetat werden sich einbetten in eine nationale Sicherheitsstrategie. Die Bundeswehr soll dabei als Bündnisarmee an der Seite unserer Partnerinnen und Partner ihren mittel- und langfristigen Beitrag leisten können. Lassen Sie uns beraten, wie wir das erreichen können – mit Umsicht und Zusammenhalt und mit Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Ingo Gädechens für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, große Worte und Begriffe wurden von diesem Rednerpult verkündet, staatstragend wurde von einer Zeitenwende gesprochen, und der Bundeskanzler überraschte in seiner Regierungserklärung mit der Ankündigung, mehr für die äußere Sicherheit unseres Landes tun zu wollen. Der Überraschungseffekt war bei den Grünen und sogar bei Teilen der SPD größer als in den Reihen der Union; denn der CDU/CSU war schon vor dem schrecklichen Ukrainekrieg klar, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten besser ausstatten und geplante größere Rüstungsvorhaben noch ausfinanzieren müssen.
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Mir war klar – das sage ich jetzt nicht, Kollegin Brugger, als langjähriger Verteidigungspolitiker; das sage ich als Haushaltspolitiker –, dass mit den 27 25‑Mio-Vorlagen, die die Große Koalition noch in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl beschlossen hat, viele wichtige Vorhaben zwar Eingang in den Haushalt gefunden haben, aber finanziell noch nicht abgesichert werden konnten. Das wusste auch der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Deshalb war klar, dass – egal wer dieses Land nach der Wahl regiert – mehr Geld für unsere Bundeswehr notwendig sein würde.
Der zaghafte Versuch der neuen Staatssekretärin Frau Dr. Sudhof im BMVg, genau das gegenüber dem FDP-geführten Bundesfinanzministerium einzufordern, erfuhr noch Ende Januar eine eiskalte Abfuhr. Plafondneutral sei alles auszuplanen, war die Aufforderung aus dem BMF. Oder anders ausgedrückt: Noch Ende Januar wollte das Ampelkabinett keinen einzigen Cent mehr für die Sicherheit Deutschlands, für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr ausgeben.
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Meine Damen und Herren, viel zu selten werden in diesem Hause unsere hervorragenden Protokollantinnen und Protokollanten gelobt. Ich will das heute ausdrücklich tun;
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denn sie haben hinter den Sätzen bei der Regierungserklärung des Bundeskanzlers immer einen Punkt gesetzt:
Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten.
Punkt!
Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.
Punkt! Also zwei unabhängig voneinander stehende Ankündigungen, die auch unabhängig verstanden werden konnten. Jedenfalls scheint die Verteidigungsministerin das genauso verstanden zu haben wie ich. Sie musste allerdings schnell wieder zurückrudern; denn die Ankündigungen wurden nach der Regierungserklärung umgedeutet: Das Sondervermögen soll nun für die Erreichung des 2‑Prozent-Ziels herangezogen werden.
Der Etat des Einzelplans 14 beläuft sich gegenwärtig auf 50 Milliarden Euro. 2 Prozent des BIP wären allerdings 70 Milliarden. Wir sprechen also über eine jährliche Deckungslücke von rund 20 Milliarden. Das vorgesehene Sondervermögen würde demnach rein rechnerisch gerade einmal für fünf Jahre reichen, um die Bundeswehr ausreichend zu finanzieren. Das Ampelkabinett hat allerdings festgelegt, den Etat in den kommenden Jahren auf 50 Milliarden Euro zu deckeln.
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Damit wären wir spätestens 2027 wieder in demselben Dilemma wie heute; wir hätten wieder eine strukturell unterfinanzierte Bundeswehr. Glaubwürdig wird die Ankündigung des Bundeskanzlers also nur mit einem kontinuierlich anwachsenden Verteidigungsetat.
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Das scheint aber in der Ampel nicht konsensfähig zu sein.
Nun komme ich zu Ihnen, Frau Bundesverteidigungsministerin, der Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt. Der Soldatenberuf ist etwas ganz Besonderes.
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Herr Staatssekretär Toncar, ich sage das, weil ich nach 32 Dienstjahren in der Bundeswehr in den Bundestag gewählt wurde. Deshalb weiß ich, dass der Soldatenberuf etwas ganz Besonderes ist, weil die Frauen und Männer in der Truppe geschworen haben, dieses Land, unsere Demokratie mit all ihren Werten tapfer und im schlimmsten Fall auch mit ihrem Leben zu verteidigen. Von daher sind diese Männer und Frauen auch etwas sensibler, wenn es darum geht, wie man mit ihnen umgeht und welche Verlautbarungen von der Spitze des BMVg geäußert werden. Da ist zu hören, dass Sie, Frau Ministerin, mit Uniformierten fremdeln, dass Sie einen Oberleutnant nicht von einem Oberstleutnant unterscheiden können. Das wird den Oberleutnant wenig stören, zeigt aber Ihre Haltung und macht deutlich, warum Sie von einem Fettnäpfchen in das nächste stolpern.
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Mich treibt es um, wenn diese hochmotivierte Truppe mit Plattitüden überschüttet wird und nun der Hoffnungsschimmer auf bessere Ausrüstung unter den Ampelkoalitionären bereits wieder zerredet wird.
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Die Zahl 5 000 scheint Ihre Lieblingszahl zu sein, Frau Lambrecht, wobei ich die Peinlichkeit mit den 5 000 Helmen für die Ukraine nicht wieder aufwärmen möchte.
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Schlimmer ist es allerdings, wenn Sie im Kreis der EU-Verteidigungsminister bekannt geben, dass Deutschland ab 2025 das militärische Herzstück der schnellen Eingreiftruppe bereitstellen will, und Sie den Eindruck erwecken, dass allein Deutschland 5 000 Soldatinnen und Soldaten entsenden wird.
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Auch das musste Ihr Haus dann wieder korrigieren – an Peinlichkeit schwer zu überbieten.
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Beim Thema Beschaffungsprozess wird von Ihnen reflexartig verkündet, dass Sie diesen im Bundeswehrbeschaffungsamt, BAAINBw, optimieren wollen. Damit dokumentieren Sie allerdings einmal mehr Ihre Unkenntnis; denn eine Optimierungskommission gab es bereits. In dieser Kommission durfte nicht nur ich, sondern auch Ihr jetziger Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Hitschler mitarbeiten.
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Fragen Sie ihn doch nach den Ergebnissen, und bringen Sie die ein. Ändern Sie die Vorschriften und Gesetze,
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verabschieden Sie sich von europaweiten Ausschreibungen, machen Sie viel mehr Gebrauch von Artikel 346 AEUV, nehmen Sie die wehrtechnische Industrie in die Pflicht, und sorgen Sie dafür, dass der öffentliche Auftraggeber, die Bundeswehr, endlich so behandelt wird, wie es ein Premiumkunde erwarten kann.
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Meine zugegebenermaßen sehr hohen Erwartungen an die neue Ministerin sind nach etwas über 100 Tagen im Amt von einem Sink- in einen Sturzflug übergegangen.
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Diesen Eindruck hat man mittlerweile anscheinend auch im Bundeskanzleramt. Die Zeit der Besserwisserei – lieber Karsten Klein, was du hier erzählt hast – ist gerade für die Liberalen und die Grünen zu Ende. Der gebetsmühlenartig vorgetragene Vorwurf, die CDU/CSU hätte allein doch 16 Jahre das Verteidigungsministerium geführt, verfängt schon deshalb nicht,
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weil wir immer, so wie Sie heute in Ihrer Ampel, an Koalitionspartner gebunden waren und wir leider nicht immer das durchsetzen konnten, was für die Bundeswehr wichtig und richtig gewesen wäre.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns sachlich und konzentriert – –
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– Ich habe mir hier eine Menge anhören müssen,
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und das müssen Sie dann auch ertragen, weil das nämlich die Wahrheit ist.
Kollege.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes, und es geht um die bestmögliche Ausstattung unserer Bundeswehr.
Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Sara Nanni das Wort.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe gerade zu einem Kollegen gesagt: Ich fokussiere mich einfach mal auf das, was ich sagen will. Ich glaube, vieles von dem, was von der Union kam, enttarnt sich ein Stück weit selbst.
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Die Haushaltsberatungen in diesem Jahr sind nicht so wie in jedem anderen Jahr. Das zeigen viele – nicht alle – Reden, die wir bisher gehört haben, und zwar nicht nur beim Einzelplan 14, sondern auch in der Debatte davor.
Der Beginn von Russlands Angriff auf die Ukraine ist morgen genau vier Wochen her. Seitdem haben sich viele Gewissheiten des russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Gegenteil gewandt: Die EU ist geeint, die Ukraine kämpft, die NATO lässt sich nicht provozieren, und Deutschland kümmert sich um seine Verteidigungsfähigkeit.
({1})
Dass die EU geeint ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Krisen, in denen wir durch Uneinigkeit alles nur noch schlimmer gemacht haben, sind leider zahlreich. Diesmal ist es anders.
Die Ukraine kämpft; auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Das Ungleichgewicht schien so groß und eindeutig, dass manch wohlfeiler Berater frühzeitig Kapitulation anriet. Aber die Ukrainer/-innen wissen, wofür sie kämpfen: für ihre Freiheit, für ein Leben ohne repressive, aggressive Autokraten, für Würde und Unabhängigkeit.
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Die NATO lässt sich nicht provozieren. Ruhe bewahren ist angesagt; das wissen alle. Und ich bin dankbar für jeden Tag, an dem dies so bleibt; denn auch das ist leider keine Selbstverständlichkeit.
Die Ampel will sich um die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik kümmern. Ich sage Ihnen: Es ist gut, dass hohe Militärausgaben nicht einfach selbstverständlich sind. Es ist gut, dass es Kritik daran gibt. Es ist gut, dass wir uns rechtfertigen müssen. Bürger/-innen sagen mir: Wir brauchen das Geld doch woanders. Warum gibt die Menschheit jetzt Unsummen für Rüstung aus, statt alles, was wir an finanziellen Ressourcen haben, in die Krisen zu stecken, die schon da sind, Artensterben, Klimakrise, Ernährungskrise, soziale Ungerechtigkeit, Pandemie und Pandemiefolgen? – Der Krieg in der Ukraine ist so sinnlos, so nutzlos, so dumm, so falsch wie alle anderen auch. Aber er ist da. Er ist da, und er geht auch nicht einfach weg, nur weil er unsinnig, nutzlos, dumm und falsch ist. Und wenn wir uns Sorgen um den Frieden in Europa machen, wenn wir uns Sorgen um die Sicherheit unserer europäischen Partner machen und wenn wir uns auch Sorgen um unsere eigene Sicherheit machen, dann müssen wir auch sicherheitspolitisch handlungsfähiger sein, als wir das heute sind.
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Dazu braucht es auch entsprechende Ausgaben im Einzelplan 14 und ein Sondervermögen, von dem auch die Bundeswehr profitiert. Eine bessere Lage in der Bundeswehr stellt sich aber nicht von heute auf morgen ein; Sie haben es ja 16 Jahre nicht geschafft. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass mehr Geld allein nicht dafür sorgen wird, dass wir handlungsfähiger sind. Man kann nämlich auch wunderbar mit steigendem Budget am Bedarf vorbeiplanen oder durch Ineffizienzen dafür sorgen, dass trotz viel Geld wenig Verteidigung herauskommt.
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Der Kollege Brandl sagte vorhin, was jeder in der Bundeswehr angeblich weiß. Wissen Sie, was jeder in der Bundeswehr weiß? Mit einem Panzer können Sie keine Cyberattacke abwehren,
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mit Schutzwesten schützen Sie Soldatinnen und Soldaten, aber nicht unsere kritische Infrastruktur, und eine Fregatte im Indo-Pazifik macht keine Diplomatie. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir im Haushalt insgesamt der großen internationalen Verantwortung Deutschlands in der Welt Rechnung tragen und das Sondervermögen für das einplanen wollen, was unsere Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit insgesamt verbessert. Und auch unser Haushalt für dieses Jahr muss die vielen Dimensionen der Herausforderungen abbilden, die sich nicht zuletzt durch ein aggressives Russland ergeben.
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Desinformation ist kein Kleinkram, humanitäre Hilfe ist Teil unserer Antwort auf diesen Krieg. Ernährungssicherheit und militärische Sicherheit sind ganz offensichtlich verknüpft. Es braucht europäische Interoperabilität genauso wie europäische Solidarität und vor allem eine gute Diplomatie, die beides organisiert.
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Wenn es uns gelingt, wesentliche Beschaffungen effizient zu tätigen, die Soldatinnen und Soldaten optimal auszubilden und gut ausgestattet in die Einsätze zu schicken, und wenn wir ab jetzt mit einem geweiteten Blick in die Welt schauen, dann haben wir die Zeitenwende, die wir brauchen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten und mit diesem Haushalt einen Anfang machen!
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Wolfgang Hellmich das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich ja mit dem Kollegen Brandl anfangen, aber zu ihm komme ich gleich.
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Als vor gut 30 Jahren ein alter Mann, mein Großvater, und ein anderer alter Mann, der früher als Zwangsarbeiter auf dem Hof arbeiten musste, sich in den Armen lagen und sagten: „Jetzt ist Frieden in diesem Land, jetzt ist Frieden in Europa“, war auch ich dieser Meinung. Ich war es auch seitdem, weil ich es vor mir sah. Ich hörte die beiden alten Männer und später Willy Brandt sagen, was Frieden in Europa bedeutet. Seit wenigen Tagen ist diese meine Illusion zerstoben; sie ist nämlich zerstört worden. Diese systematische Zerstörung meiner Illusion und die des ganzen Landes Ukraine ist spätestens seit 2014 vorbereitet worden. Viele haben diesen Prozess beobachtet und gesehen.
Ich sehe mich noch, nachdem ich in den Bundestag kam, beim damaligen russischen Botschafter sitzen, der mir sagte: In Sotschi ist unsere nationale Identität vom Westen zerstört worden. – Da habe ich ihm gesagt: Das ist eine gefährliche Aussage. – Sie hat nämlich die Konsequenz in dem, was Russland gerade in der Ukraine anrichtet. Mit einem neonationalistischen, völkischen Ansatz versucht es, ein Brudervolk zu vernichten, ohne Rücksicht auf Verluste und auch ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung. Russische Soldatinnen und Soldaten werden da verheizt und von Putin ohne Rücksicht auf Verluste in den Tod geschickt. Mit einem solchen Menschen kann man keine Verträge machen. Mit einem solchen Menschen, einem solchen System kann man auch keine Strukturen und keine Zukunft gestalten, sondern wir werden uns darauf vorbereiten und dafür wappnen müssen, dass das, was dort passiert, auch noch auf andere Länder in Europa überschwappt. Ich denke an die Georgier, die große Sorgen haben und mir sagen: Wenn im Jahre 2008 im Mittelmeer nicht ein Trägerverband der USA gelegen hätte, hätten die Russen Tiflis überrannt.
Wir haben es heute mit keiner neuen Erkenntnis zu tun. Unsere Soldatinnen und Soldaten, die in Rukla, in der Slowakei und an anderen Stellen gerade ihren Dienst für unser Land tun und ihren Eid erfüllen, in Treue dafür zu sorgen, dass wir in Freiheit leben können, wissen sehr genau, worum es da geht, und sie tragen diese Verantwortung in vollem Bewusstsein, was ihr Beruf für sie bedeutet. Sie erwarten von uns hier eine Debatte, die dem auch gerecht wird, und da habe ich ernsthafte Zweifel.
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Kollege Brandl, Sie fordern hier die Verteidigungsministerin auf, von vorne zu führen. Ich sehe noch Ihre Verteidigungsministerin Frau von der Leyen bei der Bildung eines Arbeitskreises für ein Weißbuch und höre, wie sie von Führung aus der Mitte spricht. Alle haben sich gefragt, was das bedeutet. Wir haben am Ende gesehen, was Führung aus der Mitte bedeutet, nämlich keine Verantwortung zu übernehmen und sie anderen zu überlassen,
({2})
um sich hinterher vom Hof machen zu können.
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Ich glaube, das brauchen wir uns nicht vorhalten zu lassen.
Die Konsequenz, mit der wir es heute zu tun haben, ist eine überlastete Beschaffungsorganisation, deren Mitarbeiter wirklich gute Arbeit leisten; dort fehlen aber tausend Stellen. Die Nutzung wurde ihnen übertragen, aber sie wissen gar nicht, wie. Am Ende werden sie dafür verantwortlich gemacht, dass das eine oder andere nicht fliegt, obwohl ihnen gar nicht geholfen worden ist. Die Schuld wurde ihnen zugeschoben. Das kann man hier so nicht stehen lassen.
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Wir sind mit dem, was wir jetzt haben, endlich an dem Punkt – damit wird das umgesetzt, was Sie eingeklagt bzw. gefordert haben –, dass von vorne geführt wird, und zwar mit Verantwortung für das, was da geschieht. Deshalb bin ich dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er genau dies hier erklärt hat.
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Und nun machen wir uns ans Werk.
Die Ministerin sitzt im Maschinenraum, und zwar mit uns zusammen, um das umzusetzen, was alleine im Laufe der letzten Tage im Bereich der Beschaffung beschlossen worden ist, zum Beispiel die Beschleunigung. Man kann hier niemandem vorwerfen, es werde keine Verantwortung übernommen. Im Gegenteil: Führung und Verantwortung gehören zusammen und werden zusammen übernommen.
Zu dem billigen Spiel, das Sie zusammen mit den Medien im Laufe der letzten Tage getrieben haben: Die Soldatinnen und Soldaten sehen das ganz genau und sagen uns: Wer ein solch billiges Spiel in einer solchen Situation treibt, der schwächt die Bundesrepublik, der schwächt die politische Führung und der nimmt uns auch den Rückhalt, den wir an anderer Stelle brauchen. – Und das finde ich schäbig.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Putins völkerrechtswidriger Krieg verursacht unermessliches Leid für die Menschen in der Ukraine, und die Bundesregierung hilft, wo sie kann. Wir wollen diesen Krieg so schnell es geht beenden und die Lage für die Menschen verbessern. Derzeit – und das wissen Sie – wird die Situation in der Ukraine aber von Tag zu Tag schlimmer. Menschen sterben durch russische Angriffe und an den Folgen der Zerstörung. Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente und Unterkünfte fehlen. Knapp 10 Millionen Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben. Ein Teil von ihnen sucht Schutz in der EU und in der Republik Moldau, doch die meisten bleiben in der Ukraine; sie sind Vertriebene im eigenen Land.
Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Putin im Jahre 2014 unterstützt das Entwicklungsministerium die Binnenvertriebenen in der Ukraine mit dem Bau von Unterkünften und auch mit sozialpsychologischer Betreuung. Unser Engagement hat sich ursprünglich mal auf die Ostukraine fokussiert, und jetzt verlagert sich natürlich unsere akute Unterstützung auf das gesamte Land. Bundeskanzler Olaf Scholz hat heute früh an die Bilder der zerstörten Wohnungen und fliehender Frauen und Kinder erinnert. Sie zeigen sehr deutlich: Wir werden das Engagement jetzt massiv ausbauen müssen. Ich halte das einfach für ein Gebot der Menschlichkeit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen des Krieges sind darüber hinaus aber jetzt schon weltweit spürbar. Der Krieg in der Kornkammer der Welt hat dramatische Auswirkungen auf die weltweite Ernährung. Schon jetzt liegen die Weltmarktpreise für Getreide auf dem historischen Höchststand von 2008. Jeder weitere Kriegstag führt nicht nur zu mehr Kriegstoten, sondern in der Folge auch zu mehr Hungertoten. Deshalb müssen wir jetzt alles dafür tun, weitere Hungersnöte zu verhindern. Gemeinsam mit unseren Partnern fahren wir die internationalen Unterstützungsprogramme sehr schnell hoch. Das Entwicklungsministerium handelt hier im engen Schulterschluss mit dem Außen‑, mit dem Landwirtschaftsministerium. Ich bin auch den vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen enorm dankbar, die jetzt wirklich mit großem Engagement helfen.
Uns allen ist klar, dass beispielsweise die im Regierungsentwurf eingeplanten 28 Millionen Euro für das Welternährungsprogramm nicht reichen werden, um Ernteausfälle auszugleichen und Hungersnöte zu verhindern. Und ich zähle auch auf Sie, dass wir hier noch einmal nachlegen können.
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Es ist eine ganz wichtige Reaktion auf die kurzfristigen Schocks; aber wir wissen doch alle, dass es dabei nicht bleiben kann. Die Agrar- und Ernährungssysteme müssen grundsätzlich verändert werden. Daher möchte ich mit unseren Partnerländern die Investitionen in eine nachhaltige, widerstandsfähige Landwirtschaft ausbauen. Denn Sie wissen: 1 Euro an Investition in krisenfeste Gesellschaften spart später 4 Euro an humanitärer Nothilfe. Diese Transformation ist also kein Luxus, den wir nach der Krise mal angehen können, sondern sie ist aktive Krisenprävention. Darum ist es nur realistisch, dass die Bundesregierung beim vorliegenden Haushalt lediglich von einem Zwischenstand spricht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen für die Entwicklungszusammenarbeit waren schon vor dem Krieg enorm. Nehmen wir die Covid‑19-Pandemie, die größte Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. Gerade für die ärmsten Länder ist sie zu einer Polypandemie geworden, mit gesundheitlichen, aber auch mit wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Deswegen ist es gut und wichtig, dass Deutschland auch in diesem Jahr seinen Anteil am weltweiten Einsatz gegen die Coronapandemie leisten wird. So sieht es der Beschluss des Kabinetts vor, und das wird hoffentlich auch der Bundestag unterstützen. Damit können wir einen Beitrag zum Ende der Pandemie und zur Resilienz der Gesundheitssysteme leisten.
Zu dieser Polypandemie kommen aber viele Probleme hinzu, und dazu gehört auch die Klimakrise. Es ist vollkommen klar: Die ärmsten Länder der Welt sind wenig bis gar nicht für den menschengemachten Klimawandel verantwortlich; zugleich trifft er aber die ärmsten Länder am härtesten. Die Klimakrise führt zu Dürren, zu Stürmen, zu Überschwemmungen, und dadurch werden auch Ernten, werden Weide- und Anbauflächen zerstört. Nahrungsmittelknappheit und steigende Preise sind wiederum die Folge. Auch deshalb sind die Bewältigung des Klimawandels und die Klimaanpassung ein ganz zentrales Politikfeld für die gesamte Regierung und auch für das Entwicklungsministerium.
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Ich habe erst vor Kurzem mit dem ruandischen Finanzminister die ruandisch-deutsche Klima- und Entwicklungspartnerschaft unterzeichnen können. Und ich bin froh, dass wir gemeinsam mit den G‑7-Staaten während unserer Präsidentschaft diese Art von Partnerschaften weiter vorantreiben. Sie und andere Projekte aus meinem Haus leisten einen ganz wichtigen Beitrag, damit das Pariser Klimaschutzabkommen erfüllt werden kann. Daher müssen auch in Zukunft ausreichende Mittel zur internationalen Klimafinanzierung zur Verfügung stehen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der russische Angriffskrieg wird die multiplen Krisen dieser Welt noch weiter verstärken. Wir erleben verschiedene heftige Krisen, die sich überlagern und gegenseitig verstärken. Darunter werden die Länder des Globalen Südens ganz besonders stark leiden. Regionale Konflikte werden wahrscheinlich noch schwerer einzuhegen sein. Das wird alles zu einer Herkulesaufgabe für die Entwicklungspolitik, von der Ernährungssicherung über den Gesundheitsschutz, die Energiesicherheit bis zu dem Aufbau von Infrastruktur für Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten.
Es ist gut und wichtig – das haben wir hier gerade diskutiert –, dass die Bundeswehr künftig auskömmlich finanziert wird. Aber zugleich hat Rolf Mützenich darauf hingewiesen: Erfolgreiche Sicherheitspolitik muss umfassend sein. – Neben einer gut ausgestatteten Bundeswehr braucht Deutschland auch eine starke Entwicklungspolitik, die künftigen Krisen vorbeugt. Darum werde ich mich innerhalb der Regierung und auch im parlamentarischen Verfahren dafür einsetzen, dass wir diese Aufgaben auch wahrnehmen können. Dabei setze ich auch auf Ihre Unterstützung.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Hermann Gröhe das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin Schulze, Sie werben zu Recht für eine starke Politik im Bereich „wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“. Ja, dann machen Sie sie doch auch!
Wir alle wissen: Globale Krisen treffen gerade die Ärmsten der Armen. Das gilt für die Folgen des Klimawandels, die Nahrungsmittelanbauflächen gefährden, ja häufig zerstören. Das gilt für die Folgen der Coronapandemie, die uns beim Kampf gegen den Welthunger zurückgeworfen haben und vielerorts Bildung von jungen Menschen gefährden, und das gilt schließlich auch für den Krieg gegen die Ukraine. Natürlich leiden unter diesem schrecklichen Krieg vor allem die Menschen, die in der Ukraine selbst leben; aber seine globalen Folgen gerade bei der Nahrungsmittelversorgung treffen eben auch wieder in besonderer Weise die Ärmsten der Welt.
Meine Damen, meine Herren, der Krieg gegen die Ukraine mag Mehrbedarf begründen, etwa auch im Hinblick auf die Nachbarschaft Russlands, zum Beispiel im Kaukasus oder in Zentralasien. Er begründet keineswegs Ihre Streichungen. In einer Zeit, in der es mehr globale Solidarität braucht, sinkt der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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um 1,57 Milliarden Euro. Das offenbart eine völlig verfehlte Prioritätensetzung dieser Regierung.
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Sie können uns keineswegs auf den angekündigten Nachtragshaushalt verweisen; denn viele Ihrer Kürzungspläne lassen sich keineswegs unter Hinweis auf den Krieg in der Ukraine rückgängig machen.
Ja, der Ukrainekrieg verschärft – darauf haben Sie zu Recht hingewiesen – die Hungerkrise. Russland und die Ukraine haben an den weltweiten Exporten von Weizen einen Anteil von 30 Prozent, von Mais 20 Prozent, von Sonnenblumenkernen als Grundlage für Speiseöl gar 75 Prozent. Gerade Nordafrika, der Nahe Osten und Subsahara-Afrika sind vom Wegfall dieser Exporte dramatisch betroffen. Aber schon vor dieser Krise war allein durch die Folgen der Coronapandemie der Kampf gegen den Hunger in der Welt, unter dem mehr als 800 Millionen Menschen bitter leiden, deutlich betroffen. Und was machen Sie?
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Sie reduzieren den Kernbeitrag für das Welternährungsprogramm um 40 Prozent.
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Bei der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ streichen Sie 60 Millionen Euro,
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mehr als 10 Prozent. So werden Sie unserer Verantwortung nicht gerecht.
In einer Zeit, in der vielerorts Freiheitsräume für zivilgesellschaftliche Aktivitäten beschnitten werden – die internationale Debatte findet unter dem Schlagwort „Shrinking Space“ statt –, kürzen Sie die Mittel für die entwicklungspolitischen Vorhaben der Kirchen und der privaten Träger, obwohl gerade deren Partnerschaften häufig für bedrängte zivilgesellschaftliche Akteure eine wichtige Schutzfunktion entfalten.
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Und zu allem Überfluss kürzen Sie die Förderung freier Medien um 25 Prozent. In einer Zeit, in der sich weltweit Krisen zuspitzen, senken Sie die Mittel für Krisenbewältigung und Wiederaufbau um 380 Millionen Euro. Das sind sage und schreibe 40 Prozent. 40 Prozent! Sieht bei Ihnen eigentlich keiner mehr Nachrichten?
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Meine Damen, meine Herren, das ist doch unglaublich.
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In einer Zeit, in der wir gemeinsam Wert darauf legen, dass verantwortlich gestaltete Lieferketten wichtig sind, und wir deswegen die Wirtschaft mit einem Lieferkettengesetz in die Pflicht nehmen – und ich habe mich stets dazu bekannt –, kürzen Sie im Bereich der Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft über 70 Millionen Euro – mehr als 25 Prozent. Andere in die Pflicht nehmen, aber sich selber aus der Verantwortung stehlen, das passt nicht zusammen, meine Damen, meine Herren.
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Bei der Bilateralen Finanziellen Zusammenarbeit, einem Kernstück unserer Entwicklungszusammenarbeit, kürzen Sie rund 350 Millionen Euro, fast 15 Prozent.
Schließlich sei auch auf das Thema „globale Gesundheit“ hingewiesen. Ich will ausdrücklich begrüßen, dass die Bundesregierung im Rahmen der G‑7- Präsidentschaft nachgeholt hat, was im Koalitionsvertrag unterblieben ist: sich zu dieser Führungsrolle zu bekennen. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass im Einzelplan 60 über 1 Milliarde Euro vorgesehen sind für die weltweite Verteilung von Impfstoff in den Entwicklungsländern; das will ich ausdrücklich unterstreichen.
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Aber wenn wir aus der Pandemie etwas lernen, dann, dass es eben auch um die Stärkung von Gesundheitssystemen vor Ort geht. Wenn Sie die Mittel für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zusammenstreichen – in der jetzigen Förderperiode sind es 1 Milliarde Euro aus dem Bundeshaushalt; zukünftig sind von Ihnen 630 Millionen Euro vorgesehen –, dann wird auch das unserer Vorbildfunktion in der Welt nicht gerecht, meine Damen, meine Herren.
Das kann man vielleicht später im Vollzug reparieren, aber jetzt werden doch auch die Weichen für die Zusagen anderer Geber gestellt. Es wird Sie nicht wundern, dass die Nichtregierungsorganisationen Ihren Haushalt klar beurteilen. Es sei eine völlig unverständliche Entscheidung, sagt „Brot für die Welt“. Der Dachverband VENRO sagt, die Kürzungen kämen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Bliebe es dabei, so sei dies – so wörtlich – eine Schande.
Ihr Haushalt bleibt hinter jedem eigenen Anspruch zurück. Aber schlimmer ist: Der Fehlstart der Ampel in der Entwicklungspolitik gefährdet die Verantwortung unseres Landes für die globale Entwicklung. Wir als Union finden uns damit nicht ab.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Felix Banaszak das Wort.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 18. Januar 1977 verdoppelten sich in Ägypten von einem Tag auf den anderen die Preise für Brot, Mehl, Zucker und andere Grundnahrungsmittel. Tags zuvor hatte der damalige ägyptische Präsident Anwar al-Sadat die staatlichen Subventionen gestrichen. Tags darauf kam es zu Protesten. 6 Millionen bis 9 Millionen Menschen gingen auf die Straße, etwa 100 bezahlten mit ihrem Leben. Diese blutigen Tage sind in die ägyptische Geschichte als die sogenannten Brotunruhen eingegangen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Brotunruhen sind nur eines von vielen Beispielen in der Geschichte und nicht mal das dramatischste dafür, wie am Beginn von Leid und Konflikt die Sorge vor Hunger und vor Mangel steht. Wenn wir in diesen Tagen über die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine auf die weltweite Sicherheit sprechen, dann dürfen wir nicht den Fehler machen, unser Verständnis von Sicherheit zu verkürzen und zu begrenzen. Sicherheit ist offensichtlich mehr als militärische Stärke.
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Wir werden – und das ist richtig – die Bundeswehr besser ausrüsten. Aber wir dürfen bei alldem nicht vergessen, dass wir gleichzeitig unseren Kampf gegen Hunger und Armut auch entsprechend finanziell fortführen müssen. Denn jeder Euro, den wir in stabilisierende und präventive Maßnahmen, in zivile Krisenprävention, in die Unterstützung der Zivilgesellschaft in fragilen Ländern und vieles mehr stecken, verringert die Gefahr für kriegerische und blutige Auseinandersetzungen in der Zukunft.
Meine Damen und Herren, die Coronapandemie, die globale Pandemie hat auf die globalen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten noch mal verstärkend gewirkt. Die Zahl der Menschen, die unter extremer Armut leiden, ist so hoch wie in den letzten Jahren nicht und steigt wieder. Frauen und Mädchen sind besonders betroffen. Die Klimakrise, die globale Erderhitzung trifft viele Regionen jetzt schon dramatisch.
Es gibt zahlreiche Krisen. Die Lage ist ernst. Die Herausforderungen sind groß, und sie werden größer. Ja, in dieser Situation ist eine Streichung von 1,6 Milliarden Euro im Haushalt gegenüber dem letzten Jahr das falsche Signal.
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Deswegen werden wir – Herr Gröhe, zu Ihnen komme ich gleich –, wenn wir über den Ergänzungshaushalt sprechen, darauf hinwirken, dass der Etat, der ja die Folgen des Krieges in der Ukraine abbilden soll, eben auch die globalen Folgen berücksichtigen wird.
Herr Gröhe, ich kann mich noch sehr gut an die Debatte zum entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung, die wir hier vor ein paar Wochen geführt haben, erinnern. Da gab es hier ja viel Tumult, viel Aufregung und hochrote Köpfe. Schon damals hat Ihnen mein Kollege Jan-Niclas Gesenhues vorgerechnet, dass es der Finanzplan der Großen Koalition unter Führung der Union war, der genau diese Reduktion vorgesehen hat, der ein sinkendes Plateau vorgesehen hat.
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– Sie sind ja gleich dran, Herr Dr. Stefinger.
Ich war gestern anwesend, als Herr Dobrindt gesprochen hat, und ich war heute Morgen anwesend, als Herr Merz gesprochen hat. Vielleicht tauschen Sie mal die Nummern untereinander aus; Sie scheinen da nämlich ein paar Diskussionen vor sich zu haben. Wenn Herr Dobrindt sagt, der Verteidigungshaushalt müsse eigentlich allein aus Mitteln des Kernhaushaltes anwachsen und es müsse eben woanders gespart werden, dann müsste hier zwingend noch stärker gespart werden. Deshalb ist es unehrlich, was Sie hier aufführen.
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Wenn Sie dafür sorgen wollen, dass dieser Etat ansteigt, haben Sie uns auf Ihrer Seite. Aber dann machen Sie es überall deutlich, und zwar auch in der Fraktionsspitze.
Meine Damen und Herren, ich will zum Ende drei Punkte hervorheben, die für uns und für mich wichtig sind:
Erstens. 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens gehen in Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Das ODA-Ziel von 0,7 Prozent wird auch erfüllt, unter anderem deswegen, meine Damen und Herren von der Union, weil gegenüber dem Entwurf der Vorgängerregierung noch mal 1 Milliarde Euro draufgesetzt wurden. Das ist es, was wir wollen. Das ist es auch, was wir in den nächsten Jahren wollen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Niveau gehalten wird.
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Zweitens. Wir werden morgen noch viel über den Klimaschutz sprechen. In dieser Situation muss uns allen klar sein, dass wir insbesondere für den globalen Klimaschutz und für die internationale Klimafinanzierung mehr tun müssen, dass wir das auf eine gute finanzielle Basis stellen müssen, dass wir Energiepartnerschaften auf Augenhöhe stärken müssen. Das ist eine Priorität dieser Koalition.
Drittens. Nach zwölf Jahren Dirk Niebel und Gerd Müller an der Hausspitze will ich noch eines bemerken: Es gibt keine globale Gerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit.
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Die Krisen, von denen wir gesprochen haben, treffen Frauen und Mädchen besonders stark. Eingriffe in die reproduktiven Rechte, Zwangsverheiratung und vieles mehr – all das nimmt zu. Unsere Antworten – jetzt wird es wahrscheinlich gleich ganz rechts außen unangenehm laut – sind eine feministische Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
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Da haben Sie uns an Ihrer Seite, Frau Ministerin, so wie Sie uns immer an Ihrer Seite haben, wenn Sie gute Prioritäten setzen. Da, wo das vielleicht noch nicht ganz der Fall ist, helfen wir im Haushaltsverfahren gerne nach. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Die Regierung schreibt in ihrem Etatentwurf zum Einzelplan 23, dem Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – ich zitiere –: „Die deutsche Entwicklungspolitik befasst sich mit den zentralen Überlebens- und Zukunftsfragen der Menschheit.“ Der gesamten Menschheit! Frau Ministerin, ein bisschen kleiner ging es dann wohl offensichtlich nicht. Dieser Satz ist ein weiterer Beleg für meine These von heute Mittag, dass auch die deutsche Außenpolitik dazu beigetragen hat, dass die westliche Wertegemeinschaft in einigen Teilen der Welt als arrogant und ignorant wahrgenommen wird. Denn bei einer nüchternen Betrachtung des Konzepts Entwicklungshilfe und ihrer sogenannten Erfolge landet man tatsächlich sehr schnell bei dem Wort „Ignoranz“.
Seit Jahren werden Millionen, Milliarden, sogar Billionen weltweit für die Entwicklungshilfe ausgegeben, und noch immer präsentieren sich die Krisenregionen der Welt als Krisenregionen. Noch immer herrschen Hunger, gesundheitliche Unterversorgung, Korruption und Gewalt in großen Teilen der Welt. Und wirklich entwickelt wurde in vielen Fällen nur so lange etwas, wie die jeweiligen Projekte finanziert wurden.
Dennoch hat sich das Entwicklungshilfesystem trotz offenkundiger Ineffizienz kaum verändert. Man muss sich die Frage stellen: Woran liegt das? Jetzt gibt es sicherlich jemanden, der sofort fordert: Mehr Geld! Doch das sehen die Betroffenen ganz anders. Denn durch Entwicklungshilfegelder ist ein System von dauerhaften Abhängigkeiten geschaffen worden, in dem die Eigeninitiative häufig verkümmert und man obendrein de facto noch korrupte Regierungen unterstützt, die es mit den Menschenrechten ohnehin nicht so genau nehmen.
Vertreter von sogenannten Nehmerländern wollen aus diesem Kreislauf ausbrechen. Sie wollen nicht mehr als Opfer und Empfänger milder Gaben gelten, sondern ihr Leben und ihr Land selbstbestimmt gestalten.
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Deshalb setzen sie auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen und auf den internationalen Handel – was gut ist. Doch genau hier stehen viele Geberländer nun im Weg, die an ihren Handelsbeschränkungen und Marktzutrittsbarrieren festhalten. Auch Deutschland ist hier leider keine Ausnahme.
Mehr noch: Die Gewährung von Entwicklungshilfegeldern wird immer an die Einhaltung von vorgegebenen Standards gekoppelt; denn man will ja gleichzeitig – ich zitiere – Frieden fördern und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und gute Regierungsführung stärken. Ich bin der größte Verfechter dieser Werte, aber man muss einfach verstehen, wie anmaßend und beleidigend andere Staaten und Völker es finden, wenn westliche Länder daherkommen und sich in die Politik ihrer Staaten einmischen.
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Man muss sich das einmal vorstellen: Die deutsche Entwicklungspolitik geht hin und will in anderen Ländern „gute Regierungsführung“ stärken. Das kommt einfach verdammt schlecht an. So verwundert es auch nicht, wenn sich die Nehmerländer der Welt mit steigender Tendenz China zuwenden; denn die Menschen in diesen Ländern haben die Belehrungen, Einmischungen und das Mitleid des Westens satt. Sie wollen wie gleichberechtigte Partner behandelt werden, was übrigens auch nicht verwundert, wenn man ansieht, mit was für stolzen Völkern man es zu tun hat.
Selbstverständlich wünscht man sich auch dort ein entwickeltes demokratisches System, wie wir es kennen, mit westlichen Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Wer tut das nicht? Aber man muss verstehen, dass der Versuch, diese Werte quasi von oben völlig andersartigen Kulturen aufzuzwingen, scheitern muss und in der Vergangenheit auch immer wieder gescheitert ist.
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Indem Deutschland an diesem Versuch wider besseres Wissen festhält, scheitert unser Land damit nicht nur an einer effizienten Hilfe, sondern auch am Punkt wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Viele der Nehmerländer beherbergen nämlich große Rohstoffvorkommen, die sämtliche Industrienationen für ihre Produktion und ihren Wohlstand brauchen, und natürlich hat China sich hieran bereits einen großen Anteil gesichert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Weltordnung verändert sich gerade. Wir befürchten, dass sich für Deutschland international zunehmend Türen schließen werden, wenn wir so weitermachen wie bisher, und das wird für unser Volk und für unsere Wirtschaft nicht besonders gut sein. Aber ich sage Ihnen hier auch, dass das nicht so sein muss. Deutschland wird international noch immer respektiert. Wenn wir uns von alten Vorstellungen emanzipieren und mit Respekt und auf Augenhöhe auf andere Länder zugehen, dann können wir die Zeiten auch wieder besser und stabiler gestalten. Wir haben es in der Hand.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Jetzt spricht Claudia Raffelhüschen für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Volkswirtin und Dozentin. Als solche beschäftige ich mich schon lange mit öffentlichen Haushalten. Dass ich aber einmal hier im Bundestag eine Rede zur Haushaltsdebatte halten würde, hätte ich nie erwartet.
Als politische Quereinsteigerin bin ich vor allem aus einem Grund angetreten: Ich habe meinen drei Kindern, die schon „groß“ und aus dem Gröbsten heraus sind, versprochen, mich für ihre Generation einzusetzen. Das ist die Generation, die unsere Generation der geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren ablösen wird. Ich will daran mitarbeiten, dass wir ihnen nicht einen Haufen Schulden und offene Baustellen überlassen, sondern ein lebenswertes Land, ein funktionierendes Land mit stabilen Staatsfinanzen.
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Kommen wir nun zum Einzelplan 23, dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es geht hier um Länder, denen wir auf dem Weg zu mehr Stabilität, Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit unsere Hilfe versprochen haben – auch im Namen der zukünftigen Generationen, die, genauso wie wir, an einem friedvollen Miteinander der entwickelten und sich entwickelnden Länder interessiert sein müssen.
Dass Entwicklungszusammenarbeit einen sehr langen Atem braucht, dass ihre Erfolge nicht immer akkurat messbar sind und dass sie oft fragil bleiben, das alles ist nicht neu. Seit der Coronapandemie hat sich diese Erkenntnis aber nochmals verschärft. Die globalen Probleme sind noch größer geworden. Viele Erfolge der Vergangenheit sind bedroht oder zunichtegemacht, und die weiteren Herausforderungen können einem, ehrlich gesagt, den Atem rauben. Dennoch waren wir zu Beginn des Jahres so weit optimistisch gestimmt, dass die Pandemie zumindest einen Teil ihres Schreckens verloren hatte und vielerorts sogar ein „recover better“ möglich sein könnte.
All dies ist nun „von der Geschichte überholt“ worden; denn gerade, als wir dachten, nach der Pandemie könnte so schnell nichts Schlimmeres kommen, hat Putin uns mit seinem Angriff auf die Ukraine eines Besseren belehrt. Zusätzlich zu allen anderen Krisenherden und zusätzlich zu den Pandemiefolgen müssen wir nun Folgen eines Krieges bewältigen, der uns nicht nur geografisch direkt betrifft, sondern ganz konkret in Form geflüchteter Frauen und ihrer Kinder, die bei uns Schutz suchen. Wieder gibt es also Rückschläge für die Wirtschaft, die wir im Übrigen so dringend brauchen, um den Wiederaufbau nach Krieg und Corona zu stemmen. Und wieder kommt mit Osteuropa ein neuer Schwerpunkt in Sachen Entwicklungszusammenarbeit auf uns zu.
Für viele Länder, vor allem in Afrika, bedeutet der Krieg, dass durch Ernteausfälle der „Kornkammer Ukraine“ viel weniger Getreide zur Verfügung steht. Neue oder sich verschärfende Hungersnöte sind vorprogrammiert. Es ist daher absolut richtig, dass wir im Regierungsentwurf über 10 Milliarden Euro für den Einzelplan 23 vorsehen. Alle Ausgaben in diesem Bereich sind Investitionen in eine stabilere, menschenfreundlichere Zukunft.
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Auch wenn es für den einen oder die andere paradox wirken mag: Gerade weil die Ausgaben so wichtig und so zukunftssichernd sind, müssen wir hier mit besonders kühlem Kopf vorgehen. Nur wenn wir absolut solide wirtschaften, haben wir eine Chance, die schier überwältigende Menge an Aufgaben anzugehen. Darum gehört für mich alles auf den Prüfstand. Es darf kein Festhalten an Strukturen aus reiner Gewohnheit geben, egal ob es um kleine oder große Organisationen, um bi- oder multilaterale Projekte geht.
Eine der oft wiederholten Lehren aus der Pandemie lautet, dass wir schneller, digitaler, vernetzter und sehr viel schlanker werden müssen. Das wünsche ich mir nicht nur für deutsche Ämter und Verwaltungen, das wünsche ich mir auch im Umgang mit Haushaltsmitteln. In der Entwicklungszusammenarbeit macht die Globalität die Dinge zwar oft komplexer, aber in Sachen Best Practice und vernetztem Denken bietet sie zugleich enorme Chancen.
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Wenn ich also das Versprechen einhalten will, das ich meinen Kindern gegeben habe, kann die Lösung nicht sein, einfach nur immer mehr zu fordern, mehr Projekte zu starten, mehr Gelder bereitzustellen. Ich denke, die Lösung liegt darin, dass wir effizienter werden. Wir brauchen mehr Qualitätskontrolle, aber sicher nicht mehr Verwaltung.
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Um die ODA-Quote zu erfüllen, brauchen wir Ansätze in mehreren Einzelplänen – aber keine Doppelstrukturen und Kompetenzgerangel.
Wenn wir die Schuldenbremse ab 2023 wieder einhalten wollen, müssen wir nicht einfach nur sparen, sondern wirklich klug mit unseren Mitteln umgehen und aus jedem investierten Euro das maximale Ergebnis herausholen; denn nur, wenn wir schnell zu einer soliden Haushaltsführung zurückkommen, kann Deutschland langfristig eines der größten Geberländer in der Entwicklungszusammenarbeit bleiben.
Danke.
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Frau Raffelhüschen, das war Ihre erste Rede, und dazu beglückwünschen wir Sie.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin! Ich glaube, wir können zurzeit nur ansatzweise die Folgen abschätzen, die der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beinhaltet. Natürlich leiden zuallererst die Menschen in der Ukraine, in den Städten, die bombardiert werden, die Flüchtlinge dort. Aber auch hierzulande leiden die Ärmsten unter den gestiegenen Energiepreisen, wenn nicht gegengesteuert wird. Auch in Russland wird ein Teil der Bevölkerung leiden. Aber insbesondere leiden die Teile der Weltbevölkerung, die von den Getreideexporten aus Russland und der Ukraine abhängig sind.
All das sind Gründe, warum dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden muss. Es muss alles getan werden, damit dieser Krieg endet.
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Oxfam etwa sagt, dass Ostafrika 90 Prozent des Weizens aus Russland und der Ukraine importiert. Laut dem Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung würden zusätzlich bis über 100 Millionen Menschen durch die Folgen des Krieges – der Sanktionen und Gegensanktionen, des Exportstopps von Weizen, wahrscheinlich auch von Kali – in Hunger getrieben. All das sind, wie gesagt, Gründe, dass dieser Krieg beendet werden muss.
In dieser Situation, Frau Ministerin – das muss ich schon sagen –, auch angesichts der anderen Krisen, der Pandemie, der schreienden sozialen Ungleichheit weltweit, den Entwicklungsetat um knapp 13 Prozent zu kürzen, ist völlig unverständlich. Das lehnen wir ab.
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Herr Gröhe hat im Detail darauf hingewiesen, in welchen Bereichen gekürzt wird. Das kontrastiert auch völlig, dass auf der anderen Seite 100 Milliarden Euro für einen Sonderfonds zur Aufrüstung, auch noch im Grundgesetz verankert, hier beschlossen werden sollen. Das sind alles völlig falsche Prioritätensetzungen.
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Wir fordern mit Blick auf die Entwicklungspolitik eine klare Priorität auf zivile Mittel der Krisenprävention. Jeder Euro – das wurde hier schon gesagt –, der in diesem Bereich investiert wird, ist auch eine Investition in die Sicherheit und vielleicht die Abwehr von künftigen Konflikten und Krisen. Wir fordern: keine Absenkung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit um 1,6 Milliarden Euro, wie es die Ampel in dem Haushaltsentwurf vorsieht. Wir fordern stattdessen einen konstanten Aufwuchs der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit über die kommenden Jahre bis zum Ende der Legislatur, um das 0,7‑Prozent-Ziel dauerhaft und stabil einzuhalten,
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das sich die OECD-Länder gegenseitig versprochen haben. Es gibt sogar Länder, die über 1 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit vorsehen; daran will ich auch einmal erinnern.
Wir fordern eine Aufstockung der globalen Klimamittel, aber zusätzlich zum Entwicklungshaushalt und nicht mit ihm verrechnet. Wir fordern die sofortige Erfüllung des OECD-Ziels, mindestens 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die allerärmsten Länder zur Verfügung zu stellen, und die sofortige Erfüllung des Ziels, 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die gesundheitsbezogene Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen und hiermit weltweit den Aufbau einer qualitativ hochwertigen Basisgesundheitsinfrastruktur, zu der alle Menschen Zugang haben müssen, zu unterstützen.
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Dafür schlagen wir einen globalen Fonds für die universelle Gesundheitsversorgung vor.
Des Weiteren fordern wir eine sofortige Entschuldung der allerärmsten Länder des Südens; das ist schon eine ganz lange Diskussion. Zu guter Letzt: Wir fordern einen klaren Fokus der Entwicklungszusammenarbeit auf den Abbau von Abhängigkeiten, insbesondere im Bereich der Ernährungssicherung, und zwar durch die Förderung von Ernährungssouveränität in den Ländern des Südens.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Gabriela Heinrich hat für die SPD das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer die Bilder von Mariupol in den Nachrichten sieht, bekommt eine Ahnung vom großen Leid in der Ukraine. Die russische Armee zerbombt Häuser, sie tötet und verletzt Zivilisten, sie macht Städte dem Erdboden gleich. Hier um die Ecke, am Hauptbahnhof, sehen wir die Auswirkungen von Putins Krieg. Hier kommen Frauen und Kinder an. Sie sind dem Krieg entkommen. Aber wenn wir in ihre Gesichter schauen, bekommen wir eine Ahnung von dem, was sie ertragen mussten. Wir werden uns noch sehr lange – hoffentlich – um einen Wiederaufbau in der Ukraine kümmern müssen.
Wir können dieses Leid nicht mit den Auswirkungen des Kriegs in Deutschland vergleichen. Aber auch die Menschen bei uns sind massiv von steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel betroffen; Rohstoffe sind knapper und Lieferketten unterbrochen. Wir beschäftigen uns hier in allen Bereichen mit diesen Auswirkungen. Wie viel mehr aber betrifft der Krieg in seinem Ausmaß die Länder des Globalen Südens? Die Ministerin hat es schon gesagt. Woher kommen denn die Getreideimporte der Entwicklungsländer? Woher kommen die Lieferungen des World-Food-Programms? Die Ukraine und Russland waren vor Putins Krieg Kornkammern für einen Großteil der Welt, insbesondere des Globalen Südens. Auch Länder wie Marokko und Tunesien leiden unter steigenden Brotpreisen. Die möglichen Folgen für die Stabilität vieler Länder können wir uns durchaus vorstellen.
Putins Krieg wird Hunger und Elend weit entfernt von der Ukraine verursachen. Eine Priorität unserer internationalen Zusammenarbeit muss sein, den Menschen zu helfen, die aktuell nicht im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen. Dabei gilt auch: So wie Deutschland unabhängig von russischer Energie werden muss, so müssen Länder des Globalen Südens in die Lage versetzt werden, unabhängig von Lebensmittelimporten zu werden. Dabei unterstützen wir sie mit unserer Entwicklungszusammenarbeit und wollen dies auch weiterhin massiv tun.
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Durch den Klimawandel haben Dürren, Fluten und Missernten, insbesondere im Globalen Süden, bereits dramatisch zugenommen. Die Versorgungslage ist vielerorts prekär. Hilfe bei der Anpassung der Produktion an neue klimatische Realitäten und Herausforderungen wird dringend benötigt. Diese Hilfe lindert den Hunger und begleitet den Übergang von der Krise zur Stabilität. Die Förderung, lokale Landwirtschaften anzupassen, muss ein Eckpfeiler unseres Engagements sein. Dazu gehören Klimapartnerschaften ebenso wie die Unterstützung beim Aufbau einer eigenen Impfstoffproduktion. Wir können und wir dürfen deshalb nicht sparen. Im Gegenteil: Mittel für den Einzelplan 23 sind wohlinvestiertes Geld: im Interesse der Partnerländer, im Interesse der multilateralen Zusammenarbeit und in unserem ureigenen Interesse.
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In dieser neuen Krise müssen wir die Bedarfe des BMZ und damit des Einzelplans 23 neu beurteilen und wo nötig anpassen. Alle demokratischen Entwicklungspolitiker/-innen sind sich einig, dass jetzt auf der Grundlage von sehr realen und existenziellen Bedarfen geplant, nachgesteuert und entsprechend finanziert werden muss. Kollege Gröhe, Sie sind ein aufrechter Entwicklungspolitiker, das weiß ich wohl; aber auch Sie wissen, dass es nicht unsere Entwicklungsministerin war, die die ersten 100 Tage dazu genutzt hat, überall den Kürzungsstift anzusetzen, sondern dass wir gemeinsam für 2020 und 2021 einen sehr viel höheren Haushaltsplan aufgestellt haben, unter anderem wegen Covid. Wir hatten die offensichtlich falsche Hoffnung, dass diese Krise bereits vorbei sein würde. Wir müssen heute feststellen: Zu dieser Krise ist eine weitere, noch globalere Krise dazugekommen, und deshalb können wir und wollen wir das so nicht stehen lassen und hoffen auf Ihre Unterstützung.
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Meine Damen und Herren, der Krieg in der Ukraine ist auch ein Konflikt zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Diktatur. Freiheitliche Gesellschaften, Demokratie, Menschenrechtsaktivisten und die Meinungsfreiheit sind fast weltweit unter Druck. Autoritäre Regime fahren immer massivere Desinformationskampagnen. Diese sollen die Zivilgesellschaft spalten und sie schwächen. Deshalb muss unsere Entwicklungszusammenarbeit auch unsere Werte deutlich machen und unterstützen. Die Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft muss Grundpfeiler unserer Arbeit bleiben.
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Übrigens: Bundesministerin Svenja Schulze nimmt auch endlich die Frauen in den Fokus ihrer Entwicklungspolitik. Wer darüber spottet, hat keine Ahnung von Entwicklungspolitik,
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hat keine Vorstellung davon, wie entscheidend sich Entwicklungsländer wirtschaftlich und gesellschaftlich verändern, wenn Frauen entsprechend beteiligt sind. Frauen halten die Familien zusammen, Frauen halten die Gesellschaft zusammen.
Frau Kollegin.
Deshalb: Wer die feministische Entwicklungspolitik – und übrigens auch die feministische Außenpolitik – verlacht, der verlacht die Leistungen von Frauen weltweit.
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Danke.
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Ich gebe das Wort an Dr. Wolfgang Stefinger von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich hatte in meiner letzten Rede zum entwicklungspolitischen Bericht schon darauf hingewiesen, dass sich der Entwicklungsetat in den letzten 16 Jahren unter Angela Merkel verdreifacht und in der Amtszeit von Gerd Müller verdoppelt hat.
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Ich hatte Ihnen in der letzten Debatte gesagt, dass Sie meinen Respekt haben, wenn Ihnen Ähnliches gelingt. Ich stelle heute fest: 16 Jahre Unionsregierung: Anwachsen des Etats. 100 Tage Ampel: Kürzung um 12,6 Prozent.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine schallende Ohrfeige für unsere Partnerländer. Sie senden damit ein fatales Signal in diese krisengeschüttelte Welt.
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Ich will Ihnen das auch begründen. Thema Menschenrechte: Bei allen Besuchen in den Ländern, bei allen Programmen und Projekten fordern wir zu Recht – zu Recht! – von unseren Partnerländern die Einhaltung der Menschenrechte ein. Wir fordern Rechtsstaatlichkeit, unabhängige Justiz und Demokratie. Ich frage Sie von der Ampel jetzt allen Ernstes: Was erzählen Sie denn unseren Partnern nach dem Hofknicks von Minister Habeck in Katar, einem Land, das bekanntlich kein Vorzeigeland bei den Themen „Menschenrechte“ und „gute Arbeitsbedingungen“ ist? Wie wollen Sie dieses Thema weiterhin glaubwürdig vertreten?
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Aber was mich wirklich ärgert, Frau Ministerin: dass Sie kein einziges Wort – kein einziges Wort! – dazu verlieren, dass nun auch mit Katar eine Wasserstoffkooperation eingegangen wird. Ich frage Sie: Was ist mit Afrika? Was ist mit den begonnenen Energiepartnerschaften mit Marokko, mit Tunesien? Was ist mit der Weiterentwicklung der Wasserstoffstrategie, der Partnerschaften mit den Ländern Afrikas?
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Wann, wenn nicht jetzt, Frau Ministerin, hätten Sie ein Signal nach Afrika senden können – ein Signal der vertieften Zusammenarbeit, ein Signal der Kooperation, ein Signal an die Staatschefs, dass sich Reformen lohnen!
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Ihr Haus, Frau Ministerin, heißt auch „wirtschaftliche Zusammenarbeit“. Dazu hört man von Ihnen nichts, nur eines – das zeigt ein Blick in den Haushalt –: Die Mittel werden gekürzt. Ich erwarte eine Antwort von Ihnen, wie Sie eigentlich neue Jobs auf dem afrikanischen Kontinent fördern und unterstützen wollen – ohne Wirtschaftskooperationen, ohne wirtschaftliche Zusammenarbeit. Afrika braucht 20 Millionen Jobs pro Jahr, und ich höre von Ihnen nichts. Wie setzen Sie den Marshallplan mit Afrika um? Wie wollen Sie die deutsche Wirtschaft unterstützen, in Afrika zu investieren?
Ich frage Sie: Haben Sie Minister Habeck darauf hingewiesen, dass wir eine hervorragende Ausgangslage bei den Energiepartnerschaften mit afrikanischen Ländern haben und dass es eine Win-win-Situation wäre, hier auf Afrika zuzugehen? Das würde in diesen Ländern Wachstum, Jobs und Wohlstand sowie gleichzeitig Energie für Deutschland und Europa bedeuten.
Interessant wird auch die neue Freundschaft der Grünen mit Katar beim Thema „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“ werden.
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Ich habe im Übrigen in Ihrem Haushalt keinen Ansatz für Ihre feministische Entwicklungspolitik gefunden. Vielleicht zeigen Sie mir mal den Titel. Ansonsten war es nur heiße Luft, eine Schlagzeile, ein Schaufensterthema und am Ende sogar noch Etikettenschwindel.
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Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Sie Ihren Koalitionsvertrag nicht neu verhandeln müssen. Sie schreiben in Ihrem Koalitionsvertrag, dass Sie sich „für nachhaltige Entwicklung, den Kampf gegen Hunger und Armut, Klimagerechtigkeit, Biodiversität“ einsetzen. Alles hehre Ziele! Die Wahrheit ist: Sie kürzen die Mittel für das Welternährungsprogramm um 56 Prozent.
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Sie kürzen das Sonderprogramm „Eine Welt ohne Hunger“ um 60 Millionen Euro.
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Meine Damen und Herren, wir steuern auf die größte Hungersnot seit Jahren zu, und Sie kürzen die Mittel für Hungerbekämpfung.
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Der Chef des World-Food-Programms hat dieser Tage gesagt: Ich muss entscheiden, ob ich die Kinder in der Ukraine, im Jemen oder in Äthiopien hungern lasse, weil das Geld nicht reicht.
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Das ist Ihre Politik. Gleichzeitig kürzen Sie die Mittel zur Stabilisierung für Nordafrika um über 20 Millionen Euro, also für genau die Staaten, die von den ausbleibenden Weizenlieferungen am meisten betroffen sind.
Frau Ministerin, es reicht nicht, hier schöne Reden zu halten, heiße Luft zu produzieren. Heute las ich wieder die Schlagzeile: Sie warnen vor der Hungersnot. – Ich sage Ihnen etwas: Warnen Sie nicht, handeln Sie!
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Sie treiben die Länder in die Hände Chinas, wenn Sie so weitermachen.
Aber ich frage mich ohnehin, was die außenpolitische Rolle dieser Regierung ist. Offenbar sollten die Kollegen der FDP recht behalten, die in der Haushaltsdebatte 2020 gesagt haben – ich zitiere –: Wenn Olaf Scholz Kanzler wird, rutscht Deutschland in die internationale Bedeutungslosigkeit ab.
({13})
Ja, so ist es offenbar. Aber die FDP macht mit. Bravo! Herzlichen Glückwunsch!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lesen wir weiter im Koalitionsvertrag – er ist ja ein spannendes Märchenbuch –: Wir fördern die Zivilgesellschaft, die Gewerkschaften, die politischen und privaten Stiftungen und die Kirchen. – Die Wahrheit ist: Sie kürzen bei den Medien – Stichwort „Pressefreiheit“ – 10 Millionen Euro. Sie kürzen bei den politischen Stiftungen – Stichwort „Demokratiebildung vor Ort“ –, Rückgang um 15 Millionen Euro. Sie kürzen bei der Entwicklungszusammenarbeit der Kirchen – Brot für die Welt, Misereor etc. –, Rückgang um 20 Millionen Euro.
({14})
Glaubwürdigkeit sieht anders aus.
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Aber bei einem Punkt kürzen Sie nicht: wenn es um die Versorgung von Genossen geht. 20 neue hochdotierte Stellen im Ministerium, mehrere Millionen Euro Pensionsrückstellungen pro Jahr nicht mitgerechnet: Hier wird nicht gekürzt.
Frau Ministerin, Sie haben mit Christian Lindner schlecht verhandelt. Die Haushaltspolitik dieser Regierung ist eines: Sie ist unsolide, undurchsichtig und hat mit nachhaltiger Finanzplanung nichts zu tun. Sie wird vor allem der Rolle Deutschlands in keiner Weise gerecht. Sie halten Versprechen nicht ein. Sie lassen den Globalen Süden im Stich. Ich sage Ihnen: Hören Sie auf mit dieser Schaufensterpolitik und den Solidaritätsbekundungen! Hören Sie auf mit warmen Worten und Warnungen! Handeln Sie endlich!
({16})
Das Wort hat die Kollegin Deborah Düring für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde in dieser Debatte nichts schönreden. Der BMZ-Etat sinkt um 1,6 Milliarden Euro. Das ist angesichts der Vielzahl an globalen Herausforderungen und Krisen einfach nicht angemessen.
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– Zu ihnen komme ich später noch. – Allein im ersten Quartal 2022 wurden 13 Millionen Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia auf der Suche nach Wasser und Weideland vertrieben. Die Klimakrise kostet schon jetzt Millionen Menschen ihr Zuhause, und Ernten fallen wegen ihr aus.
Gleichzeitig haben wir eine Pandemie, an der nicht nur über 6 Millionen Menschen gestorben sind, sondern die auch zu massiven sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, besonders im Globalen Süden, geführt hat. Als Folge der Coronapandemie sind noch mal weitere 150 Millionen Menschen in absolute Armut gefallen.
Die Klimakrise und die anhaltende Polypandemie verschärfen den Hunger in der Welt. In Kenia ist die Ernte aufgrund der Dürren des letzten Jahres um 70 Prozent zurückgegangen. Das Land hat den nationalen Katastrophenzustand ausgerufen. Mehr als ein Zehntel der Weltbevölkerung hungert.
Diese Krisen enden nicht an nationalstaatlichen Grenzen. Genau deswegen darf unsere Antwort darauf keine rein nationalstaatliche sein.
({1})
Im Kampf gegen Armut, Hunger, den Klimawandel und für die soziale Gerechtigkeit brauchen wir den internationalen Schulterschluss. Wir werden endlich eine neue, multilaterale und feministische Zusammenarbeit leben und umsetzen.
({2})
Direkt vor der Haustür – wir haben es heute schon häufig gehört – erleben wir einen Krieg gegen die Ukraine, der nicht nur das Leben und die Existenzen der Menschen vor Ort gefährdet, sondern auch dazu führt, dass die zwei wichtigsten Kornkammern der Welt wegfallen. Die Preise für Weizen haben sich in den letzten Wochen noch mal verdoppelt; Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen. Im Jemen muss das World Food Programme seine Nahrungsmittelrationen halbieren. Andere Staaten müssen sich noch weiter verschulden, um Brot zu subventionieren, damit ihre Bevölkerung sich das überhaupt leisten kann. Und wir wissen, dass Nahrungsmittelkrisen zu mehr Konflikten führen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Krisen, die ich da gerade aufgezählt habe, hängen zusammen, und sie verstärken sich gegenseitig. Genau deswegen ist es schlichtweg falsch, jetzt den Kernbeitrag für das World Food Programme fast zu halbieren.
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Es widerspricht auch jeglicher Logik, den Haushaltstitel für die sogenannten Übergangshilfen um 40 Prozent zu kürzen; denn gerade das sind die Aktivitäten, die dazu führen, dass Gesellschaften widerstandsfähig sind gegen die langanhaltenden Krisen und gegen die Belastungen.
({5})
Ich freue mich sehr, genau darauf im Haushaltsverfahren noch mal ein Augenmerk zu legen.
({6})
– Wir kommen gleich zu Ihnen.
Resilienz zu stärken, bedeutet, nachhaltig Sicherheit zu schaffen: Sicherheit vor Hunger, Sicherheit vor Vertreibung, Sicherheit vor Armut, Sicherheit vor Konflikten und Sicherheit vor struktureller Gewalt. Sicherheit bedeutet eben nicht nur militärische Sicherheit.
({7})
Genau deswegen sind wir nun dafür verantwortlich, dass es in den kommenden Jahren keine Schieflage zwischen den notwendigen Ausgaben für die Verteidigung, zivile Krisenprävention und eine menschenrechtsbasierte Entwicklungszusammenarbeit gibt.
({8})
Wir müssen in die Menschen, in eine nachhaltige Entwicklung und in Klimaschutz investieren, und zwar nicht erst in zehn Jahren, sondern jetzt und dauerhaft. Es ist gut und richtig und vor allem notwendig, dass wir auch 2022 auf dem Kurs zu dem 0,7‑Prozent-Ziel liegen. Aber dieses Ziel dürfen wir uns insbesondere in den kommenden Jahren nicht einfach schönrechnen.
So, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union:
({9})
Ja, auch ich bin nicht zufrieden mit diesem Haushalt.
({10})
Aber Sie haben hier jetzt mit ein paar Zahlen herumgeworfen. Da sollten Sie sich vielleicht mal Ihren eigenen Regierungsentwurf angucken, den Sie uns vor ein paar Monaten noch vorgelegt haben.
({11})
Lieber Herr Gröhe, ja, Sie haben recht, dass im Bereich der Medien der Haushalt gekürzt wird. Wir haben ihn aber noch mal um 5 Millionen Euro erhöht.
({12})
Sie wollten nämlich minus 15 Millionen Euro. Wir haben jetzt minus 10 Millionen Euro daraus gemacht.
({13})
Dass das nicht gut ist, davon reden wir nicht; aber Sie stellen sich jetzt hierhin und tun so, als ob Sie das alles besser machen würden – das stimmt nicht.
({14})
Sie haben auch die EZ-Partnerschaften für Wirtschaft angesprochen, und auch da – siehe da! – haben wir ein Plus im Vergleich zu Ihrem Regierungsentwurf, nämlich ein Plus von 36 Millionen Euro. Jetzt stellen Sie sich hierhin und kritisieren das. Sie hätten es doch selber machen können in den letzten 16 Jahren.
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Herr Stefinger, Sie haben hier über die Sonderinitiative zum Hunger geredet, und auch da sieht man im Vergleich zu Ihrem Entwurf ein Plus von 7 Millionen Euro.
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Und Sie reden hier von Glaubwürdigkeit. Ich würde sagen, wir müssen mal an Ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten.
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Ihre Partei hat sich in den letzten 16 Jahren vehement dagegen gewehrt, die globalen Krisen anzugehen.
({18})
Sie haben nichts für die Energieunabhängigkeit getan. Sie haben nichts getan, um in den globalen Krisen voranzugehen.
({19})
Ich will jetzt nach vorne gucken. – Oh, meine Zeit ist zu Ende.
Ja, das ist so. Letzter Satz.
Ich freue mich sehr darauf, dass wir gemeinsam eine Entwicklungspolitik gestalten, die die globale Zukunft wirklich in die Hand nimmt, und ich freue mich auf die Debatte.
({0})
Markus Frohnmaier hat das Wort für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Jetzt wäre eigentlich die Chance gewesen, einmal ganz grundsätzlich an die deutsche Entwicklungszusammenarbeit heranzugehen, sich auch die Strukturen anzuschauen. Dazu haben wir heute leider überhaupt gar nichts gehört. Wir sehen auch bei der Bundesregierung, dass gar nicht der Anspruch da ist, da irgendwas zu verändern.
Ein großes Problem der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bleibt die Fragmentierung. Ich hätte eigentlich gerade von der FDP, die das ja noch in der letzten Legislatur kritisiert hat, und vom Interimsvorsitzenden Hoffmann erwartet, dass man sich da mal heranwagt.
Wie sieht es denn eigentlich aus?
({0})
– Stellen Sie doch eine Frage, und kreischen Sie nicht immer dazwischen! Dann können wir uns darüber unterhalten.
({1})
Wir haben die Situation in Deutschland, dass ganz viele Ministerien in Deutschland Entwicklungszusammenarbeit machen. Das ist ein Kernproblem; da weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Darum ist es auch irgendwie seltsam, dass heute der Eindruck erweckt wird, als ob in Summe nur 11 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden.
({2})
Die ODA-Summe bleibt ungefähr stabil bei den 25 Milliarden Euro.
({3})
Damit ist Deutschland auch weiterhin einer der größten Geber der Welt, gemessen an der eigenen Bevölkerung sogar der größte Geber der Welt.
Was hat es die letzten 50 Jahre gebracht?
({4})
Nicht viel: 2 Billionen Euro wurden durch die Welt verteilt. 2 Billionen Euro an Entwicklungsleistungen sind insbesondere in den Globalen Süden und auf den afrikanischen Kontinent geflossen, und es hat sich so gut wie nichts verändert.
({5})
In der letzten Legislatur hatte Deutschland 84 Partner. 70 davon galten als hochgradig korrupt; die Länderlisten wurden nicht entsprechend überarbeitet. Das ist eine Entwicklungszusammenarbeit, die wir seit Jahrzehnten betreiben. Gleichzeitig wissen die Leute hier in Deutschland nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, meine Damen und Herren.
({6})
Ministerien, Bundesländer, Landkreise, die sich um schwäbische Mülltrennung in Tunesien kümmern, Fahrradwege aus- und fortbauen – so sieht es in Deutschland aus: viele, viele Akteure, und keiner weiß, was der andere eigentlich tut. Also, es besteht Anlass für eine Reform. Die hat diese Bundesregierung nicht angepackt. Die Bundesregierung macht genauso weiter, wie die alte Bundesregierung aufgehört hat, meine Damen und Herren.
({7})
Man stellt sich dann natürlich die Frage, für was das Geld eigentlich ausgegeben wird. Im Grunde können wir drei Kernbereiche sehen. Zum einen erneuerbare Energien: Da gibt es dann so wunderbare Projekte wie deutsch-chinesische Zusammenarbeit für klimafreundlichen Verkehr für 7,6 Millionen Euro, klimafreundliche Kochtechnologie in Kenia und Senegal für 30 Millionen Euro und die allbekannten LED-Lampen für marokkanische Moscheen für 8,5 Millionen Euro. Das BMZ hatte sogar einen Leitfaden für grüne Moscheen entwickelt, wo mit religiösen Argumenten erklärt wird, warum man jetzt die Energiewende braucht. Und ganz wichtig – es wurde heute schon angesprochen – sind die Wasserstoffpartnerschaften.
Was haben Sie denn eigentlich insbesondere jetzt aus diesem Konflikt in der Ukraine gelernt? Sie wollen Lieferanten durch Lieferanten austauschen und uns abhängig machen, in dem Fall von Westafrika. Das sind instabile Staaten, das sind ECOWAS-Staaten, wo Frankreich auf jeden Fall auch noch ein Wörtchen mitzusprechen hat. Und es wird dann vor allem interessant, wenn man sich anschaut, was eigentlich Ihre KfW dazu sagt. Die KfW sagt, dass sie gar nicht bereit ist, diese Projekte zu fördern, weil sie schlichtweg nicht energieeffizient sind. Meine Damen und Herren, das ist ein energiepolitischer Irrweg, der hier im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert wird.
({8})
Wir haben es heute schon angesprochen: Auch mit Katar möchte man jetzt eine Wasserstoffpartnerschaft eingehen. Der Bückling hat es in Katar erklärt.
Meine Damen und Herren, hier wurde heute wieder über feministische Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik gesprochen. Wie sieht die denn eigentlich aus? Peitschenhiebe auf öffentlichen Plätzen, Sklaven, die dort gehalten werden, und Frauen, die ihren Mann fragen müssen, wenn sie ein Beschäftigungsverhältnis eingehen wollen: Meine Damen und Herren, das ist offenbar feministische Entwicklungszusammenarbeit, feministische Außenpolitik, alles ohne Werte, Doppelmoral. Da machen wir von der AfD nicht mit.
({9})
Meine Damen und Herren, natürlich dürfen dann die Genderprojekte nicht fehlen. Auch da hat man angekündigt, dass man das intensiver gestalten will. Großartige Projekte wie angewandtes Gender-Diversity-Management im Nahen Osten, Förderung zivilgesellschaftlicher landesweiter Gendernetzwerke in China, die Förderung von organisierten Kleinbauernfamilien unter Genderaspekten in Uganda – das ist offensichtlich das, womit sich diese Bundesregierung auch beschäftigt.
Meine Damen und Herren, wenn Sie von Subsistenzwirtschaft leben und nicht wissen, wie Sie die Familie ernähren sollen, dann ist Ihre kleinste Sorge, dass Sie morgens, wenn Sie aufstehen, eine sorgenfreie Wahl aus 84 Geschlechtertypen haben.
({10})
Was wollen wir? Wir wollen ein Ministerium, das verantwortlich ist, wir wollen ein Evaluierungsinstitut, eine Durchführungsorganisation und eine Entwicklungsbank. Wir wollen ebendiese Fragmentierung beenden, wir wollen echte wirtschaftliche Zusammenarbeit und Handel, und wir müssen vor allem mal über die Bevölkerungsexplosion auf dem afrikanischen Kontinent sprechen. Darüber wollen Sie nicht sprechen. Das blenden Sie vollkommen aus, aber das ist und bleibt eine der größten Fragen und Herausforderungen unserer Zeit.
({11})
– Ja, wenn so rumgekreischt wird, dann war alles richtig.
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Der Kollege Till Mansmann bekommt jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Tat am 27. Februar eine Zeitenwende erlebt; das ist heute schon oft zur Sprache gekommen. Im Kern steht ein 100‑Milliarden-Euro-Etat für die Bundeswehr. Ich stehe aus voller Überzeugung dahinter, dass das die richtige Entscheidung war. Aber es ist auch eine Zeitenwende für andere Ressorts. Viele Ressorts sind betroffen, und in ganz besonderer Weise ist das Entwicklungsressort von diesen Veränderungen, die jetzt hier eingetreten sind, betroffen.
Frau Ministerin Schulze, Sie haben in einer sehr schwierigen Zeit dieses Ressort übernommen, und Sie haben in sehr kurzer Zeit gezeigt, dass Sie angemessen und klug reagiert haben;
({0})
man hat das auch gerade in Ihrer Rede gesehen. Dafür danke ich Ihnen ganz ausdrücklich.
({1})
Es ist klar, dass wir in vielen Punkten jetzt kurzfristig umsteuern müssen, vor allen Dingen im Bereich humanitäre Hilfe. Ich will das nicht weiter ausführen; das haben viele Kollegen heute hier gemacht. Aber es geht auch um mittel- und langfristige Strategien, die wir jetzt angehen müssen. Das betrifft dann auch die Haushaltspläne, die mehr in Bewegung sind als sonst, und ich sehe auch in dem derzeitigen Entwurf noch nicht das letzte Wort gesprochen.
({2})
Wir sind, was die Sicherheitspolitik angeht, aus einem Dornröschenschlaf erwacht, und wir haben vieles jetzt relativ schnell klar gesehen. Aber ich habe den Eindruck: Auf manche Sachen schauen wir noch etwas verschlafen, und das ist insbesondere im Bereich der Energiezusammenarbeit der Fall, die ja auch wieder rückkoppelnd die Sicherheit unseres Landes betrifft. Ich will Ihnen das mal optisch zeigen.
({3})
Die Presse ist ja immer sehr schnell im Aufnehmen von Sachen, die jetzt wichtig sind.
Das ist eine Grafik, die die „WirtschaftsWoche“ in ihrer vorletzten Ausgabe gebracht hat. Sie zeigt die Kapazitäten für Grünen Wasserstoff im Jahr 2050 global: Wo kann man Grünen Wasserstoff produzieren? Sie sehen hier zum Vergleich: Dieser Fleck bei Asien entspricht etwa dem Primärenergiebedarf, den wir heute haben. Sie sehen also: Es gibt genug grüne Energie weltweit; aber Sie sehen auch, wo sie ist: Sie ist weit, weit überwiegend in den Ländern der Entwicklungszusammenarbeit.
Ich spreche jetzt das an, was der Kollege Banaszak „Energiezusammenarbeit auf Augenhöhe“ genannt hat, oder auch das, Herr Kollege Dr. Stefinger, was Sie mit viel Herzblut vorgetragen haben. Ich danke Ihnen dafür, weil das Thema genau richtig ist. Nur, wir sitzen seit vier Jahren gemeinsam im Ausschuss. Ich habe es in keinem Ihrer Haushalte gesehen,
({4})
als wäre das Thema vom Himmel gefallen und jetzt ganz neu. Das ist es nicht.
Aber, in der Tat, wir haben ein bisschen geschlafen. Dieser Dornröschenschlaf hat 20 Jahre gedauert, und jetzt versetze ich mich in die Zukunft in 20 Jahren. Ungefähr 2045 wollen wir klimaneutral im Energiebereich sein. Da gehöre ich diesem Haus längst nicht mehr an, da sitze ich hoffentlich als alter Mann in meinem Lehnstuhl in Heppenheim an der Bergstraße und schaue wahrscheinlich Plenardebatten dann auf einem 3‑D-Fernseher. Ich hoffe, dass der Lehnstuhl aus nachhaltiger, nationaler Produktion ist. In dem 3‑D-Fernseher stecken die Patente und der Grips aus Europa, aus Asien, hoffentlich auch aus vielen globalen Entwicklungsländern aus Afrika. Aber die Energie – das weiß ich heute schon –
Herr Kollege.
– kommt zumindest zur Hälfte aus dem Globalen Süden. Das möchten wir jetzt angehen. Frau Ministerin, in diesem Sinne freue ich mich auf diese Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({0})
Sanae Abdi hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Als entwicklungspolitische Sprecherin meiner Fraktion habe ich hier heute die unerfreuliche Aufgabe, erstmals seit Jahren einen reduzierten BMZ-Haushalt zu debattieren.
({0})
– Das ist meine Stärke. – Das ist nicht nur unerfreulich, sondern, ehrlich gesagt, auch ein wenig überraschend; denn im Koalitionsvertrag haben wir klar vereinbart, dass die Mittel für die ODA-anrechenbaren Ausgaben und die Ausgaben für Verteidigung eins zu eins ansteigen sollen.
({1})
Diese Regelung folgt aus unserem gemeinsamen Verständnis, dass Sicherheit und Verteidigung stets im Gleichgewicht mit Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe gedacht werden müssen. Das ist mir als Sozialdemokratin besonders wichtig.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind in der Diskussion um das 2‑Prozent-Ziel immer mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff aufgetreten. Frieden schafft man eben nicht nur mit Waffen, sondern dem Schaffen von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektiven.
({2})
Wenn nun der reguläre Verteidigungsetat um 3,4 Milliarden Euro steigen und der Haushalt des BMZ gleichzeitig um 1,6 Milliarden Euro sinken soll, wird das dem Koalitionsvertrag nicht gerecht. Das trifft bei den Kolleginnen und Kollegen aller Koalitionsfraktionen auf Unverständnis, wie man heute auch hören konnte.
Wir alle wissen aber auch, dass die Welt, in der wir heute leben, nicht mehr die Welt ist, in der wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat weitreichende Konsequenzen und verschiebt unsere Perspektiven und Prioritäten. Das ändert jedoch nichts – das möchte ich ausdrücklich sagen – an der Richtigkeit unseres Grundsatzes, dass wir Verteidigungs- und Entwicklungspolitik zusammen denken müssen. Im Gegenteil: Dieser Grundsatz ist heute relevanter denn je. Denn dieser Krieg hat nicht nur katastrophale Auswirkungen auf die Menschen in der Ukraine, sondern auch auf Millionen Menschen im Globalen Süden, die von Armut, Hunger und politischer Destabilisierung betroffen sind.
({3})
Lassen Sie mich den durch diesen Krieg gesteigerten Bedarf für Entwicklungszusammenarbeit an drei Beispielen veranschaulichen.
Erstens. Putins Angriffskrieg hat unmittelbare und schwerwiegende Folgen für die Menschen in der Ukraine. Dies erfordert zum einen akute humanitäre Hilfe und die unbürokratische Unterstützung von Geflüchteten. Zum anderen sind sämtliche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Zivilgesellschaft und Energie zum Erliegen gekommen. Wir wollen und müssen nach einem hoffentlich baldigen Kriegsende hier unser Engagement verstärken und den Wiederaufbau unterstützen.
Zweitens wird uns das heute schon mehrfach genannte Thema Ernährungssicherheit in naher Zukunft ganz besonders beschäftigen, und zwar direkt vor unserer Haustür. Denn durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird ein Viertel der Lieferungen an Weizen auf dem Weltmarkt ausfallen, was unweigerlich zu höheren Brotpreisen führt. Die Konsequenzen tragen Millionen Menschen, die bereits heute von Hunger bedroht sind oder gar schon unter Hunger leiden.
Diese Ausfälle und Preissteigerungen bergen drittens die Gefahr politischer Destabilisierung. Gerade in der MENA-Region vom Libanon bis Marokko ist der Brotpreis ein politischer Preis. Höhere Preise für Lebensmittel – gerade in ohnehin schon fragilen Kontexten – führen unweigerlich zu einer Destabilisierung; das wissen wir aus Erfahrung. Damit diese Dynamik gar nicht erst entsteht, müssen wir jetzt entgegenwirken. Dazu brauchen wir Geld. Dafür wird es einen Erweiterungshaushalt geben, wie wir heute schon gehört haben. Ich hoffe, liebe CDU/CSU-Fraktion, dass Sie dafür genauso enthusiastisch kämpfen wie heute.
({4})
Ich fasse kurz zusammen: Entwicklungspolitik schafft Perspektiven, schafft Zukunft, schafft ein selbstbestimmtes Leben in Würde und schafft somit letztendlich Stabilität und Frieden. Lassen Sie uns außerdem nicht vergessen, dass neben dem Angriffskrieg auf die Ukraine, der in diesen Tagen im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht, noch zahlreiche weitere Kriege und Krisen auf unserer Welt anhalten. Seit Jahren leiden und sterben Menschen in Afghanistan, Jemen, Südsudan, Äthiopien, Syrien, Myanmar. Wir dürfen die seit Jahren unter diesen Konflikten leidenden Menschen nicht vergessen. Auch sie verdienen unsere Solidarität und Unterstützung. Dazu haben wir uns verpflichtet.
({5})
Das alles ist vor dem Hintergrund der Coronapandemie zu sehen. Die Pandemie macht jahrzehntelange Entwicklungsfortschritte rückgängig. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Auf- und Ausbau von funktionierenden Basisgesundheitssystemen. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Wiederaufbau zusammengebrochener globaler Lieferketten. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Wiederherstellen der dazugehörigen Arbeitsplätze. Das alles liegt noch vor uns.
Entwicklungspolitik ist Strukturpolitik. Sie braucht langfristiges Denken und eine verlässliche Planung. Unsere Entwicklungszusammenarbeit muss für unsere Partner wieder berechenbar, zielorientiert und nachhaltig wirksam sein. Dazu bedarf es finanziell abgesicherter Programme, und zwar langfristig.
Wir sind mit der Koalition angetreten, um mehr Fortschritt zu wagen. Was ist ein Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit wert ohne eine ausreichende finanzierte Entwicklungszusammenarbeit, die Fortschritt auch auf internationaler Ebene ermöglicht? Ich bin zuversichtlich, dass wir im Laufe der parlamentarischen Beratungen eine Lösung finden werden, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Danke.
({6})
Der Kollege Dr. Georg Kippels hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde am Mittwochnachmittag sind wir jetzt Zeugen einer sehr lebhaften und emotional geführten Debatte geworden, wobei die Ampel wirklich ein skurriles Schauspiel abgeliefert hat.
({0})
Verehrte Frau Ministerin, in Ihrem Einleitungsvortrag haben Sie mit blumigen und möglichst unbestimmten Formulierungen versucht, diese Klatsche des Finanzministers im Regierungsentwurf zu entschuldigen bzw. davon abzulenken und dann eben noch auf der Zielgeraden den Eindruck zu erzeugen, dass mit dem Ergänzungshaushalt aufgrund des verheerenden Krieges in der Ukraine eine Korrektur geschaffen werden würde – ein untauglicher Versuch. Der ist natürlich vor allen Dingen umso kritikwürdiger, als Sie noch Ende Dezember in Ihrem ersten Interview nach Amtsantritt massiv mit Ihrem Amtsvorgänger ins Gericht gegangen sind und ihm nicht nachhaltige und vollkommen unzulängliche Finanzpolitik vorgehalten haben.
({1})
Das Schauspiel nimmt dann seine Fortsetzung mit den Redebeiträgen der Vertreter der Ampelkoalition, und es ist schon bemerkenswert, dass wirklich kein einziger die Zufriedenheit mit diesem Haushaltsentwurf auch nur andeuten konnte. Im Gegenteil: Unisono waren alle der Meinung, dass der vorgelegte Regierungsentwurf überhaupt nicht den aktuellen Anforderungen, mit oder ohne Auswirkungen der Ukrainekrise, gerecht werden könnte.
({2})
Aber um diese Peinlichkeit dann nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, wird natürlich darauf verwiesen, dass der vorherige Regierungsentwurf in der Endphase der Großen Koalition noch unzulänglicher gewesen sein soll. Auch da wird wiederum ein historisch präziser Gesichtspunkt außen vor gelassen: Auch dieser trug die Handschrift eines Finanzministers Olaf Scholz, des jetzigen Kanzlers Olaf Scholz,
({3})
der aus einer grundlegenden Abneigung gegenüber dem Arbeitsbereich der Entwicklungspolitik dem erfolgreichen Entwicklungsminister Gerd Müller in der Endphase noch eine Delle verpassen wollte.
({4})
Ein weiteres untaugliches Unterfangen, von der wahren, eigentlichen Verantwortung abzulenken! Und um es an dieser Stelle noch mal ganz klar hervorzuheben: Seit 2014 hat sich das Haushaltsvolumen von 6,4 Milliarden Euro auf rund 12,4 Milliarden Euro fast verdoppelt – das Ergebnis hartnäckiger, erfolgreicher und vor allen Dingen überzeugender Haushaltspolitik
({5})
eines guten Entwicklungshilfeministers Gerd Müller.
({6})
Liebe Frau Kollegin Abdi, Sie haben dankenswerterweise auf den Koalitionsvertrag hingewiesen. Seite 119 beinhaltet den denkwürdigen Satz, dass die Entwicklungsausgaben im Verhältnis eins zu eins ebenso wie die Verteidigungsausgaben steigen sollten. Sie haben aber eben die Diskrepanz, die jetzt eingetreten ist, damit zu erklären versucht, dass eine Veränderung der Weltlage eingetreten ist und sich daraus dann auch eine Veränderung der Betrachtung ergeben müsste.
({7})
Da muss ich Ihnen in aller Deutlichkeit widersprechen.
({8})
Nämlich gerade die jetzt eingetretene Veränderung der Weltlage hätte zur Folge, dass mindestens das Verhältnis eins zu eins hätte eingehalten werden müssen.
({9})
Denn die Auswirkungen des Ukrainekrieges werden in atemberaubender Geschwindigkeit die Lebensverhältnisse der Menschen im Globalen Süden beeinträchtigen. Deshalb müssen wir neben allen Hilfen, die wir in den nächsten Wochen, Monaten und vielleicht Jahren für die Menschen in der Ukraine aufbringen müssen, mit sofortiger Wirkung unsere entwicklungspolitischen Aktivitäten im Globalen Süden fortsetzen. Deshalb: Halten Sie sich an Ihren Koalitionsvertrag, dann können Sie vielleicht noch etwas retten!
({10})
Zum guten Schluss, verehrte Frau Kollegin Düring, zur Kritik „keinerlei Maßnahmen gegen globale Krisen“: Seit über vier Jahren arbeiten wir tatkräftig im Rahmen der globalen Gesundheit an den entsprechenden Gesundheitsherausforderungen, die auf der ganzen Welt existieren. Und auch an dieser Stelle scheitert der Regierungsentwurf, weil die entsprechende Verpflichtungsermächtigung zugunsten des GFATM, des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, massiv gestrichen worden ist.
Wir haben in unserer internationalen Aktivität allein in diesem Jahr sechs Konferenzen, die sich mit globalen Gesundheitsherausforderungen beschäftigen. In allen diesen Bereichen gibt es leider keinen signifikanten Aufwuchs; wir werden uns an dieser Stelle blamieren.
Herr Kollege.
Deshalb ist es einfach nur konsequent, aber leichten Herzens, dass wir diesem Regierungsentwurf unter keinen Umständen zustimmen können.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Kathrin Henneberger hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Inseln im Meer versinken, Wälder verbrennen, Wüsten sich ausbreiten und Dörfer durch Stürme bisher unbekannter Stärke zerstört werden, dann verlieren Menschen nicht nur ihre Lebensgrundlage; sie verlieren ihre Lebensweise, ihre Kultur, ihre Gemeinschaften und ihre Geschichte. Und auch wenn kein Geld der Welt ein Zuhause zurückbringen kann, welches als Folge der Klimakrise nicht mehr da ist, so können wir als Industrienation zumindest unsere Mitschuld anerkennen. Das bedeutet, im jetzigen parlamentarischen Haushaltsverfahren zu prüfen, ob wir unsere Klimaschuld wenigstens durch einen Ausgleich mit Finanzen für Klimagerechtigkeit begleichen können.
({0})
Ich bin seit über einem Jahrzehnt auf vielen UN-Klimakonferenzen, und eine Sache ist immer gleich – sie hat sich bisher nicht verändert –: Die Stimmen, die Perspektiven derer, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, werden am wenigsten gehört; sie sitzen nicht am zentralen Verhandlungstisch. Am deutlichsten zeigt sich dies beim Streit über die Finanzen, beispielsweise über die Finanzen eines künftigen Fonds für Loss and Damage, der Finanzen zur Verfügung stellen soll bei Verlust und Schäden, für einen Ausgleich der Zerstörung durch die Klimakrise im Globalen Süden, also in den Regionen, die sich am wenigsten schützen können und die Auswirkungen der Klimakrise bereits existenziell spüren. An den Finanzen für Loss and Damage wird Deutschland seinen fairen Anteil erbringen müssen, und das möchte ich auch im Haushalt widergespiegelt sehen.
({1})
Die im Jahr 2009 auf der UN-Klimakonferenz, damals in Kopenhagen, für das Jahr 2020 versprochenen jährlichen 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Klimaanpassung müssen endlich global zusammenkommen. Dass dies auf der letzten Klimakonferenz in Glasgow trotz lauter Forderungen von Vertreterinnen und Vertretern der am stärksten betroffenen Regionen immer noch nicht passiert ist, ist nicht zu entschuldigen.
({2})
Frühestens 2023 soll nun dieses Ziel – vielleicht – erreicht werden. Als Mensch des Globalen Nordens, als Abgeordnete eines reichen Industrielandes beschämt es mich zutiefst, dass nicht einmal die 100 Milliarden Dollar zusammengekommen sind. Ich möchte, dass wir in diesem Jahr und in den nächsten Jahren wenigsten für den Tropfen auf den heißen Stein unseren fairen Anteil an den Klimafinanzen endlich erbringen.
({3})
Die Klimakrise darf dabei nicht separat von den anderen Krisen unserer Zeit gedacht werden.
({4})
Schutz der Biodiversität, Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, humanitäre Krisen und Katastrophenschutz bedeuten auch Aufbau von Klimaresilienz.
({5})
Der Haushalt des BMZ und die ODA-Mittel insgesamt müssen in diesem Bundeshaushalt sowie in dem Ergänzungshaushalt an die realen Bedürfnisse angepasst werden.
({6})
Bei der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Klimabereich, aber auch der Bilateralen Finanziellen und der Bilateralen Technischen Zusammenarbeit möchte ich bei den Verpflichtungsermächtigungen niedergeschrieben sehen, dass Sie die Mittel für Klimagerechtigkeit dort beständig erhöhen werden.
Auch mit Blick auf den Posten „Internationaler Klima- und Umweltschutz“ und die Stärkung von zivilgesellschaftlichen Projekten gilt: Hier darf kein Rotstift angesetzt werden.
Frau Kollegin, Sie müssten bitte zum Ende kommen.
Vielen Dank. – Wir haben eine Verantwortung für unser Handeln und daraus eine Klimaschuld zu begleichen. Dies muss sich auch in unserem Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit widerspiegeln.
({0})
Frau Kollegin.
Vielen Dank.
({0})
Knut Gerschau hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die internationale Lage ist dramatisch. Die Gesundheit der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern bleibt durch die weiterhin bestehende Coronapandemie akut gefährdet, und nun kommt auch noch die Gefahr von Hungerkrisen durch den Ukrainekrieg hinzu.
Durch den Einbruch der Exporte von Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenöl wird sich die Ernährungssituation in vielen afrikanischen Ländern enorm verschlechtern. In Nordafrika und den ärmsten Ländern südlich der Sahara verteuern sich die Lebenshaltungskosten für die Familien extrem. Deshalb wird die Bundesregierung da gegensteuern. Der aktuelle Entwurf des Haushaltsplans sieht allerdings Kürzungen in Bereichen wie „Beteiligung am Welternährungsprogramm“ oder beim Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung in Subsahara-Afrika vor. Dies kann nach meiner Ansicht auf Dauer so nicht bleiben.
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Wir müssen im Bereich der Ernährungssicherheit größere Unterstützung leisten; denn Hungerkrisen führen zu politischer Instabilität,
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zu Aufständen, zu verstärkter Migration und womöglich auch zur Hinwendung afrikanischer Nationen an autoritäre Regime. Dies sollten wir unbedingt vermeiden.
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Ähnliches gilt auch für den Bereich der globalen Gesundheit. Die enorme Bedeutung unserer Hilfen für Aufbau und Erhalt einer vernünftigen Gesundheitsversorgung wurde durch die Coronapandemie grell beleuchtet. Mein Eindruck ist, dass GAVI – die weltweit Impfprogramme durchführt, auch eine super Arbeit macht und viele Erfolge verzeichnet – sehr massiv in den Vordergrund gerückt wird. Der Beitrag für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria fällt tatsächlich ein wenig hinten runter. Dabei verschwinden diese Krankheiten nicht, zumal wenn immer mehr Menschen durch Hungerkatastrophen geschwächt werden.
Ja, wir müssen sparen, auch im Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit. In der Tat aber müssen Ernährung und Gesundheit mehr in den Vordergrund gestellt werden. Anerkennend stelle ich fest, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in seinen sechs Kernthemen Bevölkerungspolitik, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte explizit zu einem Aktionsfeld für die nächsten Jahre erklärt.
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Angesichts der demografischen Entwicklung in Afrika sehe ich uns gerade im Bereich der Familienplanung in der Pflicht. Unsere Beiträge zu internationalen Initiativen, zur reproduktiven Gesundheit und zur Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen werden in den nächsten Jahren nicht stagnieren, sondern steigen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Kollege Dr. Karamba Diaby spricht für die SPD-Fraktion.
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Herr Bénebamba Yanna, Arzt aus Burkina Faso, in Deutschland lebend, schrieb mir Folgendes:
Sicherlich sind Sie über die prekäre Lage in Burkina Faso informiert. Das Land zählt mittlerweile fast 2 Millionen Geflüchtete. Wir machen uns große Sorgen um die Entwicklung in den nächsten Monaten. Die Ernten fielen in diesem Jahr bescheiden aus. Viele Menschen hatten kein Saatgut und diejenigen, die säen konnten, mussten zusehen, wie ihre Ernte verbrannte. Ich bitte Sie, sich für die Länder der Sahelzone einzusetzen, damit eine Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleistet werden kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Schreiben von Bénebamba Yanna steht symbolisch für viele Krisen auf der Welt. Klimawandel, Armut, Hunger sowie der Krieg in der Ukraine haben Auswirkungen auf uns alle. Sie bedrohen insbesondere jene, die ohnehin schon von Hunger gezeichnet sind. Es ist unsere Verantwortung, diese Krisen gemeinsam anzugehen. Wir brauchen eine nachhaltige, gesicherte Entwicklungspolitik.
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Die Pandemie hat uns in der Entwicklungszusammenarbeit um Jahre zurückgeworfen. Dabei haben wir viel vor. Ich nenne drei Beispiele: Wir wollen bis 2030 als internationale Gemeinschaft die 17 Nachhaltigkeitsziele erreichen. Wir wollen die Coronapandemie global überwinden. Wir wollen, dass bis Mitte des Jahres 70 Prozent der Weltbevölkerung vollständig geimpft sind. Deshalb werden wir uns auch dafür einsetzen, unseren finanziellen Beitrag im Bereich der globalen Gesundheit zu leisten.
Das Corona-Sofortprogramm für den Globalen Süden war ein gutes Instrument, um wirtschaftliche und soziale Folgen der Pandemie abzufedern. Unser Beitrag zu ACT-Accelerator ist wichtig. Die internationale Initiative zielt auf die medizinische Ausrüstung und Möglichkeiten zur Behandlung von Corona ab. Es geht dabei weniger um wirtschaftliche Stützen für die betroffenen Länder. Wir müssen alles dafür tun, dass wir nicht auf ein Vor-Coronapandemie-Niveau zurückfallen; denn diese Pandemie hat uns gezeigt, dass wir mehr Investitionen in globale Gesundheit benötigen. Kürzungen darf es jetzt und auch in Zukunft nicht geben, meine Damen und Herren.
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Während wir in Deutschland über Öffnungsschritte debattieren, ist die Realität der Coronapandemie in großen Teilen der Welt eine ganz andere. Besonders problematisch ist die Lage auf dem afrikanischen Kontinent. Dort sind bislang nur 12 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft. Nur 1 Prozent der Impfstoffe wird selbst vor Ort produziert. Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf.
Wie können wir nun den Menschen in Burkina Faso und weltweit helfen? Indem wir heute und in den kommenden Jahren für eine nachhaltige Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit sorgen, indem wir mindestens 0,7 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit ausgeben,
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indem wir unseren Einsatz für globale Gesundheit stärken und indem wir unsere G‑7-Präsidentschaft nutzen, um den Zugang zu guter Gesundheitsversorgung weltweit zu gestalten.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die globalen Herausforderungen unserer Zeit betreffen uns alle. Es ist unsere Aufgabe, diese Krisen gemeinsam anzugehen. In der Entwicklungszusammenarbeit dürfen wir jetzt keinen Schritt zurück machen. Deshalb werden wir alles tun, um eine gesicherte Finanzierung zu erreichen.
Ich freue mich auf kreative Beratungen in dieser Haushaltsdebatte und in den Haushaltsverhandlungen.
Danke schön.
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Carsten Körber hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es herrscht Krieg in Europa. Eine Großmacht hat einen Nachbarstaat überfallen wie zu den schlimmsten Zeiten des Imperialismus. Wir werden Zeugen eines Krieges, wie wir ihn in Europa nicht mehr für möglich gehalten hätten. Und wir müssen leider feststellen: Wir haben uns getäuscht. Wir haben uns getäuscht in der Hoffnung auf dauerhaften Frieden. Wir haben uns aber auch getäuscht in einem Mann, dem wir noch vor 20 Jahren die Ehre haben zuteilwerden lassen, hier an diesem Rednerpult zu den Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu sprechen.
Für uns gibt es jetzt sicher eine Vielzahl von Herausforderungen. Diese betreffen fast jedes Ressort; aber es ist vollkommen unstrittig, dass das BMZ davon ganz besonders betroffen ist.
In den letzten Jahren erfuhr die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen enormen Aufwuchs an Mitteln und an Kapazitäten. Dieser Aufwuchs wurde jetzt mit dem Regierungsentwurf der Ampelregierung jäh gestoppt. In den Etatverhandlungen mit dem BMF war die Ministerin nicht wirklich erfolgreich. Der Etat sinkt um gut 1,5 Milliarden Euro; das sind spürbar mehr als 10 Prozent. Aber – auch das gehört zur Wahrheit – es bleibt anzuerkennen, dass die Mittel in der Finanzplanung um 700 Millionen Euro angehoben wurden. Dadurch wird zumindest die Dramatik ein Stück weit entschärft. Von den Erfolgen, die dieser Etat unter der CDU-geführten Bundesregierung mit dem Bundesminister für Entwicklungshilfe
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Müller erzielt hat, ist dieser Entwurf allerdings weit entfernt.
Der Ukrainekrieg stellt auch das BMZ vor eine besondere Herausforderung. Zwei Punkte möchte ich herausgreifen:
Der erste Punkt. Die Ukraine ist weltweit der fünftgrößte Weizenexporteur. Selbst wenn die Ukraine als Versorger nur teilweise ausfällt, dann ist die Versorgung mit überlebenswichtigem Getreide in Teilen Afrikas dramatisch gefährdet. Es ist an uns, zu verhindern, dass durch Putins Zivilisationsbruch auch noch eine Hungersnot in Afrika entsteht. Hierauf sollten wir bei den Haushaltsberatungen ein besonderes Augenmerk legen.
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Zweitens: die Versorgung von ärmeren Ländern mit Coronaimpfstoffen. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, wenngleich sie aktuell aus den Nachrichten verschwunden zu sein scheint.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verändert aber auch unseren Blick auf die Welt. Wir bringen zunehmend die Kraft auf, unsere eigenen nationalen, aber auch europäischen Interessen erstens zu erkennen und zweitens auch zu definieren. Das ist gut und wichtig. Aber diese Erkenntnis wird uns nur dann etwas nützen, wenn wir den Mut haben, diese Interessen auch durchzusetzen. Das gilt für unsere Sicherheitspolitik wie auch für die Entwicklungszusammenarbeit; beides gehört zusammen. Denn wenn wir morgen in Europa noch in Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zusammenleben wollen, dann müssen wir die Kraft aufbringen, unserer Erkenntnis auch Taten folgen zu lassen. Das wünsche ich uns.
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Ein Land, das mir hierbei einfällt, ist der Libanon – ein Land, das wir Europäer stärker als Nachbar und Partner begreifen sollten und dessen Wohlergehen auch im deutschen und europäischen Interesse liegt. Aktuell ist der Libanon so gut wie pleite. Die Menschen leben dort in größter Armut. Dennoch gewähren die Libanesen unzähligen Flüchtlingen aus der Region Schutz und Zuflucht. Würden wir in Deutschland vergleichbar viele Menschen aufnehmen, dann wären das 27 Millionen – ein Flüchtling auf drei Deutsche.
Hilfe für den Libanon liegt aber auch im strategischen Interesse Deutschlands und Europas. Lassen Sie mich dazu ein konkretes Beispiel nennen. Da fällt mir der Hafen von Beirut ein. Dieser wurde im Sommer 2020 durch die größte nichtnukleare Explosion der Menschheitsgeschichte komplett zerstört. Bereits im Juni letzten Jahres hat der Haushaltsausschuss des Bundestages mit großer Stimmenmehrheit beschlossen, für den Wiederaufbau 12 Millionen Euro bereitzustellen. Bis heute ist leider nichts passiert.
Ich wünsche mir, dass die neue Bundesregierung hier aktiv wird; denn es ist in unserem nationalen und auch in unserem europäischen Interesse, hier etwas zu tun. Wir würden damit den Libanon stabilisieren und könnten zugleich verhindern, dass sich dort andere, weniger demokratische Kräfte etablieren. Die Chinesen, die Türken, aber auch die Russen haben dort bereits Interesse bekundet, den Hafen wieder aufzubauen und zu betreiben. Aber wir müssen uns fragen: Wollen wir das? Wollen wir das vor unserer Haustür zulassen?
Es gibt ein Konzept, das wir zusammen mit Frankreich und anderen europäischen Partnern vorgelegt haben. Wir wollen nicht nur den Hafen wiederaufbauen, sondern ein Stadtquartier errichten, das auch die Bedürfnisse der Bewohner von Arm bis Reich im Blick hat. Das unterscheidet unseren Ansatz von dem, was Chinesen, Türken oder Russen vorhaben.
Ich wünsche dieser Bundesregierung die Entschlossenheit und auch das Selbstbewusstsein, damit aus großen Ideen Wirklichkeit werden kann.
Ganz herzlichen Dank.
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