Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/18/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei, ({0}) wir brauchen weitere Schutzmaßnahmen. Und um solche zu beschließen, sind wir heute zusammengekommen. Wir haben viel geschafft, aber wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, dass schon der Freedom Day kommen könnte. Wir sind heute nicht zusammengekommen, um über den Freedom Day zu sprechen. ({1}) Der Freedom Day würde nicht nur das Ende der Schutzmaßnahmen bedeuten, er wäre das Ende der Pandemie. Unseren Freedom Day besprechen wir somit nicht heute; den Freedom Day haben wir gestern besprochen. Unseren Freedom Day können wir erreichen, wenn wir diese Pandemie beenden. Dazu müssen wir die allgemeine Impfpflicht beschließen. Diese ist der einzige sichere Weg aus der Pandemie heraus. ({2}) Wir können die Pandemie nicht einfach beenden, indem wir die Schutzmaßnahmen einstellen. Wir brauchen die Schutzmaßnahmen, solange wir eine so hohe Zahl von Ungeimpften haben. Daran muss immer wieder erinnert werden. Wir wären schon viel weiter, als wir sind, wenn mehr Menschen geimpft wären. ({3}) Wenn wir uns heute die Fallzahlen anschauen, müssen wir feststellen: Es gibt fast 300 000 Fälle. Wenn wir uns heute die Todeszahlen anschauen, müssen wir feststellen: Über 200 Menschen sind gestorben. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Das ist extrem unbefriedigend. ({4}) Hier kommt die deutsche Sonderrolle zum Tragen: Die über 60-Jährigen sind zu einem hohen Maß ungeimpft, viel mehr als in unseren Nachbarländern. Wir haben darüber hinaus eine relativ alte Bevölkerung. Daher brauchen wir Schutzmaßnahmen – Schutzmaßnahmen, die in anderen Ländern in diesem Umfang nicht mehr notwendig sind. ({5}) – Ich finde es traurig – ich muss das einmal sagen –, dass wir, wenn wir über ein so wichtiges Thema sprechen, uns all die Zeit diese niederträchtigen Unterstellungen und Einwürfe anhören müssen. ({6}) Das ist einfach schlicht eine Störung. Ich komme damit gut zurecht, aber es spricht Hohn der Bedeutung der Fragen, über die wir hier debattieren, und deren Ernsthaftigkeit. Wir können hier unterschiedlicher Meinung sein, wir werden auch streiten, wir werden in der Sache streiten, aber von Ihnen wird die Ernsthaftigkeit dieser Debatte in Abrede gestellt. Das können wir nicht hinnehmen. ({7}) Das ist eine unglaubliche Verhöhnung der Opfer ({8}) Und ich möchte noch etwas sagen. Wir sprechen heute über einen schweren Kompromiss. ({9}) Dabei geht es aber nicht um den Kompromiss zwischen Team Freiheit und Team Vorsicht, sondern um die Abwägung, was wir den Menschen, was wir unseren Kindern noch zumuten können, die sich all die Zeit an die Regeln halten. Es geht darum, was wir den Menschen noch zumuten können, die die Regeln beachten, und was wir bereit sind denjenigen zuzumuten, die nicht bereit sind, irgendetwas zu opfern, die sich nicht impfen lassen wollen, ({10}) die die Debatte nicht ernst nehmen, die außer Stören keinen einzigen konstruktiven Beitrag im Verlaufe der gesamten Pandemie haben leisten können. Ich als Epidemiologe ({11}) hätte mir gewünscht, wir hätten mehr für diejenigen tun können, die ein Risiko haben. Aber wir müssen die rechtliche Lage beachten. Die rechtliche Lage ist die: Wir können nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine kleine Gruppe von Impfunwilligen und von Menschen, die nicht bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen, zu schützen. ({12}) Die Balance wird geändert. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Dr. Lauterbach, ich habe die Zeit angehalten. Ich bitte Sie, einen kleinen Moment innezuhalten. Ich sage es heute Morgen nur ein einziges Mal: Es gilt die Allgemeinverfügung. Das heißt, die Masken können zur Rede am Pult abgesetzt werden, und wir Präsidentinnen hier oben können sie absetzen. Auch für Zwischenrufe gilt die Maskenpflicht. ({0}) Es gab in den wenigen Minuten, die wir jetzt hier beisammen sind, auf der rechten Seite des Hauses mehrfach Verstöße gegen die Allgemeinverfügung. ({1}) Ich werde dies entsprechend unseren Regelungen hier auch nachdrücklich ahnden. Ich bitte darum, das zu beachten. Sollte irgendjemand, aus welchen Gründen auch immer, hier nicht im Saal verweilen und die Maske weiter tragen können, dann muss er die Debatte bitte anderweitig verfolgen. ({2}) Sie haben wieder das Wort, Herr Minister Lauterbach.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Die Regelung, die wir heute vorstellen, ist eine Regelung, die folgender Tatsache Rechnung trägt: Wir sind durch die Omikron-Variante nicht mehr in der Situation, befürchten zu müssen, dass das gesamte Land durch eine flächendeckende Überlastung der Kliniken gefährdet ist. ({0}) Trotzdem wird es so sein, dass es an vielen Stellen tatsächlich zu genau dieser Überlastung kommen wird. Daher haben wir die Regel so angepasst, dass überall dort, wo wir eine Überlastung der Krankenhäuser und der Gesundheitsversorgung erwarten müssen, die Hotspotregelung zieht und wir dann auch weitergehende Maßnahmen ergreifen können. Wo das nicht der Fall ist, wird es nicht gemacht. Darauf haben wir uns geeinigt. Hätten wir dies nicht gemacht, hätten wir keine Regeln mehr gehabt. Denn dann hätte es entweder die Möglichkeit gegeben, dass wir überall Regeln und Maßnahmen vorsehen, auch dort, wo es keine Überlastung gibt – das wäre rechtlich nicht gegangen –, oder wir hätten ganz auf die Regeln verzichtet – Stichwort „Freedom Day“ –, und dann hätten wir gar nichts gehabt. Somit haben wir uns auf Regeln für die Teile Deutschlands geeinigt, wo tatsächlich eine Überlastung zu befürchten ist. ({1}) Das ist der richtige Kompromiss. Das ist nicht „Freiheit gegen Vorsicht“, sondern das trägt einfach der Tatsache Rechnung, dass wir so zielgerichtet reagieren können. Da bitte ich um Ihr Vertrauen. Wir werden das durchsetzen. Die Landtage werden das umsetzen können. Wenn ein ganzes Land betroffen ist – da sind Herr Buschmann und ich einer Meinung; das wurde immer falsch dargestellt –, ({2}) kann auch das ganze Land als Hotspot gelten. ({3}) Das ist zum Beispiel etwas, was jetzt in Mecklenburg-Vorpommern getestet wird. Somit: Wir brauchen hier Vertrauen. Wir brauchen funktionierende Regeln. Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Das Gesetz wird uns in den nächsten Monaten helfen. Wenn sich die Lage verändert, wenn wir andere Varianten bekommen, wenn die Gesundheitsversorgung stärker gefährdet ist, wenn wir beispielsweise eine gefährlichere Variante als die jetzige Omikron-Variante bekommen, dann wirkt zunächst einmal dieses Gesetz. Aber wir sind auch jederzeit bereit, das Infektionsschutzgesetz erneut anzupassen, um einer neuen Lage Rechnung zu tragen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute hier abschließend debattieren, hatte zwei klare Aufgaben. Erste Aufgabe: Lockerungen verantwortungsbewusst für das Frühjahr vorbereiten. Zweite Aufgabe: Absicherung dafür herstellen, falls sich die Infektionslage verbessert oder verschlechtert. Beides leistet der Gesetzentwurf nicht. Vielmehr erzeugt er ein Wirrwarr. Dieses Wirrwarr haben nicht nur wir kritisiert, sondern auch alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer. ({0}) Ich finde es schon bemerkenswert, Herr Kollege Lauterbach, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen, in der Koalition sei Einigkeit darüber erzielt worden, was Hotspots sind. Ich habe jetzt Ihren Bundesjustizminister nicht klatschen sehen; denn er sieht das offensichtlich ganz anders als Sie, was ein Hotspot sein kann. ({1}) Insofern: Wenn Sie sich schon nicht einig sind, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Länder nicht wissen, wie sie das umsetzen sollen. Ich kann Ihnen ganz klar sagen: Gestern fand ja die Ministerpräsidentenkonferenz der Länder statt. Es ist ein absolutes Novum in ihrer Geschichte, dass 16 Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Bundesrepublik Deutschland in Protokollerklärungen sagen, dass das so nicht geht, dass das Wirrwarr erzeugt, dass die Ampel auf Rot, Gelb und Grün steht und dass das im Grunde Chaos mit Ansage ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ich könnte es mir sehr einfach machen. Ich müsste ja im Grunde bloß diese Protokollerklärung vorlegen. Ich habe sie auch tatsächlich mitgebracht. Ich lese mal die ersten beiden Punkte bei TOP 6 dieser Protokollerklärung vor. Da schreiben zahlreiche Bundesländer: Die ... Länder bedauern, dass die geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes weitestgehend ohne Beteiligung der Länder konzipiert worden sind, obwohl die Länder maßgeblich für den Vollzug zuständig sind. Erster Punkt. – Weiterer Punkt: Die nunmehr durch den Bund angestrebte Änderung des Infektionsschutzgesetzes bleibt hinter diesem Schutzniveau zurück. Zudem ist die vorgesehene Hotspotregelung rechtlich nicht sicher umsetzbar und praktisch nicht durchsetzbar. Da frage ich Sie allen Ernstes: Was wollen Sie mit diesem Gesetz erreichen? Glauben Sie ernsthaft, dass wir mit diesem Gesetz Rechtssicherheit in den Ländern erzeugen, liebe Kolleginnen und Kollegen? ({3}) Sie haben hier gesagt, Herr Kollege Lauterbach, dass Sie definieren, wie dieser Instrumentenkasten aussehen könnte. Die Bundesländer haben gesagt: Wir brauchen einen Instrumentenkasten, der eben genau auf diese dynamische Lage reagieren lassen kann. Sie haben definiert: „höhere Pathogenität“. Also, wenn sich ein Virus mit einer höheren Pathogenität zeigt, kann man schneller reagieren. Aber Sie definieren nicht, was höhere Pathogenität ist. Sie sagen: In Bereichen, wo es zu einer besonders hohen Anzahl von Neuinfektionen kommt, kann reagiert werden. Keiner weiß, was Sie mit „besonders hohen Anzahl von Neuinfektionen“ meinen. Die Erläuterung, wann eine drohende Kliniküberlastung im Hinblick auf die Hotspots zu erwarten ist, ist genau der maßgebliche Punkt, den Sie innerhalb der Koalition nicht geklärt haben, Herr Kollege Lauterbach. Da sollten Sie dringend nacharbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil er handwerklich schlecht gemacht ist, weil viele Einzelheiten nicht geklärt sind, weil er ein einziger unscharfer Rechtsbegriff ist. Wir als Opposition werden ihn ablehnen, aber auch Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern kritisieren ihn. Frau Giffey beispielsweise hat ja schon gestern, noch vor Verabschiedung des Gesetzentwurfes, angekündigt, dass das Gesetz nachgebessert werden muss. Insofern gehe ich davon aus, dass wir uns hier sehr zeitnah wiedersehen werden. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther das Wort. ({0})

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst wünsche ich unserem Kollegen Janosch Dahmen schnelle Genesung. ({0}) Eigentlich hätte er hier heute reden sollen, doch auch ihn hat das Coronavirus erwischt. ({1}) Dass er dafür Spott und Häme abbekommt – sofort hier und auch im Netz –, ist unerträglich. ({2}) Das ist ja geradezu reflexhaft, was Sie hier machen. Lieber Janosch, du hast unsere volle Solidarität. ({3}) Es ist unerträglich. Menschen sind krank, und er ist einer von etwa 300 000 Menschen, die sich derzeit täglich neu infizieren. Wir wünschen allen von ihnen einen milden Verlauf. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass es jeden Tag leider auch Menschen schwer trifft, dass über 200 Menschen täglich sterben und Long Covid jeden und jede treffen kann, auch Kinder. Wir dürfen Long Covid nicht unterschätzen. ({5}) Bei der Frage, ob unser Gesundheitssystem überlastet ist, sollten wir nicht nur auf die Intensivstationen gucken. Die peripheren Stationen der Krankenhäuser sind zurzeit stark unter Druck. Alle Kolleginnen und Kollegen dort, ärztlich und in der Pflege, arbeiten am Limit. Überall in unserem Land sind die Menschen unter Druck, auch psychisch. Der Ton verschärft sich nicht nur hier, auch sonst. Aber wir können diese Pandemie nur gemeinsam überwinden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) In unserer Demokratie ist es auch innerhalb einer Koalition notwendig, Kompromisse zu finden. Das ist das Wesen der Demokratie. Aus meiner Sicht als Ärztin, als Gesundheitspolitikerin, aus Sicht meiner Fraktion und im Übrigen auch der Mehrheit der Bevölkerung braucht es für einen guten Infektionsschutz vermutlich mehr als das, was heute als Gesetzentwurf vorliegt. ({7}) Wir wissen, dass FFP2-Masken einen guten Schutz vor Ansteckung bieten, und es wäre gut, weiterhin präventiv zu agieren und die Maskenpflicht flächendeckend beizubehalten. ({8}) Es ist kein Geheimnis, dass wir auch innerhalb der Koalition unterschiedliche Positionen dazu hatten, welche Maßnahmen jetzt weiterhin bundesweit nötig sind. Aber kein Gesetzentwurf wäre sehr viel schlechter gewesen als dieser Gesetzentwurf, der ja weiterhin Schutzmaßnahmen beinhaltet. ({9}) Darum werden wir als Bündnis 90/Die Grünen auch zustimmen, auch wenn wir uns deutlich mehr gewünscht hätten. Denn das ist das, was innerhalb der Ampel vereinbar war, und der Worst Case wäre gewesen, alle Schutzmaßnahmen auslaufen zu lassen. Mit diesem Gesetz schützen wir also besser als ohne Gesetz. Der Spatz in der Hand bedeutet deutlich mehr Schutz als die Taube auf dem Dach. ({10}) Ich hoffe sehr, dass die Maskenpflicht, aber auch die Maskenkür weiter genutzt wird, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, besonders verletzliche Personen. Wer diese schützen möchte, trägt in diesem Frühjahr weiter Masken, beispielsweise im Supermarkt. Denn dort kaufen Menschen mit kleinen Kindern ein, Menschen, die sich bisher nicht impfen lassen konnten, und sie sind auf unsere Solidarität angewiesen. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist so: Auf die Länder kommt jetzt eine große Verantwortung zu. Sie können die Übergangsfrist bis zum 2. April verlängern. Sie können Schutzmaßnahmen fortführen und von der Hotspotregelung Gebrauch machen. Viele Länder wie Bremen, Berlin, Baden-Württemberg denken schon in diese Richtung. Das ist sehr klug. Und klar bleibt: Wenn die neuen Maßnahmen nicht ausreichen werden, müssen wir nachsteuern. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Denn diese Pandemie ist noch nicht vorbei, und wir werden sie nur gemeinsam überwinden. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Christina Baum für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Entwurf, auf den so viele Menschen sehnsüchtig warten, weil sie endlich wieder normal, wieder frei leben wollen, ist nichts weiter als eine Beruhigungspille. Denn die wenigen Erleichterungen können jederzeit aufgehoben werden, ganz nach Lust und Laune, da es keine eindeutigen Parameter für die Hotspots gibt. Die Coronamaßnahmen gehören schon deshalb komplett vom Tisch, weil das dafür erhobene Kriterium zu keinem Zeitpunkt erfüllt war. Zu keinem Zeitpunkt gab es eine Überlastung der Krankenhäuser oder Intensivstationen. ({0}) Evidenzbasierte Studien zur Wirksamkeit der Coronamaßnahmen gibt es nicht. Deren Schädlichkeit ist jedoch hinlänglich bewiesen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen haben sie zu massiven körperlichen und psychischen Schäden geführt – Ängstlichkeit, Depressionen, Ess- und Sprachstörungen bis hin zu generellen Entwicklungsstörungen. All das ist jedoch nur die Spitze des Eisberges. Das Tragen von Masken führt zu einem Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz, zu Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsschwäche und Hautirritationen, wie in einer Metastudie zum maskeninduzierten Erschöpfungssyndrom beschrieben wurde. Ich zitiere aus einer Stellungnahme bei einer öffentlichen Sitzung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages am 9. September 2020 von Professor Dr. Michael Klundt: … alle Entscheidungen und Maßnahmen der Politik seit März/April wurden … völkerrechtsverstoßend und bundesgesetzwidrig, ohne vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls vorgenommen … Der Kindeswohlvorrang ist nicht nur ignoriert worden, … sondern es wurde plötzlich aus dem Kinderschutz … der Schutz vor Kindern … Sie waren … die Virenverbreiter und sie wurden wie Objekte behandelt … Diese … instrumentelle … Behandlung von Kindern … betrachte ich … als eine Form von Kindeswohlgefährdung … ({1}) Wie recht Professor Klundt damit hatte, beweist ein Coronaszenarienpapier des Bundesinnenministeriums von März 2020. Darin können Sie auf Seite 13 lesen: Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden. ({2}) Und unter Punkt 2 steht, dass man Kindern die Schuld dafür geben solle, dass sie ihre Eltern anstecken, die dann qualvoll zu Hause sterben. Das sei „das Schrecklichste, was ein Kind je erleben“ könne. ({3}) Dieses unmenschliche Leid, das den Kindern damit zugefügt wurde, wird für immer mit Ihren Namen verbunden sein. Doch nicht nur die Kinder sind geschädigt, sondern die ganze Gesellschaft. Als soziale Wesen sind wir auf Kontakte, Umarmungen und Nähe angewiesen. Sie haben diese menschlichen Urbedürfnisse verboten. ({4}) Und mit welchem Ergebnis? Die Inzidenzen sind so hoch wie nie. Allein das zeugt von der völligen Unwirksamkeit aller Maßnahmen. ({5}) Das Einzige, was Sie damit erreicht haben, ist die Schwächung der eigenen Immunabwehr. Wir brauchen für ein funktionierendes Immunsystem den Kontakt mit Viren. ({6}) Wir brauchen die Bewegung an der frischen Luft. Wir brauchen Sauerstoff zum Atmen. ({7}) Und wir brauchen liebevolle Umarmungen. ({8}) Geben Sie unserem Volk endlich ein menschenwürdiges Leben und Lebensfreude zurück! Das ist die beste Medizin. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Lukas Köhler das Wort. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Sorge, es hat mich überrascht, dass Sie so sehr auf die klare und eindeutige Einhaltung – das blinde Folgen quasi – der Beschlüsse der MPK pochen würden. Ich kann mich daran erinnern, dass alle Ministerpräsidenten einmal einstimmig für eine allgemeine Impfpflicht gestimmt haben, ({0}) und ich würde mich wundern, wenn CDU und CSU dem nach den Vorträgen von gestern auch so folgen würden. ({1}) Das wäre doch eine ganz andere Debattenlage, Herr Sorge. ({2}) Ich wäre also vorsichtig mit den Forderungen, die ich aufstelle. Ich will Ihnen das aber gar nicht vorwerfen; denn das zeigt ja eines: Wir sind lernfähig. Wir entwickeln uns weiter. Wir entwickeln unser Wissen weiter. – Ich glaube, das ist auch das, was man in dieser Pandemie sieht, was wir in der Diskussion, die wir hier führen, sehen, was wir an den richtigen und notwendigen Maßnahmen sehen, die wir zum Schutz ergreifen müssen. Meine Damen und Herren, nicht die Freiheit von Einschränkung ist begründungsbedürftig; die Einschränkung der Freiheit ist begründungsbedürftig. ({3}) Das müssen wir bei jeder einzelnen Maßnahme, die wir treffen, immer wieder vor Augen haben. ({4}) Wir müssen dafür sorgen, dass wir Politik so ausgestalten, dass nur das an Freiheitseinschränkungen möglich ist, was notwendig ist. Das ist das, was wir mit diesem Gesetzentwurf, was wir mit diesem Vorschlag tun: Wir schützen auf der einen Seite, sorgen aber dafür, dass wir so weit, wie es irgendwie geht, zurück zur Normalität kommen. ({5}) Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist natürlich, dass sich das Pandemiegeschehen, dass sich aber auch Wissen entwickelt. So war es ja ganz klar, dass unter dem Schleier der Unwissenheit am Anfang der Pandemie Entscheidungen getroffen wurden, über die wir heute sagen: Sie waren damals falsch oder unnötig. – Aber zu dem Zeitpunkt, wo sie getroffen wurden, hätten wir sie nicht anders treffen können. Deswegen haben wir als Freie Demokraten sie auch damals in einer ganz anderen Konstellation mit einer anderen Koalition schon unterstützt. Wir haben aber gesehen, dass sich diese Pandemie verändert hat. Wir haben gesehen, dass wir zwar immense Infektionszahlen haben, dass wir eine sehr hohe Inzidenz haben, aber dass die Inzidenz heute nicht mehr der ausschlaggebende Faktor ist. Einzig und allein die Überlastung der Krankenhäuser ist das, was wir politisch betrachten müssen, was in Zukunft die Landtage beachten müssen, und nicht die Frage, inwiefern es Veränderungen bei den Inzidenzen in immer unterschiedlicheren Konstellationen gibt. ({6}) Deswegen müssen wir auch weiterhin Freiheit und Verantwortung koppeln. Es gibt diejenigen, die es wie Montesquieu halten: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Das wäre an dieser Stelle aber auch der falsche Weg. Gar keine Maßnahmen, gar keine Schutzkonzepte, keine Möglichkeit für die Länder vorzusehen, Hotspotregelungen zu treffen, das wäre auch der falsche Weg.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Köhler, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Müller?

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, danke. Ich möchte es mit Montesquieu zu Ende bringen, und das ginge dann nicht. – Es geht darum, die Regelungen so auszugestalten, dass wir auf der einen Seite Schutz in Hotspots haben und auf der anderen Seite dafür sorgen, dass die Menschen in den Alltag zurückfinden, dass die Menschen ihrer Verantwortung gerecht werden können. Das ist es, was wir politisch einfordern müssen. Denn die Menschen in Deutschland sind ja keine kleinen Kinder. ({0}) Wir verbieten niemandem, Masken zu tragen. ({1}) Wir ermöglichen den Menschen, die Verantwortung für sich in die eigene Hand zu nehmen – und das ist der Urkern der liberalen Idee –; ({2}) das ist es doch, was wir in den nächsten Wochen und Monaten, im nächsten halben Jahr sehen werden. Das heißt aber nicht, dass wir nicht vor neuen Varianten, vor neuen Entwicklungen in der Pandemie geschützt wären. Das heißt auch nicht, dass wir nicht lernfähig wären; denn natürlich können wir weiterhin lernen. Natürlich können wir zum Herbst, wenn es notwendig ist, mehr beschließen. Wir können auch über den Sommer mehr beschließen; denn Politik ist handlungsfähig. ({3}) Politik beschließt nicht etwas, und das ist dann in Stein gemeißelt, sondern Politik reagiert. Kluge Pandemiepolitik reagiert klug, und das machen wir mit diesem Gesetzentwurf. ({4}) – Die sehen auch die Impfpflicht anders. Meine Damen und Herren, der Zeitpunkt jetzt ist völlig richtig, um in dieser Richtung weiterzugehen. Wir sehen im europäischen Vergleich, dass wir mit diesem Gesetz zumindest nicht mehr alleine dastehen. Wir sehen, dass wir mit diesen Änderungen einen gemeinsamen Weg aus der Pandemie finden können. Und natürlich ist es wichtig, dass die Menschen weiterhin verantwortungsbewusst mit der Pandemie umgehen. Natürlich ist es wichtig, dass sich die Menschen impfen lassen. Natürlich wissen wir, dass die Entwicklungen in der Pandemie nach dem 19. März nicht zu Ende sind. Wir wissen, dass die allermeisten Menschen in Deutschland verantwortungsbewusst mit ihrer Freiheit umgehen. Das ist es, was wir mit diesem Gesetz schaffen. Deswegen vielen Dank für die Debatte, vielen Dank für dieses Gesetz – und auf ein gutes weiteres! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Susanne Ferschl für die Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Die Bundesregierung möchte gerne die Fortschrittskoalition sein. Aber was, bitte, ist daran fortschrittlich, dauernd im Schweinsgalopp Gesetze durch das Parlament zu treiben, die dann auch noch handwerklich und inhaltlich schlecht sind? ({0}) Dieses Ad-hoc-Verfahren beim Infektionsschutz haben wir jetzt seit zwei Jahren; die Ampel toppt tatsächlich auch noch die GroKo. Nur den Pflegebonus, den haben sie nicht innerhalb einer Woche hinbekommen. An dem doktern sie jetzt seit Monaten rum; das ist peinlich, meine Damen und Herren. ({1}) Ja, Omikron verursacht zum Glück weniger schwere Verläufe, und ja, die Ausgangssituation ist eine andere als vor zwei Jahren. Aber bei einem Höchststand an Infektionen und bei täglichen Long-Covid- und Todesfällen lockert man doch nicht von hundert auf nahezu null. ({2}) Zugunsten der Freedom-Day-Partei, genannt FDP, geben Bundesregierung und Gesundheitsminister, der ja ansonsten der ewige Mahner in der Pandemie gewesen ist, hier eine politische Bankrotterklärung ab. ({3}) Ihre regionale Hotspotregelung schafft einen Flickenteppich an unterschiedlichen Maßnahmen. Sie lassen damit die Bundesländer im Regen stehen, und Sie fördern auch noch den föderalen Überbietungs- und Unterbietungswettbewerb; das ist wirklich absurd, meine Damen und Herren. ({4}) Apropos absurd. Sie schaffen die Maskenpflicht als Basisschutz ab, obwohl Masken nachweislich vor Infektionen schützen, diskutieren aber gleichzeitig über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Diese Impfpflicht ist aber wesentlich freiheitseinschränkender als die Pflicht, sich für eine halbe Stunde im Bus, in der Bahn oder im Supermarkt eine Maske um Mund und Nase zu binden. ({5}) Und dann zu diesem – Entschuldigung – blöden Argument von der FDP, man dürfe ja weiterhin die Maske tragen: Es geht aber nicht nur um Eigenschutz, sondern es geht um Fremdschutz. Das offenbart so deutlich Ihr krudes Verständnis von Freiheit, nämlich Freiheit von Solidarität und Rücksicht. ({6}) Die vulnerablen Gruppen, die Sie angeblich schützen wollen, die leben nämlich nicht nur im Heim, die leben mitten in unserer Gesellschaft. Pflegende Angehörige und Eltern von Kindern mit Vorerkrankungen kommen in ihrem Paralleluniversum offensichtlich gar nicht vor; das ist beschämend. ({7}) Und um es auf allen Ebenen absurd zu machen, wird der Infektionsschutz am Arbeitsplatz auch noch runtergefahren. Wenn Tests, Masken und Homeoffice der Beliebigkeit der Arbeitgeber unterliegen, ist die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet; und das ist völlig inakzeptabel. ({8}) Nach zwei Jahren Pandemie ist es doch wirklich nicht zu viel verlangt, einen Plan vorzulegen, der uns durch diese und künftige Pandemien bringt. Die Linke hat hierzu einen Antrag eingebracht. Wir brauchen klare Wenn-dann-Regelungen, die bei vergleichbarem Infektionsgeschehen auch vergleichbare Maßnahmen gewährleisten, kostenfreie Tests, auch PCR-Tests, eine Ausweitung der Impfkampagne – da ist nach wie vor Luft nach oben – ({9}) und einen Rechtsanspruch auf Infektionsschutz am Arbeitsplatz und auf Homeoffice. Meine Damen und Herren, die große Mehrheit in diesem Land hält sich jetzt seit zwei Jahren besonnen und solidarisch an die Regeln. Aber durch Intransparenz, Hauruckverfahren, falsche Versprechungen, zum Beispiel auf ein Ende der Pandemie, geht mit jeder neuen Welle mehr Vertrauen in Politik und Staat verloren. Ihr Gesetz trägt weiter dazu bei. Deswegen lehnen wir es rundherum ab. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk Wiese das Wort. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen der letzten Tage, die uns immer wieder erreichen, machen, glaube ich, eins deutlich: dass wir weiter sehr verantwortungsvoll mit dieser aktuellen Situation und dem Pandemiegeschehen umgehen müssen. Und es ist vollkommen richtig – auch aufgrund der aktuellen Lage; das hat Karl Lauterbach gerade ausgeführt –: Wir werden mit diesem Gesetz sicherlich keinen Freedom Day in diesem Land haben. Das ist auch nichts, was die Ampel mit diesem Gesetz letztendlich verfolgt, sondern es geht um einen weiterhin verantwortungsvollen Umgang mit der aktuellen Situation. Ich will es noch mal deutlich machen: Die Bestimmungen in § 28a und § 28b des geltenden Infektionsschutzgesetzes würden, wenn wir heute keine Fortsetzungsregelung auf den Weg bringen, auslaufen. Und das würde bedeuten: Wenn wir nichts tun, würde es künftig gar keine Maßnahmen wie Test- oder Maskenpflicht mehr geben können, und das vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen. Kurzum: Die Rechtsgrundlagen für die Länder würden, wenn wir heute dieses Gesetz nicht auf den Weg bringen, ersatzlos wegfallen. Das kann aus unserer Sicht nicht sein; und darum ist es auch richtig, diesen vertretbaren Kompromiss heute auf den Weg zu bringen. ({0}) Das will ich sagen: Es ist richtig, diesen praktikablen Kompromiss, den wir als Ampelkoalition verhandelt haben, auf den Weg zu bringen. Die Situation ist anders als bei den Infektionsschutzgesetzänderungen, die wir in den vergangenen Jahren gehabt haben, da wir eine hohe Zahl an Impfungen haben, die nachweislich vor einem schweren Verlauf schützen. Darum will ich sowohl Bundesgesundheitsminister Lauterbach als auch Bundesjustizminister Buschmann Dank sagen, die gemeinsam mit uns als Koalition diesen Kompromiss auf den Weg gebracht haben. Herr Sorge, Sie wussten das vielleicht nicht: Beide haben dem zugestimmt; nur, man darf auf der Regierungsbank nicht klatschen. Darum waren Sie vielleicht in den letzten Jahren irritiert, dass Jens Spahn Ihnen nie Applaus gegeben hat. – Das ist eigentlich Konsens im Bundestag; aber vielleicht wussten Sie das noch nicht. ({1}) Ich glaube, der Kompromiss ist vertretbar. Er gibt eine Perspektive, auch eine verantwortungsvolle Öffnungsperspektive. Das sind Schritte, die auch vereinbart worden sind. Aber wir müssen uns, glaube ich, sehr deutlich bewusst machen: Gerade für den kommenden Herbst und Winter müssen wir vorsorgen. Wir wollen, dass diese Pandemie beherrschbar wird, und vor dem Hintergrund ist es wichtig, Vorsorge zu treffen, letztendlich mit einer allgemeinen Impfpflicht, die wir Anfang April hier in zweiter und dritter Lesung auf den Weg bringen wollen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wiese, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Sorge?

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Wiese, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Da Sie mich direkt angesprochen haben, will ich Sie ganz kurz fragen: Finden Sie das parlamentarische Verfahren normal, und sehen Sie es als ein Zeichen guter Zusammenarbeit an, wenn noch vor der Verabschiedung des Gesetzes 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder sagen, dass das Gesetz schlecht ist, dass das so nicht geht, dass sie nicht wissen, wie sie es umsetzen sollen? Und finden Sie es normal, dass noch vor der ersten Lesung dieses Gesetzes die Anhörung stattfinden musste, weil es zeitlich nicht anders ging, obwohl man seit Monaten wusste, dass hier neue Regelungen auf den Weg gebracht werden müssen? ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, haben Sie erst mal vielen Dank für die Zwischenfrage. – Ach so, Entschuldigung.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der letzte Halbsatz ist durch das Mikro ein bisschen untergangen. – Verbände sagen, dass das völlig atypisch sei. Sie bekommen den Gesetzentwurf um 0.18 Uhr an einem Sonntag zugesandt und sollen bis 10 Uhr am Montagmorgen dazu Stellung nehmen. Finden Sie das alles normal im parlamentarischen Verfahren? Vielen Dank. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, haben Sie vielen Dank für die Zwischenfrage. – Sie gibt mir die Möglichkeit, auf Folgendes hinzuweisen – ich sehe auch den früheren Gesundheitsminister Jens Spahn hier heute in der Debatte sitzen –: Ich habe seit Mai 2020 einige Änderungen des Infektionsschutzgesetzes mitverhandeln dürfen, auch in der Großen Koalition, und ich kann Ihnen sagen, dass dieses Verfahren sicherlich zeitlich sehr anspruchsvoll gewesen ist, dass es sich aber wohltuend abhebt von dem, was wir unter der Leitung von Helge Braun im Kanzleramt in Teilen erlebt haben. ({0}) Es sind teilweise sehr hektische Verhandlungen geführt worden, teilweise sind aus dem Kanzleramt damals Sachen an die „Bild“-Zeitung durchgestochen worden. ({1}) Darum kann ich nur sagen: Davon hebt sich sehr wohltuend ab, wie die Bundesregierung diese Änderungen des Infektionsschutzgesetzes in der Ampelkoalition angeht. – Ansonsten würde ich mich freuen, wenn Sie stehen bleiben, solange ich Ihre Frage beantworte. Ich glaube, das gebietet auch der Respekt unter Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Es ist letztendlich ein Kompromiss, den wir auf den Weg bringen, der die Menschen, die vulnerablen Gruppen ganz besonders schützen möchte und in den Blick nimmt. Das ist aber auch ein Kompromiss, der die Verhältnismäßigkeit wahrt. Darum ist es richtig, vulnerable Gruppen besonders zu schützen. Es ist auch richtig, die Maskenpflicht gerade im ÖPNV letztendlich beizubehalten. Und es ist auch richtig, dass wir den Ländern die Möglichkeit geben, bei Vorliegen einer konkreten Gefahr, einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage, weiter gehende Schutzmaßnahmen im Rahmen einer Hotspotregelung auf den Weg zu bringen. Das heißt, die Länder können letztendlich für Kreise, für kreisfreie Städte, aber auch für das gesamte Bundesland diese Hotspotregelungen auf den Weg bringen. Das halte ich für richtig. Ich sage es auch sehr deutlich: Ich finde es richtig, dass die Länder den Weg über die Landtage gehen müssen. ({3}) Die Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen können das verantwortlich machen. Die werden das gut machen. Das ist die demokratische Rückkopplung, die wir an der Stelle auch brauchen. Jetzt gerade habe ich allerdings auch den einen oder anderen Hinweis auf die Ministerpräsidenten vernommen; Herr Sorge, auch in Ihrer Rede. Ich will mal einen Blick in die christdemokratische Praxis in den Bundesländern werfen: Wo waren denn die Verschärfungen von Ministerpräsident Wüst aufgrund eines steigenden Infektionsgeschehens in Nordrhein-Westfalen nach dem Kölner Karneval? ({4}) Wo hat die Landesregierung denn da die entsprechenden Notwendigkeiten gesehen, voranzugehen? Und wenn ich mir anschaue, was derzeit in der Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen geregelt ist und was das Land mit den Öffnungsschritten voranbringen will, dann stelle ich fest, dass das deckungsgleich mit dem ist, was wir mit dem zukünftigen Infektionsschutzgesetz den Ländern zur Verfügung stellen. Von daher scheinen Ihre Ministerpräsidenten an dem Punkt doch sehr zufrieden zu sein. Von daher verstehe ich den einen oder anderen Punkt an der Stelle nicht. ({5}) Ich will noch etwas deutlich machen und dazu mal einen Blick nach Bayern werfen. Entschuldigen Sie, Herr Dobrindt, das, was ich jetzt ausführe, ist die Gemütslage des bayerischen Ministerpräsidenten von gestern Abend. ({6}) Es kann durchaus sein, dass er seine Meinung bis heute Morgen geändert hat; ({7}) aber – und das ist ein entscheidender Punkt –: Bayern schafft ab kommendem Montag die Maskenpflicht für Grundschüler in den Schulen ab. ({8}) Die Übergangsregelung, die wir den Bundesländern gewähren, bietet die Möglichkeit, sie noch bis zum 2. April beizubehalten. Dann kann es letztendlich ja nicht so sein, dass, wie Markus Söder das schildert, die Maßnahmen, die er zur Verfügung hat, nicht ausreichend sind. Das heißt, er macht gar nicht Gebrauch von Übergangsregelungen, die wir ihm im Infektionsschutzgesetz zur Verfügung stellen. Ich muss schon sagen: Das, was Düsseldorf und München vor Ort machen, ist in einer gewissen Weise unglaubwürdig und widerspricht dem, was Sie heute an dem Gesetz kritisieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Silvia Breher das Wort. ({0})

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Verlängerung der coronabedingten Elterngeldregelungen. Ich muss schon sagen: Wir haben uns doch sehr gewundert, dass bei der Erstellung Ihres Entwurfs zum SodEG trotz all der Verlängerungen der coronabedingten Sonderregeln niemand aus Ihrer Koalition und auch nicht die zuständige Bundesfamilienministerin Spiegel an die Verlängerung der coronabedingten Elterngeldregeln gedacht hat. ({0}) Aber wir helfen ja gern als Opposition, und deswegen freue ich mich, dass Sie unseren im Ausschuss vorgelegten Änderungsantrag vollständig übernommen haben. ({1}) Aber eins lernt man eigentlich schon in der Schule: Beim Abschreiben das selbstständige Denken nicht einstellen; denn auch die besseren Schüler machen mal einen Fehler. Sie aber haben auch den redaktionellen Fehler, der uns in unserem Änderungsantrag in der Begründung unterlaufen ist, eins zu eins übernommen. ({2}) Vielleicht besteht ja noch die Möglichkeit der Korrektur – schauen Sie mal nach –: Wir haben verwiesen auf Satz 3 in § 2b Absatz 1 BEEG. ({3}) Es müsste Satz 4 sein. – Der Fehler ist Ihnen auch unterlaufen. Vielleicht korrigieren Sie das. ({4}) Aber es geht uns um die Sache. Es geht uns um die vielen Eltern, die in den nächsten Tagen ein Kind erwarten, die in den vergangenen Tagen und Wochen Eltern geworden sind. Es geht um die Eltern, die in den vergangenen drei Monaten pandemiebedingt in Kurzarbeit waren oder Arbeitslosengeld bezogen haben, deren Kinder krank waren oder die die Kinder zu Hause betreuen mussten, weil die Einrichtungen – Kita, Schule – pandemiebedingt geschlossen waren. Diese Eltern müssen nun zukünftig nicht mehr fürchten, weniger Elterngeld zu bekommen; denn die Monate, in denen sie Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Kinderkrankengeld oder andere pandemiebedingte Sonderregelungen erhalten haben, die können ausgeklammert werden. Es geht aber auch um die Eltern, die aufgrund der Pandemie den Partnerschaftsbonus nicht bekommen können, weil einfach die Zeiten so waren, wie sie waren. Auch diese Eltern müssen nun nicht mehr fürchten, dass sie kein Elterngeld bekommen oder, noch viel schlimmer, es zurückzahlen müssen. Für all diese jungen Eltern haben wir uns als Opposition starkgemacht und letztlich auch die Koalition überzeugt. Die pandemiebedingten Sonderregeln werden im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz nicht nur verlängert, sondern gelten rückwirkend ab Ende Dezember 2021, und das ist eine gute Nachricht. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Andreas Audretsch das Wort. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will mit großer Ehrlichkeit diese Rede beginnen. Die Debatte heute, die Abstimmungen, die nachher anstehen, die fallen mir persönlich äußerst schwer, weil ich bezweifle, dass das vorliegende Infektionsschutzgesetz letztlich der Lage, die wir haben, angemessen ist. Wir hätten uns auch andere, auch weiter gehende Regelungen vorstellen können, und das ist auch kein Geheimnis in diesem Haus. Bei steigenden Infektionszahlen, immer mehr Krankenhauseinweisungen, vielen Toten jeden Tag die Basisschutzmaßnahmen so weit, so rigoros nach unten zu fahren, das ist nicht die vorsorgende Politik, die wir gerne hier beschlossen hätten. ({0}) Zumindest die Maskenpflicht in Innenräumen hätte bestehen bleiben müssen. Lieber Kollege Köhler, liebe FDP, wenn Menschen mit Vorerkrankungen sich zu Hause einschließen müssen, weil wir als Gesellschaft zu rücksichtslos sind und keine Masken in öffentlichen Räumen tragen, dann ist das nicht mein Verständnis von Freiheit. ({1}) Heute hier zuzustimmen, fällt mir schwer, und dennoch werbe ich dafür, weil die Alternative, keine Regelungen zu haben, keine Alternative ist ({2}) und weil wir viele weitere Regelungen hier heute haben, die wir mit beschließen. Es geht um die Eltern – das wurde gerade gesagt –; das ist richtig. Es geht aber auch um die vielen sozialen Einrichtungen, die es in Deutschland gibt und die wir selbstverständlich sichern und vor dem Bankrott schützen müssen. Das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz ist ein Schutzschirm, den ganz viele brauchen, und sie sind froh darüber, dass wir es schaffen, das heute zu verabschieden. Schon allein deswegen ist es wichtig, dass es weiterhin gesetzliche Regelungen gibt. ({3}) Wir brauchen so dringend die Wohlfahrtsverbände, die Müttergenesungswerke, wir brauchen die freien Kitaträger, wir brauchen die Anbieter von Sprachkursen – selbstverständlich! –, wir brauchen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. All das brauchen wir in der Gesellschaft, gerade in einer solchen Pandemie. Die Menschen, die in diesen Bereichen tätig sind, haben über ihre Belastungsgrenze hinaus in den letzten Monaten gearbeitet; sie haben unterstützt, sie haben geholfen, sie haben unterrichtet, so wie es eben gerade noch ging. Diese Menschen verdienen Respekt, sie verdienen Anerkennung, sie verdienen aber viel mehr: Sie verdienen, dass wir hier heute sicherstellen, dass sie gut finanziert und sicher aufgestellt auch in dieser Krisensituation ihre Arbeit machen können. ({4}) Und wo könnte das plastischer werden als bei der Kinder- und Jugendreha? In dieser Pandemie – das wissen wir alle – haben Kinder und Jugendliche so unglaublich viel immer wieder ertragen müssen, sie haben immer wieder gelitten. Wenn wir diesen Kindern und Jugendlichen eine Zukunft geben wollen, dann müssen wir die soziale Infrastruktur sichern, die diesen Kindern und Jugendlichen hilft, die dort ansetzt, wo die Probleme sind, und die die Menschen unterstützt, eine Perspektive aus dieser schwierigen Lage heraus zu entwickeln. ({5}) Bei all diesen Institutionen herrscht weiter Ausnahmezustand. Da kann man so oft, wie man will, hier in diesem Parlament den Normalzustand herbeireden: ({6}) Es wird dadurch nicht besser. Dort herrscht Ausnahmezustand.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege.

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Viele Betroffene haben mit mir in den letzten Wochen gesprochen und darum gebeten, dass wir diese Gesetze verlängern. Genau das tun wir. Ich habe große Sorgen, – ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Audretsch!

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– dass das, was wir heute beschließen, nicht ausreicht, und dennoch ist es richtig, genau das zu tun, was wir heute tun. Danke schön. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Guten Morgen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Infektionsschutzgesetz steht mal wieder auf der Tagesordnung; ein schwieriges Thema, wenn man den Zensoren von Youtube und Co entgehen möchte. Ich versuche es trotzdem. Es ist erst ein paar Stunden her, dass Herr Lauterbach, einer der größten Impflamisten in diesem Lande, von hier vorne ein wahres Horrorszenario an die Wand gemalt hat; das war im Rahmen der Impfzwangdebatte am gestrigen Tag. Ich habe die Debatte verfolgt, Herr Lauterbach. Sie haben eine knappe Minute gebraucht, um am Anfang Ihrer Rede ein halbes Dutzend dantische Schreckensszenarien zu beschreiben, die alle über uns hereinbrechen werden. Ich sage Ihnen voraus: Kein einziges dieser Schreckensszenarien wird eintreffen, Herr Lauterbach. Sie sind ein Lügner von hier vorne gewesen, immer schon, und Sie werden es auch bleiben. ({0}) Ich denke an Ihre Aussage im Herbst 2021. ({1}) Mit Krokodilstränen haben Sie prognostiziert: Bis März 2022 seien in Deutschland alle geimpft, genesen oder leider gestorben. Das lebende Beispiel, Herr Lauterbach, steht hier vor Ihnen: weder geimpft noch genesen und auch nicht gestorben. Das mag jetzt daran liegen, dass es noch nicht Ende März ist. Sie haben sich ja, was den März angeht, nicht festgelegt. Es mag vielleicht auch daran liegen, dass Sie großen Unsinn erzählt haben. Ich vermute mal Letzteres ({2}) und erwarte von Ihnen, Herr Lauterbach, dass Sie sich bei den vielen Millionen Menschen, die Sie mit dieser Aussage in Angst und Panik versetzt haben, zumindest entschuldigen. Es sind nicht Millionen Menschen gestorben, die nicht geimpft sind. Und da macht es die Sache auch nicht besser, dass Herr Spahn – den habe ich irgendwo gesehen – Ihnen dabei sekundiert hat, der Herr Spahn übrigens, der offenbar mit Gesundheitspolitik nichts mehr am Hut hat; er macht jetzt in Wirtschaft und Energie. Wahrscheinlich gibt es da die besseren Lobbyverträge, Herr Spahn. ({3}) Also ein Verlust für die Gesundheitspolitik ist das nicht. Wenn ich mir diesen Impflamismus, Herr Lauterbach, anschaue, dann komme ich zu der Überzeugung: Wir brauchen eigentlich eher ein Injektionsschutzgesetz als ein Infektionsschutzgesetz, wenn Sie weiter als Bundesminister arbeiten. Wir arbeiten daran, ein Injektionsschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Wir reden heute auch über die Ausnahmevorschriften in der Geschäftsordnung. Der parlamentarische Ausnahmezustand soll ja fortgesetzt werden, obwohl die Pandemie weitestgehend vorbei ist. Paragraf 126a der Geschäftsordnung soll erst mal bis Juli verlängert werden. Sie haben sich bequem eingerichtet, was die Arbeit in den Ausschüssen angeht. Das kann man inzwischen zu Hause vom Sofa aus machen, man kann sich zuschalten lassen und kriegt trotzdem die Anwesenheit bescheinigt. ({4}) Wir sagen: Weg damit! Freiheitstag, nicht nur in Deutschland, Freiheitstag auch im Deutschen Bundestag! Wir brauchen im Deutschen Bundestag, genauso wenig wie in der gesamten Republik, keine Ausnahmevorschriften mehr. Zurück zur Normalität: Das funktioniert nur mit der Freiheitspartei, nur mit der Alternative für Deutschland, nur mit der Fraktion der Alternative für Deutschland in diesem Bundestag. ({5}) Deshalb lehnen wir die Verlängerung der Ausnahmevorschrift des Paragrafen 126a der Geschäftsordnung ab. Und, Herr Lauterbach, ich erwarte jetzt von Ihnen die Entschuldigung. – Er ist gegangen, zu zart besaitet, oder er flüchtet. ({6}) Ich erwarte von Ihnen die Entschuldigung, das können Sie auch gerne von da aus machen, – ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Brandner!

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und dann bin ich zufrieden. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte für uns alle, für die demokratischen Parteien hier, sprechen und sagen: Wir wollen uns hier nicht als Lügner diffamieren lassen. ({0}) Wir möchten das nicht. Wir möchten uns nicht als Lügner diffamieren lassen. ({1}) Streit in der Sache, jederzeit – wir haben unterschiedliche Meinungen –; aber – was die demokratischen Parteien angeht – hier sprechen keine Lügner. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Brandner, Sie haben das Recht, zu erwidern. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Lauterbach, ein Lügner ist in meinen Augen jemand, der mindestens einmal die Unwahrheit sagt, obwohl er die Wahrheit kennt. Herr Lauterbach, Sie erzählen uns seit zwei Jahren am laufenden Band die Unwahrheit, obwohl Sie die Wahrheit wahrscheinlich kennen. ({0}) Also seien Sie froh, dass ich Sie lediglich als Lügner bezeichnet und nicht noch andere Wörter gewählt habe. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So, dann haben wir das im Protokoll entsprechend vermerkt. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus für die FDP-Fraktion. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was Herr Brandner hier eben gemacht hat, ist unanständig, meine Damen und Herren; das gehört sich nicht in diesem Deutschen Bundestag. ({0}) Es ist unglaublich, was Sie sich hier leisten. In der ersten Rede der AfD wurde behauptet, es sei zu keiner Zeit zu einer Überlastung der Krankenhäuser gekommen. Selbst diese Behauptung ist eine Unwahrheit. ({1}) Wir haben noch vor Kurzem Patienten aus einzelnen Krankenhäusern in andere Krankenhäuser ausgeflogen, weil sie überlastet waren. Insofern erzählen Sie auch die Unwahrheit hier. ({2}) Benehmen Sie sich einfach anständig und kollegial, dann wären wir schon zufrieden. Mehr erwarten wir von Ihnen gar nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole es immer wieder gebetsmühlenartig: Selbstverständlich ist die Pandemie noch nicht vorbei. Aber die Situation ist jetzt eine andere als noch vor zwei Jahren. Wir sind von den Zuständen, die wir damals hatten, weit entfernt, und deswegen müssen wir auch andere Maßnahmen ergreifen, als wir sie vor zwei Jahren hatten. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben; denn wir werden das Virus so schnell nicht los. ({3}) Deswegen sind die vorliegenden Änderungen im Infektionsschutzgesetz ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität, bei gleichzeitiger Handlungsfähigkeit. Das ist doch das Wichtige an der Sache. ({4}) Das oberste Ziel der Pandemiebekämpfung war und ist es immer, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern und unsere vulnerablen Gruppen zu schützen. Genau das setzen wir mit diesem Gesetz um. Wir müssen angemessen und zielgerichtet agieren, meine Damen und Herren. Wir schaffen ja nicht alle Maßnahmen ab, wie das hier manchmal behauptet wird. In bestimmten Bereichen, wie in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, wird weiterhin mit Tests und Masken gearbeitet. An einzelnen Stellen haben wir auch nachgeschärft, beispielsweise indem auch in Arztpraxen Masken getragen werden müssen. Aber völlig anders sieht es im Bereich der Schulen und Kindertagesstätten aus. Es macht doch einen Unterschied, ob sich Jüngere oder Risikopatienten infizieren. Diesen Unterschied müssen wir bei den Maßnahmen abbilden; denn Kinder haben bei der Omikron-Variante glücklicherweise einen wesentlich milderen Verlauf.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Aschenberg-Dugnus, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Lindholz?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Welche Fraktion? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

CDU/CSU. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ach, da. Entschuldigung. – Ja, gerne.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Aschenberg-Dugnus, erst mal vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Ich habe Ihren Ausführungen schon beim letzten Mal in dieser Woche und auch heute wieder zugehört und würde Ihnen gerne ein Fallbeispiel schildern und Sie fragen, was wir diesen Personen antworten sollen. Sie sagen immer, dass Sie die Maskenpflicht nicht ganz abschaffen. Sie lassen sie in Krankenhäusern weiter bestehen, Sie lassen sie im öffentlichen Personennahverkehr weiter bestehen. Sie lassen sie aber zum Beispiel in einem Bereich des öffentlichen Lebens, im Supermarkt, über den April hinaus nicht weiter bestehen. Wir haben aktuell eine Inzidenz, die bei ungefähr 1 600 liegt, ({0}) nahe 1 700, und wir haben etwa 280 Todesfälle an einem Tag. Was sagen Sie einer krebskranken oder anders schwerkranken Person – einer jungen Frau, einer alten Frau oder einem Mann –, die fast alle Situationen umgehen kann, die nicht in eine Gaststätte gehen muss und die sich privat nicht groß treffen muss, die aber zumindest einkaufen gehen muss? Diese Person, die Frau oder der Mann, versucht beim Einkaufen alles, um sich nicht zu infizieren, weil sie sich mitten in einer Krebstherapie befindet. Was sagen Sie dieser Person? Sie möchte nach wie vor in den Supermarkt gehen, und sie möchte auch in Zukunft geschützt werden. Aber sie ist in Zukunft nicht mehr geschützt. ({1}) Sie selber kann ihre Maske aufziehen, das stimmt. Aber ihr Gegenüber muss die Maske nur noch im öffentlichen Personennahverkehr aufziehen, aber nicht mehr im Supermarkt. ({2}) Was sagen Sie einer solchen Person, der wir angesichts der aktuellen Inzidenzen und Todeszahlen mit dem Wegfall der Maskenpflicht den Schutz nehmen? ({3}) An die Kollegen von der FDP – ich höre den Zwischenruf jedes Mal, und deswegen führe ich das hier länger aus –: Ja, sie kann die Maske freiwillig aufsetzen; aber ihr Gegenüber muss es nicht. ({4}) Ein wirksamer Schutz, liebe Frau Aschenberg-Dugnus und liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, erfordert es, dass beide Personen eine Maske aufziehen. Ich frage Sie jetzt, wie Sie das bei diesen Inzidenzen gegenüber den vulnerablen Personen vertreten können. ({5})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Kollegin, genau das – – ({0}) – Entschuldigung, bin ich jetzt dran oder nicht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Lindholz, Ihr Mikrofon ist aus. Die Frage ist verstanden worden. Jetzt hat die Kollegin Aschenberg-Dugnus für die Beantwortung das Wort.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Frage, die wir häufiger von Ihnen hören. – Der Person in dem von Ihnen geschilderten Fall würde ich sagen: Bitte setzen Sie die Maske auf; denn eine FFP2-Maske hat nachweisbar einen drei-, vierfachen Schutz und ist völlig ausreichend, um sich im Leben bewegen zu können. ({0}) Das können Sie dieser Dame oder diesem Herrn sagen. Sie gehen immer von den Inzidenzen aus. Sie müssen doch konstatieren, dass wir jetzt einen Unterschied zur früheren Situation haben. Wir haben wahnsinnig hohe Fallzahlen, aber wenn Sie auch heute wieder auf das RKI-Dashboard gehen, sehen Sie, dass die Zahl der Intensivpatienten abgenommen hat. ({1}) Bei riesigen Inzidenzen haben wir weniger Fälle auf den Intensivstationen. Das heißt, das Virus ist milder im Verlauf. ({2}) Erzählen Sie den Leuten doch mal etwas Positives, zum Beispiel dass sie sich mit Masken schützen können und dass wir, wie Sie im RKI-Bericht sehen, wesentlich weniger Todesfälle haben als in der vierten Welle, als es fast 3 000 Todesfälle pro Woche waren. Davon sind wir weit entfernt. Sagen Sie doch mal den Leuten, dass sie sich schützen können, dass sie am Leben teilnehmen können, anstatt hier immer solche Horrorszenarien aufzuzeichnen. ({3}) Wir müssen den Menschen Perspektiven geben. Wir müssen sagen: Es geht weiter. Ihr könnt wieder etwas tun. Und da Sie vom Einkaufen reden – ich weiß, Sie wollen alles staatlich vorschreiben –: In meinem Heimatort Strande war es schon längst üblich, da, wo viele Ältere sind, vor Ort extra Einkaufszeiten für diese einzurichten; dann geht man als älterer Mensch mit Maske zu speziellen Einkaufszeiten dahin. Es gibt so viele Möglichkeiten, zu agieren. Aber wir müssen doch sehen, dass es in bestimmten Bereichen – dazu komme ich noch –, zum Beispiel bei den Kindern, geradezu fahrlässig ist, mit einer Maskenpflicht zu arbeiten. Das geht doch nicht. ({4}) Wir können nicht die Bildungschancen, die sozialen Chancen unserer Kinder gegen die vulnerablen Gruppen aufrechnen. ({5}) Mit unserem Gesetz schützen wir die vulnerablen Gruppen, aber bieten unseren Kindern und Jugendlichen auch die Möglichkeit, Bildung zu erlangen, soziales Leben zu erlangen. Das ist doch genau das, was wir wollen, Frau Kollegin. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es bleibt dabei, Frau Lindholz: eine Frage je Rede. ({0}) – Kollegin Lindholz, ich habe zu Beginn unserer Debatte die geltenden Regeln, die wir seit Mittwoch durchhalten, erläutert. Wir lassen je Rede eine Frage und Antwort zu. Nach wie vor ist die Zeit nicht limitiert. Aber die Frage ist jetzt, denke ich, beantwortet. Jetzt bitte ich, in der Debatte fortzufahren. Ich werde die Uhr wieder einschalten.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich fahre fort. – Aus dem eben Gesagten können Sie heraushören, wie wichtig uns unsere Kinder und deren Bildungschancen sind und dass wir sie nicht mehr zwingen wollen, eine Maske zu tragen. Dabei sind wir mit vielen Kinderpsychologen einer Meinung. ({0}) Auch viele Kinderärzte fordern das; das ist also nicht nur die FDP. Ach, und überhaupt – der Kollege Wiese hat es ja geschildert –: Auch Herr Söder schafft ja jetzt die Maskenpflicht in den Grundschulen ab. So schlecht kann unser Gesetzentwurf also gar nicht sein. Auf der einen Seite fordern Sie eine allgemeine Maskenpflicht, aber wenn es dann zum Schwur kommt, agieren Sie doch anders, wie zum Beispiel Herr Söder. Auch bei Ihnen stimmt also in der Argumentation ganz vieles nicht, meine Damen und Herren. ({1}) Jetzt noch mal zu Omikron: Diese Variante hat nun mal andere Folgen als die Delta-Variante, und deswegen müssen wir eben auch andere Maßnahmen ergreifen. Ich möchte abschließend betonen – das ist das Positive –: Wir sind doch dem Virus nicht hilflos ausgesetzt. Wir haben gut funktionierende Impfungen. ({2}) Deswegen: Lassen Sie sich impfen, und lassen Sie sich boostern! Wir haben Medikamente. Aber ich muss sagen: Wir laufen der Entwicklung leider immer hinterher. Deswegen werden wir als Koalition jetzt ein Frühwarnsystem auf den Weg bringen – ({3}) das ist uns als FDP ganz besonders wichtig –, und zwar mit einem Abwassermonitoring ({4}) oder zum Beispiel mit repräsentativen Studien, damit wir genau wissen, was im Herbst und Winter auf uns zukommt, um dann mit diesem Gesetz zielgerichtet agieren zu können. Das sind wir der Bevölkerung schuldig: zielgerichtet und nicht einfach so querbeet. ({5}) Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Mathias Papendieck für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Mathias Papendieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Als Erstes möchte ich Genesungswünsche an unseren Kollegen Manuel Gava richten, der leider an Corona erkrankt ist. Er hätte heute diese Rede gehalten. ({0}) Wir beraten heute neben einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes auch eine Vorlage zur Verlängerung der Geltungsdauer des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes und zu weiteren Regelungen. Dieses Gesetz leistet bereits seit Beginn der Pandemie wertvolle Dienste, indem es den Einsatz von sozialen Dienstleistern zur Krisenbewältigung sichert und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufrechterhält. Die sozialen Dienstleister – hierzu zählen beispielsweise Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Reha- und Versorgungseinrichtungen sowie Anbieter von Sprachkursen – leisten bei der gesellschaftlichen Krisenbewältigung unverzichtbare Arbeit und stellen daher eine wichtige Säule der Pandemiebekämpfung dar, ({1}) die den Bestand unserer sozialen Infrastruktur maßgeblich sichert. Leider ist die Pandemie immer noch nicht überwunden, sodass auch die sozialen Dienstleister coronabedingt wirtschaftlichen Belastungen unterliegen und daher weiterhin auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Die Situation der sozialen Dienstleister ist stark von weiteren Infektionsschutzmaßnahmen abhängig und somit mit Ungewissheit und großer Unsicherheit verbunden. Mit dem SodEG steht uns ein wichtiges effektives Instrument zur Verfügung, das dazu geeignet ist, die Unsicherheiten aufzufangen und damit ein wichtiges politisches Signal zu setzen, das in einer unsicheren Zeit Beständigkeit und Sicherheit vermittelt. ({2}) Auch wenn damit zu rechnen ist, dass die Infektionszahlen während der Sommermonate wieder rückläufig sein werden, ist es wichtig, dass wir gerade auch im Hinblick auf Unsicherheiten bzw. möglicherweise neu auftauchende Virusvarianten oder bevorstehende Urlaubssaisonen mit Umsicht und vorausschauend handeln und handlungsfähig bleiben. Dabei ist jedoch zu betonen, dass von der Fortgeltung des SodEG keine finanziellen Belastungen ausgehen, sofern keine weiteren Maßnahmen nach Infektionsschutzgesetz ergriffen werden müssen. Mit der Verlängerung der Geltungsdauer des SodEG halten wir nicht nur eine wichtige Rechtsgrundlage aufrecht, die es den Leistungsträgern weiterhin ermöglicht, Zahlungen an die sozialen Dienstleister zu leisten, sondern sichern zugleich auch eine Reihe von Maßnahmen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Die zu beschließenden Maßnahmen enden spätestens am 23. September 2022. Um zu erreichen, dass Ende September weitere Maßnahmen tatsächlich nicht notwendig sind, ist unser wichtiges Mittel die Coronaschutzimpfung. Uns stehen in Deutschland nicht nur sichere, sondern auch wirksame Impfstoffe zur Verfügung. ({3}) Nach wie vor sind die Impfquoten nicht hoch genug. Gerade deshalb ist es weiterhin besonders wichtig, das Augenmerk auf betriebliche Infektionsschutzmaßnahmen zu legen, um sichere Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kolleginnen zu gewährleisten. Hierzu zählen vor allen Dingen die AHA-Regeln, Testungen sowie das Angebot von Impfungen. Gerade diese Maßnahmen waren in der Vergangenheit von großem Nutzen und haben sich bewährt. Mit der Verlängerung der Geltungsdauer des SodEG wird darüber hinaus dafür Sorge getragen, dass pandemiebedingte soziale Risiken abgefedert werden. Dass zum Beispiel die Erhöhung der Kinderkrankentage von 10 auf 30 Tage der Lebensrealität von erwerbstätigen Eltern entspricht, haben wir daran gesehen, dass die Krankenkassen in 2021 mehr als doppelt so viele Anträge verzeichneten als noch in 2020. Auch in den kommenden Monaten muss damit gerechnet werden, dass Kinder sich, auch wenn sie nicht selbst erkrankt sind, in Isolation oder Quarantäne begeben müssen. Die Fortschreibung der Erhöhung der Kinderkrankentage ist folglich unerlässlich, damit Eltern ihre Kinder pflegen und betreuen können. ({4}) Die Erhöhung der Kinderkrankentage wurde aus Anlass der Pandemie eingeführt. Allerdings habe ich als Vater einer mittlerweile fünf Jahre alten Tochter die Erfahrung gemacht, dass die bisherige Anzahl der Kinderkrankentage vor allen Dingen während der Kitaeingewöhnungszeit nicht ausreichte. Auch unabhängig von der Pandemielage wäre eine Erhöhung der Anzahl dieser Tage wünschenswert. ({5}) Nicht nur im Hinblick auf die Coronakrise gilt, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass alle Menschen, die darauf angewiesen sind, ausreichend Unterstützung erhalten und Rückhalt durch den Sozialstaat erfahren. Die in vielen Jahrzehnten gewachsene soziale Infrastruktur ist systemrelevant und muss daher gerade jetzt, in Zeiten der Krise, besonders unterstützt werden. Im Verlauf der Pandemie konnten durch die finanzielle Unterstützung nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz zahlreiche soziale Dienstleister wie Rehakliniken oder Vorsorgeeinrichtungen vor der Schließung bewahrt werden. Diesen Status gilt es zu erhalten. Die Verlängerung der Geltungsdauer des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes ist daher unverzichtbar. Zum Schluss meiner Rede bleibt mir nur, um Zustimmung zu dieser Vorlage zu bitten. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Emmi Zeulner das Wort. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst, liebe Frau Kollegin von der FDP: Ich bin unserem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder sehr dankbar, dass er die Maskenpflicht in den Grundschulen abschafft. ({0}) Wir lassen die Kinder in den Schulen dort nicht alleine. Mit regelmäßigen Tests und auch mit Lüftungsanlagen, die durchaus regelmäßig in den Schulen vorhanden sind, ({1}) schaffen wir einen nötigen Schutz, und gleichzeitig gehen wir auf die Bedürfnisse der Kinder ein. Klar ist: Da der Spracherwerb im Besonderen in der Grundschule erfolgt, ist es entscheidend, dem Gegenüber ins Gesicht, auf die Mundbewegungen schauen zu können. ({2}) Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in Bayern diesen Schritt abgewogen gegangen sind. Nichtsdestotrotz sind Sie natürlich sehr inkonsequent in Ihrer Argumentation. Wenn auf der einen Seite Bundesminister Lauterbach gesetzlich regeln will, dass ganze Bundesländer Hotspots sein können, und gleichzeitig Sie von der FDP davon sprechen, dass nur einzelne Landkreise betroffen sein können, dann passt da was nicht zusammen. ({3}) Sie sind nicht eins in der Ampelkoalition, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Nicht durchgehen lassen Ihnen das auch die Ministerpräsidenten der Länder. Es sind – mit Verlaub – nicht nur unionsgeführte Länder dabei, sondern auch Ministerpräsidenten der SPD, mit Beteiligung der FDP. Deswegen passt in Ihrem Gesetz ganz offensichtlich etwas nicht zusammen. ({4}) Auch bei den Maßnahmen passen Dinge nicht zusammen: Auf der einen Seite geben Sie weiterhin Warnungen aus, aber gleichzeitig schaffen Sie beispielsweise Unterstützungen, Versorgungsaufschläge und Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser und Arztpraxen ab. Damit lassen Sie gerade Krankenhäuser im ländlichen Raum und Arztpraxen im Regen stehen. Deswegen haben wir als Union einen Änderungsantrag eingebracht, den Sie wahrscheinlich nicht gelesen haben. Aber ich werbe sehr dafür, das zu tun. Wir fordern Bonuszahlungen für die, die die Notaufnahmen leergehalten haben. Dass der Pflegebonus immer noch nicht auf den Weg gebracht wurde – das wurde nicht nur von unserem Gesundheitsminister Holetschek, sondern auch vom Kollegen Czaja kritisiert –, ist ein Skandal. ({5}) Das ist Arbeitsverweigerung, was Sie hier tun. Dass bei dem Pflegebonus, wie er jetzt angedacht ist, die medizinischen Fachangestellten, die zahnmedizinischen Fachangestellten und die Mitarbeiter im Rettungswesen keine Berücksichtigung finden, auch das finde ich empörend. ({6}) Denn auch sie waren es, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Impfkampagne funktioniert hat, dass die Leute schnell von A nach B gekommen sind, dass die Leute in der Quarantäne nicht einfach abadministriert wurden, sondern Ansprechpartner hatten. Deswegen gehört es sich meiner Meinung nach, dass wir diesen Bonus nicht nur für die Pflegekräfte einführen, sondern auch für die Mitarbeiter im Rettungswesen und für die medizinischen Fachangestellten. Ich fordere Sie ganz konkret auf: Gehen Sie als Fortschrittskoalition mit uns einen Schritt weiter! Wir wollen Zukunft gestalten. Wir wollen einen Bund-Länder-Gipfel –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– für die Reform der Ausbildung der medizinischen Fachangestellten. Das betrifft rund 500 000 Menschen, vor allem Frauen, in unserem Land. Da müssen wir handeln, da müssen wir Zukunft gestalten. Deswegen: Lesen Sie den Antrag der Unionsfraktion durch, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Zeulner!

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und schaffen Sie mit uns gemeinsam einen Bonus, der über den Pflegebonus hinausgeht! Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Helge Limburg das Wort. ({0})

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Zeulner, eines habe ich nach Ihrer Vorbemerkung nicht verstanden: Den verständlichen Wunsch, dass die Maskenpflicht in Grundschulen fällt, zu begrüßen und anschließend das Gesetz, das die Erfüllung genau dieses Wunsches erst ermöglicht, abzulehnen, passt für mich nicht zusammen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Menschen möchten endlich ohne Impfnachweis und ohne Maske einkaufen, ohne Maske im Theater oder Kino sitzen oder – Frau Zeulner hat es gesagt – ohne Maske in der Schule sitzen. Dieser Wunsch ist verständlich. Er muss auch nicht gerechtfertigt oder begründet werden. Ein freier, demokratischer Rechtsstaat – darauf hat Herr Köhler zu Recht hingewiesen – muss jede Grundrechtseinschränkung begründen; nicht die Bürgerinnen und Bürger müssen begründen, warum sie keine Maske tragen wollen. ({1}) Aber genauso verständlich und legitim ist der Wunsch von Menschen, und zwar auch von Menschen mit Vorerkrankungen, von vulnerablen Gruppen und anderen, am sozialen Leben teilhaben zu können, zum Beispiel im Supermarkt und in anderen Geschäften einkaufen zu können, ohne Sorge haben zu müssen, sich dabei mit dem Coronavirus zu infizieren. ({2}) Auch sie können sich auf Pflichten des Staates, nämlich auf Schutzpflichten, berufen. Natürlich kann es einen Komplettschutz nicht geben. Aber ich kann schon die Leute verstehen, die fragen: Müsst ihr gerade angesichts dieser doch sehr hohen Infektionszahlen, bei denen die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, ja relativ groß ist, solche Lockerungen vornehmen? Insofern ist es kein Geheimnis – Frau Kappert-Gonther und Herr Audretsch haben es gesagt –, dass sich meine Fraktion eine Maskenpflicht in Innenräumen als weiter gehende Maßnahme sehr gut hätte vorstellen können und dass es dazu verschiedene Sichtweisen in der Ampelkoalition gibt. Aber richtig ist eben auch – darauf ist zu Recht hingewiesen worden –: Es ist nicht so, dass dieser Gesetzentwurf keine Maßnahmen mehr ermöglicht. Die Hotspotregelung, die unter Beteiligung der jeweiligen Landtage – das ist doch beste föderale demokratische Tradition –, also mit Zustimmung der Landtage, geschaffen wird, ermöglicht weiter gehende Maßnahmen, zum Beispiel die von Ihnen geforderte Maskenpflicht auch in Innenräumen. ({3}) Ich finde es schon sehr wichtig, was der Kollege Wiese gesagt hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Limburg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der CDU/CSU- Fraktion?

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, von denen schon. ({0}) – Ich meinte, von der demokratischen Rechten, Herr Sorge.

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Limburg, vielen Dank für Ihre Ausführungen zur Hotspotregelung. Wir haben sowohl in der ersten Lesung im Deutschen Bundestag als auch heute unterschiedliche Auffassungen aus der Ampelkoalition zum Thema Hotspots gehört. Es fehlen nur noch die Ausführungen der Grünen. Der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, Hotspots können ganze Länder sein. Auch die Kollegin aus der SPD hat in der ersten Lesung gesagt, Hotspots können ganze Bundesländer wie beispielsweise Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt oder Baden-Württemberg sein. Die Freien Demokraten sagen, die relevante Gebietskörperschaft ist allein der Landkreis. Jetzt frage ich Sie: Wie sehen Bündnis 90/Die Grünen das bei diesen Inzidenzen, bei dieser Krankheitsbelastung? Wie scharf ist Ihre Abgrenzung von Hotspots? Sind das ganze Bundesländer, Flächenbundesländer, oder sind das lediglich kleine Städte und Landkreise?

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, lieber Herr Kollege, für die Frage, weil sie es mir ermöglicht, einen wichtigen Aspekt in der Debatte noch einmal näher zu erläutern. Sie kennen wie ich den Spruch: „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.“ Im Gesetz ist in der Tat von Gebietskörperschaften die Rede. Sie wissen, dass Gebietskörperschaften Städte, Gemeinden oder Landkreise sein können, aber dass natürlich auch Länder Gebietskörperschaften sind. ({0}) Das ist für Sie ja nichts Neues. Insofern arbeitet das Gesetz mit den unbestimmten Rechtsbegriffen, die die Kriterien darstellen – es gibt ja nicht nur ein Kriterium, es sind verschiedene Kriterien angelegt – und auf deren Grundlage ein Hotspot festgestellt werden kann. Natürlich wird es im Regelfall so sein, wenn Sie sich die Inzidenzen, die Krankenhausbelegung und andere Faktoren in unserem Land anschauen, dass Hotspots auf Landkreise oder Regionen begrenzt sind. Aber natürlich ist im Gesetzentwurf nicht ausgeschlossen, wenn Sie insbesondere an die Bundesländer Hamburg, Bremen oder das Saarland und in besonderen Fällen auch an weitere Bundesländer denken, dass ein ganzes Bundesland zum Hotspot erklärt wird. Aber, Herr Kollege, diese Entscheidung – und das finde ich ausdrücklich richtig – obliegt den dafür gewählten Landesparlamenten. ({1}) Wir als Deutscher Bundestag und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sollten uns davor hüten, die Arbeit der Landesparlamente geringzuschätzen. ({2}) Ich weiß aus eigener Erfahrung – ich teile diese Ansicht ja mit vielen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus –, wie professionell dort gearbeitet wird. Darum ist das dort in den richtigen Händen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es jetzt mehrfach ausgeführt: Wir hätten uns weiter gehende Maßnahmen vorstellen können. Aber Politik ist immer auch die Kunst der Kompromissfindung. Und wir haben hier einen Kompromiss gefunden, der handhabbar und händelbar ist, der den Landtagen viel Verantwortung überträgt, für die sie auch gewählt sind. Wir haben aber – das ist mir am Ende noch wichtig zu betonen – die klare Vereinbarung in der Ampelkoalition – und es gibt nach der bisherigen Zusammenarbeit auch keinen Zweifel daran, dass diese Vereinbarung gilt –: Wenn wir feststellen – Kollege Köhler hat es auch noch mal gesagt –, dass die heute zu beschließenden Regelungen doch nicht ausreichen, wenn wir feststellen, dass die Sorgen, die viele in der heutigen Debatte geäußert haben und die die Menschen draußen äußern, berechtigt sind, dann werden wir als Ampelkoalition, als gesamter Bundestag natürlich schnell zusammentreten und gegebenenfalls nachbessern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, normalerweise hofft man als Politiker, dass man recht behält. Ich muss Ihnen offen sagen: Heute hoffe ich, dass Kollegin Kappert-Gonther, Kollege Audretsch und ich uns irren und wir mit unseren Befürchtungen und Sorgen nicht recht behalten. ({3}) Aber, wie gesagt, wenn es so ist, dass diese Regelungen nicht ausreichen, dann werden wir hier noch einmal schnell zusammenkommen. Diese Handlungsfähigkeit haben wir in den vergangenen Monaten bewiesen, und wir werden sie auch in den kommenden Monaten an den Tag legen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Diana Stöcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen es seit Monaten: Morgen, am 19. März, läuft das Infektionsschutzgesetz aus. Es gab keinerlei vorausschauende Vorbereitung der Ampelkoalition. In einem Hauruckverfahren muss die Verabschiedung des Gesetzes in fünf Tagen durchgezogen werden, im Ergebnis nun ein handwerklich schlechtes, nicht ausgereiftes Konzept, das von Experten in der öffentlichen Anhörung am letzten Montag auseinandergenommen wurde und von Ihnen bis heute nicht wesentlich nachgebessert wurde. ({0}) Einen solch schlechten Gesetzentwurf können wir als Unionsfraktion nur ablehnen. ({1}) Auch die Bundesländer sprechen sich mehrheitlich gegen dieses Gesetz aus – davon war vorhin schon ein paarmal die Rede – und kündigen bereits jetzt an, dass sie die aktuellen Handlungsoptionen so lange nutzen werden, wie es irgend möglich ist, um die Pandemie zu bekämpfen. ({2}) In der öffentlichen Debatte am Mittwoch und auch heute wieder haben wir von Abgeordneten Ihrer Regierungskoalition gehört, dass das neue Infektionsschutzgesetz ein großer Kompromiss sei, der die Ampelkoalition abbilde. Sie hätten sich ein anderes Gesetz gewünscht und würden den Ländern gern einen breiteren Instrumentenkatalog zur Verfügung stellen, aber diese Minimallösung sei eben Demokratie. Sprich: Es ist der kleinste gemeinsame Nenner, der in Ihrer Koalition möglich ist. Diesen Satz werden wir, so meine Prognose, zukünftig noch öfter hören. Demokratie heißt aber nicht, nur einen Minimalkonsens in einer Regierungskoalition herzustellen, sondern mit Verantwortung und Vernunft Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Minister Habeck sagte gestern bei seinem Statement zur Impfpflicht: in Vorsorge und Verantwortung denken. Aber beim Infektionsschutzgesetz gilt das plötzlich nicht mehr. Sie haben die Pflicht, ältere oder immunschwache Menschen zu schützen, aber Sie heben die Maskenpflicht weitgehend auf und schaffen einen Flickenteppich mit einer schwammigen Hotspotstrategie. Wo gehobelt wird, fallen Späne, aber bei Ihnen fällt buchstäblich der komplette Werkzeugkasten auseinander. Am Mittwoch habe ich mit dem Leiter des Welcome Center für Geflüchtete aus der Ukraine hier im Berliner Hauptbahnhof gesprochen. Er berichtete, jeder Dritte der bislang 150 000 Geflüchteten sei positiv auf Corona getestet. Das sind Menschen, die in überfüllten Zügen unterwegs waren und nun in Gemeinschaftsunterkünften zusammenleben. Und in dieser Krise wird das Infektionsschutzgesetz auf ein Minimum reduziert! Nehmen Sie von der Ampelkoalition diesen Widerspruch überhaupt wahr? Wir befinden uns im Krisenmodus. Schon in normalen Zeiten hat es sich nie ausgezahlt, abzuwarten; aber die aktuelle zögerliche Haltung, das ständige Auf-der-Bremse-Stehen, wenn es um vorausschauendes, zupackendes Handeln geht, wird Ihnen auf die Füße fallen. Sie sind sehenden Auges in diese Situation reingerasselt, und Sie werden mit dem Gesetzentwurf Ihrer Verantwortung gegenüber der Bevölkerung nicht gerecht. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jens Peick für die SPD-Fraktion. ({0})

Jens Peick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute diskutieren wir das Infektionsschutzgesetz sowie weitere gesetzliche Regelungen. Zu einer dieser Regelungen, der Verbesserung beim Kurzarbeitergeld, möchte ich für meine Fraktion hier etwas sagen, weil das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land gerade in der jetzigen Situation von besonderer Bedeutung ist. Vor vier Wochen haben wir hier im Hause die Verlängerung der krisenbedingten Sonderregelung des Kurzarbeitergeldes im Grundsatz beschlossen. Vor vier Wochen bestand auch noch die vorsichtige Zuversicht, dass es eine Erholung auf dem Arbeitsmarkt gibt und wir nicht alle Sonderregelungen, die wir in der Coronakrise hatten, weiter verlängern müssen, dass wir uns auf dem Weg zur Normalität befinden. Sechs Tage später, mit dem Überfall Putins auf die Ukraine, ist eine Rückkehr zur Normalität in weite Ferne gerückt. Präsident Selenskyj hat das gestern in diesem Haus sehr eindrücklich geschildert und die Schrecken des Krieges deutlich gemacht. Deshalb ist es richtig, dass wir handeln. Die Bundesregierung hat umfangreiche Sanktionen gegen das System Putin auf den Weg gebracht. Das war notwendig, und das war richtig. Aber Krieg und Sanktionen werden auch an uns nicht spurlos vorbeigehen. Es fehlen Rohstoffe. Wegen mangelnder Halbleiter und Kabelbäume musste die Autoindustrie bereits drosseln und in Teilen einstellen. Sie geht davon aus, dass bis Juni 400 000 bis 1,5 Millionen Fahrzeuge – das entspricht 10 Prozent bis 40 Prozent der jährlichen Produktion – weniger produziert werden können. Heute Morgen ging noch über die Ticker, dass das Baugewerbe Materialmangel hat. ({0}) Dieser Stillstand kostet, auch uns. Aber eines darf er auf keinen Fall kosten, und das sind Arbeitsplätze. ({1}) Deswegen gilt das, was ich vor einem Monat zur Grundüberzeugung dieser Regierungskoalition gesagt habe, auch heute: Wir lassen niemanden im Stich. -Daher werden wir die Leiharbeit mit der Änderung, die wir hier mitbeschließen, wieder in die Regelungen zum Kurzarbeitergeld aufnehmen; denn der Ukrainekrieg ist kein branchenübliches Risiko, und die Automobilindustrie ist auf den Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und ‑arbeitnehmern angewiesen. Weiter ermöglichen wir der Bundesregierung, bei außergewöhnlichen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt schnell zu reagieren und per Rechtsverordnung Sozialversicherungsbeiträge wieder teilweise oder auch vollständig zu erstatten. Es ist vollkommen klar – da sind wir uns einig –: Wir alle können nicht vorhersehen, wie sich dieser Konflikt entwickeln wird und was noch auf uns zukommt. Mit dieser Maßnahme stellen wir die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung im Ernstfall sicher; denn Sozialpolitik darf nicht immer nur hinten dranhängen und Reparaturpolitik sein, sondern sie muss vorausschauend agieren. ({2}) Wir alle wissen: Die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge kann teuer sein. Bundesminister Heil hat in seiner Rede vor vier Wochen hier deutlich gemacht, dass die 26 Milliarden Euro Rücklage der Bundesagentur für Arbeit aufgebraucht sind. Kurzarbeit hat bisher 42 Milliarden Euro gekostet. Uns ist aber eines wichtig: Ebenso wenig wie bei der äußeren Sicherheit darf man an der sozialen Sicherheit und dem inneren Zusammenhalt in unserem Land sparen. ({3}) Deshalb richte ich zum Schluss meiner Rede den Blick noch einmal auf die nächste Woche, in der wir hier im Bundestag über den Haushalt sprechen werden. Ich sage ganz deutlich: Wir dürfen nicht nur auf die Ausgaben schauen, sondern müssen auch auf die Einnahmen schauen. Wir brauchen Geld, um diese Herausforderung zu meistern. Da sage ich ganz klar: Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Ich danke Ihnen für Ihre Zustimmung. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Wilfried Oellers das Wort. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn in diesem Haus offensichtlich Uneinigkeit über die Lagebewertung herrscht, so scheint doch zumindest Einigkeit darüber zu bestehen, dass es Unterstützungsmaßnahmen gibt, die es zu verlängern gilt. Dazu gehört auch das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, das wir in der letzten Legislaturperiode bereits auf den Weg gebracht haben und das die Zielrichtung hatte, gerade Einrichtungen der Arbeitsmarktpolitik, der Rehabilitation und der Behindertenhilfe finanziell zu unterstützen, damit sie aufgrund der einschränkenden Maßnahmen, mit denen sie durch die Coronapandemie zu tun hatten, finanziell nicht in Schieflage geraten und auch weiterhin bestehen können. Es hat sich gezeigt, dass es richtig war, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Etwa 25 000 Anträge sind gestellt worden, und die allermeisten sind auch bewilligt worden. Das hat dazu geführt, dass die Einrichtungen eben nicht schließen mussten, sondern trotz der einschränkenden Maßnahmen weiterhin arbeiten können. Es war also unglaublich wichtig und richtig, dieses Gesetz damals zu machen. Auch wenn jetzt die einschränkenden Maßnahmen vielleicht zurückgenommen werden, so steht im Infektionsschutzgesetz, dass die Länder die Maßnahmen gegebenenfalls wieder aufgreifen können. Jetzt Vorsorge zu betreiben, damit dieses Gesetz dann sofort wirken kann, wenn die Länder sich für solche Schritte entscheiden, halten wir von der CDU/CSU-Fraktion für vollkommen richtig. Wir unterstützen daher die Verlängerung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes. ({0}) Neben dieser Maßnahme werden aber auch weitere Coronasonderregelungen durch eine Verordnungsermächtigung verlängert. Das halten wir auch für wichtig. Ich darf sie in Kürze aufzählen: arbeitsschutzrechtliche Grundlagen für betriebliche Infektionsmaßnahmen, coronabedingte Anpassungen von Vergütungsvereinbarungen zwischen den Trägern der zugelassenen Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen und den Krankenkassen oder zum Beispiel der Einsatz von Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen als Ersatzkrankenhäuser bei pandemiebedingten Kapazitätsengpässen zugelassener Krankenhäuser. Das zeigt, dass der Maßnahmenkatalog vollumfänglich verlängert wird. Das finden wir gut. Für die Zukunft hoffen wir, dass eine weitere Verlängerung nicht nötig sein wird; denn das würde bedeuten, dass die Lage sich verbessert. Aber wenn es absehbar ist, dass das nicht der Fall ist, dann bitten wir darum, diese Verlängerungsgesetze vielleicht auch frühzeitiger einzubringen. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition macht einigermaßen ratlos; denn die Intention ist grundsätzlich richtig – im Gegensatz zur Umsetzung. Natürlich ist es richtig, nach zwei Jahren pandemiebedingter Einschränkung den Weg zurück in die Normalität zu finden, ({0}) und natürlich ist es sinnvoll, weitere Lockerungen zu beschließen und die Maskenpflicht zum Beispiel in Schulen und Kitas abzuschaffen. ({1}) Die Verhältnisse haben sich gravierend verändert: Wir haben Impfstoffe; wir haben Medikamente; und wir haben eine Mutation, die milde Verläufe zeigt. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, und die Einschränkungen im Alltag müssen möglichst auf ein Minimum reduziert werden. – So weit, so gut. Aber: Handwerklich ist der vorliegende Entwurf eine Katastrophe. ({2}) Inhaltliche Unklarheiten, unpräzise Formulierungen, unterschiedliche Interpretationen aus den Reihen der Koalition – das alles summiert sich zu einem Abbild der Zerrissenheit der Ampel in dieser Frage. Ob es um fehlende Definitionen für Kliniküberlastung geht, ob es um die Hotspotregelung geht, ob es um die Rolle der Landtage geht – überall fehlt es an Klarheit und an schlüssigen Vorgaben. Die Verlängerung der Übergangszeiten durch diverse Länder gibt bereits einen Vorgeschmack auf das, was uns künftig erwarten wird. Verschlimmert wird alles nur noch durch den Gesundheitsminister. Der trägt zuverlässig zur weiteren Verunsicherung der Menschen bei, indem er den Kompromiss der Koalition gleichzeitig lobt und schlechtredet. ({3}) Anstatt wenigstens zu versuchen, die mühsame Einigung der Ampel verständlich zu kommunizieren, redet der Minister so, als wenn er in Opposition zu dem Gesetzentwurf stehen würde. So kann das nicht weitergehen! ({4}) Andere Länder in Europa haben viel früher geöffnet; doch der Minister beschwört mit Vorliebe unseren angeblich schlechten Coronastatus, übrigens in seiner Amtszeit. Unser Gesundheitssystem verkraftet auch das, weil die Inzidenz eben nicht gleichbedeutend ist mit Überforderung. Entscheidend ist die tatsächliche Belastung des Gesundheitssystems. ({5}) Meine Damen und Herren, ich bin grundsätzlich für mehr Mut und für mehr Freiheit in Eigenverantwortung; deshalb hätte ich gerne diesem Entwurf zugestimmt. Der vorliegende Entwurf macht es mir aber leider unmöglich. ({6})

Dr. Christoph Ploß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004854, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Angriffskrieg von Putin-Russland auf die Ukraine wirft auch bei uns in Deutschland Fragen im Hinblick auf die Mobilität auf. Viele fragen sich gerade in diesen Tagen: Wie kann Tanken wieder bezahlbar werden, und wie senken wir die hohen Spritkosten? Da will ich zu Beginn der Debatte eines einmal ganz klar in Richtung der Ampelkoalition sagen: Sie sollten sofort die Steuern senken! Sie sollten aufhören, sich in bürokratischen Debatten zu verheddern! Sie sollten damit aufhören, dass in der Regierung eine Hand nicht weiß, was die andere tut, wie zum Beispiel am letzten Sonntag, als Christian Lindner mit dem Vorschlag eines Tankstellenrabatts kommt und Robert Habeck ihm am selben Tag widerspricht. Was wir jetzt brauchen, das ist Klarheit, das ist nicht Bürokratie, sondern das sind Steuersenkungen, damit Tanken in Deutschland wieder bezahlbar wird, meine Damen und Herren. ({0}) Damit eng verbunden sind auch andere Fragen, die wir hier als CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag mit diesem Antrag beantworten wollen: Wie können wir unabhängig von russischem Gas werden? Wie können wir unabhängig von russischem Öl werden, auch im Mobilitätsbereich? Wie können wir es schaffen, CO2 im Mobilitätssektor zu reduzieren? Entscheidende Fragen, auf die wir hier Antworten finden müssen. Wir haben auch dazu eine klare Meinung. Wir sagen: Wir wollen technologieoffen an dieses große Thema, an diese große Herausforderung herangehen. ({1}) Da, muss ich sagen, hätte ich mir gerade von der FDP mehr Glaubwürdigkeit in den vergangenen Wochen gewünscht. Im Wahlkampf haben Sie noch Stimmung gemacht und gesagt: Bitte sich nicht nur rein auf Batterieantriebe konzentrieren! Wir können die Klimaschutzziele nur erreichen, wir können die deutsche Automobilindustrie nur stark machen, wenn wir technologieoffen herangehen. – Das waren die Aussagen im Wahlkampf. Kurz danach kassiert Verkehrsminister Volker Wissing genau das in einem Interview im „Tagesspiegel“. ({2}) Es gibt unterschiedliche Aussagen aus der Ampelkoalition bis hin dazu, dass gestern ganz stolz von der Bundesregierung eine Pressemitteilung herausgegeben wird, dass das Ende des Verbrennungsmotors bevorsteht. Das ist genau das Gegenteil dessen, liebe Kollegen der FDP, was Sie im Wahlkampf versprochen haben. ({3}) Ich möchte Ihnen deswegen bei dieser Gelegenheit eines ins Stammbuch schreiben und hoffe, dass Sie unseren Antrag heute auch unterstützen werden: Es ist nicht die Frage: Setzen wir auf Batterieantriebe? Setzen wir auf Wasserstoff? Setzen wir auf klimaneutrale Kraftstoffe wie E‑Fuels? Setzen wir auf Biokraftstoffe? Wir werden alle zur Verfügung stehenden Werkzeuge, alle zur Verfügung stehenden Instrumente benötigen, damit wir die Klimaschutzziele erreichen, damit die deutschen Autobauer – damit auch die Zulieferer – in den nächsten Jahren stark sein können und damit Arbeitsplätze in Deutschland erhalten werden. Das ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, deswegen nicht eine Frage des Entweder-oder – entweder Batterie oder Wasserstoff, entweder Batterie oder E‑Fuels –, sondern es ist eine Frage des Sowohl-als-auch. Daher kann ich nur sagen: Wir müssen es schaffen, gleiche Rahmenbedingungen für alle klimafreundlichen Technologien in Deutschland zu gewährleisten. Alle müssen die gleiche Ausgangslage haben, alle müssen die gleichen Chancen haben. Wir brauchen im besten Sinne des Wortes einen Wettbewerb der klimafreundlichen Technologien in Deutschland. ({4}) Daher ist das, was Sie in den letzten Tagen erneut mehrfach zum Ausdruck gebracht haben, auch falsch, nämlich das Ende des Verbrennungsmotors einzuläuten; denn wir werden, selbst wenn wir alle E-Auto-Ziele erreichen, wofür wir als CDU/CSU-Fraktion sehr sind, in den 2030er-Jahren noch über 35 Millionen Verbrenner auf Deutschlands Straßen haben. Auch die müssen klimaneutral werden, wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen. Wenn Sie mit einem Unternehmen wie Porsche sprechen, dann sagen die Ihnen genau das. Sie sagen nicht: „Setzt nur auf die Batterie!“ oder „Setzt nur auf E-Fuels!“ ({5}) Von einem Unternehmen wie Porsche hört man vielmehr: Wir brauchen beides; wir brauchen gute Rahmenbedingungen für Batterieantriebe, und wir brauchen auch gute politische Rahmenbedingungen für E‑Fuels. Deswegen: Unterstützen Sie unseren Antrag! Setzen Sie sich für Technologieoffenheit ein! Setzen Sie sich für soziale Marktwirtschaft ein! Setzen Sie sich für mehr Forschung zu Batterie, Wasserstoff und klimaneutralen Kraftstoffen ein! Gehen Sie weg von Ihrer Ideologie – das sage ich gerade im Hinblick auf die FDP –, und kommen Sie wieder auf einen klaren bürgerlichen Pfad zurück! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Jürgen Berghahn für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Jürgen Berghahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005023, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Beispiel der maroden Rahmedetalbrücke an der A 45 zeigt uns sehr deutlich, dass wir beim Thema Planungsbeschleunigung Tempo machen müssen. Aber die letzten Wochen zeigen auch, dass die Bundesregierung genau dies tut. Das Verkehrsministerium hat letzte Woche das „Zukunftspaket leistungsfähige Autobahnbrücken“ vorgelegt und mit dem darin enthaltenen Neun-Punkte-Plan wirklich eine Zeitenwende eingeleitet. Der Einsatz modernster digitaler Technologien, besserer Kommunikation und die Abstimmung zwischen allen Beteiligten sowie eine zukunftsgerichtete Planung sind nur einige Aspekte, die wir verbessern und voranbringen werden. ({0}) Das klingt ziemlich abstrakt, aber wir haben einen sehr konkreten Fahrplan ausgearbeitet und setzen diesen bei den Planungen zur Rahmedetalbrücke um. Wo möglich laufen auch Planungen, Prozesse und Beteiligungsverfahren parallel zueinander, um die Planungsphase deutlich zu verkürzen. Es ist wirklich interessant, dass jetzt ausgerechnet von der CDU Tempo bei Verkehrsprojekten verlangt wird. ({1}) Denn als Abgeordneter aus NRW weiß ich natürlich genau, dass NRW seit inzwischen fünf Jahren von der CDU regiert wird. Ganz offensichtlich wurde bei der Talbrücke damals von Verkehrsminister Hendrik Wüst nicht vorausschauend geplant. ({2}) Da ist es jetzt einfach, auf die Bundesregierung zu zeigen und mehr Einsatz zu verlangen. ({3}) Sie haben für die heutige Sitzung einen Antrag eingebracht, in dem sicher einige gute Maßnahmen enthalten sind. Diese werden wir auch entsprechend berücksichtigen. Aber bitte: Haben Sie denn die Zeit vergessen, als CSU-Bundesverkehrsminister amtiert haben? Die hätten diese Dinge längst umsetzen können. ({4}) Insgesamt gesehen ist der Antrag ein riesiges Sammelsurium altbekannter, wenig strategischer Ansätze. Er wurde offensichtlich nur eingebracht, um die Koalition auf angebliche Versäumnisse hinzuweisen – die es aber nicht gibt. Dieses Beispiel und auch das gesamte Thema Planungsbeschleunigung eignen sich nicht für Wahlkampf oder Konfrontation. Keine Partei – keine Partei! – hat in der Vergangenheit alles richtig gemacht. Sie können sich aber darauf verlassen, dass die SPD und die Koalition alles dafür tun werden, Prozesse so weit wie möglich und sinnvoll zu beschleunigen. ({5}) Bitte bedenken Sie auch, dass das Thema Planungsbeschleunigung uns alle betrifft – alle Bürgerinnen und Bürger, alle Wahlkreise, Stadt und Land, vielleicht auch die Baustelle vor Ihrer eigenen Haustür! Dementsprechend wünsche ich mir, dass wir Probleme als gemeinsame Probleme erkennen, die dann auch gemeinsam gelöst werden können. Natürlich müssen nicht nur Brücken, sondern auch Straßen, Radwege, Schienen, Wasserstraßen zügig modernisiert werden, und es muss nicht nur im Verkehrswesen, sondern auch in den Bereichen Umwelt, Digitalisierung und Energie Tempo gemacht werden. Für die zentralen Vorhaben der Bundesregierung geht es gar nicht anders. Nur so können wir eine digitalisierte Gesellschaft, die Klimaschutzziele und den Ausbau erneuerbarer Energien erreichen. Gerade die erneuerbaren Energien sind derzeit in aller Munde. Der schlimme Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns sehr deutlich, dass wir zu lange auf vertraute Mittel gesetzt und zu wenig auf unsere Unabhängigkeit geachtet haben. Dementsprechend sollten wir alle diesen Weckruf äußerst ernst nehmen und auch in diesem Bereich Planungen deutlich beschleunigen. ({6}) Es geht nicht nur um mehr Nachhaltigkeit, sondern auch um die eigene Sicherheit, den Wohlstand und damit die Zukunft unseres Landes. Deshalb werden wir noch vor Ostern erste gesetzliche Vorgaben verabschieden, um unsere Energieversorgung auch für die Zukunft zu sichern. Anschließend wird die Koalition bis zum Herbst weitere gesetzliche Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung und Strukturanpassung verabschieden und endgültig beschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, dass wir aus ganz unterschiedlichen Gründen Tempo machen müssen, um zukunftsfähig zu sein und zu bleiben, um nachhaltiger zu werden und selbstverständlich auch um unserer Verantwortung den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber gerecht zu werden. ({7}) Sie sehen, ich bin auch bei dieser Rede im Planungsziel gelandet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wie jetzt?

Jürgen Berghahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005023, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Man könnte auch sagen: „Nicht quatschen, machen!“ – so wie es die Koalition und die Bundesregierung machen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die AfD-Fraktion gebe ich Dr. Dirk Spaniel jetzt das Wort. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das, was der ganzen Diskussion hier zugrunde liegt, ist die Verkehrswende. Das ist ein politisches Projekt auf EU-Ebene. Ziel dieses Projekts ist es, Autofahren, also Individualverkehr, immer unbezahlbarer ({0}) und unattraktiver zu machen. Das passiert auf europäischer Ebene mit der Flottenverbrauchsvorgabe der Europäischen Union, die den Antrieb von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren perspektivisch unmöglich macht. Ob Sie es jetzt verbieten oder nicht, es ist so. Die Verbrauchsvorgaben sind nicht zu erfüllen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine sprechen Sie hier an: die Transformation der Automobilindustrie hin zu Elektromobilität. Das geht einher mit einem Kompetenzwechsel in der Industrie: von der metallverarbeitenden Industrie hin zur Elektrochemie. Jeder, der sich damit auskennt – Sie haben wahrscheinlich jetzt die Rückmeldung gekriegt –, weiß: Das geht in der Praxis überhaupt nicht. Die mittelständische Industrie, die heute Metallteile bearbeitet, kann keine Zellen herstellen. Das ist eine komplett infantile Vorstellung. ({1}) Das heißt, das geht einher mit massiven Arbeitsplatzverlusten. Die Alternative dazu – das ist im Grunde genommen unser Programm – ist die Anerkennung synthetischer Kraftstoffe auf den Flottenverbrauch auf europäischer Ebene. Das ist Politik der AfD von Tag eins an. Da brauchen Sie gar keine Transformation der Automobilindustrie. ({2}) Jetzt konkret zu Ihrem Antrag. Sie fordern im ersten Schritt eine Transformation der Automobilindustrie, und dann haben Sie unter Punkt 5 das abgeschrieben, was wir hier seit Tag eins fordern: die Anrechenbarkeit synthetischer Kraftstoffe auf den Flottenverbrauch. Ich freue mich darüber, dass Sie das übernommen haben. Die FDP hat es ja in ihren Forderungen auch schon übernommen. Aber dann müssen Sie auch konsequent sein. Es ist nicht so, dass man dann auch technologische Vorgaben machen muss, wie die Berücksichtigung der Plug-in-Hybride zu fordern. Das ist totaler Unsinn. Ganz ehrlich, ich hätte mich gefreut, wenn Sie diesen Antrag ernst gemeint und hier nicht Sofortabstimmung beantragt hätten, sondern wir das erst in den Ausschüssen hätten diskutieren können. Da hätten wir sehr wohl eine gemeinsame Position finden können. So wie er heute abgestimmt wird, ist es ein Schaufensterantrag von Ihnen, um die Gemüter in den Ländern zu beruhigen, damit die eben auch das Gefühl haben: Die CDU interessiert sich überhaupt für die Arbeitsplätze. ({3}) Tatsache ist: Es wird nicht anders gehen. Wenn man die Arbeitsplätze erhalten will, wird es in diesem Land nicht anders gehen, als genau der Politiklinie, die wir vertreten haben, zu folgen, ({4}) dass man die synthetischen Kraftstoffe anerkennt. Jetzt komme ich noch zu Ihrem zweiten Antrag. Da geht es zu Recht um die komplett verfehlte Infrastrukturpolitik der letzten Jahre, gerade was das Thema Straßenbau angeht. Sie machen eine Generalabrechnung, und das Ganze ist deshalb ein Treppenwitz, weil Sie genau diese Politik, die Sie hier kritisieren, die letzten zwölf Jahre elementar mitgestaltet haben. ({5}) Sie können doch nicht den Menschen erzählen, dass Sie jetzt alles anders machen wollen, wo Sie nichts mehr zu sagen haben. ({6}) Das ist doch ein Witz, und das wissen Sie ja auch. Tatsächlich ist es aber so, dass wir in Ihrem Ansatz, speziell in dem zweiten Antrag, den Sie hier gestellt haben, sehr viele konstruktive Elemente finden, die übrigens auch die Politik und die Anträge der AfD widerspiegeln. Deshalb können wir Ihnen hier sagen: Diesem zweiten Antrag zur Beschleunigung der Infrastrukturmaßnahmen und der Veränderung der Gesetzgebung stimmen wir vollumfänglich zu. Das ist genau das, was wir immer gefordert haben. ({7}) Zu dem ersten Antrag, wie gesagt: Selbst wenn man ihn von dem ganzen ideologischen Ballast, den Sie da eingebaut haben, befreit, bleibt dieser Antrag in sich unlogisch. Wir wollen keine Transformation der Automobilindustrie. Wir wollen die Arbeitsplätze erhalten. Deshalb können wir Ihrem Antrag selbstverständlich so nicht zustimmen. Ich hätte mich gefreut, wir hätten ihn im Ausschuss beraten. Wir hätten ihn bestimmt so geändert gekriegt, ({8}) dass wir tatsächlich hier auch zugestimmt hätten. Vielen Dank. ({9})

Nyke Slawik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005224, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Ploß, ja, 16 Jahre haben Sie regiert, CDU/CSU, 12 Jahre davon hatten Sie das Verkehrsministerium. Und was ist Ihre Bilanz? Sie haben Millionen Menschen in Deutschland vom Auto abhängig gemacht, weil Sie die Alternativen vernachlässigt haben: ({0}) Schienen- und ÖPNV-Ausbau vollkommen vergessen, Dienstwagen fett gefördert, aber Menschen in Bus, Bahn und auf dem Rad im Regen stehen gelassen. Dafür zahlen gerade Millionen Menschen hierzulande einen hohen Preis an der Zapfsäule. ({1}) Und die Ölmilliarden fließen dann auch noch in Putins Kriegskasse, weil wir ein Drittel unseres Rohöls aus Russland beziehen. So kann, darf und wird es nicht weitergehen. Sie predigen hier heute wieder das Märchen von der Technologieoffenheit. Dabei haben wir alles, was wir brauchen, schon heute. Die E‑Autos kommen, ob Sie wollen oder nicht. Eine Stärkung von Schiene, Bus und Rad ist fürs Klima unverzichtbar. ({2}) Und das deutsche Straßennetz retten wir, indem wir endlich einen Fokus auf die Sanierung legen, statt uns an überdimensionierten Neubauten festzubeißen. ({3}) Nun komme ich zu Ihrem zweiten Antrag. Man muss sich schon sehr wundern, dass CDU/CSU heute den schlechten Zustand unserer Infrastruktur beklagen, obwohl Sie genau 16 Jahre dafür Zeit gehabt hätten. ({4}) Dass Sie sich heute hierhinstellen und als Retter der deutschen Verkehrsinfrastruktur darstellen, ist schon ziemlich peinlich. Was haben Sie stattdessen gemacht? Vor allem viele ungelöste Baustellen hinterlassen. Tausende Brücken hierzulande sind dringend sanierungsbedürftig. Bekannt ist das nicht erst seit gestern, nicht erst seit der Rahmedetalbrücke und der Sperrung der A 45. ({5}) Bekannt ist das seit vielen Jahren, und Ihr CSU-Kollege Andreas Scheuer hat das Problem ignoriert. Ihr CDU-Kollege aus NRW, Ministerpräsident Hendrik Wüst, jahrelang Verkehrsminister in NRW, hat das Problem ignoriert. Wir wissen aus dem NRW-Landtag, dass Straßen.NRW unter der Führung von Herrn Wüst die Instandhaltung der Rahmedetalbrücke 2017 herunterstufte, obwohl bekannt war, wie gefährlich das sein könnte, ({6}) sie herunterstufte zugunsten von Hunderten Neubauprojekten und damit die so nötige Sanierung vertagte. ({7}) Jahrelang haben CDU/CSU die Verkehrsplanung zugunsten Hunderter Neubau- und Erweiterungsprojekte aufgebläht: 1 300 Fernstraßenprojekte, 850 Kilometer neue Autobahn. Nur haben Sie dabei vergessen, Tausende Brücken in Deutschland zu sanieren. Das rächt sich jetzt. Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus Leverkusen. Die Leverkusener Rheinbrücke war so marode, ({8}) dass sie jetzt neu gebaut wird, und zwar als Doppelbrücke mit zwölf Fahrspuren – auch hier grüßt der Erweiterungsbau – über den Rhein. ({9}) Das nenne ich mal eine richtig fette Riesenautobahn. ({10}) Schade nur, dass es da auch noch andere Krisen gibt, die Klimakrise und die Ukrainekrise. Beides fliegt uns jetzt im Verkehrssektor um die Ohren dank 16 Jahren völlig verfehlter Verkehrspolitik von Ihnen. ({11}) Wir werden es anders machen. Vielen Dank. ({12})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen von der Unionsfraktion! Ich möchte meine vier Minuten Redezeit schwerpunktmäßig für das Thema Transformation nutzen, da ich das für ein sehr wichtiges Thema halte, vor allen Dingen aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht hier erstens um die Zukunft der Automobilindustrie – das ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern richtig festgehalten worden –, und es geht um die Frage: Wie gehen wir damit um, dass Hunderttausende Arbeitsplätze bundesweit zur Disposition stehen und dass das Arbeitsplätze sind, die in der Regel tarifgebunden und dank IG Metall überdurchschnittlich bezahlt werden? Der Antrag der Union – es stehen auch viele richtige Sachen drin – ist aber hochinteressant. ({0}) Sie haben da ein Ranking. Sie nennen 18 Punkte und machen mit der Nummerierung quasi ein Ranking auf, und das Thema Arbeitsplätze ist sage und schreibe Punkt 17. Da muss für meine Begriffe allen Beteiligten klar werden, welchen Stellenwert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Betrieben bei Ihnen, bei der Union, haben, nämlich so gut wie gar keinen. Und das geht überhaupt nicht. ({1}) Ich selber lebe seit drei Jahrzehnten im Saarland. Das ist seit vielen Jahren mein neues Zuhause. Dort gibt es mehrere Zehntausend Arbeitsplätze in dem Bereich. Das sind Ford in Saarlouis, ZF in Saarbrücken, Bosch und Schäffler in Homburg, um die Großen zu nennen; aber es gibt auch viele mittelständische Unternehmen und vor allen Dingen, was oft vergessen wird, auch viele Serviceunternehmen, die von der jetzigen Automobilindustrie abhängig sind. Man muss den Wählerinnen und Wählern, die in genau neun Tagen im Saarland zur Urne gerufen werden, dann schon mal genau sagen, welche Politik die Union hier im Deutschen Bundestag verfolgt. Schließlich stellen Sie da noch den Ministerpräsidenten; ich hoffe, dass sich das ändert. ({2}) Zweitens. Wir müssen auch die Automobilkonzerne mal genau unter die Lupe nehmen. Nun gehört Die Linke nicht unbedingt zum Fanclub der Automobilkonzerne. Aber ich versuche es mal. Es gibt nämlich außer dem angesprochenen Porsche überhaupt keinen Automobilkonzern mehr, der überhaupt noch irgendwas in Richtung Verbrenner macht. Da von Technologieoffenheit zu reden, ist nicht auf der Höhe der Zeit; tut mir leid. Diesen Antrag hätten Sie vielleicht in der 18. Wahlperiode einbringen können; aber ihn hier und heute zu stellen, ist einfach nicht mehr der Zeit angemessen. Das ist Schnee von gestern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung aus der AfD zulassen?

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, er kann hinterher fragen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Alles klar? – Danke, dann weiter.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben in den Automobilkonzernen seit Langem eine Firmenpolitik, die sich darauf eingestellt hat, dass sich dort etwas ändert. Gerade vor rund einer Woche hat Ford, einer der großen Hersteller mit zwei Standorten in Saarlouis und Köln, erklärt: 2030 ist Schluss mit dem Verbrenner. – Sollen wir jetzt hier Gesetze oder Anträge beschließen, die genau das Gegenteil machen? Ich glaube, das ist der falsche Weg. Technologieoffenheit ist Schnee von gestern; das ist abgehakt. Wichtig ist der dritte Punkt, das Thema Transformation. Das wird oft missverstanden als ein Wandel weg vom Verbrenner hin zum Batterieantrieb. Wir brauchen in der Industrie aber einen Wandel – das wird unter „Transformation“ verstanden, zumindest bei den Gewerkschaften, bei vielen Verbänden, Kammern usw. – von der Automobilproduktion hin zu anderen Industrieprodukten, zu Alternativen zum Automobil. ({0}) Da gibt es natürlich noch keine Lösung, kein Grundrezept. Aber wir brauchen Industrieproduktion zum Beispiel von Fahrrädern, Solarzellen, Straßenbahnen und Bussen; ({1}) die Liste ließe sich x-beliebig verlängern. Es geht darum, dass die Arbeitsplätze erhalten werden, die gut und auch überdurchschnittlich gut bezahlt werden. Den Menschen, die dort arbeiten, ist es am Ende egal, ob sie Autos oder etwas anderes produzieren. Es geht darum, dass man den Wandel schafft. Das ist Transformation, nicht die bloße Umstellung in der Automobilproduktion. ({2}) Es bleibt – das ist meine letzte Bemerkung dazu – auch ein verkehrspolitisches Ziel im Mittelpunkt. Wir brauchen eine Verkehrspolitik, die zum Ziel hat, dass niemand mehr sagen kann oder sagen muss, sie oder er sei auf ein Automobil angewiesen. Es muss eine Politik her, durch die die Alternativen zum Auto konsequent gefördert werden. Das heißt nicht, dass man das Autofahren verbietet. ({3}) Die vielleicht 15 Millionen oder 20 Millionen Autos, die dann noch übrig bleiben, können von mir aus batterieelektrisch sein, aber die Mobilität muss schwerpunktmäßig über den öffentlichen Personennahverkehr oder den öffentlichen Verkehr erfolgen. ({4}) Dann haben wir eine Transformation geschafft, die man auch so bezeichnen kann. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung spricht jetzt zu uns der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Luksic. ({0})

Oliver Luksic (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004102

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verkehrssektor steht vor großen Herausforderungen, über die wir heute debattieren. Erlauben Sie mir aber, eingangs einige Worte zur aktuellen Krise in der Ukraine und dazu, was das auch für unseren Verkehrsbereich bedeutet, zu sagen. Bundesverkehrsminister Wissing ist auf Einladung seines polnischen Amtskollegen sofort an die Grenze gefahren, hat sich mit seinen Amtskollegen und der EU-Verkehrskommissarin ausgetauscht und schnell und pragmatisch gehandelt. Mein Dank geht an alle im Haus, im BAG, vor allem aber auch an die Deutsche Bahn, die dafür sorgt, dass mit Sonderzügen die Menschen schnell in Sicherheit gebracht werden; DB Cargo hat eine Schienenbrücke aufgebaut, um die dringend benötigten Hilfsgüter an die Grenze zu bringen. Das ist schnelle, unbürokratische Hilfe, auch von den vielen Busunternehmern, die Güter hinfahren und Menschen zu uns in Sicherheit bringen. Das ist eine großartige Leistung, auf die wir stolz sein können. ({0}) Natürlich müssen wir auch unsere Themen hier angehen. Deutschland muss in der Tat vor allem schneller planen, genehmigen und bauen. Wenn wir heute darüber reden, ein Stück Schiene in Betrieb nehmen zu wollen, dann kann das bis zu 20 Jahre dauern. Das kann und darf nicht so bleiben. Wir haben als Erstes das Thema Brücken mit der Brückenbilanz und dem Brückengipfel auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist kein einfaches Thema; wir sind es aber angegangen, weil es notwendig ist. Dabei haben wir einen neuen Fokus. Wir haben alle Brücken nachberechnet. Unser Fokus ist auf der Traglast, also die Brücken nicht nur von außen zu bewerten, sondern auch von innen, und sie auch mit den Verkehrsströmen neu zu berechnen. Wir haben auf dem Brückengipfel zusammen mit der Bauwirtschaft, den Umweltverbänden und den vielen Genehmigungsbehörden dafür gesorgt – das ist unser Ziel –, dass wir in unserem Land einen Konsens hinsichtlich der Infrastruktur hinbekommen – neun Maßnahmen sind vorgesehen –, damit wir schneller den großen Investitionsstau abbauen, den wir vorgefunden haben. ({1}) Wir erhöhen die Mittel im Haushalt. Ein stärkerer Fokus liegt auf dem Erhalt. Bis 2026 soll es hier 1 Milliarde Euro mehr geben. Wir haben einen Fokus auf dem Kernnetz. Wir priorisieren Brücken, die Lebensadern unserer Wirtschaft sind. Deswegen muss das hier funktionieren. Der Sanierungsstau wird Schritt für Schritt abgearbeitet. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt für alle Verkehrsträger: Schienenwege, Wasserstraßen, Radwege, digitale Infrastruktur. Die Gigabitstrategie wurde bereits vorgestellt. Wir haben acht Modellprojekte, aus denen wir Schlussfolgerungen ziehen wollen; hier ist vor allem BIM zu nennen, das vernetzte Planen, Bauen und Bewirtschaften. Ganz wichtig ist auch – das sehen wir ja gerade bei der A 45 –, dass wir die Verfahren ändern. Wir setzen hier auf die funktionale Ausschreibung, auf den Dialog und die frühe Einbeziehung aller Betroffenen. Deswegen haben wir einen Bürgerbeauftragten eingesetzt, um die Konflikte gleich ganz am Anfang zu lösen, damit wir eben nicht in große Rechtsstreitigkeiten hineinkommen. Das ist ein neuer Ansatz, eine Politik, wo es darum geht, dass wir zuhören und alle einbinden, damit wir schneller vorankommen in unserem Land. ({3}) Wir müssen Mobilität sicher, bezahlbar und nachhaltig gestalten. Das ist Ziel der Bundesregierung. Dabei müssen wir aber gleichzeitig auch das Erreichen der Klimaziele und der Vision Zero im Blick haben. Es ist notwendig, jetzt zu handeln. Deswegen müssen wir schauen, welche Instrumente wir haben, die jetzt sofort wirken. Das ist natürlich zum Beispiel die E-Mobilität. Da ist es nun mal so, dass das, was wir bei der Ladeinfrastruktur vorgefunden haben, nicht ausreicht. Deswegen müssen wir die sehr, sehr viel schneller aufbauen. Wir müssen auf das setzen, was jetzt verfügbar ist. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz unserer Regierung. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kolbenmotor kann alles, vom Zweirad bis zum Flugzeug. Das wird in Zukunft so nicht mehr gehen. Es gibt nicht eine Technologielösung, die alles kann, sondern es gibt verschiedene Anwendungen. Deswegen fördert unser Haus auch technologieoffen alternative Kraftstoffe, Wasserstoff, batteriegetriebene E-Mobilität im Bereich der Nutzfahrzeuge mit 1,6 Milliarden Euro. Das ist eben der Unterschied: Wir machen technologieoffene Klimaschutzpolitik; wir benutzen nicht das Wort „Technologieoffenheit“, um beim Klimaschutz nichts zu tun. Das war, glaube ich, in der Vergangenheit der Fall. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Entschuldigung. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der AfD. Möchten Sie die zulassen?

Oliver Luksic (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004102

Bitte schön.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gut. Ich frage immer nur einmal pro Rede. – Bitte.

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Luksic, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Es geht ganz konkret um Ihre Politik hinsichtlich synthetischer Kraftstoffe und Biokraftstoffe. Sie haben gerade gesagt, Sie fördern diese. Sie wissen ganz genau, dass der synthetische Kraftstoff und damit auch der Verbrennungsmotor an sich tatsächlich an den Flottenverbrauchsvorgaben in der EU hängt. Mit den aktuellen Flottenverbrauchsvorgaben und der Nichtanerkennung von synthetischen und Biokraftstoffen hat der Verbrennungsmotor gerade keine Zukunft. Darf ich Ihre Rede jetzt so verstehen, wenn Sie synthetische Kraftstoffe fordern, dass Sie sich genau dafür einsetzen, dass diese Kraftstoffe auf die Flottenverbräuche der Autohersteller anerkannt werden, oder habe ich das falsch verstanden?

Oliver Luksic (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004102

Sehr geehrter Herr Kollege, Sie wissen, dass wir das in unserem Haus fördern. Wir haben dazu eine Reihe an Förderprogrammen. Es gibt natürlich auch weitere Anreizmechanismen, die gelten, zum Beispiel die RED‑II- und RED‑III-Direktive. Klar ist – das ist die gemeinsame Position der Bundesregierung –, dass wir dafür sorgen, dass ab 2035 auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden können, die nachweislich mit E‑Fuels betankt werden. Insofern ist für uns völlig klar: Wir machen technologieoffenen Klimaschutz. Dazu gehören auch, aber nicht nur alternative Kraftstoffe. Das ist die Position der Bundesregierung. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen, wie gesagt, breit fördern. Es wird ein Klimaschutz-Sofortprogramm geben. Technologieoffenheit ist wichtig. Wie man eben gemerkt hat, ist es ein Sowohl-als-auch, und – weil das eben auch in der Debatte vorgekommen ist – ein Weder-noch ist nicht die Lösung. Wir können nicht alles, was sich in den letzten zwölf Jahren aufgestaut hat, in 100 Tagen lösen. Wir sind aber mit Hochdruck dran. Ich freue mich auf die weitere Debatte. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Felix Schreiner hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne eine gut ausgebaute Infrastruktur werden wir den Wohlstand in unserem Land nicht sichern und übrigens auch keinerlei Klimaschutzziele erreichen. Deshalb müssen wir weitere Beschleunigungspotenziale in diesem Land heben. Wir bringen heute einen entsprechenden Antrag ein und warten nicht lange ab. Wir warten nicht ab, bis irgendwelche Gipfel und Arbeitsgruppen getagt haben, sondern wir setzen nahtlos daran an, dass wir in der letzten Legislatur vier Planungsbeschleunigungsgesetze auf den Weg gebracht haben, übrigens gemeinsam mit der SPD. Sehr geehrter Kollege, es hätte Ihnen heute nicht geschadet, das zu erwähnen. Es ist nämlich ein gemeinsamer Erfolg. Vielleicht ist das das Problem der SPD gerade in diesen Tagen: Sie freuen sich zu wenig über das, was Sie eigentlich erreicht haben. – Ich wollte es Ihnen daher an dieser Stelle einfach noch mal in Erinnerung rufen. ({0}) Mit den 33 Punkten in unserem Antrag zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zeigen wir eine klare Erwartungshaltung an die Bundesregierung: den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur zu beschleunigen, aber auch dem individuellen Mobilitätsbedürfnis der Menschen gerecht zu werden. Es wäre schön, wenn die Kollegen von den Grünen, von der SPD und von der Linken, von denen wir heute gehört haben, man brauche kein Auto mehr usw., das auch so sehen würden. ({1}) Meine Damen und Herren, 60 Prozent der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Wer nicht zulässt, dass es auch in Zukunft noch Straßenerhalt und ‑bau in diesem Land gibt, der verkennt die Wirklichkeit. Wir haben da einen anderen Weg. ({2}) Zur Wahrheit gehört doch: Es sind die Projekte vor Ort, die Frust erzeugen. Es gibt viele Projekte in den Gemeinden, die symbolisch für Politikverdrossenheit stehen, weil über Jahrzehnte hinweg geplant und dann eben nicht gebaut werden konnte. Die Bürgerinnen und Bürger fragen uns Abgeordnete aus den Wahlkreisen: Wie kann das eigentlich sein, dass man 50 Jahre für ein Straßenbauprojekt, für eine Ortsumfahrung braucht? Das dauert doch allen zu lange. – Wenn wir uns da einig sind, dann muss man auch mal klar benennen, woran es liegt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke. Möchten Sie die gerne zulassen?

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Lutze. – Herr Lutze, Sie können jetzt die Maske abnehmen. Ansonsten wäre es gut, wenn sie über der Nase getragen wird.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Schreiner, Sie haben gerade sinngemäß behauptet, dass wir das Auto usw. ablehnen. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich in meiner Rede gerade gesagt habe – das ist ein qualitativer Unterschied –, dass niemand mehr drauf angewiesen sein muss, ein Auto zu fahren? Diese Aussage impliziert, dass man es sehr wohl noch fahren darf. Ich will ja niemandem irgendwas verbieten. Es geht darum, dass es auch bei mir im Saarland ganz viele Menschen gibt, die im Moment – das ist vollkommen nachvollziehbar – sagen: Ich habe keine andere Möglichkeit, als mit dem Auto von A nach B zu kommen. – Diesen Zustand müssen wir überwinden. Dass wir diesen Missstand beheben wollen, bedeutet nicht, dass wir das Autofahren verbieten wollen. Das ist völliger Unsinn. Es tut mir leid. ({0})

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Okay, dann haben Sie das richtiggestellt. Wir hatten es anders verstanden, weil Sie – das sage ich Ihnen ganz offen – immer wieder, auch in den Ausschüssen, klipp und klar zum Ausdruck bringen, dass Sie den Menschen Mobilität vorschreiben wollen. ({0}) Ich sage Ihnen: Ich bin schon der Meinung – ich bin ein freiheitsliebender Mensch –, dass sich jeder so bewegen soll, wie er will. Aber derjenige, der im ländlichen Raum auf sein Auto angewiesen ist, soll es auch in Zukunft fahren können; denn auch das geht mit sozialer Teilhabe einher. ({1}) Ich möchte meine Rede fortsetzen und an die Bundesregierung gerichtet sagen: Manchmal habe ich ja sogar Mitleid, beispielsweise mit Herrn Wissing und Herrn Luksic. ({2}) Staatssekretär Theurer war zum Beispiel neulich bei mir im Wahlkreis am Hochrhein. Wir haben dort die A 98 besucht. Es war ein guter Termin. Er hat sich den Bürgern gestellt. Wir hatten Einigkeit. Aber was ist dann in den nächsten Tagen passiert? Winnie Hermann aus Baden-Württemberg schaltet sich vom Schreibtisch zu Wort, erklärt das Ende der Hochrhein-Autobahn A 98 und sagt: Alle Planungen im Zusammenhang mit dem Bundesverkehrswegeplan in Baden-Württemberg kommen auf den Prüfstand. Wir wollen keine Straßen mehr bauen. – Meine Damen und Herren, wir müssen es doch mal beim Namen nennen: Überall, wo man mal einen Schritt weit vorankommen will, sind es die Grünen vor Ort, die es wieder torpedieren. Das haben wir auch heute in der Rede gehört. ({3}) Deshalb ist dies auch eine Aufforderung der Unionsfraktion an die Bundesregierung. Sie haben im Koalitionsvertrag geschrieben, dass Sie den Bundesverkehrswegeplan in Gänze und die darin enthaltenen Projekte überprüfen wollen. In Wahrheit wissen wir, dass Sie sich in den Koalitionsverhandlungen natürlich speziell von der grünen Seite viel haben anhören müssen. Aber wir bitten Sie wirklich: Machen Sie das nicht. Gehen Sie da den Grünen nicht auf den Leim. Eine Überprüfung des Bundesverkehrswegeplanes führt vor allem zu einem, nämlich nicht zur Planungsbeschleunigung in Deutschland, sondern dazu, dass viele, viele Projekte hinten runterfallen und dass alles noch länger dauert. ({4}) Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, den Bundesverkehrswegeplan in dieser Sache auch umzusetzen. Meine Damen und Herren, wir haben heute einen Antrag eingebracht, in dem wir fordern, das Instrument der Plangenehmigung mehr zu nutzen. Wir wollen rechtsverbindliche Standards bei den Genehmigungsverfahren setzen. Wir können das nationale Naturschutzrecht auf die Vorhaben des Unionsrechts begrenzen. Wir können die Chancen der Digitalisierung nutzen. Wir können eine gesetzliche Stichtagsregelung einführen. Wir können Bonus-Malus-Regelungen für Bauverträge verbindlich einführen. Das alles sind Beispiele dafür, was man machen kann. Aber zeigen Sie, liebe Regierungsfraktionen, dass Sie es wollen. Stimmen Sie unserem Antrag heute zu. Es ist eine Fortsetzung von vier Gesetzen, die wir in der letzten Legislaturperiode mit den Sozialdemokraten auf den Weg gebracht haben, weil es uns ernst ist bei der Planungsbeschleunigung in Deutschland. ({5})

Isabel Cademartori Dujisin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der CDU/CSU, ich muss schon sagen: Ihre Reden heute hier fallen deutlich hinter Ihre Anträge zurück und triefen nur so vor Ideologie. – Ich will an der Stelle den Grünen anbieten, dass wir auch in Baden-Württemberg über neue Mehrheiten reden können, wenn Sie einen neuen Koalitionspartner brauchen. ({0}) Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass das Umweltbundesamt diese Woche noch mal festgestellt hat, dass der Verkehrssektor seine Sektorziele bei der CO2-Einsparung nicht erreicht hat. Auch wenn wir uns die Kraftstoffpreise anschauen, müssen diese uns eigentlich noch mehr ermutigen, den Klimaschutz im Verkehr entschlossen voranzubringen. Das ist klimapolitisch richtig. Das ist sicherheitspolitisch notwendig. Aber es ist auch ökonomisch sinnvoll. Vorgestern kam die Nachricht, dass Elektroautofahrer aktuell bis zu 60 Prozent günstiger unterwegs sind als diejenigen, die Autos mit Verbrennungsmotor fahren. Man könnte fast meinen, die Mineralölkonzerne treiben mit ihrer Abzocke an der Tankstelle ihre eigene Bedeutungslosigkeit voran. ({1}) Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre durchaus sinnvollen Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehr an Ihren Ministerpräsidenten – Entschuldigung, Noch-Ministerpräsidenten – im Saarland schicken würden, ({2}) damit er sich mal gezielt damit auseinandersetzen kann, wie man Transformation vor Ort umsetzen kann, zum Beispiel durch den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur, ({3}) statt peinliche Videos an der Tankstelle zu drehen; das hilft nämlich niemandem. ({4}) Wenn Sie schon mal dabei sind, schicken Sie das Papier doch auch an Herrn Söder – in cc gesetzt –, damit er aufhört, beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf der Bremse zu stehen. ({5}) Denn wenn wir strombasierte Kraftstoffe, E-Fuels oder Elektroautos wollen – egal welche Technologie –, brauchen wir Strom, und zwar sehr viel davon. Davon gibt es in Süddeutschland eben nicht sehr viel und besonders nicht aus erneuerbaren Energien. Sie fordern Technologieoffenheit, aber die Autoindustrie hat sich doch entschieden. Fast alle Autokonzerne setzen für die nächsten zehn Jahre vorrangig auf E-Mobilität.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Herr Spaniel meldet sich wieder und möchte bei Ihnen eine Zwischenfrage platzieren.

Isabel Cademartori Dujisin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, er hat schon genug Redezeit gehabt. ({0}) – Ja, dazu komme ich jetzt. – Sie fordern Technologieoffenheit, aber die Autoindustrie hat sich entschieden, und wir als eine gute Ampelkoalition unterstützen die Autoindustrie auf ihrem Weg zur E‑Mobilität, indem wir die Infrastruktur dafür bereitstellen. Das nennt sich dann: gute Industriepolitik. ({1}) Wir wollen Infrastruktur schaffen und Innovationen fördern. Das Ziel ist: 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030. Und dafür braucht es – da haben Sie in Ihrem Antrag recht – Halbleiterproduktion und Batteriezellenproduktion. ({2}) Deshalb ist es besonders schön, dass gerade in dieser Woche zwei große Standortentscheidungen angekündigt wurden: In Magdeburg werden große Kapazitäten für die Halbleiterproduktion und in Schleswig-Holstein eine Gigafactory für Batteriezellenproduktion und ‑recycling aufgebaut. ({3}) Man muss sich aber vor Augen führen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Süddeutschland, dass diese Standortentscheidungen für Norddeutschland unter anderem damit begründet wurden, dass dort erneuerbare Energien verfügbar sind. ({4}) Das führt uns noch mal ganz klar vor Augen: Die Trägheit beim Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern und Baden-Württemberg wird in Zukunft zu einem echten Standortnachteil werden. ({5}) Die Industrie hat also erkannt: Elektromobilität ist unschlagbar effizient. ({6}) Auch immer mehr Verbraucher fassen Vertrauen zu dieser Technologie, was die langen Wartezeiten auch bei Elektroautos zeigen. Der Hochlauf wird exponentiell laufen, wie beim Smartphone. Wir als Koalition unterstützen das, weil die Unabhängigkeit von ölbasiertem Sprit langfristig auch der beste Weg ist, um sicherzustellen, dass Mobilität bezahlbar bleibt. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Leif-Erik Holm jetzt das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bürger! Liebe Kollegen! Es ist ja wirklich schön anzusehen, wie die Union jetzt eine Position nach der anderen räumt. ({0}) Sie fordern jetzt in Teilen genau das Gegenteil von dem, was Sie in 16 Jahren Regierungszeit vermurkst haben. Das ist ziemlich klar. ({1}) Sie schreiben jetzt in Ihrem Antrag zur Automobilindustrie: Der Verbrennungsmotor wird teils vorschnell generell als Klimasünder dargestellt, die Elektromobilität wird hingegen als Königsweg beschrieben. Diese Kritik ist vollkommen richtig. Die teilen wir. Wir predigen das sogar schon seit Jahren. Aber es hat Sie in der Regierung nicht die Bohne interessiert. ({2}) Es war nämlich Ihre Politik unter Wirtschaftsminister Altmaier – Klammer auf: CDU; Klammer zu –, die dazu geführt hat, dass unsere Autoindustrie den Bach runtergeht. Sie können hier also nicht den Unschuldsknaben mimen. Sie haben unter Merkel jahrelang einzig und allein auf E-Autos gesetzt. ({3}) In der Corona-Lockdown-Krise haben Sie massive Kaufprämien ausgerufen – nicht für moderne Verbrenner, nur für Stromer. Das hat überhaupt nichts mit Technologieoffenheit zu tun, von der Sie hier im Antrag sprechen. Und ich habe noch gar nicht davon gesprochen, wo eigentlich der Strom für die Stromer herkommen soll. ({4}) Diese künstliche Bevorzugung der Batterieautos, die Sie in Gang gesetzt haben, die schadet unserem Standort Deutschland. ({5}) Wir sehen es doch: Die Produktion in der Automobilindustrie sinkt stärker als in anderen Industriebereichen. Die Beschäftigung sinkt, besonders bei den Zulieferern. Der Rutsch in Richtung Ausland hat längst begonnen. Davor haben wir von Anfang an gewarnt; das ist Ihr Werk. Wer freut sich eigentlich über die riesigen Subventionen, die es jetzt gibt? Das sind ausgerechnet die wenigen, die sich die besonders teuren E‑Autos leisten können. So freuen sich die Tesla-Fahrer, dass sie ihre Neuwagen nach sechs Monaten Richtung Dänemark verkaufen können und dann sogar noch mehr als den Neupreis erzielen: Sie machen noch einen Gewinn dabei. ({6}) Wenn das erst mal bekannt wird, wird es jeder tun. Ich freue mich schon darauf; das wird wirklich spannend. ({7}) Das zeigt aber den ganzen Irrsinn dieser Subventionitis, die Sie betreiben. Ich finde, das Geld könnten wir wirklich sinnvoller ausgeben. ({8}) Schauen Sie sich die Preise an der Tankstelle an. Wer soll das denn noch bezahlen? Die Milliarden Euro, die die Bundesregierung für diesen ganzen Prämienklimbim ausgegeben hat, die hätten jetzt dabei helfen können, zum Beispiel die Mehrwertsteuer an der Tanke temporär zu senken. Und eine solche Erleichterung brauchen die Bürger jetzt wirklich dringend. ({9}) Liebe Union, Sie fordern in Ihrem Antrag – auch das unterschreibe ich sofort –, „kein unwiderrufliches Enddatum für den Verbrennungsmotor festzulegen“. Ja! Aber lassen Sie mich auch hier Ihrem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen. Es war Ihr Parteifreund Söder, der, getrieben von schwarz-grünen Regierungsträumen, den Verbrennungsmotor bis 2035 beerdigen wollte. Merken Sie was? „Rin inne Kartoffeln, rut ut de Kartoffeln“: Man kann Ihnen nichts mehr glauben; Sie haben ihre Glaubwürdigkeit längst verspielt. ({10}) Zusammengefasst: Es stehen durchaus sinnvolle Punkte in Ihrem Antrag; aber Sie können den großen Widerspruch darin nicht auflösen. Im Gegenteil, er wird hier richtig deutlich. Wollen Sie nun Technologieoffenheit, oder wollen Sie die Transformation beschleunigen? Beides zusammen passt nicht. Das ist wie ein bisschen schwanger, und meine Frau sagt: Das geht nicht. ({11}) Liebe Kollegen in der Union, wenn in vier Jahren womöglich Jamaika winkt – ich komme zum Ende, Frau Präsidentin –, vergessen Sie sowieso wieder alle guten Vorsätze und lassen sich von den Grünen aufs Lastenfahrrad setzen. ({12}) Wer mit seinem Auto mobil bleiben möchte, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– wählt besser gleich die Automobilfahrerpartei, die AfD. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort der Kollegin Susanne Menge. Das ist – in diesem Haus – auch ihre erste Rede. ({0})

Susanne Menge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005149, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dem Kollegen Schreiner möchte ich sagen: Es ist keine Beliebigkeit einer Regierung, die Bedarfsplanüberprüfung vorzunehmen, sondern es ist gesetzlich vorgeschrieben. ({0}) Sehr geehrte Abgeordnete, die Unionsfraktion feiert in ihrem Antrag die vermeintlichen Planungsbeschleunigungen der letzten Wahlperiode – ({1}) aus unserer Sicht zu Unrecht. Sie setzen auf Scheinlösungen, während die wirksamen Maßnahmen während 16 Jahren Kanzlerinschaft gar nicht angepackt wurden. Der Schwerpunkt der CSU-Minister lag vor allem auf dem Straßenbau, mit dem Fokus auf Bayern. Die bestehende Verkehrsinfrastruktur haben Sie dagegen völlig vernachlässigt. Marode und unpassierbare Brücken sind ein Ergebnis dieses Politikversagens. ({2}) Jetzt tun Sie so, als seien diese Missstände vor allem ein Problem mangelnder Planungsbeschleunigung. Dabei waren es Ihre falschen verkehrspolitischen Prioritäten, von denen Sie nun versuchen abzulenken. Ein weiteres Beispiel: Die Mittel für den Aus- und Neubau im Schienennetz waren unter CSU-Ministern auf ein jämmerliches Niveau von etwas mehr als 1 Milliarde Euro jährlich abgesunken. Das reichte auch im europäischen Vergleich nur für einen hinteren Platz. Besonders deutlich wird die Vernachlässigung der Schiene bei den Verbindungen zu unseren Nachbarländern. Nicht einmal die Elektrifizierung von Eisenbahnstrecken haben Sie hinbekommen. Zum Beispiel versprechen wir seit 1998 Tschechien die Elektrifizierung der Strecke Nürnberg–Prag. ({3}) Bis heute fahren nur Dieselloks auf dieser Strecke, und das soll bis 2028 so bleiben. Das ist ein verkehrs- und klimapolitisches Armutszeugnis. ({4}) Beim Thema Planungsverfahren gelten für uns vier Anforderungen: erstens der zügige Verfahrensablauf, zweitens die rechtzeitige Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, drittens hohe Standards beim Natur- und Umweltschutz und viertens absolute Rechtssicherheit für die Vorhabenträger. Legen wir diese Kriterien einmal an das von Ihnen auf den Weg gebrachte Maßnahmengesetz an. Ich greife die Rechtssicherheit heraus und frage: Wie rechtssicher ist denn ein Gesetz, gegen das die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat? Das Gesetz beschneidet Bürgerinnen und Bürgern sowie Umweltverbänden ihre Möglichkeiten, gegen Rechtsverstöße vorzugehen. Das ist eine Missachtung der Aarhus-Konvention, was die EU-Kommission völlig zu Recht moniert. ({5}) Das Maßnahmengesetz in seiner bisherigen Fassung bringt keine Beschleunigung, sondern maximale Rechtsunsicherheit. Sie erweisen der Planungsbeschleunigung damit einen Bärendienst. Die Ursachen von überlangen Planungsverfahren sind oft weniger die Verfahrensregeln, sondern vor allem der Personalmangel und frühere Sparpolitik. Personal fehlt auf allen Ebenen der Planung und Genehmigung: bei den Planungsbüros, in den entsprechenden Abteilungen der Vorhabenträger, bei den Anhörungs- und Genehmigungsbehörden und schließlich auch bei den Verwaltungsgerichten. Der Antrag der Union bietet übrigens keine Lösung des Problems mangelnden Fachpersonals an. ({6}) Werte Kolleginnen und Kollegen, wir werden bei den kommenden Haushaltsberatungen darauf achten, dass die Personalausstattung der Genehmigungsbehörden mit den wachsenden Investitionen Schritt hält und entsprechend aufgestockt wird. Die Schiene ist ein Rückgrat der Verkehrswende. Deshalb müssen wir vor allem den Bau von Schienenprojekten und weitere Vorhaben des öffentlichen Verkehrs beschleunigen. ({7}) Die im Koalitionsvertrag vereinbarte „Beschleunigungskommission Schiene“ muss daher schnell aufgegleist werden. Dazu gehört auch die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen, wie sie im Koalitionsvertrag der Ampel festgehalten wurden. Wie kann es im Jahr 2022 eigentlich sein, dass wir die Deutsche Bahn zum digitalen Planen mit Building Information Modeling verpflichten, dass die fertigen Unterlagen dann aber in Papierform an das Eisenbahn-Bundesamt weitergehen? Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Einordnung Ihres Antrages sagen, den ich nur vor dem Hintergrund der Landtagswahlen erklären kann. Sie wollen die Umweltverträglichkeitsprüfungen bei der Planung von Verkehrsinfrastrukturen begrenzen und das Naturschutzrecht beschneiden. Und dieses alte Denken leitet Ihren gesamten Antrag: Natur- und Umweltschutz sind eigentlich Ballast. – Klimaschutz und Artenschutz sind aber zwei Seiten einer Medaille, und wir Bündnisgrüne lassen es nicht zu, wenn kurz vor Landtagswahlen versucht werden soll, das eine gegen das andere auszuspielen. ({8}) „Sorgfalt kommt vor Schnelligkeit“, heißt es in einer Redewendung. Angesichts der Herausforderungen der Klimakrise müssen wir beides unter einen Hut bekommen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Auch der Kollege Henning Rehbaum hält jetzt seine erste Rede – für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Henning Rehbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sperrung der Rahmedetalbrücke ist ein Weckruf für so manchen hier im Haus. Wie viele Jahre mussten wir uns als Union anhören, dass man kein Geld mehr in Autobahnen stecken sollte. Dieselben Kräfte, die uns als Union dafür kritisiert haben, zu viel Geld in die Straße stecken zu wollen, stellen sich jetzt hin und werfen uns vor, wir hätten zu wenig investiert. ({0}) Das ist absurd. Ich habe selber 2017 die Koalitionsverhandlungen für den Bereich Verkehr in Nordrhein-Westfalen mit geführt, Kollege Berghahn, Kollegin Slawik, nach 46 Jahren SPD-geführter Landesregierung; mit einer ganz kleinen Unterbrechung. Wir haben in die Schubladen des Ministeriums geguckt: Da haben wir keine baureife Brückenplanung gefunden. Wenn Sie dieses Fass aufmachen, können Sie nur verlieren. Rot-Grün wollte überhaupt keinen Straßenbau. Sie haben Gelder nach Berlin zurückgeben müssen, weil nichts fertiggeplant war. Selbst Verkehrsminister Groschek, SPD, hat sich über eine „durchgrünte“ Verkehrspolitik beschwert, bei der nichts fertig wird. ({1}) Die CDU-geführte und gemeinsam mit der FDP gut organisierte Landesregierung nimmt mittlerweile Gelder vom Bund, die andere Bundesländer zurückgeben. Wir haben heute einen Rekordhaushalt in Nordrhein-Westfalen für Schienenwege, für den Straßenbau, für die Reaktivierung von Schienenstrecken, für den ÖPNV, für Radwege. Sie reden – wir machen! ({2}) Unter der Union ist der Verkehrsetat des Bundes für Straße, Schiene, Radwege und Wasserstraßen nahezu verdoppelt worden; dazu vier Planungsbeschleunigungsgesetze, die jetzt konsequent umzusetzen sind. Beim Infrastrukturbau haben wir kein Erkenntnisproblem, meine Damen und Herren, nein, wir haben ein krasses Umsetzungsproblem. Das gilt für Straße, Schiene oder Radwege genauso wie für Windkraft, Solarparks, Pipelines oder Wasserstoffprojekte. Jeder weiß, das Problem sind die schier endlosen Planungs- und Genehmigungsverfahren: 30 Jahre für eine Bahnstrecke, 10 Jahre für ein Windrad, 8 Jahre für einen Radschnellweg, 5 Jahre für den Ersatzbau einer Autobahnbrücke. Wir brauchen hier eine massive Beschleunigung weit über die vier guten Gesetzespakete der Großen Koalition hinaus. ({3}) Wichtig ist auch, den Artenschutz zu modernisieren, und das wohlgemerkt nicht nur bei Straßenbauprojekten. Hunderte Windräder in ganz Deutschland können seit Jahren nicht gebaut werden, weil etwa der Rotmilan oder der Uhu in der Nachbarschaft gesichtet wurden. Der NRW-Landesverband Erneuerbare Energien sah sich letztes Jahr wegen überbordender Artenschutzklagen gezwungen, vor der Zentrale des NABU in Düsseldorf zu demonstrieren; so weit musste es erst mal kommen. Es gab auch eine jahrelange Hängepartie für die Menschen in Lüdenscheid wegen ein paar Fledermäusen im abgängigen Brückenkörper. Das kann man außerhalb der Parlamente, Behörden und NGOs niemandem erklären. ({4}) Wir müssen Artenschutz, Planungsrecht und Klimaschutz miteinander versöhnen. Die Verfahren müssen schneller werden, und das muss man wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, man muss alte Glaubenssätze über Bord werfen, und zwar konsequent. Letzter Punkt. Warum braucht man eigentlich jahrelange Planfeststellungsverfahren für Ersatzneubauten von Brücken, die an derselben Stelle entstehen? Wenn heute auf der A 45 – wie bei Hunderten weiteren Bahn- und Autobahnbrücken; da ändert sich faktisch nichts – eine Brücke steht, dann wird da auch in Zukunft eine Brücke stehen. Da gibt es nur eins: Bagger bestellen statt Fledermäuse zählen! ({5}) Die vier Beschleunigungspakete der GroKo müssen umgesetzt werden. Heute packt die Union zur Abstimmung noch eins obendrauf: für mehr Klimaschutz und alltagstaugliche Mobilität. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine folgt nach der anderen – wir haben ja den Wettbewerb der ersten Reden; wir freuen uns darauf –, und zwar spricht für die FDP-Fraktion jetzt der Kollege Jürgen Lenders. ({0})

Jürgen Lenders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005125, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden bei all dem, was wir tun, stets die Technologieoffenheit im Auge behalten, und wir werden dabei an die Menschen denken – die Menschen in den urbanen Gebieten, in den ländlichen Räumen. Und da scheuen wir uns auch nicht, alle Verkehrsträger mitzudenken; da gehört das Fahrrad dazu, da gehört das Auto mit seinem Verbrennungsmotor dazu, da gehört die Schiene dazu. Wenn jetzt die Kollegen und Kolleginnen von der Union hier die Frage nach den E-Fuels aufmachen, dann kann ich ihnen nur sagen: Wir müssen uns darum kümmern, dass wir die Produktion von E‑Fuels möglichst hochfahren. Meine Damen und Herren, dann würde sich so manche Kritik von Ihnen erledigen. ({0}) Ich will verdeutlichen, was Infrastruktur für Menschen bedeuten kann. Nehmen wir das Beispiel Lüdenscheid, ({1}) wo Pendler, Anwohner und Unternehmer jetzt durch Durchgangsverkehre belastet sind. Das ist nahezu eine Katastrophe für die Menschen vor Ort. Nehmen wir die Salzbachtalbrücke in Wiesbaden. Da war es nicht nur die Autobahn, da kam auch gleich der Verkehr über die Schieneninfrastruktur zum Erliegen. Eine Landeshauptstadt war über Monate sozusagen abgeschnitten vom Pendlerstrom. Meine Damen und Herren, das können und werden wir so nicht akzeptieren. ({2}) Aber jetzt zu Ihrem Antrag, geschätzte Union. Sie haben 33 Punkte aufgeschrieben. Diese 33 Punkte sind eigentlich eine Aufzählung Ihrer eigenen Unzulänglichkeit. ({3}) Denn Sie haben doch in den letzten Jahren regiert. Da steht auch nicht nur Falsches drin. Es sind ja durchaus Punkte dabei, die wir auch selber schon gefordert haben. ({4}) Da gibt es auch Punkte, über die man diskutieren kann. Aber, Herr Kollege Schreiner, eins möchte ich Ihnen dann schon noch mal sagen: Dass wir die Bedarfsprüfung, die auf einem Gesetz fußt, das Sie selber gemacht haben, ({5}) jetzt ignorieren sollen – also, wir sollen jetzt ein Gesetz, das Sie selber auf den Weg gebracht haben, ignorieren, meine Damen und Herren –, das kann es ja wohl wirklich nicht sein. ({6}) So mancher Punkt ist durchaus zu diskutieren. Herr Rehbaum hat gerade über den Punkt 2 in Ihrem Antrag reflektiert. Es gibt auch in unseren Reihen durchaus Personen, die über die Fragen „Was ist noch verhältnismäßig?“ und „Inwieweit ist die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Hemmschwelle?“ nachdenken. Aber, Herr Kollege, das Hauptproblem hier ist doch, dass der nationale Gesetzgeber den Verzicht auf Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht alleine entscheiden kann. Hier ist es zwingend notwendig, das europäische Recht zu ändern. So einfach, wie Sie sich das machen, geht es nun mal nicht. ({7}) Und, Herr Kollege, diesen Vorwurf müssen Sie sich auch gefallen lassen: Wenn man Ihren Antrag liest, hat man nicht den Eindruck, dass Sie über die Umweltverträglichkeitsprüfung nachdenken wollen, sondern dass Sie sie einfach komplett schleifen wollen. Das machen wir nicht mit. ({8}) Meine Damen und Herren, viele Ihrer Punkte sind reine Symbolpolitik. Nehmen wir die Forderung, das Vergaberecht zu überarbeiten. Das klingt ja ganz schön; aber allein in dem Bereich, wo die Länder zuständig sind, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, haben wir doch überhaupt keine Gesetzgebungskompetenz. Wenn Sie solche Anträge hier vorlegen, sollten Sie der Ehrlichkeit halber auch sagen, dass wir das von hier aus überhaupt nicht regeln können. ({9}) Absurd ist die Forderung zu Artikel 32 EU-Vergaberichtlinie. Da Sie in den letzten 16 Jahren regiert haben, können Sie den Verfall der Infrastruktur sicherlich nicht mit Dringlichkeit begründen. Das Problem ist doch längst bekannt gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann fordern Sie auch noch eine Direktvergabe in Millionenhöhe. Ich kann Sie nur davor warnen, solch einen Weg zu beschreiten. ({10}) Das öffnet der Korruption Tür und Tor. Meine Damen und Herren, wir als Koalition werden einen anderen Weg gehen. Vielen Dank. ({11})

Kaweh Mansoori (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005141, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss sagen: Fünf Seiten zum Thema Planungsbeschleunigung, unterzeichnet von Alexander Dobrindt, haben mich im Ergebnis doch ein bisschen mehr erheitert als Ihre Aktuelle Stunde zum Klimaschutz. ({0}) Natürlich fragt man sich bei interessierter Lektüre: Warum haben Sie das denn nicht in Ihrer Regierungszeit gemacht? ({1}) Ich kann es Ihnen sagen: Weil die größten Bremsen für die Mobilitäts- und Energiewende in diesem Land in den letzten 16 Jahren nicht Rotmilan, Einwendung und Verwaltungsprozess hießen, sondern Dobrindt, Altmaier und Scheuer, meine Damen und Herren. ({2}) Die Defizite in Planungs- und Genehmigungsverfahren wollen Sie jetzt im Handstreich auf fünf Seiten lösen. Vor allem beim Aktionismus macht die Union auf der Oppositionsbank jetzt so richtig Tempo. Nur sind das eben keine seriösen Vorschläge. Einstein sagte: Alles muss so einfach wie möglich sein, aber eben nicht einfacher. Ich will einige Herausforderungen unter dem Stichwort „Planungsbeschleunigung“ nennen: Erstens: weniger Papier und digitale Behördenabstimmungen. ({3}) Zweitens. Da, wo es sinnvoll ist, sollten unterschiedliche Verwaltungseinheiten parallel zueinander planen und nicht nacheinander. Drittens. Es braucht Vertrauen und Akzeptanz in behördliche Entscheidungen. Dafür muss die Öffentlichkeit möglichst früh einbezogen werden. Viertens. Wir müssen – und das ist eine schwierige Baustelle – den Prüfungsaufwand für Behörden und Gerichte reduzieren. Die Begründung eines Bebauungsplans in meiner Stadt Frankfurt hat etwa 100 Seiten. Für die Genehmigung einer Windenergieanlage können Sie einen kleinen Besprechungsraum mit Leitz-Ordnern füllen, und für ein großes Planfeststellungsverfahren reicht das wahrscheinlich gar nicht aus. ({4}) Im Artenschutzrecht müssen wir Prüfungsschritte standardisieren. Man muss nicht in jedem Verfahren bei Adam und Eva anfangen, weil es um den Schutz von Populationen und nicht von Individuen geht. ({5}) Fünftens. Wir wollen den Planungsprozess straffen. Soweit möglich, müssen Einwendungen, die bis zu einem bestimmten Stichtag nicht erhoben sind, für das weitere Verfahren ausgeschlossen sein. Im Fachjargon nennt man das Präklusion. ({6}) Sechstens. Wir wollen die Verwaltungsgerichtsbarkeit in die Lage versetzen, schneller zu einem Verfahrensende zu kommen. Meine früheren Verwaltungsrechtsprofessoren Reimer und Eifert würden sich jetzt sicher freuen, wenn ich das alles vertiefte. Dafür reicht unsere Zeit heute aber nicht aus; denn wir reden hier, meine Damen und Herren, über nichts Geringeres als die größte Verwaltungsmodernisierung seit Gründung der Bundesrepublik. ({7}) Und das wollen Sie jetzt einfach mal auf fünf Seiten lösen. Sie hatten 16 Jahre Zeit dafür, meine Damen und Herren! ({8}) In diesen 16 Jahren haben Sie den Verwaltungsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vor allem dann hochgehalten, wenn es nicht um Ihre Ministerbüros ging. ({9}) Aber die großen Planfeststellungsverfahren, meine Damen und Herren, bearbeiten sich eben nicht von selbst, sondern Menschen bearbeiten die. ({10}) Deswegen ist das Thema Personalmangel auch eines, das wir jetzt auf die Agenda packen werden. Wir, meine Damen und Herren, werden diese Dinge jetzt ressortübergreifend angehen, weil es gerade in diesen Tagen auch darum geht, zu zeigen, dass demokratische Rechtsstaaten etwas bewegen können. Wir setzen auch auf einen Bundeskanzler, der sich für diese Themen im Europarecht starkmacht. ({11}) Die ersten Ampelgesetze, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir hier in Kürze diskutieren. Ich bin gespannt, was die CSU in Bayern bis dahin beschleunigt hat, wo Unternehmen abwandern, weil Planungsbeschleunigung bei Ihnen vor allem aus einem Stoff besteht, nämlich heißer Luft. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Im Reigen der Redner, die ihre erste Rede halten, begrüße ich jetzt – und wir freuen uns drauf – Martina Englhardt-Kopf für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Martina Englhardt-Kopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicher erreichen auch Sie in diesen Tagen wie schon seit Wochen und Monaten die Hilferufe von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Betrieben, doch endlich etwas gegen die explodierenden Spritpreise an den Tankstellen zu unternehmen. Auf die bisher ungenügende Reaktion der Bundesregierung will ich an dieser Stelle gar nicht erst eingehen. Es ist längst überfällig, zu handeln, besser heute als morgen, schnell und unbürokratisch. Und diese Hilferufe zeigen doch, was für die Zukunft der Mobilität in der Verkehrspolitik entscheidend ist: Mobilität muss für alle bezahlbar bleiben. ({0}) Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Einwurf: Feministische Debatten, wer jetzt wie entlastet wird, ob Männer oder Frauen mehr Auto fahren und entsprechend was zurückbekommen müssen, sind haarsträubend. Das ist ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Unternehmer, aber auch der Familien, der Bürgerinnen und Bürger insbesondere in den ländlichen Wahlkreisen. ({1}) Das ist völlig absurd und an dieser Stelle völlig fehl am Platz. Damit das gerade genannte Ziel erreicht werden kann, fordern wir heute in unserem Antrag die Bundesregierung auf, bei der Umsetzung der Klimaschutzziele technologieoffen, aber auch ideologiefrei zu handeln. Wenn wir die Debatte der letzten halben Stunde betrachten, sehen wir, dass viel Ideologie in der Argumentation vieler Redner steckt. Das bringt uns in Zukunft nicht weiter, wenn wir das Ziel erreichen wollen: Mobilität für alle, aber auch bezahlbare Mobilität, klimafreundlich, in der Stadt und auf dem Land. Ich komme aus einem ländlichen Wahlkreis: Schwandorf/Cham, Wörth an der Donau und Brennberg. Ich lade Sie sehr gerne ein, sich dort die Mobilität vor Ort anzusehen. Die Zukunft ist der Ausbau des ÖPNV, aber wir brauchen auch das Auto. Wir sind darauf angewiesen, und dafür treten wir auch ein. ({2}) Natürlich kann das Auto elektrisch betrieben werden – die im Koalitionsvertrag genannten Ausbauziele sind sehr ambitioniert –; aber es ist nicht richtig, nur auf eine Technologie, auf eine Karte zu setzen, sondern wir brauchen auch hier Alternativen. Ja, wir müssen alle Möglichkeiten, alle Instrumente in Betracht ziehen, um uns breit für die Zukunft aufzustellen. Ich denke an alternative Kraftstoffe, die bereits genannt wurden, an E‑Fuels, an Biokraftstoffe, aber auch an Wasserstoff, um so entsprechende Beiträge für eine klimafreundliche Transformation des Verkehrs zu leisten. ({3}) Selbst wenn die hochgesteckten Ziele in Sachen E-Mobilität – 15 Millionen Autos vollelektrisch betrieben bis 2030 – erreicht werden können, werden zu diesem Zeitpunkt doch noch viele Autos mit Verbrennungsmotoren auf unseren deutschen Autobahnen fahren. Wir brauchen auch hier Ansätze, um der Bestandsflotte, die zu diesem Zeitpunkt ja noch eine lange Lebensdauer vor sich hat, Alternativen anzubieten, um auch diese Bestandsflotte entsprechend klimaneutraler zu betreiben. ({4}) Gerade für den ländlichen Raum wäre ein Markthochlauf alternativer Kraftstoffe eine große Chance, nicht nur, weil wir dort in der Zukunft auch den motorisierten Individualverkehr brauchen, egal wie angetrieben, sondern weil wir auch Biokraftstoffe in der Landwirtschaft produzieren können. Ich denke hier an Abfallprodukte, durch die im Sinne der Wiederverwertung und Aufbereitung in Biogasanlagen entsprechende Energie erzeugt wird. Das erzeugt auch Wertschöpfung in der Fläche, bietet Alternativen. Aber hierfür fehlt uns leider der rechtliche Rahmen. Es gibt keine Planungssicherheit für Investoren. Genau an diesen Stellen müssten wir jetzt die Weichen stellen, um uns auch hier breiter aufzustellen. ({5}) Das Gleiche gilt, was die E‑Fuels anbelangt. Das ist eine weitere Möglichkeit, um hier klimafreundlichen Kraftstoff zu produzieren. Aber das ist gegenwärtig nicht durchsetzbar, weil eben auf politischer Ebene die entsprechenden Rahmenbedingungen fehlen. ({6}) Wir fordern die Bundesregierung auf, in der EU völlig ideologiefrei, aber auch technologieoffen dafür einzutreten, dass eben auch E‑Fuels bei der Anrechnung der Flottengrenzwerte Berücksichtigung finden – für die Zukunft der Mobilität. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Manchmal hören Sie von mir so ein Räuspern, und das heißt, dass Sie doch die Redezeit jetzt sehr weit ausgedehnt haben, Frau Kollegin – trotz erster Rede.

Martina Englhardt-Kopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. – Die Bundesregierung muss deshalb jetzt die Weichen stellen, um entsprechend technologieoffen die Mobilität der Zukunft zu ermöglichen. Setzen wir heute ein starkes Zeichen mit der Annahme unseres Antrags, der einen Mix aus verschiedenen Antriebsenergien vorschlägt, der viele Chancen bietet, aber insbesondere eine bezahlbare Mobilität für alle in der Fläche ermöglicht. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Auf Ihre eigentlich, aber beim nächsten Mal wird sie sich mehr bemühen. Jetzt kommt schon direkt der nächste Redner mit seiner ersten Rede, und das ist Christian Schreider für die SPD-Fraktion. ({0})

Christian Schreider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch so: keine Klimawende ohne eine Verkehrswende, ({0}) keine Verkehrswende ohne eine bessere Bahn und keine bessere Bahn ohne eine bessere Infrastruktur. ({1}) Wenn wir sie wirklich loswerden wollen, diese fatale Abhängigkeit von Öl und Gas, von Russland und Co, dann brauchen wir neue Antriebe, dann brauchen wir eine neue Mobilität. Wir wollen deshalb einen Aufbruch in der Mobilitätspolitik. Wir wollen eine Verkehrspolitik für viele. Das heißt auch, kein Verkehrsmittel zu verteufeln, auch nicht das Auto. ({2}) Aber wenn wir unsere CO2-Ziele erreichen und mehr Freiheit wollen, dann muss der Umstieg auf die Bahn endlich leichter werden. ({3}) Leichter wird er nur, wenn die Bahn endlich ein starkes Rückgrat bekommt, und das kann nur das Schienennetz sein. Dieses Netz wollen wir ausbauen; denn darauf wollen wir den Deutschlandtakt fahren: alle halbe Stunde in jede Richtung, clever verknüpft, für mehr Fahrgäste und mehr Güter auf der Bahn. In kaum etwas wurde in der Geschichte der Bundesrepublik so wenig investiert wie in das Schienennetz. Wir fahren meistens von den gleichen alten Bahnhöfen auf die gleichen alten Strecken. Hier setzen wir an; denn für uns gilt: Schnelle Schienenwege sind das Herzstück, unser Herzstück der Mobilitätswende. Sie sind das Rückgrat des Masterplans Schienenverkehr, um die Fahrgastzahlen zu verdoppeln. Doch dafür müssen wir auch Einiges halbieren, vor allem die Planungs- und die Bauzeiten. ({4}) In vielen Feldern gilt der Satz ganz sicher nicht, aber in Sachen Bauen und Verkehr sage ich ihn durchaus bewusst: Wir müssen mehr Schweiz wagen. – Mangelhafte Bürgerbeteiligung hat den Eidgenossen noch niemand unterstellt. Und trotzdem realisieren sie selbst komplexe Projekte wie den Gotthardtunnel deutlich schneller als wir Neubaustrecken übers flache Land. Aber wenn wir wirklich wollen, dann können wir das auch, inklusive einer frühen, guten und vor allem gezielten Bürgerbeteiligung. Neben der Halbierung der Bauzeiten brauchen wir aber auch ein ganzes Bündel kurzfristiger Maßnahmen. Und genau dafür bilden wir die Beschleunigungskommission Schiene. Wir stellen große Weichen wie das digitale Netzmanagement, damit mehr Züge ins bestehende Netz passen, und wir stellen vermeintlich kleine Weichen mit allerdings weitreichender Wirkung, wie den Bau von Verbindungskurven, damit kein Zug mehr umständlich umdrehen muss, oder den Bau von Überholgleisen, damit unsere Züge nicht hintereinander Schlange stehen. Denn diese berühmt-berüchtigten Verzögerungen im Betriebsablauf, müssen doch endlich der Vergangenheit angehören. ({5}) Unterm Strich wollen wir vor allem mehr Flexibilität für mehr Kapazität. Dazu bauen wir auch die Deutsche Bahn um. Aus DB Netz und DB Station&Service bilden wir eine neue schlagkräftige Infrastruktursparte, und zwar strikt gemeinwohlorientiert mit der strikten Auflage: Gewinne aus dem Betrieb des Netzes müssen auch dort wieder investiert werden. Doch zu einem besseren Netz gehört noch mehr: eine stärkere Elektrifizierung – bis hin zu 75 Prozent Abdeckung bis 2030 – oder die Schienenanbindung neuer Gewerbegebiete, die endlich wieder Standard werden muss. ({6}) Und noch etwas ist uns wichtig: Wo es um die Wirtschaftlichkeit neuer Strecken geht, muss der Klimaschutzfaktor deutlich mehr zählen. Die Menschen zum Beispiel bei mir im Wahlkreis, in Dannstadt, in Mutterstadt, in der Gartenstadt oder in Neuhofen, warten sehnlichst auf ihre neuen Stadtbahnen. Und währenddessen prüft die öffentliche Hand die Wirtschaftlichkeit und prüft und prüft und prüft. Dabei ist uns doch allen klar: Nichts macht den Verkehr und unsere Freiheit in Energiefragen so zukunftsfest wie neue Antriebe und schnelle Schienenwege. ({7}) Dafür nehmen wir jetzt Fahrt auf; denn nach zwölf Jahren Verkehrsministern von der CSU gibt es viel zu tun. Packen wir’s an! Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für diese Debatte ist es jetzt die letzte der ersten Reden, und sie kommt von Swantje Michaelsen von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Swantje Henrike Michaelsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005152, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit ihren Anträgen zeigt die Union einmal mehr, warum wir da stehen, wo wir stehen. Mit der Union gibt es keine Verkehrswende. Denn mit ihrer verfehlten Energie- und Verkehrspolitik der letzten Jahre hat die Union einen Scherbenhaufen hinterlassen. Diese Politik hat die Menschen abhängig gemacht von spritintensiven Autos. ({0}) Jetzt stellen Sie, nachdem Sie zwölf Jahre lang das Verkehrsministerium geführt haben, einen Antrag zur Transformation der Automobilindustrie. ({1}) Und ja, diese Transformation ist bitter nötig. Just Anfang dieser Woche hat das Umweltbundesamt festgestellt, dass das Klimaziel im Verkehrssektor in 2021 deutlich verfehlt wurde. ({2}) Das Klimaschutzgesetz verpflichtet uns schon jetzt, die Emissionen im Verkehrssektor auf 85 Millionen Tonnen in 2030 zu reduzieren. Das ist eine riesige Herausforderung insbesondere für den Pkw-Bereich, aus dem 60 Prozent der Emissionen im Verkehr stammen. ({3}) Weil die Transformation der Automobilindustrie nun zwölf Jahre lang gebremst und verschleppt wurde, müssen wir umso zielgerichteter die richtigen Instrumente einsetzen. ({4}) Wir haben nun keine Zeit mehr für Unionswünsche à la Flugtaxis oder Wasserstoffautos für alle. ({5}) Die Ergebnisse der Wissenschaft sind nämlich eindeutig; das hat im letzten Jahr der vom Bund geförderte Ariadne-Report noch einmal sehr deutlich gezeigt. Im Verkehrssektor sind die Klimaziele 2030 überhaupt nur dann zu erreichen, wenn wir im Pkw-Bereich massiv auf vollelektrische Antriebe setzen. ({6}) Die Automobilindustrie hat verstanden, dass es ohne Klimaneutralität nicht mehr geht, und das Festhalten am Verbrenner ist nur noch eine Außenseiterposition. Die anderen Kraftstoffe brauchen wir ebenfalls dringend, aber doch nicht für Privat-Pkw, sondern überall da, wo wir mit Elektro nicht weiterkommen. ({7}) Das hat die Automobilindustrie im Gegensatz zu Ihnen längst erkannt. Den Rahmen für die nächsten Jahre haben wir im Koalitionsvertrag eindeutig definiert. Wir wollen auf den 1,5‑Grad-Pfad kommen, so wie wir es bereits 2015 im Pariser Klimaschutzabkommen unterschrieben haben. Wir wissen aber auch: Mit der Antriebswende allein werden wir die Klimaschutzziele im Verkehr nicht erreichen. ({8}) Deshalb ist es so dringend erforderlich, dass wir jetzt die Weichen neu stellen, dass wir jetzt investieren in nachhaltige Alternativen. Dabei darf eben nicht länger nur das Auto im Mittelpunkt stehen, so wie es bei der Union der Fall war, sondern die Mobilität für Menschen. ({9}) Deshalb werden wir die Alternativen zum Auto ausbauen. Wir werden investieren in die Bahn und in einen besseren ÖPNV, der die Menschen da abholt und hinbringt, wo sie es brauchen. ({10}) Wir werden in die Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr investieren. Denn wenn es nur eine Bundesstraße und keinen Radweg gibt, fahren die Menschen nicht mit dem Rad ins nächste Dorf. ({11}) Und wenn das Dorf keinen Fußweg hat, ist selbst die Nachbarin nur schwer zu Fuß erreichbar. ({12}) Zu oft aber werden die Kommunen von den Bundesgesetzen ausgebremst, wenn sie ihre öffentlichen Räume neu gestalten wollen. ({13}) Deshalb werden wir – und das sieht der Koalitionsvertrag ausdrücklich vor – das Straßenverkehrsgesetz reformieren. ({14}) Wir werden Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung als neue Ziele im Straßenverkehrsgesetz verankern. Und wir werden damit den Kommunen mehr Freiheit einräumen für die Gestaltung vor Ort, damit wir endlich nicht mehr nur Verkehr produzieren, sondern alle Menschen mobil machen. ({15}) Was für ein Glück für die Menschen und die Mobilität in diesem Land, dass diese Anträge von einer Oppositionsfraktion stammen. Wir werden sie ablehnen. Vielen Dank. ({16})

Mathias Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, genau. Das wird aber nicht freundlich, Herr Kollege Schreiner. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Über die letzten vier Jahre habe ich als zuständiger Berichterstatter in dem Bereich „Schnelle Planung und Genehmigung von Verkehrsprojekten“ für meine Fraktion gearbeitet. ({0}) Wir haben mit der Union vier Gesetze verabschiedet. Wir haben diverse Vorschläge mit Ihnen diskutiert und auch für Beschleunigung gesorgt. Aber mit dem Blick auf Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, scheint es mir so zu sein, dass Sie einiges davon vergessen haben; denn Sie fordern Dinge, die bereits umgesetzt sind. Sie verlangen Maßnahmen, die wir zwar diskutiert, aber aus gutem Grund verworfen haben. Sie machen Vorschläge, die, wenn man sie zu Ende denkt, nicht rechtssicher umgesetzt werden können. Und vor allem scheinen Sie von unserem Wunschzettel abgeschrieben zu haben: Best-Practice-Beispiele, Leitfäden für Verwaltungen, eine Kompetenzstelle Bürgerbeteiligung, kräftig mehr Personal und finanzielle Ausstattung für Behörden, einheitliche Kompensationsregelungen für Betroffene. ({1}) All dies sind sinnvolle Maßnahmen. ({2}) Aber: In den letzten vier Jahren haben Sie genau diese Maßnahmen – durch Ihr Ministerium mit Andreas Scheuer an der Spitze – immer wieder blockiert. ({3}) Wir brauchen weder Ihre Tipps noch Ihre Anträge, werte Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Wir Sozialdemokraten packen gemeinsam mit den Ampelparteien in dieser Regierung das Thema Planungsbeschleunigung an. ({5}) Wir tun das mit Respekt vor all denjenigen, ({6}) die planen, die bauen, die überwachen, die genehmigen. Und – was die Union immer noch nicht verstanden hat –: Diesen Menschen müssen wir den Rücken stärken. ({7}) Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem vorhandenes Wissen genutzt wird, in dem Ermessensspielräume bestmöglich genutzt werden. Hier hilft kein Dschungel an rechtlichen Regelungen. Wir brauchen pragmatische Lösungsansätze, ({8}) praxistaugliche Maßnahmen und vor allen Dingen Empathie für Betroffene, die dann unter Lärm leiden; denn das sind nicht nur Naturschutzfragen, die wir hier diskutieren, sondern es geht vor allen Dingen auch um Lärmschutz. ({9}) Nicht durch laute Reden und schlechte Anträge können wir eine nachhaltige Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen erreichen, sondern nur durch ein beherztes Anpacken. Und wir werden genau das mit einer sozialdemokratischen Fortschrittsregierung tun. Vielen Dank. ({10})

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über den Einsatz von bis zu 50 deutschen Soldatinnen und Soldaten in der VN-Mission UNMISS ab. Diese Mission ist mit fast 18 000 militärischen und zivilen Kräften die umfangreichste Mission der Vereinten Nationen weltweit. Am meisten Personal entsenden Ruanda, Indien, Nepal, Bangladesch und Äthiopien. Seit Beginn des VN-Mandats im Jahr 2011 sind 103 Entsandte im Einsatz gefallen. Ihrer gedenken wir. Aus Deutschland sind in der Regel circa ein Dutzend Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Für Deutschland ist es also eher einer der kleineren, wenn nicht der kleinste Einsatz im Rahmen der VN. Die Bundeswehr entsendet Expertinnen und Experten zur Wahrnehmung von diversen Aufgaben im Bereich Beratung, Beobachtung, Unterstützung. Sie tragen auch dazu bei, dass das Friedensabkommen von 2018 umgesetzt werden kann. Und seit Beginn der Pandemie tun sie dies unter nochmals erschwerten Bedingungen. Sie tun dies aber vor allem in einem sicherheitspolitisch extrem angespannten Umfeld. Erst Ende Februar wurde zum Beispiel ein Hilfskonvoi der VN von Unbekannten attackiert. Den vielen Menschen, die aus der ganzen Welt in diesem Einsatz dienen, und insbesondere den deutschen Soldatinnen und Soldaten und den zivilen Kräften vor Ort gilt unser Dank. ({0}) Die Lage im Südsudan ist auch zwei Jahre nach der Bildung einer neuen Übergangsregierung extrem angespannt. Wesentliche Herausforderungen, die man durch die Vereinbarung im Friedensabkommen gemeinsam meistern wollte, werden nach wie vor von konkurrierenden Teilen innerhalb der Übergangsregierung nicht wesentlich vorangetrieben: Die Integration der Streitkräfte läuft schleppend. Die Arbeit im neueröffneten Parlament ist noch nicht richtig auf die Schiene gekommen. Und auch bei der vereinbarten Übergangsjustiz hakt es. – Große Fortschritte sind nicht in Sicht, und auch die im nächsten Jahr geplanten Wahlen sind noch nicht gut vorbereitet. Die Gewalt im Land dauert an. Der Friedensvertrag hat noch nicht die politische Einigkeit gebracht, die das Land braucht. Umso wichtiger ist es, dass internationale Kräfte darum bemüht sind, vor Ort für das Wesentliche zu sorgen: Schutz der Zivilbevölkerung, eine Absicherung der dringend benötigten humanitären Hilfe, die Überwachung der Menschenrechte und die Unterstützung bei der Umsetzung des Friedensprozesses. Insbesondere bei der Prävention und Bekämpfung von sexualisierter und genderbasierter Gewalt spielt die VN-Mission eine wichtige Rolle. Wir haben diesem Einsatz als Grüne in der Vergangenheit auch aus der Opposition immer zugestimmt, weil der Beitrag Deutschlands in diesem schwierigen Umfeld von besonderer Bedeutung ist. Dieser Beitrag beinhaltet das Mandat der Bundeswehr – und darüber stimmen wir ja heute ab –, aber auch die Hilfe, die Deutschland dem Land darüber hinaus zukommen lässt. ({1}) Sicherheit und Frieden, Entwicklung und Menschenrechte – das gehört zusammen. Und entsprechend breit muss auch der deutsche Beitrag in der Welt und eben auch im Südsudan sein. Die Geschichte des Unfriedens im Südsudan ist eine Geschichte, die auch eng mit der europäischen Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents verknüpft ist. Die gewaltvollen Auseinandersetzungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben tiefe Narben bei dieser jungen Gesellschaft im jüngsten Staat der Welt hinterlassen, die sich durch militärische Beratung allein nicht heilen lassen. Hinzu kommen Herausforderungen wie die Klimakrise, die schon heute neue Ressourcenknappheiten schafft, was wiederum Konflikte verschärft oder sogar neue entfacht. Der Südsudan ist wie kaum eine andere Gesellschaft von der Dauerhaftigkeit der Gewalt geprägt. Das macht was mit dem Land. Das macht was mit den Menschen, die darin leben. Das macht auch was mit dem Boden, auf dem sie leben, der, wie im Falle des Südsudans, in vielen Gebieten durchsetzt ist von Landminen und deswegen an diesen Stellen gar nicht beackert wird, an anderen Stellen nicht dauerhaft oder ausgiebig, weil alles, was man nicht selbst nutzt, Gefahr läuft, doch geraubt zu werden. Aus dieser Kriegsgesellschaft herauszuwachsen, das kann nicht von einem Tag auf den anderen gelingen. Deswegen ist es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft und auch wir als Bundesrepublik ausdauernd bleiben in unserem Engagement: ({2}) militärisch, humanitär, zivil und politisch. Die Ernteausfälle der letzten Monate haben eine dramatische Ernährungssituation mit sich gebracht. Sollte durch den Krieg in der Ukraine der Preisdruck auf Getreide weiter steigen, sind es Länder wie der Südsudan, die vermehrt auf Unterstützung angewiesen sein werden. Gerade im Südsudan gilt: Jeder kleine Schritt ist ein wichtiger Schritt, seien es die Errichtung von Safe Houses für Frauen oder die Konfliktbeilegung in Dörfern, die zu einer akuten Verbesserung der Lebenssituation der Menschen beitragen können. All das braucht internationale Präsenz, und ja, auch die der deutschen Streitkräfte. In den letzten zwei Wochen, liebe Damen und Herren, ist viel Dynamik in die Frage gekommen: Wozu Streitkräfte? Es wurde auch die Sorge formuliert, Deutschland könnte sich nun so sehr der Landes- und Bündnisverteidigung widmen, dass wenig Kapazitäten blieben, um sich weiter in wichtigen Missionen wie der im Südsudan zu engagieren. Ich möchte der Staatssekretärin Möller herzlich danken, dass sie stellvertretend für die Ministerin in dieser Woche im Verteidigungsausschuss klargemacht hat, dass diese Sorge unberechtigt ist. Deutschland bleibt den VN‑Einsätzen treu. ({3}) Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird diesem Einsatz zustimmen, und ich bitte Sie alle darum, das auch zu tun. Die Menschen im Südsudan haben verdient, dass wir dranbleiben. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Jürgen Hardt das Wort. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland war eines der ersten Länder, das vor elf Jahren den Südsudan als jüngstes Mitglied der Völkergemeinschaft als Staat anerkannt hat. Wir haben das hier damals im Bundestag mit großen Erwartungen und Hoffnung verbunden. Wir müssen nun feststellen, dass sich vieles von dem, was wir uns vorgestellt haben, was diese junge Nation in den zurückliegenden Jahren an Entwicklung hätte nehmen können, nicht erfüllt hat. Die Konflikte und Kämpfe unter den rivalisierenden Gruppen, eben auch durch Waffengewalt und Kriminalität, sind leider enorm. Dennoch möchte ich an dieser Stelle sagen: Ohne die Unterstützung von UNMISS, ohne die viele wirtschaftliche und zivile Unterstützung aus der Welt und letztlich auch ohne die Unterstützung durch die Soldatinnen und Soldaten wäre die Situation in dem Land garantiert noch deutlich schlimmer. Südsudan hat auch in den letzten Jahren einige schwere Schläge erleiden müssen. Es gab Dürrephasen, es gab Heuschreckenplagen, und wir haben in der Region und im Staat Südsudan natürlich Corona und damit verbunden große Probleme mit der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Deswegen ist es gut, dass wir das Mandat fortsetzen, und die CDU/CSU-Fraktion wird heute der Verlängerung des Mandates selbstverständlich zustimmen. ({0}) Wie meine werte Vorrednerin mache auch ich mir große Sorgen um die Frage, wie sich der Überfall Russlands auf die Ukraine auf die Welternährungssituation auswirkt. Wir Deutsche und Europäer werden im Zweifel für Getreideprodukte mehr Geld ausgeben müssen; das werden wir uns im Zweifel auch leisten können. Aber Staaten wie Südsudan, in denen zwei Drittel der Bevölkerung auf regelmäßige Hilfe angewiesen sind, werden darunter natürlich schwer zu leiden haben. Jetzt beginnt eigentlich das landwirtschaftliche Frühjahr, wo die Felder endlich nicht mehr von Schnee bedeckt sind und man an die Aussaat gehen kann. Die Ukraine ist seit Jahrhunderten die Kornkammer Europas, und sie muss es auch bleiben. Das Welternährungsprogramm – David Beasley war ja vor einigen Wochen hier bei uns in Berlin – kauft einen großen Teil des Getreides, das es verwendet, um es Menschen in Flüchtlingslagern oder in Regionen, wo Hunger und Armut herrschen, zu geben, eben in der Ukraine ein. Hier wird man entsprechende Wege finden müssen, das zu kompensieren. Im Zweifel werden wir, Deutschland, mehr Geld an das Welternährungsprogramm zahlen müssen, um das – hierbei geht es in erster Linie um Weizen, aber auch um Mais und natürlich Speiseöl und andere agrarische Produkte – entsprechend zu kompensieren. Ich möchte zum Schluss, in der letzten Minute noch einen Aspekt nennen, auf den wir, wie ich finde, den Scheinwerfer lenken müssen. Ich bin vor drei Jahren in Juba gewesen und habe dort mit den UN-Soldaten und -Soldatinnen und auch mit unseren Leuten gesprochen. Es gibt dort ein großes chinesisches Camp mit 1 000 Chinesen. Was die da so machen und wie sie mit anderen zusammenarbeiten, ist ein Stück weit eine Blackbox. Ich glaube auch, dass russische Unterstützer in der Region vielleicht nebenbei doch noch das eine oder andere im Schilde führen; so muss man bei Russland vielleicht sagen. Darauf müssen wir verstärkt unser Augenmerk richten. Ich finde, dass wir bei unserer Zusammenarbeit mit den Ländern nicht nur die Unterstützung der Entwicklung in diesen Ländern in den Vordergrund stellen, sondern auch sorgfältig darauf gucken müssen, dass nicht andere mit ihren unfairen und unsauberen Methoden versuchen, Einfluss auf die Regierung zu nehmen. Wir erleben das in Mali. Wir werden sicherlich in wenigen Wochen hier diskutieren, dass Russland sich schlicht einkauft durch die Stellung von Söldnern und vielleicht auch durch die Finanzierung bestimmter – in Anführungsstrichen – „Regierungen“. Darauf müssen wir stärker achten. Ich glaube, dass wir auch im Südsudan im Hinblick auf Chinesen und Russen aufmerksam sein müssen. Herzlichen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion kommt jetzt in Ihrer ersten Rede hier im Haus zu Wort die Kollegin Bettina Lugk. ({0})

Bettina Lugk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005135, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf in meiner ersten Rede über ein Land reden, das für die Unabhängigkeit gekämpft hat, sich nach Frieden sehnt und dabei unsere Unterstützung braucht. Als Südsudan 2011 unabhängig wurde, haben die Menschen dies gefeiert. Fast 99 Prozent der südsudanesischen Bevölkerung hatten für die Abkopplung vom Norden gestimmt. ({0}) – Jetzt ist der Worst Case eingetreten. Ich habe eine Seite meiner Rede vergessen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt läuft auch die Redezeit weiter, und es geht in aller Ruhe weiter.

Bettina Lugk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005135, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für Ihr Verständnis, Frau Präsidentin. – 99 Prozent der südsudanesischen Bevölkerung hatten für die Abkopplung vom Norden gestimmt. Nur fünf Tage nach dieser Unabhängigkeitserklärung wurde das jüngste Land der Welt das 193. Mitglied der Vereinten Nationen – ein historischer Moment. Doch dieser Jubel ist sehr schnell verflogen; denn bis heute ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Krieg und Gewalt kennzeichnen den längsten Teil der noch jungen und kurzen Geschichte dieser Republik. Insgesamt 2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben worden, und sogar 2,3 Millionen südsudanesische Flüchtlinge leben in den Nachbarländern. Das ist die größte Flüchtlingskrise innerhalb Afrikas. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Südsudan steht auf Platz fünf der vom International Rescue Committee im Dezember veröffentlichten Liste der schlimmsten humanitären Krisen 2022. Und die Lage hat sich weiter verschärft. Zum einen sind da die Auswirkungen der Coronapandemie zu nennen, zum anderen die verheerenden Überschwemmungen, die Häuser, Vieh und Ernten mitgerissen haben. Die Ernährungsunsicherheit hat den schlimmsten Stand seit der Unabhängigkeit erreicht. Mahlzeiten müssen übersprungen werden, viele haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und ärztliche Behandlungen gibt es nur im Extremfall – und manchmal selbst dann nicht. Dieses Land bleibt also auf intensive internationale Unterstützung angewiesen, auch um eine noch schlimmere Krise zu vermeiden. Unsere Mission zielt darauf ab, die notleidende Bevölkerung zu schützen, humanitäre Hilfe abzusichern, den Friedensprozess zu unterstützen und, wie schon erwähnt, die Wahlen im nächsten Jahr vorzubereiten. ({0}) Wir beteiligen uns seit 2011 an diesem Einsatz. Aktuell sind zwölf Soldatinnen und Soldaten im Land vertreten, vier davon im Hauptquartier in Juba eingesetzt, acht an verschiedenen Standorten im Land. Die Truppenobergrenze soll weiterhin bei 50 Soldatinnen und Soldaten liegen. Damit ist das eine unserer kleineren Missionen. Aber unsere bestens ausgebildeten deutschen Militärbeobachterinnen und Militärbeobachter tragen gemeinsam mit den internationalen Partnern ganz wesentlich zum Lagebild von UNMISS bei. ({1}) Der deutsche Beitrag erhält vor Ort, aber auch international hohe Anerkennung; denn wir tragen zur Erfüllung von vier Aufgaben bei: Wir übernehmen Führungsaufgaben, Verbindungsaufgaben, Beratungsaufgaben und Beobachtungsaufgaben. Und: Die Bundeswehr kann in Fragen technischer Ausrüstung und bei der Ausbildung truppenstellender Nationen unterstützend tätig werden. Auch dies ist ein Aspekt, der für die Stabilisierung im Land unabdingbar ist. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte hiermit allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch den humanitären Helferinnen und Helfern für ihren Einsatz für die Menschen vor Ort danken. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Stabilisierung und zur friedlichen Weiterentwicklung des Südsudans beizutragen und dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat Gerold Otten das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf die humanitäre Katastrophe im Südsudan wurde schon mehrfach hingewiesen. Wirkliche Fortschritte im Land gibt es nicht. Immerhin wird es als Erfolg gewertet, dass es im vergangenen Jahr zu keinem erneuten Ausbruch von größeren Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien gekommen ist. Mir persönlich ist das allerdings deutlich zu wenig; denn die augenblickliche Neusortierung der Milizen im Südsudan lässt nichts Gutes für die friedliche Zukunft erahnen. Im Gegenteil: Ich fürchte, der Frieden hält nur so lange, wie Schurken wie Salva Kiir, Riek Machar und das ganze Heer von regionalen Milizenführern weiter davon profitieren können. Diese haben die ethnischen Spannungen befeuert und ausgenutzt. Sie haben das rohstoffreiche Land zu ihrem eigenen Zweck ausgeplündert, aber auch für ihre bewaffnete Gefolgschaft, auf deren Loyalität sie angewiesen sind. Hoffnung ruht nun auf der Umsetzung des bereits 2018 beschlossenen revitalisierten Friedensabkommens. Mit ihm steht oder fällt die friedliche Zukunft des Landes. Bei einem realpolitischen Blick auf die Situation und die Lage im Südsudan muss man aber konstatieren, dass das Abkommen leider keine Zukunft hat. Glaubt denn wirklich jemand, dass die Warlords im Südsudan auf ihre wichtigste Machtquelle, nämlich ihre Gefolgsleute, verzichten werden oder dass sich diese Banden gerne in die Streitkräfte oder in die Polizei eingliedern lassen? Und selbst wenn: Ist es nicht geradezu naiv, zu glauben, dass diese ehemaligen Kämpfer schlagartig zu guten Soldaten oder hilfsbereiten Polizisten mutieren? Das sind nämlich dieselben Verbrecher, die über Jahre raubend, mordend und vergewaltigend die Bevölkerung im Land terrorisiert haben. Glaubt die UN wirklich, dass die Anführer der Milizen an der Aufstellung von unabhängigen Gerichten ein Interesse haben, an Gerichten also, die später ihre Taten untersuchen und Urteile fällen sollen? Glaubt man wirklich, die gegenwärtigen Machthaber werden ihre Macht im Zuge demokratischer Wahlen aufgeben? Diese Kriminellen wissen doch genau, dass sie keine Mehrheit haben. Da geschieht auch nichts zur Vorbereitung von Wahlen. Deshalb wurden sie kürzlich auch verschoben und das sicherlich nicht zum letzten Mal. Meine Damen und Herren, ich möchte in dem Zusammenhang auf die Aussage von Stefano Temporin, dem Landesdirektor der Welthungerhilfe im Südsudan, hinweisen. In einem Interview beklagt er den fehlenden politischen Willen zur Durchsetzung des revitalisierten Friedensabkommens. Er sagt, es werde sich nichts bessern, bis – Zitat – „etwas Drastisches geschieht und die beiden wichtigsten Führungspersonen im Staat ihr Amt abgeben“. Aber ein freiwilliger Rücktritt von Kiir oder Machar ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Kiir hat schon angekündigt, dass sein Rücktritt blutig werden würde. Meine Damen und Herren, wenn wir von der Alternative in dieser Debatte von deutschen Interessen sprechen, entgegnen wir damit Ihrem entgrenzten Verantwortungsbegriff, der sich auch wieder bei diesem Mandat zeigt. Er belastet nämlich uns mit einer Verantwortung, die zuallererst bei der politischen Führung des Südsudan liegt. Ändert sich hier nicht grundlegend etwas, werden wir auf Jahre ohne Lösungsansatz vor denselben Problemen stehen. ({0}) Wir sollten uns daher nicht von den Möglichkeiten von UNMISS, des revitalisierten Friedensabkommens oder des vernetzten Ansatzes täuschen lassen. Im Endeffekt dient UNMISS dazu, die Bevölkerung des Südsudan vor ihren Machthabern zu schützen. Die Existenz dieser Mission erinnert diese daran, dass die Welt ihnen auf die Finger schaut. Ebenfalls bietet UNMISS einen relativ guten Schutz für die Arbeit der Hilfsorganisationen im Land, und sie zeigt den Einwohnern, dass der Südsudan eine bessere Zukunft haben kann – das aber nur, wenn die gegenwärtigen Machthaber weg sind und wenn die Zerrissenheit der Gesellschaft endlich ein Ende findet. Solange das aber nicht geschieht, wird der Südsudan in einem Teufelskreis aus Gewalt, Armut und Hunger gefangen bleiben. UNMISS kann dazu beitragen, den Menschen im Südsudan eine Zukunft in ihrer Heimat zu bieten und ihnen Wege aus diesem Teufelskreis zu zeigen. Daher stimmen wir dem Mandat zu. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lars Friedrich Lindemann ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion mit seiner ersten Rede hier im Haus. ({0})

Lars Lindemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004095, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, vielen Dank. Das ist nicht meine erste Rede in diesem Parlament. Ich habe schon von Ihrem Vorgänger, Herrn Professor Lammert, einmal einen 30-prozentigen Zuschlag bekommen. Ich glaube, der gilt jetzt fort. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, nein, nein, nein, nein. Dann müssen Sie sich jetzt bitte an Ihren freundlichen PGF wenden, der nämlich hier gemeldet hat, es sei Ihre erste Rede.

Lars Lindemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004095, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, das ist sehr lieb. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das ist vor allen Dingen von ihm sehr lieb.

Lars Lindemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004095, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich versuche trotzdem, in fünf Minuten fertig zu werden. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir richten heute gemeinsam den Blick auf die Republik Südsudan und die von uns zu beschließende – und meine Fraktion meint: notwendige – Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der UNMISS-Friedensmission der Vereinten Nationen für ein weiteres Jahr im Südsudan. Wir übernehmen mit der erneuten Verlängerung des Mandats gemeinsam als Parlament – und für uns dann die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor Ort – Mitverantwortung im Rahmen einer UN-Mission für ein Land, das noch ganz am Anfang steht. Zunächst möchte ich aber den bis heute getanen Dienst unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort, in einem der schwierigsten Gebiete der Welt, in den Blick rücken und ihnen im Namen unseres Hauses Danke sagen. Danke für Ihren Dienst! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Südsudan ist noch immer mit dem Aufbau seiner staatlichen Organe und Strukturen beschäftigt und dabei – so muss man wohl sagen – immer noch nicht so erfolgreich, wie wir uns das alle wünschen. Die Eingliederung der ehemaligen Konfliktparteien eines langen und blutigen Bürgerkrieges in die Zivilgesellschaft und deren Beteiligung an den neuen staatlichen Strukturen müssen organisiert und stabilisierend begleitet werden. Dieser Prozess, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ohne internationale Unterstützung nicht möglich. ({1}) Ohne die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft würde das Land mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder zu einem Failed State verfallen. Das können wir alle miteinander nicht wollen. ({2}) Der Alltag im Südsudan ist nach wie vor geprägt von immer wieder aufflammenden Konflikten, einer katastrophalen Versorgungslage der Zivilbevölkerung und eben auch von Gewalt. Fast zwei Drittel der 12,9 Millionen Einwohner sind direkt auf unmittelbare humanitäre Hilfe angewiesen und eben auch dringend auf Schutz vor Angriffen und Übergriffen. Diese Hilfe, die wir und andere Staaten und Organisationen leisten, muss – so sieht es das Mandat vor – auch militärisch abgesichert werden. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Südsudan braucht den Blick nach vorn. Die im Rahmen des Friedensabkommens von Addis Abeba 2018 unter Beteiligung fast aller vormals verfeindeten Konfliktparteien gebildete Übergangsregierung ist – und dies ist für uns ein wichtiges Etappenziel – mit der Vorbereitung von demokratischen Wahlen beauftragt, welche für 2023 avisiert sind. Ob dieser Termin eingehalten werden kann, ist noch unklar. UNMISS übernimmt mit Blick auf diese angestrebten Wahlen eine unersetzliche Rolle im Prozess des Nation-Building. Dieser Prozess, der den Schlüssel für eine sichere und stabile Zukunft des Südsudan darstellt, wird seit seinem Beginn von der UN-Friedensmission maßgeblich begleitet, unterstützt und auch militärisch abgesichert. Der deutsche militärische Beitrag besteht dabei im Einsatz von Einzelpersonal in den Führungsstäben der Mission sowie in der Stellung von Beratungs-, Verbindungs- und Beobachtungsoffizieren, die im gesamten Land tätig sind. Das Mandat, über das wir heute abstimmen, ist gegenüber dem laufenden Mandat mit Blick auf die einzusetzenden Kräfte und Fähigkeiten unverändert. Deutschland beteiligt sich momentan an der über 15 000 Männer und Frauen umfassenden UN-Friedensmission mit 11 Soldaten; die Mandatsobergrenze bleibt bei 50 Soldaten. Trotz ihrer geringen Zahl tragen die bestens ausgebildeten deutschen Militärbeobachter gemeinsam mit den polizeilichen und zivilen Akteuren wesentlich zu einem klaren Lagebild für UNMISS im Südsudan bei. Auch wir als Deutschland brauchen ein solches Lagebild, um weitere humanitäre Unterstützung für das Land überhaupt wirksam leisten zu können. Fast zwei Drittel der 12,9 Millionen Einwohner sind auf diese direkten Hilfen angewiesen. Gegen die größte Hungersnot seit der Unabhängigkeit des Südsudan hat Deutschland im Jahr 2021 ungefähr 88 Millionen Euro ausgegeben, und es bedarf weiterer Hilfen. Mit der Verlängerung des Mandats leisten wir einen Beitrag dafür, dass diese Mittel auch dafür eingesetzt werden, wofür sie gedacht sind. Das Mandat folgt dem vernetzten Ansatz der Bundesregierung und wird, wie alle anderen Mandate auch, evaluiert werden. Ich werbe darum um Ihre Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Die Linke spricht jetzt Sevim Dağdelen. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr zehn Jahren sind einige wenige Bundeswehrangehörige im Südsudan im Rahmen von UNMISS stationiert. Die politische Lage in dem Land ist allerdings weiterhin katastrophal. Von 12 Millionen Einwohnern sind über 8 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der Publizist Michael Lüders hatte die Wurzeln des mörderischen Konflikts im Südsudan mit einem ethnisierten Verteilungskampf um Ressourcen treffend beschrieben – ich zitiere –: Die Abspaltung des Südsudan von 2011 … ist das Ergebnis amerikanischer und europäischer Politik. Der Grund sind die reichhaltigen Erdölvorkommen im Südsudan, wo 70 Prozent der Ressourcen liegen. Um den chinesischen Einfluss – wir haben es heute noch einmal gehört – in der Region zu schwächen, hatte man voll auf eine Abspaltung des Südsudan gesetzt. Alle Warnungen, dass dies zu blutigen Auseinandersetzungen innerhalb des neuen Staates führen würde, wurden damals in den Wind geschlagen. Die angerichtete Misere kann die UN-Mission nicht heilen; im Gegenteil führt der Einsatz in Teilen sogar dazu, dass die beiden Kontrahenten jetzt besser ausgebildet ihren mörderischen Bürgerkrieg fortführen können und eine politische Lösung nochmals erschwert wird. Den Bundeswehreinsatz von wenigen, mit Pistolen bewaffneten Soldaten als Ausweis einer internationalen Verantwortung hochzustilisieren, wie dies hier immer wieder geschieht, um diese zweifelhafte Mission zu legitimieren, trägt jedoch in keiner Weise. Der Kolonialismus wurde gerade schon angesprochen. Es scheint den ehemaligen Kolonialmächten in Afrika und den USA, die mit sieben Soldaten vor Ort präsent sind, mit der Beteiligung an diesem Einsatz allein um eine militärische Symbolpolitik in der Region zu gehen. Ich finde, das ist nicht die Aufgabe der Bundeswehr. ({0}) Viele Hilfsorganisationen sagen zudem vor Ort immer wieder: Wir können da am besten arbeiten, wo das Militär am weitesten weg ist. – Das sollte mal zur Kenntnis genommen werden. Wenn die Bundesregierung also wirklich, wie so oft beschworen, international Verantwortung übernehmen wollte, müsste sie gerade jetzt allen voran auf eine internationale Konferenz zur Bekämpfung des Hungers dringen. Die Situation verschärft sich jetzt gerade auch infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine noch einmal dramatisch; das haben wir auch im Ausschuss gehört. Wenn man aber fragt, was jetzt geplant ist, ist nichts Konkretes zu hören. Das UN-Welternährungsprogramm schätzt in einer aktuellen Studie, dass Exporte von rund 13,5 Millionen Tonnen Weizen aus beiden Staaten nicht möglich sein und damit fehlen werden. Dies wird natürlich verheerende Folgen haben, gerade in den Staaten Afrikas, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Deshalb unser Appell an die Bundesregierung: Sorgen Sie sich doch lieber um die Bekämpfung des Hungers. Leisten Sie humanitäre Hilfe, aber lassen Sie die Finger von einer von sich aus als gefährlich eingestuften und zudem kostspieligen militärischen Symbolpolitik. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Katja Leikert spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis auf die stark abweichende Sicht der Linken zu diesem Mandat sind wir uns ja in diesem Hohen Hause darüber einig, ({0}) dass wir sowohl aus humanitären Gründen als auch aus sicherheitspolitischer Vernunft eine Verlängerung unserer Beteiligung an der UN-Mission in der Republik Südsudan brauchen. ({1}) Insofern empfiehlt auch die CDU/CSU-Fraktion die Verlängerung des Einsatzes. Wir bedanken uns bei unseren tapferen Soldaten, die vor Ort im Einsatz sind. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren die Mandatsverlängerung heute aber unter veränderten Vorzeichen. Wir alle sind dazu aufgefordert, die Rolle Russlands in Afrika neu zu bewerten. Was bedeutet der russische Einmarsch in die Ukraine für die Lage im Südsudan, am Horn von Afrika und für den gesamten afrikanischen Kontinent? Denn eins ist sicher: Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, weder hier in Deutschland noch in Europa und auch nicht in Ostafrika. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten. Wir müssen davon ausgehen, dass Russland versuchen wird, seinen Einfluss in dieser Region auszuweiten. Es sind heute schon russische Truppen, oft unter dem Deckmantel der „Gruppe Wagner“, in mehr als 20 afrikanischen Staaten aktiv. Sie haben keine Skrupel, dort mit Autokraten oder Warlords zusammenzuarbeiten, und auch deshalb sind sie dort gern gesehene Gäste. Diesen Einfluss nutzt Russland nicht nur für primitive Selbstbereicherung, wie zum Beispiel die Ausbeutung von Bodenschätzen. Russland nutzt seinen Einfluss eben auch, um unsere Mission vor Ort, wie zum Beispiel die im Südsudan, zu untergraben. Dem müssen wir uns ganz bewusst entgegenstellen. ({3}) In Anbetracht dieser veränderten Lage ist es richtig, dass wir im Südsudan weiterhin aktiv sind. Aber es kann nicht einfach heißen: Weiter so wie gehabt. – Ich rufe die Regierung deshalb dazu auf, gemeinsam mit unseren Partnern schnellstmöglich zwei Dinge zu tun – wir haben das bereits im Ausschuss besprochen –: Erstens. Wir brauchen eine präzise Analyse der neuen Gefahrenlage im Südsudan und am Horn von Afrika. Zweitens. Wir brauchen auf der Basis dieser Analyse schnelle Absprachen mit unseren Partnern, um dann auch klug und entschlossen zu reagieren und, wo nötig, Änderungen an unseren Strategien und der Ausstattung vor Ort vorzunehmen. Wenn wir so vorgehen, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir mit unserer Beteiligung weiterhin einen guten und wichtigen Beitrag zur Zukunft des Südsudan und der Stabilität in der Region leisten. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Dirk Vöpel. ({0})

Dirk Vöpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004433, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen und Wochen mussten wir uns leider sehr intensiv mit der humanitären Katastrophe in der Ukraine auseinandersetzen, einer humanitären Katastrophe, die durch den unfassbaren Angriffskrieg Putins entstanden ist, einer humanitären Katastrophe, die sich von Minute zu Minute dramatisch verschärft. Es fällt schwer, heute über andere humanitäre Katastrophen zu reden. Aber auch wenn es schwerfällt, sind sie dennoch da, so im Südsudan. Im jüngsten Land der Welt tobt seit vielen Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Trotz der Friedensabkommen von 2015 und 2018 flammt die Gewalt immer wieder auf. Diese Gewalt, Dürren und Überschwemmungen haben zu einer katastrophalen Ernährungssituation geführt. Von den 12 Millionen Menschen im Südsudan sind mehr als 8 Millionen auf überlebenswichtige Hilfe angewiesen. Auch um diese Hilfe zu ermöglichen und sicherzustellen, wurde vom UN-Sicherheitsrat die Mission der Vereinten Nationen in der Republik Südsudan, UNMISS, eingerichtet. Seit der Staatsgründung 2011 wurde dieses Mandat jährlich verlängert, zuletzt mit der Resolution 2625 (2022) vor gerade mal drei Tagen. Unter Berufung auf Kapitel VII der Charta hat der VN-Sicherheitsrat UNMISS ermächtigt, erstens die Zivilbevölkerung zu schützen, zweitens förderliche Bedingungen für die Bereitstellung humanitärer Hilfe zu schaffen, drittens bei der Umsetzung des Friedensabkommens und des Friedensprozesses zu unterstützen sowie viertens die Menschenrechtslage zu beobachten und zu untersuchen. Die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorgegebene Mandatsobergrenze liegt bei 17 000 Soldatinnen und Soldaten und bei 2 101 Polizistinnen und Polizisten. UNMISS ist es im letzten Jahr gelungen, die Patrouillentätigkeit auf bisherigem Niveau beizubehalten. Mit mehr temporären Basen in der Fläche kann mobiler und wahrnehmbarer auf Gewaltausbrüche reagiert und vor allem präventiv gehandelt werden. Militärische Kräfte werden zunehmend in entlegenen Gegenden eingesetzt. Mit einem integrierten zivil-militärischen Ansatz will man den Bedrohungen der Zivilbevölkerung und humanitären Notlagen begegnen, die Vertrauensbildung unterstützen und den Zugang für ziviles Personal der Vereinten Nationen und humanitärer Organisationen zur Bevölkerung gewährleisten. Ein Beispiel dafür ist der überlebenswichtige Beitrag, den UNMISS im Norden des Landes geleistet hat. Dort hat das Hochwasser im letzten Jahr die Menschen rund um die Stadt Bentiu sowie in dem dort eingerichteten Flüchtlingslager besonders hart getroffen. Nur durch die Unterstützung von Pioniereinheiten konnten Deiche errichtet werden. So gelang es, Transportwege für die Versorgung von mehr als 150 000 Menschen sicherzustellen. ({0}) – Das ist wirklich einen Applaus wert. Vielen Dank! – Fällt diese Unterstützung durch die Pioniere mit ihrem schweren Gerät weg, so droht auch hier in Erwartung der nächsten Regenzeit erneut verheerende Überflutung und in der Folge ein Zusammenbruch der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen, denen sich die Menschen im Südsudan und auch UNMISS gegenübersehen, sind vielschichtig und umfangreich. Der deutsche militärische Beitrag für UNMISS soll weiterhin darin bestehen, sich mit Einzelpersonal in den Führungsstäben der Mission sowie mit Beratungs-, Verbindungs- bzw. Beobachtungsoffizieren zu beteiligen. Trotz ihrer geringen Zahl tragen die im internationalen Vergleich bestens ausgebildeten und entsprechend wertgeschätzten deutschen Militärbeobachterinnen und Militärbeobachter gemeinsam mit polizeilichen und zivilen Akteuren wesentlich zum Lagebild von UNMISS bei. ({1}) Darüber hinaus kann deutsches Personal im Bedarfsfall die Ausbildung von Angehörigen der Vereinten Nationen im Hauptquartier der Mission temporär unterstützen. Ausschließlich Deutschland bietet eine Ausbildung für Stabspersonal vor Ort an. Sobald die Pandemie es zulässt, ist eine Fortsetzung geplant. Ich danke unseren zurzeit zwölf Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz. Bleiben Sie gesund, und kommen Sie heil zurück! ({2}) Die SPD-Fraktion wird der Verlängerung des UNMISS-Mandats zustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute zum wiederholten Male über das jüngste Land der Erde mit den größten Problemen, die man sich vorstellen kann – wir haben das in den Reden gehört –: Dürre und Überschwemmungen zugleich, Bürgerkrieg, Gewalt, sexualisierte Gewalt. Ich glaube – und das war ja auch überwiegend Tenor in den Reden heute –, dass es absolut richtig ist, dass wir als Deutschland im Rahmen dieser UN-Mission auch Verantwortung übernehmen. Der militärische Beitrag in dieser Mission ist in der Tat vergleichsweise gering – auch darauf ist eingegangen worden –; aber er ist wertvoll. Er ist wichtig, und er ist eben auch notwendig. Ich möchte deshalb, weil ich der letzte Redner bin und vieles auch schon gesagt worden ist, auf einen Aspekt noch mal näher eingehen, der nur am Rande angesprochen worden ist. Eine große deutsche Tageszeitung hat sich jüngst mit der Minenproblematik in diesem Land beschäftigt. Wir haben in den letzten 18 Jahren, seitdem dieser Konflikt läuft, über 1 400 Tote und über 3 800 Verletzte unmittelbar durch Minenunfälle. Wir haben die Situation, dass in den Schulen vor Ort Schulkinder Lieder lernen, in denen vor Minen gewarnt wird. Ich glaube, es muss unser aller Verantwortung sein, dass wir dafür sorgen, dass diese Kinder in den nächsten Jahren andere Lieder singen als Lieder, die sie vor Minen warnen. ({0}) Weil hier vorhin wieder von der rechten Seite im Parlament das Wort „Interessen“ genannt worden ist: In einem Land, das in seinem Grundgesetz Menschenrechte und Werte wie Würde als Staatsziele vorgibt, ist es auch im deutschen Interesse, dass wir diese nicht nur auf unserem Staatsgebiet, sondern auch weltweit einhalten. ({1}) Deshalb bin ich einmal mehr sprachlos über den Beitrag, der hier von der Linkenfraktion kam. Wir sind das ja gewohnt, dass Militäreinsätze grundsätzlich abgelehnt werden. Ich muss aber zum wiederholten Male meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass Sie nicht einmal bei UN-Missionen hier eine Differenzierung vornehmen. Die Vereinten Nationen sind dazu da, um genau solche Konflikte zu regeln, für die Einhaltung von Friedensverträgen zu sorgen und Konfliktparteien voneinander zu trennen. Das ist das höchste völkerrechtliche Gut, das wir haben. ({2}) Wir können froh sein, dass wir die Vereinten Nationen haben, die in der Lage sind, solche Konflikte zu lösen. Wir sehen gerade an anderer Stelle, wie bei den Vereinten Nationen versucht wird, diese internationale Organisation lahmzulegen, indem ein Aggressor seine Vetoposition ausnutzt. Wir können sehr froh sein, dass wir in dieser Situation die Vereinten Nationen haben, die solche Einsätze wie den im Südsudan gewährleisten können. Deshalb ist es für mich und für meine Fraktion auch vollkommen richtig, dass wir diesen Einsatz weiterhin unterstützen. ({3}) Wir bedanken uns sehr herzlich bei den Soldatinnen und Soldaten für ihren wichtigen Einsatz, auch bei den zivilen Helfern, und bitten herzlich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({4})

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ist eine historische Zäsur. Der Krieg fügt vielen Ukrainern schlimmstes Leid zu, kostet jeden Tag unschuldigen Menschen das Leben. Er zerstört Vertrauen und destabilisiert die internationale Ordnung. Diese Zäsur erfordert ein Umdenken, eine Neuausrichtung in vielen Politikbereichen, auch in der Wirtschafts- und Handelspolitik. Wir als Unionsfraktion sind bereit, uns dieser Mammutaufgabe zu stellen, und das Gleiche erwarten wir auch von den Regierungsfraktionen. ({0}) Die regelbasierte internationale Ordnung wird zunehmend von der Unordnung des Rechts des Stärkeren herausgefordert. Neue Handelskonflikte und ein wachsender wirtschaftlicher Nationalismus haben die internationalen Wirtschaftsbeziehungen bereits verändert. Die Coronapandemie hat viele Volkswirtschaften in noch schwierigeres Fahrwasser gebracht. Und der Ukrainekrieg und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die absolut richtig sind, stellen die europäische und deutsche Wirtschaft vor weitere große Herausforderungen. Massiv gestiegene Energie- und Rohstoffpreise sowie Lieferkettenunterbrechungen führen auch bei uns in Deutschland zu Produktionsausfällen und Unternehmensinsolvenzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt gemeinsam alles daransetzen, die Krisen- und Kriegsfolgen abzufedern, um Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand zu sichern. ({1}) Uns allen ist klar: Wir brauchen eine leistungs-, aber auch eine widerstandsfähige Wirtschaft. ({2}) Das erreichen wir als Exportnation nicht durch Abschottung und Renationalisierung; das schaffen wir nur mit einer europäischen Politik, die auf bestehende Wirtschafts- und Handelspartnerschaften mit westlichen Demokratien aufbaut, einer Politik, die auch neue Partnerschaften mit anderen Ländern anstrebt. Nur über diesen Weg werden wir die vielen großen Abhängigkeiten von Staaten wie Russland und China überwinden. ({3}) Der Aufbau und Ausbau von regionalen und bilateralen Wirtschafts- und Handelspartnerschaften war einst die Stärke der europäischen Handelspolitik, ein Aushängeschild der Europäischen Union, und zu dieser Stärke müssen wir zurückfinden. ({4}) Wir brauchen eine schlagfertige und schlagkräftige EU-Handelspolitik, die die wirtschaftspolitischen Interessen wieder in den Mittelpunkt rückt, die pragmatisch, kompromissbereit und abschlussfähig ist. Deshalb wird die Positionierung der Bundesregierung in Brüssel maßgeblich über den künftigen Weg der europäischen Handelspolitik entscheiden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, zeigen Sie, dass Sie die Zeitenwende verstanden haben. Machen Sie die EU-Handelspolitik wieder handlungsfähig. ({5}) Als CDU/CSU-Fraktion bringen wir heute einen Gesetzentwurf zur Ratifikation des CETA-Vertragstextes ein. Es wird höchste Zeit, dass wir das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada jetzt endlich ratifizieren. ({6}) Deutschland sollte Kanada, einen seiner engsten Verbündeten, nicht noch länger warten lassen. Seit Anfang dieser Woche gibt es auch keine Ausreden mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag alle noch anhängigen Klagen gegen CETA abgewiesen. Damit ist spätestens jetzt der Weg frei für die CETA-Ratifikation hier im Deutschen Bundestag. Aus den Fraktionen von FDP und SPD hören wir bereits erste positive Signale. Das freut uns natürlich sehr. Aber ich hoffe auch, dass dies nicht Einzelstimmen in den Fraktionen sind. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es liegt jetzt an Ihnen: Beenden Sie die Blockadehaltung bei CETA. Zeigen Sie, dass Sie die Partnerschaft zu unseren kanadischen Freunden vertiefen wollen. Und zeigen Sie auch, dass Sie die Europäische Union stärken wollen. Als Unionsfraktion werben wir heute auch für unseren Antrag zur Stärkung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen im atlantischen Raum; denn neue und vertiefte Partnerschaften mit Ländern in Nord-, Mittel- und Südamerika sind ein zentrales Instrument zur Diversifizierung unserer Handelsbeziehungen. Dem 2019 ausverhandelten Mercosur-Assoziierungsabkommen kommt hierbei eine entscheidende wirtschaftliche und strategische Bedeutung zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, auch hier gilt: Lassen Sie diese Chance nicht ungenutzt. Treiben Sie auch die Ratifikation des Mercosur-Abkommens auf europäischer Ebene voran. Europa braucht diesen Vertrag, und zwar heute mehr denn je. ({8}) In Richtung der Grünen sage ich auch: Ja zu klarstellenden Protokollen, aber Nein zu Nachverhandlungen. Handelsverträge entstehen nicht durch deutsches Diktat, sondern durch internationale Kooperation und Kompromisse, und das sollten auch die Grünen verinnerlichen. Danke schön. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Markus Töns das Wort. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Lage in der Welt hat sich in den letzten drei Wochen dramatisch verändert, und es ist umso wichtiger, dass wir die Wertegemeinschaft einer Europäischen Union haben. ({0}) Wir brauchen weitere Partner mit gleichen Werten; denn wir brauchen eine wertebasierte Handelsarchitektur. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht – der Kollege Rouenhoff hat das ja eben schon erwähnt – übrigens in dieser Woche beschlossen, dass der Weg für eine Ratifizierung frei wäre. Deshalb müssen wir erst einmal schauen. Dieses Abkommen, CETA, ist ein deutlicher Erfolg der SPD: Es ist verfassungskonform, fair und nachhaltig. Es garantiert die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, und es beinhaltet die Abschaffung der Schiedsgerichte. ({1}) Das ist, glaube ich, einer der Punkte, den man hier wirklich noch einmal betonen muss. Die nächsten Schritte sind klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen den Beschluss auswerten, und dann werden wir, wird das BMWK – davon gehe ich aus – zeitnah ein Ratifizierungsgesetz vorlegen. Das werden wir hier dann beraten und verabschieden. ({2}) Aber wir müssen jetzt nicht in sinnlose Eile verfallen. ({3}) Herr Rouenhoff, Sie haben heute einen Gesetzentwurf vorgelegt; darüber kann man ja diskutieren. Aber wir werden Ihnen heute nicht den Gefallen tun – das habe ich Ihnen gestern schon gesagt –, dass wir darüber heute schon abschließend reden. Vielmehr werden wir ordentlich auswerten, und dann wird das auch funktionieren. ({4}) – Keine Sorge, Herr Rouenhoff: zeitnah. Aber wir brauchen auch im transatlantischen Verhältnis eine werte- und regelbasierte Handelspolitik. Und da sich die Welt verändert hat, brauchen wir unter anderem auch ein transatlantisches Bündnis; dazu zählt Kanada. Dazu zählen auch die wiederaufgenommenen Gespräche mit der US-amerikanischen Administration, die erste positive Signale zeigen. ({5}) – TTIP ist tot, Herr Kollege; das wissen Sie. ({6}) Wir haben viele Probleme aus dem Weg geräumt; Sie wissen das. Ich nenne einige Stichworte: der Airbus-Streit, der Kompromiss bei den Stahlzöllen, die Gespräche im Rahmen des Handels- und Technologierats. All das ist wichtig. Jedem ist heute wieder bewusst: Wir müssen an einem Strang ziehen. Nur miteinander können wir den internationalen Handel gestalten, und zwar wertebasiert. Die EU hat bereits einige Verträge verhandelt, die noch nicht ratifiziert sind, über die wir reden müssen, über die wir hier auch irgendwann entscheiden müssen, wenn es denn nicht EU-only-Abkommen sind. CETA liegt auf dem Tisch. Mercosur wird uns irgendwann auch erreichen. Chile ist auch ausverhandelt. Vor dem Hintergrund und mit Blick auf die Weltlage werden wir uns mit diesen Verträgen auseinandersetzen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unsere Werte in der Welt vertreten und das mit strategischen Zielen verknüpfen. ({7}) Denn die Welt hat sich verändert. Die EU kann eine globale wertebasierte Handelsmacht werden. Die Betonung liegt in diesem Zusammenhang aber nicht auf „Macht“, sondern auf „wertebasiert“. ({8}) Das ist, glaube ich, das Ziel, das wir haben. Wir müssen Haltung gegenüber autoritären Staaten zeigen und unsere europäischen Werte auch außerhalb der Grenzen der EU verteidigen. Damit komme ich zum Schluss und wünsche uns allen gute Beratungen in den nächsten Wochen. Ich freue mich auf die Gespräche im Ausschuss. Herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Malte Kaufmann für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Malte Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005099, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach China und den USA ist Deutschland die drittgrößte Exportnation weltweit – zumindest derzeit noch, solange die grünen Pläne zur faktischen Deindustrialisierung unseres Landes noch nicht vollständig umgesetzt sind. ({0}) Natürlich brauchen wir einen funktionierenden und internationalen Handel. Handelsschranken wollen wir als freiheitliche Bürgerpartei daher auch grundsätzlich abbauen. Europas Wettbewerbsfähigkeit erhalten – ja, das wollen wir auch. Allerdings wird dies keineswegs so gelingen, wie Sie es fordern. Der Grund liegt auf der Hand: weil die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen vor allem durch die Rahmenbedingungen im eigenen Land bestimmt wird. Diese Rahmenbedingungen wurden bei uns in den letzten Jahren konsequent falsch gesetzt: von der sogenannten Energiewende bis hin zum Lieferkettengesetz, das insbesondere dem deutschen Mittelstand enorme Probleme bereitet. ({1}) Wenn man in Ihrem Antrag zu TOP 24 a sorgfältig zwischen den Zeilen liest, findet man den mühsam getarnten Versuch, das gescheiterte TTIP-Abkommen wiederzubeleben. Um dem links-grünen Zeitgeist zu entsprechen, soll dieses dann neu – ich zitiere – „auch klimapolitische Maßstäbe setzen“. – Internationale Wirtschaftspolitik im Geiste links-grüner Ideologen, das verheißt nichts Gutes. ({2}) Wirtschaftsminister Habeck sieht nach eigener Aussage Deutschland in einer dienenden Rolle in der Welt. Ja, wir dienen anderen Ländern, und zwar schon seit Langem und mit beeindruckenden Ergebnissen. So geht man zum Beispiel in Frankreich und Italien nicht nur viel früher in Rente als in Deutschland, sondern man hat auch noch deutlich mehr Vermögen. Der Deutsche hat laut Daten der EZB im Schnitt nur ein Vermögen von 35 000 Euro, ({3}) der Franzose dagegen eines von 53 000 Euro und der Italiener sogar von 57 000 Euro. Das können Sie auch nicht leugnen. Das sind offizielle Zahlen. ({4}) Bereits jetzt ist Deutschland mit rund 15,5 Milliarden Euro im Jahr der größte Diener, also der größte Nettozahler der EU. Nimmt man den sogenannten Corona-Wiederaufbaufonds noch dazu, sind gleich weitere 130 Milliarden Euro vom deutschen Wohlstand weg – verschenkt in andere EU-Staaten, zum Beispiel ins schöne Italien. Von diesem Geld gönnt man sich dort jetzt beispielsweise ein eigenes Weltraumprogramm und schenkt den Bürgern über entsprechende Steuernachlässe neue Heizungen, bezahlt auch vom deutschen Steuerzahler. Das ist die Realität. ({5}) Deutschland dient, Deutschland zahlt. Genau diese Gefahr droht auch bei internationalen Handelsabkommen, wenn sie von Politikern ausgehandelt werden, die Deutschland als Diener sehen. Man kann doch die Uhr danach stellen, dass sich multinationale Konzerne über Schadenersatzklagen gegen unser Land, verhandelt vor intransparenten Sonderschiedsgerichten, die Taschen vollmachen werden. Meine Damen und Herren, Handelsabkommen, die so etwas ermöglichen, sind gegen die Interessen der eigenen Bürger gerichtet. ({6}) Das lehnen wir als AfD-Fraktion strikt ab. Wir wollen nämlich, dass unsere Bürger und Unternehmen Herr im eigenen Land bleiben und ihre Interessen endlich wirksam vertreten werden, auch auf internationaler Ebene. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Dr. Franziska Brantner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004255

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der aktuelle Krieg gegen die Ukraine zeigt, wie wichtig unsere transatlantische Partnerschaft ist und wie wichtig unsere europäische Freundschaft und unser europäischer Binnenmarkt sind. Dass Herrn Kaufmann in diesen Zeiten nichts anderes einfällt, als gegen unsere italienischen und französischen Freunde zu hetzen, ({0}) das zeigt, wo die AfD wirklich steht. ({1}) Wir wollen, wir werden und wir müssen Mittel und Wege finden, um die engen transatlantischen Bande auszubauen und zukunftssicher zu machen. Daran arbeiten wir bei uns im Ministerium und in der gesamten Regierung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Brantner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Dr. Kaufmann?

Dr. Franziska Brantner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004255

Nein. – Bundesminister Habeck war in Washington und hat dort mit allen wichtigen und relevanten Akteuren in dem Bereich geredet und den Startschuss für einen intensiven Arbeitsprozess gegeben. Aber ich möchte hier auch klarstellen, dass wir das nicht deutsch-amerikanisch machen, sondern dass die Federführung dafür in Brüssel liegt und dass wir eine europäische Handelspolitik haben, an der wir Deutsche uns aktiv beteiligen. ({0}) Diese Wichtigkeit gilt natürlich nicht nur mit Blick auf die USA, sondern auch auf Kanada. Seit Dienstag haben wir die höchstrichterliche Entscheidung zu CETA, und jetzt gilt es, unser Vorgehen zu prüfen und uns europäisch abzusprechen, um hier einen guten Weg zu finden. Neben der Kooperation mit den nordamerikanischen Partnern kann und soll auch die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen mit den lateinamerikanischen und südamerikanischen Partnern wirklich für uns ein wichtiger Schritt sein. Sie stehen zwar nicht in Ihren Anträgen so drin, aber ich möchte trotzdem erwähnen, dass es für uns wichtig ist, dass wir auch hier die uns eigentlich wertemäßig nahestehende Region wirklich weiter an uns binden und sicherstellen, dass sie nicht komplett von China vereinnahmt wird. ({1}) Als Bundesregierung arbeiten wir gerade an drei konkreten Schritten: Erstens geht es um eine Einigung mit den USA auf ein „Global Arrangement on Sustainable Steel and Aluminium“, also ein Instrument zur Klimaneutralität und ein Level Playing Field für unsere Stahl- und Aluindustrien. Das ist für uns zentral; daran wird prioritär gearbeitet. Zweitens. Es gibt den Trade and Technology Council, ({2}) also diese zentrale Schnittstelle zwischen Handel und Technologie. Dort arbeiten wir mit hoher Dringlichkeit zusammen in Fragen der Exportkontrolle, beim Investment Screening, zu Lieferketten und Standards für neue Technologien, damit wir die Standard-Setter in diesen Feldern sind und uns diese Position nicht durch China abgelaufen wird. ({3}) Drittens. Wir arbeiten an fairen Handelsabkommen mit unseren Partnern, basierend auf den Werten, die wir gerade in der Ukraine mitverteidigen. Es muss darum gehen, dass wir nicht zum Status quo ante zurückgehen, sondern dass wir die Handelsverträge so ausgestalten, dass sie die Werte, die unter Attacke sind, auch wirklich verteidigen. Daran arbeiten wir, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen auf diesem Wege. Danke schön. ({4})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann ja über das geplante Freihandels- und Investitionsschutzabkommen mit Kanada geteilter Meinung sein. Aber ich finde, so wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hier den Überfall auf die Ukraine und das Leid der Menschen dort für Ihre Agenda instrumentalisieren, das ist schon billig und eigentlich weit unter Ihrer Würde. ({0}) Es geht bei Abkommen wie CETA doch um viel, nämlich insbesondere um die Frage, ob ausländische Konzerne Sonderklagerechte und damit noch mehr Macht auch gegen demokratisch gewählte Regierungen ({1}) in Kanada und in der Europäischen Union bekommen. – Sie sind ja noch neu; Sie haben ja noch relativ wenig Ahnung. Schauen Sie sich das an. ({2}) Und in der Tat: Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt der Ball bei CETA hier im Deutschen Bundestag; hier liegt der Ball. ({3}) – Hören Sie doch mal zu; ich gebe Ihnen doch recht, ja, Sie haben ausnahmsweise recht: Der Ball liegt hier, und alle Fraktionen müssen Farbe bekennen. ({4}) Das gilt natürlich insbesondere für die Fraktion der Grünen. Ich habe es hier noch mal herausgesucht; in Ihrem Wahlprogramm heißt es ja unmissverständlich – ich zitiere –: Das CETA-Abkommen werden wir deshalb in seiner jetzigen Form nicht ratifizieren. – Aber gilt das auch jetzt nach der Wahl noch? Nach der heutigen Rede, Frau Brantner, habe ich da so meine Zweifel. Ich hoffe, ich irre mich. Ich möchte Sie aber alle auch daran erinnern, dass 2015/2016 Millionen Menschen in Deutschland gegen Investitionsschutzabkommen wie CETA, TTIP & Co protestiert haben. ({5}) Ich sage Ihnen: Sie alle, auch die Gewerkschaften, die Umwelt- und Sozialverbände, die sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt wieder zu Wort gemeldet haben, ({6}) schauen jetzt ganz genau hin, was Ihre Wahlversprechen wert sind, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Meine Damen und Herren, auch wir als Die Linke sind weiter für internationale Abkommen zur Gestaltung des Welthandels, für international einklagbare Arbeitnehmerrechte und Umweltschutzstandards. Aber Sonderklagerechte für Konzerne und damit auch das vorliegende CETA-Abkommen lehnen wir weiter ohne Wenn und Aber ab. ({7}) Und wenn Sie nicht glauben wollen, dass auch von Konzernen aus dem liberalen Kanada Gefahren ausgehen können, dann erinnere ich Sie gerne daran, dass der kanadische Konzern Gabriel Resources Rumänien auf Schadenersatz in Höhe von 5,7 Milliarden US-Dollar verklagt hat – für entgangene Gewinne, nicht für Investitionen. Es geht um entgangene Gewinne durch die Entscheidung, die die rumänischen Behörden und das Oberste Gericht dort getroffen haben, dass Gabriel Resources dort eine Goldmine nicht betreiben darf, weil dies auch massive negative Folgen für Umwelt und Mensch gehabt hätte. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel und insbesondere Sie von den Grünen, haben jetzt eine große Verantwortung, ob Sie sich tatsächlich an Ihre Wahlversprechen noch gebunden fühlen und ob Sie verhindern, dass mit dem CETA-Abkommen tatsächlich weitere Sonderklagerechte für Konzerne entstehen. Ich hoffe, Sie stehen zu Ihren Versprechen. Wir werden Sie weiter daran erinnern. Vielen Dank. ({8})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal kann man sich auf eine Debatte richtig freuen. Ich freue mich über diese CETA-Debatte und möchte mit einem Zitat von Herrn Rouenhoff vom 3. Februar 2018 zum Thema CETA beginnen: Wir lassen uns ganz sicher nicht von Ihnen aufs Glatteis führen. Ihnen geht es mit der Vorlage des Entwurfs eines Vertragsgesetzes nicht darum, CETA zu ratifizieren … Weiter sagte er: Ihnen geht es darum, einen Keil zwischen uns und … unseren potenziellen Koalitionspartner zu treiben. Also, das mal vielleicht vorneweg für alle Weinereien, die jetzt kommen, was das Tempo angeht und wie schnell wir denn jetzt als Koalition reagieren müssen. ({0}) – Also, immer schön den Ball flach halten. Wir haben eine neue Lage. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden. Es hat zum Glück auch nicht noch irgendwelche Fragen auf europäischer Ebene gestellt. Das heißt dann in einer rechtsstaatlichen Logik, dass wir jetzt dieses CETA-Verfahren anschieben müssen, diesen Vertrag ratifizieren müssen, damit diejenigen, die immer noch meinen, dass da irgendwas nicht in Ordnung ist, dann von uns aus gerne klagen können. Aber wir müssen jetzt erst mal die Rechtslage final klären. ({1}) Erlauben Sie mir auch eines: Wir haben gestern in einem Gespräch fraktionsübergreifend gehört, dass man sich inzwischen in Kanada ob des deutschen Verhaltens gekränkt fühlt. Und ich kann das auch irgendwie verstehen. Die Argumente, warum wir mit Kanada zusammenarbeiten sollten oder nicht, sind hier schon vorgetragen worden; die brauche ich nicht zu wiederholen. Aber eine politische Bemerkung muss ich doch jetzt mal hier loswerden. – Also, Herr Meiser, ich kenne Sie ja nun schon seit der letzten Legislaturperiode. Dass Sie und Die Linke mit ähnlichen Argumenten zum gleichen Ergebnis kommen wie die AfD, das ist für mich schon wirklich hochproblematisch. Es tut mir leid. ({2}) Es tut mir leid. Sie müssen sich überlegen, wie Sie sich gegen die AfD abgrenzen wollen. Heute ist es Ihnen offensichtlich nicht gelungen. ({3}) Meine Damen und Herren, es ist Mercosur angesprochen worden; es sind Chile und Mexiko angesprochen worden. Darüber hinaus sind Verträge mit Neuseeland, Australien und Indonesien in der Pipeline. Es ist also nicht so, dass wir nicht genügend Möglichkeiten hätten, unsere Position zu verbessern. Und ja, ich stimme Ihnen zu, Kollege Rouenhoff – das ist aber auch von der Ampel überhaupt nicht bestritten worden –: Wir können in der neuen Welt, so wie sie sich in den letzten Wochen entwickelt hat – und das ist noch mal viel deutlicher geworden –, nur erfolgreich sein, wenn wir gemeinsam mit den Demokraten in Deutschland, in Europa und in der gesamten Welt auch wirtschaftlich zusammenarbeiten. ({4}) Und wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, in den Koalitionsvertrag hineinzuschauen, dann hätten Sie eigentlich bei gutem Willen lesen können, dass wir das als Ampel vereinbart haben. Es geht meiner Meinung nach, meine Damen und Herren, nicht um einen schnellen politischen Erfolg. Sie kennen im Grunde nicht nur die Position der FDP. Die Sozialdemokraten haben zum Thema CETA ja explizit einen Parteitagsbeschluss; ich glaube, an den werden sie sich auch gerne halten. ({5}) Deswegen bin ich da sehr optimistisch, dass wir das Verfahren möglichst schnell voranbringen können. Es geht aber andererseits, wie gesagt, auch nicht darum, irgendwelche Fraktionen hier zu quälen. Ja, natürlich hätte der Bundeskanzler bei seinem Treffen mit Herrn Trudeau die Chance nutzen können, positive Signale zum CETA-Verfahren auszusenden. ({6}) Das hat er leider nicht getan. Wir als FDP hätten uns gefreut, wenn er sich da etwas klarer positioniert hätte; aber ich glaube, das Bundesverfassungsgericht hat jetzt die entscheidenden Fragen geklärt. Zu Ihrem Papier könnte man etwas bösartig sagen, Herr Rouenhoff: Es sieht fast so aus wie ein Eckpunktepapier des aktuellen Wirtschaftsministeriums zu den Fragen der Handelspolitik. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Tilman Kuban das Wort. ({0})

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Houben, es ist ja schön, wie Sie die Einigkeit der Koalition präsentiert haben. Sie haben dabei nur leider die grünen Kollegen vergessen; aber dass es mit der Einigkeit in Ihrer Koalition nicht so weit ist – mit Ausnahme von Cannabis und § 219a –, ist ja nichts Neues. ({0}) In dieser Debatte steht der Elefant im Raum. Wir sind wirtschaftlich abhängig vom chinesischen Markt; denn die Chinesen haben in den letzten Jahren ihren Einfluss geostrategisch, rohstofftechnisch und handelspolitisch wie keine andere Nation ausgebaut. Dabei sage ich nicht unkritisch auch gegenüber meiner eigenen Partei: ({1}) Die Geopolitik haben wir in den letzten Jahren viel zu häufig außen vor gelassen, weil wir häufig gesagt haben, dass man damit in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen kann. In der Zwischenzeit kaufte sich China Einfluss in der Welt. Mit dem Projekt „Neue Seidenstraße“ wurden Staaten auf der ganzen Welt in eine ernstzunehmende Abhängigkeit gebracht, wesentliche Handels- und Rohstoffinfrastruktur unter ihre Kontrolle genommen und mit dem pazifischen Freihandelsabkommen das größte Handelsabkommen jemals geschlossen. Dieses Handelsabkommen ist mit 30 Prozent des globalen Handels stärker als die Europäische Union und auch stärker als die Freihandelszone zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 90 Prozent des Wachstums der Welt finden außerhalb von Europa statt, vor allem im indopazifischen Raum. Der Anteil Europas sinkt Jahr für Jahr. Auf all diese Entwicklungen haben wir den Menschen in Europa und der westlichen Welt bis heute keine Antwort gegeben. Als junger Mensch sage ich Ihnen: Das kann nicht unser Anspruch sein, denn die letzten Wochen waren ein Weckruf. Wer für unsere Generation Wohlstand will und wer in unserer Generation in Wohlstand leben will, der muss klar sagen: Die Zeit von Deutschland und Europa als Statist auf der geostrategischen Handelsbühne muss ein Ende haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Sehr geehrter Herr Kollege Töns, ich bin ganz erstaunt über die neuen Töne aus Ihrer Fraktion; denn vor wenigen Jahren waren ja auch Sie weit vorne mit dabei, als es um Kritik daran ging, den weltweit größten Wirtschaftsraum zwischen San Francisco und Warschau entstehen zu lassen, eine Allianz der gemeinsamen Werte, eine Allianz für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung, eine Allianz für nachhaltigen Wohlstand und technologischen Fortschritt. ({3}) Verhindert haben Sie es gemeinsam mit den Chlorhühnchen. ({4}) Angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine und auf dem heutigen Weltmarkt sage ich Ihnen: Es ist keine Zeit mehr für diese kleingeistigen Debatten; wir können sie uns einfach nicht mehr leisten. ({5}) Ja, wir alle hier im Raum haben in den vergangenen Jahren mit dem Präsidenten Donald Trump gehadert. Ich kann Ihnen aber auch sagen: Wir als Christdemokraten haben nie an der generellen Verbundenheit mit den USA gezweifelt. ({6}) Denn gerade wir Deutschen wissen, was wir den Vereinigten Staaten zu verdanken haben: die Befreiung von den Nazis, unsere Freiheit, Sicherheit, unseren Wohlstand und vor allem unsere Demokratie. ({7}) Genau für diese Werte stehen die USA, genau für diese Werte steht auch Kanada. Und genau für diese Werte gehen junge Menschen im Osten Europas auf die Straße. Sie standen auf dem Maidan, haben dort gekämpft, und manche von ihnen sind gestorben. Die tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer gehen jede Nacht gegen die russische Armee auf die Straße. Und die Demonstranten in Belarus und in Russland lassen sich von ihren brutalen Diktatoren niederprügeln, weil sie nach Freiheit, Demokratie und Wohlstand streben. Es sind unsere Werte, wie sie in Europa und Amerika, den Orten der großen Freiheit und der stabilen Demokratien, auf diesem Planeten gelebt werden, liebe Freunde. ({8}) Sehr geehrte Frau Kollegin Brantner, ich hoffe sehr, dass Sie dabei auch weiterhin die Federführung behalten. Wir können uns noch gut an die Aussagen Ihres Kollegen Giegold erinnern und daran, wie er gegen CETA gewettert hat. Von daher ist es wohl besser, wenn Sie das im Hause machen ({9}) und vielleicht auch Ihre Frau Fraktionsvorsitzende davon überzeugen, dass es jetzt Nachdruck und nicht ein Prüfen ohne Zeitdruck braucht. ({10}) Es reicht nicht, in Sonntagsreden über unsere Prinzipien und Werte zu reden. Es braucht jetzt CETA als Blaupause für ein Freihandelsabkommen mit den Demokratien der Welt. Wenn wir den Chinesen etwas entgegensetzen wollen, dann müssen wir den Menschen, die den feigen Angriff Putins auf die Ukraine genauso verurteilen wie wir, ein Angebot machen. Wir müssen im Wettbewerb der Systeme bereit sein, unsere Strahlkraft zu nutzen, um den Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens einen Weg aufzuzeigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kuban.

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. ({0}) Deswegen braucht es langfristig einen Anlauf für ein Abkommen mit den Demokratien der Welt. Die Eintrittskarten dafür sind Demokratie und Freiheit. Wir haben hier im Haus in den letzten Wochen gemeinsam viel erreicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kommen Sie jetzt bitte wirklich zum Schluss.

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, wir können das auch jetzt erreichen. Ich würde mich über Ihre Zustimmung sehr freuen. Vielen Dank. ({0})

Johannes Arlt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin richtig begeistert, dass ich lernen durfte, wie viel Übel der Welt TTIP von uns ferngehalten hätte. Das ist schon mal eine erste Erkenntnis an diesem Freitagnachmittag. Aber nun zum Antrag. Der Angriff Putins auf die Ukraine hat uns allen die Wichtigkeit der transatlantischen Partnerschaft vor Augen geführt. Wir alle hätten auf diesen Anlass sehr gerne verzichtet. Die Folgen des Angriffskriegs haben bewiesen: Die deutsche und die europäische Wirtschaft sind verwundbar. Lieferketten sind bedroht. Denken Sie nur an die Automobilindustrie und die Probleme bei der Lieferung von Kabelbäumen. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Antrag der CDU/CSU grundsätzlich zu begrüßen und nicht falsch. Handelsbeziehungen sind ein Schlüssel, um die Globalisierung aktiv zu gestalten. Und ja, wir müssen die transatlantische Partnerschaft stärken. Zum Beispiel ist die Beschaffung der F‑35-Jets für die Bundeswehr hierfür ein wichtiger Schritt – ein wichtiger Schritt auch für eine ausgeglichenere Handelsbilanz zwischen Deutschland und den USA. ({0}) Und ja, wir müssen die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen im atlantischen Raum auch insgesamt stärken. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu CETA diese Woche hat uns Rückenwind gegeben. Diesen gilt es zu nutzen. Wir müssen CETA jetzt zeitnah ratifizieren. ({1}) Im Zusammenhang mit dem Erhalt der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, den Sie ja in Ihrem Antrag beschreiben, möchte ich noch auf zwei Aspekte hinweisen: zunächst auf resiliente Lieferketten, aber auch auf die Beziehungen zu afrikanischen Staaten. Für wirtschaftliche Resilienz benötigen wir entsprechende Voraussetzungen. 90 Prozent des Welthandels und 70 Prozent der deutschen Exportgüter werden auf See abgewickelt. Daher sind wir auf eine leistungsfähige maritime Infrastruktur angewiesen. Maritimes Know-how ist also ein strategisches Interesse Deutschlands. Aber der Bestand der deutschen Handelsflotte ist seit 2007 markant gesunken; über 600 Schiffe haben wir verloren. Zudem ist unser maritimes Know-how angesichts zahlreicher Werftinsolvenzen gefährdet. Nur mit einer kohärenten maritimen Strategie in Deutschland und der EU können wir dieses Know-how stärken, dabei den Fokus auf neue Antriebstechnologien legen und stärker durch Spin-offs auch bei militärischen Innovationen profitieren, zum Beispiel bei den Schlüsseltechnologien. ({2}) Resiliente Lieferketten sind ausdifferenzierte Lieferketten, in denen Abhängigkeiten zu vermeiden sind. Ein Beispiel sind Seltene Erden. 2020 hat Deutschland diese zu 93,5 Prozent aus China importiert. Zu 93,5 Prozent! Hier kommen dann auch die Mercosur-Staaten ins Spiel; denn in Brasilien lagern die drittmeisten Reserven an Seltenen Erden. Wir können unsere Resilienz auch noch stärken, indem wir durch das Recyceln Seltener Erden unsere Importabhängigkeit verringern. Beim Thema „Wettbewerbsfähigkeit Europas im atlantischen Raum“ müssen wir auch die afrikanischen Staaten einbeziehen. Hierzu nur zwei Schlaglichter: Zum einen werden wir es infolge von Putins Krieg mit Hungersnöten in Afrika zu tun bekommen. Diese gilt es zu verhindern. Zum anderen gehört zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der EU und afrikanischen Staaten. Das heißt das Ende kolonialer Logiken, bei denen der afrikanische Kontinent nur als Rohstofflieferant oder als Absatzmarkt gesehen wird. Gleichberechtigung ließe sich beispielsweise durch Technologietransfer herstellen, etwa im Bereich der Impfstoffherstellung. Angesichts der russischen und chinesischen Präsenz dort liegen gleichberechtigte Beziehungen im strategischen Interesse der EU. Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen im Ausschuss. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Maik Außendorf das Wort. ({0})

Maik Außendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005012, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf Antrag der Union debattieren wir heute über CETA, das kanadisch-europäische Handelsabkommen, und den nordatlantischen Handelsraum. Die Union fordert eine überhastete Ratifizierung. ({0}) Dabei ist CETA seit fünf Jahren in der vorläufigen Anwendung. Lediglich die Sonderklagerechte für Konzerne sind im Wesentlichen davon ausgenommen. Wir haben in den zwei Jahren seit dem vorläufigen Inkrafttreten im Vergleich zum Zeitraum davor das Exportvolumen nach Kanada ungefähr verdoppelt. Das Abkommen zeigt also auch ohne diese Sondergerichtsbarkeiten und die anderen außer Kraft gesetzten Regelungen schon eine Wirkung. ({1}) Herr Rouenhoff und andere Rednerinnen aus der CDU, Sie haben an uns ja oft die Frage gerichtet: Wenn Sie nicht mal mit Kanada ein Abkommen unterzeichnen wollen, mit wem denn dann? Damit haben Sie unterstellt, wir wollten gar keines. Das stimmt so nicht. Aber ich frage mal zurück: Kanada gilt als etablierter Rechtsstaat. In der EU gibt es etablierte Rechtsstaaten. Warum wollen Sie ausgerechnet da Sondergerichtsbarkeiten mit Sonderrechten für Konzerne etablieren zum Nachteil von Verbraucherinnen und Staaten? Warum? ({2}) Genau um diesen Punkt geht es hier nämlich; das ist ja das Wesentliche, was noch nicht in Kraft gesetzt ist. Sie tun so, als wäre Deutschland das letzte Land, das noch nicht ratifiziert hat. Neben uns haben Frankreich, Italien, Belgien und ein halbes Dutzend weiterer Länder das Abkommen ebenfalls noch nicht ratifiziert. Es besteht also überhaupt gar keine Eile. ({3}) Jetzt zum Bundesverfassungsgericht. Herr Rouenhoff, Sie haben eben gesagt, es hätte die Klagen abgewiesen. Sie haben aber eine Sache verschwiegen: Die Klagen sind zum derzeitigen Zeitpunkt als unzulässig erklärt worden. Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht sehr wohl kritische Anmerkungen gemacht sowohl zu den gemischten Ausschüssen als auch zu den einseitigen Schiedsgerichten. ({4}) Man muss schon ein großes Fragezeichen daran machen, was nach einer möglichen Ratifizierung passieren würde. Es ist mitnichten so, dass dann der Weg rechtssicher frei wäre. Das müssen wir uns in aller Ruhe überlegen. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir uns nach dem Urteil das Abkommen in Ruhe angucken. Herr Töns und Herr Houben haben das bereits gesagt; das machen wir in aller Ruhe und nicht mit Eile. ({5}) Wir Grüne haben gar nichts gegen Handel und Handelsabkommen an sich, im Gegenteil. Wir haben gesehen: Wir brauchen resiliente Lieferketten, diversifizierte Lieferketten, ein gut gemachtes Handelsabkommen mit einklagbaren Nachhaltigkeitskapiteln. ({6}) Mit der Handelspolitik der Vorgängerregierung – Wirtschaft auf Kosten der Umwelt und zulasten der Verbraucher und des Gesundheitsschutzes – muss Schluss sein. All diese Punkte müssen wir in die jetzt zu führenden Gespräche innerhalb der Koalition über die Frage der Ratifizierung aufnehmen; aber – und das gilt ganz besonders in der derzeitigen Lage – mit besonderer Ruhe. Noch ein Aspekt zu Mercosur; Sie fordern ja auch hier, dass wir unterzeichnen. Wenn wir das jetzt täten, dann hätte das weitere Regenwaldzerstörungen zur Folge. ({7}) Es ist ganz wichtig, dass wir hier auf einklagbare Nachhaltigkeitskapitel mit einem wirksamen Amazonasschutz achten. Ansonsten ist das mit uns nicht zu machen. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Claudia Tausend für die SPD-Fraktion. ({0})

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über diese heute sehr muntere und facettenreiche Debatte zu handelspolitischen Fragen. Das Thema hat in den letzten vier Jahren ja selten auf der Tagesordnung gestanden, ({0}) im Gegensatz zu meiner ersten Wahlperiode 2013 bis 2017. Ich möchte mich zunächst ausdrücklich bei Frau Staatssekretärin Franziska Brantner bedanken. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Die Handelspolitik ist vorwiegend eine europäische Angelegenheit. – Wir reden bei CETA auch nicht über ein bilaterales Abkommen, sondern über ein Abkommen der Europäischen Union mit Kanada. Insofern bin ich sehr dankbar, dass das Bundesverfassungsgericht zunächst entschieden hat – darauf hat der Kollege der Grünen hingewiesen –, die vorläufige Anwendung nicht zu beanstanden. Teile, die im gemischten Abkommen enthalten sind, werden wir intensiv beraten und viele Themen noch mal aufgreifen. Ich bin, wie gesagt, sehr dankbar, dass das Bundesverfassungsgericht die vorläufige Anwendung bestätigt hat. Ich habe als Abgeordnete viele Jahre mit dem Thema verbringen dürfen. Es ist sehr intensiv diskutiert worden in Fachkreisen, in Expertenrunden, hier im Bundestag, im Europaparlament, aber vor allem auch in der Zivilgesellschaft mit spontan gegründeten Initiativen, mit Verbänden, mit Vereinen. Ich glaube, kaum ein Abkommen ist so intensiv beleuchtet worden wie CETA, zumindest nicht, soweit ich mich erinnern kann. Ich möchte auf eines hinweisen – es ist schon gesagt worden; ich glaube, vom Kollegen Hardt aus der Mitte des Plenums –: TTIP ist nicht CETA. Das ist ein anderer Partner, es sind andere Inhalte. ({1}) Deswegen würde ich in der weiteren Debatte darum bitten, das nicht zu vermengen. Ich denke, dass wir mit all den Runden, die wir gedreht haben, ganz viele Sorgen und Bedenken der Zivilgesellschaft aufgegriffen haben. Das gilt gerade für die privaten Schiedsgerichte, die jetzt mehrfach angesprochen worden sind. Diese gibt es nicht in CETA. Vielmehr geht es um einen internationalen Handelsgerichtshof, der neu etabliert werden soll, ({2}) eine neue Form des Streitbeilegungsmechanismus mit ordentlichen Richtern, einer Berufungsinstanz und transparenten Verhandlungen. ({3}) Ich weiß das sehr genau; denn entwickelt haben wir das in einer früheren Koalition unter Federführung unseres Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel. Das möchte ich ausdrücklich noch mal erwähnen. Es wird uns im weiteren Ratifizierungsprozess noch mal beschäftigen, weil dieser Teil beim gemischten Abkommen zur Sprache kommen wird. ({4}) – Kollege, wir sind schon schwer im Zeitverzug.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Und ich frage Sie trotzdem, ob Sie eine Frage oder Bemerkung zulassen. ({0})

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage mal Nein. Kollege, wir haben so viel Zeit, das Thema sorgfältig zu beraten, und heute sind wir schon eine Stunde im Zeitverzug. ({0}) Ich muss ohnehin schon relativ zügig zum Schluss kommen, ohne dass ich große Ausführungen machen konnte. Aber es ist gesagt worden: Mit wem, Kolleginnen und Kollegen, sollen wir denn eine wertebasierte, eine regelbasierte Handelspolitik betreiben und engere wirtschaftliche Vereinbarungen treffen, wenn nicht mit Kanada? ({1}) Kanada ist doch einer unserer engsten Partner, nicht nur in der Sicherheitspolitik, sondern, um vielleicht die Grünen noch ein bisschen zu locken, auch in der Klimapolitik. ({2}) Es ist von Ihrer Seite ausdrücklich darauf hingewiesen worden: Die Welt hat sich die letzten Jahre verändert. Es entwickeln sich Handelsabkommen mit und ohne China im pazifischen Raum – nicht nur mit China –, und dort werden fortlaufend Standards gesetzt; aber diese sind nicht unsere. Deswegen sollten wir jetzt, auch um die Grundprinzipien unserer deutschen, unserer europäischen Handelspolitik mit unseren Partnern als internationale Prinzipien setzen zu können, sehr zügig in den Ratifizierungsprozess eintreten. Wir haben Verhandlungsspielräume – das wissen Sie – mit diesem Partner. Nicht alles muss nachverhandelt werden, neu verhandelt werden, ({3}) sondern innerhalb des Abkommens haben wir tatsächlich Spielräume. Insofern freue ich mich auf die weitere Debatte, auch mit dem Kollegen Hardt. Wir werden sicher noch ein bisschen brauchen, um zum Abschluss zu kommen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche nach dem nächsten Tagesordnungspunkt ein schönes Wochenende. ({4})

Tobias Bacherle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005013, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gedanken und unsere vollste Solidarität sind in diesen Stunden und Tagen bei den Menschen in der Ukraine und den Millionen Menschen auf der Flucht. Aber während derzeit alle Blicke richtigerweise auf die Ukraine gerichtet sind, ist es wichtig, dass wir die anderen Schauplätze an den europäischen Außengrenzen nicht aus den Augen verlieren, gerade in Zeiten, in denen globale Lieferketten angeschlagen und gefährdet sind. Dazu gehört als eines der am stärksten frequentierten Seegebiete zweifelsohne auch das Mittelmeer. Entscheidend für den freien und globalen Handel, als Verbindung von Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten und weit darüber hinaus hat der Mittelmeerraum eine hohe wirtschaftliche, natürlich auch kulturelle und außen- und sicherheitspolitische Bedeutung und ist zugleich die natürliche Begrenzung des NATO-Bündnisgebiets im Süden. Als Teil der multilateralen Operation Sea Guardian leistet die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag dort zu Frieden, Stabilität und Sicherheit im Mittelmeer. Unsere Soldatinnen und Soldaten erstellen Lagebilder, überwachen den Seeraum, und bei Bedarf kontrollieren, beschlagnahmen und leiten sie Schiffe um. Damit tragen sie gemeinsam mit unseren Bündnispartnern zur Sicherheit und zu der Sicherung der Schifffahrt im Mittelmeer, aber auch zum maritimen Kampf gegen den Terrorismus und zur Beschränkung des Waffenschmuggels bei. ({0}) Mit diesem Mandatsumfang kann ich guten Gewissens sagen – und das gilt natürlich auch für meine Fraktion –, dass wir dem vorgelegten Antrag zustimmen können. Denn die Bundesregierung hat dieses Mandat dankenswerterweise, so wie es die grüne Fraktion 2021, als wir anders abgestimmt haben, ja auch gefordert hat, nun an die praktische Einsatzrealität angepasst. ({1}) Das neue Mandat begrenzt das Einsatzgebiet im Mittelmeer auf die Bereiche, in denen wirklich operiert wird, also außerhalb der Küstengebiete; es streicht die bisher ungenutzte Möglichkeit des Kapazitätsaufbaus von Anrainerstaaten, und es senkt die Obergrenze an einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten von 650 auf 550. ({2}) Damit passen wir das Mandat an die praktische Einsatzrealität an, also an das, was wirklich gemacht wird. Und das heißt für uns hier: Dieses Mandat ist ein Mandat, das nun den Ansprüchen einer demokratisch legitimierten und parlamentarisch kontrollierten Armee, einer Parlamentsarmee, wie es die Bundeswehr zum Glück ist, auch wirklich gerecht wird. ({3}) Wir können trotzdem, und gerade weil wir eine parlamentarisch kontrollierte Bundeswehr haben, innerhalb der Operation Sea Guardian einen guten und verantwortungsvollen Bündnisbeitrag leisten. Damit ist Deutschland ein verlässliches Mitglied des NATO-Bündnisses, einer Allianz, deren Bedeutung umso wichtiger wird in einer Zeit, in der die Kriege dieser Welt räumlich noch näher an uns herangerückt sind. An dieser Stelle gelten meine größte Wertschätzung, meine Anerkennung, mein Respekt und insbesondere mein großer Dank den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die sich heute nicht nur im Mittelmeer, sondern auch in allen anderen Einsätzen und besonders auch an der östlichen Grenze Europas für die Sicherheit und Stabilität unseres Europas einsetzen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Mandat ist ein Bestandteil einer verantwortungsvollen Außen- und Sicherheitspolitik; aber es wird selbstverständlich nicht alle Probleme im Mittelmeerraum lösen können. Gerade mit Blick auf den politischen Prozess in Libyen müssen wir klar sagen: Militärische Verantwortung muss immer Hand in Hand mit diplomatischen, zivilgesellschaftlichen, menschenrechtlichen und außen- und sicherheitspolitischen Antworten einhergehen. Angesichts der anhaltenden Unsicherheiten und auch der Instabilität mit Blick auf die politischen Entwicklungen in Libyen, aber auch in anderen Staaten im Mittelmeerraum brauchen wir weiterhin sichere Fluchtwege nach Europa. Noch immer sind Tausende Menschen auch an den südlichen Grenzen Europas auf der Flucht, ertrinken Menschen im Mittelmeer, bleibt die humanitäre Lage an den Küsten Europas – gelinde gesagt – katastrophal. Die Bundeswehr – und nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte Operation Sea Guardian werden das nicht lösen können. Aber sie unterliegen dem Seerecht, und damit haben sie die völkerrechtliche Verpflichtung, in Seenot geratene Menschen zu retten und zu schützen. Auch deswegen ist unsere Präsenz dort sinnvoll. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe hier um Unterstützung für dieses Mandat. Denn dieses Mandat schafft Klarheit im Einsatzgebiet, in den Aufgaben und im Umfang der beteiligten Soldatinnen und Soldaten, und es wird auch Teil der umfassenden Evaluierungsstrategie der Bundesregierung für alle Auslandseinsätze der Bundeswehr sein. Mit den vorgelegten Anpassungen hat die Bundesregierung die demokratische Legitimation für diesen Einsatz gestärkt. Mit diesem Mandat übernehmen wir als Bundesrepublik Deutschland Verantwortung im Rahmen des NATO-Bündnisses auch im Mittelmeer. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Roderich Kiesewetter das Wort. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hinter uns liegt eine wirklich bemerkenswerte und auch sehr nachdenklich stimmende Woche. Gestern wendete sich der Präsident der Ukraine an uns, und heute hat die Bundesaußenministerin den Auftakt für die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie gegeben, die zum Ende dieses Jahres, vielleicht auch erst in einem Jahr, vorgelegt werden soll. Da lohnt der Blick auf die Operation Sea Guardian. Warum? Diese Operation begann vor 20 Jahren als Artikel‑5-Operation und wurde durch den Deutschen Bundestag schon vor sechs Jahren angepasst als eine Operation zur Krisenprävention. Der Kollege Bacherle hat es angesprochen: Diese Mission hat vorrangig die Aufgabe, sich um die Kontrolle von Schiffen, um die Erstellung eines Seelagebildes im Mittelmeer zu kümmern, das mit einem Drittel des Weltseeverkehrsaufkommens wirklich zu den Hauptrouten der internationalen Seeschifffahrt zählt. Auch die Energieversorgung, ein Viertel der Erdölversorgung, führt über das Mittelmeer. Mit Blick auf diese Mission haben wir schon vor sechs Jahren Anpassungen vorgenommen, die deutlich machten, dass jedes Schiff, das die Bundeswehr, die Bundesmarine, in das Mittelmeer entsendet, zusammen mit Schiffen von Partnernationen dazu beiträgt, ein Lagebild zu entwickeln. Das reicht aber nicht – das ist der zweite Punkt, der uns als Union wichtig ist –: Wir brauchen nicht nur Krisenprävention, sondern auch den Blick auf strategische Gleichzeitigkeit. Was passiert neben der Ukraine noch? Was passiert auf dem Balkan? Syrien oder Libyen sind weiterhin ungelöste, heiße Konflikte. Im Hinblick auf das Mittelmeer gibt es auch Entscheidungen: Die Dardanellen sind für russische Seeschiffe nämlich inzwischen gesperrt. Es droht also eine weitere Eskalation in dieser Region. Deshalb ist es notwendig, eine Mission zu haben, die in der Lage ist, kurzfristig aufwachsen zu können. Herr Kollege Bacherle, es war auch schon in der Vergangenheit so, dass diese Mission, demokratisch legitimiert und vom Parlament begleitet, immer auf die notwendigen Erforderlichkeiten zurechtgeschnitten war. Das sollten wir uns vor Augen führen und auch den früheren Kräften der Bundesmarine, die seit dem Jahr 2001 hier ihren Beitrag geleistet haben, Dank abstatten. Ich danke den Kameradinnen und Kameraden im Namen des Hauses. ({0}) Der dritte Aspekt ist für uns schon auch diskussionswürdig. Die Mission ist angepasst worden. Wir haben jetzt aufgegeben – „wir“ sage ich, weil wir heute das Mandat verabschieden; die Union wird das selbstverständlich unterstützen –, Beiträge für die Kapazitätsunterstützung zu leisten. Es war in der Vergangenheit so, dass Länder wie Marokko oder Georgien davon profitiert haben, dass ihre Soldaten an Bord von Schiffen der NATO gelernt haben, dass sie dort eingewiesen wurden in die Art und Weise, wie man heute moderne Seekriegsführung leistet. Und da stelle ich mir schon die Frage, ob es richtig ist, das Mandat zu so einem Zeitpunkt nach unten hin anzupassen. Der letzte Aspekt ist allerdings etwas, das wir begrüßen. Wir Außen- und Sicherheitspolitiker der Union haben seit vielen Jahren gefordert, dass wir Einsätze evaluieren. Das hat die neue Bundesregierung aufgegriffen; das begrüßen wir. Allerdings erwarten wir dann auch, dass diese Evaluierung nicht in den Ministerien stattfindet, sondern hier vorgestellt wird, und wir regen als Union an, dass wir das im Rahmen einer Sicherheitswoche machen, wo eben alle Auslandseinsätze mit Blick auf ihre Evaluierung behandelt werden. ({1}) In diesem Sinne unterstützen wir das Mandat. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Frank Schwabe das Wort. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In der Tat: Bei einer solchen außen- und verteidigungspolitischen Debatte kommt man nicht umhin, über die aktuelle Lage zu reden, über die stündlich und minütlich eintreffenden dramatischen Nachrichten von Putins Krieg in der Ukraine, und darüber – der Kollege Kiesewetter hat darauf hingewiesen –, dass die Außenministerin Frau Baerbock heute den Start zur Erarbeitung einer neuen nationalen Sicherheitsstrategie im Auswärtigen Amt gegeben hat, und zwar nicht deshalb, weil wir es wollen, sondern weil wir es müssen. Putin und andere Potentaten auf der Welt müssen ab jetzt wissen, dass wir es können. Wir müssen als Deutschland innerhalb der NATO eine neue Verantwortung übernehmen. Dazu müssen wir unsere Kapazitäten stärken, wo wir sie haben, und wir müssen sie dort aufbauen, wo wir sie bisher nicht haben. Es bleibt aber dabei, dass wir einen umfassenden Begriff von Sicherheit haben – das ist heute Morgen deutlich geworden –: nicht nur einen militärischen Begriff, nicht nur einen Begriff rund um die NATO, sondern eben auch einen Begriff von weltweitem Klimaschutz, neuen Abrüstungsinitiativen – auch wenn sich das im Moment ein bisschen absurd anhört; ({0}) aber wir müssen sie bereits jetzt vorbereiten – und von Stärkung der Demokratiefähigkeit. Deswegen will ich auch an der Stelle noch mal sagen, dass es richtig und notwendig war, Russland aus dem Europarat auszuschließen. Es ging nicht mehr anders, es war die notwendige Konsequenz. Das war aber erst der erste notwendige Schritt. Jetzt müssen weitere Schritte folgen, um die Demokratiefähigkeit international zu stärken, und das geht nur durch eine Stärkung des Europarats. Das wird sich auch in den Haushaltsverhandlungen in den nächsten Tagen und Wochen noch abbilden müssen. ({1}) Sea Guardian ist eine NATO-Mission an der sogenannten Südflanke der NATO. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die Mandatsobergrenzen verändert werden: von bisher 650 Soldatinnen und Soldaten auf 550; faktisch sind es deutlich weniger, die aktuell auch im Einsatz sind. Die Obergrenzen könnten aber theoretisch für sehr kurze Zeit, wenn es um Wechsel geht, entsprechend erhöht werden. Sea Guardian soll für umfassende Sicherheit im Mittelmeer durch wechselnde deutsche Schiffe sorgen. Es geht darum, eine Lageeinschätzung vorzunehmen. Das hört sich so theoretisch an. Es geht darum, zu wissen, was los ist, und denjenigen, die da schlimme Dinge tun wollen, zu sagen: Wir sind da, und wir passen auf. Lasst das schön bleiben. – Es geht um die Verhinderung von Waffenschmuggel, es geht um die Verhinderung von Terrorismusunterstützung, es geht um die Durchsetzung des UN-Waffenembargos gegenüben Libyen. Im Jahr 2021 wurden dazu 30 000 Schiffe identifiziert, aber am Ende nur 3 Schiffe kontrolliert. Noch mal: Die Idee ist, dass man gar nicht kontrollieren muss, weil andere wissen, wir sind da und sie sollen die Dinge, die wir nicht wollen, dort lassen. Das ist gut so. Deswegen will auch ich an der Stelle den Soldatinnen und Soldaten, die diesen wichtigen Einsatz leisten, danken. ({2}) Darauf ist hingewiesen worden: Natürlich geht es auch darum, Menschen, wenn man sie denn dort sieht, aus Seenot zu retten. Ich will aber ausdrücklich deutlich machen: Das ist nicht der Ersatz für eine staatliche, europäische Seenotrettungsmission, wie wir sie im Koalitionsvertrag verankert haben und entsprechend verfolgen. Die muss noch dazukommen. ({3}) Sea Guardian soll also im Süden der NATO für Ruhe und Ordnung sorgen, eben – noch einmal – um eine Konfrontation zu verhindern. Es gibt ja manche, die argumentieren, wir müssten gar nicht da sein, weil es diese Konfrontation, sozusagen dieses Aufbringen und Kontrollieren von Schiffen, in der Regel gar nicht gibt. Aber genau das ist gut so. Das ist ja bei der Polizei auch so. Am besten ist es, wenn die Polizei gar nicht zum Einsatz kommt, sondern die Verbrecher wissen, dass die Polizei da ist, und sich denken: Ich lass das mal mit den Verbrechen. – Deswegen ist es ein gutes Zeichen, dass es diese Konfrontation nicht gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schwabe, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. – Meine Mutter sagt immer: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. – Ich habe das als Kind nicht so richtig eingesehen. ({0}) Aber ich fürchte, ich muss sagen, sie hat recht. In den letzten Tagen ist uns das leider bitter deutlich geworden. Ich glaube, das kann man eingestehen. Wir alle haben gerade eine steile Lernkurve, von der wir alle wahrscheinlich gehofft hätten, dass wir sie nicht brauchen. Aber wir haben gemerkt, die Lage ist eine andere, und deswegen müssen wir anders international agieren, müssen konsequent international agieren, müssen alles tun, um Brandherde auch am Rande Europas, am Rande des NATO-Gebiets einzuhegen, zu begrenzen und zu befrieden. Deswegen stimmen wir der Verlängerung dieses Mandats zu. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordneter Jan Nolte für die AfD-Fraktion. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit nunmehr 21 Jahren, wenn wir die Vorgängermission Operation Active Endeavour dazurechnen, jagen wir Terroristen und Waffenschmuggler im Mittelmeer. Man muss das Mandat gar nicht großartig evaluieren – die Grünen behaupten ja von sich, das getan zu haben –, um festzustellen, dass wir in diesen 21 Jahren noch nie einen Terroristen im Mittelmeer gesehen haben und dass wir in diesen 21 Jahren auch nie einen substanziellen Beitrag gegen irgendeinen Waffenschmuggel leisten mussten. Mit diesen beiden Operationen ist es überdeutlich: Wir jagen hier einen Feind, den es gar nicht gibt, und müssten Operation Sea Guardian deswegen heute beenden. ({0}) An die SPD: Terroristen gibt es, aber davon gibt es in Deutschland mehr als im Mittelmeer, und dafür ist Ihre Politik verantwortlich. ({1}) Diejenigen, die dieses Mandat trotzdem fortführen möchten, die stellen auf die Lagebilderstellung ab, die Operation Sea Guardian auch leistet, oder verweisen auf die neue Sicherheitslage. Aber wer so argumentiert, den kann ich beruhigen: Es ist nicht so, dass auch nur ein einziges Schiff weniger im Mittelmeer unterwegs wäre, wenn wir Operation Sea Guardian heute beenden würden. Es fährt ja keiner extra los für Operation Sea Guardian, sondern es wird mit Schiffen gearbeitet, die aus völlig anderen Gründen im Mittelmeer unterwegs sind, die wegen einer Übung dort sind, wegen eines Einsatzes oder sich an einem der maritimen Einsatzverbände der NATO beteiligen. ({2}) Auch das muss man bedenken: Es ist ständig mindestens ein maritimer Einsatzverband der NATO im Mittelmeer, meistens zwei, und natürlich machen die sich ein Bild von der Lage dort. Das ist nämlich der Sinn der Sache. Und natürlich können die sich auch verteidigen. Das bleibt alles, auch wenn wir Operation Sea Guardian heute beenden. Der einzige Effekt wäre, dass wir uns 2,5 Millionen Euro sparen, die wir für bessere Dinge ausgeben können. ({3}) Um noch mal zur SPD zurückzukommen, die ja die Debatte oder meine Rede hier sehr rege verfolgt. ({4}) Man muss sich ja jetzt, wo Sie das Verteidigungsministerium führen, fragen, was die SPD denn überhaupt vorhätte, falls Sie dann doch mal einen Terroristen finden würden. Würde der ins Gefängnis gehen, oder würde Frank-Walter Steinmeier den für sein Lebenswerk ehren? ({5}) Auch das soll ja mitunter vorkommen, wie man hört. ({6}) – Meine Fans von der SPD freuen sich; das finde ich gut. Sehr geehrte Damen und Herren, Operation Sea Guardian ist keine besonders gefährliche Mission, zum Glück. Sie ist auch, verglichen mit anderen Einsätzen, natürlich nicht sehr teuer. Aber diese 2,5 Millionen Euro sind Steuergeld, und wir müssen uns sehr gut überlegen, wie wir damit umgehen. Wenn wir die Wahl haben, das für eine Mission auszugeben, die wir im Grunde gar nicht brauchen, oder unseren Soldaten dafür bessere Ausrüstung zu kaufen, dann fällt die Wahl nicht schwer. Was meinen Sie, wie die Soldaten sich freuen, wenn Sie mal ein paar von den alten Lochkoppeln durch was Zeitgemäßes ersetzen. Dafür sind wir. Wir werden heute Operation Sea Guardian nicht zustimmen. Die Gründe habe ich Ihnen eben dargelegt. Es gibt keine Argumente dafür, diese Mission fortzuführen. Ich rate allen, hier mit uns zusammen heute diese Mission abzulehnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Rainer Semet das Wort. ({0})

Rainer Semet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005223, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es herrscht wieder Krieg in Europa. Unsere Sicherheit ist bedroht, und unsere Freiheit ist es auch. Wir lernen die Bedeutung von entschlossenem und geschlossenem Auftreten mit unseren Partnern in EU und NATO unter diesen schmerzlichen Umständen neu kennen. Unsere Werte sind nicht selbstverständlich. Wir müssen sie immer und überall verteidigen. Der Krieg ist näher, als wir es für möglich gehalten haben. Wer sich Bilder von Kiew noch aus diesem Januar anschaut, sieht eine lebendige Stadt. Wenige Wochen später liegt sie in Trümmern. Diese Bilder machen uns fassungslos und schockieren uns zutiefst. In Frieden zu leben, war für uns eine Selbstverständlichkeit. Kriege finden statt, aber sie waren weit weg. Unsere Beteiligung an der NATO-Operation Sea Guardian ist wichtiger denn je, um Bedrohungen in der Mittelmeerregion zu identifizieren und durch das Sammeln von wichtigen Informationen effektiv darauf reagieren zu können. Bei dem Einsatz geht es konkret darum – das ist heute schon mehrfach ausgeführt worden –, Lagebilder zu erstellen, Kontrollen auf See durchzuführen, um so Terrorismus und Waffenschmuggel zu bekämpfen. Die Ergebnisse der Lagebilder tragen substanziell zur Einschätzung und Bewältigung von Fluchtbewegungen und anderen Krisen im Mittelmeer bei. Angriffe auf unser Wertesystem beginnen oft dort, wo wir sie nicht jeden Tag sehen. Unsere Aufgabe ist es, solche möglichen Angriffe bereits frühzeitig zu erkennen und im Keim zu ersticken. Die NATO-Mission Sea Guardian im Mittelmeer ist daher ein enorm wichtiger Einsatz, für den ich mich an dieser Stelle und in aller Form bei den daran beteiligten Soldatinnen und Soldaten bedanken möchte. ({0}) Spätestens seit der Regierungserklärung unseres Bundeskanzlers vom 27. Februar ist klar: Wir sind gezwungen, unsere Außen- und Sicherheitspolitik auf eine neue Realität einzustellen. Das genau geschieht jetzt. Wir treffen weitreichende Entscheidungen. Zu der Kritik – Absenkung der Personalobergrenze auf 550 und Streichung der Küstengebiete im Einsatzgebiet – kann ich sagen: Es stimmt nicht, dass das Mandat damit Stück für Stück aufgeweicht wird; es wird in vollem Umfang erfüllt. Ja, es stimmt, wir müssen natürlich in jedem Einzelfall genau hinschauen, und wir müssen in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob die Mandatsgröße noch richtig ist, um gegebenenfalls den Umfang des Mandates zu vergrößern oder anzupassen. Aber es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass allein durch die Vergrößerung des Mandats die Effektivität steigt. Wir machen verantwortungsvolle Politik, schaffen im Sinne der Einsatzkräfte Klarheit und Rechtssicherheit. Genau das ist das Ergebnis der Überarbeitung des Mandats. Ich begrüße es sehr, dass wir gründliche Evaluationen nun standardmäßig bei allen Mandaten vornehmen. Der Umfang von Sea Guardian wird damit an der Einsatzrealität gemessen, und das ist genau richtig. Ich möchte hier noch eine sehr persönliche Bemerkung machen. Wladimir Putin. Was ist das für ein Mensch, der einen Krieg beginnt, um seine angebliche Größe zu sichern? Er bringt Elend über die Menschen in der Ukraine. Er bringt Tod, Zerstörung, Hunger, Kälte und Vertreibung. Dazu stürzt er sein eigenes Volk ins Elend, schickt seine Jugend in einen sinnlosen Krieg, isoliert Russland und das russische Volk von der Gemeinschaft der friedliebenden Völker. Wladimir Putin, kommen Sie zur Vernunft! Sie haben diesen Krieg begonnen. Sie können ihn nicht gewinnen. Sie könnten ihn beenden. Beenden Sie ihn jetzt! ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte ausdrücklich für eine breite Zustimmung zur Fortsetzung von Sea Guardian werben. Stärken wir dieses Mandat als Zeichen der Geschlossenheit mit unseren Partnern und aus Respekt vor der wichtigen Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat für die Fraktion Die Linke die Kollegin Zaklin Nastic. ({0})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die NATO-geführte Mission Sea Guardian steht eben nicht, wie Sie hier heute erneut suggerieren, für die Erhöhung der Sicherheit im Mittelmeer. Terroristen zur See oder Waffenschmuggel wurden durch Sea Guardian weder jemals gefunden noch eingedämmt. Im vergangenen Jahr sind 30 000 Schiffe identifiziert worden, drei wurden kontrolliert, gefunden wurde erneut nichts. In der Tat, die Lieferungen von Rohstoffen und Lebensmitteln über das Mittelmeer sind substanziell. Aber vor wem genau wollen Sie diese denn schützen? Und wen meinen Sie mit den bestimmten Akteuren, die eine konkrete Gefahr darstellen würden? Solange Ihr Antragstext hier so nebulös bleibt, bleiben auch Ihre Beschwörungen für Sea Guardian einfach nur fadenscheinig. ({0}) Es geht Ihnen doch eigentlich auch um etwas völlig anderes, nämlich darum, Handelswege Dritter jederzeit – notfalls mit Unterstützung der NATO – für die Konzern-Profit-Interessen Ihrer Konzerne unterbrechen zu können, ({1}) und das ist brandgefährlich. ({2}) Die zivile Schifffahrt im Mittelmeer ist mehr als 70 Jahre ohne NATO-Unterstützung und -Kontrolle sehr gut zurechtgekommen; denn sichere See- und Handelswege werden nicht militärisch garantiert, sondern durch Diplomatie, durch Zusammenarbeit und Handelsabkommen. ({3}) Geht es dabei in Wahrheit nicht vielleicht auch um eine geopolitische Agenda gegen geflüchtete Menschen? Wenn es so sein sollte, dann ist das nicht nur unverantwortlich, sondern steht den von Ihnen propagierten Werten, nämlich Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, diametral entgegen. ({4}) Erst kürzlich sind erneut 44 Menschen, die Schutz in Europa suchten, im Mittelmeer elendig ertrunken. Wo waren da die Uniformierten von Sea Guardian? Haben sie etwa diesen Menschen geholfen? Nein, das haben sie nicht. Kein einziger Geflüchteter wurde jemals durch Sea Guardian gerettet. Das ist wirklich tragisch, meine Damen und Herren. ({5}) Diese Abschottung der EU-Grenzen durch Sea Guardian hat nichts mit Sicherheit zu tun und auch nichts mit Menschenrechten. Meine Damen und Herren auch auf der Regierungsbank, vor Krieg flüchtenden Menschen zu helfen – aus der Ukraine, aber auch aus allen anderen Kriegen dieser Welt –, ist doch gerade das Gebot der Stunde. Deswegen sagen wir Linken ganz klar: Das Asylrecht muss vollständig wiederhergestellt werden. ({6}) Schutzsuchende aus aller Herren Länder suchen Schutz vor den Herren und ihren Kriegen. Sea Guardian bietet keinen Schutz, für niemanden. Deswegen lehnen wir Linken den Antrag ab. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Peter Beyer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Unionsbundestagsfraktion wird der NATO-Mission Sea Guardian zustimmen – das vorab. Es gibt eine ganze Reihe guter Gründe, diese Mission fortzusetzen. Ein paar haben wir in dieser Debatte schon gehört; ich nenne sie noch einmal: Es geht um die Handelswege, die in der Tat zu schützen sind; denn unsere Sicherheitsinteressen hängen damit direkt zusammen. Ungefähr ein Viertel der weltweiten Öltransporte und ein Drittel des Welthandels führen durch das Mittelmeer. Und Sea Guardian dient natürlich auch der Abschreckung, der Prävention – das ist eine Wahrheit, die häufig vergessen wird –, und das ist natürlich der Hauptgrund, warum so wenige Schmuggler, so wenige Terroristen aufgebracht werden. Das zeugt davon, dass diese Mission ein Erfolg ist. Ich nenne einen weiteren Grund, der nicht zu vernachlässigen ist: Sea Guardian ist auch ein starkes Zeichen an unsere transatlantischen Verbündeten in den USA, dass wir in unserer geografischen Region, in unserer Umgebung Verantwortung für unsere eigenen Sicherheitsinteressen übernehmen. Und wir sehen ja gerade in dieser Zeit, dass es erforderlich ist, sich dieser Sicherheitsinteressen verstärkt anzunehmen. ({0}) Gleichwohl haben wir als Unionsbundestagsfraktion zwei Kritikpunkte an dem Mandat, wie es von der Bundesregierung vorgelegt wird. Das eine ist die angebliche Anpassung an die Einsatzrealitäten, was nichts anderes heißt, als dass die Küstengewässer aus dem Mandat, aus dem Operationsgebiet herausgenommen werden. Nicht einmal die Regierung scheint davon überzeugt zu sein. Im Ausschuss hat der zuständige Staatsminister am Mittwoch dieser Woche selbst Zweifel daran geäußert, dass durch die Herausnahme der Küstengewässer das Einsatzgebiet präziser definiert ist. Der zweite Kritikpunkt betrifft – wir haben es schon ein paarmal gehört, aber mit unterschiedlichen Ansätzen – die Reduzierung der Truppenstärke. Das ist doch jetzt, wo wir unsere Sicherheitsinteressen stärker wahrnehmen müssen, genau das falsche Signal. In der Begründung des Antrags auf Fortsetzung des Mandats heißt es richtigerweise: Die Sicherheitsinteressen im Mittelmeerraum sind für uns „von zentraler Bedeutung“. Ja, warum senkt man dann die Truppenobergrenze um 100 Soldatinnen und Soldaten? Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren. ({1}) Wir stimmen insgesamt zu – das sagte ich eingangs –, weil es natürlich Sinn macht, diese Operation fortzusetzen, die seit über 20 Jahren mit unseren Partnern besteht. Sie startete als Active Endeavour als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September. Sie macht auch heute noch Sinn, weil sie an der sogenannten Südflanke der NATO unsere Sicherheitsinteressen schützt. Deswegen empfehle ich diesem Hohen Haus insgesamt Zustimmung. Ich danke Ihnen und wünsche trotz allem ein schönes Wochenende. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Joe Weingarten für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor einem Monat hatten wir die erste Lesung zum vorliegenden Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen von Sea Guardian – im gleichen Raum, aber in einer anderen Welt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat den Umgang der Nationen miteinander verändert. Er hat die militärischen Rahmenbedingungen dramatisch verschärft, für die NATO, für die Bundeswehr, aber auch für uns als verteidigungspolitisch Verantwortliche. Dabei sind die Ziele, Begründungen und Werte, mit denen ich in der ersten Lesung die zustimmende Haltung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu dieser Bundeswehrmission dargelegt habe, unverändert. Wir setzen auf Dialog und gleichzeitige Absicherung als Basis für ein friedliches Miteinander der Völker. Wir setzen auch weiterhin darauf, dass es Frieden und Sicherheit in Europa dauerhaft nur geben kann, wenn es Frieden und Sicherheit im Mittelmeer gibt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Der Krieg in der Ukraine darf uns den Blick dafür nicht verstellen, dass die Lage insbesondere im östlichen Mittelmeer aufgrund sozialer Ungerechtigkeiten, ethnischer Konflikte und religiösem Fanatismus brandgefährlich ist. Wenn ich jetzt von der AfD-Fraktion höre, es gebe in Deutschland mehr Terroristen als im Mittelmeer, dann kann ich nur sagen: Wir haben in dieser Woche schon viel Absonderliches aus dieser Fraktion gehört, aber das war der Gipfel. ({0}) Sparen Sie sich künftig vor allen Dingen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der AfD, alle heuchlerischen Anmerkungen zur Situation, in der sich Israel befindet, wenn Sie so denken, wie Sie hier reden. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe auch bei der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass es unser Interesse sein muss, als drittgrößte Handelsnation der Welt darüber Bescheid zu wissen, wer sich auf den Schifffahrtsrouten in direkter Nähe unseres Kontinents aufhält und was dort passiert, und dass wir die militärischen Fähigkeiten besitzen müssen, um die Vorbereitung von Gewalttaten, Waffenschmuggel oder die Störung der internationalen Seefahrt zu verhindern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weingarten, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Keuter?

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das möchte ich den Kollegen heute Nachmittag nicht mehr zumuten. ({0}) Zu den genannten Aufgaben gehört unverändert die Erstellung eines umfassenden Lagebildes, da nur dadurch vernünftige politische und militärische Entscheidungen getroffen werden können. Wir brauchen Augen und Ohren in diesem Teil der Welt. Und wir stehen unverändert dazu – das kann man offenbar auch in diesem Hause nicht oft genug sagen –, Menschen, die im Mittelmeer in Seenot geraten, zu retten, egal woher sie kommen und wohin sie wollen. ({1}) Frau Kollegin Nastic, es hat mich intellektuell nicht wirklich überzeugt, wenn Sie einerseits sagen, Sie wollten die Mission gar nicht, aber andererseits mahnen, wir retteten zu wenige Menschen. Da muss ich schon zu einer gewissen Stringenz aufrufen. Es kommt aber noch etwas hinzu, liebe Kolleginnen und Kollegen. Seit der Einbringung des Antrags auf Fortsetzung von Sea Guardian hat sich in der Welt viel verändert, hinsichtlich der politischen und militärischen Lage, aber auch in Bezug auf unsere Bereitschaft, entschlossen darauf zu reagieren. Vor dem Hintergrund von Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine müssen wir auch die Bedeutung von Sea Guardian im Weltgeschehen neu einordnen; denn das militärische Lagebild hat sich erweitert. Der Einsatz von Gewalt für die Durchsetzung politischer Ziele hat wieder Einzug in Europa gehalten, aber eben nicht nur dort, sondern auch durch die erhebliche Betätigung Russlands im östlichen Mittelmeer. Durch die Unterstützung des syrischen Unrechtsregimes hat sich Putin Häfen und Luftwaffenbasen am Mittelmeer als militärische Ausgangsposition gesichert, mit Kriegsschiffen und Kampfbombern, deren konventionelle und nukleare Fähigkeiten Anlass zu höchster Besorgnis geben. Auch das ist eine Facette des Konfliktes, der wir uns stellen müssen. Ja, Sea Guardian ist kein Mandat, das explizit auf die Gefahren der Großmachtpolitik Russlands eingeht. Aber wir beobachten jeden Schritt, den Russland in der Mittelmeerregion tut, und stärken damit die Handlungsfähigkeit der NATO an dieser Flanke. ({2}) Dazu leisten wir einen substanziellen und wichtigen Beitrag, gegenwärtig mit der Fregatte „Lübeck“ und dem Minenjagdboot „Bad Rappenau“ und später auch mit den Versorgungsschiffen „Bonn“ und „Elbe“. Deren Besatzungen und allen anderen Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz gilt unser ganzer Dank. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wollen Frieden. Aber dazu müssen wir wachsam und handlungsbereit sein. Senden Sie deshalb bitte an die Soldatinnen und Soldaten unserer Einheiten im Rahmen von Sea Guardian ein klares Signal, und stimmen Sie dem Antrag der Bundesregierung auf Fortführung des Mandats bis zum 31. März 2023 zu. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Röwekamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005193, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Beschluss setzen wir die erfolgreiche Mission Sea Guardian im Mittelmeer unter deutscher Beteiligung unverändert fort. Warum „erfolgreich“? Bemängelt wird ja vonseiten der AfD, dass wir noch keinen Terroristen angehalten und noch keine Waffen gefunden hätten. Dazu vielleicht ein Beispiel, das Sie besser verstehen: ({0}) Das wäre genauso, wie wenn man glauben würde, dass man den Rechtsextremismus in Deutschland besiegt hätte, ({1}) nur weil wir keine oder nur wenige rechtsextremistische Straftaten in Deutschland aufdecken und verfolgen. Nein, der Rechtsextremismus in Deutschland ist erst besiegt, wenn es in den Köpfen der Menschen und in den Parlamenten Deutschlands kein rechtsextremes Gedankengut mehr gibt. ({2}) Vielleicht verstehen Sie, liebe AfD, dieses Beispiel besser. ({3}) Die Mission wird entgegen dem, was die Grünen hier zu vermitteln versuchen, unverändert fortgesetzt. Sie schreiben in der Vorlage der Bundesregierung ja selbst, dass Sie nur eine Anpassung an das tatsächliche Einsatzgeschehen der Bundeswehrbeteiligung vor Ort vornehmen. Das heißt, der Einsatz der Soldatinnen und Soldaten selbst wird auch nach dem heutigen Beschluss genau so sein wie vor einem Jahr. Sie werden selbstverständlich weiter ihre Aufgaben im NATO-Verbund wahrnehmen können, und selbstverständlich werden auch in Zukunft Küstenmeere durch die NATO kontrolliert werden – vielleicht nicht mehr durch die deutsche Beteiligung unterstützt, aber natürlich werden unsere Bündnispartner ihren Auftrag nicht ändern, nur weil die Grünen den deutschen Auftrag ändern werden. Selbstverständlich wird es auch in Zukunft zum Capacity Building kommen, aber wahrscheinlich nicht mehr an Bord deutscher Schiffe, sondern nur noch an Bord anderer Schiffe. Denn mit Ihrem Beschluss können Sie die NATO-Mission nicht ändern; Sie können nur den deutschen Beitrag ändern. Alles, was wir in Zukunft nicht mehr machen, liebe Grüne, müssen dann wieder andere für uns machen. Das ist Ihre reale Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Weil der Einsatz unverändert fortgesetzt werden wird, werden wir als CDU/CSU-Fraktion natürlich diesen veränderten Mandatsbedingungen zustimmen; denn die Änderungen haben auf die Mission selbst keinen unmittelbaren Einfluss. Wie gesagt: Der deutsche Auftrag hat sich nicht geändert. Das Einzige, was sich geändert hat, ist, dass Sie als grüne Bundestagsfraktion jetzt erstmalig diesem langjährigen und erfolgreichen Einsatz zustimmen. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe. Der eine ist: Sie haben Ihre Meinung geändert. – Das habe ich heute ehrlicherweise nicht rausgehört. Der andere ist: Ihre Rolle hat sich geändert. – Ich glaube, das ist der wahre Grund. Sie sind jetzt in der Regierung. Sie können nicht mehr gegen solche internationalen Verpflichtungen stimmen, und nur deswegen stimmen Sie zu – nicht aus Überzeugung, sondern weil Sie Teil der Regierung sind. ({5}) Wir als CDU/CSU-Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, stimmen unabhängig von der Frage, ob wir gerade an der Regierung oder in der Opposition sind, zu. Wir stimmen zu, weil wir von der Mission und dem deutschen Beitrag dazu überzeugt sind. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Houston, wir haben ein Problem!“ SPD, Grüne und FDP werden die Rentenkasse in den kommenden zwei Jahren von 39 Milliarden auf 8 Milliarden Euro leerräumen. Das ist schlecht; denn in Deutschland sind die Renten zu niedrig, und für deutlich höhere Renten stellen Sie kein Geld zur Verfügung. Im Gegenteil: 2018 wurde eine Sonderzahlung des Bundes für das Jahr 2022 in einer Höhe von einer halben Milliarde Euro ins Gesetz geschrieben. Und die hat die Koalition gestern komplett aus dem Haushalt gestrichen – von 500 Millionen auf null. Damit verschärfen Sie die Finanzprobleme der gesetzlichen Rente, und Sie lassen das die Rentnerinnen und Rentner mit Nullrunden und Nachholfaktor bitter spüren. Das ist verantwortungslos. ({0}) Wir Linken setzen dem Ausbluten der Rentenkasse in den kommenden Jahren mehr Verlässlichkeit, mehr Stabilität und mehr Sicherheit entgegen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Ampel, ich fordere Sie auf: Erhöhen Sie jetzt die Reserven der Rentenversicherung! ({1}) Meine Damen und Herren, die Linke will die Zahlungsfähigkeit der gesetzlichen Rente langfristig sichern, ({2}) und dies vor dem Jahr 2024. Denn dann wird die Rentenkasse nach den aktuellen Berechnungen fast leer sein, und dann werden Sie nur mit einem Beitragssatzsprung auf 19,5 Prozent und einer weiteren Nullrunde zulasten der Rentnerinnen und Rentner die Rentenfinanzen mehr schlecht als recht über die Runden bringen können. Das hatten wir schon einmal. Im Jahr 2005 musste der Bundesfinanzminister Zahlungen vorziehen, Fälligkeiten verschieben und bis Ende November 2005 dann 600 Millionen Euro nachschießen, um die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung zu sichern. Das muss verhindert werden; denn das könnte das Vertrauen in das solidarische Umlagesystem untergraben. ({3}) Meine Damen und Herren, es gibt Krieg mitten in Europa. Wir haben eine Inflation, und Heizung, Strom und Benzin werden immer teurer. Das sind Gründe genug, die Rente auf sichere Füße zu stellen. Die Linke fordert deshalb, die Untergrenze für die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage – früher hieß sie „Schwankungsreserve“ – zu erhöhen. Die Deutsche Rentenversicherung fordert das ebenso wie der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Grünen – vor der Bundestagswahl. Selbst Union und SPD hatten in der vergangenen Wahlperiode ihre Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ausdrücklich aufgefordert, sich dazu zu äußern. Im Ergebnis hat sich auch die Rentenkommission für eine deutlich höhere Mindestnachhaltigkeitsrücklage ausgesprochen. Wir Linken fordern, die Reserven der Rentenkasse zu verdoppeln und die Mindestnachhaltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben auf 0,4 Monatsausgaben anzuheben. ({4}) Damit könnte die Rentenkasse regelmäßige und außergewöhnliche Schwankungen im Jahresverlauf ausgleichen, und 2024 wären dann schon 11 statt nur 8,3 Milliarden Euro in der Rentenkasse. Dazu müsste der Beitragssatz nur um 0,15 Prozentpunkte angehoben werden. Das würde einen Durchschnittsverdiener und seine Chefin aktuell jeweils nur 2,43 Euro im Monat kosten. Spare in der Zeit, dann haste in der Not – und die Rente wäre deutlich sicherer. Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Dr. Tanja Machalet für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Tanja Machalet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach all den Themen, die wir in den letzten beiden Tagen zu den aktuellen Krisen diskutiert haben, geht es hier um ein Thema, das gerade nicht so im Fokus steht, aber dennoch für die Bürgerinnen und Bürger im Land von großer Bedeutung ist, nämlich darum, wie wir unser Rentensystem weiterhin stabil und zukunftsfest aufstellen können. Gerade jetzt, angesichts so vieler Unsicherheiten, ist es wichtig, dass wir den Menschen Sicherheit geben, die sich fragen, ob sie morgen noch einen Job haben oder was aus ihrer Rente wird. Es sind aber nicht nur die aktuellen Unsicherheiten, die mich beim Thema Rente umtreiben, sondern eben auch die vielen individuellen Schicksale, die ich durch meine vorherige Arbeit im rheinland-pfälzischen Landtag und vor allem auch durch die Tätigkeit meines Vaters als Versichertenältester für die Deutsche Rentenversicherung – im Übrigen ein sehr bedeutendes Ehrenamt – ({0}) mitbekommen habe, wo er in vielen Fällen tatsächlich helfen konnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich bin Ihnen ja fast schon dankbar dafür, dass Sie das Thema der nachhaltigen Finanzierung der Rentenversicherung auf die Tagesordnung gesetzt haben – ({1}) auch zu so später Stunde –; denn das bietet mir die Gelegenheit, die Bedeutung stabiler Renten für uns als Ampelkoalition noch einmal herauszustellen. In Ihrem Gesetzentwurf geht es darum, die Mindestrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung von 0,2 Monatsausgaben auf 0,4 Monatsausgaben zu erhöhen; das haben Sie eben beschrieben. Was ist die Mindestrücklage? Das ist der Anteil einer monatlichen Rentenausgabe, die die Rentenversicherung mindestens an Reserve haben muss, um auf unterjährige Schwankungen vorbereitet zu sein. Der Höchstsatz dieser Nachhaltigkeitsrücklage liegt bei 1,5 Monatsausgaben. Es geht also vor allem darum, zu verhindern, dass die Garantiefunktion über den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden muss. Mit dem, was die Rentenversicherung gemäß Rentenversicherungsbericht 2021 gerade an Rücklage hat, ist dies vorerst gesichert. ({2}) – Ja. Seit 1980 – auch das haben Sie beschrieben – hatte die Nachhaltigkeitsrücklage ihren Tiefpunkt 2005; da lag sie bei 0,1 Monatsausgaben. Seitdem ist die Rücklage der Rentenversicherung unter anderem durch die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt gestiegen und lag im Dezember 2021 bei 1,62 Monatsausgaben, also fast 39 Milliarden Euro. ({3}) Und Sie wissen auch: Von der Systematik her müssten wir eigentlich bei einem Wert über 1,5 die Rentenversicherungsbeiträge senken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gute und verlässliche Rente nach vielen Jahren Arbeit muss für alle Erwerbstätigen sicher sein. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die zentrale Grundlage dafür bleibt die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren verlässlichen Leistungen und ihrer solidarischen Finanzierung. ({4}) Deswegen ist es gut, dass die Rentenversicherung eine so große Rücklage aufbauen konnte und eine Anhebung der Mindestrücklage aktuell noch nicht erforderlich ist. Dennoch ist natürlich für uns die nachhaltige Finanzierung der Rente eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Durch den Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge – darüber diskutieren wir ja auch schon ziemlich lange – wird die Rentenversicherung in den kommenden Jahren besonders stark gefordert sein. Dafür braucht es jetzt die entsprechenden Maßnahmen. ({5}) – Genau. – Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag eben auch einiges für die Rente vorgenommen. ({6}) Das wichtigste Ziel muss sein, das Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft zu sichern. Wir werden Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentner im Bestand umsetzen. Das ist eine Frage des Respekts; das haben wir versprochen. ({7}) Und das Renteneintrittsalter werden wir nicht weiter anheben. Auch das ist eine Frage des Respekts. ({8}) Es bleibt dabei: Die gesetzliche Rente ist ein zentrales Versprechen des Sozialstaats. Dennoch bieten betriebliche und private Altersvorsorgen Möglichkeiten, zusätzlich für das Alter anzusparen. ({9}) Wir werden die private Altersvorsorge stärken und die betriebliche selbstverständlich auch. Ziel dabei ist, vor allem Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen und kleine Unternehmen noch stärker einzubeziehen und zu fördern. Für mich ist allerdings auch ein zentraler Baustein, wenn es um das Thema „Sicherung der Rente“ geht, die Prävention im Erwerbsleben. Menschen müssen die Chance haben, gesund und ohne langwierige krankheitsbedingte Ausfälle in ihrer Erwerbsbiografie das Rentenalter zu erreichen. Wir wollen und werden daher den Aktionsplan „Gesunde Arbeit“ ins Leben rufen und hierdurch darauf hinwirken, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger und gesünder im Arbeitsleben stehen und die Rentenversicherung hierdurch auch weniger belastet wird. ({10}) Um frühzeitig einer Erwerbsminderung entgegenzuwirken, werden wir den Ü-45-Gesundheitscheck – da bin ich dann jetzt auch dabei – gesetzlich verankern und flächendeckend ausrollen. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, elementar zur Stärkung der umlagefinanzierten Rente ist und bleibt natürlich, mehr Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bringen. Wir müssen die Erwerbstätigkeit von Frauen ausbauen und stärken, und zwar so, dass sie auch für die Rente ausreichend vorsorgen können. ({12}) Wir werden die Absicherung von Selbstständigen stärken – auch ein ganz wesentlicher Punkt. Wir wollen dem bereits existierenden Fachkräftemangel mit dem Ausbau von Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und einem modernen Fachkräfteeinwanderungsgesetz begegnen. Nur ein starker Arbeitsmarkt garantiert eine stabile und zuverlässige Rentenversicherung. ({13}) Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei – und alle anderen auch –: Wir haben uns wirklich viel vorgenommen. Ich freue mich jedenfalls auf viele weitere Rentendebatten in dieser Legislaturperiode, darin mit Sicherheit auch enthalten die weitere Entwicklung der Mindestrücklage. ({14}) – Ja. Für heute bedanke ich mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen trotz allem, was sonst so passiert, ein schönes Wochenende. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ebenfalls zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Dr. Markus Reichel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Markus Reichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005185, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen von der Linken, lassen Sie mich eingangs sagen: Ihr Antrag geht durchaus in die richtige Richtung. Aber das Problem ist doch: Ihre rentenpolitischen Vorstellungen, zum Beispiel in Ihrem Wahlprogramm, gehen grundsätzlich an der Realität vorbei und sind finanziell in keiner Weise durchgerechnet. Da sind Sie, ehrlich gesagt, insgesamt auf dem Holzweg. ({0}) Ich sage Ihnen – als Mathematiker sei mir das erlaubt –: Wir müssen doch nun wirklich gerade bei der Rente richtig rechnen. Sie wollen die Nachhaltigkeitsrücklage erhöhen, von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben. Wir als CDU/CSU-Fraktion sehen die Sicherung der Nachhaltigkeit unseres Rentensystems natürlich als ein absolutes Erfordernis. Aber wir unterstützen keine pure Symbolpolitik. Und Symbolpolitik ist Ihr Antrag, meine Damen und Herren von den Linken. ({1}) Denn hinter der von Ihnen geforderten Einzelmaßnahme steht alles andere als ein schlüssiges Rentenkonzept. Jetzt aber zur Nachhaltigkeitsrücklage. Nach Finanzschätzungen wird sie in den nächsten Jahren auf die gesetzlich festgelegte Untergrenze von 0,2 Monatsausgaben fallen. Diese Entwicklung bereitet auch uns Sorgen, weil sie in einzelnen Monaten zu Liquiditätsproblemen führen kann. Natürlich, hier muss gehandelt werden. Die Rentenkommission der vergangenen Legislaturperiode hat eine Anhebung auf 0,3 Monatsausgaben gefordert. Nur das – und nicht die Anhebung auf 0,4, wie Sie sie hier fordern – sollten wir umsetzen. Warum nicht mehr? Auch die Erhöhung der Nachhaltigkeitsrücklage belastet den Beitragszahler, und der Beitragszahler, konkret die vielen Menschen und Familien, können gerade in der aktuellen Inflationslage nun wahrlich keine unbedachten Zusatzbelastungen gebrauchen. ({2}) Wissen Sie, ich bin neuer Abgeordneter hier im Bundestag. Im Wahlkampf in Dresden habe ich natürlich mit vielen Bürgern und Bürgerinnen über das Rentensystem gesprochen. Viele haben mir die Frage gestellt: Herr Reichel, wird denn meine Rente sicher sein? Was werden Sie im Deutschen Bundestag dafür tun? – Ich habe immer als Antwort gegeben: Der nächste Bundestag – damit sind wir hier jetzt gemeint – wird eine grundsätzliche Debatte führen müssen, wie das Rentensystem auch für die kommenden Jahrzehnte zukunftsfest gemacht werden kann. Die Bürgerinnen und Bürger sehen doch auch die Entwicklung: 1962 kamen auf einen Altersrentner noch sechs Beitragszahler. Heute kommen noch gut zwei Beschäftigte auf einen Rentner, und 2030 werden es 1,6 Beschäftigte sein. Die Lebenserwartung steigt und damit auch die durchschnittliche Rentendauer. Das, meine Damen und Herren, ist die wirkliche Nachhaltigkeitslücke, über die wir in dieser Wahlperiode sprechen müssen. Ich frage mich: Was tut denn die Regierungskoalition dafür, diese Lücke zu finanzieren? Wir haben vorher nicht viel gehört, trotz der frühen Stunde. Sie haben doch im Bereich der Rentenpolitik noch nicht einmal vor, eine solche grundsätzliche Debatte zu eröffnen, geschweige denn sie zu einem Ergebnis zu führen. Die Aktienrente mit 10 Milliarden Euro, die Sie planen, wird bei Weitem nicht ausreichen, um die Nachhaltigkeitslücke zu finanzieren. Wir als Union stehen insbesondere zur zusätzlichen Altersvorsorge: zur betrieblichen, zur privaten und zur kapitalgedeckten. Das und noch vieles mehr müssen wir bald – mit „bald“ meine ich: auf jeden Fall vor 2025 – hier debattieren, umfassend und nicht nur eine einzelne Stellschraube, wie in dem vorliegenden Antrag der Linken. ({3}) Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Markus Kurth hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ganz wunderbar, dass wir jetzt zum ersten Mal in der neuen Legislaturperiode, in der 20., eine rentenpolitische Diskussion haben. Nur hätte ich mir gerade für die erste Debatte in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema eine etwas grundsätzlichere Fragestellung gewünscht als diejenige, die Die Linke hier jetzt anbieten kann. ({0}) Die Erhöhung der Mindestreserve in der Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben: Ich weiß nicht, ob da ein Ruck durch die Rentnerinnen und Rentner und Beitragszahler geht, ob das etwas ist, was sie elektrisiert. Ich weiß auch nicht, ob die Wählerinnen und Wähler der Linken dadurch jetzt in Scharen an die Urnen getrieben werden. Aber das ist ja nun Ihre Sache. ({1}) Ich weiß nicht, ob Ihnen nach der Wahl eine Kommunikationsreferentin oder ein Kommunikationsreferent abhandengekommen ist oder ob Sie so eine Stelle jemals besetzt hatten. Jedenfalls haben Sie selber gemerkt, dass die rein technische Substanz Ihres Gesetzentwurfes nur eine ziemlich kleine Baustelle darstellt. Deswegen, Herr Birkwald, haben Sie von hier aus auch behauptet, es würden Nullrunden drohen, ({2}) was überhaupt nicht der Fall ist. ({3}) – Nein. – Es wird eine Rentenerhöhung, ({4}) und zwar eine ziemlich kräftige, von über 4 Prozent zum 1. Juli geben. Das ist Tatsache. ({5}) Sie haben auch versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob die Erhöhung der Mindestreserve irgendeinen Beitrag zur dauerhaften, langfristigen Stabilisierung der Rentenkasse leisten würde. Auch das ist nicht der Fall. Nein, das markiert nur einen etwas höheren Punkt, an dem eine Intervention durch eine Erhöhung des Beitragssatzes notwendig wird. Das ist im Kern ein rein technischer Vorgang, der natürlich auch eine gewisse Substanz hat; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Denn in der Tat – das beschreiben Sie in Ihrem handwerklich übrigens guten Gesetzentwurf zutreffend –: Es droht, wenn diese Untergrenze erreicht wird – und sie wird in ein paar Jahren erreicht werden –, die Gefahr, dass die unterjährige Liquidität – so nennt man das – über Beitragseinnahmen nicht gesichert werden kann und dass dann der Bund einspringen muss. Die Gefahr ist an dieser Stelle natürlich die, dass die Zeitung mit den großen Buchstaben schlagzeilt: Rentenkasse pleite! Nichts mehr übrig! Kann nächsten Monat noch Ihre Rente gezahlt werden? – Ich finde, solche Debatten sollten wir uns tunlichst ersparen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– sofort – und stattdessen als Koalition darüber nachdenken – noch ist die Rücklage gut gefüllt –, was wir tun können, um diese Situation zu vermeiden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt aber. Herr Birkwald würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe es schon geahnt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wie ist das Ergebnis der Ahnung?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Bitte. ({0}) Schweren Herzens.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Also: Bitte.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, lieber Kollege Markus Kurth. Angesichts der Uhrzeit mache ich es extrem kurz. Sehr geehrter Herr Kurth, Sie haben hier gerade behauptet, es drohten keine Nullrunden. Ich möchte festhalten: Diese Behauptung ist faktenwidrig. In der Herbstschätzung 2021 der Rentenversicherung kann man das gerne nachlesen: „Rentenanpassung ab Juli in Prozent – Alte Bundesländer“, 2024: null. Genau darum geht es. Es geht nicht um dieses Jahr und auch nicht um das kommende Jahr, sondern es geht darum, dass wir dann, wenn die Nullrunden drohen, also im Jahr 2024, genug Geld in der Nachhaltigkeitsrücklage haben; denn die wird bis dahin von 39 Milliarden Euro auf 8 Milliarden Euro abgeschmolzen sein. Deswegen frage ich Sie: Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? Erläutern Sie uns doch bitte, warum Sie gestern die 500 Millionen Euro gestrichen haben. Danke.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sehen im Moment, dass die Nachhaltigkeitsrücklage zum Ende des letzten Jahres – das ist noch nicht so lange her – bei 39 Milliarden Euro stand oder 1,6 Monatsausgaben, das heißt noch oberhalb der Monatsausgabe. Es besteht also in dieser Situation, wo wir eine schwerwiegende Unsicherheit gerade auch in der Wirtschaft haben und nicht ganz klar ist, wie es am Arbeitsmarkt weitergeht, ein ausreichender Puffer, um hier nicht aktionistisch handeln zu müssen. Sie haben mit Ihrer Äußerung gerade insinuiert, es würde quasi unmittelbar eine Nullrunde drohen, und ich habe festgestellt, dass das falsch ist. ({0}) Nach dem Jahr 2022, das wir gerade haben, wird das Jahr 2023 kommen, und dann kommt das Jahr 2024. Das heißt, wir haben noch gut zwei Jahre Zeit, vorausschauend zu handeln, und das werden wir als Ampelkoalition auch tun. ({1}) Die Formulierungen, Absichten und Zielsetzungen des Koalitionsvertrags in Bezug auf ein dauerhaft stabiles Rentenniveau sind an dieser Stelle ganz eindeutig. Sie wissen, genau wie ich, dass es verschiedene Interventionsmöglichkeiten gibt, und dazu zählt natürlich auch der Bundeszuschuss. Was aber noch viel wichtiger ist: dass wir die langfristigen Grundlagen der Finanzierung im Blick haben. Das bedeutet, dass wir das Erwerbspersonenpotenzial hoch halten müssen, dass wir zum Beispiel die Frauenerwerbstätigkeit fördern müssen, qualifizierte Zuwanderung, aber auch Integration und Ausbildung von Zuwanderinnen und Zuwanderern, die nicht so gut ausgebildet sind, Sprachkurse. Das sind alles Dinge, die im Moment ganz dringend anstehen. ({2}) Dann nehmen wir uns vor, dass wir sowohl Arbeitsmarktpolitik, Rehapolitik und Tarifpolitik gemeinsam betrachten. Es werden nämlich in den nächsten zehn Jahren 7 Millionen Menschen ausscheiden, Ältere kommen nach. Erst gestern war in einer Zeitung zu lesen, dass ein Viertel der Beschäftigten über 55 Jahre alt ist. Es geht darum, durch eine Reform im Rehabereich – die Frau Kollegin Machalet hat vorhin schon einige Punkte genannt – die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit an dieser Stelle hoch zu halten. Natürlich haben – meine Kollegin Beate Müller-Gemmeke rief es mir vorhin zu – eine gute Tarifpolitik, eine erweiterte Tarifbindung, vernünftige Lohnabschlüsse und auch eine Erhöhung des Mindestlohns allesamt einen entscheidenden Effekt auf die Rentenversicherung. ({3}) Das heißt – ich möchte es kurz skizzieren –, dass Ihr Entwurf nicht die tragenden Strukturpfeiler der Sozialversicherung in den Blick nimmt, sondern einen Mechanismus zur Liquiditätssicherung, was in der Sache überhaupt nicht falsch ist. Wir aber versuchen als neue Regierungskoalition – das kann man mit ein bisschen gutem Willen auch erkennen –, einen ganzheitlichen Blick auf die Rentenfinanzierung zu nehmen, der die verschiedenen Komponenten gleichermaßen bearbeitet. Das ist, wie ich hoffe, deutlich geworden. Ich freue mich, wenn wir irgendwann, hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft, wieder einmal grundsätzlich über die Perspektiven der Rentenversicherung reden können, die nicht nur eine Säule, sondern das Fundament in unserem Sozialstaat darstellt. Vielen Dank. ({4})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Bürger! Es ist keine zwei Wochen her, da kam ausgerechnet Minister Habeck auf die Idee, die Deutschen sollten länger arbeiten – dürfen; ganz freiwillig natürlich. Jetzt wissen wir inzwischen, dass das neuerdings mit der Freiwilligkeit nicht ganz so ehrlich ist, nicht nur, wenn es um Windräder und Autos geht. Da war Minister Lindner wenigstens ehrlich. Er, das heißt sein sogenannter Wirtschaftsberater Herr Feld, warf schon einmal die Zahl 70 in den Raum. ({0}) Das war dann schon nicht mehr freiwillig. Begründung hier: Dies sei nötig, damit das Rentensystem nach 2029 stabil bleibt – und das bei einem Rentensystem, das die OECD gerade zum schlechtesten aller Industriestaaten gekürt hat. Nirgendwo sonst in den Industriestaaten sind die Sozialbeiträge so hoch wie bei uns und das Rentenniveau so niedrig. Nirgendwo dürfen die Menschen dafür dann auch noch so lange arbeiten. Das Verhältnis von Bruttorente zum Bruttolohn beträgt in Deutschland gerade einmal 41,5 Prozent. Zum Vergleich: In Österreich sind es 74 Prozent, in den Niederlanden 69,7 Prozent. Das heißt, unsere Regierung erwartet von unseren Arbeitnehmern, dass sie für immer weniger Leistungen immer länger arbeiten sollen und dabei noch über ihre Steuergelder die Renten anderer Länder mitfinanzieren. „Die gesetzliche Rentenversicherung, ein Kernstück des deutschen Sozialstaates, treibt in die Krise, wenn nicht eine grundlegende Reform vorgenommen wird.“ Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung aus dem Jahr 1998. Er ist also 24 Jahre alt und, wie wir eben gehört haben, immer noch aktuell. Seit damals wurde viel am System herumgeschraubt, meist auf kurze Sicht, manchmal mit gegenläufigen Intentionen, immer aber aus politischen und wahltaktischen Gründen. Genau das passiert im Übrigen gerade mit dem Mindestlohn und der Tarifautonomie, die aktuell durch staatliche Planwirtschaft abgelöst werden. Was solche Eingriffe für den Arbeitsmarkt bedeuten, können wir heute noch gar nicht absehen; was Derartiges bei der Rente angerichtet hat, schon: Im Ergebnis haben wir heute ein dysfunktionales Rentensystem voller Fehlsteuerungen und Fehlanreize, weit abgeschlagen im internationalen Vergleich, auf Kosten unserer Beitragszahler und Rentner. Insofern teile ich Ihre Besorgnis voll und ganz, Kollege Birkwald, dass es hier zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in unser umlagefinanziertes System kommen kann. Das müssen wir verhindern. Nur, wenn das so ist, wieso ist das Erste, was Sie in dieser Legislaturperiode auf den Tisch legen, ein Gesetzentwurf, der mit hundertprozentiger Sicherheit zur Erhöhung der Beiträge führen muss? Da passt doch etwas nicht zusammen, ({1}) zumal Sie selbst zugeben – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Das Ausmaß der zusätzlichen Anhebung des Beitragssatzes kann zum aktuellen Zeitpunkt nicht exakt beziffert werden … ({2}) Das wäre aber doch hilfreich, meinen Sie nicht? ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Ansatz für eine Rentenreform, das ist politischer Aktionismus. ({4}) Gerade weil das deutsche Rentensystem im internationalen Vergleich so schlecht dasteht und gerade weil wir dringend etwas für die gesetzliche Rente tun müssen, kann es doch keine Lösung sein, stattdessen Renten- und Beitragszahler noch zusätzlich zu belasten. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass es durchaus noch Luft gibt bei der Steuerfinanzierung. Oder wie wäre es – nur einmal als Beispiel –, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie wir das Rentensystem vom Wust der versicherungsfremden Leistung entlasten? Das alles sind Ideen, die mir weit sinnvoller erscheinen als die willkürlich geforderte Erhöhung der Mindestrücklage auf gerade einmal 0,4 Monatsausgaben, was, nebenbei bemerkt, auch viel zu kurz gesprungen ist. Insofern ist dieser Gesetzentwurf ein Vorschlag aus der Abteilung „Wir haben auch mal wieder was zum Thema Rente gesagt“. Das ist zwar mehr, als der Ampelregierung bisher dazu eingefallen ist, das macht die Sache aber auch nicht besser. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Anja Schulz, und das ist ihre erste Rede. ({0})

Anja Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005216, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich den Antrag gelesen habe, musste ich zuallererst an Kino denken und daran, wie wir Filme bewerten. Es gibt gute und es gibt schlechte Filme, von Oscar bis Goldene Himbeere. Aber manchmal sind die schlimmsten Filme gar nicht die, die besonders schlecht sind; denn nicht umsonst hat das Genre des Trash-Films ganz viele Anhänger. Die schlimmsten Filme sind die langweiligen, bei denen nichts hängen bleibt und bei denen man die Handlung schon längst vergessen hat, bevor man aus dem Kino wieder heraus ist. Ich hätte nichts dagegen gehabt, in meiner ersten Rede zu einem Trash-Antrag mit marxistischer Note zu reden, wie man ihn üblicherweise von der Linkspartei kennt. ({0}) Stattdessen bekommen wir eine Aneinanderreihung vieler Mutmaßungen, einen Antrag, der eine Erhöhung der Mindestreserve in der Deutschen Rentenversicherung vorsieht, dabei allerdings etwas zu oft die Formulierung „nicht quantifizierbar“ nutzt. Sie argumentieren in Ihrem Antrag, dass die Inanspruchnahme von Liquiditätshilfen des Bundes durch die Rentenversicherung das Vertrauen der Bundesbürger in unser Rentensystem schädigt. Meinen Sie nicht, dass eine Erhöhung des Rentenbeitrags zur Finanzierung Ihrer Maßnahme genau denselben Effekt hätte, womöglich einen deutlich schlimmeren? Immerhin äußert sich diese Maßnahme in jedermanns Geldbeutel. Gerade mit Blick auf die steigende Inflation, die sich an den Zapfsäulen, an der Supermarktkasse oder auf der Stromabrechnung deutlich zeigt, ist das Timing dieses Antrags denkbar schlecht gewählt. Daher verwundert es mich umso mehr, dass ausgerechnet ein Antrag von links das Leben der Bürgerinnen und Bürger noch teurer machen möchte. ({1}) Auch die zusätzliche Belastung der Wirtschaft in Zeiten der Krise halte ich für fatal. Unsere Wirtschaft erholt sich gerade erst wieder von den Auswirkungen der Pandemie und steht mit dem Krieg in der Ukraine vor der nächsten Herausforderung. Eine Nachjustierung, die höhere Rentenbeiträge erfordert, käme zu keinem Zeitpunkt schlechter als jetzt. Wir sollten die Wirtschaft auf dem Weg aus der Krise unterstützen und nicht noch weiter belasten. ({2}) Das künstliche Sicherheitsgefühl, das Sie durch die Anhebung der Mindestreserve hervorrufen möchten, ist überflüssig. Zum Ende des letzten Jahres lag die Rücklage trotz der Pandemie ({3}) bei 1,55 Monatsausgaben und damit oberhalb der eigentlich erforderlichen Grenze. Die Rentenversicherung hat die Krise also gut überstanden. Außerdem gilt die gesetzliche Pflicht des Bundes, für die Liquidität der Rentenversicherung zu sorgen. Hierfür steht immer eine Bundesgarantie zur Verfügung, und darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger auch verlassen. ({4}) Dennoch bin ich sehr froh darüber, dass Sie das Thema Rente in Ihrem Antrag aufgegriffen haben; denn dieses unglaublich wichtige Thema bekommt leider viel zu selten die Aufmerksamkeit, die es verdient. Das Abschmelzen der Nachhaltigkeitsrücklage ist dabei allerdings unser geringstes Problem. Sie sprechen das Thema „Vertrauen in unser Rentensystem“ an. Es wird Sie jetzt nicht sonderlich überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass gerade bei jungen Menschen das Vertrauen in die Rentenversicherung nicht mehr allzu groß ist. Die wenigsten jungen Menschen glauben noch ernsthaft daran, jemals in den Genuss einer Rente zu kommen; dabei ist die Höhe völlig egal. Wenn man die Sache nüchtern betrachtet, dann kann man auch ganz schnell herausfinden, wie man zu diesem Schluss kommt: Bereits heute wird die gesetzliche Rentenversicherung mit knapp 100 Milliarden durch Haushaltsmittel gestützt, und zwar jährlich. ({5}) Die Umlagefinanzierung stößt damit schon seit Jahren an ihre Grenzen. ({6}) Wir dürfen daher nicht nur darüber reden, wie es in Ihrem Antrag gefordert wird, was im Jahre 2023 oder 2024 erhöht wird; sondern wir müssen dringend darüber reden, was wir Menschen, die heute 23 oder 24 Jahre alt sind, eigentlich bieten können, was sie von uns in der Altersvorsorge zu erwarten haben. Stichwort „Demografiefestigkeit“. Wir brauchen eine enkelfitte Rente. Je früher wir uns damit beschäftigen, desto besser. Bevor wir uns also mit der Nachhaltigkeitsrücklage beschäftigen, nehmen wir uns doch lieber erst einmal den ersten Teil des Wortes vor: „Nachhaltigkeit“. Schaffen wir endlich eine Rente, die uns unabhängiger von der demografischen Entwicklung macht, und ergänzen wir die gesetzliche Rente um eine kapitalgedeckte Rente! ({7}) Das im Koalitionsvertrag fest verankerte Startkapital für die Aktienrente ist hierfür ein gutes Fundament. Wir wollen einen global investierenden, von Profis verwalteten Fonds. Durch kluge Investitionen am Kapitalmarkt können wir das Finanzierungsproblem in der Rentenkasse nachhaltig lindern. Große Probleme löst man nicht, indem man an kleinen Schrauben dreht. Wir fahren schon seit Jahren bei diesem Thema mit 180 auf eine Wand zu, und die Aktienrente schafft da Abhilfe. Durch die kapitalgedeckte Altersvorsorge haben wir die Chance, unser Rentensystem wieder auf eigene Beine zu stellen. ({8}) Dafür zu sorgen, das sind wir kommenden Generationen schuldig. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herzlichen Dank. – Der Kollege Michael Gerdes hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon Norbert Blüm sagte: „Die Rente ist sicher“, und das wird auch so bleiben; denn dafür sorgen wir. ({0}) Kollegin Schulz hat das gerade schon gesagt, Kollege Birkwald: Wir geben über 100 Milliarden Euro in die Rente. Sie haben vorhin gesagt, wir täten da nicht viel. Also, ich denke, das ist schon ein Batzen. Natürlich könnten wir jetzt eine Erhöhung der Mindestrücklage für die Deutsche Rentenversicherung um 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben anstreben; aber wir müssen es nicht. Wir haben andere Lösungen im Koalitionsvertrag vereinbart. Bevor ich jedoch auf diese eingehe, möchte ich die Frage stellen, ob eine Erhöhung zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt sinnvoll wäre. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz umsonst – das haben Sie, Herr Birkwald, selber auch gesagt; das wurde auch schon mehrfach von anderen gesagt – wäre eine Erhöhung der Mindestrücklage nicht, und das zu einem Zeitpunkt mit erheblichen Unbekannten. Der Krieg in der Ukraine stellt uns täglich vor neue Herausforderungen. Keiner von uns weiß, wie diese Krise ausgehen wird und wie lange sie noch dauert. Keiner von uns weiß, welche langfristigen Folgen sie beispielsweise auf Energie- und andere Lebenshaltungskosten haben wird. Hinzu kommt noch eine nicht überwundene Pandemie. – So weit der Blick in die Zukunft. Aber immerhin haben wir zu Covid‑19 nach Aussagen des Sozialbeirates im Rentenversicherungsbericht 2021 ein gutes Zeugnis ausgestellt bekommen. Die gesetzliche Rentenversicherung hat die Pandemie bislang mit einer sehr guten finanziellen Lage überstanden. Mir liegt viel daran, dass das auch in Zukunft weiter so gelingt. Meine Damen und Herren, Wiederholen von Fakten macht schlau. Das gesetzliche Rentenniveau von dauerhaft 48 Prozent ist im Koalitionsvertrag fest verankert. ({1}) Der Beitragssatz von 20 Prozent wird nicht steigen, und daran halten wir fest; denn das ist auch eine Frage des Vertrauens, welches uns Bürgerinnen und Bürger entgegenbringen und das sie in die gesetzliche Rentenversicherung haben. Ebenso ist es eine Frage der Generationengerechtigkeit mit dem Blick auf die Jüngeren und die jetzt Beschäftigten. Deswegen ist der Aufbau eines Kapitalstocks von 10 Milliarden Euro in diesem Jahr eine wichtige Neuerung, die die Rente dauerhaft stabilisieren und auch der jungen Zielgruppe zugutekommen wird. Diese Erträge werden künftig in die Rentenfinanzierung einfließen, und wir müssen dann einmal betrachten, inwieweit das eben auch von Vorteil für diese Rentenfinanzierung sein kann. Ich freue mich auf die kommenden Debatten zur Umsetzung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen aus der Unionsfraktion?

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, das wird jetzt nicht zur weiteren Erheiterung oder Erläuterung hier beitragen. ({0}) Ich denke, wenn ich jetzt auf die Uhr schaue, dass es Zeit wird, dass wir langsam, aber sicher auch zum Ende der Debatte kommen. ({1}) Ich freue mich allerdings auf die kommenden Debatten. Da können wir gerne noch einfließen lassen, was jetzt auch von dem einen oder der anderen Abgeordneten gesagt werden wird. Wir schlagen jedenfalls einen völlig neuen Weg ein, bei dem wir uns bei der Sicherung der Rente für die kommenden Generationen weitere Optionen eröffnen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso freue ich mich auf die Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner im Bestand, und diese werden schon sehr bald kommen. Aber damit sind wir noch nicht am Ende des Koalitionsvertrages. Ein weiteres Pfund, um alle Menschen in unserem Land gut abgesichert zu wissen, ist die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. ({2}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Ich persönlich befürworte auch die Einbeziehung von Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung. ({3}) Wir brauchen momentan keine Anhebung der Mindestrücklage. Was wir neben den Rentenvorhaben des Koalitionsvertrages, von denen ich längst nicht alle hier aufgezählt habe, brauchen, ist ein guter und stabiler Arbeitsmarkt; denn die wesentliche Aufgabe zur Stabilisierung der Rente liegt nicht im Rentenrecht, sondern im Arbeitsmarkt. ({4}) Ein starker Arbeitsmarkt mit vielen Beschäftigten, die vor allem gut bezahlt werden, hält die Rente stabil. Da sind wir am Ausgangspunkt meiner Rede und bei den Herausforderungen, die uns in der aktuellen Krise bevorstehen und die wir meistern werden. Zu dem gehört neben einem stabilen Arbeitsmarkt noch ein zweiter Faktor, der auch schon genannt worden ist, nämlich die Prävention und die Stärkung dafür, dass Menschen länger im Berufsleben bleiben können. Darauf wurde in dieser Debatte zu Recht schon hingewiesen. Das alles gehört zu einer guten Rentenpolitik, meine Damen und Herren, einer Rentenpolitik, die Vertrauen schafft und Wohlstand sichert. Dazu stehen wir in der Ampelkoalition. Herzlichen Dank, ein schönes Wochenende und Glückauf! ({5})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zeit reicht vielleicht. – Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Gesetzentwurf der Linken. Der Kollege Michael Gerdes hat eigentlich mit dem richtigen Satz begonnen, nämlich mit dem Satz, den Norbert Blüm einmal geprägt hat: „Denn eins ist sicher: die Rente“. ({0}) Aber ich möchte hinzufügen: Die Rente ist deshalb sicher, weil die Union wieder regiert hat. ({1}) – Ja natürlich, Herr Gerdes. Der Kollege Markus Kurth hat dargestellt, dass der Gesetzentwurf der Linken für ihn ein kleines Karo ist; denn er möchte über die großen Linien der Rentenversicherung debattieren. Jetzt sage ich: Die Koalition hätte ja die Möglichkeit, über die großen Linien zu diskutieren, lieber Herr Kurth; ihr müsst nur etwas einbringen. Ob ihr euch aber ob der weit auseinanderdriftenden Ansichten von SPD, Grünen und FDP auf ein gemeinsames Ziel verständigen könnt, davon bin ich noch nicht so überzeugt. Aber es wäre möglich. Ich habe mich immer gefragt: Was wollen die Linken jetzt mit diesem Gesetzentwurf? Ich empfinde ihn auch ein bisschen als kleines Karo; das gebe ich zu. Ich habe den Eindruck, die haben vorgebaut – vorgebaut deshalb, weil sie das Jahr 2005 in Erinnerung haben, also das Ende von Rot-Grün, als die Rente letztendlich nicht mehr sicher war, sondern nur mit Nachhilfe des Bundes gesichert wurde. ({2}) Unter diesem Gesichtspunkt verstehe ich, lieber Herr Kollege Birkwald, warum Sie den Gesetzentwurf eingebracht haben. Sie haben offensichtlich eine gewisse Vorahnung, was die neue rentenpolitische Koalition zustande bringt. Von daher ist es auch gut, darüber zu diskutieren. ({3}) Trotzdem bin ich der Meinung, dass dieser Gesetzentwurf fehlgeht. Ich will Ihnen, Herr Kollege Birkwald, nicht unterstellen, Sie hätten es bewusst herbeigeführt; aber Sie wollen in Ihrem Gesetzentwurf Zahlen vergleichen, wie es meines Erachtens nicht statthaft ist, und damit den Eindruck erwecken, dass sich die Nachhaltigkeitsrücklage schon jetzt signifikant abbaut. Denn Sie nennen den 1. Januar 2020 ({4}) mit 40 Milliarden Euro Nettorücklage und dann bewusst den 1. Oktober 2021 mit 33 Milliarden Euro, also ein Abbau um 7 Milliarden Euro. Nur, das ist unstatthaft, was Sie tätigen. ({5}) – Ja natürlich; da schütteln Sie den Kopf. Denn zum 31. Dezember 2021, also drei Monate später, ({6}) lag die Rücklage bei 39 Milliarden Euro, ({7}) vor allen Dingen war sie noch über 1 Milliarde Euro höher als prognostiziert. Da zeigt sich sehr deutlich, dass Prognosen das eine sind; das Ergebnis ist meistens etwas anderes. Kollege Kurth hat sich auf die Schulter geklopft und gesagt: Die Rentner bekommen zum 1. Juli 4 Prozent Rentenerhöhung oder sogar etwas mehr. – Das ist aber noch die Leistung der alten Bundesregierung; das hat mit der Wahl nichts zu tun, Herr Kollege Kurth. ({8}) Das zeigt sehr deutlich, dass man in der Rentenpolitik längerfristig denken und handeln muss. Ich hoffe, auch die neue Koalition wird dies tätigen. Denn der erste Vorschlag für die Zukunft der Rente ist ja schon kassiert worden. Im Bundeshaushalt wird sich offensichtlich nichts zur Aktienrente finden, ({9}) die die FDP hier groß angekündigt hatte, und somit ist das Erste schon kassiert worden. Dazu habe ich sowieso meine eigene Meinung. Die Diskussion mit den schwedischen Parlamentariern hat gezeigt, dass auch damit die Rente nicht wie Manna vom Himmel fällt. Darüber kann man sehr intensiv diskutieren. Aber noch mal zurück zum Gesetzentwurf. Das Tollste an diesem Gesetzentwurf liegt eigentlich in der Begründung: Das Drei-Säulen-Modell – Riester-Rente, betriebliche Altersversorgung und kapitalgedeckte Zusatzversorgung – sei gescheitert; deshalb müsse die Untergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben angehoben werden, wobei sie ja bei 1,6 Monaten liegt. Man muss dazu ergänzen, dass die Rentenversicherung derzeit schon rund 150 Millionen Euro an Negativzinsen gezahlt hat. Ob das in der jetzigen Zeit ein tolles Geschäft darstellen würde, da wage ich auch ein Fragezeichen dahinterzusetzen. Aber dass für diese Begründung letztendlich die private Altersvorsorge herhalten muss, dafür habe ich kein Verständnis. Lieber Kollege Birkwald, wenn die Durchschnittsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung ungefähr zwischen 1 200 und 1 300 Euro und die Gesamtversorgung eines Rentnerehepaars bei 2 700 Euro liegt, heißt das sehr deutlich, dass die private Altersvorsorge letztendlich eine große Stütze im Alter darstellt. Deshalb sollten wir nicht die private Altersversorgung als Begründung dafür nehmen, dass es in der gesetzlichen Rentenversicherung eine höhere Nachhaltigkeitsrücklage geben muss. Ich wünsche unserer Debatte weiterhin viel Gelingen im Sinne der Rentnerinnen und Rentner. ({10})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) – Ja, es ist interessant, dass Sie lachen, wenn wir über dieses Thema reden. Das ist sehr interessant. Wir werden dazu gleich noch ein bisschen mehr hören. Stellen Sie sich vor, es ist der Morgen des 15. Juli, und versetzen Sie sich bitte einmal in die Person der damaligen rheinland-pfälzischen Umweltministerin Anne Spiegel. Sie sehen an diesem Morgen auf Bildern und Videos das Ausmaß der Flutkatastrophe, die das Ahrtal in der vergangenen Nacht erfasst hat. 134 Menschen haben ihr Leben verloren, ein Sachschaden in Milliardenhöhe wird bleiben. Woran hätten Sie denn beim Anblick dieser Bilder als Erstes gedacht? An die vielen kaputten Straßen und Häuser, die die Flut weggerissen hat? An die vielen Menschen, die im Moment um ihr Hab und Gut kämpfen? ({1}) Oder an die vielen Toten, die diese Katastrophe schon zu diesem Zeitpunkt forderte? Anne Spiegel hat an diesem Morgen zuerst einmal an sich selbst gedacht. ({2}) Was in Anbetracht des Ausmaßes der Katastrophe eigentlich unglaublich erscheint, ist aus SMS-Verläufen mit ihren Mitarbeitern belegt. Darin schreibt die heutige Familienministerin – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: „… das Blame-Game könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben …“. Meine Damen und Herren, um ein Hochwasseropfer aus dem Ahrtal zu zitieren: Wie kann man nur so kaltherzig sein? ({3}) Das moralische Versagen der Anne Spiegel am 15. Juli hat jedoch eine Vorgeschichte. Schon am Vortag, kurz bevor die Flut über das Ahrtal hereinbrach, lagen genügend Hinweise auf die nahende Katastrophe vor. Doch das Spiegel-Ministerium versagte in der Kommunikation restlos. Eine einzige Pressemitteilung wurde versandt, und zwar um 16.43 Uhr, auf der Grundlage eines Lageberichts von 11 Uhr morgens. In dieser Pressemeldung wurde erklärt, dass „kein Extremhochwasser“ drohe. Vom Entwurf der Meldung bis zum Versand änderte sich einiges. Die Warnstufe war von 2 auf 4 angehoben worden. Die Pegel im Ahrtal stiegen unablässig an. Eine Bürgermeisterin vor Ort bat sogar um die Ausrufung des Katastrophenfalls. Und was tat Anne Spiegel? – Sie gab die völlig veraltete Meldung frei, aber sie bestand auf einer Änderung: aus „Campingplatzbetreibern“ müssten „CampingplatzbetreiberInnen“ werden. Meine Damen und Herren, korrektes Gendern war Anne Spiegel offensichtlich wichtiger als eine lebensrettende Warnung an die Bürger im Ahrtal. ({4}) Angesichts eines solchen Politikversagens stellen sich viele Menschen die Frage: Was kann man von einer Ministerin in einer Ausnahmesituation wie dieser eigentlich erwarten? Ich verlange ja gar nicht, dass eine Ministerin im Schlamm steht und Häuser wiederaufbaut, wie es die vielen freiwilligen Helfer getan haben, denen ich an dieser Stelle von Herzen danken möchte. ({5}) Doch als Minister muss man lenken, man muss führen, und man muss Verantwortung übernehmen. Frau Spiegel, wieso riefen Sie denn in Absprache mit dem Innenministerium nicht sofort einen Krisenstab ins Leben, der die Lage laufend bewertet hätte, der in Kontakt mit den zuständigen Kräften vor Ort gestanden hätte? Wieso fuhren Sie nicht zum SWR und warnten im lokalen Rundfunk oder im Fernsehen, etwa in einer Sondersendung, die vielen Menschen im Ahrtal vor der auf sie zukommenden Katastrophe? ({6}) Warum führten Sie denn nach 22.30 Uhr kein einziges dienstliches Telefonat mehr, nicht einmal mit der Ministerpräsidentin? ({7}) Meine Damen und Herren, all das wäre echtes Krisenmanagement gewesen und hätte an diesem Tag Leben retten können. Das Krisenmanagement der Anne Spiegel bestand in einem Abendessen mit grünem Parteifreund, und während Häuser einstürzten, saß Anne Spiegel dann zu Hause vor dem Laptop, und ihr zuständiger Staatssekretär schaute Nachrichten und trank nach eigener Aussage wahrscheinlich noch ein Bierchen, meine Damen und Herren. Der gesamte Auftritt von Anne Spiegel und ihrer Behörde war in diesen Tagen von Desinteresse, von Unwissenheit und von völliger Inkompetenz geprägt. ({8}) Bis heute hat sich Anne Spiegel weder entschuldigt noch Fehler eingestanden. Dass man noch heute von „reibungslosen Abläufen“ spricht, wenn 134 Menschen ihr Leben verloren haben, ({9}) ist für mich makaber, unfassbar und herzlos, meine Damen und Herren. ({10}) Sie sollten sich schämen. Sie sollten nicht den Überbringer der schlechten Nachricht kritisieren. Reden Sie mit Anne Spiegel, und sorgen Sie dafür, dass diese Dame zurücktritt! ({11}) Fassen wir also noch mal zusammen: fatale Fehleinschätzung am Vorabend der Flut, fehlende Warnung in Funk und Fernsehen. Am Morgen der Katastrophe steht dann die Imagepflege über Menschenleben. ({12}) Danach will die Ministerin über ihr Verhalten täuschen und hat Erinnerungslücken im Untersuchungsausschuss, und dann wälzt sie die Verantwortung auf andere ab. ({13}) Meine Damen und Herren, die Konsequenz ist klar: Anne Spiegel ist als Ministerin völlig untragbar, ({14}) auf Landes- und auch auf Bundesebene. Mit Ihrem Verhalten, Frau Spiegel, haben Sie gezeigt, dass Sie nicht nur unmoralisch, sondern auch im höchsten Maß unfähig sind. Daher rufe ich heute die Bundesfamilienministerin dazu auf: ({15}) Wahren Sie bitte noch Ihren letzten Rest Anstand, treten Sie zurück, und bitten Sie die Menschen um Verzeihung, die auch wegen Ihres Versagens alles verloren haben! ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht Daniel Baldy. ({0})

Daniel Baldy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005015, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass heute über die Vorfälle und Vorgänge in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli aufgeklärt wird. Aber diese Aufklärung findet nicht hier statt. Nein, sie findet in der Landeshauptstadt Mainz statt. ({0}) Denn dort tagt seit heute Morgen – wie im Übrigen jeden Freitag – der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags. Es ist schon sehr bezeichnend, dass die AfD-Fraktion ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen im rheinland-pfälzischen Landtag offenbar nicht zutraut, dort für Aufklärung zu sorgen, und stattdessen das Thema hier auf die Tagesordnung setzt. ({1}) Man hört ja oft vom Misstrauen in Ihrer Partei. Aber dass Sie das jetzt auch noch in einer Aktuellen Stunde öffentlich machen, das wäre mir peinlich. ({2}) Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Landtag war absolut richtig. Fragen wie das Funktionieren von Meldeketten, die Rolle des Landrats, der Hochwasserschutz und vieles andere mehr wurden und werden im Ausschuss thematisiert. Dorthin, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehört auch die Beschäftigung mit dem Thema, die die AfD-Fraktion verlangt. Dorthin gehört eigentlich auch die Beschäftigung mit dem Kommunikationsverhalten der damaligen rheinland-pfälzischen Umweltministerin. ({3}) Es ist das gute Recht des Landtags, dies alles schonungslos zu überprüfen. Die bisherigen Sitzungen zeigen uns, dass er dies auch sehr gewissenhaft tut. Daran habe ich im Übrigen auch nie wirklich gezweifelt. Was der Untersuchungsausschuss aber nicht braucht, das sind Hilfssheriffs wie Sie, die das Thema auf der völlig falschen Ebene auf die Tagesordnung setzen. ({4}) Was ist denn der Sinn und Zweck Ihrer heutigen Aufsetzung? Ihnen geht es hier doch nicht um Aufklärung. Ihnen geht es hier nicht um Hilfe für die Betroffenen im Ahrtal ({5}) oder um das Verhalten der Ministerin. ({6}) Ihnen geht es einzig und allein darum, unsere Bundesfamilienministerin und vor allem die familienpolitischen Projekte der Ampelkoalition, für die sie steht, anzugreifen. Und warum? Weil sie Ihnen allesamt nicht passen. ({7}) Streichung von § 219a, das Demokratiefördergesetz, die Kindergrundsicherung, die Stärkung von Regenbogenfamilien und, und, und: ({8}) Gegen diese Projekte ist Ihnen bisher kein einziges sachliches Argument eingefallen. An Sachlichkeit sind Sie gescheitert, und so folgt jetzt der hilflose Versuch des persönlichen Angriffs. So kennt man Sie, liebe AfD, und so bleiben Sie sich auch heute einmal mehr leider wieder treu. ({9}) Es gilt aber auch, über das zu sprechen, was seit der Flutkatastrophe passiert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: ({10}) Der Innenausschuss des Bundestags hat sich im vergangenen August mit der Flutkatastrophe befasst. ({11}) Horst Seehofer sagte damals, der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz habe – Zitat – einen starken Auftritt hingelegt. Das möchte ich an dieser Stelle auch noch mal ausdrücklich betonen. Der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags hat zwischenzeitlich sehr fleißig gearbeitet und in seinen letzten Sitzungen viel Wichtiges thematisiert. Er hat die offizielle Meldekette untersucht, die übrigens funktioniert hat. Er hat die Warnsysteme analysiert, die übrigens am Nachmittag des 14. Juli die höchste Warnstufe ausgerufen haben. Er hat Meteorologen und Geologen befragt, die unterschiedliche Einschätzungen gaben, ab wann das Ereignis vorhersehbar war. Manches wird im Untersuchungsausschuss aber auch erst noch thematisiert werden müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, so zum Beispiel die Rolle des Landrats, der nun einmal für den Katastrophenschutz zuständig ist. ({12}) Mein Heimatbundesland ruht sich im Übrigen nicht darauf aus, in den letzten Jahren und Jahrzehnten massiv in den Hochwasserschutz investiert zu haben. ({13}) Daher gibt es neben dem Untersuchungsausschuss auch noch die Enquete-Kommission „Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge“. In dieser Kommission geht es darum, die richtigen Schlüsse aus den Ereignissen vom Juli 2021 zu ziehen. ({14}) Es geht darum, wie der Katastrophenschutz verbessert werden kann. Es geht darum, wie Vorsorgekonzepte weiterentwickelt werden können. Und es geht darum, wie ein zügiger Wiederaufbau gelingen kann. Der Landtag Rheinland-Pfalz hat deshalb ein Sondervermögen auf den Weg gebracht, um Privatleuten, Unternehmen und anderen Einrichtungen Geld für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Ich möchte an dieser Stelle dem damaligen Finanzminister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz noch mal ausdrücklich danken; denn er hat sehr schnell nach der Flutkatastrophe erklärt, dass der Bund das Land Rheinland-Pfalz bei der großen Aufgabe des Wiederaufbaus finanziell nicht im Stich lassen wird. ({15}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch einmal festhalten: Wir sollten den Untersuchungsausschuss im Landtag seine Arbeit machen lassen. Wir sollten ihm nicht vorgreifen und jetzt schon Konsequenzen fordern. Wir sollten stattdessen lieber unsere eigene Arbeit machen. Vielen herzlichen Dank. – Und erlauben Sie mir vielleicht noch das: Vielen Dank Ihnen, Frau Präsidentin, und natürlich auch der Kollegin Pau für die Arbeit in den letzten drei Tagen. Das war für Sie sicherlich auch nicht ganz einfach. ({16})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Spiegel, auf welcher Seite stehen Sie als Ministerin? Stehen Sie auf der Seite des Rechts, auf der Seite der Menschen, die Ihnen anvertraut sind? Ihre politische Karriere ist durchzogen von Fehlentscheidungen und Selbstbezogenheit. ({0}) Ich nenne Ihnen nur vier Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit. 2018: Das OVG in Rheinland-Pfalz kritisiert Ihr Vorgehen, Frau Spiegel, als Integrationsministerin. Der Präsident des OVG – ich darf ihn zitieren – sagt: Ein Ministerium – Frau Spiegel – kann alles sagen, nur nicht, eine Maßnahme sei unverhältnismäßig, wenn ein Gericht zuvor die Verhältnismäßigkeit festgestellt hat. ({1}) Frau Spiegel, Ihnen war das egal. Sie haben einfach das Gerichtsurteil uminterpretiert. Das Zweite. Erst gestern bescheinigte Ihnen ein Rechtsgutachten, dass Ihre Facebook-Werbung als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz 2011 illegal war. ({2}) Aber was soll’s: Die Grünen haben Wahlkampf gemacht mit diesen illegalen Spenden; das will ich so nennen. – Haken dran, hinterm Pflug, Schnee von gestern. Die Wahl haben Sie damit bestritten. ({3}) Drittens. In den letzten Tagen berichten TV und Zeitungen, dass Sie, Frau Spiegel, sich während und nach der Flut im Ahrtal weggeduckt haben. Ihre größte Angst waren Schuldzuweisungen durch Ihren Koalitionspartner. ({4}) Sie dachten über Blame Game nach, Sie sorgten sich ums Wording und ums Gendern, und Sie schoben die Verantwortung auf Ihre Pressestelle, auf Ihren Staatssekretär, und Sie verweigerten sogar die Kommunikation: Sie verweigern die Kommunikation mit Parteikollegen, Sie verweigern die Kommunikation mit anderen Ministern und natürlich mit allen, die auch anderswo Verantwortung tragen, nämlich zum Beispiel vor Ort. Als Politikerin aus dem Ahrtal sage ich Ihnen: Wir brauchen keine Ministerin, die nur den eigenen Rücken deckt. ({5}) Ich schäme mich für Sie; ich schäme mich für Sie, Frau Spiegel, für Ihr Verhalten gegenüber den Menschen aus dem Ahrtal. Das haben die Flutopfer im Ahrtal wirklich nicht verdient. ({6}) Und immer wieder aufs Neue schockiert mich auch, mit welchem kühlen parteipolitischen Kalkül Sie, Frau Spiegel, aber auch die ganze Landesregierung in Rheinland-Pfalz im Ahrtal vorgehen: keine Zusammenarbeit, keine Einladung, keine Information. Ich weiß, wovon ich rede; das ist mein Wahlkreis. ({7}) Keine Information, keine Zusammenarbeit außer Informationen an die Ampelkoalition, nur knallharte Parteipolitik, das kann die Landesregierung in Rheinland-Pfalz. ({8}) Ich habe das bereits in der Sitzung am 25. August hier im Hohen Haus der Ministerpräsidentin Dreyer gesagt. Ich habe sie für ihre Unverfrorenheit kritisiert, und ich kritisiere heute Frau Spiegel hier an der gleichen Stelle. Und ich werde auch nicht aufhören, diejenigen Politiker zu kritisieren, denen es in erster Linie immer nur um die eigene Performance geht, ({9}) um das eigene Vorankommen, anstatt an die Not der Menschen in solch einer Katastrophe zu denken. ({10}) Und ja, Herr Baldy, Sie haben es gesagt. Sie haben auf den Landrat in meinem Wahlkreis hingewiesen. Reflexartig kommt das, um von sich selber abzulenken. Ich darf Ihnen sagen: Ich habe auch dem Herrn Landrat Pföhler sein Verhalten in der Flutnacht vorgehalten, und bekanntlich ist Landrat Dr. Pföhler auf dem Ticket meiner Partei Landrat. ({11}) Ihnen, Frau Spiegel, sage ich heute, was ich auch dem Landrat gesagt habe: Nach den Vorkommnissen rund um die Flutnacht an der Ahr haben Sie das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung verloren. ({12}) Frau Spiegel, das Vierte: Sie sind nun Bundesfamilienministerin, und seit drei Wochen ist Krieg in der Ukraine. Zigtausende von Frauen und Kindern kommen hier bei uns an. ({13}) An den Bahnhöfen in den Großstädten – Sie sehen das hier in Berlin, keine 500 Meter entfernt – herrscht Chaos. Kinder müssen in die Schule, Kinder müssen in den Kindergarten. Es kommen traumatisierte Kinder an. Frau Spiegel, was tun eigentlich Sie für diese Kinder? Was tun Sie für diese Frauen, die hier ankommen? Wo waren Sie in der ganzen Zeit? ({14}) Waren Sie einmal an dem Bahnhof bei den Menschen, hier zum Beispiel in Berlin? Was Sie tun, ist das Gleiche, was wir von Ihnen kennen: Sie sagen: Ich bin nicht zuständig. – Sie schieben wieder einmal die Verantwortung auf andere Ministerien und auf die Kommunen. Und das geht so nicht! ({15}) In dieser außergewöhnlichen Situation brauchen wir eine Ministerin, die an der Seite der Menschen und der Frauen und der Kinder steht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die „Zeit“ hat in der jüngsten Ausgabe geschrieben: Kann jemand, der in Mainz so seine Geschäfte führte, in Berlin Ministerin bleiben? Das ist die Frage, die Sie beantworten müssen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann sagen: Die Menschen wollen es nicht. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Filiz Polat hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muss kurz durchatmen. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist schwer erträglich, dass die AfD die Aktuelle Stunde hier nutzt, um die Flutkatastrophe und ihre Opfer zu instrumentalisieren. ({1}) Aber dass die Union in diesen Reigen hier einstimmt, ist wirklich beschämend, meine Damen und Herren. ({2}) Wir haben hier einen Redner von der AfD gehört, der wegen Beihilfe zu Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden ist, und wir haben eine Abgeordnete gehört, die aus dem Wahlkreis kommt und nicht mal zur Sache gesprochen hat. ({3}) Das ist schon entlarvend. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben im Deutschen Bundestag Besseres zu tun, als uns solche Krawallinszenierungen anzutun. ({5}) Dieses wichtige, ernste Thema ließe sich konstruktiv debattieren, ich könnte jetzt auch sagen: lösungsorientiert und zukunftszugewandt. ({6}) Aber Ihnen ganz rechts im Saal geht es darum ja gar nicht. Im vergangenen Juli haben sich in Rheinland-Pfalz, Frau Klöckner, wie auch in Nordrhein-Westfalen furchtbare Flutkatastrophen ereignet. Vor allem an der Ahr haben die Fluten Tod, Vernichtung von Häusern, Besitz und Existenzen gebracht. Unzählige haben ihre Perspektiven verloren, viele ihre Hoffnung. Dies ist und bleibt schrecklich. Ich zitiere: „Das Leid der Angehörigen können wir nicht lindern.“ Das sagte der damalige Bundesfinanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz, und dass denen geholfen wird, denen geholfen werden kann, meine Damen und Herren. Dieses Hohe Haus hat sich damals zügig mit diesem Thema befasst. Wir hatten Ende vergangenen Augusts eine gute, fundierte, alle demokratischen Fraktionen umfassende Debatte über die zu ziehenden Lehren aus der Hochwasserkatastrophe, wenige Wochen vor der Bundestagswahl natürlich inhaltlich entsprechend kontrovers. Wie soll es auch anders sein? Aber es wurden mit breiter Mehrheit Beschlüsse gefasst, allen voran zum Aufbaufonds über 30 Milliarden Euro für die von der Flut besonders betroffenen Gebiete. ({7}) Das reicht uns als Fortschrittskoalition aber nicht, meine Damen und Herren. Es braucht auch mehr Verantwortung des Bundes. Die Bundesebene muss in bestimmten Lagen besonderen Ausmaßes koordinierende Aufgaben übernehmen und den Informationsfluss steuern. Hierzu sollten auf Bundesebene beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe alle Informationen über Fähigkeiten, Ressourcen und Entwicklung zusammenlaufen. Und die Klimakrise wird uns häufigere und extremere Unwetter bringen, ({8}) zunehmende und langanhaltende Dürrephasen, Waldbrände, Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Diese Krise duldet keinen Aufschub im politischen Handeln. Deshalb ändern sich auch die Herausforderungen im Katastrophenschutz kontinuierlich. Mitten im Katastrophengebiet, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in Bad Neuenahr-Ahrweiler, befindet sich die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung. Sie ist die Aus- und Fortbildungseinrichtung des Bundes im Bevölkerungsschutz. Darüber hinaus befinden sich die Führungsstellen aller Hilfsorganisationen, der Feuerwehren und der Polizeien, der Bundesanstalt THW und der Bundeswehr auf dem Gelände. Wir als Koalition werden diese wichtigen Hilfsstrukturen endlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, massiv stärken, ({9}) und wir wollen, dass eine nationale Resilienzstrategie das Dach für alle Aktivitäten zur Katastrophenvorsorge und Erhöhung der Resilienz der Bevölkerung in Deutschland wird. Sie hier am rechten Rand hätten heute Gelegenheit gehabt, diese aus bundespolitischer Sicht wichtigen Themen in den Mittelpunkt zu rücken. ({10}) Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Es geht dieser Seite nicht um die Sache – das haben wir heute gemerkt –, sondern wie immer um Krawall. Davon sollten Sie sich distanzieren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, auch Sie, Frau Klöckner. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau von Storch, Sie rufe ich jetzt zur Ordnung wegen wiederholten Ignorierens der Allgemeinverfügung der Präsidentin ({0}) in Bezug auf das Tragen der Maske zum Schutz aller Kolleginnen und Kollegen hier im Hause. Weitere Maßnahmen muss ich mir vorbehalten. Wir weisen Sie jetzt seit drei Tagen darauf hin, und wir haben eine Weile freundlich darum gebeten. Jetzt ist klar, dass Sie das offensichtlich nicht beachten wollen. Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. André Hahn für Die Linke. ({1})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst drei grundsätzliche Anmerkungen: Erstens. Dass sich gerade die AfD hier als moralische Instanz aufzuspielen versucht, ist ebenso durchschaubar wie schäbig. ({0}) Das macht es allerdings nicht einfacher, hier zu diesem schwierigen Thema zu sprechen. Zweitens. Die Aufarbeitung möglicher Versäumnisse einzelner Verantwortlicher oder auch von systemischem Behördenversagen bei der verheerenden Flut im vergangenen Sommer, die sehr viele Menschenleben gekostet und Milliardenschäden verursacht hat, ist ohne Zweifel ebenso dringend notwendig wie das Ziehen von Konsequenzen für die leider auch zukünftig zu erwartenden Naturkatastrophen. ({1}) Dabei geht es natürlich um bestmögliche Prävention, aber auch um deutlich gestärkte Warnsysteme zur rechtzeitigen Information der Bevölkerung und wirklich funktionierende, zwischen Bund, Ländern und Kommunen abgestimmte Zuständigkeiten für die unmittelbare Krisenbewältigung, also um den Schutz und die Rettung von betroffenen Menschen sowie existenziell wichtiger Infrastrukturen. Ich weiß, wovon ich rede: Ich habe in Sachsen und als Mitglied im Sächsischen Landtag mehrere, teils schwere Hochwasser an der Elbe erlebt, auf die wir nicht ausreichend vorbereitet waren. Drittens. Auch Politikerinnen und Politiker können Fehler machen; davor ist niemand wirklich gefeit. ({2}) Sofern es dabei um strafrechtliche Vorwürfe geht, ist das Sache der Justiz. Dazu gab es und gibt es ja auch in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz entsprechende Ermittlungsverfahren. Wenn es um vermeintliches oder tatsächliches politisches Fehlverhalten oder um fragwürdige Entscheidungen von Regierungsmitgliedern geht, dann ist es Sache der jeweiligen Parlamente, diese Dinge aufzuklären. Deshalb gibt es sicher aus guten Gründen auch einen Untersuchungsausschuss im Landtag von Rheinland-Pfalz. ({3}) Ob und welche Versäumnisse oder Fehler Anne Spiegel, die jetzige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, womöglich begangen hat, soll und muss eben in diesem Gremium in Mainz aufgeklärt werden. Das ist nicht Aufgabe des Bundestages. ({4}) Ich füge hinzu: Dafür braucht es schon gar keine von der AfD beantragte Aktuelle Stunde. ({5}) Dennoch abschließend einige Anmerkungen zu den im Raum stehenden Vorwürfen gegen Frau Spiegel, die ja dazu selbst vor wenigen Tagen vor dem Untersuchungsausschuss in Mainz ausgesagt hat. Natürlich haben auch Minister ein Privatleben und können sich in ihrer Freizeit treffen, mit wem sie wollen. In einer derart kritischen Situation, wie sie sich im Ahrtal offensichtlich abgezeichnet hat, aber über Stunden weitgehend abzutauchen, war falsch und ist nicht nachvollziehbar. ({6}) Dies gilt insbesondere, wenn es denn zutreffen sollte, dass die zu ihrem Ministerium gehörende Landesumweltbehörde bereits am Nachmittag des 14. Juli für die Ahr katastrophale Pegelstände weit über dem vorherigen Jahrhunderthochwasser vorausgesagt hatte. ({7}) Und wie die damalige Landesministerin angesichts dessen eine Presseerklärung autorisieren konnte und veröffentlichen ließ, in der wörtlich gesagt wurde, es drohe kein Extremhochwasser und das Land sei gut vorbereit, das ist mir schlichtweg unbegreiflich. ({8}) Wenn Frau Spiegel vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hat, Sie hätte die Erklärung nur kursorisch gelesen, dann passt das aus meiner Sicht nicht damit zusammen, dass sie dann persönlich eine konkrete Veränderung daran vorgenommen hat, indem sie nämlich ein im Text enthaltenes Wort zu gendern wusste. ({9}) Tut mir leid: In einer derart angespannten Situation ist das offenkundig eine falsche Prioritätensetzung. ({10}) Ich verzichte hier ganz bewusst darauf, geführte oder nicht geführte Telefonate oder gesendete E-Mails zu thematisieren; dazu sind andere Gremien berufen. Dennoch sage ich abschließend: Frau Ministerin Spiegel, das Ganze ist nicht eine Frage des Wordings, und es waren auch keine kleinen Unachtsamkeiten. Sie haben Fehler gemacht und sollten dazu auch stehen. Ganz zum Schluss wünsche ich Anne Spiegel natürlich eine möglichst schnelle Genesung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile Manuel Höferlin das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, die Debatte über zu treffende Konsequenzen aus der Flutkatastrophe behandelt ein wichtiges Thema. Ich habe bereits gestern an dieser Stelle etwas über einen AfD-Antrag gesagt, und auch heute ist der Befund ein ähnlicher: Erneut schaffen Sie es nicht, einen sinnvollen Debattenbeitrag über die Probleme der Menschen in diesem Land zu finden. ({0}) Mit dem Blick auf die fragenden und rufenden Gesichter von rechts außen will ich Ihnen auch gerne sagen, warum Ihr Schauspiel ein unwürdiges ist. Wenn Sie sich hier einmal aufmerksam umschauen, dann sehen Sie: Wir sind in Berlin und nicht in Mainz; Herr Baldy hat es auch schon gesagt. Sie wissen es, und ich glaube, Sie wissen, wie Parlamentarismus und Föderalismus funktionieren. ({1}) Die Bevölkerungsschutzfragen im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe und die Verantwortlichkeiten von Ministerinnen und Ministern in diesem Zusammenhang werden in einem Untersuchungsausschuss, der übrigens auch gerade noch in Mainz tagt, besprochen und debattiert. ({2}) Dann würden Sie vielleicht auch einen Blick frei haben für die Möglichkeiten, wie Missstände im Bevölkerungsschutz behoben werden müssen. Das passiert dort, und das ist auch richtig so. Die betroffenen Menschen – gerade die im Ahrtal – haben einen Anspruch darauf, Aufklärung und auch Konsequenzen daraus in einer neuen Art der Aufstellung, der Strukturierung, der Verantwortung zu bekommen. Ich bin mir sicher, Frau Ministerin Spiegel wird selbstverständlich alles dazu beitragen, um Versäumnisse in den Ministerien aufzuklären. ({3}) Ich bin mir auch sicher, dass weitere Personen – ein Teil des Auftrages des Untersuchungsausschusses ist es ja auch, andere Ministerien, beispielsweise das Innenministerium, zu befragen – auch Verantwortung übernehmen werden. Das alles passiert in Rheinland-Pfalz und nicht hier. Ich habe mir die Frage gestellt, warum Sie diese Aktuelle Stunde fordern, ({4}) wo es doch so wichtige Themen für die Menschen im Ahrtal gibt. Die Menschen im Ahrtal fragen sich: Was macht denn die Politik, damit so etwas nicht wieder passiert? ({5}) Ein Beitrag zur Problemlösung wäre es gewesen, wenn wir heute über die Modernisierung des Bevölkerungsschutzes gesprochen hätten, damit sich eine solch schreckliche Tragödie wie die im Ahrtal nicht dort oder anderswo wiederholt. ({6}) Da hätten Sie beispielsweise über bessere, schnellere, überregionale Koordination sprechen können. Das würde helfen, meine Damen und Herren. ({7}) Wir hätten auch darüber diskutieren können, wie wir Warnungen verbessern. Wenn wir die Warnsysteme in Deutschland nicht nur auf die Höhe der Zeit bringen, sondern wenn wir sie auch verbessern würden, dann würde das helfen. Wir hätten auch darüber diskutieren können, wie wir den Bevölkerungsschutz insgesamt modernisieren und besser machen können, ({8}) dass es nicht nur darum geht, mehr Geld in den Bevölkerungsschutz zu stecken, sondern auch darum, an die Strukturen zu gehen, ({9}) an die Zuständigkeiten und an die Kommunikationswege. Das hätte geholfen. Wir hätten auch darüber diskutieren können, wie der Zivilschutz als Teil des Bevölkerungsschutzes wiederhergestellt werden kann, ({10}) gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse und des gestrigen Tages hinsichtlich der Ukraine. Wir hätten darüber sprechen können, wie man reagiert, wenn ein Land angegriffen wird und die Zivilbevölkerung geschützt werden muss. Wir hätten darüber reden können, wie man diesen Zivilschutz grundlegend modernisiert. ({11}) Beispielsweise hätte man hinsichtlich der Aufgaben des Zivilschutzes darüber sprechen können, wie wir ihn erweitern können. Man hätte zum Beispiel die Frage stellen können, ob der ABC-Schutz, also der Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Bedrohungen, ({12}) vielleicht um eine D-Komponente, um den Schutz vor digitalen Angriffen, erweitert werden muss. Darüber hätten wir reden können, und das hätte geholfen. ({13}) Dagegen haben Sie sich aber entschieden, meine Damen und Herren der AfD, und Sie haben auch mit dem Antrag heute kein einziges Problem gelöst. ({14}) – Herr Münzenmaier, Sie hören gar nicht auf, reinzubrüllen. Und ich weiß auch, warum: Ihnen geht es nämlich nicht um die Menschen in diesem Land. ({15}) Ihnen geht es darum, hier ein politisches Schauspiel für Ihre Youtube-Kanäle zu produzieren. Das unterscheidet uns fundamental von Ihnen. ({16}) Wir machen Politik für die Menschen. Wir sehen, dass es Probleme gab. Wir sehen, dass es Katastrophen gab. Und wir verwenden unsere Arbeitszeit dafür, dass wir die Probleme in Zukunft besser lösen können. ({17}) Das erwarten die Menschen – übrigens auch die Menschen im Ahrtal – von Politik. Die Menschen im Ahrtal sind inzwischen so weit, dass sie gar nicht mehr zwischen den Politikern unterscheiden. ({18}) Sie bringen die ganzen Politiker von der kommunalen Basis, die sich ehrenamtlich jeden Tag den Hintern aufreißen, bis zu diesem Haus in Verruf, weil Sie sich mit solchen Dingen beschäftigen, anstatt sich um die Problemlösungen der Menschen zu kümmern. ({19}) Das ist das Problem, was wir derzeit auf vielen Ebenen der Politik haben. Ich habe noch zehn Sekunden, Herr Münzenmaier. Ihnen und der ganzen AfD das noch einmal sagen zu können, war es mir wert. Herzlichen Dank. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe Nicole Höchst das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich persönlich bedauere es sehr, dass Frau Spiegel erkrankt ist und sie die Gelegenheit wahrnehmen muss, dieser Debatte am Bildschirm beizuwohnen. Ehrlich gesagt: Ich schäme mich ob der Einlassungen der Ampelfraktionen in Bund und Land angesichts der Notlage vor Ort, die fortbesteht, und angesichts der vielen Toten, die nie wieder durch solche Gesichtsmasken atmen werden. ({0}) Herr Höferlin, das hier ist eine Aktuelle Stunde, kein Antrag. Ich finde es trotzdem spannend, dass Sie noch die Chuzpe haben, uns von der AfD-Fraktion belehren zu wollen. Nein, meine werten Kollegen, es ist kein Skandal, dass die AfD-Fraktion diese Aktuelle Stunde in Kenntnis der krankheitsbedingten Verhinderung der Ministerin beantragt hat. ({1}) Es ist mir klar, dass Sie am liebsten hätten, dass wir alle Rücksicht nehmen sollen auf die gesundheitliche Disposition der Ministerin ({2}) und heute nicht über die Vorwürfe an ihre Adresse reden sollen. Das zeigen auch Ihre Redebeiträge. ({3}) Also: Schimpfen Sie uns als pietätlos. Lachen Sie, schreien Sie, dreschen Sie die üblichen Phrasen. Das sind wir von Ihnen gewohnt. ({4}) Aber wir lassen Ihnen dieses durchsichtige Ablenkungsmanöver trotzdem nicht durchgehen. ({5}) Es ist vielmehr ein Skandal, dass Sie alle in der Regierung einfach die Köpfe einziehen ({6}) und das im Raume stehende Komplettversagen der Familienministerin in ihrem zuletzt verantwortlich geführten Ressort einfach aussitzen wollen. Klar, diese bewährte Praxis hat sich ja für alle Regierungen in den letzten Jahren hervorragend bewährt. Egal wie groß der Skandal und egal wie groß der Schaden für das deutsche Volk, die Regierungen der letzten Jahre gingen grundsätzlich in Deckung, saßen aus, bemäntelten und beschwiegen erfolgreich. Die Einlassungen, die wir heute gehört haben – außer einigen von den Linken und den meisten der CDU-Kollegin –, verhöhnen die Familien der Toten. Frau Polat, Ihre ganz besonders. ({7}) An Ihre Adresse: Schämen Sie sich! ({8}) Werte Bundesregierung, Sie alle tragen durch Ihr Wegducken und das Nach-oben-Wegloben von skandalbehafteten Personalien zum Vertrauensverlust in die Politik und in politische Mandats- und Amtsträger maßgeblich bei. Vertrauensverlust ist nur einer der vielen Gründe, warum wir heute von der Alternative für Deutschland hier stehen und Ihnen mit Mut zur Wahrheit den Spiegel vorhalten: ({9}) um Sie daran zu erinnern, wofür Sie hier angetreten sind: zum Wohle des deutschen Volkes. ({10}) Meine Damen und Herren der koalierenden Fraktionen, ich muss Ihnen den – oder die – Spiegel vorhalten. ({11}) Es fällt auf Sie alle zurück, wenn Sie Leute in Verantwortung hieven, die diesen Personen um mehrere Größen zu groß ist. ({12}) Sie müssen sich wirklich die Frage stellen, ob Sie Ihren Wählern da draußen noch verkaufen wollen und können, Sie hätten das Gesamtpaket „Anne Spiegel“, welches Sie für diesen Posten ausgewählt und gecastet haben, ({13}) auf Eignung, Leumund und Integrität geprüft und es für gut befunden. Die Kollegin Heil hat einiges zu dem gesagt, ({14}) was wir in Rheinland-Pfalz an leidvollen Vorerfahrungen mit der Personalie Anne Spiegel schon erleben durften. Aber, wissen Sie, selbst das Nichtprüfen dieser Personalie wäre ein Skandal. Sie müssen all Ihren Wählern verkünden, warum Sie das trotzdem gemacht haben. ({15}) Sie müssen sich auch gefallen lassen, dass die Kritik aufkommt, Sie hätten im Augen-zu-und-durch-Verfahren Frau Spiegel nach dem Peter-Prinzip zur Bundesministerin gemacht. Wegen eklatanten Vollversagens stand die jetzige Familienministerin Frau Spiegel in Rheinland-Pfalz schon in der Kritik. 2018 – Frau Heil hat es gesagt – kamen schon Rücktrittsforderungen. ({16}) – Ja, ich weiß, was ich rede; ganz egal, was Sie jetzt reinrufen. ({17}) Das ist ja das Übliche: Sie rufen rein, lenken ab von der Sache. Frau Polat, das haben Sie vorhin in Ihrer Rede auch schon gemacht. ({18}) Leider – wie so oft, wenn Haltung über Recht und Gesetz gestellt wird –, werte Kollegen von den Grünen, deckten Sie auch damals in Rheinland-Pfalz das Fehlverhalten der Ministerin. Es ist aber eben nicht in Ordnung, als Amtsträger nach Gutsherrenart jederzeit Justitia in die Speichen zu greifen. Meine Damen und Herren von der Grünenfraktion, ich gehe davon aus, dass Sie qualifiziertere, integrere Menschen in Ihren Reihen haben, die der Verantwortung gerecht werden könnten. ({19}) Sie haben von Anfang an diese – nach Ihren Worten – Zukunftskoalition mit dieser Personalie belastet. ({20}) Sie müssen sich die Kritik gefallen lassen, dass Sie von vornherein diese Koalition, diese Regierung mit Frau Anne Spiegel, dieser „fähigen“ Ministerin, belastet und vergiftet haben. ({21})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssten bitte zum Ende gekommen sein.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Alle anderen: Überlegen Sie sich, ob Ihr Amtsverständnis von Verantwortung das gleiche ist wie das von Frau Spiegel. Vielleicht können Sie dem Wort „Haltung“ noch mal eine andere Note geben, ({0}) die nämlich bedeutet: –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssten bitte zum Ende gekommen sein.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– Wenn ich versagt habe, dann trete ich zurück. – Aber das kennen Sie nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssten bitte zum Ende gekommen sein.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Haltung ist für Sie immer nur, wenn es Dank und Ehre bringt. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Matthias David Mieves hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Matthias David Mieves (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005154, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr sind im Ahrtal mehr als 100 Menschen gestorben. Mehr als 700 Menschen wurden verletzt. Wir gehen davon aus, dass ungefähr 42 000 Menschen betroffen sind. Zur Bewältigung einer solchen Katastrophe brauchen wir beim besten Willen keine Spielchen im Bundestag, ({0}) sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung für die Menschen in Rheinland-Pfalz. ({1}) Zu dieser Kraftanstrengung gehören vor allem zwei Dinge: Das Erste ist Aufbauen, und das Zweite ist Aufarbeiten. Beim Aufbauen geht es darum, unzählige Häuser wieder aufzubauen. Wir brauchen neue Kitas, wir brauchen neue Dorfgemeinschaftshäuser und Schulen. ({2}) Es geht darum, die Infrastruktur, viele grundlegende Dinge wieder aufzubauen. Das braucht zum einen Geld. Dafür hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern einen milliardenschweren Fonds aufgelegt. ({3}) Zum anderen kümmert sich die Landesregierung unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer ({4}) an vielen Stellen darum, diese Krise, diese Katastrophe zu bewältigen – genauso wie die vielen Ehrenamtlichen. Die möchte ich einmal hervorheben; denn wir haben unzählige Feuerwehrfrauen in Rheinland-Pfalz, unzählige Männer beim Katastrophenschutz, ({5}) Vereine, die alle ins Ahrtal gefahren sind, um beim Aufräumen zu helfen, um beim Aufbauen zu helfen. Das sind meine Helden des Tages, meine Helden des Jahres. Das sind die Vorbilder, über die wir reden und bei denen wir uns alle bedanken sollten. ({6}) Ich bin stolz auf und dankbar für die vielen freiwilligen, ehrenamtlichen Helfer, die ihre Arbeit leisten beim Aufbauen. Neben dem Aufbauen ist aber auch das Aufarbeiten notwendig. ({7}) Denn es stellen sich viele wichtige Fragen: ({8}) Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Was hat in den Meldeketten nicht funktioniert? Wo müssen unser Katastrophenschutz und unsere Feuerwehren besser ausgestattet werden? ({9}) Wo haben Beteiligte, – und das muss man auch fragen – wo haben Verantwortliche Fehler gemacht? ({10}) – Und das zeigt, wie ernst die CDU/CSU und die AfD die tatsächlichen Probleme nehmen. ({11}) Die tatsächlichen Probleme werden nämlich aufgearbeitet in einem Untersuchungsausschuss, der auch heute wieder tagt. Und dieser Untersuchungsausschuss, der tagt in Mainz. Dort gehört er auch hin, und nicht in den Bundestag nach Berlin. ({12}) Wir brauchen eine Kraftanstrengung für den Aufbau; dieser Aufbau ist nämlich notwendig für die Menschen vor Ort, im Ahrtal. Und wir brauchen das Aufarbeiten für uns alle, ({13}) damit wir die richtigen Lehren aus dieser Katastrophe ziehen und am Ende konsequent handeln. Dafür appelliere ich an die Vernunft der Menschen in diesem Haus, sinnlose Scheindebatten sein zu lassen und sich darum zu kümmern, dass wir handeln, und zwar gemeinsam für die Menschen, die unsere Unterstützung brauchen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Julia Klöckner hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 134 Menschen, die nicht mehr leben, die gestorben sind in dieser Nacht. Wir als Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer, wir haben nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch die Bilder von vor Ort – fast jeder von uns, der in Verantwortung ist, war dort – sehr eindeutig vor Augen. Ganz viele Menschen fragen sich noch immer – und sie sehen das nicht als Scheindebatte –: Warum hat das keiner kommen sehen, dieses Jahrhunderthochwasser? – Viele fragen sich: Wie konnte das geschehen, dass eine Landesregierung mit ihrem zuständigen Amt von einer solchen Flutwelle überrascht worden ist, obwohl die Behörden wussten, dass Starkregenereignisse drohen und Wetterexperten sagen: Ja – Zitat –, „von Sekunde eins an“ und schon am 12. Juli war klar gewesen, was passieren würde. Frau Anne Spiegel, damals in Verantwortung als zuständige Umweltministerin, gab am späteren Nachmittag, nach 16 Uhr, kurz vor 17 Uhr, eine Meldung raus – die Meldung sollte vorher nicht raus, weil sie vorher noch im Landtag reden wollte; sie wollte noch ihren Auftritt einbetten in diese Meldung –: Es droht kein Extremhochwasser. – Stattdessen schaut man auf die Kommunen. Und von denen verlangt man, dass sie alles tun, mit Warnungen, die sie eigentlich hätten aus Mainz bekommen können. So schiebt man Verantwortung ab. Heute geht es nicht um die Frage, ob das ein Mainzer Geschehen ist. 134 Menschen – wer hier sagt, das sei kein Geschehen von einem Ausmaß, das uns alle betrifft, der hat nicht verstanden, was die Verantwortung von Ministern ist. ({0}) Um es noch mal zu verdeutlichen: Frau Spiegel war verantwortlich für das Landesamt für Umwelt, und dieses Landesamt hat um 18.25 Uhr, als Menschen – – ({1}) – Sie rufen hier rein. Wissen Sie, was da passiert ist? Da sind Menschen mit Hubschraubern von ihren Dächern geholt worden. Da waren Menschen, die haben gekämpft und geschrien bis zum Schluss. ({2}) Da kann man doch nicht um 18.25 Uhr den Wasserpegelstand noch auf 4 Meter nach unten korrigieren. In der Nacht türmte die Ahr sich auf 9 Meter an. ({3}) Man wusste, dass das Jahrhunderthochwasser 2016 einen Pegelstand von 3,71 Meter hervorrief, und man sagt: Es sind nur 4 Meter, und es ist kein Extremhochwasser. – Es wurde nichts korrigiert. Eine Ministerin, die das mitbekommt, die kümmert sich. Was macht Frau Spiegel? Sie geht essen mit einem Parteifreund und legt sich schlafen. Und am nächsten Morgen interessiert sie eines: ob es ein Blame Game gibt zwischen dem Innenminister und ihr. Ihr Pressechef schrieb – ich darf zitieren; der „Focus“ hatte daraus zitiert –: Anne braucht eine glaubwürdige Rolle. Anne bei Reparaturarbeiten … Besuch mit Journalisten bei Hochwassermeldezentren. ({4}) Sie schrieb: … wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben … Hier geht es um Wording und nicht um Wahrheit. Deshalb stellt sich die Frage, ob eine solche Ministerin, die ihren Job so ausübte und ihr Ministerium in Mainz nicht im Griff hatte, geeignet ist, ein größeres Bundesministerium zu führen. Darum geht es hier. ({5}) Ich will eines sagen: Der Landrat dieses Landkreises ist nicht mehr im Amt. Frau Spiegel ist befördert worden zur Bundesministerin. ({6}) Wir brauchen keine Minister für Schönwetterzeiten. ({7}) Wenn ein Minister in einer Krise abtaucht: Für was braucht man ihn dann? Wofür braucht man eine Ministerin, wenn sie nur für Schönwetter da ist und sich Gedanken macht, wie sie selbst in Pressemitteilungen dasteht? Während die Horrormeldungen immer größer geworden sind, macht sich das Ministerium mit Frau Spiegel zusammen nur Gedanken darum, wie sie öffentlich dasteht. Ich halte sie für ungeeignet, ein Bundesministerium zu führen, das noch viel größere Aufgaben hat als das Landesministerium. ({8}) Darüber müssen wir hier heute auch sprechen. Es einfach damit abzutun, dass diejenigen, die jetzt über die Verantwortung von Politikern reden, nicht an konstruktiven Debatten und Entscheidungen des Aufbaus interessiert sind, das finde ich – das muss ich Ihnen sagen – mehr als unverschämt. Ich weiß, dass Sie verteidigen wollen und verteidigen müssen; aber man muss auch ein bisschen achtgeben, welche Linien man dann überschreitet. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Heil, die in diesem Wahlkreis so aktiv ist, sie hat Stunden, sie hat Nächte, sie hat Tage diesen Menschen dort geholfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht, ob Sie das alles gemacht haben. Aber Sie sollten solchen Leuten und unseren Leuten nicht vorwerfen, uns würde es nur um Schein und Sonstiges gehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Uns geht es um die Eignung von Politikerinnen und Politikern und darum, ob man am Ende ein Image hat, bei dem man sagt: Politikern kann man vertrauen. Und: Die sind geeignet. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das stellen wir hier infrage. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Danke schön. – Dr. Till Steffen spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Till Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005228, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe sehr großen Respekt vor Abgeordneten, die sich der Arbeit in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss stellen; denn das ist harte Arbeit: meistens wenig Ruhm, man muss sich sehr intensiv in die Sachverhalte einlesen, man muss tage- und auch nächtelang Anhörungen mitverfolgen, man muss genau aufpassen und sehr genau nachfragen. Das ist eine harte Arbeit. Ich selber habe mich dem in den 17 Jahren als Abgeordneter auf Landesebene mehrfach gestellt. In der Tat gehört es auch dazu, manche steile These in den Raum zu stellen und genau daran zu überprüfen, wie sich die Sachverhalte zugetragen haben. Dazu gehört in diesem Fall, sehr sorgfältig aufzuarbeiten, wer wann welche Information hätte geben müssen und wer wann welche Information gegeben hat. Dazu gehört es, sehr sorgfältig sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wer welche Zuständigkeiten hatte. Das sage ich so deutlich; denn nichts ist schlimmer in einer Katastrophensituation, als wenn alle wild durcheinanderlaufen und man sich nicht an Zuständigkeiten hält. Es ist ganz wichtig in solchen Situationen, dass Zuständigkeiten klar sind ({0}) und dass der Katastrophenstab an der Stelle, an der er übernehmen musste, tatsächlich übernommen hat – was ja der Fall war; das ist ganz wichtig an dieser Stelle. Ich habe auch großen Respekt vor allen, die sich als Ministerinnen und Minister solchen Untersuchungsausschüssen stellen müssen. Ich selber habe das auch mehrfach erlebt: Mancher sitzt da und sagt dann: Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern. – Das ist aber ein anderes Thema. Anne Spiegel hat sich dem Untersuchungsausschuss gestellt und hat sehr detailliert Rechenschaft abgelegt. Sie hat das nicht im Rahmen von Interviews gemacht, sondern sie hat gesagt: Ich stelle mich der Verantwortung vor dem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtages. – Und das ist genau richtig. Der Untersuchungsausschuss muss seine Arbeit machen. Er wird seine Ergebnisse vorlegen. Genau das wird auch passieren. Das Gleiche macht auch der Untersuchungsausschuss zu ebendieser Flutkatastrophe im nordrhein-westfälischen Landtag, wo auch viele Fragen gestellt werden und wo sich die Ministerinnen und Minister vielen Fragen stellen müssen. Das ist der richtige Umgang mit diesem Thema. ({1}) Jetzt kommt hier die AfD. Wir kennen ja die Arbeit der AfD in Ausschüssen. ({2}) Tatsächlich ist es nicht wirklich Ihr liebstes Hobby, in Ausschüssen intensiv zu arbeiten und hart in der Sache zu sein; ({3}) Vielmehr veranstalten Sie meistens Schaumschlägerei hier im Plenum, so wie wir es heute erlebt haben. ({4}) Zum Auftritt hier heute: Da wird hier mit großer Empörung an die politische Verantwortung, an die Moral erinnert, und der Redner, der diese Debatte eröffnet hat – das muss man sich vorstellen! –, ist ein rechtskräftig verurteilter Straftäter. ({5}) Es ist doch tatsächlich interessant, dass Sie meinen, Sie müssten hier anderen etwas über politische Moral erzählen. Das finde ich absolut unangemessen. ({6}) Das macht deutlich, welche Maßstäbe Sie an sich und welche Maßstäbe Sie an andere anlegen. ({7}) Frau Kollegin Heil, ich finde es nicht gut, dass Sie sich dieser Debatte hier so angeschlossen haben. ({8}) Ich finde, es hätte bessere Gelegenheiten gegeben, als dieses Thema bei einer von der AfD angemeldeten Aktuellen Stunde aufzumachen. ({9}) – Doch, ich finde, es ist schon wichtig, zu gucken, was die AfD mit solchen Themen macht, was sie mit der parlamentarischen Demokratie macht, mit welchem Ernst sie diese Themen angeht und welche Absichten dahinterstehen. ({10}) Und ich möchte in diesen Fragen die CDU/CSU an meiner Seite haben. ({11}) Das sind mein Wunsch und meine Erwartung. ({12}) Es entbehrt in der Tat nicht einer gewissen Ironie, dass sich ausgerechnet hier in dieser Debatte Julia Klöckner darüber Gedanken macht, welchen Stellenwert PR in der politischen Arbeit haben kann. ({13}) Ich finde, das ist eine besondere Ironie. ({14}) – Nein, weil Sie sich dieser Frage hier tatsächlich nicht stellen. ({15}) Sie ziehen einzelne Punkte aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses des rheinland-pfälzischen Landtages heraus; genau dorthin gehört die detaillierte Auseinandersetzung, die es dringend braucht. Was Sie hier machen, ist wirklich ein absolut billiges Schauspiel. ({16})

Sandra Bubendorfer-Licht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004956, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder darf sich das Hohe Haus mit einer Frage der Haltung in einer Aktuellen Stunde der Opposition beschäftigen. Dass eine Opposition die Frage der Haltung der Koalition natürlich thematisieren muss, gehört zum politischen Geschäft. Haltung – das ist ein großes Wort. Aber dennoch ist sie von entscheidender Bedeutung; denn eine Haltung haben ist die Voraussetzung dafür, um Sicherheit zu geben und um Verlässlichkeit zu garantieren. ({0}) Ob man Haltung, Prinzipientreue und Verlässlichkeit mit der AfD verbindet, mag jeder für sich selbst bewerten. Ich komme da zu einem für mich sehr eindeutigen Schluss. Wie ernst es die AfD mit dem Thema Haltung nimmt, erkennt man am Wesenskern dieser Aktuellen Stunde. Die Katastrophe im Ahrtal, diese unfassbar schlimme Flut, eignet sich eben nicht für politische Ränkespiele von Opposition gegen Koalition, ({1}) sondern sollte in erster Linie uns allen Mahnung und Warnung sein. ({2}) Werte AfD, wenn Sie Haltung hätten, würde es Ihnen um die fachliche Aufarbeitung der Katastrophe sowie um die notwendigen Maßnahmen zur besseren Aufklärung und zur Stärkung des Katastrophenschutzes gehen. ({3}) Wenn Sie Haltung hätten, dann hätten Sie einen inhaltlichen Antrag eingebracht. ({4}) Die Katastrophe vom letzten Juli war eine Katastrophensituation von enormem Ausmaß: die vielen Toten, die Zigtausenden, die ihr Zuhause verloren haben. All die Zerstörung hatte ein Ausmaß, von dem wir immer erhofft hatten, es nie erleben zu müssen. ({5}) Diese Angst vor einer derartigen Katastrophe führt auch zur Verdrängung der Gefahr. Ein Mechanismus, der nichts entschuldigt, aber vielleicht manches nachvollziehbarer macht. Die rein politische Schuldzuweisung, die politische Anklage zur eigenen Profilierung, ist aber mindestens genauso falsch und unangebracht, ({6}) wie es auch die falsche Einschätzung von Frau Ministerin Spiegel war. ({7}) Wenn es Ihnen wirklich um die Sache geht, dann lassen Sie uns darüber reden, was wir tun müssen, damit wir einer derartigen Tragödie besser vorbauen. Verhindern werden wir Naturkatastrophen nicht. ({8}) Aber wir können uns auf den Ernstfall vorbereiten. Wir müssen als Politik und Gesellschaft den Katastrophenschutz wie auch den Zivilschutz – der sei ausdrücklich in dieser Situation erwähnt – wieder ernst nehmen. Wir haben jahrelang Raubbau an der Vorsorge und Vorbereitung betrieben; und da setzen wir nun an. ({9}) Das geht in erster Linie mit dem nun endlich eingeführten Frühwarnsystem Cell Broadcasting. Dieses hätte im Sommer viele, viele Menschenleben retten können. ({10}) Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass die operativen Einheiten im Katastrophenschutz wie Feuerwehr, THW oder Hilfsorganisationen bestens ausgebildet sind ({11}) und unter strukturierter Führung und Leitung stehen. ({12}) Wir können sehr stolz sein auf dieses Fundament von Ehrenamtlern, die in solchen Situationen diesen enormen Dienst an der Gesellschaft leisten. ({13}) Offenkundige Mängel gibt es jedoch bei den Verwaltungs- und Krisenstäben. Bei der Kommunikation und Ablaufstruktur in eben diesen Stäben muss endlich angesetzt werden. Außerdem muss die Zivilbevölkerung wieder mehr in Sachen Selbstschutz angeleitet werden, um in solchen Situationen auch die richtigen ersten Handlungsschritte zu vollziehen; denn solche Katastrophen werden uns in der Zukunft häufiger begegnen. Wenn wir eine klare Haltung bei diesem wichtigen Thema haben wollen, müssen wir den Katastrophenschutz entsprechend finanziell ausstatten ({14}) und gleichzeitig aber auch strukturell stärken und verbessern. Entscheider vor Ort müssen die richtigen Handlungsempfehlungen an die Hand bekommen. ({15}) Und diese können vom BBK vermittelt werden. Daher wurde dieses Bundesamt nun gestärkt, und auch das Gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern wird zeitnah eröffnet. ({16}) Dies hilft bei der Vorbeugung zukünftiger Katastrophen, aber keine Hetzjagden und auch keine Schuldzuweisungen. ({17}) Lassen Sie uns deshalb im Innenausschuss und in den Ländern inhaltlich mit Experten an der Optimierung arbeiten. Mir war es ein Bedürfnis, hier mal wieder inhaltlich ({18}) auf die Notwendigkeit eines resilienten Katastrophenschutzes einzugehen. Herzlichen Dank. ({19}) – Ich glaube, liebe AfD, wir haben auf Cell Broadcasting schon hingewiesen, da haben Sie das Wort noch nicht einmal gekannt. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für diese Sitzungswoche wird es wohl die letzte erste Rede sein. Mario Czaja hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mario Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt viel gehört von Versagen, von Fehlern, von Verantwortung und von Rechtfertigungen. ({0}) Nichts davon macht nur ein Todesopfer dieser furchtbaren Flutkatastrophe wieder lebendig. Nichts davon macht dieses Geschehen rückgängig. Ja, man kann Häuser wieder aufbauen, Brücken wieder aufbauen und reparieren, Bahnstrecken wieder in Betrieb nehmen. Um die Todesopfer können wir nur trauern, den Familien beistehen. Mit diesem Wissen muss jeder leben, auch jeder, der in dieser Flutnacht politische Verantwortung hatte. ({1}) Ja, wer Verantwortung übernimmt, macht Fehler. Gerade in besonders herausfordernden Situationen kann einiges an Fehlern geschehen. Und: Gemachte Fehler sind gemachte Fehler; sie sind nicht rückgängig zu machen. Dennoch: Man kann aus den Fehlern lernen, neue Verantwortung übernehmen und das Gelernte mit einfließen lassen. Aber wenn sich staatliche Stellen in Extremsituationen in Kompetenzgerangel begeben oder gar abtauchen, dann ist es immer vorbei mit Verantwortung. Wenn nur noch die Suche nach einem künftigen Schuldigen beginnt, wie man hier überall nachlesen kann, ist Verantwortung nicht gegeben. ({2}) Und wenn es nur noch um Blame Game geht, dann war es das. Dann ist das nicht mehr Verantwortung, sondern dann ist das Verantwortungsflucht. ({3}) Warum das heute hier im Parlament eine Rolle spielt, ist die Frage. Die Ministerin hat in der Anhörung einige Fehler eingestanden, einige wenige. Übrigens finden diese Anhörungen – für die Minister – nur in den späten Nachtstunden, immer am Freitagabend statt. ({4}) Aber hat sie daraus gelernt? Hat sie Schlussfolgerungen aus ihrem Handeln gezogen? Die Einlassungen im Untersuchungsausschuss lassen daran enorme Zweifel aufkommen. ({5}) Nun hat Frau Spiegel eine neue Aufgabe übernommen. Sie ist nicht mehr Umweltministerin in der kleinen Ampel, sondern sie ist Familienministerin für das ganze Land. Sie hat große Verantwortung übernommen, und gerade in diesen Zeiten käme viel auf sie an. Keine fünf Minuten weg von hier kommen gerade wieder Frauen und Kinder an, die vor Bomben fliehen, vor Gewalt, vor Verfolgung, vor Zerstörung. Da kommen Frauen und Kinder an, die bei uns Schutz suchen, die ihre Väter, Onkels, Söhne, Brüder und Neffen zurückgelassen haben. ({6}) – Das ist zum Thema, junge Frau, weil Sie gerade diesen Zwischenruf machen. – Diese Frauen brauchen Schutz, sie brauchen Ruhe und Zuwendung. ({7}) Und sie treffen auf viel Hilfe, aber sie treffen nur auf Hilfe der Hilfsorganisationen und der Ehrenamtlichen. Der Staat zeigt sich bei der Ankunft überhaupt nicht. ({8}) Das sagt Pastor Siggelkow von der Arche in Berlin, der schon früh davor gewarnt hat, dass hier vom Staat de facto nicht kontrolliert wird, wer Frauen und Kinder bei sich aufnimmt. ({9}) Er warnt eindrücklich vor Trittbrettfahrern und vor Missbrauch der Schutzsuchenden. ({10}) – Frau Künast, Sie können fleißig zwischenrufen, trotzdem spreche ich jetzt. ({11}) Da sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtmission, die mir sagen: Wir hätten uns das nicht vorstellen können. Wir helfen gerne. Wir sind da. Aber das hier ist ein Ankommen ohne Staat. Das haben wir uns nie vorstellen können. Da sind Ehrenamtliche und Flüchtlingsinitiativen, ja, Frau Künast, die mir sagen: Herr Czaja, als Sie damals, 2015, Verantwortung hatten, da haben wir uns durchaus miteinander gestritten, da hatten wir Konflikte. Aber was wir uns nicht vorstellen konnten, ist, dass es auf der anderen Seite gar niemanden gibt, dass Frauen und Kinder hier auf dem Bahnhof alleine gelassen werden, über Wochen. ({12}) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt erhebliche Mängel bei der Anmeldung von Kriegsflüchtlingen und beim Wissen darum, wo sie unterkommen; und das ist das Entscheidende. Wir weisen die SPD-Innenministerin, Frau Faeser, und die grüne Familienministerin, Frau Spiegel, seit Tagen darauf hin – in dieser Woche an jedem Tag –, dass sie dafür Verantwortung haben. Doch sie tauchen unter, und sie gehen auf diese Dinge nicht ein. ({13}) Um es klar zu sagen, weil sie es der Union immer vorwerfen: Es geht nicht um einen bürokratischen Akt. Deshalb sind die bürokratischen Ausflüchte der Ministerin auch so unerträglich. Es geht um Menschen, die Schutz suchen. Es geht um eine sichere Unterkunft und um medizinisch-therapeutische Versorgung. Und es geht um eine wirkliche Integration dieser Menschen. Wir brauchen ein Schutzregister für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Dafür sind die beiden Ministerinnen verantwortlich. ({14}) Frau Spiegel ist mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit beschäftigt. Der Verantwortung ist sie bislang nicht gerecht geworden. Der Verantwortung hier wird sie auch nicht gerecht. Es gibt viele Gründe für sie, um sich an diesem Wochenende noch mal genau zu prüfen, ob sie ihrer Verantwortung gerecht wird und ob sie die erneuten Folgen ihrer Verantwortungslosigkeit vor sich selbst verantworten kann. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Letzte in der Aktuellen Stunde hat das Wort die Kollegin Leni Breymaier. ({0})

Leni Breymaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Czaja, ich habe Sie gerade kurz gegoogelt und habe als Erstes Ihr Versagen im Zusammenhang mit den 2015 in Berlin ankommenden Flüchtlingen gefunden. Da wurde Ihnen vorgeworfen, dass Sie viel zu spät reagiert haben und keine Plätze zur Verfügung gestellt haben. Also, dass Sie sich bei dem Thema hier jetzt ausdrücklich aufmandeln, finde ich schon auch ein bissel drollig. So. ({0}) Es ist ja nicht so, dass wir keine anderen Sorgen und Probleme in diesem Land hätten. Doch die AfD nutzt die von ihr beantragte Aktuelle Stunde nicht für echte Problemlösungen. ({1}) Sie hat auch selber kein großes Interesse. Es sind jetzt noch 17 oder 18 Ihrer 82 Abgeordneten zu Ihrer Aktuellen Stunde hier im Saal. Doch so groß, das Interesse am selber gesetzten Thema? Ich kenne die Vorwürfe gegen Frau Spiegel wirklich nur aus der Presse. In Rheinland-Pfalz – das wurde schon mehrfach gesagt – befasst man sich mit den Vorwürfen. Dort ist man auch dafür zuständig. Wenn die fertig sind, sind wir vielleicht auch so weit, da ordentlich draufzuschauen. Aber wahrscheinlich würde die AfD mit dem Thema am liebsten noch das Europaparlament beschäftigen oder die UN-Vollversammlung. Hauptsache, Sie haben irgendwie ein Thema gesetzt. ({2}) Also, dies heute ist eine Klamaukveranstaltung, die diesen ernsten Zeiten in keiner Weise gerecht wird und auch den Menschen im Ahrtal nicht gerecht wird. ({3}) Wir erleben hier eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, die auch mit dieser Aktuellen Stunde moralisiert – auf höchstem Niveau –, um von sich selbst abzulenken. ({4}) In diesen Tagen zum Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, spüren wir alle Wut und Entsetzen angesichts von Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Alle? Fast alle. Die AfD leistet Putin Propagandahilfe. ({5}) Sie hat hier im Bundestag Putins hauseigenen Propagandisten sitzen. Der Bundestagsabgeordnete Eugen Schmidt stellt Deutschland in russischen Medien als Land dar, in dem Andersdenkende unterdrückt und verfolgt werden. Wörtlich erklärte Schmidt in einem Interview, das kürzlich auf der Webseite des russischen Radios „Komsomolskaja Prawda“ veröffentlicht wurde – ich zitiere –: Es gibt keine Demokratie in Deutschland. Das heißt, es wird eine einheitliche Meinung aufgedrängt, und zwar von der regierenden Elite, ({6}) und alle anderen politischen Meinungen werden mit allen möglichen Mitteln unterdrückt: im Internet, in den Medien, unter anderem auch durch körperliche Übergriffe auf Andersdenkende. Das muss Putin sich noch nicht mal ausdenken. Den Dreck für seine Propaganda bekommt er frei Haus geliefert, direkt aus dem Bundestag, ({7}) direkt von der AfD, von einer Partei, der nie an ordentlichen Debatten gelegen ist, ({8}) die auch hier nur darauf achtet, ob ihre Auftritte Social-Media-tauglich sind. ({9}) Das, was Sie hier mit Frau Spiegel veranstalten, ist Projektion der feinsten Psychoanalyse. Sie wollen vermeiden, sich mit Ihren eigenen Problemen auseinanderzusetzen, indem Sie Ihre Probleme – zum Beispiel heute – auf Frau Spiegel projizieren. ({10}) Am Ende geht es Ihnen doch nicht darum, was die Ministerin wann und wo als Textnachricht verschickt hat; es geht Ihnen darum – das erleben wir ja dauernd im Ausschuss –, die Inhalte, für die Frau Spiegel steht und die wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, zu torpedieren, indem Sie Frau Spiegel am falschen Ort und zur falschen Zeit attackieren. ({11}) Sie wollen nicht die Streichung des § 219a, ({12}) Sie wollen nicht mehr Frauenhausplätze, Sie wollen nicht mehr Frauen in Führungspositionen, Sie wollen keine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie wollen zurück in die 50er-Jahre. Und weil Sie jetzt gerade so schön rumschreien – es ist ja nicht Ihr Antrag – ({13}) und weil Frau Klöckner und Frau Heil hier mit diesem hohen moralischen Anspruch geredet haben, frage ich Sie: Ist eigentlich Herr Laschet noch in Ihrer Partei, der so unangemessen rumgelacht hat letztes Jahr in Nordrhein-Westfalen? Was veranstalten Sie denn hier? ({14}) Ich kann Ihnen sagen: Wir hätten als SPD gerne das Familienministerium weiterhin gehabt. Das wurde anders entschieden. Aber ich kann Ihnen auch sagen: Wir arbeiten sehr gut und sehr vertrauensvoll mit einer sachkundigen, engagierten und klugen Ministerin Anne Spiegel zusammen, ({15}) und wir werden sie bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags nach Kräften unterstützen. Wir wünschen ihr, auch wenn die AfD nicht glaubt, dass sie krank ist, ({16}) gute Besserung und vollständige Genesung. Und Ihnen wünsche ich ein schönes Wochenende. ({17})