Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/17/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, wir hätten heute bereits eine Impfquote von 90 Prozent! Dann steckten wir nicht fest in der größten Infektionswelle seit Beginn der Pandemie. ({0}) Deutschland hat europaweit die höchste Inzidenz. Einzelne Krankenhäuser müssen wieder Operationen verschieben – höchste Anspannung und Belastung für das Personal. Was für ein Trauerspiel! Wieder und wieder müssen wir erkennen: Das Virus ist nicht berechenbar. Es reicht eben nicht aus, nur auf die aktuelle Situation zu reagieren. Wir müssen grundlegend die Voraussetzung dafür schaffen, dass wir nicht noch einmal von einer weiteren Infektionswelle überrollt werden. ({1}) Darum setze ich mich gemeinsam mit 236 Kolleginnen und Kollegen aus vier Fraktionen für eine allgemeine Impfpflicht für alle Erwachsenen in Deutschland ein. ({2}) Wir wollen unsere Gesellschaft und unser Gesundheitswesen vor Überlastung schützen. Dazu müssen wir eine hohe Grundimmunisierung aufbauen. Wir wissen seit Langem und können dies in anderen Ländern sehen: Je mehr Menschen durch Impfung vor einer Coronainfektion geschützt sind, umso weniger Menschen erkranken schwer, umso schneller können wir zu einem gesellschaftlichen Leben ohne freiheitseinschränkende Schutzmaßnahmen zurückkehren. Danach sehnen wir uns alle. Das ist dringend nötig für unsere Kinder und Jugendlichen, für unsere Wirtschaft, für alle, die Tag und Nacht um das Leben von schwer erkrankten Menschen ringen und sich auch um Pflegebedürftige kümmern. ({3}) Um vor die Welle zu kommen, müssen wir eine hohe Impfquote bis zum Herbst erreicht haben: durch Information, Aufklärung, Beratung und eben auch eine Impfnachweispflicht, die auch kontrolliert wird. Unser Gesetzentwurf ist gut begründet und solide ausgestaltet. Mit ihm werben wir hier und heute dafür, gemeinsam diesen echten Weg der Vorsorge zu beschreiten. Ich wende mich an alle verantwortungsbewussten Demokratinnen und Demokraten im Deutschen Bundestag, an die Nachdenklichen und die Unentschlossenen, an die, denen es wichtig ist, die Impfskeptiker noch besser zu beraten, zu informieren und zu überzeugen, an die, die ernsthaft für den Herbst vorsorgen wollen, weil sie das Gemeinwohl im Blick haben: Lassen Sie uns gemeinsam den Konsens suchen für einen nachhaltigen Weg, diese Pandemie unter Kontrolle zu bringen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wenn Sie Ihren Antrag zur Impfvorsorge nicht heute, sondern vor vier Monaten eingebracht hätten, dann müssten Sie heute im Angesicht der aktuellen dramatischen Infektionslage zu der Erkenntnis kommen: Es braucht den Impfmechanismus, wie Sie es nennen, jetzt. ({4}) Denn nur dann werden diejenigen, die heute noch nicht geimpft sind, die notwendige Grundimmunität bis zum Herbst erreicht haben. Darum warten Sie bitte nicht länger ab. Sehen Sie der Realität ins Auge. Gehen Sie mit uns den Weg der Vernunft und der Vorsorge, die unserem Gemeinwohl dienen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sepp Müller spricht jetzt für die Unionsfraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen noch alle unter dem tiefen Eindruck der heutigen Rede des Staatspräsidenten Selenskyj aus der Ukraine. Er sprach von einer Mauer. Liebe Ampelparteien, anscheinend haben Sie eine Mauer im Kopf, wenn wir nach dieser Rede im Bundestag eine Debatte über die Impfpflicht in Deutschland führen. Das geht gar nicht. ({0}) Menschen sterben, Bomben fliegen auf Theater, wo Kinder Schutz suchen, und wir führen in diesem Haus eine Debatte zur Impfpflicht. ({1}) Es wäre das Mindeste gewesen, wenn der Bundeskanzler, der Gott sei Dank heute da ist, dazu eine Regierungserklärung abgegeben hätte. ({2}) Ohne Anstand, ohne Würde und ohne Respekt dem Staatspräsidenten gegenüber ({3}) das von ihm Gesagte stehen zu lassen, ohne eine Antwort zu geben, das ist diesem Parlament, geschätzte Frau Präsidentin, unwürdig. ({4}) Wenn wir uns die Situation in der Ukraine anschauen, ({5}) dann ist das nicht nur bedrückend, sondern für uns alle auch schwer in Worte zu fassen. Vielleicht gibt es auch diese Sprachlosigkeit der Ampel, weil Sie in vielen Punkten keine Mehrheit haben. Ein Kollege sprach es an: Wie wird denn die Ausgestaltung des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro aussehen? Wie ist Ihre Meinung? ({6}) Die Kollegin von den Grünen sprach von Parteipolitik. Wenn ich lese, dass die Grüne Jugend in Berlin in sozialen Medien schreibt, für 100 Milliarden Euro könnte man 20 Milliarden Hamster kaufen, dann ist das unwürdig und Parteipolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({7}) Schauen wir uns diese Ampel an: Sie hat nicht nur bei diesen großen staatspolitischen Herausforderungen keine Mehrheit, sondern auch bei der Debatte, die der Bundeskanzler gewünscht hat, nämlich zum Thema Impfpflicht. Man muss doch ganz deutlich sagen: Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Impfpflicht tot. ({8}) Es gibt keine Mehrheit in diesem Haus für eine allgemeine Impfpflicht ab 18. ({9}) Wir als Unionsfraktion, die während der Orientierungsdebatte von Gesundheitsminister Professor Lauterbach per Tweet beschimpft wurden, während unsere Redner hier vorne standen, – wir würden das parteipolitisch ausschlachten –, wir haben uns Gedanken gemacht, mit Expertinnen und Experten gesprochen und einen Vorschlag gemacht, der eint und nicht, wie Ihre Vorschläge, dieses Parlament trennt, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({10}) Wir haben mit 197 Abgeordneten einen Antrag eingebracht, der mehrheitsfähig ist. Bitte schließen Sie sich dem an. Wir wollen drei Dinge: erstens ein Impfregister, damit wir überhaupt wissen, wer geimpft ist, und so eine Impfkampagne auf den Weg bringen können, zweitens einen 14‑tägigen Bericht der Bundesregierung, insbesondere des Gesundheitsministers, damit er das nicht immer bei „Anne Will“ erklären muss, sondern auch mal dem Parlament erklären kann, ({11}) und drittens einen Vorsorgemechanismus. Danach würden wir, wenn man in einem dieser Papiere zu dem Entschluss kommt, dass eine tödliche Variante da ist, so tödlich wie Delta und so ansteckend wie Omikron, mit einem Mechanismus eine Impfpflicht nach Alterskohorten scharfschalten. ({12}) Das ist ein einigender Vorschlag; er liegt auf dem Tisch. Wir bitten um Zustimmung. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Alice Weidel für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegenden Vorschläge für eine Impfpflicht in verschiedenen Spielarten sind das Produkt von verbohrter Besessenheit und ignoranter Tatsachenverweigerung. ({0}) Deutschland steht mit dieser absurden und anachronistischen Debatte wieder einmal als europäischer Sonderling da. Selbst unsere Nachbarn in Österreich haben das Vorhaben „Impfpflicht“ vorerst ausgesetzt. Die Impfpflicht ist auf falschen Tatsachenbehauptungen aufgebaut. Dass eine Impfung andere wirksam vor Ansteckung schützt und die Ausbreitung des Virus dämpft, sind Fake News. Sie sind falsch. ({1}) Das muss sogar das Robert-Koch-Institut zugeben. Der versprochene Schutz vor schweren Verläufen ist ebenfalls fragwürdig angesichts des wachsenden Anteils von Geimpften und Geboosterten auf den Intensivstationen. Eine das Gesundheitssystem gefährdende Überlastung der Krankenhäuser gab es nie, gibt es nicht, und sie droht auch nicht. Das hat im Übrigen der Gesundheitsminister unfreiwillig zugeben müssen. ({2}) Eine Impfpflicht ist auch nicht erforderlich, um Lockdowns im Herbst zu verhindern. Lockdowns verhindert man, indem die Regierung keine verhängt. So einfach ist das. Die Nutzlosigkeit und Schädlichkeit von Lockdowns sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. ({3}) Dagegen aber sind die potenziellen Nebenwirkungen der mRNA- und Vektorimpfstoffe weitaus schwerer und weiter verbreitet als ursprünglich behauptet. Wann wird darüber eigentlich mal in diesem Hause gesprochen? ({4}) Die Argumente für eine Impfpflicht waren von Anfang an schwach, und sie sind inzwischen auch wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Es gibt keine legitime und verfassungsrechtlich zulässige Rechtfertigung für die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19, ({5}) egal ob als Impfpflicht ab 18, ab 50, als Impfpflicht auf Vorrat oder einrichtungsbezogen. Eine allgemeine Impfpflicht verletzt zentrale Grundrechte: die Menschenwürde, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und das Recht auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verhältnismäßigkeit, die einen derart schweren Grundrechtseingriff legitimieren würde, ist nicht gegeben. Die Impfpflicht ist nicht geeignet, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Sie ist auch nicht erforderlich, da es andere und viel mildere Therapien und Maßnahmen gibt, und sie ist nicht angemessen. Dem Staat ist nicht erlaubt, Leben und Gesundheit einiger Bürger zu gefährden, um andere Bürger zu schützen. ({6}) Die Begründung, eine Impfpflicht sei notwendig, um eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern, ist nicht nur falsch; sie ist gefährlich. Nach dieser Pseudologik könnte man Menschen künftig alle möglichen Behandlungen aufnötigen, von der Pflichtmedikation von Bluthochdruckgefährdeten bis hin zur Zwangsdiät für Übergewichtige. ({7}) Zur Begründung reicht ein politisch selbst hergestellter Kapazitätsengpass. – Ich hoffe, Sie merken selbst, wie absurd das ist. Die Impfpflicht ist ein Akt der Entrechtung. Sie erniedrigt Millionen Menschen von souveränen, mit Freiheits- und Abwehrrechten ausgestatteten Individuen zu Befehlsempfängern und Objekten staatlicher Willkür. ({8}) Sie treibt Millionen Menschen in Gewissenskonflikte und existenzielle Nöte. Sehr geehrte Kollegen von Regierungsfraktionen und Union, die Sie einen der vorliegenden Impfpflichtvorschläge unterstützen: Sie reiten ein totes Pferd. Bitte steigen Sie ab. Ziehen Sie diese Vorlagen zurück, und lassen Sie uns gemeinsam den Irrweg der einrichtungsbezogenen Pflegeimpfpflicht so schnell wie möglich beenden. So schnell wie möglich! ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir können es uns in diesen schweren Zeiten nicht leisten, aus Starrsinn und Rechthaberei die Gesellschaft mit einer Impfpflicht noch weiter zu spalten, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– für die es weder medizinisch noch rechtlich eine Begründung gibt. Ich bedanke mich. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Gruppe „Wolfgang Kubicki und andere“ spricht jetzt der Kollege Manuel Höferlin. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer eine Impfpflicht einführen will, der muss erklären, wozu diese genau führen soll. Die Fragen, die sich mir stellen, sind: Schaffen wir mit der Impfung eine Herdenimmunität? – Die Antwort ist Nein. Schützt die Impfung sicher vor Ansteckung? – Nein. Schützt die Impfung vor Ansteckung anderer? – Nein. Verhindern wir mit der Impfpflicht eine Infektionswelle im kommenden Herbst? – Die Antwort ist Nein. Keine Frage, meine Damen und Herren: Die Impfung schützt mich wahrscheinlich vor einem schweren Verlauf und ziemlich sicher vor dem Tod. Deswegen habe ich mich auch impfen und boostern lassen. Meine Familie hat das gemacht, und ich empfehle jedem mit Nachdruck, das zu machen und dafür zu werben. ({0}) Daraus resultiert aber nicht die Pflicht zu einer Impfung. Diese Pflicht einzuführen, ohne eine Antwort auf die Frage zu finden, ob nicht die mildere Omikron-Variante dazu führt, andere Bewertungsmaßstäbe anzulegen, halte ich für problematisch. Mittlerweile haben sich die Infektionszahlen auch von der Zahl der Krankenhausbehandlungen, der Belegung auf den Intensivstationen abgekoppelt. ({1}) Und die Prognosen mancher, dass die Intensivstationen nun volllaufen bzw. dass sie es nicht tun, wenn wir jetzt eine Impfpflicht einführen, entbehren jeder Grundlage. ({2}) Keine europäische Demokratie hat aktuell die Pflicht zur Impfung. Selbst Österreich hat sie gerade wieder außer Vollzug gesetzt mit der nachvollziehbaren Begründung, unter der Omikron-Variante ergebe sie keinen Sinn mehr. Ja, wir müssen die vulnerablen Gruppen schützen, aber nicht vor sich selbst. Die Behauptung, für deren Schutz brauche es eine Impfpflicht, trägt nicht. Diejenigen, die bis jetzt nicht geimpft sind, wollen sich wahrscheinlich nicht impfen lassen. Vielleicht tragen sie auch lieber eine Maske, um sich zu schützen. Das ist ihre Entscheidung, und übrigens ist es auch ihr gutes Recht, das zu tun. Nach zwei Jahren Pandemie sollten wir den Menschen wieder eigene Entscheidungen zutrauen. Für staatliche Bevormundung ist weder Zeit noch rechtlicher Raum, und unsere Verfassung, meine Damen und Herren, sieht das schlicht nicht vor. ({3}) Statt Zwang wäre Einsicht das Gebot der Stunde. Die angekündigten Impfkampagnen wurden mit viel Geld finanziert und sind entweder verpufft oder warten noch auf ihre Umsetzung. Dazu machen wir in unserem Antrag konkrete Vorschläge. Lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Die Entscheidung über die eigene Gesundheit und das eigene Leben liegt am Ende immer noch bei jedem selbst. ({4}) In der Verantwortung von uns im Deutschen Bundestag liegt es hingegen, bei anderen Erkenntnissen auch andere Wege zu gehen. Was im letzten Herbst noch gegolten hat, ist nach der heutigen Erkenntnislage vielleicht anders. Deshalb lassen Sie uns heute und im weiteren Verlauf offen und ehrlich diskutieren, nicht nur darüber, was als nötig empfunden wird, sondern auch über das, was Bürgerinnen und Bürgern wirklich hilft und was rechtlich möglich ist. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Andrew Ullmann hat jetzt das Wort für die Gruppe „Janecek, Ullmann und andere“. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehrheitlich sind wir uns in diesem Parlament ja einig: Wir wollen das Gesundheitssystem vor Überlastung schützen. Vor dieser Überlastung können wir nur schützen, indem wir die Krankheitslast reduzieren, und eine Krankheitslast wird nur dann reduziert, wenn wir eine gewisse Grundimmunisierung in unserer Bevölkerung haben. Sie ist das Fundament, das wir brauchen. Unser Weg ist aber ein anderer. Ein Ziel ist relativ klar ausgesprochen; aber unser Weg des Gesetzentwurfes sagt klar: Wir trauen den Menschen zu, eine richtige Entscheidung zu treffen. Doch um diese richtige Entscheidung zu treffen, bedarf es einer professionellen, guten Aufklärung. Deshalb setzen wir uns hier auch dafür ein, eine verpflichtende Aufklärung auf den Weg zu bringen, damit die Menschen eine gute Entscheidung treffen können, damit sie weniger Ängste und Unsicherheiten haben. Diese verpflichtende Beratung, meine Damen und Herren, ist ein milderes Mittel im Vergleich zu einer Impfpflicht. Eine Impfpflicht darf nur eine Ultima Ratio sein; es geht nicht um ihre sofortige Umsetzung in dieser Situation. ({0}) Wir wollen die Impflücken schließen, vor allem die Impflücke der vulnerablen Personen, und das bis zum Herbst. Denn ein Ziel sollte uns einen: Wir müssen die vulnerablen Menschen vor Krankenhausaufenthalten durch Covid-19, wie wir sie letztes und vorletztes Jahr erlebt haben, schützen. Dieses Gesetz würde gut in ein Gesamtkonzept der Pandemiebekämpfung hineinpassen. Unser Gesetzentwurf baut Brücken zu den anderen Vorschlägen, die hier im Bundestag vorgelegt wurden. Wir wollen – und ich lade alle Demokraten in diesem Parlament ein, daran mitzuarbeiten – eine Lösung für unser Land finden, damit wir dieses Jahr Weihnachten mit unseren Lieben, mit unseren Freunden feiern können, wie wir es gewohnt sind. Wir haben es heute in der Hand. Wenn wir nicht heute etwas ändern, dann sind wir verloren und werden wieder ein Weihnachten haben, wie wir es die letzten zwei Jahre erlebt haben. Das wollen wir verhindern. Deshalb bitte ich um Zusammenarbeit und spätere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Herzliches Dankeschön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Unser Kollege Dr. Robert Habeck hat jetzt das Wort für die Gruppe „Baehrens und andere“. ({0})

Dr. Robert Habeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005074, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich rede also zur allgemeinen Impfpflicht ab 18, und ich will dies auch gleich begründen. Zuvor würde ich gerne eine Anmerkung machen. Dass wir hier diskutieren und uns dafür entschieden haben, den Weg der Gruppenanträge zu gehen, entbindet uns natürlich nicht von der Pflicht, eine Lösung zu finden. Am Ende wäre es das Schlimmste, wenn es keine Lösung geben würde. Ja, es ist eine moralisch komplexe Abwägung, die wir jetzt alle vornehmen müssen. Aber ich will ausdrücklich sagen: Die individuelle Gewissensentscheidung kann nicht dazu führen, dass wir der Verantwortung zum Wohle der Menschen in diesem Lande nicht gerecht werden. ({0}) Es wurde sich eben kurz darüber ausgetauscht, ob man eine Debatte zur Ukraine hätte führen sollen oder nicht. Hätte man diese Debatte geführt, hätte man überhaupt Debatten über Krisen geführt, gäbe es einen Übergang zu dieser Debatte, nämlich die Frage – und das ist die Frage, die beantwortet werden muss –: Tun wir alles, um Vorsorge zu treffen? Die Vorsorgefrage ist die Frage, wie wir mit Krisen umgehen, und Vorsorge bedeutet Denken in Eventualitäten: Was kann alles noch passieren? ({1}) Nicht der Status quo, nicht die Omikron-Variante stehen im Mittelpunkt der Debatte, sondern die Frage: Tun wir alles dafür, dieses Land und seine Menschen vor weiteren großen Freiheitseinschränkungen zu schützen? Wenn man sich klarmacht, worum es eigentlich geht, dann muss man Folgendes feststellen: Erstens. Das Virus ist tückischer, fieser und mutantenreicher, als wir es uns vor zwei oder drei Jahren überhaupt haben träumen lassen. Zweitens. Menschen sind aus guten oder schlechten Gründen widerwilliger, sich vor diesem Virus zu schützen, und damit bekommen wir keinen Grundschutz in der Gesellschaft. ({2}) Drittens. Die Freiheitsabwägung bzw. Freiheitsinterpretation der wenigen darf nicht zur permanenten Freiheitseinschränkung der vielen führen. Das kann nicht der Deal sein. ({3}) Wir stimmen also darüber ab, ob wir am Ende wieder in ein Regime einkehren wollen, das das kulturelle Leben zum Erlahmen bringt, das Kinder und Menschen, die es nicht so dicke haben, in die Isolation zwingt. Wir stimmen darüber ab, ob am Ende wieder massive Freiheitseinbußen und Untersagung des öffentlichen Lebens bzw. des wirtschaftlichen Lebens einkehren. ({4}) Das müssen wir doch mal durchbrechen, das müssen wir verhindern. Darum geht es doch im Kern. ({5}) Ich würde gerne an dieser Stelle sagen: Wir haben es satt. Die Menschen in diesem Land haben es satt. Bringen wir diese Pandemie endlich hinter uns! Erledigen wir das Virus, und kehren wir dann zur Freiheit zurück. – Ja, es wäre besser gewesen, die Menschen hätten sich freiwillig in großer Zahl impfen lassen. ({6}) Das wäre natürlich die bessere Lösung gewesen. Aber dass sie es nicht getan haben, entbindet dieses Haus und uns alle nicht von der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir wieder ein freies Leben in Deutschland führen können und nicht nur mit Einschränkungen leben. ({7}) Stimmen Sie deswegen für einen Antrag, der die Herdenimmunität in Deutschland hoch hält, damit wir das Virus besiegen können. ({8}) Danke schön. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Tino Sorge spricht jetzt für die CDU/CSU. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Habeck, Sie haben vollkommen recht. Wir hätten hier im Plenum schon viel, viel früher über dieses Thema debattieren müssen. Dass wir das nicht getan haben, dass wir nicht früher darüber debattiert haben, das lag an Bundeskanzler Scholz und an Bundesgesundheitsminister Lauterbach, die noch Ende letzten Jahres vollmundig bekundet haben, sie seien für eine allgemeine Impfpflicht, aber nicht die Kraft besessen haben, hier in diesem Hohen Haus einen kompromissfähigen Antrag einzubringen. Genau das ist das Problem. Und deshalb haben wir jetzt die Situation, wie wir sie haben. ({0}) Sie haben den Weg der Gruppenanträge gewählt – dieser ist mit unsicheren Mehrheiten verbunden und sehr langsam – und wissen letztendlich nicht, wie die ganze Sache ausgeht. Wenn jetzt immer argumentiert wird, wir müssten alle an einem Strang ziehen, dann erklären Sie doch mal, wie dieser Strang aussieht. Wir haben hier als einzige Fraktion gesagt: Wir unterbreiten einen Kompromissvorschlag. Wir sind fast 200 Kolleginnen und Kollegen in der Unionsfraktion, und wir haben genau das getan, was die Aufgabe der Ampel gewesen wäre, nämlich einen Kompromissvorschlag für dieses komplexe Thema zu unterbreiten. Ich habe in den letzten Tagen immer wieder gehört, es wäre ja schön, wenn man sich hier im Hohen Hause einigen würde, wenn man einen Kompromiss finden würde. Ich sage Ihnen ganz klar: Dieser Kompromiss liegt seit Wochen auf dem Tisch. ({1}) Als Kompromiss sieht der Antrag unserer Fraktion einen Impfvorsorgemechanismus vor, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ich kann Ihnen nur sagen: Es geht bei diesem Thema nicht um pauschale Lösungen. Wir haben ein sehr komplexes Problem. Wir haben geänderte Rahmenbedingungen. Wir haben mit der Omikron-Variante höhere Infektionszahlen, aber viel, viel mildere Verläufe. Deshalb wäre es völlig falsch, mit einer pauschalen Lösung, wie hier suggeriert wird, das Problem lösen zu wollen. Alle sollen sich impfen lassen, impfen ist gut – ja, aber alle Menschen zu zwingen, sich impfen zu lassen, wird nicht dazu führen, dass wir das Problem lösen. Erster Punkt. In dem Gesetzentwurf, nach dem eine Impfpflicht für alle vorgesehen ist, wird nicht differenziert. Deshalb haben wir als Unionsfraktion gesagt: Wir brauchen einen Impfvorsorgemechanismus. Das heißt, wir schauen uns an, ob wir überhaupt eine ordentliche Datengrundlage haben. Genau das ist doch das Kernproblem. Wir reden seit über zwei Jahren darüber, dass wir die Menschen zum Impfen animieren wollen, aber wir wissen gar nicht, wer geimpft ist. Deshalb ist die klare Forderung in diesem Antrag, ein Impfregister einzuführen, damit wir erst einmal die entsprechende Datengrundlage haben, um die Pandemie bekämpfen zu können. ({3}) Zweiter Punkt. Es bringt doch nichts, jetzt zu sagen, alle sollten sich impfen lassen. Natürlich helfen uns Impfungen. Jeder kann individuell entscheiden. Impfungen führen dazu, dass man keinen schweren Verlauf hat. Aber die Impfung mit den jetzigen Impfstoffen gibt uns doch nicht die Gewähr, dass wir im Herbst bei einer Variante, die wir momentan überhaupt noch nicht kennen, mit einem Impfstoff, den wir momentan überhaupt noch nicht haben, aus dieser Dauerschleife herauskommen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um Differenzierung, und genau das tun wir in unserem Antrag. ({4}) In unserem Antrag nehmen wir die notwendige Differenzierung vor. Wir sagen erstens: Wir brauchen die Impfinfrastruktur. Sie wird vorgehalten. Und wenn sich die Lage verschlechtert, können wir diese schnell wieder hochfahren. Gleichzeitig sagen wir aber: Wir müssen wissenschaftlich evaluiert, wissenschaftlich determiniert sagen können, welche Gruppen es betrifft. Wer hat ein hohes Risiko? Können wir diese Gruppen damit schützen? Haben wir ein geeignetes Mittel? Als letzten Punkt sagen wir: Dieses Mittel muss verhältnismäßig sein. Eine Verhältnismäßigkeit ist nur dann gegeben, wenn wir damit auch das Ziel, das wir erreichen wollen, nämlich den Schutz der Bevölkerung, erreichen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Stimmen Sie unserem Impfvorsorgemechanismus zu. Das ist der einzige sinnvolle Kompromiss und gangbare Weg. Tun Sie das nicht ab mit Parteipolitik, wie es der Minister immer wieder macht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es Parteipolitik ist, dass wir als Opposition Vorschläge unterbreiten oder die Regierung kritisieren, empfinde ich das als Kompliment. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie können das gerne als Kompliment empfinden, aber nicht meine Ermahnung. Das nehme ich nicht an. Wir alle haben in dieser Debatte nur sehr kurze Redezeiten. Deswegen kann ich jetzt nicht locker sagen, dass Sie 50 Sekunden überziehen dürfen. Das muss dann ausgeglichen werden.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für den konstruktiven Hinweis. Ich bin am Ende meiner Rede. Danke für die Aufmerksamkeit. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat für die AfD-Fraktion der Kollege Martin Sichert das Wort. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil meine Tochter Kontakt mit einem positiv getesteten Kind hatte, forderte mich das Gesundheitsamt auf, ich solle – Zitat – möglichst innerhalb des Haushalts getrennte Räume nutzen und gemeinsame Mahlzeiten vermeiden, und das bei einer Zweijährigen. Das, meine Damen und Herren, ist staatliche Aufforderung zur Kindesmisshandlung. ({0}) So weit konnte es nur kommen, weil man die Maßnahmen von der Realität, von Daten, Fakten und echtem Gesundheitsschutz völlig entkoppelt hat. Laut Daten der Betriebskrankenkassen gab es bis August mehr Arbeitsunfähigkeitstage wegen Impfnebenwirkungen als nach einem positiven Coronatest. Diese Impfung, meine Damen und Herren, ist eindeutig nicht sicher. ({1}) Der Kölner Karneval bei 2 G Plus war ein Superspreaderevent. Das beweist, dass die Impfung keinen ausreichenden Fremdschutz bietet. Auch der Eigenschutz funktioniert nicht. Es sind mehr Coronaintensivpatienten geboostert als ungeimpft. Eine Impfpflicht ohne ausreichende Sicherheit oder Wirksamkeit des Impfstoffes ist nur eines: eindeutig verfassungswidrig. ({2}) Auch gesundheitspolitisch gibt es keine Grundlage für eine Impfpflicht. In den letzten beiden Jahren waren jeweils zweieinhalb Millionen Patienten weniger in den Krankenhäusern als 2019. Auch auf den Intensivstationen liegen seit Monaten deutlich weniger Menschen als im Durchschnitt. 18 091 waren es letzten Sonntag. Das ist die niedrigste jemals gemessene Zahl an Intensivpatienten. Eine Überlastung des Gesundheitssystems drohte nie. Zu jedem Zeitpunkt in den letzten zwei Jahren waren Tausende Intensivbetten verfügbar. Was aber fehlt, sind wichtige Studien zur Impfung. Man gibt Erbgut des Virus in den menschlichen Körper und weiß bis heute nicht, was danach passiert. Wie genau verhält sich der Impfstoff im Körper? Wie verteilt er sich und in welchen Organen? Welche Auswirkungen hat die mRNA noch neben der Spikeproteinproduktion? Welche Schäden können durch das Spikeprotein erfolgen? Fragen über Fragen, die niemand beantworten kann, weil das nicht ausreichend erforscht ist. Meine Damen und Herren, Realsatire ist, wenn alle Bundestagspräsidenten geimpft sind, vier von sechs an Corona erkrankt sind und der Bundestag trotz dieser offensichtlichen Unwirksamkeit über eine Impfpflicht diskutiert. ({3}) Die anderen Länder haben begriffen, dass Maßnahmen mehr schaden als nutzen. Nein zur Impfpflicht! Nein zur Coronawillkür! Beenden wir es endlich auch in Deutschland. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Gruppe „Wolfgang Kubicki und andere“ hat Tabea Rößner jetzt das Wort. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns eint das Ziel, die Pandemie zu bewältigen und die Überlastung des Gesundheitswesens abzuwenden. Ein guter Immunstatus trägt wesentlich dazu bei. ({0}) Uneins sind wir uns, ob eine Impfpflicht das geeignete Instrument ist. Diese Differenz zieht sich durch die Gesellschaft, durch Familien, Wissenschaft und Parteien. Selten wurde so emotional diskutiert. Die Menschen, gerade die jungen, sehnen sich nach Normalität, und das ist nur verständlich. ({1}) Uns haben viele Menschen, auch zahlreiche geimpfte, geschrieben, dass sie eine Impfentscheidung selbst treffen wollen. Viele haben Ängste. Einige berichten von starken Impfreaktionen. Dem Paul-Ehrlich-Institut liegen nur gemeldete Nebenwirkungen und Impfschäden vor. Wie hoch die Dunkelziffer ist, wissen wir nicht. Wir sollten die Fälle systematisch erfassen. Damit würden wir die Bedenken ernst nehmen. Das schafft Vertrauen. ({2}) Omikron hat die Lage grundlegend verändert. Wir wissen nicht, welchen Schutz die Impfung bei neuen Varianten bietet. Eine sterile Immunität, so führende Virologen, kann mit einer Impfpflicht nicht erreicht werden. ({3}) Wenn ich mir aber die Reden hier anhöre, fürchte ich, dass genau diese Erwartung geweckt wird. Das führt doch zu weiterem Frust. ({4}) Nach heutigem Stand geht es bei der Impfung eher um den Eigen- als um den Fremdschutz. Daher ist eine Impfpflicht noch schwieriger zu rechtfertigen. ({5}) Die Aufgabe des Staates ist nicht, die Menschen vor sich selbst zu schützen, sondern das Gesundheitssystem am Laufen zu halten. ({6}) Wir brauchen niedrigschwellige Beratungsangebote, mehr Forschung, eine bessere Datenlage. Ein wirksamer, anhaltender Immunstatus nach einer durchgemachten Infektion sollte angesichts des erheblichen Grundrechtseingriffs anerkannt werden. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin?

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. – Bei der Beurteilung der Immunität der Bevölkerung sollte auch die Zahl der durch eine Infektion immunisierten Menschen berücksichtigt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist die Redezeit um.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und wir brauchen weniger Alarmismus und mehr Sachlichkeit. Neue Erkenntnisse führen in der Wissenschaft dazu, Positionen zu revidieren. Daran sollten wir uns in der Politik ein Beispiel nehmen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich weiß, dass die Redezeiten kurz sind. Wenn man immer eine halbe Minute überzieht, führt das dazu, dass die Reden immer ein Drittel länger sind. Das geht natürlich nicht. ({0}) – Ich bin nicht so streng, aber streng. Dr. Paula Piechotta hat jetzt das Wort für die Gruppe „Janecek, Ullmann und andere“. ({1})

Dr. Paula Piechotta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005180, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Erst einmal herzlichen Dank, dass Sie mit Petra Pau hier diese Woche diesen Wahnsinnsjob machen, nur zu zweit. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Impfpflicht ist offensichtlich nicht mehr das wichtigste Thema in diesem Haus. Das sieht man auch hier gerade gut. Aber ich glaube, sie kann ein unglaublich wichtiger Baustein sein und Hinweisgeber bei der Frage, ob wir als Haus der Verantwortung in den vielen verschiedenen Krisen, die wir gerade alle gemeinsam lösen müssen, wirklich gerecht werden. Ich verstehe sehr gut, dass viele bei dieser Frage keinen Kompromiss machen wollen; aber gerade vor dem Hintergrund der vielen Krisen, die wir jetzt alle auf einmal bewältigen müssen, dürfen Kompromisse nicht schlechtgeredet werden. ({0}) Ich verstehe jeden in der Gruppe für eine Impfpflicht ab 18 Jahren. Ich verstehe jeden, der das Gefühl hat, hier könnte sich am Ende eventuell nicht die beste Variante durchsetzen. Aber ich möchte darum bitten, dann trotzdem nicht alles beiseite zu wischen, was man auch mit einer Teillösung noch erreichen kann, gerade für die Pflege. Jeder, der sich immer darüber aufgeregt hat, dass für die Pflege nur vom Balkon geklatscht wurde, kann jetzt hier über seinen eigenen Schatten springen und zumindest erreichen, dass der Überlastung des Gesundheitswesens und damit der Überlastung der vielen Menschen, die in diesem Gesundheitswesen arbeiten und gerade jeden Monat Kolleginnen und Kollegen verlieren, vorgebeugt wird. ({1}) Ich glaube, am Ende wird sich hier entscheiden, ob wir dieser Verantwortung gerecht werden, die jetzt auf unseren Schultern liegt. Ich habe heute in diesem Haus nicht in jeder Minute das Gefühl gehabt, dass dieser Bundestag sich gerade seiner Verantwortung bewusst ist. Aber wenn wir gut sind, wenn wir richtig gut sind, dann werden wir am Ende dieses Prozesses zeigen, dass wir es – auch wenn es schwierig ist, auch wenn es kompliziert ist, auch wenn viele Menschen, gerade auch jüngere Menschen bei uns, sehr mit sich ringen und die aktuell auf dem Tisch liegenden Kompromisslösungen nicht gut finden – trotzdem schaffen, hier eine Mehrheit dafür zu haben, die Lebensbedingungen in diesem Land zu verbessern und die Möglichkeit für alle Patientinnen, gerade auch die vielen Menschen, die gerade neu zu uns kommen, zu erhalten, im Herbst in einem gut funktionierenden Gesundheitssystem behandelt zu werden. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Katrin Helling-Plahr spricht jetzt für die Gruppe „Baehrens und andere“. ({0})

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ist unsere Aufgabe als Politik? Ich bin aus tiefstem Herzen Liberale. Also lautet meine Antwort: zu tun, was notwendig ist, und zu unterlassen, was nicht unbedingt notwendig ist. ({0}) Andersherum: Politik muss sich, wann immer möglich, heraushalten und Menschen ihr Leben selbstbestimmt führen lassen. Gerade deswegen streite ich für die allgemeine Impfpflicht. ({1}) Es ist richtig, Freiheitseinschränkungen jetzt zurückzufahren und gleichzeitig die Erwartungshaltung zu kommunizieren, dass jeder, sofern noch nicht geschehen, bis zum Herbst einen vollständigen Impfschutz erwirbt. Ich möchte nicht nur, dass wir so schnell wie möglich Beschränkungen zurücknehmen können. Ich möchte, dass wir sie nicht jeden Herbst neu einführen müssen, dass wir in Zukunft überhaupt nicht mehr in diese Maßnahmenspirale hineingeraten. ({2}) Freiheit ist nicht nur Freiheit von Spritzen. Freiheit ist auch, in Schule und Kita zu lernen und zu spielen. ({3}) Freiheit ist auch die Freiheit für Selbstständige und Unternehmer, Weihnachtsmarktbeschicker und Boutique-Besitzer, Theaterschauspieler und Messebauer, ihrem Beruf nachgehen zu können. Freiheit bedeutet, sich bei Indikation einer Krankenhausbehandlung unterziehen zu können und nicht auf das Abflachen der aktuellen Coronawelle warten zu müssen. ({4}) Freiheit ist, auch im Alter mit der Familie im Pflegeheim Geburtstag feiern zu dürfen. Meine Damen und Herren, auf dem Rücken all dieser Menschen wird die viel zu geringe Impfquote in Deutschland ausgetragen. All diesen Menschen gegenüber besteht auch eine Schutzpflicht des Staates. ({5}) Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie sollen den Staat zwingen, sich zu rechtfertigen, wenn er in die von ihnen geschützten Rechtsgüter eingreift. Sie sollen ihn nicht zur Untätigkeit verdammen. Um bei einer aktuellen Coronawelle kurzfristig einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken, haben wir inzwischen ein Instrumentarium entwickelt. Aber die Anwendung dieser Instrumente hinterlässt massive Kollateralschäden. ({6}) Lassen Sie uns das, so gut es geht, vermeiden. Gehen wir mit einer umfassenden, mit einer Impfpflicht verbundenen Impfkampagne einen anderen Weg. Denken wir weiter! Denn auch das Virus mutiert weiter. ({7}) Wir haben ein Konzept vorgelegt, das noch einmal auf umfassende Information setzt, am Ende aber auch eine klare Erwartung kommuniziert. Wir schlagen eine Umsetzung vor, die für die allermeisten ganz unkompliziert erfüllbar ist, mit einem einfachen Upload oder einem Gang in die Apotheke. Machen wir das! Und ja, es gibt das Risiko, dass wir die Impfpflicht am Ende nicht gebraucht haben werden. Dagegen abzuwägen ist das Risiko, dass wir uns alle und unsere Kinder erneut stark zurücknehmen müssen. Für mich ist das Ergebnis der Abwägung klar. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andrea Lindholz spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir fällt es immer noch schwer, an dieser Stelle zur Impfpflicht zu sprechen. Ich stehe immer noch unter den Eindrücken der Rede des ukrainischen Präsidenten. Ich will an dieser Stelle nur eines sagen, bevor ich zum eigentlichen Thema komme: Es wäre anständig gewesen, es wäre angemessen gewesen, es wäre erforderlich gewesen, dass die Fraktionen im Bundestag die Möglichkeit gehabt hätten, unmittelbar auf diese Rede zu antworten und ihre Solidarität zu bekunden. Es war keine Glanzstunde, was dieses Parlament hier heute Morgen geleistet hat. ({0}) Wir beraten in dieser Woche zu dem wichtigen Thema der Pandemie zwei Vorhaben. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, wollen morgen in der zweiten Lesung die Maskenpflicht im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes quasi abschaffen, die Pflicht zum Tragen einer Maske im öffentlichen Raum, zu einer Zeit, in der die Inzidenz bei 1 651 liegt, zu einer Zeit, in der die Zahl der neuen Coronafälle täglich bei knapp 300 000 liegt und die Zahl der täglichen Todesfälle über 200 beträgt. Sie wollen die Maskenpflicht abschaffen, und Sie tun das morgen mit Ihrer Mehrheit. Wir werden ausdrücklich nicht zustimmen. Die Maske schützt direkt und unmittelbar denjenigen, der sie trägt, und das Gegenüber. Die Maskenpflicht ist kein großer Eingriff in die Grundrechte. ({1}) Die Maskenpflicht ist das mildeste und geeignetste Mittel, um in der jetzigen Situation Schutz vor dem Coronavirus zu bieten, gerade auch vulnerablen Personen. ({2}) Wenn Sie eine Person mit einer Immunschwäche sind, weil Sie eine schwere Erkrankung haben, und Sie müssen einkaufen gehen – Sie müssen nicht ins Restaurant gehen; aber Sie müssen einkaufen gehen – und Sie versuchen täglich, zu verhindern, dass Sie sich anstecken, dann sind Sie demnächst schutzlos. Sie können selber noch freiwillig eine Maske tragen, aber ob das Gegenüber eine Maske trägt, bleibt Ihrem Gegenüber überlassen. Ich finde das zum jetzigen Zeitpunkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, verantwortungslos. Natürlich muss man auch über die Reduzierung einer Maskenpflicht sprechen, aber doch bitte zu einem Zeitpunkt, der angemessen und richtig ist. ({3}) Ich kann es beim besten Willen nicht nachvollziehen, was Sie sich hier überlegt haben. Die gleichen Kolleginnen und Kollegen, die morgen der Abschaffung der Maskenpflicht zustimmen werden, sprechen sich hier in großen Teilen zum jetzigen Zeitpunkt für eine sofortige Impfpflicht aus. Es tut mir leid: In Ihrer Gesundheitspolitik herrscht wirklich Chaos. ({4}) Wir wissen, dass die Impfung als Vorbereitung für den Herbst wichtig ist. Unser Antrag sieht ganz klar vor, die Impfkampagne weiterzufahren. Wir wollen auf den Herbst vorbereitet sein. Deswegen sagen wir in unserem Antrag auch ganz klar: Bitte führen Sie endlich das zwingend notwendige Register ein. Wir brauchen einen Überblick über den Status. Wir müssen Personen gezielt ansprechen können, auch was Boosterimpfungen angeht. Wir müssen die Ungeimpften noch einmal gezielt ansprechen können. Und wir müssen auf Basis einer validen Datenlage endlich die Pandemie vernünftig steuern können. ({5}) Wir haben in unserem Antrag vorgesehen, dass dann, wenn es nötig und erforderlich ist, ein Impfmechanismus mit einem Stufenmodell in Gang gesetzt wird. Dafür muss man – sozusagen in einem Monitoring – die Infektionszahlen der über 60-Jährigen, den R-Wert und die Situation auf den Intensivstationen beachten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn wir das tun, dann können wir auch zielgerichtet agieren. Deswegen bitte ich Sie, unserem wirklich guten, vernünftigen Antrag zuzustimmen und daraus ein gutes Gesetz zu machen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das wäre die richtige Vorsorge für den Herbst und für alles, was kommt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie sind weit über die Redezeit hinausgegangen.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und ich bitte Sie, morgen nicht der Änderung beim Infektionsschutzgesetz zuzustimmen. Vielen Dank. ({0})

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Im Land Bremen sind circa 90 Prozent der Menschen einmal geimpft. Die Zahl der doppelt geimpften liegt etwas darunter, und fast zwei Drittel sind auch schon geboostert. ({0}) Ich muss sagen: Wir sind auch ein bisschen stolz auf diese Zahlen; denn sie sind das Ergebnis einer großen gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung von Politik und Verwaltung, von Hilfsorganisationen und heimischer Wirtschaft. Wir haben leistungsfähige Impfzentren aufgebaut. Wir sind mit unseren Impftrucks in die Quartiere gefahren. Wir haben dezentrale Angebote in unseren Bürgerhäusern gemacht. Wir haben mehrsprachige Gesundheitsfachkräfte in die Quartiere geschickt, wo die Impfquoten besonders niedrig sind. Wir haben geworben, wir haben diskutiert, wir haben auch gestritten. Wir haben es durch die Ansprache der gesamten Bevölkerung geschafft, ein richtig gutes Impfklima im Land zu schaffen: mit Argumenten, ohne Druck und ohne Zwang. ({1}) Trotzdem, meine Damen und Herren, spreche ich mich heute für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland aus – eine Position übrigens, die ich hier nicht alleine vertrete, sondern stellvertretend für die 16 Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen, die sich schon mehrfach auf ihren Konferenzen ganz klar und eindeutig hinter dieser Forderung versammelt haben. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn jetzt die Impfquote bundesweit stagniert, obwohl Impfstoffe jederzeit ausreichend verfügbar sind und obwohl es ausreichende Informationen zum Impfen in allen möglichen Sprachen gibt, dann stellt sich schon die Frage: Welche Schlüsse müssen wir daraus ziehen? Eine Erkenntnis ist aus meiner Sicht zentral: Die meisten, die sich bisher nicht haben impfen lassen, werden diesen Schritt ohne eine gesetzliche Impfpflicht auch künftig nicht gehen. Das könnten wir jetzt natürlich einfach hinnehmen als Ausdruck individueller Freiheitsbetätigung. Wirklich klug, meine Damen und Herren, wäre das aber nicht; denn die meisten dieser Menschen werden sich über kurz oder lang infizieren. Etliche werden mangels Impfung schwer erkranken, ({3}) müssen in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen behandelt werden. Spätestens dann, wenn die Kliniken an ihre Belastungsgrenzen stoßen sollten, wäre das für uns alle ein Problem. Dann wäre das nicht mehr Ausdruck individueller Freiheitsbetätigung, sondern ein tiefes, grundlegendes gesellschaftliches Problem. ({4}) Dann müssten wir reagieren. Dann drohten wieder Beschränkungen, Teil-Lockdowns, dann drohten wieder Schließungen von Geschäften, Schulen und Kitas, dann drohten wieder Kontaktbeschränkungen. ({5}) Die ökonomischen und nicht zuletzt die sozialen Folgen immer wiederkehrender Beschränkungszyklen sind enorm. Als Bürgermeister habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten viele Gespräche mit Eltern und Schülerinnen und Schülern, mit Unternehmern, mit Vertretern von Sportvereinen, von Kirchen, von Verbänden geführt. Ich kann Ihnen eines versichern: Die Menschen wollen und können nicht mehr. Ich kann jedem nur dringend empfehlen, sich mit einer alleinerziehenden berufstätigen Mutter zu unterhalten und darüber zu sprechen, was monatelange Schul- und Kitaschließungen mit ihr gemacht haben. Meine Damen und Herren, die Familien in Deutschland sind wirklich am Limit. ({6}) Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Wenn wir die Pandemie ohne Impfpflicht hinter uns lassen könnten, das wäre gut, das wäre schön. Wenn wir aber nur die Wahl zwischen einer ständigen Beschränkungs- und Lockdown-Gefahr ({7}) und der Impfpflicht haben, dann sollten wir uns für die Impfpflicht entscheiden. ({8}) Meine Damen und Herren, ich habe es eingangs gesagt: Im Kreis der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben wir uns mehrfach einmütig hinter der allgemeinen Impfpflicht versammelt, zuletzt vor vier Wochen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

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Insbesondere den Kollegen von der Union war es stets ein großes Anliegen, eine entsprechende Forderung in die MPK-Beschlüsse aufzunehmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

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Deshalb hoffe ich sehr, dass am Ende auch die Abgeordneten der Union einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht zustimmen werden. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Das ist meine kürzeste Rede in der Geschichte des Bundestages. Ich bin dreimal geimpft und genesen; mehr geht gar nicht. ({0}) Aber ich bin ein strikter Gegner der allgemeinen Impfpflicht. ({1}) Bei Masern war ich dafür, weil das die Krankheit ausrottete. Das schafft der Impfstoff hier nicht. Eigentlich brauchen wir eine Aufklärung und 30 000 Impfungen pro Tag; Bremen hat es ja geschafft, auch dank unserer linken Sozialsenatorin. ({2}) Geldbußen sind für mich der falsche Weg. Wenn Sie regeln, dass die nicht in Haftstrafen umgewandelt werden dürfen, dann werden die anderen, bei denen die Geldbuße umgewandelt wird, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen – wegen der Gleichheit vor dem Gesetz. Viel Spaß! ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Da gibt es jetzt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. ({0}) Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Gysi?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist ja fantastisch. Ja, gerne. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich weiß jetzt nicht, was Sie dafür bezahlt haben. ({0}) Herr Kollege, bitte. Die Zwischenfrage ist zugelassen. Ich hoffe, das ist jetzt keine marktwirtschaftliche Angelegenheit.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stellen Sie mir einmal eine solche Frage, dass ich den Rest hier noch unterbringen kann, ja? ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Gysi, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. Ich bin überzeugt, dass Sie die letzten Sekunden auch noch hinbekommen werden. Meine Frage an Sie konkret ist: Was ist Ihre Lösung, mit der Sie der Krankheitslast im kommenden Winter, die hypothetisch durchaus hoch sein könnte, begegnen wollen? „Wir wollen keine Impfpflicht einführen“, ist ja keine Lösung. Wie wollen Sie die Impflücke eigentlich schließen? Das sehe ich in Ihrer Lösung momentan nicht. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich sagte gerade, dass wir 30 000 Menschen pro Tag überzeugen müssen. ({0}) Ich finde, das kann uns gelingen, wenn wir es so machen, wie es in Bremen gemacht worden ist, wenn wir das überall so machen. ({1}) Außerdem will ich noch sagen: Wir haben jetzt 16 Millionen Nichtgeimpfte. Angenommen, 5 Millionen machten das nach der Pflicht, dann blieben 11 Millionen übrig. Wie viele Hunderttausende Ordnungsämter brauchten wir eigentlich, um die Impfpflicht durchzusetzen? ({2}) Ein Gesetz, das man nicht durchsetzen kann, darf man auch nicht beschließen. Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kathrin Vogler spricht jetzt zu uns für die Gruppe „Baehrens und andere“. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Gregor Gysi, ich schätze dich als Mensch und Politiker, aber hier liegst du einfach falsch. ({0}) Inzwischen dürfte doch in Deutschland fast jeder jemanden kennen, die oder der gerade wegen Covid-19 krank oder in Quarantäne ist. Wir haben aktuell eine Inzidenz fast dreimal so hoch wie in vergleichbaren Ländern, täglich mehr als 200 Tote, eine zunehmende Zahl an Krankenhauseinweisungen und auch wieder mehr Menschen, und zwar vor allem Ungeimpfte, auf den Intensivstationen. Auch von unseren Kolleginnen sind einige, die heute mitdiskutieren wollten, wegen Covid‑19 nicht bei uns. Ich wünsche ihnen – ich glaube, in Ihrer aller Namen –, dass sie schnell und vor allem vollständig genesen. ({1}) Selbstverständlich ist das nicht. Immer mehr Menschen leiden langfristig unter schweren Folgen, selbst wenn die Infektion leicht verlaufen ist. Die Autorin Margarete Stokowski beschreibt ihre Erfahrungen mit Long Covid in ihrer jüngsten „Spiegel“-Kolumne, eine Kolumne, die sie ansonsten einfach so herunterschrieb, die ihr jetzt aber alle Kraft und viel Zeit abverlangt: Falls es Sie interessiert, ich habe jetzt seit … zwei Monaten täglich Kopfschmerzen und bin von jeder Kleinigkeit erschöpft, ich habe immer wieder Schwächeanfälle für mehrere Stunden und dazu ein fiebriges Kribbeln, null Hunger oder Appetit, mein Gehirn funktioniert nicht richtig … und ich schlafe oft 14 Stunden und bin danach absolut nicht erholt, sondern genauso kaputt wie am Tag davor … Meine Damen und Herren, vor Long Covid kann man sich nicht individuell schützen. Der beste Schutz davor ist eine hohe Impfquote in der Bevölkerung, ({2}) neben Masken, Abstand und all den Maßnahmen, die wir kennen, weil Geimpfte einfach weniger ansteckend sind. Es gibt auch einen messbaren Zusammenhang zwischen der Impfquote und der Sterblichkeit. Dennoch haben wir es nicht überall geschafft, so wie in Bremen die Impflücken zu schließen. Jeder, der glaubt, dass wir das bis zum Sommer schaffen, weil dann die Infektionszahlen sinken und es keine 2-G-Regel mehr gibt, der glaubt auch noch an die Zahnfee. Es gehört doch einfach zur menschlichen Natur, Gefahren, die nicht akut erscheinen, zu verdrängen und erst dann zu handeln, wenn sie wirklich im persönlichen Umfeld auftauchen. Aber wenn im Herbst dieses Jahres die nächste Coronawelle anrollt – wer weiß, mit welchem Virus –, dann wird es zu spät sein. Wenn wir dann nicht über Lockdowns, Kontaktbeschränkungen oder Schulschließungen reden wollen, dann müssen wir jetzt handeln. ({3}) Nein, die Idee, Menschen per Gesetz zum Impfen zu verpflichten, die begeistert mich überhaupt nicht. Ich habe viel Kritik an einer Politik, die es überhaupt erst so weit hat kommen lassen. Aber nach zwei Jahren mit immer wiederkehrenden Freiheitseinschränkungen und all den sozialen und gesellschaftlichen Verwüstungen, die sie hinterlassen haben, halte ich es zumindest für zumutbar, alle Erwachsenen zu verpflichten, sich zum Schutz aller vor dieser Krankheit und vor weiteren Freiheitseinschränkungen impfen zu lassen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich komme zum Schluss. – Mein besonderer Appell geht an dieser Stelle an die Mitglieder der Unionsfraktion: Verweigern Sie sich nicht! Nutzen Sie die Uneinigkeit der Regierungskoalition in dieser Frage nicht für kurzfristige parteipolitische Profilierung! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zeigen Sie Mut zur Verantwortung! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Dr. Herbert Wollmann für die Gruppe „Janecek, Ullmann und andere“. Er hält heute hier seine erste Rede. ({0})

Dr. Herbert Wollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005262, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich abweichend von meinem Redeskript eines vorausschicken: Was ich gestern und heute an medizinischem Unsinn gehört habe, das ist hanebüchen. ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren, als Arzt für Innere Medizin, der in den letzten 30 Jahren in der Altmark ambulant und stationär praktiziert hat, werde ich zwei Dinge in meiner Rede deutlich machen. Erstens. Was hat mich dazu gebracht, diesen Ü‑50-Gesetzentwurf miteinzubringen? Zweitens. Warum glaube ich, dass es der richtige Weg ist, um aus der aktuellen Situation herauszukommen? Mir bleibt der 14. Januar 2021 in besonderer Erinnerung. An diesem von vielen Menschen in meinem Wahlkreis herbeigesehnten Tag habe ich erstmals mit meinem Praxisteam gegen Covid‑19 geimpft. Der Dezember davor, also der Dezember 2020, mit vielen Coronaschwerkranken und ‑toten auch unter meinen Patientinnen und Patienten war noch sehr präsent und beeindruckend. Eine weitere grenzwertige Belastung unseres Gesundheitssystems darf es nicht mehr geben. Impfen bleibt das beste Mittel. ({1}) Wer das bisher nicht begriffen hat, handelt verantwortungslos. ({2}) Wir wissen zuverlässig, dass, erstens, eine Impfung die Häufigkeit eines schweren Verlaufes signifikant reduziert, dass, zweitens, die Nebenwirkungen der Impfungen vergleichbar mit denen anderer Impfungen sind – da muss ich der Abgeordneten der Grünen weitgehend widersprechen, die hier vorhin geredet hat; das war wirklich daneben –, ({3}) dass, drittens, es eine altersabhängige Häufung von schweren Covid-19-Erkrankungen gibt, die insbesondere ab dem 50. Lebensjahr zunehmend relevant wird. Das ist auch der Grund für unseren Gesetzentwurf. Besonders der dritte Punkt, also die Altersabhängigkeit der Komplikationen, führt in der Pandemie zu einer starken Belastung unseres Gesundheitssystems. Daher heißt es bei uns: Erst noch einmal alle beraten, dann impfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, die Redezeit gilt auch bei der ersten Rede. Ich erinnere Sie nur daran, dass Ihre Redezeit um ist.

Dr. Herbert Wollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005262, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin in 10 Sekunden fertig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gut.

Dr. Herbert Wollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005262, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht werden es auch 15. ({0}) Unsere Einschätzung teilen in ihrer Stellungnahme auch die Mitglieder des Deutschen Ethikrates, an der sich unser Gesetzentwurf weitgehend orientiert. Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet uns, das mildeste Mittel zu wählen. ({1}) Betrachtet man diese Aspekte, so ist dieser Gruppen-Gesetzentwurf – Ü 50 – die beste Lösung; denn die Jüngeren sind nicht die, die unser Gesundheitssystem belasten. Jetzt bin ich fertig. Ich hoffe, dass Sie unserem Gesetzentwurf weitgehend zustimmen. Danke. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Auch Ihre erste Rede hält heute hier die Kollegin Emilia Fester für die Gruppe „Baehrens und andere“. ({0})

Emilia Fester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005055, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen und die AfD-Fraktion! Als die Pandemie begonnen hatte, war ich 21 Jahre alt. Wissen Sie noch, was Sie gemacht haben, als Sie 21 waren? ({0}) Ich habe innerhalb der vergangenen zwei Jahre aus Vorsicht und aus Rücksicht das Folgende nicht gemacht: Ich war nicht in der Uni. Ich war nicht im Ausland. Ich habe kein Museum und auch kein Festival besucht. Ich habe nicht mal eine Person, die ich noch nicht kannte, geküsst oder meinen Geburtstag gefeiert. Ich war verdammt noch mal nicht einmal im Klub, kein Tanzen, Feiern und all das, was ich so vermisse. Das mag Ihnen jetzt vielleicht lächerlich vorkommen. Aber wissen Sie, was wirklich lächerlich ist? Wenn Sie und Ihre Freundinnen und Freunde der Freiheit sich einfach hätten impfen lassen, als die meisten von uns so vernünftig waren und diesen einfachen Schritt gegangen sind, dann wäre ich jetzt wieder frei. ({1}) Dann wären wir alle wieder frei oder zumindest freier, um das zu machen, was wir lieben und worauf wir jetzt seit zwei Jahren warten, was manche von uns depressiv macht, Menschen in die Einsamkeit stürzt und Familien in den Wahnsinn treibt. Wir sind bereit, unsere Freiheit für das Leben anderer Menschen zu geben, vulnerable Gruppen zu schützen. ({2}) Das war und das ist unsere Solidarität. ({3}) Aber ich fordere jetzt den Payback. Wir haben nämlich was gefunden, das uns schützen kann. Deshalb will ich meine Freiheit zurück. Ich will sie zurück, und ich will sie nicht nur kurzzeitig zurück, weil jetzt einige Leute besonders laut „Freedom Day“ rufen und offensichtlich alle Erfahrungen mit diesem Virus, die wir alle gemeinsam gemacht haben, ignorieren, liebe FDP-Fraktion. Nur weil man die Pandemie für beendet erklärt, ist sie noch nicht vorbei. ({4}) Ihre individuelle Freiheit endet dort, wo meine beginnt, wo die kollektive Freiheit beginnt. ({5}) Und Ihre persönliche Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, beeinflusst mein Leben, beeinflusst das Leben von Millionen von Menschen in der Bundesrepublik. Nicht die Impfpflicht ist die Zumutung, sondern keine Impfpflicht ist die Zumutung – die Zumutung für die solidarische Mehrheit. ({6}) Ich habe mich nicht um ein Bundestagsmandat beworben, um im Bundestag dabei zuzusehen, wie meine Generation in Klimafragen Angst um ihre Zukunft haben muss und parallel dazu in der Pandemie auch noch ihre Gegenwart verliert, ({7}) ihre Freunde, ihren Sport, ihre Bildung, ihre Reisen, ihren Spaß am Jungsein. Das muss jetzt ein Ende haben. Ich sage auch das jetzt noch mal ganz deutlich: Es muss hier um die Impfpflicht für alle Erwachsenen gehen, nicht ab irgendeiner willkürlichen Altersgrenze. Denn alle Menschen, egal welchen Alters, übertragen das Virus stärker, wenn sie ungeimpft sind. Es reicht nicht mehr, mit kosmetischen Eingriffen die schweren Verläufe zu drücken. Wir arbeiten hier an der Herdenimmunität, und deswegen nehme ich Sie jetzt in die Pflicht: Lassen Sie sich impfen – für die Kinder, die Jugendlichen, für unsere Freiheit! Ich kämpfe für die allgemeine Impfpflicht ab 18. Denn Impfen darf keine Individualentscheidung mehr sein. Es ist keine. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Simone Borchardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unser Bundesgesundheitsminister möchte eine Impfpflicht einführen. Dabei sind Sie sich als Regierungsparteien selbst sehr uneinig; es gibt mittlerweile verschiedene Vorlagen aus Ihren Reihen. Hier geht das Spektrum von einer Impfpflicht ab 18 über eine Impfpflicht ab 50 bis zu gar keiner Impfpflicht. Hier sehen wir sehr, sehr deutlich, dass es keine klare und strategische Ausrichtung der jetzigen Regierungsparteien gibt. ({0}) Sehr geehrter Herr Lauterbach, Sie werden ja gar nicht müde, immer wieder die hohen Inzidenzzahlen ins Feld zu führen, um somit die Impfpflicht durchzusetzen. Aber auch in der Wirtschaft trifft man keine strategischen Entscheidungen nur anhand einer Kennzahl. Ich möchte Sie daher bitten, hier in Zukunft auch den Schweregrad der Erkrankung zu berücksichtigen. Dieser ist gerade nicht vorhanden, und auch die Hospitalisierungszahlen sind gerade völlig unauffällig. Inzidenzen alleine bilden die pandemische Entwicklung nicht sachgerecht ab und verzerren das Bild auch in der Bevölkerung; dies führt zu Inakzeptanz. ({1}) Der Antrag der CDU/CSU sorgt dafür, dass wir diese wichtigen Zahlen im Blick behalten werden und bei Bedarf reagieren können. Außerdem ist aufgrund der Impfungen sowie der schon erfolgten Infektionen der Immunschutz in der Bevölkerung weitaus höher. Da hilft es auch nicht, den Genesenenstatus einfach mal so zu verändern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Borchardt, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler?

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Borchardt, ich habe eins im Antrag Ihrer Fraktion und auch bei Ihrem Vortrag jetzt immer noch nicht verstanden. Der CDU/CSU muss doch auch bewusst sein, dass bis zum Erreichen des vollen Impfschutzes mindestens drei Impfungen ({0}) mit jeweils einem Abstand von drei bis sechs Monaten erforderlich sind. ({1}) Insofern frage ich Sie, ob es wirklich eine kluge Idee ist, mit dem Einsetzen einer Impfpflicht zu warten, bis sich eine neue sehr gefährliche, möglicherweise tödliche Variante gebildet hat und sich in Deutschland verbreitet. Wie sollen Sie dem denn dann entgegentreten können? ({2})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für Ihre Frage. – Aber es hilft auch nicht, wenn wir immer sagen: Was wäre, wenn? Deshalb denke ich, dass das Gesetz zur Impfvorsorge das einzig Richtige ist; denn wenn wir uns an den entscheidenden Fakten orientieren wollen, dann orientieren wir uns an Inzidenzzahlen, der Schwere der Erkrankung, den Hospitalisierungsraten, und – ich komme gleich noch zu den Inhalten – wir brauchen ein Impfregister. Das ist der einzig richtige Weg. Woher wollen wir denn ohne Impfregister wissen, wer wann und wie oft geimpft worden ist? ({0}) Wir halten zum jetzigen Zeitpunkt eine Impfpflicht unter den aktuellen Gegebenheiten für nicht zielführend. Die Coronapandemie stellt uns vor Herausforderungen, und wir müssen unser Gesundheitssystem flexibel und reaktionsfähig halten. Aus diesem Grund hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag zu einem Impfvorsorgegesetz gestellt. Die für uns zentralen Punkte liegen in einem Impfregister. Wenn hier immer von einer geringen Impfquote gesprochen wird, dann frage ich mich: Woher haben wir diese Daten? Allein mit einem Impfregister hätten wir Transparenz und eine gute Datengrundlage. Die CDU/CSU möchte eine gute Impfkampagne und bei Bedarf natürlich einen Impfmechanismus, der greift, wenn es notwendig ist. In den Jahren der Pandemie haben wir dazugelernt, und dieses Wissen müssen wir jetzt nutzen, um uns für die Zukunft aufzustellen. Die Rahmenbedingungen der Politik verändern sich im Zuge der Entwicklung der Pandemie ständig. Aber, sehr geehrter Herr Minister und auch Herr Minister Habeck, Sie blenden die sich verändernden Rahmenbedingungen komplett aus. Wir fordern hier mehr Wissenschaft, mehr Flexibilität und weniger Starrsinn. Vielen Dank. ({1})

Kaweh Mansoori (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005141, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kampf für Alternativen hat mich von der Landesschülervertretung in Hessen bis in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages geführt. Es gibt immer eine Alternative, aber die Alternativen zur Impfnachweispflicht sind: schwere Verläufe, Überlastung der Krankenhäuser, Patientinnen und Patienten, die auf Behandlungen warten müssen, Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens, in den Kitas und Schulen, in den Betrieben, in der Kultur, in der Gastronomie und im Sport sowie Menschen, die unnötig sterben werden. Ich finde, das sind die schlechteren Alternativen. ({0}) Und wenn ich das als Anwalt hinzufügen darf: Sie sind auch nicht grundrechtsschonender. Seit zwei Jahren erleben wir eine Endlosspirale aus Infektionswellen und Schutzmaßnahmen. Das Land ist müde davon. Eltern, die keine Planbarkeit haben, Pflegekräfte, die am Ende sind und nicht mehr können: Diese Spirale muss enden. Wer freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Herbst verhindern will, der muss die Impfquote jetzt erhöhen und nicht erst im Herbst, meine Damen und Herren. ({1}) Zu Beginn der Pandemie war wenig über das Virus und das Infektionsgeschehen bekannt. Aber wie viele Wellen braucht es denn noch, um eine allgemeine Impfnachweispflicht zu regeln? Wie viel Solidarität wollen Sie denn noch den Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen abverlangen, die sich seit zwei Jahren einschränken, um andere Menschen in diesem Land zu schützen? Ich finde, das muss jetzt aufhören, meine Damen und Herren. ({2}) Ich für meinen Teil ziehe daraus Konsequenzen für mein politisches Handeln. Und ich will hier auch einräumen, dass ich meine Haltung gegenüber einer allgemeinen Impfnachweispflicht geändert habe. Ich finde, das zeichnet eine demokratische Debatte auch aus; denn wir wollen hier keine Glaubenssätze austauschen, sondern Argumente auf der Basis von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wenn sich die Sachlage ändert, muss auch die Schlussfolgerung eine andere sein. ({3}) Deswegen will ich drei Erkenntnisse nennen. Erstens. Dass eine Impfung zuverlässig vor einer schwerwiegenden Erkrankung schützt, ist erwiesen. Zweitens. Erwiesen ist auch, dass eine Vorerkrankung nicht denselben Schutz vor Wiederansteckung bietet wie eine Grundimmunisierung durch Impfung. Drittens. Es gibt mittlerweile Varianten von Covid, die sich so schnell ausbreiten, dass sich selbst junge Menschen auf den Intensivstationen finden, obwohl sie ein geringeres Risiko haben, schwerwiegend zu erkranken. Diese Fakten gilt es zu berücksichtigen, wenn wir jetzt über das Für und Wider und über die Ausgestaltung einer allgemeinen Impfpflicht diskutieren. ({4}) Ich für meinen Teil halte den Gesetzentwurf für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 für vorausschauend und richtig. Vor allem bin ich davon überzeugt, dass er zeitlich befristet und beschränkt auf drei Impfungen auch verfassungsgemäß ist. Denn unser Grundgesetz verlangt von einer staatlichen Maßnahme, dass sie einen legitimen Zweck verfolgt, geeignet, erforderlich und angemessen ist, um dieses Ziel zu erreichen. Über den legitimen Zweck und die Geeignetheit zur Zweckerreichung dürfte kein ernsthafter Dissens bestehen; die Debatte dreht sich vor allem um die Erforderlichkeit und Angemessenheit eines verpflichtenden Impfnachweises. Und da sprechen die besseren Argumente – darauf komme ich gleich – für den Gesetzentwurf. Manche wenden ein, keine Impfnachweispflicht oder eine für Teile der Bevölkerung seien milder. Schon darüber kann man streiten. Aber es ist eben nicht gleich geeignet, um unsere Krankenhäuser im Herbst und unsere allgemeine Freiheit zu schützen. ({5}) Deswegen ist der Gesetzentwurf, den ich unterstütze, auch erforderlich, meine Damen und Herren! Natürlich greift ein verpflichtender Impfnachweis in die Grundrechte der Menschen ein; aber Grundrechtsgüter gelten nicht uneingeschränkt, sondern sie sind in ein Verhältnis zueinander zu bringen. Deswegen muss man auch hier feststellen: Ja, jeder hat das Recht, sich unvernünftig zu verhalten; aber dieses Recht endet, wo Millionen andere jahrelang in ihrer Freiheit und Lebensweise eingeschränkt werden. ({6}) Zeitlich befristet und beschränkt auf drei Impfungen ist die Nachweispflicht zumutbar. Deswegen ist der Gesetzentwurf angemessen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 6 Millionen Menschen sind mittlerweile an Covid verstorben – auch meine Tante. Ich will in keiner Gesellschaft leben, in der Coronatote einkalkuliert sind. ({7}) Die Impfnachweispflicht ab 18 Jahren weist einen Weg aus der Pandemie. Gehen Sie ihn bitte mit! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Günter Krings das Wort. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die heutige Debatte hat uns einer Entscheidung über das Ob und Wie einer Impfpflicht nicht wirklich nähergebracht. Der wichtigste Grund ist offensichtlich, dass Sie innerhalb der Ampelkoalition noch immer in einer tiefen Zerrissenheit bei diesem Thema sind. Sie verstecken das hinter Gruppenanträgen. Das kann man machen, aber das ist eben die Folge davon. Aber mit der dramatischen weltpolitischen Lage schwindet das Verständnis für diesen Attentismus der Bundesregierung in dieser zentralen innenpolitischen Frage endgültig. Offensichtlich durchzieht diese Zerrissenheit in Ihrer Koalition die gesamte Coronapolitik. Das andere prominente Beispiel in dieser Sitzungswoche ist die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes. Die Verbände hatten für ihre Beteiligung und Stellungnahmen knapp neun Stunden in der Nacht. Im Text nehmen Sie den Ländern fast alle Handlungsmöglichkeiten zur Pandemiebekämpfung, und das alles bei extrem steigenden Ansteckungszahlen. Ein Ministerpräsident – der SPD wohlgemerkt – sprach davon, man werfe hier den Feuerlöscher mitten im Brand weg. ({0}) Ich weiß nicht, ob wir schon dankbar sein sollten, dass Sie es beim Infektionsschutzgesetz überhaupt zu einem Regierungsentwurf gebracht haben und uns nicht auch da mit Gruppenanträgen konfrontiert haben, meine Damen und Herren. ({1}) Aber wie passt es eigentlich zusammen, wenn die Ampelmehrheit die meisten Schutzmaßnahmen schleift und eine große Mehrheit innerhalb der Ampel zugleich eine sofortige Impfpflicht einführen will? ({2}) Man hat den Eindruck: Bei diesen beiden Themen bewegen Sie sich in zwei Paralleluniversen, meine Damen und Herren. ({3}) Deshalb mein Appell: Jedenfalls bei der Impfpflicht wäre es doch gut, wenn Sie ausnahmsweise auf die Stimme der Vernunft hören. Und die besagt erstens: In der jetzigen Omikron-Welle käme die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht schlichtweg zu spät. Sie besagt zweitens, dass die Anordnung einer Impfpflicht, die im Herbst gegen eine neue Virusvariante wirken soll, zumindest heute noch nicht zu rechtfertigen ist. Ja, Impfen ist der zentrale Weg aus der Pandemie. Dennoch ist die Pflicht zur Impfung ein Grundrechtseingriff. Der lässt sich eben nur damit rechtfertigen, dass wir die Überlastung unseres Gesundheitssystems verhindern wollen. Dass sich eine Pflicht zur Impfung nur auf die jetzt verfügbaren Impfstoffe beziehen kann, deren Wirkung auf künftige Varianten wir noch gar nicht kennen können, führt dazu, dass die Geeignetheit verfassungsrechtlich nicht gegeben ist. Bei Entscheidung unter Unsicherheit darf der Gesetzgeber nicht voreilig entscheiden, sondern muss zunächst die verfügbaren Erkenntnisse zusammentragen und sachgerecht bewerten. Genau das fordern wir. Bis dahin ist eine Impfpflicht im Sinne des Verfassungsrechts auch nicht erforderlich, meine Damen und Herren. ({4}) Sehr wohl erforderlich ist aber, dass Bund, Länder und Kommunen jetzt ihre Hausaufgaben machen und die Vorbereitungen für eine möglicherweise später notwendige Impfpflicht treffen. Das reicht von der Stärkung der Impfinfrastruktur bis hin zum Aufbau eines nationalen Impfregisters. Was wir jetzt brauchen, ist also keine Impfpflicht auf Vorrat, sondern ein Vorsorgegesetz, meine Damen und Herren. ({5}) Und – auch das kann ich Ihnen nicht ersparen – natürlich bleibt die Vorlage eines Gesetzentwurfes die ureigenste Aufgabe der Bundesregierung; dafür gibt es sie. ({6}) In einer zentralen Frage innerhalb der größten Krise der Nachkriegszeit in innenpolitischer Hinsicht muss die Bundesregierung sich endlich ihrer Verantwortung stellen, meine Damen und Herren. ({7}) Sie wäre klug beraten, wenn sie dabei unserem Zweistufenmodell folgt – aus sachlichen und verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch, weil es der einzig realistische Weg ist, der uns die sinnvolle Option – nicht mehr und nicht weniger – für eine Impfpflicht erhält. Ich fordere daher die Regierung auf: Legen Sie einen Regierungsentwurf für ein Impfvorsorgegesetz zügig vor! Die Probleme mit der bisherigen berufsbezogenen Impfpflicht und das Rückrudern in Österreich zeigen doch: Es reicht nicht, einfach eine Impfpflicht anzuordnen. Wenn, dann muss sie auch gut vorbereitet sein. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Gruppe „Baehrens“. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Präsidentin! Lieber Herr Krings, Sie zweifeln daran, dass wir als Parlament selbstbewusst genug sind, in einer so wichtigen Frage gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. ({0}) Das verstehe ich nicht. ({1}) Im Übrigen – darauf will ich gern hinweisen –: Wir haben jetzt seit zwei Jahren Pandemie, aber nicht die gesamten zwei Jahre hat die Ampelkoalition hier miteinander regiert. ({2}) Am Anfang der Pandemie haben wir als Bündnis 90/Die Grünen und auch andere Fraktionen immer wieder gesagt: Ja, wir machen das hier im Parlament gemeinsam. Wir stützen einen Kurs, den wir gemeinsam entwickelt haben, unabhängig davon, welcher Fraktion oder welcher Partei wir angehören. – In dieser Frage ist und bleibt es zentral, dass wir hier als Parlament gemeinsam in einem vernünftigen Kompromiss eine gute Lösung finden. Das sage ich, bevor ich begründe, warum ich für die Impfpflicht ab 18 bin. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Krings?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es soll sein. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Da Sie mich angesprochen haben, wollte ich darauf gerne mit einer Frage reagieren. Sie haben kritisiert, dass ich kritisiere, dass es keinen Regierungsentwurf gibt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich wie Sie sehr wohl der Auffassung bin, dass diese Entscheidung – Impfpflicht ja, nein, wie und in welchem Modell? – natürlich nur hier im Bundestag von uns als Abgeordnete zu treffen ist, dass aber die Regierung in der Pflicht steht, in dieser zentralen Frage einen Regierungsentwurf vorzulegen? Erlauben Sie mir zugleich, dass ich daran erinnere, dass wir bei dem Thema einer berufsbezogenen Impfpflicht auch keine Gruppenanträge haben. Damit verbinde ich die Frage: Sind Sie der Auffassung, dass die Grundrechte von Krankenpflegern, Ärztinnen und Ärzten weniger relevant sind, dass also da ein Regierungsentwurf geht, wir ansonsten aber Gruppenanträge machen müssen aus Gründen der Grundrechtssensibilität? Worin liegt der Unterschied? ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Krings, ich beginne, weil mich das auch sehr umtreibt, mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, weil viele der Menschen, die dort arbeiten, das Gefühl haben: Wieso wir und nicht alle anderen? Mich bringt das dazu, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht – da habe ich meine Meinung übrigens in den letzten Wochen und Monaten geändert – ({0}) der erste Schritt zu einer allgemeinen Impfpflicht ist. Darum geht es. ({1}) Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Krings: Man kann jetzt auch noch wer weiß wie lange, wochenlang, weiter über das Verfahren reden. Mir wäre wichtig, dass wir über die Sache reden und eine Entscheidung treffen. Das ist es, worauf es jetzt ankommt. ({2}) Ja, ich habe meine Meinung geändert. Ich dachte, es geht freiwillig und mit niedrigeren Quoten. Das war ja bei anderen Varianten auch der Fall. Das ist jetzt nicht mehr so. Die Welt hat sich dramatisch verändert. Aber eines ist geblieben, nämlich Corona. Das Virus ist mitnichten verschwunden. ({3}) Im Gegenteil: Die Infektionszahlen sind so hoch wie nie. Kein Tag vergeht, an dem nicht eine Tochter, eine Partnerin, ein Partner, eine Arbeitskollegin, eine gute Freundin davon berichtet, dass es jetzt zwei Striche auf dem Schnelltest sind. ({4}) Corona trifft Familien, Schulen und Krankenhäuser, die Wirtschaft und, ja, auch unser Parlament. Insbesondere im Sinne der Kinder müssen wir jetzt endlich dafür sorgen, dass wir diese Pandemie, dieses Auf und Ab, dieses Hin und Her, dieses „Mal Lockdown und mal Freiheit“, dieses „Mal Maßnahmen und mal keine mehr“ endlich beenden. Wir haben dieses eine scharfe Schwert noch in der Hand. Dieses eine scharfe Schwert ist die allgemeine Impfpflicht. Ich rufe Sie auf, mit uns dafür zu sorgen, dass wir in diesem Land die Freiheit zurückgewinnen. Denn genau darum geht es. ({5}) – Nein, es geht nicht um Freiheit durch Zwang, sondern es geht darum, dass eine Minderheit nicht diktieren kann, wie eine Mehrheit in diesem Land lebt. ({6}) Wir haben nun wirklich alles darangesetzt, dass das Impfen freiwillig passieren kann. Jeder wird sagen, manche Kampagne hätte besser und schicker und ich weiß nicht was sein können. Aber inzwischen weiß jede und jeder, dass Impfen schützt. Jede und jeder weiß: Ich habe eine Verantwortung. – Man kann sie wahrnehmen oder nicht. Und unter denjenigen, die sie bisher nicht wahrgenommen haben, gibt es welche mit ernsthaften Bedenken und Sorgen. ({7}) Manche können es übrigens nicht. Manche können es nicht, und es gibt Menschen, die in diesem Land seit zwei Jahren kaum vor die Tür gehen können. Auch für die müssen wir sagen: allgemeine Impfpflicht. ({8}) Zuletzt, meine Damen und Herren, will ich sagen: Es gibt ja einige Ihnen besonders Nahestehende, für die die allgemeine Impfpflicht, das Impfen überhaupt, immer ein Riesenproblem war. Für die wird es jetzt ein bisschen einfacher. Da gibt es nämlich eine Anweisung, und dann muss man das machen. Damit, glaube ich, sind wir ganz gut aufgehoben. ({9}) Ich bin für die allgemeine Impfpflicht ab 18, für alle Erwachsenen. Das ist der Weg. Gerne reden wir über alle anderen verfassungsgemäßen Varianten, damit wir hier gemeinsam zu einer guten Entscheidung kommen. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich. ({0})

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jüngst attestierte der Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach dem russischen Staatspräsidenten per Ferndiagnose eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Da ich mir eine ähnliche psychoanalytische Fachkompetenz wie der Bundesgesundheitsminister zutraue, erlaube ich mir nun mal eine Ferndiagnose. Das Münchhausen-by-proxy-Syndrom ist eine Sonderform der artifiziellen Störung, bei der physisch gesunde Personen bei einem anderen Menschen – häufig dem eigenen Kind – Krankheiten vortäuschen oder bewusst herbeiführen, um anschließend eine medizinische Behandlung zu verlangen. Der Täter macht das Opfer krank, um dadurch Anerkennung und Aufmerksamkeit zu erlangen. Auch wenn keine Gefährdung für das Opfer durch eine Krankheit besteht, treibt es der Täter in zahlreiche medizinische Behandlungen. Na, kennen Sie das Krankheitsbild und möglicherweise den Erkrankten, Herrn Dr. Lauterbach? Obwohl inzwischen zahlreiche echte Experten eine allgemeine Impfpflicht ablehnen, wird der Bundesgesundheitsminister samt seiner Jünger nicht müde, diese immer und immer wieder lautstark zu fordern. Gewichtige Stimmen wie die von den Professoren Cullen, Streeck, Kekulé oder Stöhr, die eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus sowohl medizinisch als auch juristisch ablehnen, werden ignoriert, weil es Ihnen ja längst gar nicht mehr um Gesundheitspolitik in diesem Land geht. Sie wissen, dass Sie und Ihre Warnung, Ihr Wirken als mächtige Dressurelite mit dem Auftauchen von Omikron beendet sind. Omikron macht das Virus schwach. Omikron macht aber auch Sie schwach. Und nach zwei Jahren der Angstpolitik haben Sie Angst – Angst vor dem Bedeutungsverlust. Sie haben eine Chance, sich an einem Heilungsprozess in unserem Land, unserer verletzten Gesellschaft zu beteiligen, indem Sie die Menschen endlich in Ruhe lassen und ihnen ihre Freiheit vollumfänglich zurückgeben. Stimmen Sie daher gegen jede Form des Impfzwangs und beenden Sie die Herrschaft des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms in der bundesdeutschen Gesundheitspolitik! Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die Gruppe „Baehrens“. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir eine lange und aus meiner Sicht gute Debatte gehabt. Es gab ein paar Tiefpunkte; es gab aber auch sehr gute Beiträge. Wo stehen wir jetzt? Wir müssen uns vor Augen führen: Es hat sich nicht viel verändert. Wir haben fünf Szenarien vor uns, die im Herbst kommen können. Christian Drosten hat in seiner Ausarbeitung auch für die Mitglieder des Bundestags beschrieben, dass wir im Herbst vielleicht, möglicherweise wieder eine Omikron-Welle bekommen ({0}) und dass wir vielleicht eine Delta-Variantenwelle bekommen, weil derzeit die Impfquote in Afrika bei nur 14 Prozent liegt und sich Delta dort wieder verstärkt ausbreitet. Wir können eine weiter entfernte Variante bekommen. Wir können eine Deltakron-Kombinationsvariante bekommen, und – was sehr gefährlich wäre und nicht unwahrscheinlich ist – es ist möglich, dass sich Omikron weiterentwickelt und tiefer in die Lunge eindringt. Denn es sind nur ganz wenige Mutationen, die das derzeit verhindern. Die können jederzeit verloren gehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lauterbach, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Brandner?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, auf keinen Fall. ({0}) Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine dieser Varianten sehen, liegt bei fast 100 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine Schwierigkeiten haben, die Coronapandemie zu bekämpfen, liegt bei fast 0 Prozent. Das ist fast so wahrscheinlich wie, dass wir gar keinen Herbst bekämen. Daher müssen wir uns vorbereiten. ({1}) Was wird im Herbst auf uns zukommen? Im Herbst werden wir erneut die Fragen stellen müssen: Wird unser Gesundheitssystem überlastet sein? Was können wir tun, um dieser Überlastung zu begegnen? Was müssen wir schließen? Wie gehen wir mit den Geschäften um? Was können wir unseren Kindern erneut zumuten? Sind die Pflegekräfte da, die wir benötigen? Wir können ja nicht den vielen Ungeimpften, die dann Behandlung benötigen und sie auch bekommen werden, sagen: Ihr hättet euch impfen lassen können. Wir behandeln euch nicht. – Wir sind eine zivilisierte Gesellschaft. Das heißt, wir werden diese Menschen, die zum Teil selbst schuld sind – zum größten Teil sogar –, behandeln müssen. Dann wird erneut das ganze Land in der Geiselhaft dieser Gruppe von Menschen sein, die sich einfach gegen die wissenschaftliche Evidenz der weltweiten Behandlungsforscher und Impfforscher durchsetzen wollen und im Prinzip noch stolz darauf sind, dass das Land darauf wartet, ob sie sich impfen lassen oder nicht. Das können wir uns aus meiner Sicht nicht mehr leisten. ({2}) Wir müssen einfach Rücksicht nehmen auf die Kinder, wir müssen Rücksicht nehmen auf die Pflegekräfte, wir müssen Rücksicht nehmen auf diejenigen, die um ihre Existenz kämpfen. Jetzt geht es darum, dass mal diejenigen die Regeln beachten, die das all die Zeit nicht getan haben. Man kann natürlich die Frage stellen: Wirken die Impfungen überhaupt oder nicht? – Das wissen wir doch. Wir wissen, dass all die Varianten, die ich gerade aufgezählt habe, zu weit über 90 Prozent genetisch identisch sind. Daher wirken auch alle Impfstoffe. ({3}) Die zwei Jahre alten Wuhan-Impfstoffe verhindern nach wie vor schwere Krankheit und Tod. Natürlich verhindern sie nicht in jedem Fall die Ansteckung. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber das Problem der Ansteckung ist ja nicht das Hauptproblem, wenn wir nicht schwer krank werden oder sterben. Es geht doch darum, schwere Krankheit und Tod zu verhindern. Und dafür haben wir die Impfstoffe; die müssen wir einsetzen. ({0}) Ich komme auf den Vorschlag der CDU zurück. Herr Krings hat es ja gesagt. Herr Krings hat ganz klar darauf hingewiesen – und es stimmt –: Die Impfpflicht kommt zu spät für die Omikron-Welle. – Das ist richtig. Aber Ihr eigener Vorschlag würde doch dafür sorgen, dass die Impfpflicht für jede weitere Welle, die noch kommt, zu spät kommt. ({1}) Mit Ihrem Vorschlag würden wir, ehrlich gesagt, wichtige Zeit verlieren. Damit kommen wir nicht weiter. Ich komme zum Schluss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lauterbach, eine letzte Frage: Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das würde ich machen. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde sagen, die eine zugelassene, von der Präsidentin erlaubte Zwischenfrage ist gut ausgewählt. – Vielen Dank, Herr Kollege Lauterbach. Wir sind beim Thema Impfpflicht ab 18 ja gemeinsam unterwegs. Aber mir ist schon ein bisschen aufgestoßen, dass Sie das sehr individualisieren. Müssten wir nicht auch ein bisschen demütiger darauf gucken, was die Politik in diesen letzten zwei Jahren falsch gemacht hat, unterlassen hat, nicht hinreichend auf den Weg gebracht hat, um den Menschen das Vertrauen zu geben, damit sie der Empfehlung, die wir ihnen geben, der Aufforderung, dass sie sich bitte, bitte alle dreimal impfen lassen, auch wirklich nachkommen? Mir widerstrebt es einfach, auf individualisierte Schuldzuweisung zu setzen. Ich glaube, wir haben es hier auch mit gesellschaftlichen Prozessen zu tun. Wir müssen nach der Pandemie bzw. nach dem, was wir jetzt alles zu entscheiden haben, dringend darüber reden, unser Gesundheitswesen solidarischer und gerechter aufzustellen, damit die Menschen auch wieder mehr Vertrauen haben. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Vogler. – Sie haben recht: Schuldzuweisungen sind fehl am Platz. Aber Verantwortungszuweisungen sind richtig, und die Ungeimpften tragen derzeit die Verantwortung dafür, dass wir nicht weiterkommen. Das muss man sagen dürfen. ({0}) Im Übrigen: Wir müssen auch nach vorne blicken. Natürlich sind Fehler gemacht worden. Aber wo stehen wir denn jetzt? 2022 ist das erste Jahr, in dem wir tatsächlich die Pandemie in Deutschland – leider nicht weltweit, aber in Deutschland – beenden können, mit der Impfung, mit der Impfpflicht. ({1}) Lassen Sie uns doch diese Gelegenheit ergreifen! ({2}) Wenn es uns gelingt, eine Impfquote zu erreichen, die bei den über 60‑Jährigen deutlich höher ist als 90 Prozent ({3}) und im Rest der Bevölkerung so hoch ist, dass die Wellen sich nicht mehr richtig ausbreiten können, dann müssen wir vor Einschränkungen im Herbst keine Angst haben, dann kommen wir durch, dann müssen wir nicht erneut in diese Endlosschleife zurück. Diese Gelegenheit haben wir heute. Ich appelliere an alle demokratischen Parteien: Bitte erlauben Sie Ihren Abgeordneten eine Gewissensentscheidung. Ich weiß, dass das in allen Parteien viele begrüßen. ({4}) Wir haben diese Gelegenheit, hier eine ganz wichtige Entscheidung zu treffen. Wir stehen im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt, wenn wir diese einmalige Chance nicht gemeinsam ergreifen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich die Aussprache schließe, bitte ich darum, sich sowohl bei verbalen als auch bei nonverbalen Meinungsäußerungen einer parlamentarischen Ausdrucksweise zu befleißigen. Ich will jetzt nicht beschreiben, was ich von hier vorne alles sehen und hören musste. Ich schließe die Aussprache.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Herrn Präsidenten Selenskyj ausdrücklich danken für seine eindrückliche Schilderung und seine klaren Worte heute Morgen. Putin hat gestern und auch heute wieder zivile Ziele bombardiert. Das ist barbarisch. Das Schicksal der Ukraine bewegt uns tief, der Kampf um Freiheit und Sicherheit, ja ums nackte Überleben. Deswegen trifft uns eine Verantwortung, uns in diesem Konflikt zu positionieren: gegen den Aggressor Putin und zur Ukraine und zu ihrem Präsidenten Selenskyj. ({0}) Es wäre gut gewesen, wenn sich die Bundesregierung hier nach der Rede des Präsidenten erklärt hätte, wie sie zu seinen Worten und auch Forderungen steht, ({1}) und wenn dieses Parlament darüber hier im Anschluss debattiert hätte. Dazu waren Sie nicht bereit. Dies bedauern wir ausdrücklich. Nun debattieren wir dank unseres Antrags wenigstens über einen Teilbereich, in dem es gilt, unsere eigenen deutschen und europäischen Interessen in diesem Krieg zu formulieren und Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen so schnell wie möglich Putin-frei werden in unserer Energieversorgung. Deutschland braucht eine sichere und souveräne Energieversorgung. Wir können nicht leugnen: Wir haben uns in eine Situation zu großer Abhängigkeit begeben. ({2}) Als einziges Industrieland der Welt steigen wir gleichzeitig aus Kohle- und Kernenergie aus und versuchen währenddessen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaneutralität bis 2045 zu gewährleisten. Auf diesem Weg zur Energiewende sollte Gas noch über viele Jahre die Brückentechnologie bilden und Russland als Lieferant von möglichst viel günstigem Gas dienen. Putins Invasion erschüttert diese Brücke in ihren Grundfesten. Ich möchte daher klar sagen: Wir müssen als demokratische Parteien in diesem Parlament anerkennen, dass wir nahezu alle den Weg dieser Energiewende mit gleichzeitigem, doppeltem Ausstieg gegangen sind und ihn mitgetragen haben ({3}) und – ja – dass man manche Entscheidungen ({4}) – beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich! – heute anders treffen würde. ({5}) – Ganz ruhig, ganz ruhig! ({6}) Deswegen will ich ausdrücklich auch das, was Sie, Herr Minister Habeck, in der Korrektur vieler eigener Positionen gesagt und angestoßen haben, anerkennen und unterstützen. ({7}) Wir fordern in unserem Antrag einen schlüssigen Plan der Bundesregierung zur Sicherstellung der Energieversorgung, insbesondere der Gas- und Stromversorgung. ({8}) Der umfassende Plan der Bundesregierung muss drei unterschiedliche Komponenten berücksichtigen: Was ist, wenn Russland morgen seinerseits alle Lieferungen kürzt oder stoppt? Was bedeutet das für Deutschland, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Industrie? Wie können wir ein Ende der Gasimporte über Nord Stream 1 ermöglichen? Wie werden wir spätestens bis zum Winter 2023/24 unabhängig von russischen Importen? ({9}) Wer unter diesen Voraussetzungen kurz-, mittel- und langfristig die Energieversorgung sicherstellen möchte, wird harte Entscheidungen treffen müssen, und diese muss er darlegen, herleiten und erklären. Deswegen, Herr Minister Habeck, ist es gut, dass Sie heute hier zur Impfpflicht gesprochen haben; aber ich hätte es noch besser gefunden, wenn Sie zu diesem Thema heute hier im Deutschen Bundestag auch etwas sagen würden. ({10}) Einmal mehr sagt die Bundesregierung nichts zu einem entscheidenden Thema für Deutschland. ({11}) – Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch mittlerweile ein Muster hier im Deutschen Bundestag. Jetzt wird gerade eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers gegeben, wo er sich wahrscheinlich zur Rede von Selenskyj verhält. Es kann doch nicht sein, dass die Bundesregierung sich hier im Deutschen Bundestag nicht verhält zu vielen wichtigen Fragen, aber ständig draußen irgendwo Interviews gibt. ({12}) So funktioniert das nicht! ({13}) – Ich war in jeder Debatte hier; überhaupt kein Thema. Dazu zählen auch schnelle Entscheidungen bei der Kohle. Es geht darum, Kohleimporte zu diversifizieren und Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen. Jeder Tag, den die Ampel bei der Aktivierung von Kohlekraftwerken zögert, gefährdet die Energieversorgung im nächsten Winter; denn aktive Kohlekraftwerke tragen dazu bei, dass jetzt die Gasspeicher schneller gefüllt werden können. Dazu gehört auch eine umfassende Prüfung in Sachen Kernenergie und Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. ({14}) Wer jetzt schon ideologisch Möglichkeiten ausschließt, ohne Lösungen gefunden zu haben, handelt der Lage nicht angemessen. Und es ist auch nicht gut im Sinne der CO2-Neutraltität, wenn wir die Energieformen, die CO2-neutral sind, ausschließen, auch und gerade nicht von einem grünen Wirtschaftsminister. ({15}) Wir wollen eine offene, ideologiefreie Prüfung aller Optionen für die Energieversorgung. ({16}) Dazu zählen auch Maßnahmen, die den LNG-Import steigern. Wir unterstützen insoweit alle diese Bemühungen. Bei alldem darf die Bundesregierung aber keine falschen Vorstellungen vermitteln. Wir brauchen kurzfristige Lösungen, um Putin-frei zu werden in unserer Energieversorgung. Vieles, worüber wir aktuell debattieren, trägt aber höchstens mittel- und langfristig dazu bei. Vor allem braucht es Entschlossenheit in der Umsetzung. Pipelines, Leitungen, Terminals, die bauen sich eben nicht nur durch Absichtserklärungen, sondern da muss die Regierung mit Nachdruck dranbleiben. Ein letztes, ein wichtiges Thema: Ent- und Geschlossenheit fehlt der Koalition ganz offensichtlich auch bei den hohen Energiepreisen. Vorab: Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung nunmehr einige der Forderungen, die wir hier vor einem Monat erhoben haben, auch umsetzt. ({17}) Damals haben Sie noch alles abgewehrt, heute handeln Sie – gut so, aber leider viel zu spät. ({18}) Wir begrüßen es, dass Sie hier eine regelrechte Kehrtwende hinlegen. ({19}) Jetzt soll es angesichts der steigenden Spritpreise, die der Finanzminister vor einer Woche noch ausgeschlossen hat, doch eine Entlastung geben. „Mindestens deutlich unter 2 Euro“, das hat er gesagt. An dieser Ankündigung werden wir die Bundesregierung messen. Bevor die Koalition eigene Vorschläge auf den Tisch gelegt hat, arbeitet sie sich an unseren Vorschlägen ab – seit Tagen. Das ist okay. ({20}) Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen einen Regierungsauftrag gegeben haben und nicht uns. ({21}) Deswegen, Herr Scholz, Herr Habeck, Herr Lindner, erwarten wir, erwarten vor allem die Pendler, die Familien, die Lkw-Fahrer, all diejenigen, die jeden Tag an der Zapfsäule zahlen müssen, dass Sie hier endlich Lösungen auf den Tisch legen, ({22}) damit wir zu Entlastungen kommen, die schnell wirksam sind und einen Unterschied machen. ({23}) Die Entlastung muss schnell wirken, unbürokratisch sein und mindestens 40 Cent pro Liter ausmachen. Eine Tankfüllung kostet bei 50 Litern mittlerweile 110 Euro, 120 Euro. Wie sollen wir das alles noch bezahlen? Diese Frage stellen sich viele Menschen im Land, und deswegen bitte so schnell wie möglich – denn das wirkt auch sofort – die Mineralöl- oder Energiesteuer auf den Sprit senken. Die Sanktionen sollen Putin und seine Oligarchen treffen und nicht die Pendler. ({24}) Deswegen braucht es hier deutliche Entlastungen. ({25})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Spahn, Sie können gern weitersprechen, tun das aber auf Kosten Ihrer Kollegen.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme ja auch schon zum Schluss, Frau Präsidentin. Vielen Dank. – Wenn es dann heißt, dass das in Brüssel schwer wäre, sage ich: Ja, das mag sein; man muss sich dann in Brüssel einsetzen für dieses Thema. Andere Länder in Europa tun das ebenfalls, und diese Erwartung haben wir auch an die Bundesregierung. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir eine Putin-freie Energieversorgung und dafür einen Plan der Bundesregierung, wie das gelingen soll. Wir brauchen eine technologieoffene, ideologiefreie Prüfung aller Optionen. Aber vor allem haben es die Familien und Pendler verdient, dass die Spritpreise endlich sinken. Tun Sie was! ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist aufs Schärfste zu verurteilen. Das möchte ich hier noch mal ganz klar betonen. Ich danke auch Präsident Selenskyj für seine heute an uns gerichteten Worte. Es gibt keine Mauer. Es gibt Solidarität und Hilfe. Es gibt das gemeinsame Ziel des Friedens, auch wenn der Weg dahin noch gefunden werden muss und nicht in allen Fragen der Umsetzbarkeit für ebendiesen Frieden Übereinstimmung gegeben ist. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung trotz dieser völkerrechtlich eindeutigen Lage alles versucht, um auch auf dem diplomatischen Weg weiterhin darauf hinzuwirken, dass der Krieg schnellstmöglich beendet wird. ({0}) Der Krieg hat auch eine energiepolitische Dimension. Wenn unser Land zu 55 Prozent abhängig von Gasimporten aus Russland ist und wenn von Russland nun in Europa Krieg ausgeht, verdeutlicht dies in drastischster Weise, welche Gefahr Importabhängigkeiten darstellen. ({1}) Dies gilt erst recht, wenn es um Energierohstoffe und damit letztlich um Fragen der Daseinsvorsorge geht. ({2}) Ein Embargo kommt gleichwohl angesichts der hiermit verbundenen Folgewirkungen nicht in Betracht. Umso mehr muss die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen – übrigens auch ohne einen Krieg – durch den beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien beendet werden. ({3}) Bis dies erreicht ist, müssen die Bezugsquellen für Importe aufgeteilt bzw. diversifiziert werden. An beidem wird unter Hochdruck gearbeitet. Wichtig ist, dass die nun zu ergreifenden Maßnahmen zugleich dem beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien dienen; denn auch LNG-Terminals können nur dann diesem Weg dienen, wenn sie zugleich Wasserstoffanlandung ermöglichen. ({4}) Alles andere wäre sowohl im Kampf gegen den Klimawandel als auch zur Loslösung von endlichen, fossilen Ressourcen nicht verantwortbar. In diesem Sinne, wie auch aus weiteren Gründen, sind die mit dem vorliegenden Antrag von CDU/CSU offenkundig verfolgten Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke klar abzulehnen. Atomenergie ist schwer regelbar, risikobehaftet, die teuerste Form der Energiegewinnung, und sie erschwert mit ihrer Unflexibilität einen weiteren Aufwuchs erneuerbarer Energien. ({5}) Herr Spahn, Sie haben es ja angesprochen, was Sie hier programmatisch verfolgen. Sie arbeiten sich an unserem Koalitionsvertrag ab – so wird ein Schuh daraus, und nicht umgekehrt! ({6}) Die von Ihnen vorgeschlagene Absenkung der EEG-Umlage – Sie haben gerade gesagt, dass Sie das Mitte Februar erwähnt hätten – haben wir schon längst im Januar auf den Weg gebracht. Also, so wird ein Schuh daraus, und nicht andersrum. ({7}) Die Aussagen Ihres Antrags zur beschleunigten Energiewende sind zudem höchst widersprüchlich, wenn Sie offenkundig ein Problem mit Windenergie an Land haben. Herr Spahn, Sie haben übrigens in Ihrer Rede kein einziges Mal den Begriff „erneuerbare Energien“ in den Mund genommen. Das finde ich sehr bezeichnend. ({8}) Was ist denn Ihre Aussage zu dem Turbo wert, den Sie bei den erneuerbaren Energien zünden wollen, wenn Sie vorher noch die – Zitat – „notwendige“ Akzeptanzfrage geklärt haben wollen, zumal unter der – Zitat – „Einbeziehung der Belange der Anwohner“. Das ist auch wieder so ein Schlagwort. Was heißt denn das bitte schön? Hunderttausende Anwohnerinnen und Anwohner leiden unter Atemwegserkrankungen, unter Stickoxiden und anderen Schadstoffen, die im Zusammenhang mit der Verbrennung fossiler Ressourcen stehen. Sie machen hier wieder ein Kampffeld auf. Windenergie ist keine Bedrohung, sondern die tragende Säule der Energiewende. Erneuerbare Energien bringen Freiheit, führen weg von Abhängigkeit. Lassen Sie endlich die 10‑H-Abstandsregelung in Bayern fallen. ({9}) Wir brauchen die Perspektive auf die heimische Wertschöpfung. Wir brauchen Importunabhängigkeit und Möglichkeiten der Begrenzung des Klimawandels. Wir brauchen keine Verhinderungsgesetze! Machen Sie bitte Ihre Hausaufgaben. Wenn es „Souveränität“ in Bezug auf Energie in Ihren Antrag schafft, dann lösen Sie doch bitte endlich diese eklatanten Widersprüche auf. Es geht bei allem aber auch um Energiesicherheit. Wenn etwa Nordex seine Rotorblattproduktion in Rostock schließt, um sie ins Ausland zu verlegen, ist dies längst keine reine Unternehmensentscheidung mehr. Nein, es geht hier um den Verlust von zukunftsweisenden Arbeitsplätzen und um Energiesicherheit. Im Zweifel hat in solchen Fragen meines Erachtens der Staat auch eine Garantenstellung. Gleiches gilt etwa zur Sicherung von Gasspeichern und auch von deren Füllständen. Heute Abend wird das im Bundestag noch debattiert, übrigens unter Einbeziehung unseres Bundesministers, ({10}) falls diese Anwürfe noch mal kommen sollten. Mit einer Reihe bereits auf den Weg gebrachter Maßnahmen werden mit der Ampelkoalition umfassend Energiewendehemmnisse beseitigt. ({11}) Die seit dem letzten Jahr stark marktgetriebene Verteuerung der fossilen Energien – es ist übrigens eine reine fossile Energiekrise – ({12}) hat bereits vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine zu sozialen Härten geführt. Daher wurden richtigerweise schnell Entlastungen beschlossen, so mit dem inzwischen auf nunmehr 270 Euro sogar verdoppelten Heizkostenzuschuss, aber auch mit der zur Jahresmitte bevorstehenden Absenkung der EEG-Umlage auf null, die heute in den Bundestag eingebracht wird. Über weitere Entlastungen wird verhandelt. ({13}) Hierbei ist festzuhalten: Die Preissteigerungen basieren heute nicht auf tatsächlicher Verknappung, sondern auf Erwartungen. Es ist somit auch unsere Aufgabe, Spekulationen einen wirksamen Riegel vorzuschieben. ({14}) Die Notwendigkeit des beschleunigten Umstiegs auf erneuerbare Energien sollte als Erkenntnis wie Chance begriffen werden, völkerverständigend die weltweite Abhängigkeit einer wachsenden Bevölkerung von immer weniger werdenden fossilen Ressourcen zu überwinden, im Sinne von Freiheit und Frieden. Ihr Antrag hängt in allen sinnvollen Punkten dem Handeln der Regierungskoalition hinterher ({15}) und wird von uns auch aus diesem Grund im Wege der Sofortabstimmung abgelehnt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Hilse für die AfD-Fraktion. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Wäre es nicht so traurig, dann könnte man darüber lachen. Jetzt, da die elementare Versorgung der Bevölkerung auch und insbesondere mit bezahlbarer Energie aufs Höchste gefährdet ist, kommt sogar die Unionsfraktion mit einem Antrag um die Ecke, den Sie in der Vorankündigung hochtrabend „Zeitenwende in der Energiepolitik“ nannten. Die Zeitenwende in der Energiepolitik – Sie nannten sie nur „Energiewende“ – führte letztendlich zu den höchsten Strompreisen der Welt und hatte während 16 Jahren Merkel allerhöchste Priorität in der Politik der CDU, aber eben genau andersherum, als Sie sich heute gerieren. Energie sollte, musste unbedingt teurer, ihre Verfügbarkeit drastisch reduziert werden. Das war erklärtes Ziel Ihrer Fraktion, natürlich tatkräftig angefeuert durch die restlichen Altparteien, die Opportunisten und vor allem die grünen Kommunisten, die wir in der Zwischenzeit in allen Fraktionen außer der AfD finden. ({0}) Dafür wurden diverse Maßnahmen getroffen, von der Abschaltung der Kern- und Kohlekraftwerke und der Aufgabe von Braunkohletagebauen bis hin zur effektiven Verhinderung der Gewinnung von Erdgas aus ertragreichen deutschen Feldern, stets flankiert von Energiegewinnungsverhinderungsmaßnahmen mittels diverser Steuern auf die noch verfügbaren Energieträger bis hin zu deren Verbot. Ihr Ziel war es eindeutig, Zug um Zug die Energie, Gas, Kohle, Benzin und Strom stark zu verteuern, um den Verbrauch drastisch abzusenken, alles natürlich wie immer begründet mit der Hypothese, dass die menschengemachten CO2-Emissionen das Klima maßgeblich beeinflussen, wofür es nach wie vor keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis gibt. ({1}) Tausende Wissenschaftler weltweit widersprechen dieser zur Religion erhobenen Behauptung. Fakt ist: Sie wollten von Anfang an die Zeitenwende. Sie nannten sie nur anders, nämlich zunächst „große Transformation“ und dann im herzlichen Einvernehmen mit dem World Economic Forum und Klaus Schwab „The Great Reset“. Durch den Krieg in der Ukraine wird nun offenkundig, dass Ihre Tagträumereien wie Seifenblasen zerplatzen. ({2}) In der Physik und in der Politik geht es eben nicht darum, was man sich wünscht, sondern um Realitäten. Die Realität ist, dass ein Industrieland wie Deutschland nicht mit Strom aus Wind und Sonne sicher versorgt werden kann. ({3}) Deswegen folgendes Zitat – mit Genehmigung der Präsidentin –: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf ... offen und ohne Vorfestlegungen und im Hinblick auf alle gegebenen rechtlichen, technischen und betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten umfassend zu prüfen, ob und wie der Weiterbetrieb von Kernkraftwerken, zunächst im Streckbetrieb, zur CO2-armen und sicheren Stromversorgung in den kommenden Jahren beitragen kann; eine solche Prüfung darf – anders als der Prüfvermerk des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima sowie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz – keine politische Auftragsarbeit sein, bei der das Ergebnis der von dem einen grünen Minister angekündigten Prüfung schon vor deren Beginn von der andern grünen Ministerin verkündet wird ... Jetzt müsste eigentlich Beifall von den Rängen der Union kommen; denn das ist Wort für Wort aus Ihrem Antrag. Dieser Forderung schließen wir uns natürlich an, wobei wir die sofortige Verlängerung der Laufzeiten der letzten drei Kernkraftwerke, ergänzt durch die Wiederinbetriebnahme der am Jahresanfang stillgelegten KKWs, als dringend erforderlich ansehen. ({4}) Zusätzlich lassen sich unsere derzeitigen Probleme wesentlich und vor allem sehr schnell entschärfen, wenn Sie der Klimareligion abschwörten und zum Beispiel unserem Antrag vom 10. November 2021 mit der Drucksachennummer 20/34 zustimmten. In diesem Antrag fordern wir unter anderem: ... den Betrieb von Kohlekraftwerken, die dem Stand der Technik entsprechen, uneingeschränkt zu ermöglichen und sämtliche Bemühungen zum Ausstieg aus dieser Technik zu unterlassen bzw. zu beenden ... und … zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung auf die Landesregierungen einzuwirken, notfalls sofort per Erlass durch die Bundesregierung, eine provisorische Laufzeitverlängerung für die noch in Betrieb befindlichen bzw. noch betriebsbereiten Kohlekraftwerke ... Wenn Sie wirklich die Absicht hätten, die Notlage zu beenden, zumindest auf mittlere Sicht den Preisanstieg zu dämpfen, dann könnten Sie mit uns die Voraussetzungen für die Förderung heimischen Erdgases, zum Beispiel aus Schiefergestein und Kohleflözen, schaffen. Deren Lagerstättenumfang und die Gewinnung sind bekannt; was fehlt, ist allein der politische Wille. ({5}) Lieber wollen Sie – Sie alle, auch Sie, Herr Gremmels –, das Gas, das auf genau die gleiche Art und Weise gewonnen wird, übers Meer schippern. Aber was tut man nicht alles als knallharter Lobbyist der amerikanischen Rohstoffindustrie! ({6}) So wie viele Energiepolitiker der Altparteien vorrangig die Interessen der Wind- und Solarbranche und der amerikanischen Rohstoffindustrie vertreten, so dienen sich viele Gesundheitspolitiker der Altparteien bei der Pharmaindustrie an. ({7}) Sie wollen gegen viele Bedenken hinsichtlich der fehlenden Wirkung der zu injizierenden Stoffe, deren teilweise katastrophalen Nebenwirkungen und die Aussagen von vielen Wissenschaftlern und Juristen, dass eine Impfpflicht unter den gegebenen Umständen verfassungswidrig sei, eine allgemeine Impfpflicht beschließen. Selbst – als ich das las, schnürte es mir das Herz zusammen – Schwangere ab dem vierten Monat sollen sich unter Umständen gegen ihren eigenen Willen und natürlich ohne die noch nicht artikulierbare Willenserklärung des noch nicht geborenen Erdenbürgers einen Stoff injizieren lassen, dessen Nebenwirkungen noch nicht umfassend bekannt sind, und das, obwohl mehrere Studien, zum Beispiel aus Großbritannien, zeigen, dass die Fehl- und Totgeburtenraten bei Gebärenden, denen diese Stoffe injiziert wurden, um ein Vielfaches höher liegen, als es der Normalfall wäre. Diese Menschenverachtung macht mich fassungslos. ({8}) Ich hoffe, dass die armen Kinderseelen Sie bis an Ihr Lebensende und darüber hinaus verfolgen. ({9}) Ob der Antrieb dieser sogenannten Energie- und Gesundheitspolitiker – es gibt auch wenige Ausnahmen; das muss man hier sagen – nur der schnöde Mammon ist oder ob da mehr dahintersteckt, werden wir bald erfahren. Zum Wohle des deutschen Volkes ist das Handeln dieser korrupten Pseudodemokraten jedenfalls nicht. Ich spreche hier und jetzt die wenigen Ausnahmen an: ({10}) Überzeugen Sie Ihre Kollegen, den Pfad der Zerstörung Deutschlands zu verlassen! Ihre Energiewende ist gescheitert; sie war es bereits seit Jahren. Der Ukrainekrieg macht dies nur für jedermann sichtbar. Leider enthält der hier vorgelegte Antrag jede Menge Klimagedöns, weswegen wir ihn ablehnen müssen. ({11}) Das heißt aber nicht, dass wir nicht in Zukunft gemeinsam und zum Wohle unseres Volkes konstruktiv an Lösungen arbeiten können. Ich bedanke mich vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Julia Verlinden für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 16 Jahre Regierung unter Führung von CDU/CSU liegen hinter uns; das waren 5 861 Tage. 5 861 Tage hatten Sie Zeit, um Deutschland auf den Weg der Energiesicherheit, auf den Weg der Energiesouveränität zu bringen – mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Und – man muss es so klar sagen – Sie haben es gründlich versemmelt. ({0}) Sie fordern jetzt Entschlossenheit. Ja, in der Tat, die hätten wir in den letzten Jahren dringend gebraucht, als Sie die Mehrheiten hatten. Doch das Gegenteil von Entschlossenheit, nämlich die Ideologie und die Fortschrittsfeindlichkeit der Union, haben uns erst in diese aktuelle Misere gebracht. ({1}) Sehr teure fossile Energien und eine geopolitisch hochproblematische Abhängigkeit sind Ihr Verdienst, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU. Der schreckliche Angriffskrieg und seine Konsequenzen für die Menschen in der Ukraine und für die europäische Energieversorgung führen uns die Fehler der Vergangenheit deutlich vor Augen. Wenn es schon in den letzten Jahren konsequent versäumt wurde, müssen wir jetzt umso schneller unabhängig von den fossilen Energieträgern werden. ({2}) Dazu sagen Sie, Herr Spahn, in Ihrer Rede: nichts. Auch auf den ersten Seiten Ihres Antrags: nichts dazu. Erst nachdem Sie noch einmal den Umweg durch die Sackgasse Atomkraft genommen haben, kommt bei Punkt 16 in Ihrem Antrag dann endlich der entscheidende Gamechanger. Demnach soll die Bundesregierung jetzt endlich mal „beim Ausbau der Erneuerbaren … den Turbo … zünden“. Halleluja, dass ich das bei der Union noch erleben darf! ({3}) Glauben Sie mir, dafür brauchen wir keine Aufforderung der Union. ({4}) Wir freuen uns natürlich, wenn Sie ankündigen, das, was wir jetzt an wichtigen Gesetzen auf den Weg bringen, zu unterstützen. Vielleicht helfen Sie uns auch noch, weitere Dinge auf den Weg zu bringen. Ich freue mich drauf. Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass unter unionsgeführter Regierung die Solarindustrie aus dem Land getrieben wurde, dass bei der Windenergie die historisch niedrigsten Ausbauzahlen seit der Einführung des EEGs erzielt worden und durch Sie zu verantworten sind. Ihre Politik hat den Erneuerbaren-Standort Deutschland entkernt. ({5}) Diese neue Bundesregierung ist morgen seit 100 Tagen im Amt, und sie startet in einer massiven Energiepreiskrise – in der stecken wir ja – mit bisher nicht dagewesenen Preisen für Gas und Kohle. Wir sind daran nicht schuld, aber wir reagieren schnell und entschlossen auf diese akute Krise, die aus der Abhängigkeit von fossilen Energien entstanden ist, und zwar handeln wir mit kurzfristigen Hilfen und mit einer klaren politischen Linie. ({6}) Ich bin froh, dass der Wirtschaftsminister die Kartellbehörden aufgefordert hat, zu klären, ob Absprachen der Konzerne dafür verantwortlich sind, dass die Preise an den Tankstellen so hoch sind. Und schon in dieser Woche bringen wir Gesetzentwürfe auf den Weg, um die Bürger bei den Energiekosten zu entlasten. ({7}) Wir schaffen die EEG-Umlage ab; darüber reden wir heute noch. ({8}) Wir gewähren einen Heizkostenzuschuss für bedürftige Haushalte; auch den beschließen wir heute. Und wir schaffen auch einen Sofortzuschlag für Kinder. Das sind Maßnahmen, die die Menschen jetzt dringend brauchen, und die werden heute auf den Weg gebracht. ({9}) Gleichzeitig beschleunigen wir jetzt den Umstieg auf erneuerbare Energien. Robert Habeck hat in einem Rekordtempo einen Gesetzentwurf zur Entfesselung der erneuerbaren Energien vorgelegt. Das ist der weitestgehende Entwurf, den wir jemals gesehen haben. Damit beschleunigen wir jetzt insbesondere den Ausbau von Wind- und Solarenergie mit der Perspektive eines klimaneutralen Stromsystems bis zum Jahr 2035. Natürlich können wir nicht alle Versäumnisse aus vielen Jahren rückwärtsgewandter Politik mit einem Schlag auflösen. Deshalb wird nach dem Osterpaket das Sommerpaket folgen. Die Reform des Strommarkts steht an, der Kohleausstieg bis 2030, der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Aber ich sage: Diese Regierung hat in den ersten 100 Tagen mehr angeschoben als so manche Vorgängerregierung in einer ganzen Legislaturperiode. ({10}) Herr Spahn, wir wollen alles dafür tun, damit die russischen Energieimporte so schnell wie möglich überflüssig werden. Wir tun deswegen alles für einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren – trotzdem geht das nicht mit einem Fingerschnippen. ({11}) Der Joker der Energiesouveränität ist die Energieeffizienz. Wir müssen und wir können massiv den Energieverbrauch reduzieren. Auch dazu in Ihrer Rede kein Wort, Herr Spahn. Die Energieeffizienzoffensive hilft uns auch bei der Reduzierung der laufenden Kosten. Denn entscheidend ist doch, dass wir dauerhaft von hohen Energiekosten wegkommen. Das geht nicht über ständig neue Subventionen für den Verbrauch von fossiler Energie. Das wäre ein Fass ohne Boden und spült zusätzlich noch mehr Geld in Putins Kriegskasse. Der Weg zu dauerhaft verlässlichen Energiepreisen geht nur über konsequente Zukunftsinvestitionen in energieeffiziente Technik, in sparsame Fahrzeuge und verbrauchsarme Gebäude. Es nützt den Mieterinnen und Mietern doch am wenigsten, wenn sie einfach immer nur Geld an die fossilen Konzerne überweisen. Sie brauchen Wohnungen, die so gut gedämmt sind, dass sie auf Dauer nur noch die Hälfte der Energie zum Heizen benötigen. ({12}) Herr Spahn, wir brauchen jetzt Rekordinvestitionen für besseres Wohnen und faire Wärme. ({13}) Mit unserer Erneuerbaren- und Energiesparoffensive arbeiten wir als Ampel am Klimaschutz und sichern eine souveräne Energieversorgung. Wie ernst es Ihnen von der Union damit ist, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– das können Sie in den kommenden Wochen und Monaten beweisen – hier im Bundestag und im Bundesrat. Nach 16 Jahren Investitionsbremse der Union können Sie jetzt helfen, den Investitionsturbo anzuschalten. Ich hoffe, Sie sind dabei. Ich bin sehr dankbar, dass wir in der Ampelkoalition hierfür den gemeinsamen Willen haben. Und ich sage Ihnen: Hier im Parlament werden wir dafür alles geben. Vielen Dank. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach 16 langen Regierungsjahren legen CDU und CSU einen umfangreichen Forderungskatalog vor: ohne ein Wort wirklicher Selbstkritik und ohne darüber zu sprechen, dass sie den Ausbau erneuerbarer Energien effektiv und aktiv behindert haben – das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren –, ({0}) und ohne darüber zu sprechen, dass unter ihrer Verantwortung die öffentliche Infrastruktur zerfallen ist. Allein auf der Ebene der Kommunen müssten schon längst 150 Milliarden Euro investiert worden sein. Und Sie sagen in Ihrem Antrag auch überhaupt nichts zur Finanzierung. Ich kann Ihnen auch erklären, warum Sie das nicht tun. Denn Sie wollen weiter an der schwarzen Null und an der Schuldenbremse festhalten; Sie wollen Steuererhöhungen für Vermögende verhindern. Ich kann Ihnen sagen: Wir wollen das nicht. Wir wollen endlich gerechte Steuern, meine Damen und Herren. ({1}) Und Sie unterstützen das 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket der Bundesregierung; und auch das ist falsch. ({2}) Bundesenergieminister Robert Habeck sagt den Menschen: Wechselt doch einfach den Stromanbieter, wenn es euch zu teuer ist. – Das zeugt, Kollege Habeck, von erschreckender Unkenntnis. Die Ärmsten in unserer Gesellschaft zahlen die höchsten Strompreise. Denn sie können gar keinen Stromtarif wählen; sie müssen den Tarif nehmen, den ihnen der Grundversorger anbietet. Und auf Ihrer Internetseite schreiben Sie von Rahmenbedingungen und Markttransparenz. Das ist – kann ich Ihnen sagen – wirklich marktliberaler Unsinn, meine Damen und Herren. ({3}) Die EU-Kommission ist im Vergleich zu Ihnen geradezu revolutionär. Im Strategiepapier der EU steht: Regierungen dürfen in solchen Ausnahmesituationen Energiepreise für Verbraucher festsetzen. Ich frage mich: Warum macht das die Bundesregierung nicht? Und es ist auch möglich, so die EU-Kommission weiter, Gewinne bei den Energieversorgern abzuschöpfen, die gerade prächtig verdienen. Herr Habeck, an der Stelle müssten Sie doch mal endlich beherzt eingreifen. Das ist das Gebot der Stunde! ({4}) Oder orientieren wir uns mal an anderen Ländern; schauen wir nach Griechenland: Der Premierminister – ein Christdemokrat, Kollege Spahn – ({5}) will massiv in die Großhandelsmärkte für Energie eingreifen. Er will den Gaspreis auf Vorkrisenniveau deckeln, eine Höchstgrenze für tägliche Preisschwankungen einführen, die Gewinnmarge der Stromversorger begrenzen und spekulativen Handel verbieten. Daran könnte man sich doch orientieren, meine Damen und Herren. ({6}) Jetzt komme ich zur FDP. Herr Lindner, der ja den Eindruck erweckt, er wäre der eigentliche Chef hier in der Bundesregierung, will einen Tankrabatt. Warum fordern Sie eigentlich keinen Mietenrabatt und keinen Rabatt für öffentliche Verkehrsmittel? Das wäre der richtige Weg, meine Damen und Herren. ({7}) Es ist doch völlig klar, wer gerade von der Energiekrise profitiert: Es sind die Ölraffinerien. – Und denen müssen die Krisengewinne wirklich weggesteuert werden. Das wäre eine politische Aufgabe. ({8}) Meine Damen und Herren, wir haben heute zu Anfang der Sitzung eine sehr beeindruckende Rede gehört, und ich kann für meine Fraktion noch mal ganz deutlich sagen: Wir wollen gemeinsam mit allen Menschen, die für den Frieden einstehen, alles tun, dass der Krieg gegen die Ukraine endlich beendet wird. Alle Menschen haben ein Recht darauf, in Frieden zu leben. Und auch wir sind verantwortlich dafür, dieses Recht mit zu garantieren. ({9}) Darum kann ich nur sagen: Endlich die Waffen nieder! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Kruse für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Eine gewisse Sprachlosigkeit hier nach der Videobotschaft des Präsidenten der Ukraine macht mich sprachlos, und ich bedaure, dass wir es im Parlament angesichts dieser historischen Rede nicht geschafft haben, unsere Unterstützung in Worte zu fassen. Präsident Selenskyj hat sehr treffend formuliert, dass er die Wirtschaftspolitik des Westens als ein sehr wesentliches Instrument ansieht. Wir reden ja heute im Bereich der Energiepolitik vor allem darüber, welche Macht wir haben, um Entscheidungen anders zu treffen. Ich zitiere Präsident Selenskyj; er sagte: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft dürfe nicht alles sein. Es dürfe nicht das entscheidende Kriterium sein. Es dürfe nicht das einzige Kriterium sein. Und in der Tat: Unsere Wirtschaftspolitik muss in diesen Zeiten Freiheitspolitik sein. Unsere Wirtschafts- und Energiepolitik ({0}) muss Friedenspolitik werden. Deswegen bin ich dem Bundesfinanzminister auch sehr dankbar, dass er an dieser Stelle im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung klar formuliert hat, dass erneuerbare Energien Freiheitsenergien sind, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Die jetzige Bundesregierung, die Ampelregierung, hat in den letzten Wochen sehr viel getan beim Thema Versorgungssicherheit, ({2}) beim Thema „Schaffung von Energiesicherheit“. Und es nötigt mir persönlich großen Respekt ab, dass ein grüner Wirtschaftsminister – der erste grüne Wirtschaftsminister – an das Tabu seiner Partei herangeht, indem er sagt, es gebe nicht mal hinsichtlich der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke ein Denktabu. Diesen Respekt könnten Sie dem Minister ja auch entgegenbringen. ({3}) Die Tatsache, dass dann eine Prüfung erfolgt, an deren Ende steht – – ({4}) – Frau Kollegin Klöckner, das war etwas später, nämlich erst nachdem die Analyse erfolgt ist. Erst dann hat er das ausgeschlossen; das stimmt. – Die Tatsache, dass am Ende dieser Analyse steht, dass die letzte Regierung, die Große Koalition mit einem Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dafür gesorgt hat, dass wesentliche Sicherheitsüberprüfungen ausgesetzt wurden, auch die zehnjährige Sicherheitsüberprüfung, die im Jahr 2019 angestanden hätte, nicht mehr hat stattfinden müssen, ({5}) führt allerdings dazu, dass diese Kraftwerke mittlerweile ein großes und jeden Tag größeres Sicherheitsrisiko darstellen. ({6}) Deswegen muss man am Ende dieser Analyse doch feststellen, dass es sehr klug ist, den Weg zu gehen, ({7}) den die Regierung jetzt geht, um hier Energiesicherheit herbeizuführen, ({8}) nämlich all diejenigen Kraftwerke mit Ressourcen zu versorgen, die die Stabilität im Netz garantieren können, auch wenn wir zum Beispiel mal eine Dunkelflaute haben. Ich lade Sie deswegen herzlich ein, die Analyse mal zu lesen und dann auch zum richtigen Schluss zu kommen; denn sie zeigt: Wir alle hier im Raum, wir wären verantwortlich dafür, dass diese Kernkraftwerke jeden Tag unsicherer werden. Wir wären dafür verantwortlich, im Event-Fall zu erklären, warum das denn unbedingt hat stattfinden müssen. Wenn Sie bereit sind, dafür Verantwortung zu übernehmen, schön und gut. Die Mehrheit in diesem Hause ist es nicht. Und ich persönlich bin sehr dankbar dafür. ({9}) Herr Kollege Spahn, Sie haben hier Ihren Antrag vorgestellt. Ich fand es eine sehr gute Weiterentwicklung seit unserer letzten Debatte, die etwas hitziger war, vielleicht auch der Ernsthaftigkeit des Themas nicht an jeder Stelle angemessen. Ich fand es im Stil besser, ich fand es auch vom Inhalt besser, was Sie hier heute vorgelegt haben. Das finde ich für die Ernsthaftigkeit dieser Debatte insgesamt begrüßenswert. Unsere Bestandsaufnahme – morgen sind die ersten 100 Tage für die Ampelregierung um – zu Ihrer Arbeit während der GroKo-Zeit kann ich Ihnen allerdings nicht ersparen. ({10}) Denn sie ist eine wesentliche Basis, warum wir heute darüber diskutieren. ({11}) In einem Nachtwächterstaat darf der Nachtwächter nicht schlafen, Herr Kollege Spahn. In einem Nachtwächterstaat, in dem der Wettbewerb funktionieren soll, muss der Wettbewerb vom Nachtwächter geschützt werden. Der Nachtwächter, der den Wettbewerb im Gasmarkt hätte sichern sollen, hieß in den letzten Jahren Peter Altmaier. Und er war von Ihrer Partei. Die Tatsache, dass wir heute Abend überhaupt noch über Gasspeicherregulierung sprechen müssen, ist dem Umstand geschuldet, dass Sie den Wettbewerb nicht geschützt haben. Die Tatsache, dass Russland und seine Unternehmen einen Krieg im wirtschaftlichen Bereich mit dem Instrument der Entleerung der Gasspeicher, mit dem Verkürzen der Gaslieferungen im Spotmarkt gegen uns führen, hätte Ihrem Wirtschaftsminister seit letztem April auffallen können. ({12}) Und die Tatsache, dass Sie abgewählt worden sind, liegt vielleicht auch daran, dass Sie mehr mit Wahlkampf und Ihren internen Querelen beschäftigt waren als mit der Situation, dass hier etwas vorbereitet wird, was einen veritablen Schaden in Deutschland hätte herbeiführen können. Und es ist einzig dem milden Winter zu verdanken, dass der Schaden nicht eingetreten ist. ({13}) Deswegen sollten Sie als Allererstes dafür die Verantwortung übernehmen. Das vermisse ich allerdings in Ihrem Antrag. ({14}) Ich fände es gut, wenn Sie zumindest die Realität zur Kenntnis nehmen und dann auch Ihre Pflicht als Opposition – Sie wollen ja eigentlich eine Alternative sein – ({15}) wahrnehmen würden. Dann sollten Sie vielleicht nicht nur aufschreiben, was es schon gibt: Heizkostenzuschuss erhöhen – haben wir doch erledigt, ist doch schon durch. Entfernungspauschale – sind wir doch dran. Anhebung Grundfreibetrag – lauter Dinge, die Sie fordern, die wir schon machen. ({16}) Ich lade Sie herzlich ein, mal Dinge vorzulegen, die wir nicht schon machen. Dann bin ich gerne bereit, darüber mit Ihnen zu sprechen. ({17}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Julia Klöckner das Wort. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hilse von der AfD, Sie haben uns alle hier vorhin – vielleicht mit selektiver Ausnahme – als korrupte Demokraten bezeichnet. ({0}) „Pseudodemokraten“ haben Sie uns genannt. Und hier wird gerade noch Beifall geklatscht. Ich finde, Sie machen nicht der Demokratie, sondern Herrn Putin mit solchen Aussagen alle Ehre. ({1}) Und ein zweiter Satz: Sie haben vorhin gesagt, wir würden uns von Wind und Sonne abhängig machen in Deutschland; das sei noch unberechenbarer als Herr Putin. ({2}) Ich finde das menschenverachtend. Wir haben vor nicht mal drei Stunden den Präsidenten der Ukraine hier gehört. Und Sie setzen Wind und Sonne mit der Unberechenbarkeit von Herrn Putin gleich. ({3}) Ich finde das peinlich. Ich finde das blamabel. So etwas gehört nicht hier ins Parlament. Das muss ich wirklich sehr, sehr klar sagen. ({4}) Frau Verlinden, Sie haben für die Grünen gesprochen. Ich bin erstaunt – dass für Sie die erneuerbaren Energien eine große Rolle spielen, darüber bin ich nicht erstaunt –, ({5}) dass Ihnen die Bürgerinnen und Bürger wie auch die Unternehmen und das, was sie heute aktuell zu tragen und an Preisexplosionen im Alltag zu stemmen haben, überhaupt kein Wort wert sind. ({6}) Unser Antrag, den wir heute einbringen, reagiert ganz klar darauf. ({7}) Zum Beispiel hat eine Bäckerei in Nordrhein-Westfalen jetzt im Monat 700 Euro mehr Energiekosten. Da kann man sagen: Ist Pillepalle – für Abgeordnete wie uns vielleicht. Schauen wir auf die Großindustrie. Am Standort Ludwigshafen, bei uns in Rheinland-Pfalz, hat die BASF, der weltweit größte Chemiekonzern, über 30 000 Mitarbeiter. Allein in den Monaten Januar und Februar sind die Energiekosten um 600 Millionen Euro gestiegen. ({8}) Das hat Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft. Das hat Auswirkungen auf unseren Standort. Das hat Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das hat Auswirkungen auf unser Land. Und darauf geben wir eine Antwort; denn der Staat kann Abgaben und Steuern senken, er kann sofort reagieren. Deshalb haben wir als Union ebendiesen Antrag eingebracht. ({9}) Dann möchte ich noch ein Weiteres sagen, damit sich hier auch keine Märchen festsetzen. Die Grünen sind ja in zehn Bundesländern mit an der Regierung; in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Ministerpräsidenten. Wer hinkt denn in der Windkraftausbaufähigkeit hinterher? Das ist Baden-Württemberg. ({10}) Und dann schauen wir uns mal den Energiemix an. Wir als Unionsregierungen haben im Energiemix den Anteil der erneuerbaren Energien gesteigert: In 2005 lag er bei 11 Prozent, und 2020 lag er bei etwa 46 Prozent. ({11}) Und wenn Sie sagen, wir haben als Koalition, als unionsgeführte Regierungen nichts gemacht, ({12}) dann können Sie entweder nicht rechnen, ({13}) oder Sie haben Vorstellungen, die weder bezahlbar noch umsetzbar sind. ({14}) Deshalb bitte ich Sie, wieder einen Blick auf die normalen Menschen hier in diesem Land zu haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Klöckner.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb sage ich auch sehr klar mit Blick auf unsere Unternehmerinnen und Unternehmer gerade hier in Deutschland, denen häufig vorgeworfen wird, zuerst komme das Geschäft und dann die Moral: –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Klöckner!

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– Denen müssen wir und wollen wir heute Danke sagen; denn dass die deutsche Wirtschaft, unsere deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer, so geschlossen hinter den Sanktionen gegen Russland steht, das ist vorbildlich, das verdient Danke. Und ich sage Danke im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für diese klare Haltung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Klöckner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Grünenfraktion?

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin Klöckner, dass Sie die Frage zulassen. – Auch ich möchte mich ausdrücklich bei den Unternehmen in diesem Land bedanken, die gerade Lasten schultern. Ich glaube aber, dass wir in der Diskussion, die ich als sehr ernsthaft wahrnehme, uns auch ein gutes Gesamtbild von den Energiemärkten machen müssen, die wir aktuell haben: Das sind Erwartungsmärkte, das sind psychologische Märkte mit konkreten Auswirkungen. Ich habe mir heute den Ölpreisverlauf der letzten Woche angeschaut. Vor einer Woche waren wir bei 138 Dollar für WTI Oil – Brent ist ein bisschen darunter –, jetzt sind wir bei 100 bzw. bei 99 Dollar. In einer Woche also ein Abfall von fast 40 Prozent. Das alles müssen wir auch in die Maßnahmen einkalkulieren, die zu treffen sind. Ich will sagen: Wir brauchen ein Gesamtkonzept, und das legt diese Bundesregierung vor, indem sie sagt: Wir gucken uns die Effizienzmaßnahmen an, wir gucken uns an, wie wir mit Härtefällen – die Glasindustrie Bayern zum Beispiel ist ein Härtefall – umgehen und welche Einzelmaßnahmen wir treffen können. Aber die Frage an Sie ist, ob es denn eine konsistente Strategie ist, gleichzeitig zu sagen, wir senken die Mehrwertsteuer im Umfang von 20 Milliarden Euro und – Herr Röttgen sagt das öffentlich – wir wollen ein Embargo, womit wir letztlich uns den Gashahn selber zudrehen, und außerdem noch zu sagen, wir möchten einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Also, da müssten Sie sich auch mal selber entscheiden, was Sie wollen. Ich verstehe Ihr Konzept bislang überhaupt nicht. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. – Herr Kollege, dass Sie das Konzept von uns nicht verstehen, muss nicht am Absender, nämlich an uns, liegen. Es kann auch am Empfänger liegen. ({0}) Zweiter Punkt, was Konsistenzen anbelangt: Der Staat verdient bei jedem Prozentpunkt Inflation 10 Milliarden Euro mit. Und ich finde, die Bürgerinnen und Bürger haben nicht große Reden verdient, ({1}) Reden, die besagen, das sei eine psychologische Wirkung. Ich kann Ihnen sagen: Eine Krankenschwester aus meinem Wahlkreis, ({2}) die jeden Morgen von Simmertal nach Bad Kreuznach ins Krankenhaus fährt – 32 Kilometer –, kann nicht den Zug nehmen. ({3}) – Das kann sie schon machen mit Bus und Zug. Aber wenn sie beides nimmt, braucht sie zwei Stunden, um anzukommen. Sie spürt nicht psychologisch den höheren Energiepreis; die spürt ganz viel bei jeder Tankfüllung in ihrem schmalen Geldbeutel, dass hier etwas nicht stimmt. Und hier kann die Bundesregierung reagieren; ({4}) denn wir wissen, dass etwa die Hälfte Steuern und Abgaben sind. ({5}) Die Idee der Regierung – übrigens der FDP, die vorher von großer Entfesselung der Bürokratiemonster gesprochen hat – ist jetzt ein Tankgutschein. Liebe Ampel, das kann doch nicht allen Ernstes Ihre Antwort auf diese Probleme sein, die wir hier in diesem Land gerade haben. ({6}) Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, sehr konkret. Es gibt Maßnahmen – da bin ich ja ganz bei Ihnen –, die langfristig bzw. mittelfristig wirken müssen. Und deshalb auch noch einmal – Stichwort „Ausbau erneuerbarer Energien“ –: Da haben Sie uns an Ihrer Seite, und wir haben gezeigt, dass wir es als Union vorangebracht haben. Aber wir müssen jetzt auch kurzfristig Antworten haben und reagieren, ({7}) und wir können kurzfristig reagieren. Und an eines möchte ich Sie noch erinnern: Als Minister Habeck seine Regierungserklärung gehalten hat, haben wir darauf geantwortet und haben die Abschaffung der EEG-Umlage ab sofort gefordert und nicht erst ab 2023. Ihrer aller Reaktion ist Gelächter gewesen. ({8}) Und jetzt machen wir es. Deshalb sage ich – – ({9}) – Nein. Ihr schafft ja gerade mal gar nichts, um es kurz zu sagen. ({10}) Um das mal kurz zu sagen: Vor nicht mal drei Wochen haben Sie über diesen Vorschlag der Union gelacht, die EEG-Umlage sofort abzuschaffen. ({11}) Kurz danach haben Sie darüber gelacht, als es hieß: Wir müssen an der Zapfsäule entlasten. ({12}) Dann gab es den Vorschlag für einen Tankstellengutschein. Darüber könnten wir lachen. Und jetzt kommen wir zu einem nächsten Schritt: Steuern und Abgaben runter. Heute lachen Sie noch. Ich kann Ihnen sagen: Sie werden hier etwas ändern, weil Sie ständig der Entwicklung hinterherlaufen. ({13}) Deshalb stellen wir diesen Antrag, um Ihnen die Chance zu geben, zumindest Teile davon umzusetzen. ({14}) Ich möchte zum Schluss kommen, damit mein Kollege, der nach mir noch zu dem Thema „Verbraucherinnen und Verbraucher“ reden wird, noch zu Wort kommen kann. Ich will aber an dieser Stelle verdeutlichen, wie schwer gebeutelt einige der Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland sind und wie heftig sie zu tragen haben. Darüber müssen wir hier bei dieser Debatte auch reden. Es geht um diejenigen, deren Rohstoffpreise gestiegen sind, deren Energiepreise gestiegen sind, die das nicht komplett auf die Endverbraucher- oder Abnehmerpreise umlegen können. Wir haben Logistikunternehmen, die sich strecken müssen, die Papierindustrie, die Stahlindustrie, die Glasindustrie. Sie alle stehen gerade mit dem Rücken an der Wand. Und dahinter stehen überall Gesichter und Menschen. Deshalb sage ich: Tun Sie jetzt was! Das schließt nicht aus, dass wir auch langfristige Konzepte – Stichwort „Ausbau erneuerbarer Energien“ - ({15}) mit verfolgen. Aber Sie sind jetzt gefragt und nicht für große Reden in der Zukunft. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe vorhin erläutert, wie Katrin Göring-Eckardt und ich es hier mit dem Fragerecht und dem Recht der Kurzintervention handhaben. Da er direkt angesprochen wurde, hat der Abgeordnete Hilse das Wort zu einer solchen.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Was ist der Unterschied zwischen berechenbar und unberechenbar? Wenn es berechenbar ist, können Sie berechnen, wie sich etwas oder jemand verhält. ({0}) Wenn es unberechenbar ist, dann können Sie es eben nicht berechnen. Und dass Ihre Politik, Ihre Wirtschaftspolitik dazu führen kann und höchstwahrscheinlich wird, dass es mehrere Zehntausend Tote geben wird, das hat Ihnen der Ausschuss für Folgenabschätzung in die Bundestagsdrucksache 17/5672 geschrieben. Also, Ihre Politik ist auch unberechenbar, weil sie viele Milliarden Euro kosten kann und höchstwahrscheinlich wird wie auch viele Menschenleben. Jetzt komme ich noch mal auf die sogenannten korrupten Pseudodemokraten zurück. ({1}) Ich habe extra gesagt, dass es nicht Sie alle betrifft. Mit Korruption kennt sich die CDU-Fraktion aus: Maskendeals – Millionen! Die meisten oder sehr viele von den Abgeordneten da drüben auf der linken Seite haben direkt in die Wind- oder in die Solarbranche investiert. Das heißt, Sie profitieren davon, wenn Sie hier quasi die erneuerbaren Energien vorantreiben. Genau so ist es, und so habe ich es auch gemeint. Also, ich möchte noch einmal sagen, dass es da Ausnahmen gibt; die habe ich auf jeden Fall nicht gemeint. Aber, wie gesagt, die CDU-Fraktion kennt sich mit Korruption aus. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Klöckner, wünschen Sie das Wort?

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, erstens kann man das sicherlich im Protokoll nachlesen, was Sie gesagt haben. Und zweitens: Besser ist der Vorwurf durch Ihre Wortmeldung hier eben nicht geworden. ({0}) Wenn Sie behaupten, es sind nur einige, die keine korrupten Pseudodemokraten sind, dann finde ich das peinlich. ({1}) – Nicht „immerhin“. ({2}) – Wissen Sie, jetzt mal unter uns: –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind jetzt hier nicht im Dialog. Das Wort hat Frau Klöckner.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– Sie können ja Ihre Parteitage so abhalten. Aber es gibt schon einen gewissen Stil in diesem deutschen Parlament. Die Bürgerinnen und Bürger, die dafür arbeiten, dass wir bezahlt werden, haben es nicht verdient, wie Sie sich hier vor- und aufführen. ({0}) Und deshalb sage ich noch mal: Ich weise für alle in dieser Gesamtheit zurück, dass dieser Deutsche Bundestag – teilweise, vollkommen ({1}) oder in Prozentsätzen – aus „korrupten Pseudodemokraten“ besteht. Sie machen Herrn Putin mit solchen Aussagen alle Ehre. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Timon Gremmels für die SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon atemberaubend, in welcher Geschwindigkeit sich die Union von ihrer Regierungsära unter Frau Merkel distanziert. Ausgerechnet zwei ehemalige Minister aus dem Kabinett Merkel treten das Erbe der Kanzlerin mit Füßen; das ist in der Tat sehr beeindruckend, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Herr Spahn, wenn Sie hier sieben Minuten reden und einen Antrag einbringen, der mit „souveräner Energieversorgung“ betitelt ist, und Ihnen dann nur einfällt, die Laufzeiten der Atom- und Kohlekraftwerke zu verlängern, dann frage ich Sie: Wo kommen denn die Rohstoffe her? Wo kommt denn die Steinkohle her? Wo kommt denn das Uran her? Das Uran schürfen wir doch nicht in Deutschland. ({1}) Das ist das Einzige, was Ihnen eingefallen ist. Sie haben hier nicht einen Satz zu den erneuerbaren Energien gesagt. Herr Spahn, ich glaube, das sagt sehr viel über Ihre Zukunftsfähigkeit. ({2}) Immerhin schreiben Sie in Ihrem Antrag, man müsse dem Ausbau der erneuerbaren Energien sozusagen einen Turbo verpassen. Ja, wer hat denn blockiert in den letzten vier Jahren? Es waren unter anderem Herr Nüßlein als stellvertretender Fraktionsvorsitzender ({3}) oder Herr Pfeiffer als wirtschaftspolitischer Sprecher. Beide sind ja nicht mehr angetreten – wir kennen alle die Hintergründe –, aber sie haben doch gebremst, was den Ausbau der Erneuerbaren angeht. Und wer hält Sie denn auf? Noch regieren Sie doch in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Warum machen Sie denn nicht den Turbo? Warum machen Sie nicht mehr beim Ausbau erneuerbarer Energien in Nordrhein-Westfalen? ({4}) Warum schaffen Sie nicht die 10‑H-Regelung in Bayern ab? Sie haben doch die Möglichkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Handeln Sie, solange Sie das noch können und solange sie dazu noch Mehrheiten haben. Die Ampel liefert. Wir haben hier ein Osterpaket auf den Weg gebracht – bzw. der Minister hat es vorerst auf den Weg gebracht; das Parlament beschäftigt sich ja erst noch damit –, und ich kann Ihnen sagen: Das hat es in sich. Das ist die größte EEG-Reform seit 21 Jahren, ({6}) seit dem Bestehen des EEGs, und das zeigt: Wir wollen hier gestalten. Wir wollen uns unabhängig machen, und zwar mit erneuerbaren Energien. ({7}) Wir laden Sie herzlich ein, nicht auf den Oppositionsplätzen zu verharren und wohlfeile Anträge zu schreiben, sondern mitzumachen und sich daran zu beteiligen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dann kommen wir jetzt zum Thema der Energiekosten und der sogenannten Benzinpreisbremse von Tobias Hans. Man muss schon sehen: Da steht ein Kandidat wohl mit dem Rücken zur Wand. Ehrlich gesagt, fand ich dieses Video auf mehrerlei Ebenen so was von deplatziert und unpassend, dass ich mich dafür schäme, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist Fremdschämen. ({8}) Ich sage Ihnen: Gucken Sie ganz einfach mal nach, wie sich der Rohölpreis und der Benzinpreis in den letzten zwei Wochen entwickelt haben. ({9}) Man sieht, dass das auseinandergeht. ({10}) Und was fällt Ihnen als Union ein? – Sie rufen jetzt nach dem Staat. Der Staat soll bezahlen. ({11}) Soll ich Ihnen mal sagen, was die soziale Marktwirtschaft unter Ludwig Erhard dafür vorgesehen hat? Ein Kartellamt, das das überprüft. ({12}) Deswegen, Robert Habeck, vielen Dank, dass Sie das Kartellamt gebeten haben, das zu überprüfen, damit wir nicht gleich Steuergelder hinterherwerfen. ({13}) Übrigens kann ich es mir nicht verkneifen, Herr Merz, Ihren Vorgänger Herrn Brinkhaus aus dem Sommer 2021 zu zitieren: Im Streit um steigende Benzinpreise hat Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus angekündigt, dass auch mit der Union an der Spitze einer künftigen Bundesregierung Benzin teurer werden dürfte. Am 11. Juni hat er das gesagt, nachzulesen beim „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht ist das ja der Grund, warum er heute nicht mehr hier ist, sondern Friedrich Merz. Ich glaube, dass er noch mit sehr viel mehr recht hatte. Ich kann mich in der Tat auch noch daran erinnern, dass es auch aus Ihren Reihen Forderungen gab, den CO2-Preis gar nicht hoch genug zu schrauben. ({14}) Das war doch Ihr Punkt. Ich kann Herrn Jung, ich kann Herrn Dobrindt zitieren, die genau das hier gefordert haben. Wir haben das verhindert, weil wir immer die Folgekosten für die Menschen im Blick hatten, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({15}) Deswegen sage ich Ihnen: Wir handeln auch bei der Entlastung. Ich werde natürlich bei mir im Wahlkreis auch von den Menschen angesprochen. Deswegen handeln wir, und wir schaffen was. Wir werden heute Abend den ersten Schritt gehen, um die EEG-Umlage abzuschaffen. Wir haben den Heizkostenzuschuss eingeführt und werden ihn noch mal verdoppeln. Wir haben das Vorziehen der Erhöhung der Pendlerpauschale auf den Weg gebracht, die Werbungskostenpauschale erhöht. Wir handeln: Es sind insgesamt mehr als 15 Milliarden Euro, die die Ampelkoalition zur Verfügung stellt, um Menschen zu entlasten, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({16}) Und wir haben gesagt: Bei Bedarf werden wir da noch deutlich mehr machen. Das ist das, was wir Ihnen zusagen. Frau Präsidentin, lassen Sie mich mit folgenden Worten schließen: Der Bundesfinanzminister hat ja gesagt: Erneuerbare Energien sind auch Freiheitsenergien. – Das ist richtig. Ich will das ergänzen: Erneuerbare Energien sind auch Friedensenergien. Dafür steht die Ampel, dafür kämpfen wir. Wir hoffen, viele von Ihnen davon überzeugen zu können und Sie an unserer Seite zu haben. Ihrem Antrag können wir natürlich nicht zustimmen. Vielen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Kathrin Henneberger das Wort. ({0})

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns an einem Wendepunkt unserer Geschichte. Schaffen wir es, uns von der Abhängigkeit von den Fossilen zu lösen, oder finanzieren wir weiter Putins Krieg und andere Diktaturen und rasen dabei ungebremst weiter in die Klimakatastrophe? Fakt ist: Wir können es uns nicht leisten, zu versagen. Wir können ein Festhalten an den Fossilen – seien es Öl, Gas oder Kohle – nicht verantworten. Sondern wir müssen alles dafür tun, uns endlich zu befreien. Eine Energieversorgung aus Erneuerbaren schafft Unabhängigkeit, schafft Sicherheit, schafft Frieden. ({0}) Vor zwei Jahren stand ich mit der russischen Umweltaktivistin Alexandra Koroleva vor dem Steinkohlekraftwerk Datteln 4. Gemeinsam haben wir dagegen protestiert, dass es ans Netz geht; denn auch die Steinkohle, die dort verbrannt wird, kommt aus Russland. Alexandra musste für ihr Engagement gegen den Steinkohleabbau in Sibirien zu uns fliehen. Dass Putin Menschenrechte verletzt, auch in den Abbauregionen in Sibirien, dass Putin gewissenlos in anderen Ländern Menschen bombardiert, wir seine Kriegskassen füllen, das war uns schon lange bekannt. Trotzdem wurde nichts gegen die Abhängigkeit unternommen – das war falsch. Auch Datteln 4 hätte niemals ans Netz gehen dürfen. ({1}) Import von Steinkohle jetzt einfach zu ersetzen, zum Beispiel mit Steinkohle aus Nordkolumbien oder aus Südafrika, ist die falsche Lösung des Problems. Andere Regionen auszubeuten, massive Menschenrechtsverletzungen zuzulassen, gewalttätige Konflikte und die Klimakrise weiter anzufeuern, das darf nicht länger die Grundlage unseres Wohlstandes sein. ({2}) Die Lösung kann nur sein: Die Fossilen müssen im Boden bleiben, und zwar auch bei uns, auch in meinem Zuhause, dem Rheinischen Braunkohlerevier. Kolleginnen von der CDU, wie könnt ihr es wagen, unsere Dörfer, Felder und Wälder unwiederbringlich zerstören zu wollen ({3}) und gleichzeitig eiskalt am 1 000-Meter-Abstand für Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen festzuhalten? ({4}) Das gilt auch für das Dorf Lützerath am Tagebau Garzweiler, das akut bedroht ist. Wie könnt ihr es wagen, aktuell einem Landwirt seine fruchtbaren Felder, sein Dorf für den Abbau und die Verbrennung von Braunkohle enteignen zu wollen? ({5}) Wie könnt ihr es wagen, weiter bis 2038 Kohle zu verbrennen und gleichzeitig Energieeinsparungen wie beispielsweise ein Tempolimit auf Autobahnen abzulehnen? Euer Antrag zeigt nur eines: ({6}) Ihr habt die Dringlichkeit der Klimakrise nicht verstanden, oder ihr würdet in Nordrhein-Westfalen anders handeln, anders mit meinem Zuhause umgehen. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren und nicht den Kohlebaggern. Unsere Dörfer werden bleiben – ob in Sibirien, im Rheinland oder in Nordkolumbien. Danke. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Olaf in der Beek für die FDP-Fraktion. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht sollte man in dieser Debatte einfach mal erwähnen, dass die Ampelkoalition genau 99 Tage gebraucht hat, um die ersten Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg zu bringen. Das hat übrigens die alte Regierung in 16 Jahren nicht geschafft. ({0}) Lassen Sie uns zum Antrag kommen. Was fällt auf? Das ist eine Aneinanderreihung von sehr vielen tollen und flotten Ideen. Viele sind natürlich auch in den Entlastungspaketen enthalten, die schon jetzt auf dem Weg sind. Aber sei’s drum, geschenkt. Wichtig ist: Was fordern Sie? Energie- und Stromsteuer senken, Entfernungspauschale – diese wird gerade geändert – noch mal erhöhen; ist ja nicht genug. Auch fordern Sie die Erhöhung von Freibeträgen und natürlich – das ist sozusagen das liebgewonnene Kind – eine Absenkung der Umsatzsteuer. Dabei wissen Sie aus Ihrer jahrelangen Regierungserfahrung, dass genau dem erst von der EU stattgegeben werden muss und es ein Gesetzgebungsverfahren verlangt, und das kann Wochen oder auch Monate dauern. ({1}) Was diese Ampelkoalition auf jeden Fall nicht will, ist einen Antrag in Ihrem Stil nach dem Motto „Wer will noch was? Wer hat noch nicht?“. ({2}) Das ist genau das, was wir verhindern wollen. ({3}) Ich möchte zum Schluss noch eines zu Ihrem Antrag sagen, Herr Spahn, und zwar ganz speziell zu den 13 Unterpunkten bei Punkt 3, wo Sie ja eine ganze Reihe von Forderungen zur Entlastung auflisten: Ich habe in der Opposition von meinem Chefhaushälter etwas gelernt. Otto Fricke hat immer gesagt: Wenn ihr etwas fordert, dann müsst ihr aufpassen; denn das alles muss seriös gegenfinanziert sein. – Davon steht in Ihrem Antrag aber überhaupt nichts, gar nichts. Das halte ich für unseriös. ({4}) Noch ein Punkt. Die Ampel reagiert auf der einen Seite kurzfristig und schnell, auf der anderen Seite aber auch langfristig. Kurzfristig und schnell reagieren wir mit diesem Entlastungspaket, das jetzt gerade – dies wurde schon gesagt – auf dem Weg ist. Es geht um brutto insgesamt 8,8 Cent pro Kilowattstunde – das ist eine ganze Menge –, mit denen wir die privaten Haushalte entlasten, indem wir die EEG-Umlage gegen Null fahren. Ich finde auch, dass ein Heizkostenzuschuss gerade für sozial bedürftige Menschen genau die richtige Antwort ist, um das Ganze für die Menschen wirklich besser finanzierbar zu machen. ({5}) Bezüglich langfristig wirkender Maßnahmen brauchen Sie nur in den Koalitionsvertrag zu gucken. Da steht, dass wir uns auch vorstellen, in dieser Transformationsphase ein Klimageld einzuführen. Dieses Klimageld wird gerade entwickelt. Ich kann Ihnen sagen: Auch das wird dauerhaft dazu beitragen, die Kosten des Klimawandels und der Energiewende für die Menschen erträglicher zu machen. Noch ein Punkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege in der Beek, das werden Sie nicht mehr schaffen.

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich weiß.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl. – Verlieren wir uns nicht in der bloßen Formulierung von Zielen. Wir setzen die notwendigen Maßnahmen konsequent um, ohne Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit aus den Augen zu verlieren. Das zeigt Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern, vor den Unternehmen in diesem Land –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte jetzt wirklich um das Ende der Rede.

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– genauso wie vor den kommenden Generationen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Ulrich Lange das Wort. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Vormittag hat mit einer Rede begonnen, die uns noch mal deutlich vor Augen geführt hat, dass wir uns in einer Zeitenwende befinden. Eine Zeitenwende hat mehrere Aspekte. Sie hat Langfristaspekte, und sie hat Kurzfristaspekte. In dieser Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um Langfristaspekte. Natürlich sagen wir Ja zu den Erneuerbaren. All denjenigen, die in dem Zusammenhang über die 10‑H-Regelung reden, sei gesagt: Schauen Sie sich das mal genauer an. Bayern liegt auf Platz drei bei den Erneuerbaren. Ich würde auch mal auf Wasserenergie, PV, Biomasse usw. schauen. ({0}) So einfach und billig, liebe Kollegen der SPD – wir haben das ja jetzt zwölf Jahre zusammen gemacht –, ist es nicht. ({1}) An die Kollegen der FDP noch ein kleiner Hinweis zur Erinnerung: Für die Gasspeicher war der Ex-Kollege Staatssekretär Homann von Philipp Rösler zuständig. ({2}) Also, lieber Kollege Kruse, bevor Sie hier andere kritisieren, schauen Sie sich bitte an, wie die Sachen damals konkret gelaufen sind. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lange, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Wir reden heute über die Menschen. Wir reden darüber, dass man jetzt für die Menschen handeln muss, und genau das beinhaltet unser Antrag. Es geht um Sicherheit, und es geht um Bezahlbarkeit. Es geht darum, jeden Handlungsspielraum, kurzfristigen und langfristigen, zu nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen haben Angst. Die Menschen haben Sorgen um ihre Existenz, um ihr Leben, um ihr Wohnen, um ihr Fahren, um ihre Wirtschaft. Die Logistikbranche hat Sorgen angesichts des Spritpreises. Wer über den ÖPNV redet, der muss auch darüber reden, dass die Busse im ländlichen Raum von unseren familienbetriebenen Busunternehmen auch nicht mit Luft, sondern in der Regel mit Diesel fahren. ({0}) Genau um diese Dinge müssen wir uns kümmern. Genau darum geht es natürlich in unserem Antrag. ({1}) Sie haben die Pendlerpauschale erwähnt. Na ja, die Menschen beamen sich die ersten 21 Kilometer ja nicht, sondern auch die müssen gefahren werden. Auch da vergessen Sie wieder die Menschen auf dem Land. Sie sagen, dass Sie den Heizkostenzuschuss verdoppeln. Ja, richtig, Sie werden dies für gewisse Gruppen so machen. Aber wo bleibt denn der Normalverdiener? Wo bleibt denn die Familie in ihrem Reihenhaus, in ihrem Einfamilienhaus, unter Umständen mit den zwei durchschnittlichen Einkommen, die jetzt Hunderte von Euro mehr für Energie zahlen müssen? Die bedienen Sie nicht. Aber die zahlen. Es kann nicht sein, dass wir als Staat auf Kosten und zulasten dieser Menschen profitieren. Deswegen haben wir unsere Vorschläge gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wir wollen mehr als einen Tankrabatt. Da muss ich wirklich lachen. Ich kann mich an die Diskussion erinnern, als es um Kassenbons ging. Jetzt machen wir Tankscheinbons. Ich kann mich an Tankgutscheine in meiner Kindheit erinnern, die man bekommen hat, wenn man nach Italien gefahren ist; alle die, die schon ein bisschen älter sind, kennen das vielleicht auch noch. Die Senkung der Mehrwertsteuer ist natürlich eine Möglichkeit. Natürlich gibt es europarechtliche Hürden. ({3}) – Lieber Kollege, nein, die Polen machen es. Es geht. Man kann nicht immer nur sagen: Es geht nicht. Es geht nicht. – Das kann man in einer Krise so nicht machen. ({4}) Ich kann mich doch nicht immer nur auf diesen Punkt zurückziehen. Gleiches gilt bei der Reduzierung der Energiesteuer. Auch diese können Sie auf das europäische Mindestmaß reduzieren. Tun Sie es! Handeln Sie! Profitieren Sie nicht als Staat auf dem Rücken der Menschen. Das ist unseriös. ({5}) Wir haben diesen Antrag genau deswegen geschrieben, weil wir auch auf den Wumms warten. In der letzten Krise hat hier mal jemand einen Wumms versprochen. Inzwischen schweigt Mister Wumms. Aber genau das müssen wir machen, wenn wir den Menschen helfen wollen. Wir erleben eine Preisspirale nach oben bei der Energie. Diese müssen wir durchbrechen. Das geht nicht mit kosmetischen Korrekturen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das funktioniert nur mit einer Vollbremsung. Genau dafür sind unsere Vorschläge: Kurzfristig handeln für die Menschen und langfristige Perspektiven schaffen für die Sicherheit der Energieversorgung. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ich kann nur sagen: Packen Sie es mit an. Die Energiewende müssen wir schaffen, ja, aber nicht über Nacht. ({6}) Die Menschen brauchen jetzt eine Lösung. Die Menschen brauchen jetzt eine Perspektive. Die Menschen brauchen jetzt Sicherheit für ihr Leben und für ihr Wohnen, und das ist wesentlich Ihre Verantwortung. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU]

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Robin Mesarosch das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, in Langenenslingen. Das einzige brauchbare Verkehrsmittel dort ist das Auto. Wir fahren Auto, wenn der Liter Benzin 1,60 Euro kostet, und wir fahren Auto, wenn der Liter Benzin 2,30 Euro kostet; denn wir kommen nur so von A nach B. Aber wenn das Benzin 2,30 Euro kostet, kommen einige von uns nicht nur von A nach B; einige von uns kommen dann auch in Schwierigkeiten, weil vieles gerade teurer wird. Die Gasrechnung für eine durchschnittliche Familie in einem unsanierten Haus wird dieses Jahr voraussichtlich um 2 000 Euro steigen. Die Familien, die hier ihre finanziellen Grenzen überschreiten, leben nicht nur in Langenenslingen. Sie leben überall in unserem eigentlich reichen Land. ({0}) Was sagen wir diesen Familien? Wir können es machen, wie CDU und CSU heute vorschlagen: Wir können versuchen, der neuen Bundesregierung alle Schuld in die Schuhe zu schieben, ({1}) und wir können diverse Sofortmaßnahmen aufzählen, mit denen wir angeblich jahrzehntealte Probleme lösen. ({2}) Und wir können zornig, wie Herr Lange, die Tatsachen verdrehen. Oder wir sagen diesen Familien die Wahrheit. Wir sagen ihnen: Wir stecken gerade in mehreren tiefen Krisen. Diese Krisen sind so tief, dass wir Zeit brauchen werden, sie zu lösen. ({3}) Bis dahin werden wir versuchen, die schlimmsten Risiken von allen fernzuhalten. Aber es wird hart, besonders für die, die wenig Geld haben. Die Krise ist nämlich nicht, dass unser Benzin 2,30 Euro kostet. Die Krise ist, dass fünf Mineralölkonzerne gerade den Benzinpreis künstlich hochhalten. ({4}) Auch der Staat hat seinen Anteil am Preis über Steuern und Abgaben, natürlich. Aber wenn wir diesen Anteil senken, erhöhen wir damit vor allem die Gewinne für diese fünf Mineralölkonzerne, und 83 Millionen Deutsche bezahlen dann weiter Wucherpreise an der Tankstelle. ({5}) Die Krise ist nicht, dass die Gasrechnungen dieses Jahr hoch werden. Die Krise ist, dass wir ein Viertel unserer Energie aus Erdgas gewinnen und dass die Hälfte dieses Erdgases aus Russland kommt und wir diese Mengen nicht ganz aus anderen Quellen werden ersetzen können. Die Krise ist auch nicht, dass die Strompreise steigen. Die Krise ist, dass wir eine für uns schlechte Art gewählt haben, Strom zu gewinnen und zu verteilen. ({6}) Denn wir produzieren Treibhausgase, die unseren Planeten zerstören, und wir zahlen meist großen Energiekonzernen irgendwo in Deutschland viel Geld, anstatt unseren Strom mit erneuerbaren Energien vor unseren Haustüren zu gewinnen, wo wir die Preise stärker selbst kontrollieren können. ({7}) Die Krise sind nicht die steigenden Kosten. Steigende Kosten sind Symptome. Für viele sind diese Symptome schmerzhaft. Darum finde ich es richtig, dass die Bundesregierung diese Symptome bekämpft: mit einem noch mal höheren Heizkostenzuschuss, dadurch, dass wir die EEG-Umlage abschaffen, durch ein Gasspeichergesetz und mit vielem mehr. ({8}) Trotzdem müssen wir einiges grundsätzlich verändern, und das wird Zeit kosten. Liebe Unionsfraktion, Sie hatten 16 Jahre Zeit, Sie hatten 16 Jahre lang das Kanzleramt, um Deutschland zu verändern. ({9}) Das ist mehr als die Hälfte meines Lebens. So zu tun, als sei Ihnen die Erleuchtung, wie das jetzt doch geht, ausgerechnet in der Opposition gekommen, ist unehrlich. ({10}) Und es ist nicht nur unehrlich, den Eindruck zu erwecken, wir könnten einige der größten Herausforderungen unserer Zeit jetzt schnell mit einigen Maßnahmen lösen, sondern sogar gefährlich. Rechts von Ihnen sitzen nur noch die, die sich von Enttäuschung, Wut und Hass ernähren. ({11}) Füttern Sie sie nicht! ({12}) Helfen Sie lieber uns, die Probleme an der Wurzel zu packen. Der Schlüssel sind anständige Löhne und erneuerbare Energien überall. Haben Sie vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Lisa Badum das Wort. ({0})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden viel darüber, wie naiv wir gegenüber Russland waren. Jetzt wachen wir in einem Angriffskrieg auf und reiben uns die Augen: Wir sind von fossilen Energien abhängig. Wie konnte das passieren? – Wir waren nicht naiv, meine Damen und Herren, wir waren ignorant. Unsere Klimabilanz, unsere hohen CO2-Emissionen sind das Produkt dieser Ignoranz. Alles kein Zufall: Es wurden lieber veraltete Standards im Bau und Ölheizungen gefördert als Wärmepumpen und Effizienzsteigerungen, lieber Straßenbau als Radwege und Bahnstrecken. Lauter politische Entscheidungen gegen den Klimaschutz stecken dahinter. ({0}) Erst jetzt wird vielen bewusst, dass es immer schon Entscheidungen gegen unsere eigene Sicherheit waren. Damit muss jetzt Schluss sein. ({1}) Ja, Klimapolitik ist Sicherheitspolitik. Das ist sie aber nicht nur in Sonntagsreden, sondern das ist sie auch im Detail. ({2}) Lieber Herr Lange, liebe CDU/CSU, die Diskussion über Abstände von Windkraftanlagen in Bayern ist eine Diskussion über Energiesouveränität. ({3}) Die Frage der Planungsbeschleunigung ist wichtig. Die Frage, wie wir unsere Windkraftbranche in Europa halten, damit sie nicht abwandert wie die Solarbranche, ist jetzt wichtig. ({4}) Im Übrigen: Es verlangt schon einiges an Chuzpe, als Partei der Haupt-Windblockade-Ministerpräsidenten einen Antrag zu schreiben und darin zu fordern, dass mehr Flächen für erneuerbare Energien bereitgestellt werden. Das kann ja nur als Appell an Ihre eigenen Leute gemeint sein. Und das ist richtig, das ist gut. ({5}) Wenn wir es ernst meinen mit der Freiheit Europas und mit dem Ende der Ignoranz, dann gilt es, die Ergriffenheit, die wir heute Morgen bei der Rede von Präsident Selenskyj verspürt haben, in eine konsequente Energiepolitik umzusetzen. ({6}) Genau das werden wir tun, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Falko Mohrs für die SPD-Fraktion. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen die Debatte unter dem Eindruck eines Völkerrechts-, eines Zivilisationsbruchs von Wladimir Putin. Wir haben die Aufgabe, auch wenn oder gerade weil wir unter diesem Eindruck stehen, hier mit einer klaren Verantwortung zu reden und zu handeln. Das ist unsere Aufgabe; denn wir müssen doch sehen – und das geht in aller Klarheit in die Richtung der Unionsfraktion –: Wir, die hier reden und handeln, sind teilweise für die Spekulationen mitverantwortlich, die den Preis in die Höhe treiben. ({0}) Wir haben doch in den letzten Tagen gesehen, wie der Rohölpreis und der Preis an den Tankstellen eklatant auseinandergelaufen sind. Das ist das Ergebnis von Spekulationen und nicht das Ergebnis von Knappheit, meine Damen und Herren. ({1}) Deswegen sind auch Vorschläge, wie Sie sie machen – mit Steuersenkungen darauf zu reagieren –, doch am Ende nichts weiter als eine Subvention der Gewinne der Mineralölkonzerne aus Spekulationen. ({2}) Und das, meine Damen und Herren, kann doch nicht im Ernst unsere Antwort auf die hohe Belastung sein. ({3}) Die hohe Belastung ist doch Realität für den Auszubildenden, der in vielen unserer Wahlkreise auf das Auto angewiesen ist, weil er wie bei mir vielleicht von Jerxheim nach Grasleben zur Ausbildungsstätte fahren muss. Es ist eben Realität, dass die Belastungen durch die Preise für Kraftstoffe und für das Heizen extrem angestiegen sind, die insbesondere die Bezieher mittlerer Einkommen spüren. Und weil das so ist, ist es doch unsere Aufgabe, eben nicht mit blankem Populismus darauf zu reagieren, sondern mit einem klaren und zielgerichteten Maßnahmenpaket, das erstens sozial ausgewogen ist, das zweitens zielgerichtet ist und eben bei denjenigen ankommt, die die Belastung haben, und das drittens am Ende auch berücksichtigt, wer an dieser Preistreiberei eigentlich die Verantwortung trägt. ({4}) Und weil das so ist, ist es neben der Lösung der großen Frage der Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher auch eine große Herausforderung und Aufgabe für uns, auch für die Unternehmen, die gerade mit enorm hohen Preisen konfrontiert sind, eine Entlastung herbeizuführen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mohrs, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das tut nun wirklich nicht not und hilft uns in der Sache auch nicht weiter. ({0}) Wir haben die Aufgabe, für Unternehmen eine Entlastung herbeizuführen. ({1}) – Sie wollen sich nur in Ihrem eigenen Populismus sonnen. Bleiben Sie lieber sitzen. Wenn diese Debatte Ihre Intelligenz übersteigt, dann tut mir das leid, Herr Gottschalk. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Mohrs, ich habe die Uhr angehalten. – Ich bitte darum, auch bei Zwischenrufen den Mund-Nasen-Schutz entsprechend zu tragen. ({0}) Beim nächsten Regelverstoß behalte ich mir die entsprechenden Ordnungsmaßnahmen vor. ({1}) So, Sie haben wieder das Wort.

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich setze noch einmal an mit einer weiteren Maßnahme, die wichtig ist, nämlich die Unternehmen in unserem Land zu entlasten. Wir haben die große Aufgabe, sowohl bei Unternehmen zum Beispiel im Logistikbereich, die unter enorm hohen Kraftstoffkosten leiden – und am Ende werden die Kosten an den Verbraucher weitergegeben –, als auch bei energieintensiven Unternehmen – die Glashütten in Bayern sind angesprochen worden – für eine Entlastung zu sorgen. Aber eben nicht, indem wir wilde Subventionspolitik betreiben, sondern indem wir systematisch dafür sorgen, dass der Preis nach unten geht. Das ist doch unsere kluge Verantwortung, der wir in dieser besonderen Ausnahmesituation gerecht werden müssen. Weil wir wissen, dass diese Maßnahmen an vielen Stellen auch auf europäischer Ebene abgestimmt werden müssen, ist es jetzt unsere Aufgabe, eine Brücke für diese Unternehmen zu bauen, damit sie mit der Liquidität über die Runden kommen, damit ihre Existenzen und die Arbeitsplätze nicht gefährdet sind. ({0}) Herr Spahn, ich gebe Ihnen bei einem Punkt in Ihrer Rede ausdrücklich recht: Sie haben als CDU/CSU nicht die Verantwortung zur Regierungsbildung bekommen, sondern wir als Ampel. Und ich füge hinzu: Das ist gut so. – Ihren Antrag lehnen wir ab. Vielen herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Gast)

Politiker ID: 11003212

Liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Man könne sich keine bessere Werbung für ein Geschichtsstudium vorstellen als die geschichtsklitternden Aufsätze des russischen Präsidenten; das habe ich vor Kurzem in einem Artikel gelesen. Wir alle lernen gerade, dass wir besser mehr gelernt hätten. Wir wissen zu wenig über die Geschichte der Ukraine. Wir wissen vor allem zu wenig über unsere eigene, die deutsche Verstrickung in die jüngere Geschichte dieses Landes. Denn wüssten wir mehr, könnten wir besser verstehen, in welcher Verantwortung wir stehen. ({0}) Wir erleben den Unterschied zwischen demokratischen und autokratischen Staaten im Umgang mit ihrer eigenen Geschichte: hier, jetzt im Deutschen Bundestag, und weniger als zwei Flugstunden weiter östlich, in Moskau. Zwei Enquete-Kommissionen hier und in ihrer Folge eine Bundesstiftung, die sich seit mehr als 20 Jahren um den aufklärerischen Umgang mit einem schmerzhaften Kapitel deutscher Geschichte bemüht, und ein Autokrat dort, der Krieg führt, um seine Fiktion russischer Geschichte und Größe mit Waffengewalt durchzusetzen. Wer also fragt, ob man das Thema SED-Unrecht nach 30 Jahren nicht zu den Akten legen könne, ob nicht gerade diese Geschichte zwischen Ost- und Westdeutschen stehe und eine dauernde Beschäftigung damit nur verhindere, dass alte Wunden heilten, dem will ich sagen: Sich der eigenen Geschichte zu stellen, das verlangt gerade diesen aufmerksamen und genauen Blick. Es setzt voraus, dass wir auch eigener Schuld und eigenem Versagen nicht ausweichen. Die Bundesrepublik musste diesen Blick auf die NS-Geschichte mühsam und gegen jahrzehntelange innere Widerstände lernen. Aber sie ist an dieser Auseinandersetzung gewachsen, gewachsen auch in den vergangenen 30 Jahren an der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit. Ja, sie ist auch an den Auseinandersetzungen darüber gewachsen, ob wir von einer deutschen und demokratischen Republik, einer SED-Diktatur oder einem Unrechtsstaat sprechen wollen oder sprechen müssen. Wie sollten wir an solchen Debatten nicht wachsen? Wir würden es nur dann nicht mehr, wenn in unserem Land die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte staatlich reglementiert würde, wenn zivilgesellschaftliche Institutionen – so wie Memorial in Russland – drangsaliert und liquidiert würden und ein betoniertes Geschichtsbild jeden Diskurs darüber unterbinden würde. Das Gegenteil ist der Fall. Und dazu haben auch und maßgeblich beide Enquete-Kommissionen und seit 1998 die Bundesstiftung Aufarbeitung beigetragen. ({1}) Wir sind ein offeneres Land, eine vielfältigere, eine buntere Gesellschaft geworden. Wir haben keine Scheu, uns auch den unbequemen und bedrückenden Orten der DDR-Geschichte zu stellen: in Hohenschönhausen, an der früheren Berliner Mauer, in Bautzen oder in Hoheneck. Ja, und auch das gehört zur Wahrheit: Je offener, je pluraler, je demokratischer diese Gesellschaft wird, desto lauter und vehementer wird der Widerstand. Wir können ihn auch hier im Haus immer wieder vernehmen. Deshalb spreche ich von Erinnern für die Zukunft. Aufarbeitung ist eine Aufgabe für Generationen. Sie ist nicht abgeschlossen, sie wird es auch niemals sein. ({2}) Sie kann es nicht sein; denn jede Generation stellt ihre Fragen an die Geschichte; denn das Vergangene ragt immer in Gegenwart und Zukunft hinein, ob wir das wollen oder nicht. Wie wir gerade erleben können, stellt auch die Geschichte ihre Fragen an jede nachfolgende Generation neu. Ich gebe zu: Auch ich sehe und bemerke, dass es Kapitel unserer Geschichte gibt, die ich mir erarbeiten und die ich bearbeiten muss, wie Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte, der gemeinsamen ukrainisch-deutschen, aber auch der russisch-deutschen Geschichte. ({3}) In unserer Aufmerksamkeit nicht nachzulassen, eben das bedeutet, historisches Wissen für die Zukunft produktiv zu machen. Nichts anderes haben die beiden Enquete-Kommissionen geleistet. Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat sich selbst Erinnerung als Auftrag gestellt. Sie begreift diesen Auftrag als einen dauerhaften Prozess von Erkenntnis und Vermittlung. Dazu gehören ganz zentral auch das Gedenken und die Erinnerung an die Opfer staatlicher Repression in der DDR. ({4}) Wie wir unserer Geschichte begegnen, was wir über sie wissen und wie wir mit ihr umgehen, bestimmt nicht nur unsere Gegenwart. Es wird unsere Zukunft bestimmen. Eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der SED-Diktatur, wie die beiden Enquete-Kommissionen sie angestoßen haben, wird Antworten auf Fragen geben können, die mit Blick auf unser künftiges Verhältnis zu autokratischen Staaten wie Russland aktueller sind, als uns lieb sein kann. Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitglieder der Enquete-Kommission! Sehr geehrte Opfer der SED-Diktatur auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Als die erste Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur am 12. März 1992 ihre Arbeit aufnahm, war ich gerade mal drei Jahre alt. Ich bin zwar noch zu und in DDR-Zeiten geboren, habe aber selbst keinerlei Erinnerung an sie. Wie so viele aus meiner Generation. Meine Generation ist die erste Generation des wiedervereinten Deutschlands. Wenn man die Ergebnisse der zwei Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur liest, dann überwiegt zuallererst eins: Ich bin der Generation meiner Eltern und Großeltern so unfassbar dankbar, dass sie für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind. ({0}) Dass sie mit all ihrem Mut diesen Unrechtsstaat zu Fall gebracht haben, dafür sage ich Danke. Der Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft schien lange Zeit unaufhaltsam. Der Frieden in Europa wurde für viele von uns zur Gewohnheit. Beides prägte den Zeitgeist meiner Generation. Doch die Zeiten haben sich geändert. Wir sind durch Putins menschenverachtenden Angriffskrieg gegen die Ukraine jetzt in der bitteren Realität angekommen. Es ist allerhöchste Zeit, unsere Sinne zu schärfen. Es ist allerhöchste Zeit, uns zu vergewissern, woher wir kommen und wohin wir mit diesem Land wollen. Die Ergebnisse der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – ich freue mich, dass auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse auf der Tribüne Platz genommen hat – sind hierfür von unschätzbarem Wert. Vielen Dank! ({1}) Dies ist eine historische Dokumentation und ein Auftrag an die nachkommende Generation, ja, an meine Generation, jedweder Verklärung oder Verharmlosung der SED-Diktatur mit ganzer Kraft entgegenzutreten, hier im Deutschen Bundestag, aber vor allem auch im Alltag von uns allen. Deswegen lassen Sie mich der Nachfolgepartei der SED hier eines mit auf den Weg geben: Liebe Linke, hören Sie endlich damit auf, das SED-Regime zu verklären und den Menschen in Ostdeutschland einzureden, dass die Bundesrepublik Deutschland sie nicht wertgeschätzt habe. Das ist grober Unfug, und das wissen Sie auch. ({2}) Erkennen Sie endlich an, dass das SED-Regime die DDR wirtschaftlich gegen die Wand gefahren hat. Es kann nur eine Antwort auf diese Erfahrung geben: Nie wieder Sozialismus. ({3}) Zu meiner Rechten in diesem Haus noch Folgendes: Wer an Stammtischen und auf Telegram-Kanälen die Bundesrepublik Deutschland als Coronadiktatur bezeichnet, der verherrlicht damit nicht nur die SED- und NS-Diktatur, sondern der sägt auch am Fundament unserer Demokratie, die uns allen heute ein Leben in Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ermöglicht. Das ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen. ({4}) Werte Frau Staatsministerin Roth, vielen Dank für Ihre Worte. Ich sitze gleich in einer Ostrunde mit Opfern des SED-Regimes zusammen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, heute eine Bitte der Opferverbände an Sie vorzutragen. Sie wurden mehrfach angeschrieben. Sicherlich konnten Sie sich wegen Corona noch nicht mit den Opfern treffen. Staatsminister Schneider ist der Bitte schon nachgekommen. Ich wollte heute in diesem Hohen Hause die Bitte loswerden, dass Sie diesem Wunsch der Opfer des SED-Regimes nachkommen und sich mit diesen schnellstmöglich zusammensetzen. Meine Generation ist die erste Generation des wiedervereinten Deutschlands. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Generation sind, die Brückenbauer sein wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Generation sind, die Ihnen gegenüber Verantwortung zeigt und den Spaltern in diesem Land ein Stoppschild zeigt, weil Sie sich an dem Tag auf den Weg Richtung Frieden, Freiheit und Demokratie aufgemacht haben. Ich sage im Namen meiner Generation: Danke für Ihre Arbeit und Ihren Einsatz. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich möchte es natürlich nicht versäumen, auch Herrn Präsidenten Thierse zu begrüßen. ({0}) Die anwesenden Mitglieder der Enquete-Kommissionen und Frau Zupke hatte ich vorhin schon begrüßt. – Das Wort hat die Kollegin Katrin Budde für die SPD-Fraktion. ({1})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im März 1992 waren die Transformation, der Strukturbruch in der Industrie, die Veränderungen in jeder Alltagssituation im Leben der Menschen in den damals noch jungen neuen Bundesländern in vollem Gange. Nach circa anderthalb Jahren hatte sich einfach alles verändert. In jedem Bundesland gab es ein neues Schulsystem, die neuen Bundesländer wurden gegründet. Es gab unterschiedliche Zuständigkeiten von Bund, Ländern, Regierungsbezirken, die es noch gab, Landkreisen, Städten, Gemeinden – all das wurde eingeübt. Betriebe, in denen ganze Generationen gearbeitet hatten – 40 Jahre lang hatten sie Arbeit und Alltag, Urlaub und Zugehörigkeit geprägt –, waren verschwunden. Sie wurden entweder geschlossen oder erst verkauft und dann geschlossen. Binnen kurzer Zeit waren 1 Million Menschen arbeitslos geworden. Die Zahl der Beschäftigten sank aber noch dramatischer: 9,8 Millionen waren es im Herbst 1989, 6,7 Millionen Ende 1991. 3,2 Millionen Menschen waren aus dem Arbeitsleben verschwunden; ein Drittel der Beschäftigten Ostdeutschlands. Und das war erst der Anfang. Der Mut der Friedlichen Revolution, die Freude über die deutsche Wiedervereinigung wurden in vielen Familien von Ungewissheit, Zukunftsangst überdeckt. Nicht nur die politischen Opfer der kommunistischen Diktatur verlangten nach Rehabilitation, nach Wiedergutmachung, nach Anerkennung – in allen Familien wurden Fragen gestellt. Meine Mutter hat das mal so beschrieben: Entlassen und freigestellt in Ersatzmaßnahmen, in Arbeitsmarktmaßnahmen wurde von unten nach oben: Stellvertretende Direktoren wurden Abteilungsleiter, Abteilungsleiter wurden Gruppenleiter, Gruppenleiter wurden Mitarbeiter. Und die jeweils ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten gehen. – So hielt man sich länger im Job. Das System der DDR funktionierte noch; denn Gruppenleiter, Abteilungsleiter, stellvertretende Direktoren waren mindestens SED- oder Blockpartei-Mitglied. Ich war 27 Jahre alt und die jüngste Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt. Meine Eltern waren 56 Jahre alt, so alt wie ich heute bin, und im Vorruhestand. Auch das ist mit eine Folge der SED-Diktatur, der geteilten Welt, der geteilten politischen, militärischen und ökonomischen Systeme. In diese Zeit hinein wurde die erste Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der Folgen der SED-Diktatur geboren. 27 Männer und Frauen, Mitglieder des Deutschen Bundestages aller Fraktionen, Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen, ein Theologe, ein Schriftsteller, ein Jurist, ein Publizist, stellten sich einer riesengroßen Aufgabe. Dafür herzlichen Dank. ({0}) Anfang der 90er-Jahre machte sich aus vielen Gründen Unzufriedenheit breit. Es wurde in der Öffentlichkeit über Tribunale diskutiert, die über die juristischen Verfahren hinaus moralische Urteile fällen, politische Schuld diskutieren und zuweisen sollten. Es wurde über eine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild nachgedacht. Wenn ich mich richtig erinnere, war es Markus Meckel – er war damals Mitglied des Bundestages –, der erzählt hat, dass er nach Gesprächen mit Martin Gutzeit und einigen erfahrenen Parlamentarierinnen und Parlamentariern den Vorschlag in die Öffentlichkeit gebracht hat, eine Enquete-Kommission zu bilden. Dass dieser Vorschlag eines damaligen Oppositionsabgeordneten im Bundestag aufgenommen und realisiert wurde, spricht für die demokratische Diskussionskultur unseres Hauses. Es spricht auch dafür, dass in unserer parlamentarischen Demokratie Mehrheiten auch jenseits der parteipolitischen Mehrheiten möglich sind. Ich will allen aus den damaligen Regierungsfraktionen danken, dass dies möglich war. Es war gut, dass der Bundestag als gewähltes und als legitimiertes Gremium sich dieser Aufgabe gestellt hat. Die Kommission sah es als ihre wichtigste Aufgabe an, die öffentliche Kenntnis über die DDR zu erweitern, Beurteilungen zu differenzieren, unterschiedliche Lebenserfahrungen zur Sprache kommen zu lassen. Sie fragte nach der Funktionsweise des Systems der Repression, nach Verantwortlichkeiten, nach der Situation der Opfer und ihrer Perspektive, nach dem Alltagsleben unter den Bedingungen einer Diktatur. Und immer wieder wurde auch die gesamtdeutsche Perspektive in den Blick genommen. Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte war damals und ist auch heute noch eine gesamtdeutsche Aufgabe. ({1}) Dass sie als eine solche gesehen wird, wurde damals erst nach und nach wahrgenommen, und ehrlich gesagt müssen wir alle auch heute noch darum kämpfen, dass das so ist. Lassen Sie mich deshalb aus dem Bericht der Enquete-Kommission zitieren: Dabei war sich die Enquete-Kommission stets bewusst, dass die historisch-politische Aufarbeitung der SED-Diktatur auf eine ungleiche Betroffenheit der west- und der ostdeutschen Bevölkerung, der Menschen in den alten und neuen Bundesländern trifft. Während an die Westdeutschen, die von der SED-Diktatur zumeist nicht existenziell berührt waren, kaum kritische Fragen gestellt werden, sehen sich viele Ostdeutsche in einer Situation der Selbstrechtfertigung. Und weiter: Die Enquete-Kommission macht vielmehr auf die Gefahr aufmerksam, dass durch verständnislose, unsensible „Vergangenheitsbewältigung“ gegenseitige Vorurteile unter den Deutschen in Ost und West wiederaufleben oder neu entstehen können. Das wirkt bis heute nach: gefühlte Demütigung, Abwertung, Verluste, Kämpfe um Neuanfang – wir reden heute von der Nichtanerkennung der Lebensleistung, oder eben doch? Und es wirkt auch nach in Wahlergebnissen und in Resignationen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Die deutsche Wiedervereinigung infolge der Friedlichen Revolution, möglich gemacht von mutigen ostdeutschen Bürgerinnen und Bürgern und akzeptiert von den damaligen Alliierten, ist ein riesengroßer Glücksfall. ({2}) Das Leben in einer Demokratie, das Lernen und Arbeiten, sich entwickeln zu können, Chancen zu haben, all das ist wunderbar. Aber die überwiegende Last der Wiedervereinigung haben die Ostdeutschen getragen; darauf – und dass dies anerkannt gehört – hat schon die erste Enquete-Kommission hingewiesen. Ein weiteres Zitat: Wenn anderenorts hervorgehoben wurde, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hauptsächlich die Menschen im ehemaligen sozialistischen Staat deutscher Nation berührt, so heißt dies keineswegs, dass die Bürger in der alten Bundesrepublik kaum oder gar nicht davon betroffen wären. Das Gegenteil ist richtig: „Sie sollen sagen,“ – so hat Jürgen Fuchs in der letzten Anhörung der Enquete-Kommission „zugespitzt und ungerecht-polemisch“, wie er selber einräumte, gefragt – „warum sie koexistiert haben, warum sie sich mit der Teilung und der Verletzung der Menschenrechte abfanden.“ Lassen Sie mich etwas deutlicher werden: Wir haben uns wirklich über die Westpakete zu Weihnachten gefreut: ein Paket Kaffee, zwei Tafeln Schokolade, löslicher Zitronentee, Lux-Seife, Dominosteine. All das in der Regel im Wert von 30 D‑Mark; denn diesen Betrag konnte man von der Steuer absetzen. Hat man auf politischer Ebene an die Wiedervereinigung geglaubt? Ich glaube, man war genauso überrascht davon wie wir, dass die Revolution friedlich war. Mir ist heute klarer als damals, dass ein politisches Eingreifen nicht möglich war. Mir ist heute klarer als damals, dass ein Eingreifen Krieg bedeutet hätte, Krieg zwischen der NATO und dem militärischen Ostblock; das wollte keiner. Und fallen Ihnen wie mir die Parallelen auf? Mir gehen sie seit dem Angriff Putins auf die Ukraine nicht mehr aus dem Kopf. Wieder – diesmal auch wir Ostdeutschen – stehen wir da, sehen verzweifelt zu, wie Menschen ermordet werden, eine Demokratie überrannt wird, Menschen fliehen, Familien auseinandergerissen werden, weil ein militärisches Eingreifen unsererseits noch mehr Krieg bedeuten würde. Ich verstehe das intellektuell; aber ich kann es emotional nicht akzeptieren. Das Gleiche gilt übrigens für Hongkong, für Taiwan, für Belarus – was kommt noch? –, Georgien, Moldau. Wenn die Demokratien dort hoffentlich doch siegen, dann werden sie uns mit zeitlichem Abstand das Gleiche fragen, was die Enquete-Kommission die alte Bundesrepublik gefragt hat. Ich werde keine zufriedenstellenden Antworten haben. Im Ergebnis der Enquete-Kommission wurden dem Deutschen Bundestag Empfehlungen vorgelegt. Einige davon sind Daueraufgaben, zum Beispiel die Rehabilitierungsgesetze für die Opfer der kommunistischen Diktatur – dort gibt es immer wieder neue Erkenntnisse –; die Weiterentwicklung des Gedenkstättenkonzeptes. Gut funktioniert hat die Gründung der Bundesstiftung Aufarbeitung – das ist ein Ergebnis der Enquete-Kommission –; sie wurde schnell umgesetzt und hat gut gearbeitet. Vielen Dank, Sie haben in der Zeit Großartiges geleistet. Die Forschung zu Diktatur und Transformation steckt noch in den Kinderschuhen. Das werden wir in dieser Legislatur angehen; darum müssen wir uns kümmern. Die Fragen, die die Enquete-Kommission aufgeworfen hat, sind damals wie heute aktuell; denn Geschichte ist nie abgeschlossen. ({3})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Sehr geehrte Mitglieder der Enquete-Kommissionen! „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.“ Dieser Satz von Walter Benjamin kam mir in den Sinn in der Vorbereitung auf die heutige Debatte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Barbaren begehen Verbrechen, seien es die Nationalsozialisten oder später die roten Sozialisten, und die darauffolgenden Generationen gründen Enquete-Kommissionen, Stiftungen, bauen Mahnmäler, veranstalten eine höchst skrupulöse Erinnerungskultur rund um das geschehene Verbrechen und Unheil – notwendig, aber bedrückend. Eines der zentralen Ergebnisse der ersten SED-Enquete-Kommission in den 90er-Jahren lautete – ich zitiere –: Der SED-Staat war eine Diktatur. Er war dies nicht durch Fehlentwicklung oder individuellen Machtmissbrauch – der kam im Einzelnen dazu –, sondern von seinen historischen und ideologischen Grundlagen her. Eine enorm wichtige Feststellung, bei der wir eines nicht vergessen dürfen: Die Partei namens Die Linke, die seit 1990 im Bundestag sitzt, die früher PDS hieß, hieß zuvor SED. Diese Linke ist rechtsidentisch mit der SED, sie zehrt noch heute von dem Vermögen, das sie den Bürgern der DDR geraubt hat, und sie fußt auch noch auf denselben ideologischen Grundlagen. Das ist eine Schande für dieses Hohe Haus und für das Land, meine Damen und Herren. ({0}) Die DDR hieß ausbuchstabiert: Deutsche Demokratische Republik. Daran sollten Sie bitte immer denken – vor allem Sie von der CDU –, wenn Sie sich hier gemeinsam mit allen anderen bis hin zur Linken „die demokratischen Fraktionen“ nennen. Demokratisch zu sein, heißt nicht, die vermeintlich einzig richtige Meinung und eine hypermoralische Gesinnung zu haben. Demokratisch zu sein, heißt, den Wettbewerb der politischen Ideen zu akzeptieren, echte Alternativen zuzulassen, meine Damen und Herren. ({1}) Sonst sind wir bei den Blockparteien der DDR, die eine Vielfalt vorgaukelten, wo es doch nur immer dasselbe in Rot, Gelb oder Schwarz gab. Die Ironie der Geschichte will es, dass sich alte Missstände aller Erinnerung und Mahnung zum Trotz hinterrücks wieder einschleichen, manchmal sogar dreist im Gewand der Erinnerung und Mahnung daherkommen. Der Abschlussbericht der zweiten Enquete-Kommission hielt folgendes sehr Wichtiges fest. Zitat: Der antitotalitäre Konsens als Teil einer demokratischen Erinnerungskultur ist eine der besten Bürgschaften dafür, daß sich nicht wiederholt, was sich nicht wiederholen darf. Diesen antitotalitären Konsens haben die ehemalige Familienministerin Schwesig, SPD, und der ehemalige Innenminister de Maizière, CDU, die die Extremismusklausel abschafften, sodass linksradikale Vereine wieder gefördert werden konnten, verlassen, ({2}) heftig bejubelt von Anetta Kahane, einem ehemaligen Stasispitzel, die heute wieder im Staatsauftrag Zensur betreibt. Man kann es sich nicht ausdenken. Diesen antitotalitären Konsens hat auch Innenministerin Faeser verlassen, die in einer Antifa-Postille schreibt und auf dem linken Extremismusauge völlig blind ist. Unter dem Banner des Antifaschismus – jetzt wohl endgültig Staatsdoktrin geworden – wird die freie Meinung heute wieder beschnitten und sanktioniert, werden Andersdenkende gecancelt und bestraft. ({3}) „Antifaschistischer Schutzwall“ hieß die Mauer bekanntlich im DDR-Jargon. Wohl zu ihrem eigenen Schutz sind etliche DDR-Insassen, die den Weg in die Freiheit suchten, an der Mauer verblutet. „Ich liebe doch alle Menschen“ – die berühmten Worte von Stasichef Mielke. Bereits vor sieben Jahren schrieb der „Stern“ in rhetorischer Übertreibung: „Deutschland ist komplett DDRisiert. … Anpassung wird belohnt, Widerspruch übt man besser still.“ Warum ist dergleichen heute in den staatsalimentierten Medien nicht mehr zu lesen? Weil sich alles derart gebessert hat? Oder weil das Meinungsklima inzwischen noch repressiver geworden ist? Bitte denken Sie darüber nach. Und bitte, Frau Roth: Schauen wir auf Russland, ja; aber kehren wir doch auch vor der eigenen Tür. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Linda Teuteberg hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der SED-Staat war eine Diktatur. Er war dies nicht durch Fehlentwicklung oder individuellen Machtmissbrauch – der kam im Einzelnen hinzu –, sondern von seinen historischen und ideologischen Grundlagen her. Die Hauptverantwortung für das Unrecht, das von diesem System ausging, trägt die SED. ({0}) Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen. Im Gegenteil: Die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR haben den schwereren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tragen gehabt. ({1}) Und schließlich: „Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft getragener antitotalitärer Konsens.“ Ich zitiere gern diese Worte aus dem Entschließungsantrag, mit dem sich der Deutsche Bundestag 1994 zum Abschlussbericht der ersten Enquete-Kommission in einem sehr breiten Konsens geäußert hat. Diese Klarheit in den Feststellungen – sie beruhte wohl auch auf der zeitlichen Nähe, darauf, dass die Vergangenheit noch qualmte, dass das unmittelbar Erlebte noch sehr nah war. Aus der Einrichtung der Enquete-Kommission sprach das ehrliche Bemühen, es diesmal besser zu machen und schneller mit der Aufarbeitung einer Diktatur zu beginnen, nicht erst auf eine nachfolgende Generation zu warten. Ich sage: Das ist richtig so. Die Klarheit dieses Entschließungsantrages zeigt es. In meinem Heimatland Brandenburg, wo es aus Gründen eine solche Enquete-Kommission ab 2010 gab, war es für meine Generation und andere nochmals notwendig, genau das für unser Bundesland aufzuarbeiten – und manche moralische Indifferenz nicht mehr klar zu benennen, was eine Diktatur war, wer die Verantwortung trug. Diese Entwicklung war schon da klar zu spüren, sehr geehrte Damen und Herren. Es gibt natürlich nicht nur Schwarz und Weiß auf der Welt, und moralischer Rigorismus ist fehl am Platz. Aber es ist eben auch nicht alles grau in grau. ({2}) Politische und moralische Schuld, für die unser Strafrecht im Rechtsstaat aus gutem Grund Grenzen hat, muss gesellschaftlich aufgearbeitet werden. Im öffentlichen Bewusstsein ist dabei oft wenig präsent, dass die Wiederaneignung der eigenen Geschichte ein zentrales Anliegen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR und auch bei unseren Nachbarn in Ost- und Mitteleuropa war. Die Gründung von Memorial fällt nicht ohne Grund in diese Zeit. Das „Sputnik“-Verbot 1988 in der DDR beruhte auch auf einer intensiven Geschichtsdebatte in der Sowjetunion, die man in der DDR beobachtete. „Meine Akte gehört mir“ war das individuelle Anliegen der Bürgerinnen und Bürger der DDR, um die Hoheit über die eigene Biografie zu bekommen. Gesellschaftlich ging es darum, den Machthabern, die ein taktisches Verhältnis zur Geschichte hatten, die Deutungshoheit über die Geschichte der Diktatur zu entziehen, sehr geehrte Damen und Herren. ({3}) Wenn man sich nun die Beiträge der Enquete-Kommission für die politische Kultur unseres Landes anschaut, dann habe ich jetzt nicht die Zeit, um auf alle vielfältigen Beiträge einzugehen. Dazu gehört allerdings die Auseinandersetzung mit dieser zweiten deutschen Diktatur als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu gehört, dass die Enquete-Kommission viel Material, einen wertvollen Steinbruch für Forschung und politische Bildung, hinterlassen hat. Dazu gehört, dass sie das Leid der Opfer und die Leistungen von Widerstand und Opposition erstmals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt hat, und das war bitter nötig; denn die Opposition hatte kein Staatstheater in der Diktatur, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das wohl wichtigste Ergebnis allerdings, finde ich, ist die Formulierung des antitotalitären Konsenses – auch ganz aktuell für unsere heutige Auseinandersetzung mit Extremismus. Jürgen Habermas formulierte ihn 1994 bei einer Anhörung. Er sagte zum Beispiel: Diese Aufeinanderfolge von zwei Diktaturen kann einer lehrreichen optischen Verstärkung der totalitären Gemeinsamkeiten dienen. – Dieses Bekenntnis von Habermas führte dazu, dass ein Teil der Öffentlichkeit seinen Kalten Krieg gegen die Totalitarismustheorie Hannah Arendts einstellte und diese Theorie wieder dorthin brachte, wo sie hingehört, nämlich in das mannigfaltige Theorienregal, aus dem man sich ungestraft bedienen kann. Der antitotalitäre Konsens allerdings ist leider aufgeweicht. Das ist ein Erfolg jener, die die Diktatur nicht Diktatur nennen wollen. Und es ist eine besondere Langzeitwirkung der kommunistischen Diktatur, die mittlerweile weitaus weniger östlich der Oder als vielmehr westlich der Elbe wirkt. Beispiele dafür sind die heutige Verharmlosung des Linksextremismus oder von RAF-Terroristen. Auch ein revisionistisches Geschichtsbild, das dem von Putin nicht unähnlich ist ({4}) und zum Beispiel ein ambivalentes Verhältnis zum historischen Fakt des Hitler-Stalin-Paktes hat, findet man bei manchen, die sich heute selbst des Antifaschismus rühmen. ({5}) Wessen Freiheit durch eine Mauer, die als antifaschistischer Schutzwall bezeichnet wurde, geraubt wurde, der kann nicht euphorisch klatschen, sondern der schaut ganz genau zweimal hin, ob diejenigen, die gegen etwas sind, auch für das sind, worauf es ankommt, nämlich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Insofern dürfen wir uns nichts vormachen: Bei Geschichte und bei Deutungskämpfen um die Geschichte geht es um die Systemfrage, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Ich wünschte, die letzten drei Wochen hätten uns nicht in dieser Deutlichkeit zeigen müssen, dass, um es mit Ralf Dahrendorf zu sagen, 1989 nicht Ende, sondern Wiederbeginn der Geschichte war, und zwar im Guten wie im Schlechten. Geschichte verläuft weder zufällig noch zwangsläufig. Sie gibt uns eine Verantwortung. Geschichtsvergessenheit ist eine Form des politischen Analphabetismus.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Feinde der Freiheit – ich komme gleich zum Schluss – nutzen Geschichte taktisch. Die Verteidiger der Freiheit brauchen Geschichtsbewusstsein als Rüstzeug, um unsere Demokratie wehrhaft nach innen und nach außen zu machen. Lassen Sie uns diesen Auftrag annehmen. Vielen Dank. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 12. März 1992 setzte der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ ein. 1995, drei Jahre später, folgte eine zweite Enquete-Kommission. Wir begrüßen es als Linke ausdrücklich, dass wir heute an beide Kommissionen erinnern. ({0}) Wir als Die Linke sind und bleiben in besonderer Verantwortung. ({1}) Richtig und notwendig – so bezeichnete Dietmar Keller, der damalige Obmann der PDS, diese Enquete-Kommission. Ja, diese parlamentarischen Kommissionen, auch mehrheitlich ostdeutsch besetzt, waren Meilensteine in der Aufarbeitung – trotz des parteipolitischen Einflusses. Denn auch den gab es. Insbesondere sei an die Bundestagswahlkämpfe 1994 und 1998 erinnert. Ja – das gehört zum Erinnern dazu –, die PDS sah und Die Linke sieht, wie auch viele Ostdeutsche, noch heute Aspekte zur deutsch-deutschen Geschichte und zur DDR anders als damals die Mehrheit in der Enquete-Kommission, die die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag abgebildet hat. Aber unzweifelhaft gilt, erstens, vor allem und zuallererst die Entschuldigung bei den Opfern der damaligen Zeit, ({2}) zweitens, die Feststellung „Die DDR ist zu Recht gescheitert“ und, drittens: Die Hauptverantwortung für das, was von diesem System begangen wurde, trägt die SED. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an die damaligen Debatten erinnern. Es gibt zum Beispiel zwei Aspekte, die wir anders sahen und sehen: Erstens. In der Aufarbeitung ging es auch um die Frage der Legitimität des Versuches, nach dem Zweiten Weltkrieg ein anderes Deutschland aufzubauen. Diese Legitimität war da. Diese Legitimität war im Ausgang des Zweiten Weltkrieges begründet. Wir dürfen niemals vergessen – auch nicht in diesen Tagen, nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine –: Ohne die Sowjetunion und die Rote Armee wäre Europa, wäre Deutschland vom Hitler-Faschismus nicht befreit worden. ({3}) Zweitens. Auch deshalb ist dieser Versuch, der spätestens nach dem Mauerbau zu Recht gescheitert ist, nicht im Ansatz zu vergleichen mit dem NS-Regime. So waren aber die Debatten um die sogenannte zweite deutsche Diktatur. Das hat sich zum Glück verändert. Im Übrigen hat die Gruppe der PDS im Deutschen Bundestag damals neben der Mitarbeit in der Enquete-Kommission auch eine eigene Schriftenreihe herausgegeben, immerhin elf Bände. Andere Blockparteien könnten sich daran ein Beispiel nehmen. ({4}) Zudem gab es auch eine alternative Enquete-Kommission im Osten; auch das war wichtig. Die PDS, die einen beträchtlichen Teil der ostdeutschen Bevölkerung vertreten hat, hat ihren Verdienst an der Aufarbeitung, der Einheit und dem Zusammenwachsen unseres Landes. Auch das sollte heute anerkannt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im schon benannten Entschließungsantrag zum Abschlussbericht der Kommission 1994 hieß es damals: Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung – keine Verurteilung – der ihr unterworfenen Menschen, im Gegenteil. Wenn wir heute an die Zeit der Aufarbeitung erinnern, müssen wir uns aber auch fragen, ob wir diesem Ziel in den vergangenen 32 Jahren immer gerecht geworden sind. Ich erinnere zum Beispiel an den kompletten Personalwechsel nach der Wende in den Spitzenjobs der ostdeutschen Gesellschaft oder daran, dass Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner ihre Ansprüche aus DDR-Zeiten bis zum heutigen Tag nicht anerkannt bekommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie in Ihrer Redezeit – dazu besteht jetzt die Möglichkeit – eine Zwischenfrage zulassen?

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Frau Teuteberg.

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, dass Sie die Frage zulassen. – Da das wichtig ist, möchte ich kurz nachfragen, ob ich Sie richtig verstanden habe: Ist es so, dass Sie sagen, bis zum Mauerbau 1961 war es ein legitimer Preis für Ihr politisches Anliegen, einen ideologisch anders ausgerichteten Staat zu bilden, dass es keine freien und geheimen Wahlen gab, in denen die Bevölkerung im Osten unseres Landes der SED jemals ein Mandat dafür erteilt hätte, die Geschicke dieses Landes zu bestimmen? Ist das legitim Ihrer Meinung nach, oder wollen Sie behaupten, dass es damals freie und geheime Wahlen gab?

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin, genau da haben Sie mich natürlich falsch verstanden. Ich habe gar nicht gesagt, dass es bis 1961 irgendwie einen demokratischen Versuch des Staates gab. Es ist allgemein bekannt – auch das hat ja der Bericht der Enquete-Kommission mehrfach zutage getragen –, dass es eben undemokratische Strukturen gab, dass Wahlen nicht demokratisch stattgefunden haben, dass Repressionen zu ertragen waren. Meine Partei und ihre Vorgängerpartei, der ich nie angehörte, haben sich für viele dieser Verfehlungen auch deutlich entschuldigt. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die, die das System der DDR mitgetragen haben, auch im Block, auch entschuldigt hätten. Das vermisse ich allerdings bis heute. ({0}) Ich erinnerte an den Personalwechsel und an das, was die Renten betrifft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Erinnern für die Zukunft“, so lautet der Titel unserer Debatte. Was könnte das heute heißen? Die Geschichte der Ostdeutschen ist mehr als SED-Diktatur. Das gilt im Übrigen auch für die Zeit vor 1989. Aber was ist mit der Zeit nach 1989? Die damalige Kommission kann Vorbild sein für eine Nachwende-Enquete-Kommission, die wir dringend im Bundestag brauchen. Die Fehler der Einheit und der 90er-Jahre gehören endlich parlamentarisch aufgearbeitet. Die beiden Untersuchungsausschüsse zur Treuhand waren keine Wahrheitskommissionen. Das konnten sie auch deshalb nicht sein, weil erst heute die Akten dazu zugänglich sind. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss: Ich möchte Robert Grünbaum von der Bundesstiftung, die 1998 als Konsequenz gegründet wurde, noch zum Abschluss zitieren: Vielleicht hätte man die herausragende Lebensleistung der Ostdeutschen, nämlich 40 Jahre in einer Diktatur gelebt zu haben und dann einen gesellschaftlichen Umbruchsprozess sondergleichen bewältigt zu haben, in den zurückliegenden 30 Jahren stärker würdigen müssen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Bernhard Herrmann das Wort. ({0})

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen ist es kaum möglich, auf unsere innerdeutsche Geschichte zurückzuschauen, ohne den Blick auch auf den brutalen Angriffskrieg und das menschliche Leid in der Ukraine zu richten. Die Menschen dort verteidigen ihr Land und die demokratischen Werte vor einem Diktator und Aggressor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Entschuldigung! – Frau von Storch? ({0}) Ihre Maske hängt wieder woanders. ({1}) Das fällt auch sehr auf. Wir haben gestern schon mehrfach darüber gesprochen. Als Nächstes muss ich Ihnen dann einen Ordnungsruf erteilen. ({2}) Herr Herrmann hat jetzt wieder das Wort. – Bitte schön.

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Demokratie wünschen sich aber auch viele Menschen in Russland, die sich trotz drakonischer Strafen trauen, gegen das diktatorische Putin-Regime auf die Straße zu gehen. Sie haben nicht vergessen, was sie und ihre Nachbarn verbindet. Auch sie wollen Frieden und Freiheit. Der Wunsch nach Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung hat auch 1989 viele Menschen in der DDR gegen die SED-Diktatur auf die Straße gebracht. Mutig haben sie sich dem autoritären Regime friedlich entgegengestellt, leisteten Widerstand in einer Diktatur. Persönlich hatte ich das Glück, die anfangs sehr schwierigen, dann aber ungeheuer befreienden Ereignisse mitzuerleben. Es war nicht sicher, dass es im Herbst 1989 friedlich bleibt. Die Panzerwagen standen hinter unserer Dresdner Studentenwohnung, keine 300 Meter vom Stadtzentrum entfernt. So manch einer von uns entging um Haaresbreite dem drakonischen Zugriff der sich letztmalig aufbäumenden DDR-Staatsmacht. Wer so etwas mit der Situation heute vergleicht, schlägt den Menschen von damals ins Gesicht. Schämen Sie sich auf der Seite der AfD! ({0}) Zum Glück blieb es 1989 friedlich. Um Haaresbreite hätte es anders ausgehen können. Nachdem die staatliche Einheit Deutschlands wiederhergestellt war, trug der überparteiliche Ansatz zu einer gemeinschaftlichen Aufarbeitung zum Zusammenwachsen unseres Landes bei. So in etwa äußerte sich mal Markus Meckel – vollkommen zu Recht. Es waren die Erfahrungen beinahe dreier Generationen west- und ostdeutscher Abgeordneter mit den diktatorischen Herrschaftssystemen des 20. Jahrhunderts und der Blockkonfrontation in Europa, die die Themen und zugleich den langen Atem für ein über sieben Jahre währendes intensives Aufarbeitungsprojekt des Deutschen Bundestages prägten. Als der erste gesamtdeutsche Bundestag 1992 die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland beschloss, da wussten die Akteure, dass Aufarbeitung sehr viel Arbeit und Zeit für Reflexion, Diskussion und wissenschaftliche Analyse braucht und dass die Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen und deren Folgen sowie die Entwicklung einer Erinnerungskultur langwährende Prozesse sein werden. Deswegen war die Einsetzung einer zweiten Enquete-Kommission Mitte der 90er-Jahre wichtig, die sich mit der Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit auseinandersetzte. Resultate waren die Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 1998 und die Entwicklung einer gemeinsamen Erinnerungskultur an beide Diktaturen in Deutschland. Viele Opfer der SED-Diktatur leiden bis heute an den Folgen des politischen Unrechts, sind wirtschaftlich und gesundheitlich schlechtergestellt als die durchschnittliche altersentsprechende Bevölkerung. Menschen kamen zu Unrecht ins Gefängnis, wurden psychischem Druck durch Zersetzungsmaßnahmen ausgesetzt, wurden beruflich benachteiligt, und Familien wurden durch Zwangsadoptionen getrennt. Nicht alle Opfer politischen Unrechts sind bis heute rehabilitiert, wurden entschädigt oder werden angemessen unterstützt. Getanes Unrecht kann nicht wiedergutgemacht werden. Umso wichtiger ist es, dass im Koalitionsvertrag der erleichterte Zugang zu Hilfen und Leistungen für die Opfer und die Einrichtung eines Härtefallfonds vereinbart sind. Heute, 30 Jahre nach der Einsetzung der ersten Enquete-Kommission, bewegen mich folgende drei Gedanken: Erstens. Es besteht eine breite, überparteiliche Einigkeit darüber – heute wie damals –, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur unsere gesamtdeutsche Verantwortung ist und bleibt, da sie Teil unserer gemeinsamen Geschichte ist. Auch das trägt dazu bei, unser Land zusammenzuhalten. Zweitens. Wir dürfen die Opfer politischen Unrechts niemals vergessen. Wir müssen ihrer würdig gedenken und erinnern. Neben Orten des Gedenkens sind auch Bildungsangebote, wie zum Beispiel durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung, sehr wichtig. Das bedeutet aber auch, dass wir diejenigen, die noch immer ohne adäquate Anerkennung an den Folgen leiden, schnell und stärker unterstützen müssen. ({1}) Drittens. Gerade in diesen Tagen, wo nach wie vor Diktatoren nicht nur die Menschen in ihren eigenen Ländern unterdrücken, sondern auch Angriffskriege gegen Demokratien führen, müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wie wichtig jede und jeder Einzelne im Kampf für eine freie und offene demokratische Gesellschaft ist. ({2}) Auch das gehört zu den Erfahrungen, die ich in zwei grundsätzlich verschiedenen Gesellschaftssystemen machen durfte: In der Demokratie, aber ganz besonders auch in einem Unrechtsstaat wie der DDR kommt es immer auch auf das menschliche Handeln an, auf die Mitmenschlichkeit einer und eines jeden Einzelnen. Mitmenschlichkeit ist deshalb auch Hoffnung und Gebot, gerade für die heutige Zeit. Vielen Dank. ({3})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die Opfer nicht aus den Augen und Herzen verlieren“ – lieber Rainer Eppelmann, so fassten Sie den Leitgedanken der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ zusammen. Sie waren Vorsitzender dieser Kommission. Mit ihren Mitgliedern haben Sie sich vor 30 Jahren einer Mammutaufgabe gestellt, der Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaates, und dafür danke ich Ihnen auch im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({0}) Um diese Aufarbeitung geht es heute. Denn die Geschichte der DDR als SED-Unrechtsstaat ist kein abgeschlossenes historisches Kapitel. Die Teilungsgeschichte wirkt bis heute. Die Kommission war nicht unstrittig. Nicht jeder wollte zurückblicken. Die einen hatten genug damit zu tun, sich eine neue Existenz aufzubauen; die anderen hingen einem geschönten DDR-Bild an. Und dann gab es die ideologischen Baumeister, die großen und kleinen Handlanger der DDR-Diktatur. Sie wollten nicht erinnern an Schießbefehl, Zwangsadoptionen, standrechtliche Erschießungen am 17. Juni, an Bespitzelung, an Entrechtung. Die Stasi war dafür das Instrument, aber die Täter waren eine Partei, nämlich die SED. ({1}) Die SED herrschte verstörend, zerstörend. Zurück blieben ein marodes Land mit kaputter Umwelt und Industrie und eine Gesellschaft, die zutiefst traumatisiert war. Leider gibt es die Verleugner bis heute, auch in diesem Haus. Was man mit Geschichtsklitterung machen kann, hat uns der Kollege von der Linken gerade eindrucksvoll dargestellt. Die Rote Armee als bejubelte Befreier – das ist schon ein interessantes Bild. Auch heute finden sich unter den Linken immer noch Aktivisten des SED-Regimes, von der SED über die PDS zu den Linken. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Sie sind bis heute anfällig für Diktaturen. Das zeigt Ihr verzerrter Blick auf Diktator Putin. Hier können Sie übrigens der AfD die Hand reichen, die dem Kriegstreiber hinterherrennt. ({2}) Das ist die Warnung für die Demokratie: Nehmt euch in Acht vor den Demagogen aller Schattierungen, die verflossene Diktaturen schönreden oder erneut den autoritären Staat herbeirufen wollen, passt auf! Genau diese demokratische Kraft führte 1992 zur Einsetzung der Kommission. Das Besondere: Die Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde nicht als ostdeutsche Aufgabe gesehen, sondern als gesamtdeutsche; denn sich mit der DDR zu beschäftigen, heißt, immer auch das geteilte Deutschland in den Blick zu nehmen. Die Mitglieder aus Ost und West, aus Politik und Gesellschaft arbeiteten über Jahre, übrigens ehrenamtlich, und mit dem ersten Bericht entstand ein einzigartiges Zeugnis, aus dem heute bereits zitiert worden ist. Der Kernsatz: Der SED-Staat war eine Diktatur, getragen von einer Partei. Zu diesen Feststellungen bekannte sich 1994 die überwältigende Mehrheit des Deutschen Bundestages, übrigens mit einer Ausnahme: Die PDS lehnte den Bericht ab. Aber Unrecht lässt sich nicht verleugnen, und Unrecht hat kein Verfallsdatum. ({3}) Viele der Empfehlungen der beiden Kommissionen wurden in die Tat umgesetzt, wie das Gedenkstättenkonzept des Bundes. Dazu gehörten und gehören Orte wie die ehemalige Stasizentrale, Hohenschönhausen, Bautzen und so viele andere Orte, an denen Menschen gequält, entrechtet und getötet wurden. Mit der Gründung der Bundesstiftung Aufarbeitung wurde ein einzigartiges Instrument geschaffen, das seit 1998 die Zivilgesellschaft dabei unterstützt, die Geschichte weiter aufzuarbeiten und jüngeren Generationen zu vermitteln. Aber es gibt noch offene Punkte, die wir umsetzen müssen, gemeinsam mit Ihnen, der Opferbeauftragten, liebe Evelyn Zupke. Dazu gehören die Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden, die bessere psychologische Betreuung der Opfer, die Unterstützung von Opfern, die bei ihrer Flucht in osteuropäischen Ländern inhaftiert worden sind. Hier sind wir alle gefordert. Und übrigens: Ein Denkmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft ist längst überfällig. ({4}) Bei alldem stehen wir an der Seite der Koalitionsfraktionen, wenn sie gemeinsam mit uns diese Dinge angehen wollen. Denn wir dürfen, wie Rainer Eppelmann sagte, die Opfer nicht aus den Augen und den Herzen verlieren. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung hat, wie Sie sehen, der Kollege Staatsminister Carsten Schneider jetzt das Wort. ({0})

Carsten Schneider (Gast)

Politiker ID: 11003218

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Connemann, ich finde, dass die Debatte bisher davon geprägt war, die Arbeit der Enquete-Kommissionen und auch die des Bundestages in Form einer Aufarbeitung und Versöhnung zu würdigen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich die Zuspitzung, die Sie im Mittelteil Ihrer Rede bezogen auf den Kollegen Pellmann gemacht haben, nicht nur für falsch halte, sondern dass sie der Debatte insgesamt nicht würdig war, auch der ausdrücklichen Entschuldigung des Kollegen Pellmann und der Verantwortung seiner Partei nicht. Das, finde ich, gehört an diesem Punkt mit dazu. ({0}) Da komme ich gar nicht mehr auf den Punkt mit den Blockparteien zu sprechen; das wäre viel zu billig. Ich bedanke mich vielmehr bei den Kolleginnen und Kollegen Merkel, Eppelmann, Thierse und weiteren, die heute alle da sind. Sie haben in den 90er-Jahren hier im Deutschen Bundestag, in der Öffentlichkeit die wichtige Aufarbeitungsarbeit zur SED-Diktatur geleistet. Sie haben die Basis dafür gelegt, dass wir gerade in Zeiten, wo wissenschaftliche Erkenntnisse zum Teil mit kruden Theorien infrage gestellt werden, eine gemeinsame Ausgangs- und Bewertungsbasis hinsichtlich des DDR-Staates, des SED-Unrechtsregimes haben. Das ist extrem wichtig, weil das zu einer Befriedung der Gesellschaft in Ostdeutschland beigetragen hat. Frau Kollegin Budde hat vorhin exemplarisch an ihrer Familie deutlich gemacht, wie das in den 90ern war. Bei mir war es so, dass meine Mutter in gar keiner Partei war. Sie war nur im FDGB – das ist der Gewerkschaftsbund gewesen –, damit man ab und zu mal einen Urlaubsplatz bekommen hat. Aber gleich nach der Wende musste sie erst mal zusehen, dass sie, nachdem sie als Ingenieurin ihren Job verloren hatte, sich wieder etwas aufbaut, in dem Fall als Selbstständige mit einer Wäscherei. Das war ein permanenter Druck, ein permanentes Ums-Überleben-Kämpfen. Das galt für viele Millionen Menschen, die Teil des Systems der DDR waren. Auch wir hatten einen Ausreiseantrag gestellt – natürlich nicht ich, aber meine Eltern. Trotzdem miteinander zu leben, Mitglied in einem Sportverein zu sein, gemeinsam Feste zu feiern – das war nicht ganz einfach. Aber es ist gelungen. Das war eine sehr große Integrations- und Aufarbeitungsleistung. Es ging darum, von allen Seiten auch zu verzeihen und zu sagen, was ist, alles offenzulegen, auch die Stasiakten, alle Verbindungen etc. Es ging auch darum, gemeinsam dieses Land, diese Gesellschaft zu verbinden und miteinander zu leben. Das ist, wie ich finde, angesichts der Dimension der Verletzungen, die viele Menschen davongetragen haben – Familien wurden getrennt, es gab Tote, es gab die Jugendwerkhöfe –, nicht nur nicht zu unterschätzen, sondern eine große soziale Leistung unserer Gesellschaft, die zudem unter großem ökonomischem Druck erbracht wurde. ({1}) Dabei beziehe ich die Union ausdrücklich mit ein. Ich möchte das hier nicht als eine Zuspitzung verstanden wissen, sondern als etwas Verbindendes, auf das wir stolz sein können. Der Bundestag hat in dieser Zeit mit den beiden Enquete-Kommissionen, aber auch mit den Entscheidungen für die Einrichtung der Stasiunterlagenbehörde, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, aber auch den Entschädigungsgesetzen, die erst später kamen, die richtigen Weichen gestellt, um für die Zukunft erinnern zu können. Das Erinnern für die Zukunft ist ein ganz entscheidender Punkt, weil nicht nur hier im Bundestag von denjenigen, die damals mitten im Leben standen, auch zu DDR-Zeiten, so viele nicht mehr da sind. Es sind natürlich noch einige da, aber viele sind mittlerweile keine Abgeordneten mehr. Die Schlüsse, dass Demokratie stets und ständig verteidigt werden muss und dass es immer auf jeden Einzelnen ankommt – der Kollege von den Grünen hat darauf hingewiesen –, wie er mit seiner Verantwortung und mit seinem Mitgefühl umgeht, müssen uns immer wieder prägen und sorgen so dafür – vor allem vor den aktuellen Herausforderungen –, dass wir nicht in eine totalitäre Gesellschaft abgleiten, sondern eine demokratische, offene Gesellschaft bleiben. Diese Herausforderungen sind nach zwei Jahren Corona und mit der jetzigen Kriegsangst größer, als sie wahrscheinlich in den 2000er- und in den 2010er-Jahren waren. Ich möchte Sie hier im Bundestag einladen, dass wir die Erfahrungen, die viele Ostdeutsche, aber auch viele Westdeutsche, die nach Ostdeutschland gekommen sind, die den Wiederaufbau vorangebracht haben, miteinander teilen. Das alles hat dazu geführt, dass wir heute – ich habe es in einer Zeitung gelesen – von der „Boom-Region Ostdeutschland“ reden können, wobei das nicht eine Schlagzeile ist, die sich eine Werbeagentur ausgedacht hat, sondern begründet ist auf zwei großen Unternehmensansiedlungen. Ich bedanke mich nochmals beim Wirtschaftsministerium, bei Robert Habeck, und bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzministerium, dass die Mikroelektronikansiedlung in Magdeburg mit Intel gelingt. Ich bedanke mich auch bei der Landesregierung von Sachsen-Anhalt. Da werden am Ende über 20 000 Industriearbeitsplätze geschaffen. Wir werden in den nächsten Wochen in Brandenburg auch die Tesla-Fabrik einweihen können. Das sind klare Signale, dass der Osten nicht nur boomt, dass es dort nicht nur sehr schön ist und dort sehr tapfere, aufrechte und kluge Menschen wohnen, sondern dass hier auch die Zukunft liegt. Ich möchte die Transformationserfahrungen, die viele aufgrund extremer Veränderungen in ihren Biografien erlebt haben, einbringen in dieses von der Koalitionsregierung – dazu zählt aber auch die letzte Bundesregierung, die Union war dabei – neu zu gründende Einheits- und Transformationszentrum. Diese Erfahrungen können als Brückenschlag insbesondere für die Länder in Mittel- und Osteuropa dienen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die aber nicht wie die Ostdeutschen aus dem deutschen Bundeshaushalt im sozialen und ökonomischen Anpassungsprozess unterstützt worden sind. Ich glaube, dass das auch ein Brückenschlag sein kann, um das Unverständnis, das zumindest gegenüber einigen osteuropäischen Ländern in einigen Teilen Europas vorhanden ist, zu überwinden. Ich möchte Sie dazu einladen, das in den nächsten Monaten mit in die Gründungsphase einzubringen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Götz Frömming das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dieser Rede muss ich ein paar Sekunden meiner begrenzten Redezeit dem Kollegen Schneider widmen, dem Herrn Staatsminister. Herr Schneider, ich bin schon überrascht, mit welcher Selbstgefälligkeit Sie die Rolle der SPD hier beschrieben haben. Ich darf doch an einem Tag wie heute daran erinnern, dass es die SPD war, die als Erste mit der SED-Nachfolgepartei, mit den Linken, ins Bett gestiegen ist und damit auch dazu beigetragen hat, dass ein Stück weit die Geschichte verharmlost wurde. ({0}) Meine Damen und Herren, man muss sich natürlich fragen – bei allem Lob, das heute schon zu Recht gegenüber den Enquete-Kommissionen ausgesprochen worden ist –, was tatsächlich davon in der Gesellschaft angekommen ist. Haben wir tatsächlich ein Bewusstsein dafür, was und wie die DDR wirklich war? Ich fürchte, nein. Wie sonst ist es denn zu erklären, dass die simple Feststellung, dass auch die DDR ein Unrechtsstaat war, immer wieder zu politischen Kontroversen führt? Wie sonst ist es denn zu erklären, dass der Linksextremismus von Medien und Politik nach wie vor verharmlost wird? Wie sonst ist es zu erklären, dass wir über 30 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur immer noch kein zentrales Denkmal für die Opfer des Kommunismus haben? Das alles ist beschämend! ({1}) Das sind allerdings nur die Symptome; es ist nicht die Krankheit selbst. Die Schüler sind nicht dafür verantwortlich, wenn die staatliche Wissensvermittlung versagt. Die linke Indoktrination beginnt oftmals schon in den Schulen und wird an den Universitäten vollendet. Dass die Mehrheit der Journalisten mit linksradikalen Parteien sympathisiert, ist bekannt. Das hat Auswirkungen, die die ehrenwerte Arbeit der Enquete-Kommission oder auch des Forschungsverbundes SED-Staat mitunter ins Leere laufen lassen. Klaus Schroeder, der langjährige Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat, hat unlängst resignierend festgestellt – ich zitiere –: Die Auseinandersetzung mit dem SED-Staat hat keinen festen Platz in unserem historischen Gedächtnis. Das Wesen der DDR bestand darin, Bürger in Untertanen zu verwandeln. Heute beschneidet der Staat wieder die Freiheit der Bürger, schränkt die Grundrechte ein, ob nun im Namen des Klimas, neuerdings der Gesundheit oder des demokratiefeindlichen Kampfes gegen rechts. Wobei, diese Verkürzung „Kampf gegen rechts“ ist natürlich kein Zufall. Mit diesem Framing grenzen Sie einen Großteil der demokratischen Opposition gleich mit aus. Liebe Kollegen von der CDU/CSU, ich kann Sie nur warnen, sich an dieser Stelle vor den Karren der Linken spannen zu lassen; denn am Ende wird er auch Sie überrollen. ({2}) Meine Damen und Herren, der Bundesgesundheitsminister hat unlängst in einem Podiumsgespräch erklärt, wir kämen jetzt in eine Phase hinein, wo der Ausnahmezustand zur Normalität wird. Herr Lauterbach, da werden wir nicht mitspielen. Der Souverän in diesem Land – das ist immer noch der Demos, das ist das deutsche Volk. Demokratie heißt, dass wir die Rückverwandlung von halben Untertanen in Bürger wollen. Das ist der Auftrag für echte Demokraten. Die Lektion aus 40 Jahren DDR, und das ist auch die Lektion –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– ich komme zum Ende – aus der Enquete-Kommission, kann nur lauten: Nie wieder Sozialismus. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt hier im Haus zum ersten Mal unser Kollege Nico Tippelt, dem ich für seine Arbeit im Haus alles Gute wünsche. ({0})

Nico Tippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005239, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Mitglieder der Enquete-Kommission! Es ist für mich eine große Ehre, hier meine erste Rede zu diesem Thema in einem frei gewählten Parlament, hier im Hohen Hause, halten zu dürfen. Ich möchte eine kleine Episode aus dem biografischen Gedächtnis meiner Familie voranstellen – erlebt inmitten der DDR. Wir, meine Familie, haben einen christlichen Hintergrund. Meine Schwester wurde damals im Rahmen ihrer Berufsorientierung zu ihrem Schuldirektor vorgeladen. Gleichzeitig anwesend waren ihr Klassenlehrer und der SED-Parteisekretär der Schule. Die damals noch Minderjährige fand sich dort massiv mit weltanschaulichen Fragen konfrontiert: Ob ihre Oma das wolle, dass sie sich konfirmieren lasse usf. Mit der Verpflichtung, dass sie auf ihre Bewerbung mit dem Berufswunsch Lehrerin verzichtet. Christen sollten keine Lehrer werden in der DDR. Mein Vater und meine Mutter sind damals Sturm gelaufen gegen diese Verfahrensweise, welche exemplarisch für den Umgang des SED-Regimes der DDR mit Andersdenkenden war. Und so habe ich eine ganze Reihe Freunde, denen trotz bester schulischer Leistungen verwehrt worden ist, eine weiterführende Schulbildung im SED-Regime anzugehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, schon sind wir mitten in diesem Thema, und es stellt sich die zentrale Frage: Wieso ist es so wichtig, vergangenes Unrecht aufzuarbeiten? Immer wieder wird unsere Demokratie vor neue Herausforderungen gestellt. Vor über 30 Jahren erlebten Deutschland und Europa eine Welle der Euphorie, als der Eiserne Vorhang fiel. Ein Historiker, wie es schon angeklungen ist, stellte gar die These vom Ende der Geschichte auf. Gerade in diesen Wochen erleben wir jedoch, dass die Geschichte uns in Europa nicht in Ruhe lässt. Viele von uns in Deutschland – und wir haben Präsident Selenskyj heute Morgen eindringlich erlebt – hätten einen Krieg wie den Russlands in der Ukraine nicht mehr für möglich gehalten. Einen Satz habe ich in letzter Zeit wieder häufiger gehört: „Man muss nur lange genug gelebt haben, um zu sehen, wie sich Geschichte wiederholt.“ Die Erkenntnis unterstreicht aus heutiger Sicht, warum Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit so wichtig sind, warum wir uns gerade den weniger schönen Seiten unserer Geschichte zuwenden und stellen müssen. Der Enquete-Kommission von 1992 bis 1994 kam erstmals die Aufgabe zu, sich nicht nur um die justizielle Aufarbeitung zu bemühen, sondern die Täter und Akteure im DDR-System zu benennen. Bei dieser Aufarbeitung ging es auch um die Glaubwürdigkeit unserer gemeinsamen demokratischen Institutionen und darum, wie unser Staat und unsere Gesellschaft mit vergangenem Unrecht umgehen. Die Bürger, die immer wieder die Aufarbeitung von SED-Unrecht gefordert haben, haben unserer Gesellschaft einen großen Dienst erwiesen. Sie verdienen nach wie vor unsere Unterstützung. Die beiden Enquete-Kommissionen haben durch ihre engagierte Arbeit aufgezeigt: Die Aufarbeitung der SED-Herrschaft ist ein gesamtdeutsches Thema, ein Thema, welches uns alle angeht. Und ich bin dankbar, dass sich dadurch auch Familien in Ost und West wieder nähergekommen sind. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Jonas Geissler hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vor nicht ganz vier Wochen gesehen, dass der Tagesordnungspunkt „30 Jahre Enquete-Kommission“ heute aufgerufen wird. Ich habe mich aktiv darum bemüht, sprechen zu dürfen, und zwar habe ich das aus einem Grund gemacht: Ich habe am Vorabend des letztjährigen Reformationstags das große Privileg gehabt, Rainer Eppelmann in Coburg kennenlernen zu dürfen. Er hat aus seinem Leben erzählt; er hat aus seiner politischen Laufbahn erzählt. Er hat in unglaublich großen Worten die kleinen Geschichten der DDR geschildert. Herr Eppelmann, mich hat das wahnsinnig berührt. Vor allen Dingen haben Sie einen Satz gesagt, der sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hat; ich würde ihn mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren. Als Sie Bürger der DDR waren, hat Vaclav Havel zu Ihnen gesagt: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass es Sinn macht, egal wie es ausgeht. – In meinen Augen ist diese Überzeugung die passendste Definition von Mut, die man sich überhaupt nur aussuchen kann. ({0}) Es ist eine Definition vom Mut derjenigen, die auf die Straße gegangen sind. Es ist eine Definition vom Mut, gegen ein Unrechtsregime einzustehen. Es ist eine Definition vom Mut, gegen die Feinde der Freiheit hoffnungsvoll aufzustehen. Als die Enquete-Kommission vor 30 Jahren eingerichtet wurde, waren die Befürchtungen einer parteiischen Aufarbeitung groß. Ich glaube, der 30 000-seitige Abschlussbericht der beiden Kommissionen zeigt, dass diese Befürchtungen absolut unbegründet waren. Rita Süssmuth hat es damals als „einzigartiges Zeugnis der Vergewisserung gerade eben erlebter Vergangenheit“ dargestellt. Am eindrucksvollsten in diesen Seiten sind und bleiben aber die Schilderungen der Opfer des Regimes, des Leids, das erlitten wurde. Als in der damaligen Debatte zur Entgegennahme des Abschlussberichts der Initiator der Enquete-Kommission, Markus Meckel – ich freue mich sehr, dass Sie da sind –, resümiert hat: „Leid kann nicht rückgängig gemacht, verlorene Lebenschancen können nicht zurückgegeben werden“, war das ein Auftrag für uns alle – den wir mitnehmen müssen –, dass sich Geschichte in Zukunft eben nicht wiederholt. Sepp Müller hat vorhin gesagt, er kann sich selber nicht an die DDR erinnern, weil er zu jung ist. Ich bin 37; ich kann mich noch an die DDR erinnern, weil mein Wahlkreis direkt an der innerdeutschen Grenze liegt. Wenn ich als Kind mit meinem Papa von Kronach nach Coburg gefahren bin, dann war da eine scharfe Kurve, wo ein großer Grenzturm stand. Ich habe damals mit den Augen eines Kindes gefragt: Papa, was ist das? Mein Vater hat mir gesagt: Das ist die Grenze. Dann habe ich gefragt: Was ist auf der anderen Seite? Dann hat er gesagt: Da sind auch Deutsche. Dann habe ich gesagt: Fahren wir da doch hin! Dann hat er gesagt: Das ist leider nicht so einfach. – Diese Erinnerungen haben sich bei mir so tief eingebrannt. Dann kam die Kindheit, wo du erlebst, wie ein Volk zusammenwächst, wie die ersten Schulfreunde von ihren Fluchtgeschichten, die sie früher erlebt hatten, erzählt haben, wie du – ich wohne ja auf der bayerischen Seite der Grenze – Freunde hattest, die ganz komisch geredet haben, Thüringisch, und die dann deine besten Freunde wurden, ({1}) weil du auf einmal gemerkt hast: Wir wachsen zusammen. Die Jahre, wo wir uns selbst als Ossis oder Wessis definiert haben, geraten in Vergessenheit. Wenn wir heute in diesem Haus stehen, dann müssen wir uns bewusst machen, was der Deutsche Bundestag eigentlich ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Ihre Redezeit war abgelaufen. Und bevor Sie noch weiter über „komisches Thüringen“ reden, ({0}) sage ich Ihnen als Thüringerin: Kommen Sie doch bitte zum Schluss!

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. – Wir werden uns auch in Zukunft weiter erinnern, und dafür bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. ({0})

Simona Koß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005112, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn wir es schon getan haben, lassen Sie uns noch einmal 30 Jahre zurück auf das Jahr 1992 schauen. Damals setzte der 12. Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ ein. Die Arbeit und die Ergebnisse dieser Enquete-Kommission standen und stehen bis heute im Schatten anderer Ereignisse wie etwa des Mauerfalls am 9. November 1989, der ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 oder des 3. Oktober 1990, des Tags der Deutschen Einheit. Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte es die Einsetzung der Kommission durch dieses Hohe Haus verdient, sehr viel mehr im Interesse der Öffentlichkeit zu stehen. Ein kurzer Blick zurück in das Jahr 1992. Damals drückten die hohe Arbeitslosigkeit im Osten, die hohen Kosten der Wiedervereinigung, die Folgen der Stasibespitzelungen und ‑verfolgungen und die Ossi-Wessi-Diskussionen die Stimmung. Kurz gesagt: Es gab genug zu tun, mit dem man sich hätte beschäftigen können, aber es brannte der Ehrgeiz und die Notwendigkeit, sich mit der Geschichte und den Folgen der SED-Diktatur auseinanderzusetzen. Mit der Einsetzung der Kommission war der hohe Anspruch verbunden, über 40 Jahre DDR nicht nur juristisch, sondern auch moralisch und politisch aufzuarbeiten. Man widerstand – und das war eine große Leistung – der Versuchung, ein Tribunal einzusetzen, und entschied sich für ein Gremium des Deutschen Bundestages als Ausweis demokratischer Legitimität. ({0}) Dies, meine Damen und Herren, war im Übrigen eine Idee von Markus Meckel, einem sozialdemokratischen Mitglied des Deutschen Bundestages, mit dem ich gestern telefonieren konnte. Die Aufarbeitung, so Markus Meckel wörtlich, war wichtig, weil auch DDR-Bürgern vieles nicht bekannt war; denn es fehlte Öffentlichkeit. Er hat im Gespräch noch einmal darauf hingewiesen, wie wichtig damals und heute die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für unsere demokratische und politische Kultur war und ist. ({1}) Markus Meckel war damals ein Oppositionspolitiker, und er ist bis heute stolz darauf, dass er aus dieser Rolle heraus die Idee einer Enquete-Kommission einbringen konnte und sich diese Idee durchgesetzt hat. ({2}) Die Enquete-Kommission, auf die wir heute zurückblicken, bestand aus 16 Abgeordneten und 11 Experten. Von den Abgeordneten waren immerhin 5 – und damit fast ein Drittel – Frauen, von den Experten nicht eine. Heute wäre das übrigens undenkbar. ({3}) Beide Kommissionen – der ersten folgte bekanntlich eine zweite im 13. Deutschen Bundestag – haben viel erreicht. Sie haben weiße Flecken ausmalen können. Sie haben der Geschichtsforschung unglaublich wichtige Unterlagen zur Verfügung stellen können. Sie haben eine gesamtdeutsche Perspektive einnehmen können. Sie haben die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur initiiert. Und sie haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Menschen die Möglichkeit gegeben, sich mit ihrer eigenen Verantwortung und ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. ({4}) Bis heute allerdings wirken die Spuren des SED-Systems nach. In Bad Freienwalde bei mir im Wahlkreis, in Märkisch-Oderland, stand das sogenannte DDR-Durchgangsheim, im Volksmund „Kindergefängnis“ genannt, in dem sogar dreijährige Kinder untergebracht waren. Als Mutter stockt mir hier der Atem. Unter unmenschlichen Bedingungen wurden Kinder hier bis zu einem halben Jahr festgehalten, ehe sie zur Zwangsadoption übergeben wurden. Erst nach jahrelangem Rechtsstreit sind ehemalige Zwangsuntergebrachte 2019 vom zuständigen Landgericht Frankfurt (Oder) rehabilitiert worden. Erst diese Entscheidung hat die Tür für weitere erfolgversprechende Verfahren, Haftentschädigung und Opferrente geöffnet. Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt, dass es auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall noch viel zu tun gibt, jenseits juristischer, politischer und moralischer Aufarbeitung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Simona Koß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005112, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben uns im Koalitionsvertrag ganz konkrete Maßnahmen vorgenommen. Packen wir es an, und vollenden wir gemeinsam das, was vor 30 Jahren auf den Weg gebracht wurde! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mehr Redezeit gibt es hier nur einmal: bei der ersten Rede. – Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Der ersten Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, eingesetzt vor 30 Jahren, gehörten 16 Bundestagsabgeordnete an, mehrheitlich aus Ostdeutschland. Den Vorsitz übernahm der DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann. Der Fokus dieser Enquete-Kommission lag auf der Analyse der Vergangenheit durch Darstellung der Zusammenhänge der Wirkmechanismen in der SED-Diktatur. Zu den sechs Themenfeldern der Enquete-Kommission gehörte unter fünftens „Rolle und Selbstverständnis der Kirchen“. Und tatsächlich waren die Kirchen, waren Christen unter den ersten Opfern der SED. 1952 wurde entlang der Demarkationslinie ein 5 Kilometer breiter Streifen, ein Sperrgebiet, eingerichtet. Somit lagen im katholischen Eichsfeld von 85 Pfarreien 40 im Sperrgebiet. Gottesdienste, Wallfahrten, Prozessionen waren verboten, Bischöfen und Priestern die Einreise untersagt. Widerständiges Verhalten wurde mit Gefängnis und Zwangsaussiedlung bestraft. In den Akten der Abteilung Inneres beim damaligen Rat des Kreises Heiligenstadt sind diese Repressalien dokumentiert. Aber es finden sich auch Berichte über den Widerstand, welchen Christen und Kirchgemeinden gegen diese religiöse Unterdrückung geleistet haben. Es sind Glaubenszeugnisse, und es gehörte Zivilcourage und Mut dazu; es war eben kein Spaziergang. ({0}) Der ersten SED-Enquete-Kommission war ein Treffen von zwei Dutzend Politikern mit DDR-Biografie am 14. Dezember 1991 im Bonhoeffer-Haus in Berlin vorausgegangen. Eingeladen dazu hatte der evangelische Pfarrer Christian Dietrich. Im Ergebnis kam es zur Gründung des Forums zur Aufklärung und Erneuerung mit Wolfgang Ullmann als Vorsitzendem und zur Einsetzung dieser Enquete-Kommission zur Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur. Der Kommissionsauftrag war, offene und verdeckte Repressionsmechanismen offenzulegen und das Alltagsleben in der SED-Diktatur zu erkunden. Auch sollten Seilschaften und Nachwirkungen der SED-Diktatur aufgeklärt werden, inklusive der Modrow-Regierung. Denn mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot war eine juristische Aufarbeitung der SED-Diktatur nur eingeschränkt möglich, und die Strafverfolgung wurde nach einigen Prozessabbrüchen öffentlich als schwach wahrgenommen. Es stand zu befürchten, dass die Akzeptanz des Rechtsstaates nachhaltig beschädigt wird. Und es war den SED-Funktionären gelungen, sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen und alles der Staatssicherheit, der Stasi, in die Schuhe zu schieben. Die Presse und auch Teile der westdeutschen Öffentlichkeit machten dabei mit, und ganz, ganz schnell saßen SED-Funktionäre in den Talkshows und erklärten die Welt. Doch aus den Tätern von gestern sollten nicht die Gewinner der Wende werden, und die Menschen aus Ostdeutschland sollten nicht aus ihrer Geschichte vertrieben werden. Am 17. Juni 1994 hat Gerd Poppe dazu im Deutschen Bundestag Folgendes ausgeführt: Neuland betreten hat der Deutsche Bundestag auch mit diesem ungewöhnlichen Antrag. Es steht ihm gut an, in der ersten Legislaturperiode nach dem Zustandekommen der deutschen Einheit diesen Versuch unternommen zu haben … Es ging nicht um die Demütigung der Ostdeutschen …, sondern um die Wiederherstellung ihrer Würde. Und weiter sagte er: Die Ergebnisse sind nicht in elitären Zirkeln, sondern vor den Augen der Öffentlichkeit zusammengetragen worden. Meine Damen und Herren, diese erste Enquete-Kommission vor 30 Jahren war der Versuch, einen antitotalitären Konsens zu finden. Heute, 30 Jahre später, ist uns dieser antitotalitäre Konsens verloren gegangen. Auch gibt es bis heute keinen Hochschullehrstuhl zur Geschichte des Kommunismus in Deutschland. – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich finde, nachdem es nunmehr 146 Genderprofessuren gibt, wäre ein Lehrstuhl zur Erforschung der SED-Diktatur nicht weniger bedeutsam. Vielen Dank. ({1})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Januar drohte Innenministerin Nancy Faeser der Messenger-App Telegram mit der Abschaltung als Ultima Ratio. Markus Söder stimmte ihr zu und forderte das Geoblocking. Und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius wollte den Messengerdienst aus den App-Stores verbannen. Die Politik scheint sich einig: Telegram ist gefährlich. Telegram muss weg, wenn sich der Macher von Telegram nicht den Wünschen der deutschen Regierung beugt. Pawel Durow, der Gründer von Telegram, kennt dieses Vorgehen schon, allerdings nicht von westlichen Demokratien; denn bisher sind lediglich Länder wie China, Weißrussland, Russland oder der Iran gegen Telegram vorgegangen. Dass die Bundesrepublik tatsächlich mit dem Gedanken spielt, sich in diese Liste einzureihen, ist eine Schande für unser Land, meine Damen und Herren, ({0}) und offenbart eine Doppelmoral, die ihresgleichen sucht. Denn vor zwei Jahren hatte die deutsche Politik noch einen sehr positiven Blick auf Telegram. Ich erinnere an das Lob, als sich Oppositionelle in Weißrussland darüber organisiert haben. Jetzt ist Telegram zu einem der wichtigsten Kommunikationskanäle in der Ukraine geworden. Ukrainische Telegram-Kanäle senden meistens in drei Sprachen: in Ukrainisch, in Russisch und in Englisch. So bekommen auch wir mit, was dort los ist. Dadurch nutzen auch viele Menschen in Russland die App, um auf Nachrichten zuzugreifen, die nicht der staatlich sanktionierten Version der Ereignisse entsprechen. Pawel Durow sagte neulich: Vor neun Jahren habe ich die Privatsphäre von Ukrainern gegen die russische Regierung verteidigt – und verlor meine Firma und mein Zuhause. Ich würde ohne zu zögern wieder so handeln. So spricht jemand, dem die Freiheit wirklich etwas bedeutet, der sich Machthabern entgegenstellt und die Rechte der Bürger schützt, auch wenn er dafür Opfer bringen muss. ({1}) Auch in Deutschland lobt man den Einsatz von Telegram in der Ukraine. Aber sobald sich die außerparlamentarische Opposition in Deutschland über Telegram organisiert, wird der Messengerdienst plötzlich zum Problem für die Politik und steht ein Verbot von Telegram zur Debatte. Es wird Druck auf Apple und Google ausgeübt, damit sie der App mit Rausschmiss drohen, und nichts unversucht gelassen, ganze Kanäle zu sperren. Dass sogar Justizminister Marco Buschmann von der FDP betont hat, dass das NetzDG verbindlich sei, selbstverständlich auch für Telegram gelte und er den Messengerdienst strenger kontrollieren will, macht einen dann vollends fassungslos, war es doch die FDP, die in der letzten Legislaturperiode mehrfach die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gefordert hat. ({2}) Alles vergessen! Ich frage mich, wie Sie morgens noch in den Spiegel gucken können, werte Kollegen. ({3}) Die Abschaltforderung zeigt auch, wie wenig Fachwissen vorhanden ist. Russland hat das mit der Abschaltung bereits versucht. Die haben 18 Millionen IP-Adressen blockiert in der Hoffnung, Telegram abschalten zu können. Das Ergebnis: Staatliche Webseiten waren nicht mehr erreichbar, Bankdienstleistungen, KI‑Systeme, Onlinespeicher; überall kam es zu Ausfällen. Und Telegram? Telegram wechselte einfach die Server und machte weiter. Russland gab irgendwann auf. Die Freiheit hatte gewonnen. Dafür soll sie nun in Deutschland beschnitten werden. Dabei geht es um Kontrolle. Die Menschen sollen sich nicht ohne Aufsicht vernetzen. Die Menschen sollen sich nicht verabreden, nicht zu Spaziergängen und nicht zu Protesten. Die Regierung hat Angst vor der eigenen Bevölkerung. ({4}) Meine Damen und Herren, die Abschaltung von Telegram in Deutschland wäre ein fatales Signal für die Welt gerade in der heutigen Zeit, ({5}) ganz davon abgesehen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein solches Vorgehen als grundrechtswidrig eingestuft hat. Das scheint der Innenministerin entfallen zu sein. Die AfD-Bundestagsfraktion fordert daher von der Bundesregierung: Kein Verbot und keine Netzsperren für Telegram! Keine Anwendung des NetzDG! Google und Apple nicht unter Druck setzen, dass sie legale Softwareanwendungen aus ihren Stores werfen! Stattdessen sollte sie die Mittel des Rechtsstaates verbessern und dafür sorgen, dass mehr Polizisten und Staatsanwälte eingestellt und gesondert geschult werden, damit sie auch im Netz ihren Job machen können; denn im Internet gelten die gleichen Gesetze wie in der analogen Welt. Liebe Kollegen, schützen Sie mit uns das von der Verfassung garantierte Recht auf Meinungsfreiheit ({6}) auch im Internet und auf Messengerdiensten, und stimmen Sie unserem Antrag zu. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ihre erste Rede hier im Haus hält jetzt für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Zanda Martens. ({0})

Dr. Zanda Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! ({0}) Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger! Es handelt sich bei Telegram doch längst nicht mehr um einen reinen Messengerdienst für Individualkommunikation. ({1}) Telegram nutzen heute weltweit mehr als eine halbe Milliarde Menschen. Es gibt offene und geheime Telegram-Gruppen, in denen man in Text, Ton und Bild kommuniziert. Es können Telegram-Kanäle mit unbegrenzter Abonnentenzahl angelegt werden. Telegram, das sind soziale Netzwerke auf einer digitalen Plattform. Aber auch auf digitalen Plattformen gelten unsere Menschen- und Grundrechte. Sie kennen keine Trennung von Online- und Offlinewelt. Sie müssen sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt angewendet werden. ({2}) Natürlich, auch auf Telegram gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Es wird auch nicht durch dumme Meinungen verwirkt. Auch systemkritische und für manche gefährliche Meinungen sind auszuhalten. Aber selbst die Freiheit von Meinungen findet ihre Grenzen an dem Punkt, wo die menschliche Würde und andere Gesetze verletzt werden. ({3}) Nebenbei: Für uns Demokratinnen und Demokraten ist Faschismus keine Meinung. Auch Gewaltfantasien sind keine Meinung. Man muss es ganz klar sagen: Nicht alles, was man von sich gibt, ist eine Meinung, deren Äußerung durch das Grundgesetz geschützt ist. ({4}) Wer Hetze, Hass und Gewaltaufrufe oder bewusste Falschinformationen verbreitet, mag sich vielleicht selbst im Gebrauch seiner Meinungsfreiheit sehen. Aber tatsächlich ist es deren Missbrauch. In manchen Telegram-Kanälen wird offen zu Hass und Gewalt aufgerufen bis hin zu Mord und Staatsumsturz. Zu finden sind auch Gewaltaufrufe gegen Politiker/-innen und Wissenschaftler/-innen genauso wie Anleitungen zum Waffenbau. Alles kriminelle Taten, gegen die sich eine Demokratie wehren muss! ({5}) Hier zeigen sich der ambivalente Charakter von Telegram und unser Dilemma: Hier, in der Demokratie, kann eine Plattform wie Telegram das gesellschaftliche System schwächen. In Diktaturen und Autokratien bedeuten sie oft den einzigen Weg einer freien Kommunikation der Zivilbevölkerung ohne Überwachung und Repression. Gerade heute, in Bezug auf die Ukraine und Russland, ist es notwendig, einen Dissidentenkanal für Demokratieförderer sicherzustellen. In autoritären Staaten ist Telegram deshalb ein wichtiger Kanal für Menschen, die für eine solche freiheitliche Demokratie unter Gefahr für Leib und Leben und deshalb anonym und im geschützten Raum kämpfen müssen. Wie lässt sich also Meinungsfreiheit sichern, Hetze aber unterbinden? Wie lassen sich Kommunikationsfreiheit auf der einen Seite und klare Regelungen gegen Desinformation, Drohungen und Aufruf zu Straftaten auf der anderen Seite gleichzeitig umsetzen? Das ist eine komplexe Frage, die man abwägen, differenziert betrachten und beantworten muss. Diese Schritte sucht man bei der AfD vergebens. ({6}) Der einzig richtige Weg geht schlicht und einfach über unsere Grundrechte. Genauso, wie wir es analog seit Inkrafttreten des Grundgesetzes tun, dürfen auch die digitalen Plattformen kein rechtsfreier Raum bleiben. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland und viel mehr der Digital Services Act in der Europäischen Union müssen uns alle nötigen rechtlichen Instrumente an die Hand geben, damit auch Telegram nicht im rechtsfreien Raum bleibt. ({7}) Wir müssen der auf Social Media stattfindenden Radikalisierung und Enthemmung offensiv begegnen, zugleich aber bei der Kontrolle Maß halten. Wir wollen die Gefahr für unsere Demokratie abwenden. Wir wollen nicht die Menschen bestrafen, die Telegram als eine ganz normale Kommunikationsplattform nutzen. ({8}) Wie die Behörden habe auch ich den Verdachtsfall: Warum stellt die AfD heute einen solchen Antrag? Ihr Ruf nach Demokratie, Freiheit und Menschenrechten soll darüber hinwegtäuschen, dass die Einschränkung von Telegram-Diensten den Nährboden für diejenigen Bewegungen entziehen würde, die die AfD als ihre Überlebensgarantie und Vorfeldorganisationen dringend braucht. ({9}) Aber unsere Demokratie braucht sie nicht. Unsere Demokratie ist wehrhaft. Sie basiert auf starken Grundrechten, ({10}) die wir auch im digitalen Raum durchsetzen müssen. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Carsten Müller hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt von anderen Fraktionen als der CDU/CSU-Bundestagsfraktion immer wieder Überlegungen, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz für die Regulierung von Individualkommunikation über Messengerdienste heranziehen zu wollen. In der vergangenen Legislaturperiode gab es einen Ansatz der FDP. Es war vielleicht für den einen oder anderen etwas überraschend; aber die FDP wollte damals die Kommunikation über Whatsapp regulieren. Das ist, so habe ich damals schon gesagt, mit der Union nicht zu machen. Nun gibt es diese Überlegungen bezüglich Telegram auch beim aktuellen Justizminister. Die Bundesinnenministerin teilt offensichtlich ähnliche Vorstellungen. Allerdings schließt das NetzDG ausdrücklich aus, Plattformen, die zur Individualkommunikation bestimmt sind, in den Anwendungsbereich des NetzDG einzubeziehen. Die private Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land unterliegt zu Recht hohen Schutzhürden. Solche grundrechtswidrigen Ansinnen kommen übrigens nicht ausschließlich aus der FDP. Auch ein SPD-Landesinnenminister hat die Vorstellung, Geoblocking anzuwenden, was nichts anderes heißt als Netzsperren. Ehrlich gesagt: Dessen bedarf es gar nicht, weil Hass und Hetze auch schon heute in Fortführung des Gedankens der Störerhaftung erfolgversprechend in diesen Kommunikationskanälen begegnet werden kann. Es gibt also gute Möglichkeiten, das Ganze verfassungskonform zu regulieren und in den Griff zu bekommen. Ich will auch eines ganz deutlich für die Unionsfraktion zum Ausdruck bringen: Für uns steht es außer Frage, dass von Plattformbetreiberinnen und ‑betreibern und auch von Messengerdiensten erwartet werden muss, dass sie kooperativ mit deutschen Behörden zusammenarbeiten. Wer das verweigert – das soll hier deutlich gesagt werden –, der begibt sich in den Anschein, dass er es mit der Rechtsordnung in diesem Land nicht so genau nehmen will, und das können wir nicht dulden. ({0}) Ich will mich noch mal der Antragstellerin, der sogenannten AfD-Fraktion, zuwenden. ({1}) Da gibt es nämlich einige Besonderheiten. Das fängt schon in der ersten Zeile unter dem Wort „Antrag“ an. Schauen Sie sich mal die Namen an! ({2}) Sie finden dort den Abgeordneten Eugen Schmidt. Eugen Schmidt ist innerhalb des Bundestages der Nummer-eins-Propagandist des Kriegsverbrechers Putins. ({3}) Es gibt außerhalb des Bundestages und außerhalb der AfD andere Putin-Freunde, andere Propagandisten, aber, wie gesagt, dann außerhalb des Bundestages. Dieser Kollege Schmidt bestreitet in Putin-treuen russischen Staatsmedien aktuell, dass Deutschland ein Rechtsstaat sei, und verbreitet folgende Einlassung – ich will sie mal zitieren, damit wir wissen, wer diesen Antrag geschrieben hat –: Es gibt keine Demokratie in Deutschland. Das heißt, es wird eine einheitliche Meinung aufgedrängt, und zwar von der regierenden Elite, und alle anderen politischen Meinungen werden mit allen möglichen Mitteln unterdrückt: im Internet, in den Medien, unter anderem auch durch körperliche Übergriffe auf Andersdenkende. Damit nicht genug – nächstes Beispiel –: Die Medien werden in Deutschland selbstverständlich komplett von der Regierung kontrolliert. Das würde schon allein die Unionsfraktion nicht zulassen. Alternative, oppositionelle Meinungen sind nicht vertreten. Dabei liefert ebendieser Eugen Schmidt selbst das beste Beispiel dafür, dass das, was er da erzählt hat, komplett der Realität entbehrt, vollständiger Unsinn ist; denn ansonsten hätte er das nicht sagen können. Er kann diesen zynischen Unsinn nämlich vollkommen ungestraft verbreiten und, wenn er an dieser Debatte teilnehmen würde und sich als Redner hätte vormerken lassen, sogar hier vom Rednerpult. Meine Damen und Herren, ganz anders sieht es übrigens mit dem Mut und der Notwendigkeit, Meinungs- und Pressefreiheit zu schützen, aus, wenn wir uns die russische Journalistin Marina Owsjannikowa anschauen. Ich will es ganz ehrlich sagen: Ich glaube, ich hätte nicht den Mut gehabt, ({4}) in einer Sendung des russischen Staatsfernsehens dieses Transparent hochzuhalten. Für fünf Sekunden wichtigste Wirkung riskiert sie 15 Jahre Gulag. Hut ab! Diesem Verhalten gebührt höchster Respekt. ({5}) Übrigens hat sich der Kollege Schmidt einen Tag nach Verschärfung der Strafandrohung dafür, dass man in Russland die Wahrheit sagt, entsprechend eingelassen. Meine Damen und Herren, es ist geradezu grotesk, dass ausgerechnet eine Fraktion, deren Geschäftsmodell auf Hetze, Hass und Falschinformationen basiert, sich hier zum Thema Meinungsfreiheit äußert. ({6}) Aber weil wir diese Meinungsfreiheit haben, ist es nicht verboten. Ich will noch ein Letztes sagen. Sie fallen ja regelmäßig mit einem geradezu hymnischen Anbiedern und entsprechenden Äußerungen gegenüber dem Kriegsverbrecher Putin auf. ({7}) Und dieser Kriegsverbrecher Putin benutzt als Vorwand das Argument einer Entnazifizierung. Bemerkenswert ist, dass, wenn er das machte, diese Entnazifizierung gerade in Ihren Reihen große Lücken schlagen würde. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächste hat jetzt Tabea Rößner das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir kennen das ja schon aus der letzten Wahlperiode: Die AfD spielt sich als einzige Verfechterin der Meinungsfreiheit auf. ({0}) Wir wissen auch, dass das alles andere als glaubwürdig ist; denn Sie beschimpfen Andersdenkende, hetzen gegen Menschengruppen und diskreditieren Journalistinnen und Journalisten und unabhängige Medien. Das zeigt, was Sie unter Meinungsfreiheit verstehen. Dieses Verständnis teilt der Großteil dieses Hauses und auch der Bevölkerung nicht. ({1}) Wenn ein Abgeordneter aus Ihren Reihen sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin noch einmal den Abgeordneten Eugen Schmidt; ich habe mir das Zitat ebenfalls angeschaut ({2}) – ich finde es schlimm genug, dass solche Zitate zu lesen sind –: „Die Medien werden in Deutschland selbstverständlich komplett von der Regierung kontrolliert. Alternative, oppositionelle Meinungen sind nicht vertreten“, ({3}) dann frage ich: In welcher Welt leben Sie eigentlich? ({4}) Allein, dass Sie solchen Unfug verbreiten können, zeigt doch, dass Sie Ihre Meinung hier frei äußern können. Das ist manchmal echt schwer zu ertragen, aber das hält die Demokratie aus. ({5}) Der Abgeordnete setzte noch einen drauf und behauptete, die regierende Elite unterdrücke alle anderen Meinungen mit allen möglichen Mitteln und verfolge Andersdenkende in Deutschland mit Gewalt. Das, meine Damen und Herren, schürt Hass auf Politiker/-innen. Das können wir so nicht stehen lassen. Nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Halle, nach Hanau wissen wir, welche Taten folgen können. Diese zu verhindern, ist unsere Aufgabe. Einer solchen Aussage stellen wir uns als Demokratinnen und Demokraten entschieden entgegen. ({6}) Das war auch das Grundanliegen, weshalb das Netzwerkdurchsetzungsgesetz damals verabschiedet wurde. Dieses Anliegen war und ist berechtigt; denn in sozialen Netzwerken gibt es ein massives Problem mit rechtswidrigen Inhalten. Mord- und Gewaltaufrufe, extremistische und antisemitische Inhalte gehören dort zur Tagesordnung. Accounts von Demokratiefeinden, von rechtsextremen Gruppen oder von Pandemieleugnerinnen und ‑leugnern erreichen dort sechsstellige Follower-Zahlen. Bei der Vernetzung dieser Gruppen spielt Telegram eine entscheidende Rolle. In diesem Dunstkreis mischen Sie mit. Das zeigen Äußerungen von AfD-Politikern zu Umsturz- und Bürgerkriegsfantasien auf Telegram. Sie sind daher weniger der tapfere Ritter im Kampf gegen Zensur. Vielmehr wollen Sie eine Regulierung verhindern, die strafrechtlich relevanten Kanälen ein Ende bereiten könnte, von deren Reichweite Sie profitieren. ({7}) Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille: Netzwerke wie Telegram ermöglichen eine niedrigschwellige, selbstorganisierte Kommunikation, auf die man in vielen Teilen dieser Welt bitter angewiesen ist. Das sehen wir derzeit in der Ukraine und in Russland, ({8}) wo Journalisten und Journalistinnen und Oppositionelle wie auch Bürgerinnen und Bürger über diesen Dienst wichtige Informationen austauschen. ({9}) Das Informationsbedürfnis ist groß. Präsident Selenskyj, der hier heute Morgen gesprochen hat, erreicht über Telegram 1,5 Millionen Menschen. Zeitungen wie „Kyiv Independent“ berichten auf eigenen Kanälen über den russischen Angriffskrieg und versorgen die Menschen mit lebenswichtigen Informationen. Die Massendemonstrationen in Belarus vor anderthalb Jahren wurden über die App organisiert, als keine anderen Kommunikationswege mehr zur Verfügung standen. Man möchte vor Scham in den Boden versinken, wenn Sie sich mit den Verfolgten in autoritären Regimen auf eine Stufe stellen ({10}) und die Regulierung von sozialen Netzwerken als Schritt in die Diktatur anprangern. Wo bitte soll denn der autoritäre Staat sein, der Sie verfolgt, weil Sie Ihre hanebüchenen Verschwörungsmythen eines unterjochten Volkes kundtun, mit Desinformation aufwiegeln, menschenfeindliche Ressentiments bedienen und an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit balancieren? Um es klar zu sagen: Eine Sperrung von Telegram ist falsch; das haben wir stets betont. Auch die Entfernung aus den App-Stores wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Zudem würde es ja nur dazu führen, dass die Akteure in andere Netzwerke abwandern. Das weiß auch die Bundesinnenministerin, die ja gestern den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt hat. Dass darin an erster Stelle steht, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, sie zu entwaffnen, ist die richtige Schwerpunktsetzung; denn hier wurde zu lange zugeschaut. ({11}) Und ja, Behörden müssen so aufgestellt sein, dass sie auch in sozialen Netzwerken nach rechtsstaatlichen Verfahren ermitteln können. Der Messengerdienst als solcher ist ja nicht gefährlich. Auch die Motivation des Betreibers Pawel Durow mag einem hehren Ziel dienen, nämlich Nutzerdaten zu schützen, wie er es nach eigenem Bekunden bereits vor der russischen Regierung getan hat. Wir würden uns aber wünschen, dass er dafür auch endlich den Verschlüsselungsstandard von Telegram anhebt; denn noch müssen Oppositionelle, die verfolgt werden, zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen. Das Unternehmen muss erkennen, dass der Dienst massiv genutzt wird, um rechtswidrige Inhalte und Desinformationen zu verbreiten. Dabei drohen fatale Auswirkungen, wie wir es bei den gezielten Fehlinformationen im Kriegsgebiet in der Ukraine sehen können. Bei aller Vorsicht vor Überregulierung: In einem öffentlichen Raum gibt es Regeln, und an die müssen sich auch Anbieter von Plattformen halten. Dabei geht es bei Telegram ja nicht um den Eingriff in die Eins-zu-eins-Kommunikation oder in geschlossene Chatgruppen. Es geht da um öffentliche Gruppen, die Telegram als Massenverbreitungsinstrument nutzen. Die verschiedenen Kommunikationsteile von Telegram müssen daher getrennt betrachtet werden. Die Radikalisierung einer Minderheit, die in öffentlichen Gruppen stattfindet, stellt eine Bedrohung für die Gesellschaft und damit auch für unsere Demokratie dar. Es ist gut, dass es erste Anzeichen gibt, dass Telegram Verantwortung übernimmt. So löschte der Dienst bereits vor Jahren routinemäßig Propaganda des „Islamischen Staates“. In den vergangenen Wochen wurden auch 64 deutschsprachige Kanäle mit extremistischen Inhalten gesperrt. Aber um Willkür und unrechtmäßiges Löschen zu verhindern sowie Transparenz und Widerspruchsmöglichkeiten zu sichern, sind gesetzliche Regelungen notwendig. Und wenn wir vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz sprechen – übrigens ein Überbleibsel aus der Vorgängerregierung –: Wir haben unsere Bedenken bezüglich der Verfassungskonformität und des Unionsrechts sowie datenschutzrechtliche Bedenken aufgrund der Datenweitergabe an das BKA jahrelang geäußert. Unsere Änderungsanträge wurden damals alle abgelehnt. Nun befassen sich die Gerichte damit. Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Gesamtbetrachtung der Problematik geeinigt. Dazu gehören neben der Überarbeitung des NetzDG das Digitale Gewaltschutzgesetz, die Login-Falle und die Beseitigung offenkundig bestehender Durchsetzungsdefizite. Diese nationalen Regulierungen müssen in den europarechtlichen Rahmen eingebettet sein. Der Digital Services Act befindet sich gerade im Trilog. Je nach Verhandlungsergebnis könnte Telegram dann auch unter dieses Gesetz fallen. Und ich begrüße, dass sich abzeichnet, dass Plattformen künftig verpflichtet werden, bei strafbaren Inhalten einzugreifen und deutlich besser mit den Behörden zu kooperieren. ({12}) Wir müssen uns zudem der grundsätzlichen Frage widmen, wie angesichts der fortschreitenden Fragmentierung von Öffentlichkeit im Digitalen eine gemeinsame Basis für den sachorientierten demokratischen Diskurs gefunden werden kann. Dass eine Nichtregulierung auf Dauer schwerwiegende Auswirkungen auf den Meinungsbildungsprozess hat, zeigen Studien. Jeder zweite junge Erwachsene hat bereits digitale Gewalt erfahren. Nutzer/-innen ziehen sich deshalb aus öffentlichen Diskursen zurück. Hasskriminalität vergiftet den demokratischen Diskurs und spaltet die Gesellschaft. Es ist daher dringend erforderlich, öffentliche digitale Kommunikationsräume so zu gestalten, dass eine gemeinsame Debatte gewährleistet ist, in der sich die Menschen ihre Meinung tatsächlich frei bilden können. ({13}) Unterschätzt wird in diesem Zusammenhang der Aspekt der Monetarisierung von Inhalten. Der Werbemarkt digitaler Medien hat den der analogen seit 2021 auf Platz zwei verdrängt. Dabei profitieren Plattformen ja von der Reichweite polarisierender Inhalte. Das ist ein Geschäftsmodell, das genauer betrachtet werden muss; denn es befördert das Auseinanderdriften der Gesellschaft und untergräbt genau diese gemeinsame Basis für öffentliche Debatten. ({14}) Eine wichtige Rolle spielt da der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er wird von den Bürgerinnen und Bürgern, also von uns allen, finanziert und ist von Werbeeinnahmen unabhängig. Dazu kommt die staatsferne Aufsicht durch gesellschaftliche Gruppen. Übrigens sitzen auch AfD-Vertreter/-innen in den Rundfunkräten. Trotzdem wollen Sie den öffentlich-rechtlichen Sendern am liebsten die Luft abdrehen. ({15}) Diese Logik erklärt sich mir überhaupt nicht, außer vielleicht damit, dass Sie ein Problem mit kritischer Berichterstattung haben. Die tun nämlich ihren Job und setzen sich kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinander. ({16}) Neben dem neuen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus brauchen wir weitere Maßnahmen, um die Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft umzukehren: das Gesetz gegen digitale Gewalt und das Demokratiefördergesetz, um zivilgesellschaftliches Engagement, Aufklärung und Aussteigerprogramme nachhaltig zu fördern. ({17}) Wir brauchen mehr zivilgesellschaftliche Gegenrede und mehr journalistische Einordnung von Desinformation; das macht unsere Demokratie wehrhaft. Vielen Dank. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank, Frau Präsidentin. Nur kurz außerhalb meiner Redezeit: Dass Sie in diesen zweieinhalb Tagen mit Katrin Göring-Eckardt diese Sitzungen hier zu zweit managen, weil die Kollegen erkrankt sind, das finde ich toll. ({0}) – Sie von der AfD sind doch alle ungeimpft. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich gehöre zu jenen, die sich die Augen gerieben haben, als sie den Antrag gelesen haben. Ausgerechnet die AfD, allen Ernstes, will sich wieder einmal als Kämpferin für die Meinungsfreiheit aufspielen – eine Partei, die alles mit Verachtung betrachtet, was nicht in ihr übles Weltbild passt ({1}) – ich bin lauter als Sie, ich habe ein Mikro –, ({2}) eine Partei, die Andersdenkende am liebsten „entsorgen“ möchte, die ganze Wissenschaftszweige am liebsten verbieten würde. ({3}) Wer soll Ihnen so einen Antrag abnehmen? Sie fordern, auf die Regulierung von Telegram zu verzichten. Ich habe den Zitaten der Kollegen auch noch etwas hinzuzufügen. Erst vor wenigen Monaten ist eine Telegram-Gruppe bekannt geworden, in der unter anderem bayerische AfD-Funktionäre – auch hier im Bundestag vertreten – bizarre Umsturzfantasien geteilt haben. Ich zitiere: Wir brauchen die totale Revolution. „Totale“ steht da. Anzünden müsste man diese ganze Politik. Oder: Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden. Und wie fasst Ihr Ex-Fraktionsmitglied Johannes Huber das Ganze zusammen: In dieser Gruppe herrscht Meinungsfreiheit. Meine Damen und Herren, genau dieses Verständnis von Meinungsfreiheit ist es, das einen Mordanschlag wie auf Regierungspräsident Walter Lübcke oder den rechtsterroristischen Anschlag in Halle, meiner Stadt, nicht nur toleriert, sondern begünstigt. ({4}) Die AfD aber leugnet wider besseres Wissen in ihrem Antrag diese Zusammenhänge, und das macht schon einigermaßen fassungslos. ({5}) Sie verstehen unter Meinungsfreiheit die Freiheit, zu hetzen, Unwahrheiten zu verbreiten, zu Gewalt und Hass aufzurufen. ({6}) Aber Meinungsfreiheit hat aus gutem Grund, wie einige Kollegen schon gesagt haben, Grenzen, und die erfordern eine gesetzliche Regulierung auch von Plattformen wie Telegram; gerade dort sind illegale Inhalte viel zu lange geduldet worden – ein Problem, das sich verschärft hat ({7}) – ja, ist doch gut; reg dich ab! –, weil Telegram geradezu Heimat jener geworden ist, die sich anhand kruder Verschwörungstheorien nach rechts radikalisiert haben. Meine Damen und Herren, was wir aber in dieser Situation überhaupt nicht vergessen dürfen, sind eben auch Debatten, wie sie zwischenzeitlich aus den Reihen der Bundesregierung angestoßen worden sind, also Forderungen danach – es wurde schon erwähnt –, Telegram zu sperren oder aus den App-Stores zu entfernen; die Kollegin von der SPD war da sehr klar. Mit solchen Maßnahmen begibt man sich einerseits, wie wir gerade sehen können, in äußerst ungute Gesellschaft, andererseits muss man zur Kenntnis nehmen, welche Rolle Telegram gerade dabei spielt, in Kriegsgebieten der Ukraine und Russland Menschen mit Informationen zu erreichen oder eben auch Kontakte aufrechtzuerhalten. Daran allein sieht man, wie fragwürdig solche Maßnahmen sind. Schließlich und grundsätzlich sei gesagt: Wenn in Chatgruppen mit Hunderten Menschen Gewaltaufrufe geteilt werden, dann ist das eben kein technisches Problem, das einer technischen Lösung harrt, sondern es geht hier um Grundrechte, es geht um Grundwerte, und es geht vor allem um die Durchsetzung geltenden Rechts. ({8}) Insofern ist es zu begrüßen, dass es mittlerweile offenbar Kontakte zu Telegram gibt und dort bei der Löschung strafbarer Inhalte ein gewisser Kooperationswillen signalisiert wurde bzw. – Sie haben es gesagt, Frau Rößner – dies bereits erfolgt ist. Darüber hinaus müssen natürlich auch Strafverfolgungsbehörden solche Entwicklungen im Auge behalten, früh reagieren; vor allem aber müssen sie über die notwendigen Ressourcen verfügen. Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit zu gewährleisten, ist keine leichte Aufgabe; aber keinesfalls darf sie denen überlassen werden, – ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– die unter diesem Vorwand nur die Bahn frei bekommen wollen für Hetze und Unwahrheiten. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erhält nun der Kollege Dr. Thorsten Lieb für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Thorsten Lieb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005129, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ursprüngliche Titel des Antrags „Gewährleistung der Meinungsfreiheit auch im Internet“ hat mich neugierig gemacht. Die Antragstellerin als Hüterin der Meinungsfreiheit, eine Partei, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt werden darf? Schwer vorstellbar. ({0}) Und in der Tat: Der Text des Antrags und der Vortrag vorhin entlarvt die Überschrift. Es geht Ihnen doch gar nicht um Meinungsfreiheit. ({1}) Es geht Ihnen auch nicht um Telegram. ({2}) Den Antrag treibt doch vielmehr Ihre Angst, dass auf einer liebgewonnenen Plattform rechtsstaatliche Prinzipien – endlich – Einzug halten und auch dort Hass und Hetze rechtswirksam bekämpft werden können, auch dort Persönlichkeitsrechte durchgesetzt werden können. Sie träumen offenbar immer noch vom Internet als rechtsfreiem Raum, Kolleginnen und Kollegen von der AfD, und das ist abwegig. ({3}) Die rechtlichen Aussagen und Annahmen in dem Antrag sind abwegig. Spätestens mit der Telegram-App ist klar – daran kann es keinen Zweifel geben –: Diese Plattform ist ein soziales Netzwerk im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Als Rechtsstaatspartei halten wir uns an geltendes Recht; das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. ({4}) Um „Liebhaberei“ – um das klar zu sagen – ohne Gewinnerzielungsabsicht handelt es sich bei Telegram gewiss nicht. Damit ist klar: Es gibt die Verpflichtung von Telegram, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Deswegen begrüße ich die Aktivitäten von Bundesjustiz- und ‑innenministerium, dort weiter vorzugehen. Um es klar zu sagen: Das hat nichts, aber auch gar nichts, mit Zensur und Überwachung zu tun. ({5}) Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung geltenden Rechts durch diese Plattform, und dafür stehen wir. ({6}) Zusätzlich: Das ist ein notwendiger Beitrag für den Schutz auch der Persönlichkeitsrechte der Nutzerinnen und Nutzer. Denn das Internet war nie und wird nie ein rechtsfreier Raum sein. Wer sich als Plattform dem Schutz von Meinungsfreiheit und dem Schutz von geistigem Eigentum verschreibt, dem muss es doch erst recht, gerade diesem Gründer, ein Anliegen sein, für Persönlichkeitsrechte im Internet einzutreten. Deswegen muss klar sein und deswegen fordere ich Telegram auf, endlich geltendes Recht in Deutschland einzuhalten. Darum geht es, nicht um pauschale Sperrungen; um nichts anderes geht es. ({7}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unser Grundgesetz gibt der Meinungsfreiheit zentralen Raum. Das Bundesverfassungsgericht hat es einmal so schön formuliert: Es ist „schlechthin konstituierend“ für unsere demokratische Grundordnung. ({8}) Und es schützt jede Meinung, egal ob sie wertvoll und durchdacht oder stumpf und unsinnig ist. Den Kolleginnen und Kollegen der AfD sei gesagt: Nach den letzten 20 Sitzungen habe ich deutlich den Eindruck, dass das mit den stumpfen und unsinnigen Meinungen bei Ihnen ausgesprochen ausgeprägt ist. ({9}) Um das abschließend klar zu sagen: Bei dieser Koalition ist die Meinungsfreiheit in allerbesten Händen. ({10}) Grundrechte und Freiheit sind für uns Leitmotiv und nicht verhandelbar; dafür stehen wir gemeinsam. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Tobias Matthias Peterka für die AfD-Fraktion. ({0})

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Man sieht es auch heute wieder: Kommunikationskanäle, die sich einem leichten Zugriff oder der Moderation von staatlichen Stellen entziehen, waren für diese schon immer höchst verdächtig. Spott- und Schmähgedichte beschäftigten bereits im alten Rom ganze Sondereinheiten. Kaum war der Buchdruck erfunden, stand der Büttel daneben und ließ sich die Entwürfe zeigen. Nun ist es natürlich so, dass man eine archaische Druckerei viel besser heimsuchen kann als ein digitales Unternehmen mit Sitz in Dubai. Und dieses ganze – ich zitiere hier eine bekannte Langzeitkanzlerin – „Neuland“ Internet hat ohnehin die schreckliche Eigenschaft, dass inzwischen jeder Bürger sich erdreisten kann, Inhalte, Äußerungen und Meinungen sehr leicht an einen offenen Empfängerkreis zu verbreiten. Keine Destillation durch wohltemperierte Sendeanstalten wie beim linearen TV, keine Kastenbildung durch Marktzutrittsschwellen wie bei den großen Zeitungsverlagen – bitter, bitter. ({0}) Irgendwas musste also getan werden. Verleumden des neuen Mediums war, historisch gesehen, immer eine recht gute Idee gewesen. Besser ist es natürlich, den Zugriff des Staates erst zu ermöglichen und dann zu erweitern. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist damit quasi die neueste Auflage des Druckereibüttels inklusive Zuträgertum. ({1}) Natürlich, Frau Martens und Herr Lieb, muss jeder seine Äußerungen, ob offline oder online, an den allgemeinen Gesetzen messen lassen. Wenn der Staat aber damit anfängt, unbestimmte Tatbestände einzuführen, ({2}) und damit das Sagbare an sich bereits im Vorfeld filtern will, dann ist das einfach der abgedroschene Reflex der Zensur. Zitate wie das folgende sind einfach arrogant und anmaßend: Diese App verbreite Hass, Falschinformationen und Aufrufe zu Gewalt gegen staatstragende Institutionen. Man müsse ein Verbot in Betracht ziehen. – Urheber davon ist übrigens die russische Medienaufsicht Roskomnadsor betreffend Facebook bzw. Instagram. ({3}) Sie sehen also: Genauso und sehr entlarvend wurde in Deutschland über Telegram geurteilt, einen Dienst, der übrigens keine Gewinnerzielungsabsicht im eigentlichen Sinn aufweist. ({4}) Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz fällt damit eigentlich weg. Gut, dass nebenbei an das Verleumden gedacht wurde. ({5}) Aber wie kann eine App schlecht für den Erhalt der Demokratie sein, wenn sie anderenorts in Autokratien offensichtlich erst die Grundelemente demokratischen Beisammenseins ermöglicht, nämlich die freie Kommunikation, die Selbstorganisation von mündigen, mutigen Bürgern? ({6}) Tut mir leid: Diesen Widerspruch konnten Sie heute auch nicht auflösen. Es gab wieder nur billigste Plattitüden von Ihnen in unsere Richtung. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sebastian Fiedler für die SPD-Fraktion zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Sebastian Fiedler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man weiter hinten in der Rednerliste ist, dann ist die Gefahr groß, dass sich alle demokratischen Parteien hier im Hause relativ einig sind und auf dieselben Zitate gestoßen sind, auf die man selbst bei der Recherche vorher auch schon gestoßen ist. Deswegen lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich den Antrag der AfD eigentlich ganz gut finde, weil er sozusagen wie unter einem Brennglas zeigt, was idealtypisch für die AfD und für deren Handeln ist. Das macht ihn, glaube ich, so besonders gut und gibt mir die Gelegenheit, zu zwei Aspekten noch kurz etwas zu ergänzen, auf der einen Seite zu Telegram selbst und auf der anderen Seite zu meiner persönlichen Meinung zur AfD und zur Bedeutung des Antrages in diesem Zusammenhang. Es ist viel darüber geredet worden, dass es auf Telegram neben den unmittelbaren Kommunikationskanälen, also der Messengerfunktion, natürlich Plattformfunktionen gibt, was unstreitig ist, die in vielen Passagen des Antrages aber schlicht ignoriert oder abgestritten werden. Was noch nicht erwähnt worden ist: Es gibt auch Plattformen, die eine Marktplattform für illegale Inhalte sind. Sie finden also Rauschgifte unterschiedlicher Art und Weise. Sie können sich Heroin, Crystal Meth bestellen und sich das auf Bildern und Videos demonstrieren lassen. Sie können Waffen bestellen. Sie finden Geldwäschedienstleistungen. Es wird dort angegeben, wie viel das jeweils kostet. Sie können sich Falschgeld bestellen. Es gibt also durchaus eine illegale Marktplattform dort, ({0}) was unabhängig von den anderen Fragen – zu Hass und Hetze, Morddrohungen im Netz, die auch gegen viele von uns nach wie vor dort existent sein dürften – natürlich ein Problem ist. Ehrlich gesagt: Nur darum geht es hier; nur darum geht es bei dem Bemühen der Innenministerin und des Justizministers. Das ist auch richtig so in einem Rechtsstaat. ({1}) Es kann auch nur außer Zweifel stehen, dass man, wenn man den Betreiber einer solchen Plattform gar nicht erreicht, dann entsprechend Druck ausübt und dass Worte wie „Compliance“, bezogen auf diejenigen, die diese App bereitstellen, natürlich eine Rolle spielen und dass man sich da auch an diejenigen richtet, um überhaupt Kontakt aufzubauen. Ich finde es außerordentlich gut und begrüßenswert, dass es der Bundesregierung jetzt gelungen ist, überhaupt diese Schritte in die Wege zu leiten. – Absatz. ({2}) Jetzt können Sie fragen: Was hat das alles mit Meinungsfreiheit zu tun? Nichts, gar nichts. Mit Meinungsfreiheit hat es nur deswegen etwas zu tun, weil es einen Erzählstrang der AfD bedient – ausgerechnet der AfD. Ich bin neu im Deutschen Bundestag und habe es bisher nur aus der Ferne vor den Monitoren verfolgen können. Jetzt habe ich hier jeden Tag erlebt, dass die AfD die Grenzen des Artikels 5 wirklich bis zum letzten Ende Tag für Tag auslotet, ({3}) in nahezu jeder einzelnen Rede immer wieder versucht, die Grenzen noch ein Stück weit zu verschieben und auszuloten. Dass ausgerechnet Sie sich hier über die Grenzen der Meinungsfreiheit beklagen, ist also geradezu grotesk, muss ich Ihnen sagen. ({4}) – Das steht in Artikel 5; da steht auch, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit sind, und das ist auch gut und richtig so. Auf der anderen Seite leben wir historisch in einer Zeit, in der die Individuen noch nie so viele Möglichkeiten hatten, individuell ihre Meinung zu äußern, allemal im digitalen Raum. Das ist auch gut und richtig so. Jetzt kommen allerdings zwei Dinge zueinander. Meine Meinung ist nämlich – da gehe ich noch weiter als die offizielle Behörde –, dass es sich bei der AfD um eine rechtsextreme Partei handelt. ({5}) Genau dieser Umstand hat direkt damit zu tun, dass die Bundesinnenministerin richtigerweise sagt, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat ist. ({6}) Da geht es nicht um die Zahlen alleine, die in irgendwelchen Statistiken stehen, bei denen sich die AfD hier und da in einer Art von Cherry Picking versucht an einzelnen Zahlen zu bedienen. Nein, es geht darum – das hat der Generalbundesanwalt auf einer Veranstaltung, die ich noch als Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter moderieren durfte, sehr treffend formuliert –: Der Unterschied zu anderen Extremisten ist, dass die Gefahr hier aus dem Inneren des Staates droht. ({7}) Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in einem Landesparlament eine islamistische Partei sitzen haben. ({8}) Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in Behörden, die das Gewaltmonopol des Staates verkörpern – Polizei, Soldaten –, islamistische Probleme haben. Daran kann ich mich schlechterdings nicht erinnern. Vielmehr ist das Aushöhlen sozusagen mit einem rechtsextremen Trojanischen Pferd des Staates von innen die größte Gefahr, die diese Demokratie zu bewältigen hat. ({9}) Norbert Lammert hat es bei einer Veranstaltung einmal ganz gut formuliert – ich bin darauf gestoßen –: ({10}) Die Demokratie und insbesondere eine gut funktionierende Demokratie ist gegen das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger nicht gefeit. – Ich ergänze: Das ist auch gut so. Das Problem ist nur: Wenn dieses Wahlverhalten durch manipulierte Informationen in irgendwelchen Kanälen durch krude Erzählungen befeuert wird ({11}) und Verschwörungsextremisten sich mit Rechtsextremisten paaren, dann entsteht daraus dieses sehr problematische Komplott, das der Demokratie wirklich gefährlich sein kann. Deswegen der gute Rat an alle, die sich informieren wollen: Tun Sie das bei professionellen Journalistinnen und Journalisten. Die haben das gelernt; die überprüfen den Wert einer Information. ({12}) Informieren Sie sich also breit und nicht nur und ausschließlich in sozialen Medien – das der Appell am Ende. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der AfD lautet „Meinungsfreiheit schützen – Keine Zensur von Telegram“. Der Antragstext zeigt die eigentliche Intention der AfD, nämlich die Erzählung zu bedienen, Meinungsfreiheit sei in unserem Land nicht mehr in dem Umfang gegeben, und sie sei in Gefahr. Aber diese Erzählung ist falsch. Das hat einen anderen Hintergrund: Sie wollen damit das Vertrauen in die Institutionen unseres Staates erschüttern ({0}) und auf diesem erschütterten Vertrauen ihre eigene Agenda aufsetzen, die diesen Staat beseitigen oder zumindest verändern möchte. Das dürfen und werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({1}) Die Meinungsfreiheit ist übrigens in Russland gefährdet, wenn die Rede über Krieg mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden kann. Aber dazu schweigen Sie. Diese Distanzlosigkeit fällt auf Sie zurück. Die Meinungsfreiheit ist elementar für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Sie ist auch sehr weitgehend, gar keine Frage. Aber die Aufrufe zu Mord und Gewalt, ({2}) Beleidigungen, Holocaustrelativierungen und Holocaustleugnungen, das Anbieten von Kinderpornografie oder von Drogen fallen nicht unter Meinungsfreiheit, sondern das sind Straftaten, die mit der gesamten Härte des Rechtsstaats aufgeklärt und verfolgt werden müssen, egal wo sie passieren. ({3}) Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schützt übrigens die freie und offene Gesellschaft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Kollege Dr. Ullrich. – Sie sprachen eben sehr pauschal von der Meinungsfreiheit und von der Freiheit des Geistes. Sie sollten auch noch Kontakt zur Forschung und zu Universitäten haben. Ist Ihnen bekannt, dass junge Anwärter, aber auch Professoren, die sich mit durchaus strittigen Themengebieten beschäftigen, berichten, dass es heute die wissenschaftliche Karriere behindern oder zerstören kann, a) in Universitäten die „falschen“ Fragen zu stellen und b) vielleicht auch die – aus der jeweiligen Sicht – „falsche“ Meinung zu äußern? Uns wurde in Vieraugengesprächen gesagt, dass sich viele Professoren bestimmter Forschungsgebiete – das geht vom strittigen Thema der Klimapolitik bis zu den Wirtschaftswissenschaften – derzeit durchaus überlegen, ob sie ihre Meinung zu ihrem Forschungsgebiet überhaupt äußern oder diese publizieren. Ist Ihnen das bekannt? Wollen Sie das leugnen? Dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört.

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie bestätigen mit Ihrer Einlassung meine eingangs formulierte These, nämlich dass Sie versuchen, mangelndes Vertrauen in die Institutionen zu schüren, indem Sie die Erzählung, die Meinungsfreiheit sei gefährdet, immer und immer wieder bringen, weil es in Ihre Agenda passt. Wer eine abseitige Meinung äußert, darf diese äußern, aber er hat kein Recht auf Widerspruchsfreiheit. ({0}) Meinungen, die abseitig sind, muss man mit offenem Widerspruch entgegnen; das gehört zum Diskurs einer Gesellschaft dazu. Sie haben keinen Anspruch darauf, dass Ihre Meinung als die Meinung anerkannt wird. Entscheidend ist, dass eine offene Gesellschaft den Diskurs führt. Um nichts anderes geht es. ({1}) Die große Frage ist, ob das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auch auf Telegram anwendbar ist oder nicht. Im Text des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes steht, dass die Individualkommunikation davon nicht betroffen ist. So weit, so gut. Der Punkt ist aber, dass sich auf Telegram mittlerweile Gruppen gebildet haben, die bis zu 200 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben. In diesen Gruppen wird geteilt und kommentiert. Diese Gruppen haben eindeutig den Charakter eines sozialen Netzwerkes, weil hier Meinung dargestellt, kommentiert und verbreitet wird. Deswegen gilt ganz klar: Auch Telegram kann sich den deutschen Gesetzen nicht entziehen, sie brauchen einen Zustellungsbevollmächtigten, und sie müssen sich an die deutsche Rechtsordnung halten. Das Bundesjustizministerium hat unsere Unterstützung, wenn es darum geht, die elementaren Voraussetzungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes auch einzuhalten. ({2}) Wenn man nun den vorliegenden Antrag der AfD liest, dann stellt man fest: Sie sprechen im Antragstext auch über islamistischen Terror und über Terroristen, die sich über das Netzwerk Telegram ausgetauscht haben – das ist zutreffend –, zum Beispiel die Attentäter vom Breitscheidplatz. Allerdings ist auch das Video der Tat des Attentäters von Halle in Gruppen, die den White Supremacists zugeordnet sind, verbreitet worden. Mich hat das sehr nachdenklich gemacht, dass Sie in einem Antrag zu Telegram über islamistischen Terror gesprochen haben, aber zu den Auswüchsen der rechtsextremen Bedrohung vollständig geschwiegen haben. ({3}) Das ist nicht naiv, das ist unverzeihlich, weil Sie diese damit indirekt billigen. ({4}) Es ist nicht das Netzwerk selbst, das im Mittelpunkt der Debatte steht; denn das Netzwerk postet nicht selbst, sondern es sind Menschen und Nutzer, die posten. Deswegen muss der Ansatz sein, dass diejenigen, die gegen die Strafgesetze verstoßen, zur Rechenschaft gezogen werden, dass aber der Diskursraum offen bleiben muss. ({5}) Aber es fängt nicht nur bei der Frage an, wie wir soziale Medien und Netzwerke regulieren müssen, sondern es geht auch um die Deradikalisierung in der Gesellschaft selber. Warum radikalisieren sich Menschen? Warum ist man bereit, einen Mordaufruf zu starten? Über diese Fragen müssen wir uns in der Gesellschaft unterhalten. Es geht auch um die Frage, wie wir Filterblasen verhindern können, um Emotion und Hass. Es geht um einen angstfreien Diskurs, um Rede und Gegenrede. Es geht um die Verwirklichung von Demokratie und von Teilhabe. Aber es geht nicht darum, wie Sie geschrieben haben, Meinungen zu verhindern. Das ist falsch, und dem treten wir entgegen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Maximilian Funke-Kaiser das Wort. ({0})

Maximilian Funke-Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005058, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Meinungsfreiheit ist ein elementares Grundrecht, ein Grundrecht, das geschützt werden muss. Ich kann Ihnen versichern: Dieses Grundrecht, die Meinungsfreiheit, ist bei dieser Koalition in guten Händen. Dass gerade eine Partei, die vor einer Woche zum rechtsextremen Verdachtsfall erklärt wurde, jetzt mit einem Antrag die Fahne der Meinungsfreiheit nach oben hängt, das ist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten. ({0}) Liebe Kollegen, lassen wir uns bei dieser Debatte bitte keinen Sand in die Augen streuen. Der AfD geht es in Wahrheit nämlich überhaupt nicht um Telegram. Ihr geht es darum, dass sie ihre Felle davonschwimmen sieht. Ganz offensichtlich weiß sie, dass in denselben Gruppen, in denen zum Mord von Politikern aufgerufen wird, in denen die krudesten Verschwörungstheorien verbreitet werden, auch Wahlaufrufe für die AfD erfolgen. Dann auch noch auf Basis des Artikels 5 Grundgesetz zu argumentieren, ist schamlos. Ein Hinweis an die Kollegen der AfD, nämlich auf Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz: Auch Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen, und zwar dort, wo Hass und Hetze, wo Rassismus, wo Antisemitismus sowie Aufrufe zum Mord zu finden sind. Auch wenn Sie es nicht hören möchten, auch wenn Sie immer wieder die Augen davor verschließen: Es ist richtig, dass der Rechtsstaat hier handelt. ({1}) Aber kommen wir zum Antrag selbst. Der offenbart, dass die AfD-Fraktion weder das rechtliche noch das technische Verständnis zur Einordnung von Telegram hat. Ich möchte es noch einmal verdeutlichen: Telegram kann man nicht singulär betrachten. Telegram ist ein hybrides Tool, eine hybride Plattform; denn auf der einen Seite – um das auch noch einmal klarzumachen – ist es ein verschlüsselter Messengerdienst, auf der anderen Seite stellt es in Bezug auf die offenen Gruppen aber eben eine Plattform dar. Ich möchte an der Stelle auch noch einmal betonen: Es geht und ging der Koalition niemals darum, die persönliche Kommunikation einzelner Personen zu verhindern oder sogar Netzsperren zu verhängen, zumal Netzsperren – das möchte ich als Digitalpolitiker gesagt haben – immer der falsche Weg sind und auch nicht funktionieren. Weil Telegram aber kein ausschließlicher Messenger ist, sondern eben auch eine Plattform, muss natürlich auch dort gegen Hass vorgegangen werden. Was mir in Ihrem Antrag ebenfalls fehlt, ist – das verwundert nicht –, dass wir endlich anfangen aufzuhören, die digitale Welt in nationalen Grenzen zu denken. Das verwundert bei Ihnen nicht. Aber genau das ist zum Glück aktuell in Planung: Der zukünftige Digital Services Act, der DSA, wird ebendiesen einheitlichen Rechtsrahmen auf europäischer Ebene schaffen, der – das sei an der Stelle explizit gesagt – die vorhandenen Schwächen des NetzDG obsolet machen wird. Ich möchte zum Schluss noch einmal verdeutlichen, dass auch ich Bauchschmerzen habe bei einem solchen Antrag der AfD, in dem trotz der rassistisch motivierten Anschläge in Hanau, trotz des Mordes an Walter Lübcke, ({2}) trotz des antisemitischen, rassistischen Anschlags in Halle ausschließlich der islamistische Terrorismus angesprochen wird. Das ist eine Selbstoffenbarung sondergleichen in einem Antrag, der es eigentlich gar nicht wert ist, dass wir ihn diskutieren. Dass wir ihn heute diskutieren, ist der Beweis dafür, dass wir Meinungsfreiheit in diesem Land haben. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte Sie, sich einer parlamentarischen Ausdrucksweise zu befleißigen. ({0}) Das Wort hat der Kollege Marc Henrichmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Marc Henrichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004744, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vierte Wort im Antrag der AfD ist „Russland“, und man braucht nicht lange, um einen Unternehmer, nämlich den Gründer von Telegram, zu hofieren und ihn fast als Heiligen mit hehren Ansätzen zu bezeichnen. Ich habe mich sehr geschämt – das muss ich leider sagen –, als die sogenannten, von den Medien so bezeichneten Russland-Connections der SPD verhindert haben, dass wir uns viel früher an die Seite der Ukraine gestellt haben. Aber wenn ich jetzt, auf dem Höhepunkt der Eskalation, diese Russlandfeierlichkeiten im AfD-Antrag wieder lese, dann wird mir schlecht. Das ist billige Propaganda und Provokation. ({0}) Aber auch inhaltlich ist der Antrag mau. Vieles ist gesagt. Ich möchte nur anführen, dass sich in Telegram-Gruppen beispielsweise auch die Täter, die die Polizisten in Rheinland-Pfalz erschossen haben, haben feiern lassen. Auch das BKA sagt – auch das wurde angesprochen –, dass Telegram ein beliebter Weg sei, mit Drogen zu handeln. Ob das jetzt die Erklärung für den dürftigen Inhalt ist und auch für das Abfeiern von Telegram seitens der AfD, darüber möchte ich nur spekulieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Henrichmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Abgeordneten Cotar?

Marc Henrichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004744, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben behauptet, dass in unserem Antrag Russland abgefeiert wird, und Sie haben sich sehr abfällig über Pawel Durow geäußert. Ist Ihnen bewusst, dass dieser Mann Russland verlassen musste, weil er von der russischen Regierung unter Druck gesetzt worden ist, die Daten herauszugeben, weil er so unter Druck gesetzt worden ist, dass er um sein Leben fürchten musste? Deswegen hat er mittlerweile auch eine andere Staatsangehörigkeit. Er tauchte unter, weil er um sein Leben fürchten musste, weil er vor Russland und vor Putin weglaufen musste. Und Sie unterstellen mir, ich hätte im Antrag Putin gelobt, und beleidigen diesen Mann, der für die Freiheit gekämpft hat wie kein anderer. Kann es sein, dass Sie unseren Antrag nicht gelesen oder nicht verstanden haben, Herr Kollege? ({0})

Marc Henrichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004744, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich gebe zu, es ist schwergefallen, ihn zu lesen, und auch, ihn zu verstehen; aber ich habe es tatsächlich getan. „Russland“ taucht ja relativ früh auf, und Sie wissen, dass Telegram und die russische Regierung sich relativ zeitnah wieder angenähert haben. Insofern wollen Sie jetzt nicht ernsthaft Ihre Affinität zur russischen Regierung bestreiten, oder? Ich kann es ja noch ausweiten: Sie sind nach Syrien gefahren, Teile Ihrer Fraktion, und haben Assad gefeiert. Dass Sie Putin bei jeder Gelegenheit hofieren, ist, glaube ich, auch jedem bekannt. – Das ist schwach. Ich finde es – auch das noch mal als Ergänzung – ehrlicherweise ziemlich schräg, wenn Sie schreiben: Es ist Privatsache der erwachsenen Nutzer von Telegram. – Es ist schon ziemlich schräg, was in Ihrem Antrag verbreitet wird. Deswegen brauchen wir, glaube ich, über Ihre Russlandaffinität nicht weiter zu sprechen. ({0}) Telegram ist in der Tat ein Kommunikationsweg. Das ist so ein bisschen zu vergleichen mit der Dorfkneipe, die per se nicht das Problem ist, sondern der Stammtisch, an dem vielleicht gepöbelt, beschimpft und beleidigt wird. Da muss angesetzt werden. Ich habe selber im Wahlkreis eine Kommune, die auf diesem Weg beispielsweise über ihre Arbeit berichtet, und das mit gutem Gewissen und auch mit guten Absichten. Deswegen ist es richtig, ja, die Meinungsfreiheit hochzuhalten und zu schützen. Aber da muss eben auch Abwägung her. Wir sind in einem Rechtsstaat, und da gelten Regeln, und auch die Würde des Einzelnen, des Menschen ist eben abzuwägen. In Sachen staatlicher Schutzanspruch – das muss ich so deutlich sagen – ist die Ampel aber ein Totalausfall. Ganz ehrlich, ich habe bis jetzt noch in keinem Redebeitrag gehört, wie wir die Probleme, die alle zutreffend beschreiben, angehen. Es ist ja so: Die Ampel ist hier als Tiger gestartet. Im Dezember noch haben Herr Buschmann und Frau Faeser ein entschlossenes Vorgehen propagiert, bis hin zum Verbot und zur Abschaltung von Telegram. Herr Grötsch hat im Ausschuss für die SPD noch am 12. Januar gesagt, das NetzDG hätte viel schärfer ausfallen müssen. Dann hat man aber offenbar den Anpacker nicht gefunden, und man hat in der Tat nach Europa geguckt. Der DSA, Digital Services Act, wurde schon angesprochen. Die Position des Rates und des Europäischen Parlamentes bleiben in wichtigen Punkten deutlich hinter dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz zurück, so der Staatssekretär der SPD am 26. Januar. Auf die Frage, was man denn tut, um dieses DSA-Paket auf den richtigen Weg zu bringen, ist man jede Antwort schuldig geblieben. Die Ampel hat keinerlei Idee, was sie tun möchte. Am 27. Januar hat der „Spiegel“ berichtet: Frau Faeser forderte drastische Maßnahmen, jetzt rudert sie zurück. Am 4. Februar meldete die „WAZ“, Jubelmeldungen seien unangemessen; Faeser „freut sich wie Bolle“ – Zitat –, dass sich Telegram „auf ein Gespräch mit ihr einlässt“. Dazu kam es nicht etwa, weil es eine schlagkräftige Bundesregierung in Deutschland gibt, sondern weil Google offenbar eine E-Mail-Adresse an die Ampel, an Frau Faeser weitergeleitet hat, um überhaupt mal Kontakt zu Telegram herzustellen. Das Ganze ist Weichgespültes ohne Ansatz. Und gleichzeitig sagen uns Experten, dass Telegram nur ein Minimalprogramm ist, was die Löschung von Hate Speech angeht. Dass die AfD völlig lost ist und Anstand und Respekt in der Diskussion hier vermissen lässt, wurde deutlich; aber, liebe Bundesregierung, Sie sind jetzt 100 Tage im Amt. Ich glaube, insbesondere die betroffenen Familien der ermordeten Polizisten und andere von Hate Speech, Hass und Hetze betroffene Personen können erwarten, dass Sie Ihren Job machen. Es reicht nicht, in Sonntagsreden zu fordern, dass Hass und Hetze entschieden bekämpft werden, wenn Sie an der Stelle nicht endlich konkret werden und uns sagen, was Sie vorhaben, um das zu unterbinden. ({1}) Bislang habe ich hier nichts gehört. Den Antrag der AfD lehnen wir ab. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Robin Mesarosch das Wort. ({0})

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Können Sie sich vorstellen, dass wir im Bundestag einen Antrag beschließen, der fordert: „In Freibädern sollen keine Regeln und Gesetze mehr gelten“ oder „In Stuttgart sollen keine Regeln und Gesetze mehr gelten“? ({0}) Das klingt doch sehr absurd. Aber es ist in etwa das, was die AfD heute in ihrem Antrag fordert, nur eben für den Messengerdienst Telegram. Telegram ist erst mal ein Raum, in dem sich Menschen begegnen, wie in einem Freibad oder in Stuttgart, nur eben digital. Ich glaube, die meisten Menschen sind gut, freundlich und halten sich an Regeln. Ihretwegen bräuchte man wahrscheinlich gar nicht so viele Regeln. Aber wer öfter mal in Stuttgart oder in einem Freibad war, trifft auch dort Menschen mit schlechten Absichten. Und solche Menschen sind natürlich auch auf Telegram, und für solche Fälle brauchen wir Regeln. Vielleicht gibt es auch AfD-Abgeordnete, die Regeln auf Telegram sinnvoll finden. Aber mit ihrem Antrag würde die AfD es unmöglich machen, dass wir als Gesellschaft, als Staat diese Regeln durchsetzen können. Und Regeln, die wir nicht durchsetzen können, sind keine Regeln. Und an Orten ohne Regeln kann jeder machen, was er will. Wo jeder machen kann, was er will, gibt es schließlich keine Freiheit mehr. Karl Popper nennt das das Freiheitsparadoxon, weil in so einer Welt die Starken die Schwachen tyrannisieren und die nicht frei sein können. Davon schreibt er in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Die Feinde unserer offenen Gesellschaft stehen nicht nur Modell für einen Buchtitel, sie sitzen auch in diesem Parlament. Sie haben heute einen Antrag gestellt, mit dem sie uns ein Stück weit unserer Freiheit berauben wollen. Ein zweites Ziel dieses Antrags mag sein, den Zusammenhalt in der eigenen Anhängerschaft, in rechtsextremen Gruppen und Querdenkerströmungen zu stärken. Diese Gruppen funktionieren nur mit einem Feindbild und wenn sie sich selber als Opfer sehen können. Für die AfD soll dieser niederträchtige Feind – unter anderem – der Staat sein; der Staat, der gegen den Willen ihrer Anhänger Regeln auf Telegram durchsetzt. Schauen wir uns an, wie es wirklich ist. Wer auf Telegram mit einem Freund hin- und herschreibt, genießt das Fernmeldegeheimnis. Hier dürfte auch die AfD zufrieden sein, selbst wenn sie es vielleicht nicht zugibt. Anders ist es bei den öffentlichen Telegram-Kanälen mit vielen Nutzerinnen und Nutzern. Diese Kanäle müssen wir als soziales Netzwerk begreifen, als öffentliche Kommunikation. Was sind sie denn sonst? ({1}) Auf öffentlichen Telegram-Kanälen muss, weil sie ein soziales Netzwerk sind, dann auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz anwendbar sein. Das bedeutet, der Betreiber von Telegram hat Pflichten. Er braucht unter anderem ein Beschwerdemanagement, er muss vierteljährlich berichten, und er muss offensichtlich rechtswidrige Inhalte löschen. Inzwischen muss der Betreiber dem Bundeskriminalamt auch melden, wenn der Verdacht auf beispielsweise Volksverhetzung besteht. Das bietet dem Staat Möglichkeiten, seine Gesetze durchzusetzen. ({2}) Das stört Telegram, und das stört die AfD, aus jeweils unterschiedlichen Gründen. Ich kann Telegram einiges abgewinnen: Die demokratischen Oppositionen in Belarus und im Iran organisieren sich dort, und sowieso nutzen Millionen ganz normale Menschen jeden Tag diesen Dienst. ({3}) Doch auch ich nehme wahr: Dort organisieren sich nicht nur Yogatreffs, sondern auch kriminelle Gruppen, organisierte Hetzer und Verschwörer. Verstoßen sie gegen unsere Gesetze, müssen wir ihre Machenschaften auch auf Telegram verbieten können. Darum brauchen wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, und wir halten es bei öffentlichen Telegram-Kanälen auch für einschlägig. Auf europäischer Ebene müssen wir jetzt mit dem Digital Services Act vergleichbare Regeln EU-weit durchsetzen. Besonders wichtig ist uns: Plattformen wie Telegram sollen auch Straftaten gegen die Demokratie melden müssen. Zumindest müssen wir das auf nationaler Ebene in Deutschland so regeln können. Wir wollen überall – aus leidvoller Erfahrung – unsere Demokratie wehrhaft verteidigen können. ({4}) „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun!“, hat Edmund Burke mal gesagt. Mit diesem Antrag will die AfD nicht nur, dass wir nichts tun. Die AfD will, dass wir nichts tun können, und das wäre fatal. Die Welt lässt sich sicherlich nicht sauber in Gut und Böse einteilen. Aber eine Sache ist klar: Denen, die gegen Juden, gegen Muslime oder gegen andere Mitmenschen hetzen, sitzt unser Rechtsstaat auf der Pelle. Für sie darf es bei uns keinen Platz geben – nicht in Stuttgart, nicht im Freibad, nicht auf Telegram. Und wer sich schützend vor diese Hetzer stellt, für den sollte auch nicht Platz sein in unserem Parlament. Nie wieder. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer zu Mord aufruft, andere beleidigt oder illegales Material verbreitet, muss einem Strafverfahren zugeführt werden; darüber kann es in einem Rechtsstaat keine Diskussion geben. Wenn aber das Establishment der Bundesrepublik, Sie also, ({0}) von Regulierung von Telegram und vom Kampf gegen Hass und Hetze, was auch immer das sein mag, spricht, dann geht es um mehr als um Strafverfolgung. Ihnen geht es um die Bekämpfung freiheitlicher Informationsgewinnung und die Betonierung Ihrer eigenen Macht. Wenn sich iranische Mullahs und der NRW-Verfassungsschutz einig sind, sollten Sie als selbsternannte Demokraten in diesem Hause aufhorchen. Während man im Iran den Messengerdienst für regimekritische Unruhen verantwortlich macht, bei denen Frauen sich über die gesetzliche Pflicht, das Kopftuch zu tragen, hinwegsetzen, fürchtet man zum Beispiel bei uns in Düsseldorf bei den Schlapphüten auf Oppositionellen-Jagd – ich zitiere – „die zentrale Kommunikationsplattform zur Verbreitung ungefilterter ideologischer Inhalte sowie zur Mobilisierung für Protestveranstaltungen“. Frau Dr. Martens hat sich ja gerade verplappert. Sie sagte, sie fürchte ein Anwachsen von oppositionellen Bewegungen in Deutschland durch Telegram und deshalb solle Telegram bekämpft werden. Ob Teheran oder Berlin – allerorts scheinen die Herrschenden die Vernetzung oppositioneller Kreise, den Zugang zu ungefilterten Informationen und demokratische Protestbewegungen zu fürchten. Ihr Ziel ist die Zensur, die sie in blumige Worte des Linksliberalismus hüllen. Das Ziel ist die Rückgewinnung von verlorengegangenen Diskursmonopolen. Und auch die Ampelregierung spürt, dass es in Deutschland im regierungskritischen Lager dank entsprechender Messengerdienste möglich geworden ist, an den medialen Gatekeepern, den großen Zeitungshäusern und dem Staatsfunk vorbei Informationen und Interpretationen der politischen Wirklichkeit auszutauschen. Vorbei ist die Zeit beim Establishment, wo man sich zurücklehnen konnte und auf die Konditionskraft von ZDF und „Spiegel“ vertrauen durfte. Was wir nun erleben, ist nichts anderes als die autoritäre Versuchung der Etablierten, verlorene Zustimmung zum eigenen Tun mit der Ausweitung von Zwangsmitteln wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu kompensieren. Das wird man Ihnen nicht durchgehen lassen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der AfD ist erneut kein ernsthafter Debattenbeitrag für dieses Land und zu diesem Thema. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Als ich Ihren Antrag diese Woche gelesen habe, schoss mir durch den Kopf: Es ist ein bisschen wie Fußpilz. Man will ihn eigentlich nicht sehen, aber man muss sich damit beschäftigen. ({0}) Deswegen werde ich das jetzt auch gerne tun. Sie haben erstens von der Materie, die Sie darin erwähnen, keine Ahnung, und zweitens: Sie schieben wohlklingende Phrasen vor Ihre eigentlichen Absichten. Ich will nicht wiederholen, was viele Redner hier gesagt haben. Ich will auch nicht zitieren, was die Ihnen Nahestehenden oder Sie sagen; denn ich finde, dafür muss es hier keine Plattform geben. Ich will aber ein paar technische Bemerkungen und auch Einschätzungen machen, die zwei Punkte betreffen: Erstens. Es ist entweder Kalkül oder wirklich Unkenntnis, wie Sie die Funktionsweise von Telegram beschreiben. Sie tun so, als ob es dort grundsätzlich nur um vertrauliche Kommunikation und Meinungsfreiheit geht. Sie wissen genau, dass es nicht so ist, und Sie wollen auch nicht sehen und verstehen, dass Telegram mehrere Funktionen hat, nämlich eine vertrauliche verschlüsselte Kommunikation und einen öffentlichen Teil, der mehr einer Webseite, im besten Fall eines sozialen Netzwerkes, entspricht. Jeder kann mitlesen, was dort veröffentlicht wird. Und selbstverständlich gilt in öffentlich zugänglichen Dokumenten, Meinungen, Schriften und Medien jeder Art dann das deutsche und das europäische Recht. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Zweitens. Sie wollen diese hybride Plattform nicht anerkennen. Sie zünden aber auch Nebelkerzen, indem Sie im Text permanent von Verschlüsselungen oder von vertraulicher Kommunikation sprechen und Beispiele anführen, die aber gar nicht zutreffend sind. Es geht nämlich in dem, was in den letzten Wochen kommuniziert wurde, ausschließlich um den öffentlichen Teil – ausschließlich. Natürlich kann man öffentliche Teile, die funktionieren wie ein soziales Netzwerk, nach dem deutschen NetzDG regulieren. Ich bin kein Freund dessen; ich habe das oft gesagt, und wir haben in der Koalition auch vereinbart, dass wir den DSA auf europäischer Ebene abwarten und dann die Umsetzung in nationales Recht im NetzDG entsprechend vornehmen. Dem, so wie wir es vereinbart haben, werden wir auch folgen; das ist auch richtig so. Aber Ihnen geht es in Ihrem Antrag doch eigentlich um was ganz anderes. Sie wollen die Veröffentlichungsplattformen, die Ihnen unter vermeintlichen Eins-zu-eins-Kommunikationen zur Verfügung stehen, weiter offenhalten, damit Menschen wie Attila Hildmann, deren Kanäle jetzt geschlossen sind, oder andere nicht reguliert werden. Das ist unlauter. Das ist nicht nur unlauter, es ist sachlich einfach falsch. Eigentlich müssten Sie das selbst einsehen. Wir werden uns mit Ihrem Antrag wohlwollend beschäftigen, so wie ich es einleitend erwähnt habe, und am Ende werden wir ihn auch entsprechend behandeln. Vielleicht denken Sie mal darüber nach, ob Sie in Zukunft einen sinnvollen Beitrag zu solchen Fragen leisten. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Catarina dos Santos Firnhaber das Wort. ({0})

Catarina Santos Firnhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich noch mal, nachdem wir vieles gehört haben, eines deutlich sagen: Telegram ist kein Opfer des NetzDG. Das NetzDG beschränkt die Verbreitung von strafrechtlichen Inhalten wie die Planung von Straftaten, Hass, Hetze, Bedrohungen oder sexuelle Gewalt gegen Kinder. Unabhängig von einem möglichen Anwendungsbereich ist das NetzDG mit dem Ziel verabschiedet worden, Rechtsverletzungen möglichst schnell zu ahnden. Telegram hat hier keine herausgehobene Stellung. Im Gegenteil: Weil Telegram mit anderen Diensten gleichbehandelt wird, hat es sich genauso an Recht und Gesetz zu halten. Denn Täter müssen belangt werden können, und zwar egal auf welcher Plattform, egal ob in der analogen oder in der digitalen Welt. ({0}) Wir sprechen hier leider nicht von rein theoretischen Annahmen, dass soziale Netzwerke und Dienste eine besondere Rolle spielen. Der Antrag der AfD suggeriert, es gäbe keinerlei Zusammenhang zwischen – ich zitiere – „grenzwertigen … Beiträgen auf Messengerdiensten und Social Media Plattformen sowie strafbaren Handlungen“. Aber das Gegenteil ist leider – manchmal zumindest – der Fall. Allein die eco-Beschwerdestelle verzeichnete 2021 mit 8 613 berechtigten Fällen 50 Prozent mehr Rechtsverstöße im Internet als im Vorjahr. Leider finden solche Rechtsverletzungen immer wieder neue Wege, sich zu verbreiten. Daher erwarte ich von der Bundesregierung eine dynamische Anpassung des Gesetzes, sofern sie notwendig ist. Da die im Bundestag eingebrachten Anträge nach außen eine gewisse fachliche Richtigkeit suggerieren, ist es mir ein Anliegen, an dieser Stelle einige Dinge noch mal klarzustellen. Das Kölner Verwaltungsgericht hat am 1. März keiner Klage stattgegeben, sondern über Eilanträge von Google und Meta in Beschlussform entschieden. Ja, das Gericht hat entschieden, dass bei der Einführung des § 3a NetzDG gegen das Herkunftslandprinzip verstoßen wurde, und die Bundesregierung muss hier sicherstellen, dass NetzDG und DSA angepasst werden. Aber: Gleichzeitig hat das Gericht im Verfahren von Meta den Antrag in Bezug auf das Gegenvorstellungsverfahren nach Entscheidung über NetzDG-Beschwerden abgelehnt. Denn die Vorschrift sei von der Befugnis der EU-Mitgliedstaaten zur Festlegung von Verfahren für die Entfernung einer Information gedeckt. Zusätzlich ist auch ein Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht gegeben. Sich also, wie die AfD es gerade tut, auf den Beschluss des Kölner VGs zu berufen, ist aus Sicht der AfD eigentlich wenig konsequent; denn es widerspricht ihrer eigenen Bewertung dieses Gesetzes durch ihre Fraktion. Möglicherweise hat die AfD die Begründung des Gerichts aber auch einfach nicht zu Ende gelesen. ({1}) Lassen Sie mich Ihnen zuletzt noch einen Gedanken mit auf den Weg geben. Wir leben in einer Welt, in der Hass und Hetze – unabhängig vom notwendigen Aufrechterhalten der Meinungsfreiheit – jeden Tag im Internet und in sozialen Medien von uns erlebt werden – mit verheerenden Auswirkungen. Vielleicht sollten Sie sich die Frage stellen, ob gerade am heutigen Tag der richtige Zeitpunkt ist, die schützende Hand über Telegram zu halten, wo der ukrainische Präsident uns von Opfern des Krieges berichtet – eines Krieges, der auch mit gezielter Desinformation online geführt wird. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Macit Karaahmetoğlu das Wort. ({0})

Macit Karaahmetoğlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005096, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, in einer Fernsehsendung würde jemand erklären, wie man Gesundheitsminister Lauterbach im Vorbeifahren auf der Autobahn per Kopfschuss töten könnte. Was würde bei einem derartigen öffentlichen Mordaufruf passieren? Selbstverständlich gäbe es große Empörung, Strafanzeigen und strafrechtliche Konsequenzen gegen die Verantwortlichen. Niemand würde auf die Idee kommen, sich auf die freie Meinungsäußerung zu berufen. Aber genau in dieser Form wurde der Mordaufruf gegen den Gesundheitsminister als Sprachnachricht in einer Telegram-Gruppe geäußert. Es gibt offensichtlich Menschen in unserem Land und auch in diesem Hause, die das Internet als rechtsfreien Raum sehen möchten – ein Raum, in dem unser Recht und Gesetz nicht gelten soll. Meine Damen und Herren – und da spreche ich vor allem die Urheber dieses unsinnigen Antrags an –, die Meinungsfreiheit ist ein fester Bestandteil unserer Demokratie; aber Hass und Aufruf zu Straftaten sind keine Meinung, werte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Es geht darum, strafrechtlich relevantes Verhalten zu ahnden, und es geht vor allem darum, Menschen zu schützen und Straftaten, zu denen aufgerufen wird, zu verhindern. Kaum jemand würde im öffentlichen Raum außerhalb des Internets diese Tötungsfantasien aussprechen. Die Täter verschanzen sich hinter der Anonymität, hetzen aber auch immer häufiger unter Klarnamen in leider viel zu schlecht überwachten digitalen Räumen. Wir sehen in den letzten Jahren zwei Entwicklungen: erstens eine unfassbare Enthemmung bei Gewaltfantasien und kriminellen Gewaltaufrufen und zweitens – eine traurige Erkenntnis –, dass diese Hetze im Netz reale Folgen in der realen, nicht digitalen Welt hat – bis hin zu Mordanschlägen auf Repräsentanten unserer Demokratie. Da sind wir auch schon beim entscheidenden Punkt: Was strafbar ist und was nicht, das bestimmt die deutsche Rechtsordnung, und da gibt es ganz klare Regeln und Gesetze, zum Beispiel das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Ja, dieses ist auch für Telegram relevant. Denn wenn bis zu 200 000 Menschen einem Kommunikationskanal hinzugefügt werden können, dann ist das kein privater Messengerdienst mehr, sondern ein soziales Netzwerk, werte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Immerhin gab es zuletzt deutliche Verbesserungen im Austausch mit dem in Dubai sitzenden Telegram. Vorhin wurde das schon gesagt: 64 von Hass durchsetzte Kanäle wurden inzwischen gelöscht. Das ist ein Anfang, aber eben nicht mehr als ein Anfang. Netzsperren können rechtlich und technisch nicht die Lösung sein; da sind wir uns mehrheitlich einig. Aber was bleibt uns dann? Wir müssen den Druck erhöhen, einerseits auf die Anbieter, und zwar mit Bußgeldverfahren; aber gerade auch der europäische Weg, den wir mit dem Digital Services Act der EU derzeit gehen, ist sehr vielversprechend. Das ist eine ganz andere Hausnummer, als wenn nur Deutschland mahnend vor der Tür steht. Andererseits müssen wir den Druck auf die Täter erhöhen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen in diesen Sumpf rein und Straftaten verfolgen. Wir leben in einer zunehmend digitalisierten Welt. Die klassische Polizeiarbeit muss sich dieser Welt anpassen. Das erfordert vor allem mehr personelle und technische Ressourcen, und diese müssen und werden wir zur Verfügung stellen, um dieses Problems Herr zu werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Ukraine, mitten in Europa, herrscht Krieg. Putins Bomben haben die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Über 3 Millionen Menschen befinden sich bereits auf der Flucht aus der Ukraine. Heute Morgen hat uns der ukrainische Präsident, zugeschaltet aus dem Kriegsgebiet, noch mal eindringlich gebeten, auf allen Ebenen zu helfen. Am Sonntag konnte ich mir mit Kollegen an der polnisch-ukrainischen Grenze selbst ein Bild von der Not machen, und das hat mich zutiefst erschüttert. Es waren so viele, vor allem Frauen, Kinder, Jugendliche, alte Frauen, die Schutz suchen in Polen, in Deutschland, in Europa. Ihre Männer und ihre Söhne bleiben zurück in der Heimat, um mit ihrem Leben die Heimat zu verteidigen. Die Erschöpfung, die Verzweiflung, den Mut der Frauen zu sehen, die vielen Kinder: Das kann ich auch heute noch kaum in Worte fassen; es hat mich sehr berührt. Für uns, für die Union, und für mich selbst ist vollkommen klar: Wir müssen mit aller Kraft helfen. ({0}) In der Dunkelheit gibt es immer auch helle Hoffnungsschimmer. Was wir auch erlebt haben, ist die große Hilfsbereitschaft und die professionelle Organisation unserer polnischen Nachbarn. Sie haben bereits über 1,5 Millionen Menschen aufgenommen. Polen hat ein großes Herz und einen kühlen Kopf. Auch bei uns hier in Deutschland haben die Menschen ein großes Herz. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer und engagierten Kommunalpolitiker wäre unser Staat aufgeschmissen. Wir sollten ihnen allen heute ausdrücklich danken und ihnen versichern, dass das Engagement des Bundes sie nachhaltig unterstützen muss und dass wir auch dafür Sorge tragen müssen, dass unser Ehrenamt nicht überfordert wird. Um Hilfe zu ermöglichen, braucht es auch staatliche Ordnung und Kontrolle, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der kühle Kopf. Die Bundesregierung hat eine Schutzpflicht gegenüber den vielen Frauen, Kindern und Jugendlichen, die vor dem Krieg fliehen, die Schutz suchen. Diese Schutzpflicht hat sie bis jetzt nicht ausreichend erfüllt. Bei der Registrierung, bei der Ankunft an den Bahnhöfen, bei der Erstaufnahme und der Unterbringung herrscht teilweise Chaos. Und damit nicht genug: Seit Wochen warnen die Polizeigewerkschaften vor skrupellosen Kriminellen, die versuchen, Frauen und Mädchen aus der Ukraine in ihre Gewalt zu bekommen. Nur wenige Hundert Meter von hier entfernt, am Berliner Hauptbahnhof, gibt es diese Übergriffe. Die Bundespolizei warnt dort auf Schildern junge Frauen und unbegleitete Minderjährige vor auffälligen Übernachtungsangeboten. Die Warnungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die sind richtig. Aber das darf nicht alles sein. Frauen, Kinder, Jugendliche, die vor Krieg fliehen, sie brauchen kein Laisser-faire; sie brauchen Schutz und ordnende staatliche Strukturen. Und wenn auch nur eine ukrainische Frau, die jetzt bei uns Schutz sucht, in der Zwangsprostitution landet oder auch nur ein unbegleiteter Minderjähriger in Not gerät, weil unser Staat schlecht organisiert ist oder weil er zu langsam agiert, dann lässt sich das mit nichts wiedergutmachen. ({1}) Deshalb fordern wir eine sofortige Schutzstrategie für Frauen und für Kinder, die zu uns kommen. Das bedeutet: eine systematische Registrierung direkt nach der Einreise, damit wir wissen, wer zu uns kommt, wer bleiben wird und um wen wir uns kümmern müssen. Darauf zu hoffen, dass die Frauen selbst den Weg zu einer Aufnahmeeinrichtung oder zur Ausländerbehörde finden, das ist kein Konzept. Es braucht Schutzzonen an Bahnhöfen, in denen professionelle Hilfsorganisationen die Frauen und Kinder in Empfang nehmen, sie versorgen und in zentral geschützte Erstaufnahmeeinrichtungen weiterleiten. Es ist kein Zustand, dass sich irgendwer am Berliner Hauptbahnhof und an anderen Bahnhöfen aufhält und die Frauen mitnehmen kann. ({2}) Und: Es braucht einen Krisenstab, in dem sich Bund, Länder und Kommunen dauerhaft über Verteilung, Versorgung und alle weiteren Fragen austauschen. Frau Ministerin Faeser hat diesen Krisenstab – die Grünen haben einen Flüchtlingsgipfel gefordert – diese Woche in der Regierungsbefragung vom Tisch gefegt und gesagt, das bräuchte es nicht. Aber ich glaube, auch die Grünen haben Zweifel am Krisenmanagement; sonst hätten sie diesen Flüchtlingsgipfel nicht gefordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, Sie sind in der Regierung. Handeln Sie auch danach! ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Faeser, liebe Bundesregierung, realisieren Sie endlich den Ernst der Lage, übernehmen Sie Verantwortung, und schützen Sie die Frauen und Kinder; denn es werden noch viele vor Putins Bomben fliehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin Reem Alabali-Radovan. ({0})

Reem Alabali-Radovan (Gast)

Politiker ID: 11005006

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe größten Respekt vor der Ukraine, vor ihrem Präsidenten und den Ukrainerinnen und Ukrainern. Sie kämpfen in diesen Wochen für ihr Land und ihre Demokratie. Sie kämpfen für Werte, die auch unsere sind. Es sind universelle Werte. Es geht um Freiheit, Frieden und das Leben. Putins Krieg ist damit ein Angriff auf uns alle, auf unsere Werte. Wir unterstützen die Ukraine mit aller Kraft. ({0}) In diesen Wochen fehlen uns oft die Worte: weil Putins Krieg millionenfaches unsägliches Leid verursacht, weil Geburtskliniken und Wohnungen zerbombt werden, weil Frauen, Männer und Kinder sterben. Mir stockt der Atem, wenn ich Präsident Selenskyj im Bundestag höre, wenn ich den Mut der Ukrainerinnen und Ukrainern sehe, wenn mir bei mir zu Hause in Schwerin in einer Notunterkunft eine Frau aus Charkiw ihr Schicksal, ihre Fluchtgeschichte erzählt. Auch wenn die Worte fehlen: Wir sind nicht sprachlos. Wir packen an, gemeinsam im Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen, gemeinsam im Haupt- und Ehrenamt. Was in diesen Tagen geleistet wird, ist herausragend. Deutschland hilft Menschen in größter Not. Dafür danke ich allen: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der kommunalen Verwaltungen, dem THW, der Bundeswehr, den Polizeien von Bund und Ländern. Ich danke ganz besonders den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. ({1}) Deutschland steht zusammen. Die Menschen legen einfach los, tagein, tagaus. Dafür gebührt ihnen größter Respekt und Anerkennung. Stand heute sind rund 200 000 Menschen aus der Ukraine zu uns geflohen; das ist die Größenordnung der Hansestadt Rostock. Und das sind nur die Registrierten. Tatsächlich sind es weitaus mehr – privat eingereist und untergekommen bei Verwandten und Freunden, weil Ukrainerinnen und Ukrainer ohne Visum einreisen können, weil wir niemanden an den Grenzen aufhalten, der vor Bomben und Granatsplittern flieht – und das ist auch gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Es ist in dieser schlimmen Zeit ermutigend, dass Europa zusammensteht. Putins Krieg ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas, auch für ein Europa, entstanden nach dem Horror des Zweiten Weltkrieges, das jetzt wieder stärker zusammenwächst. Die Idee des gemeinsamen Europas hat sich nicht erledigt. Ganz im Gegenteil: Sie ist aktueller denn je. Ja, die Herausforderung der Aufnahme und Unterbringung ist jetzt riesengroß, in Europa, aber auch bei uns in Deutschland. Darum ist es gut, dass wir auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – im engen, regelmäßigen Austausch sind. Die Koordinierung – da können Sie sich sicher sein – läuft auf Hochtouren. In diesen Stunden, gerade jetzt, spricht der Bundeskanzler, aber auch die Bundesinnenministerin mit allen 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Der Bund koordiniert die Ankünfte von Zügen und Bussen im Bundesgebiet. Die Länder melden ihre Kapazitäten zur Unterbringung. Alleine heute starten zum Beispiel 147 Busse mit 9 500 Plätzen, die ins gesamte Bundesgebiet fahren, genauer: in acht Bundesländer, um Berlin, Cottbus und Hannover zu entlasten. Das BAMF ist in allen Bundesländern mit Amtshilfe aktiv, vor allem bei der Registrierung. Ebenso helfen Bundeswehr und THW. Wir unterstützen zudem bei der Verteilung in Deutschland und in der EU. Das zeigt: Die Länder und Kommunen können sich auf den Bund verlassen. Wir unterstützen; denn natürlich wissen wir alle: Weder Berlin noch Brandenburg oder Bayern können das alleine stemmen. Ganz Deutschland zieht mit. Die Solidarität ist in diesen Tagen überwältigend. ({3}) Weil ich das jetzt immer gefragt werde: Ja, ich bin zuversichtlich, und ich weiß aus meiner Erfahrung von meiner Arbeit in der Erstaufnahme, dass wir 2022 besser vorbereitet sind als 2015. Wir haben in der EU mit einem historischen Schulterschluss für schnelle und unbürokratische Aufnahme gesorgt. Wir ermöglichen sicheren, langfristigen Aufenthalt für alle, die aus der Ukraine fliehen. Dafür hat die Bundesregierung mit § 24 Aufenthaltsgesetz gesorgt. Damit steht auch der Zugang zum Arbeitsmarkt und der Zugang zu Integrationskursen offen. Das ist ein Kraftakt; das ist Integration von Anfang an. Zum Schluss: Wir müssen jetzt auch klare Haltung zeigen. Es gibt keine Geflüchteten erster oder zweiter Klasse. Es darf niemals um Herkunft oder Hautfarbe gehen. Wir lassen nicht zu, wenn Drittstaatsangehörige aus der Ukraine an den Grenzen diskriminiert werden. ({4}) Polen, Rumänien und die Slowakei haben klargestellt, dass sie das auch nicht dulden. ({5}) Ich nehme solche Meldungen von den EU-Außengrenzen sehr ernst. Seien wir also gemeinsam weiterhin sehr wachsam. Wir vergessen die Geflüchteten natürlich nicht, die bereits bei uns sind und Schutz suchen, egal ob sie vorher schon aus der Ukraine stammten oder aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder dem Irak. Wir unterteilen nicht in Gruppen; wir geben allen Menschen Sicherheit, die Schutz brauchen, weil sie Menschen sind. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nein, wir sind in diesen Tagen nicht sprachlos. Wir geben klare Antworten auf Putins Angriffskrieg – in Europa, in Bund, Ländern und Kommunen, gemeinsam stark, fest an der Seite der Ukraine. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gottfried Curio hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, den wirklich vor Krieg Fliehenden muss geholfen werden, natürlich auch in Deutschland, wenn die Anrainerstaaten der Ukraine überlastet sind. Wir wollen Hilfsbedürftige versorgen. Aber wer nimmt ihnen denn jetzt die Kapazitäten weg? Nicht nur die passlosen afrikanischen Austauschstudenten, die angeblichen, ({0}) sondern vor allem die Hunderttausende Altfälle von ausreisepflichtigen Asylbewerbern, die Deutschland seit 2015 unter Angabe falscher Fluchtgründe getäuscht haben, bei denen diese Regierung sich aber – wie die vorige – weigert, sie abzuschieben. Jetzt brauchen wir aber Platz für die wirklich Hilfsbedürftigen! ({1}) Meine Damen und Herren von der Union, Ihnen wird jetzt der Spiegel vorgehalten, weil die Altlasten an illegaler Migration das System verstopfen – uns eingebrockt von Parteien, die gerne Illegale zu Legalen machen. Deshalb brauchen wir jetzt den sofortigen Stopp aller sachwidrigen Ideologieprojekte, den Stopp der Resettlement-Aktionen und von weitläufigem Familiennachzug. Wir brauchen eine Abschiebeoffensive. Herr Lindner, wo bleibt denn Ihr Abschiebebeauftragter? Das war doch eine Schaufensterankündigung. Fakt ist: Hunderttausende ausreisepflichtige Merkel-Migranten nehmen die Plätze der heute fliehenden Frauen und Kinder aus der Ukraine hier in den Aufnahmen weg. Das ist eine Schande! ({2}) Aber die Innenministerin will sogar alle aus der Ukraine Anreisenden aufnehmen, auch Nichtukrainer, die gar nicht in Not sind und nach Hause können. Die 18 Jahre alte Ukrainerin in Düsseldorf, vergewaltigt von einem Iraker und einem Nigerianer, die sich ukrainische Pässe verschafft hatten, die geht zurück nach Polen! In Deutschland ist es ihr zu unsicher. Das ist aus Deutschland geworden. Es ist eine Schande, meine Damen und Herren! ({3}) Woran erkennt man wirkliche Flüchtlinge? Die sind, anders als 2015, meist weiblich, haben ihren Pass dabei, treten dankbar auf statt fordernd, und sie wollen zurück in die Heimat. ({4}) Deshalb braucht es für die Kinder ukrainischen Sonderunterricht statt irgendwelcher Integrationen. Die hilfsbereiten Bürger aber ärgert die Kontrollverweigerung und der wieder bewusst zugelassene Missbrauch der deutschen Hilfsbereitschaft. Hier in Berlin ankommende Züge werden überhaupt nicht kontrolliert – keine Sicherheitsüberprüfung, nichts! Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei sieht 40 Prozent der Ankommenden insgesamt unkontrolliert. Deutschland steht wieder sperrangelweit offen für alle Arten unerwünschter Trittbrettfahrer, von Wirtschaftsmigranten bis Terrorristen. Denken Sie an die in der Ukraine jetzt angeforderten syrischen Kämpfer. Wer täglich 10 000 Betten bereithalten kann, der kann auch ordentlich kontrollieren für die innere Sicherheit. Wir wollen nicht, dass nach „Syrer“ und „Ortskraft“ jetzt „afrikanischer Austauschstudent“ zum neuen Passepartout wird. Wir fordern jeden Platz für ukrainische Alte, ukrainische Frauen und Kinder! ({5}) Das Elend der Flüchtlinge beendet man durch ein Ende der Kämpfe. Da ist Russland erstverantwortlich, die Verursachung menschlichen Leids zu beenden. Laut „Jerusalem Post“ fordert der israelische Premier Bennett Selenskyj auf, die russischen Angebote anzunehmen und so den Krieg zu beenden. Aber wer immer mehr Waffen hineinliefert, der trägt de facto auch dazu bei, dass der Krieg immer länger und blutiger wird. Und wer außerhalb der Städte die Panzer nicht aufhalten kann und dann einen Guerillakrieg in die Städte trägt, der erzeugt ebenfalls Flüchtlinge. Selbstverständlich übergibt man eine Stadt unzerstört und ohne zivile Opfer, wenn man militärisch unterlegen ist, selbst wenn man im Recht ist. Oder wollte irgendwer für den Ernstfall den militärischen Häuserkampf in Berlin propagieren? Angesichts der Unterlegenheit Preußens gegenüber dem Aggressor Napoleon übergab man Berlin selbstverständlich kampflos – ohne sinnlose Tote, ohne Zerstörung, ohne Aufruf zum Volksturm von Zivilisten gegen eine Armee. ({6}) Das vermeidet große Fluchtbewegungen. Die Option der NATO-Mitgliedschaft als Putins Kriegsgrund hätte man mit einem Satz vom Tisch nehmen können, wie mit dem deutsch-französischen Veto von 2008. Wer wagt es, den Menschen zu sagen, dass ihr Leben und die Unversehrtheit ihrer Heimat weniger wert sind als die Option auf Brüssel oder die Verbindung mit der NATO? Es gilt doch, Fluchtbewegungen immer im Ansatz zu vermeiden. Selenskyj und Polen wollen die Kriegsbeteiligung in den Westen tragen. Frau Esken will NATO-Soldaten in der Ukraine nicht ausschließen. Friedrich Merz kann sich NATO-Entscheidungen vorstellen, um Putin zu stoppen. Solche Kriegsausweitung ist gefährliche Zündelei! Das brauchen wir nicht, schon gar nicht in deutschem Namen. ({7}) Lassen Sie uns lieber anschließen an große Traditionen deutscher Entspannungs- und Verständigungspolitik, meine Damen und Herren. ({8}) Eines sollte klar sein: Sobald die Kämpfe vorbei sind, unterstützen wir die Menschen auf ihrem Weg zurück in die Heimat und beim Wiederaufbau. ({9}) Das ist dann nicht die Ideologie der Globalisten, die Menschen über den Globus schieben wollen, sondern das ist das wirkliche Interesse der Geflüchteten. Es sind Menschen, die ihre Heimat lieben, die ihre Heimat bewahren wollen. Sie haben unser Mitgefühl. Sie haben unsere Hilfe. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Filiz Polat hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland und Europa stehen vor der größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland hat mit dieser Bundesregierung gezeigt, dass es jetzt darauf ankommt – mehr denn je –, die Geflüchteten in den Mittelpunkt zu stellen und sich nicht über Zahlen und Obergrenzen zu zerstreiten. Ich glaube, unsere Koalition kann froh sein, dass sie mit Ministerin Nancy Faeser jemanden in Brüssel hatte, die es geschafft hat, Europa zu einen und erstmalig nach 20 Jahren in kürzester Zeit die Richtlinie zum vorübergehenden Schutz zu aktivieren. Das war wichtig und gut so angesichts der wachsenden Zahlen, meine Damen und Herren. ({0}) Frau Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Sie haben es gesagt: Mit der Aktivierung dieser Richtlinie sind jetzt entsprechende Dinge möglich: Die Menschen haben Zugang zur Gesundheitsversorgung, die Menschen bekommen den Zugang zum Arbeitsmarkt, und sie bekommen unbürokratisch Zugang zu den Integrationskursen. – Hätten wir diese Richtlinie schon 2015 und 2016 aktivieren können, hätten wir uns einiges von dem erspart, was wir erleben mussten, vor allem den Menschen, die aus Syrien geflohen sind. ({1}) Für uns, Bündnis 90/Die Grünen, ist es jetzt wichtig, dass den Worten Taten folgen. Was heißt das? Leider – das muss ich so sagen – ist in unserem Aufenthaltsgesetz nach der Aktivierung der Richtlinie die Rechtsgrundlage der § 24, den ja alle mittlerweile kennen. Im Gesetzestext heißt es leider eben nicht, dass sie uneingeschränkt den Zugang zum Gesundheitssystem haben oder dass sie arbeitsmarktberechtigt sind. Nichtsdestotrotz hat Ministerin Nancy Faeser über den Verordnungsweg es versucht möglich zu machen. Aber wir sind uns nicht sicher, Herr Staatssekretär, ob wir eine bundeseinheitliche Umsetzung hinbekommen; denn wir wissen: In Deutschland und in den Bundesländern regieren unterschiedliche Farbkonstellationen. Wenn wir eines wollen, dann ist es, dass alle, die aus der Ukraine fliehen, gleichbehandelt werden und alle – wie ich eingangs gesagt habe – unbürokratisch Zugang zu Versorgungsleistungen und zu den Integrationsmaßnahmen bekommen, und zwar von Anfang an, Frau Staatsministerin. Deshalb wollen wir sicherstellen, dass die Menschen Anspruchsberechtigte werden im Hinblick auf einen Integrationskurs, damit sie nicht nur auf dem Zulassungswege und damit abhängig von Kapazitäten einen Zugang bekommen. Wir wollen, dass sie die Erwerbserlaubnis erhalten, ohne Wenn und Aber, und das unabhängig davon, ob sie Drittstaatsangehörige aus der Ukraine oder ukrainische Staatsbürger/-innen sind, meine Damen und Herren. ({2}) Das zweite Thema ist die Registrierungsfrage. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist angehalten, nach der Aktivierung der Richtlinie ein Register aufzusetzen. Dieses Register wird jetzt erarbeitet; das wurde im Innenausschuss auch so vorgetragen. Es werden viele, viele Mitarbeiterinnen eingesetzt, um so schnell wie möglich die Menschen zu registrieren. Für uns ist es aber wichtig – das haben wir auch deutlich gemacht –, dass die Registrierung schon an den Knotenpunkten erfolgt, damit – Joachim Stamp sitzt ja auch hier – die Geflüchteten, die keine familiären Bezüge haben, klar wissen, in welches Bundesland sie kommen, und die Bundesländer klar wissen, in welche Kommunen sie sie verteilen. Das geht nur mit der Registrierung schon an den Knotenpunkten und nicht erst in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit werden wir dann auch der gewachsenen und zunehmend dynamischen Entwicklung der Fluchtbewegung gerecht, meine Damen und Herren. ({3}) In diesem Sinne war unsere Forderung, Frau Lindholz, zu verstehen, einen Flüchtlingsgipfel durchzuführen, weil wir nämlich nicht ignorieren, dass in allen Landesparlamenten genau diese Diskussion stattfindet, der Städtetag und der Landkreistag diese Frage an uns adressiert haben. Wir sind uns sicher, dass heute, auch nach der Ministerpräsidentenkonferenz, Bundeskanzler Olaf Scholz einen Schritt auf uns zugeht und diesen Flüchtlingsgipfel einberuft, meine Damen und Herren. ({4}) Letzter Satz. Ich möchte Joachim Stamp zitieren, mit dem ich in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam mit Stephan Thomae und auch Nancy Faeser die Basis für die Neuausrichtung der Migrations- und Flüchtlingspolitik dieser Fortschrittskoalition legen durfte. Lieber Joachim: Deswegen ist es unsere Aufgabe – so hast du es in der Sondersitzung des nordrhein-westfälischen Landtages gesagt –, dass wir diesem Diktator mit Aufnahmebereitschaft und vor allem mit Mitmenschlichkeit entgegentreten –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– und dass wir alles dafür tun, uns nicht spalten zu lassen. Herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist Clara Bünger für Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Seit Beginn der russischen Angriffe auf die Ukraine am 24. Februar sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 3 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten von ihnen ins Nachbarland Polen. In Deutschland wurden bisher über 175 000 Geflüchtete aus der Ukraine registriert, mit Zehntausenden mehr ist zu rechnen. Die schutzsuchenden Menschen werden in der EU mit einer riesigen Hilfsbereitschaft und Solidarität aufgenommen. Sie bekommen unkompliziert einen Schutzstatus, können hier arbeiten und durften bei Verwandten und Bekannten unterkommen, soweit dies möglich war. Es ist sehr gut, dass die Bundesregierung, aber auch die EU-Ebene hier schnell gehandelt haben. Dafür ein Dankeschön von unserer Seite. Aber all das zeigt auch, wie eine solidarische Flüchtlingspolitik funktionieren kann, wenn der politische Wille da ist. ({0}) Die Aufnahme derer, die vor Krieg, Gewalt und Zerstörung fliehen, wäre nicht möglich ohne das beeindruckende Engagement vieler Menschen, die auf freiwilliger Basis die Ankommenden unterstützen und für Unterkünfte und Verpflegung sorgen. Vielen Dank an dieser Stelle an alle Ehrenamtlichen, die hier Großartiges geleistet haben und immer noch leisten. ({1}) Doch dieses ehrenamtliche Engagement kann nicht auf Dauer staatliche Strukturen ersetzen. In vielen Städten und Gemeinden fehlt es aktuell an qualifiziertem Personal, an Wohnungen und weiteren Ressourcen. Ich war letzte Woche selbst am Berliner Hauptbahnhof und habe als Freiwillige am Infodesk unterstützt. Jeden Tag kommen dort Tausende Menschen an, Tendenz steigend. Die Unterkünfte sind so voll, dass die Menschen teilweise in Zügen und Bussen übernachten müssen. Deshalb ist es aus unserer Sicht richtig, dass Geflüchtete jetzt auch auf andere Bundesländer verteilt werden. Es geht aber nicht nur um Verpflegung und Unterbringung, sondern auch um qualifizierte Beratung. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Als ich letzte Woche am Hauptbahnhof war, berichtete mir eine Person, dass sie ihren Vater, der aus der Ukraine geflohen war, aus Polen abholen wolle. Der Vater sei allerdings dement und in Begleitung seiner Pflegerin vor dem Krieg geflüchtet. Die Frage war: Kann diese Pflegerin, die keine ukrainische Staatsbürgerschaft hat, ebenfalls nach Deutschland kommen? Bekommt sie hier auch Schutz? Das ist nur ein Beispiel von vielen, und es zeigt, dass es mehr professionelle Anlaufstellen für Geflüchtete braucht. ({2}) Das ist eine staatliche Aufgabe. Hier muss schnell gehandelt werden; die Bundesregierung muss Länder und Kommunen hier finanziell unterstützen. Bei all der berechtigten Freude über die solidarische Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine dürfen wir nicht vergessen, dass die Abschottung an der EU-Außengrenze gegenüber Menschen unverändert weitergeht. Polen ist immer noch dabei, eine fast 6 Meter hohe Mauer zur Abwehr von nichteuropäischen Geflüchteten zu bauen. Polnische Sicherheitskräfte schicken immer noch Schutzsuchende rechtswidrig in die Kälte oder gar in den Tod zurück oder sperren sie in geschlossene Lager. Nach wie vor werden Schutzsuchende unter unwürdigen Bedingungen in Hotspotlagern auf den griechischen Inseln festgehalten. Und nach wie vor ertrinken Menschen im Mittelmeer oder werden an den EU-Außengrenzen mit brutaler Gewalt an der Einreise in die EU gehindert und zurückgewiesen. Das ist nicht nur ganz klar rechtswidrig, weil das Refoulement-Verbot eben eine absolute und notstandsfeste Garantie ist; es zeigt auch eine Doppelmoral im Umgang mit Geflüchteten, die aus meiner Sicht Ausdruck eines tiefsitzenden Rassismus ist. ({3}) Dabei sollte doch klar sein, dass man bei Menschen keinen Unterschied macht, wenn sie vor Kriegen fliehen. Es darf eben keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben. ({4}) Auch bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine kommt es zu rassistischer Diskriminierung. Auch wenn Sie als Staatsministerin das verurteilen, was ich natürlich sehr begrüße, sieht die Realität leider anders aus. Es kommt zu rassistischer Diskriminierung von Menschen, die aus der Ukraine fliehen. Studierende aus afrikanischen Ländern werden an den Grenzen aus Zügen geholt, durchsucht und schikaniert. Im Unterschied zu ukrainischen Staatsangehörigen haben sie zudem in der Regel keinen Anspruch auf einen unkomplizierten Schutzstatus; die Kollegin Polat hat es angesprochen. Diese Schutzlücken müssen aus meiner Sicht noch geschlossen werden. ({5}) Studierende aus Drittstaaten müssen die Möglichkeit bekommen, hier ihr Studium fortzusetzen, wenn sie das möchten. Nun zum Schluss noch ein Wort zur Union. Frau Lindholz, ehrlich gesagt, finde ich es unerträglich, dass Sie in dieser Notsituation, in der ausnahmsweise vieles von der Bundesregierung richtig gemacht wird, schon wieder Gefahren herbeireden und versuchen, Ängste zu schüren. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich beende gleich meine Rede.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ja.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dass Sie hier solche schlimmen Vorgänge für Ihre politischen Zwecke verwenden, ist einfach dreist. Wenn Sie es wirklich ernst meinen würden, dann würden wir das Problem unter einer anderen Überschrift, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– nämlich unter der Überschrift „Strafbarkeitslücken“, diskutieren. Ein Glück, dass Sie nicht mehr in der Regierung sind. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stephan Thomae spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj heute Morgen hier im Deutschen Bundestag hat mich und sicherlich uns alle extrem aufgewühlt. Die von ihm beschworenen Bilder von Städten, die dem Erdboden gleichgemacht werden, von Krankenhäusern, Schulen, Wohnhäusern, die beschossen werden, sowie Tausende unschuldige Ukrainer, die gestorben sind: All das ist nicht zu ertragen. Schon heute lässt sich vorhersagen, wo der Platz Wladimir Putins in der Geschichte zu suchen sein wird: in der Ahnengalerie der großen Menschheitsverbrecher. ({0}) Selenskyj hat von den Mauern gesprochen, hinter denen wir uns nicht verschanzen dürfen. Niemand weiß so genau wie wir Deutsche: Mauern sind unmenschlich. Die Ukraine darf nicht hinter einer Mauer verschwinden, meine Damen und Herren. Innerhalb der letzten drei Wochen haben bereits mehr als 3 Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, die Ukraine verlassen. Nur zum Vergleich: In den zwei Jahren der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 sind ungefähr 1,2 Millionen Asylanträge in Deutschland gestellt worden. Nach Polen kamen innerhalb dreier Wochen bis heute schon fast 2 Millionen Menschen. Das zeigt uns: Wir erleben die größte Fluchtbewegung, die Europa seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, und vielleicht machen wir uns noch gar keine Vorstellung, welche Dimension diese Flucht noch annehmen kann. Deshalb danken wir den vielen ehrenamtlichen Helfern, die den Ankommenden ihre freie Zeit widmen, ihnen ein freies Zimmer anbieten oder für den täglichen Bedarf einkaufen. All diese Menschen verdienen Dank und Respekt. Ich will, weil ich dafür Beispiele kenne, auch ausdrücklich erwähnen, dass sich unter den freiwilligen Helfern auch Menschen mit russischer Herkunft befinden, die voller Scham angesichts der Kriegsverbrechen sind, die in diesen Tagen in russischem Namen begangen werden, und die jetzt großen Anfeindungen in Deutschland ausgesetzt sind. Wir dürfen auch nicht Putin mit Russland gleichsetzen oder Putin gleichsetzen mit allen Menschen, die russisch sprechen oder russischstämmig sind, meine Damen und Herren. ({1}) Natürlich stößt auch Freiwilligkeit irgendwo an ihre Grenzen. Das gilt sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Bereich. Deswegen dürfen wir uns auch nicht allein nur auf Freiwilligkeit verlassen. Wir sind voller Anerkennung für die vielen freiwilligen Helfer und Ehrenamtler. Aber: Der Rechtsstaat hat auch eindeutige Regeln, wer welchen Beitrag leisten muss, und folglich werden wir diese Regeln auch anwenden. Deswegen hat die Bundesregierung gestern die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel aktiviert; und das ist richtig so. Aber auch in der EU müssen wir klare Regeln definieren, wie wir als Rechts- und Wertegemeinschaft unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden wollen und wer welchen Beitrag erbringen muss. Denn auch humanitäre Pflichten sind Pflichten, meine Damen und Herren. Deshalb begrüße ich, dass die Bundesregierung darauf hinwirken wird, dass ein fairer europäischer Verteilungsschlüssel angewandt wird, sodass sich nicht einige wenige hinter der Hilfsbereitschaft der vielen wegducken können und wir die Fehler der Jahre 2015 und 2016 nicht wiederholen. Eine gerechte Verteilung setzt natürlich auch voraus, dass wir wissen, wer bei uns ankommt. Und deswegen müssen wir die Menschen, die hier ankommen, auch erfassen und registrieren. Denn nur dann, wenn wir wissen, wie viele Menschen ankommen, wer ankommt, wie viele davon alte Menschen, Kinder, Familien oder Alleinstehende sind, können wir die Hilfen auch zielgerichtet an den Mann, an die Frau und an das Kind bringen. Kinder, die zum Beispiel Kriegshandlungen miterleben mussten, sind traumatisiert, müssen betreut werden. Ältere Menschen brauchen Pflege und Betreuung. Deshalb hat die Bundesregierung auch bereits mit der Registrierung der Flüchtlinge begonnen. Denn eine möglichst lückenlose Registrierung schützt auch die Menschen, die bei uns ankommen, meine Damen und Herren. Damit all das europaweit geschehen kann, braucht es insgesamt eine Koordinierung durch die Europäische Kommission und eine faire Verteilung auf die Mitgliedstaaten der EU. Meine Damen und Herren, Putins Krieg gilt in erster Linie der Ukraine. Aber: In zweiter Linie soll er auch dazu dienen, Europa durch eine Flüchtlingswelle zu destabilisieren. Indem wir diese Flüchtlingswelle gemeinsam europäisch meistern, durchkreuzen wir den Plan des russischen Diktators und setzen gegen die Barbarei ein Zeichen der Menschlichkeit. Wir zeigen, dass unser Platz jetzt an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer ist. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Detlef Seif hat jetzt das Wort für die Unionsfraktion. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst vorab deutlich zum Ausdruck bringen, dass es völlig unverständlich ist, dass die Bundesinnenministerin heute dieser Aktuellen Stunde unentschuldigt fernbleibt. ({0}) Die Regierungsvertreter haben in den letzten Tagen im Innenausschuss und bei der gestrigen Regierungsbefragung jegliche Kritik an der Bearbeitung der Vertriebenenkrise von sich gewiesen. Warum gibt es dann aber die Hilferufe aus den Bundesländern? Und wie kommt die Deutsche Polizeigewerkschaft zu dem Schluss, dass die Bundesregierung noch nicht mal im Ansatz einen Plan hat? Wieso fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund ein koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen? Die Chefs der Staatskanzleien sehen den Bund hier in der besonderen Verpflichtung, die bundesweite Koordinierung schnell zu verbessern. Umfangreiche Lageberichte, technische Unterstützung und vor allem ein strukturiertes Verteilungsverfahren sind das Gebot der Stunde. ({1}) Wenn Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Ländern die Schuld gibt und sie auffordert, frühzeitig in großem Umfang Aufnahmekapazitäten zu melden, verkennt er das Hauptproblem: Wir haben es mit der größten Vertriebenenkrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu tun. Das Fluchtgeschehen ist sehr dynamisch, und niemand kann die exakte Zahl der Vertriebenen vorhersehen. Die Vereinten Nationen rechnen mit bis zu 8 Millionen Menschen, die die Ukraine verlassen. Das ist aber keine Obergrenze. Offensichtlich setzt Putin seine Kriegsmaschinerie gegen die Zivilbevölkerung auch deshalb ein, um möglichst große Fluchtbewegungen zu verursachen. Wir können auch in Deutschland keine Zahlen prognostizieren; und genau hierauf – das ist der Knackpunkt – muss sich die Bundesregierung einstellen. Appell Nummer eins an die Bundesregierung: Verstecken Sie sich nicht hinter den Ländern und Kommunen! Es reicht nicht, wenn Sie wie bisher auf die Flüchtlingsströme, die in Deutschland ankommen, reagieren. Gefragt sind jetzt Führung, Vorausschau und Planung, ({2}) und zwar eine Planung, die die zu erwartende Flüchtlingszahl berücksichtigt. Sonst werden wir, vor allem aber die Flüchtlinge, um die es geht, eine böse Überraschung erleben. Appell Nummer zwei an die Bundesregierung: Es sollte schnellstmöglich ein Vertriebenengipfel stattfinden; der ist wirklich erforderlich. Entsprechen Sie auch dem Vorschlag der Deutschen Polizeigewerkschaft! Eine professionelle Aufbauorganisation muss auf den Weg gebracht werden. Appell Nummer drei an die Bundesregierung: Tun Sie alles, um einen Missbrauch des Vertriebenenschutzes zu verhindern! Im Innenausschuss haben Sie zwar erklärt, dass Sie den Kreis der Schutzberechtigten, wie er in dem EU-Beschluss aufgeführt ist, nicht erweitern wollen. Fakt ist aber, dass zunächst alle Menschen, die aus der Ukraine kommen, nach der Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums vom 7. März 2022 keinen Aufenthaltstitel benötigen: keine Unterscheidung nach rechtmäßig bzw. unrechtmäßig, keine Frage danach, ob Drittstaatsangehörige gefahrlos zurück in ihre Heimat können. Es ist auch unbefriedigend, dass aktuell keine umfassende Registrierung der Personen umgesetzt wird. Die Begründung der Ministerin, dass eine Rechtsgrundlage zur Registrierung fehlt, ist nicht stichhaltig. Ukrainische Staatsangehörige können ganz klar visumsfrei einreisen; aber nichts spricht dagegen, dass sie im Zuge eines Schutzgesuches registriert werden, wie das Gesetz es auch vorsieht. ({3}) Und wenn die Bundesinnenministerin betont, dass man die Menschen an der deutsch-polnischen Grenze doch nicht nochmals stundenlang in der Kälte warten lassen könne, ist das richtig; aber bei einer professionellen Umsetzung ist das gar nicht erforderlich. Machen wir es wie die Polen, die die Registrierung an einen Benefit knüpfen, nämlich an bestimmte staatliche Leistungen! Eine gute und professionelle Regierungsarbeit fängt nicht erst an der deutschen Grenze an. Die enge Zusammenarbeit mit den Behörden der ukrainischen Anrainerstaaten, insbesondere mit Polen, ist wichtig. Meine Damen und Herren, das Schicksal der vom Angriffskrieg Russlands betroffenen Menschen berührt uns alle. Öffnen wir unser Herz möglichst weit und unterstützen die Ukraine und ihre Menschen! Aber bitte: Vergessen wir den Verstand nicht, damit die Hilfe bestmöglich ankommt bei denen, die sie benötigen, und zwar nur bei denen, die wirklich schutzbedürftig sind! Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gülistan Yüksel spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz am Anfang zu Ihnen, Herr Kollege Seif: Wenn Sie eben richtig zugehört hätten, hätten Sie mitbekommen, dass die Ministerin bei der MPK ist, die in diesen Minuten zu Ende geht. Die Terminkollision ist auch der Verschiebung der Debatte geschuldet. Ich würde Sie bitten, da einfach mal ein bisschen auf dem Teppich zu bleiben. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenige Meter von diesem Rednerpult entfernt kommen Tausende Menschen an, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen müssen. Als ich in der vergangenen Woche am Bahnhof war, stand ich mitten unter ihnen. Nicht zu übersehen war in ihren Gesichtern der Schrecken des Krieges: traurige Augen, verängstigte Blicke, Kinder, die unter Schock einfach nur verstummen, Mütter, die irgendwie funktionieren im fremden Land, herausgerissen aus ihrem Familienleben. Sie wissen nicht, ob sie ihre Söhne, ihre Brüder, ihre Männer, ihre Väter überhaupt wiedersehen. Sie wissen nicht, ob sie ihre zurückgebliebenen Angehörigen irgendwann wieder in die Arme schließen können. Der Krieg in der Ukraine – der Krieg in Europa! – bringt schreckliches Leid für so viele Menschen. Er ist eine humanitäre Katastrophe, für die es nur einen Schuldigen gibt: Diktator Putin. Seit Beginn seines Angriffskrieges sind schon 3 Millionen Menschen geflüchtet. Und diese Zahl steigt jede Minute, in der dieser Krieg tobt. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die eindringliche Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj heute Morgen hat, denke ich, uns allen unsere große Verantwortung deutlich gemacht. Wir müssen alles tun, um diesen Krieg zu beenden. Wir müssen alles tun, um das Leid der Menschen zu lindern. Ich bin dankbar, dass unsere Regierung genau dies mit ihren unermüdlichen Friedensbemühungen versucht, und denke, dass sie es auch weiter versuchen muss. Lassen Sie uns dafür jenseits von parteipolitischen Inszenierungen zusammenstehen! Und lassen Sie uns gemeinsam zeigen: Deutschland steht solidarisch an der Seite der Ukraine. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, wir erleben die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Jede Minute, die wir hier zusammen sind, kommen weitere Menschen: schwangere Frauen, Menschen mit einer Behinderung, ältere Menschen, Neugeborene oder unbegleitete Minderjährige. Was jetzt zählt, ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe. Ich bin froh, dass wir diese Hilfe gemeinsam im Schulterschluss auch mit unseren europäischen Partnern geben. Mit der Aktivierung der sogenannten EU-Massenzustrom-Richtlinie bieten wir unmittelbaren Schutz. Wir gewähren einen Aufenthaltstitel und Zugang zum Arbeitsmarkt sowie Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Kinder können zur Schule gehen, und Erwachsene haben die Möglichkeit, an Integrationskursen teilzunehmen. Angesichts des riesigen Zustroms unterstützt der Bund mit Bussen bei der Verteilung der Menschen, um Überlastungen an Knotenpunkten zu verhindern. Gleichzeitig helfen die Mitarbeitenden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge als Registerbehörde bei der Erfassung. Gemeinsam mit den Ländern und Kommunen organisieren wir so die nötige Hilfe. Besonders wichtig ist mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir die vielen Kinder mit ihren schrecklichen Erlebnissen nicht alleine lassen. Wir müssen Kindern schnell eine Tagesstruktur geben. Wir müssen die Aufnahme in Schulen, in Gemeinden, in Vereinen, in den Alltag möglichst schnell unterstützen. Wir müssen ihre seelischen Wunden heilen und hierfür psychosoziale Angebote bereitstellen. Schutzlücken dürfen für die besonders gefährdeten Gruppen nicht entstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gerade bei der Unterbringung muss der Kinderschutz oberste Priorität haben. Die Bomben des Krieges haben den so jungen Menschen in nur wenigen Sekunden ihre Kindheit genommen. Wir wollen alles dafür tun, ihnen diese Kindheit hier zurückzugeben. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, als ich vergangene Woche am Bahnhof zwischen all den geflüchteten Menschen stand, habe ich mich hilflos und dankbar zugleich gefühlt: hilflos angesichts des Leidens der Menschen – und dankbar, in einem Land zu leben, in dem es so viel Solidarität gibt. ({2}) Denn neben all dem Leid ist eine enorme Hilfsbereitschaft und Solidarität allgegenwärtig. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die sich so engagiert einsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Mensch, der auf der Flucht ist, braucht Schutz – sei es aus der Ukraine, aus Afghanistan, aus Jemen oder aus einem anderen Land. Jeder vor Krieg und Gewalt flüchtende Mensch muss deshalb gleichermaßen willkommen sein, egal welcher Nationalität er angehört. Es ist unsere politische und menschliche Aufgabe, alles dafür zu tun, um Menschen auf der Flucht und in ihren Heimatländern zu helfen. Ich wünsche mir, dass wir uns hier im Parlament von der großen Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land leiten lassen. Deutschland ist ein starkes Land. Lassen Sie uns diese Stärke nutzen! Lassen Sie uns parteiübergreifend alles dafür tun, den geflüchteten Menschen bestmöglichen Schutz zu geben – solange dies nötig ist. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Unser Kollege Leon Eckert hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Leon Eckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005047, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir sehen die Bilder der Menschen, die gerade zu uns kommen. Die Frau Kollegin hat es gerade eindrucksvoll beschrieben: erschöpft, desorientiert, sie haben Verwandte und Freunde zurückgelassen, mussten aus ihrem Zuhause fliehen. Das sind Bilder, bei denen auch mir die Luft wegbleibt, Verzweiflung sich auf uns, auf mich überträgt, Unsicherheit vor dem, was kommt, aber auch Wut auf den Verursacher all dieses Leids. Diese Emotion wird durchbrochen, wenn ich sehe, dass die Helfer/-innen in ihrer Einsatzkleidung, in Warnwesten, die Feuerwehrleute, das THW, die anderen Hilfsorganisationen kommen, und dann wächst meine Entschlossenheit, dass wir alles tun, diesen Menschen zu helfen, und alles zu tun, der Ukraine beiseitezustehen. ({0}) Jeden Tag sind jetzt Helfer im Land unterwegs, im Einsatz, packen an. Da wird nicht gefragt: „Wer kommt da?“, sondern: „Wann geht’s los?“ Bei uns im Ort wurde direkt am nächsten Tag schon überlegt: Welchen Ort wandeln wir in eine Unterkunft um? Welche Turnhallen haben wir? Wie bauen wir die Verpflegung auf? Wie schnell das geht, habe ich bei meiner eigenen Feuerwehr erlebt. Da kam der Einsatzbefehl, und – plopp, plopp, plopp – sofort waren die Zusagen da, wer alles kommt und wer mit aufbaut. Da finden Infoabende von Freiwilligen für Freiwillige statt; denn die Helferkreise sind ja immer noch aktiv. Da sagen jetzt die, die seit vielen Jahren Geflüchtete betreuen, wie es geht. In Zolling zum Beispiel gibt es eine super Anleitung des Helferkreises zur Aufnahme von Geflüchteten zu Hause – empathisch, so aus der Anwendersicht, dass man weiß: Die Leute wissen, wovon sie reden: Wie mache ich die Meldung? Der Vordruck für die E-Mail – alles ist da. Unglaubliches Engagement. Und ich weiß, dass es überall in unserer Republik Menschen gibt, die gerade mit aller Kraft dieses Engagement auf die Straße bringen. ({1}) Dieses ehrenamtliche Engagement von unten, in den Städten und Gemeinden, das macht unser Land stark. Und diese Ehrenamtlichen stehen an der ersten Stelle, um Schutz zu bieten und die Menschen aufzunehmen. Eine große Aufgabe steht vor uns. Diesen Elan dieser Menschen, die jetzt gerade agieren, brauchen wir auch hier. Wir müssen einfach merken: Dazu gehört auch, aus der Vergangenheit – 2015/2016 – zu lernen. Das ist leider unter dem vorherigen Bundesinnenminister nicht passiert. Es gab eine verkrampfte Debatte: Worauf können wir jetzt stolz sein und worauf nicht, was haben wir geschafft und was nicht? Aber wir haben nicht aus den Fehlern gelernt und uns nicht verbessert. Haben wir wirklich die Hürden abgebaut, die uns mitgeteilt worden sind? Sind wir auf die Helferinnen und Helfer eingegangen, die ja vor Ort selber ihre Abläufe optimiert haben? Feldbettenknappheit gibt es schon wieder, weil wir nichts eingelagert haben. Ich bin der Meinung: Wir haben zu wenig getan, um uns zu verbessern. Drei kleine Beispiele: Vor dem Hintergrund der Erfahrungen von 2015/2016 gibt es nun das „Labor Betreuung 5 000“, eine Einheit, schnell aufbaubar, verlegbar an viele Stellen, jetzt im Einsatz am Flughafen Tegel, um 5 000 Personen unterzubringen. Eine Einheit haben wir, eine wird gerade beschafft. Wir bräuchten viel mehr. In der aktuellen Situation könnten wir damit so viel besser helfen. ({2}) Zweites Beispiel: Spontanhelfer. Hochwasser, Geflüchtete unterbringen, wieder Hochwasser, die Ahrtal-Katastrophe. Jedes Mal heißt das Resümee: Es gibt Spontanhelfer, und wir haben nicht die Struktur, um zu verknüpfen, zu verbinden, sie richtig einzusetzen, sie abzulösen. – Und es kann ja nicht unser Anspruch sein, dass, wenn die staatliche Struktur kommt, wir dann schlechter sind als das, was ehrenamtlich aufgebaut worden ist. ({3}) Das heißt, es ist notwendig, jetzt endlich zu den Spontanhelfern zu gehen, Lehren aus 2015 zu ziehen und sie auch mitzunehmen und umzusetzen. ({4}) Und dann das Thema Anerkennung: In jeder Rede wurde den Helferinnen und Helfern gedankt. Ich weiß, dass sich viele darüber freuen. Ich weiß aber, dass viele mehr als warme Worte brauchen. Wir haben in unseren Koalitionsvertrag endlich die Helfergleichstellung aufgenommen, dass der Feuerwehrmann genauso behandelt wird wie die Helferin vom DRK. Wenn sie eine Nacht helfen und der eine den nächsten Tag zu Hause bleiben darf und die andere nicht, dann geht es so nicht. Wir brauchen die Helfergleichstellung jetzt demnächst. ({5}) Ehrenzeichen: Für 2015 und 2016 gibt es immer noch kein Ehrenzeichen. Das sind kleine Sachen, wo wir sagen müssen: Das ist Anerkennung und Wertschätzung. – Ich weiß, dass in den letzten Jahren gerade in meinem Wahlkreis viele Helferkreise gesagt haben: Wir wurden eher als Klotz am Bein wahrgenommen denn als Bereicherung. Das ändert sich jetzt hoffentlich, und das sollten wir dann auch so in Zukunft durchhalten. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürger und Bürgerinnen, lassen Sie uns das Ehrenamt und unseren Bevölkerungsschutz jetzt gemeinsam stärken und aus diesen Krisen lernen und da Geld investieren: für die Unterbringung, für die Wertschätzung, für die Helfergleichstellung. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für den Bundesrat gebe ich das Wort an den Kollegen Dr. Joachim Stamp. ({0})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe das gestern hier ausgeführt: Wladimir Putin will mit Vertreibung Europa destabilisieren, unsere Gesellschaften destabilisieren. Er will uns auch spalten. Und ich muss ganz ehrlich sagen, auch als Mitglied des Bundesrates, wo uns das Gott sei Dank erspart bleibt, dem Bundesrat selbst jedenfalls: Eine solche Partei gibt es eben leider auch in diesem Parlament, eine Gruppierung, die genau diesem Ziel von Putin Vorschub leisten will. ({0}) Aber die Demokraten in diesem Haus sind stärker, und wir werden gemeinsam die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine verteidigen. ({1}) Wir üben Solidarität mit den Vertriebenen. Wir sind in einer anderen Situation – ich glaube, dass es auch wichtig ist, das immer wieder zu erklären – als 2015. Sie ist aber nicht weniger herausfordernd; sie ist vielleicht sogar noch herausfordernder. Wir haben eine andere Situation als 2015, weil momentan in großen Mengen Frauen und Kinder zu uns kommen. Das ist natürlich besonders herausfordernd, weil wir für sie in den nächsten Wochen die entsprechenden Betreuungs- und vor allem auch Bildungsangebote schaffen müssen. Darauf sind wir so nicht vorbereitet gewesen. Wir wissen alle um den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern, den wir in Deutschland haben. Wir wissen auch, dass wir nicht ausreichend Schulpsychologinnen und Schulpsychologen für die Betreuung Traumatisierter haben. Das alles sind Herausforderungen, mit denen wir zu tun haben. Wir haben auch nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher. Das wird für uns alle eine ganz, ganz besondere Herausforderung. Frau Lindholz hat natürlich recht, wenn sie sagt, dass es auch unsere Aufgabe ist, gerade den Frauen und Kindern, den unbegleiteten Minderjährigen einen besonderen Schutz zu geben. Ich will aber eines auch ganz deutlich sagen: Das wird auch deswegen eine besondere Herausforderung, weil so viele in so kurzer Zeit kommen. Auch das ist ein Unterschied zu 2015. – Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich alle in dieser Debatte verstanden haben, ({2}) und ich rede nicht nur von der Debatte hier in diesem Haus, sondern ich rede auch darüber, wie das Thema in Europa bisher diskutiert worden ist, wo sich Hauptstädte zu Wort melden, die sagen, ja, sie seien auch bereit, 2 000 oder 3 000 Menschen aufzunehmen. – Das wird nicht reichen. Wir brauchen eine andere Solidarität. Alleine in Polen sind in drei Wochen knapp 2 Millionen Menschen angekommen. Polen leistet Großartiges – ich habe heute mit einer polnischen Delegation sprechen können –, aber Polen wird nicht mehr viele Menschen aufnehmen können. Wenn Putin den Vertreibungsterror so weiter fortsetzt, dann werden in den nächsten drei Wochen wieder 2 bis 3 Millionen Menschen in die Europäische Union kommen. Viele werden alleine von der geografischen Lage her dann natürlich Deutschland ansteuern. Es gibt ja den Wunsch, möglichst nahe an der Heimat zu bleiben. Auch das ist ein Unterschied – zumindest in Teilen – zu denjenigen, die 2015/2016 gekommen sind: dass es einen unmittelbaren Wunsch gibt, so schnell wie möglich wieder zurückzukehren. Aber es wird jetzt um die Bewältigung der Notsituation gehen: Wie bekommen wir diese Menschen jetzt untergebracht? Wenn wir ihnen mit den Standards gerecht werden wollen, wie das eben hier angemahnt worden ist, dann wird es nur gehen, wenn wir die internationale Verteilung hinbekommen. Wir sagen immer gerne: „Wir schaffen das“, und wir wollen das schaffen. Und ich bin auch überzeugt: Wir werden das schaffen. Aber wir werden es eben nur schaffen, wenn es auch diese internationale und europäische Solidarität gibt, ({3}) wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten, wenn Kanada, wenn Australien, aber auch die anderen europäischen Länder wirklich große Kontingente übernehmen. ({4}) Sonst können wir den Schutz auf dem Niveau, wie er hier beispielsweise von der Kollegin Lindholz vorhin gefordert worden ist, gar nicht leisten. Aber ich will auch dazusagen: Ich gehe davon aus, dass es gelingen wird, diese internationale Solidarität zu organisieren. Dennoch bedeutet allein die Zahl der Menschen, die wir hier bei uns in Deutschland aufnehmen, eine historische Herausforderung. Es gibt auch einen Unterschied zur polnischen Gesellschaft, was die Aufnahme angeht. Wir loben jetzt alle, dass das in Polen so fantastisch funktioniert hat, und dann sagen viele: Das kann hier doch genauso passieren. – Wir hatten in Polen vor Kriegsbeginn eine ukrainische Community von etwa 2 Millionen Menschen. Von diesen hat jetzt fast jeder privat jemanden aufgenommen. Die polnische Delegation hat mir eben noch mal eindrucksvoll geschildert, dass Polen bisher ohne Flüchtlingslager ausgekommen ist. Das werden wir hier nicht schaffen. Ich habe bei mir in Nordrhein-Westfalen 30 000 Menschen, die zur ukrainischen Community gehören. Die sind natürlich jetzt auch dabei, Menschen aufzunehmen; aber es ist natürlich eine ganz andere Dimension, als das in Polen der Fall gewesen ist. Deswegen mobilisieren wir gerade alle verfügbaren Flächen, alle Hallen, aber – das sage ich auch dazu – wir brauchen eine noch bessere Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen. ({5}) Ich habe gestern hier an dieser Stelle ja ganz bewusst um einen nationalen Flüchtlingsgipfel gebeten, auch im Namen der Kommunen. Wenn die Kollegin Polat jetzt darauf hinweist, dass der Bundeskanzler dazu einladen will, dann bin ich ausgesprochen dankbar, dass so zügig gehandelt wird. Ich begrüße das ausdrücklich, und ich sage für uns in Nordrhein Westfalen: Wir werden sehr kurz danach auch von unserer Seite aus einen entsprechenden Gipfel organisieren, um die Arbeit mit den Hilfsorganisationen und allen Beteiligten zu koordinieren. Ich glaube, das ist das, was jetzt notwendig ist. ({6}) Meine herzliche Bitte an Sie alle: Wir wissen, es gibt in Bälde Landtagswahlen – im Saarland, auch bei uns in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein. Wir sind alle Menschen, und es ist natürlich verführerisch, auch bei diesem Thema parteipolitische Geländegewinne zu machen. Ich kann Sie alle als Fraktionen, als Vertreter eines Landes nur herzlich darum bitten, zu versuchen, dies zu verhindern. Wir sind es auch den Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern, die sich momentan vor Ort verausgaben, schuldig, dass wir hier gemeinsam handeln. ({7}) Wir werden viel improvisieren müssen. Es ist aber eben auch notwendig, dass es systematische Top-down-Entscheidungen gibt. Wenn dafür jetzt der Weg geebnet wird, bin ich sehr dankbar. Ich will den Bürgerinnen und Bürgern und auch den Ukrainerinnen und Ukrainern, die zu uns kommen, aber an dieser Stelle ganz offen sagen: Wir müssen uns ehrlich machen und sagen: Es wird nicht alles so klappen, wie wir uns das wünschen. Es wird auch immer wieder Hilfsangebote auf Zuruf geben müssen. Es wird improvisiert werden müssen. Aber je mehr wir hier gemeinsam zusammenstehen und nicht den individuellen Fehler bei irgendeinem Organisationsablauf suchen, sondern uns gemeinsam unterstützen, um diesen Fehler vielleicht schnell auszubügeln, dann werden wir das auch tatsächlich gemeinsam schaffen. Haben Sie herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dorothee Bär hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf vielleicht noch mal kurz darauf hinweisen, warum wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Uns geht es um die jetzige Lage der ukrainischen Flüchtlinge, um ihre Versorgung, um ihre Registrierung; das haben die Kollegin Lindholz und der Kollege Seif auch schon deutlich gemacht. Es geht um die Organisation der Verteilung, um die Sicherstellung der Teilhabe, aber ganz besonders eben auch um den Schutz der Kinder, um den Schutz der Frauen, um den Schutz der Mütter. Ich betone es deswegen, weil ich außer vom Kollegen Stamp relativ wenig dazu gehört habe – auch im Hinblick auf die Hilfe der Bundesregierung –, was wir jetzt konkret leisten, was wir jetzt konkret machen, um das Chaos an den Bahnhöfen zu beseitigen, um die Registrierung in den Griff zu bekommen. Deswegen ist natürlich die Kritik, dass nicht nur die Bundesinnenministerin nicht da ist, schon angebracht. Die Bundesfamilienministerin ist aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt – in Ordnung –; aber dass kein einziger Minister, keine einzige Ministerin der Bundesregierung jetzt hier ist, das, finde ich ehrlicherweise, ist dem Thema nicht angemessen. Das muss man auch mal so deutlich sagen. ({0}) Wir brauchen die Hilfe in unterschiedlichen Stufen: Wir brauchen sie jetzt kurzfristig, aber wir brauchen sie auch mittel- und langfristig. Das möchte ich jetzt schon einmal betonen, damit es nicht in ein paar Wochen heißt: Jetzt stehen wir vor Herausforderungen, das wussten wir wieder alles nicht, wie es neulich in der RegPK zu hören war. – Nein, wir wissen ja jetzt schon, dass es nicht nur um die aktuellen Stunden und Tage geht. Wir werden natürlich auch in den nächsten Wochen, Monaten und auch Jahren Hilfe leisten müssen, nicht nur vor Ort, sondern eben auch im eigenen Land. Was mich wirklich betroffen gemacht hat, war die Situation, die wir heute früh hier im Plenum hatten. Wir haben einen Bundeskanzler, der auch deshalb ins Amt gekommen ist, weil er ganz Deutschland flächendeckend mit „Respekt“ plakatiert hat. Respekt – wo war der Respekt heute früh? Das muss ich mal ganz offen fragen. ({1}) Das geht einfach nicht, was hier abgezogen wurde. Das ist mangelnder Respekt. Das ist auch mangelnde Empathie. Bevor ich zu den technischen Punkten komme, muss ich noch etwas zu den Frauen und Kindern sagen, die schwer traumatisiert sind und dann hier in Deutschland einem weiteren Trauma ausgesetzt werden, wenn sie sich nicht sicher fühlen. Wir haben alle diese Artikel gelesen, und ich meine jetzt nicht nur Artikel in Zeitungen mit wenigen großen Buchstaben. Auch in den langen Artikeln zum Beispiel in der „Zeit“ kann man lesen, was Frauen und Kinder hier zum Teil durchmachen. Da würde ich mir einfach wünschen, dass diese Bundesregierung mehr Empathie an den Tag legt und sich wirklich 24/7 reinhängt. Die Kolleginnen der SPD haben vorhin gesagt: Wir tun alles. – Nein, das tun Sie nicht! ({2}) Wir hatten gestern im Familienausschuss eine Diskussion. Ich habe die Staatssekretärin nach der Beteiligung des Familienministeriums gefragt. Da hieß es: Ja, wir haben einen Krisenstab einmal die Woche. – Einmal die Woche! „Ja, wir sind nicht federführend zuständig.“ – So was kann ich nicht mehr hören. Das kann kein Bürger da draußen mehr hören. Wer ist nicht federführend zuständig? Die gesamte Bundesregierung ist federführend zuständig, und da erwarte ich, dass das BMFSFJ auch täglich dabei ist. ({3}) Das Verkehrsministerium ist doch auch jeden Tag in einem Krisenstab im Kanzleramt vertreten, und das muss das Familienministerium auch. ({4}) Heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über Verfehlungen der Ministerin an der Ahr zu sprechen, okay. ({5}) Aber wenn ich schon einmal nicht Verantwortung für Menschen übernommen habe, habe ich gefälligst jetzt Verantwortung zu übernehmen. ({6}) Damals wurde die Frage gestellt – auch an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter –: Wo ist eigentlich Platz für mich? Wo ist Platz für meine Rolle? – Ich kann Ihnen sagen, Frau Spiegel: Jetzt wäre hier Platz für Ihre Rolle – sich um Kinder zu kümmern, sich abzusprechen mit den Länderministerinnen und Länderministern, ({7}) nämlich in der Bildungspolitik, in der Kultuspolitik. Wo sind denn Plätze da in den Kindergärten, in den Kindertagesstätten, in den Schulen? Ich habe heute mit so vielen Landrätinnen und Landräten und Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern telefoniert. Alles, was die jetzt machen, machen sie eigenverantwortlich. Es kann doch keine Lotterie sein und vom Zufall abhängen, je nachdem, wo in Deutschland ich ankomme, davon, ob ich jetzt Glück habe, dass ein Kommunalpolitiker alles auf die Reihe bekommt. – Nein! Das muss natürlich vom Bund koordiniert werden. ({8}) Und dieses ständige – wie es so schön in Rheinland-Pfalz hieß – Blame Game zwischen Bund und Ländern wollen wir nicht. ({9}) Das finde ich persönlich einfach schade, und es spielt mit den Traumata der Kinder. Deswegen fordern wir an dieser Stelle einen Plan. ({10}) Wir wissen, dass wir einen Chancenpakt brauchen. Wir haben jetzt die Chance, vor die Welle zu kommen. Die Familien werden nicht in wenigen Wochen wieder in die Ukraine zurückkönnen. Das heißt, wir müssen für sichere Schulen, für sichere Kitas sorgen. Wir brauchen Zugang zu allen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die Berliner Bürgermeisterin hat gesagt: Wir müssen einfach nur einen Stuhl mehr hinstellen. – Nein, das reicht nicht. Wir brauchen Schulpsychologen, wir brauchen Kinderärzte, wir brauchen Schulsozialarbeiter, wir brauchen Dolmetscher, wir brauchen Sprachlehrer. ({11}) Und – der Kollege Stamp hat es gerade gesagt – wir haben nicht genug Erzieherinnen. Da erwarte ich, dass wir die geflüchteten Erzieherinnen und Erzieher jetzt schon mit einbeziehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Polat hat von Ihnen auch eine Minute mehr bekommen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hat sie nicht; nein.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort fertig. – Wir benötigen kindgerechte Informationsmöglichkeiten. Wir brauchen Sportangebote. Wir brauchen Freizeitangebote. Und wir brauchen einfach eine Bundesregierung, die nicht Dienst nach Vorschrift macht, sondern sich 24/7 den Hintern aufreißt für die Geflüchteten, die in Deutschland angekommen sind. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist der Kollege Helge Lindh dran, für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes zu dem unsäglichen Vortrag von Herrn Curio. Wer, wie die AfD, Best Buddy mit dem Massenmörder und Antisemiten Assad ist, der sollte beim Thema Flucht einfach nur eines tun: die Klappe halten. ({0}) Nachdem wir das erst einmal abgearbeitet haben, komme ich jetzt zu der aus meiner Sicht leicht konzertierten Empörungsaktion der Union. Da muss man tatsächlich auch noch mal über heute Morgen sprechen, und das wurde zum Teil eben fortgesetzt. Man kann sich gerne aufregen. Man kann auch die Ansetzung von Debatten einfordern. Man kann unterschiedlicher Meinung sein; das ist gar nicht die Frage. Es ist keine Frage des Dass, es ist eine Frage des Wie und der Tonalität. ({1}) Wenn Sie – was Sie heute Morgen gemacht haben, und jetzt haben Sie es wieder gemacht – den Eindruck erwecken wollen, dass die Koalition weniger als Sie an der Seite der Ukraine, an der Seite der Opfer und der Geflüchteten stünde, ist das schlicht unanständig. ({2}) Sie tragen auf dem Rücken der Opfer und der Geflüchteten parteipolitische Spiele aus. Das ist unredlich. Und das ist sogar noch unredlicher, wenn Sie gar keine alternativen Konzepte vorlegen. ({3}) Ich erinnere einmal – weil Herr Merz ja jetzt auf dem Wege ist, besonders staatstragend zu sein, ein Staatsmann sein will – an Helmut Schmidt. Der hat sich sonst wie gestritten mit Franz Josef Strauß und Helmut Kohl. Aber in der Krise hatte er Haltung; da hat man vernünftig und anständig miteinander gesprochen. ({4}) Davon sind Sie weit, weit entfernt. ({5}) Und da Sie offensichtlich an so etwas wie retrograder postgouvernementaler Amnesie, ({6}) sprich: Totalvergesslichkeit in Bezug auf Ihre eigene Regierung sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, leiden, leiste ich etwas Unterstützungshilfe. ({7}) Ich war selbst Teil des Verhandlungsteams zum Migrationspaket. Im Rahmen dessen hat uns Minister Seehofer noch angehalten – er selbst, auch im Ausschuss im Übrigen –, den Forderungen der Union – den restriktiven, flüchtlingsfeindlichen Forderungen – ({8}) bloß nicht nachzugeben. Das muss man sich vorstellen! Zum Zweiten haben wir Stunden verbracht, um Sie hinzuweisen auf die Situation von Vulnerablen, haben Sie gewarnt vor dem AnkER-Zentren-Konzept. All die Punkte waren Ihnen nicht wichtig. – Plötzlich entdecken Sie Ihre Sorge und Zuneigung und Gewogenheit für vulnerable Gruppen; das finde ich unglaubwürdig, oder: Es ist unredlich. ({9}) Und es ist aus der Zeit gefallen. Wir wissen selber um die migrationspolitischen Defizite und Fehler, und die korrigieren wir in dieser Koalition auch, ({10}) wir ändern es. Wir haben nicht vergessen, was wir gemacht haben. Wir haben eine Fehlerkultur – Sie haben eine Kultur des Vergessens, die nur parteipolitisch und parteitaktisch motiviert ist. So etwas angesichts des Ukrainekrieges, das macht mich wütend, finde ich unerträglich. ({11}) Ich weise Sie, wo Sie sich jetzt so um die Kommunen sorgen, noch auf etwas hin: Wer steht denn einem Allschuldenfonds für Kommunen seit Jahren im Wege? Wer hat sich nicht bemüht, die Finanzierungssituation der Kommunen, auch der verschuldeten Kommunen, deutlich zu verbessern? Das waren, glaube ich, nicht die Grünen. Das war nicht die SPD. Das war auch nicht entscheidend die FDP. Es war die Union in der letzten Koalition. ({12}) Kommunen, die nicht hinreichend ausgestattet sind, sind selbstverständlich in der jetzigen Situation unterstützungsbedürftig. Aber wenn man seit Jahren nicht blockiert, sondern strukturell unterstützt hätte, wären wir nicht in der Situation. Also ein bisschen mehr Ehrlichkeit! ({13}) Anstatt sich an Frau Faeser und Frau Spiegel abzuarbeiten, anstatt so eine recht billige, nein, sehr billige Personalisierung zu betreiben, ({14}) sollten Sie sich lieber an den Menschen, die gekommen sind, orientieren, sie in den Mittelpunkt stellen: die Geflüchteten, die eben nicht lärmen, die – ich war selber in einem Bus mit ungefähr 50 Personen – unheimlich still sind, die dankbar sind, die nachdenklich sind, die nur ein Interesse haben, nämlich zu schauen, dass ihre Liebsten und Angehörigen in der Ukraine überleben, und die jetzt schon nachdenken, wie sie hier Arbeit finden, wie ihre Abschlüsse anerkannt werden; sie sollten wir in den Mittelpunkt unseres Interesses stellen und ein Mal vergessen, was wir für Ambitionen bei künftigen Wahlen haben. ({15}) Ich würde dringend darum bitten, das einmal in den Kopf zu bekommen. Soweit ich hinreichend informiert bin, ist es nicht so, dass CDU-Ministerpräsidenten Fundamentalopposition gegen die Pläne der Bundesregierung üben. Nein, man sucht am Ende gemeinsam einen Weg, so wie ihn auch Herr Stamp beschrieben hat: nüchtern, sachlich, pragmatisch, problemorientiert und nicht populistisch und auf den eigenen Geländegewinn ausgerichtet. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Genau deswegen kümmern wir uns um Fragen der Registrierung, Verteilung, Finanzierung und Unterstützung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Redezeit war zu Ende.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letzter Hinweis: Es gab einmal einen Wirtschaftsminister, der war Sozialdemokrat, und eine Fraktion, die hieß SPD, die sich in der letzten Flüchtlingskrise für eine Gemeinschaftsaufgabe einsetzten: Integration und Demografie, für sozialen Wohnungsbau und andere Fragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nicht die Union war es, es war die SPD, und wir setzen unsere Politik fort. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde ist für die SPD-Fraktion die Kollegin Derya Türk-Nachbaur. ({0})

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Ich verspreche, ich werde zwischendurch auch mal Luft holen. Gut, dass wir heute dieses Thema hier besprechen. Es ist die größte Vertriebenenkrise nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Lage ist ernst; das ist, glaube ich, uns allen bewusst. Viele Menschen aus der Ukraine, vor allem Frauen, Mütter, Kinder und kranke und ältere Menschen, mussten alles zurücklassen und ins benachbarte Ausland fliehen. Diese Frauen und Kinder, die Schutz bei uns suchen, haben ihr Leben, ihren Glauben an Frieden und Freiheit in kleine Koffer und Tüten gepackt; der Staub des Krieges und der Verwüstung bedeckt noch ihr Haar. Ukrainerinnen berichteten mir vorgestern, dass sie fassungslos vor den Mauerresten ihrer Häuser standen; keine Türen, keine Fenster, keine Dächer mehr, die ihre Familien schützen könnten. Sie berichten, dass ihre Kinder verstummt sind. In diesen Trümmern ließen Kinder ihre Kindheit zurück. Zwischen diesen Trümmern lassen Frauen ihre Männer und Söhne zurück. Viele wurden durch die Warnsirenen und Bomben mitten aus ihrem Leben gerissen, standen bis vor Kurzem noch im Beruf, mussten über Nacht ihre Habseligkeiten packen und sind nun auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. 3 Millionen Geflüchtete haben die Ukraine bereits verlassen. Unsere Nachbarn Polen, Rumänien, Tschechien, Slowakei und Moldau leisten einen unermesslichen logistischen und humanitären Beitrag, indem sie die Erstaufnahme dieser Menschen gewährleisten. Es erfüllt uns mit Dank, dass die Bürger/-innen in Polen 1,6 Millionen Menschen überwiegend über private Unterkünfte – Herr Stamp hat es gesagt – aufgenommen haben. ({0}) Als Bundesrepublik Deutschland helfen wir ebenfalls solidarisch und vor allem nach Kräften; wir tun, was wir können. Ich bin sehr froh, dass unser Gesundheitsministerium die Verlegung von verletzten und versorgungsbedürftigen Menschen nach Deutschland zugesichert hat und dass Deutschland bei der medizinischen Versorgung eine sehr zentrale Rolle übernimmt. Neben den Tausenden, die täglich mit Zügen aus Polen in Berlin ankommen, übernimmt Deutschland kurzfristig 2 500 Geflüchtete aus Moldau. Mit Polen befinden wir uns im ständigen Austausch, um auch noch weitere Menschen aufzunehmen. Indem wir die Schutzsuchenden verantwortungsbewusst, gerecht und solidarisch in ganz Europa verteilen, nehmen wir den Druck von den hauptbetroffenen Ländern in Osteuropa. Wir zeigen aber auch, dass wir handlungsfähig sind, dass wir ressourcenorientiert eine europäische Lösung herbeiführen. Wir haben aus der Flüchtlingskrise von 2015 einiges – wenn auch nicht alles – gelernt. Wir werden uns diesmal nicht auseinanderdividieren lassen. Die Zersetzungsstrategie von Putin und seinen Helferinnen und Helfern hier in Deutschland wird ins Leere laufen. ({1}) Wir werden alles daransetzen, dass Humanität, die Wahrung des Völkerrechts und der europäische Gedanke sich am Ende durchsetzen, und ich hoffe, dass wir auch gelernt haben, dass der Schmerz der Opfer eines unmenschlichen Krieges keine Hautfarbe hat. Es gibt keine guten und keine schlechten Schutzsuchenden. Lassen Sie uns dieser Unmenschlichkeit mit unserer Menschlichkeit begegnen, und zwar allen Menschen gegenüber! ({2}) Das Mindeste, was wir den Ankommenden als Aufnahmeland bieten müssen, sind Schutz und Sicherheit, vor allem den Frauen und Kindern. Darauf sollen sich die Schutzsuchenden bei uns verlassen können. Wir werden ausreichend zuverlässige und sichere Unterkünfte bieten, damit niemand sich gezwungen sieht, in der Hoffnung auf einen warmen Schlafplatz in ein fremdes Auto zu steigen, und dadurch Gefahr läuft, nicht mehr zurückzukommen. Es wird eine verbesserte Aufklärung auf Russisch und in ukrainischer Sprache geben, damit traumatisierte Frauen und Kinder nicht Opfer von Kriminellen in Deutschland werden. ({3}) Die Aufklärung wird auch die freiwilligen Helferinnen und Helfer und die Behörden umfassen. Es ist gut, dass das Innenministerium und die Polizeibehörden diese Gefahr erkennen und die Bundespolizei hier auch schon aktiv geworden ist. Es muss unbedingt verhindert werden, dass wieder Tausende geflüchtete Kinder verschwinden. Ich erinnere daran, dass im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 Tausende unbegleitete Kinder aus Syrien und Afghanistan auf der Flucht verschwunden sind. Kein Mensch weiß, wo sie sind. Leider hat das den Innenminister damals nicht wirklich interessiert. Der ukrainische Präsident Selenskyj sprach heute Morgen von Mauern, die durch Europa gehen, und davon, dass wir uns hinter diesen Mauern verstecken. Ich empfinde es inzwischen ein bisschen anders. Zum ersten Mal nach sehr langer Zeit erleben wir, dass Europa die Mauern niedergerissen hat und geschlossen in Hilfsbereitschaft und geeint in der Verurteilung von Putins Kriegsverbrechen steht. Das war übrigens auch im Europarat zu spüren, wo wir vorgestern eine historische, aber auch sehr traurige Entscheidung treffen mussten. 46 Mitgliedstaaten haben Russland in Einigkeit aus dem Europarat ausgeschlossen. Allen demokratischen Parteien im Bundestag bin ich für diese Entscheidung zum Ausschluss Russlands sehr dankbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. – Jetzt gilt es, unseren Beitrag zu leisten, damit diese Organisation ihre wertvolle Arbeit weiterführen kann. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache zur Aktuellen Stunde.

Cansel Kiziltepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004328

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie sieht gute Politik aus? Gute Politik packt ein akutes Problem an. Sie hilft denjenigen, die wirklich Hilfe brauchen, und sie handelt schnell und unbürokratisch. Mit dem Heizkostenzuschuss macht die Ampelkoalition genau das. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor der schreckliche Krieg in der Ukraine begann, sind die Energiepreise stark gestiegen. Durch die Verwerfungen des Krieges ist das noch mal schlimmer geworden. Betroffen sind vor allem die Bürgerinnen und Bürger, die eh schon weniger haben. Denen wollten wir helfen, und das machen wir jetzt. ({1}) Man kann seine Heizung nicht von heute auf morgen wechseln. Den Preisanstiegen sind die Bürgerinnen und Bürger also einfach ausgeliefert. Doch Wohnen ist ein Grundrecht und muss bezahlbar sein. Das ist die oberste Prämisse unseres Ministeriums und unserer Regierung. Deswegen haben wir den Heizkostenzuschuss als erste Initiative aus dem Bundeswohnministerium auf den Weg gebracht. ({2}) Wir unterstützen mit dem Heizkostenzuschuss gezielt Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen. Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende und Menschen in Ausbildung bekommen den Zuschuss direkt überwiesen, ohne Antrag. Diese Menschen brauchen Unterstützung, und die geben wir ihnen jetzt. ({3}) Wir wollen keine Gießkannenpolitik an der Zapfsäule machen. Die führt im schlimmsten Fall zu höheren Profiten bei Ölkonzernen. Nein, wir machen verteilungsgerechte Politik. Mit der Ampel soll Wohnen bezahlbar sein. ({4}) Mein Dank geht heute auch ausdrücklich an die Abgeordneten, die in den letzten Tagen unter Hochdruck an dem Gesetzentwurf gearbeitet haben. Als wir den Heizkostenzuschuss auf den Weg gebracht haben, herrschte in der Ukraine noch kein Krieg. Durch die Preisexplosion haben die zuständigen Ausschüsse im Deutschen Bundestag die Höhe des Zuschusses zu Recht neu diskutiert. Es ist genau richtig, dass wir jetzt schnell reagiert haben und handeln und den Heizkostenzuschuss verdoppeln. ({5}) Eine Familie mit zwei Kindern wird so 490 Euro zusätzlich bekommen. Insgesamt helfen wir 2,1 Millionen Menschen. Das ist soziale Politik, die bei den Bürgerinnen und Bürgern direkt ankommt. ({6}) Die Union hat sich sowohl im Bauausschuss als auch im Haushaltsausschuss gegen diese Unterstützung ausgesprochen und dem Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich habe mir auch Ihren Entschließungsantrag noch mal angeschaut. Sie fordern – und ich zitiere –, „den Heizkostenzuschuss auf ein auskömmliches Maß“ zu erhöhen. „Wie unkonkret soll es werden?“, frage ich mich da. ({7}) Wollen Sie behaupten, dass 270 Euro für Singlehaushalte und 490 Euro für Familien mit zwei Kindern nicht auskömmlich sind? Regierungspolitik bedeutet für uns, sich festzulegen, anzupacken und Versprochenes umzusetzen. Wir stellen keine leeren Forderungen. ({8}) Der Heizkostenzuschuss ist eine dringliche Entlastung, die bei denen ankommt, die sie wirklich brauchen, und weitere werden wir in der Ampelkoalition auf den Weg bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns hier und jetzt ein wichtiges Zeichen für soziale Gerechtigkeit setzen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Anne König hält heute ihre erste Rede hier im Haus für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anne König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der furchtbare Angriffskrieg des Putin-Regimes verursacht in diesen Wochen unermessliches Leid in der Ukraine. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrer Haltung gegen diesen Krieg und helfen den Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Zugleich wollen wir uns aber auch um die Folgen für die Menschen in unserem Land kümmern. Wir sehen, dass dieser Krieg die ohnehin schon massiv gestiegenen Energiepreise weiter in die Höhe treibt. Ein bereits bisher großes Kostenproblem beim Heizen, Tanken und Bauen wird dadurch noch größer. Unter diesem Kostendruck leiden Menschen, die Sozialleistungen erhalten. Besonders gebeutelt sind aber oftmals diejenigen, die bislang ohne Transferleistungen ausgekommen sind. Die Energiekostenkrise hat längst die Mitte unserer Gesellschaft erreicht. ({0}) In diesem Zusammenhang hat mich in den letzten Wochen ein Brief besonders bewegt, den mir ein Schulkind aus meinem Wahlkreis geschrieben hat. Die elfjährige Maike berichtet von der Situation ihrer Familie. Die Eltern betreiben ein kleines Ladengeschäft, und die explodierenden Energiekosten gefährden inzwischen ihre wirtschaftliche Existenz. Maike schrieb mir: Auch für Familien, die bisher genug Geld verdient haben und darum kein Wohngeld erhalten, wird es jetzt schwierig, alles zu bezahlen. – Ich meine, die Bundesregierung muss auch diesen Menschen eine Antwort auf die Preisexplosion geben. ({1}) Wir sollten dabei nicht vergessen, dass die Bundesbauministerin ja schließlich auch für Stadtentwicklung zuständig ist. Das Einzelhandelsangebot in unseren Innenstädten ist doch inzwischen auch konkret durch die Energiepreisentwicklung gefährdet. Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Gewährung eines Heizkostenzuschusses – einem einmaligen – kratzen Sie jetzt leider nur an der Oberfläche der Energiepreiskrise. Sie werden damit nicht einmal dem von Ihnen selbst formulierten Anspruch gerecht; denn laut Ihren eigenen Aussagen sollen die von der gestiegenen Preisentwicklung betroffenen Haushalte kurzfristig und spürbar entlastet werden. Für eine „kurzfristige“ Hilfe kommt Ihr Zuschuss zu spät, und von „spürbar“ kann bei Ihrer Einmalhilfe selbst nach den hastigen Nachbesserungen leider auch keine Rede sein. ({2}) Ganz offensichtlich wurden Ihre ursprünglichen Vorschläge doch ziemlich schnell von der Realität weiterer Preissteigerungen überrollt. Die Betroffenen konnten Ihren anfänglichen Zuschuss in Höhe von 135 Euro doch nur so verstehen, dass Sie die Größe ihres Problems einfach nicht ernst nehmen. Mit Ihren über Nacht zusammengeschriebenen Änderungsanträgen für die Ausschussberatung reagieren Sie nun immerhin auf die Kritik der Unionsfraktion. ({3}) Aber Ihnen gelingt nicht mehr als eine gewisse politische Schadensbegrenzung. Sie haben nämlich nach wie vor nicht erkannt, dass man ein länger andauerndes, sich immer weiter verschärfendes und wohl strukturelles Problem eben nicht mit einer einmaligen Hilfszahlung lösen kann. Und Sie springen auch insofern zu kurz, weil Sie sich nicht trauen, Ihre Änderungen in die einzelnen Fachgesetze einzubauen. Sie stellen stattdessen ein neues Gesetz stumpf neben die bisherige Rechtsordnung. Wenn jetzt 16 Bundesländer erst tätig werden müssen, damit das Gesetz seine Wirkung entfaltet, geht für die Menschen, die Hilfe brauchen, wertvolle Zeit verloren. ({4}) Vor allem aber ist der Empfängerkreis Ihrer Hilfe viel zu eng. Wenn die Energiekostenkrise längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist, dann reicht es eben nicht aus, nur einem kleinen Empfängerkreis zu helfen. Was Sie hier machen, ist bestenfalls eine Erste-Hilfe-Aktion für wenige. Das ist leider weit entfernt von einer echten Energiekostensenkungsstrategie für viele. Ihr Heizkostenzuschuss mag gut gemeint sein; aber er ist trotz aller Nachbesserungen schlecht gemacht, und deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. ({5}) Wir als CDU/CSU-Fraktion sind von Anfang an für weitaus wirksamere Maßnahmen eingetreten, und das haben wir in unserem Entschließungsantrag auch noch einmal ausformuliert. Wir wollen eine Ausweitung der Unterstützung auf alle Empfänger des Kinderzuschlags und Bezieher kleiner Einkommen. Wir wollen eine jährliche Anpassung des Wohngeldes an die Energiekosten, eingebaut ins Wohngeldgesetz; so vermeiden wir auch einen riesigen Regulierungsaufwand in den Ländern. Außerdem halten wir die Senkung der Umsatzsteuer auf Strom-, Gas- und Fernwärmelieferungen für richtig und notwendig. Und nicht zuletzt brauchen wir eine Härtefallregelung, beispielsweise für Fernwärmekunden, die mit extremen Preissteigerungen konfrontiert sind. Das alles sind auch deshalb vernünftige Vorschläge, weil die höheren Energiepreise aktuell ja auch deutlich mehr Steuereinnahmen für den Staat bedeuten. Da ist es nur fair, wenn der Finanzminister den dadurch in Not geratenen Menschen etwas von diesen Mehreinnahmen zurückgibt. ({6}) Denn für alle Menschen gilt: Eine warme Wohnung darf nicht zur Schuldenfalle werden. Angesichts der immer weiter steigenden Energiepreise ist jetzt die Zeit für beherztes Handeln. Ich frage mich zurzeit: Wo bleibt eigentlich bei allen Ampelparteien der Gestaltungsanspruch, mit dem Sie vor einem halben Jahr noch auf Wählerfang gegangen sind? Ich sehe die Wahlplakate noch vor mir. Bei der SPD hieß es: „Olaf Scholz, Kanzler für bezahlbares Wohnen.“ ({7}) Bei den Grünen war zu lesen: „Zukunft passiert nicht. Wir machen sie.“ Und bei der FDP stand in dicken Buchstaben: „Nie gab es mehr zu tun.“ ({8}) Ja, dann tun Sie hier auch endlich etwas, und zwar etwas Spürbares und Strukturelles für alle betroffenen Menschen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat Hanna Steinmüller jetzt das Wort. ({0})

Hanna Steinmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005230, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Existenzangst – das ist es, was viele Menschen in Deutschland gerade empfinden, wenn sie an die Heizkostenabrechnung denken. ({0}) Wenn man nachts aufwacht und vor Sorge nicht wieder einschläft. Wenn einem tagsüber die Angst im Nacken sitzt, weil man nicht weiß, wie man die Energiekosten bezahlen soll. Um die Angst zumindest in Teilen zu lindern, beschließen wir heute den Heizkostenzuschuss. ({1}) Die Energiepreise sind in den letzten Monaten stark gestiegen. Davon sind alle Menschen in Deutschland betroffen. Und trotzdem sind sie unterschiedlich stark betroffen, können es unterschiedlich gut wegstecken. Wir haben uns deswegen schon im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den Heizkostenzuschuss einzuführen, um diejenigen schnell zu unterstützen, die davon besonders betroffen sind. Ministerin Geywitz hat den ersten Entwurf eingebracht. Wir haben nach der Anhörung noch zwei wichtige Änderungen vorgenommen. ({2}) Zum einen haben wir den Heizkostenzuschuss verdoppelt. ({3}) Für eine vierköpfige Familie bedeutet das nun, dass ihnen 490 Euro automatisch mit dem nächsten oder übernächsten Wohngeld ausgezahlt werden. ({4}) Für das Rentnerehepaar sind es 350 Euro und für die alleinstehende Frau 270 Euro, die automatisch auf dem Konto landen. ({5}) Zum anderen haben wir dafür gesorgt, dass alle Gruppen den Zuschuss automatisch ausgezahlt bekommen. Das hatten wir im ersten Gesetzentwurf noch anders vorgesehen; darüber haben wir auch in der ersten Lesung diskutiert. Auch BAföG-Beziehende bekommen den Zuschuss automatisch, damit niemand auf der Strecke bleibt, weil er oder sie den Antrag nicht ausfüllen kann. ({6}) Das bedeutet konkret: Die Studentin, der Meister-BAföG-Beziehende oder die Person, die Berufsausbildungsbeihilfe erhält, bekommen automatisch 230 Euro direkt überwiesen. Vom Heizkostenzuschuss profitieren in meinem Wahlkreis in Berlin-Mitte mehrere Tausend Menschen. In Berlin gibt es 40 000 Haushalte, die davon profitieren, und deutschlandweit sind es mehr als 2 Millionen Menschen. ({7}) – Das haben Sie schon dreimal reingerufen; das macht es nicht besser. Ja, in Deutschland wohnen 80 Millionen Menschen; das haben Sie ein paarmal gesagt. Das habe ich gehört. ({8}) – Genau. Das ist vollkommen unstrittig. Trotzdem muss man ja zielgerichtet helfen. Aber gut, das ist eine andere Debatte. ({9}) Klar ist: Das ist nur der Anfang. Es müssen weitere Entlastungen folgen. Wir werden auch beim Wohngeld dafür sorgen, dass es eine Klimakomponente gibt. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Es ist mein erstes Gesetz als Abgeordnete; aber es ist auch eines der ersten Gesetze der Ampel. Danke an meine Kollegen Bernhard Daldrup, Daniel Föst und meinen Haushälter Andreas Audretsch für die gute Zusammenarbeit. Davon sehr gern mehr! ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es war schon bei einer Überziehung unter einer Minute die Einsicht in die Notwendigkeit, nicht zu lange zu reden. Ich sage das nur, damit jeder das hier versteht. Sebastian Münzenmaier hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heizkosten explodieren, Spritpreise gehen durch die Decke, Lebensmittel kosten plötzlich ein Vielfaches. Bald werden viele Menschen in unserem Land vor der traurigen Entscheidung stehen, ob sie sich eine warme Wohnung oder eine warme Mahlzeit leisten. Und es sind nicht Putins Panzer, die verantwortlich für diese Kostensteigerung sind, sondern der Angriffskrieg in der Ukraine ist nur der berühmte Tropfen, der auf ein längst vollgelaufenes Fass trifft. Es ist die desaströse Politik aller Altparteien, die diese Kostenexplosion ursächlich herbeigeführt hat. Es sind die Kosten Ihrer irrsinnigen Energiewende, die unseren fleißigen Bürgern den Hals zuschnüren und nun durch weitere Teuerungen durch den Ukrainekrieg gesteigert werden. ({0}) – Sie schütteln den Kopf; aber schon einen Monat vor dem Krieg lag die Preissteigerung bei Erdgas bei 32 Prozent. Heizöl war sogar 52 Prozent teurer. Und ihre Lösung ist jetzt also ein einmaliger Heizkostenzuschuss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Entschuldigung. – Frau Steinmüller, Sie haben wahrscheinlich vergessen, dass Sie die Maske wieder aufsetzen müssen. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und Sie, Frau Staatsekretärin, reden davon, dass dieser Zuschuss ein Beispiel für soziale Gerechtigkeit sei. Schauen wir uns das mal an – wir haben es mehrfach gehört –: 1 Million Haushalte in Deutschland profitieren von diesem Zuschuss, 40 Millionen Haushalte in Deutschland bekommen gar nichts. Wenn das ein Beispiel für soziale Gerechtigkeit ist, dann muss ich Ihnen sagen: Herzlichen Glückwunsch, liebe SPD, Sie haben wirklich abgewirtschaftet. ({0}) Ich habe heute aus Rheinland-Pfalz eine E-Mail von einer fleißigen Frau bekommen, die mir die Dramatik der Preisexplosion am eigenen Beispiel geschildert hat: Sie lebt in einer Dreizimmerwohnung in einem Zweifamilienhaus, und sie zahlt bisher 110 Euro für ihre Gasheizung pro Monat. Jetzt hat sie eine Preiserhöhung bekommen und muss ab Mai 275 Euro monatlich bezahlen. 275 Euro monatlich! Diese Frau ist massiv von der Teuerung betroffen. Das Problem ist: Sie ist nicht wohngeldberechtigt. Das heißt, Ihr Gesetzentwurf bringt dieser Dame exakt gar nichts; sie bekommt 0 Euro und steht schlechter da als je zuvor. Das ist nicht gerecht, meine Damen und Herren. Das ist das Gegenteil von Gerechtigkeit. ({1}) Generell gilt für Ihren Heizkostenzuschuss, der irgendwann im Sommer oder – ich zitiere Frau Hubertz – Ende des Jahres ausgezahlt wird und einmalig 270 Euro beträgt: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein – zu spät ausgezahlt, zu gering angesetzt und für einen viel zu kleinen Empfängerkreis gedacht. ({2}) Wir als AfD-Fraktion vertreten einen anderen Ansatz: Statt Almosen für wenige wollen wir eine breite Entlastung der Bürger und Steuerzahler, die sämtliche Haushalte erreicht und die dafür sorgt, dass die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche haben. Bereits Anfang November haben wir mit mehreren Anträgen hier im Deutschen Bundestag dafür gekämpft, die staatlichen Abgaben auf Energie zu senken. Aber unsere sinnvollen Ideen wurden von Ihnen allen abgelehnt. Deshalb fordern wir Sie heute noch einmal auf: Senken Sie die Mehrwertsteuer auf Strom, Gas und Heizöl vorübergehend auf 0 Prozent. Schaffen Sie die CO2-Abgabe und die EEG-Umlage ab. Senken Sie die Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe auf 0 Prozent. Ergänzen Sie das Wohngeld um eine dynamisierte Energiekostenkomponente, und helfen Sie Wohngeldempfängern dadurch nicht nur einmalig, sondern dauerhaft. Eines noch angesichts millionenfacher Altersarmut in Deutschland: Erhöhen Sie den Regelsatz für Empfänger von Grundsicherung im Alter, meine Damen und Herren. ({3}) All das wären Beispiele für echte soziale Gerechtigkeit, und all das wäre momentan mehr als angebracht. Aber hören Sie doch bitte endlich mal auf, in allen Politikfeldern nur an Problemen herumzudoktern, die Sie selbst verursacht haben. Das Geld unserer Steuerzahler gehört in die Taschen unserer Bürger, die dieses Land trotz katastrophaler Regierung und trotz widrigster Umstände jeden Tag am Laufen halten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sandra Weeser hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts so mancher Rede hier muss ich ganz ehrlich sagen: Wo ist der kühle Kopf, um hier vernünftige Entscheidungen zu treffen? ({0}) Bei dem, was man hier zum Teil hört, bleibt mir wirklich die Spucke weg. Politische Affekthandlungen helfen nicht, sondern hier hilft nur zielgerichtetes Handeln. ({1}) Sorry, Frau König, alle Forderungen, die Sie hier stellen, sind ein Widerspruch in sich. Der Gestaltungsanspruch geht bei der CDU wirklich gegen null. ({2}) Wenn ich mir dann auch noch die emotionalen Beschwörungen vonseiten der Linken anhöre, was die Knappheit an Gas und Heizöl anbelangt, dann muss ich ganz ehrlich sagen: Sie müssen mir erst mal erklären, mit wessen Geld Sie wem eigentlich helfen wollen. An die liebe Union: Laut anklagen hilft natürlich immer, um von den eigenen Fehlern abzulenken. Unangenehmen Fragen kann man zwar ausweichen; aber eine Frage kann ich Ihnen nicht ersparen: Wer hat denn in den letzten 16 Jahren versäumt, Deutschland unabhängiger von russischem Gas und Erdöl zu machen? Das waren doch Sie. ({3}) In unserer Debatte über die Energieversorgung heute Nachmittag sind alle Argumente genannt worden; Lösungsvorschläge von Ihnen fehlten definitiv. ({4}) Ganz klar ist: Massive Preissteigerungen bei Gas und Öl sind eine direkte Folge von dem zerstörerischen Krieg Putins, der im Moment auf ukrainischem Boden tobt. Da hilft kein Jammern und auch kein Wunschdenken. Da hilft im Prinzip nur kurzfristig abpuffern und mittelfristig unabhängig machen. ({5}) Jetzt kommen wir mal zu Ihnen, Herr Münzenmaier. Der Heizkostenzuschuss ist nur ein Baustein in einem großen Entlastungspaket. ({6}) Wenn Sie über Ihre Mehrwertsteuerfantasien sprechen, dann müssen Sie auch bedenken, dass in vielen anderen Bereichen die Mehrwertsteuer nur ein durchlaufender Posten ist. Das hilft keinem Unternehmer, keinem Selbstständigen, keinem Mittelständler. ({7}) Der Heizkostenzuschuss kann nicht alle Probleme lösen, aber er hilft unbürokratisch, er hilft schnell, und er hilft zielgenau und gerade den Menschen, die am härtesten betroffen sind. ({8}) Es ist nicht mehr, aber es ist auch nicht weniger. Während Linke und Union nur Probleme beschreiben, setzen wir hier konkrete Dinge um. Damit sind wir beim Gestaltungswillen, liebe AfD, die sich gerade etwas aufregt. Der Heizkostenzuschuss ist eine kurzfristige Notfallmaßnahme, und zwar dient sie zur Abfederung von sozialen Härten. Damit erreichen wir genau drei Ziele: Erstens. Wir helfen unkompliziert. Deswegen wird das Geld ohne umständliche Antragsverfahren automatisch ausgezahlt. Wenn wir Frau König folgen würden, hätten wir wahrscheinlich erst nächstes Jahr die Gesetzesänderung durch; so kompliziert ist das. ({9}) Die BAföG-Empfänger bekommen das Geld auch völlig unbürokratisch. Es war uns wichtig, dass auch da eine direkte Auszahlung erfolgt. Zweitens. Wir handeln schnell. Mit der heutigen Verabschiedung sorgen wir dafür, dass die Menschen bald ihr Geld auf dem Konto haben. Und angesichts der gestiegenen Preise haben wir diese Woche den Heizkostenzuschuss verdoppelt. ({10}) Drittens. Wir helfen sehr gezielt. Das ist sozial, aber das ist vor allen Dingen auch ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Geld der Steuerzahler. Weitere Maßnahmen zur Entlastung der Bürger sind vereinbart und werden folgen. ({11}) – Ich nenne mal ein paar: EEG-Umlage abschaffen, steuerliche Entlastung der Mittelschicht, Erhöhung der Pendlerpauschale. Es gibt noch viele, viele mehr. Also regen Sie sich nicht so auf. ({12}) Nun gibt es politische Parteien, deren Lösungsvorschläge für all diese Probleme sich auf ein Prinzip reduzieren lassen: Wir fordern überall mehr Geld für alle. – Die Ergebnisse dieser Politik lassen sich wunderbar in Argentinien beobachten. Da haben wir nämlich in trauriger Regelmäßigkeit einen Staatsbankrott. Was mich, um ehrlich zu sein, ein Stück weit überrascht, liebe Union, das sind die Forderungen von Ihnen; denn die sind mittlerweile von denen der Linken überhaupt nicht mehr zu unterscheiden. ({13}) Mir scheint es so zu sein, dass Herr Dobrindt und Herr Merz angesichts der Energiekrise gerade ihre Liebe zu sozialpolitischen Wirtschaftsprinzipien entdecken. Ich muss mal fragen: Was kostet Ihr umfangreicher Forderungskatalog jeden Steuerzahler? Wie soll denn die Gegenfinanzierung funktionieren? Wollen wir jetzt Steuererhöhungen? Wollen wir die Energieunternehmen verstaatlichen? Wollen wir eine Schuldenexplosion? Und dann? Was bleibt letzten Endes in der Mitte der Gesellschaft als Entlastung übrig? Ihr Prinzip ist „Linke Tasche, rechte Tasche“, Energiepreise staatlich subventionieren. ({14}) Zur Ehrlichkeit gehört auch: Die Politik verteilt das Geld, das die Bürgerinnen und Bürger erwirtschaftet haben. Deswegen stehen wir für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler, aber auch für einen verantwortungsvollen Umgang mit Blick auf kommende Generationen. Das bedeutet, wir helfen gezielt und unbürokratisch da, wo es nötig ist, aber zugleich wahren wir die Verhältnismäßigkeit. Der Heizkostenzuschuss, den wir heute beschließen, ist nur eine kurzfristige Maßnahme.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hoffe, in der nächsten Debatte können wir auch mal über nachhaltige Themen wie die Sanierung von Häusern und Heizungen in Deutschland diskutieren. Ich bedanke mich. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gesine Lötzsch spricht jetzt zu uns für Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion, die Fraktion Die Linke, hat schon im November einen Keiner-soll-frieren-Plan von der Bundesregierung gefordert. Lange ist nichts passiert; doch endlich hat unser Druck gewirkt. Das ist gut so, meine Damen und Herren! ({0}) Was Sie jetzt vorlegen, der Heizkostenzuschuss, ist ein Schritt in die richtige Richtung, und darum werden wir als Linke im Unterschied zu den Parteien auf der rechten Seite des Hauses dem Gesetzentwurf auch zustimmen. ({1}) Aber, es hat zu lange gedauert. Die Anhörung am Montag im Ausschuss hat auch deutlich gemacht, dass dieser Schritt ein erster Schritt ist, aber nicht ausreicht und dass weitere Maßnahmen folgen müssen. Dazu werden wir Ihnen gleich noch Vorschläge unterbreiten. ({2}) Wenn die Ampel in der Lage ist, von einem Tag auf den anderen 100 Milliarden Euro für militärische Aufrüstung bereitzustellen, dann fragt sich doch jeder, warum es so lange dauert, wenn es darum geht, wie man die Ärmsten in unserer Gesellschaft unterstützen kann. Das können wir nicht akzeptieren, meine Damen und Herren! ({3}) Wir sagen Ihnen: Sie müssen endlich mehr soziale Wärme wagen. Meine Damen und Herren! Ich hatte das Statistische Bundesamt gefragt, wie viele Menschen zu wenig Geld haben, um ihre Wohnung ausreichend zu heizen. Im Jahr 2020 waren es 7,4 Millionen Menschen, also fast 10 Prozent der Bevölkerung. Das ist in unserem reichen Land doch nicht hinnehmbar. ({4}) Und diese Zahl wird angesichts der aktuellen Preisexplosion wahrscheinlich noch dramatisch ansteigen. Die Lehren aus der Anhörung haben wir in unserem Entschließungsantrag, den wir Ihnen heute zur Zustimmung vorlegen, noch einmal zusammengefasst. Ich will einige Punkte benennen. Es wurde ganz deutlich gesagt, auch vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, dass die Hartz‑IV-Sätze endlich deutlich angehoben werden müssen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt: 678 Euro. Wir finden, das ist eine wichtige und richtige Forderung, meine Damen und Herren. ({5}) Das Wohngeld muss endlich auf der Basis der Bruttowarmmiete gezahlt werden. Und wir sagen auch: Strom- und Gassperren müssen endlich verboten werden. Es ist unmenschlich, Menschen im Dunkeln und in der Kälte sitzen zu lassen, meine Damen und Herren. ({6}) Von der Preisexplosion sind natürlich auch Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen betroffen; dazu gab es heute mehrere Tagesordnungspunkte. Auch diese Menschen müssen entlastet werden. Wir wollen nicht, im Unterschied zur FDP, die großen Konzerne weiter subventionieren, sondern wir wollen endlich eine staatliche Preiskontrolle und eine staatliche Preisregulierung. Die EU hat uns dafür auch ein Mittel an die Hand gegeben. Das ist möglich; das können wir umsetzen. Ich fordere Sie auf: Fassen Sie endlich diese Beschlüsse, damit alle in unserem Land in Energiesicherheit würdig leben können. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Martin Diedenhofen ist der nächste Redner, und er spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Martin Diedenhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle schauen mit Sorge auf die Entwicklungen in der Ukraine, und wir sind in Gedanken bei den Menschen dort, die gerade unerträgliches Leid erfahren. Im Vergleich dazu sind unsere Probleme gering. Die finanziellen Folgen des Krieges bekommen wir aber auch hier zu spüren. Viele Menschen leiden unter den explodierenden Energiepreisen. Um es hier noch einmal deutlich zu sagen: Je kleiner das Einkommen, desto größer wiegt die Belastung. Deshalb war uns als Ampelfraktion ganz klar, dass der Heizkostenzuschuss deutlich höher ausfallen muss, um die Menschen schnell und spürbar zu entlasten. ({0}) Eine einmalige Zahlung in Höhe von 135 Euro an Singlehaushalte, wie es vorgesehen war, wäre an dieser Stelle zu wenig gewesen. Von Anfang an haben wir versprochen, die Energiepreisentwicklung zu beobachten. Wir haben gesagt: Bei einer weiteren Zuspitzung zögern wir nicht, noch einmal nachzusteuern. – Genau das haben wir getan und die Beträge für alle Zielgruppen nicht nur deutlich erhöht, sondern verdoppelt. Das ist ein großer Erfolg der Ampelkoalition. ({1}) Damit folgen wir den Empfehlungen der Sachverständigen, die am Montag dieser Woche in der Anhörung im Bauausschuss zu Wort gekommen sind und einstimmig eine Erhöhung empfohlen haben. Unterm Strich werden nun über 2 Millionen Menschen von dem Heizkostenzuschuss profitieren. Alleinlebende Menschen mit Wohngeldbezug erhalten 270 Euro, Zweipersonenhaushalte 350 Euro, und für jede weitere Person sind jeweils 70 Euro vorgesehen. Studierende, Auszubildende und andere Berechtigte bekommen pauschal 230 Euro. Das hilft ganz konkret, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Auch bei der ursprünglich vorgesehenen Antragspflicht für junge Menschen in Ausbildung und Studium haben wir noch einmal nachgebessert. Wenn sich Studierende oder Auszubildende jetzt fragen, wo sie den Heizkostenzuschuss beantragen können, dann ist die gute Nachricht, dass ein Antrag nicht mehr notwendig ist; denn die Ampel will weniger Bürokratie wagen und schnell und unkompliziert helfen. ({3}) Ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam mit den Fraktionen der Grünen und der FDP diese Nachbesserungen vorgenommen haben. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle an die Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen. ({4}) Klar ist aber auch, dass der Heizkostenzuschuss keine dauerhafte Lösung darstellt. Es ist eine kurzfristige Maßnahme, um die am stärksten Betroffenen mit den steigenden Heizkosten nicht alleine zu lassen. Als dauerhafte Entlastungsmaßnahme beispielsweise werden wir die im Koalitionsvertrag verabredete Klimakomponente beim Wohngeld vorantreiben. So wichtig der Heizkostenzuschuss auch ist: Wir müssen auch die Belastungen von Familien im Blick behalten, die keinen Anspruch auf Wohngeld haben. Dafür hat die Bundesregierung weitere Entlastungen angekündigt, die wir schnell auf den Weg bringen werden. Wichtig ist, dass die Maßnahmen zum einen zielgerichtet sind und zum anderen nicht unseren Klimaschutzzielen entgegenwirken. Setzen wir hier falsche Anreize, schießen wir uns nur selbst ins Knie; denn wir wollen doch so schnell wie möglich raus aus der Abhängigkeit von Energieimporten, indem wir den Klimaschutz und den Ausbau von erneuerbaren Energien massiv vorantreiben. ({5}) Neben Ausgleichszahlungen müssen wir auch darüber sprechen, wo und wie wir Energie einsparen können. Das macht uns nicht nur unabhängiger von russischem Gas, sondern schützt insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen vor steigenden Energiepreisen. Wer wohnt denn in schlecht sanierten, schlecht gedämmten Wohnungen mit veralteten Heizanlagen? Doch nicht der Vorstandsvorsitzende, sondern häufig Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. Unsere Aufgabe ist es also, den Menschen Zuversicht zu geben, dass sie durch energieeffizientes Sanieren auf Dauer entlastet und nicht belastet werden. Klar ist: Effizienz und Bezahlbarkeit müssen Hand in Hand gehen, und dafür werden wir sorgen. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Emmi Zeulner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Weeser, auch die FDP hat in der Vergangenheit einmal für Steuersenkungen gestanden, und nichts anderes fordern wir als Unionsfraktion. Deswegen fand ich das, was Sie jetzt vorgetragen haben, schon sehr spannend. ({0}) Wenn Sie die Vorgängerregierung kritisieren, würde ich darum bitten, zu differenzieren und zu sagen, wen Sie meinen, die SPD oder die Union; auch die CSU war dabei. Sie schimpfen ja vor allem auf die Union; aber wir haben nicht alleine regiert. ({1}) Das Thema heute sind die Heizkosten. Egal wo, die Menschen in unserem Land erleben Preissteigerungen. Spätestens an der Tankstelle werden sie wahrgenommen, wenn auf den großen Anzeigetafeln Preise von über 2 Euro pro Liter Sprit leuchten; weiter geht es beim Strom und den Lebensmitteln. Teilweise noch im Nebel, so hat man den Eindruck, bleiben hingegen die massiven Kostensteigerungen im Bereich der Heizkosten. Und ich habe große Sorge, dass es hier ein wirklich böses Erwachen gibt, spätestens bei der nächsten Nebenkostenabrechnung für Mieterinnen und Mieter. Deshalb ist der verbesserte Gesetzentwurf zum Heizkostenzuschuss grundsätzlich zu begrüßen. Mit dem Heizkostenzuschuss werden aber nur die Kostensteigerungen für Energie aus dem vergangenen Jahr halbwegs gedeckt. Für die Zukunft bleibt die Bundesregierung weiter eine Antwort schuldig. Deshalb haben wir als Unionsfraktion einen Entschließungsantrag eingebracht; wir wollen beispielsweise die Höhe des Wohngeldes an die Energiekosten koppeln und diese jährlich dynamisieren. Überhaupt hätten wir gewollt, dass die Regelungen in die Stammgesetze übernommen werden, um Bürokratie zu vermeiden, die Auszahlungen zu beschleunigen und nachhaltig auf Preisentwicklungen reagieren zu können. In den Anhörungen – auch die Kollegen der Ampel waren anwesend – wurde zu Recht kritisiert, dass es drei neue Verordnungen in jedem einzelnen Bundesland braucht, um dieses Gesetz umzusetzen. Deshalb sind die Nachbesserungen in dem im Ausschuss vorgelegten Änderungsantrag der Ampel auch wichtig. Aber wenn selbst die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, die Kollegin Verena Hubertz, davon spricht, dass die Auszahlungen bis zum Ende des Jahres dauern könnten, würde ich das als eine glatte Themaverfehlung bezeichnen. ({2}) Denn wer schnell helfen will – und da bin ich wieder bei den Kollegen von der FDP; ich werbe ausdrücklich dafür, nicht nur Transferleistungsbezieher zu berücksichtigen –, muss runter mit den Steuern, muss runter mit den Abgaben, so wie wir es in unserem Entschließungsantrag beschrieben haben. Denn was machen die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, die knapp über der Einkommensgrenze für das Wohngeld liegen? Die bleiben voll auf den Kosten sitzen. Dabei müssten auch sie schon jetzt Rücklagen bilden, um die Rechnungen für die steigenden Heizkosten zahlen zu können. Auch die Vermieterseite kann nicht unberücksichtigt bleiben. Denn bevor Kostensteigerungen beim Mieter ankommen, muss der Vermieter – und das sind zu zwei Dritteln immer noch Kleinstvermieter, bei denen die vermietete Wohnung auch Teil der Altersvorsorge ist – in Vorleistung gehen. Deshalb reicht die Entlastung von 2 Millionen Menschen bei Weitem noch nicht aus. Es reicht nicht, nur Transferleistungsempfänger zu berücksichtigen. Die Entlastung muss breiter angelegt werden. Auch dazu haben wir als Union heute Vormittag einen Antrag ins Parlament eingebracht, in dem wir die Unternehmen in unserem Land in den Fokus genommen haben – auch da richte ich mich wieder an die FDP: Sie waren doch mal Vertreter der kleinen Handwerker, die auch jetzt durch die gestiegenen Preise sehr gebeutelt sind –, beispielsweise die stark unter Druck geratene Glasindustrie in meiner Heimat. Ich bin sehr dankbar, dass wir dazu mit dem Wirtschaftsministerium, mit dem Staatssekretär, im Gespräch sein dürfen; denn da brennt es vor Ort. Es ist geht um Arbeitsplätze, und das lässt uns nicht kalt. Natürlich gilt: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Deswegen ist es richtig, das Kartellamt einzuschalten, aber eben nicht nur beim Thema Benzin. Es ist einfach nicht zu vermitteln, dass der Staat an den steigenden Energiepreisen mitverdient. Deshalb erwarten die Menschen in unserem Land zu Recht, dass Sie auf die Mehreinnahmen durch gestiegene Energiepreise verzichten. Deshalb: Liefern Sie! Seien Sie nachhaltig! Dieser Gesetzentwurf ist wichtig; aber er ist eben auch eine vertane Chance. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, danke schön. – Dr. Julia Verlinden hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass wir hier und heute den Heizkostenzuschuss verabschieden können, ist das Ergebnis von guter und konstruktiver Zusammenarbeit in der Ampel. Mein expliziter Dank gilt hierbei auch insbesondere der Frau Ministerin Geywitz und ihrem Haus. Gehen wir doch noch einmal einen Schritt zurück. Warum ist dieser Zuschuss überhaupt notwendig geworden? Unsere Energieversorgung ist in eine Preisspirale geraten, die zuletzt mit dem furchtbaren und völkerrechtswidrigen Überfall von Putin auf die Ukraine ihre Spitze erreicht hat. In unserem Land wird für die Wärmeerzeugung immer noch viel zu viel Kohle, Öl und Erdgas gebraucht. Das ist nicht nur schlecht für das Klima, sondern auch für die drohenden Nebenkostenabrechnungen der Menschen. In den vergangenen Jahren ist einfach viel zu wenig von der unionsgeführten Bundesregierung passiert, um schneller von dieser klimaschädlichen und teuren Abhängigkeit von den Fossilen loszukommen. Und das ändern wir jetzt. ({0}) Es geht dabei um Energieeinsparung und Umstellung auf erneuerbar erzeugte Wärme. Denn oft zahlen die Menschen, die am wenigsten Geld haben, besonders viel fürs Heizen, weil sie in den Gebäuden leben, die am meisten schlucken. Damit sie von den hohen Heizkosten aus diesem Winter nicht erdrückt werden, haben wir als Ampel diesen Heizkostenzuschuss zügig auf den Weg gebracht. Das ist gut, und das ist richtig, meine Damen und Herren. ({1}) Doch damit sind wir noch lange nicht fertig. Die wichtigste Maßnahme, um dauerhaft Heizkosten zu senken, sind Investitionen: Investitionen in Gebäudesanierung, Investitionen, um Energie nachhaltig einzusparen. Jeder Euro in bessere Gebäude zahlt sich durch geringere Heizkosten aus. Dabei unterstützen wir die Hauseigentümer/-innen. Dafür braucht es neben Förderprogrammen für Gebäudesanierung auch ein zukunftsfähiges Gebäudeenergiegesetz, und das werden wir noch in diesem Jahr novellieren. Das Ministerium von Robert Habeck sitzt bereits daran. ({2}) Beim Bau von neuen Gebäuden können wir sofort auf fossile Heizungen verzichten. Wir können auch im Gebäudebestand schnelle Fortschritte erzielen, noch in diesem Jahr. Wir brauchen dafür eine Offensive bei der Gebäudesanierung und beim Heizungstausch. Ich bin dem Haushaltsausschuss wirklich sehr dankbar, dass er hier in dieser Woche kurzfristig weitere Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt hat. ({3}) Eine zusätzliche Chance bietet die serielle Sanierung. Mit dieser Innovation können wir noch vor dem nächsten Winter einen wichtigen Beitrag für eine Vielzahl von Wohnungen leisten. Natürlich haben wir uns viel vorgenommen; aber wir sind als Ampel nicht angetreten, um den Status quo zu erhalten. Wir wollen Dinge bewegen und soziale Gerechtigkeit, Innovation und Klimaschutz voranbringen. Also: Lassen Sie uns gemeinsam konstruktiv und erfolgreich daran arbeiten; denn zu bezahlbarem Wohnen gehören auch niedrige Nebenkosten. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lina Seitzl spricht jetzt für die SPD-Fraktion, und wir freuen uns auf ihre erste Rede hier im Haus. ({0})

Dr. Lina Seitzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage von Menschen mit niedrigem Einkommen spitzt sich in Zeiten steigender Energiepreise immer weiter zu – über die dringende Notwendigkeit von Entlastungen wurde von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern bereits viel gesagt –; deshalb führen wir den Heizkostenzuschuss als eine erste Entlastungsmaßnahme ein. Weitere werden folgen. Das sollte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, eigentlich auch bewusst sein. ({0}) Über eine Gruppe haben wir hier in dieser Debatte noch nicht so viel gesprochen, und mir scheint, wir sprechen über diese Gruppe in diesem Haus sowieso relativ wenig: Das sind junge Menschen. Diese befinden sich seit über zwei Jahren in einer Ausnahmesituation. Es gibt zum Beispiel Studierende, die im vierten Semester sind und ihre Universität, ihre Hochschule noch nie von innen gesehen haben, die ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen nur von Kacheln am Laptop kennen und die sich ihr Studium ganz sicher anders vorgestellt haben. Mit vielen von ihnen habe ich gesprochen und war beeindruckt, dass sie die Coronaeinschränkungen trotz der eigenen hohen Belastung mit großer Solidarität mitgetragen haben. Auf all diese psychischen Belastungen türmen sich nun noch finanzielle Sorgen. Die dramatisch gestiegenen Energiepreise verschärfen die Situation, insbesondere auch durch das Studium im Homeoffice. Jetzt verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Alle Sorgen werden wir den jungen Menschen in Ausbildung mit dem Heizkostenzuschuss natürlich nicht nehmen können. ({1}) Was wir ihnen aber nehmen können – gerade denen mit besonders niedrigem Einkommen –, ist der weiter steigende finanzielle Druck. Der Heizkostenzuschuss für Beziehende von BAföG, Aufstiegs-BAföG und Ausbildungsbeihilfe soll 230 Euro betragen und damit doppelt so viel, wie ursprünglich vorgesehen. Er wird direkt und zeitnah ausgezahlt; denn wir wollen mit dem Heizkostenzuschuss entlasten und nicht weiter belasten. ({2}) Deshalb wird der Heizkostenzuschuss direkt aufs Konto überwiesen, ohne dass dafür ein Antrag erforderlich ist. Wenn wir diesen Heizkostenzuschuss heute so beschließen, dann unterstützen wir nicht nur die Wohngeldempfängerinnen und ‑empfänger, sondern auch mehr als eine halbe Million junge Menschen, die ihre Ausbildung ohne finanzielle Rückendeckung der Eltern absolvieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, von jungen Menschen haben wir doch in den letzten beiden Jahren erwartet, dass sie schon irgendwie zurechtkommen mit all den Veränderungen und Einschränkungen ihres Alltags. Und oftmals mussten sie einfach funktionieren. Die Coronapandemie hat uns aber auch gezeigt, wie verwundbar diese Gruppe sein kann. Deshalb entlasten wir sie jetzt schnell und unkompliziert, und deshalb berücksichtigen wir sie beim Heizkostenzuschuss. Vielen Dank. ({3})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Anbetracht des Ukrainekrieges ist es sicherlich nicht leicht, über andere Themen zu diskutieren. Deswegen bin ich umso dankbarer, dass wir heute über die Teilhabe von behinderten Menschen am Arbeitsleben diskutieren und debattieren können. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, was haben der barrierefreie Umbau von Fahrzeugen, ein Cateringservice für Kitas, Kinderholzspielzeug, Kaffeegeschirr oder eine Softwarelösung für ein Abrechnungssystem in einem mittelständischen Unternehmen gemeinsam? Alle diese Produkte und Dienstleistungen wären nicht denkbar ohne die Arbeit von Menschen mit Behinderung und ihre Tätigkeit in Werkstätten für behinderte Menschen oder in Inklusionsunternehmen und Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es muss ja nicht unbedingt gleich das DAX-Unternehmen SAP sein, das seit vielen Jahren Vorreiter bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, vor allen Dingen mit Autismus-Syndrom, ist. Es kann auch ein Kleinunternehmen sein, wie zum Beispiel ein Autohaus aus meinem Wahlkreis, das Fahrzeuge umbaut in einen barrierefreien Zustand für Menschen mit Behinderung. ({1}) Unser Ziel ist es, möglichst viele Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Denn das Problem ist nicht nur, dass mehr Menschen mit Behinderung arbeitslos sind als Menschen ohne Behinderung, sondern auch, dass sie länger arbeitslos sind. Diese Probleme müssen wir angehen und dabei alle Pfeiler des inklusiven Arbeitsmarkts wie Inklusionsbetriebe, Einrichtungen für die berufliche Rehabilitation oder Werkstätten für behinderte Menschen fördern und vor allem die Übergänge zwischen den Einrichtungen hin zum ersten Arbeitsmarkt verbessern. Als Regierungsfraktion der letzten Legislaturperioden haben wir hierzu einiges auf den Weg gebracht. Es ist gut, dass wir mittlerweile einheitliche Ansprechstellen für Unternehmen, für Arbeitgeber haben. Jetzt müssen diese aber in die Fläche gebracht werden, damit sie die Unternehmen auch begleiten können, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Die BIH hat zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrags Handlungsempfehlungen entwickelt. Aber ich erwarte, dass sich die Bundesregierung hier nicht nur auf die Integrationsämter und ihre Berichterstattung verlässt, sondern auch selbst eine aktive Rolle einnimmt und eine bundesweite Strategie sowie einen zeitlichen Fahrplan entwickelt. ({2}) Einen Flickenteppich für Beratungsangebote darf es am Ende nicht geben. Die über 900 Inklusionsbetriebe leisten einen wichtigen Beitrag als Teil des ersten Arbeitsmarktes und zugleich als Brücke dorthin. Auch unabhängig von der Pandemie benötigen sie aber eine sichere finanzielle Basis. Der von der Regierungskoalition ab dem 1. Oktober 2022 geplante Mindestlohn von 12 Euro ist auch von den Inklusionsunternehmen zu tragen. Die derzeitigen an die Firmen gewährten Zuwendungen wachsen allerdings nicht automatisch mit. Das muss gewährleistet sein. Ebenso muss auch die Umsatzsteuerthematik, die ja schon länger besteht, geregelt werden. Es ist auch gut, dass wir vor einigen Jahren das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung eingeführt haben und gerade auch zuletzt mit dem Teilhabestärkungsgesetz punktuell noch einmal nachgebessert haben. Doch wir alle wissen: Die Instrumente werden weiterhin viel zu wenig genutzt. Wir machen in unserem Antrag Vorschläge, wie man diese wichtige Brücke in den Arbeitsmarkt attraktiver gestalten kann, zum Beispiel durch die Aufhebung der Begrenzung des Lohnkostenzuschusses beim Budget für Arbeit, durch die Erweiterung des Budgets für Ausbildung auf die Inklusionsbetriebe und Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und durch eine Informations- und Schulungskampagne, um diese Instrumente bekannter zu machen. Doch es wird auch weiterhin Menschen geben, die den Weg aus den Werkstätten hin auf den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen oder auch nicht gehen wollen. Diese Menschen brauchen ein Entgelt, das ihre Arbeit würdigt und für die Werkstätten finanzierbar ist. Gleichzeitig weiß ich aber auch aus vielen Gesprächen mit den Werkstattbeschäftigten, wie wichtig ihnen ist, dass sie ihre Schutzrechte behalten. Ich bin gespannt, welche Lösungen das Forschungsvorhaben für das Werkstattentgelt hierzu unterbreiten wird. Wir haben als CDU/CSU-Fraktion bereits in der letzten Legislaturperiode ein Modell auf den Weg gebracht, mit dem zumindest die Problematik der Erhöhung des Grundbetrages für die Werkstattbeschäftigten abgefedert werden kann. Es ist auch gut, dass sich in der Coronapandemie Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke und Werkstätten für behinderte Menschen auf den Weg gemacht haben, ihre Leistungen auf digitale Angebote umzustellen. Hier hat sich schnell gezeigt, welchen Mehrwert die Digitalisierung für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung hat. Doch auch aus dem Austausch mit außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen weiß ich, dass man sich dort mehr Unterstützung für die Digitalisierung wünscht. Als Union teilen wir daher die Meinung, dass wir eine Art DigitalPakt Schule 2.0 benötigen, ein Förderprogramm für barrierefreie digitale Angebote in außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen. ({3}) Zusammenfassend: Was also sollte Ziel inklusiver Arbeitsmarktpolitik der nächsten Jahre sein? Es bedarf vor allem mehr Kooperation, mehr Ansprache und einer Stärkung der digitalen Teilhabe, um die Potenziale von Beschäftigten mit Behinderung zu nutzen. Hierzu bietet unser Antrag konstruktive Vorschläge. Ich freue mich auf die Beratungen. Vielen Dank. ({4})

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage jetzt erst mal etwas Außergewöhnliches: Ich möchte mich bei der Union tatsächlich bedanken, aber nicht für diesen Antrag, sondern dafür, dass Sie in der Opposition sind. ({0}) Denn Sie ermöglichen jetzt tatsächliche Teilhabe für Menschen mit Behinderung am Leben in der Gemeinschaft. Es gibt in diesem Haus so ein Phänomen; ich möchte Ihnen das mal näher erläutern. Wenn man näher hinguckt, stellt man fest: Immer wenn Sie in der Opposition sind, entdecken Sie plötzlich Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik für Menschen mit Behinderung. Deshalb: Vielen, vielen Dank, dass Sie in der Opposition sind! ({1}) Ein paar Worte möchte ich natürlich auch zu Ihrem Antrag sagen. Menschen mit Autismus in DAX-Unternehmen sind ein schönes Beispiel für gelungene Inklusion in die Arbeitswelt – meiner Meinung nach ein sehr gutes Beispiel, aber nicht unbedingt das Beispiel. Reden müssen wir besonders über Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen mit altersbedingten und/oder geistigen Behinderungen. Was für mich besonders wichtig ist, ist, auch über die Menschen zu reden, die komplexere Behinderungen haben. Dort liegen nämlich die besonderen Herausforderungen. Es ist ja auch so: Zu viele Unternehmen werden ihrer Verantwortung nicht gerecht, mehr Inklusion zu ermöglichen. Aus Ihrem Antrag habe ich herausgelesen, dass es oftmals eher den Menschen mit Behinderung und ihren Fähigkeiten zugeschrieben wird, dass das nicht möglich ist. Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wir brauchen nicht unternehmensoptimierte Menschen mit Behinderung; wir brauchen menschlichere Unternehmen, die die Bedarfe der Menschen mit Behinderung erkennen und diese auch fördern können. Darin nämlich besteht der Auftrag. ({2}) Wichtig ist doch – ich glaube, man darf diesen einen Aspekt nicht vernachlässigen –, dass es hier besondere Erfordernisse gibt, nämlich bei der Förderung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit und des Selbstwertgefühls, damit Menschen mit Behinderung nicht immer das Gefühl vermittelt bekommen, eine Last für die Gesellschaft zu sein. Ich kann Ihnen auch als Mensch aus der Praxis, der noch vor vier Monaten in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung gearbeitet hat, berichten: Manchmal lohnt sich auch ein vertiefter Blick in die Einrichtungen, statt nur mal bei Wahlkampfveranstaltungen dort präsent zu sein. ({3}) Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Werkstätten ein Ort für Förderung seien. Das stimmt. Aber ich frage Sie – ein Blick in die Werkstättenverordnung zeigt es –: Wie wollen wir bei solch schlechten Personalschlüsseln von 1 : 12 für die Betreuer und von 1 : 120 für die Sozialdienste die Menschen mit Behinderung in den WfbMs fördern, damit sie den ersten Schritt in den Arbeitsmarkt schaffen können? Wir brauchen hier wesentliche Verbesserungen, und dann gelingt uns auch der Schritt, dass Menschen mit Behinderung aus den WfbMs in den ersten Arbeitsmarkt kommen können. ({4}) Was wir aber auch brauchen, ist mehr Begegnung. Bei mir im Wahlkreis gibt es ein Unternehmen, das ich besucht habe. Ich habe irgendwann vier Anlagen gesehen, die nicht verwendet werden, und habe den Geschäftsführer gefragt: Warum werden die denn nicht benutzt? Da hat er gesagt: Ich habe keine Fachkräfte. Ich habe nicht mal Mitarbeiter. – Jetzt habe ich natürlich ein gekonntes Auge dafür ({5}) und habe gesagt: Ich habe vier für Sie. – Daraufhin habe ich veranlasst, dass Menschen aus meiner ehemaligen Einrichtung dorthin vermittelt werden können. Das hat nur gezeigt, dass wir mehr Begegnung zwischen Wirtschaft und den WfbMs brauchen, ({6}) mehr Begegnungen zwischen den Unternehmen und den Einrichtungen, damit uns das gelingt. ({7}) Ich möchte Ihnen auch erzählen, was wir noch alles vorhaben: Erstens. Durch die Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe wird es für die Unternehmen teurer. Wer weniger macht, wird auch mehr zahlen müssen, meine Damen und Herren. Zweitens. Wir werden mit der Genehmigungsfiktion Entlastung schaffen und gerade kleine und mittlere Unternehmen von Bürokratie befreien. Wer vollständige Anträge auf begleitende Unterstützung im Arbeitsleben stellt, hat nach sechs Wochen so die Sicherheit der Genehmigung. So oder so: Wer Inklusion schafft, bekommt von uns freie Fahrt. Noch ein Aspekt, der bei Ihnen völlig fehlt: das betriebliche Eingliederungsmanagement. Eingliederung in den Arbeitsmarkt bedeutet nämlich oft Wiedereingliederung. Mit verbindlichen und einheitlichen Qualitätsstandards sorgen wir hier für die Menschen in unserem Land. Ich denke, auch im Hinblick auf die Long-Covid-Erkrankungen kann das ein wichtiger präventiver Faktor sein. ({8}) Was mich aber besonders freut, ist: Wir werden ein ganzheitliches Konzept vorlegen, nämlich ein Bundesprogramm Barrierefreiheit. Wir machen den Abbau von Barrieren zur Pflicht für alle, vom Wohnen über Digitales bis zur Mobilität. Denn wer im Alltag weniger Barrieren hat, der hat auch einen besseren, schnelleren und umfassenderen Weg in die inklusive Arbeitswelt von morgen. Wichtig ist mir auch, dass wir an die Barrieren in den Einstellungen der Menschen rangehen, dass wir nicht nur an die physischen Barrieren, sondern auch an die subjektiven Barrieren rangehen und sie damit überwinden können. Eins möchte ich aber noch loswerden – das ist ein persönliches Anliegen von mir –: Ich denke, wir müssen die wissenschaftliche Evaluation des Bundesteilhabegesetzes auch parlamentarisch begleiten. Das werde ich in den Fokus meiner Arbeit setzen. Deshalb möchte ich jetzt schon anraten, das Bundesteilhabegesetz überall da umzusetzen, wo wir es benötigen, und zwar so schnell wie möglich. Ich kann Ihnen zusichern: Ich kann ziemlich nervig werden, wenn uns das nicht gelingt. Deshalb: Bleiben Sie gespannt. ({9}) – Ja, ich weiß. Ich sehe es an Ihren Augen, dass ich jetzt schon nervig bin. ({10}) Dementsprechend: Merci vielmal und Glückauf! ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Hannes Gnauck für die AfD-Fraktion. ({0})

Hannes Gnauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005066, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es bei diesem Antrag der CDU mit einem wichtigen und dringenden Anliegen zu tun. Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung zu reduzieren, die dazu notwendigen Rahmenbedingungen auszugleichen und eine allgemeine Lebensverbesserung für unsere Mitbürger zu erwirken, ist absolut notwendig. Doch leider konterkarieren Sie auf anderer Ebene alle Bemühungen und Pläne aus diesem Antrag, und zwar mit der von Ihnen verabschiedeten einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Werte Kollegen der Altparteien, Sie können sich nicht für eine bessere Einbindung von Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft einsetzen, wenn Sie zeitgleich das dafür notwendige Personal aus seinem Beruf verbannen, und das, obwohl wir bereits jetzt an akutem Fachkräftemangel leiden. ({0}) Sie werden das Leben von vielen Mitbürgern mit Behinderung massiv verschlechtern. Mit den Worten einer 57-Jährigen aus Niedersachsen: Die „Impfpflicht für Pfleger zerstört mein Leben.“ Um die betroffene Dame kümmerten sich bisher vier Pfleger in verschiedenen Blockdiensten. Dieses Modell droht nun zu zerfallen – und damit ihre Lebensqualität. Überhaupt Fachkräfte zu finden, die für den Lohn zu diesen Bedingungen arbeiten, ist bereits eine riesige Herausforderung, auch ohne Impfpflicht. Und angesichts der Aussage des Gesundheitsministers Lauterbach, wonach bloß der eine oder andere radikale Impfgegner aus seinem Job aussteigen müsse, muss man hier wohl feststellen: Der normopathischen Corona-Mainstream-Politik von links bis Union ist das Schicksal unserer behinderten Mitbürger sowie ihrer ungeimpften Pfleger offenbar egal. ({1}) Der Chef des Caritasverbands Behindertenhilfe, Wolfgang Tyrychter, sieht hier eine Gefährdung der Versorgungsqualität und ‑sicherheit für Menschen mit Behinderung. ({2}) Die Mitarbeiter im Sozial- und Gesundheitswesen stehen als Fachkräfte schließlich in einem engen Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten. Sie lassen sich nicht einfach so austauschen, und die Bindung zwischen Menschen mit Behinderung und ihren Betreuern, meine Damen und Herren, ist doch so viel mehr als nur ein kaltes Dienstleistungsverhältnis. ({3}) Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, mahnt, dass mit dieser Impfpflicht regional massive Personal- und Versorgungsengpässe drohen. Und mehr noch: Er bezeichnet diese von Ihnen verhängte Impfpflicht als Gesetz gegen den operativen Sachverstand. Und recht hat der Mann! ({4}) Meine Damen und Herren von der CDU, Sie können hier die notwendigen Maßnahmen fordern, um die soziale Lage von Menschen mit Behinderung in unserem Land zu verbessern. Doch solange Sie eine Impfpflichtpolitik unterstützen, welche die bestehende Versorgungslage zu zerstören droht, kann man Ihre Forderungen nur als eines bezeichnen: billige Heuchelei. ({5}) Ihre ehemalige Kanzlerin Merkel bezeichnete ihr Verständnis von christdemokratischer Politik einst als mal liberal, mal konservativ und mal christlich-sozial. Letzteres war stets geheuchelt, der Konservatismus – und das wissen Sie – eine Lüge, und Ersteres kam immer zur falschen Zeit. Während Ihre Ikone in der Migrationspolitik zur „Mutti Merkel“ hochgeschrieben wurde, wurden Menschen mit Behinderung stiefmütterlich behandelt. Mit dem durch Ihren Impfzwang drohenden Quasi-Arbeitsverbot für viele wichtige Betreuer riskieren Sie nun den Zusammenbruch der Versorgung. Das, meine Damen und Herren von den Altparteien, haben Sie alle zu verantworten; denn hier macht die Scheinoppositionelle mit der linksliberalen Regierung gemeinsame Sache. Sie riskieren mit Ihrer Politik eine regelrechte soziale Krise, und das, obwohl in allen Ländern um uns herum die Coronamaßnahmen aufgehoben werden und selbst in Österreich die irrsinnige Impfpflicht gekippt wurde. Deshalb: Stellen Sie Ihren unsinnigen Impfzwang zurück, ({6}) und geben Sie somit einer Verbesserung für die Teilhabe unserer Mitmenschen mit Behinderung überhaupt erst eine Chance. Das, meine Damen und Herren, wäre dann tatsächlich mal solidarisch. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Corinna Rüffer für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Die AfD hat gerade mal wieder unter Beweis gestellt, dass ihr das Leben behinderter Menschen, ehrlich gesagt, sonst wo vorbeigeht. ({0}) Sie haben hier keinen einzigen Satz zu diesem Antrag und zum Thema beigetragen. ({1}) Die einrichtungsbezogene Impfpflicht hat mit der inklusiven Beschäftigung behinderter Menschen rein gar nichts zu tun. Es tut mir einfach leid, dass Sie hier so die Redezeit verschwenden. Der Unterschied zwischen Ihnen und der ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel ist – das möchte ich an der Stelle auch noch mal sagen –, dass sie bei diesem Thema zumindest den Hauch eines Verständnisses gehabt hat. Sie hat sich nämlich mit dem Statement verabschiedet – da war ich sehr überrascht, dass sie das nach all den vielen Jahren dann doch endlich mal tut als eine Frau, die auf dem Gelände einer Behinderteneinrichtung in der DDR aufgewachsen ist –, dass man diese Einrichtung aufzulösen hat und dass man solchen Kindern von Anfang an die Möglichkeit geben muss, mit allen anderen Kindern zusammen inklusiv beschult zu werden. Menschen, die in Werkstätten arbeiten, hätten ein Anrecht auf einen anständigen Lohn und die Möglichkeit zum Zugang zu einem inklusiven Arbeitsmarkt. ({2}) Das war also reiner Bullshit, was Sie hier beigetragen haben. Der Union möchte ich sagen, dass man an manchen Stellen wirklich deutlich merkt, dass es gut ist, wenn in einem Land nicht immer die Gleichen am Ruder sitzen. Nach 16 Jahren war es, ehrlich gesagt, wirklich an der Zeit, dass die Unionsfraktion jetzt mal auf der Oppositionsbank sitzt. ({3}) Ich möchte Ihnen sagen – das meine ich überhaupt nicht böse –: Zu einer guten Demokratie gehört es, dass mal frische Luft reingelassen wird. Das merkt man ein bisschen auch an Ihrem Antrag. Außerdem finde ich es total gut, wenn in einem Parlament möglichst viele Menschen sitzen, die einen Hauch Ahnung davon haben, was es bedeutet, an einer inklusiven Gesellschaft zu arbeiten: nämlich Lebensqualität und Fortschritt für alle Menschen. Ich glaube, dass mit Hubert Hüppe, der in der ersten Reihe sitzt, jemand wieder neu im Bundestag ist, der eine Vorstellung davon hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Hubert Hüppe an diesem Antrag auf jeden Fall mitgearbeitet hat. Er ist nicht perfekt, aber er ist nicht schlecht. Da ist einiges abgeschrieben – von uns und vielleicht auch von anderen, da bin ich mir nicht so sicher –, aber es ist auf jeden Fall eine gute Grundlage, auf der man diskutieren kann. ({4}) Andererseits muss ich Ihnen sagen, dass mir, bildlich gesprochen, echt die Tränen kommen, wenn ich darüber nachdenke, was wir in den vergangenen Jahren alles hätten gemeinsam zustande bringen können, ({5}) wenn wir uns in diesem Hohen Haus zusammengetan hätten, um Ernst zu machen mit der vollen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, wenn wir unsere Kraft darauf gerichtet hätten, Strukturen zu schaffen, die tatsächlich für alle zugänglich sind und die auch funktionieren. Stattdessen – ich zitiere –: Noch nie waren so viele Menschen mit Behinderungen in Sondereinrichtungen. Die (Aus-)Sonderstrukturen haben sich durchgesetzt, die Inklusion ist auf dem Rückmarsch. … Sonderschulen werden zum Teil mit enormem Finanz-und Personalaufwand erweitert oder gar neu gebaut, die schulische Inklusion wird kaputtgespart. In der Folge steigt auch die Zahl von Menschen in den Werkstätten. Es werden Milliarden in die Exklusion gesteckt, und in der „Wohlfahrtsindustrie“ wird immer mehr Geld verdient. So steht es geschrieben auf der Website unseres ehemaligen Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe. Und er hat recht mit dem, was er sagt. Nur, leider hat das, was er sagt, mit der Politik der Union bisher überhaupt nichts zu tun gehabt. Wie oft habe ich mir anhören müssen, dass Förderschulen, Werkstätten und Heime schon gut seien für die Behinderten. Die Menschen wollten in Werkstätten arbeiten, weil sie den Schutzraum bräuchten und sich dort wohlfühlten. Aber die Realität ist oftmals eine andere. Ich möchte mal aus einem Interview mit Frau – nennen wir sie – Schmitz zitieren, die heute – das möchte ich vorwegschicken – bei einem Unternehmen fest angestellt ist. Sie hatte keinen Schulabschluss, ist irgendwann, wie sie sagt, in einer massiven Despression gelandet und deshalb nicht mehr vor die Tür gegangen. Frau Schmitz hat Glück gehabt: Über ein Praktikum bekam sie die Gelegenheit, ins – formal formuliert – betreute Arbeiten, in einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz einzusteigen. Sie sagt – ich zitiere –: Dadurch hatte ich die Möglichkeit, sanft und ohne Druck wieder oder überhaupt in Arbeit einzusteigen. Man ist offiziell bei einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen angemeldet, aber arbeitet nicht dort, sondern in einem ganz normalen Unternehmen. Das heißt, man ist nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt und muss nicht die Verantwortung und Leistung bringen, die damit einhergeht. Ich habe damals mit einer reduzierten Stundenzahl angefangen und mich dann langsam, aber stetig gesteigert, bis ich bei der Vollzeit angekommen bin. Ich konnte in der Zeit eingearbeitet werden, ohne dass ich schon Leistung bringen musste. Ich war als helfende Hand dabei. Damit ich überhaupt in dem Unternehmen anfangen konnte, musste ich mir als Erstes eine WfbM, eine Behindertenwerkstatt, anschauen. Dabei habe ich festgestellt, dass ich nie da arbeiten möchte. Ich hatte das Gefühl: Wenn ich vorher nicht schon behindert bin, dann bestimmt, nachdem ich dort arbeiten müsste. Ohne die Möglichkeit eines betriebsintegrierten Arbeitsplatzes wäre ich diesen Weg nicht gegangen und heute wahrscheinlich noch immer stark depressiv und vor allen Dingen auch arbeitslos. Für mich war es genau der richtige Weg, um stabil genug zu werden, damit ich meine Ausbildung beginnen konnte. Frau Schmitz hat es geschafft, weil sie das Glück hatte, Unterstützung auf ihrem individuellen Weg zu bekommen. Viele andere Menschen haben dieses Glück nicht. Glück darf aber keine Kategorie sein, wenn es darum geht, geltendes Recht in Anspruch zu nehmen. ({6}) Und hier liegt eine Kernaufgabe für die kommenden Jahre: Wir müssen es schaffen, den Bürokratiedschungel zu lichten. Wir brauchen einen Servicestaat und keinen Kafka-Staat. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen als Demokraten innerhalb dieses Parlamentes und ernsthaft an einer inklusiven Gesellschaft arbeiten! Ich bedanke mich. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Sören Pellmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Unionsfraktion, herzlich willkommen in der realen Welt der Menschen mit Behinderungen! Eines muss man Ihnen lassen: Humor haben Sie. Der Antrag, den Sie hier vorlegen, könnte man als Satire oder doch eher als eine Selbstabrechnung verstehen. Ich habe schon in Ihre Reihen geschaut, ob vielleicht gleich Jan Böhmermann auftaucht und als neuer Abgeordneter bei Ihnen um die Ecke kommt. ({0}) Ich muss heute hier im Plenum erstmals von einer Erleuchtung sprechen: Im Feststellungsteil, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie nämlich vieles richtig analysiert: Menschen mit Behinderungen sind länger und häufiger arbeitslos. Es gibt zu wenige Unternehmen, die ihre Verantwortung für Inklusion ernst nehmen. Die Unternehmen stellen zu wenige Menschen mit Schwerbehinderung ein. 25 Prozent bzw. 40 000 Unternehmerinnen und Unternehmer sind sogenannte Nullbeschäftiger: Sie beschäftigen trotz einer entsprechenden Pflicht keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung. Hier drängt sich zumindest mir regelrecht die Frage auf: Warum ist das so? Es gibt eine sehr einfache Antwort: Das ist die Bilanz Ihrer 16‑jährigen Regierungsverantwortung, die durch Versagen geprägt war. 16 Jahre Kanzlerschaft Merkel und 16 Jahre Ignorieren der Realitäten wollen Sie mit einem völlig verkürzten Antrag nunmehr reparieren. 16 Jahre Tiefschlaf – und jetzt wachen Sie endlich auf. Bestes Beispiel: die Aufhebung der Deckelung des Budgets für Arbeit. Wer hat denn diesen Deckel dafür erfunden und wollte ihn unbedingt haben? Das waren Sie, Sie als Unionsfraktion. Die Wahrnehmungsveränderung hätte nach meiner Auffassung viel früher erfolgen müssen. ({1}) Zur Erinnerung, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie hatten sogar die Chance dazu. Wir hatten am 22. April 2021 einen sehr umfangreichen Antrag vorgelegt, wo es um gute Arbeit für Menschen mit Behinderung geht – Ihre Fraktion hat damals mit Nein gestimmt –, darin sieben Seiten wirkliche Reformen für einen inklusiven Arbeitsmarkt: bessere Beratung und Vermittlung, deutliche Anhebung der Ausgleichsabgabe, Stärkung und Ausweitung der Inklusionsbetriebe, Stärkung der Selbstvertretung und Mitbestimmung von Menschen mit Behinderung, inklusivere Ausrichtung und Neuaufstellung der Finanzierung der Werkstätten, Einführung des Mindestlohns, um Hungerlöhne zwischen 1 und 2 Euro pro Stunde endlich zu beenden. Auch ordentliche Löhne für Menschen mit Behinderung sind eine Form der Anerkennung ihrer täglichen Arbeit. ({2}) Was bleibt nun? Die Erkenntnis, dass 16 Jahre lang viel zu wenig für diese Bevölkerungsgruppe getan wurde. Und es bleibt dabei – darauf deuten zumindest bisherige Ankündigungen der neuen Regierungskoalition hin; genannt sei, Sie haben das sehr eindrucksvoll gesagt, die Einführung der vierten Stufe für Nullbeschäftiger –, dass auch hier erst Taten folgen müssen und es nicht nur leere Ankündigungen geben darf. ({3}) Umso wichtiger, liebe Kolleginnen und Kollegen – da haben Sie uns dann natürlich an Ihrer Seite –, ist es, dass wir als Linke gemeinsam mit Ihnen für einen echten inklusiven Arbeitsmarkt weiterkämpfen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jens Beeck hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hochverehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Oellers – und das meine ich so, wie ich es sage –, nachdem wir jetzt über vier Jahre in unterschiedlichen Konstellationen an einem Thema arbeiten, haben Sie mich nicht so ganz oft überrascht; aber mit diesem Ding haben Sie es geschafft. Den habe ich nicht kommen sehen. Ich habe den auf meinem Schreibtisch liegen gehabt und habe gedacht: „Das ist ja meiner“, ({0}) und war total überrascht, als ich am Ende des Antrags gelesen habe: Friedrich Merz und andere. – Da wusste ich: Das ist gar nicht meiner. Das muss Ihrer sein. ({1}) Das ist schon erstaunlich; denn der Antrag – das will ich Ihnen ausdrücklich sagen – ist nicht nur im Analyseteil gut. Er hat auch an vielen Stellen gute und richtige Ansätze in Ihren Forderungen unter Ziffer II. Ein bisschen überrascht war ich, weil mir die eine oder andere Formulierung richtig bekannt vorkam. Von den 20 Punkten, die Sie aufführen, ist einer, nämlich der Aufruf zu Öffentlichkeitsarbeit, eigentlich nach 16 Jahren Regierungsverantwortung nicht so richtig toll. ({2}) Die Punkte 15 und  7 – das will ich Ihnen ausdrücklich sagen – sind gute Punkte, und ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Da werden wir gemeinschaftlich ein Stück weiterkommen. Alles andere haben Sie entweder eins zu eins, bei der Ziffer 5 wortwörtlich, aus Drucksachen des Bundestages und Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion ({3}) oder aus dem Koalitionsvertrag abgeschrieben, oder Sie haben es selber bei eigenen Gesetzesprojekten, die noch keine zwölf Monate zurückliegen in diesem Haus, als Sie noch in der Regierung waren, aktiv versemmelt. Ich habe Ihnen das mal illustriert. ({4}) Das Weiße ist das Gute; das Rote haben Sie entweder aktiv versemmelt oder zum Teil, wie gesagt, bei der Ziffer 5 wortwörtlich, aus einer Bundestagsdrucksache, aus einem Antrag der FDP, abgeschrieben. Das heißt jetzt nicht, dass alles schlecht ist; aber ich will es mal kurz durchgehen. ({5}) Ich habe heute – Gott sei Dank! – mal fünf Minuten. Ziffer 1: original übernommen aus dem Koalitionsvertrag. Nett, dass Sie sagen: Der ist gut. – Finden wir auch. ({6}) Ziffer 2: FDP-Forderung der 19. Wahlperiode, verankert im Koalitionsvertrag mit den jetzigen Partnern. Ziffer 3: FDP-Forderung aus der 19. Wahlperiode, übrigens immer von Ihnen abgelehnt, jetzt verankert im Koalitionsvertrag. Ziffer 4: Da wird es ein bisschen knifflig. Da geht es um die Umsatzsteuerprivilegierung der Inklusionsunternehmen. Da haben wir in der letzten Wahlperiode beantragt: Das Thema räumen wir ab, weil sich darüber zwei Senate beim Bundesfinanzhof streiten, aber wir uns einig sind, dass das eine sehr angemessene Privilegierung im Umsatzsteuerrecht ist. Das haben wir beantragt, und das werden wir auch machen. Es steht nämlich jetzt auch im Koalitionsvertrag, Inklusionsunternehmen formell – im § 12 Umsatzsteuergesetz – zu privilegieren. Sie bleiben mit der richtigen Analyse bei uns; mit Ihrem Lösungsvorschlag – wir gucken mal, ob wir in Europa irgendwann irgendeine Klarstellung hinkriegen – sind Sie weit hinter dem zurück, was erforderlich ist. Also, an der Stelle ist der Antrag nicht so gut; aber wenigstens haben Sie es erkannt. ({7}) Ziffer 5 ist der Teil, den Sie aus der – ich sage es Ihnen gerne – Drucksache 19/18257 wortwörtlich abgeschrieben haben. Den finde ich deswegen gut; den habe ich ja damals schon gut gefunden, als ich ihn eingebracht habe. ({8}) – Nee, Sie können das ja nachgucken. Das alles können Sie unter bundestag.de/drucksachen finden. ({9}) Ziffer 6 ist ein guter Punkt, und auch die 7. Das hätten Sie machen sollen, als Sie die entsprechenden Gesetze vor weniger als zwölf Monaten angefasst haben. ({10}) - „Ja, wie denn?“ Indem Sie unseren Änderungsanträgen gefolgt wären oder indem Sie es einfach richtig gemacht hätten. Haben Sie aber nicht, weil Sie es auch nicht wollten. Andere wollten ja vielleicht damals sogar, Sie aber nicht. Deswegen finde ich es auch wirklich gut, dass Sie in die Familie derer zurückkommen, die Inklusionspolitik in diesem Hause sehr ernsthaft betrachten. Wir freuen uns darauf, das mit Ihnen zu machen. Ich will Ihnen das ganz schnell noch – ich habe ja immer noch 58 Sekunden; früher war das viel weniger; wahrscheinlich haben wir gut bei der Bundestagswahl abgeschnitten, zu Recht – sagen: Ziffer 9 war ein FDP-Antrag, mehrfach von Ihnen abgelehnt. Ziffer 10: FDP-Antrag, von Ihnen abgelehnt. Die Ziffern 11, 12, 13 und 14 hätten Sie bei der Novellierung der entsprechenden Gesetze locker machen können; wir hatten auch darüber gesprochen. 15, habe ich gesagt, ist super. 16: Sie haben in den letzten 16 Jahren Bürokratiemonster geschaffen, übrigens nicht nur im Bereich des SGB IX, sondern im gesamten deutschen Sozialstaat. Wir sind beide Anwälte; wir haben beide im Sozialrecht gearbeitet. Auch wir können heute nicht mehr in eine Akte gucken und sofort wissen, was richtig ist, sondern müssen uns darauf richtig vorbereiten. Gegen diese Chimären, die Sie aufgebaut haben, wird die Ampelkoalition kämpfen; diesen Monstern stellen wir uns entgegen. ({11}) Wir kommen zu echten Verbesserungen, übrigens im Koalitionsvertrag bereits verankert, auch im Bereich der Bürokratie. Im Ergebnis: Ich freue mich auf die Beratung. Kopie ist angeblich die höchste Form der Anerkennung; deswegen: Herzlichen Dank für Ihre Anerkennung der Arbeit der FDP-Fraktion ({12}) aus der letzten Wahlperiode und des Koalitionsvertrages dieser Ampel! Ich freue mich sehr darauf, dass wir gemeinschaftlich diese Themen nach vorne bringen. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort geht an Hubert Hüppe für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich ja, dass die FDP-Fraktion unserem Antrag zustimmen will. Das habe ich jetzt Ihren Worten so entnommen, Herr Beeck. Ich wundere mich allerdings etwas über Herrn Mehmet Ali, der so tut, als sei die SPD gar nicht in der Regierung gewesen und als sei das Ministerium gar kein SPD-Ministerium gewesen, aus dem eigentlich die ganzen Formulierungen, die wir aufgreifen, ja auch stammen. ({0}) Erst mal vorweg: Natürlich erheben wir nicht Anspruch, hier alle Wege aufzuzeigen, die zu mehr Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt führen. Aber wir haben ein paar Punkte benannt, die uns wichtig sind und die dazu beitragen können, dass Menschen, gerade auch junge Menschen, eher in den Arbeitsmarkt kommen, auch wenn sie eine Behinderung haben. Ich nenne Ihnen ein wichtiges Beispiel. Ich nenne mal die Werker- und Fachpraktikerausbildung nach § 42 Handwerksordnung oder § 66 Berufsbildungsgesetz. Das sind die Ausbildungen für Menschen, die eine Vollausbildung nicht schaffen und die aufgrund ihrer Behinderung, oft auch ihrer Lernbehinderung, dann eine reduzierte Ausbildung machen können, meistens in Berufsbildungswerken und Einrichtungen. Sie, Herr Mehmet Ali, sind ja Einrichtungsvertreter. Man kann es auch im ersten Arbeitsmarkt machen; aber Sie können es nur dann im ersten Arbeitsmarkt machen, wenn der Ausbilder eine rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder macht. Diese Qualifikation, kurz: ReZa, bedeutet, dass der Ausbilder sich 320 Stunden fortbilden lassen muss in Recht, in Didaktik und in Medizin. Meine Damen und Herren, wie sieht das denn in Wirklichkeit aus? Da kommt der Geselle zu seinem Meister und sagt: Du kennst doch meine Tochter; die hat bei dir Praktikum gemacht. Die ist ehrlich, fleißig, kommt pünktlich, feiert nie krank. Kannst du die nicht ausbilden? Da sagt der Meister: Klar, aber die schafft doch die Berufsschule nicht. Da sagt der Geselle: Habe ich gehört. Da gibt es aber so eine Handwerksordnung, da geht es doch. – Ja, sagt er, wenn das so ist, mache ich das. Dann sagt der Geselle: Ja, Meister, da muss ich dir aber sagen, dass du dich jetzt noch 320 Stunden in Didaktik, in Medizin und in Recht fortbilden musst. – Meine Damen und Herren, das macht kein kleiner Betrieb. Diese Bürokratie wollen wir abbauen. Deswegen sagen wir in unserem Antrag: Die ReZA muss freiwillig sein, sie muss gestrafft werden, und die Kosten soll nicht der Betrieb zahlen müssen, sondern das muss der Staat machen, meine Damen und Herren. ({1}) Deswegen, Herr Beeck, haben wir gesagt, dass wir diese Bürokratie abbauen wollen. Übrigens: Der Punkt im Antrag, von dem ich gerade geredet habe, stammt bestimmt nicht von Ihnen. – Wir wollen Bürokratie abbauen. Wir wollen, dass es für Menschen mit Behinderungen Budgets in allen Bereichen gibt, im Bereich der Ausbildung und übrigens auch im Berufsbildungsbereich und im Eingangsbereich. Lasst uns das doch endlich machen! Natürlich gibt es in vielen Bereichen schon einen rechtlichen Anspruch darauf. Aber vor Ort ist das oft nicht bekannt, und es wird selten angeboten. Natürlich wollen wir auch, dass es mehr Menschen schaffen, von der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Aber wenn wir das wollen, dann müssen wir zum Beispiel das Budget für Ausbildung neu fassen. Sie können nicht schreiben: Sie bekommen ein Budget für Ausbildung, wenn Sie Anspruch auf Werkstattleistungen haben und einen Vertrag für eine Vollausbildung oder eine Werkerausbildung vorweisen können. Meine Damen und Herren, wer eine Vollausbildung macht, der gehört nicht in eine Werkstatt und hat deswegen auch keinen Anspruch auf diese Leistungen. Deswegen ist es ja auch verständlich, dass in über 20 Monaten in ganz Deutschland nur 31-mal Budgets für Ausbildung in Anspruch genommen wurden. Das müssen wir ändern, und es wäre gut, wenn Sie mitmachen würden. Machen Sie mit! Wir bieten Ihnen das an. Es gibt den Spruch: Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie nicht will, sucht Begründungen. – Wir haben Ihnen ein paar Wege aufgezeigt. Es würde mich freuen, wenn Sie noch ein paar Wege hinzufügen würden. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Angelika Glöckner hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mal so an: 13 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention – das zeugt davon, dass sich in der Behindertenpolitik etwas entwickelt hat. Ich will aber auch klar und deutlich sagen: Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Das gilt natürlich insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt; denn noch immer sind es die Menschen mit Behinderungen, die es im Vergleich zu ihren nicht behinderten Kolleginnen und Kollegen echt schwer haben, Eintritt in den Arbeitsmarkt zu finden. Woran das liegt, wissen wir; es wurde bereits mehrfach angesprochen. Beispielsweise liegt es daran, dass Unternehmen Menschen mit Behinderungen nicht einstellen, nicht beschäftigen wollen, oder auch daran, dass der Weg für die Werkstattbeschäftigten aus der Werkstatt heraus nicht durchlässig genug ist. Manchmal liegt das aber auch an ganz anderen Themen, zum Beispiel daran, dass Menschen mit Behinderungen Mobilitätsprobleme haben, dass sie nicht wissen, wie sie von ihrem Zuhause zur Arbeit kommen und auch wieder zurück. Das alles, diesen bunten Strauß an wichtigen Themen und Fragen, nehmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr ernst. Ich sage: Inklusion wird nur gelingen, wenn wir diese wichtigen sozialen Fragen auch anpacken, und dafür machen wir von der SPD uns stark. ({0}) Was also können wir konkret tun? Wir wollen die Beratungsstellen für die Unternehmen für noch bessere Beratungsangebote weiter ausbauen. Auch die Instrumente „Budget für Arbeit“ und „Budget für Ausbildung“ müssen weiterentwickelt werden, eben damit der Weg aus den Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt durchlässiger wird. ({1}) Wir wollen, dass das Zusammenspiel zwischen den Werkstätten und den Inklusionsunternehmen, aber auch zwischen den anderen Leistungsanbietern befördert wird. Und ganz wichtig ist – das wurde auch von meinem Kollegen Takis Mehmet Ali gesagt –, dass wir darauf hinwirken, dass Menschen, die im Arbeitsprozess stehen, ihre Arbeit behalten und eben nicht aus dem Arbeitsmarkt herausfliegen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Instrumente wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement breiter aufstellen und verbindlich etablieren. Kolleginnen und Kollegen, es wurde schon gesagt: Arbeit ermöglicht soziale Kontakte. Arbeit befördert Wertschätzung. Und Arbeit ermöglicht es, dass Menschen mit Behinderungen ihr eigenes Geld verdienen und damit auch ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen. Das ist wichtig, und genau da müssen wir ansetzen. Diese Punkte müssen wir umgehend in Angriff nehmen. Erfolgreiche Inklusionspolitik gibt es aber nicht zum Nulltarif. ({2}) Deswegen sage ich für die SPD-Fraktion: Eine solide Finanzierung all dieser Vorhaben hat für uns höchste Priorität. ({3}) Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie legen uns heute einen Antrag mit Vorschlägen für mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt vor. Ich nehme es vorweg: Ihr Antrag überzeugt nicht. Ich will an zwei zentralen Punkten festmachen, warum das so ist. Erstens. Sie wollen, dass die Werkstätten ein vorläufiges Entgeltmodell bekommen. Ich muss ehrlich sagen: Das verwundert mich sehr. Sie selbst haben doch in der letzten Wahlperiode dafür gestimmt, dass wir uns, begleitet von wissenschaftlicher Expertise, unterschiedliche Entgeltmodelle anschauen und uns auf Basis der Expertise gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen überlegen, welches Entgeltmodell wir wählen. Das Modell muss transparent und das Entgelt auskömmlich sein. Was machen Sie? Sie bieten ein Zwischenmodell an, das dazu führt, dass wir mehr Bürokratieaufwand bei den Werkstätten haben und dass die Menschen kein transparentes Entgeltsystem bekommen, sondern eher verwirrt werden. Das ist das Gegenteil dessen, was wir wollen. ({4}) Zweitens. Sie wollen, dass der Bund seinen Anteil an der Ausgleichsabgabe abgibt. Sie wissen doch ganz genau, dass wir damit wichtige überregionale Projekte fördern, eben um die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Und was Sie überhaupt nicht erwähnen, ist, dass es Firmen gibt, die trotz aller Hilfsangebote nach wie vor nicht bereit sind, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Ich sage hier ganz klar: Es wird Zeit, dass wir endlich eine vierte Stufe der Ausgleichsabgabe verbindlich einführen. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, dies mit unseren neuen Koalitionspartnern zu vereinbaren. Mit Ihnen war das leider nicht möglich. ({5}) Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Wir leben in herausfordernden Zeiten. Es ist total wichtig, dass wir zeigen: Unsere Demokratie ist stark. Wir fördern Inklusion und damit Vielfalt. Das ist das Gegenteil von Autokratie, von Unterwürfigkeit und von Unterdrückung. Deshalb: Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken! Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Awet Tesfaiesus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Geehrte Kollegen und Kolleginnen! Vor wenigen Tagen stürmte die Journalistin Marina Owsjannikowa mit einem Pappschild in der Hand in ein russisches Fernsehstudio. Sie nennt den Krieg in der Ukraine beim Namen: Krieg. Nach Vorschriften der russischen Medienaufsicht ist das verboten. Wer dagegen verstößt, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die Nachrichtensendung wurde unterbrochen. Frau Owsjannikowa wurde festgenommen. Trotz alldem machen einige Journalistinnen und Journalisten weiter und schreiben über den Krieg. Dieser Mut ist beeindruckend. Diesen Menschen gilt meine Solidarität. ({0}) Mehr denn je führt uns diese Situation vor Augen, was der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung einleitend ausführt: „Es sind die freie unabhängige Presse und der freie Austausch von Ideen, die die öffentliche Meinung bilden.“ Und noch mehr: Es ist der „öffentliche Diskurs, ob analog, ob digital“, der „das Fundament unserer Demokratie“ bildet. Als Demokratinnen und Demokraten ist es daher unsere Pflicht, den kritischen öffentlichen Diskurs und die freie Meinungsbildung zu fördern. Doch auch hierzulande steht die freie Meinungsbildung vor schwierigen Zeiten. Dem klassischen Journalismus, insbesondere seinen Printangeboten, geht es schlecht. Die Mediennutzung verschiebt sich immer mehr in Richtung großer kommerzieller Internetplattformen. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit führt dazu, dass Informationen und Nachrichten schneller denn je und oft ungeprüft veröffentlicht und verbreitet werden. Es ist besorgniserregend, wenn es im Bericht heißt, dass es „zunehmend schwerer“ wird, „Information und Desinformation voneinander zu trennen“. Während bei klassischen Medien von Redakteurinnen und Redakteuren entschieden wird, welche Nachrichten hervorgehoben platziert werden, weil sie besonders bedeutend sind, stellen große Plattformen Informationen durch algorithmusgesteuerte Auswahlprozesse zur Verfügung. Wenige, aber dominante Player werden damit zu richtigen Gatekeepern der Informationsgesellschaft. Verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch: Ich will nicht zu einem großen Digitalisierungsbashing ansetzen. Schließlich hat die Digitalisierung vielen marginalisierten und so in Redaktionen nicht vorhandenen Stimmen und Perspektiven Gehör verschafft. Bewegungen wie Black Lives Matter oder Fridays for Future wären ohne sie wohl nicht möglich gewesen. Dennoch dürfen wir die Risiken für unsere Demokratie nicht übersehen – Risiken, die von Plattformen ausgehen, deren Maxime es ist, immer mehr Klicks zu generieren, und die immer größer werdende Datensammlungen über uns User/-innen anlegen. Das wissenschaftliche Gutachten zum aktuellen Medien- und Kommunikationsbericht zeigt: Wir stehen an einem Scheideweg; denn diese Entwicklung ist nicht alternativlos. Anstatt nach immer mehr Klickzahlen zu schielen, um möglichst hohe Werbeeinnahmen zu generieren, können kooperative Plattformen schon im technischen Design auf gemeinwohlorientierte Kriterien hin optimiert werden. ({1}) Guter Journalismus scheitert so nicht mehr am Algorithmus. Die Hauptaufgabe solcher Plattformen bestünde weniger in der Produktion von Inhalten, sondern eher in der Vernetzung und Moderation dieser. Es braucht einen Wechsel vom Gatekeeper- zum Netzwerkparadigma. Die Idee der kooperativen Medienplattformen ist an sich nicht neu. Leider saß die letzte Bundesregierung dem Irrglauben auf, dass solche Plattformen wohl von selbst entstehen würden. Nicht einmal einen Branchendialog gab es dazu. Es ist dringend notwendig, diese Idee gemeinsam mit den Ländern voranzutreiben. Wir Grüne werden uns auch in Zukunft aktiv daran beteiligen. ({2}) Doch das reicht nicht; denn die Krise des Journalismus ist schon zu weit fortgeschritten. Es gilt, den Journalismus gezielt zu unterstützen, etwa auch durch ein Journalismusförderprogramm. Dieses sollte sowohl gedruckte als auch digitale Verbreitungswege in den Blick nehmen. Das von Monika Grütters im letzten Jahr aufgelegte Programm war mit 1 Million Euro viel zu gering ausgestattet, um hier wirklich etwas zu reißen. Bereits in der vergangenen Wahlperiode haben wir mit einem Gutachten Wege zu einer direkten Förderung von redaktioneller Arbeit im Lokaljournalismus aufgezeigt. Zudem ist es dringend geboten, Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen; denn es wird nicht reichen, am Rand des Spielfelds zu stehen, das von Facebook, Google und Co dominiert wird, und abzuwarten, ob sich mit etwas Glück vielleicht doch gemeinwohlorientierte Akteure durchsetzen. Der Medien- und Kommunikationsbericht ist somit insbesondere im Lichte der aktuellen gravierenden Ereignisse ein Weckruf; denn eine funktionierende Medienlandschaft ist das Herz einer Demokratie. ({3}) Als Parlamentarier/-innen ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieses Herz auch schlägt. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Christiane Schenderlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christiane Schenderlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Medien- und Kommunikationsbericht der vorhergehenden Bundesregierung erschien im Juni 2021 und damit mitten in der Coronapandemie. Folglich flossen bereits erste Erkenntnisse, wie die Pandemie unser Leben außerhalb der Gesundheitsvorsorge verändert hat, in die Bewertung ein. Eine der Haupterkenntnisse ist, dass die Digitalisierung und die damit verbundene Nutzung von digitalen Medien noch einmal einen enormen Schub erhalten haben. Ein ohnehin sich dynamisch entwickelnder Markt hat noch einmal stärkeren Zuwachs erfahren. Auf diese Entwicklung gilt es in der neuen Wahlperiode zu reagieren. Altbekannte Themen bleiben aktuell: Die Medien- und Meinungsfreiheit, der faire Wettbewerb oder die Vielfalt der Medien müssen weiterhin gesichert werden, und gleichzeitig müssen wir auf neue Phänomene reagieren. Der Bedeutungszuwachs digitaler Plattformen hat die Form, wie und wo sich Menschen heutzutage informieren, revolutioniert und damit einen gesellschaftlichen Wandel eingeläutet, der unsere traditionellen Mediensysteme vor enorme Herausforderungen stellt. Die Konsequenzen können wir aktuell in Russland und in der Ukraine, aber auch hier in Deutschland sehen. Während wir in unseren Medien täglich schockierende Bilder über den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und die verheerenden Folgen für die ukrainische Zivilbevölkerung sehen, glaubt ein Großteil der russischen Bevölkerung aufgrund gezielter Propaganda immer noch an einen humanitären Befreiungseinsatz gegen ein ukrainisches Naziregime. Das ist bei Weitem kein Einzelfall. Spätestens seit der Präsidentschaft Donald Trumps und seinen damit verbundenen Ausführungen auf Plattformen wie Twitter wissen wir, welche Gefahr auch für Demokratien von diesen Plattformen ausgehen kann. Man denke nur an den Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021. Neue Phänomene wie Hassrede und Cybermobbing gehören genauso dazu wie gezielte Desinformationen und mediale Manipulation, die die Rechtspopulisten mittlerweile auch in dieses Hohe Haus getragen haben. Das alles zeigt, dass wir in den kommenden Jahren eine vertiefte Diskussion anstoßen müssen, ob und wie wir journalistische Standards auf den Onlineplattformen etablieren können. ({0}) Die grundsätzliche Frage besteht darin, ob wir die marktdominierenden Plattformen wie Google, Facebook, Twitter, TikTok usw. zu einer Kooperation und Selbstverpflichtung bewegen können oder ob neue Angebote geschaffen werden müssen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir jetzt die Grundlagen legen und bei allen politischen Entscheidungen zielorientiert und vernetzt denken. Bereits bei der nun laufenden Auftrags- und Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen diese Ziele klar formuliert und beachtet werden. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 18. Juli 2018 bestätigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Werte einer freiheitlichen Demokratie auf Plattformen zum Ausdruck bringen darf, dies aber in der aktuellen Form noch nicht leisten kann. Im Urteil wird erklärt, dass aufgrund der Werbefinanzierung vor allem massenattraktive Angebote auf den Plattformen konsumiert werden. Durch die Nutzung von Algorithmen wird verstärkt, dass Inhalte gezielt auf die Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Manifestierung gleichgerichteter Meinungen führt. Das alles hat zur Konsequenz, dass viele Menschen aktuell nicht ausreichend zwischen Information, Meinung und Werbung unterscheiden können. Es entfällt derzeit die professionelle Aufarbeitung der Informationen anhand von verantwortungsbewussten journalistischen Standards. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, der durch die öffentlich-rechtlichen Medien abgedeckt werden kann. Dies geht aber weit über den aktuellen Medienstaatsvertrag hinaus, weshalb die letzte Bundesregierung an dieser Stelle eine Anpassung des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeregt hat. Die BKM hat in jedem Fall in den vergangenen Jahren eine sehr gute Arbeit geleistet und immer wieder wegweisende Regulierungen unterstützt, die den Entwicklungen der jeweiligen Zeit gerecht wurden. Das sind die Maßstäbe, an denen wir als Opposition die neue Bundesregierung messen werden. Das Aufgabenfeld ist klar umrissen, und wir sind bereit, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, um 16 Jahre Unionsarbeit nicht verfallen zu lassen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letztens kam eine Kunstlehrerin in eine Wuppertaler Schulklasse, begann ihren Unterricht, und ein junges Mädchen – die Eltern sind russisch – schilderte begleitend zu ihren Zeichnungen ihr Verständnis vom Krieg in der Ukraine, worauf der ganze Saal „Ukraine, Ukraine“ rief. Das Mädchen war völlig geschockt. – Was sagt uns diese Situation? Beim Nachforschen hat sich ergeben, dass die Familie des Mädchens in der Scheinwirklichkeit aufgewachsen ist, wie sie russische Leitmedien verbreiten – sie selbst ist dafür mitnichten verantwortlich, wenn, dann ihre Eltern, die Familie und die entsprechenden Medien –, während die Klassenkameraden durch ukrainische Medien geprägt waren und die Leitmedien, die wir hier wahrnehmen. Diese einen zunächst einmal erstarren lassende Situation zeigt das elementare Gewicht von Medien in der heutigen Landschaft und auch die Doppelgesichtigkeit. Wir haben uns ja in Zeiten von Hate Speech, also Hassrede, und Desinformation daran gewöhnt, unsere Hoffnung komplett verloren zu haben, also die große Idee der Emanzipation der neuen Medienwelt, und das Negative zu sehen. Aber es gibt eben auch das andere, und auch das ist wieder hochaktuell in der Situation des Krieges. Wahrscheinlich wird ein vor ein paar Stunden geführtes Interview in die Geschichte eingehen. Ein Journalist ging mit Vitali Klitschko, dem Bürgermeister von Kiew, durch die Stadt und fragte ihn auf Englisch, was er denn dazu sagen würde, dass in der Ukraine laut Putin ein Zielen, ein Targeting, nur auf militärische Ziele stattfinde. Antwort von Klitschko in unverwechselbarer Diktion: „Bullshit! – Sorry. Where is military target? Is this building military target?“ Und er zeigt auf einen Wohnblock, der komplett durch Bomben und Raketenbeschuss zerstört ist. – In diesem kleinen Moment steckt alles, die Macht von freiem Journalismus, von Aufklärung und auch die ganze Kraft der offenen, informierenden Medien. Nicht anders ist es mit dem Auftritt von Marina Owsjannikowa in einer Fernsehsendung, der ausgesprochen mutig war, begleitet von einem Social-Media-Video von ihr. Und ein weiteres Beispiel dafür ist das Auftreten von Selenskyj, dem es in einer Situation höchster Bedrohtheit und Ohnmacht mit einer sehr virtuosen Nutzung von Social Media gelingt, mit der Macht der Medien ein Gegengewicht zur Desinformation zu schaffen und letztlich den Aggressor Putin als schwach und erbärmlich dastehen zu lassen. Das ist das emanzipatorische Potenzial von Medien, und ich glaube, das ist auch ein Hinweis, der uns in die Richtung führt, wie wir eine künftige Medienlandschaft und Medienordnung denken können. Der Kern dessen scheint mir Demokratie und demokratische Öffentlichkeit zu sein. Vor nahezu ewigen Zeiten, Anfang der Sechziger, hat Habermas seine Habilitationsarbeit „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ geschrieben, und vor kurzer Zeit sah er sich aufgefordert, dies zu aktualisieren in der Ahnung, dass etwas verloren geht, weil der Qualitätsjournalismus nicht mehr die Leitfunktion hat aufgrund der Fragmentierung durch Plattformen, durch Social Media, dadurch, dass es häufig keine Quellenprüfung mehr gibt und dass in einer medialen Welt wie der heutigen nahezu jeder und jede Produzent und Produzentin ist, Autor und Autorin statt, verglichen mit der Vergangenheit, dem Buchdruck, Leser und Leserin. Die pessimistische Antwort darauf ist, dass es keinen Ausweg gibt, dass es in dieser Situation keine Orientierung dagegen gibt. Ich halte diese Antwort für falsch. Die richtige Antwort scheint mir zu sein, dass wir alles tun müssen – und diese Möglichkeit haben Demokratien, auch Demokratien mit einem finanzstarken Staat –, um Qualitätsjournalismus zu unterstützen, und dafür auch neue Wege zur Unterstützung gehen müssen. Denn wir müssen uns wünschen, dass wir ein kritisches Korrektiv durch freie, unabhängige Medien und durch Qualitätsjournalismus haben. Das Zweite, was wir brauchen, ist, dass wir nicht so pessimistisch über die vielen einzelnen Akteurinnen und Akteure im medialen Raum denken; denn sie selbst haben auch die Möglichkeit – mit entsprechender Medienethik, mit entsprechenden Regularien –, so etwas wie Redakteurinnen und Redakteure zu werden, die sich fragen: Ist diese Quelle geprüft? Ich halte einmal inne, bevor ich publiziere. Übertreibe ich jetzt? Geht es nur um den Effekt, oder ist es tatsächlich aufklärerisch? – Ich glaube, nein: Ich bin überzeugt, dass dieses aufklärerische Potenzial auch in der Welt der Social Media möglich ist, wenn wir uns eben nicht auf die Ökonomie der Aufmerksamkeit, auf die Macht der großen Plattformen verlassen, sondern wenn wir an ihre Gemeinwohlverpflichtung erinnern, indem wir grassroots-artig kooperative Plattformmedien unterstützen, indem wir unterstützen, dass Menschen nicht mehr Nutzerinnen und Nutzer im medialen Raum, auf Plattformen, in Netzwerken sind, sondern Bürgerinnen und Bürger werden. Das scheint mir der Kern zu sein. Die Schlüsselfrage ist: Wie machen wir aus Nutzerinnen und Nutzern Bürgerinnen und Bürger, und wie schaffen wir eine wirklich demokratische digitale Öffentlichkeit? Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Martin Renner für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Anwesende! Wir debattieren heute nicht nur über den Medien- und Kommunikationsbericht der Vorgängerbundesregierung. Wir sprechen auch über die Zukunft unserer Medienordnung und der öffentlichen Kommunikation. Öffentliche Kommunikation, Information und Meinungsbildung finden zunehmend, gerade bei der jüngeren Generation, auch im Internet statt. Und hier dominieren die global agierenden Plattformbetreiber, das Big-Data-Oligopol. Und ja, es ist eine enorme Bedrohung der Meinungs- und Informationsfreiheit in unserer Demokratie, wenn solche marktbeherrschenden globalistischen Plattformbetreiber eine eigene, auch politische Agenda verfolgen ({0}) und politisch ungewollte Meinungsäußerungen zunehmend zensieren und löschen. Aber es war auch ein medien- und rechtspolitischer Treppenwitz, dass man genau solche Ambitionen dieses Big-Data-Oligopols auch mittels des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes unterstützt und befördert hat. Und plötzlich geht nun der Regierung ein Licht auf, dass man dem ausgelagerten Wahrheitsministerium auch Macht übertragen hat, Macht und Dominanz, die man als ökosozialistischer Politapparatschik doch so liebend gerne selbst behalten will. Jetzt kommt die angestrebte Lösung: neue kooperative Medienplattformen unter Zuhilfenahme der durch Zwangsgebühren fett alimentierten öffentlich-rechtlichen Platzhirsche, damit diese Platzhirsche in der neuen, linksversifften Politik- und Propagandamatrix weiter Regie führen können. ({1}) – Das ist nicht langweilig, das ist total spannend. ({2}) Um das zu begründen, wird der Popanz der ach so demokratiegefährdenden Desinformation im Netz immer stärker hochgejazzt. Voller Enthusiasmus propagiert die Frau Faeser das Konzept der ganzheitlichen Bekämpfung von Hetze im Internet. Man könnte ein solches Konzept aber auch anders benennen: „Agitprop zur ideologischen Gleichtaktung von Politik und Medien“, ({3}) wo man kaum noch zwischen staatlicher und medialer Bevormundung, betreutem Denken und gelenkter Öffentlichkeit und Berichterstattung unterscheiden kann. Ganz klar ist: Wir wollen keine profitorientierte Meinungsdominanz der globalistischen Plattformbetreiber; aber wir wollen auch kein lenkendes, ideologiebasiertes Informationsmanagement des politmedialen Komplexes. Meine Damen und Herren, die Medienpolitik der vergangenen Jahrzehnte ist eine einzige Katastrophe. Das Merkel-Kabinett befand sich medienpolitisch noch im „Neuland“ des Internets. Doch ob es jetzt besser ist mit der aktuellen Regierung? Wohl kaum. Wir benötigen grundsätzlich eine neue Medienordnung unter Einbezug des Internets, die die Informationsfreiheit und die Meinungsfreiheit des Bürgers strukturell sichert und befördert. Wir werden eine Reihe von Aktivitäten und Vorschlägen machen, und ich bitte alle demokratie- und freiheitsorientierten Abgeordneten, sich diesen Aktivitäten anzuschließen. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Thomas Hacker das Wort. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung liegt nun schon mehr als ein Jahr vor, und doch greift er auch heute noch aktuelle Themen auf. Der russische Präsident Wladimir Putin führt nicht nur einen völkerrechtswidrigen und abscheulichen Krieg in der Ukraine. Er führt auch einen Krieg gegen die gesamte Welt – einen Krieg gegen unsere Medienordnung, einen Krieg gegen unsere Wertvorstellungen, gegen unsere Freiheit. Den Krieg in der Ukraine führt Putin mit Soldaten, Panzern und Bombern. Den Kampf gegen die Welt führt er mit Texten, Tonaufnahmen und Bildern. Gezielte Falschnachrichten werden immer wieder auf die russische und russischsprachige Bevölkerung losgelassen, überall in der Welt. Putin schafft sich so seine eigene Welt. Die grausame Realität sieht anders aus. Diese Realität versucht er mit aller Vehemenz zu verbannen und zu verbieten. Waren die Plattformen der sozialen Medien zunächst noch die letzte Bastion offener und freier Informationsmöglichkeiten, so werden diese immer weiter eingedämmt. Eine Abschottungswelle rollt über die russische Bevölkerung hinweg und macht aus einem weltoffenen und weltumspannenden Internet ein zentralistisches, politisch kontrolliertes Intranet. Das ist ein unsäglicher Vorgang, der uns allen deutlich vor Augen führt, welche Gefahren von staatlich kontrollierten und missbrauchten Medien ausgehen können. Der russische Präsident hat erkannt und macht uns deutlich, dass Medien nicht nur die Hüter einer freien Welt und demokratischen Grundordnung sind, sondern auch Instrument moderner Kriegsführung sein können. Dagegen vorzugehen, ist unsere Aufgabe in einer freien Welt. ({0}) Die sozialen Medien haben uns alle und unser gesellschaftliches Miteinander verändert, im Guten wie im Schlechten. Technik und technischer Fortschritt sind nicht böse oder schlecht. Entscheidend ist, was wir daraus machen, wie wir mit der Macht der ständigen Erreichbarkeit, der fortwährenden Nachrichtenaufnahme umgehen, wie wir die Gier nach Sensation und Aufmerksamkeit nutzen oder benutzen. Die Medienplattformen haben dies durch ihre Algorithmen und Geschäftsmodelle in der Hand: Folge ich dem Kreml oder Coronaleugnern, oder schaue ich mir Katzenvideos, Schminktipps oder Videos an, die zeigen, wie man eine Waffe zusammenbaut? Das Internet bietet jedem alles – mittlerweile 3,6 Milliarden Social-Media-Nutzern –: faktenbasierte Inhalte, aber eben auch Fake News, Propaganda und Hass. Die persönliche Meinungsbildung wird auf eine harte Probe gestellt: Bin ich umfassend informiert? Ist das eine seriöse Quelle? Warum sehe ich jenes Bild oder diese Nachricht? All diese Fragen müssen wir uns stellen. Doch die zivilgesellschaftliche Resilienz ist nicht so hoch, wie wir es uns wünschen. Ohne Gegenmaßnahmen werden sich Fake News, Propaganda und Falschinformationen gegen faktenbasierte Inhalte langfristig durchsetzen. Laut einer Studie der Stiftung Neue Verantwortung können lediglich 43 Prozent der Nutzer sozialer Medien Desinformation von Information unterscheiden. Hier müssen wir ansetzen, und hier werden wir als Ampelfraktionen auch ansetzen. Unsere Mediengesetze sind gefangen im Nirwana zwischen Ländern, Bund und Europa. Dies führt zu Überschneidungen, Unklarheiten und Rechtsunsicherheiten. Hier werden wir mit einer Bund-Länder-AG die Mediengesetzgebung voranbringen. ({1}) Die vorgebrachte Idee einer kooperativen europäischen Medienplattform ist nicht neu, doch was kann sie leisten? Die Verknüpfung von Fernsehen, Radio- und Printangeboten schafft eine größere Sichtbarkeit im Netz und kann zu mehr Informations- und Rechtssicherheit beitragen. Sie verkürzt als „europäisches Facebook“ darzustellen, wird ihrer eigentlichen Rolle und Bedeutung nicht gerecht. Es geht gerade nicht darum, privaten Anbietern staatliche oder europäische Gegenmodelle aufzuzwingen, sondern darum, europäisches Know-how vor Ort und mediale Vielfalt zu fördern. Eine gemeinsame Plattform kann das europäische Wir-Gefühl stärken, Vorurteile abbauen und Grenzen im Herzen und im Kopf einreißen. Es geht darum, Pluralismus im Netz zu begünstigen, Öffentlich-Rechtliche und Private einzubinden, Transparenz zu fördern und westliche Grundwerte, die unser Leben prägen, auch im Netz aktiv zu leben und zu vertreten. Die Bedeutung der sozialen Medien für die öffentliche Meinungsbildung ist immens, doch werden die angezeigten Inhalte allein von Algorithmen bestimmt, die ausschließlich den wirtschaftlichen Eigeninteressen der Unternehmen dienen. Sie richten sich nicht nach Wahrheitsgehalt und Richtigkeit der Inhalte, sondern verstärken Echokammern und Filterblasen. Damit kommen die sozialen Medien dem Auftrag unseres Grundgesetzes nicht nach. Klassische Medien wie Zeitungen und Zeitschriften, aber auch die sozialen Netzwerke sind unverzichtbarer Teil der öffentlichen Meinungsbildung. Ihr Auftrag ist es, konstruktiv zu unserer Demokratie beizutragen. Deshalb müssen wir Wege finden, den digitalen Raum sicher zu gestalten und vor Missbrauch zu schützen. Dies schafft Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt und stärkt damit unsere Gesellschaft. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als dem Bundestag 2019 der letzte Medien- und Kommunikationsbericht vorgelegt worden war, gab es einvernehmlich den Vorschlag, den nächsten Bericht, über den wir jetzt also hier reden, insbesondere der Situation der Presse zu widmen. Das ist nur bedingt geschehen; aber dass es notwendig ist, zeigt, dass alle Kollegen hier genau darüber reden. ({0}) Es drängt auch wie nie zuvor, nicht nur, weil wir gerade erleben – wir haben verschiedene Beispiele hier gehört –, wie unabhängige Berichterstattung in Russland praktisch unmöglich gemacht wird und Medienschaffende an Leib und Leben bedroht werden. Staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit nehmen seit Jahren auch in vielen anderen Ländern zu. Schließlich, meine Damen und Herren, nehmen auch in Deutschland die Übergriffe auf Medienschaffende zu, weil sich bei Rechten und Querdenkern eine richtiggehende Pressefeindlichkeit etabliert hat. Das zeigt auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken zu Übergriffen auf Medienschaffende im Umfeld pandemiebezogener Proteste. All das vollzieht sich nun vor dem Hintergrund eines wachsenden wirtschaftlichen Drucks auf die Presse und auch direkt auf Medienschaffende. Die letzte Bundesregierung hat dazu keine Ideen geliefert. Nun steht die neue Bundesregierung – wir haben es gerade gehört – in der Pflicht und sieht sich auch offenkundig in der Pflicht, unverzüglich vorzuschlagen, wie Pressefreiheit gesichert und wie unabhängige Berichterstattung gewährleistet werden kann. Dazu gehört vor allem eine neue öffentliche, aber natürlich nicht staatlich beeinflussende Medienförderung. Es kann ja wohl nicht angehen, dass die Zukunft der Medienfinanzierung den Googles und Facebooks dieser Welt überlassen wird. ({1}) Damit bin ich dann direkt beim Thema dieses Berichts. Ja, auch das Thema Medienplattformen ist von zentraler Bedeutung. Wer aber den großen Digitalkonzernen etwas mehr entgegensetzen will, muss auch mehr bieten als neue privatwirtschaftliche Kooperationen. Es muss um einen echten Gegenentwurf gehen. Ich habe Helge Lindh in diese Richtung auch verstanden, als er Jürgen Habermas angesprochen hat. Im letzten Jahr hat nämlich eine Gruppe von Fachleuten aus der ganzen Welt, darunter auch Jürgen Habermas, ein Manifest für ein öffentlich-rechtliches Internet vorgestellt. Das klingt ein bisschen komisch in diesen Zeiten; aber es ist überhaupt nicht absurd. 100 Jahre nach den ersten öffentlichen Rundfunksendern geht es darum, das Internet zu demokratisieren, und zwar über Medien, die der Öffentlichkeit und nicht der Gewinnmaximierung verpflichtet sind. ({2}) Das ist natürlich ein hochgestecktes Ziel; aber genau in diesen Dimensionen müssen wir denken, um tatsächlich eine Zukunft für demokratische Medien zu sichern. Ich danke. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Maximilian Mörseburg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur Sie, liebe Kollegen von SPD und Grünen, die es schon angesprochen haben, waren beeindruckt von der russischen Reporterin Owsjannikowa, die mit ihrer Protestaktion im russischen Fernsehen wirklich Mut bewiesen hat. Ich glaube, uns allen ist noch einmal klar geworden, dass ein Land, das seine Medien zensiert und Journalisten für Berichterstattungen bestraft, sich immer weiter von Europa, auch von uns hier in Deutschland, von unseren Werten entfernt. Aber auch hier in Deutschland schüren manche Angst vor einer ‑vermeintlichen – Medienzensur; ich schaue zum rechten Rand dieses Hauses, wo das ja getan wird. Ihr Abgeordneter Eugen Schmidt sagt: Die Medien werden in Deutschland … komplett von der Regierung kontrolliert. Und dafür setzt er sich ins russische Staats-TV, lässt sich instrumentalisieren für die russische Staatspropaganda im Krieg. Was er sagt, ist nicht nur absoluter Quatsch, es ist in dieser Situation, in der wir uns befinden, absolut indiskutabel, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0}) Umso wichtiger ist es, dass wir uns heute mit der Medienlandschaft in unserem Land beschäftigen und über den Zustand und die Zukunft dieser sprechen, in unserer freiheitlichen Ordnung. Die großen digitalen Plattformen, die im Bericht angesprochen werden, sind schon heute das, was einst der Marktplatz war. Wir müssen jetzt klären, wie in dieser neuen digitalen Realität öffentlicher und privater Raum geregelt wird und durch diese Regeln auch in Zukunft eine Medienlandschaft erhalten werden kann. Für mich persönlich hat die Digitalisierung mit den sozialen Netzwerken angefangen, mit ICQ, MSN, schülerVZ und Facebook; das war etwas Tolles damals. – Ich fand, schon. Das kreative und das unproblematische Austauschen von Meinungen, von Musik, von Videos und vielem mehr, da ist auch bei den neuen sozialen Medien viel Potenzial. Die Unternehmen müssen das auch weiter entwickeln können. Aber wir müssen auch klar sagen: Wir wollen keinen digitalen Wilden Westen. Deswegen war es richtig, dass wir durch die vergangene Regierung zum Thema Anonymität neue Regeln bekommen haben. Aber bis heute haben wir das Problem, dass emotionalisierte Botschaften in den sozialen Netzwerken deutlich erfolgreicher sind als qualitativ hochwertige Beiträge. Der Medienbericht der Bundesregierung erkennt, dass die Algorithmen nach Klicks entscheiden und nicht nach journalistischen Relevanzkriterien und dass Falschinformationen deshalb immer noch der Kassenschlager sind. Damit sind wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, am Kern des Problems angelangt. Wir müssen darüber reden, wie diese quasiöffentlichen Räume – die alte Bundesregierung beschreibt das als zentrale Infrastrukturen öffentlicher Kommunikation, zu denen sie sich entwickelt haben – geregelt sind, weil wir mit den europäischen Standards noch nicht ganz mithalten können. Deswegen ist es ganz wichtig – Monika Grütters hat in der Vergangenheit wirklich darauf hingewirkt –, dass wir die beiden Regelungen, die auf dem Weg sind – den Digital Markets Act und den Digital Services Act – schnell umsetzen. Wir müssen – das müssen jetzt vor allem Sie tun, liebe Regierungsfraktionen – Richtung Europa über Transparenzregeln für Algorithmen, den Missbrauch von Monopolstellungen diskutieren, wir müssen über Regulierung reden, die für Unternehmen leistbar ist, aber im Medienbereich, liebe Ampel, von höchster inhaltlicher Neutralität geprägt sein muss, weil Medienvielfalt kein Luxusgut ist, sondern die Voraussetzung für eine liberale Gesellschaft und für das Funktionieren einer Demokratie. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Verhandlung in den Trilogen. Es muss unser Anspruch sein, es muss auch Ihr Anspruch sein, dass mediale Vielfalt, wie wir sie auf den Straßen kennen, von Stuttgart, meinem Wahlkreis, aus bis hier hoch nach Berlin, im digitalen Raum besser als bisher in den digitalen Filterblasen, die wir haben, abgebildet wird. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Daniel Schneider für die SPD-Fraktion. ({0})

Daniel Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Es geht also um unser Mediensystem in der Zukunft, als tragende Säule des demokratischen Meinungsbildungsprozesses, die Chancen, aber auch die Notwendigkeit neuer kooperativer digitaler Plattformen. Wir alle werden jeden Tag von Informationen nur so überflutet: Eine Nachricht jagt die nächste, Storys, Tweets, Beiträge, gefolgt von unzähligen Meinungen in den Kommentarspalten. Vielen Menschen fällt es schwer, da den Überblick zu behalten oder überhaupt zu unterscheiden: Was ist wahr, was ist falsch? Damit wollen wir unsere Bürgerinnen und Bürger nicht allein lassen. Um einen offenen und demokratischen öffentlichen Diskurs zu garantieren, werden wir die Verbreitung unabhängiger journalistischer Inhalte im Zeitalter der digitalen Plattformen fördern und unterstützen müssen, während wir nach digitaler Souveränität in Deutschland und Europa streben. Unabhängiger Journalismus bildet einen der wichtigsten Grundpfeiler für eine resiliente Demokratie. Wir brauchen fundierte Medieninhalte von ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten, die sich an den ethischen Standards des Pressekodex orientieren, die sich der Achtung der Menschenwürde und der Wahrheitsfindung verschrieben haben und für die Faktenchecks als Teil ihrer Sorgfaltspflicht dazugehören. ({0}) Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung zeigt einmal mehr – wir haben es schon gehört –, dass unsere klassischen Medien in der digitalen Transformation massiv unter Druck stehen. Während das Internet die Verbreitung von journalistischen Inhalten grundsätzlich erleichtert, werden viele Medienunternehmen zunehmend abhängig von den großen Plattformen, ob Google, YouTube, Facebook oder Twitter. Einerseits war es nie leichter, in politische Diskurse einzusteigen, Meinungen auszutauschen, Erfahrungen zu teilen, Kontakte zu knüpfen oder per Mausklick nationalstaatliche Grenzen zu überwinden. Andererseits erleben wir – auch das haben wir schon gehört – Hatespeech, Desinformationen, willkürliche Algorithmen, Filterblasen und damit einen verzerrten öffentlichen Diskurs. Zudem haben einige Plattformen eine solche Größe erreicht, dass sie eine eigene übermächtige Infrastruktur der öffentlichen Kommunikation darstellen. Sie demokratisieren und moderieren den Diskurs. Sie entscheiden, wem welche Inhalte wann und wie oft angezeigt werden. Sie können Meinungen, Inhalte auch ganz verschwinden lassen. Wir nennen sie daher „Gatekeeper“ oder, zu Deutsch, „Torwächter“. Obwohl sie sich in politisch besonders kritischen Momenten durchaus auch als verlässliche Partner erwiesen haben, auch als Freunde und Verteidiger der Demokratie – etwa bei der Sperrung von Donald Trumps Twitter-Account während des Sturms auf das Kapitol oder jetzt durch die ausgeprägte Solidarität mit der Ukraine, ihrer Unterstützung während der russischen Invasion –, sieht digitale Souveränität anders aus. ({1}) Auf EU-Ebene unternehmen wir deshalb gerade jetzt ganz wichtige Schritte, echte Meilensteine: Mit dem Digital Services Act, dem DSA, und dem Digital Markets Act, dem DMA, werden wir ein umfangreiches Regelwerk implementieren, um die Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger im Netz zu garantieren, die Macht der Gatekeeper einzuschränken und zu einem guten Zusammenspiel mit ihnen zu finden. Wichtige Fragen werden debattiert: Bei wem soll die Kontrolle über die Einhaltung der Regeln liegen: bei der Europäischen Kommission oder bei einer unabhängigen Kontrollinstanz, in Anlehnung an die deutsche Medienanstalt? Braucht es einen neuen Weg, eine neue Institution, die Vertreter/-innen der Medien, der Zivilgesellschaft und der Politik miteinander vereint? Auf jeden Fall gilt es, gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern nach dieser Debatte die Zukunft unserer Medienlandschaft aktiv weiterzuentwickeln. Der Bericht der Bundesregierung zeichnet unterschiedliche Optionen, spannende Perspektiven auf, etwa mit einer neuen kooperativen Medienplattform am Horizont. Ob es dabei vor allem um neue Kooperationen der öffentlich-rechtlichen Anbieter untereinander geht oder ob wir alle zusammen gemeinwohlorientiert die Entwicklung einer eigenständigen, auch für private Medienunternehmen offenen europäischen Plattform fördern wollen, bleibt zunächst noch offen, wie auch die wichtigen technologischen Fragen. Aber lassen Sie uns das voranbringen! ({2}) Wir sollten nicht auf den nächsten großen politischen Konflikt warten. Auch in der digitalen Welt, in unserem Mediensystem, wird Demokratie verteidigt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Schön, dass Sie hier die Stellung halten heute Abend. Herzlichen Dank dafür! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gefahren, die vom politischen Islamismus ausgehen, sind nicht unerheblich, und dennoch werden sie von vielen unterschätzt. Deshalb war es genau der richtige Schritt, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer im Sommer letzten Jahres den Expertenkreis „Politischer Islamismus in Deutschland“ im Bundesinnenministerium mit hochrangigen Vertretern eingerichtet hat. Unser klarer Appell an die Bundesregierung ist: Ziehen Sie keinen Schlussstrich, sondern lassen Sie den Expertenkreis, der noch ganz am Anfang seiner Arbeit steht, diese wichtige Arbeit fortsetzen, und unterstützen Sie ihn bei dieser wichtigen Arbeit! ({0}) Der politische Islamismus oder „legalistische Islamismus“, wie ihn die Sicherheitsbehörden nennen, agiert vordergründig zwar gewaltfrei, er vertritt aber ein Weltbild, in dem es weder Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Minderheitenschutz noch eine Trennung von Religion und Staat gibt. Burkhard Freier, der bis vor wenigen Wochen langjähriger Leiter des Verfassungsschutzes in NRW war, hält diese Form des Islamismus für noch gefährlicher als den gewaltbereiten Islamismus, da seine Vertreter durch eine gezielte Vereinnahmung und Beeinflussung von Politik und Gesellschaft eine islamistische Gesellschaftsordnung anstreben. Diese Politisierung und Verabsolutierung der Religion behindert Integration in Deutschland. Sie führt zur Abgrenzung der Muslime von Nichtmuslimen, sie übt Druck auf Kritiker und liberale Muslime aus, die für eine undogmatische Religionsausübung stehen, und am Ende befördert diese Ideologie die Bildung von Gegengesellschaften. Das ist etwas, was wir als wachsame und wehrhafte Demokraten nicht zulassen dürfen, und da müssen wir gegensteuern. ({1}) Der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli hat auf eine verblüffende Parallele zwischen Islamisten und Rassisten hingewiesen. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin. Er sagte: In einer frappierenden Übereinstimmung mit Islamisten gehen die deutschen „IslamkritikerInnen“ davon aus, dass der „wahre“ Islam gleichbedeutend mit einer reaktionären Interpretation des islamischen Rechts ist. Beide – Rassisten und Islamisten – sehen die islamische Religion als andersartig, als homogen und als unveränderlich an. Ich sage: Beides ist grundfalsch, und beidem muss auch entschieden widersprochen werden. ({2}) Was aber wichtig ist: Wir brauchen substanzielle Erkenntnisse über Strukturen, Zusammenhänge, Abhängigkeiten und eben auch die Finanzierung im Bereich des politischen Islamismus. Doch genau darüber wissen wir eigentlich viel zu wenig. Wir kennen islamistische Organisationen, wie die Deutsche Muslimische Gemeinschaft, das Islamische Zentrum bei mir in Hamburg oder die Furkan-Gemeinschaft. Wir wissen aber erstaunlich wenig über das Innenleben und die Vernetzung dieser Organisationen, und wir wissen noch viel weniger über die Finanzierung. Das hat im Übrigen auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten 2018 ausdrücklich festgestellt. Es ist beachtlich: Erst durch eine ganz umfassende, wirklich beeindruckende Recherche der „Welt am Sonntag“ wurde im letzten Dezember bekannt, dass eine britische Tarnorganisation der Muslimbrüder hier in Berlin, im Wedding, ein Gebäudeensemble erworben hat, das nunmehr Vertretern aus dem Umfeld des politischen Islamismus ein Zuhause bietet und faktisch auch die Deutschlandzentrale der Muslimbrüder ist. Die Muslimbruderschaft ist übrigens jene Organisation, die in vielen islamischen Staaten verboten ist, weil die Gefahr der Errichtung eines islamistischen Staates dort ganz real ist. Deshalb ist es auch beunruhigend, wenn Muslimbrüder Millionenbeträge in die Hand nehmen, um auch in Deutschland ihr Weltbild noch stärker zu verbreiten. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Zur Bekämpfung des politischen Islamismus ist es wichtig, die Finanzquellen zu kennen und zu wissen, wer Vereine und Organisationen in diesem Bereich finanziert und damit auch Einfluss nimmt. Das gilt ganz besonders für Auslandsfinanzierungen. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn radikale Strukturen in Deutschland durch radikale Geldgeber aus dem Ausland weitgehend ungehindert gefördert und finanziert werden. Hier muss Licht in das Dunkel gebracht werden. ({3}) Ermittlungen sind bisher aber kaum möglich. „Finanzermittlungen sind uns nur im gewaltbereiten Islamismus gestattet.“ Das hat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang gegenüber der „Welt am Sonntag“ betont, und das ist genau der Hintergrund unseres Antrags, mit dem wir dem Verfassungsschutz diese Möglichkeit auch im Bereich der Extremismusfinanzierung einräumen wollen. Das Zweite, was wir wollen, ist, dass Vereine und Körperschaften, die sich zu einem ganz erheblichen Anteil aus dem Ausland finanzieren, dies zum Beispiel im Rahmen der Jahresabschlüsse gegenüber den Finanzämtern offenlegen müssen. Schließlich geht es auch darum, dass man mit Staaten wie Katar, die sehr bekannt für Extremismusfinanzierung sind, Gespräche führt und dort als Regierung einschreitet. Das gehört auch auf die außenpolitische Agenda der Bundesregierung. In all diesen Bereichen sollten wir mit unseren EU-Partnern und auch mit Großbritannien eng zusammenarbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Union wünschen uns ein muslimisches Gemeindewesen, das vom Ausland unabhängig ist und verlässlich auf dem Boden des Grundgesetzes steht, so wie es ein Großteil der Muslime in Deutschland schon lange tut, und für die Erreichung dieses Ziels soll unser Antrag ein Baustein sein. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Helge Lindh das Wort. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich einen Unterschied ganz klar deutlich machen und auch danken. Nach meinem Kenntnisstand hat die Union verhindert, dass zusammen mit diesem Antrag ein Antrag der AfD aufgesetzt wurde. Das finde ich auch richtig. ({0}) Es kann und darf hier keine Gleichstellung geben, und es muss selbstverständlich die Möglichkeit geben, dieses Thema aufzugreifen. Es darf hier kein Verdikt, Urteil, über die Union gefällt werden, nur weil wir in der Vergangenheit auch Anträge der AfD zu diesem Thema erlebt haben. Deswegen: Es muss möglich sein und es ist richtig, dass es solche Anträge und solche Diskussionen gibt. Umgekehrt aber heißt das nicht, dass automatisch, weil der Antrag von der Union ist, da die Entschuldigung gilt, dass alles richtig ist, und man nicht genauso hinguckt, wie man bei der AfD hingucken würde. Und genau das versuche ich zu tun. Sie fordern, Finanzströme aufzudecken und aufzuklären, wie die Finanzierung funktioniert; ein absolut legitimes Ziel. Sie bekennen sich zu einer strafrechtlichen Verfolgung, zur starken Bekämpfung eines islamistischen Terrorismus; das kann man nur unterstützen. Auch die Forderung der Fortschreibung des Expertenkreises Politischer Islamismus – unter anderem ist Naika Foroutan in diesem Gremium – halte ich für absolut korrekt und in Ordnung. Ebenso ist es durchaus legitim – diskutabel, aber legitim –, dass Sie einen Dialog mit Vereinen und eine Klarstellung und Offenlegung der finanziellen Verhältnisse fordern. Sie fordern aber auch eine starke gesetzliche Verpflichtung und darüber hinaus – dann wird es in der Diskussion durchaus noch problematischer – größere Möglichkeiten, gesetzgeberisch aktiv zu werden und die Kompetenzen der G 10-Kommission zu erweitern. Insgesamt ist das eine Reihe von Forderungen, bei denen man sagen könnte: Das ist berechtigt. Das Phänomen gibt es. Man kann sich damit auseinandersetzen. – Trotz alledem habe ich ein ganz schlechtes Gefühl und ein großes Unbehagen angesichts dieses Antrages und Ihres Vortrages. Ich versuche jetzt, deutlich zu machen, warum. In Ihrem Antrag und in Ihren Ausführungen erscheint mit keinem Wort der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, der 2020 im BMI – stark unterstützt von Horst Seehofer – eingeführt wurde, und das nicht ohne Grund. Denn wir haben den NSU und diverse Anschläge auf Moscheen erlebt. Wir haben Hanau und viele andere große und vermeintlich kleine Aktivitäten eines antimuslimischen Rassismus erlebt – von Morden bis hin zum alltäglichen Rassismus. Herr de Vries, an der Stelle muss ich Sie ansprechen, aber das gilt auch für andere: Sie haben in der Debatte zu antimuslimischem Rassismus im vergangenen Jahr mit einem „Ja, aber“ argumentiert. Und das Aber war sehr groß; denn nach einigen Minuten kamen Sie – es ging um Muslimfeindlichkeit – zum Thema Islamismus. Sie haben Ihre Ausführungen damit beendet, dass Sie die ganze Begrifflichkeit des antimuslimischen Rassismus infrage gestellt haben. Ihr Argument war: Dieses Thema wird instrumentalisiert und gebraucht von Erdogan. – Ist das ein Beleg dafür, dass es antimuslimischen Rassismus nicht gibt? Aus meiner Sicht nein. Nein, es gibt antimuslimischen Rassismus, und Musliminnen und Muslime erfahren das jeden Tag in diesem Land – im Alltag, am Arbeitsplatz, in Bussen, in der Schule, in allen möglichen Kontexten. Die schlimmstmöglichen Kontexte sind Morde, und die schlimmstmögliche Variante und Ausprägung ist zum Beispiel Christchurch. Das ist aus meiner Sicht des Pudels Kern. Wir würden doch auch nicht an anderen Stellen, nur weil die Falschen ein Argument verwenden, das Argument einfach ad absurdum führen. ({1}) Es ist Realität, dass Menschen in diesem Land – ob sie sich nun als gläubig identifizieren oder nicht –, nur weil sie als muslimisch identifiziert werden, ohne dass sie sich überhaupt dazu verhalten können, entsprechend behandelt werden. Sprechen Sie mal mit Musliminnen und Muslimen! Fragen Sie mal, was es zum Beispiel für eine kopftuchtragende Frau heutzutage bedeutet, sich in vielen Krankenhäusern zu bewerben! Da ist nicht immer von Egalität die Rede, sondern es gibt – die Fälle kann ich Ihnen vorlegen – sehr oft den Hinweis: nur ohne Kopftuch. Wie, meinen Sie, lesen diese Frauen – aber auch ganz andere – Ihren Antrag? Wie nehmen sie das wahr? Wir können ja nicht die Auseinandersetzung mit dem Thema „legalistischer Islamismus“ bzw. „politischer Islamismus“ kontextfrei lesen, sondern wir müssen uns doch klarmachen: Wie nehmen Musliminnen und Muslime das wahr? Ich habe davon keine wirkliche Ahnung, weil ich diese Diskriminierung, diesen Rassismus nicht erfahre. ({2}) – Da können Sie gerne applaudieren. Aber ich glaube, Sie wissen das auch nicht. Sie behaupten in Ihrem Text, der legalistische Islamismus sei eine besondere Last für Musliminnen und Muslime im Land. Ich glaube, solche Anträge und solche Ausführungen sind eine besondere Belastung. ({3}) Ich kann es – und das als Beobachter – einfach nicht mehr ertragen, wie wir in allen möglichen Debatten immer wieder darauf kommen, uns in Mustern des Verdachts, in einer Kultur des Generalverdachts, des Unterstellens zu bewegen. ({4}) Genau das ist der Effekt solcher Anträge. Und er weist auch Spuren eines kolonialen und paternalistischen Gehabes auf, indem Sie erklären, was guter und falscher Islam ist, was richtiger und unrichtiger Islam ist. ({5}) Sie erklären es den Musliminnen und Muslimen. Würden Sie so etwas auch bei Jüdinnen und Juden oder bei Christinnen und Christen machen? Nein, Sie würden es nicht tun. ({6}) Das ist das grundsätzlich Falsche an diesem Ansatz. Wenn wir ein wirkliches Miteinander, eine Gleichberechtigung erreichen wollen, dann bedeuten Augenhöhe und Gleichberechtigung keine Kultur des Verdachts, keine Doppelstandards, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lindh.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– keine Kontaktschuld, sondern: Musliminnen und Muslime als Individuen anzuerkennen –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege, Sie sprechen jetzt auf Kosten Ihrer Kollegin.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– und sie nicht immer wieder in die Situation zu versetzen, sich rechtfertigen und erklären zu müssen. Genau das aber erreichen Sie mit diesem Antrag. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bernd Baumann für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir feiern dieses Jahr ein Jubiläum – der Bundeskanzler wird wissen, was ich meine –: Vor genau zehn Jahren hatte er als Hamburger Bürgermeister einen wichtigen Staatsvertrag geschlossen. Ich meine den Staatsvertrag zwischen Hamburg und den großen Islamverbänden. Sein Ziel: die Muslime in Deutschland besser zu integrieren. Dafür bekamen die Verbände Geld und Zugriff auf Rundfunk, Fernsehen, unsere Schulen, unsere Universitäten. Doch schnell war klar, was Islamverbände wie DITIB und Co wirklich wollten: genau das Gegenteil. Sie integrierten muslimische Einwanderer in ihre eigenen Parallelgesellschaften, und die wurden immer radikaler, immer grundgesetzfeindlicher, frauenfeindlicher, israelfeindlicher. Und Sie alle hier haben angeblich nichts gemerkt, allen voran der Bundeskanzler, meine Damen und Herren? Nehmen wir nur das Islamische Zentrum Hamburg. Wer war da Chef? Das ist kein Verdacht; das war so, Herr Lindh: kein Geringerer als der Stellvertreter von Irans höchstem Mullah. Sein Nachfolger: ein Anführer der iranischen Revolutionsgarden. Jahr für Jahr organisierte das Zentrum am sogenannten Al-Quds-Tag judenfeindliche Aufmärsche. Zentrale Forderung: Israel und seine Bewohner vom Erdboden zu tilgen. Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre SPD unterstützen und finanzieren solche Verbände auch noch. Islamexperten wie Ahmad Mansour nennen das einen Jahrhundertfehler. Dieser Wahnsinn muss aufhören, meine Damen und Herren! Das muss hier deutlich gemacht werden. ({0}) Ein weiterer wichtiger Verband, DITIB, ist der türkischen Regierung direkt unterstellt. Er steuert in Deutschland rund 1 000 Moscheen. Was hier gepredigt und geglaubt wird, bestimmen Ankara und Erdogan. Auf der DITIB-Website stehen Sätze wie: Das Märtyrertum ist … eine große Ehre. Selbst die Paradiesbewohner blicken mit … Neid auf den Rang derer, die ihr Leben für Allah ließen. Ein hoher DITIB-Funktionär nannte uns Deutsche wörtlich gar einen Hundeclan, eine Köterrasse. Die Grünen, meine Damen und Herren, fanden diesen deutschfeindlichen Typen übrigens so gut, dass sie ihn sogar als Kandidat für den Hamburger Senat aufstellten. ({1}) Hier der offizielle Wahlzettel für diejenigen, die es nicht glauben; das ist kein Verdacht. Unglaublich, was in diesem Land passiert! ({2}) Und jetzt zu Ihnen, liebe CDU: Sie wagen es, heute einen Antrag vorzulegen, in dem ausgerechnet Sie jetzt auf einmal die Finanzierung der Islamverbände angehen wollen. Das ist doch im Prinzip lächerlich. Diese Verbände haben doch Sie, die CDU, 16 Jahre lang hofiert und großgemacht mit Abermillionen Euro. Ihre Kanzlerin Merkel hat doch die große sogenannte Islamkonferenz erfunden und gefördert. ({3}) Alle Islamverbände, wie radikal auch immer, waren dort gern gesehen. So radikal, so islamistisch, so antiwestlich, so schariahörig, dass führende Islamexperten Alarm schrien. Hamed Abdel-Samad war Teil der Versammlung. Er beschrieb, wie die Kanzlerin vor den Islamfunktionären buckelte. Die ganze Islamkonferenz nannte er wörtlich eine „Veruntreuung von Staatsgeldern“ und „eine Gefahr für die Innere Sicherheit“ Deutschlands. Er trat aus und protestierte lautstark. Abdel-Samad wörtlich: Dieses Forum fördert nicht die Integration, es „ermächtigt … die Feinde des Staates und der offenen Gesellschaft. Das ist keine Integrationspolitik, sondern Selbstaufgabe.“ ({4}) Recht hat er, meine Damen und Herren. Wir von der AfD werden Deutschland nicht aufgeben. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Während hier vorne alle Vorbereitungen getroffen werden, wofür ich danke, bitte ich alle Abgeordneten, zu prüfen, ob ihr Mund-Nasen-Schutz gegebenenfalls verrutscht ist und die Nase jetzt darüber hinausragt, und tatsächlich wieder Mund und Nase zu bedecken. Das Wort hat die Kollegin Lamya Kaddor für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie ein so hochkomplexes Thema der Religionspolitik, nämlich die Frage der Verfasstheit der deutschen Islamverbände und Moscheevereine, hier und heute einbringen. Denn wir sind uns absolut einig: Die Frage der Finanzierung der muslimischen Verbände und Vereine ist nicht hinreichend beantwortet. Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber warum ist das so? Wie Muslime in Deutschland vertreten werden, wer für sie sprechen darf, wo Imaminnen und Imame ausgebildet werden, wie die Finanzierung ihrer Gemeinden jenseits des muslimischen Spendengebots aussieht, all das sind Aufgaben, die der Staat zusammen mit den Musliminnen und Muslimen klären muss. Es ist in der Tat dem gesellschaftlichen Frieden in diesem Land nicht zuträglich, dass es keine tragende Lösung für diese Frage gibt, und das seit Jahrzehnten. Aber gehen wir noch mal einen Schritt zurück und betrachten den Titel Ihres Antrages. Welche Arten des Islamismus gibt es? Sie hatten es ja schon erwähnt: Da wäre der puristische Islamismus, der legalistische Islamismus, auch „politischer Islamismus“ genannt, und der dschihadistische, Gewalt legitimierende Islamismus. Die beiden Letzteren werden bereits vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Der erste ist übrigens Privatsache. Laut BMI stellt der Islamismus eine „religiös verbrämte Form des politischen Extremismus“ dar und lebt im Kern von ideologischen Narrativen: keine Gleichberechtigung der Geschlechter, wortwörtliches Verständnis der Offenbarungstexte, Umgang mit Andersgläubigen, die dann gerne auch mal als Ungläubige verstanden werden, und natürlich ein tief verankerter Antisemitismus. Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, gerade während der Pandemie beispielsweise waren uns Religionsgemeinschaften, auch und vor allem muslimische Gemeinden, wichtige Partner in der Bekämpfung von Corona. Unterscheiden wir bitte stets: Ja, die Islamistin, der Islamist ist immer Muslim oder Muslimin. Andersherum allerdings ist es nicht so. Musliminnen und Muslime sind keineswegs immer Islamistinnen und Islamisten. ({0}) Kommen wir zu der Frage der Finanzierung der islamischen Verbände zurück. Ja, wir müssen auch mit solchen, die aus dem Ausland finanziert werden, reden. Und ja, wir kritisieren diese Strukturen regelmäßig. Wir können uns die Akteurinnen und Akteure oft aber eben nicht aussuchen, leider in dem Fall. Sie aber machen etwas ganz anderes in diesem Antrag, und das ist, ehrlich gesagt, unsäglich. Im Kern sagen Sie: Da möglicherweise in Deutschland Musliminnen und Muslime leben, die möglicherweise nur vorgeben, demokratisch zu sein, wollen wir die Befugnisse des Verfassungsschutzes für die in diesem Fall nicht verfassungsfeindlichen, aber in Zukunft möglicherweise verfassungsfeindlichen Handlungen von Musliminnen und Muslimen ausbauen. – Kennen Sie den Film „Minority Report“ von Steven Spielberg? Sollten Sie sich mal angucken. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, verschweigen hier eines: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bereits die Befugnis, nicht nur Gruppierungen, sondern auch Privatpersonen im islamistischen Spektrum zu beobachten. Theoretisch bedeutet das schon den Zugriff auf das private Girokonto. Schauen wir deshalb, was das Bundesamt für Verfassungsschutz kann und braucht, aber eben auch, was verfassungs- und bürgerrechtlich trägt. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und für diese Werte steht diese Koalition. Ihre Forderungen, liebe Union, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Das gilt für die Erweiterung nationaler Ersuchen bei der Financial Intelligence Unit auf Fälle der Extremismusfinanzierung ebenso wie für den Entfall des Genehmigungsvorbehalts der G 10-Kommission bei Abfragen von Kontostammdaten und bei Auskunftsersuchen gegenüber Kreditinstituten, Finanztransferdienstleistern und Finanzunternehmen. Was Sie hier machen, hat letztlich nur eine Wirkung: Sie tragen wieder einmal zur Spaltung, zum Misstrauen bei: ({2}) Selbst freundliche, gut ausgebildete und, sagen wir, demokratiesichere Musliminnen und Muslime sind vielleicht, vermutlich, möglicherweise doch nur getarnte Muslimbrüderanhänger/-innen. – Ich bin auch entsetzt darüber, dass Sie nichts, aber auch gar nichts Verbindendes an all die Menschen in unserem Land adressieren, die zum Islam gehören. Ja, es gibt die problematischen, vom Ausland finanzierten Moscheevereine. Aber was ist mit all jenen Menschen in Deutschland, den Deutschen, die muslimischen Glaubens sind und weder mit iranischen Religionsführern oder Muslimbrüdern etwas zu tun haben wollen? Sagen wir es offen heraus: Deren Belange sind Ihnen einfach egal. ({3}) Machen Sie hierzu einen konstruktiven Vorschlag? Nein. Wollen Sie überhaupt konstruktiv diese Debatte über die Finanzierung islamischer Vereine auf Augenhöhe führen? Ich behaupte: Nein. – Damit fallen Sie als Fraktion im Umgang mit Musliminnen und Muslimen in weniger als 100 Tagen in die Vor-Merkel-Ära der CDU zurück.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kaddor, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion?

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. ({0})

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich habe eine Frage. Sie haben eben ausgeführt, dass die Forderung, die wir im Antrag aufgeführt haben, dass der Verfassungsschutz an die Financial Intelligence Unit auch im Bereich der Extremismusfinanzierung herantreten kann, verfassungsfeindlich sei. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höchstwahrscheinlich!

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Möglicherweise, ja. Zitieren Sie mich dann schon richtig.

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das können Sie ja gleich richtigstellen. Aber jetzt lassen Sie mich die Frage stellen, okay?

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Na dann. ({0})

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Frage an Sie ist: Worauf begründen Sie das? Und wollen Sie damit sagen, dass die Ausführungen des Verfassungsschutzpräsidenten in Deutschland, Thomas Haldenwang, der genau das gefordert hat, verfassungsfeindlich sind ({0}) und dass wir einen Verfassungsschutzpräsidenten haben, der derartige Forderungen erhebt?

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Den Schluss haben Sie gerade gezogen, nicht ich. Ich habe gar nicht gesagt, dass Herr Haldenwang irgendetwas gemeint hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie müssten stehen bleiben während der Antwort, Herr Kollege.

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Definieren Sie doch erst einmal: Wann ist jemand Islamist, und wann ist er das nicht? – Das können Sie nämlich nicht einfach. Wir haben bis heute keine genaue Definition, wann jemand islamistisch ist und wann nicht. Und solange das nicht geklärt ist, können Sie niemandem, auch nicht dem Verfassungsschutz, diese Rechte zugestehen, um Menschen – wahllos womöglich – kontrollieren zu können. Punkt! – Das ist die Antwort. Darf ich weitermachen, Frau Präsidentin? – Danke. Sie nutzen Ihren Antrag unter dem Stichwort oder Schlagwort „politischer Islamismus“ und damit eigentlich das Thema „Islam in Deutschland“ in altbekannter Manier zur Mobilisierung am rechten Rand. Und die deutschen Musliminnen und Muslime vertrösten Sie in Ihrem Antrag übrigens auf einen unklaren Zeitpunkt in ferner Zukunft. Ich zitiere: Gleichwohl sind langfristig Rahmenbedingungen wünschenswert, die muslimisches Leben in Deutschland unabhängig von finanziellen und ideellen Einflüssen aus dem Ausland ermöglichen. Ja, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, da hatten Sie 16 Jahre Zeit, mit den Musliminnen und Muslimen, mit der Deutschen Islam Konferenz und mit den Bundesländern ein Verfahren zu entwickeln. Und dann ist das das Ergebnis? Die neue Bundesregierung und wir als Grünenfraktion wollen Verantwortung dafür tragen, wie wir hier künftig Religionspolitik gestalten. Daher werden wir der Deutschen Islam Konferenz echtes Leben einhauchen, und ich bin der Bundesinnenministerin dankbar, dass sie hier vorangeht. Hierbei werden wir zusammen mit den demokratischen, islamischen Kräften Wege finden, die Frage der Anerkennung muslimischer Verbände als Religionsgemeinschaft und gegebenenfalls auch als Körperschaft zu beantworten. Auch Anschubfinanzierungen für progressive, hier beheimatete Gemeinden sind denkbar. Wir werden prüfen, welche Wege wir hierzu gehen müssen. Sie sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken, wenn es Ihnen denn tatsächlich um ein gutes und sicheres Miteinander in dieser Gesellschaft geht. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Martina Renner das Wort. ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen der demokratischen Fraktionen! Jede Form des religiösen Fundamentalismus ist eine Gefahr für die Demokratie und die demokratische Gesellschaft, so auch der gewaltbefürwortende oder gewaltbereite Islamismus. Er propagiert Ungleichheit, ist autoritär und frauenfeindlich. Diese Bedrohung trifft auch Migrantinnen und Migranten, auch Muslime. Denken Sie an die Mordaufrufe von Islamisten gegen kurdische Politiker und Politikerinnen in diesem Land oder an die Geflohenen aus Syrien, die vor den Gräueln des IS zu uns kamen und Schutz suchten. Eine Gefahr für die Demokratie erwächst aber auch aus der Gleichsetzung von Islam und Islamismus. Diese Gleichsetzung führt zu Stigmatisierung und rechter Hetze, auch – wir haben es erlebt – aus dem Bundestag heraus. ({0}) – Sie schreien schon. Sie sind gemeint: Es ist die AfD. ({1}) Uns Demokratinnen und Demokraten kommt daher eine besondere, ich würde sagen: doppelte Verantwortung zu, wenn wir über dieses Thema reden. Was ist zu tun? Zum einen muss die Kooperation der Bundesrepublik mit Organisationen, die einen religiös begründeten Fanatismus propagieren, auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls beendet werden. Ich finde, auch die Finanzierung dieser Organisationen, insbesondere aus dem Ausland, muss überprüft, offengelegt und gegebenenfalls gestoppt werden. Dort, wo notwendig, ist es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten. ({2}) – Nein, Sie wollen weitaus mehr. Sie wollen gleich noch den Geheimdienst ins Geschäft bringen, Sie wollen einen Generalverdacht formulieren. Ich meine etwas anderes. Ich habe von den Strafverfolgungsbehörden gesprochen. Das ist ein Unterschied; den kennen Sie sicherlich. ({3}) Es reicht aber nicht – und da will ich auf eine zweite Schwäche in Ihrem Antrag hinweisen –, zu sagen, man solle darüber vielleicht auch mal mit der Türkei und Katar reden. Ich meine, das so zu formulieren, ist doch sehr doppelbödig, wenn man nicht gleichzeitig darüber reden will, dass wir in diese Länder Waffen liefern und diese diplomatisch unterstützen. ({4}) Ich sage, wer wie Sie das Thema „islamistischer Fanatismus“ aufrufen will, der muss endlich auch darüber reden, wie Türkei und Katar offenkundig IS-Kämpfer unterstützen. ({5}) Ich habe vorhin von unserer doppelten Verantwortung gesprochen. Wir müssen etwas Zweites tun, liebe Kollegen und Kolleginnen. Wir müssen darüber diskutieren, was wir hier unternehmen müssen, um religiösem Fanatismus eine Alternative entgegenzusetzen. Einige Bundesländer haben an ihren Universitäten Lehrstühle eingerichtet, die eine theologische Ausbildung islamischer Religionslehrer und Imame anbieten. Wir brauchen eine bessere finanzielle staatliche Unterstützung progressiver Gemeinden und Organisationen, und es braucht Angebote in der Sozialarbeit für eine verstetigte und wirksame Islamismusprävention. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Linda Teuteberg für die FDP-Fraktion. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der politische Islam, der mit dem Antrag angesprochen ist, ist eine große Gefahr unserer Zeit. Er ist eine ideologische Bewegung, die von der Religion zu unterscheiden ist. Eine Bewegung, die weltweit viel Gewalt, Zerstörung und Destabilisierung hervorbringt. Es ist gerade schon erwähnt worden. Nicht wenige Menschen flüchten vor dem, was der „Islamische Staat“ und andere im Namen dieser Ideologie anrichten. Terroranschläge, Bürgerkriege, zerfallende Staaten, Destabilisierung von Staaten gehören zu seiner schrecklichen Bilanz. Dieser politische Islamismus speist sich aus religiösem Fundamentalismus und politischem Extremismus. Es ist eine Bewegung, die sich gegen unsere westlichen Werte von Freiheit, Demokratie und politischem, gesellschaftlichem Liberalismus wendet. ({0}) Er hat viele Phänomene. Zu dieser Bandbreite gehören letztlich Terrorattacken ebenso wie die Anwerbung junger Menschen durch Salafisten, die Abschottung in Parallelgesellschaften und die Ausweitung seines Einflusses in der Gesellschaft. Dabei ist zwischen der Religion des Islam, die es zu achten gilt, deren Ausübung zu gewährleisten ist, und der Ideologie, dem Extremismus, Fundamentalismus andererseits zu unterscheiden. Dieser legalistische Islamismus arbeitet mit vordergründig legalen Mitteln. Mit propagandistischen Mitteln, mit – vordergründig – sozialer Fürsorge und der Betonung von Gemeinschaft will er Einfluss auf Gesellschaften gewinnen. Das könnte man also „legalistischen politischen Islam“ nennen, der mit Öffentlichkeitsarbeit auch in Schulen, Vereinen und anderswo eine Parallelgesellschaft schaffen will. Das ist ein weltweites Phänomen. Er braucht natürlich auch finanzielle Mittel. Unter dem Deckmantel der sozialen Fürsorge werden enorme Spendenmittel erzielt. Wahr ist aber auch, dass ein nicht unerheblicher Teil der Finanzierung aus dem Ausland kommt. Der letzte Verfassungsschutzbericht ist da sehr deutlich. Dieser politische Islam lehnt einerseits unsere offene, freiheitliche Gesellschaft ab. Gleichzeitig bedient er sich bei seinen Aktivitäten gerade der Freiheitsrechte und der Offenheit unserer Gesellschaft. Religionsfreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie kulturelle Toleranz nutzt er für seine Zwecke aus. Als Verteidiger der offenen Gesellschaft müssen wir klarmachen: Wir sind liberal, aber nicht beliebig und nicht naiv. ({1}) Die offene Gesellschaft und den freiheitlichen Verfassungsstaat zu verteidigen, erfordert, ihre Gegner als solche zu erkennen und auch zu benennen. Und da gilt es, zu differenzieren. Lassen Sie uns die Werte der europäischen Aufklärung konsequent gegenüber jedermann vertreten. Religion und Glaubensgemeinschaften sind zu achten, aber sie dürfen auch kritisiert werden. Nicht jede Kritik an islamischem Fundamentalismus ist islamophob. ({2}) Allzu oft wird dieser Begriff benutzt, um jede Kritik abzuwehren und Fundamentalismus gegen Kritik zu immunisieren. Ich glaube, es ist auch wichtig, hier zu sagen – so viel Differenzierung muss möglich sein –: Zwischen dem Verdacht des Islamismus, der natürlich nicht auf alle Muslime generell fallen darf, einerseits und dem Benennen realer Integrationsprobleme andererseits zu unterscheiden, ist wichtig. Allzu oft leiden auch liberale Muslime unter diesen Problemen. ({3}) Viele Flüchtlinge und Zuwanderer sind gerade wegen des Allmachtsanspruches des politischen Islam zu uns gekommen; sie suchen Freiheit und wollen hier nicht von islamistischen Allmachtsansprüchen eingeholt werden. Terror beginnt übrigens auch nicht erst, wenn es zu Gewaltakten kommt; dem geht oft eine lange Entwicklung voraus. Aber auch gesellschaftlicher Druck und Einschüchterung, die ja zunehmend an Schulen zu beobachten ist, sind ein Problem. Auch das müssen wir angehen. ({4}) Wir müssen und wir werden der Radikalisierung und dem Extremismus die Voraussetzungen entziehen. Wir müssen uns auch damit beschäftigen, warum bisherige Präventionsprogramme offenbar nicht erfolgreich genug sind: Der Verfassungsschutz zählt circa 12 000 Salafisten in Deutschland. Wir brauchen dafür, gerade weil es eine so große Herausforderung ist, einen ganzheitlichen Ansatz, ein Handeln der Behörden aus einem Guss und keine Schnellschüsse oder Stückwerk. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit allen in der Gesellschaft. Jeder, der diese freiheitlichen Werte infrage stellt und sich nicht integrieren will, kann allerdings auch kein Partner für unsere Integrationsanliegen sein. Der legalistische politische Islamismus will unsere freiheitliche und demokratische Lebensweise auf schleichende Weise aushöhlen. Das wollen und werden wir nicht zulassen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erhält nun der Kollege Ralph Edelhäußer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Ralph Edelhäußer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der islamistische Terror ist eine der größten Geißeln unserer Zeit. Er treibt seine hässliche Fratze und sein Unwesen in Deutschland, in Europa und in der Welt. Wir alle haben die Anschläge in Erinnerung: beispielsweise in Berlin auf der Stadtautobahn, die Messerattacke auf ein schwules Paar in Dresden oder die großen, schweren Attentate in Wien und Nizza, wo 90 unschuldige Menschen zu Opfern wurden. Auf der anderen Seite leben bei uns in Deutschland rund 5 Millionen Musliminnen und Muslime friedlich zusammen. Sie teilen unsere Werte, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der weitaus größte Teil unserer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger will hier bei uns einfach nur ihr Leben leben; die haben nichts mit Islamismus, mit Dschihadisten, mit dem sogenannten Heiligen Krieg zu tun. ({0}) Manche sind religiös, manche überhaupt nicht. Ich denke, mehr oder weniger jeder von uns kennt einen oder auch mehrere Mitbürgerinnen und Mitbürger muslimischen Glaubens. Dennoch sehen wir besorgt, dass der politische Islamismus in unserer Gesellschaft immer mehr Zulauf bekommt. In vielen Regionen in unserem Land, vor allem in den Großstädten, haben sich Parallelgesellschaften entwickelt. So demonstrieren Islamisten beispielsweise gegen unsere Meinungs- und Pressefreiheit. In einigen deutschen Moscheen wird der Märtyrertod gepriesen und gegen andere Religionen gehetzt. Nein, das lassen wir nicht zu. ({1}) In Deutschland herrscht Glaubens- und Religionsfreiheit. Das Grundgesetz garantiert in Artikel 4 dieses Grundrecht. Es ist unverletzlich; es ist Kernpunkt unserer Werteordnung. Leider sehen wir aber in zunehmendem Maße, dass ausländische Regierungen mittelbar Einfluss auf Muslime in unserem Land nehmen, zum Beispiel durch die Finanzierung entsprechend wohlgesonnener Imame. Diese politisch extremistischen Gruppen und ihre Vertreter haben das Ziel, unsere Gesellschaft zu spalten, eine politische und gesellschaftliche Ordnung nach ihren islamistischen Vorstellungen zu errichten. Dabei nutzen sie unsere demokratischen Strukturen und wollen damit unsere Demokratie aushöhlen – letztlich, um sie dann auch abzuschaffen. Nein, das lassen wir in unserem Land nicht zu. ({2}) Damit wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Gesellschaft bewahren, wollen wir diesen politischen Islamismus natürlich bekämpfen; denn es sind perfide Aktivitäten zu verzeichnen. Dazu brauchen wir entsprechende Rahmenbedingungen. Dazu gehört ein weitreichendes internationales Netzwerk. Wir wollen wissen: Was sind ihre Strategien? Was sind ihre wahren Ideologien? Wir müssen in der Lage sein, Kenntnis über die personelle und finanzielle Ausstattung zu erlangen. Was wollen wir tun? Wir wollen die Grundlagenforschung verstärken. Wir wollen Hochschullehrstühle ausbauen. Wir wollen Mittelaufstockungen und Kompetenzausweitungen im Bereich der Verfassungsschutzbehörden. Wir wollen Kontoabfragen – ich als alter Banker weiß das; denn wo kommt das Geld her? –, und das nicht über komplizierte Verfahren. Wir wollen aber auch Schulprojekte und Schulstudien sowie frühzeitig begonnene Präventionsprogramme, sodass der Islamismus nicht weiter um sich greift. Und: Lassen Sie uns den Expertenkreis Politischer Islamismus beim BMI fortführen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass die Verbesserungen und Vernetzungen zwischen den internationalen und europäischen Partnern kurz-, mittel- und langfristig gewährt werden. Eins muss klar sein: Vereine und Verbände, die eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellen und zudem vom Verfassungsschutz beobachtet werden, können nicht gleichzeitig Partner unseres Staates sein. Deswegen bitte ich Sie, unseren Antrag zu unterstützen. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Kaiser für die SPD-Fraktion. ({0})

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, religiöser Fundamentalismus ist mit unseren Grundwerten von Pluralität und Religionsfreiheit unvereinbar. Auch klar ist, dass keine Gelder an Organisationen fließen dürfen, die antidemokratische, homophobe oder frauenfeindliche Auslegungen des Glaubens predigen. Das gilt natürlich für alle Religionsgemeinschaften. Was Sie von der CDU/CSU aber hier anscheinend versuchen – von der AfD ganz zu schweigen –, ist, einen Generalverdacht gegen Muslimas und Muslime zu schüren. Denn es ist doch erschütternd, wenn in der letzten repräsentativen Befragung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld jeder Dritte der Behauptung zustimmte, dass die muslimische Kultur einen gefährlichen Einfluss auf die deutsche Kultur hätte. Mit diesem Antrag, denke ich, blasen Sie genau in dieses Horn und hieven die ergrauten Geister von rechts außen aufs Tableau. Herr Lindh und Frau Kaddor haben das bereits ausgeführt. Die Religionsfreiheit ist eines der größten und höchsten Grundrechte in unserer Demokratie. Aus diesem Grund ist im Artikel 4 des Grundgesetzes verfasst: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Das heißt gleichwohl, dass jede Religion in unserem Land ihren legitimen Platz hat und haben soll. Diese Anerkennung ist Grundlage dafür, dass sich Gläubige als Teil unserer Gesellschaft und unserer Demokratie verstehen. Aber mit der von Herrn Merz vor zwei Jahrzehnten losgetretenen Leitkulturdebatte und dem Satz Ihres ehemaligen Innenministers Horst Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, hat die Union nicht nur Porzellan zerschlagen, sondern auch Vertrauen nachhaltig geschädigt. ({0}) Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, in welchen Trippelschritten die religiöse Integration der Muslimas und Muslime unter der Ägide Ihrer Innenminister gefördert wurde. Wenngleich die Deutsche Islam Konferenz ohne Frage eine unersetzliche Institution ist, haben Sie es doch in der Vergangenheit nicht vermocht, die heterogene Gemeindelandschaft in ihrer Breite einzubinden, und die essenzielle, öffentlich unterstützte Imamausbildung steckt immer noch in den Kinderschuhen. Umso wichtiger ist es, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit der Koalition jetzt die Deutsche Islam Konferenz und die universitäre Ausbildung der Geistlichen gemeinsam mit den Ländern voranbringt. Unser Ziel ist es, den kritischen Dialog der über 4 Millionen Muslimas und Muslime samt der vielen verschiedenen Gemeinden – insbesondere der progressiven – mit der Gesamtgesellschaft zu stärken. Durch die Anerkennung muslimischer Lebenswelten und kultureller Vielfalt fördern wir nicht nur Integration und demokratische Gleichberechtigung, sondern wir graben der grassierenden Muslimfeindlichkeit und dem religiösen Fundamentalismus Stück für Stück das Wasser ab. Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, suggerieren Sie, dass Sie etwas aufdecken müssten, wo die Koalitionspartner vielleicht nicht genau hinschauen würden. Das ist grober Unfug, zumal Sie in den letzten 16 Jahren an der Spitze des Innenministeriums genug Gelegenheit hatten, bestimmte Punkte umzusetzen. Doch das alles fällt Ihnen jetzt in der Opposition ein; möglicherweise dauern einige Erkenntnisprozesse auch ein bisschen länger. Ich kann Ihnen versichern, dass wir da schneller sind. Das beste Mittel gegen ideologische Radikalisierung ist und bleibt Prävention. Und da möchte ich betonen, dass die zahlreichen zivilen Träger einen unverzichtbaren Beitrag leisten. Erst kürzlich durfte ich mir im Gespräch mit der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus ein Bild von deren kompetenter und differenzierter Arbeit im Bereich der Vorbeugung und Deradikalisierung machen. Diese Trägerlandschaft müssen wir ebenso stärken wie die demokratisch-muslimische Zivilgesellschaft. Das Demokratiefördergesetz, das nun endlich kommt, wird seinen Teil dazu beitragen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Uhlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005242, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie wir alle stehe auch ich unter dem Eindruck der schrecklichen Bilder, die uns aus der Ukraine erreichen, und der Rede des Präsidenten von heute Morgen. Der Angriff Putins auf die Ukraine macht uns noch deutlicher, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur aus Klimaschutz-, sondern auch aus Sicherheitsgründen die Energieversorgung dringend auf andere Füße stellen. ({0}) In den letzten 16 Jahren wurden die erneuerbaren Energien gezielt ausgebremst und verhindert und wurde gleichzeitig die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, gerade auch aus Russland, sehr bewusst und gewollt vorangetrieben. Wenn ich mich an die Debatte von heute Morgen erinnere, scheint es gerade diejenigen zu überraschen, die dafür verantwortlich sind, dass seit einigen Monaten die Energiepreise steigen, ({1}) weil der Preis für fossile Energien gestiegen ist. Gerade Gas ist im Strombereich der treibende Faktor. Der Anstieg der Energiepreise trifft alle: Unternehmen und private Haushalte, besonders aber Menschen mit geringem Einkommen. ({2}) Die meisten wissen noch nicht, was sie durch die steigenden Energiepreise erwartet; denn die Rechnung kommt in der Regel nur einmal im Jahr. Deshalb müssen wir jetzt kurzfristig für Entlastungen sorgen. ({3}) Der heute von den Ampelfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf zur Absenkung der EEG-Umlage zum 1. Juli dieses Jahres ist ein wichtiger Baustein zur Senkung der Energiekosten. Durch eine Absenkung auf null und mit der verpflichtenden Weitergabe dieser Absenkung entlasten wir kurzfristig und ganz konkret bei den Stromkosten. ({4}) Die Situation zeigt uns aber, dass unsere Energieversorgung, wenn wir auch perspektivisch bezahlbare Energiepreise haben wollen, resilienter, unabhängiger und vorausschauender werden muss. Deshalb brauchen wir endlich einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren. Jedes Windrad, jede Solaranlage reduziert die Notwendigkeit für fossile Importe und ist ein Beitrag zu einer kostengünstigeren Energieversorgung. ({5}) Dieser Gesetzentwurf beschreibt auch klar, dass die jetzige Absenkung der EEG-Umlage nur ein erster Schritt ist. Mit einer EEG-Novelle im Rahmen des Osterpaketes, Überlegungen für weitere Entlastungen und zusätzlichen Vorhaben im Sommerpaket werden weitere Schritte folgen, auch für einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren und damit für eine kostengünstigere, klimafreundliche und souveräne Energieversorgung. Damit handelt diese Koalition vorausschauend. Wenn wir diesen Weg konsequent weitergehen, profitieren davon am Ende alle. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Maria-Lena Weiss für die CDU/CSU-Fraktion zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Maria Lena Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, die EEG-Umlage mit Wirkung zum 1. Juli 2022 auf null zu senken. Wir unterstützen als Union diesen Vorschlag. Denn die Abschaffung der EEG-Umlage hat aus mehreren Gründen positive kurz-, mittel- und langfristige Effekte. Sie ist sinnvoll, weil der Strompreis ein zentraler Schlüssel auf dem Weg hin zum verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien ist und korrigierend auf das Verhältnis zwischen Strom und Gas bzw. zwischen Strom und Öl wirkt und damit einen ökologischen Steuerungseffekt hat. Die Absenkung hat aber auch wichtige kurzfristige Effekte. Wir befinden uns in einer Situation explodierender Energiepreise. Das Anziehen der Weltwirtschaft nach Corona hat zu einem massiven Anstieg der Energiepreise geführt, die jetzt durch den Krieg Russlands in der Ukraine geradezu durch die Decke schießen. Aus diesem Grund kommt der Abschaffung der EEG-Umlage auch kurzfristig eine außerordentliche Notwendigkeit zu, nicht nur für die ökologische Transformation unserer Energieversorgung, sondern vor allem auch gesellschaftlich, sozial und wirtschaftlich. ({0}) Es sind die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, es sind diejenigen, die morgens früh aufstehen und den ganzen Tag hart arbeiten, die dann feststellen müssen, dass das, was auf ihrem Lohnzettel steht, nicht mehr ausreicht, um ihre Familie durchzubringen. Es ist unsere Wirtschaft, egal ob Großkonzern oder Mittelstand, es sind unsere Handwerksbetriebe. Alle leiden sie unter der drastischen Explosion der Energiepreise, und zwar sowohl unter den momentanen Preissteigerungen im Allgemeinen als auch unter den hohen Energiekosten im Besonderen. Sie alle sind schnellstens auf spürbare Entlastungen bei den Energiepreisen angewiesen, und die EEG-Umlagesenkung ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung dieses Ziels. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen und FDP, wir als Unionsfraktion unterstützen Sie bei der Abschaffung der EEG-Umlage. Sie ist richtig, weil damit rund 20 Prozent der vom Staat veranlassten Kostenbestandteile des Strompreises wegfallen. Sie ist richtig, weil mit dem Wegfall der EEG-Umlage auch die lähmende Bürokratie im Zusammenhang mit den mit ihr verknüpften Kompensationsmöglichkeiten wegfällt. Sie ist auch deshalb richtig, weil sich durch die Finanzierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien aus Haushaltsmitteln wohl einige Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der europäischen Beihilfenkontrolle erübrigen. Auch wenn wir als Union grundsätzlich der Meinung sind, dass die Preisbildung dem Markt obliegt und der Staat nicht in die Privatautonomie der Vertragspartner eingreifen soll, muss natürlich diese Reduzierung bei den Letztverbrauchern ankommen. Ihren Vorschlag dazu werden wir uns im Verfahren genau anschauen, und wir werden dabei Möglichkeiten der Optimierung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger diskutieren. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die preisdämpfende Wirkung der Umlagesenkung zugunsten des Endverbrauchers zu gewährleisteten. Somit ist der Weg, den Sie mit Ihrem Gesetzentwurf einschlagen, durchaus unterstützenswert. Und er bleibt auch unterstützenswert vor dem Hintergrund, dass sich der Erfüllungsaufwand für die Umlagesenkung in diesem Jahr, 2022, bereits durch die hohen Einnahmen aus der Umlage in den ersten drei Monaten quasi amortisiert hat. Noch mehr: Es ist dieses Jahr sogar mit einem Überschuss zu rechnen. Mit anderen Worten: Sie entlasten, ohne dass es etwas kostet. ({2}) Ihr Vorschlag der Umlagesenkung bleibt richtig. Aber wir fordern Sie auf, noch mehr zu tun, um den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft in unserem Land zu helfen. Schauen wir auf unsere europäischen Nachbarländer. Sie alle haben in den letzten Wochen und Monaten Maßnahmen beschlossen, um die Energiepreise in ihren Ländern zu senken. Wir müssen nachziehen und alle entlasten – vom Geringverdiener über unsere Familien bis hin zu Produktion und Handwerk. Deshalb mein Appell an Sie: Entlasten Sie nicht in homöopathischen Dosen, sondern schnell, wirksam und unbürokratisch! ({3}) Ich habe es gesagt: Wir unterstützen Sie bei der Senkung der EEG-Umlage, beim verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir werden auch an Ihrer Seite sein, wenn Sie sich vielleicht doch noch dazu durchringen müssen, weitere notwendige Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise zu ergreifen. Heute Morgen haben wir Ihnen Vorschläge zur Entlastung gemacht, Vorschläge, die schnell zu realisieren wären: die Senkung der Stromsteuer auf den unionsrechtlich zulässigen Mindeststeuersatz, die Senkung der Energiesteuer, die Verlängerung der Stromsteuererstattung für die energieintensive Industrie oder die Absenkung der Umsatzsteuer für Strom-, Gas- und Fernwärmelieferungen von 19 auf 7 Prozent. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich können wir nicht jede Auswirkung der momentanen Krise auffangen. Aber es kann doch nicht sein, dass der Staat durch Steuermehreinnahmen auch noch finanziell von der Krise profitiert. Deshalb erwarten wir von der Regierung Vorschläge, die in Quantität und Qualität über das bisher Vorgelegte hinausgehen, Vorschläge für Maßnahmen, die die Endverbraucher jetzt spürbar entlasten. Ich richte die eindrückliche Bitte an Sie: Übernehmen Sie diese Verantwortung und machen Sie die Energieversorgung für die Menschen in diesem Land wieder bezahlbar. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Andreas Mehltretter das Wort. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rohstoffpreise steigen. Die Nachfrage nach Strom steigt. Spekulationen treiben die Preise noch weiter. Wir alle sehen die Folgen an den Tankstellen; wir sehen die Folgen beim Blick auf unsere Strom- und Gasrechnungen. Die Preissteigerungen der letzten Wochen haben ein Niveau erreicht, das viele Menschen überfordert. Sie haben ein Niveau erreicht, das auch viele Unternehmen in Schwierigkeiten bringt. Die Preise haben ein Niveau erreicht, dem wir kurzfristig entgegentreten müssen. Wir haben bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energiepreise zu sorgen. Das ist heute noch wichtiger. Ich habe vor drei Wochen hier auch gesagt: „Niemand sollte sich arm heizen müssen.“ Wir haben deswegen gerade mit dem verdoppelten Heizkostenzuschuss die erste Soforthilfe beschlossen. ({0}) Den nächsten Schritt gehen wir jetzt: Wir ziehen die Abschaffung der EEG-Umlage vor. ({1}) Weitere Maßnahmen werden folgen; das steht fest. Aber mit dem Heizkostenzuschuss und der Absenkung der EEG-Umlage auf null entlasten wir schon jetzt Verbraucherinnen und Verbraucher genauso wie viele Betriebe. Insgesamt bringen wir in diesem ersten Schritt ein 15 Milliarden Euro schweres Entlastungspaket auf den Weg. ({2}) Allein die Abschaffung der EEG-Umlage bringt 6,6 Milliarden Euro Entlastung in diesem Jahr. Notwendige Soforthilfen sind also auf dem Weg. Meine Damen und Herren, dass wir diese Soforthilfen brauchen, ist unstrittig. Genauso unstrittig sollte es aber auch sein, dass wir mittel- und langfristig eine Perspektive für niedrigere Heizkosten und bezahlbare Energie brauchen. Deswegen müssen wir die Energiewende weiter voranbringen. Schon jetzt sind die erneuerbaren Energien günstiger als alle anderen Energieträger. ({3}) Es ist klimapolitisch notwendig, die Erneuerbaren schnell auszubauen, es ist notwendig für eine sichere Energieversorgung, und es entlastet vor allem auch Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen. Ja, wir müssen „beim Ausbau der Erneuerbaren Energien den Turbo … zünden“. So haben Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, es in Ihrem Antrag zur Energiesicherheit formuliert, über den wir heute Vormittag diskutiert haben. Ich stimme Ihnen da zu: Wir müssen den Turbo zünden. Wirklich hilfreich wäre es aber, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von der Union, Sie würden diesen Turbo auch dort zünden, wo Sie an der Regierung sind. ({4}) Schaffen Sie zum Beispiel die 10-H-Regelung in Bayern ab! Das wäre ein großer Beitrag, den Sie für günstige Strompreise leisten könnten. ({5}) Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren in Zukunft statt über die EEG-Umlage aus Mitteln des Bundeshaushalts und des Energie- und Klimafonds finanzieren. Schon zu Beginn dieses Jahres haben wir die Finanzierung der Erneuerbaren teilweise übernommen durch einen Bundeszuschuss und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. So haben wir bereits für niedrigere Strompreise gesorgt. Diesen Weg gehen wir jetzt konsequent zu Ende. Insgesamt werden wir dann im Juli die EEG-Umlage in zwei Schritten gesenkt haben: von ursprünglich 6,5 Cent im Jahr 2021 auf dann null. Damit geben wir den Unternehmen Luft, ihre Prozesse klimafreundlich umzugestalten. Und wir entlasten die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4 000 Kilowattstunden Strom hat durch den zweiten Schritt, den wir heute gehen, 150 Euro mehr im Jahr zur Verfügung. Im Vergleich zum Jahr 2021 entlasten wir einen solchen Haushalt damit um insgesamt 260 Euro. Damit diese Entlastung auch wirklich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommt, stellen wir mit dem Gesetz sicher, dass die Stromanbieter diese Preissenkung weitergeben. Die Strompreise müssen zum 1. Juli um die bisherige Höhe der EEG-Umlage gesenkt werden. Die Preissenkung darf auch nicht mit Erhöhungen verrechnet werden, und sie muss auf der Rechnung transparent ausgewiesen werden. ({6}) Entlastet werden so vor allem die Haushalte mit niedrigem Einkommen, weil sie anteilsmäßig viel mehr für Strom ausgeben müssen. Auch für die Unternehmen ist die Abschaffung eine spürbare Entlastung, insbesondere für den Mittelstand. Damit zeigen wir deutlich, dass wir in der jetzigen Situation niemanden alleine lassen. ({7}) Meine Damen und Herren, wir müssen dem Klimawandel Einhalt gebieten, und wir müssen dafür sorgen, dass niemand überfordert wird. Die Absenkung der EEG-Umlage auf null ist dafür eine wichtige Maßnahme. Wir sorgen für niedrigere Strompreise und setzen die richtigen Signale: weg von Gas und Öl und hin zu Strom, den wir effizient und bezahlbar aus erneuerbaren Quellen bekommen können. Mit günstigeren Strompreisen machen wir den Umstieg auf Strom attraktiver, sei es bei der Heizung im privaten Bereich oder bei Produktionsprozessen in der Industrie. So beschleunigen wir die Energiewende in allen Sektoren. Genauso richtig wie die Abschaffung der EEG-Umlage an sich ist es auch, die Abschaffung jetzt vorzuziehen und schnell in Kraft zu setzen. Wir brauchen jetzt eine Entlastung. Einen ersten Schritt gehen wir mit unserem heute eingebrachten Gesetzentwurf. Wir senken damit den Strompreis und entlasten Verbraucherinnen, Verbraucher und Betriebe. Ich gehe davon aus, dass wir das jetzt zügig gemeinsam umsetzen. Ich freue mich auf Ihre Unterstützung. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Marc Bernhard für die AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Millionen Menschen in unserem Land fragen sich verzweifelt: Wie bezahle ich meine Stromrechnungen, wenn die Kilowattstunde bei Neuverträgen oder Tarifanpassungen 50 Cent kostet? Was tun, wenn sich die Heizkosten verdreifacht haben und die Nachzahlung droht? Wie komme ich bei Spritpreisen von 2,30 Euro zur Arbeit? Und wie lange reicht mein Gehalt dafür eigentlich noch? Energieintensive Unternehmen wie zum Beispiel die Lech-Stahlwerke müssen die Produktion wegen der exorbitanten Stromkosten jetzt schon tageweise stilllegen, je nach Stromkosten, oder eben ins Ausland verlagern. Und warum ist das so? Das „Wall Street Journal“ bringt es auf den Punkt: weil Deutschland die weltdümmste Energiepolitik betreibt. ({0}) Der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle und Kernenergie hat zur völligen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen geführt, die die Menschen jetzt teuer bezahlen müssen. Ein einziges Kernkraftwerk liefert so viel Strom, dass damit 5 Prozent des russischen Gasimports ersetzt werden können. ({1}) Hätten wir also unsere 17 Kernkraftwerke, die 2011 in Betrieb waren, wie ursprünglich geplant einfach weiterlaufen lassen, wären wir heute von russischen Gasimporten und damit von dieser wahnsinnigen Preisspirale weitgehend unabhängig. ({2}) Damit sich unsere Abhängigkeit nicht noch weiter erhöht und wir nicht noch mehr Gas importieren müssen, müssen unsere drei noch verbliebenen aktiven Kernkraftwerke am Netz bleiben. ({3}) Wir haben dank Ihnen schon jetzt die höchsten Strompreise der Welt, weil nämlich hinter jedem dieser Windräder zur Sicherheit ein konventionelles Kraftwerk stehen muss. ({4}) Woher sollte denn auch sonst der Strom kommen, wenn es Nacht ist und kein Wind weht? ({5}) Dass die hohen Strom- und Spritpreise eben nicht gottgegeben sind, sondern regierungsgemacht, zeigt sich daran, dass in unseren Nachbarländern der Strom nur die Hälfte kostet ({6}) und die Spritpreise in Polen und Ungarn fast einen Euro niedriger sind als hier. Dort gelten doch die gleichen Marktbedingungen wie bei uns, oder etwa nicht? Und was machen Sie jetzt, um die Menschen von der von Ihnen verursachten grünen Inflation zu entlasten? Nichts als eine Mogelpackung, bei der die Menschen zukünftig die EEG-Umlage nicht mehr über den Strompreis, sondern über ihre Steuern bezahlen müssen, also praktisch überhaupt nicht entlastet werden. Denn den Menschen ist es herzlich egal, ob sie Ihre vermurkste Energiewende aus der rechten oder aus der linken Tasche bezahlen müssen. ({7}) Wir brauchen keine Taschenspielertricks, sondern eine wirkliche Entlastung von den exorbitanten Energiepreisen. ({8}) In Deutschland sind weit mehr als die Hälfte der Strom- und Spritpreise nämlich Steuern und Abgaben; diese Preise sind also von der Regierung gemacht. Eine wirkliche Entlastung der Bürger funktioniert daher nur durch die Senkung von Steuern und Abgaben, so wie es beispielsweise Polen, Italien, Holland, Frankreich und Spanien machen. Und deshalb fordern wir die echte und ersatzlose Streichung der EEG-Umlage, ({9}) die sofortige Senkung der Mehrwertsteuer bei Strom und Sprit auf null, die Abschaffung der CO2-Steuer und die Senkung der Energiesteuer, damit die Menschen in Deutschland eben nicht abgehängt werden. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Olaf in der Beek das Wort. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Einbringung des Gesetzentwurfs ist schon eine historische Entscheidung, und das ist ein guter Tag für alle Verbraucher in Deutschland. ({0}) Ich habe nachgeschaut: Vor über 20 Jahren wurde das bereits von den Freien Demokraten gefordert. Was jahrelang aufgeschoben wurde, wird nun von der Ampelkoalition umgesetzt. Die EEG-Umlage wird auf null gesetzt; und das ist gut so! ({1}) In diesem Sinne möchte ich auch einmal Danke sagen: Danke dafür, dass es umgesetzt wird, an die beiden Koalitionspartner. Danke auch an das Bundeswirtschaftsministerium rund um Robert Habeck, und auch Danke an das Bundesfinanzministerium rund um Christian Lindner. ({2}) Wenn man berücksichtigt, dass diese Koalition erst 99 Tage im Amt ist, dann muss man feststellen: Diese Ampel ist nicht nur handlungsfähig, sondern sie beweist auch, wie schnell sie reagieren kann. ({3}) Vorgezogen wurde die Absenkung der EEG-Umlage mit allen Kraftanstrengungen auf den 1. Juli dieses Jahres, weil jetzt die Belastungen gesenkt werden müssen. Das besagt dieser Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung einbringen. Durch ihn werden die Leute ab Juli entlastet; und das finde ich sehr gut. ({4}) Er sorgt auch dafür, dass die Absenkung diesmal eins zu eins bei den Menschen ankommt. Die Absenkung hilft nicht nur den Menschen, sondern auch dem Mittelstand und der Industrie. Gerade auch die energieintensive Industrie braucht diese Absenkung. Konkrete Entlastungen sind also sowohl Garant für gesellschaftlichen Frieden als auch für wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Und: Entlastungen sind auch wichtig für den Klimaschutz. Jawohl! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir die Menschen mitnehmen und sie finanziell nicht überfordern. Wir müssen die soziale Komponente beim Schutz des Klimas unbedingt mitdenken. ({5}) Aber auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen müssen wir sicherstellen. Übermäßige Belastungen für Menschen und Wirtschaft müssen der Vergangenheit angehören. Das stärkt die Akzeptanz. Ökologie und Ökonomie müssen ausgesöhnt und zusammengedacht werden. Aber: Die Absenkung der EEG-Umlage ist ja auch nur ein erster Schritt dieser Koalition. Einerseits schaffen wir sofort Entlastungen; neben der Absenkung der EEG-Umlage sind ja nun auf dem Weg oder auch schon beschlossen: Heizkostenzuschuss, Pendlerpauschale, Anhebung des Grundfreibetrags. All das sind Maßnahmen, die die Bürger insgesamt und sofort entlasten. Dieses Paket – das hat der Kollege Mehltretter gerade richtig gesagt – ist über 15 Milliarden Euro schwer. Das sollen auch alle wissen: Die Ampel arbeitet noch an weiteren notwendigen Unterstützungen für die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege in der Beek, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Kraft?

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. – Wie Sie gerade gesagt haben, Kollegin Weiss: Alle Regierungen, die unter der CDU/CSU geführt wurden, haben es allesamt nicht geschafft, die Bürger in dieser Form und in dieser Höhe zu entlasten. ({0}) – Selbst die mit FDP-Beteiligung; gar kein Problem. Aber sie wurde von Ihnen geführt, die Regierung, und auch die hat es eben nicht geschafft. ({1}) Auf der anderen Seite sorgen wir aber auch langfristig zum Beispiel mit der Entwicklung eines Klimageldes, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, für eine dauerhafte Entlastung. All unsere Maßnahmen haben vor allem zwei Eigenschaften: Sie sind a) transparent und b) bürokratiearm. Ich kann Ihnen aus vollster Überzeugung sagen: Sie können auch weiterhin auf uns zählen. Die Ampel liefert weiter, die Ampel liefert gut und wird diese Gesellschaft auf einen neuen Stand bringen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Situation derzeit nicht so ernst wäre, könnte man richtig schmunzeln über die Reden. Da ist man als Linker ja fast geneigt, der FDP zuzustimmen. ({0}) Aber da bin ich immer ein bisschen vorsichtig bei Ihnen, wenn ich ganz ehrlich bin. Ich sage Ihnen auch gleich, warum. Sie haben ja vollkommen recht – wir sind uns ja eigentlich einig –, die Energiepreise sind viel zu hoch. Darüber brauchen wir gar nicht weiter zu reden. Das betrifft nicht nur den Strom, sondern das betrifft auch das Heizen und das Tanken. Sie haben es gesagt. Vielleicht müssen wir aber noch einen kurzen Einwurf machen. Hier werden zurzeit von einigen Vorschläge gemacht, bei denen man sich auch die Augen reibt. Allein die Spekulationen über Energieembargos haben die Preise weiter angeheizt und werden sie weiter anheizen. Da müssten wir wirklich ein bisschen vernünftiger werden. Ich bin froh, dass die Bundesregierung bei diesem Punkt eine klare Haltung zeigt. Auch da muss ich fast schon die FDP loben. ({1}) Energieembargos bringen uns doch nicht weiter, meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie haben das in der Breite inzwischen eingesehen. Ich bin ja wirklich oft ein bisschen schockiert, was so alles gesagt wurde. Ich brauche jetzt nicht über die einzelnen Preiserhöhungen zu reden; das wissen Sie alles selber. Zur FDP möchte ich aber noch etwas sagen. Wir geben eine Menge Geld aus, allein 100 Milliarden Euro für Rüstung. Jetzt entlasten wir die Bürger – vollkommen richtig. Aber woher wollen Sie eigentlich das ganze Geld nehmen? Haben Sie eine Gelddruckmaschine im Keller, oder wie wollen Sie das machen? Wir müssen irgendwie schon mal zu dem Punkt kommen, dass wir vielleicht – auch die FDP – darüber nachdenken, dass wir diejenigen in diesem Land, die an der Krise auch noch verdienen, ein bisschen zur Finanzierung heranziehen müssen, damit das auch aufgeht, was Sie da zurzeit ausgeben wollen, meine Damen und Herren. ({2}) Im Übrigen muss man auch noch andere Ursachen als die, die üblicherweise herangezogen werden, in Betracht ziehen. Beim Benzin ist es momentan so, dass der Rohölpreis sinkt, und trotzdem die Preise nicht runtergehen, weil natürlich auch die Konzerne da derzeit absahnen wie Sau. Wenn man heute tankt, hat man den Eindruck, man hätte eine Beteiligung bei Aral oder Shell erworben. Vielleicht müssten Sie mal darüber nachdenken, wie Sie da abschöpfen können. ({3}) Ich habe den Eindruck, die Grünen denken darüber nach, vielleicht auch die FDP. Ich würde mich freuen; das wäre mal was Neues bei Ihnen. ({4}) Meine Damen und Herren, den Vorschlag der Regierung, die EEG-Umlage abzuschaffen, unterstützen wir – alles gut. Ich glaube aber, dass wir auch darüber nachdenken müssen, ob diese Maßnahmen ausreichen. Insbesondere sozial Schwächere müssen geschützt werden. Auch dazu kam gerade etwas von der FDP: Sie haben vorhin das Wort „Sozialpolitik“ in den Mund genommen. Da habe ich gedacht, ich höre schlecht. Das freut mich besonders bei der FDP. Wir müssen also nachdenken über Direktzahlungen an Haushalte. Wir müssen auch nachdenken über eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie. Vor allem aber müssen wir über eine Strompreisaufsicht nachdenken – vielleicht merkt das auch die FDP –, weil der Markt offensichtlich zu solchen Auswüchsen führt, dass der Bürger sagt: „Das geht nicht mehr, das klappt nicht“, und damit die gesamte Energiewende in Verruf gerät. Wenn Sie das jetzt auch noch machen, dann freue ich mich umso mehr, Herr in der Beek. Danke fürs Zuhören. ({5})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die EEG-Umlage auf null abzusenken, war ein längst überfälliger Schritt. ({0}) Die Verbraucher müssen entlastet werden. Markus Söder hat dies bereits am 13. Januar gefordert. ({1}) Die Unionsfraktion fordert das schon länger. Die Ampelparteien haben bis 23. Februar für diese Einigung gebraucht. Liebe Bundesregierung: Gut, dass Sie auf uns gehört haben! Gut, dass Sie die EEG-Umlage jetzt auf null absenken! ({2}) Aber: Die Menschen brauchen mehr Entlastung. Sie brauchen zum Beispiel mehr Unterstützung, um klimafreundlich zu bauen. Was macht Klimaminister Habeck? Erst würgt er das KfW-Programm für ein energieeffizientes Bauen ({3}) Mitte Januar quasi über Nacht ab. Dann sollen die bereits eingereichten Anträge auf unseren Widerstand hin doch bearbeitet werden. Und bis heute ist immer noch nicht klar, wie es mit der Förderung von neuen, energieeffizienten Häusern konkret weitergeht. ({4}) Dieses Hin und Her ist das Gegenteil von Planungssicherheit. Das ist doch die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Und was bringt die Abschaffung der EEG-Umlage den Unternehmen? ({6}) Manchen Unternehmen, Herr in der Beek, bringt es was. Aber vielleicht wissen Sie nicht, dass viele energieintensive Unternehmen ganz oder teilweise von der EEG-Umlage befreit sind. – Schade, dass Sie immer noch auf Ihr Handy schauen und mir nicht zuhören oder vielleicht doch gleichzeitig zuhören. ({7}) Wir brauchen noch eine ganz andere Unterstützung für die Unternehmen, sonst gehen Arbeitsplätze verloren. Die Glasindustrie, die Papierindustrie, beide wenden sich hilfesuchend an uns. Wenn die Regierung hier nicht endlich handelt, dann gehen viele Arbeitsplätze verloren, und die Öfen sind bald aus. Wir brauchen einen Industriestrompreis. Wir müssen endlich das Paket der EU nutzen. Das geht nämlich beihilferechtlich, die Unternehmen zu unterstützen. Was macht aber die Bundesregierung? Sie handelt gar nicht, und damit sind Arbeitsplätze wirklich gefährdet, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({8}) Politisches Handeln ist dringend notwendig, und es ist gut, dass Sie zumindest bei der EEG-Umlage handeln. Aber wie sieht es dann im Detail aus? Als verbraucherpolitische Sprecherin begrüße ich die Weitergabe der Entlastung an die Verbraucherinnen und Verbraucher ausdrücklich. Den im Entwurf vorgesehenen Mechanismus muss man sich aber wirklich noch mal konkret anschauen. Am Ende muss er praxistauglich und für Stromanbieter auch schlank umsetzbar sein. Und wir müssen uns ehrlich machen: Die Inflation in Deutschland und die Auswirkungen des Ukrainekrieges werden den Wegfall der EEG-Umlage aufzehren. Entscheidend ist, was bei den Menschen und bei den Unternehmen am Ende ankommt. Da reicht eben die Absenkung der EEG-Umlage auf null nicht. Wir brauchen eine Exit-Strategie, um aus der Spirale der Kosten, die sich ständig erhöhen, rauszukommen. ({9}) Wir brauchen konkrete Maßnahmen. Auch die Union hat bezüglich des Heizkostenzuschusses einen konkreten Vorschlag gemacht und einen Antrag vorgelegt. Der von der Bundesregierung vorgelegte Vorschlag reicht nicht. Die Ampelfraktionen haben den Zuschuss zwar noch mal erhöht. ({10}) Aber was ist mit den Menschen, die hart arbeiten, wenig verdienen und kein Wohngeld beziehen? Was ist mit Kinderzuschlagsempfängern? Die schauen doch in die Röhre. Hier muss dringend noch mal nachgebessert werden. Und genauso brauchen wir Steuerentlastungen – die Kollegin hat es angesprochen –: Die Stromsteuer muss runter auf den EU-Mindestsatz. Die Energiesteuer muss um ein Drittel abgesenkt werden. ({11}) Und auch die Strom-, Gas- und Fernwärmelieferungen dürfen für 2022 und 2023 nur noch mit 7 statt mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt werden. Die Steuersenkungspartei FDP macht nicht diese Vorschläge, sondern einen bürokratischen Tankgutscheinvorschlag.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Weisgerber, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben bessere Vorschläge. Deswegen hoffe ich, dass die Ampel nicht nur bei der Absenkung der EEG-Umlage, sondern auch bei anderen Vorschlägen mehr auf uns hört. ({0}) Danke schön. ({1})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Gott zum Gruße, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten hier haben es in ihren Elfenbeintürmen scheinbar noch nicht mitbekommen, dass die Energiepreise seit Anfang letzten Jahres explodieren und wir uns mitten in einer schweren Inflation befinden. Seit Herbst sind Düngemittel weltweit knapp und dementsprechend auch extrem teuer. Die deutsche Landwirtschaft leidet seit vielen Monaten massiv unter den explodierenden Energie- und Betriebskosten. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat diese ohnehin besorgniserregende Lage nun schlagartig zusätzlich verschärft und weitere Kostenexplosionen bei Energie, Dünger, Getreide und Futtermitteln ausgelöst. Die Lage ist so ernst, meine Damen und Herren, dass unzählige Unternehmen eindringlich warnen, dass die Aufrechterhaltung von Produktion und Logistik in Deutschland akut gefährdet ist. Die auf uns zukommenden Engpässe und extremen Lebensmittelpreissteigerungen sind purer Sprengstoff für den sozialen Frieden in Deutschland. Wir müssen in dieser Not aber auch an die moralische und humanitäre Verantwortung Deutschlands denken. Die afrikanischen Entwicklungsländer sind hochgradig von Getreideimporten aus der Ukraine und aus Russland abhängig. Die fallen jetzt ja leider ersatzlos weg. Bis zu 100 Millionen Menschen sind von Hunger bedroht. Hier droht eine neue Flüchtlingswelle, die alle bisherigen Flüchtlingswellen in den Schatten stellen könnte. Herr Özdemir – er ist ja leider nicht da –, ich werfe Ihnen vor, dass Sie den Ernst der Lage immer noch nicht verstanden haben. Trotz aller Warnungen halten Sie immer noch an dem rückwärtsgewandten, links-grünen Irrweg fest, mit dem Sie – da muss ich jetzt aber leider die CDU/CSU mitnehmen – die gesamte deutsche Landwirtschaft in den vergangenen Jahren krachend an die Wand gefahren haben. Deutschland ist inzwischen hochgradig abhängig von Nahrungsmittelimporten – Tendenz steigend, da die nächsten Produktionseinschränkungen und Verbote bereits in den Schubladen des Ministers liegen. Die Verlierer dieser falschen Politik, um das hier einmal ganz deutlich zu sagen, sind nicht nur die deutschen Bauern, sondern alle deutschen Bürger. Aber das ist vermutlich den grünen Deutschlandhassern sch…egal. ({0}) Die Bundesregierung hat jetzt die Pflicht, die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und vor allem mit bezahlbaren Lebensmitteln in Deutschland sicherzustellen. Wir legen dem Deutschen Bundestag deshalb heute drei umfangreiche Anträge auf den Tisch, die alle notwendigen Maßnahmen beinhalten, um die auf uns zurollende Ernährungskrise zu bewältigen. Die einzige sinnvolle Maßnahme, um einer weltweiten Lebensmittelverknappung und/oder auch Preissteigerungen entgegenzuwirken, ist eine Angebotsvergrößerung. Man muss wieder mehr produzieren, um auch einer Flüchtlingswelle entgegenzutreten. Das bedeutet, dass man die Lebensmittelproduktion endlich wieder in den Mittelpunkt der Agrarpolitik rücken muss. ({1}) Ein hoher Selbstversorgungsgrad ist übrigens auch die effektivste Maßnahme, um die Umwelt zu schützen. Die deutschen Bauern können und wollen dabei helfen, benötigen jedoch dringend eine Entlastung, um die explodierenden Dünger- und Energiekosten bewältigen zu können. In diesen schweren Zeiten wird hoffentlich auch dem Letzten bewusst, wie wichtig die heimische Landwirtschaft für die Ernährung der Bevölkerung ist. Danke, Frau Präsidentin. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Rita Hagl-Kehl für die SPD-Fraktion. ({0})

Rita Hagl-Kehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004287, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Oma, bei der ich aufgewachsen bin, war Jahrgang 1923. Sie hatte Zeit ihres Lebens Angst vor einem Krieg und deswegen immer eine extreme Vorratshaltung in unserem Haus. Obst und Gemüse wurden bei uns eingeweckt, eingekocht, eingefroren, Reste wurden aufgewärmt, Lebensmittel wurden nicht verschwendet. Das habe ich von ihr gelernt – manchmal sehr zum Leidwesen meines Mannes, wenn ich abends noch das Obst aus unserem Garten zu Marmelade koche. Lebensmittelverschwendung ist bei uns in Deutschland ein großes Thema. Es handelt sich um eine dramatische Ressourcenverschwendung. Wir haben weltweit negative Folgen, sowohl sozial als auch ökologisch und ökonomisch. Die Produktion von Lebensmitteln belastet das Klima. Energie und Arbeitskraft werden eingesetzt, Wasser und Rohstoffe werden verbraucht, landwirtschaftliche Flächen werden genutzt. Allein in der Bundesrepublik Deutschland werden nach unterschiedlichen Studien zwischen 12 und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr weggeworfen; das entspricht pro Kopf gerechnet circa 75 Kilogramm. Jede Stufe der Wertschöpfungskette ist hier betroffen: auf dem Feld, weil die Lebensmittel nicht der Norm entsprechen, zum Beispiel die Gurken; im Laden, weil sie vielleicht vom Tag vorher oder nicht mehr so schön sind; in den Kantinen und Restaurants, weil die Portionen zu groß sind. Aber die meisten Lebensmittel werden nach wie vor in Privathaushalten weggeworfen, fast 50 Prozent anteilig, und das, obwohl über 800 Millionen Menschen auf dieser Erde hungern. Dies ist ethisch nicht akzeptierbar. Die bisherige Landwirtschaftsministerin hat auf Freiwilligkeit gesetzt. Dass das nicht ausgereicht hat, sehen wir alle. ({0}) Die UN hat sich zum Ziel gesetzt und uns aufgetragen, bis 2030 diese Abfälle zu halbieren. Im Koalitionsvertrag haben wir festgehalten: Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen. ({1}) Zu den Anträgen, die heute gestellt wurden: Hier spricht man von einem Leitbild des mündigen Verbrauchers. Dieses Leitbild ist sehr veraltet. Es gibt so viele Sparten von Verbraucherschutz; da ist nicht jede gleich. Meine Oma war vielleicht im Ernährungsbereich eine mündige Verbraucherin. Wenn sie einen Handyvertrag abschließen hätte müssen, wäre sie das nicht gewesen. Und dafür, dass wahrscheinlich nicht alle Deutschen mündige Verbraucher im Ernährungsbereich sind, spricht, dass ungefähr 30 Prozent der Erkrankungen ernährungsbedingt sind. Die SPD setzt sich dafür ein, dass die im Koalitionsvertrag ausgehandelten verbindlichen Regeln eingehalten und möglichst schnell umgesetzt werden. Wir setzen uns für den Abbau von umwelt- und klimaschädlichen Qualitätsstandards ein. Wir setzen uns für den Abbau der Hürden zur Weitergabe ein. Wir setzen uns für die Überarbeitung der Regeln zum Mindesthaltbarkeitsdatum in der EU ein. Jetzt noch kurz zum Hunger in Deutschland, von dem der Kollege gesprochen hat. Die Deutschen nehmen momentan pro Tag und pro Kopf durchschnittlich 3 600 Kalorien zu sich. Bei einem Schwerstarbeiter oder Leistungssportler: okay. Aber der normale Durchschnitt läge bei 2 400 Kilokalorien. Ich glaube, man sieht es ja auch, wenn man so rundum blickt. ({2}) – Da nehme ich mich nicht aus. – Der Selbstversorgungsgrad liegt bei 88 Prozent. Wir produzieren heute keine Bananen, und Kaffeeplantagen haben wir auch noch nicht; so weit ist der Klimawandel noch nicht fortgeschritten. Wir exportieren aber zum Beispiel pro Jahr 2,3 Millionen Tonnen Schweinefleisch, viel Milch und andere Dinge.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin.

Rita Hagl-Kehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004287, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und der Präsidentin für die Geduld. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Albert Stegemann das Wort. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute Morgen haben wir gemeinsam die Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Selenskyj verfolgt. Ich bin immer noch zutiefst beeindruckt, wie er auf uns eingeredet, wie er um mehr Unterstützung gebeten, ja sogar gefleht hat. Es war ein sehr trauriger, ein sehr demütig machender Moment. Das wollte ich hier zu Beginn der Debatte noch einmal kundtun. Genau dadurch leben wir seit drei Wochen in einer anderen Welt, und wir leben in einem anderen Europa. Aber Krisenzeiten lassen uns auch zusammenrücken. Und bei aller Lust auf parlamentarische Auseinandersetzung gilt es jetzt, auf das Verbindende zu setzen. Deswegen setzen wir auf Rechtsstaatlichkeit, wir setzen auf Demokratie, und wir setzen auf eine Allianz gegen Unterdrückung, Mord und Aggression in unvorstellbarem Ausmaß. ({0}) Dennoch: Der Krieg in der Ukraine trifft uns auch im Alltag. Das erleben wir täglich an der Zapfsäule, an der Entwicklung der Strom- und Heizkostenrechnungen, aber auch sehr bald werden wir es in wesentlich stärkerem Maße bei den Lebensmittelpreisen erleben; hier zeigen alle Indikatoren, die uns dort zur Verfügung stehen, steil nach oben. Es ist auch kein Wunder; denn wenn die Ukraine und Russland mit einem fast 30‑prozentigen Anteil an der Weizenexportmenge als Marktteilnehmer ausfallen, hat das globale Auswirkungen – selbstverständlich auch für uns! Und wenn die Mitarbeiter und die Landwirte in der Ukraine eingezogen werden, der Kraftstoff für militärische Zwecke zur Landesverteidigung gebraucht wird, dann kann kein Weizen und auch kein Mais ausgesät werden. Und ohne Aussaat keine Ernte, und ohne Ernte kein Export. Was will ich damit sagen? Es geht nicht nur um Preise bei uns, sondern es geht ganz konkret auch um physische Verfügbarkeiten. Aber das darf unter keinen Umständen zu nationalen Egoismen führen. ({1}) Deshalb unterstützen wir jetzt als Union auch den Weg der Bundesregierung und den Weg der G‑7-Agrarminister, die offenen Märkte beizubehalten. Dass zum Beispiel Ungarn vor einigen Tagen einen Exportstopp für Getreide beschlossen hat, ist unfassbar. ({2}) Wenn jetzt alle Nationalstaaten anfangen würden, Getreide zu bunkern, würde das die Situation nur verschärfen und damit auch zu deutlich mehr Hunger in der Welt beitragen. Aber genauso wenig, wie es nationale Alleingänge geben darf, darf es auch keine Denkverbote geben. Unser Landwirtschaftsminister hat zum Beispiel uns als Union vorgehalten, dass wir alte Sprechzettel herauskramen würden. Warum? Weil wir uns Sorgen um die nachhaltige Versorgungslage in Europa machen? Selbstverständlich dürfen wir Nachhaltigkeitsziele nicht aus den Augen verlieren. Aber neben dem berechtigten Interesse der Nachhaltigkeit stehen auch die gleichberechtigten Interessen der Bezahlbarkeit und der Versorgungssicherheit. So können wir doch angesichts dieser Versorgungslage nicht ernsthaft bei der neuen GAP 2023 ab dem nächsten Jahr bei der Maßgabe von 4 Prozent Stilllegung verharren. ({3}) Wir müssen endlich wieder anfangen, die Produktivität unserer landwirtschaftlichen Infrastruktur als Chance zu begreifen. Frau Staatssekretärin, Sie sind ja da; grüßen Sie Herrn Özdemir! Ich mache ihm von hier aus ein konkretes Angebot: Gerne lege ich meinen alten Sprechzettel aus der Hand; aber dann legen Sie bitte auch Ihren pawlowschen Reflex ab, uns immer wieder den Griff in die Mottenkiste vorzuwerfen. Wir sind schließlich in einer neuen Situation, und die neue Situation verlangt eine neue Bewertung und ein neues Ausrichten des agrarpolitischen Kompasses. ({4}) Und nun noch kurz zu den Anträgen der AfD; das kann ich relativ kurz halten. Die Anträge – zum Beispiel Ihr Antrag zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung – gehen komplett am Ziel vorbei. Die anderen Anträge sind entweder zu europakritisch oder schlicht oberflächlich. Deshalb lehnen wir als Union Ihre Anträge ab. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Renate Künast das Wort. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich habe ich gedacht, wir würden uns hier wirklich ernsthaft und im Rahmen der Vorlagen mit den Folgen des Ukrainekrieges und der Ernährungssicherung beschäftigen. Dann habe ich mir die Anträge der AfD angeguckt, und ich muss dazu kurz Folgendes sagen: Im ersten Antrag steht das Wort „Ukraine“ am Anfang; der Antrag endet aber mit der Ernährungssicherung bei uns selber – nun denn. ({0}) Wenn ich mir dann etwas genauer angucke, was darin steht, sehe ich, dass alles abgeschafft werden soll, was Ernährungssicherheit hier bewahren würde. Wir hungern ja nicht jetzt, sondern es besteht die Gefahr, dass wir in Zukunft hungern. Deshalb wollen wir ja gerade einen Green New Deal. Deshalb geht es gerade darum, im Bereich der Energiepolitik unabhängiger zu werden und außerdem die Farm-to-Fork-Strategie und anderes umzusetzen. Das wollen Sie für die Zukunft alles abschaffen. Komischer Antrag! ({1}) Ich komme zu Ihrem zweiten Antrag. Darin steht dann das Gegenteil. Im Titel steht „Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Lebensmitteln schaffen“. Im Text steht „Sicherung der Grundlagen“ durch „ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion“, durch nachhaltige Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft. – Das hatten Sie im Antrag eins abgeschafft. ({2}) Ich komme zu Antrag drei. Im Titel steht etwas von „Ressourceneffizienz“ usw. und etwas von Lebensmittelabfällen. Zu einem Punkt habe ich recherchiert. Sie wollen nämlich die EU-Vermarktungs- und Handelsnormen abschaffen. Ich habe nachgesehen. Die Verordnung 543/2011 zu den EU-Vermarktungsnormen sagt unter „Mindestqualität“: Die Produkte müssen erstens „ganz“ sein – das würde ich nicht abschaffen wollen –, zweitens „gesund; ausgeschlossen sind Erzeugnisse mit Fäulnisbefall oder anderen Mängeln, die sie zum Verzehr ungeeignet machen“ – warum wollen Sie das abschaffen? –, ({3}) drittens „praktisch frei von Schädlingen“, viertens „frei von fremdem Geruch und/oder Geschmack“. ({4}) Und fünftens: „Das Ursprungsland muss angegeben werden.“ – Spätestens da verstehe ich Ihren Antrag nicht. Sonst wollen Sie doch immer wissen, ob es aus Deutschland kommt. ({5}) Wissen Sie was? Jetzt geht es darum – Herr Stegemann hat es auch angesprochen –, wirklich besonnen und seriös nach vorne zu gehen. Wir brauchen offene Märkte und nicht Abschottung, weil wir nur mit offenen Märkten global und untereinander dafür Sorge tragen können, dass der Hunger nicht zu groß wird – auch bei den anderen, wo es existenziell ist, meine Damen und Herren. ({6}) Erstens. Wir müssen die Lehren aus der Abhängigkeit ziehen. Ich nenne nur ein Beispiel: Dass wir heute feststellen, dass der Ökolandbau bei der Tierhaltung Futtermittelprobleme hat, weil das Futter zu großen Teilen aus der Ukraine kommt, das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir innerhalb der EU nicht gelernt haben, die Futtermittel selber herzustellen, sondern sie immer von woanders herholen, wo Ackerböden vielleicht auch gut für Lebensmittel wären und nicht nur für Futtermittel. ({7}) Zweitens. Wir sollten Lehren aus der Klima- und der Biodiversitätskrise ziehen. Da muss ich einen Satz zu Herrn Stegemann sagen. Wissen Sie, warum sollen wir jetzt, wo wir wissen, dass wir mehrere Krisen und Problemlagen haben, und uns fragen, wie wir jetzt der Bevölkerung in der Ukraine und wie wir den Menschen in Nahost und in Afrika helfen können, das mit dem Hintern einreißen, was wir nach langer Debatte aufgelegt haben? Wenn wir Ernährung bei uns sichern wollen, dann müssen wir die Landwirtschaft befähigen, mit dem Thema „Klima und Biodiversität“ umzugehen, damit wir in Zukunft die Ernährung sichern können, meine Damen und Herren. ({8}) Deshalb gibt es jetzt zwei Aufgaben: a) die Bevölkerung in der Ukraine mit Lebensmitteln zu versorgen und b) sich auf den Nahen Osten, Afrika und Asien zu konzentrieren. Wir wollen nicht unsere Mittel zum Leben auf deren Kosten produzieren. Deshalb brauchen wir eine Agrarreform und eine Ernährungswende. Danke. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist für Die Linke Ina Latendorf. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ernährungs- und Versorgungssicherheit sowie Ressourceneffizienz sind dringende Themen unserer Zeit, und zwar weltweit. Der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine hat die globalen Probleme der Lebensmittelversorgung nicht plötzlich und unvermittelt erzeugt. Der Krieg in Osteuropa hat die Situation wie unter einem Brennglas offengelegt und verschärft; ja. Versorgungsschwierigkeiten in der Ernährung haben wir aber seit Langem vor Augen; ich sage nur: Welthungerhilfe. Die Ursachen liegen in der Art des Wirtschaftens, in Spekulationen mit Lebensmitteln, in ungleicher Ressourcenverteilung, in falscher Subventionspolitik. ({0}) Die Linke hat schon immer gefordert, dass Ernährungssouveränität ein wesentliches Ziel sozial gerechter Landwirtschaft sein muss. Hierzu zählt auch, dass wir mit unseren Exporten von subventionierten Gütern nicht die Strukturen andernorts zerstören. Das ist in der Vergangenheit viel zu oft geschehen. ({1}) Die Schwemme von Geflügelprodukten aus der EU hat beispielsweise im Senegal, in Kamerun, in Ghana die einheimische Landwirtschaft in entscheidender Größenordnung zerstört. Die Bauern dort haben ihre Existenz verloren, und zwar weil die EU-Hähnchen für den halben Preis zu haben sind im Vergleich zu den einheimischen. Hierauf müssen wir zukünftig auch unseren Fokus richten. ({2}) Was ist aus Sicht der Linken in Deutschland unabdingbar? Zunächst einmal, dass die heimischen Landwirtinnen und Landwirte mit einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion ein gerechtes Auskommen haben. ({3}) Jegliche Idee, jemanden in der Landwirtschaft in puncto Mindestlohn schlechter zu stellen, verurteilen wir. ({4}) Das bedeutet zweitens, dass die Marktmacht des Handels begrenzt werden muss; denn durch den Handel werden die Preise bestimmt, und deren Löwenanteil kommt nicht bei den Produzenten und Produzentinnen an. ({5}) Das bedeutet drittens, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher gesunde und bezahlbare Lebensmittel auch leisten können müssen. Denn wieder sind es die Verbraucherinnen und Verbraucher, die vor der Frage stehen: Wofür reicht es noch bei niedrigen Einkommen, wenn zwischen Mietzahlungen, Strom- und Energiekosten, der Tankfüllung für den Weg zur Arbeit und den Aufwendungen für Essen und Trinken eine schmerzliche Entscheidung getroffen werden muss? Es sind zu viele Menschen, die sich das fragen müssen, und das ist unsozial. ({6}) Und noch einmal: Schon vor dem Ukrainekrieg sind die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte gestiegen, und zwar immens. Um den Jahreswechsel kletterten die Preise um ein Fünftel in die Höhe. Schon im Januar konnten sich 1,65 Millionen Menschen in Deutschland Lebensmittel nicht mehr ausreichend leisten. Diese Menschen sind auf die Lebensmittelspenden der Tafel angewiesen, und das ist beschämend. Völlig unzureichend ist die Erhöhung der ALG-II-Leistungen in diesem Zusammenhang, auf die gerne verwiesen wird; denn hierdurch erhalten die Betroffenen für Nahrungsmittel ganze 1,03 Euro im Monat mehr. Das ist beschämend! Kaufen Sie mal für umgerechnet 3 Cent pro Tag ein Brot! ({7}) Mit Verlaub gesagt, auch für einen Tankgutschein gibt es kein Brot und keine Milch. Hier muss dringend sozial abgefedert werden. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Gero Hocker hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine werden weit über die Fragen der Energiepolitik hinausgehen, und sie werden auch weit hinausgehen über Fragen der Verteidigungsfähigkeit unserer Bundeswehr. Wenn sich Hunderttausende Menschen auf die Flucht begeben müssen wegen Putins Krieg und unter anderem nach Deutschland fliehen, dann betrifft das auch Fragen der Unterbringung dieser Menschen, der Wohnungspolitik, des Arbeitsmarktes, der Demografie, der inneren Sicherheit und nicht zuletzt eben auch der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, meine Damen und Herren. Solidarität ist unser aller moralische Verpflichtung gegenüber den Frauen und Männern und ihren Angehörigen, die sich dem Despoten in Osteuropa mutig und tapfer entgegenstellen; denn diese Menschen verteidigen dort auch unsere Freiheit, auch unsere Werte, auch unsere Art zusammenzuleben. Dafür verdienen sie Respekt, und dafür verdienen sie Solidarität, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Dass aber gerade die AfD mit ihrem Antrag die Auswirkungen des verbrecherischen russischen Angriffs auf die Ukraine beklagt, das ist schon einigermaßen paradox. Bereits seit Jahren sind es nämlich immer wieder Vertreter Ihrer Partei, Herr Protschka, die sich immer wieder gerne als größte Putin-Versteher überhaupt gerieren, die nicht mit Lob für den „starken Mann“ im Kreml sparen, die es wahrscheinlich im Geheimen, aber vielleicht auch öffentlich als Blaupause sehen, wie Russland funktioniert, und sich das teilweise auch für Deutschland wünschen, wahrscheinlich, weil sie glauben, dass endlich mal weniger diskutiert werden muss und mehr durchgegriffen wird und mehr Fakten geschaffen werden. ({1}) Mit diesem Duktus der vergangenen Jahre sich hier heute hinzustellen und die Verwerfungen an den Rohstoffmärkten zu beklagen, das ist an Perversion kaum noch zu überbieten, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Der Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende der deutschen Politik, auch der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, und natürlich sind Klimaschutz und Biodiversität auch in Zukunft wichtige Ziele der Landwirtschaftspolitik. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, beides lässt sich nicht wirklich erreichen, wenn man gleichzeitig besonderen Wert auf effiziente Produktion legen will, ja, legen muss. Flächen stillzulegen, pauschale Reduktionsziele zu verabschieden oder auf den Einsatz von jahrzehntelang eingesetzter Technologie zu verzichten, das ist ehrlicherweise nicht das Zeichen der Zeit. Es ist absurd, wenn einerseits – glücklicherweise – im Bereich der Energiepolitik Einigkeit auch in diesem Hohen Hause darüber besteht, dass man von Russland unabhängiger werden muss, andererseits gleichzeitig aber quasi hingenommen wird, dass durch den Wegfall von russischem Getreide, von ukrainischem Getreide die Preise an den Weltmärkten explodieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir besitzen mit der effizienten Landwirtschaft in Deutschland, mit der weltweit effizientesten und gleichzeitig nachhaltigsten Landwirtschaft, die es überhaupt gibt, den Schlüssel dazu, die Folgen dieses Krieges für die Ärmsten in dieser Welt ein bisschen zu lindern, und das ist unsere gemeinsame Aufgabe. ({3}) Deswegen ist es das Gebot der Stunde, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Böden, Technologie und Manpower in Deutschland möglichst effizient zu nutzen, um Hungersnöte in anderen Teilen der Welt und übrigens auch Preissteigerungen für die Ärmsten der Armen in dieser Welt und auch für die weniger Betuchten in Deutschland möglichst moderat zu gestalten. Das ist ebenso ein moralisches Gebot der Stunde wie die Solidarität der Welt durch Waffenlieferungen, dadurch, dass Menschen aus der Ukraine als Flüchtlinge mit offenen Armen in Deutschland aufgenommen werden. Aber es ist auch ein Gebot der Stunde, alles in unserer Macht Stehende dafür zu tun, dass es eben keine derart eklatanten Hungersnöte in der Welt gibt, meine Damen und Herren, und dafür haben wir Instrumente und Maßnahmen. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Freiheit und Wohlstand verteidigen die tapferen Männer und Frauen in der Ukraine in diesen Tagen unter Einsatz ihres Lebens. Unser Beitrag zu Freiheit und Unabhängigkeit muss auch in der Sicherung der Welternährung liegen. Flächen aus der Produktion zu nehmen, darf aktuell ebenso wenig dazugehören wie pauschale Reduktionsziele etwa beim Pflanzenschutz oder teilweise unsinnige Auflagen bei der Tierhaltung. Solidarität lässt sich auch, aber nicht nur mit Waffen erreichen, sondern auch damit, dass man die Auswirkungen dieses Krieges für arme Menschen in der Welt und auch weniger betuchte Menschen in Deutschland möglichst weit begrenzt, so weit wie irgend möglich. Moderne Landwirtschaft, über die wir in Deutschland verfügen, die frei von parteipolitischer Ideologie gestaltet wird, egal von welcher parteipolitischen Farbe wir sprechen, das ist der Schlüssel dazu. Wir sollten ihn benutzen. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Scheinbar hat es sich in meiner zweistündigen Abwesenheit eingebürgert, dass keine Redezeiten mehr überschritten werden. Ich gratuliere! ({0}) Max Straubinger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Präsidentin! Wir führen jetzt eine Debatte über Ernährungssicherheit, für die die Anträge der AfD die Grundlage bilden. Aber ich glaube, es passt auch zu diesem Tag, an dem der ukrainische Präsident zu uns gesprochen hat, die Betroffenheit zum Ausdruck gebracht hat und letztendlich einen Hilferuf an uns gerichtet hat, Bereiche betreffend, wo wir eben nicht so helfen können. Dann ist es aber gleichzeitig wichtig, in dem Bereich, wo wir Unterstützung leisten können, dies dann auch tatkräftig tun. Dazu gehört auf alle Fälle, dass wir die Ukraine in der Verteidigung des Landes unterstützen, gleichzeitig aber auch bei der Ernährung der Menschen. Das hat sich ja bereits vor dem Krieg abgezeichnet; denn Nahrungsmittel, zumindest gefertigte Nahrungsmittel, waren auch schon aufgrund der kriegerischen Zustände im Osten des Landes, in Luhansk und in Donezk, knapp. Das ist ja auch mit etwas Entscheidendes, hier einen Beitrag zu leisten. Dazu sind wir bereit. ({0}) Ich danke an dieser Stelle auch dafür, dass hierzu die Bundesregierung, namentlich der Bundeslandwirtschaftsminister, eine Koordinierungsstelle für Lebensmittelhilfen der Ernährungswirtschaft in die Ukraine mit einrichtet – wir unterstützen Sie dabei, Frau Staatssekretärin –; denn es ist wichtig, dass wir hier diese Unterstützung für die Ukraine geben. Dass sich die Landwirtschaftsminister der G 7 getroffen haben, bedeutet, dass wir nicht nur eine Verantwortung für die Ukraine haben, eine Verantwortung für unser Land, eine Verantwortung für Europa, sondern letztendlich auch für Afrika und für den Nahen Osten und für viele andere Teile der Welt, damit der Hunger bekämpft wird. ({1}) Wenn das Welternährungsprogramm darlegt, dass zusätzlich 13 Millionen Menschen am Horn von Afrika unter Hunger leiden werden, so muss uns das aufrütteln, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Russland und die Ukraine, die an die 50 Prozent des benötigten Getreides an das Welthungerhilfeprogramm geliefert haben, aber womöglich im heurigen Jahr, im nächsten Jahr und unter Umständen auch im übernächsten Jahr als Exporteure ausfallen werden. Dem müssen wir entgegenwirken. ({2}) Europa muss die entsprechende Unterstützung geben, damit die Menschen auf der Welt nicht hungern müssen. Und das muss uns letztendlich heute an diesem Tag aufrütteln. Dazu dienen auch die Anträge der AfD, wobei sie natürlich sehr national ausgerichtet sind, was hier in keinster Weise richtig ist. Vielmehr ist der europäische Zusammenhalt für die Völker auf der Welt mit das Entscheidende. ({3}) 80 Prozent des in Kenia verwendeten Weizens werden aus der Ukraine und aus Russland bezogen, 80 Prozent sind es in Ägypten, genau die gleichen Lieferanten. 80 Prozent des von Tunesien importierten Getreides stammten ebenfalls von den beiden Lieferantenländern, und 65 Prozent der Weizenimporte in die Türkei kommen ebenfalls aus Russland. Werte Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, das muss uns aufrütteln, damit wir in Europa mehr produzieren. ({4}) Deshalb müssen wir eine Neuausrichtung in der Agrarpolitik tätigen; denn eine Flächenstilllegung bedeutet null Produktion. ({5}) Wenn wir einer Ausweitung der Stilllegungen um 7 bzw. 10 Prozent, wie sie die Grünen noch in der Vergangenheit gefordert haben, stattgeben würden, wäre das eine Katastrophe für das Welternährungsprogramm. ({6}) Auch die SPD-Umweltministerin seinerzeit, Svenja Schulze, ist für 10 Prozent Flächenstilllegung eingetreten. Was das für die Hungernden in der Welt bedeutet, das ist nicht auszudenken. ({7}) Deshalb müssen wir schnell handeln. Die Stilllegungsprogramme gehören ad acta gelegt. Aber wir können heuer auch etwas tun. Wir müssen auch bedenken, dass in Gebieten, wo wir Pflanzenproduktion gut installiert haben, die aber leider Gottes derzeit als rote Gebiete ausgewiesen sind, 20 Prozent unter Bedarf zu düngen ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war jetzt die Rede von Herrn Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das bedeutet, wir müssen hier auch dementsprechend handeln.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege! ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich, wenn der Kollege Gero Hocker an unserer Seite kämpft, dies dann auch mit umzusetzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, die Zeit rennt Ihnen davon.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Karl Bär das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Karl Bär (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005017, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir die Debatte gerade so anschaue, dann muss ich manchen Leuten sagen: Kommen Sie endlich an in der Realität! ({0}) Der Klimawandel ist schon heute Grund für Hunger. In Kenia – Herr Straubinger hat es gerade gesagt – hat es in den letzten drei Jahren nicht geregnet. Deswegen herrscht da Hunger. Wir haben zurzeit Dürre auf der Iberischen Halbinsel, und ich mag daran erinnern: 2018, 2019 und 2020 hatten wir hier in Deutschland eine krasse Trockenheit. ({1}) Gleichzeitig zerstören wir Biodiversität in einer Heftigkeit und Geschwindigkeit, dass wir riskieren, dass Biodiversitätsleistungen verloren gehen, die wir für die menschliche Ernährung dringend brauchen. Und wer jetzt gegen die Ökologisierung der Landwirtschaft polemisiert, vor dem Hintergrund der dramatischen Lage auf den Getreidemärkten wegen des Überfalls auf die Ukraine, der argumentiert jenseits der Realität. ({2}) Wir müssen es – ganz im Gegenteil – ganz schnell schaffen, die Umweltzerstörung einzudämmen und die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen, sonst werden wir Hungerkrisen erleben, die wir uns gar nicht ausmalen wollen. Es ist auch realitätsfern, über den Hunger auf der Welt und die Getreidemärkte zu reden, ohne zu erwähnen, dass jedes zweite Korn, das geerntet wird, im Tierfutter landet und ungefähr 10 Prozent als Sprit in Autos. ({3}) Die AfD fordert in ihrem Antrag, das Ziel einer Reduzierung der Tierbestände aufzugeben, um die Ernährung zu sichern. Es ist genau das Gegenteil richtig: Wir müssen runter davon. ({4}) Ich will hier über Ernährungssouveränität reden, nicht über Ernährungssicherung. Wer auf externe Inputs, auf fossile Rohstoffe und auf die auf Kante genähten globalen Lieferketten setzt, der ist anfällig für Krisen. Wer auf demokratische regionale Strukturen setzt, auf ökologische Methoden, auf bäuerliche Landwirtschaft, der sichert den Menschen nicht nur genug Kalorien zum Essen, sondern auch Stabilität und Entscheidungsfreiheit. Wir haben jetzt die Aufgabe, gleichzeitig ganz viele Dinge zu tun, weil wir gleichzeitig in mehreren Krisen stecken. Wir müssen denen helfen, die es am dringendsten benötigen, nämlich den Menschen in der Ukraine, und denen, die auf das World Food Programme angewiesen sind. Wir müssen unsere Ernährungssouveränität stärken und unabhängiger von Importen und fossilen Energieträgern werden, und wir müssen den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität bekämpfen. Ich ziehe meinen Hut vor dem Team von Herrn Özdemir, das gerade mit relativ viel Erfolg versucht, genau das alles unter einen Hut zu bringen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Robert Habeck (Minister:in)

Politiker ID: 11005074

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren! Der Tag begann mit einer bedenkens- und bemerkenswerten Rede des ukrainischen Präsidenten, und er endet – noch nicht ganz, aber er geht zu Ende – mit einer Debatte über das Gasspeichergesetz. Beides steht in einem unmittelbaren Zusammenhang, wenngleich die dringenden Worte des ukrainischen Präsidenten sich nur in einem Teil in diesem Zusammenhang wiederfinden und der Komplex natürlich weit größer ist. Dennoch gibt es einen Zusammenhang: Wir haben uns in der Vergangenheit nicht gut genug auf krisenhafte Situationen vorbereitet und sind jetzt nicht in der Lage, alles zu tun, was wir tun könnten, um der Ukraine zu helfen. Woran liegt es? – Wir waren in der Vergangenheit blind gegenüber der Tatsache, dass Energie und Energiepolitik nicht alleine ein wirtschaftliches Themenfeld ist, sondern immer auch Geopolitik und in diesem Fall Machtpolitik bedeutet. ({0}) Wir haben in Deutschland das größte Gasspeichervolumen innerhalb der EU: 24 Milliarden Kubikmeter können dort unter der Erde gelagert werden, an 32 Standorten in 46 Gasspeichern in Deutschland. Diese Gasspeicher decken, wenn sie denn voll wären, ungefähr ein Viertel des Jahresverbrauchs in Deutschland ab; 90, 95 Milliarden Kubikmeter Gas verbrauchen wir jedes Jahr in Deutschland, das meiste – dies nur rückblickend zu der Atomdebatte, die heute Morgen kurz aufblitzte – für Wärme und für Industrie. Nur 15 Prozent gehen in die Stromproduktion für Peak-Runner-Kraftwerke – nur, um es einmal zu sortieren. Diese Füllstände waren Anfang des Jahres sehr unterschiedlich ausgeprägt. Sie betragen jetzt 25 Prozent. Schon damals waren sie sehr niedrig. Warum war das so? – Weil der größte Speicher und einige der größten Speicher, die Gazprom gehörten, über den Sommer, wo Speicher eigentlich gefüllt werden, entleert wurden. Offensichtlich wurde also die machtpolitische Konfrontation, die wir erleben, da schon systematisch vorbereitet. Als ich Minister wurde und in den ersten Rücksprachen mit dem Thema befasst war, fragte ich: Wie lange reichen die Speicherstände noch? Die Antwort war: Wenn es lange kalt wird, noch zehn Tage. – Das wiederum ist für einen beginnenden Winter eine bedenkliche Aussage. Und als die Frage dann war: „Was kann ich dagegen tun?“, war die Antwort: Gar nichts. Wir haben einen komplett deregulierten Markt; das entscheidet immer nur der Preis und der Markt. Nun sehen wir den Schlamassel. Wir wären nicht über den Winter gekommen, wenn wir nicht gegen die Markttendenzen schon ab Dezember angefangen hätten, auf dem Markt zusätzliche Gasmengen zu kaufen bzw. die Käufer zu unterstützen, diese Mengen einzulagern. Jetzt kommen wir über den Winter. Aber für den nächsten Winter sollte uns diese Situation nicht noch einmal passieren. ({1}) Deswegen dieses Gesetz. Es verpflichtet die Betreiber der Gasspeicher, Gas einzulagern. Das wollen sie aber auch, außer sie haben Ungutes im Sinn. Es gibt Daten für die Mengen: Zum 1. Oktober müssen die Speicher bei 80 Prozent sein, zum 1. Dezember bei 90 Prozent, und zum 1. Februar dürfen sie bei nur 40 Prozent sein. Es gibt eine zweite Regelung, die – plattdeutsch – Use-it-or-lose-it-Regelung, das heißt: Entweder ihr macht das, oder ihr verliert die Zugriffe auf die Speicherkapazitäten, und andere machen es für euch, im Zweifelsfall der Staat. Es gibt hohen Handlungsbedarf. Damit diese großen Gasmengen eingekauft werden können – und hoffentlich nicht alleine bei Russland eingekauft werden können –, muss das Gesetz zeitnah Gesetzeskraft bekommen, im Idealfall zum 1. Mai. Deswegen bitte ich dieses Hohe Haus um Unterstützung sowohl für den Inhalt des Gesetzes wie auch für schleunigste Beratungen, sodass wir in den nächsten Winter gestärkt, resilienter, robuster gehen können und nicht ganz so antwort- und wortlos auf die nächsten Bitten der ukrainischen Regierung agieren müssen. ({2}) Letzter Satz. Das Einlagern der Gasmengen ist ein Bestandteil einer Strategie. Der zweite ist natürlich die Diversifizierung. Wir sollten möglichst jetzt schon wenig Gas von Putin-Russland kaufen. Das Dritte aber ist – ich will es nicht verschweigen –, den Gasverbrauch sowie den Verbrauch von allen fossilen Energien in Deutschland und in Europa zu senken. Wir haben das in den letzten Jahren immer als Bestandteil von Klimaschutzpolitik diskutiert; jetzt ist es ein Bestandteil von nationaler Sicherheitspolitik. Sparen wir Gas ein, wo wir können. Setzen wir auf Energieeffizienz. Sanieren wir unsere Gebäude. Sorgen wir dafür, dass der Energiehunger nach fossilem Gas nicht noch künstlich hoch gehalten wird. Verzichten wir darauf, Gasheizungen in neue Häuser einzubauen. Tauschen wir die alten Gasheizungen und die alten Ölheizungen endlich aus. Sorgen wir dafür, dass wir Klimaschutz und Geopolitik zusammenbringen, um energiepolitisch wieder handlungsfähig zu werden und außenpolitisch eine Souveränität zu halten, die heute Morgen hier von uns erbeten wurde. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Fabian Gramling spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion; auch er spricht zum ersten Mal in diesem Haus. ({0})

Fabian Gramling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der brutale Angriffskrieg Putins hat unsere Koordinaten bei der Energieversorgung verschoben. Diese neue Situation bedarf einer neuen Lagebewertung, bedarf neuer Antworten. Wir müssen unsere Energieversorgung diversifizieren, und wir müssen sie schnellstmöglich Putin-frei machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, rund 21 Millionen Wohnungen – und damit fast jede zweite Wohnung in Deutschland – heizen mit Gas. Deshalb ist eine sichere Gasversorgung im kommenden Winter unerlässlich. Es ist daher richtig, Füllstandsvorgaben für die Gasspeicher einzuführen. Wegen der Dringlichkeit haben wir auf die Anhörung verzichtet, um in dieser Situation den Prozess zu beschleunigen. ({0}) Aber das eigentliche Problem wird mit diesem Gesetz alleine nicht gelöst. Eine Füllstandsvorgabe entfaltet nämlich nur dann ihre Wirkung, wenn es einen Betreiber gibt, der absichtlich oder unabsichtlich kein Gas speichert. Aber was machen wir, wenn Gas in ausreichender Menge nicht verfügbar ist? Das ist doch die entscheidende Frage, und darauf habe ich bisher keine konkreten Lösungsvorschläge gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Dabei hat der Minister zu Kriegsbeginn aufhorchen lassen. Alle Optionen müssten auf den Tisch und dass der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen müsse, das war die nüchterne Analyse. Aber nach einem Aufschrei in der eigenen Partei gab sich der Minister dann schnell geschlagen und hat seinen eigenen Pragmatismus anscheinend über Bord geworfen. Um unsere Gasversorgung winterfest zu machen, müssen wir die zur Verfügung stehende Klaviatur an Möglichkeiten vollständig ausnutzen. Wir müssen unsere Gasversorgung diversifizieren und schnellstmöglich prüfen, wie wir mehr Gas aus Norwegen, aus Holland, aus Amerika oder Afrika beziehen können. Wir müssen LNG schnellstmöglich ermöglichen und eine Versorgung mit schwimmenden Terminals als kurzfristige Lösung nutzen. Wir dürfen auch die heimische Gasförderung nicht aus dem Blick verlieren; ihr Potenzial ist zwar begrenzt, aber auch dieses Potenzial muss geprüft werden, um die Versorgungssicherheit in unserem Land zu gewährleisten. ({2}) Wenn die Regierung es mit der Versorgungssicherheit ernst meint, dann müssen wir natürlich auch über die 13 bis 15 Prozent Gasverstromung reden, die übergangsweise auch durch andere Energieträger aufgefangen werden müssen. Ich kann Ihnen sagen: Die Belegschaft im Kernkraftwerk Neckarwestheim – es liegt in meinem Wahlkreis – fragt mich zu Recht, warum diese Option in Berlin nicht ergebnisoffen geprüft wird. ({3}) Sie, Herr Wirtschaftsminister, haben zwar eine ergebnisoffene Prüfung angekündigt. Aber das Ergebnis wurde schon vor Beginn der Prüfung von der Umweltministerin wieder kassiert. Die versprochene ergebnisoffene Prüfung war hier Fehlanzeige. ({4}) Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion steht zu dem Ziel der Klimaneutralität. Wir haben in den letzten 16 Jahren viel auf den Weg gebracht, haben viel erreicht, und wir sind überzeugt, dass wir mit technischen Innovationen und mit klugen Ideen diese Herausforderungen bestehen werden. Mit Blick auf den Winter haben wir jetzt aber keine Zeit und keine Spielräume. Wir müssen vom Worst-Case-Szenario ausgehen und nicht von einem Wunsch-Case-Szenario. Alles andere wäre in dieser Situation verantwortungslos. ({5}) Nach Ihrer Vereidigung, lieber Minister Habeck, haben Sie in der ARD in Soap-Manier dargestellt, dass Sie sich im Fadenkreuz sähen und dass es sicherlich viel Ärger geben würde. Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: Es geht uns, der CDU/CSU-Fraktion, nicht darum, einen Minister ins Fadenkreuz zu nehmen. Aber wir erwarten, dass Sie Ihrer Verantwortung als Energieminister gerecht werden, und die Menschen in unserem Land erwarten das auch. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energieversorgung muss in den kommenden Monaten sicher und auch bezahlbar bleiben. Die Kassiererin im Supermarkt, die Altenpflegerin oder der Mechatroniker bei einem Mittelständler: Es trifft nicht nur die Bezieher von Sozialleistungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, es trifft vor allen Dingen die Breite der arbeitenden Gesellschaft mit voller Wucht – beim Einkaufen, beim Tanken und bei der nächsten Nebenkostenabrechnung. Die Unionsfraktion hat konkrete Lösungen vorgelegt, wie die Regierung auf der einen Seite die Versorgungssicherheit gewährleisten kann und wie sie auf der anderen Seite die Menschen in unserem Land vor ausufernden Energiepreisen schützen kann. Die Ampel hat unsere Vorschläge auf dem Tisch. Wenn es wirklich um eine gerechte Politik gehen soll, um eine Politik mit „Respekt für dich“, dann erwarte ich hier Antworten und kein Zögern und Zaudern. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ebenfalls zu seiner ersten Rede hier gebe ich das Wort dem Kollegen Bengt Bergt für die SPD-Fraktion. ({0})

Bengt Bergt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005024, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Bürgerinnen und Bürger! Lassen Sie mich zu Beginn kurz etwas zur Situation in der Ukraine sagen. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig und menschenverachtend, und zwar nicht nur gegenüber den unzähligen ukrainischen Opfern, sondern auch gegenüber den zahlreichen russischen Soldatinnen und Soldaten und vor allem deren Familien, die ihre Kinder lebend nicht wiedersehen. Der Mann, der das alles zu verantworten hat, ist Putin. Dieser Mann gehört nicht an einen pervers langen Tisch im Kreml, dieser Mann gehört auf die Anklagebank nach Den Haag. ({0}) Dieser Mann hat nicht nur die Sicherheitslage in Europa auf den Kopf gestellt, sondern auch die Versorgungssicherheit eines ganzen Kontinents infrage gestellt. Es ist zurzeit die allerwichtigste Aufgabe, für Frieden in Europa zu sorgen. Das tut die Regierung gerade mit aller Macht. Dafür gilt ihr unser Dank. ({1}) Unser Auftrag ist es hierbei, auch unsere Versorgungspolitik neu zu ordnen. Unsere Aufgabe ist jetzt die Gewährleistung von Sicherheit, Stabilität und sozialem Frieden – für ganz Europa, meine Damen und Herren. ({2}) Bitte fassen Sie es angesichts dieser fürchterlichen Berichte, die wir aus der Ukraine jeden Tag erhalten, nicht als zynisch auf, wenn wir uns jetzt hier über das Gasspeichergesetz unterhalten müssen. Das hat leider einen guten Grund. Dazu ein kurzer Rückblick: Seit 1998 funktioniert der Gasmarkt nach den gleichen Regeln. Vereinfacht gesagt: Im Sommer ist das Gas günstig, im Winter ist das Gas teuer. Im Sommer wird gekauft, im Winter verkauft, Geld gemacht; kein Problem, alles gut, der Markt läuft. Bereits im Juni 2021 aber waren die Preise auf einem Allzeithoch, begründet durch das Wiederanspringen der Wirtschaft, Corona, die Frachtkrise; die weltweite Nachfrage war hoch, jeder hat es mitbekommen. Die Förderkapazitäten hatten noch nicht nachgezogen. Aber der Markt hat noch immer funktioniert: Im Sommer wurde gekauft, gespeichert, im Winter wurde verkauft, Geld verdient; so fair, so gut, kein Problem. Aber es gab schon erste Anzeichen, dass der höhere Preis im Sommer das Einspeichern unattraktiv macht. Letztes Jahr fiel zusätzlich auf, dass der Speicher in Rehden, der allein 17 Prozent unserer Speicherkapazitäten ausmacht, fast leer war. Dieser Speicher gehört astora, einer Gazprom-Tochter. Und die Firmen, die dort eingespeichert haben, gehören auch Gazprom. Das war nach dem Gesetz alles legal, es war unbundelt. Das heißt, der Speicher war zwar gebucht, aber er war nicht befüllt. Das Ziel dahinter – das ist jetzt offensichtlich – war, Druck hinsichtlich der Zulassung von Nord Stream 2 auszuüben. Mit genau diesen 17 Prozent zu wenig im Speicher sind wir durch den Winter unterwegs gewesen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie sind durstig und rennen in den Supermarkt, aber dort, wo sonst die Getränke stehen, steht nur Leergut, und vor dem Regel befindet sich eine Kette, sodass keiner volle Flaschen einräumen kann. Das ist die Situation, meine Damen und Herren; so sah es aus. Diese Sorge um Knappheit hat den Weg für die grenzenlosen Spekulationen und Preisaufschläge von 500 bis 600 Prozent möglich gemacht, obwohl wir genug hatten. Es gab keine Knappheit – gibt es übrigens immer noch nicht –; es wird nur kräftig mit der Angst Geld verdient. Mit dem endgültigen Ausbruch des Wahnsinns, dem Überfall auf die Ukraine, stand der Markt dann vollständig Kopf. Der Bedarf war hoch, die Menge zwar auch, trotzdem war der Preis hoch. Das heißt, die Geschäftsgrundlage dieses ganzen Marktes war nicht mehr existent. Der Markt regelt aber nur, wenn sich alle an die Regeln halten. Das führt zum wichtigsten Punkt: Wir brauchen Regeln mit dem Ziel, durch die Vorgabe und Einhaltung von Mindestfüllständen Versorgungssicherheit herzustellen. Wir brauchen die Möglichkeit, Gas auf den Markt zu bringen, wenn es nötig ist, damit wir nicht sehenden Auges in die nächste Krise laufen. Und wir wollen uns ja unabhängig machen von russischem Gas. Dazu müssen wir in der Lage sein, zu puffern, wenn es einmal zu Engpässen kommt. Das ist ein superkomplexes Thema. Wir müssen schnell handeln; denn der nächste Winter steht planungsmäßig schon vor der Tür. In den Markt einzugreifen, ist sehr schwierig, weil der Markt durchliberalisiert ist. Das heißt, der Staat hat keine eigenen Speicher, hat kein eigenes Gas und hat auch keinen Zugriff auf die Speicher. Der Markt regelt also so lange, bis sich jemand nicht mehr an die Regeln hält. Das bringt uns zum Kern der Sache, zu den neuen Regeln: Die erste neue Regel ist: Wir werden konkrete Speichervorgaben machen. Wir werden, um bei der Analogie zu bleiben, zu bestimmten Zeitpunkten vorgeben, wie viele Flaschen im Regal stehen sollen. Dazu gibt es regelmäßige Berichte zu den Füllständen und den Prognosen. Dann kommt die zweite neue Regel. Wir regeln eine erzwingbare Bereitstellung ungenutzter Kapazitäten. Das heißt: „Du hast keinen Platz im Regal? Gut, wir stellen dir ein Regal.“ Dann die dritte neue Regel: Wir schreiben strategische Einlagerungsmengen aus, als Option für eine marktbasierte Befüllung von Speicherkapazitäten. Das heißt, wir legen einen Preis fest für die Limo, die im Regal stehen soll. Bei der vierten neuen Regel machen wir marktbasiert das Gleiche, aber wir legen noch ein Zückerli obendrauf und sagen: „Okay, die Limo ist gerade knapp, wir zahlen dir ein bisschen mehr; wir brauchen die Limo, wir haben Durst.“ Dann kommt aber die fünfte neue Regel, und das ist die wichtigste: Wenn das Wirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur sagen: „Es wird Speicherplatz gebucht, wir brauchen unbedingt neue Vorräte“, dann wird physisches Gas gekauft und eingespeichert, und wir halten es, auch bis zum Ende der Heizsaison, geben es dann heraus, wenn es nötig ist. Das heißt, wir kaufen jetzt die Limo selbst, wir stellen das Regal, und wir haben die Kette vor dem Regal weggenommen. Dann behalten wir aber auch das Regal und verkaufen die Limo selbst. ({3}) Das Ganze wird kontrolliert vom Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur. Das heißt, die parlamentarische Kontrolle ist gewährleistet. Wir wissen, dass das Chancen bietet, aber auch Risiken hat und dass wir da noch zu tun haben. Wir werden das regelmäßig kontrollieren und evaluieren. Das ist wichtig. Wir müssen aufpassen, dass da nichts schiefläuft. Denn der ganze Markt ist momentan wie ein Knallbonbon: Da ist die Regulierung auf der einen Seite, da ist der Markt auf der anderen Seite, und wenn wir an beiden Seiten zu sehr ziehen, knallt es vielleicht. Dann haben wir das Problem, dass wir das Erdgas rationieren müssen. Das müssen wir verhindern: für unsere Infrastruktur und für unsere Firmen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Steffen Kotré spricht jetzt für die AfD-Fraktion. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Habeck, Sie haben letztens schon vom Volk geredet und von einer souveränen Energiepolitik und jetzt sogar von Geopolitik. Zumindest in der Wortwahl hört sich das sehr schön an. Diese Wortwahl muss natürlich auch mit Leben gefüllt werden. Die Gasspeicher sind leer wie nie. Warum ist das so? Gas ist knapp geworden. Asiens Verbrauch ist gestiegen. Der sinnlose und wohlstandsverzehrende Kohleausstieg erfordert einen höheren Verbrauch von Gas für die Stromproduktion. Die Erschließung eigener Gasfelder in der Nordsee wurde bisher nicht in Betracht gezogen. ({0}) Nord Stream 2 wurde sträflicherweise nicht in Betrieb genommen. Die 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr – und das schon seit zwei, drei Jahren – hätten den Gasmarkt entspannt. Und dann sehen wir heute, dass die kritische Infrastruktur „Gasspeicher“ zu einem nicht unwesentlichen Teil in ausländischer Hand ist. Naturgemäß haben ausländische Unternehmen weniger Interesse, die Versorgung in Deutschland zu berücksichtigen. Und richtig: Die Füllstände bei genau diesem einen ausländischen Versorger sind die niedrigsten. ({1}) Der Verkauf von Erdgasspeichern an ausländische Investoren war ein schwerer Fehler. Aber was können wir eben von den Altparteien in den Bundesregierungen erwarten? ({2}) Sie vertreten ja nicht mehr vollständig deutsche Interessen. ({3}) Es wurden auch keine langfristigen Lieferverträge mehr abgeschlossen – so von der Bundesregierung und der EU gewollt –, weil wir jetzt schon einfach auf Kohle, Gas und Kernenergie verzichten könnten. Welch ein Irrsinn! Das ist halt der Welt dümmste Energiepolitik. ({4}) Das nennt man „Realitätsverlust“; davon hat die Bundesregierung jede Menge. Und die Bürger müssen das ausbaden. Gaskraftwerke müssen die Lücke wegen des irrationalen Ausstiegs aus der modernen Kernenergie und der Kohleverstromung füllen. Das ist eine Verschwendung, weil wir Gas für Wärme und eben stoffliche Nutzung brauchen. Die verantwortungsbewusste Lösung – heute auch schon oft skizziert – ist der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke, und das ist eben machbar. ({5}) Die kürzliche Ablehnung der Bundesregierung erfolgte unbegründet. Für diese Scheinuntersuchung, die da stattgefunden hat, wurden keine Fachleute zurate gezogen. Die Brennelemente sind noch mindestens ein Jahr nutzbar. ({6}) Eine neue Belieferung auf dem schnellen Wege wäre möglich. ({7}) Die zusätzlich anfallenden Reststoffe würden kaum ins Gewicht fallen. ({8}) Selbst ein ehemaliges Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission, das am Konzept der Sicherheitsüberprüfung mitgewirkt hat, stellt klar, dass die Überprüfung in wenigen Monaten und im laufenden Betrieb durchgeführt werden könnte. Die Bundesregierung hat hier also auf Fachwissen und Experten verzichtet, verschleudert damit das Geld der Bürger und hat sich damit auf ein Niveau von Bananenrepubliken begeben. Die Taschen füllen sich die Windanlagenbetreiber. Links-grüne Politik unterstützt das mit ihrem Lobbyismus. An dieser Stelle kann ich auch gleich noch mit einer Propagandalüge aufräumen: ({9}) Die langfristig grüne Inflation ist nicht fossilgetrieben, sondern durch die instabilen erneuerbaren Energien. ({10}) Das kann man sich an einem einzigen Fakt einfach mal klarmachen: Deutschland hat mit den höchsten Anteil an wettbewerbsunfähigem Wind- und Sonnenstrom und gleichzeitig mit die höchsten Strompreise. ({11}) Andere Länder, die zum Beispiel Kernenergie nutzen, haben mit die niedrigsten Strompreise. Braunkohleverstromung zum Beispiel kommt ohne Subventionen aus. Die instabilen Erneuerbaren brauchen 1 bis 2 Billionen Euro – ein Fass ohne Boden. Jetzt werden ja nicht mehr nur die Stromkunden geschröpft, sondern auch die Steuerzahler.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kotré, Sie kommen bitte zum Ende.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Anders als behauptet gibt es keine Abschaffung des EEGs, sondern lediglich eine Verlagerung. ({0}) Die Kilowattstunde kostet bei Kohle 3 Cent, und die bei Sonne und Wind ist viel, viel teurer.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kotré!

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Energiekrise ist vor allen Dingen hausgemacht; das ist die Realität. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt fängt Herr Kruse mit seiner Rede an, und zwar für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen – insbesondere Herr Kotré! Realitätsverlust, den Sie eben angesprochen haben, ist, wenn man es schafft, eine Rede zu diesem Thema zu halten und den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Wladimir Putins, der das ganze Desaster hier ausgelöst hat, nicht mit auch nur einem Wort zu erwähnen. ({0}) Ich habe Sie nicht hier reingewählt, aber ich schäme mich trotzdem ein bisschen, mit Ihnen hier in einem Raum sein zu müssen; es tut mir leid. Wahnsinn! ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden hier über einen unvollkommenen Markt. Wir reden über einen Markt, auf dem ein Teilnehmer, ein Anbieter von Gas, 55 Prozent Marktanteil hat. Sie können in Volkswirtschaftslehre I lernen, dass das keine gute Situation ist. Die Situation wird noch schlimmer, wenn dieser eine Marktteilnehmer auch 30 Prozent der Speicherkapazitäten hat, wo das gelagert wird, was Sie temporär als Ersatz einsetzen könnten. In diese Situation sind wir geraten, weil es eben keine Regelungen und insbesondere keine funktionierende Marktaufsicht gab. Wir haben heute Morgen hier schon darüber gesprochen. Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen enttäuscht, dass der Kollege Jens Spahn, der uns ja vorgeworfen hat, wir würden nichts tun, heute Abend nicht mehr hier sitzt. Offensichtlich ist er schon im Feierabend, wenn wir was tun. ({2}) Ich kann Ihnen nur sagen: Sie mit Ihrer Großen Koalition, Sie mit Ihrem Wirtschaftsminister haben diese Regelungslosigkeit und auch die Tatenlosigkeit in diesem Bereich zu verantworten. ({3}) Deswegen möchte ich Ihnen raten, dass Sie hier vielleicht nicht nur Reden schwingen sollten. Der Kollege hat gerade seine erste Rede hier gehalten. Nichts für ungut: Die war gut, aber Sie haben keinen einzigen Satz zu unserem Gesetzestext formuliert. Weil wir eine konstruktive Regierung, eine konstruktive Ampel, sind, laden wir Sie trotzdem ein, bis Mitte nächster Woche Ihre Vorschläge zu diesem Gesetzestext vorzutragen; denn in der Tat – und das haben verschiedene Rednerinnen und Redner vor mir schon betont – ist das hier eine sehr wichtige Maßnahme, damit wir im nächsten Winter nicht wieder in eine richtig schwierige Situation kommen und nicht mehr von diesem einen Lieferanten, der längst einen wirtschaftspolitischen Angriff auf Westeuropa gestartet hat, abhängig sind. Deswegen laden wir Sie ein, bis zur nächsten Woche Ihre konstruktiven Vorschläge auch in dieses Verfahren einzubringen. Ich habe Hoffnung, dass zumindest die demokratischen Parteien, die in diesem Hause sitzen, dieser Aufforderung nachkommen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lasse gerne jede Zwischenfrage zu.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Heilmann.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Kruse, Sie haben zu Recht gesagt, dass die Große Koalition die Vorsorge, die jetzt vorgeschlagen wird und die wir unterstützen, unterlassen hat. Da Sie aber mit dem Finger auf uns zeigen, will ich Sie fragen: Wo war eigentlich der Antrag der FDP, die vollständige Liberalisierung von Gasspeichermärkten zurückzunehmen? Ich kann mich jedenfalls mit Blick auf die letzte Legislaturperiode nicht daran erinnern. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für diesen Hinweis, der ja gar keine Frage beinhaltet. – Diesen Antrag hat es nicht gegeben, und ich möchte Ihnen auch erklären, warum nicht: Er war nicht notwendig. Es war nicht notwendig, an dieser Stelle etwas zu ändern. Vielmehr hätte es an der Stelle und zu dem Zeitpunkt, als kritische Infrastruktur im großen Umfang verkauft worden ist – und zwar auf eine Art und Weise, dass wir uns von einem einzigen Versorgerland, Russland, viel stärker als in den Jahren und Jahrzehnten davor abhängig machen –, einen wachen Nachtwächter gebraucht. Der Nachtwächter ist der Wirtschaftsminister mit seinen untergeordneten Behörden. Deswegen wäre ein solcher Antrag nicht notwendig gewesen, sondern ein wacher Geist, wenn es darum geht, dass hier kritische Infrastruktur auf eine Art und Weise verkauft wird, dass die deutsche Bevölkerung und die deutschen Unternehmen am Ende so abhängig von dem einen Lieferanten sind, dass wir unter Druck geraten können. Das hätte der Nachtwächter sehen können, aber er hat leider geschlafen, Herr Kollege. ({0}) Weil wir diese Situation im nächsten Winter nicht noch einmal erleben wollen und dürfen und weil wir nicht nur aus der Erpressbarkeit rauswollen, sondern weil wir uns schlicht auch die Frage stellen müssen, wie wir schnellstmöglich den Geldhahn für die immensen Gaslieferungen zudrehen können, die täglich aus Russland hierherkommen, handeln wir jetzt als Ampelkoalition. ({1}) Weil wir das tun möchten, müssen wir auch über dieses Gesetz sprechen. Der Kollege von der Union hat ja gesagt, er würde nichts davon hören, dass wir auch viele andere Maßnahmen ergreifen würden. Ich muss wirklich sagen: Dann stimmt vielleicht was mit Ihren Gehörgängen nicht. – In unseren Ausschussberatungen – zuletzt gestern – haben wir über viele dieser Themen gesprochen. Ich nenne Ihnen ein paar: Angebot diversifizieren, Wegkommen vom größten Anbieter, Marktanteil drücken. Es sind die Niederländer angesprochen worden. Mit denen sprechen wir übrigens auch ganz konkret darüber, ob sie die deutschen Gasfelder nicht auch fördern können. Auch Norwegen ist angesprochen worden. Norwegen hat gestern gemeldet, dass sie aus zwei Gasfeldern 1,4 Milliarden Kubikmeter Gas mehr liefern können. Das sind ganz konkrete Maßnahmen, um etwa 2 Prozent der deutschen Gasversorgung abzusichern. Ich mache weiter: LNG-Terminals sind schon vom Bundeskanzler hier angesprochen worden; es geht um zwei an der Zahl. Bis wir solche haben, geht es darum, dass wir FSRUs bekommen; das sind schwimmende LNG-Terminals, Herr Kollege. Wir kümmern uns um die Gasförderung in der Nordsee, und wir kümmern uns außerdem um die Fragestellung, ob es nicht klug ist, dass die kritische Infrastruktur in Deutschland auch in deutscher Hand ist und nicht mehr von ausländischen Despoten gegen die deutschen Interessen missbraucht werden kann. ({2}) Ich habe jetzt keine Zeit mehr, um Ihnen weitere Maßnahmen aufzuzählen, die wir ergreifen. Deswegen komme ich zum Schluss. Es ist ein imperfekter Markt, und deswegen wird es auch ein imperfektes Gesetz werden – so viel sei zugestanden. Daher ist es umso wichtiger, dass wir die kurze Zeit, die wir haben, um dieses Gesetz in Kraft zu setzen, dafür nutzen, das bestmöglich zu machen. Sie sind herzlich eingeladen, dazu beizutragen. Wir werden diesen Anteil dann auch würdigen; denn es geht hier um deutsches Interesse. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der schreckliche Krieg Putins gegen die Ukraine verursacht dort unsägliches Leid. Dieser Krieg schlägt auch auf Europa durch und hat dort Folgen wegen der Abhängigkeit von russischem Erdgas. Durch den Krieg wurden Spekulationen an den Märkten weiter verstärkt, die den Gaspreis in nie erwartete Höhen steigen lassen. Damit Spekulanten bei Krisen keine Extragewinne einfahren und damit die Bürgerinnen und Bürger, Handwerker und auch Unternehmen keine Wucherpreise bezahlen müssen, fordert Die Linke mehr staatliche Kontrolle in der Energiewirtschaft und eine Preisaufsicht. ({0}) Durch den Ausbau erneuerbarer Energien, den Bau von Speichern, das flexible Nutzen von Biogas kann man die Abhängigkeit von fossiler Energie beenden, und das predigen wir auch schon seit Jahren. ({1}) Die von uns angestrebte Stärkung kommunaler Unternehmen ist besser als die durch die Liberalisierung gestärkte Marktmacht von Konzernen und Spekulanten. Das bestätigt sich derzeit im Gassektor einmal mehr. ({2}) Gazprom konnte durch den völlig deregulierten Gasmarkt den größten deutschen Gasspeicher kaufen und durch hinterhältige Preispolitik die deutsche Abhängigkeit von russischem Erdgas erhöhen. Dass Gazprom den Speicher vor dem Winter leerte, war eine am Markt zulässige unternehmerische Entscheidung. Erst durch die Deregulierung des Gassektors wurde es Putin ermöglicht, Europa mit Erdgas zu erpressen. ({3}) Zusammen mit der Gier der Spekulanten bewirkt dies jetzt die Vervielfachung der Gaspreise. Die Linke will die Abhängigkeit unserer Energieversorgung von Spekulanten und autoritären Regimen beenden. ({4}) Noch einmal: Wir brauchen mehr Regulierung und staatliches Eigentum bei der Gasinfrastruktur. So lässt sich Energiearmut vermeiden, können Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen vor extremen Preisen geschützt werden. Erst die Angst vor einem russischen Gaslieferstopp bewirkte ein Umdenken im Wirtschaftsministerium und hat endlich auch die Koalition zum Handeln gebracht. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf sollen Regeln zu Mindestfüllmengen von Gasspeichern abhängig von der Jahreszeit eingeführt werden. Die Linke wird im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, der heimischen Landwirtschaft, von Handwerk und Industrie die notwendigen Schritte begleiten. Bei allen Punkten, die ich nannte, sollte die Koalition uns folgen. Wir beraten Sie gern und ganz ohne Honorar. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Jonas Geissler. ({0})

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus dem Landkreis Kronach. Der Landkreis Kronach ist der kleinste Landkreis Bayerns. Er liegt im Norden Oberfrankens. Vor allen Dingen sind wir die Heimat der bayerisch-thüringischen Glasindustrie. Ich war ungefähr 14 Tage im Amt – die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestags war am 26. Oktober –, da hat mich der erste meiner Bürgermeister angerufen und mir gesagt: Wir haben ein riesiges Problem. Ich weiß nicht mehr, wie meine Glasindustrie die Energie bezahlen soll. ({0}) Ich habe die ersten Gespräche mit ihm geführt. Ich habe mich dann mit den Unternehmervertretern getroffen. Am Anfang hat man von allen übergeordneten Stellen gehört: Der Gaspreis beruhigt sich schon wieder; das ist jetzt eine Frage des Winters. – Irgendwann ist klar geworden: Das ist nicht so. Wir hatten Preissteigerung am Spotmarkt im dritten Quartal 2021 von 250 Prozent, im vierten Quartal 2021 von bis zu 500 Prozent. Wir hatten die Situation, dass wir im Dezember an einzelnen Tagen eine Preissteigerung von 750 Prozent beim Gas gehabt haben. Keiner hat es am Anfang verstanden. Es ist klar gewesen, dass Putin die Speicher nicht auffüllt. Heute wissen wir, dass das eine unmittelbare Vorbereitung auf den Ukrainekrieg gewesen ist. Aber es hat niemand verstanden, was da genau passiert. Der Spotmarkt macht nur einen relativ geringen Anteil am Gesamtgasmarkt aus. Das heißt, bewusste Einschränkungen beim Spotmarkt wirken wie ein Hebel, der sich auch auf den Terminmarkt auswirkt. Unternehmen, die bislang teilweise auf dem Terminmarkt, teilweise auf dem Spotmarkt eingekauft haben, wissen nicht mehr, wie sie die Kosten tragen sollen, weil auch langfristige Lieferverträge teuer werden. Ich habe bei mir zu Hause einzelne Zulieferer, die immer nur auf dem Terminmarkt eingekauft haben. Die sind im Dezember und Januar komplett auf den Spotmarkt umgeschwenkt, weil sie gesagt haben: Wir können uns das langfristig nicht mehr leisten. In meiner Heimat hängt ein Drittel der Beschäftigten vom Gasmarkt ab, weil sie in der Glasindustrie arbeiten. Die bayerisch-thüringische Glasindustrie hat in der Rennsteigregion zwischen 8 000 und 10 000 Beschäftigte, die mittelbar von ihr abhängig sind. Das sind fast 10 000 Familien, die Existenzängste haben. Das sind fast 10 000 Familien, die nicht wissen, ob ihre Arbeitsplätze in Zukunft erhalten bleiben. Das Problem bei der Glasindustrie ist nämlich, dass sie ihre Glaswannen, auch wenn Energie teuer ist, nicht abschalten können; denn eine Wanne wird gebaut und läuft dann durchgehend 10 bis 15 Jahre. Wenn ich das Glas ablasse, ist die Wanne kaputt, und ich muss 50 Millionen Euro in eine neue Wanne investieren, wenn ich die Produktion wieder hochfahre. Wir haben hier ein riesiges Problem. Deswegen werden wir Sie bei dem Gesetzentwurf selbstverständlich unterstützen; denn er ist richtig. ({1}) Aber es ist auch klar, dass wir einfach mehr tun müssen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten bei mir daheim vor Ort unzählige Gespräche geführt, teilweise mit der Union. Wir haben mittlerweile ein Netzwerk von Abgeordneten aus allen Parteien, die aus der Region kommen. Ich bin zum Beispiel Staatssekretär Kellner von den Grünen dankbar, dass er sich mit uns ausgetauscht hat. Aber wir haben ein ernsthaftes Problem. Wir bzw. die Glasindustrie haben am Anfang gefordert: Macht doch Nord Stream 2 auf. – Heute wissen wir, dass die Probleme viel tiefgreifender sind. Die gilt es gemeinsam zu lösen. Dabei hoffen wir auf Ihre Unterstützung, weil wir einfach mehr brauchen. Wir brauchen einen Rettungsschirm für die Arbeitsplätze, die von den energieintensiven Unternehmen in Deutschland abhängig sind. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. ({2})

Nadine Heselhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005084, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie stellt die steuerberatenden Berufe vor große Herausforderungen. Für Steuerberaterinnen und Steuerberater sind zusätzliche Aufgaben hinzugekommen. Dadurch sind auch zusätzliche Fristen einzuhalten, unter anderem bei den Coronahilfen für Unternehmen. Die Coronakrise verursacht einen deutlich erhöhten Beratungs- und Unterstützungsbedarf. Der Zeitaufwand ist gestiegen. Besonders die Ballung der Abgabefristen für Steuererklärungen, die Beantragung und Schlussabrechnung von Wirtschaftshilfen und die Offenlegung von Jahresabschlüssen zum Jahresende stellen eine echte Herausforderung für die Kanzleien dar. Die starke Arbeitsbelastung haben wir erkannt und in den vergangenen Jahren die steuerlichen Abgabefristen immer wieder verlängert. Wir haben also gleich mehrfach reagiert und für zeitliche Entlastung gesorgt. Doch diese Berufe sind nicht die einzigen, die pandemiebedingt Mehrbelastungen ausgesetzt sind. Was ist zum Beispiel mit den Familien, die mit Homeoffice, Kinderbetreuung durch Quarantäne oder den Schließungen von Kitas und Schulen ebenfalls großen Belastungen ausgesetzt waren und immer noch sind? Auch sie müssen geänderte Regelungen beachten. Insbesondere Familien, die in der Pandemie eine starke zeitliche und psychische Belastung erfahren, brauchen einen erneuten Puffer. Wir haben bereits in der Vergangenheit darauf Wert gelegt, dass auch die Menschen entlastet werden, die ihre Steuererklärung ohne Beratung erstellen. ({0}) Der Antrag der Union berücksichtigt lediglich einzelne Berufsgruppen und greift deshalb zu kurz. ({1}) Richtig ist es, die Herausforderungen der Steuerberater/-innen angesichts der Sonderbelastung in der Pandemie zu berücksichtigen. Falsch ist es jedoch, es dabei zu belassen. Und dabei ist es so wichtig, hier alle Menschen in den Blick zu nehmen. Das Kabinett hat einen Vorschlag für ein neues und umfangreiches Corona-Steuerhilfegesetz vorgelegt. Darin entlasten wir die steuerberatenden Berufe, damit diese ihren Aufgaben zuverlässig nachkommen können. Die Abgabefrist für Steuererklärungen des Jahres 2020 durch Steuerberater verlängern wir um weitere drei Monate bis zum 31. August 2022. ({2}) Außerdem verlängern wir die Abgabefrist für die Steuererklärungen der Jahre 2021 und 2022 zugunsten aller Steuerpflichtigen. ({3}) Planungssicherheit zu schaffen, ist für uns eine Aufgabe zugunsten aller Menschen in unserem Land. Bundeskanzler Olaf Scholz ist 100 Tage im Amt. Er leitet unser Land stabil durch eine Zeit, in der unsere Grundfesten erschüttert werden und unsere demokratische Überzeugung in Europa noch klarer sein muss als in den vergangenen 70 Jahren. Was hat sich darüber hinaus in dieser kurzen Zeit verändert? Der Blick auf die Menschen. Für uns als SPD sind alle Menschen – so wie die ganz normalen Steuerpflichtigen – in der Mitte unserer Politik. Sie sind der zentrale Ort unserer Arbeit für ein fortschrittliches Deutschland. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sebastian Brehm hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde sprechen wir heute über ein wirklich drängendes und wichtiges Thema, auch wenn der Titel nicht sexy klingt: „Fristenballung bei steuerberatenden Berufen auflösen“. Aber deswegen spricht man ja auch von der stillen Erotik des deutschen Steuerrechts. ({0}) Aber Spaß beiseite. Es gibt viele Berufsgruppen in Deutschland, die in der Pandemie unter extremer Arbeitsbelastung gelitten haben und auch immer noch leiden. Eine dieser Gruppen sind die Steuerberaterinnen und Steuerberater: ungefähr 60 000 Kanzleien – überwiegend kleinere und mittlere Kanzleien – mit über 300 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Steuerberaterinnen und Steuerberater waren von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Hilfsprogramme für Unternehmen, für Mittelständler und für Soloselbstständige in der Coronapandemie. ({1}) Durch ihren Einsatz konnten die Hilfen zielgerichtet beantragt und gleichzeitig die Ordnungsmäßigkeit der Auszahlung ermöglicht werden. Deshalb möchte ich heute ein Dankeschön sagen an die Steuerberaterinnen und Steuerberater und an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kanzleien, die einer extremen Stressbelastung ausgesetzt waren und viele Überstunden gemacht haben. Herzliches Dankeschön! ({2}) Ob es die Abrechnung des Kurzarbeitergeldes im Lohn- und Gehaltsbereich betraf, die Beantragung von Coronaüberbrückungshilfen I, II, III, III Plus, IV, von Künstlerhilfen, landesspezifischen Zusatzprogrammen, Neustarthilfen oder Härtefallhilfen – immer wieder mit geänderten FAQs –, all das hat zu dieser Belastung geführt. Zudem haben die Steuerberater viel geleistet gerade bei der Beantragung der Coronakredite, und sie haben viele Gespräche über die betriebswirtschaftliche Situation geführt. Gleichzeitig haben aber auch die Kanzleien mit coronabedingten Einschränkungen und neuen organisatorischen Herausforderungen gekämpft. Homeoffice, die Kinderbetreuung und das Homeschooling waren auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einfach. All dies führte dazu, dass man zu der normalen Aufgabe des Steuerberaters – der Steuerdeklaration, also der Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen – eigentlich nicht richtig gekommen ist. Deswegen braucht es die entsprechende Fristverlängerung. ({3}) Das haben wir in unserer Zeit als Große Koalition gemacht und haben die Frist richtigerweise immer wieder verlängert. Die Frist für die Abgabe der Steuererklärung für das Jahr 2020 – normalerweise muss man sie ja zum 28. Februar 2022 abgeben; diese Frist wäre schon verstrichen – haben wir bis zum 31. Mai verlängert, obwohl wir von Anfang an interveniert und gesagt haben: Das reicht nicht aus. – Aber unseren Antrag auf Fristverlängerung bis zum 31. August 2022 haben Sie im Finanzausschuss abgelehnt. Das ist übrigens auch ein deutliches Zeichen: Es bestehen Rechtsunsicherheit und Extrembelastung für die Steuerberater, aber Sie lehnen die Fristverlängerung ab. Das ist unzumutbar, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel! ({4}) Nur durch Drängeln und unermüdlichen Einsatz gerade der AG Finanzen in der CDU/CSU ist es gelungen, dass es jetzt im Entwurf des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes zwar nicht vollständig, aber zumindest zum Teil steht. ({5}) Ich will bloß mal sagen, wie das in diesem Jahr läuft. In diesem Jahr endet die Frist für die Beantragung der Überbrückungshilfe III Plus am 31. März. Die Antragsfrist für die Überbrückungshilfe IV endet am 30. Juni. Die Abrechnung der Schlussrechnung der Überbrückungshilfe I erfolgt ab Juni. Und dann kommt noch hinzu, dass die Steuerberaterinnen und Steuerberater für 35 Millionen Grundstücke innerhalb von vier Monaten neue Feststellungserklärungen für die Grundsteuer machen müssen. Das wird dazu führen, dass wir nicht nur in diesem Jahr eine Fristverlängerung für die Steuerberaterinnen und Steuerberater brauchen, sondern auch für das nächste Jahr. Hier haben Sie die Frist viel zu kurz gesetzt. In Ihrem Gesetzentwurf steht der 30. Juni. Das heißt, die Steuerberater müssen in zehn Monaten das normale Deklarationsgeschäft und zusätzlich die Aufgaben machen, die ich gerade beschrieben habe. Ich möchte noch auf ein ganz wichtiges Thema Bezug nehmen, gerade im Hinblick auf die Fristen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Beck zulassen?

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, herzlich gerne. Ich freue mich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte sehr.

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe meine Rede ja zu Protokoll gegeben. Aber ich muss jetzt trotzdem einmal kurz fragen, warum Sie das hier so darstellen. Sie wissen doch ganz genau, dass Ihr Antrag ausschließlich dieses eine Jahr betroffen hat. Wir gehen jetzt vorausschauend – wir planen sehr gut – vor. Wir sehen genau die gleiche Fristverlängerung für dieses Jahr vor, wie Sie sie vorgeschlagen haben, und für forst- und landwirtschaftliche Betriebe ist die Frist sogar einen Monat länger. Für die Folgejahre haben wir ebenfalls gute – sukzessiv abschmelzend – Fristen vorgegeben, die dazu führen, dass man irgendwann idealerweise wieder in den Normalbetrieb kommen kann. Warum Sie das jetzt hier so verzerrt darstellen, würde mich wirklich interessieren. Vielen Dank.

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Frage. – Sie haben gerade nicht zugehört. ({0}) Das Problem ist, dass wir es den Steuerberatern im nächsten Jahr mit der Abschmelzung zumuten, die gesamte Deklarationsarbeit zusätzlich zu den anderen Arbeiten – Neuberechnung der Grundsteuer, Abrechnung der Ü‑Hilfen – in nur zehn Monate zu erledigen. Sie verkürzen also die Frist für die Abgabe. Einen ganz wichtigen Punkt, der bei Ihnen überhaupt nicht berücksichtigt ist, will ich noch ansprechen – insbesondere wundert es mich, dass die FDP dies auch durchgehen lässt –: Sie ignorieren, dass die Jahresabschlüsse nach § 325 HGB nach einem Jahr elektronisch veröffentlicht sein müssen. Diese Frist haben Sie für den Jahresabschluss 2020 bis zum 7. März 2022 verlängert; bis dahin gab es kein Ordnungsgeld. Der 7. März 2022 ist vorbei. Ab dieser Woche ergehen für die Steuerkanzleien und die Unternehmer die entsprechenden Ordnungsgeldbescheide, weil die Jahresabschlüsse nicht ordnungsgemäß oder nicht zeitgemäß veröffentlicht worden sind. ({1}) Diese Frist verlängern Sie nicht. Das Ordnungsgeld beträgt bis zu 25 000 Euro. Was Sie damit dem Mittelstand antun, ist aus meiner Sicht unerträglich. Sie könnten auf jeden Fall die Frist für die Veröffentlichung im Bundesanzeiger verlängern. ({2}) – Stellen Sie gerne noch eine Frage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, Fragen lasse ich hier zu; das ist meine Aufgabe.

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir hatten verabredet, dass es für jeden Redner die Möglichkeit gibt, eine Zwischenfrage zuzulassen, und deswegen gibt es bei Ihnen jetzt keine mehr. – Ich gehe davon aus, dass Sie die Frage von Frau Beck jetzt beantwortet haben, die sich damit wieder setzen kann. – Danke.

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. – Deswegen noch mal: Sie müssen im Entwurf eines Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes die Frist zur Einreichung der elektronischen Bilanzen für die Kapitalgesellschaften dringend verlängern. ({0}) Sie haben letztes Mal ja auch einen entsprechenden Antrag im Finanzausschuss gestellt, in dem Sie gesagt haben, die Steuerberaterinnen und Steuerberater müssten eben auch durch die Verlängerung der Frist, lieber Herr Herbrand, entlastet werden. Das haben Sie selber mit beantragt und auch vorgetragen im Finanzausschuss. ({1}) Sie stellen jetzt den Finanzminister und den Justizminister und könnten diese Frist wirklich locker verlängern. ({2}) Deswegen bitte ich, das zu tun. Bei allen europarechtlichen Fragen ist das möglich. ({3}) Ich kann Sie nur herzlich bitten, hierzu noch mal Stellung zu nehmen, weil es unerträglich ist, dass die Steuerberaterinnen und Steuerberater, die Unternehmerinnen und Unternehmer und die Kapitalgesellschaften – das sind ja nicht nur große, sondern auch viele kleine Kapitalgesellschaften – seit dieser Woche Bescheide des Bundesamtes für Justiz erhalten. Wenn nicht innerhalb von sechs Wochen eingereicht wird, werden Ordnungsgelder – 500 Euro, 2 500 Euro, 5 000 Euro, bis 25 000 Euro – festgesetzt, und das haben Sie dann zu verantworten. Das ist aber wahrscheinlich Ihre neue Einstellung zu den freien Berufen. ({4}) Deswegen bitte ich Sie wirklich herzlich: Ändern Sie das noch, oder stimmen Sie heute unserem Antrag zu. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rede ist auch wieder eine erste Rede hier im Bundestag, und sie kommt von Tim Klüssendorf für die SPD-Fraktion. ({0})

Tim Klüssendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Dem Antrag, zu dem ich heute sprechen darf, liegt eigentlich ein erfreulicher Anlass zugrunde. Denn das hohe Arbeitspensum der steuerberatenden Berufe zeigt doch vor allem: Die Coronahilfen der Bundesregierung sind gut und kommen an. ({0}) Enorme Summen sind bereits an Zehntausende Antragstellerinnen und Antragsteller ausgeschüttet, zahlreiche weitere Mittel werden in den kommenden Wochen und Monaten helfen, die einschneidenden Folgen der Pandemie zu mildern. So bringen wir die Unternehmen, aber vor allen Dingen Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land sicher durch die Krise. Den steuerberatenden Berufen, die immer noch stark belastet sind, hier entgegenzukommen, ist – das stellen die Kolleginnen und Kollegen der Union ja sehr richtig fest – notwendig und sehr sinnvoll. Meine Damen und Herren, ich möchte den Steuerberaterinnen und Steuerberatern an dieser Stelle sehr gern für ihren herausragenden Einsatz während der Pandemie danken. ({1}) Und wie Lothar Binding schon einmal in Ihre Richtung, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, an dieser Stelle sagte: „Bei mir ist der große Vorteil: Ich kann denen danken, ohne mich selbst zu meinen.“ ({2}) Selbstverständlich belassen wir es jedoch nicht nur beim Dank, wie es an zu vielen Stellen und zu häufig in dieser Pandemie passiert ist, sondern haben bereits für Entlastung gesorgt und werden selbstverständlich auch weiterhin durch Verschiebung der Abgabefrist von Steuererklärungen für Entlastung sorgen. Die Ampelkoalition hat diesen Bedarf nämlich ebenfalls identifiziert und mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz einen entsprechenden Gesetzentwurf auf einen guten Weg gebracht. ({3}) Wir gehen damit sogar zwei wichtige Schritte weiter als die Unionsfraktion in ihrem Antrag; denn zum einen verlängern wir die Erklärungsfristen auch für die nicht beratenen Fälle, welche die Union scheinbar leider vergessen hat. ({4}) Und diesen Punkt, den meine Kollegin ja auch schon ausführlich ausgeführt hat, will ich aber noch einmal persönlich besonders unterstreichen; denn nicht alle Menschen in Deutschland – und ich spreche hier vielmehr für die überwiegende Mehrheit der Privathaushalte – legen ihre Steuerangelegenheiten in fachkundige, aber eben auch kostenpflichtige Hände, sondern erklären ihre Steuer immer noch selbst. Im Antrag der CDU fehlt darüber hinaus eine langfristige Perspektive für die sonst wiederkehrende Problematik der Fristenballung. Die Ampelkoalition setzt mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz klare Horizonte für eine sinnvoll abgestufte Entzerrung dieses Effekts, nach denen sich in den kommenden Jahren gut steuern lässt. ({5}) Lassen Sie mich darüber hinaus noch einen kurzen Ausblick geben. Auch abseits der Bewältigung der Coronapandemie müssen wir mittel- und langfristig die in die Jahre gekommenen Verfassungswege in Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen reformieren. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, die Erfüllung der steuerlichen Pflichten für Menschen und Unternehmen einfacher zu machen. Das gelingt zum Beispiel durch die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens, die wir konsequent vorantreiben werden. Unser Ziel ist, die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung digital möglich zu machen. Lassen Sie uns also endlich auch beim Thema Steuern den überfälligen Aufbruch in die Moderne wagen und digitale Möglichkeiten im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sinnvoll einsetzen! So oder so: Wir lehnen Ihren Antrag ab. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Klaus Stöber zu uns. ({0})

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu: Das Thema ist angesichts der heutigen Tagesordnung vielleicht nicht ganz so brisant, wie manche das empfinden. Für die Betroffenen ist es aber schon interessant – nicht nur für die Steuerberater, sondern auch für die Unternehmen selbst, die durch die Fristverlängerung natürlich auch entlastet werden; denn mit der Abgabe der Steuererklärung sind natürlich auch Zahlungen verbunden, die sich durch Fristverlängerung zeitlich strecken lassen. Deswegen ist die Frist bis zum 31. August durchaus sinnvoll. Ich möchte aber auch ganz gerne mal auf den Finanzausschuss eingehen. Am 12. Januar 2022 – es ist schon einige Zeit her – hat sich Herr Kollege Schrodi dort in einer etwas flapsigen Art dazu geäußert, dass die Steuerberater ja froh sein könnten, dass sie jetzt vom Staat eine zusätzliche Aufgabe bekommen hätten, nämlich die Beantragung von Coronahilfen für ihre Mandanten. Lieber Kollege Schrodi, ich kann Ihnen versichern: Meine Kollegen haben auch schon vor Corona keine Langeweile gehabt. Wenn wir diese Anträge nicht mit hoher Energie und sehr viel Zeitaufwand gestellt hätten, dann würden heute wahrscheinlich die Hälfte der Hotels, die Hälfte der Gaststätten und die Hälfte der Friseursalons geschlossen sein, und Sie müssten sich Ihr Essen wahrscheinlich bei McDonald’s bestellen. Das ist doch die Realität! Ihnen scheint im Zusammenhang mit diesen Anträgen auch die Dimension nicht ganz bewusst zu sein. Denn der Antwort auf eine Kleine Anfrage meinerseits konnte ich entnehmen: Es wurden 4,4 Millionen Anträge gestellt. Selbst wenn man berücksichtigt, dass davon rund 2 Millionen Anträge auf Coronasoforthilfe gestellt wurden, was die Unternehmer teilweise selbst getan haben, bleiben noch über 2 Millionen Anträge übrig, die die Steuerberater eigenverantwortlich erstellt haben. Es ist für den Finanzminister Lindner vielleicht von Interesse: Die Fördersumme, die da ausgeschüttet wurde, betrug 64 Milliarden Euro. 64 Milliarden Euro sind gezahlt worden. Das war notwendig, weil die Unternehmen sonst nicht überlebt hätten. Ich sage Ihnen aber auch eines: Ein großer Teil dieser 64 Milliarden Euro wäre überhaupt nicht notwendig gewesen, wenn Sie eine vernünftige Coronapolitik gemacht hätten; denn nach dem ersten Lockdown, den auch ich – und viele Kollegen sehen das ähnlich – vielleicht noch akzeptabel gefunden habe, waren der zweite und der dritte Lockdown so was von überflüssig und wirtschaftsschädlich. Das hat diese Generation langfristig gefährdet. Ein Teil dieser 64 Milliarden Euro wäre einfach nicht notwendig gewesen. ({0}) Ich will noch mal auf ein weiteres Problem hinweisen – ich weiß nicht, ob Herr Brehm es schon angesprochen hat –: Wir müssen bis zum 31. Dezember auch noch alle Verwendungsnachweise für die Coronasoforthilfen und Coronaüberbrückungshilfen einreichen. Das heißt, rund 2 Millionen Verwendungsnachweise müssen bis zum 31. Dezember eingereicht werden. Das ist auch eine Frist, die aus meiner Sicht nicht einzuhalten ist. Was auch dazukommt – darüber müssten wir hier im Hohen Hause auch noch mal sprechen –, ist, wie wir mit eventuellen Rückforderungen von Coronahilfen umgehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie haben ja eben gesagt, das Coronaprogramm habe wunderbar funktioniert. Ich kann Ihnen aus der Praxis sagen: Es hat überhaupt nicht funktioniert. Die Richtlinien, die Sie erlassen haben, waren unterirdisch und für den Steuerpflichtigen nicht zu verstehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Einen Satz noch! – Deswegen kann es nicht sein, dass jetzt die Steuerpflichtigen noch mal bestraft werden, nur weil die Richtlinien nicht in Ordnung waren. Deshalb: Zustimmung zum Antrag der CDU/CSU. Vielen Dank. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte, am heutigen Abend vielbeschäftigte Frau Vizepräsidentin! Ich danke hier, glaube ich, auch im Namen vieler. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was machen wir heute? Worum geht es so spät am Abend? Es geht darum, dass wir bei einem alten, langjährigen Problem, nämlich dem Thema „Griechenland und seine Verschuldung“, als Parlament unsere Rechte wahrnehmen und auch dokumentieren müssen, um zu zeigen, dass bei einem Umschuldungswunsch Griechenlands die Möglichkeit für die Bundesregierung besteht, dem auch zuzustimmen. Griechenland ist dabei, ausstehende IWF-Kredite in Höhe von 1,86 Milliarden Euro umzuschulden und eine Teilrückzahlung von bilateralen Krediten in Höhe von 2,65 Milliarden umzuschulden. Umschuldung heißt per se: Irgendwo anders kommen die Schulden her. – Das bedeutet in diesem Fall: Griechenland gibt auf der einen Seite neue Anleihen am Markt aus und tilgt auf der anderen Seite diejenigen beim IWF und unter anderem auch bei unserer KfW, die somit bei den inländischen Problemen in den nächsten Wochen und Monaten die Möglichkeit hat, mit höheren Beträgen aktiv zu sein. Meine Damen und Herren, man könnte jetzt meinen: Das ist bei den aktuellen griechischen Zinsen – dazu komme ich gleich noch – ja eher ein Eigentor; denn die steigen. Hier muss man aber sagen, dass Griechenland rechtzeitig agiert und eine 15-jährige Anleihe begeben hat, deren Zinsen unter den Zinsen liegen, die man dem IWF und auch anderen Schuldnern hätte zahlen müssen. Insofern sage ich ausdrücklich: Das ist kein zusätzliches Risiko. – Das alte Risiko bleibt allerdings. Was macht Griechenland selbst? Das muss man an dieser Stelle auch feststellen – und auch die Gründe, warum die FDP-Fraktion diesem Antrag der Bundesregierung und damit dem griechischen Vorgehen zustimmen kann –: Griechenland macht viele Fortschritte. Wir sehen eine Modernisierung des Finanzwesens, eine Reduzierung der Zahlungsrückstände innerhalb des Landes, eine Reform der Grundsteuer, Fortschritte bei der Privatisierung und beim Abbau ausgefallener Kredite. Aber – und das will ich deutlich sagen – die Bundesrepublik Deutschland ist da nicht naiv. Wir sehen auch, dass die Reformen des Justizsystems, des Vergaberechtes und des Insolvenzrechtes bei Weitem noch nicht so weit sind, wie das seit vielen Jahren versprochen worden ist. Wir sehen auch, dass die notwendige Modernisierung des Sozialabgabensystems – weg vom Gießkannenprinzip –, um speziell die Schwächsten im Land zu unterstützen, immer noch nicht so weit ist, wie wir das eigentlich erwarten. Positive Nachricht: Griechenland gehört zu den ersten Ländern, die die 13 vereinbarten Meilensteine der „Next Generation EU“-Vorgaben erfüllt haben, und wird wahrscheinlich morgen die erste Tranche des Coronawiederaufbaufonds „Next Generation EU“ bekommen. So weit, so gut, so zu machen! Erlauben Sie mir, meine verbleibende Redezeit – das sind 1 Minute und 27 Sekunden – dafür zu nutzen, dem Bundestag eines aus Sicht meiner Fraktion deutlich zu erklären: Das, was nun passiert, ist eine kleine Umschuldung. Die Verschuldungsquote Griechenlands liegt aber noch immer bei rund 207 Prozent. Wir wissen gleichzeitig, dass die Spreads bei den Anleihen Griechenlands im Vergleich zum Beispiel zu den deutschen Anleihen immer weiter nach oben gehen, und das in einer Zeit, in der zudem die Zinsen und die Inflation steigen. Wir sehen auch die immer stärkere Abhängigkeit Griechenlands von der Tourismusbranche, wissend, dass überhaupt noch nicht klar ist, wie die diesjährige Tourismussaison für Griechenland verlaufen wird. Und wir wissen auch überhaupt noch nicht, wie sich der Krieg in der Ukraine auf Griechenland auswirken wird; wir kennen ja noch nicht einmal im Detail dessen Auswirkungen auf unser Land. Hinzu kommt dann noch – auch das muss ich kritisch anmerken –, dass die EZB in ihren geldpolitischen Beschlüssen vom 10. März 2022 explizit gesagt hat, dass sie den Kauf griechischer Anleihen verstärkt durchführen wird. Was all dies bedeutet – ohne hier Kassandra zu spielen –, können wir uns vorstellen. Ich muss deswegen sagen: So gut und so in Ordnung die Nachricht des heutigen Tages ist, so sicher bin ich, dass wir uns mit diesem Thema spätestens nach der Sommerpause in erheblichem und bedenklichem Maße beschäftigen werden müssen. Ich will nicht enden, ohne wieder deutlich auf Shakespeare hinzuweisen: Ich möchte nicht, dass es uns so geht – das kann man nachlesen – wie Timon ({1}) von Athen in Shakespeares Tragödie. Herzlichen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir hören die erste Rede hier im Haus der Kollegin Dr. Inge Gräßle für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ingeborg Gräßle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Nachtschwärmer! Manche müssen halt recht haben bis zum bitteren Ende. Lieber Kollege Fricke, Ihre Einstellung gegenüber Griechenland klang schon mal etwas moderater und positiver. Wer die griechische Krise 2009 erlebt hat, muss sich heute über den vorliegenden Antrag der Bundesregierung eigentlich freuen. ({0}) Wer diesem Haus damals angehört hat, muss sich freuen, dass es durch eine beispiellose Solidaritätsaktion – auch dieses Hauses – gelungen ist, die Europäische Union zu retten und Griechenland im Euroraum zu halten. ({1}) Im Mai 2009 wurde die EFSF praktisch über Nacht aus dem Boden gestampft, und zwar damals von Sozialdemokraten, der Kanzlerin und Finanzminister Schäuble. ({2}) Ich kann Ihnen nur sagen: Das war eine wunderbare, großartige Leistung. Gerade heute, wo es um die Europäische Union herum brennt, sollten wir auch darüber reden. Diese Debatte hätte ein guter Moment sein können, in dem sich dieses Haus über Europa und darüber vergewissert, dass es die Europäische Union zusammenhalten will, womit sie bisher übrigens Erfolg gehabt hat. ({3}) Griechenland ist heute ein sehr viel moderneres Land. Ich selbst habe mehr als einmal an Sitzungen der Financial Assistance Working Group for Greece des Europäischen Parlaments teilgenommen und mich um eine Lösung bemüht, und ich habe auch die sagenhaften Katastergeschichten über viele Jahre verfolgt. Es ist Gott sei Dank nicht so, wie Sie sagen. Ich glaube, dass sich dieses Haus in breiten Teilen bewusst ist, dass gerade Sie bei dieser Frage hier mit den Rechtsaußen zusammenarbeiten. Das finde ich extrem bemerkenswert und sehr, sehr schade. ({4}) Herr Kollege Fricke, ich muss Ihnen auch sagen: Ich hätte meine Rede zu Protokoll gegeben, aber Ihretwegen habe ich sie jetzt gehalten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD] – Otto Fricke [FDP]: Unverschämtheit! Ohne uns hätte es die Parlamentsbeteiligung nicht gegeben! Das ist wirklich schäbig! Wir gehören bei dem Thema zur AfD? Das ist Ihre Meinung? – Gegenruf der Abg. Dr. Ingeborg Gräßle: Sie gehören dahin! Tut mir leid!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bettina Hagedorn hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass es zu dieser Uhrzeit besonders attraktiv ist, Reden zu Protokoll zu geben. Aber die Kollegin Gräßle hat hier gerade schon deutlich gemacht, dass es manchmal auch gut ist, darauf zu verzichten. Ich bedanke mich bei meinem SPD-Kollegen Metin Hakverdi, der auf seinen Redebeitrag verzichtet, und ich verspreche, mich kurz zu halten. ({0}) Es ist mir wichtig, diese Rede zu halten; denn auch wenn es spät ist, ist das, worüber wir hier sprechen, keine Selbstverständlichkeit, und zwar aus zwei Gründen: Erstens hat sich der Deutsche Bundestag aufgrund seiner parlamentarischen Kontrollrechte das Recht erkämpft, dass die Bundesregierung nur dann dem Antrag von Griechenland auf vorzeitige Tilgung von IWF-Krediten sowie EFSF- und ESM-Hilfen zustimmen darf, wenn wir Parlamentarier zuvor zustimmen, was wir heute Abend – davon bin ich fest überzeugt – in ganz großer Mehrheit tun werden. Das haben wir nämlich schon ganz oft getan. Ich habe ein bisschen das Gefühl: Same procedure as every year. Das ist meine fünfte Rede zu einem solchen Antrag im Bundestag. Meine erste Rede war vor sieben Jahren anlässlich des Antrags Portugals 2015. Meine zweite Rede folgte kurz darauf, 2018 – ebenfalls zu einem Antrag Portugals –, und 2019, 2021 und 2022 hat Griechenland entsprechende Anträge gestellt. Ich muss sagen: Jedes Mal ist es ein Tag der Freude, wenn wir einem solchen Antrag zustimmen dürfen. Ich möchte mich da der Kollegin Ingeborg Gräßle ausdrücklich anschließen. Zweitens. Diejenigen, die schon lange Mitglied des Bundestages sind und die die Finanz- und Wirtschaftskrise miterlebt haben – zu diesen gehöre ich –, wissen, was das für eine schwierige Situation für viele europäische Länder war und wie glücklich wir als Europäer darüber sein können und müssen – gerade in der heutigen Zeit, in der ein Land wie die Ukraine nach nichts so sehr strebt wie nach Europa –, dass wir mit unserer Solidarität Nachbarländer wie Irland, Portugal, Zypern und Griechenland dabei unterstützen konnten, durch diese schwere Krise zu kommen. Das haben wir getan, das hat der IWF getan. ({1}) – Ja, ich finde, das verdient einen ordentlichen Beifall. ({2}) Das war gelebte europäische Solidarität. Wenn sich diese Länder von den unattraktiven Zinsbedingungen beim IWF befreien können, obwohl sie aufgrund der Parallelitätsklausel die Schulden beim IWF nur tilgen können, wenn sie gleichzeitig die EFSF- und ESM-Schulden tilgen, und einen entsprechenden Antrag stellen, dann hat der Bundestag das immer mit großer Mehrheit beschlossen. Ich sage: Es geht in diesem Fall um einen Kredit in Höhe von etwas über 1,8 Milliarden Euro und um Zinseinsparungen in Höhe von 17 Millionen Euro. Das sind insofern Peanuts, als dass diese Summen den griechischen Staatsetat natürlich nicht konsolidieren werden. Aber es geht um die Frage der Souveränität. Wir müssen uns in die Lage der betreffenden Länder versetzen, die damals sehr wohl unter der Knute der Troika gestöhnt haben, die das Gefühl hatten, dass sie ihrer Souveränität beraubt sind, und die heute eine tiefe Dankbarkeit empfinden, wenn sie sich wieder aus dieser Abhängigkeit befreien können, und zwar mit unserer Zustimmung. Das ist ein Zeichen dafür, dass diese Länder gut durch die Krise gekommen sind, und zwar dank unserer Solidarität. Das ist Europa! ({3}) Wir sind als Europa so attraktiv, weil wir solche Solidaritätsleistungen vollbringen. Insofern: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte stimmen Sie, wie in der Vergangenheit, mit großer Mehrheit dem vorliegenden Antrag zu. Es ist ein Tag der Freude für Europa. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Peter Boehringer für die AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Griechenland möchte Teile seiner Schulden bei der sogenannten Greek Loan Facility ablösen – nicht nur beim IWF, über den hier alle sprechen. Diesem Teil des Ansinnens stimmen wir zu – vermutlich mit Ihnen allen gemeinsam; darüber dürfen Sie sich jetzt freuen –, weil dadurch der deutsche Steuerzahler immerhin zu 1,5 Milliarden Euro aus dem Ausfallrisiko seiner Kredite an Griechenland kommt. Griechenland will aber eben auch wieder einmal Kredite des IWF ablösen. Am IWF ist Deutschland jedoch nicht mit knapp 30 Prozent, sondern nur mit gut 5 Prozent beteiligt. Hier sollte Deutschland darum nicht auf Griechenlands parallele Tilgungspflicht bei EFSF und ESM verzichten, weil durch diesen Verzicht fast keine Risikominderung für Deutschland erreicht werden könnte. Ganz generell – das klang ja eben schon an – muss man die Sinnhaftigkeit der geplanten Ablösung von IWF-Krediten ökonomisch hinterfragen; denn Griechenland kann sich derzeit zu etwa 1,5 Prozent refinanzieren – das sind die fünfjährigen Anleihen, Kollege Fricke –, was für einen solchen Schuldner noch immer spottbillig ist und nur durch die faktisch bestehende EU-Gemeinschaftshaftung, durch deutsche Bonität überhaupt möglich ist. Doch selbst diese lächerlichen 1,5 Prozent bei fünfjährigen Anleihen liegen noch über dem Zinssatz der IWF-Kredite von 1 Prozent, von dem heute die Rede ist. Kollege Fricke, selbst bei den 15‑jährigen Anleihen liegt der Zinssatz bei 1,2 Prozent; auch das ist mehr als 1 Prozent. ({0}) Hier macht die Umschuldung eigentlich keinerlei Sinn. Sehr wohl würde sie aber Sinn machen bei der Ablösung der etwas höher verzinsten Kredite von ESM und EFSF, was aber seltsamerweise gerade nicht geplant ist. Man muss hier daran erinnern, warum 2012 die Eurorettungsinstitutionen geschaffen worden sind. Angeblich war Griechenland damals nicht mehr kapitalmarktfähig. Das war aber damals schon ökonomisch falsch. Jedes Land ist immer kapitalmarktfähig. Es ist einfach nur eine Frage des Zinssatzes. Griechenland wollte damals aber keine 8 Prozent Zinsen zahlen. Also verlangten die EU-Finanzminister und der IWF einfach Zinssätze zwischen 1 und 3 Prozent, retteten so Griechenland, mal wieder den Euro und vor allem ihre eigenen Jobs. ({1}) Griechenland hat inzwischen dank EZB und EU-Transfergemeinschaft zu Deutschlands Lasten eindeutig wieder Zugang zum Kapitalmarkt, sogar zu den eben genannten Traumkonditionen. Griechenland wäre also in der Lage, über den ganz regulären Kapitalmarkt beides zu leisten: die Rückzahlung der IWF-Tranche, wie gewünscht, und parallel die Rückzahlung an ESM und EFSF. Deutschland würde damit auf einen Schlag viele Milliarden Euro toxischer Kredite los. Dieses Vorgehen würde die AfD selbstredend mittragen. ({2}) Ein Verzicht auf unsere Tilgungsrechte läuft deutschen Interessen aber zuwider. Und durch diesen wiederholten Verzicht – wir haben ja eben gehört, wie oft das schon passiert ist – setzt sich auch fest, dass ESM und EFSF gar keine ernstzunehmenden Gläubiger sind, sondern als Umverteilungsvehikel innerhalb der Eurozone fungieren können. Genau dies ist – wie so oft – EU-ropäische Realität, wie immer auf deutsche Kosten. Das ist EU-ropa, Kollegin Hagedorn. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Sven-Christian Kindler zu uns für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es klar zu sagen: Wir stimmen heute der vorzeitigen und finalen Rückzahlung von rund 1,86 Milliarden Euro an IWF-Krediten und auch der Teilrückzahlung von Krediten der Greek Loan Facility zu. Das stärkt das Schuldenmanagement Griechenlands, das stärkt die Schuldentragfähigkeit Griechenlands, und das sorgt dafür, dass wir mehr finanzielle Stabilität in Griechenland und in Europa haben. Deswegen werden wir heute zustimmen. ({0}) Ich will zu später Stunde noch einmal sagen: Wir sollten in der Debatte hier fair bleiben, wenn wir die Vergangenheit betrachten. Ich will daran erinnern, dass es der Finanzminister der CDU war, der damals versucht hat, Griechenland aus der Eurozone zu mobben. Ich finde, wir sollten unter demokratischen Partnern auch über die ganze Historie im Zusammenhang mit Griechenland reden. Es gab häufig Unterschiede zwischen der Fraktion der Grünen sowie der FDP-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion. Was aber nicht geht, ist, die FDP mit einer rechtsextremen Partei hier im Plenum gleichzusetzen. Es gab deutliche Unterschiede in der Bewertung Griechenlands in der Europapolitik. Ich finde das, was Sie, Frau Gräßle, in Ihrer Rede hier gemacht haben, nicht in Ordnung. ({1}) Das, was wir heute machen, ist ein wichtiges Signal für Europa. Wir zeigen: Wir können unsere Probleme in Europa auch selbst lösen. Wir werden jetzt den IWF als Kapitalgeber ablösen. Der IWF bleibt im Monitoring dabei; das ist so weit auch okay. Aber wir müssen auch sehr klar sagen: Wir wollen, dass Europa seine Probleme selber, souverän löst. Das ist heute der Fall. Deswegen ist es ein gutes Signal für Europa, dass Griechenland jetzt die IWF-Kredite final tilgt. ({2}) Ich finde, wir müssen aber auch selbstkritisch mit dem Krisenmanagement in Griechenland umgehen. Es gab in Griechenland viele verkrustete Strukturen – die waren auch selbstverschuldet – beim Justizsystem, bei der Steuerverwaltung, im öffentlichen Sektor insgesamt. Aber wir haben auch gesehen, dass zu harte Sparmaßnahmen in sehr kurzer Zeit das Land deutlich überfordert haben, die Krise verschärft haben; das hat zu mehr Armut, mehr Arbeitslosigkeit und am Ende auch mehr Schulden geführt. Und wir haben auch falsche Privatisierungsentscheidungen gesehen! Zum Beispiel wurde der wichtige europäische Hafen Piräus, der Hafen von Athen, privatisiert und absurder- und ironischerweise an ein chinesisches Staatsunternehmen verkauft. Jetzt ist einer der wichtigsten Häfen Europas in der Hand eines chinesischen Staatsunternehmens. Das schwächt die europäische Handlungsfähigkeit, das schwächt unsere Souveränität. Das war ein großer Fehler. So etwas darf sich in der Zukunft in Europa nicht wiederholen! ({3}) Wir erleben gerade in Deutschland und in Europa eine massive Abhängigkeit von einem autokratischen Staat, nämlich Russland, und zwar bei russischem Erdgas und bei russischer Energieinfrastruktur. Deswegen ist es so wichtig, dass wir in den kommenden Debatten in Europa auch gucken, wie wir dafür sorgen können, unsere öffentlichen Güter in Europa und unsere Infrastruktur souveräner zu gestalten, und dafür auch in die Zukunft investieren. Mir und uns als Fraktion ist wichtig, dass wir jetzt schauen, dass wir Europa zusammenhalten. Europa war in den letzten Jahren nie so einig wie in der Reaktion auf diesen schrecklichen Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine. Diese Einigkeit gilt es auch in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren zu erhalten und zu kräftigen. Zentral dafür wird sein, dass wir unsere Souveränität stärken, gerade auch unsere Energiesouveränität. Wir müssen nicht nur von den fossilen Energieträgern Gas, Kohle und Öl des russischen Staates, sondern auch anderer autokratischer Staaten wegkommen. Auch unsere digitale Souveränität in Europa müssen wir stärken, um geopolitisch handlungsfähig zu sein; das wird zentral sein. Das müssen wir dann auch bei finanzpolitischen Entscheidungen auf europäischer Ebene in den kommenden Wochen und Monaten absichern. Wir müssen die richtigen Entscheidungen treffen, damit wir die Fehler der Finanzkrise nicht wiederholen. Wir dürfen uns nicht kaputtsparen, sondern müssen die notwendigen Investitionen in unsere digitale Souveränität und dafür vornehmen, dass wir auch die energiepolitische Transformation bewältigen können. Vielen Dank. ({4})

Dr. Christiane Schenderlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich freue mich, dass Sie zu dieser späten Stunde noch zu uns gekommen sind. „Die Freiheit ist mir lieber als mein Leben“: So lautet der Titel der von Karin König geschriebenen Biografie des sächsischen Oberschülers Hermann Flade, der 1951 nach einer Flugblattaktion als 18-Jähriger zum Tode verurteilt wurde. Erst nach einem großen Proteststurm wurde die Todesstrafe in 15 Jahre Haft umgewandelt. Hermann Flade: ein Name unter vielen. Fast 3 000 Todesurteile verhängte das sowjetische Militärtribunal bis 1955 gegen Zivilisten in der DDR. Erst mit dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs vor 32 Jahren war es in den Ostblockstaaten überhaupt möglich, über Leid und Verfolgung zu sprechen und Opferverbände zu gründen. In fast allen osteuropäischen Staaten gibt es bereits Denkmale für die Opfer des Kommunismus, so zum Beispiel in Bulgarien, Rumänien oder Albanien und sogar in der Ukraine. In Kiew erinnert das Mahnmal für die Opfer des Holodomor an die bis zu 7 Millionen Menschen, die der großen Hungersnot durch Stalins Zwangskollektivierung zum Opfer fielen. Vor zwei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag endlich beschlossen, auch in Deutschland ein Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zu errichten; damit konnten wir eine langjährige Forderung der Opferverbände erfüllen. Die Konzeption dafür steht, doch leider gibt es immer noch keine Entscheidung zum Standort; die Prüfung durch das Land Berlin ist nicht abgeschlossen. Wir präferieren als Ort ganz klar die Scheidemannstraße. Die DDR war eine kommunistische Diktatur, in der viele Menschen unter Willkür und Verfolgung gelitten haben und die viele unschuldige Opfer gefordert hat. In meinem Wahlkreis liegt der frühere Jugendwerkhof Torgau, welcher der direkten Leitung von Margot Honecker unterstand. Fast 500 000 Minderjährige mussten in der DDR in Spezialheimen menschenunwürdige Bedingungen und militärischen Drill ertragen. Über 250 000 Menschen saßen unschuldig, aus politischen Gründen, in DDR-Gefängnissen, darunter 35 000 Frauen. Es ist höchste Zeit, dass auch in Deutschland mit einem nationalen Denkmal an diese Opfer erinnert wird. Wir können das Leid nicht ungeschehen machen; aber wir wollen es lindern und vor allen Dingen daran erinnern. Das Mahnmal soll Betroffenen und Hinterbliebenen einen Ort für ihre Trauer geben, den Widerstand gegen die Diktatur würdigen und zugleich an die nachfolgenden Generationen appellieren, sich für Freiheit und Demokratie einzusetzen. Wir freuen uns, dass unser Antrag dazu geführt hat, dass auch die Ampel einen eigenen Antrag einbringt. Das unterstreicht noch einmal: Es gibt eine parteiübergreifende Unterstützung für dieses Mahnmal; am Parlament liegt es nicht. Also, sehr geehrte Frau Staatsministerin Roth, respektieren Sie dieses klare Votum, handeln Sie! Die Standortvorschläge liegen auf dem Tisch. Entscheiden Sie jetzt, und unterstützen Sie unser Anliegen, zum 70. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR, am 17. Juni 2023, den Grundstein für dieses Mahnmal zu legen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Katrin Budde hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Mittag über die Enquete-Kommission debattiert und sie auch gewürdigt und geehrt. Frau Schenderlein, Sie irren sich allerdings: Die Forderung nach dem Mahnmal kommt aus der Enquete-Kommission und stammt von 1992. Von den 30 Jahren seither hat die CDU 22 Jahre mitregiert. Als ich 2017 in den Bundestag gekommen bin, bin ich auf das Mahnmal angesprochen worden, und ich habe mir dann die Geschichte einmal angeguckt; Herr Dombrowski und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hatten mich darauf angesprochen. Ich habe dann, Gott sei Dank, Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion gefunden – Frau Connemann, Frau Motschmann –, mit denen zusammen wir das, was die CDU/CSU-Fraktion 2015 blockiert hat, wieder gängig gemacht haben. – Sie sollten hier, wenn, dann die ganze Geschichte erzählen! ({0}) Dann ging es zügig – Gott sei Dank. Vielleicht sollten Sie die Damen einmal fragen; denn mit denen war das eine super Zusammenarbeit. Im Übrigen kann ich von denen, die jetzt mit uns in der Ampelkoalition sind, nicht sagen, dass sie eine solche Art von Anträgen eingebracht hätten, nur um hier den Lauten zu geben. ({1}) Die BKM hatte schon lange den Auftrag, ein Gedenkstättenkonzept zu erarbeiten. Dass das so durcheinandergeht, liegt ganz sicher nicht an Frau Roth. Sie haben sie am 12. Januar dieses Jahres gefragt; sie ist seit dem 8. Dezember letzten Jahres im Amt. Sie hätten die Fragen, die Sie haben – warum das nicht funktioniert hat –, der ehemaligen BKM, Ihrer Kollegin Grütters, stellen sollen. Das wäre die richtige Fragestellung gewesen. Es hätte auch dieses Antrages hier nicht bedurft; denn wir sind uns in der Sache einig. Und ich muss sagen – das war das Schöne daran –: Wir sind uns in der letzten Legislatur über fast alle Fraktionen hinweg einig gewesen, wie wichtig dieses Mahnmal ist, und wir haben uns nichts gegenseitig vorgehalten. Was Sie hier heute getan haben – auch mit diesem Antrag –, so zu tun, als ob die Koalition nicht dahinterstehen würde, als ob man Frau Roth auffordern müsste, dies zu tun, ist in einem großen Maße unredlich; das habe ich wirklich schon lange nicht mehr in diesem Bundestag erlebt. ({2}) – Schütteln Sie lieber nicht den Kopf! Sie waren in der letzten Legislatur auch im Ausschuss, Herr Kollege. ({3}) Zu dem Standort: In Ihrer Fraktion wird genau wie in allen anderen Fraktionen darüber debattiert, wo das Mahnmal errichtet werden soll. Wir haben alle in unseren Fraktionen konkurrierende Ideen für den Standort Scheidemannstraße: Da ist das sogenannte Polendenkmal, da ist das Dokumentationszentrum zum Vernichtungskrieg gen Osten, da ist das Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. – All diese Vorschläge zielen auf die Scheidemannstraße ab; die konkurrieren miteinander. In Ihrer Fraktion gibt es dazu, wie in allen anderen Fraktionen auch, unterschiedliche Auffassungen; da gibt es keine klare Meinung, welches Mahnmal da genau errichtet werden soll. Hinzu kommt – das wissen Sie auch ganz genau –: Dieser Standort gehört weder dem Bund noch dem Land Berlin; er gehört Berlin-Mitte. Und es ist Grünland! Es ist nicht einmal bebauungsfähig. Als dann das Konzept fertig war – das war eine geniale Idee: alle zusammen haben ein super Konzept für das Mahnmal erarbeitet, und es ist im Dezember übergeben worden –, hat die Kollegin Grütters Herrn Lederer angeschrieben. Und dann war Ruhe! ({4}) Wir haben im Ausschuss, in der letzten Sitzung 2021, gemeinsam eine Protokollerklärung verfasst, dass sich die Kulturpolitiker/-innen als Standort für dieses Mahnmal die Scheidemannstraße wünschen, und dazu stehen wir auch noch. Aber wir wissen nicht einmal, ob der Standort überhaupt möglich ist. Und jetzt zum Mahnmal selbst. Damit das Thema nicht untergeht und nicht nur die Erklärung meinerseits nachher im Protokoll steht, die Sie auch vorher hätten nachlesen und nachfragen können, will ich gerne noch einmal wiederholen: In den Diktaturen des Ostens – in unterschiedlich langen Zeiträumen – gab es ganz viele Opfer. Es ist in der Tat höchste Zeit, dass wir diesen Opfern auch in Deutschland ein Mahnmal errichten. Wir haben in Deutschland eine gute Aufarbeitungslandschaft, wir haben eine gute Erinnerungs- und Gedenkstättenlandschaft. Wir haben die Unterlagen der Staatssicherheit gesichert, zugänglich gemacht, aufgearbeitet, und wir haben sie mit einem guten Gesetz in das Bundesarchiv überführt. Wir haben mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine hervorragende Einrichtung, die die Aufarbeitung vorantreibt, politische Bildung macht. Wir haben die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur. Wir haben in den Ländern Landesbeauftragte. Wir haben Orte und Gedenkstätten. Wir unterstützen Vereine und Verbände, allen voran die UOKG, die sich dem Thema „Aufarbeitung und Betreuung der Opfer“ verschrieben hat und leidenschaftliche Arbeit leistet. Und wir haben gute Gesetze zur Rehabilitierung der Opfer der kommunistischen Diktatur – gute Gesetze, die aber immer weiter verbessert werden müssen. Das steht auch im Koalitionsvertrag, genauso wie das Mahnmal unter dem Stichwort „Gedenkstättenkonzeption“ – es geht um eine gemeinsame Konzeption – im Koalitionsvertrag steht. Vieles ist bei diesem Mahnmal inzwischen getan. Was noch nicht in trockenen Tüchern ist, ist der Standort. Das werden wir auch noch schaffen, weil wir wissen, dass das Mahnmal wichtig für die Opfer ist – für die Opfer, die in den Gefängnissen saßen und offenes Leid erlebt haben, aber eben auch für all jene, die im ganz normalen Alltag Opfer geworden sind, ob es Schüler, die kein Abitur machen durften, Opfer von Zersetzungsmaßnahmen, deren Familien subtil zerstört worden sind, Eltern, deren Kinder gegen ihren Willen zur Adoption freigegeben worden sind, Künstlerinnen und Künstler, die ihren Beruf nicht ausüben durften, oder all jene waren, die unter den alltäglichen, normalen Alltagsrepressionen gelitten haben. Übrigens: Die Wurzeln der Partei der BKM liegen bei Bündnis 90 im Herbst 1989. Es ist daher skurril, zu unterstellen, dass es kein Anliegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sei, sich genauso leidenschaftlich für die Verwirklichung dieses Denkmals einzusetzen wie wir anderen Parlamentarier hier auch. ({5}) Ich wünsche mir, dass das nach diesem Intermezzo wieder als überparteiliche Aufgabe angesehen wird und dass wir gemeinsam entweder unsere Fraktionen und Berlin-Mitte davon überzeugen, einen Standort zwischen Scheidemannstraße und Bundeskanzleramt zu nehmen, oder dass wir einen anderen würdigen Standort finden. Wie die endgültige Entscheidung aussehen wird, wissen wir heute nicht; niemand kann das seriös voraussagen. Aber bis auf den Standort, der noch nicht geklärt ist, gibt es eine große Gemeinsamkeit in diesem Hause, und die wünsche ich mir zurück. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Götz Frömming hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon ein bisschen verwundert. Nachdem ich den beiden Vorrednern zugehört habe, muss man sich schon fragen: Was haben Sie eigentlich die ganze Zeit gemacht? – Frau Budde befindet sich gerade in einem Gespräch, wie ich sehe. Dann fange ich mit der Kollegin von der CDU/CSU-Fraktion an. Sehr geehrte Frau Kollegin, die CDU/CSU-Fraktion hat ja die sogenannte BKM gestellt. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie wir sie, als sie im Kulturausschuss war, gefragt haben, wie es nun vorangegangen ist. Es gab schließlich mehrere Beschlüsse des Deutschen Bundestages. Richtig, die Initiativzündung kam schon in den 90er-Jahren. Aber die Beschlüsse haben wir schon 2015, 2019 gefasst. Nun ist schon die dritte Legislaturperiode, in der wir wieder etwas beschließen. Drei Mal nimmt dieser Bundestag Anlauf. Meine Damen und Herren, wir müssen endlich auch einmal schießen und dürfen nicht nur Anlauf nehmen. ({0}) Sie müssen sich schon fragen lassen, was Frau Grütters in dieser Zeit denn gemacht hat. Und, Frau Budde, mit Verlaub, ich nehme Ihnen schon ab, dass Sie verwundert waren, als auf die Nachfrage, wer denn nun bei der BKM für die Fortentwicklung des Mahnmals zuständig sei, die Antwort kam: Na ja, da haben wir eine Praktikantin abgestellt; die betreibt das ein bisschen nebenbei. – Da waren Sie entsetzt, da waren wir alle entsetzt. Sie haben der BKM dann sozusagen die Pistole auf die Brust gesetzt, wir als Ausschuss haben gesagt: Das muss vorangehen! – Aber es ist offenbar immer noch nicht vorangegangen. Das, meine Damen und Herren, ist ein Riesenproblem; denn wir haben es hier mit einer Verschleppung zu tun, die sich schon über 30 Jahre hinzieht. Nun könnten Sie natürlich sagen: Wir sind ja 30 Jahre auch gut ohne dieses Mahnmal ausgekommen; dann kommt es doch auf ein paar Jahre mehr auch nicht an. – Aber, meine Damen und Herren, schauen wir einmal, was wir derzeit erleben: Wir haben eine Innenministerin – heute Morgen war das wieder Thema –, die für das Magazin „antifa“ schreibt. ({1}) Wir haben einen Bundespräsidenten, der Gudrun Ensslin zu einer bedeutenden Persönlichkeit der Weltgeschichte erklärt. Und wir haben eine demokratische Opposition, die nach dem Willen aller anderen Fraktionen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden soll. ({2}) Meine Damen und Herren, Sie mögen das als Lappalien abtun; das sind aber keine Lappalien, das sind Alarmzeichen für den Zustand unserer Demokratie. ({3}) Angefangen hat es hier ganz links mit dem Framing: wir, die demokratischen Parteien. – Dieses Virus hat sich fortgepflanzt und ist jetzt bei der Union angekommen. Wenn ich das immer höre, „wir, die demokratischen Parteien“, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, sich einmal an die Geschichte zu erinnern. Wer hat sich denn immer selber demokratisch nennen müssen? Das war die Deutsche Demokratische Republik. Oder die Demokratische Republik Kongo. Schlagen Sie mal im Lexikon nach, wie Nordkorea sich selbst bezeichnet! Auch dieses Land bezeichnet sich als demokratisch. Wer wirklich Demokrat ist, meine Damen und Herren, der muss das nicht ständig als Mantra vor sich hertragen, ({4}) der lebt das tagtäglich, und der akzeptiert auch eine Opposition, die eine andere Meinung hat. Schauen Sie sich bitte unseren Antrag an; er zeigt einen klaren Weg auf, wie wir schnell zu einem Denkmal kommen können. Sie müssen ihm nur zustimmen. Lassen Sie uns in dieser Legislaturperiode endlich das Mahnmal errichten! Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Hacker hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über 1 Million Jahre Gefängnis, zu so vielen Jahren wurden Schätzungen der Bundesstiftung Aufarbeitung zufolge, liebe Frau Kaminsky, die fast 250 000 politischen Häftlinge in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR verurteilt. Tausende Kinder und Jugendliche wurden in den Heimen und Jugendwerkhöfen der DDR um eine unbeschwerte Kindheit und Jugend gebracht. Mindestens 140 Menschen fanden beim Überqueren der Berliner Mauer ihren Tod. Und Hunderte gestohlener Kinder wurden ihren Eltern per Zwangsadoption entrissen und bis heute nicht mit ihnen wiedervereint. Ungezählt bleiben der Kummer und die Verzweiflung derer, die in ihrem alltäglichen Leben Repressalien, Bespitzelung und Unfreiheit erleben mussten. Es sind Menschen, denen Freiheit über alles ging, Menschen, die mutig Widerstand geleistet haben, Menschen, denen von ihrem Staat verwehrt wurde, ihr Leben selbstbestimmt zu leben, die wegen ihrer Haltung verfolgt, verhaftet, ermordet wurden. Unsere Erinnerungskultur kennt an vielen authentischen Orten stille Zeitzeugen oder lebendige Gedenkstätten für das Leid Tausender Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. Deutschland hat nicht vergessen, wie sich Unfreiheit anfühlt. Erinnerungen an die dunklen Zeiten werden im ganzen Land lebendig gehalten. Was in Deutschlands dezentraler Erinnerungslandschaft dennoch fehlt, ist ein zentrales Mahnmal des Gedenkens all dieser Menschen. In vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks erinnern Mahnmale an die Millionen Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. Zu Recht, sehr geehrter Herr Dombrowski, fordern die Opferverbände ein solches Mahnmal auch in Deutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit, hier in Berlin, hier im Herzen Deutschlands, diesen zentralen Ort zu schaffen. Es ist gut, dass sich der Deutsche Bundestag in der letzten Wahlperiode erneut mit einer großen Mehrheit dafür entschieden hat. Unsere Aufgabe ist es nun, dieses Vorhaben umzusetzen, und zwar zügig. Wir brauchen einen neutralen Platz, der nicht bereits durch seine Geschichte Elend und Schmerz in den Wänden trägt, sondern den Menschen abseits von dicken Gefängnismauern oder der Stätte ihres ganz persönlichen Leids Raum für Trauer, für Erinnerung, für Versöhnung gibt, einen Ort für alle Opfer, einen Ort, der keine und keinen vergisst und dadurch alle in das Erinnern einschließt, alle Opfer, denen Leistungen nicht länger durch bürokratische Hindernisse verweigert werden dürfen, alle Opfer, denen wir mit der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke endlich eine Stimme hier, direkt bei uns im Bundestag, gegeben haben, eine Stimme, liebe Frau Zupke, die zuhören kann, die wahrnimmt und Wertschätzung gibt; vielen Dank dafür! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es reicht nicht, sich jährlich am 9. November an Einigkeit und Freiheit und Überwindung des Kommunismus zu erfreuen. Das Erinnern an das Leid der Opfer ist die konsequente Fortsetzung transparenter Aufarbeitung, kein Schlussstrich. Das Erinnern an das Leid der Opfer ist ein gesamtdeutsches Erinnern, es geht uns alle an. Keine Mauern sperren uns mehr ein, keine Grenzen trennen uns mehr. Die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft leben heute in ganz Deutschland, Europa und der Welt. Das Mahnmal schafft eine Verbindung zwischen all diesen Menschen, die ein Gedanke eint: die Liebe zur Freiheit. Es eröffnet die Chance, eine Brücke zu kommenden Generationen zu schlagen, junge Menschen für die Werte unserer freien Gesellschaft zu sensibilisieren und immer wieder ins Bewusstsein zu rücken, dass es sich lohnt, mutig für Freiheit und Demokratie einzustehen. Deswegen wollen wir eine schnelle Standortentscheidung treffen und die weiteren Planungen des Mahnmals an zentraler Stelle in Berlin zügig voranbringen. Schaffen wir einen Ort des Erinnerns in der Gegenwart, der Vergangenes nicht vergessen lässt. Schaffen wir einen Ort der Erinnerung daran, wie sehr wir Demokratie und Freiheit brauchen und dass wir sie immer wieder von Neuem mit ganzer Kraft verteidigen müssen. Vielen Dank. ({1})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Deutschland stöhnt unter den extremen Energiepreisen, die wegen der Spekulation der Konzerne, der deregulierten Märkte, letztendlich der Profitgier so hoch sind. In Bolivien wurde Wasser zur Existenzfrage. In Großbritannien stiegen die Preise bei sinkender Qualität, und die Wasserinfrastruktur verrottete. Das passiert, wenn man die Wasserinfrastruktur komplett privatisiert. In Deutschland versuchen Konzerne wie Veolia, RWE, EON, die Privatisierung voranzutreiben. Wasser darf nicht wie Energie zur Ursache von Armut werden! ({0}) Deshalb fordert Die Linke in ihrem Antrag die Rekommunalisierung der Wasserwirtschaft. Wasser gehört uns allen. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, Wassermangel ist in vielen Regionen Deutschlands eine reale Bedrohung. Die Goldene Aue in Thüringen hat beste Böden und trotzdem oft schlechte Ernten. Es regnet immer weniger. Die Spree fließt manchmal rückwärts, weil im Spreewald mehr Wasser verdunstet, als Regen fällt. Bei Hitzewellen wird das Trinkwasser knapp. „Bis zum letzten Tropfen“ heißt eine Dokumentation der ARD, welche Defizite und Widersprüche unseres Umgangs mit Wasser offenlegt. Danke an die ARD für diese Öffentlichkeitsarbeit! ({2}) Behörden genehmigen oft blind – wegen fehlender Fachkenntnis, veralteter Statistik, fehlender Daten –; dies gilt insbesondere beim Grundwasser. Fatal ist, dass das Handeln oft an Länder- und Kreisgrenzen endet. Hinzu kommen Entscheidungen nach wirtschaftlichen statt wasserfachlichen Kriterien. So gräbt sich Deutschland selbst das Wasser ab. Schluss damit! ({3}) Der Bund muss Wassermanagement nach Gewässereinzugsgebieten und in Grundwasserkörpern koordinieren; das fordert Die Linke. ({4}) Bei der Ansiedlung von Tesla im trockenen Brandenburg hätte selbstverständlich die Wasserverfügbarkeit geprüft werden müssen. Aber jetzt wird es eng in trockenen Jahren. Coca-Cola schloss die Produktion in Weimar und wollte in Lüneburg mehr Grundwasser nutzen, als verfügbar ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. – Zum Glück wurde diese Umsiedlung gestoppt. Wir fordern endlich eine nationale Wasserstrategie. Vielen Dank. ({0}) Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Leistung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich bedanke mich zurück und gebe als Nächstem das Wort dem Kollegen Dr. Jan-Niclas Gesenhues für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Jan Niclas Gesenhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Fraktion Die Linke! „Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht“, damit haben Sie Ihren Antrag eingeleitet, und das ist völlig richtig. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Wasserschutz ganzheitlich angehen. Das bedeutet, dass wir die Qualität des Trinkwassers sichern, die Natur als Wasserreservoir schützen und dafür sorgen, dass die Preise bezahlbar bleiben. Richtig ist an der Stelle auch: Die öffentliche Hand ist bei dieser Aufgabe ein ganz wichtiger Akteur. In der Realität zeigt sich – Sie haben es angesprochen –, dass häufig gerade die öffentlichen Trinkwasserversorger dafür sorgen, dass die Preise bezahlbar bleiben, dass langfristig in Infrastruktur investiert wird und dass der Umweltschutz im Blick behalten wird. Es ist eben nicht so, dass Private es immer besser können, im Gegenteil; das zeigt die öffentliche Trinkwasserversorgung, und es ist wichtig, das hier festzustellen. ({0}) Es ist völlig richtig, dass wir die Kommunen dabei unterstützen, die Wasserversorgung in der öffentlichen Hand zu halten. Entscheidend ist, dass wir dafür sorgen, dass unsere Kommunen handlungsfähig sind. Da haben Bund und Länder natürlich eine wichtige Verantwortung. Wir müssen uns konsequent entgegenstellen, wenn versucht wird, die öffentliche Trinkwasserversorgung zu privatisieren. Niemand, meine Damen und Herren, darf unsere Kommunen dazu zwingen, die öffentliche Daseinsvorsorge zu privatisieren – diese Entscheidung treffen die Kommunen für sich. ({1}) Aber – jetzt muss ich doch ein bisschen Wasser in den Wein gießen – an einigen Stellen greift der Antrag dann doch ein bisschen zu kurz: Erster Punkt. Wir haben in Deutschland die kommunale Selbstverwaltung. Das ist auch gut so; das ist eine wichtige Errungenschaft. Die Kommunen entscheiden am Ende des Tages immer selber für sich, wie sie ihren Bürgerinnen und Bürgern die beste Versorgung zur Verfügung stellen. Übrigens entscheiden sich nach wie vor 70 Prozent der Kommunen bewusst dafür, das durch öffentliche Versorger zu tun. Der zweite Punkt – wo ich mir von Ihrem Antrag ehrlicherweise ein bisschen mehr erwartet hätte –: Ich finde, wir brauchen nicht nur den Blick auf die Gesellschafterstruktur, sondern wir brauchen eine ganzheitliche Wasserstrategie, die auch auf die Gesundheit der ökologischen Systeme achtet. Denn am Ende ist eine intakte Natur immer noch der beste Garant für sauberes Trinkwasser; weil die Natur das Wasser klärt, speichert und ein wichtiger Verbündeter für die Anpassung an die Klimakrise ist. ({2}) Das Problem ist nur: Unsere ökologischen Systeme stehen massiv unter Druck. Wir sind wirklich an einem Punkt, wo wir uns entscheiden müssen: Wollen wir immer mehr Industrialisierung der Landwirtschaft? Wollen wir immer mehr Druck auf unsere ökologischen Systeme, durch Industrie und Wirtschaft? Oder wollen wir auf Dauer sauberes und bezahlbares Trinkwasser? – Beides zusammen wird es auf Dauer nicht geben. Deswegen ist für uns Grüne völlig klar: Der Schutz unseres Trinkwassers steht an vorderster Stelle! ({3}) Genau hier setzt unsere Bundesregierung an, mit einer umfassenden, ganzheitlichen Wasserstrategie: indem wir die Wasserrahmenrichtlinie konsequent umsetzen; indem wir der öffentlichen Trinkwasserversorgung die Vorfahrt gewähren; indem wir die Widerstandsfähigkeit gegen die Klimakrise ausbauen; indem wir international zusammenarbeiten, um das Menschenrecht auf Zugang zu Wasser durchzusetzen; indem wir Moore und Feuchtgebiete besser schützen; indem wir die Digitalisierung nutzen, um die Wasserversorgung zu verbessern; und vor allem auch, indem wir Verursacher konsequent zur Verantwortung ziehen, wenn sie unser Wasser verunreinigen, meine Damen und Herren. ({4}) Damit machen wir die Wasserversorgung zukunftsfest, nachhaltig und bezahlbar. Das ist die ganzheitliche Strategie dieser Bundesregierung. Ich freue mich sehr auf die weitere Diskussion. Und ich freue mich vor allem, wenn Sie uns als Bundesregierung bei dieser ganzheitlichen Strategie zum Schutz unseres Wassers unterstützen. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

René Bochmann hält jetzt seine erste Rede hier im Haus für die AfD-Fraktion. ({0})

René Bochmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005026, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Wasser ist Leben; Wasser ist die Voraussetzung für Leben, ebenso wie Sauerstoff und CO2. Die Linksfraktion stellt einen Antrag, zu dessen Zielen am 28. Juli 2010 122 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, auch Deutschland, eine entsprechende Resolution verabschiedet haben; in dieser Resolution wurde der Zugang zu Wasser auch von Deutschland als Menschenrecht anerkannt. Sie erinnern sich bestimmt, liebe Kollegen von den Linken, an die Zustimmung Ihres ehemaligen Fraktionschefs Harald Wolf zur Teilprivatisierung 2003/2004 der Berliner Wasserwerke. Rekommunalisierung von Infrastruktur ist gut und richtig. Denn entgegen dem linken Zeitgeist denken wir ohne ideologische Barrieren ({0}) und können dabei erkennen, dass dieses Anliegen im Kern gut ist, jedoch in dieser Diskussion überflüssig. Bleiben wir beim Wortstamm „flüssig“: So sollte festgestellt werden: Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht wie der Zugang zu Tageslicht, Luft, der Wärme der Sonne und nicht zuletzt die Freiheit eines jeden Individuums. ({1}) Insbesondere deshalb darf der Zugang zu Wasser niemals privatisiert werden und dadurch Spekulanten zum Opfer fallen. ({2}) Ich stelle mir aber die Frage, warum die Linksfraktion erneut mit Anträgen kommt, deren Ziele doch schon international, wiederum auch von Deutschland, vereinbart wurden. Die Linken vermuten zukünftige Wasserspekulanten in Dürrejahren; in der Begründung wird unter anderem der Coca-Cola-Konzern genannt. Coca-Cola produziert jedoch Getränke, die der Endverbraucher in jeder Handelskette kaufen kann. Für die Wasserversorgung der Haushalte sind die Kommunen zuständig. Das war bisher so und soll mit uns folglich auch so bleiben. ({3}) Die öffentliche Wasserversorgung ist traditionell ein Teil der kommunalen Daseinsvorsorge; in § 50 Absatz 1 Wasserhaushaltsgesetz, WHG, ist dies bereits gesetzlich geregelt. Demnach bedarf es keinerlei Änderungen. Nur so kann eine Wasserversorgung der Haushalte sichergestellt werden. Hier geht mein großer Dank im Übrigen an die kommunalen Wasserversorger, die täglich für frisches Trinkwasser sorgen! Sie sorgen tagtäglich auch für eine saubere Abwasseraufbereitung, die es beispielsweise in vielen Ländern Asiens und Afrikas immer noch nicht gibt. Der Antrag der Linken ist polemisch und fordert etwas, was bereits existiert; das schreibt die Linksfraktion sogar selbst in der Begründung ihres Antrags, mit dem Verweis auf die von mir eingangs erwähnte Resolution der Vereinten Nationen. Womöglich präsentiert uns die Linksfraktion morgen einen Antrag, dass Gewitterwolken nicht privatisiert und notariell verkauft werden dürfen oder dass man an der Luft, die uns alle umgibt und die wir zum Leben benötigen, kein Geld verdienen soll.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

René Bochmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005026, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Im Grundsatzprogramm der einzigen wahren Alternative für Deutschland ({0}) ist der Zugang zu Wasser als Menschenrecht festgeschrieben; daran wird sich nichts ändern. Polemische Anträge lehnen wir aber ab. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, die Zeit ist jetzt um. ({0}) – Oh, Entschuldigung, vergessen Sie es. Entschuldigung!

René Bochmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005026, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Alles gut. – Unsere Zeit müssen wir den aktuellen Problemen unserer Bürger und unserer geliebten Heimat Deutschland widmen. Wir alle sind gewählte Vertreter unseres Volkes, mit der Verpflichtung, nach bestem Wissen und Gewissen und immer im Interesse unserer Bürger für eine bestmögliche Zukunft zu handeln. Ich fordere Sie daher auf, zukünftig nicht mehr an den Bürgern vorbei zu entscheiden, sondern dem Geiste dieses Hohen Hauses zu entsprechen, welches dem deutschen Volke dienen sollte. Danke. ({0})