Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/16/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute neben der Änderung des Infektionsschutzgesetzes auch die Verlängerung der Geltungsdauer des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes und weiterer Regelungen. Hinter diesem langen Namen verbirgt sich ein sehr sinnvolles Instrument, mit dem es uns gelungen ist, die soziale Infrastruktur während der Coronapandemie arbeitsfähig zu halten. Weil die Pandemie noch nicht vorbei ist und weil wir nicht nur jetzt, sondern auch nach der Pandemie gute, wirksame und bürgernahe Angebote brauchen, verlängern wir diesen Schutzschirm. ({0}) Viele soziale Dienstleister und Einrichtungen konnten ihre wichtige Arbeit während der Pandemie nicht so und nicht dort leisten, wie und wo sie es gewohnt waren. Davon betroffen ist das gesamte Spektrum der sozialen Arbeit, zum Beispiel die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, die Versorgungs- und Rehabilitationseinrichtungen, die Einrichtungen der Arbeitsförderung und die Anbieter von Sprachkursen. Besonders betroffen sind aber die Wohlfahrtsverbände; denn sie dürfen als gemeinnützige Träger – anders als kommerzielle Anbieter – kaum Risikorücklagen bilden und können oftmals keine Kredite aufnehmen. Wir sichern mit diesem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz ihre wichtige Arbeit und sorgen dafür, dass ihre Angebote, auf die unsere Gesellschaft angewiesen ist, auch in Zukunft bestehen. Ohne die Gesetzesänderung, die wir heute einbringen, würde dieser Schutzschirm am Samstag nicht mehr existieren. Angesichts der hohen Infektionszahlen ist es wahrscheinlich, dass es weiterhin Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz geben wird, die die Angebote der sozialen Dienstleister beeinträchtigen könnten. Dazu zählen ganz besonders Abstandsgebote und Hygienekonzepte in Einrichtungen. Genau für diesen Fall ist es erforderlich, dass die soziale Infrastruktur weiterhin gesichert wird. ({1}) Sollten keine Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz erlassen werden, würde die Verlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes nicht greifen. Ich will zweimal Dank sagen: Zuerst sage ich ein großes Dankeschön an alle, die in der Pandemie die Arbeit am Laufen gehalten haben, die die Menschen zum Beispiel statt in einer Einrichtung oder einer Schule zu Hause betreut haben, die sich um Kinder, um Jugendliche, um ältere Menschen gekümmert haben, die Sprachkurse für Geflüchtete auf digitale Angebote umgestellt haben und die neue Wege der Arbeitsmarktqualifizierung und der Bildungsarbeit gefunden haben. Das war auch ein Digitalisierungsschub für die soziale Arbeit. Ein Dankeschön geht auch an die Koalitionsfraktionen, die in einem zügigen Gesetzesverfahren in dieser Woche parallel zum Infektionsschutzgesetz diesen Gesetzentwurf einbringen und noch einige weitere wichtige Regelungen mit einbeziehen, die unser Gesundheitssystem und den betrieblichen Infektionsschutz sichern. Im Gesundheitsbereich führen wir die Regelung zu Kinderkrankentagen und zum Entschädigungsanspruch bei pandemiebedingtem Kinderbetreuungsausfall fort und sichern die Vorsorge- und Reha-Einrichtungen ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Maßnahmen gelten nach unserem Vorschlag bis zum 23. September. Ich hoffe sehr, dass wir dann einen Schritt weiter sind mit der Bekämpfung der Pandemie und dem Impfen; denn das Impfen ist der einzige Weg raus aus dieser Pandemie. ({2}) Wir verlängern auch die Geltungsdauer einiger Basisregelungen des betrieblichen Infektionsschutzes: Die AHA+L-Regeln sollen weiter angewendet werden. Tests können weiter angeboten werden, und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern soll ermöglicht werden, sich impfen zu lassen. Ich möchte betonen, dass es gerade die Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes waren, die die Ausbreitung des Coronavirus in den Betrieben eingedämmt und dafür gesorgt haben, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen und unsere Wirtschaft aufrechtzuerhalten. ({3}) Betriebe müssen weiter Gefährdungsbeurteilungen machen und Hygienekonzepte erstellen. Viele Arbeitgeber werden sich aber auch an dem orientieren, was bisher Pflicht war, und weiter Tests und Homeoffice anbieten, zum Schutz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Erfahrung „mehr Arbeitsschutz auch durch mehr Homeoffice“ ist eine der positiven Erfahrungen aus der Pandemie. Noch ein Dankeschön an die Gesundheitspolitikerinnen und ‑politiker, die an das Infektionsschutzgesetz noch wichtige Regeln anhängen, die auch in Zukunft dafür sorgen, dass mit der Kurzarbeit der Arbeitsmarkt in unserem Land und auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut durch diese Zeit kommen. Denn unser aller Ziel ist es, Jobs zu erhalten und damit Familieneinkommen zu sichern. Wir kümmern uns damit auch darum, den Arbeitsmarkt gegen die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekrieges abzusichern. ({4}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Krisenzeiten zeigt sich ganz besonders, dass soziale Sicherheit, die Sicherheit, einen Arbeitsplatz zu haben, sich auf Betreuungsangebote verlassen zu können, so existenziell wichtig ist. Mit den Gesetzen, die wir heute einbringen und beraten, ermöglichen wir mehr soziale Sicherheit in schwierigen Zeiten. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zur Geschäftsordnung erteile ich dem Kollegen Frei von der Union das Wort. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren jetzt die eingebrachte Novellierung des Infektionsschutzgesetzes. Auch wenn es ein Fraktionsantrag ist, wundert es uns schon sehr, dass der Minister des federführenden Ministeriums, Karl Lauterbach, bei der Einbringung nicht hier ist. Deswegen fordern wir die Herbeizitierung des Ministers nach § 42 der Geschäftsordnung. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gut. – Gibt es dazu eine Wortmeldung, Frau Mast? ({0}) – Bitte schön. ({1})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich völlig berechtigt, zu sagen, dass der Gesundheitsminister anwesend sein soll. Das will ich zuerst einmal unterstreichen. ({0}) Ich will aber sagen, dass parallel eine Kabinettsklausur stattfindet und sich der Gesundheitsminister bereits auf dem Weg hierher befindet. ({1})

Dr. Hendrik Hoppenstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004305, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit 262 000 Neuinfektionen und einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 1 600 haben wir heute einen der Tage mit der höchsten Verbreitung des Virus seit Ausbruch der Pandemie, Tendenz übrigens steigend. Wir müssen allein heute den Tod von 269 Menschen betrauern, die binnen 24 Stunden an und mit Corona verstorben sind. Ihre Antwort auf diese schlimme Lage ist der vorliegende Gesetzentwurf, und er lässt einen einigermaßen fassungslos zurück. Noch in der MPK vom 16. Februar wurde beschlossen, dass niedrigschwellige Basisschutzmaßnahmen möglich sein sollen, zum Beispiel Maskenpflicht in geschlossenen Räumen, Abstandsgebote, allgemeine Hygienevorgaben und Ähnliches, insbesondere auch in Schulen und in Kitas. Im Gesetzentwurf ist davon aber keine Rede mehr. Nur noch in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen sowie im Luft- und öffentlichen Personenverkehr kann die Maskenpflicht angeordnet werden. In ausgewählten Einrichtungen kann eine Testpflicht gelten. Das war es dann aber auch schon. Es wird immer argumentiert, dass die Hotspotregelung der große Heilsbringer sei. Das ist sie aber nicht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens. Für echte Basisschutzmaßnahmen wie die Pflicht zum Maskentragen ist eine drohende Überbelastung der lokalen Krankenhäuser zwingende Voraussetzung. Das ist eine sehr hohe Hürde und derzeit nirgends erreichbar. Ihre Hoffnung, ganz Deutschland in ein Hotspotgebiet umzuwandeln – nicht die Hoffnung der FDP, aber der anderen Ampelkoalitionäre –, ist also falsch. Zweitens. Die Entscheidungen über Hotspots treffen die Landesparlamente. Das widerspricht schon dem Grundsatz der Gewaltenteilung, weil das klassische exekutive Entscheidungen sind. Wie soll denn ein Landtag jede einzelne Gemeinde und jedes einzelne Krankenhaus vor Ort im Blick haben? Es müssten dann eigentlich fast täglich Landtagssitzungen stattfinden, um adäquat auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können. ({0}) Fazit: Wenn dieser Text so bleibt, wird die Hotspotregelung allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz keine große Relevanz entfalten. ({1}) Damit existieren praktisch keine Basisschutzmaßnahmen mehr, und der von der FDP propagierte Freedom Day ist dann tatsächlich Realität geworden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hoppenstedt, es gäbe eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion. Möchten Sie die Frage zulassen?

Dr. Hendrik Hoppenstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004305, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ungern von der AfD-Fraktion. Tut mir leid. Einmal mehr hat die FDP die beiden Koalitionspartner in Geiselhaft genommen. Zustimmung dazu gibt es vermutlich in der AfD-Fraktion; wir wissen es noch nicht genau. Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um irgendwelche politischen Fehler, die wir alle mal gemacht haben und die schlimmstenfalls Steuergeld kosten. Es geht hier Tag für Tag um circa 300 Menschen, die am Virus sterben. Wir als Union können und wollen uns damit nicht abfinden. Auch wenn das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht absolut gilt, so hat es in unserer Rechtsordnung einen überragend hohen Stellenwert. Maskentragen, Abstandsgebot und Hygienemaßnahmen sollten eine Selbstverständlichkeit sein angesichts des Leides, welches das Virus über unsere Gesellschaft gebracht hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, Sie fühlen sich erkennbar unwohl mit diesem Gesetzentwurf. Ihre kurzfristig eingereichten Änderungsanträge helfen aber nicht wirklich weiter. Die Verbesserungen sind marginal. So ist die Ermächtigungsgrundlage für die Länder, eine Maskenpflicht in Schulen anzuordnen, nach wie vor nicht enthalten. Ich zitiere dazu Herrn Lauterbach; wäre ja schön, wenn er da wäre. ({0}) – Er ist da. Wunderbar! ({1}) Das Zitat: Von daher appelliere ich wirklich an alle Länder, dass man hier vorgibt, dass in den Schulen Masken getragen werden, weil tatsächlich ist die Maske bei der Omikron-Variante sehr effizient und würde gerade in den Schulen eine große Sicherheit bieten. ({2}) Ein Mangel an Erkenntnis herrscht daher nicht. Es fehlt schlichtweg das politische Gewicht, sich gegen Herrn Buschmann durchzusetzen. ({3}) Dieser Gesetzentwurf zeigt übrigens auch angesichts des gewählten Verfahrens, das eine einzige Unverschämtheit gegenüber den Ländern, aber auch der Opposition ist, die ganze Zerrissenheit der Ampel. ({4}) Für eine solch desaströse Coronapolitik kann die Union kein Steigbügelhalter sein. ({5}) Wir als Union lehnen diesen Gesetzentwurf rundherum ab. Danke schön. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich habe gesehen, dass es den Wunsch nach einer Zwischenfrage gab. Ich frage eigentlich auch jedes Mal, ob die Zwischenfrage zugelassen wird – bei Kurzinterventionen bin ich rigider –; aber Ihre Meldung erfolgte nach dem Ende der Redezeit, was Sie nicht wissen konnten. Insofern habe ich nicht nachgefragt. Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Hause! Wir haben heute angesichts der Situation, dass es Höchstwerte bei den Inzidenzen, Höchstwerte bei den Infektionszahlen, Höchstwerte bei der Zahl der Verstorbenen pro Tag gibt, eine schwierige Abwägung zu vollziehen. Das sei vorweggesagt. Vorweg sei auch gesagt, dass heute keinesfalls der Tag sein kann, an dem wir den „Tag der Freiheit“ ausrufen, wie das die AfD in ihrem Antrag fordert. Ich finde, angesichts der Zahlen, die wir hier haben, und angesichts dessen, was im Namen der Freiheit und zur Sicherung der Freiheit in der Ukraine gerade passieren muss, ({0}) angesichts der Tatsache, wie sich die Menschen dort wehren, wie sie für die Demokratie einstehen, ist das zynisch, was Sie hier machen. ({1}) Mit dem 19. März laufen Vorsichtsmaßnahmen, Schutzmaßnahmen gemäß §§ 28a und 28b Infektionsschutzgesetz aus, die wir hier gemeinsam aus den Reihen des Bundestages im November aufgestellt haben, mit Beteiligung der FDP, mit Beteiligung der SPD, mit Beteiligung von uns Grünen. Das sind im Übrigen sehr schlaue Regelungen, die uns gut durch die Zeit geholfen haben. Sie haben dazu geführt, dass wir selbst die Deltavariante, deren Auswirkungen wir nicht kannten, gut bewältigen konnten, ({2}) bei aller Belastung – das müssen wir an dieser Stelle deutlich sagen – für die Krankenhäuser und diejenigen, die dort gearbeitet haben und arbeiten, wofür wir dankbar sind. Jetzt gibt es eine neue Situation, eine neue Variante, und deshalb müssen wir natürlich neu abwägen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Klein-Schmeink, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion. Möchten Sie sie zulassen?

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, das lehne ich grundsätzlich ab. ({0}) Wir müssen abwägen. Wir müssen eine gute Abwägung vornehmen zwischen dem Schutz und den Folgen von Freiheitseinschränkungen. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben lange ringen müssen. Der nun vorliegende Kompromiss von Minister Buschmann und Minister Lauterbach stellt uns Grüne nicht zufrieden, aber er entspricht dem, was unter demokratischen Bedingungen in der Ampel miteinander verabredet werden konnte. Wir werden eine allgemeine Verpflichtung zum Tragen einer Maske im Fernverkehr und im Luftverkehr haben. Wir werden allgemeine Schutzmaßnahmen in Einrichtungen für vulnerable Menschen haben. Wir werden dort sowohl eine Maskenpflicht als auch eine Testpflicht haben und zusätzlich eine Testpflicht in Kita und Schule und in den verschiedenen Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbewerbern. Das ist wichtig, das war uns wichtig. Deshalb war es nie eine Alternative, keine Regelung zu haben, wie sich das die FDP hätte vorstellen können. ({1}) Natürlich ist es sehr schwer, dazu zu stehen, aber wir sehen gleichzeitig: Die Basismaßnahmen sind vorhanden, und sie sind auch weiterhin anwendbar. ({2}) Zugleich müssen wir feststellen – das ist absehbar; das wurde heute im Ausschuss noch einmal deutlich –: Wir werden noch einen weiteren Anstieg der Zahlen sehen. Wir werden vielleicht noch einmal nachsteuern müssen; das sage ich ganz gezielt in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der FDP. Aber es gibt nicht die Alternative, keine Regelung zu haben. Vielmehr brauchen wir diese Basismaßnahmen. Von daher plädieren wir dafür, im Verfahren entsprechend fortzufahren. Wir werden gleich im Ausschuss sehen, dass es einige Verbesserungen gegenüber dem Entwurf gibt. Wir werden sehen, dass es Verbesserungen bei den Einrichtungen gibt, wo vulnerable Menschen behandelt oder betreut werden. ({3}) Wir werden eine Verbesserung bei den Maßnahmen rund um das Hygienekonzept sehen. Das waren für uns wichtige Verbesserungen. Es kann sein, dass wir feststellen müssen: Das reicht nicht. Es kann auch sein, dass wir feststellen müssen, dass der gesamte Katalog dessen, was wir hier gemeinsam im November erarbeitet hatten, eigentlich der tragfähigere gewesen wäre und wir noch einmal nachsteuern müssen. ({4}) In diesem Sinne tun wir das dann auch. Ich freue mich darüber, dass wir die Regelungen zum Kinderkrankengeld, zum Elterngeld und zum Kurzarbeitergeld fortsetzen. Das sind wichtige weitere Regelungen, die wir gemeinsam verabredet haben, um die Folgen der Pandemie für die Bevölkerung möglichst gut abzufedern, damit wir gut in den Herbst kommen. Aber, wie gesagt, es kann sein, dass wir nachsteuern müssen. ({5}) In diesem Sinne bitte ich um konstruktive Beratungen. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die AfD-Fraktion spricht Kay-Uwe Ziegler. ({0})

Kay Uwe Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005265, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute, am 16. März, vor genau zwei Jahren ist der erste Corona-Lockdown von der Bundesregierung beschlossen worden. Kurz danach wurden große Teile Deutschlands in den ersten Stillstand geschickt. Der einzige Grund für alle Maßnahmen und Einschränkungen war immer die Vermeidung der systemischen Überlastung unseres Gesundheitswesens. Diese Gefahr bestand jedoch zu keinem Zeitpunkt, und das werden die nachfolgenden Zahlen verdeutlichen. Nach Auswertung der Daten des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus, InEK, gab es in deutschen Krankenhäusern im Jahr 2019 19,2 Millionen abgerechnete Fälle, im Jahr 2020 nur noch 16,7 Millionen abgerechnete Fälle und im letzten Jahr, 2021, noch 16,6 Millionen Fälle, die abgerechnet worden sind. Unser Gesundheitssystem hatte also in jedem der beiden Coronajahre 2,5 Millionen Fälle weniger als im Jahr 2019 ohne Corona. Insofern haben wir sogar eine deutliche Unterauslastung unserer Kapazitäten zu verzeichnen. Wenn also das Hauptargument für alle Maßnahmen die drohende Überlastung unserer Krankenhäuser war, dann muss der Nachweis einer Unterauslastung zum sofortigen Ende aller Maßnahmen führen. ({0}) Um eines nicht zu vergessen: Wir haben bis heute noch immer keine validen Daten hinsichtlich der Wirksamkeit der Coronamaßnahmen. In der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses vom 14. März zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes sagte der Sachverständige Professor Dr. Hendrik Streeck – ich zitiere mit Einverständnis der Präsidentin –: Einen klaren wissenschaftlichen Beweis für die Wirkung von 2‑G- oder 3‑G-Regeln, Lockdowns und Ausgangssperren gibt es bisher nicht. ({1}) Des Weiteren konnten weder die Deutsche Krankenhausgesellschaft noch der Sprecher des DIVI-Intensivregisters bei der Anhörung am Montag die Frage beantworten, wie hoch der Anteil der Patienten ist, welche wegen oder nur mit Corona auf der Station liegen. Auf der Basis solcher Daten neue Gesetze zu beschließen, die dann den Ländern die Möglichkeit bieten, wieder grundrechtseinschränkende Maßnahmen zu verhängen, lehnt unsere Fraktion ab. ({2}) Werte Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: Es gibt ein absolutes Ende aller Maßnahmen, und alle Maßnahmen enden spätestens mit dem Frühlingsbeginn am 20. März 2022. Das sind die Worte unseres Justizministers Marco Buschmann von Ende Oktober 2021 zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Dass sich SPD und Grüne daran nicht erinnern können oder wollen, wundert mich jetzt nicht wirklich. Aber die FDP? Man kann nur hoffen, dass Ihre Wähler ein besseres Gedächtnis haben und die nächste Bundestagswahl nutzen, um Sie zurück ins Jahr 2013 zu schicken. ({3}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürger in unserem Land haben die Nase voll – voll von der seit zwei Jahren andauernden Gängelei dieses Nanny-Staates. Deswegen sage ich: Vertrauen Sie unseren Bürgern! Heben Sie alle Beschränkungen auf, und lassen Sie die Menschen in Deutschland wieder selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben! Ich fordere Sie auf: Nehmen wir unseren Justizminister beim Wort, und lassen Sie uns alle Coronamaßnahmen zum Frühlingsbeginn am 20. März beenden! Haben Sie den Mut zur Freiheit, und machen Sie mit uns diesen Tag zum Tag der Freiheit für Deutschland! Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt zu uns die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich ist Corona noch nicht vorbei, und leider wird uns das Virus noch weiter erhalten bleiben. Aber gerade deswegen müssen wir doch lernen, im Alltag mit diesem Virus zu leben. Jetzt das Positive: Wir sind nicht in derselben Position wie vor zwei Jahren. Wir haben wirksame Impfstoffe, meine Damen und Herren, auch gegen Omikron. Deswegen fordere ich immer: Lassen Sie sich impfen, und lassen Sie sich boostern! ({0}) Wir haben antivirale Medikamente, die schwere Verläufe verhindern; auch das ist anders als vor zwei Jahren. Und wir wissen mehr über das Virus als noch vor zwei Jahren. Die jetzige Omikron-Subvariante BA.2 scheint sich gerade als vorherrschende Virusvariante durchzusetzen. Sie hat eine noch höhere Übertragbarkeit als die Variante BA.1; deswegen auch die hohen Infektionszahlen. Aber – das ist uns ganz wichtig – beide Virusvarianten verursachen häufig milde Verläufe. Wir alle kennen doch aus unserem Bekanntenkreis die Fälle: Doppelt Geimpfte haben das Virus, sie wussten es gar nicht, sie haben es durch Zufall erfahren und haben milde Verläufe. Die Infektionszahlen sind zwar hoch, aber die Zahl der Fälle, die einen Krankenhausaufenthalt oder eine intensivmedizinische Behandlung erfordern, hat sich von diesen hohen Infektionszahlen weitgehend entkoppelt. Zum Beweis dafür einmal ein Vergleich: Genau heute vor einem Jahr hatten wir eine Inzidenz von 84 – man vergisst das immer – und eine Hospitalisierungsrate von 6,1. Die Zahlen von heute: Wir haben eine Inzidenz von 1 607 bei einer Hospitalisierungsrate von 7,4. Daran sehen Sie doch, dass wir dieses Virus anders beurteilen müssen. ({1}) Das zeigt, dass sich das Virus während der Pandemie verändert hat. Deswegen müssen wir bei Omikron auch andere Schlüsse und andere Maßnahmen zulassen, meine Damen und Herren. Um noch einmal auf die Todeszahlen zu sprechen zu kommen – ich habe mir den letzten RKI-Lagebericht vom 10. März vorgenommen –: Aktuell steigt die Zahl der Covid-Todesfälle leicht an; sie liegt aber weiterhin deutlich unter dem Niveau aller vorhergegangenen Wellen. Auch das müssen wir bei der Beurteilung berücksichtigen, meine Damen und Herren. ({2}) Führen wir uns bitte noch einmal vor Augen, was das Ziel aller Maßnahmen in Vergangenheit und Zukunft war und ist. Ziel war und ist, die Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern und vor allem – das ist ganz wichtig – die vulnerablen Gruppen zu schützen. Genau das machen wir jetzt mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes, meine Damen und Herren. ({3}) Einschränkungen sind nur dort vorgesehen, wo sie auch wirklich notwendig sind, nämlich in Alten- und Pflegeeinrichtungen, in Krankenhäusern und – ganz wichtig – in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und im öffentlichen Personennahverkehr. Die allgemeine Maskenpflicht und weitere Einschränkungen fallen außerhalb dieser vulnerablen Gruppen weitgehend weg. Da setzen wir nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, meine Damen und Herren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Aschenberg-Dugnus, es gäbe eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke. Möchten Sie die zulassen?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Woher?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Aus der Fraktion Die Linke.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für Ihren Vortrag. – Eine einfache Frage: Können vulnerable Gruppen in Zukunft einkaufen gehen oder nicht? Haben Sie bei der Entscheidung über die Maskenpflicht auch die Gegenden im Blick gehabt, in die auch vulnerable Gruppen kommen dürfen, können und sollen? ({0}) Ich frage, ob Sie das berücksichtigt haben oder ob sie nicht mehr einkaufen gehen dürfen.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege – –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stopp! Es gibt noch eine Zwischenfrage aus der Unionsfraktion. Die würde ich noch mitnehmen, dann können Sie beide zusammen beantworten.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eigentlich würde ich gerne direkt antworten; aber wenn Sie das so entscheiden, dann machen wir das so.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Auch vielen Dank, liebe Frau Aschenberg-Dugnus, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich bin Ihrer Rede gefolgt. Ich fand das, was Sie gesagt haben, teilweise auch sehr gut. Mich würde nur interessieren, ob das die Meinung der Bundesregierung ist. ({0}) Bei der Frage des Infektionsschutzgesetzes haben wir ja einen Dissens: Der Bundesgesundheitsminister kennt offensichtlich sein eigenes Gesetz nicht; denn er hat sich bei der Frage nach der Hotspotregelung so eingelassen, dass Hotspots auch ganze Bundesländer umfassen könnten, wenn die Zahlen steigen, wobei nicht genau geklärt ist, wie da die Inzidenzwerte zu verstehen sind. Der Bundesjustizminister und sein Ministerium aber sagen: Nein, das sind nur explizit ganz kleine, lokale Bereiche. – Deshalb würde mich interessieren: Ist die Auffassung, die Sie jetzt geäußert haben, die Auffassung der Bundesregierung, oder ist das eher die Meinung des Bundesjustizministers oder der FDP? Vielen Dank. ({1})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich antworte zunächst dem Kollegen von den Linken: Selbstverständlich sind Masken wichtig zum Schutz. Wir wollen die Masken auch nicht verbieten. Das behaupten zwar einige, ({0}) aber wir sind für die Maskenpflicht. Und wir sind für die Eigenverantwortung. Jeder, der vulnerabel ist, kann eine Maske aufsetzen. Ich zum Beispiel bin 62 Jahre alt. Ich werde auch ohne Maskenpflicht in bestimmten Bereichen und in bestimmten Situationen meine Maske aufsetzen, ({1}) und zwar eine FFP2-Maske, weil die nämlich besonders schützt. Insofern schützen wir mit diesem Gesetzentwurf, mit dieser Änderung des Infektionsschutzgesetzes besonders die vulnerablen Gruppen. Aber alle anderen Bereiche stellen wir in die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Das ist das, was uns weiterbringt. Wir müssen doch die nächsten Jahre mit diesem verdammten Virus leben. Da müssen wir auch den Umgang damit lernen, und da ist Eigenverantwortung ganz besonders wichtig. Also bitte, tun Sie nicht so, als wenn wir da irgendetwas verbieten wollten, sondern werben Sie dafür, in bestimmten Situationen die Maske zu tragen. Das wäre der richtige Ansatz. Das wäre besser, als hier so etwas zu erzählen. ({2}) So, jetzt komme ich zu meinem Kollegen Tino Sorge: Ich war noch gar nicht bei den Hotspots. Deswegen weiß ich gar nicht, wie Sie darauf kommen. Wahrscheinlich hatten Sie sich die Frage aufgeschrieben, ({3}) und das passte jetzt gerade so. Ich werde zu den Hotspots noch kommen, lieber Tino Sorge. Ich muss sagen: Lesen Sie sich den Gesetzestext – wir hatten ihn heute im Ausschuss, und jetzt beraten wir ihn auch hier – in Ruhe durch. Es ist klar, unter welchen Voraussetzungen die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden müssen. ({4}) Insofern sehe ich überhaupt kein Problem. Wir sind uns da in der Koalition sehr einig. Insofern ist für uns klar, wie das auszulegen ist. – Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Aschenberg-Dugnus, eine Zwischenfrage?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Entschuldigung, jetzt möchte ich gerne mit meiner Rede weitermachen. Besonders wichtig ist uns auch, dass die Maskenpflicht in Schulen und Kitas wegfällt, meine Damen und Herren. ({0}) Die Kinderpsychiatrien sind überfüllt, und alle Kinderärzte schlagen Alarm, was wir hier mit unseren Kindern machen. Sie begrüßen die Abschaffung der Maskenpflicht in Schulen und Kitas, und das ist auch richtig so. Gestik und Mimik sind für einen jungen Menschen ganz wichtig. ({1}) Deswegen sagen wir: Die soziale Kompetenz hängt auch daran, ob man in der Schule oder in der Kita eine Maske tragen muss oder nicht. Ich wundere mich doch sehr über die CDU, die das jetzt gerade kritisiert hat. Ich kann mich daran erinnern, dass Angela Merkel einmal gesagt hat, Kinder sollten die Ersten sein, die von der Abschaffung der Maßnahmen profitieren. ({2}) Davon höre und sehe ich jetzt überhaupt nichts mehr bei Ihnen – komisch eigentlich. ({3}) So, und jetzt zu den Hotspots.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich frage jetzt noch ein letztes Mal: Wollen Sie noch eine Zwischenfrage aus der Unionsfraktion zulassen?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich würde jetzt gerne weitermachen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann brauchen sie sich in dieser Rede nicht mehr zu melden?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. – So, wir haben die Hotspotregelung. Dieser Mechanismus ist sachgerecht und sinnvoll. Was nicht sinnvoll und nicht zu rechtfertigen ist, ist, dass aufgrund möglicher Zukunftsvarianten, dass aufgrund einer Hätte‑/Könnte-Argumentation Einschränkungen aufrechterhalten werden. Das machen auch unsere europäischen Nachbarländer nicht. Finnland, Schweden, Dänemark, Norwegen, alle haben sie keine Maskenpflicht mehr. Sie vertrauen der Eigenverantwortung der Bevölkerung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Österreich, Großbritannien: keine Maskenpflicht. Schweiz: keine Maskenpflicht. Niederlande: Inzidenz 2 650, keine Maskenpflicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, die Redezeit ist jetzt zu Ende.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Oh, ich bin gerade so dabei. Ich finde, wir haben hier einen guten Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgelegt. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, hätte noch viel zu sagen gehabt; (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Zum Beispiel zu den Hotspots! Sie haben gar nichts zu den Hotspots gesagt! das mache ich beim nächsten Mal. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redebeitrag kommt von Ates Gürpinar aus der Fraktion Die Linke. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, was mich mehr verwundern soll: die Verspätung von Herrn Lauterbach, die Umgehung des eigentlichen Themas von Frau Griese, indem sie den Gesetzentwurf dahin gehend begutachtet, welche Maßnahmen verlängert werden, oder gerade der Redebeitrag von der FDP. Wir haben die höchsten Inzidenzen seit Pandemiebeginn. Hunderte Menschen sterben täglich, Hunderttausende haben mit Long Covid zu kämpfen, Operationen werden immer noch verschoben – heute gab es dazu eine Meldung aus Bayern –, und wir wissen nicht, was eine nächste Virusvariante bringt. Als Reaktion gibt die Regierung nun nahezu alle Regelungen ab, die die Inzidenzen beherrschbar machen können. Und Sie, Herr Lauterbach, verteidigen das die Tage noch als Ihre Idee, bitten jedoch die Länder, Ihr Gesetz jetzt noch nicht umzusetzen. Das ist doch keine ernsthafte Politik, die Sie hier betreiben. ({0}) Aber das ist nicht das erste Mal. Bereits Ende letzten Jahres wurde nach dreimonatigem Nichtstun das Gesetz – ein fehlerhaftes Gesetz! – innerhalb kürzester Zeit durch das Parlament gepeitscht, inmitten der Delta-Welle wohlgemerkt. Dann kam die Änderung der Gültigkeit des Impf- und Genesenenstatus: wieder innerhalb kürzester Zeit, wieder fehlerhaft, sie wird jetzt teils zurückgenommen. Nun wird das nächste Gesetz innerhalb einer Woche durchgepeitscht, obwohl der Termin – 20. März – nicht unbekannt war. Das Ergebnis ist – wenn ich die Meinungen der Expertinnen und Experten in der Anhörung zum Gesetz am Montag ganz grob zusammenfassen darf –: handwerklich schlecht, inhaltlich ein Desaster. ({1}) Es gab, Herr Lauterbach, zu Beginn in der Bevölkerung Hoffnung, als Sie zum Minister ernannt wurden. Ich gebe zu: Bei mir war die Hoffnung auf den Bereich der Pandemiebekämpfung beschränkt. In den meisten anderen Bereichen – Bekämpfung des Pflegemangels, Abschaffung der Fallpauschalen, die Krankenhausfinanzierung – ließen Ihre bisherigen politischen Einlassungen wenig Raum für Hoffnung. Aber nun gehen Sie gerade in der Pandemiebekämpfung, dem Bereich, der als Ihr Steckenpferd galt, wo Sie als Mahner durch die Talkshows rannten, nach einem Vierteljahr k. o. Sie wissen genau, dass die Menschen bei dem nun folgenden Flickenteppich das Restvertrauen in die Pandemiebekämpfung verlieren werden, Herr Lauterbach. ({2}) Es gibt einen Dreiklang, um ehrlich aus der Sache herauszukommen. Erstens. Sie beschreiben, was das Gesetz real bedeutet: Durchseuchung und Chaos als Strategie. Das ist die Realität. Zweitens. Sie erklären, dass Sie auf die Erpressung der FDP nichts erwidern konnten. Das würde nämlich auch den Zustand der Koalition beschreiben: Die Partei setzt sich durch, die jetzt schon auf ihrer Internetseite die Rückkehr zur Normalität feiert. Hundert Coronatote täglich – das ist Normalität für die FDP. ({3}) Drittens. Die Linke hat ihre Arbeit gemacht. Wir haben für die nächste Lesung – sie ist schon am Freitag – einen Entschließungsantrag und einen Antrag zum PCR-Testverfahren vorgelegt. ({4}) Beide Anträge haben in Anbetracht der gegenwärtigen pandemischen Situation eine konsequente Linie, entwickeln ernsthafte Verfahren und einheitliche Maßnahmen je nach Inzidenzen, sie beziehen Expertinnen und Experten ein und versuchen sich an einer langfristigen Strategie, um die Menschen zu schützen. Stimmen Sie dem einfach zu! Alles andere – ich komme zum Schluss – ist unehrlich und lässt die Menschen verwirrt und selbstredend irgendwann auch erkrankt zurück. Einen Freedom Day werden ansonsten die Viren und nicht die Menschen feiern. Vielen, vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sonja Eichwede spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Eichwede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Mit dem 19. März enden die aktuellen Coronamaßnahmen. Das bedeutet: Wir müssen als Gesetzgeber tätig werden, und wir mussten eine Einigung erzielen. Anderenfalls würde ab Sonntag dem Virus Tür und Tor geöffnet werden mit all seinen Konsequenzen für unsere Bürgerinnen und Bürger. Nach zwei Jahren Pandemiebekämpfung ist das nicht unser Ziel. ({0}) Durch die zeitliche Begrenzung der Maßnahmen müssen wir konstant evaluieren. Das Ergebnis ist ganz klar: Die Pandemie ist nicht vorbei – es wurde viel darauf eingegangen –, ganz im Gegenteil. Wir brauchen Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger. ({1}) Auch wenn die Omikron-Variante häufig einen milderen Verlauf bedeutet, steigen die Infektionszahlen und die Ansteckungszahlen. Wir haben heute die höchste Inzidenz in Europa. Es werden mehr Menschen in Krankenhäuser eingeliefert, und pro Tag sterben 200 bis 300 Menschen aufgrund der Coronainfektion. Daran können wir uns und daran werden wir uns nicht gewöhnen. Hier müssen wir handeln. ({2}) – Doch, wir handeln; denn das Auslaufen ist keine Option. ({3}) Wenn Sie sagen, Sie stimmen diesem Gesetzentwurf nicht zu, dann stimmen Sie quasi dem Auslaufen der Verlängerung zu. ({4}) Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein hart errungener Kompromiss. Wir wollen auf eine voraussichtliche Verbesserung der Lage im Sommer vorbereitet sein; aber wir wollen uns und den Ländern zugleich auch die Möglichkeit geben, zu handeln. ({5}) Wir haben die Zusage der FDP, dass gegebenenfalls nachgesteuert werden kann. Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Zusage sehr ernst. ({6}) Im Einzelnen bezieht sich der Gesetzentwurf auf Basisschutzmaßnahmen und Hotspotregelungen, die die Länder erlassen können. Denn der Basisschutz nach § 28a Absatz 7 verfolgt das Ziel, vulnerable Gruppen in Einrichtungen – Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen – durch Masken und Tests zu schützen, in anderen sensiblen Einrichtungen kann weiterhin getestet werden, Masken werden im öffentlichen Personennahverkehr weiter zu tragen sein. Die Hotspotregelung nach § 28a Absatz 8 Infektionsschutzgesetz gibt den Ländern die Möglichkeit, auf die Ausbreitung zu reagieren; denn wir müssen das Pandemiegeschehen unter Kontrolle halten. ({7}) Mit Beschluss der Landesparlamente – dies ist möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion – kann auf die Infektionsrate reagiert und es können bewährte Maßnahmen erlassen werden. Hierbei ist juristisch ganz klar definiert, dass auch ein Bundesland eine Gebietskörperschaft sein kann. ({8}) – Doch, dann schauen Sie in die entsprechenden juristischen Bücher. ({9}) Die allgemeine Maskenpflicht ist in Hotspots dann weiterhin möglich, ebenso die Pflicht zur Vorlage von Impf-, Genesenen- und Testnachweisen und die Einführung von Hygienekonzepten. Die Hotspotregelung ist an enge Voraussetzungen wie die erhöhte Pathogenität oder die Überlastung von Krankenhauskapazitäten gebunden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, ich habe jetzt zwei Wünsche nach Zwischenfragen, eine aus der Unionsfraktion und eine aus der Fraktion Die Linke. Möchten Sie eine oder beide davon zulassen? Wie Sie mögen!

Sonja Eichwede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich lasse gern beide zu. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann Frau Lindholz, bitte schön.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Eichwede, ich habe Ihren Ausführungen bisher sehr aufmerksam zugehört, auch warum Sie meinen, dass Sie einen guten Kompromiss vorlegen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, gehören Sie auch zu den Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag, die sich für eine allgemeine zügige Impfpflicht aussprechen. Ich habe eine ganz konkrete Frage: Wie können Sie es eigentlich vertreten, Frau Eichwede, dass eine vulnerable Person ab 1. April, wenn die Länder die Übergangsvorschrift in Anspruch nehmen, beim Einkaufen quasi ungeschützt der Gefahr ausgesetzt wird, sich das Coronavirus einzufangen, da Sie die Maskenpflicht im öffentlichen Bereich wie in Supermärkten mit dieser Regelung außer Kraft setzen? Diese vulnerable Person – das kann zum Beispiel ein schwerkranker Mensch mit einem geschwächten Immunsystem sein – ist schutzlos ausgeliefert; er kann nur noch sich selbst mit der Maske schützen, ist seinem Gegenüber aber hilflos ausgeliefert, wenn dieser keine Maske trägt. Gleichzeitig treten Sie für eine Impfpflicht ein, die nachweislich nur dem Eigenschutz dient und nur noch einen geringen Beitrag zum Fremdschutz erbringt. Wie kann man einer solchen Regelung zustimmen und hier keine verantwortungsvolle Regelung vorlegen? Das können Sie ja bei der Impfpflicht auch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Eichwede, wir lassen auch jetzt noch die andere Frage zu. Frau Vogler, bitte.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, liebe Kollegin Eichwede. – Sie haben gerade über die Hotspotregelung gesprochen, die die Landesparlamente unter bestimmten Bedingungen in Kraft setzen können. Ich komme aus NRW; NRW ist bekanntermaßen mit über 50 selbstständigen Gebietskörperschaften, also Kreisen und kreisfreien Städten, das bevölkerungsreichste Bundesland. Wir haben dort ein Parlament, das durchaus fleißig ist, aber längst nicht so häufig wie der Deutsche Bundestag tagt. Erwarten Sie tatsächlich von Ihren Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, dass sie das Infektionsgeschehen in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW so im Blick behalten können, ({0}) dass sie erkennen können, wenn sich irgendwo eine Dynamik ausbreitet, die man durch diese Hotspotregelung bekämpfen müsste? ({1}) Und müssten wir nicht eigentlich unser gesamtes Land mit einer Inzidenz von über 1 600, steigenden Infektionszahlen, steigenden Todeszahlen, steigenden Hospitalisierungsraten und einer Situation, wo der RKI-Monitor quasi jede Woche eine neue Farbe dazubekommen muss, weil die alten Farben nicht ausreichen, um die Inzidenzen darzustellen, zum Hotspot erklären?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt zur Antwort, Frau Eichwede.

Sonja Eichwede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die beiden Fragen. – Ich möchte gerne auf die zuletzt gestellte Frage zuerst antworten. Sie haben das derzeitige Pandemiegeschehen nicht nur in NRW, sondern auch in ganz Deutschland geschildert, worauf ich am Anfang meiner Rede eingegangen bin. Ich möchte Ihnen sagen, dass die engen Voraussetzungen aus meiner Sicht – das muss natürlich durch die Landtage definiert werden – tatsächlich eingetreten sind und dass wir in Deutschland nach dieser neuen Regelung aufgrund der hohen Infektionszahlen und Schwierigkeiten in den Krankenhäusern zurzeit sehr viele Hotspots haben; denn die Krankenhäuser arbeiten nicht im Normalbetrieb. Wir haben enge Personaldecken in den Krankenhäusern, und diese sind auch durch weitere Ansteckungen in Gefahr. Kapazitätsgrenzen definieren sich nicht nur dadurch, wie viele Patienten in den Krankenhäusern sind, sondern auch dadurch, dass die Versorgung sichergestellt sein muss. ({0}) Die Hospitalisierungsraten steigen, und ein Abflauen der Inzidenzzahlen ist zurzeit nicht in Sicht. Das ist eine Notlage, und das entspricht aus Sicht meiner Fraktion der Definition eines Hotspots, die den Ländern die Möglichkeit gibt, zu handeln. ({1}) Auf Ihre Frage bezüglich des Überblicks eines Landesparlamentes in den einzelnen Kreisen: Ich weiß, dass mein Ministerpräsident in Brandenburg wöchentlich Telefonkonferenzen mit den Landräten hat und sich ganz genau damit auseinandersetzt, was überall im Land der Stand ist. ({2}) Ich wies schon darauf hin: Nach der Definition einer Gebietskörperschaft – auch die Bundesrepublik ist eine Gebietskörperschaft, wenn auch nicht im Sinne dieses Gesetzes, weil § 28a Absatz 8 Infektionsschutzgesetz hier die Länder einbezieht – ist auch ein Land eine Gebietskörperschaft. Das ist ein klar definierter Begriff. ({3}) Ich muss sagen: Ich bin Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach sehr dankbar, dass er sich zusammen mit den Fraktionsvorsitzenden Dagmar Schmidt und Dirk Wiese sowie der gesundheitspolitischen Sprecherin meiner Fraktion, Heike Baehrens, und mir sehr stark für diesen Begriff und diese Hotspotregelung, die ich jetzt noch einmal ausführen durfte, eingesetzt hat. ({4}) Zu der Frage aus der Unionsfraktion. Sie können vielleicht dem Tenor meiner Rede entnehmen, dass ich es gut gefunden hätte, wenn eine Maskenpflicht weiter aufrechterhalten worden wäre. ({5}) Aber wir haben eine Priorität auf die Hotspotregelung gelegt, die den Ländern bei dem unglaublich hohen Infektionsgeschehen eine größere Möglichkeit zum Handeln gibt als nur die Maskenpflicht. ({6}) Das ist vielleicht für denjenigen, der sich mit seinem Argument nicht durchsetzt, nicht die schönste Stunde der Demokratie; aber es ist Demokratie. ({7}) Genauso sind andere Kollegen vielleicht nicht so sehr für die Ausgestaltung dieser Hotspotregelung eingetreten, wie wir es sind. Das ist die Natur eines Kompromisses und auch das Ergebnis der letzten Bundestagswahl. ({8}) Ich habe beschrieben, dass wir um diesen Kompromiss sehr stark gerungen haben. Unterschiedliche Ansätze wurden eingebracht. Wir müssen gegebenenfalls nachsteuern. Wir sind dankbar, dass das von allen Koalitionsfraktionen so gesehen wird. ({9}) Jetzt ist es aber wichtig, zu handeln, damit die Regelungen, die bestehen, nicht auslaufen. Deshalb appelliere ich auch an die anderen demokratischen Fraktionen hier im Haus, einem Auslaufen nicht quasi zuzusehen, sondern diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({10}) Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit zwei Appellen schließen. Erstens. Auch wenn es im Basisschutz keine flächendeckende Pflicht mehr gibt, eine Maske zu tragen, wissen wir, dass Masken ein effektives Mittel sind. Ich appelliere an das Verantwortungsgefühl und die Vernunft unserer Bürgerinnen und Bürger, sich in möglichst vielen Situationen solidarisch zu zeigen und weiter die Maske zu tragen. Ich glaube an diese Vernunft; denn am Ende wird die Übernahme dieser Verantwortung mehr Menschen mehr Freiheit geben. ({11}) Zweitens. Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn nicht schon geschehen, lassen Sie sich impfen. Wir haben gute Impfstoffe. Wir haben wirksame Impfstoffe. Impfen rettet Leben. ({12}) Durch eine höhere Impfquote, durch eine möglichst baldige Grundimmunisierung werden wir einen schnelleren Weg aus dieser schrecklichen Pandemie finden. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe meinen Vorrednern aufmerksam zugehört, und ich muss sagen: Ich habe in diesem Hohen Haus selten eine solch wirre Debatte erlebt. ({0}) Dieses ganze Gesetz ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, und jede Koalitionsfraktion sieht in diesem Gesetzentwurf, was sie selber will. Eine einheitliche Linie kann ich da gar nicht erkennen. ({1}) Meine Damen und Herren, aktuell meldet das Robert-Koch-Institut infolge der ansteckenderen Omikron-Subvariante BA.2 262 593 Neuinfizierte innerhalb der letzten 24 Stunden. Das sind 46 739 mehr Neuinfektionen als noch in der Vorwoche. Eine gute Zeit also, den Freedom Day auszurufen, wie es die Ampel nun annähernd tun will? Nein, leider nicht. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft meldet mit Stand vom 15. März 2022 einen erneuten Anstieg der Belegungszahlen im Vergleich zur Vorwoche, nämlich um 11,4 Prozent. Dieser Anstieg ist nach den Statistiken der DKG vor allem auf den Anstieg der Belegungszahlen auf den Normalstationen um 12,1 Prozent zurückzuführen – wegen der Omikron-Fälle. Das alles zeigt, dass die Pandemie eben noch nicht überwunden ist und wir weiterhin vorsichtig sein müssen. Zu Recht hält es der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann – ich zitiere aus dem „Handelsblatt“ vom 11. März 2022 – für „grob fahrlässig, wenn die Bundesregierung ohne Not wirksame Instrumente für den Notfall aus der Hand gibt“.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gäbe jetzt noch einen Zwischenfragenwunsch aus der AfD-Fraktion.

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ach, nee. AfD mache ich nicht. – Am unverständlichsten sind die laxen Vorgaben beim Tragen einer FFP2-Maske: Warum sind die Masken im Einzelhandel, beim Restaurant- oder Barbesuch nicht mehr Pflicht, wenn zig Studien mittlerweile den hohen Wirkungsgrad der Schutzmasken nachgewiesen haben? ({0}) Diese verhältnismäßig harmlose Maßnahme schon jetzt aus der Hand zu geben, kommt einer „Realitätsverweigerung“ gleich, die Menschenleben gefährdet, wie es mein Grünenkollege Janosch Dahmen gegenüber dem „Handelsblatt“ kürzlich richtigerweise gesagt hat. Dies war auch die einhellige Meinung der Experten im Rahmen der Sachverständigenanhörung am vergangenen Montag im Gesundheitsausschuss. Bei dieser Anhörung mussten sich die Ampelvertreter unter anderem von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin anhören, dass die geplanten stark heruntergefahrenen Schutzvorkehrungen auf Länderebene deutlich unzureichend sind. So werden Erfordernisse von Testnachweisen sehr eingeschränkt und die 3-G-Regeln nur im Rahmen der Hotspotregelung für den Notfall in Aussicht gestellt. Die oft sehr schwammigen, nicht näher definierten Begriffe geben den Ländern kaum Rechtssicherheit, ab welcher Schwelle es zum Beispiel möglich wäre, eine Gebietskörperschaft zum Hotspot zu erklären. Und vielleicht noch schlimmer: Mit dem so heruntergekürzten Werkzeugkästchen wird es nicht möglich sein, im Bedarfsfall schnell und unmittelbar wirkende Maßnahmen gerichtssicher zu erlassen. Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der Situation ist das verantwortungslos. Die Ampelregierung stellt die Weichen dafür, dass der Staat seine Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung verletzt und dass wir im Herbst 2022 wieder da stehen, wo wir im Herbst 2021 gestanden sind. Das werden wir als Union nicht mitmachen, und deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf klar ab. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Georg Kippels hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Ausschusssitzung am heutigen Vormittag hat Staatssekretär Franke die Situation mit den Worten beschrieben: Wir haben ein Allzeithoch – ein Allzeithoch der Inzidenzzahlen, ein Allzeithoch der Hospitalisierungsrate, ein Allzeithoch der neuen Fälle und auch ein Allzeithoch der täglichen Todesfälle. ({0}) Was muss noch alles passieren, bis die Ampelkoalition endlich ihre Regierungsverantwortung ernst nimmt? ({1}) Das gilt vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass wir an einer Stelle definitiv kein Allzeithoch haben, und das ist die Impfquote. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, eine wesentliche Fehlerquelle – –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es möchte noch jemand die Gelegenheit nutzen: Herr Sichert, erneut von der AfD. Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, möchte ich nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Danke.

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, eine wesentliche Fehlerquelle dieses Gesetzesvorhabens zu beschreiben. Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode von der Ampelkoalition den Hinweis bekommen, dass man zukünftig die Coronapolitik wissenschaftsgestützt durchführen will und dazu den Expertenrat eingerichtet hat. 19 renommierte Experten sollten seit diesem Zeitpunkt die Regierung in ihren Entscheidungen, in ihren Analysen begleiten und daraus die richtigen Schlussfolgerungen für die Gesetzesvorhaben ziehen. Seit diesem Zeitpunkt sind insgesamt acht Expertenratsstellungnahmen abgefasst worden, in denen die Experten sich bis zur letzten einstimmig für zahlreiche Vorgehensweisen, Maßnahmen und Strategien entschieden haben. Sie haben sich dafür ausgesprochen, sie haben sie dringend mahnend empfohlen – und nirgendwo hat das in die bisherige Verhaltensweise der Regierung Eingang gefunden. Die Krönung ist jetzt die Situation am vergangenen Montag bei der Anhörung, die übrigens ganz zufälligerweise vor der Einbringung stattgefunden hat. Man hat also auch die Geschäftsordnung nach Kräften gebogen. Das Mitglied des Expertenrates Frau Professor Melanie Brinkmann hat sich – wahrscheinlich entgegen der Erwartung der Fragenden – in dieser Anhörung ganz klar dafür ausgesprochen, dass man Instrumente aufrechterhalten sollte, die bis jetzt gewirkt haben. Sie hat sich klar dafür ausgesprochen, dass die jetzige Situation beibehalten werden sollte. Insofern bestünde ein Gesetzesvorschlag, der von der CDU/CSU formuliert werden müsste, im Grunde genommen aus einem Satz: Verlängern wir die jetzige Regelung um drei Monate; dann sind wir vor den weiteren Herausforderungen der Pandemie geschützt. Die Botschaft kann deshalb ganz klar nur lauten, liebe Ampelkoalition: Orientieren Sie sich an Ihren Ratgebern! Orientieren Sie sich am Expertenrat! Orientieren Sie sich an den Aussagen in der Anhörung! Bis Freitag haben Sie noch Zeit, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Für uns ist der klare Schluss aus der Anhörung die Ablehnung dieses Gesetzesvorschlages. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir nicht vorstellen können, dass wir einen so furchtbaren verbrecherischen Überfall auf ein großes Land mitten in Europa erleben. Dieser russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist eine humanitäre Katastrophe. Dieser Krieg verursacht unendliches Leid. Ich werde heute Nachmittag zur Situation der geflüchteten Menschen noch ausführlicher sprechen. Dennoch möchte ich schon jetzt sagen: Seit dieser furchtbare Krieg begonnen hat, bin ich in sehr engem Kontakt mit den Ländern. Gemeinsam – auch mit den Kommunen – tun wir alles dafür, um den Kriegsflüchtlingen, die zu uns kommen, schnell und umfassend zu helfen. ({0}) Ganz überwiegend sind das Frauen, Kinder und ältere Menschen. Wir arbeiten sehr intensiv an der bestmöglichen Versorgung, Unterbringung und Verteilung. Wir koordinieren dies sehr eng, auch gemeinsam mit dem Verkehrsministerium und der Bahn. Der Bund unterstützt die Länder massiv mit dem THW und starken Kräften der Bundespolizei und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Diejenigen, die nicht privat bei Familien, bei Bekannten oder Freunden untergebracht werden können, verteilen wir nun nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder. Zugleich spreche ich mit meinen europäischen Amtskollegen über eine gerechtere Verteilung in der gesamten Europäischen Union. Wir haben einen historischen Schulterschluss erreicht, dass alle EU-Staaten gemeinsam, schnell und unbürokratisch den Geflüchteten helfen, meine Damen und Herren. ({1}) Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch schon etwas zur Registrierung sagen. Damit wir bei den Fakten bleiben: Für viele Ukrainerinnen und Ukrainer gilt Visafreiheit für 90 Tage. Das ist geltendes Recht, und das ermöglicht auch, dass viele bereits in andere europäische Staaten weiterreisen. Trotzdem haben wir sehr schnell entschieden, auch diese Menschen bei der Erstaufnahme zu registrieren – und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Das BAMF unterstützt die Länder dabei mit Registrierstationen. Das werden wir weiter intensivieren. Die Registrierung erfolgt spätestens, wenn Menschen Unterstützungsleistungen in der Bundesrepublik brauchen. Damit haben wir einen guten Überblick und können koordinieren und steuern. Meine Damen und Herren, gerade jetzt, angesichts der Bedrohung des Friedens in Europa, müssen wir den inneren Frieden in unserem Land stärken. Wir wissen, dass Rechtsextremisten jede Krise für ihre menschenverachtende Hetze missbrauchen. Aber das wird ihnen auch diesmal nicht gelingen. Wir werden das nicht zulassen! ({2}) Auch deshalb ist es so wichtig, dass wir sehr konkret handeln. Dazu dient mein Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, den ich Ihnen kurz skizzieren möchte. Prävention und Härte gehören zusammen. Wir werden rechtsextreme Netzwerke zerschlagen. Wir werden ihre Finanzaktivitäten unterbinden. Wir werden Rechtsextremisten konsequent entwaffnen. Wir werden Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst entfernen. Wir werden die demokratische Streitkultur fördern und einer Radikalisierung stärker vorbeugen. Und wir wollen für einen besseren Schutz von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern sorgen. ({3}) Alles Augenmerk richtet sich gerade auf den furchtbaren Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Aber wir haben den inneren Frieden in unserem Land sehr genau im Blick. Wir bringen in der Innenpolitik das voran, was wir uns als Fortschrittskoalition vorgenommen haben. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Bundesministerin. Wir beginnen die Regierungsbefragung mit Fragen des Kollegen Mario Czaja.

Mario Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, die Wahrung der Sicherheit an Bahnhöfen und an Grenzen ist ja Aufgabe des Bundes. In Polen wird an der Grenze erfasst, wer flüchtende Frauen und Kinder mitnimmt und aufnimmt. Warum ist es in Deutschland bislang nicht möglich, diese Menschen zu schützen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen ja gerade schon erklärt, dass wir das auch tun. Die Bundespolizei nimmt nach geltendem Recht in Deutschland all diejenigen, die hier einreisen, über keinen Pass verfügen und Drittstaatsangehörige sind, und diejenigen, die ohne Pass aus der Ukraine einreisen, selbstverständlich bei Grenzübertritt auf. Dafür gibt es die Bearbeitungsstraßen der Bundespolizei mit dem BAMF. Alle anderen werden frühestmöglich in den Erstaufnahmeeinrichtungen auch in Deutschland registriert. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage?

Mario Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Die Frage war: Wer erfasst, wo die Frauen und Kinder aufgenommen werden und wer sie abholt?

Not found (Minister:in)

Ich habe Ihnen die Frage so beantwortet, wie in Deutschland der Gang der Dinge ist. Wir nehmen diejenigen, die mit biometrischem Pass aus der Ukraine kommen, hier auf. Sie haben 90 Tage Reisefreiheit bzw. Visumfreiheit in Deutschland. Die werden wir – das habe ich schon gesagt – auf die Erstaufnahmeeinrichtungen verteilen; dort werden sie erfasst.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nur eine Nachfrage geht. Die Frage ist jetzt, ob es noch eine weitere Frage – nicht von Ihnen, Herr Czaja – zu diesem Themenkomplex gibt. – Frau Widmann-Mauz war zuerst.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie sind laut einer Pressemitteilung vom 10. März eine Kooperation mit Airbnb.org und unterkunft-ukraine.de eingegangen. Sie suggerieren in dieser Pressemitteilung nicht nur, dass es zu einer strukturierten Organisation der Vermittlung von Unterkünften kommt, sondern Sie signalisieren auch, dass es sich um seriöse Übernachtungsangebote handelt. Ich frage Sie: Gibt es bei dieser Zusammenarbeit eine Prüfung der Vertrauenswürdigkeit der Personen bzw. der Familien, die Minderjährige aufnehmen? Gehört dazu zum Beispiel die Verpflichtung zur Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses, oder sind die Organisationen die Verpflichtung eingegangen, die Mieter darauf hinzuweisen, dass sie sich bei den Ausländerbehörden registrieren lassen sollen?

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, ich danke Ihnen für Ihre Frage. – Diejenigen, die auf den Homepages, auf die wir verweisen, Angebote machen, haben sich dazu verpflichtet, darauf zu achten, dass nur seriöse Angebote dort vermittelt werden. Das sind nur große Vermittler von Wohnraum; es sind keine, die dort zusätzlich privat anbieten. Insofern haben wir darauf geachtet. Ich weise im Übrigen darauf hin, dass wir diese Woche eine eigene Plattform zur Verfügung stellen werden, wo wir auf diese Angebote hinweisen, und dann auch eine entsprechende Hilfestelle für die ukrainischen Geflüchteten eingerichtet wird. Das geht diese Woche an den Start.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herzlichen Dank. – Die nächste Frage kommt vom Kollegen Leon Eckert.

Leon Eckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005047, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Wir sehen in der aktuellen Situation, wie gut unser integriertes Hilfeleistungssystem aus Feuerwehr, Gefahrenabwehr, Katastrophenschutz und Zivilschutz ist. In der veränderten Sicherheitslage sehen wir aber auch, dass der Zivilschutz gestärkt werden muss. Da wäre meine Frage an Sie, Frau Bundesministerin, was denn das Innenministerium jetzt in Bezug auf die veränderte Sicherheitslage zum Schutz der kritischen Infrastruktur und zur Stärkung des Zivilschutzes der klassischen und der digitalen Art plant und wie die materiellen Mittel dafür im Haushalt 2022 aussehen, um das nachhaltig zu stärken und hier unser gutes System noch besser aufzustellen.

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank für Ihre Frage. – Wir haben in der Tat im Haushalt allein 100 Stellen zusätzlich für das BBK vorgesehen, um die Katastrophenhilfe und den Bevölkerungsschutz zu verstärken. Das ist sicherlich ein gutes Signal; dafür darf ich mich bei der Koalition im Namen der Bundesregierung noch mal herzlich bedanken. Das ist ein guter Punkt. Wir haben natürlich auch in allen anderen Bereichen verstärkt. Wir haben gerade beim THW verstärkt, das wir im Einsatz haben. In den letzten Jahren wurden dort die Haushaltsmittel sehr nach oben gefahren, was jetzt sehr wichtig ist, weil das THW, wie Sie schon angesprochen haben, in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr vor Ort auch bei dem Aufbau von Flüchtlingsunterkünften dabei ist und dort wertvolle Arbeit leistet. Beim Zivilschutz müssen wir uns jetzt noch mal sehr genau angucken, wie wir ihn für die Zukunft stärken. Sie haben einen dritten Bereich angesprochen: die Cybersicherheit und der Schutz der kritischen Infrastruktur vor solchen Übergriffen. Das haben wir extrem im Fokus; wir sind dort sehr aktiv. Alle, die kritische Infrastruktur betreiben, sind frühzeitig gewarnt worden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.

Leon Eckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005047, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade erwähnt, dass das BBK als obere Zivilschutzbehörde im Fokus steht. Da wäre jetzt meine Nachfrage: Wie sieht denn da der Zeitplan aus, wie wir das Amt nachhaltig stärken?

Not found (Minister:in)

Wir haben ja jetzt auch vereinbart, dass zusammen mit den Ländern ein Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz eingerichtet werden soll, das im Juni an den Start gehen soll. Das ist eine wunderbare Kooperation. Ich glaube, dass wir, Bundesländer und Bund, gemeinsam dort sehr, sehr stark sein und für den Bevölkerungsschutz viel erreichen können. Vielen Dank auch für diese Unterstützung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt habe ich eine weitere Nachfrage zu diesem Themenbereich von der Linken. Bitte.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich glaube, wir nehmen alle zur Kenntnis, dass das Land Berlin im Moment die Hauptlast bei der Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine hier in Deutschland zu tragen hat. Wir wissen: In Polen wird noch in ganz anderem Umfang Aufnahme betrieben. Ich glaube, unser aller Dank gebührt auch dort all denen, die das tun. Ich finde, von hier aus sollte ein klares Signal an die vielen Ehrenamtlichen, an die Hilfsorganisationen, aber auch an die Verantwortlichen des Landes Berlin ausgehen, dass wir das, was sie gerade eigentlich für das gesamte Land tun, wertschätzen und dass das einen dicken Applaus verdient hat. ({0}) Ich frage Sie als verantwortliche Innenministerin aber auch: Ist Ihre Auffassung, dass der Bund in den letzten Tagen und seit Ausbruch des Krieges und dem Beginn der Fluchtbewegung genug getan hat, um dem Land Berlin zur Seite zu stehen? Wir haben Zahlen von über 10 000 Geflüchteten mit unterschiedlichem Status – wir wissen das –, die täglich nach Berlin kommen, entweder weiterreisen, hier privat unterkommen oder untergebracht werden müssen. Mein Eindruck ist, dass der Bund da etwas zögerlich ist, dem Land Berlin unter die Arme zu greifen. Meine Frage wäre, wann denn tatsächlich begonnen wurde, so wie Sie es gesagt haben, die verbindliche Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel vorzunehmen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– ich komme zum Schluss –, und mit welchen Ressourcen Sie gedenken das Land Berlin als Tor zu Deutschland und als Tor zum Osten in die andere Richtung zu unterstützen. – Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich weise gern noch mal darauf hin, dass für Nachfragen – so ist das – 30 Sekunden zur Verfügung stehen. Das ist unsere gemeinsame Verabredung, nicht meine besondere Strenge heute. – Frau Faeser, bitte.

Not found (Minister:in)

Herzlichen Dank für die Frage. – Ich schließe mich dem Dank nicht nur an die Stadt Berlin an, sondern auch an Hamburg, an Bremen, an München – denn es sind die Metropolstädte, die bis jetzt Unglaubliches geleistet haben –, und ich schließe mich Ihrem Dank an die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und die, die dort für uns alle gerade extrem viel stemmen, ausdrücklich an. Das, was wir von Anfang an getan haben, ist, dass wir in Zusammenarbeit mit den Ländern sofort nach Ausbruch des furchtbaren Krieges in der Ukraine in die Verteilung gegangen sind, ({0}) das heißt ab dem 24. Februar. Wir haben Tag für Tag Busse umgeleitet, gemeinsam mit der Bahn. Es gibt eine Arbeitsgruppe, in der auch das Land Berlin vertreten ist, gemeinsam mit dem Bundesamt für Güterverkehr; dort sind wir von Anfang an in die Verteilung gegangen. Eine Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel war bis zum letzten Wochenende nicht nötig. Seit dem letzten Wochenende ist es nötig, und nun machen wir das auch. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Curio hat das Wort für die nächste Frage.

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei, Teggatz, befürchtet Sicherheitsrisiken, wenn 40 Prozent der Ankommenden unkontrolliert bleiben, und wirft Ihnen vor, aus Fehlern von 2015 nichts gelernt zu haben, wenn Nichtukrainer hier ohne Identitätsfeststellung unkontrolliert reinkommen. Am Berliner Hauptbahnhof sagte ein Bundespolizeibeamter: Hier reist der halbe Balkan ein. – Unter 160 Ukraineflüchtlingen im bayerischen Freilassing waren 130 aus Nigeria und Marokko, unter 100 in Garmisch-Partenkirchen 90 aus Asien und Afrika – angeblich Studenten, die aber weder Ukrainisch, Russisch noch Englisch sprechen. Diese Leute brauchen jetzt hier sicher keine Aufnahme. Sie können in ihr Heimatland. Wir wollen keinen Missbrauch unserer großen deutschen Hilfsbereitschaft. Wir wollen nicht dieselbe Kontrollverweigerung wie 2015, sonst bleibt Deutschland wieder sperrangelweit offen für alle Arten unerwünschter Trittbrettfahrer. Was antworten Sie Herrn Teggatz, und warum überlasten Sie mit Ihrer unspezifischen Aufnahme auch von Nichtukrainern, die ohne Not nach Hause könnten, mutwillig die Aufnahmekapazitäten für die wirklich Bedürftigen? ({0})

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ich trage gern zur Sachlichkeit der Debatte bei. ({0}) Wir haben eine sehr veränderte Situation – das habe ich eingangs in meinen Bemerkungen auch schon gesagt – gegenüber 2015. Die allermeisten Menschen reisen mit biometrischem Pass visafrei in unser Land ein. Die, die Sie angesprochen haben, sind 6 Prozent der Einreisenden. Ich habe auch das eingangs gesagt: Die Bundespolizei registriert dort. Deswegen gibt es keinen Grund, das so aufzubauschen, als sei das ein Riesenproblem. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Curio, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nach eigener Aussage der Bundespolizei werden 40 Prozent unkontrolliert gelassen. Wir können nicht wollen, dass sich wieder ein Heer von Abzockern einmischt. ({0}) Die Ukraine ist kein Land afrikanischer Austauschstudenten. Je mehr Unberechtigte kommen, umso weniger Kapazitäten haben wir doch für die wirklich Hilfsbedürftigen. Wir haben schon Hunderttausende ausreisepflichtige Asylbewerber. Jetzt brauchen wir mal Platz für echte Flüchtlinge. Wann sorgen Sie endlich dafür, dass das Heer der Ausreisepflichtigen außer Landes kommt, sodass man den jetzt wirklich Hilfsbedürftigen besser helfen kann?

Not found (Minister:in)

Aus meiner Sicht würde zunächst helfen, wenn Sie nicht den Sprachgebrauch verwenden würden, den Sie verwenden. ({0}) – Nein, es würde Ihnen, glaube ich, helfen, weil es um die Integration und die Aufnahme von Menschen geht, die vor Krieg fliehen, aus Krieg in Europa. ({1}) Ich sage es Ihnen noch mal: Diejenigen, die Sie angesprochen haben, die Sie aus meiner Sicht etwas sachlicher titulieren sollten, sind 6 Prozent. Die Bundespolizei macht einen großartigen Job. Ich empfehle Ihnen: Gehen Sie mal zum Bahnhof und schauen Sie sich an, was die Bundespolizei dort Herausragendes leistet! Mein Dank gilt der Bundespolizei. ({2}) Mit Herrn Teggatz bin ich auch im engen Austausch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Polat hat eine weitere Nachfrage zum gleichen Thema.

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte mich erst mal ganz herzlich auch im Namen meiner Fraktion bei Ihnen bedanken. ({0}) Ich glaube, es ist ein Novum gewesen, dass innerhalb kürzester Zeit zum ersten Mal nach 20 Jahren die EU-Richtlinie über vorübergehenden Schutz aktiviert wurde. In diesem Sinne ist jetzt meine Frage – weil natürlich mit der Aktivierung der Richtlinie die Solidaritätsplattform auf den Weg gebracht wurde; Sie werden ja auch noch mal mit Ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen in den Austausch gehen –: Wie wird Ihr Vorschlag für die Verteilung innerhalb Europas sein? Wir können ja von einer dynamischen Lage ausgehen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Curio, Sie haben wahrscheinlich vor Leidenschaft vergessen, Ihre Maske wieder aufzusetzen. Das machen Sie sicher gern. Danke schön. – Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Danke Ihnen, Frau Abgeordnete Polat. – Sie haben das richtig angesprochen; wir haben ein historisches Momentum, dass wir es erreicht haben, einstimmig innerhalb der Europäischen Union mit allen Staaten diesen vorübergehenden Schutz in Gang gesetzt zu haben, nämlich für Kriegsgeflüchtete; das ist das Entscheidende. Keiner von uns hätte ja je für möglich gehalten, dass uns Krieg mitten in Europa so unmittelbar tatsächlich ereilt. Wir werden jetzt – wie Sie es angesprochen haben – auf der europäischen Ebene in ein Verteilsystem gehen müssen. Es gibt auch großartige Angebote. Ich will das einfach mal benennen: Die Schweiz beispielsweise hat jetzt angeboten, 40 000 Geflüchtete aufzunehmen, und möchte mit uns dazu in Kooperation treten. Ich habe heute gehört, dass Norwegen ein ähnliches Angebot gemacht hat. Das muss jetzt auf der europäischen Ebene koordiniert werden. Ich glaube, es ist immer klug, wenn die großen Länder sich auch mit den Aufnahmekapazitäten einander annähern. Das heißt, Deutschland ist sicher gut beraten, wie Frankreich und Spanien auch, für die Aufnahme von Geflüchteten Angebote zu machen. – Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste angemeldete Frage kommt von Herrn Hartmann.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, daran direkt anknüpfend noch mal herzlichen Dank für Ihre Initiative, die Sie sofort mit der Amtsübernahme ergriffen haben, als Sie in Europa Amtskolleginnen und ‑kollegen besucht haben und sofort das Thema Migration – lange vor dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine durch Putin – zum Thema und Schwerpunkt gemacht haben, was auch ermöglicht hat, dass jetzt der temporäre Schutz gewährt wird. Sie haben darauf hingewiesen, dass es um einen freiwilligen und auf Solidarität basierenden Verteilmechanismus geht. Der JI-Rat hat in den letzten Wochen mehrfach getagt. Könnten Sie bitte noch mal die nächsten Schritte auf europäischer Ebene zeitlich einordnen inklusive der Hilfestellung für die direkten Anrainerstaaten der Ukraine – Stichwort „Katastrophenschutzmechanismus“; in Polen sind Stand heute über 1,8 Millionen Menschen aufgenommen worden –, die dort in einem europäischen Akt der Solidarität geleistet worden ist, und auch die deutschen Beiträge noch mal herausstellen? Das als Nachfrage.

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank. – Herr Abgeordneter Hartmann, ich fange mal vorne an. Ja, es ist richtig. Ich habe die Bemühungen in Europa verstärkt, unabhängig von diesem Kriegsgeschehen zu einem gemeinsamen Asylsystem auf europäischer Ebene zu kommen. Ich halte das immer noch für das Sinnvollste, und ich glaube, dass uns im Moment die guten Beratungen miteinander ein gutes Stück nähergebracht haben und dieser Weg auch erfolgreich sein wird. Daran glaube ich fest, und ich bin sicher, dass das der richtige Weg auch für uns hier in Deutschland ist. Woran sieht man das? Sie haben es angesprochen: Man sieht es einmal an der jetzigen Solidarität und dem Ingangsetzen der Solidaritätsrichtlinie über vorübergehenden Schutz. Das heißt, es gibt einen direkten Aufenthaltstitel, wenn die Menschen aus der Ukraine hierherkommen, der gleichbedeutend mit einer Arbeitserlaubnis ist. Mehr Integration innerhalb der Europäischen Union geht kaum. Das ist wirklich etwas sehr, sehr Positives. Sie haben es auch angesprochen: Die Europäische Kommission hat sehr früh den Katastrophenschutzmechanismus in Gang gesetzt. Auch das zeigt eine Solidarität innerhalb Europas, wo jetzt sehr schnell den Hilfsgesuchen der Anrainerstaaten, aber auch der Ukraine innerhalb der Europäischen Union entsprechend verteilt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hm, hm.

Not found (Minister:in)

Da sind wir mit THW und anderen Hilfseinrichtungen dabei und schon sehr, sehr weit. Wir haben schon in der Ukraine geholfen, aber auch in vielen Anrainerstaaten. – Vielen Dank dafür. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war ein Zeitmanagementhusten. – Herr Hartmann hat noch eine Nachfrage.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, genau an den Punkt noch mal anknüpfend: Der eine Teil ist die europäische Ebene. Der andere Teil ist aber – Sie haben die Länder auf JI-Ratsebene direkt einbezogen; „Landesinnenminister“ ist das Stichwort – ein freiwilliger Beitrag der Länder, zum Beispiel das Verteilzentrum in der Messe Laatzen. Dies ist ein Beitrag des Landes Niedersachsen, wo man ganz pragmatisch, wie man das im Norden kennt, angepackt und angeboten hat, zur Entlastung beizutragen. An anderer Stelle ist auch von der großen Aufnahmebereitschaft und ‑kapazität in anderen Bundesländern gesprochen worden. Können Sie darlegen, in welchen Zeiträumen die Verteil- und Hubstrukturen der Länder als Ergänzung –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hm, hm.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– hochgezogen worden sind und welche Möglichkeiten da perspektivisch noch bestehen, Stichwort „Königsteiner Schlüssel“ und „EASY-Verteilung unter BAMF-Unterstützung“?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dass ich jetzt schon gehustet habe, liegt daran, dass diese Nachfragen nur 30 Sekunden dauern, wir aber nicht 30 Sekunden einstellen dürfen. Das heißt, Sie müssen es abrechnen; das gilt natürlich für alle. – Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank. – Herr Hartmann, ich will mich noch mal bei allen Bundesländern bedanken und betonen, wie gut die Kooperation in diesen ersten 14 Tagen – so viele sind es ja jetzt fast – funktioniert hat. Ich darf mich ausdrücklich dafür bedanken, dass gerade Hannover, also Niedersachsen, sehr schnell ein Verteilzentrum aufgebaut hat, was uns sehr weitergeholfen hat auch bei der Frage, die Lasten, die zweifelsohne gerade Berlin zu tragen hatte und hat, zu verteilen. Das war großartig; das hat bis zum letzten Wochenende sehr gut funktioniert. Dann mussten wir aber feststellen – das war auch der Wunsch der Länder –, dass jetzt nach Königsteiner Schlüssel verteilt wird. Das machen wir ab dieser Woche; das ist für uns auch in Ordnung. Die Registrierung bei den Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgt über das System EASY. EASY hat einen eigenen Verteilmechanismus, der sich nach dem Königsteiner Schlüssel richtet. – Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir haben jetzt mehrere Nachfragen. Eine lasse ich zu, und zwar der Reihenfolge nach. Das heißt, wenn Sie noch weitere Nachfragen haben, dann müssen Sie sich immer relativ schnell melden, damit wir das in diesen Zeiten hier gut managen können. – Der Erste war der Kollege Frömming.

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie erwähnten eben die Wichtigkeit des gemeinsamen europäischen Vorgehens in Asylfragen. Nun hatten wir ja vor einiger Zeit die Situation, dass der Diktator aus Weißrussland an der polnischen Grenze eine Menge Migranten hat aufmarschieren lassen. Es war eine gemeinsame europäische Linie, die nicht nach Europa zu lassen. Können Sie uns denn sagen, wo diese Migranten jetzt sind? Und können Sie ausschließen, dass sie nicht vielleicht die Situation in der Ukraine ausnutzen, um als Trittbrettfahrer nun doch zu uns zu kommen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen so viel sagen, wie ich vorhin schon beantwortet habe: dass wir alle Drittstaatler besonders kontrollieren. Das macht die Bundespolizei in hervorragender Art und Weise. Und ich kann Ihnen die Frage, ob die Geflüchteten aus Belarus weitergeleitet worden sind, im Moment nur mit Erkenntnissen, die die Bundespolizei hat, so beantworten, dass es im Moment kein Durchleiten seitens Belarus aktiv gibt. Das ist eine Momentaufnahme. Man kann es nie ausschließen. Aber auch das haben wir im Blick.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen: Die Besetzung im Präsidium hat gewechselt; das wird heute noch mehrfach so erfolgen. Ich werde weiter so verfahren, wie die Kollegin Göring-Eckardt das jetzt hier eingeführt hat für diese Woche. Das Wort zur nächsten Frage hat die Kollegin Clara Bünger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, mehrere Stimmen in der Zivilgesellschaft haben sich bereits dafür ausgesprochen, dass Kriegsdienstverweigerern aus Russland Asyl zu gewähren ist. Nach geltendem Asylrecht in Deutschland hätte diese Gruppe in der Regel auch einen Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus hier. Ist die Bundesregierung denn bereit – vielleicht auch in Absprache mit anderen EU-Staaten –, ein klares Signal an Deserteure und Deserteurinnen zu senden, dass sie hier in Deutschland einen Schutzstatus bekommen können, wenn sie sich dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg entziehen?

Not found (Minister:in)

Wir beraten das in der Tat, wie Sie, Frau Abgeordnete, es gesagt haben, auf der europäischen Ebene. Ich möchte dem Ergebnis dieser Beratung nicht vorweggreifen; denn ich glaube, es wäre klug, diesbezüglich ein einheitliches, abgestimmtes Verfahren zu haben, weil das ja nicht ganz unempfindlich ist und in gewisser Weise auch in den Krieg mit eingreift.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Aus unserer Sicht wäre insbesondere die Einreise ein Problem für diese Personengruppe. Wie wird sich die Bundesregierung, wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass es sichere Fluchtwege für diese Personengruppe geben wird?

Not found (Minister:in)

Soweit ich weiß, ist es kein Problem, auszureisen. Ich war an der polnisch-ukrainischen Grenze und habe dort nicht berichtet bekommen und auch nicht gesehen, dass solche Menschen über diesen Fluchtkorridor abgewiesen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Kaddor stellt noch eine Nachfrage.

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Ministerin, für die Ausführungen. – Nach all dem, was wir gerade gehört haben, sehen wir ja ein sehr komplexes Bild. Es sind sehr komplexe Herausforderungen, die da gerade entstehen. Deshalb auch die Bitte nach mehr Steuerung vom Bund und damit verbunden die Frage: Ist das angedacht? Wird es einen sogenannten Flüchtlingsgipfel geben?

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete Kaddor, danke schön für Ihre Frage. – Die Steuerung machen wir sehr stark von Anfang an. Ich sage es noch mal: In dieser Arbeitsgruppe sind neben Bund und Ländern auch das BAG und das Verkehrsministerium vertreten. Es macht natürlich Sinn, für die Verteilung von Zügen und Bussen auch das Verkehrsministerium mit einzubinden. Ich bin meinem Kollegen Volker Wissing sehr dankbar für die enge Kooperation, die wir Tag für Tag haben und die auch am Wochenende, wenn ich das einmal sagen darf, sehr intensiv war. Wir werden diese Woche den Königsteiner Schlüssel anwenden, also noch stärker steuern. Ich hatte letzte Woche eine gute Runde mit den kommunalen Spitzenverbänden, und es wird sicherlich einen adäquaten Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den Ländern und mit dem Bund geben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Konstantin Kuhle.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Liebe Frau Bundesministerin, wir haben eine Situation, die die schlimmste Flüchtlingskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg darstellt. Ich glaube, es ist gut, dass wir so viel Hilfsbereitschaft und auch so viel unbürokratische Hilfe durch die Nachbarstaaten der Ukraine gesehen haben. Auch dem Bundesinnenministerium ausdrücklich ein Dankeschön dafür, dass diese Sachen in Deutschland möglich gemacht worden sind. ({0}) Ich mache mir aber ein bisschen Sorgen, ob wirklich alle staatlichen Ebenen das Ausmaß dieser Katastrophe schon verstanden haben. Deswegen ist meine Frage: Wie können wir die verschiedenen staatlichen Ebenen noch besser darüber informieren, was ihre Rolle ist? Mich würde genau interessieren: Was ist jetzt, in dieser konkreten Konstellation, die Rolle des Bundes, was machen die Länder, was machen die Kommunen, und wie stellen wir sicher, dass die verschiedenen staatlichen Ebenen auch erfahren, was ihre Rolle ist, und dass die Kommunikation zwischen den Akteuren gewährleistet ist?

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank, Herr Kuhle, für Ihre Frage. – Wir haben ein sehr enges Netzwerk in der Kooperation. Wir haben nahezu täglich einen Austausch mit den Bundesländern. Wir haben auch einen intensiven Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden, um zu schauen, wer für was zuständig ist. Dazu ein Beispiel: Wenn die Geflüchteten, die ja hier sehr unbürokratisch einen Aufenthaltstitel bekommen, Leistungen haben möchten, müssen sie sich in einer Ausländerbehörde registrieren lassen. Die Registrierung, die sie in der Erstaufnahmeeinrichtung gemacht haben, würde dafür auch ausreichen; aber sie müssen sich ja melden, um ihre Leistungen zu erhalten. Das ist jetzt eine kommunale Aufgabe – um mal abzuschichten, wer für was im Moment zuständig ist. Für die Unterbringung und Erstversorgung der Geflüchteten sind die Bundesländer zuständig, aber wir helfen dort sehr stark. Die elektronische Registrierung funktioniert mittlerweile sehr gut. Wir haben sogenannte PIK-Stationen. Das heißt: Wir nehmen zehn Fingerabdrücke, alles wird registriert. Das dauert ein bisschen. Deswegen helfen wir dort mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAMF, die diese Geräte haben, und unterstützen die Länder bei dieser Aufgabe. Wir helfen mit dem THW, zum Beispiel beim Aufbau von Flüchtlingsunterkünften, und wir helfen sehr stark mit der Bundespolizei. Wir steuern miteinander sehr viel. Wenn Sie erlauben, erwähne ich noch ganz kurz, dass wir auch auf der europäischen Ebene jetzt schon stärker steuern. Seit dem letzten Wochenende und dem Beginn dieser Woche habe ich gemeinsam mit Volker Wissing einen Ansprechpartner in Polen, sodass wir jetzt täglich Absprachen über die Verteilung treffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Nachfrage. – Ich bitte die Fragenden wie auch die Frau Ministerin, jeweils auf die verabredete Zeit zu achten. – Bitte.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Bundesinnenministerin, Sie haben den Königsteiner Schlüssel erwähnt. Es ist gut, dass er jetzt in Deutschland Anwendung findet. Er kann ja aber nur angewandt werden, soweit die Personen registriert sind. Deswegen würde ich Sie bitten, noch einmal ein Wort zu sagen zu der Gruppe derjenigen, die privat untergekommen und die noch nicht registriert sind. Wie viele sind das ungefähr? Und wie kommen wir bei dieser Gruppe von Personen, die privat untergekommen sind, dazu, dass sie jetzt auch registriert und dann verteilt werden?

Not found (Minister:in)

Wir werden jetzt auf jeden Fall über diese Plattform, die wir ab dieser Woche anbieten und die sich an die Geflüchteten richtet, die jetzt bei Verwandten, Freunden untergekommen sind oder die auf eigene Faust hier eingereist und nicht mit Zügen angekommen sind – wir haben sie ja zumindest gezählt und wissen, wer hier ist –, jetzt noch einmal die Informationen versenden. Denn auch sie müssen ja Leistungen erhalten können, sie wollen ja auch arbeiten, sie brauchen eine Arbeitserlaubnis. Das alles kann man bei der Ausländerbehörde erhalten. Ich glaube, dass man über diese Plattform die Menschen gut erreichen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Abgeordnete Czaja das Wort.

Mario Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich komme auf das Thema der Aufgaben zurück. Ich weiß nicht, wann Sie am Hauptbahnhof gewesen sind und sich die Situation angesehen haben. Wer erfasst, bei wem die Geflüchteten aufgenommen werden und wer das ist, bei dem die Aufnahme stattgefunden hat, damit da kein Schindluder getrieben wird?

Not found (Minister:in)

Zuerst wird erfasst bei Grenzübertritt von Polen nach Deutschland; denn die Bundespolizei betritt die Züge und lässt sich alle Pässe zeigen. Das passiert in der Regel am Grenzübergang Frankfurt (Oder). Die Erfassung in dem System, das ich eben genannt habe, passiert in Berlin, wenn die Geflüchteten in die Erstaufnahmeeinrichtung kommen: mit Fingerabdrucksystem, mit allem. Eine Ausnahme gibt es, wenn ich Ihnen das noch mal sagen darf: Alle, die ohne Pass kommen oder Drittstaatler sind, werden von der Bundespolizei in den Bearbeitungsstraßen bereits in Frankfurt (Oder) in die Systeme aufgenommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Alexander Throm.

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin Faeser, ich will Ihnen die Gelegenheit geben, Ihre Aussage von vorhin und auch von eben zu überprüfen; denn sie widerspricht den Darstellungen Ihrer Staatssekretäre von erst heute Morgen im Innenausschuss. Wir registrieren und stellen Personen nicht durchgehend fest. Das betrifft auch nicht nur diejenigen, die einen biometrischen Pass haben und damit visafrei einreisen; vielmehr wird auch bei anderen Personen nicht durchgehend registriert und festgestellt. Deswegen gebe ich Ihnen die Gelegenheit, das noch mal darzustellen. Wir wissen momentan nicht, wie viele Personen aus der Ukraine nach Deutschland eingereist sind und wo sie sind. Das ist beispielsweise in Polen ganz anders. Polen hat einen sehr genauen Kenntnisstand darüber, wer und wie viele bei ihnen angekommen sind und wo ihre Reiseziele sind. Was macht Polen besser als wir?

Not found (Minister:in)

Herr Throm, ich versuche, es Ihnen noch mal zu sagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bleiben Sie bitte stehen, Herr Kollege Throm.

Not found (Minister:in)

Herr Throm, ich versuche, es noch mal zu erklären – da gibt es auch gar keinen Widerspruch, glaube ich, zwischen mir und dem Staatssekretär –: Ich habe ja eben erläutert, dass unterschiedliche Personen mit unterschiedlichem Schutzstatus ankommen und daher unterschiedlich registriert werden. Ich habe Ihnen gerade erläutert: In Frankfurt (Oder) geht die Bundespolizei in die Züge rein, lässt sich alle Ausweise zeigen, und die, die keine haben oder Drittstaatler sind, werden im System erfasst. Das ist das eine. Das andere sind die Menschen, die mit biometrischen Pass einreisen und 90 Tage visafrei in Deutschland bleiben können. Die haben das Recht, sich frei zu bewegen. Die werden wir – und da sind Sie sicher mit mir einer Meinung –, wenn sie nach Paris oder Madrid weiterreisen möchten, nicht daran hindern wollen. Sie werden dort Freunde, Bekannte, Angehörige treffen. Jetzt nenne ich Ihnen einmal den Unterschied zwischen Polen und uns: Polen hat eine Grenze zur Ukraine. Dort stehen die Menschen, die von Krieg, Flucht, Vertreibung und vom Bombenhagel betroffen sind, in der Kälte Schlange, um in das Land einzureisen. Wollen Sie wirklich in Deutschland die Grenzen wieder schließen, damit genau das an der Grenze von Polen zu Deutschland noch einmal passiert? Wenn das so ist, dann sagen Sie es. Meine Auffassung ist es nicht. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da geht in Ihrem Haus wohl einiges durcheinander. Noch mal: Die Darstellung Ihrer Staatssekretäre heute Morgen war unisono eine andere. Bitte erkundigen Sie sich bei ihnen. Die Grünen sind ja auch unzufrieden und haben beispielsweise einen Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt gefordert. Deswegen die Frage: Halten Sie das auch für notwendig? Zur besseren Koordination muss die Krise jetzt hier Chefsache werden.

Not found (Minister:in)

Da Sie bislang noch keine Einladung dafür bekommen haben, Herr Throm, sehen Sie, dass wir das sehr gelassen sehen. Ich habe gesagt: Es wird ein geeignetes Format geben, das wir öffentlich und über das, was wir im Arbeitsalltag jeden Tag miteinander besprechen – sei es mit den kommunalen Spitzenvertretern oder mit den Ländervertretern –, hinaus auflegen werden. Ich glaube, dass das Erfassen und Verteilen innerhalb Deutschlands und vor allen Dingen – ich will es noch mal sagen – die humanitäre Aufnahme von Frauen mit kleinen Kindern hier in Deutschland gewährleistet ist und dass dort gerade gute Arbeit geleistet wird. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Noch mal kurz zur Erläuterung: Heute gilt die Praxis, dass es noch eine Nachfrage eines weiteren oder einer weiteren Abgeordneten gibt. Der erste, der sich jetzt zu dieser Frage gemeldet hat, war der Kollege Thomae. Ich habe noch eine Wortmeldung gesehen. Aber wir haben noch Chancen, dass auch andere nachher mit Nachfragen zum Zuge kommen. – Bitte, Herr Thomae.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, den Widerspruch, den der Kollege Throm zwischen Ihren Aussagen und denen des Staatssekretärs zu erkennen vermeinte, konnte ich auch nicht feststellen. ({0}) Ich bin aber auch der Auffassung, dass es notwendig ist, genau festzustellen, wer im Lande ankommt. Denn nur dann, wenn wir wissen, wie viele kommen und wer kommt – Minderjährige, Frauen, die allein kommen, Familien oder Ältere –, kann man sinnvoll, gerecht und fair verteilen und auch feststellen, welche Bedürfnisse sich daraus an Kinderbetreuung, Betreuung von älteren Personen und dergleichen ergeben. Deswegen ist es natürlich schon richtig, dass ein möglichst genaues Register wichtig ist. Ich bin sehr froh, dass Sie schon in Auftrag gegeben haben, dass ein solches Register durch das BAMF erstellt wird. Auch die Polen und andere Länder haben so etwas.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Thomae, 30 Sekunden.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nun wäre es sicherlich sinnvoll, wenn diese verschiedenen Register aufeinander abgestimmt würden. Da ist meine Frage an Sie: Gibt es einen Abgleich zwischen den Registern, etwa in Polen und Deutschland?

Not found (Minister:in)

Herr Thomae, was ich Ihnen zumindest sagen kann – das ist ein echter Fortschritt –: Bei der Erstaufnahme über die PIK-Stationen registrieren wir die Geflüchteten ja schon – ich habe es vorhin erklärt –, obwohl sie einen biometrischen Pass haben und wir es gar nicht müssten. Dieser Datenabgleich in unserem Ausländerzentralregister geht beispielsweise mithilfe von Eurodac. Das ist überhaupt kein Problem, übrigens auch was die Daten der Bundespolizei und des BAMF angeht. Das ist ein echter Fortschritt, dass wir da schon so weit sind. Jetzt geht es nur noch darum, dass wir das auch möglichst flächendeckend hinbekommen, und dafür leisten wir gerade sehr viel Unterstützung. – Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Khan.

Misbah Khan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005104, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben vorhin schon Ihren Aktionsplan gegen Rechtsextremismus angesprochen. Wir begrüßen sehr, dass Sie der Prävention ordentlich Platz einräumen. Vielen Dank dafür. Uns ist es besonders wichtig, dass wir entschlossen gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und jede andere Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vorgehen. An der Stelle die Frage: Was möchten Sie dafür tun in Ihrem Aktionsplan? – Vielen Dank. ({0})

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank, Frau Abgeordnete, dass Sie dieses so wichtige Thema ansprechen. – Wir haben zwei oder drei richtig große Bereiche eines präventiven Ansatzes in dem Aktionsplan vorgelegt: Das eine ist, dass wir Programme auflegen wollen, wie wir diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit frühestmöglich bekämpfen können. Das zweite ist eine Medienkompetenzvermittlung, weil wir zunehmend feststellen, dass in den sozialen Netzwerken über rechte Medien falsch informiert wird. Wir müssen gerade junge Leute im Bereich der Medienkompetenz stark machen, damit sie nicht auf diese Verschwörungstheorien und rechtsextremen Theorien reinfallen. Der dritte Bereich befasst sich damit, in der Gesamtgesellschaft an allen Stellen, wo es nötig ist, aber vor allen Dingen aus unserem Haus heraus – wir haben die Heimatabteilung dafür extra noch weiter ausgebaut –, die Menschen präventiv durch einzelne Projekte zu stärken und resilienter gegenüber Übergriffen von Rechtsextremisten zu machen und auch Aussteigerprogramme zu stärken. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Krämer.

Philip Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005114, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich hätte eine Nachfrage den Sportbereich betreffend. Wir haben uns im Koalitionsvertrag ein Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit vorgenommen. Welche Schwerpunkte möchten Sie da gerne setzen, und welchen Zeitplan haben Sie sich dort vorgenommen?

Not found (Minister:in)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für mich ist es ganz wichtig, dass wir bei mir im Haus dem Sport – ich bin ja auch Sportministerin – und gerade dem Bereich Integration durch Sport sehr viel mehr Raum geben. Wir haben dort noch mal die Mittel verstärkt, gerade im Hinblick auf präventive Projekte zur Verhinderung von Rechtsextremismus. Wir haben dort ein völlig neues Konzept aufgestellt. Es freut mich sehr, dass Sie das zur Kenntnis nehmen. Wir wollen aber den Sport insgesamt stärken. Wir haben im neuen Haushalt nochmals mehr Mittel eingeplant. Ich freue mich, dass wir im nächsten Jahr die Special Olympics World Games hier in Deutschland haben. Wir werden dafür verstärkt Geld in die Hand nehmen, um da sehr praktisch zu unterstützen. – Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Martin Hess.

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, Sie haben gestern auf der Pressekonferenz zum wiederholten Mal den Rechtsextremismus als größte Sicherheitsgefahr in unserem Land dargestellt. Die objektive Zahlenlage spricht aber eine andere Sprache: 554 islamistischen Gefährdern stehen 76 rechtsextremistische gegenüber. Der Generalbundesanwalt hat seit 2019 1 007 islamistische Terrorverfahren eingeleitet. Dem gegenüber stehen 40 Terrorverfahren gegen Rechtsextremisten. Bei dem verhinderten islamistischen Rizin-Anschlag in Köln hätten bis zu 13 500 Tote und noch mal so viele Verletzte, also in Summe 27 000 Opfer, beklagt werden müssen, wenn er umgesetzt worden wäre. Sind Sie angesichts dieser klaren Zahlen bereit, Ihre Priorität in der Extremismusbekämpfung zu korrigieren, insofern der objektiven Zahlenlage anzupassen und zukünftig den islamistischen Terror als größte Sicherheitsgefahr klar zu benennen und zu bekämpfen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ich sage es noch mal – ich habe es auch in meiner ersten Rede schon gesagt –: Selbstverständlich bekämpft mein Haus alle Formen von Extremismus, sei es Linksextremismus, islamistischer Terrorismus oder Rechtsextremismus. Im Moment – Sie nehmen immer nur die Zahlen, die Ihnen gerade passen, in die Argumentation – ist es leider so, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung für die demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik darstellt. ({0}) Mit dieser Bewertung bin ich auch nicht alleine – Sie können sich gerne die Pressekonferenz von gestern noch mal angucken –; denn sowohl der Chef des Bundesverfassungsschutzes als auch der BKA-Präsident haben gestern eindeutig dargelegt, dass die höchsten Zahlen im Moment im Phänomenbereich rechts festzustellen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Gut, dass Sie es ansprechen. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz hat gestern allen Ernstes zur Beurteilung der Gefahrenlage Zahlen der Amadeu-Antonio-Stiftung angeführt. ({0}) Das ist ja eindeutig eine linkslastige Stiftung. Halten Sie es als Innenministerin tatsächlich für zielführend, sich bei der Extremismusbekämpfung auf spekulative Zahlen von eindeutig nicht objektiven externen Organisationen zu stützen anstatt auf die validen Zahlen des BKA, die wesentlich niedriger liegen? Und können Sie die Irritationen nachvollziehen, die ein solches Vorgehen nicht nur bei Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden erzeugt, sondern auch bei einer Vielzahl der Bürger? ({1})

Not found (Minister:in)

Ich wiederhole meine Antwort noch mal: Ziehen Sie nicht einzelne Zahlen raus, um sie für Ihre Argumentation zu missbrauchen. ({0}) Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat gestern in seiner ersten Bemerkung die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik zitiert. Die sind aus meiner Sicht nicht fehleranfällig, und danach gibt es die meisten Straftaten nun mal im Bereich des Rechtsextremismus. Was Sie angesprochen haben, betrifft die Zahl der Gewalttaten gegen Menschen. Er hat die Zahlen der Amadeu-Antonio-Stiftung deshalb herangezogen, weil bei Straftaten oft die Motivation nicht erfasst wird. Ich weiß nicht, ob Sie auch Jurist sind. ({1}) – Sie sind Polizist. Dann wissen Sie das. – Die Zahlenerfassung bei Verurteilungen bemisst sich in der Regel nach der Verurteilung wegen des schwersten Delikts. Wenn es sich beispielsweise um Totschlag handelt, taucht nur der Totschlag in der Statistik auf, aber nicht, dass dieser einen rechtsextremistischen Hintergrund hatte. Das macht die Amadeu-Antonio-Stiftung anders, und deswegen hat er diese Zahlen benutzt. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Abgeordnete Renner das Wort.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin, ich hätte eine Nachfrage zum Aktionsplan. Unter dem Punkt „Rechtsextreme Netzwerke zerschlagen“ sprechen Sie dort auch die Rolle von Finanzmitteln in der extremen Rechten an, zum Beispiel durch Nazirockveranstaltungen. Man muss aber auch – und das fehlt mir – Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch Einnahmen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität zum Thema machen. Ich glaube sogar, dass das, was wir in der extremen Rechten derzeit beobachten, bis in den Bereich der Terrorfinanzierung geht. Meine Frage: Wie arbeiten Sie an der Stelle mit der Justiz und zum Beispiel dem Zollkriminalamt zusammen, und was soll dort verändert werden?

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete Renner, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, dass Sie das ansprechen. Selbstverständlich werden wir über den Aktionsplan hinaus den Rechtsextremismus ganzheitlich bekämpfen. Das, was gestern vorgelegt wurde, ist ausdrücklich ein Aktionsplan aus dem Hause des Bundesinnenministeriums und hat keine ressortübergreifenden Schnittmengen. Deswegen haben wir ihn so gefasst, wie wir ihn gefasst haben: um zu zeigen, wo wir selber tätig werden können. Selbstverständlich werde ich gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister und dem Bundesjustizminister auch im Bereich der Organisierten Kriminalität, der Geldwäsche und bei anderen Dingen sehr eng abgestimmt vorgehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt Elisabeth Kaiser.

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte das gerne noch erweitern. Wir haben ja noch ein weiteres wichtiges Vorhaben in unserer Koalition, und zwar das Demokratiefördergesetz. Wir alle wissen, dass die Zivilgesellschaft eine tragende Säule für unsere Demokratie ist. Sie ist auch eine Säule für die Kommunen, denen wir das Rückgrat stärken müssen. Deshalb ist es so wichtig, dass das Gesetz jetzt auf den Weg kommt. Nun ist die Frage, wie es konkret ausgestaltet wird. Es gibt ein Diskussionspapier, das zur Stellungnahme schon an die Zivilgesellschaft gegangen ist. Darin soll ein Rahmen gesetzt werden, um die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Da frage ich mich: Was sollen die Schwerpunkte dieses Rahmens sein, gerade mit Blick auf Förderstrukturen, Ausstiegs- und Opferberatung, aber auch mobile Beratung? Wie soll das aussehen? Auch mit Blick auf die geteilte Federführung zwischen Ihrem Haus und dem Haus der Familienministerin würde ich gern wissen: Wie wird die konkrete Ausfertigung aussehen? Wer übernimmt da die Verantwortung?

Not found (Minister:in)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kaiser. – Das ist ein sehr wichtiges Projekt. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es ansprechen; denn es ist nicht Bestandteil des Aktionsplanes – bewusst nicht, weil es in der Tat unter der Federführung des BMFSFJ ist. Das heißt, Anne Spiegel wird dafür die Federführung haben. Es gibt zwar eine gemeinsame Vorbereitung, eine gemeinsame Federführung in der Erarbeitung, aber sie wird die technische Federführung haben, das heißt das Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen. Ich bin ihr da auch sehr dankbar. Wir sind in sehr engem Austausch. Es geht beim Demokratiefördergesetz um etwas ganz Wesentliches, nämlich um die verstetigte finanzielle Unterstützung der Zivilgesellschaft. Das steht dabei hauptsächlich im Fokus, neben all dem, was Sie an präventiven, frühzeitigen Maßnahmen, an Aussteigerprogrammen angesprochen haben. Das erarbeiten wir gerade mit der Zivilgesellschaft, und wir wollen gerne im Zeitplan bleiben, sodass wir den Gesetzentwurf Ende des Jahres gemeinsam ins Kabinett einbringen. – Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor Sie Ihre Nachfrage stellen, der Hinweis: Herr Brandner, leider war ein anderer Kollege schneller. – Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke für die Ausführungen. – Eine Nachfrage: Mich würde noch interessieren, was konkret im Bereich „politische Bildung“ vorgesehen ist. Soll das im Demokratiefördergesetz eine Rolle spielen? Da würde ich gern noch mal um ein paar Ausführungen bitten. – Vielen Dank.

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank, Frau Kaiser. – Das haben wir in den gestern vorgestellten Aktionsplan schon mit aufgenommen. Herr Krüger als Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung war gestern bei der Pressekonferenz dabei. Ich habe noch nicht die Gelegenheit gehabt, ihm dafür zu danken und ihn ebenso zu erwähnen wie den BKA-Präsidenten und den Verfassungsschutzpräsidenten. Wir wollen damit vor allen Dingen das, was ich vorhin gesagt habe, frühzeitig stärken: die Kompetenz junger Leute, resilient gegen die Ansprache von Rechtsextremisten zu sein und damit umzugehen. Wir wollen damit Medienkompetenz vermitteln, weil das Thema der Beeinflussung durch rechte Medien ein sehr, sehr aktuelles ist, das sich vor allen Dingen auch bei den – ich will es noch mal sagen – noch immer stattfindenden Coronaprotesten manifestiert. Wie nutzen Rechtsextreme diese aus? Mit welchen Medien arbeiten sie dort zusammen? Dazu wollen wir im Bereich „politische Bildung“ ganz viel verstärken, um auch dort eine andere Kompetenzvermittlung zu erreichen. – Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Hartmann.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Vizepräsidentin! Ich möchte die Zahlen, die hier im Plenum schon erwähnt worden sind, noch ergänzen. Heute Vormittag mussten wir den Bericht des Präsidenten des Verfassungsschutzes im Innenausschuss über den Verdachtsfall AfD und das Urteil des VG Köln zur Kenntnis nehmen. Es wurde auf ein über 1 000-seitiges Gutachten verwiesen, das eine Vielzahl von Entgleisungen, Vorwürfen und Nachweisen aufführt, womit der Beweis angetreten wird, dass die AfD nicht auf dem Boden der Verfassung steht und eben auch der freiheitlich-demokratischen Grundordnung feindlich gegenübersteht. Sie haben in Ihrem Aktionsplan die Entfernung von Rechtsextremisten aus den Kreisen der Sicherheitsbehörden, aus den Kreisen des öffentlichen Dienstes zu einem der Schwerpunkte erhoben. Das ist ein zentraler Punkt, den Sie erwähnt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Auch hier gilt: 30 Sekunden.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Könnten Sie die Möglichkeiten des Disziplinarrechts und die Ansätze des BMI noch mal darlegen?

Not found (Minister:in)

Ganz herzlichen Dank, Herr Hartmann. – Das ist ein ganz wichtiger Bereich; denn diejenigen, die den Staat vertreten, müssen sich nicht nur auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen, sondern sie haben eine besondere Vorbildfunktion; das will ich noch mal herausheben. Umso wichtiger ist es, dass wir Extremisten und Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst auch schnell entfernen können. ({0}) Wir wollen insbesondere das Disziplinarrecht und wahrscheinlich auch das Beamtenrecht insoweit ändern, dass wir beispielsweise – das treibt mich schon seit Langem um – die Möglichkeit schaffen, die Beweislast umzukehren. Das heißt, wenn Anhaltspunkte für fehlende Verfassungstreue vorliegen, muss der Betroffene beweisen, dass dem nicht so ist, anstatt dass der Staat immer nachweisen muss – das ist sehr kompliziert –, dass andere Gründe dafür vorliegen, dass er nicht verfassungstreu ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der zweite wichtige Punkt ist aus meiner Sicht, dass es keinen Grund dafür gibt, dass jemand, der sich nur in einem Zeit- – Darf ich noch ganz kurz ausführen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

„Zeit“ ist das richtige Stichwort. Versuchen Sie, es zu Ende zu bringen.

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin, ich versuche, es ganz schnell zu beenden. – Es gibt keinen Grund dafür, dass die Anforderungen an diejenigen, die ihr Beamtenverhältnis ruhen lassen, geringer sind, als wenn sich die Person in Pension befindet. Auch das ist etwas, was ich nicht in Ordnung finde und was ich gern ändern möchte. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Clara Bünger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass ich auch noch ein zweites Mal eine Frage stellen darf. – Es haben jetzt viele darüber gesprochen, dass hier alle Menschen aufgenommen werden, auch alle Drittstaatler/-innen. Ich möchte dem noch einmal vehement widersprechen. Wir begrüßen es natürlich, dass jetzt viele Menschen hier aufgenommen werden; denn das zeigt doch aus meiner Sicht, wie eine solidarische Asylpolitik funktionieren kann; und das ist gut so, und das begrüßen wir natürlich auch. Ich stelle mir dennoch die Frage: Warum werden nicht alle Geflüchteten hier in Deutschland so solidarisch aufgenommen? Warum wird es beispielsweise nicht allen Geflüchteten ermöglicht, bei Verwandten und Bekannten unterzukommen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben? Warum werden andere Asylsuchende vielmehr weiterhin gezwungen, sich in menschenunwürdigen Erstaufnahmelagern, sogenannten AnkERzentren, unterbringen zu lassen? Ist Ihr Haus bereit, darüber nachzudenken, das generell zu ändern? Oder wie sieht der diesbezügliche Plan bei Ihnen aus?

Not found (Minister:in)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für die Frage, die Sie mir gestellt haben. – Sie haben ja gesehen, dass wir im Koalitionsvertrag umfangreiche Vorhaben für eine menschenwürdige Aufnahme von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Deutschland vereinbart haben. Da wird es Verbesserungen geben. Wenn Sie ansprechen, dass der Asylstatus etwas ist, was möglichst auch europaweit einheitlich geregelt werden sollte, möchte ich noch einmal darauf verweisen: Auch da kämpfen wir für bessere Standards in vielen Ländern, deswegen meine starken Bemühungen, insbesondere in Europa für ein europäisches Asylsystem zu kämpfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hätte noch eine Nachfrage. – Einige hatten ja gerade die polnisch-belarussische Grenze angesprochen. Wie können Sie rechtfertigen, dass an der polnischen Außengrenze auf der einen Seite Menschen illegal gepushbackt werden – was ganz klar ein völkerrechtswidriger Verstoß ist – und auf der anderen Seite Menschen mit offenen Armen aufgenommen werden? Wie können Sie diesen Unterschied erklären? Sollten nicht alle Menschen mit den gleichen Rechten hier in der EU aufgenommen werden?

Not found (Minister:in)

Ich glaube nicht, dass ich mich dazu erklären muss, weil ich eine der wenigen bin, die im Namen der Bundesregierung in Brüssel gesagt hat, dass Menschenrechtsstandards an den Grenzen der EU immer eingehalten werden müssen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege de Vries das Wort.

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, die Bundesregierung hat 38 Beauftragte berufen. Wir befinden uns, wie Konstantin Kuhle gesagt hat, in der schlimmsten Flüchtlingskrise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir müssen, wenn wir den Migrationsforschern glauben dürfen, damit rechnen, dass auch weit über 1 Million Menschen nach Deutschland kommen können. Das ist eine nationale Kraftanstrengung. Wie kann es in einer solchen Situation sein, dass es in der Bundesregierung keinen Flüchtlingskoordinator gibt, keinen nationalen Krisenstab, der in der Lage ist, diese Herausforderung politisch zu bewältigen? Angela Merkel hatte es damals ja so gemacht, dass sie einen Flüchtlingskoordinator im Bundeskanzleramt angesiedelt hatte. ({0})

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter de Vries, ich darf mich für die Frage ganz herzlich bedanken. – Wir haben eine ähnliche Krisenstruktur, und zwar unter Leitung von Staatssekretär Engelke; damals war es die Kollegin Haber, auch im Range einer Staatssekretärin. Insofern ist es von der Struktur her ähnlich; das scheinen Sie zu begrüßen. Dafür darf ich mich ganz herzlich bedanken. Ansonsten sind wir, wie ich finde, sehr gut aufgestellt, weil wir jetzt eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen haben, um diese Zeit – Krieg in Europa – gut zu bewältigen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Manuel Höferlin.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Bundesministerin, ich habe eine Frage zum Themenkomplex Telegram. Telegram war ja und ist immer noch Teil der öffentlichen Debatten. Wir haben an verschiedenen Stellen viel Problematisches bei Telegram gesehen, in den letzten Tagen auch einige positive Seiten. Man sieht, das Telegram-Netz hat Schattenseiten und Licht. Manchmal wird es benutzt von Menschen, die vertraulich kommunizieren müssen, weil sie in Regimen leben, in denen sie unterdrückt werden, und nur dort verschlüsselt und sicher kommunizieren können. An anderen Stellen – das ist teilweise in öffentlichen Bereichen – wird Telegram zur Verbreitung von Hasstaten, von Straftaten benutzt. Sie haben in der Vergangenheit versucht, Telegram zu kontaktieren, zusammen mit dem Justizministerium. Marco Buschmann und Sie haben gemeinsam auch öffentlich kommuniziert in dieser Hinsicht. Und da ist Ihnen auch etwas gelungen: Inzwischen sind 64 Kanäle, zum Beispiel der von Attila Hildmann, gelöscht worden. – Können Sie uns bitte einmal informieren, wie die Kommunikation dort derzeit weiterläuft, was da geschehen ist und wie Sie da in Kontakt gekommen sind?

Not found (Minister:in)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Höferlin, für die Frage. – Der Kollege Buschmann im Justizministerium hat sogar das offizielle Verfahren, das wir nach dem NetzDG einleiten können, gegen Telegram eingeleitet, da sie eben auch verpflichtet sind, Seiten zu sperren. Telegram hat einen sehr öffentlichen Bereich, wo zu Protestaktionen gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker aufgerufen wurde, zu Hass, Hetze, Morddrohungen gegenüber dem Ministerpräsidenten Kretschmer in Sachsen und der Ministerpräsidentin Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern – etwas sehr Widerwärtiges. Wir haben den öffentlichen Druck so sehr erhöht, dass sich Telegram bei uns im Innenministerium gemeldet hat. Wir haben jetzt einen deutschsprachigen Ansprechpartner, der auf unsere Löschgesuche hin jetzt die Seiten gelöscht hat. Das ist ein großer Erfolg dieser Bundesregierung, wofür ich mich sehr bedanke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Ich beziehe mich noch mal genau auf dieses Verfahren bezüglich des offenen Teils von Telegram und explizit nicht auf den vertraulichen, verschlüsselten Kommunikationsweg. Ist das jetzt so, dass auch für die Zukunft sichergestellt ist, dass es bei solchen Verfahren einheitliche Ansprechpartner bei Telegram gibt? Ist dort auch von Ihrer Seite aus ein Kommunikationsweg geschaffen geworden? Gibt es dort Prozesse, wie sie andere wie Facebook und Google für ihr soziales Netzwerk eingerichtet haben?

Not found (Minister:in)

Wir haben, wie ich gerade gesagt habe, zumindest einen festen Ansprechpartner, einen deutschsprachigen festen Ansprechpartner, der nach unseren Löschgesuchen die Seiten mit den Mordaufrufen und anderes gelöscht hat. Das ist ein großer Erfolg. Das BKA hat in dieser Hinsicht ja auch eine große, gestärkte Struktur aufgebaut, um diese Verfahren zu führen. Was noch nicht so gut geklappt hat, ist, das, was wir in den letzten Tagen im Zusammenhang mit dem Krieg gesehen haben, auch schnell zu löschen. Wir arbeiten daran, dass das noch besser funktioniert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Abgeordnete Brandner das Wort.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön. – Frau Faeser, Sie haben die Frage gerade gehört. Manche kommunizieren über Telegram, manche publizieren in Zeitschriften namens „antifa“; dazu gehören Sie. Die Zeitschrift „antifa“ ist die Zeitschrift einer Vereinigung, die der bayerische Verfassungsschutz als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ einstuft; also nicht ich tue das, sondern der bayerische Verfassungsschutz. Diese Organisation will letztendlich die Demokratie abschaffen, weil sie die Demokratie für faschistisch hält. Meines Erachtens ist die Unterstützung eines solchen Magazins schon höchstproblematisch, für eine Innenministerin ein Skandal. Deshalb meine Frage: Warum haben Sie aus diesem Skandal nicht die Konsequenzen gezogen und sind zurückgetreten? ({0})

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter Brandner, ich beantworte Ihnen selbstverständlich gerne die Frage, auch wenn ich sie nicht besonders sachlich finde. Aber ich habe es vorhin Ihrem Kollegen schon gesagt: Ich habe hier in meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag sehr klar gemacht, dass ich mich jederzeit gegen jegliche Form von Extremismus einsetze, gegen Linksextremismus, gegen Rechtsextremismus und gegen den Islamismus. ({0}) Daran gibt es auch überhaupt keinen Zweifel. Im Gegenteil, ich bin schon dafür kritisiert worden – das können Sie gerne recherchieren; das war in meiner Zeit als Fraktionsvorsitzende der SPD im Hessischen Landtag –, dass ich mich sehr klar hinter die Polizei gestellt habe, als linksextreme Gefährder gerade bei den Rodungsarbeiten im Dannenröder Forst unterwegs waren. Vielleicht schauen Sie sich das einmal an, um sich ein Bild zu machen. Und ich habe nicht als Bundesministerin gehandelt; das sage ich auch noch einmal dazu. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die voraussichtlich letzte Frage stellt der Abgeordnete Detlef Seif.

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu einem hochaktuellen Thema. Nachdem der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk Olaf Scholz aufgefordert hat, eine Regierungserklärung zur aktuellen Situation in der Ukraine abzugeben, gab es eine Twitter-Meldung von Staatssekretär Sören Bartol, der unter anderem geschrieben hat: Ich finde diesen „Botschafter“ - „Botschafter“ in Anführungszeichen gesetzt – mittlerweile unerträglich. So verhält man sich nicht gegenüber einem befreundeten Land. Ich halte diese Twitter-Nachricht für unerträglich, wenn ich bedenke, dass dieser Botschafter sich mit Herzblut für sein Land einsetzt und natürlich alle Möglichkeiten nutzt, um den Angriffskrieg Putins zurückzuweisen, damit die Ukraine letztlich auch siegreich aus diesem Kampf hervorgeht. Zwar hat sich der Staatssekretär mittlerweile entschuldigt, aber teilen Sie meine Meinung, dass das nicht ausreichend ist, sondern dass hier eine Reaktion der Bundesregierung folgen muss, indem man sich offiziell entschuldigt? ({0})

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, wenn man getwittert hat, was manche sehr schnell tun, und sich im Nachhinein für bestimmte Äußerungen entschuldigt, dann ist das damit aus meiner Sicht erledigt. Bei diesem Krieg in Europa, dem furchtbaren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, hat insbesondere unser Bundeskanzler Olaf Scholz – ich glaube, das ist das Wesentliche – bewiesen, wie sehr er an der Seite der Ukraine steht. Das sollte in diesen Tagen doch im Vordergrund stehen, und dabei sollten wir alle ihn unterstützen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass diese Dinge im Vordergrund stehen sollten, da gebe ich Ihnen recht. Aber in dieser Situation und bei diesen Äußerungen muss eine klare Rückmeldung der Bundesregierung folgen. Wenn ein Mitglied der Bundesregierung solche Äußerungen tätigt, ist es damit nicht getan. ({0}) Es muss auf dem offiziellen Wege der Entschuldigung gehen. Alles andere ist nicht zielführend. Also, werden Sie das zumindest zum Thema in Ihrer Koalition machen und überlegen, oder ist das Thema für Sie erledigt? ({1})

Not found (Minister:in)

Ich habe Ihnen meine Einschätzung dazu gesagt.

Robin Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hatte ich die Ehre, mit unserer Kollegin Halyna Yanchenko zu sprechen. Halyna Yanchenko ist Abgeordnete des ukrainischen Parlaments. Sie begann unser Telefonat mit den Worten: „Heute lebe ich noch, ich weiß nicht, was morgen ist.“ „Heute lebe ich noch, ich weiß nicht, was morgen ist“ – das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, die bittere Realität für Millionen von Menschen in der Ukraine. In einer Mischung aus Mut, Enttäuschung, Stärke, Trauer und Entschlossenheit schilderte mir Halyna Yanchenko die Kriegsverbrechen Putins und der russischen Soldaten. Sie schilderte mir die Phosphorbomben und die Streumunition. Sie schilderte mir das Schicksal der vielen getöteten Zivilistinnen und Zivilisten in Mariupol und Charkiw. Unter ihnen auch Kinder, Kinder, die von Putins Bomben getötet werden, und Kinder, die verhungern und verdursten. Verhungern und verdursten, weil keine humanitäre Hilfe in die Stadt gelassen wird, während gleichzeitig russische Streitkräfte die wenigen Fluchtkorridore ins Visier nehmen. Mir schnürt es das Herz zu, wenn ich diese Berichte höre. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch am 21. Tag des Krieges müssen wir alles Verantwortbare tun, um uns diesem Terror entgegenzustellen, ({0}) und jeden Tag aufs Neue prüfen, was möglich ist. Auch am Jahrestag des gefälschten Krim-Referendums, der heute ist, müssen wir feststellen, dass unsere starken internationalen Bemühungen noch nicht gereicht haben, um Putins Angriffskrieg zu stoppen. Ich will damit überhaupt nicht die Bemühungen und Entscheidungen auf deutscher und europäischer Ebene schmälern. Im Gegenteil: Es war wichtig und notwendig, die präzedenzlosen Sanktionen zu beschließen und Waffen und Ausrüstung zu liefern, und ich bin der Bundesregierung sehr dankbar dafür. ({1}) Wir müssen aber auch feststellen, dass wir aufgrund einer verfehlten Energiepolitik in einer fossilen Abhängigkeit stecken, die unseren Handlungsspielraum einschränkt. Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass wir Grünen seit langer Zeit für die Erkenntnis streiten, dass Energiewende und Klimaschutz auch sicherheitspolitische Fragen beantworten. Deshalb ist es jetzt so überfällig, dass wir in Deutschland, wie Robert Habeck es gesagt hat, täglich unabhängiger von Öl, Kohle und Gas werden. ({2}) Die russischen Deviseneinnahmen aus Importen fossiler Energieträger haben diesen Krieg mitfinanziert, und darum irritiert mich so manche aktuelle Debatte, die wir führen. Ich erwarte, dass sich in einem solchen Moment, in dem ein Diktator ein europäisches Nachbarland überfällt, auch Ministerpräsidenten hinter die Bundesregierung und nicht vor Zapfsäulen stellen oder wenigstens konstruktiv an Lösungen mitarbeiten. ({3}) Denn natürlich müssen wir jenseits markiger Überschriften für eine sozial gerechte Entlastung sorgen. Es muss uns doch darum gehen, dass wir diese Entlastung zu den Menschen bringen, die sie brauchen, und damit nicht die Gewinnmargen von Ölkonzernen steigern und damit letztendlich dafür sorgen, dass Putin auch noch unbeabsichtigt davon profitiert. ({4}) Die Entwicklung der Spritpreise bei im Moment sinkenden Ölpreisen ist zur Sicherung eines freien Marktes – das mal am Rande – ein Fall für das Kartellamt, und das muss der Hauptfokus dabei sein. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wofür im Moment vor allem Gelder und unsere Aufmerksamkeit gebraucht werden, haben wir gemeinsam im Beschluss der Sondersitzung hier in diesem Raum formuliert: für die politische, wirtschaftliche, finanzielle, humanitäre und militärische Unterstützung der Ukraine. Um ein ganz konkretes Angebot zu machen und ein Beispiel zu nennen: die Evakuierung, Aufnahme und Pflege der noch lebenden Holocaustüberlebenden aus der Ukraine. Hier können wir Putins Lüge der „Denazifizierung“, die er angeblich machen will, ganz konkret entlarven; denn er bombardiert ja nicht nur die Gedenkstätten zur Erinnerung an die deutschen Verbrechen, sondern setzt die Überlebenden der Shoah, des deutschen Naziterrors, neuen Qualen und Traumata im Land aus. Meine Damen und Herren, Halyna gab mir noch eine Botschaft mit: Lose your fear. Verliert eure Angst. – Wir sollten aufhören, Angst vor Putin zu haben. Angst ist seine Mafiamethode. Er will gefürchtet werden, damit er selbst nichts zu fürchten hat. Ich will Ängste nicht kleinreden. Natürlich bedarf es kluger und rationaler Abwägung unseres Handelns. Deshalb müssen wir jeden Tag prüfen, ob unser Handeln einerseits angemessen und ausreichend, aber andererseits auch in alle Richtungen verantwortbar ist. Aber diese Zeitenwende darf keine Epoche unserer Angst sein. Denn wovor Putin selber Angst hat, das ist die Idee von Demokratie und Freiheit: die Idee, die er in seinem eigenen Land unterdrückt und gegen die er in der Ukraine in den Krieg zieht. Halyna Yanchenko erzählte mir vom unbedingten Willen ihrer Mitmenschen, sich dem russischen Terror entgegenzustellen. Wir sind uns mit Halyna und unseren ukrainischen Freundinnen und Freunden einig: Den europäischen Geist der Freiheit, der Demokratie und des Rechts wird Putin nie besiegen können. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Johann David Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Wagener hat es vollkommen richtig gesagt: Wir erleben nach wie vor einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die russischen Truppen legen das Land in Schutt und Asche, führen einen brutalen Kampf, auch gegen die Zivilbevölkerung. Insbesondere Frauen, Kinder und Alte leiden darunter. Das ist eine humanitäre Katastrophe vor unseren Augen. Es werden Söldnertruppen eingesetzt, die keine richtigen Kombattanten sind. Zudem wird Kriegsvölkerrecht verletzt. Diejenigen, die dort sind, berichten von der Hölle auf Erden. Und deswegen stellt sich in der Tat die Frage – die Grundaussage, Herr Kollege Wagener, teile ich –: Wo steht Deutschland? In dieser Situation muss Deutschland an der Seite der freien, demokratischen, souveränen Ukraine stehen. Da ist unser Platz und nirgendwo anders. ({0}) Spät, aber dann doch kraftvoll hat die Bundesregierung reagiert. Herr Bundeskanzler, wir haben hier manche Diskussion auch vor Ihrer Regierungserklärung geführt, die dann in der Tat eine, wie Sie gesagt haben, Zeitenwende eingeleitet hat. Aber es stellt sich jetzt die Frage: Haben wir das verstanden? Machen wir in dem Sinne Politik – als Europäer, als NATO-Mitglied, als Bundesrepublik Deutschland und auch als Deutscher Bundestag? Ich möchte mit der Formalie beginnen. Morgen spricht Präsident Selenskyj wahrscheinlich in diesem Haus. Es würde mich freuen, wenn das technisch gelingt und wenn es ihm körperlich möglich ist. Es wird eine Ehre für uns alle sein. Danach aber sollen wir nach Ihrem Willen eine Diskussion über die Impfpflicht führen, während heute beide Häuser des US-Kongresses zusammengesessen, dem Präsidenten zugehört und dann auch darüber debattiert haben und während auch das australische Parlament dem Präsidenten zugehört und über die Sache debattiert hat. Ich liebe das Wort nicht, aber ich empfinde Fremdscham für das, was die Ampel hier macht, nämlich dass wir morgen nicht sofort im Anschluss an die Rede von Präsident Selenskyi eine Debatte zur Situation in der Ukraine miteinander führen. ({1}) Auch wenn Sie erfreulicherweise seitens der Regierung – sogar der Bundeskanzler – anwesend sind, wissen Sie ganz genau, dass das morgen die richtige Zeit für eine Debatte gewesen wäre, übrigens auch in Erfüllung Ihrer Berichtspflicht als Bundesregierung gegenüber dem Parlament. In der letzten Wahlperiode brauchte die Bundeskanzlerin nur mal in die Nähe von Brüssel zu kommen, dann hat Herr Buschmann als PGF der FDP schon verlangt, dass es eine Regierungserklärung gibt. Wo bleibt Ihre Bereitschaft, gegenüber dem Parlament Rechenschaft abzulegen? Das erwarten wir von Ihnen! ({2}) Das gilt erst recht, nachdem andere Länder zeigen, dass sie dazu in der Lage sind. Herr Wagener, Sie haben gesagt, wir müssten jetzt alles tun. Wer ist es denn, der nicht bereit ist, über weitere Sanktionen zu reden? Wir haben gesagt: Nord Stream 1 kommt in die Diskussion. Wer lehnt das denn ab, Herr Wagener? Das ist doch Ihr grüner Wirtschaftsminister, der das ausschließt. Dann machen Sie doch mehr! ({3}) Die Waffenlieferungen sind ehrlich gesagt ein schwerer Schritt für Sie gewesen. Wir erkennen das an. ({4}) – Nein, das muss man in der Tat sagen. Das ist Ihnen schwergefallen. Sie haben das spät gemacht; es sind offensichtlich auch noch nicht alle angekommen. Es gibt den dringenden Wunsch der Ukraine, dass mehr geliefert wird. ({5}) – Und wenn, Frau Künast, die Waffenlieferungen, die bisher erfolgt sind, nicht nur reine Gewissensberuhigung für Sie gewesen sein sollen, sondern wenn Sie ernsthaft einen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit der freien Ukraine leisten wollten und weiter leisten wollen – darauf kommt es an –, dann müssen Sie jetzt auch zu weiteren Waffenlieferungen bereit sein. ({6}) Wir liefern weniger als Dänemark! Und ich bin ein Freund Dänemarks. Das ist doch auch wieder so eine Sache, wo man sich schämen muss, dass wir nicht zu mehr in der Lage sind. Herr Bundeskanzler, in der Rede haben Sie gesagt: Wir brauchen eine stärkere Bundeswehr, und wir stellen 100 Milliarden Euro in einem Sondervermögen bereit, um die Bundeswehr zu stärken. – Es ist von Ihnen und vom Finanzminister an die Union appelliert worden, dass wir das unterstützen sollen, wozu – das hat Friedrich Merz gesagt – wir dem Grunde nach bereit sind. Nur: Ich muss auch hier mal daran erinnern – – ({7}) – Frau Kollegin Haßelmann, eines will ich Ihnen klar sagen, und das habe ich auch schon an dem Sonntag in der Plenarsitzung gesagt: Dass wir hier einen Blankoscheck ausstellen und verfassungsrechtlich die Aufnahme weiterer Schulden in dieser großen Höhe ermöglichen, werden Sie nicht erleben. Wir erwarten, dass wir an der Abfassung des Gesetzestextes betreffend die Grundgesetzänderung und an der Verwendung dieser Mittel – übrigens nur für die Bundeswehr – beteiligt werden. Das mögen Sie gewährleisten. Und wenn das gewährleistet ist, werden wir zustimmen. ({8}) Aber eine Beteiligung der Unionsfraktion daran – und das wäre gute parlamentarische Sitte gewesen – hat es nicht gegeben. Wer mit uns gemeinsam die Verfassung ändern will, muss anders mit uns umgehen; der muss uns in die Diskussion mit einbeziehen. ({9}) Das ist jetzt Ihre politische und parlamentarische Aufgabe in den nächsten Wochen, wenn die Operation gelingen soll. ({10}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser. ({0})

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Wadephul, es wäre schön gewesen, wenn Sie angesichts der dramatischen Lage eines Krieges mitten in Europa Ihre Rede dem Thema auch angepasst hätten. ({0}) Denn gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Der russische Überfall auf die Ukraine verursacht unfassbares Leid. Mitten in Europa. Frauen und Kinder flüchten vor Putins Bomben und Panzern, Kinder verhungern und verdursten. ({1}) Das hat Herr Abgeordneter Wagener hier gerade sehr eindrucksvoll gesagt: Jedem, der das dieser Tage sieht, dem zerreißt es das Herz, meine Damen und Herren. ({2}) Dieser Krieg ist eine furchtbare humanitäre Katastrophe. Putin lässt Krankenhäuser und Wohnblocks bombardieren. Fast 3 Millionen Geflüchtete haben sich bisher in die Nachbarstaaten der Ukraine retten können. Allen voran leistet Polen Großartiges. Polen hat 1,2 Millionen Geflüchtete aufgenommen, und dafür sollten wir unserem Nachbarland auch sehr dankbar sein. ({3}) Davon habe ich mir selbst vor wenigen Tagen an der polnisch-ukrainischen Grenze ein Bild machen können. Wir unterstützen nicht nur die Nachbarländer wie Polen, sondern auch die Ukraine und die Nachbarstaaten mit Hilfstransporten durch das THW mit Medizin, Impfstoffen, Feldbetten, Winterschlafsäcken. Innerhalb weniger Tage haben wir in der EU einen historischen Schulterschluss erreicht. Alle EU-Staaten nehmen gemeinsam, schnell und unbürokratisch Geflüchtete auf. Das ist wirklich eine großartige Leistung. ({4}) Wir retten damit Menschenleben, unabhängig vom Pass. Für die allermeisten Geflüchteten gilt: Sie brauchen kein Asylverfahren. Sie erhalten unmittelbar einen Schutzstatus, der von Anfang an medizinische Versorgung, soziale Leistungen, Betreuung und Schulbildung der Kinder ermöglicht. Wir beziehen die Verkehrsministerinnen und ‑minister unmittelbar mit ein, um schnelle Weiterreisen auch für Menschen zu ermöglichen, die zum Beispiel in Spanien oder Italien Verwandte und Freunde haben. Der Schulterschluss aller EU-Staaten zur gemeinsamen Aufnahme Geflüchteter war bis vor Kurzem undenkbar. All das zeigt, dass diese Fluchtbewegung mitten in Europa nicht vergleichbar ist mit vorherigen Fluchtbewegungen, auch nicht vergleichbar mit 2015. Dennoch – das sage ich auch in aller Deutlichkeit – werden wir das Leid der Menschen, die jetzt aus der Ukraine fliehen, nie mit dem Leid anderer Kriegsflüchtlinge aufwiegen. Aber zugleich spüren wir doch alle dieser Tage: Dieser Krieg ist uns so nahe. Es gibt enge familiäre Verbindungen; viele Geflüchtete werden von Freunden und Verwandten abgeholt und versorgt. 175 000 Einreisen von geflüchteten Menschen aus der Ukraine hat die Bundespolizei bislang gezählt. Die Erstaufnahmeeinrichtungen sind gerade stark belastet. Wir arbeiten hier engstens zusammen, um schnell für Entlastung und Verteilung zu sorgen. Bund, Länder, Kommunen sind gemeinsam in der Verantwortung. Es ist ein großer Kraftakt, den wir alle zusammen stemmen werden. ({5}) Der Bund unterstützt die Länder massiv mit dem THW und mit einem deutlich verstärkten Einsatz der Bundespolizei und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass wir seit dieser Woche nach dem Königsteiner Schlüssel Geflüchtete auf die Länder verteilen. Das betrifft diejenigen, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht werden. Klar ist, dass wir die Länder und Kommunen damit nicht alleine lassen. Der Bund hat mit Liegenschaften der BImA Zehntausende Aufnahmeplätze für die Länder und Kommunen zur Verfügung gestellt. Wir sorgen dafür, dass die zu uns Geflüchteten medizinisch gut versorgt sind und direkt Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Indem wir Geflüchteten so einen sicheren Alltag ermöglichen, entlasten wir auch die vielen Familien, die nun mit großartiger Hilfsbereitschaft privat Menschen aufnehmen. Denen gilt mein Dank, ebenso den im Moment Tausenden Ehrenamtlichen in der Bundesrepublik, die gerade wirklich Unfassbares für die Menschen leisten. ({6}) Meine Damen und Herren, natürlich schauen wir jetzt genau hin, wer nach Deutschland kommt. Die Bundespolizei hat die Kontrolle an den Grenzen, in Zügen und an den Bahnhöfen stark intensiviert. Die Polizeien der Länder und die Bundespolizei in Uniform ebenso wie in Zivil haben das Geschehen genau im Blick. Sie arbeiten eng mit Hilfsorganisationen zusammen, um Frauen und Kinder zu schützen. Niemand darf deren Notsituation jetzt ausnutzen. ({7}) Lassen Sie mich auch etwas zur Registrierung in Deutschland sagen. Mir ist es wichtig, dass wir bei den Fakten bleiben, anders als es von manchen zuletzt zu hören war. Für Ukrainerinnen und Ukrainer mit biometrischem Pass gilt Visafreiheit für 90 Tage. Sie sind nicht Bürgerinnen und Bürger der EU, aber Europäer wie wir. Sie dürfen frei reisen. Das ist geltendes Recht. Das ermöglicht auch, dass viele bereits in andere europäische Staaten weiterreisen konnten. Trotzdem haben wir sehr schnell entschieden, auch diese Menschen bei der Erstaufnahme und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu registrieren. Registrierungsteams des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge unterstützen Berlin mit Stationen zur Erfassung der Daten der Geflüchteten, und das ist gut so. Wir registrieren in Erstaufnahmen und bei den Ausländerbehörden. Das intensivieren wir weiter. Die Registrierung erfolgt spätestens, wenn Menschen Unterstützungsleistungen in Deutschland brauchen. Damit können wir Steuerung, Koordination und schnelle Hilfe für Geflüchtete gewährleisteten. Manche fordern jetzt stationäre Grenzkontrollen an unseren Binnengrenzen. Was würde das bedeuten? Alte Menschen, Frauen und Kinder sind meist vier, fünf Tage auf der Flucht, wenn sie hierherkommen. Sie sind entkräftet und traumatisiert. Wir wollen nicht, dass diese Frauen und Kinder weitere Stunden oder Tage in der Kälte hinter der deutsch-polnischen Grenze kampieren müssen, bevor sie mit dem Allernötigsten versorgt werden können. ({8}) Wer jetzt Grenzen schließen will, riskiert auch eine gute Verteilung innerhalb der EU. Wir brauchen keinen Populismus, sondern pragmatische und menschenwürdige Lösungen. Meine Damen und Herren, ich möchte auch hier im Bundestag klar sagen: Dieser Krieg ist Putins Krieg und nicht der Krieg der Menschen mit russischen Wurzeln, die in Deutschland leben. Wir wehren uns ganz entschieden dagegen, dass Menschen aufgrund ihrer russischen Herkunft angefeindet werden. Dieser Konflikt darf weder auf dem Rücken von Ukrainerinnen und Ukrainern noch auf dem Rücken von Russinnen und Russen in Deutschland ausgetragen werden. ({9}) Unsere Sicherheitsbehörden und unsere Polizei sind mit starken Kräften im Einsatz und sehr wachsam. Sie schützen jeden Menschen und jede Einrichtung in Deutschland gleichermaßen. Bei allen Einsatzkräften von Polizei und THW, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen, den Ländern und Bundesbehörden, bei allen Freiwilligen und Ehrenamtlichen möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Sie alle wachsen über sich hinaus und zeigen eine großartige Menschlichkeit und Solidarität, eine Menschlichkeit, auf die wir alle sehr stolz sein können. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Matthias Moosdorf hat das Wort für die AfD-Fraktion. Das ist seine erste Rede. ({0})

Matthias Moosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005157, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir alle stehen fassungslos inmitten einer furchtbaren Tragödie. Kaum jemand wollte glauben, dass ein solcher Zivilisationsbruch im 21. Jahrhundert und in unserer direkten Nachbarschaft stattfinden könnte. Unsere Gedanken sind bei den vielen Opfern, Soldaten und Zivilisten beider Seiten. Sie alle haben Familien. Wir fordern Russland auf, das Blutvergießen sofort einzustellen und zurück zur Vernunft, also an den Verhandlungstisch, zu kommen! Alle sollten nach Tod und Zerstörung verstanden haben, dass nun wirklich verhandelt werden muss und Ergebnisse in beiderseitigem Interesse umgesetzt werden müssen. ({0}) Meine Damen und Herren, 2014 trafen sich die in den Ersten Weltkrieg verwickelten Staaten und versicherten, aus der Geschichte gelernt zu haben. Niemals wieder wollte man schlafwandlerisch in einen Krieg schlittern; Auseinandersetzungen seien in einem aufgeklärten Jahrhundert friedlich beizulegen. Der Krieg in der Ukraine ist nun der vorläufige Höhepunkt einer langen Reihe von Konflikten. Sehr viele davon wurden vom Westen begonnen, vielleicht in guter Absicht, aber mindestens töricht in ihrem Ausgang. Wir müssen uns heute fragen, warum das heraufziehende Unheil trotz vieler Warnungen von Joe Biden bis Helmut Schmidt, von Henry Kissinger bis Peter Scholl-Latour, von Bill Clinton bis Michail Gorbatschow nicht politisch verhindert wurde. Wo waren die lauten Proteste im Westen, als beginnend 2014 immer mehr Menschen im Donbass verschwunden sind? Wo war der Druck der internationalen Gemeinschaft, beide Minsker Abkommen umzusetzen? Seit 2014 hatten laut Caritas 2 Millionen Ukrainer ihr Land verlassen, die meisten Richtung Russland. Die Ukraine hat ihren Landsleuten im Osten faktisch die Sprache genommen, TV- und Rundfunksender geschlossen, Russischstämmige aus leitenden Positionen entfernt und sogar die Rentenzahlung eingestellt. Wo blieben die Proteste? ({1}) Schauen wir auch nicht weg, wenn sich auf der scheinbar richtigen Seite die falschen Leute sammeln! Wer die Videos der Asow-Brigaden gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist. Übrigens hat Kollege Gysi in diesem Bundestag diese Leute als Faschisten bezeichnet. Meine Damen und Herren, ich bin in den letzten 30 Jahren beruflich in mehr als 65 Ländern unterwegs gewesen. Das Bild, welches wir in Deutschland von der Welt zeichnen, hat sich beträchtlich von der Wirklichkeit entfernt. Politik und Medien machen uns glauben, Sanktionen und Waffenlieferungen seien nun die Mittel der Wahl. Dieses verheerende Denken verkennt, dass es in unserer heutigen Welt keine Sieger und keine Verlierer geben darf, nur ein empfindliches, stets bedrohtes Gleichgewicht – es ist ein schmaler Grat, der uns von der Apokalypse trennt. Was, wenn es nicht darauf ankommt, ob die Ukraine an Putin fällt, sondern nur wann und auf Kosten wie vieler Opfer? Viele junge Männer auf beiden Seiten wissen nicht, was Krieg bedeutet. Es gehört zum Selbstverständnis freiheitlicher Demokratien, dass der Staat um der Menschen willen da zu sein hat und nicht umgekehrt. Das Opfer des Lebens widerspricht der Menschenwürde, die über allen politischen Interessen steht. Das ist Verantwortung, meine Damen und Herren. ({2}) Der israelische Ministerpräsident – so wird in einigen Medien berichtet – soll Präsident Selenskyj geraten haben, einzulenken – nicht aus Schwäche, sondern aus Vernunft. Beide Seiten müssen jetzt gesichtswahrend aus der Sache herauskommen, und vor allen Dingen müssen wir dafür Sorge tragen, dass die NATO nicht in den Krieg hineingezogen wird. ({3}) Die AfD lehnt Wirtschaftssanktionen ab. Wir werden damit wenig an Umdenken erreichen, uns aber gewaltig schaden. Durch eigene Sonderwege hat sich Deutschland alleine schon in die energiepolitische Abhängigkeit begeben, und es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass unsere Bundeswehr durch schon zu lange andauernde feministische Verteidigungspolitik quasi ruiniert wurde. Das ist die Lage. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist zutiefst verstörend, wenn soziale Netzwerke in diesem Moment Hasskommentare gegen Russland erlauben – nicht überall; nein, nur in den Ländern, in denen eine Eskalation dieses Krieges zuerst erfolgen würde. Es ist verstörend, dass Menschen mit russischem Namen und ukrainischen Wurzeln in Deutschland Angst haben müssen, weil russische Schulen, wie in Berlin geschehen, angegriffen und Künstler diffamiert werden, weil Restaurants Schilder mit der Aufschrift „Russen unerwünscht“ aufhängen und Kinder aus dem Kindergarten nach Hause geschickt werden. Ich erinnere an den Ausspruch von Henryk Broder: „Wenn ihr euch fragt, wie es damals passieren konnte: Weil sie damals so waren, wie ihr heute seid.“ ({5}) Helfen wir lieber, dass in der Ukraine mit klugen politischen Mitteln ein Interessenausgleich möglich wird. Der Krieg hat Russen und Ukrainer für mindestens eine Generation unrettbar entfremdet. Der mutige Widerstand wird Präsident Selenskyj stattdessen einen Neugründungsmythos für sein Land liefern. Aber die Menschen in der Ostukraine sollten mit internationaler Beobachtung selbst abstimmen, unter welchem Dach sie leben wollen. Wenn wir ehrlich sind, gibt es dazu keine Alternative, auch nicht auf der Krim. Es ist die Wirklichkeit, die zählt, und nicht unser Wunsch, die Wirklichkeit möge eine andere sein. Meine Damen und Herren, es gibt nur ein Gebot der Stunde: Friede. Ihn zu stiften ist die große Aufgabe Europas. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Alexander Graf Lambsdorff hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrem Essayband „Wahrheit und Lüge in der Politik“ schildert Hannah Arendt, wie in der sowjetischen Geschichtsschreibung Manipulation dazu diente, angebliche Wahrheiten zu erzeugen, die mit den wirklichen Tatsachen nichts zu tun haben. Es scheint, als habe sich der russische Präsident in genau diese Tradition gestellt: Er benutzt Geschichte als Ideologieersatz, ja als Waffe und manipuliert sie dazu nach Belieben. Mit der Lüge, das Land entnazifizieren zu wollen, hat Putin die Ukraine am 24. Februar 2022 rücksichtslos überfallen. Mit der Lüge, es handele sich um eine Spezialoperation, versucht er, die Wahrheit eines großen Landkrieges vor seinem eigenen Volk zu verbergen. Mit der Lüge, die Opposition schwäche Russland, drangsaliert er Demokraten, Journalistinnen und Aktivisten, die vergiftet, weggesperrt, ja ermordet werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das so klar sagen: Wer dieser Tage wahre russische Patrioten sehen will, der darf nicht im Kreml suchen, der muss in die jetzt geschlossenen Redaktionsstuben von Doschd und „Nowaja Gaseta“ schauen, im Schauprozess auf den Angeklagten Alexej Nawalny und in die Gesichter der Demonstrantinnen und Demonstranten, die im Angesicht jeden Tag drohender Verhaftung dem russischen Diktator die Stirn bieten. ({0}) Sie sind die wahren Patrioten, sie schreiben die ehrenvolle Geschichte ihres Landes; denn sie lehnen den verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine rundheraus ab. Doch Putin wiederholt – immer wieder –, er wolle die Ukraine „entnazifizieren“. Diese Ukraine, die von einem Präsidenten aus einer jüdischen Familie derzeit so großartig regiert und repräsentiert wird, einem Präsidenten, der zahlreiche Verwandte im Holocaust verloren hat, einem Präsidenten, der eine gesellschaftspolitisch liberale Agenda verfolgt, anders als Russland, das immer intoleranter und repressiver regiert wird, diese Ukraine, meine Damen und Herren, die muss niemand entnazifizieren. ({1}) Diese Ukraine ist ein großer Nachbar der Europäischen Union, der bei allen Problemen doch immer wieder demokratische Wahlen abgehalten und friedliche Machtwechsel vollzogen hat – ein demokratisches Land mit anderen Worten. Die Ukraine ist ein Land, in dem die Presse die Regierung kritisieren, ja verspotten darf, in dem Demonstrationen erlaubt sind und Aktivisten nicht weggesperrt werden – ein freies Land mit anderen Worten. Demokratie und Freiheit, für diese Werte, für westliche Werte, für unsere Werte sterben jeden Tag Menschen in der Ukraine. Wir alle sehen das Leid der Menschen in Kiew, in Charkiw und vor allem in Mariupol wie auch in anderen Teilen des Landes. In unseren Nachrichten ist von Panzerkolonnen, Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern die Rede. Sogar die real nie verschwundene Realität der nuklearen Bedrohung taucht im Bewusstsein wieder auf. Es ist kein Wunder, dass hier bei uns in Deutschland viele Menschen schockiert, verängstigt und aufgewühlt auf diese Ereignisse blicken. Wie oft wurde es doch in den vergangenen Jahren als Sonntagsrede belächelt, wenn jemand auf den Wert des Friedens, des einigen Europas und unsere Einbettung in das Atlantische Bündnis als Garantien unserer Freiheit und unserer Demokratie hinwies. Schlagartig verstehen viele, wie wichtig Allianzen, Bündnisse, Vertrauen, ja, sogar Freundschaften zu anderen Ländern wie zu Frankreich und den USA sind. Manche hatten das schon früher verstanden. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck fragte nach der Annexion der Krim und dem russischen Einmarsch in der Ostukraine 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz – ich zitiere –: Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Veränderung im Gefüge der internationalen Ordnung schon angemessen wahrgenommen? … Ergreift die Bundesrepublik genügend Initiative, um jenes Geflecht aus Normen, Freunden und Allianzen zukunftsfähig zu machen, das uns doch Frieden in Freiheit und Wohlstand in Demokratie gebracht hat? Acht Jahre ist das her, und seien wir ehrlich: Warnende Stimmen, die sich in den letzten Jahren kritisch mit Putins Politik und der realen Gefahr eines Zusammenbruchs unserer internationalen Ordnung auseinandergesetzt haben, wurden nicht gehört. Sechs Jahre nach diesen Fragen des Bundespräsidenten, sechs Jahre nach dem sogenannten Münchner Konsens sprach der Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz von einer weltpolitischen Zeitenwende. Die Autoren sagten klar, was Europa tun müsse im Angesicht wachsender russischer Aggression, und zwar Verteidigung und Abschreckung stärken, Resilienz aufbauen. Doch das ist auch 2020 nicht geschehen. Die Fragen von Joachim Gauck waren vergessen, der Münchner Konsens verpufft. Das ist, meine Damen und Herren, heute anders. Die Bundesregierung hat ausweislich der Rede des Bundeskanzlers vom 27. Februar die Tatsache der Zeitenwende erfasst und aus ihr eine politische Wende gestaltet. Wir sind eng mit unseren internationalen Partnern zusammengerückt. Russland wird durch harte Sanktionen wirtschaftlich, finanziell und politisch isoliert. Wir liefern Waffen in ein Kriegsgebiet. Wir unterstützen die Ukraine. Und wir versetzen die Bundeswehr endlich wieder in den Stand, ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe nachzukommen. Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Der heiße Krieg in der Ukraine ist Teil eines größeren globalen kalten Krieges – der Auseinandersetzung zwischen Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie einerseits, Unterdrückung, Willkür und Diktatur andererseits. So sind die Tatsachen, und keine Lüge des russischen Präsidenten kann uns vom Gegenteil überzeugen. Deutschland wird Kurs halten, zusammen mit den anderen freien Nationen, die unsere Werte teilen. ({2}) Wir bleiben bei der Wahrheit. Wir weisen die Lüge zurück. Wir stehen heute und in Zukunft fest an der Seite der Ukraine. Slawa Ukrajini! Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Die Linke erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Dietmar Bartsch. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 21 Tagen wird die Ukraine von russischen Truppen angegriffen. Seit 21 Tagen sterben Ukrainerinnen und Ukrainer, Frauen und Kinder durch russische Artillerie und russische Raketen. Wladimir Putin trägt die Verantwortung für Tod und Leid, für Angst, für rücksichtslose Zerstörung und millionenfache Vertreibung. Mehr als 3 Millionen Menschen haben ihre Heimat bereits hinter sich gelassen. Allein in Warschau gibt es 15 Prozent mehr Einwohner als Ende Februar. Die Ministerin hat zu Recht lobend erwähnt, wie dort damit umgegangen wird. Aber auch 500 Meter Luftlinie von hier entfernt kommen am Berliner Hauptbahnhof jeden Tag Tausende Frauen und Kinder aus der Ukraine an, erschöpft, mit nicht mehr als Handgepäck und der Schultasche der Kinder. Das hier im Bundestag so oft gescholtene Berlin leistet Herausragendes und verdient unser aller Dank, meine Damen und Herren. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nicht mehr im Keller in Kiew oder Charkiw um sein Leben bangt, findet in den Nachbarländern und auch bei uns Schutz. Aber was, meine Damen und Herren, muss dieses unfassbare Gefühl sein, alles zurückzulassen und nicht zu wissen, was die nächsten Tage und Wochen bringen? Meine Damen und Herren, unterstützen wir aber auch die Russinnen und Russen, die sich mit maximalem Mut gegen Putins Krieg stellen, im Freundeskreis und auf der Straße. Der Mut von Marina Owsiannikowa ist beeindruckend. Was für eine tolle, mutige Frau! ({1}) Viele Russinnen und Russen sind wütend, wollen das Sterben ihrer Brüder und Schwestern nicht hinnehmen, auch wenn sie mit 15 Jahren Gefängnis bedroht werden. Ich habe in Moskau promoviert, zusammen mit Russen, zusammen mit Ukrainern in einem Seminar. Wir haben zusammen Sport gemacht; wir haben zusammen gefeiert. Ich bin ob des Krieges fassungslos, und ich bin auch wütend und entsetzt, dass das passieren kann. Aber die Russinnen und Russen in unserem Land, die russische Sprache, Literatur und Musik tragen keine Schuld. Jegliche Angriffe auf sie müssen unseren entschiedenen Widerspruch hervorrufen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung für diesen Krieg Putins. Nicht die Ukraine, nicht die NATO haben aus einem Schwelbrand ein Inferno gemacht, sondern der russische Präsident. Er allein ist auch in der Pflicht, diesen grausamen Angriffskrieg zu beenden – sofort zu beenden. ({3}) Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Frau Außenministerin, so kritisch wir manche Schlussfolgerung aus dem Krieg sehen: Jeden Versuch, den Sie unternehmen, diesen Krieg mit diplomatischen Bemühungen zu beenden, unterstützen wir. Jede Reise, die Sie unternehmen, die das Sterben mitten in Europa beendet, hat die ausdrückliche Unterstützung meiner Fraktion. ({4}) Aber auch jede Sanktionierung, die Sand in Putins Kriegsmaschine streut und Oligarchen trifft, die das System Putin stützen, hat unsere Zustimmung. ({5}) Sehr geehrte Damen und Herren, ich sage Ihnen aber auch: Die Reaktion auf die größte Fluchtbewegung seit 1945 kam zu zaghaft. Während am Berliner Hauptbahnhof schon täglich Tausende aus den Zügen stiegen, sagte die Innenministerin noch am 9. März: Eine Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine nach Quoten sei nicht nötig. – Was für ein fataler Irrtum! ({6}) Während die Bürgerinnen und Bürger sich vielfach aufopfern, spenden, Zimmer in ihren Wohnungen freiräumen, hat die Bundesregierung zu lange gewartet. Es ist richtig, dass jetzt endlich ein Verteilungsschlüssel vorliegt. Eine gerechte Verteilung ist nicht allein im Interesse unseres Landes, sondern zuvorderst auch im Interesse der Ankommenden, die optimale Betreuung und vor allen Dingen Perspektiven brauchen. Gerade die so geschundenen Kinderseelen brauchen Chancen. Diese Kinder und ihre Mütter brauchen Sprachkurse und umfassende Betreuung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ukraine ist ein souveränes Land. Es muss alles unternommen werden, dass die Ukraine ein souveränes und freies Land bleibt. Die Ukraine muss wissen, dass wir sie, wenn dieser Krieg endet, nicht im Regen stehen lassen. Die Menschen, die sich jetzt bei uns in Sicherheit wissen, müssen darauf vertrauen können, dass wir ihnen beim Wiederaufbau helfen. Das heißt, wir werden einen Marshallplan Ukraine dringend brauchen. Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundesregierung allein kann den Krieg nicht beenden; aber sie ist in der Verantwortung, die Kriegsfolgen für die Menschen in Deutschland abzufedern. Dazu haben Sie Möglichkeiten. Diese müssen Sie nutzen – auch damit die Willkommenskultur erhalten bleibt. Und ich sage Ihnen, dass Ihr heute auf den Weg gebrachtes Entlastungspaket dafür nicht ausreichend ist. Wir brauchen für die Bürgerinnen und Bürger, die unter den Kriegsfolgen leiden, jetzt dringend Entlastungen – schnell, unbürokratisch und wirksam. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung hat jetzt Ministerin Svenja Schulze das Wort. ({0})

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Putins Krieg gegen die Ukraine verursacht unermessliches Leid, unermessliches Leid für Frauen, für Männer, für Kinder, und die russischen Angriffe verschärfen diese humanitäre Krise jeden Tag immer mehr. Millionen von Menschen sind inzwischen auf der Flucht. Rund die Hälfte von ihnen sind Kinder. Viele dieser Kinder müssen den Weg alleine gehen, ohne ihre Eltern, ohne eine Bezugsperson. Ich konnte mir das am Montag in Sighet an der rumänisch-ukrainischen Grenze ansehen. Diese Bilder verfolgen mich weiterhin. Das ist wirklich eine bedrückende Situation. Mich haben an dieser Grenze die persönlichen Geschichten der Familien, mit denen ich dort reden konnte, sehr beeindruckt. Ich habe die Geschichte von Swetlana noch sehr in Erinnerung, die sich mit ihren beiden Söhnen und ihrer Mutter Tatjana sechs Tage lang aus der Südukraine an die Grenze durchgeschlagen hat. Die Kinder haben mir erzählt, wie sie die Bombennächte im Keller erlebt haben, dass sie die Einschläge immer noch spüren. Stille Kinder, die leise spielen, weil sie Angst haben vor weiteren Bomben, sieht man dort. Und man sieht, welche großartige Hilfe UNICEF dort jeden Tag leistet. Swetlana wird mit ihren Kindern jetzt sehr schnell weiterreisen nach Madrid, aber sie wird, genauso wie die vielen anderen Frauen dort an der Grenze, die Frage mitnehmen, wie es ihrem Mann geht und wann sie ihn endlich wiedersehen kann. Mich beeindruckt, wie viele Menschen an der rumänischen, an der polnischen, an der moldauischen Grenze sich unermüdlich im Einsatz befinden, um den geflüchteten Menschen zu helfen, wie viele hier in Deutschland engagiert sind. Mich beeindruckt die große Solidarität, die wir hier sehen, die wir aber auch europa- und weltweit sehen. Ich bin froh, dass Nancy Faeser Innenministerin ist, ({0}) dass sie diese ganze Arbeit mit den Ländern koordiniert und wir gemeinsam diese Herausforderung auch wirklich bewältigen. ({1}) Meine Damen und Herren, als Bundesregierung werden wir natürlich so schnell es geht Beiträge leisten, um das akute Leid zu lindern und Perspektiven für die Menschen in und aus der Ukraine zu schaffen. Wir haben im Entwicklungsministerium sofort reagiert und sehr schnell rund 45 Millionen Euro umgeschichtet, um unmittelbar an der Grenze, unmittelbar vor Ort zu helfen. Annalena Baerbock im Außenministerium hat in gleicher Höhe sofort auch geholfen. Wir sind vor Ort. Wir sind schnell bei den Menschen. Wir helfen beim Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr, bei Hilfsmaßnahmen für Menschen auf der Flucht und vor allen Dingen eben für die vielen Kinder und Frauen. Wir müssen aber auch den Blick über die Ukraine hinaus, über die EU hinaus richten. Es gilt, die ökonomischen, die sozialen Auswirkungen des Krieges weltweit abzufedern. Besonders in den Entwicklungs-, in den Krisenländern müssen wir die Spirale der Destabilisierung verhindern; denn 1 Euro als Investition in krisenfeste Gesellschaften spart später 4 Euro an humanitärer Nothilfe. Die wahrscheinlichen, die mutmaßlichen Auswirkungen auf die Welternährung sind dramatisch. Das Entwicklungsministerium handelt hier im engen Schulterschluss mit dem Außenministerium und dem Landwirtschaftsministerium. Ich will ausdrücklich noch einmal Cem Özdemir danken, dass er dieses Anliegen auch zum Thema bei G 7 gemacht hat. Uns geht es darum, mit unseren Partnern jetzt möglichst schnell die internationalen Unterstützungsprogramme hochzufahren, um drohende Hungersnöte jetzt möglichst noch zu vermeiden. ({2}) Aber, Kolleginnen und Kollegen, uns allen ist bewusst: Mittel- und langfristig brauchen wir nachhaltige Agrar- und nachhaltige Ernährungssysteme. Das ist eine Antwort auf den Klimawandel. Der Klimawandel ist ja ohnehin Treiber des weltweiten Hungers. Deswegen müssen wir in Zukunft die Abhängigkeiten reduzieren und Dominoeffekte vermeiden. In einem weiteren Bereich sind die Auswirkungen des Krieges heute schon spürbar, und zwar weltweit, nämlich bei den Energiepreisen. Das sehen wir alle hier an den Zapfsäulen und dann auch auf den Stromrechnungen. Aber das Gleiche gilt auch weltweit. Die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten macht auch viele Entwicklungsländer sehr, sehr verwundbar. Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien, hat Christian Lindner richtigerweise gesagt. Erneuerbare Energien sind aber auch Entwicklungsenergien. Sie machen die Energieversorgung sicherer, bezahlbarer, und sie machen die Entwicklungsländer unabhängiger. Eine Entwicklungszusammenarbeit, die diese Energien ausbaut, ist dann auch wieder Krisenvorsorge. Deswegen setze ich mich, setzt sich die Bundesregierung für einen massiven Ausbau der Klima- und Entwicklungspartnerschaften ein. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag für den Frieden und für die sozial-ökologische Transformation. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Krieg hat keine Gewinner, aber dieser Krieg hat sehr, sehr viele Verlierer: neben den Menschen in der Ukraine viele andere auf der ganzen Welt, insbesondere die Ärmsten. Deswegen erfordert der Krieg neben den militärischen auch starke zivile Antworten. Beides gehört zusammen. ({4}) Entwicklungspolitik – das müssen Sie sich hier anhören – leistet einen wichtigen Beitrag zur neuen Sicherheitspolitik der Bundesregierung. ({5}) Und auch wenn Sie das nicht hören wollen: Entwicklungspolitik ist gerade jetzt enorm wichtig. ({6}) Wir müssen solidarisch sein, wir müssen auch den Menschen in den ärmsten Ländern dieser Welt helfen. Das ist jedenfalls die Auffassung dieser Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Brand hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist nicht vor allem eine Debatte über europäische Sicherheit, über die Sicherheit unseres Landes. Das ist sie auch, aber sie ist vor allem eine Debatte über die brutalsten Menschenrechtsverletzungen in Europa seit dem Genozid in Bosnien. In der Ukraine finden unaussprechliche Kriegsverbrechen statt, angeordnet von einem Kriegsverbrecher, den Europa – auch Deutschland – nicht konsequent davon abgehalten hat, diese Kriegsverbrechen vorzubereiten und umzusetzen. Und ich möchte es für mich als Abgeordneten des Deutschen Bundestages und als einen, der seit dem Krieg in Bosnien-Herzegowina weiß, wie Kriegsverbrechen konkret aussehen, was sie mit Menschen machen, für das Protokoll festhalten: Ich schäme mich dafür, dass wir, die Deutschen, die in ihrer Geschichte in der Ukraine so unaussprechliche Kriegsverbrechen begangen haben, die Ukraine nicht früh genug geschützt und uns mit dem Kriegsverbrecher zu lange gemeingemacht haben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren zu spät, wir waren zu schwach. Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hat beim Thema defensive Waffen zu lange gezögert, auch bei SWIFT, und Deutschland zögert noch immer. Es wird gebremst bei weiteren Sanktionen in der EU, ({1}) beim Stopp weiterer Energielieferungen aus Russland, die Putins Krieg ja mitfinanzieren, und unser Land ist bei humanitärer Hilfe schon wieder zu spät. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten hat ihren Preis, den wir bereit sein müssen zu zahlen, während Menschen in der Ukraine dies in diesen Stunden mit ihrem Leben bezahlen. ({3}) Und neben der Verteidigung der Ukraine brauchen Millionen Kriegsflüchtlinge unsere konkrete Unterstützung. Besonders müssen wir die vulnerablen Gruppen unter den Flüchtlingen schützen. Wir haben vor wenigen Tagen mit einer Staatsanwältin, mit Streetworkern und anderen über die akuten Gefahren für Mädchen und Frauen gesprochen. In Freierforen berichten in diesen Stunden deutsche Männer freudig von neuen ukrainischen Frauen in ihren Stammbordellen. Ich erspare Ihnen Details zum Thema Menschenhandel. Wir vor allen Dingen sind Zielland der Frauen aus Osteuropa, die Opfer werden – wir sind nämlich hier in Deutschland zum größten Bordell Europas geworden, leider –, und die Details sind schrecklich. Ich sage das aus einem Grund, Frau Bundesinnenministerin; ich will Sie direkt ansprechen: Sie haben von Registrierung gesprochen. Sie registrieren zu langsam und zu wenig umfassend. ({4}) Das ist die Realität: Wenn Sie heute an die polnische Grenze gehen und einen Dank an die polnische Regierung richten für das, was sie dort tut, dann erleben Sie, dass die Flüchtenden direkt registriert werden, im Übrigen mit einer deutschen Software, die wir hier nicht einsetzen. Das, was Sie sagen, dass wir die Flüchtlinge bei der Erstaufnahme und dann bei der Beantragung von Leistungen registrieren, hat ein Problem: Dieses Zeitfenster ist das Eldorado für die Menschenhändler. ({5}) Denn wir wissen ja gar nicht, wenn die Frauen und die Kinder verschwinden, dass sie überhaupt weg sind. Deswegen müssen wir eines sicherstellen: dass die Frauen nicht dem Krieg entkommen sind und anschließend in der Zwangsprostitution in Deutschland landen. Deswegen, liebe Frau Ministerin Faeser – auch an die Familienministerin Spiegel –, fordern wir Sie auf: Tun Sie endlich alles und dies schnell, um diese Frauen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen zu bewahren! ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn eigentlich los? Wir debattieren über die Ukraine. Ein Minister nach dem anderen aus dem Kabinett Scholz geht ans Mikrofon, man lobt sich gegenseitig, und der Bundeskanzler schweigt. ({7}) Herr Bundeskanzler Scholz, Ihre Innenministerin hat von Haltung gesprochen. Ich muss das schon sagen: Haltung wäre das Folgende gewesen: Vor drei Wochen haben wir hier im Deutschen Bundestag in großer Einigkeit, hat auch die Opposition deutlich gemacht, dass wir in dieser schweren Stunde gemeinsam an der Seite der Ukraine stehen. Das Parlament ist aufgestanden vor dem ukrainischen Botschafter, hat minutenlang applaudiert. Es wäre an Ihnen gewesen, sich heute für die Bundesregierung bei diesem mutigen Botschafter zu entschuldigen, der seinen Job macht, und diesen Staatssekretär, der wüst attackiert hat, zu entlassen. ({8}) Ich muss das sagen: Ich bin schon einigermaßen sprachlos, dass wir morgen in der Debattenzeit eine Zuschaltung von Präsident Selenskyj per Video haben – ich habe wie viele in unserem Land einen solchen Respekt vor diesem Mann – und das Hohe Haus anschließend zur Tagesordnung übergeht und über die Impfpflicht diskutieren soll. ({9}) Herr Bundeskanzler, ich glaube, das ist nicht der richtige Weg. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung mehr tut. Eine historische Regierungserklärung alleine reicht nicht. Wir fordern von Ihnen, dass Sie sich der historischen Verantwortung stellen. Wir können einen Unterschied machen, und wir müssen alles tun, um den Opfern dieses Krieges zu helfen und diesen Krieg möglichst rasch zu beenden. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die Bundesregierung erteile ich jetzt der Kollegin Annalena Baerbock. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man spürt förmlich in diesem Raum: Für uns alle sind die Bilder aus der Ukraine nicht zu ertragen. Und für uns sind es nur Bilder; für die Millionen Menschen vor Ort sind sie bittere Realität. Daher ist für uns alle – das ist das gute Zeichen – ganz klar, was das Allerwichtigste ist: Die russische – und ich sage klar: die russische – Bombardierung von unschuldigen Menschen muss aufhören! ({0}) Es ist gut und wichtig, dass es jetzt Gespräche zwischen der Ukraine und Russland gibt. Aber auch hier müssen wir vor uns selber ehrlich sein: Wir wissen nicht, ob das wirklich Gespräche sind. Ein Diktatfrieden hat wenig mit Frieden zu tun, und wir sollten uns nichts vormachen: Wenn die einen über Friedensgespräche reden und zeitgleich Krankenhäuser und Wohngebäude bombardieren, dann geht es wohl nicht wirklich um Gespräche. Nichtsdestotrotz telefoniert der Kanzler, nichtsdestotrotz führen wir diese Gespräche, nichtsdestotrotz, obwohl wir schon mal belogen wurden, tun wir alles, was wir können, wissend, dass es vielleicht in diesem Moment nicht das bringt, was wir alle wollen: ein Ende dieser Bombardierung. Man muss hier einmal klar und deutlich sagen: Es gibt nicht zwei Seiten, es gibt eine Seite, es gibt sogar nur einen Präsidenten, der diese Bombardierung zu verantworten hat, und das ist der russische Präsident. ({1}) Es ist furchtbar, es ist einfach nur furchtbar: Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieser Krieg immer zynischer, immer brutaler wird. Putins feigem Krieg steht nichtsdestotrotz ein unglaublicher Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer gegenüber. Putins – und es ist allein Putins Krieg – verlogenem Krieg gegenüber steht ein Wahrheitswille der vielen russischen und belarussischen Bürgerinnen und Bürger, die auf die Straße gehen, die ihren Militärdienst quittieren, wissend, dass sie damit ihre eigene Freiheit, ihre eigene Sicherheit aufs Spiel setzen, und ich verneige mich – und ich glaube, wir verneigen uns – vor ihrem Mut. ({2}) Putins einsamem Krieg – das ist das einzig kleine bisschen Gute – gegenüber steht eine geschlossene europäische und internationale Gemeinschaft. Aber, und das ist bitter; es ist, wie gesagt, kaum zu ertragen: Es ist auch so, dass es allein Putin in der Hand hat, diesen grausamen Krieg jetzt zu beenden. Das mag uns wütend, das mag uns fassungslos machen; aber es macht uns nicht hilflos. Deswegen haben wir gemeinsam alles, was wir tun können, machtpolitisch darauf konzentriert, dieses Machtsystem Putins zu treffen, wo wir es treffen können. Ja, mit Waffenlieferungen! Da so eine Debatte ja auch den Sinn und Zweck hat, Fragen zu stellen und Vorwürfe gegen die Regierung zu richten – dafür ist diese Debatte da –, möchte ich versuchen, einiges von dem, was Sie angesprochen hatten, aufzugreifen. Wir liefern Stinger. Wir liefern Strela. Aber wir können sie doch nicht herbeizaubern. Wenn Sie jetzt sagen: „Liefern Sie mal mehr“: Die Verteidigungsministerin hat geguckt, was wir liefern können. Zur Ehrlichkeit gehört auch: Wir haben nicht genug. Deswegen haben wir uns den Kopf zerbrochen: Wie können wir das anders machen? Wir haben über die European Peace Facility – wir führen im Übrigen ja auch noch eine andere Debatte –, finanziert vor allen Dingen über das Auswärtige Amt, Gelder zur Verfügung gestellt, mit denen die Ukraine direkt bei Rüstungskonzernen selber einkaufen kann. Wir tun alles dafür, dass diese Einkäufe jetzt ganz, ganz schnell, ohne bürokratische Hürden – sonst prüfen wir ja zwischen drei Ressorts hin und her – vonstattengehen können. ({3}) Glauben Sie mir: Wir tun alles. Und wenn wir zaubern könnten, wenn mir mehr Waffen liefern könnten, dann würden wir das tun. ({4}) Wir tun es auch bei den Sanktionen. Aber ich hatte das ja schon mal gesagt mit Blick auf SWIFT: Was bringt uns eine Sanktion, wo alle sagen: „Juhu, das ist die neue Sanktion“, wenn wir wissen: „Wir können sie in dem Moment nicht umsetzen“? Deswegen haben wir bei SWIFT geprüft: Wie können wir Banken decouplen? Wie können wir dafür sorgen, dass wir wirklich schnell ins System kommen? – Und es wirkt. Wir hatten heute im Sicherheitskabinett bzw. im Kabinett die Berichte: 50 Prozent Rubelverfall. Wir haben gehört, dass die Staatsanleihen nicht bedient werden, dass Kredite nicht gezahlt werden können, weil man vom Finanzierungssystem vollkommen abgeschottet ist. Und wir haben – ich glaube, das wissen eigentlich alle – gestern ein viertes Sanktionspaket auf den Weg gebracht, wo wir vor allen Dingen geschaut haben: Wie schließen wir die Lücken, wo Sanktionen umgangen werden? Denn was bringen uns die schönsten Sanktionen, wenn wir fünf Länder haben, die sich nicht daran halten? ({5}) Das ist doch jetzt die Aufgabe: nicht immer mehr, nicht immer lauter, sondern immer präziser und effektiver dieses System jetzt wirklich zu treffen. Wir sind uns einig – das ist ja auch das Besondere in diesem Moment: das waren wir uns noch nie bei solchen verteidigungs- und rüstungspolitischen Fragen; jetzt sind wir uns einig, das ist gut –, dass wir mehr Geld in die Hand nehmen müssen, auch für die Sicherheit bzw. die Bundeswehr. ({6}) Aber auch hier führen wir die Debatte noch. Ehrlich gesagt: „Freude“ ist kein Wort, das man in diesem Zusammenhang sagen kann. Aber ich glaube, es wird eine gute Debatte, gemeinsam nicht nur zu überlegen, wie wir den Verteidigungsetat über ein Sondervermögen erhöhen, sondern auch, wie wir eine Sicherheitsstrategie formulieren, die wirklich trägt – nicht nur in diesem Moment, sondern auch in den nächsten Jahren, wo vernetzte Sicherheit eben auch bedeutet, Cyberfähigkeiten zu haben. Die Cyberkompetenz haben wahrscheinlich nicht die Streitkräfte, sondern andere Akteure in unserem Land. Diese Debatte haben wir nie geführt. Jetzt ist der Moment, sie zu führen und die Gelder richtig zur Verfügung zu stellen. ({7}) Ich glaube, wir haben super Leute in allen Fraktionen, die diese Debatten jetzt hervorragend führen können. Dann gilt für mich aber auch – das zeigt sich ja gerade –, dass wir Deutsche manches richtig gemacht haben. Warum konnten wir andere Länder in diesem Moment überzeugen, an unserer Seite zu stehen? Nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse, nicht nur aus dem Grund, zu sagen: „Weil es verteidigungspolitisch geboten ist“, sondern weil sie uns vertrauen, weil es gewirkt hat, dass wir jahrelang in Diplomatie, in gute Beziehungen, ins Zuhören investiert haben. Vielleicht der kleine Seitenschlenker; denn auch mich bewegt das: Ich habe auch darüber nachgedacht: Sollen wir morgen reagieren oder nicht? – Wir haben Kuleba im NATO-Rat zugeschaltet und hatten eine Debatte danach: Ja oder nein? Natürlich zerbrechen wir uns den Kopf. Ich glaube, in so einem Moment ist Zuhören eine echte Stärke. ({8}) Zuhören, das Wort stehen lassen, auch die Vorwürfe, die es geben wird, stehen lassen: Ich glaube, das ist in so einem Moment wahre Größe – und uns unserer Stärke bewusst zu sein, und die ist auch Diplomatie. Deswegen möchte ich – wir haben jetzt viel über Verteidigung und Sicherheit gesprochen – deutlich machen – dazu brauchen wir auch Sie alle, dazu brauchen wir vor allen Dingen den Haushaltsausschuss –: Da, wo wir bedingungslos helfen können, da müssen wir jetzt bedingungslos helfen! Wir können das in manchen Bereichen nicht, weil wir wirtschaftliche Abhängigkeiten haben. Aber wir können es im humanitären Bereich. ({9}) Deswegen möchte ich drei Punkte hier schon einmal mit Blick auf die nächsten Wochen erwähnen: Erstens: humanitäre Hilfe. Meine Kollegin Svenja Schulze hat es angesprochen: Die Versorgungslage ist dramatisch – in Kiew, Mariupol, Charkiw; wahrscheinlich wird Kiew jetzt noch mal härter getroffen. Wir brauchen mehr Geld. Danke, dass wir heute zusätzlich 350 Millionen Euro auf den Weg gebracht haben. Wir werden leider weitere Gelder im Bereich „humanitäre Unterstützung“ brauchen. Den zweiten Punkt habe ich heute im Verteidigungs- und Europaausschuss schon genannt: Unterstützung der Nachbarländer. Wir sehen, was die alle leisten, vor allen Dingen Moldau. Die große Sicherheitsgefahr ist, dass das kleine Moldau – ohne Panzer, ohne irgendwelche militärische Aktion – plötzlich auch mit einverleibt wird, weil sie ihre Stromversorgung nicht mehr aufrechterhalten können. Wir können da helfen. Das heißt auch hier, Stabilisierungshilfe auf den Weg zu bringen und bereit zu sein, wenn Moldau uns braucht. ({10}) Mein dritter Punkt ist die Verteilung der Geflüchteten. Im Inland müssen wir gemeinsam schauen, wo wir besser werden: in Kommunen, Ländern und, ja, auch auf Bundesebene. Aber wir haben auch eine Verantwortung an der Außengrenze, wenn man sieht, was da passiert ist. Es sind in den letzten Tagen diejenigen gekommen, die ein Auto haben, die Verwandte in Europa haben. Jetzt kommen diejenigen, die niemanden mehr haben. Ich habe eine 80-jährige Frau in Moldau getroffen. Ich habe mich gar nicht getraut, die Frage zu stellen; aber ich habe sie trotzdem gefragt: „Wo wollen Sie hin?“, und sie hat gesagt: In den Himmel. Ich habe niemanden mehr. Wo soll ich in Europa noch hin? – Wir können nicht sagen, sie soll sich freiwillig auf ein Land verteilen. Diese Frau wird im Zweifel einfach auf ihrem Stuhl sitzen bleiben. Es ist jetzt unsere Aufgabe, gemeinsam für eine solidarische Brücke in Europa und über den Transatlantik zu sorgen. ({11}) Das ist auch mein Appell an unsere Freunde in Kanada, in den USA und weltweit: Wir müssen jetzt die Menschen von der Außengrenze verteilen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Da können wir bedingungslos helfen. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für den Bundesrat ergreift jetzt das Wort der Kollege Dr. Joachim Stamp. ({0})

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bombenterror Wladimir Putins soll nicht nur die Moral der Ukraine brechen. Die Bombardierung von Kindergärten, von Krankenhäusern, von Wohnblocks und mittlerweile auch von Flüchtlingseinrichtungen soll Menschen systematisch vertreiben. Es ist offensichtlich, dass der Vertreibungsterror Teil einer Strategie ist, einer Strategie, die uns, die europäischen Nachbarländer, destabilisieren soll und die unsere Gesellschaften spalten soll – dadurch, dass möglichst viele derjenigen, die vor den Bomben fliehen müssen, in die europäischen Länder kommen. Meine Damen und Herren, es ist unsere gemeinsame Aufgabe: Wir müssen jetzt genauso beweisen wie die Ukraine, die sich nicht brechen lässt, dass auch wir uns nicht brechen lassen in unserer Solidarität. Wir müssen gemeinsam mit den Partnern in Europa in internationaler Solidarität unserer historischen Aufgabe gerecht werden und die Vertriebenen alle aufnehmen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe jedoch den Eindruck, dass sich nicht alle – auch in Europa nicht alle – der historischen Dimension dieser Aufgabe bewusst sind. Insbesondere – es ist eben schon angesprochen worden – Polen leistet Herausragendes. Wenn sich allein in Warschau 300 000 Vertriebene aufhalten – in Breslau sind es 200 000 – und in Berlin täglich über 10 000 Menschen ankommen, dann muss jetzt, dann muss sofort gehandelt werden. ({1}) Eine historische Aufgabe braucht eine historische Antwort. Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, dringend bitten, auf den französischen Präsidenten zuzugehen und noch in dieser Woche einen europäischen Gipfel vorzubereiten, der eine Evakuierung Hunderttausender direkt aus Polen in die verschiedenen europäischen Länder ermöglicht. Wir brauchen eine Luftbrücke aus Polen, und wir brauchen sie so schnell wie möglich. So, wie man sich einst mit der Berliner Luftbrücke Stalins Terror entgegengestellt hat, sollte Europa sich heute mit einer Luftbrücke dem Terror Putins entgegenstellen. ({2}) Ich sage das ganz offen: Ohne die anderen Europäer wird es Polen in den nächsten Wochen nicht mehr gelingen, die Versorgung der Geflüchteten auch wirklich menschenwürdig sicherzustellen. Und in der Folge, wenn es Polen nicht mehr schaffen wird, dann werden wir es perspektivisch auch nicht schaffen. Wir haben die EU-Richtlinie in der Umsetzung, wir haben einen unkomplizierten Status, der den Menschen sehr viel Freiheit gibt – das ist auf der einen Seite positiv –, der es in der praktischen Organisation aber auch nicht einfach macht, weil es eben keine verpflichtenden Zuweisungen gibt, wie wir sie beispielsweise bei den Asylbewerbern haben. Aber es ist ein guter Status beschlossen worden. Was aber nicht beschlossen worden ist, das ist die solidarische Verteilung, und eigentlich gehört auch dies zu dem humanitären Schutz. Deswegen brauchen wir jetzt diese europäische Initiative. Verehrter Herr Bundeskanzler, ich bin mir sicher, dass Sie auch wissen, wie wichtig diese Verantwortung ist. Denn – das zu sagen, gehört dazu – auch unsere Regelsysteme sind bereits überlaufen. Ich spreche an dieser Stelle nicht nur für die Länder, sondern ich spreche auch für die Kommunen in Deutschland, die mittlerweile begonnen haben, Turnhallen zu belegen, und die selbst zum Teil schon an den Kapazitätsgrenzen angekommen sind. Wir brauchen einen gemeinsamen, nationalen Kraftakt, wenn wir Hunderttausende versorgen wollen. Darum brauchen wir neben der europäischen Hilfe und der europäischen Verständigung dringend auch eine Verständigung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ich würde vonseiten der Länder und Kommunen den Vorschlag machen, dass wir so schnell wie möglich – am besten noch an diesem Wochenende – zu einem Flüchtlingsgipfel zusammenkommen, um auch mit den Hilfsorganisationen und allen entscheidenden Playern zu besprechen, wie wir neue Plätze generieren können, damit wir wirklich verantwortlich handeln, damit wir auch dauerhaft den Menschen aus der Ukraine gerecht werden können bei der Versorgung, bei unserer historischen Aufgabe hier in Deutschland und damit wir auf Putins Vertreibungsterror, den Versuch, uns zu destabilisieren, die Antwort geben können, die ein Wladimir Putin nicht kennt, nämlich Humanität. Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Michael Roth. ({0})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit Ihnen beginnen, den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Ja, ich stimme Ihnen zu: Es ist Zeit für kritische Selbstreflexion, ja, es ist auch Zeit für Selbstkritik – aber nicht für Rechthaberei und billige Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen. ({0}) Wenn Ihre Finger auf diese Koalition gerichtet sind, dann weisen dutzendfach Finger auf Sie zurück. ({1}) Fragen Sie doch bitte mal den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten! Reden Sie mal mit dem sächsischen Ministerpräsidenten! ({2}) Sprechen Sie im Übrigen auch mit der Bundeskanzlerin, die diese Politik seit Jahren geprägt hat! Und sprechen Sie auch mal mit Ihrem ehemaligen Kanzlerkandidaten Laschet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU! ({3}) Ich habe nach dem Fall der Mauer den Kriegsdienst verweigert – wie im Übrigen viele andere Männer auch. Ich hätte mir nach 24 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag nicht vorstellen können, nicht nur humanitäre Hilfe für die Ukraine, nicht nur eine großzügige Aufnahme von Geflüchteten einzufordern, sondern auch Waffen – Waffen, damit sich dieses Land, das von einem brutalen Aggressor angegriffen wird, selbst verteidigen kann. Dafür stehe ich ein, und dafür tragen wir gemeinsam die Verantwortung. Wir müssen überlegen, wie wir diese Ukraine, die um ihr Überleben kämpft, noch weiter und besser unterstützen können; denn ich bin mir ziemlich sicher: Nur eine wehrhafte Ukraine kann Putin überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen über einen Waffenstillstand bewegen. Putin will die ganze Ukraine. Nur aus einer Position der Stärke heraus hat die Ukraine eine Chance, ({4}) diesen gewalttätigen Prozess, der ausschließlich von Putin ausgeht, zu überleben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Die Ukraine hat um eine EU-Perspektive gebeten. Ich unterstütze dies: Aus Nachbarinnen und Nachbarn müssen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner des Hauses Europäische Union werden. ({6}) Ich warne aber vor Symbolpolitik. Dieses Angebot muss ehrlich und muss klar sein. Wir müssen aus den Fehlern lernen, die wir gegenüber dem westlichen Balkan gemacht haben, wo das Kosovo heute noch auf Visaliberalisierung wartet, wo Nordmazedonien und Albanien heute noch darauf warten, ({7}) dass die Beitrittsverhandlungen endlich aufgenommen werden; weil Bulgarien nach wie vor blockiert. Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch neue, kreative Formen der Zusammenarbeit zu finden, beispielsweise als Vorstufe zu einer Vollmitgliedschaft eine Juniormitgliedschaft, damit diese Menschen, die sich nach unseren europäischen Werten sehnen, spüren, dass wir sie nicht alleinlassen; denn sie gehören zu uns. Das ist eine Bürgerinnen-und-Bürger-Bewegung, die es ja schon seit vielen Jahren gibt. Ich finde, dass jetzt die Zeit ist, ihnen zu sagen: Unsere Türen sind geöffnet, sie bleiben geöffnet, aber es ist ein langer und schwieriger Weg. Ich will darüber hinaus auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der mich ein wenig stört. Es wird nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa darüber spekuliert: Wie könnte denn ein möglicher Kompromiss aussehen, der für die Ukraine annahmefähig wäre? Was ich vermisse, ist die Frage: Wie könnte eigentlich ein Kompromiss für Russland aussehen? Was muss denn Russland tun, damit es zu einer friedlichen Lösung im östlichen Europa kommt? Ich kann vor Spekulationen nur warnen. Unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde wissen selbst am besten, was in dieser schwierigen Situation zu tun ist, sie brauchen keine öffentlichen Ratschläge von Politikerinnen und Politikern aus Brüssel, aus Berlin oder aus anderen europäischen Hauptstädten. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Ukraine ist kein Brot, von dem ein machthungriger Diktator sich einfach mal ein paar dicke Scheiben abschneiden kann. So funktioniert das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({8}) Wenn die Ukraine verliert, dann haben auch wir verloren. Wenn die Ukraine überlebt, dann gewinnen auch unsere Werte, ({9}) dann gewinnen Freiheit und Menschenrechte und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen Autoritarismus, ({10}) der zum schlimmsten Mittel und zur schlimmsten Geißel greift, nämlich dem Krieg. Das müssen wir gemeinsam abwenden. Deswegen wäre bei allem notwendigen Streit auch ein Zeichen der Zusammenarbeit und des Zusammenhalts in diesen schwierigen Zeiten nicht nur für die Europäische Union, sondern vielleicht auch für diesen Deutschen Bundestag ganz hilfreich. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Unionsfraktion spricht Florian Hahn. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit drei Wochen tobt der Krieg in der Ukraine – Tausende tote Ukrainer, Tausende tote Soldaten auf beiden Seiten, Zehntausende Verwundete, Hunderttausende Flüchtlinge –, und seit drei Wochen verteidigen die Ukrainer tapfer ihre Heimat gegen Fremdherrschaft, Tyrannei, Unfreiheit und Unterdrückung. Ich kann nur sagen: Wenn man die Bilder sieht, dann stockt einem der Atem. Ich habe größten Respekt und größte Bewunderung für diese Tapferkeit und für den Mut, den die Ukrainer, ob Frauen, Kinder, Männer oder die Alten, Tag für Tag zeigen. ({0}) Es ist wichtig, dass wir alles unternehmen, was wir können und was Sinn macht, um dieses Grauen zu beenden, und Dinge tun, mit denen wir die Ukraine wirklich tatkräftig unterstützen können. Ich finde es tatsächlich unerträglich – der Kollege Brand hat das schon angesprochen –, dass ein Mitglied der Regierung, ein Parlamentarischer Staatssekretär, in dieser Situation den Botschafter dieses Landes, der täglich diese Nachrichten hört, und zwar nicht nur von seinen Landsleuten, sondern vermutlich auch von seiner eigenen Familie, und in Deutschland nicht erst seit drei Wochen, sondern seit Monaten um mehr Unterstützung für die Ukraine fleht, per Twitter abkanzelt und sagt, er sei unerträglich und solle sich – so ungefähr – am besten schleichen. Der, der an der Stelle unerträglich war, war Sören Bartol, und er gehört entlassen. ({1}) Wir haben hier drei Bundesministerinnen gehört. Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung diese Aktuelle Stunde so angelegt hat, dass wir auch etwas von der Bundesregierung dazu hören. Wir haben aber drei sehr unterschiedliche Beiträge der Bundesministerinnen gehört. Liebe Frau Bundesministerin Schulze, ich muss ganz ehrlich sagen: Ihre Rede hätte zum größten Teil besser in die nächste Woche gehört, in die Haushaltswoche, und zwar zur allgemeinen Beschreibung Ihres Themenfeldes. Inhaltlich war sie am heutigen Tag unter der Überschrift „Aktuelle Stunde zur Lage in der Ukraine“ eine absolute Themaverfehlung. ({2}) Frau Bundesministerin Faeser, das, was Sie hier abgeliefert haben, war ein Vortrag nach dem Motto „Alles ist in Butter beim Thema Flüchtlingsunterstützung in Deutschland“. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich weiß nicht, wo Sie sich so aufhalten, aber mit der Flüchtlingsunterstützung in Deutschland ist aktuell nichts in Butter, vor allem nicht, was die Vorbereitung auf das angeht, was in den nächsten Wochen und Monaten tatsächlich auf uns zukommt. Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege aus Nordrhein-Westfalen darauf hingewiesen und gesagt hat: Wir brauchen einen Flüchtlingsgipfel. – Diese Ankündigung hätte ich von Ihnen heute in dieser Debatte erwartet ({3}) und auch mal eine Auskunft dazu, wer denn die Kosten übernehmen wird. Der Freistaat Bayern hat heute im Kabinett 1 Milliarde Euro zur Unterstützung der Kommunen angekündigt. Wir wissen doch alle aus unseren Wahlkreisen, dass die Bürgermeister und Landräte schon jetzt alles unternehmen, um Kapazitäten zu schaffen, aber natürlich die bange Frage im Raum steht, wer das alles bezahlt. Deswegen erwarten wir auch an dieser Stelle eine klare Ansage der Bundesregierung. Liebe Frau Bundesministerin Baerbock, ich habe es heute im Verteidigungsausschuss gesagt und möchte, weil dieser Ausschuss nicht öffentlich tagt, es auch hier sagen: Kompliment! Sie sind im Grunde die einzige Sichtbare, die in dieser Krise konsequent das tut, was sie kann. Dafür ein herzliches Dankeschön! ({4}) Aber – das soll den Dank gar nicht schmälern – wenn Sie heute hier ankündigen, dass noch mehr beim Thema „militärische Befähigung der Ukraine“ getan wird, was wir absolut begrüßen, dann frage ich mich, warum ich dazu von der Bundesregierung noch nichts im Verteidigungsausschuss gehört habe und warum auch meine Kollegen in den anderen Ausschüssen – wir haben heute Mittwoch; heute haben die Ausschüsse getagt – dazu noch nichts gehört haben. Wir unterstützen das selbstverständlich. Aber wir würden gerne wissen, was genau da auf den Weg gebracht wird, was das kostet, ob es das ist, was die Ukraine tatsächlich wollte, und ob das dann auch entsprechend hilft. Deswegen bitten wir hier um noch mehr Auskunft. Ich muss heute nur auf den Pressespiegel aus meinem Wahlkreis schauen. Alles zum Thema Ukraine ist hier neonorange unterstrichen. Es geht darum, wie die Zivilgesellschaft in Deutschland helfen will, um die Pfadfinder, die sammeln, bis zu denen, die tagtäglich an die ukrainische Grenze fahren, um die Flüchtlinge abzuholen und Güter dorthin zu bringen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mir da am Sonntag selber einen Überblick verschaffen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zum Ende. – Ein herzliches Dankeschön und „Vergelts Gott!“ an all diejenigen, die sich da entsprechend reinhängen und helfen. In diesem Sinne hoffe ich, dass es für die Ukraine bald eine bessere Zukunft gibt. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht Sebastian Hartmann. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 21 Tage nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine sehen wir unermessliches Leid, Vertriebene, Tote, Verletzte – jeden Tag mehr, jede Stunde mehr. Dieses unermessliche Leid bedingt einen Appell am Anfang: Herr Präsident Putin, stoppen Sie diesen völkerrechtswidrigen Angriff! Sie sind es, der den Befehl geben kann, das Leid jetzt, in dieser Sekunde, zu stoppen. ({0}) Ich möchte an diesen Appell anschließen, dass wir angesichts dieser Katastrophe im Vergleich zu anderen Situationen – und wir sind in einer Zeitenwende – ein europäisches Aufeinander-Zugehen sehen, einen Akt europäischer Solidarität. Sie, Frau Innenministerin Faeser, haben gleich am Anfang Ihrer Amtszeit deutlich gemacht, dass Sie den Begriff „Migration“ anders interpretieren als mancher Ihrer Amtsvorgänger. Sie sind in Europa auf Ihre Innenministerinnen- und Innenministerkollegen zugegangen und haben gesagt: Wir müssen diese Aufgabe europäisch anpacken. Wenige Tage nachdem die ersten Erfolge spürbar waren, waren wir gefordert, als es zu dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine kam, und wir haben erlebt, dass wir den Mechanismus für den temporären Schutz für mehr als 3 Millionen Menschen, die jetzt schon geflohen sind, aktivieren mussten. Der Dank gilt auch der polnischen Regierung und der polnischen Zivilbevölkerung, die für über 1,8 Millionen Menschen, die jetzt schon nach Polen geflüchtet sind, Unermessliches leisten und einfach helfen. ({1}) Lassen Sie mich aber einen Punkt in unserer Debatte deutlich machen: Wir müssen uns einmal in dieser Situation vor Augen führen, welcher Vorwurf hier im Raum erhoben wurde. Es ist doch eine Frage an Sie von der Opposition, ob wir dieser Aufgabe, die sich Opposition und Regierung insgesamt stellt, gemeinsam gerecht werden. ({2}) Weniger als 100 Tage nach Übernahme der Regierungsverantwortung hören wir hier eine Vorwurfsarie, und Sie haben nicht ein einziges Mal gesagt, welches Gesetz Sie auf den Weg gebracht haben. Sie haben 16 Jahre lang Verantwortung in diesem Land getragen. ({3}) Es war die Union, die im August 2015 in diesem Land gesagt hat: „Wir schaffen das“, und es war ein bayerischer Ministerpräsident, der wenige Wochen danach das Ganze umgetreten hat, indem er sagte, das sei die Herrschaft des Unrechts. Das war der Beitrag der Union zu Fragen der Migration in Deutschland und in Europa. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird keinem der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in diesem Land gerecht, wenn wir diese Debatte in dieser Form wiederholen. Lassen Sie uns gemeinsam zeigen: Wir haben gelernt, dass es eine europäische Antwort braucht und dass wir in Deutschland unseren Teil zur Lösung dieser humanitären Katastrophe in Europa beitragen werden. ({5}) Und wir tun das, durch das Technische Hilfswerk und die Hilfslieferungen, aber auch durch die Waffenlieferungen an die Ukraine, die in diesen Stunden tatsächlich darum ringt, dass es nicht zu einer noch größeren Katastrophe kommt. Wir haben in diesem Haus aber noch eines getan, und das sollten Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die diese Debatte verfolgen, auch wissen. Wir sind auf die Opposition zugegangen und haben die Obleute sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen dazu eingeladen, sich gemeinsam mit uns über die Lage informieren zu lassen, teilweise tageweise, insbesondere im Innenbereich, weil wir jetzt die Verantwortung übernehmen werden, die Flüchtlinge schnell und unkompliziert unterzubringen. Eine Lehre aus den Jahren 2015 und 2016 ist auch, dass wir uns die Chance zur zweitbesten Lösung geben müssen. Nicht jede Lösung ist in dieser Situation perfekt, aber sie hilft konkret Menschen, die unermessliches Leid erlebt haben. Wir haben zunächst einmal 10 000 Menschen begrüßt und mit ehrenamtlichen Hilfen verteilt, haben danach aber erkannt: Wir müssen jetzt handeln und gehen sofort zur Registration über. Wir haben nun Hunderttausende von Menschen in unserem Land, und wir verteilen sie auf die Länder, nachdem das Zurufverfahren nicht mehr gereicht hat und nicht mehr ausreichend Plätze zur Verfügung stehen. Ich schließe mich Ihnen, Herr Vizeministerpräsident Stamp, ausdrücklich an: Es ist ein nationaler Kraftakt von Bund, Ländern und Kommunen. Ich bin auch der festen Auffassung, dass wir nicht eine salamischeibenweise Lösung wie 2015 brauchen, sondern dass wir deutlich sagen müssen: Es wird auch mit dem Tag des Waffenstillstandes viele Ukrainerinnen und Ukrainer geben, die in diesem Land oder in direkten Anrainerstaaten bleiben. Es wird vieler Investitionen bedürfen. Wir dürfen die Kommunen nicht noch einmal alleine lassen, sondern müssen dieses Geld in die Hand nehmen. Das ist das Geringste, was wir tun können. Jeder, der in diesem Land ist, hat einen Anspruch darauf, dass wir diese Krise so menschlich wie möglich lösen. Es ist eine humanitäre Katastrophe, und ich wiederhole den Appell: Herr Präsident Putin, stoppen Sie diesen Angriffskrieg! Sie sind derjenige, der den Befehl geben kann. Stoppen Sie diesen Angriffskrieg!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Und es hilft auch nichts, wenn in dieser Stunde der Opposition und Regierung irgendein historischer Versuch unternommen wird, ein Versagen des Westens zu konstruieren. Nichts rechtfertigt einen völkerrechtswidrigen Angriff auf Kinder, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– Frauen, Menschen, Krankenhäuser, Schulen. Das passiert in dieser Stunde in der Ukraine. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ebenfalls für die SPD-Fraktion spricht jetzt Jörg Nürnberger. ({0})

Jörg Nürnberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005169, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag sehen wir wieder und wieder die unerträglichen Bilder von einem schrecklichen Krieg, Bilder von einem Angriffskrieg mitten in Europa, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Die dadurch verursachte Lage in der Ukraine ist dramatisch und bestürzt uns zutiefst. Europa und Deutschland unterstützen die Ukraine deshalb in dieser Lage zivil und militärisch. Und der Hinweis sei gestattet, Herr Hahn: Es ist ein Gebot militärischer und politischer Vernunft, keine Details über Waffenlieferungen öffentlich bekannt zu geben. Das würde unsere eigenen Soldaten gefährden, die diese Waffen liefern. ({0}) Deutschland verhält sich solidarisch, und das entspricht auch unserer Verantwortung in Europa. Wir müssen uns aber gleichzeitig fragen, welche Auswirkungen dieser brutale und völkerrechtswidrige Angriff auf unsere westliche Staatengemeinschaft hat. Der Westen ist geeinter denn je. Die NATO und die Europäische Union stehen eng zusammen, und die EU hat in kürzester Zeit vier Sanktionspakete von bisher nicht dagewesenem Ausmaß verabschiedet. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe und im Interesse aller westlichen Staaten, dafür zu sorgen, dass aus dem Krieg in der Ukraine kein Flächenbrand in ganz Europa wird. Deshalb kann man auch manchen sehr verständlichen Forderungen der Ukraine, wie zum Beispiel der nach einer Flugverbotszone, nicht entsprechen; denn das würde uns in diese Kriegssituation einbinden. ({1}) Angesichts des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, hat sich die sicherheits- und verteidigungspolitische Lage auch in den NATO-Mitgliedstaaten und in Deutschland dramatisch verändert. Die Aggression Russlands bedroht die Friedensordnung in ganz Europa. Wir stehen vor bisher ungekannten Herausforderungen, die auch – da geht es mir hier nicht, wie vielleicht anderen, um eine Schuldzuweisung, sondern um eine objektive Feststellung – die Versäumnisse der Verteidigungspolitik der vergangenen Jahre offenbaren. Das gilt besonders mit Blick auf die Ausrüstung der Bundeswehr. Die Notwendigkeit, mehr in unsere Sicherheit und damit auch in militärische Sicherheit zu investieren, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Wir müssen uns noch stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung fokussieren, insbesondere auch im Hinblick auf unsere östlichen NATO-Partner, und zwar nicht nur wegen der aktuellen Lage, sondern auch langfristig. Die NATO-Ostflanke wird bereits heute durch deutsche Soldatinnen und Soldaten in Litauen und in allernächster Zukunft in der Slowakei gestärkt. In Rumänien haben wir sechs Eurofighter stationiert. In der Ostsee und im Mittelmeer stärken Marineeinheiten die NATO-Nord- und ‑südflanke. Parallel zum aktuellen Engagement der Bundeswehr gilt es nun, wichtige und lange überfällige Investitionen voranzubringen. Ich bin daher froh, dass Bundeskanzler Scholz erklärt hat, dass dafür zum einen dieses Sondervermögen gebildet wird und dass zum anderen die Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreicht werden wird. Wir senden damit nämlich wichtige Signale, erstens an unsere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – wir kümmern uns endlich um eure Ausrüstung! –, zweitens an unsere Bündnispartner in der EU und in der NATO – wir stehen zusammen! –, drittens an die Industrie – wir sorgen für langfristige Planungssicherheit! – und viertens vor allen Dingen auch an Wladimir Putin: Wir lassen uns nicht einschüchtern! ({2}) Mit diesem Sondervermögen sind wir erstmals in der Lage, längerfristige Projekte ohne jährliche, jeweils wiederkehrende erneute Haushaltsberatungen abzuwickeln. Unser Ziel ist jetzt also eine Bundeswehr, die im vollen Umfang einsatzfähig ist, eine Bundeswehr, die damit auch ihre Kernaufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung vollständig erfüllen kann, und das mit bestmöglicher Ausrüstung. Unsere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat bereits einen Plan vorgelegt, wie diese Ziele erreicht werden können. Es soll künftig keine militärischen Luftschlösser mehr geben, sondern es soll auf bewährte marktverfügbare Produkte und Systeme gesetzt und auf bestehende Lösungen aufgebaut werden. Das Beschaffungswesen soll modernisiert werden. Man muss in dieser Krisensituation auch darüber nachdenken, Artikel 346 AEUV, nach dem Ausnahmeregelungen von den Vergabevorschriften möglich sind, anzuwenden. Das Sondervermögen wird die Beschaffungsvorhaben beschleunigen können. Hier hat die Bundesministerin auch angekündigt, das immer stets mit dem Bundestag abzustimmen. Die 25-Millionen-Euro-Vorlagen werden erhalten bleiben. Unsere Bevölkerung steht hinter diesen Plänen; 74 Prozent der Menschen in Deutschland stimmen diesen zu. Insofern ist die Koalition bereit, diese Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen aber hier vor allen Dingen darüber diskutieren, wie wir zur Rückkehr der Diplomatie und zu einer friedlichen Konfliktlösung kommen. Es ist unser vorrangiges Ziel, Herrn Putin dazu zu bewegen, die Kampfhandlungen einzustellen. Wladimir Putin, stellen Sie die Kampfhandlungen sofort ein! Wladimir Putin, beenden Sie diesen Krieg! ({3})

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Jahr haben wir den ersten nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt begangen. Mein Dank gilt an dieser Stelle auch dem Opferbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Kober. Vor wenigen Wochen hat das Bundeskabinett beschlossen, diesen Gedenktag des 11. März zu begehen. Der 11. März ist damit ein Tag der Erinnerung, des Mitgefühls, aber auch der Mahnung, mit aller Entschlossenheit gegen terroristische Bedrohungen in unserem Land vorzugehen. ({0}) „Unsere Welt steht seither kopf“. Das sind Ajla Kurtovićs Worte zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem ihr Bruder Hamza getötet wurde. Er wurde 22 Jahre alt. „Da ist nach wie vor ein ganz großer Riss in meinem Leben“, sagt Astrid Passin, die ihren Vater 2016 bei dem islamistischen Anschlag auf dem Breitscheidplatz verlor. Es vergehe kein Tag, an dem sie nicht voll Schmerz an ihren Verlust denken, an den Terroranschlag, der ihre Angehörigen aus dem Leben gerissen hat. Das sagen Ajla Kurtović und Astrid Passin. Sie machen das durch, was alle Mütter, Väter, Söhne, Töchter, was Partner, Verwandte oder Freunde durchleiden, wenn ein Terroranschlag das Leben ihrer Liebsten auslöscht: die völlige Schockstarre, die Fassungslosigkeit, das Nicht-glauben-Können, den Schmerz, der nie wieder vergeht. Viel zu oft stehen nach einem Anschlag aber die Täter im Vordergrund; es geht um die Motive. Mit dem Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt wollen wir jetzt die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen richten, und das ist so entscheidend. In Hanau haben es die Angehörigen unter dem Motto „Say their names“ benannt. Wir wollen, dass ihr Schicksal uns allen in Staat und Gesellschaft bewusst bleibt und erhalten bleibt und wir uns daran erinnern. Viele kämpfen sich mit großer Kraft zurück ins Leben. Wir dürfen sie dabei als Staat aber nicht alleine lassen. Ich möchte, dass die Betroffenen und ihre Familien mit viel mehr Empathie und Sensibilität unterstützt werden – von allen staatlichen Stellen. ({1}) Der linksextremistische Terror der Rote-Armee-Fraktion, der „Bewegung 2. Juni“ und der Revolutionären Zellen, der vor allem in den 70er- und 80er-Jahren für Angst und Schrecken sorgte, ist nicht vergessen. Diese Attentate wirken bis heute nach und lassen den Hinterbliebenen keine Ruhe. Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus hält unverändert an. Trauriges Zeugnis sind der Anschlag am Breitscheidplatz sowie die Messerangriffe in Dresden, in Hamburg oder in Hannover. Wir erinnern an den Anschlag beim Musikfestival in Ansbach, den Anschlag auf der Berliner Autobahn, im Zug bei Würzburg oder den Brandanschlag in Waldkraiburg, den Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen und am Flughafen in Frankfurt. Eine Spur des rechten Terrors zieht sich durch unsere jüngere Geschichte: Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen, der Terror des NSU, der Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der Terror von Halle und Hanau. Auch das nunmehr über 40 Jahre zurückliegende Attentat auf das Münchener Oktoberfest bewegt noch immer die Opfer und deren Angehörige. Es ist die höchste Pflicht des Staates, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Aber kein Staat kann völlige Sicherheit garantieren. Wenn es trotz aller präventiven Maßnahmen doch zu einem Terroranschlag kommt, muss der Staat dafür sorgen, dass den Betroffenen schnell wirksam geholfen wird. Konkret entwickelt zum Beispiel das Bundeskriminalamt gemeinsam mit den Ländern gerade die strategische Zusammenarbeit weiter und baut ein spezielles Netzwerk zur Opferfürsorge auf. Es ist mir ein großes Anliegen, dass von Terrorismus Betroffene nicht alleingelassen werden. Wir müssen ihre Interessen und Rechte verteidigen und stärken. Jeder einzelne Mensch zählt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe dem Kollegen Michael Breilmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Michael Breilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Terroropfern ist in Deutschland ein neuer Gedenktag gewidmet worden, und das ist gut und richtig so. Terror ist eine Bedrohung, eine Bedrohung, die Europa, ja die ganze Welt betrifft. Es ist daher gut, dass der europäische Gedenktag in Erinnerung an den 11. März 2004, als al-Qaida-Terroristen Bomben in Zügen in Madrid zündeten, 191 Menschen töteten sowie fast 2 000 verletzten, nun auch die Menschen in Deutschland mit einschließt. ({0}) Neben der Trauer über das Leid spüren wir gerade anlässlich solcher Taten, dass uns das Geschehene oft die Sicherheit des Alltags zu nehmen droht. Dennoch und gerade deswegen müssen wir uns dem Terror auch in Zukunft mit vereinten Kräften entgegenstellen. Denn es geht uns vor allem auch um unsere Werte. Diese Werte lassen wir uns von niemandem nehmen, erst recht nicht von hinterhältigen Terroristen oder feigen Mördern. Unsere Werte des Grundgesetzes sind unverhandelbar. ({1}) Für Terroropfer gilt, was gerade oft auch über die Menschen in der Ukraine gesagt wird, die derzeit brutaler Gewalt in einem abscheulichen Krieg ausgesetzt sind, nämlich dass sie stellvertretend für uns alle getroffen wurden. Ja, es ist wahr: Terroranschläge sind Anschläge auf unser Zusammenleben, auf unsere Werte und unsere Freiheit. Alle Terrorattacken wirken bis heute nach und lassen den Betroffenen und auch deren Familien keine Ruhe. Unser Gemeinwesen steht den Betroffenen gegenüber daher schon in einer besonderen Verantwortung und schuldet ihnen eine transparente Aufklärung der Tatgeschehen. Opferfamilien wollen verstehen, wollen Entschuldigung, wollen Aufmerksamkeit und Konsequenzen. Sie wollen schlicht Gerechtigkeit, und die haben sie auch verdient. Opfer erster oder zweiter Klasse darf es dabei nicht geben, und es darf auch keine Rolle spielen, ob die Tat im In- oder Ausland geschieht. Unser Staat muss den Bürgerinnen und Bürgern hier beistehen. Daher sagen wir dem Opferbeauftragten der Bundesregierung, dem Kollegen Kober, auch Unterstützung zu, wenn er einen sensibleren Umgang mit Opfern von Terroranschlägen anmahnt. Ja, die psychische Betreuung ist etwas, wo wir noch besser werden können. Das Leiden der Menschen ist nicht deren Privatsache, sondern Angelegenheit von uns allen. ({2}) Für uns steht neben der Betreuung und dem Gedenken an die Opfer natürlich immer auch die Frage im Mittelpunkt: Wie können wir weitere Terroranschläge, wie können wir weitere Opfer verhindern? Der Kampf gegen den Terror beginnt früh, nämlich überall dort, wo wir Hass und Diskriminierung erleben. Gewalttaten sind oft das Ende eines Radikalisierungsprozesses. Terroristen dürfen niemals das Gefühl bekommen, Beifall für ihre Taten erhalten zu können. Starres Gedenken alleine wird aber nicht reichen. Wir müssen unseren Sicherheitsbehörden daher auch in Zukunft alle möglichen Mittel an die Hand geben, um Terroranschläge und ‑taten im Vorfeld zu verhindern und im besten Fall auch keine neuen Opfer beklagen zu müssen. An dieser Stelle ist mir hier und heute auch ganz besonders wichtig, einen großen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, die Tag und Nacht für unsere Sicherheit arbeiten, auszusprechen. ({3}) Und auch das gehört in diesem Zusammenhang erwähnt: Wir brauchen in der Politik, aber auch in der Gesellschaft eine Haltung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Verfassungsschutz und Polizei, die von Wertschätzung, Vertrauen und Respekt geprägt ist. ({4}) Auch in der heutigen Debatte müssen wir fragen, wie wir als Politik den Sicherheitsbehörden helfen können, ihren Job in der Terrorbekämpfung zu machen. Wir dürfen sie gerade nicht aus einem grundsätzlichen Misstrauen heraus gängeln und ihre Möglichkeiten einschränken. Dazu gehört im Übrigen auch eine ideologiefreie Haltung, die Probleme nicht verschweigt. Was mir heute aber auch ganz besonders wichtig ist zu betonen: Ohne die konkrete Unterstützung von den Bürgerinnen und Bürgern, das alltägliche Entgegentreten gegen Rassismus, Antisemitismus und Extremismus wird dieser Kampf verloren gehen. Und dann wird auch der 11. März in Sonntagsreden enden. Daher: Die Flaggen am Gedenktag bundesweit auf Halbmast zu senken, ist gut. Wenn sich die Blicke der Menschen zusätzlich heben und alle im Alltag Gesicht zeigen gegen Extremismus, Rassismus und Antisemitismus, dann sind wir auf einem guten Weg, den Kampf gegen den Terror zu gewinnen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Alle Terroranschläge, egal mit welchem Hintergrund, haben eines gemeinsam: Jedes Mal sind Menschen sinnlos, willkürlich und auf grausame Art und Weise aus ihrem Leben gerissen worden, und die Hinterbliebenen prägt das für ihr ganzes Leben. Die Politik hat genau diese Menschen jahrelang vernachlässigt. Das muss und das wird sich ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) In einem ersten Schritt haben wir als Ampelkoalition den 11. März zum nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt erklärt, um die Aufmerksamkeit auf diejenigen zu richten, die wir nicht schützen konnten. Egal ob beim Terror der RAF, des NSU oder islamistischer Zellen: Immer wieder ist nach terroristischen Anschlägen die Opferperspektive aus dem Blick geraten. Wir wollen aber nicht mehr nur einseitig über die Täter sprechen, sondern uns stärker den Opfern und Hinterbliebenen zuwenden. Sie verdienen unsere Empathie, unsere Solidarität und auch die öffentliche Aufmerksamkeit. ({1}) Der Umgang staatlicher Stellen mit Betroffenen von Terroranschlägen ließ in der Vergangenheit allzu oft die notwendige Sensibilität und Zugewandtheit vermissen. Ich denke hier zum Beispiel an Hanau: Anstatt die Angehörigen in ihrer Trauer aufzufangen und zu unterstützen, hat man sie in Gefährderansprachen davor gewarnt, sich für den Anschlag – an wem auch immer – zu rächen. Oder auch die nächsten Angehörigen der Opfer des NSU: Nach den Morden haben die Sicherheitsbehörden auf der Basis rassistischer Vorurteile ermittelt und die Täter vor allem in den betroffenen Familien gesucht. Dem eigentlich naheliegenden rechtsextremen Tatmotiv wurde jahrelang kaum Beachtung geschenkt. Selbst nachdem endlich klar war, dass es sich um rechtsterroristische Morde handelte, taten sich die Behörden immer noch schwer damit, Fehler einzugestehen, das Leid der Opfer und ihrer Hinterbliebenen wirklich anzuerkennen und zu würdigen. Auch die Hinterbliebenen und Verletzten des Anschlags vom Breitscheidplatz haben uns sehr persönlich ihre Erfahrungen geschildert, die sie mit staatlichen Stellen gemacht haben. Hier kam neben der fehlenden Sensibilität eine weitere Dimension dazu, nämlich die Bürokratie. Die Betroffenen haben sich im wahrsten Sinne des Wortes die Hacken abgelaufen, wurden von einer Stelle zur anderen geschickt, nur um am Ende doch nicht die Unterstützung zu bekommen, die ihnen eigentlich zusteht. Neben all dem Leid, das die eigentliche Tat hinterlassen hat – diese Unsicherheit, das ständige Gefühl, bedroht zu sein, die tiefen seelischen und körperlichen Wunden –, wurden die Opfer und Hinterbliebenen ein weiteres Mal traumatisiert. Dabei müssten wir doch, wenn wir die Tat schon nicht verhindern konnten, alles daransetzen, dass den Betroffenen nach Kräften geholfen und kein weiterer Schaden zugefügt wird. Das ist doch das Mindeste, was wir tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz haben wir als Fraktionen der demokratischen Minderheit damals im Abschlussbericht gesagt, dass wir dringend einen würdigeren Umgang mit Opfern terroristischer Gewalt brauchen. Ich bin wirklich sehr froh, dass sich die Ampelkoalition unsere Vorschläge zu eigen gemacht hat. So sollen auch die Opfer und Hinterbliebenen von Terroranschlägen und Katastrophen nationaler Tragweite sich zukünftig an die bereits bestehende Koordinierungsstelle NOAH, Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe, wenden können, die nun als Ombudsstelle weiterentwickelt werden soll. NOAH ist bisher nur zuständig, wenn solche Taten im Ausland begangen werden und Betroffene aus Deutschland Hilfe benötigen. Die Arbeit dort zeichnet sich durch eine hohe Kompetenz aus, und deshalb ist es richtig, diese Fähigkeiten auch im Inland einzusetzen. ({3}) Außerdem schließen wir Lücken im Opferentschädigungsrecht und bei der Opferhilfe, damit finanzielle Unterstützung künftig einfacher und auch wesentlich besser funktioniert. Darüber hinaus wollen wir erreichen, dass Empathie und ein würdevoller, sensibler Umgang nicht nur in Beileidsbekundungen zum Ausdruck kommt, sondern bei jedem behördlichen Akt – von der Ermittlungsarbeit bis zum Standesamt – ganz praktisch gelebt wird. Im Umgang mit Opfern terroristischer Gewalt zeigt sich der Reifegrad des demokratischen Rechtsstaats. ({4}) Denn wir wissen: In unserer offenen und freien Gesellschaft kann nicht jeder Anschlag verhindert werden. Aber wir müssen die Solidarität im direkten Umgang mit denjenigen üben, die von den Feinden der Freiheit und Pluralität willkürlich angegriffen wurden. Auch daran soll uns der Gedenktag am 11. März stetig erinnern. Drei Dinge dürfen wir dabei nie aus dem Blick verlieren. Erstens. Anschläge und ihre Hintergründe sind konsequent aufzuklären, und zwar egal, wer gerade regiert. ({5}) Zweitens. Konsequenzen sind laufend zu ziehen, sobald entsprechende Fehler erkannt wurden. Drittens. Opfer und ihre Hinterbliebenen dürfen nicht unmittelbar nach den Anschlägen nur mit warmen Worten bedacht oder sogar für symbolpolitische Initiativen missbraucht werden. Ihre Begleitung und Unterstützung muss uns ein dauerhaftes Anliegen sein, und zwar von dem Moment an, wo das geschehen ist, was nicht hätte geschehen dürfen. Ganz herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Beatrix von Storch für die AfD-Fraktion. ({0})

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute also über die Einführung eines nationalen Gedenktags für die Opfer des Terrorismus. Das ist gut; denn wir mussten zuletzt erleben, dass das Andenken der Terroropfer sogar mit Füßen getreten wurde. Wer wie Bundespräsident Steinmeier die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin in eine Reihe mit Hannah Arendt oder Hildegard von Bingen stellt, verhöhnt die RAF-Terroropfer. ({0}) Nein, Herr Bundespräsident, Gudrun Ensslin war keine große Frau der Weltgeschichte. Sie war eine verurteilte Mörderin und um nichts besser als die Mörder vom Breitscheidplatz, von Hanau oder von Kassel. ({1}) Wes Geistes Kind muss man sein, um eine vierfache Mörderin auf eine Stufe mit einer Heiligen zu stellen? Den Europäischen Gedenktag für die Opfer des Terrorismus gibt es schon viel länger. Am 11. März 2004 ermordeten islamistische Terroristen in Madrid 191 Personen und verletzten über 2 000; das haben wir gerade gehört. Damals wurde der Europäische Gedenktag ins Leben gerufen. 17 lange Jahre später hat nun endlich auch Deutschland einen Gedenktag. Es war der Bundesbeauftragte Kober, der die Sprachlosigkeit des Staates den Opfern gegenüber anklagen musste. Warum diese Sprachlosigkeit? Mut zur Wahrheit: weil Sie alle hier bis heute nicht wahrhaben wollen, dass die mit weitem Abstand größte Terrorbedrohung unserer Zeit vom Islamismus ausgeht. ({2}) Ein Jahr nach Madrid mit 191 Toten die Selbstmordanschläge in London, 52 Tote, über 700 Verletzte; 2015 Paris, 130 Tote, knapp 1 000 Verletzte; 2016 Nizza, 86 Tote, mehr als 400 Verletzte, selbst als der islamistische Terror am Breitscheidplatz in Berlin 12 Menschenleben kostete und 67 zum Teil Schwerverletzte hinterließ, hielt die Sprachlosigkeit an. Sie war so ohrenbetäubend, dass die Angehörigen der Opfer einen Brief an die Bundeskanzlerin schreiben mussten, weil sie sich so im Stich gelassen fühlten. Was für ein Tiefpunkt im Umgang mit den Opfern! ({3}) Es ist gut, dass wir jetzt diese Sprachlosigkeit hinter uns lassen und aller Opfer gedenken. Sie haben unendliches Leid erfahren. Wir gedenken der Väter und Mütter, der Söhne und Töchter, die sinnlos ermordet wurden. Wir gedenken ermordeter Politiker und Wirtschaftsführer wie Buback, Schleyer, Herrhausen, Rohwedder und Walter Lübcke. Wir müssen der Opfer gedenken und den Terrorismus bekämpfen; das schulden wir den Opfern. Die Terrorgefahr bleibt real. Der Generalbundesanwalt hat 2021 5 Ermittlungsverfahren wegen Rechtsextremismus und gegen Rechtsterroristen eröffnet, 10 gegen Linksterroristen und 234 gegen islamistische Terroristen. Die Taten unterscheiden sich signifikant in der Zahl, nicht in ihrer Menschenverachtung. Ob RAF oder Antiimperialistische Zellen, ob NSU oder Combat 18, ob „Islamischer Staat“ oder die Hisbollah oder die vielen Einzeltäter: Terroristen sind niemals Freiheitskämpfer oder Märtyrer, sie sind einfach nur Verbrecher und Mörder allesamt. ({4}) Dieser Gedenktag erinnert an ihre Opfer und daran, dass das oberste Ziel unseres Staates ist, Menschen zu schützen, und das braucht Mut zur Wahrheit. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland, Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Unbekannt)

Politiker ID: 11004075

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Freitag haben wir in Deutschland zum ersten Mal den Nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt begangen. Auf diesen Tag, auf dieses Gedenken haben viele Betroffene lange gewartet. Viele von ihnen haben sich ganz persönlich und mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass es einen solchen Gedenktag auch in unserem Land gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht selbstverständlich, nach den tiefen Verwundungen, die ein solcher terroristischer Anschlag einem Körper und einer Seele zufügt, die Kraft zu finden, neben der Sorge um sich selbst und seine Angehörigen, neben der Trauer sich auch noch für Verbesserungen in der Opferbetreuung, im Opferschutz oder eben für ein würdiges Gedenken einzusetzen. Viele der Betroffenen tun dies seit vielen Jahren, und sie werden es auch in Zukunft weiterhin mit viel Kraft und unermüdlich tun. Ich möchte mich bei ihnen für ihren Einsatz sehr herzlich bedanken. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein gutes Zeichen, dass wir den Gedenktag für die Opfer von Terror nun auch in Deutschland eingeführt haben. Daher möchte ich mich auch bei den Koalitionsfraktionen bedanken, die diesen Tag in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben und gefordert haben, und ich möchte mich bei der Bundesregierung dafür bedanken, dass sie ihn schon in diesem Jahr angepackt und umgesetzt hat. Mit diesem Gedenktag haben wir nun auch in Deutschland einen öffentlichen Raum geschaffen, der es unserem ganzen Land ermöglicht, innezuhalten, Anteil zu nehmen am Schicksal der Betroffenen. Ein Raum wurde geschaffen, der stilles, nachdenkliches, aber auch klagendes, vielleicht auch anklagendes Gedenken erlaubt, ein Raum, der für Opfer die Worte des Trostes und der Solidarität ermöglicht und dafür einen würdigen Rahmen eröffnet. Am vergangenen Freitag haben wir diesen Gedenktag erstmalig in Deutschland begangen, mit einer Rede von Bundesministerin Nancy Faeser für die Bundesregierung, mit Worten des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, als Repräsentant eines der obersten Verfassungsorgane und mir selbst als Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland. Manche haben gefragt, wo dabei die Stimme der Betroffenen geblieben ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der Kürze der Zeit – es waren nur drei Wochen vom Beschluss des Kabinetts bis zur Umsetzung – und aufgrund der Pandemiesituation wurde diese Idee der Beteiligung der Opferperspektive durch die Worte von Frau Professor Petra Terhoeven umgesetzt, die wissenschaftlich über die Rolle von Opfern terroristischer Gewalt in modernen Gesellschaften forscht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gedenktag ist in seiner Umsetzung ein weiter zu gestaltendes und weiter zu entwickelndes Format, das wir gemeinsam unter Beteiligung der Betroffenen weiterentwickeln wollen und weiterentwickeln werden. Die Zusicherung hierfür habe ich auch vonseiten der Bundesregierung und aus der Mitte des Deutschen Bundestages an die Betroffenen übermitteln können. Dafür auch noch einmal ein herzlicher Dank. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt unter den Opfern beide, jene, die eine aktive Beteiligung wünschen, und jene, für die an diesem Gedenktag das Mitgefühl und die Solidarität der Gesellschaft mit ihnen im Mittelpunkt stehen. Wichtig sollte uns allen aber sein, dass von diesem Tag eines ausgeht: Wir vergessen Sie, liebe sehr verehrte Betroffene von terroristischer Gewalt, nicht. Sie, Sie wurden persönlich getroffen, aber stellvertretend für unsere ganze Gesellschaft. Wir, wir fühlen uns mitgetroffen, weil wir alle von dem Täter mitgemeint sind. Wir wollen an Ihrer Seite stehen, nicht nur nach einem Anschlag, sondern dauerhaft und verlässlich. ({2}) Ich möchte dem Deutschen Bundestag danken, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie diesem Gedenktag auch hier im Haus heute einen Raum gegeben haben. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Martina Renner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Der 23. Februar dieses Jahres war für Renée Salzman ein bewegender Tag. Sie war aus Israel nach Frankfurt am Main gekommen, um an ihre Tante Blanka Zmigrod zu erinnern, die am 23. Februar 1992 durch einen schwedischen Rechtsterroristen auf offener Straße ermordet wurde. 26 Jahre hatte es bis zu seiner Verurteilung gedauert, obwohl er kurz nach der Tat bereits verdächtig war. 30 Jahre hat es gedauert, bis die Stadt Frankfurt am Ort des Attentates eine Gedenktafel errichtete. Der Anstoß kam aus der engagierten Zivilgesellschaft, über eine erfolgreiche Petition von Ruben Gerczikow. Warum erzähle ich dies? Diese Geschichte zeigt für mich: Erinnerung ist keine Selbstverständlichkeit. Erinnerung ist ein aktiver Akt, Aneignung und das Weitererzählen der Geschichte der Opfer. Will der Nationale Gedenktag für die Opfer des Terrorismus kein Anlass für ein passives und gar ritualisiertes Gedenken sein oder werden, dann muss er zuerst nicht die Institutionen, die Beauftragten, die Offiziellen bemühen, sondern mit den Betroffenen gemeinsam eine würdige Form und einen Inhalt finden, der deren Trauer, aber auch deren Anliegen Raum gibt. ({0}) Ich meine, konsequent wäre, das Protokoll für diesen Tag in die Hände der Opfer zu legen. Die Vertreter und Vertreterinnen des Staates, der Behörden, der Politik, sollten lieber diesen Tag zum Anlass nehmen, sich die Frage zu stellen, warum Zuständige in den Sicherheitsbehörden Terror nicht verhindert haben, warum die Bekämpfung des Terrorismus zum Spielball jeweiliger politischer Interessen gemacht und zur Profilierung genutzt wurde. ({1}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, was meine ich damit, was meine ich mit dieser Profilierung? Auf jeden Anschlag folgte bisher routiniert die Forderung nach mehr Überwachung und Gesetzesverschärfungen. Aber das konkrete Handeln der Ermittlungsbehörden im Vorfeld und der Justiz im Nachgang ließ die, um die es heute geht, die Angehörigen und Verletzten, oft ratlos bis wütend zurück, ob NSU, Breitscheidplatz oder Hanau. Man hat den Eindruck, dem Schließen der Akten galt mehr Energie als dem Ausleuchten der Netzwerke, und Untersuchungsausschüsse waren für einige in den Behörden ganz offensichtlich und spürbar Störenfriede. Ansprüche und Forderungen der Angehörigen wurden allzu oft abgewehrt und nicht aktiv beantwortet. Der Bundesverband für die Beratungsprojekte zu diesem Thema begrüßt – wie auch ich – das klare Signal, das mit der Entscheidung der Bundesregierung für diesen Gedenktag gesetzt wurde. Erforderlich ist jetzt ein in der Praxis verbesserter Opferschutz, aber auch erfolgreiche Präventionsarbeit und effektive Strafverfolgung und Aufklärung von terroristischen Taten. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Erforderlich ist auch ein Abschiebeschutz für Opfer von rechter und rassistischer Gewalt und Terror, wie in den Schlussfolgerungen der NSU-Untersuchungsausschüsse gefordert. ({0}) Eingangs sprach ich von der Notwendigkeit aktiver Erinnerung. Sie ist auch dies: rückhaltlose Aufklärung und Schutz aller von Terror Bedrohten endlich Realität werden zu lassen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die SPD-Fraktion. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Koalitionsvertrag den Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt vereinbart. Es spricht für eine hoch verantwortungsbewusste und auch sehr empathische Art, Politik zu machen, dass Sie, Frau Bundesinnenministerin, dieses Vorhaben so prioritär umgesetzt haben, sodass wir schon in diesem Jahr am 11. März den Gedenktag begehen konnten. Dafür an dieser Stelle nochmals vielen Dank. ({0}) Warum es so wichtig war, diesen Gedenktag einzuführen, und wieso es so wertvoll ist, dass er so zügig eingeführt wurde, will ich Ihnen sagen: weil wir nicht wollen, dass Terroropfer nur eine Zahl sind, weil wir nicht wollen, dass über Täter mehr gesprochen wird als über die Opfer und ihre Angehörigen, und weil wir nicht wollen, dass ihre Namen nur irgendwann in den Geschichtsbüchern Erwähnung finden, weil wir – die Ministerin hat es gesagt – es den Angehörigen schuldig sind, weil wir an einem solchen Gedenktag Demokratiefeinden zeigen, dass wir mehr sind, dass wir solidarisch sind, dass wir unsere Werte verteidigen mit allem, was wir haben. ({1}) Auf der Seite des Bundesinnenministeriums heißt es über Gedenktage: Durch sie werden kollektiv erlebte Schlüsselereignisse oder ‑erfahrungen als für die Gegenwart bedeutsam und erinnerungswürdig hervorgehoben. Ich glaube, dieser Satz trifft ganz exakt, um was es geht. Wenn man sich die Liste unserer Gedenktage ansieht, dann stellt man fest: Es ist eine Art Zusammenfassung jüngerer deutscher Geschichte, Meilensteine unserer Vergangenheit, wenn man so möchte, negative – natürlich –, aber auch positive. Sie mahnen uns, uns zu erinnern. Sie sind Auftrag für alle kommenden Generationen, sich an unser Selbstverständnis, an unsere Staatsraison zu erinnern. Unsere Erinnerungskultur ist Staatsraison, und dennoch wird sie seit einiger Zeit immer wieder infrage gestellt. Unsere Geschichte, unsere Vergangenheit wird relativiert und sogar umgedeutet – Stichwort „Coronadiktatur“. Das ist der Beweis dafür, dass wir diesen Gedenktag brauchen. Genau deshalb sind Gedenktage weiterhin wichtig. Sie mahnen uns, niemals zu vergessen, indem wir durch Gedenktage unser kollektives Gedächtnis regelmäßig aufrütteln und auffrischen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker Ullrich das Wort. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einführung eines nationalen Gedenktags für die Opfer terroristischer Gewalt ist eine richtige Entscheidung und ein kraftvolles Zeichen der Empathie und des Mitgefühls. Wir müssen nicht nur an die Opfer terroristischer Taten denken, sondern die zertrümmerte Welt auch aus ihren Augen sehen und uns fragen: Was hat diese Terrortat mit den Opfern und ihren Angehörigen gemacht? Hat der Staat genügend getan, um sie zu schützen, und hat er sie im Nachhinein, nach der Tat, genügend und hinreichend betreut? Ich durfte in zwei Untersuchungsausschüssen in diesem Haus Mitglied sein, zum einen im NSU-II-Untersuchungsausschuss und zum anderen im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Zu den bedrückendsten Begegnungen gehörte die Zusammenkunft der Ausschussmitglieder mit den Opfern und ihren Angehörigen nach der Debatte hier im Plenum. ({0}) Die Angehörigen der Opfer haben uns gesagt, dass sie sich vom Staat komplett im Stich gelassen gefühlt haben. Ein Angehöriger eines Opfers hat als Allererstes eine Rechnung von der Pathologie bekommen. Andere mussten wochenlang auf einen Termin bei der Traumaambulanz warten. Uns ist entgegengehalten worden: Der Staat hat versagt, uns und unsere Liebsten zu schützen, und er hat ein zweites Mal versagt, bei der Betreuung unseres Schmerzes und unserer Lebenslage. – Deswegen muss von diesem Gedenktag das wichtige Signal ausgehen, dass der Staat gelernt hat und dass er die Opfer niemals alleine lassen darf. ({1}) Die Verbesserung im Opferschutz sollte keine Frage parteipolitischer Debatten sein, sondern eines klugen Handelns und einer entschlossenen Politik. Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag in der letzten Wahlperiode eine Reform des Sozialen Entschädigungsrechts auf den Weg gebracht hat; es wird erst 2024 gänzlich in Kraft treten. Aber viele wichtige Regelungen sind vorgezogen worden: bei den Härtefallleistungen und alle Regelungen in Bezug auf die psychologische Betreuung. Denn das, was Angehörige von Terroropfern brauchen, ist eine richtige Betreuung, dass der Staat sie an die Hand nimmt, dass sie ihren Schmerz überwinden können. Das sind wir ganz konkret den Angehörigen schuldig. ({2}) Wir müssen aber auch weiterhin bereit sein, die wesentlichen Fragen zu beantworten, die sich rund um terroristische Bedrohungen stellen. Wir müssen noch besser werden bei der Frage der Prävention und der Deradikalisierung. Kein Mensch wird als Terrorist, als Rechtsextremer, als Antisemit geboren. Menschen werden dazu. Die Frage ist, warum Menschen dazu werden und was der Staat tun kann, um präventiv tätig zu werden. Wir müssen weiterhin unsere Sicherheitsbehörden im Blick haben und sie stärken im Hinblick auf Befugnisse und Ermittlungen, aber auch in der ganz konkreten Konfliktsituation nach einem terroristischen Angriff. Es ist für keinen Rettungssanitäter und für keinen Polizeibeamten leicht, mit den Opfern umzugehen, schlimme Nachrichten zu überbringen. Auch hier haben Polizei und Rettungskräfte unsere Solidarität verdient. ({3}) Wir müssen – das ist mein letzter Gedanke – auch die Opferverbände stärken, die sich in Selbsthilfe organisieren und zusammenschließen. Ich bin dem neuen Opferbeauftragten dankbar für das, was er mit großer Empathie heute vorgetragen hat. Lassen Sie uns die Angelegenheiten des Opferschutzes in diesem Haus gemeinsam debattieren. Es geht hier um die Selbstverteidigung des Staates, nicht nur gegen terroristische Bedrohung; vielmehr geht es auch um die Bewahrung und den Erhalt der Würde der Opfer, darum, dass ihr Andenken aufrechterhalten wird und dass der Staat auch aus diesen Taten lernt, um sie, wie ich eingangs sagte, mit den Augen der Betroffenen zu sehen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Kaiser für die SPD-Fraktion. ({0})

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Überlebende und Angehörige! Letzte Woche begingen wir zum ersten Mal den nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt. Dieses Erinnern ist nicht nur ein besonderes Anliegen unserer Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Koalition. Der 11. März steht für eine neue Innenpolitik. Denn damit erhalten die Toten und ihre Familien, die Verletzten und Traumatisierten von Anschlägen und Morden die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Zusammenhalt bedeutet, die Überlebenden und Angehörigen in unsere Mitte zu nehmen und eine klare Botschaft zu senden: Wir zusammen sind stärker als Terror und Hass. ({0}) Warum ist das so wichtig? Weil wir leider zu oft und zu spät gesehen haben, was passiert, wenn Tote oder Angehörige selbst zu Verdächtigen gemacht wurden – so wie nach dem 9. September 2000, als der Blumenhändler Enver Şimşek in Nürnberg vom Nationalsozialistischen Untergrund als erstes Opfer der Mordserie brutal erschossen wurde und man bei den Ermittlungen über Jahre daran festhielt, dass er ein Drogenkurier gewesen sei. Beispiele wie dieses sind so zahlreich. Sie dürfen sich nicht wiederholen. ({1}) Es gilt, die Angehörigen zu Wort kommen zu lassen und ihnen zuzuhören. Politisches und persönliches Gedenken sind zwei Seiten einer Medaille. Nur zusammen ist dies Mahnung und Würdigung zugleich. Dafür steht nun symbolisch der Gedenktag des 11. März. Es gilt, die Überlebenden und Hinterbliebenen in die konkrete politische Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit einzubeziehen. Denn auch nach dem verheerenden dschihadistischen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz blieben sie bei der Gedenkstättenplanung außen vor. Ich bin daher sehr dankbar, dass die Bundesregierung nun auch die Betroffenen und ihre Position deutlich stärken wird. Die Ausweitung der Unterstützungsarbeit durch die Koordinierungsstelle für die Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe ist dafür ein sehr wichtiger Schritt. Ein würdiges Gedenken bedeutet auch, weitere terroristische und insbesondere rechtsextreme Anschläge zu verhindern, um die Sicherheit aller, die dieses Land ihr Zuhause nennen, umfassend zu schützen und zu gewährleisten. Umso notwendiger ist es, dass nun der gestern vorgestellte Aktionsplan gegen Rechtsextremismus in die Umsetzung kommt, damit aus Worten keine weiteren Taten werden und die Sensibilität für die Angehörigen der Opfer und die Opferperspektive bei den Ermittlungen berücksichtigt werden. In diesem Sinne möchte ich den Überlebenden und Angehörigen der Toten aller Terroranschläge versichern: Wir stehen fest an Ihrer Seite. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute wäre eine gute Gelegenheit, sich für starke Kommunen in unserem Land einzusetzen. Und das sage ich als Haushälter bewusst: Es kostet noch nicht mal Geld, sondern wir bräuchten lediglich die Zustimmung zu unserem Antrag. Denn gleichwertige Lebensverhältnisse sind nicht nur etwas für wohlmeinende Reden, sondern auch für unseren Parlamentsbetrieb. Wir könnten nämlich die kommunalen Interessen besser vertreten und ihnen zu einer größeren Bedeutung verhelfen. Ein Parlamentarischer Beirat für gleichwertige Lebensverhältnisse wäre ein wichtiger Schritt, um kommunale Belange mehr in unser Bewusstsein zu holen und ihnen mehr Raum für Diskussionen zu geben. Ein Vorbild könnte die erfolgreiche Arbeit des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung sein. Denn erstens hätten wir auch hier die verfassungsrechtliche Verankerung dieser Belange. Ob in den Gesetzgebungskompetenzen, in der Finanzverfassung oder aber als wichtiges Element im Sozialstaatsprinzip: Unsere Verfassung erwähnt die gleichwertigen Lebensverhältnisse. Zweitens hätten wir auch eine inhaltliche Grundlage für diesen Beirat. Denn in der letzten Legislaturperiode haben sich Bund, Länder und Kommunen intensiv in der Kommission zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse mit dieser Thematik beschäftigt, Themen diskutiert und Ergebnisse erarbeitet. Deswegen gibt es drittens einen bunten Strauß an Themen, der es wert ist, weiterverfolgt zu werden. Sie sollten nicht in der Schublade liegen bleiben, sondern umgesetzt oder intensiver diskutiert werden. Zu den Inhalten: Was sind denn gleichwertige Lebensverhältnisse aus unserer Sicht? Ich glaube, gleichwertige Lebensverhältnisse berühren als Querschnittsthema ganz viele Lebensbereiche, insbesondere mit Blick auf unsere Kommunen. Es geht hier nicht – oder nicht nur – um das Verhältnis Ost–West bei den Kommunen. Es geht vielmehr unabhängig von der Himmelsrichtung um strukturstarke und um strukturschwache Kommunen. Es geht um das Verhältnis von Stadt zu Land, die Wechselbeziehungen zwischen den städtischen Ballungszentren und den ländlichen Regionen. Es geht vielleicht auch um die Perspektive der Landwirtschaft. Insgesamt geht es aus unserer Sicht darum, dass die Menschen in unserem Land überall gut leben können, egal wohin es sie zieht. Was bedeutet das konkret? Einige Beispiele dazu: Wenn der Bund jährlich 400 000 neue Wohnungen bauen möchte, dann wird das natürlich insbesondere für städtische Ballungsgebiete eine Rolle spielen. Aber es wird sich auch auf die ländlichen Regionen auswirken. Wir wollen doch nicht, dass noch mehr Menschen in die städtischen Ballungszentren ziehen, sondern dass sie überall eine Perspektive haben. Wenn die Bundesregierung den Ausbau der Windkraft forcieren will, dann wirkt sich das natürlich auf die Lebenswirklichkeit der Menschen in den ländlichen Regionen aus. Wir alle kennen doch zu Hause die Diskussionen, wenn wir Windräder neu errichten oder repowern wollen, und wir wissen, welche Vorbehalte und welche Ängste und Sorgen dann vielleicht auftauchen. Eine nachhaltige, barrierefreie, alltagstaugliche und vor allen Dingen bezahlbare Mobilität ist Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse – sowohl in städtischen Regionen als auch im ländlichen Raum. Der Breitband- und Mobilfunkausbau darf nicht nur ein Thema für die städtischen Regionen sein, sondern diese beiden Elemente müssen natürlich auch in den ländlichen Regionen komplett umgesetzt und erreicht werden. Diese Liste, liebe Kolleginnen und Kollegen, ließe sich sicherlich beliebig fortsetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Berghegger, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der SPD-Fraktion?

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne im Nachgang.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

„Im Nachgang“ ist nicht.

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann nein. – Die inhaltliche Ausrichtung auf gleichwertige Lebensverhältnisse sorgt auch für eine ausreichende Abgrenzung gegenüber dem Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Der Parlamentarische Beirat würde sich zwar auch um die Themen der Kommunen kümmern, aber nicht nur. Der Beirat hätte ein Selbstbefassungsrecht und wäre nicht auf Überweisungen aus einem Hauptausschuss angewiesen. So bliebe ausreichend Raum und Zeit, diese Themen intensiv zu diskutieren. Was bei einem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung gut funktioniert, kann doch bei einem Parlamentarischen Beirat für gleichwertige Lebensverhältnisse nicht falsch sein. Wenn Sie sich also für die Stärkung der gleichwertigen Lebensverhältnisse in unserem Land einsetzen wollen und damit auch für starke Kommunen, dann stimmen Sie bitte diesem Antrag zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte nur leider etwas anderes: entweder dass Sie sich nicht den Ruck geben, um einer guten Idee aus den Reihen der Opposition zu folgen, oder aber dass Sie diese Idee sacken lassen und mit etwas zeitlichem Abstand unter einem anderen Namen wieder aufnehmen und dann versuchen werden, sie umzusetzen. Das haben wir durchaus an der einen oder anderen Stelle schon mal gesehen. ({0}) Letzteres wäre zumindest die zweitbeste Lösung im Sinne der Sache. Aber wir helfen Ihnen gern dabei. Vielen Dank für das freundliche Zuhören. ({1})

Dunja Kreiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005115, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ampelkoalition möchte für gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land sorgen. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag ambitioniert wichtige, nein entscheidende Punkte aufgelistet, um die soziale und wirtschaftliche Einheit zu vollenden. Die Digitalisierung, Energiewende und neue Formen der Mobilität eröffnen neue Chancen auf noch mehr regionale Wertschöpfung und eine neue Dynamik. So haben wir es in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Das werden wir umsetzen. ({0}) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West, Stadt und Land, zwischen strukturschwachen und strukturstarken Regionen ist mir ein Anliegen. Ein Blick auf meinen Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel und den Nordharz allein zeigt schon die unterschiedlichsten Herausforderungen. Mein Wahlkreis und der vieler Kolleginnen und Kollegen ist ländlich strukturiert, mit Anteilen mittelständischer Unternehmen und einer für Deutschland typischen Industrie, die voll in der Transformation steckt. Die Bürgerinnen und Bürger arbeiten zum Beispiel für die Wasserstofftechnik, erleben aber in ihrem Alltag noch Hürden. Sie pendeln zu ihrem Arbeitsort mit dem Auto; sie sind nach wie vor auf den Verbrenner angewiesen. Die Mobilitätswende muss insbesondere auf dem Land einen besonderen Schub erfahren. Das Arbeiten und Leben in ländlichen Strukturen, wo die Naherholung direkt vor der Tür liegt, wird immer interessanter. Die Erreichbarkeit ist aber immer noch verbesserungswürdig. Gleichwertige Lebensverhältnisse, das heißt für uns als SPD-Fraktion, die Mobilitätswende schnellstmöglich umzusetzen, barrierefrei und nachhaltig. ({1}) Ein Beispiel von nicht allzu schneller Umsetzung der Mobilitätswende ist die Weddeler Schleife in meinem Wahlkreis: geplant seit 1995, eine Bahntrasse, die nun ihre Zweigleisigkeit erfährt. Diese Form der Verzögerung wird es durch die im Koalitionsvertrag erklärten Ziele mit uns nicht geben. ({2}) Die gleichwertigen Lebensverhältnisse können, wie in diesem Beispiel genannt, insbesondere von beschleunigten Verfahren profitieren, aber auch von der Zusammenarbeit in den Regionen. Wir brauchen auf jeden Fall Tempo im Infrastrukturausbau, Tempo in der Energiewende und beschleunigte Verfahren. Diese Zusammenarbeit der Regionen und der Kommunen wollen wir unterstützen, für schnellere Ergebnisse, die die Wirtschaftskraft der Regionen verbessern, für eine verlässliche Daseinsvorsorge und für mehr regionale Wertschöpfung. Kommunen, sehr geehrte Damen und Herren, brauchen ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit. Sie müssen leistungsfähig bleiben. Dabei müssen wir sie unterstützen. Die Entschuldungshilfe ist dabei nur eine Stütze. Zu den Beschleunigungsprozessen, zu einem modernen Staat gehören eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und neuestem Mobilfunkstandard. Digitalisierung der Verwaltung explizit in strukturschwachen Regionen wird das Leben für Bürgerinnen und Bürger leichter machen. Ich möchte in vier Jahren – oder eigentlich schon im nächsten Jahr – nicht mehr von Kolleginnen und Kollegen in ihrer Rede hören, dass sie auf Apfelbäume klettern müssen, um zu telefonieren, wie zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Ich frage mich: Was ist eigentlich in den letzten Jahren passiert? Was ist in der Heimatpolitik passiert? ({3}) Daher finde ich es sehr vorbildlich, dass gerade die Union die Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für gleichwertige Lebensverhältnisse fordert. Wir hätten uns jedoch Ergebnisse gewünscht. Ein Ergebnis zeichnet sich sehr deutlich auf der Landkarte Deutschlands ab: Die soziale Lage der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland, auch die Siedlungs- und Infrastruktur, die demografische Entwicklung und kommunale Leistungsfähigkeit sind im Süden Deutschlands besser als im Osten oder nördlich der Mainlinie. Hier zeigt sich eine deutliche Dreiteilung Deutschlands. Das hätte vor Jahren verhindert werden müssen. Im ländlichen Raum, sehr geehrte Damen und Herren, wird Demokratie gelebt, unter anderem in unseren Vereinen. Freiwillige Arbeit baut Brücken zwischen jüngeren und älteren Menschen, zwischen Menschen unterschiedlicher Weltanschauung, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Erfahrung. Besonders der Mannschaftssport erfüllt neben der Freude, die er macht, ganz wichtige Aufgaben und ist Mittler für demokratische Werte. Dafür brauchen wir Turnhallen, wir brauchen Schwimmbäder. Darum brauchen wir eine Offensive für Investitionen in Sportstätten und Vereinen unter Beachtung von Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit und Inklusion. Bei den gleichwertigen Lebensverhältnissen dürfen wir Menschen mit Behinderung auf keinen Fall vergessen. Die Lebensbedingungen von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verbessern, bestehende Barrieren abzubauen und eine gleichberechtigte Teilhabe im beruflichen und im sozialen Bereich zu sichern, ist eine unserer höchsten gesellschaftlichen Aufgaben und liegt mir ganz besonders am Herzen. ({4}) Es muss gelten: Menschen jeglicher Herkunft erhalten gleiche Chancen. Das ist leider bisher nicht ganz der Fall. Dieses bittere Fazit müssen wir ziehen. Hier muss ganz viel passieren. Ich bin unserer Bundesministerin Nancy Faeser und unserem Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb dankbar, dass endlich ein Neuanfang in der Integrations- und Migrationspolitik gestartet wird. Danke auch, dass der Aktionsplan gegen Rechtsextremismus und das Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht werden. Sie sehen: Wir liefern. Und Sie, liebe Union? Die großen Meilensteine in Sachen gleichwertige Lebensverhältnisse wollten Sie nicht. Welche sind das? Das ist zum einen der Mindestlohn von 12 Euro, und das ist zum anderen die Grundrente. Die Grundrente und der Mindestlohn sind immer eine Frage des Respekts. Ich danke hier insbesondere Hubertus Heil für seinen unermüdlichen Einsatz für die Grundrente, die nur gegen Sie, liebe Union, erreicht wurde. Eben nur gegen Sie! Wir werden ein gesamtdeutsches Fördersystem weiterentwickeln, orientiert an der Stärkung strukturschwacher Regionen. Der vorliegende Antrag, liebe Union, zeigt diese Ambitionen nicht. Denn wenn Sie von der parlamentarischen Begleitung der bundesgesetzlichen Rechtsetzung sprechen, dann frage ich Sie: Was ist mit den staatlichen Förderprogrammen? Nun, es ist gängige Praxis, wie beispielsweise beim Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, dass wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier interfraktionell die Einsetzung eines solchen Beirats bestimmen. Sie, liebe Union, gehen da Ihren eigenen Weg: keine Abstimmung mit anderen Fraktionen, kein gemeinsames Voranbringen anstehender Modernisierung. Sie wissen selbst, dass die Einsetzung so scheitern muss. Da frage ich mich, ehrlich gesagt: Wie wichtig ist Ihnen die Sache? Mir geht es um ganz konkrete Verbesserungen, uns geht es um ganz konkrete Verbesserungen: um gute Lebensbedingungen in Stadt und Land. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU offenbart erstmals, dass offensichtlich das Postulat der Verfassung zu gleichwertigen Lebensverhältnissen auf dem Gebiet der Bundesrepublik nicht erreicht wurde – eine späte Erkenntnis für eine Partei, die viele Jahrzehnte in der Regierung das Geschick Deutschlands zu verantworten hatte. ({0}) Das beste Beispiel ist die Kommission zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse der 19. Legislaturperiode. Wenn man sieht, wie die neuen Bundesländer vor den Landtagswahlen dort wegen der Stilllegung des Braunkohlebergbaus entschädigt wurden – es sei ihnen gegönnt –, bekommt man in NRW und im Saarland, meinem Bundesland, feuchte Augen, wenn man das mit der Einstellung des Steinkohlebergbaus vergleicht. Aber in Bezug auf die Politik der Merkel-Amtszeit und der jetzigen Ampelkoalition sollten Sie den Beirat vielleicht umbenennen in „Beirat für gleichwertig schlechte Lebensverhältnisse“ oder gleich in „Beirat für Mangelverwaltung“. ({1}) Denn Gelder, um die Lebensverhältnisse nach oben anzugleichen, werden auf absehbare Zeit nicht vorhanden sein. „Die dümmste Energiepolitik der Welt“, so titulierte das „Wall Street Journal“ vor nicht allzu langer Zeit, sowie die unsinnige Lockdown-Politik reißen dieses Land in eine Abwärtsspirale und sorgen in weiten Bereichen für eine Verelendung in der Bevölkerung und für Firmenpleiten. ({2}) Allein die Krise in der Ukraine zeigt, wie sehr dieses Land von fremden Mächten abhängig geworden ist. Böses Erwachen im Nimmerland Deutschland, in dem man glaubt: Man muss nur was fest wollen, dann wird es schon. Ein guter Ansatz wäre unter Punkt 4 des Antrages „die parlamentarische Begleitung der europäischen Rechtsetzung im Hinblick auf die Zielstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ in Deutschland. Wenn damit gemeint ist, dass erst deutsche Steuergelder ins Ausland transferiert werden, wenn es jeder Region in Deutschland besser geht als den Zahlungsempfängern, dann wäre dies zu begrüßen. Ein kleines Beispiel aus dem Saarland, in dem gerade nicht nur die Auto- und die Stahlindustrie aufgrund der Energiepolitik an die Wand gefahren wird: Kroatien, es sei ihnen gegönnt, hat eine 2,4-Kilometer-Brücke an der dalmatinischen Küste zwischen Split und Dubrovnik bauen lassen, um eine Fahrt von 10 Kilometern durch Bosnien-Herzegowina zu vermeiden – an sich schon fragwürdig. Finanziert hat dieses Projekt zu 85 Prozent die EU, also mit etwa 300 Millionen Euro. Wer hat diese Brücke gebaut? Sie können es fast erraten: ein chinesischer Staatskonzern. Somit wandern die 300 Millionen Euro Steuergelder von der EU direkt in die chinesische Staatskasse. Warum? Weil Ihre EU-Fachleute unfähig sind, vernünftige Vergabeordnungen zu schreiben. Der Krümmungswinkel von Bananen und Gurken ist auch wichtiger. ({3}) Umgekehrt lassen die Chinesen natürlich keine internationalen Bieter bei ihren Ausschreibungen zu, wovon deutsche Unternehmen profitieren könnten. Für das Saarland bedeutet der Fall Folgendes: Erstens. Der saarländische Steuerzahler zahlt den chinesischen Brückenbau mit. Zweitens. Dem Saarland ist es versagt, seinen qualitativ höchstwertigen Stahl zu liefern. Drittens. Die Saarländer subventionieren mit ihren Steuerzahlungen auch noch den dreckigen, minderwertigen Stahl aus China in Europa. Wenn der Beirat helfen würde, einen solchen Schwachsinn zu verhindern, dann könnten wir zustimmen. Leider sehen wir hier schwarz. Denn denken Sie an den Länderfinanzausgleich. Durch den Länderfinanzausgleich hat Bayern in den Anfangsjahren der Bundesrepublik von den Zahlungen der anderen Bundesländer sehr profitiert, um dann später mit Baden-Württemberg gegen die Zahlungsverpflichtungen gegenüber anderen Bundesländern zu klagen. Verantwortlich waren übrigens die Politiker der Parteien, die uns unisono immer erklären, dass ein Finanzausgleich in der EU zulasten des Steuerzahlers eine wunderbare Sache sei. Vielen Dank und Glück auf! ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Karoline Otte für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Karoline Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005172, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Investitionsrückstand in unseren deutschen Kommunen wird auf 150 Milliarden Euro geschätzt. Herr Dr. Berghegger, haben Sie gerade ernsthaft behauptet, es bräuchte kein Geld für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse? Das Geld in den Kommunen fehlt für grundlegende Investitionen in Dinge, auf die wir alle angewiesen sind: stabile Stromnetze, Wasserleitungen, Radwege. Und das Geld fehlt für Kindergärtner/-innen, für Fortbildungen der Feuerwehren und qualifizierte Bürgerämter. Schlimm genug. Aber die Kommunen sind nicht gleichmäßig stark betroffen. Das Finanzsystem der kommunalen Ebene lässt vor allem strukturschwache Kommunen alleine zurück. Die Folgen sind abgehängte Regionen, wegfallende Infrastruktur, eine frustrierte Jugend, die abwandert, immer höhere Sozialausgaben, eine laufende Abwärtsspirale, die nur schwer aufgehalten und noch viel schwerer zurückgedreht werden kann. Aber genau das wollen wir als Ampelkoalition erreichen. ({0}) Wir werden in dieser Legislatur ganz besonders die strukturschwachen Kommunen in den Fokus rücken. Diese werden künftig deutlich mehr vom Ausbau erneuerbarer Energien profitieren. Wir beteiligen uns langfristig an der Kinderbetreuung. Gespräche, wie wir endlich die Altschuldenfrage in den Griff kriegen können, sind auf dem Weg. ({1}) Mit der Sportstättenförderung stärken wir soziale Orte. Für die kommunale Daseinsvorsorge wollen wir auch aus dem Bund heraus Verantwortung übernehmen. Über die GRW könnte hier gezielt gerade in strukturschwache Regionen hinein gefördert werden. Die Maßnahmen, die wir jetzt auch im Haushalt hinterlegen werden, haben eine klare Botschaft: Diese Regierung investiert in die Kommunen; diese Regierung investiert in strukturschwache Räume. ({2}) Unser Grundgesetz gibt das Versprechen von gleichwertigen Lebensverhältnissen. Dieses Versprechen einzuhalten, ist wichtig. Wo Menschen das Gefühl haben, dass ihre Region abgehängt wird und der Staat vor Ort, in den Städten und Gemeinden, nicht mehr für sie da ist, weil Kommunen sich Daseinsvorsorge schlicht nicht mehr leisten können, dort ist unsere Demokratie in Gefahr. In der letzten Legislatur wurde in der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ lange beraten. Der Plan, mit dem die damalige Regierung um die Ecke kam, hat viele Erwartungen bitter enttäuscht. Vieles Altbekannte wurde dort heruntergerattert; konkrete Maßnahmen wurden kaum umgesetzt. Stattdessen wurden hohe Erwartungen geweckt und dann enttäuscht. Bund, Länder und Kommunen – alle wissen, was zu tun ist. Es gibt kein Erkenntnisproblem. In den letzten 16 Jahren wurde aber einfach zu wenig getan. Fürs Tun braucht es keinen Parlamentarischen Beirat; es braucht politischen Willen, und den hat die Ampel. Wir handeln! Als Grüne und als Koalition zeigen wir jetzt schon: Gleichwertige Lebensverhältnisse sind für uns zentraler Handlungsmaßstab. Ihr Antrag ist leider nicht hilfreich; deshalb werden wir ihn ablehnen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Susanne Hennig-Wellsow für die Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Hennig-Wellsow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005082, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was sind gleichwertige Lebensverhältnisse? „Gleiche Chancen für alle – egal wo in Deutschland“, so hat das zumindest die „Tagesschau“ mal für alle definiert. Wir alle wissen, dass es um diese Gleichwertigkeit in Deutschland nicht gut bestellt ist. Seit Jahren reden wir darüber, dass es gravierende Unterschiede bei den Einkommen, bei der sozialen und öffentlichen Infrastruktur und bei den Möglichkeiten, die der Staat garantieren soll, gibt. Wir könnten uns jetzt jede Menge Zahlen vorlesen, aber wir alle kennen die Statistiken, die das eindrucksvoll bezeugen. Es hat viele Reden und Versprechungen gegeben, etwas zu ändern, im Besonderen auch von der Union. Es ist dann allerdings ziemlich wenig passiert. Wenn die Union, die 16 Jahre die Kanzlerin gestellt hat und einen Kanzler hatte, der „blühende Landschaften“ versprochen hat, jetzt das Thema auf die Tagesordnung bringt und einen Parlamentarischen Beirat vorschlägt, um ein so wichtiges, im Grundgesetz verankertes Ziel herauszuheben, und den Querschnittsbezug zu betonen versucht, frage ich mich allerdings: Warum haben Sie das Thema nicht schon herausgehoben, als Sie selbst noch in Regierungsverantwortung waren? ({0}) Also, warum gibt es diesen Beirat nicht schon längst, wenn ohne ihn nichts geht? ({1}) Entscheidend aber bleibt doch, dass endlich mehr in Richtung gleichwertige Lebensverhältnisse geschieht, ganz praktisch, mit wirksamen Maßnahmen, an deren Ende wirklich gleiche Chancen stehen. Es geht hier nicht um eine politische Formel oder Beiräte als Ersatz für politische Entscheidungen; es geht um den Alltag von vielen Menschen, um ihre Möglichkeiten und ihre Zukunft. Und das müssen wir dieser Regierung, dieser Ampel abtrotzen. ({2}) Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind natürlich nicht nur, aber eben auch eine zentrale Frage des Ostens. Es braucht im Osten echte Fortschritte, und zwar solche, die bei den Menschen im Osten auch ankommen. Im Portemonnaie, bei der Frage, ob noch ein Fernzug im Ort hält, und natürlich auch im Herzen muss das ankommen. Ja, es geht hier um Anerkennung, um Respekt vor Biografien und vor Lebensleistungen. Carsten Schneider hat angekündigt, die Einheit auf Augenhöhe vollenden zu wollen. „Augenhöhe“ bedeutet, den Blickwinkel des anderen einzunehmen, wahrzunehmen und auch mal in eine andere Blickrichtung zu schauen. Ich wünsche mir deshalb mehr Bereitschaft, den ostdeutschen Erfahrungsvorsprung für das Ganze zu nutzen. Meine Fraktion wird in allen Ressorts einfordern, mehr Neugier für den ostdeutschen Eigensinn aufzubringen, der sich aus dem progressiven Aufbruch von 1989 speist. ({3}) Wenn es also um gleichwertige Lebensverhältnisse im Osten geht, heißt das für mich, neue Perspektiven über bloßes Aufholen hinaus zu ermöglichen. Es braucht im Osten mehr als einen Nachbau West. ({4}) Werte Union, wir werden Ihren Antrag ablehnen. ({5})

Torsten Herbst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004746, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich kenne niemand hier im Plenum, der gegen gleichwertige Lebensverhältnisse ist; aber ich sehe, die Mehrzahl der Fraktionen ist der Meinung: Dafür brauchen wir kein zusätzliches parlamentarisches Gremium. ({0}) Ich finde es schon etwas überraschend, dass ausgerechnet die Union entdeckt, dass man das Thema jetzt anders behandeln muss. Sie hatten 16 Jahre das Kanzleramt, sie stellten über viele Jahre auch den Ostbeauftragten, und jetzt fällt Ihnen ein, man müsse alles ganz anders machen: Guten Morgen, liebe CDU und CSU! ({1}) Ich glaube, wir haben fraktionsübergreifend den Konsens, dass wir wollen, dass es in ganz Deutschland für alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Lebenschancen und gleichwertige Lebensverhältnisse gibt, und zwar egal ob man in einem kleinen Dorf wohnt oder in einer Metropole, ob man in Ost oder West wohnt, in Nord oder Süd, weil es um ganz praktische Dinge geht. Es geht um Zugang zu Mobilität und zu bezahlbarem Wohnen; es geht um schnelles Internet, attraktive Arbeitsplätze, Kultur, Gesundheit, Bildung und Sport. Es geht im Kern um all das, was ein attraktives Leben vor Ort ausmacht. Und ja, ich glaube, wir alle wollen, dass es in ganz Deutschland attraktive Lebensverhältnisse gibt, die gleichwertig sind, aber nicht gleich, meine Damen und Herren. Denn es gibt Unterschiede, und es gibt auch Unterschiede, die man beim besten Willen auch durch Politik nicht wettmachen kann. Wer hier in Berlin-Mitte wohnt, hat einen anderen Zugang zu Kultur und zum ÖPNV als jemand, der in der Eifel oder auf dem Erzgebirgskamm wohnt. Wir sollten auch nie vergessen: Dieses Land ist vielfältig. Es geht um gleichwertige Lebensverhältnisse, nicht um gleiche Lebensverhältnisse. ({2}) Deswegen werbe ich auch dafür, dass wir bei aller politischer Argumentation, die wir hier führen, bei allen politischen Entscheidungen, die wir treffen, diese nicht nur aus dem Blickwinkel von Berlin-Mitte treffen, sondern auch daran denken, dass es die Krankenschwester im Erzgebirge gibt, die im Schichtdienst in einem Krankenhaus arbeitet und darauf angewiesen ist, dass sie mit ihrem kleinen Auto in dieses Krankenhaus zum Schichtdienst kommt; denn dort gibt es kein entsprechendes ÖPNV-Angebot. Das gibt es heute nicht, und das gibt es voraussichtlich auch in den nächsten drei oder vier Jahren nicht. Deswegen müssen wir Politik für das ganze Land machen, meine Damen und Herren. ({3}) Die letzte Bundesregierung hatte ja 2018 eine Kommission eingesetzt, die sich mit dem Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ beschäftigt hat und die Ergebnisse vorgelegt hat. Wann? Im Jahr 2019. Jetzt frage ich mal in Richtung Union: Wenn diese Ergebnisse schon so lange vorliegen, wieso kommen Sie eigentlich erst jetzt auf die Idee, dass man diese Ergebnisse in Form eines neuen parlamentarischen Gremiums aufgreifen muss? ({4}) Ich habe da so meine kleine Vermutung: Könnte es sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass ganz wesentliche Themen im Verantwortungsbereich Ihrer Minister und Ihres Kanzleramtes unter Unionsführung lagen?! Ich denke mal an das Thema Internet, an das Thema „attraktive Jobs in strukturschwachen Regionen“ und an die Verkehrsinfrastruktur. Ich habe den Eindruck: Die Defizite, die Sie jahrelang in Ministerien und im Kanzleramt zu verantworten hatten, versuchen Sie jetzt einer seit Kurzem im Amt befindlichen Bundesregierung anzuhängen. Ich sage Ihnen: Da machen wir aber nicht mit! ({5}) Meine Damen und Herren, wir sind die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt und bei verschiedenen internationalen Vergleichen müssen wir uns eigentlich schämen. Wenn wir uns den Anteil von Glasfaseranschlüssen anschauen: Südkorea 80 Prozent, Deutschland 5 Prozent. Funktionierendes E-Government: Man ist ja in Deutschland schon froh, wenn man irgendwo eine Onlineterminvereinbarung bekommt. Die Esten und Dänen lachen über uns, übrigens mittlerweile auch viele osteuropäische Länder, die entscheidend weiter sind als wir. Schnellere Planungsverfahren für Verkehrsinfrastruktur: Für den Fehmarnbelt bekommt man in Dänemark nach sieben Jahren Baurecht. Wir brauchen Jahrzehnte statt Jahre. Meine Damen und Herren, das kann so nicht weitergehen. ({6}) Ich kann Ihnen eins sagen: Wir werden die Baustellen, die Sie hinterlassen haben, jetzt konsequent angehen. Wir krempeln die Ärmel hoch. Wir wissen, dass das alles nicht einfach ist, alles auch nicht schnell abzustellen ist. Aber ich sage Ihnen Folgendes: Wir haben den Willen und die Entschlossenheit. Wir werden diese Defizite nicht länger akzeptieren, weil sie einem attraktiven Land, weil sie gleichwertigen Lebensverhältnissen im Weg stehen, meine Damen und Herren. Die gleichwertigen Lebensverhältnisse haben nicht nur eine Bedeutung, weil sie in unserer Verfassung, in unserem Grundgesetz, stehen, sondern auch ganz praktisch. Das zeigt sich, wenn wir uns beispielsweise die Wohnungsmärkte in Ballungsräumen anschauen. Wir haben ein Interesse, dass auch das Wohnen im ländlichen Raum attraktiv ist. Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren, gehört das Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ dort bearbeitet, wo Entscheidungen getroffen werden, nämlich in Fachausschüssen unseres Parlaments und in der Bundesregierung. Wir brauchen dafür keinen neuen Parlamentarischen Beirat. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Michael Kießling. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Also, ich bin ja gespannt, zu erfahren, wer das Märchenbuch der SPD schreibt und wie der Titel lautet. ({0}) Sie haben anscheinend vergessen, wer die letzten vier Jahre auch mit in der Regierung war. Wir haben, denke ich, durchaus sehr viele Ziele erreicht, was das Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ betrifft. ({1}) Aber wir merken auch, dass Sie mit Ihrer Politik, die Sie die letzten Wochen betrieben haben, die gleichwertigen Lebensverhältnisse überhaupt nicht berücksichtigen. ({2}) Denn sonst hätten sie beim Thema Spritpreis schon früher reagiert. ({3}) Wenn ich sehe, wie viele Pendler momentan belastet werden, dann muss ich sagen: Sie hängen mit diesem Spritpreis die Pendler ab; sie hängen die Familien ab. Die sind momentan die Leidtragenden. Ich denke, wenn Sie einen Hauch an Mitverantwortung für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse verspüren würden, dann hätten Sie dort einfach früher reagiert. ({4}) Die Unterschiede unserer Regionen, unserer Städte, unserer Kommunen machen die Vielfalt unseres Landes aus, egal ob im Osten, im Westen, ob im Norden oder im Süden, ob strukturschwach oder strukturstark. Unser Anspruch ist es, dass Menschen überall in Deutschland nicht benachteiligt werden, egal wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben. Unser Anspruch ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, und damit meine ich nicht die Gleichmacherei; das hat der Kollege Herbst von der FDP auch gesagt. Wir wollen nicht gleichmachen. Wir wollen die Strukturschwachen stärken, sodass Chancengleichheit besteht. Die Schwierigkeit dabei ist, die Vielfalt, die es bei uns in Deutschland gibt, zu bewahren und zu fördern. Das ist der Anspruch, den ich als ehemaliger Bürgermeister habe, und das ist auch der Anspruch, den meine Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, hat. Aber anscheinend ist es nicht der Anspruch der Ampelregierung. Wenn ich sehe, wie Sie entscheiden, stelle ich fest: Großstädtische Ideologie leitet Ihr Handeln. Das machen Sie auch klar, indem Sie diesen Antrag ablehnen. Wenn ich gerade dabei bin, möchte ich Ihnen auch noch was mit auf den Weg geben: Wir erreichen gleichwertige Lebensverhältnisse nicht durch zentralstaatlichen Dirigismus. Wir müssen partnerschaftlich zusammenarbeiten, mit Bund, Land und Kommunen. Und wenn ich den Koalitionsvertrag durchlese, stelle ich fest, dass es da durchaus Handlungsbedarf gibt. Deswegen wollen wir diesen Beirat. ({5}) Wenn ich auf 2017 zurückblicke, dann kann ich mich erinnern, dass Sie, liebe SPD – oder besser gesagt: es war Frau Nahles, Ihre damalige Fraktionsvorsitzende –, einen Ausschuss für Kommunalpolitik im Deutschen Bundestag gefordert haben. ({6}) Der Vorschlag war gut. Aber wenn ich jetzt schaue, wie Sie mit unserem Vorschlag umgehen, bin ich doch entsetzt. Ich glaube nicht, dass Sie es mit dem Thema ernst meinen; denn sonst würden Sie der Einsetzung dieses Beirats zustimmen. Wir haben doch in der letzten Legislaturperiode in der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zusammen gute Ergebnisse erzielt und eine Basis für zukünftiges Handeln geschaffen, und darauf sollte man aufbauen. ({7}) Erstens bräuchte man einen Gleichwertigkeitscheck von Bundesgesetzen. Dadurch könnten wir bewerten, welchen Einfluss Bundesvorhaben auf das Leben in unserem Land haben. Zweitens bräuchten wir ein Gremium, das genau diese Ergebnisse aufnimmt und sich umfassend der Frage der gleichwertigen Lebensverhältnisse widmet, und zwar ohne das Korsett des parlamentarischen Beratungsverfahrens. Wir haben Herausforderungen zu bewältigen, die sich erst in den letzten Jahren ergeben haben, sei es die Pandemie oder das, was noch bevorsteht. Da brauchen wir eine entsprechende Beteiligung. Denn „gleichwertige Lebensverhältnisse“ ist ein Querschnittsthema über viele Ressorts hinweg. Ich glaube, es würde dem Bundestag gut anstehen, das Thema ernst zu nehmen und auch breit zu diskutieren. ({8}) Denjenigen, die überlegen, einen Unterausschuss einzuführen, sage ich: Das wird nicht sehr hilfreich sein; denn ein Unterausschuss ist auf die Überweisung an den Mutterausschuss angewiesen. Und damit wären wir wieder bei der Frage, wo das Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ zugeordnet werden sollte. Es ist nämlich eine Querschnittsaufgabe. Wenn ich heute in den Koalitionsvertrag schaue, denke ich: Wir müssen aufpassen, dass wir den ländlichen Raum nicht zugunsten einer Großstadtideologie vernachlässigen. Deshalb bitte ich Sie, die Chance zu nutzen und das Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ ernst zu nehmen, indem zum Beispiel Kontakte mit den Vertretern der Kommunen und der Länder gepflegt werden. Es ist wichtig, dass die Themen, die es dort gibt und die sehr vielseitig sind, ausreichend beraten und diskutiert werden, um zu entsprechenden Schlüssen zu kommen. Meine Damen und Herren, auch wenn Sie unseren Antrag heute ablehnen werden, werden wir, die CDU/CSU-Fraktion, uns immer dafür einsetzen, dass wir die Kommunen, den ländlichen Raum, aber auch die städtische Entwicklung gleich behandeln und nicht aus den Augen verlieren. ({9}) Es ist schade, dass Sie die gleichwertigen Lebensverhältnisse nicht so ernst nehmen wie wir ({10}) bzw. wie wir das in der letzten Legislaturperiode getan haben. Ich hoffe, dass Sie im Laufe Ihrer Regierungszeit ({11}) auf gute Ideen kommen, die wir dann auch entsprechend umsetzen können. Ich freue mich auf die Diskussion in den verschiedenen Bereichen. Wir werden ein Auge darauf haben, dass die kommunalen Themen nicht vergessen werden. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung erhält das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner. ({0})

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind uns einig im Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen. Das eint die demokratischen Parteien. Doch wir als Ampel wollen ins Machen kommen. Beiräte gibt es nun wahrlich genug. Es geht doch um Substanz statt um Symbolik. ({0}) Wir haben uns in der Ampel viel vorgenommen. Wir werden das zentrale Instrument – die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ – auf die Herausforderungen unserer Zeit ausrichten. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen werden wir mit der GRW einen noch stärkeren Beitrag zur digitalen und nachhaltigen Transformation leisten und damit neuen Wohlstand schaffen. Das 2020 gegründete „Gesamtdeutsche Fördersystem“ steckt noch in den Kinderschuhen. Es beinhaltet mehr als 20 Programme aus sieben Ressorts. Wir werden in dieser Legislaturperiode aus diesen Programmen ein stärkeres Miteinander machen und das Fördersystem umfassender auf die Erreichung gleichwertiger Lebensverhältnisse ausrichten. Und: Wir haben im Koalitionsvertrag in einer Vielzahl von Bereichen konkrete Maßnahmen verankert, die neue Chancen für strukturschwache Regionen bieten. Das gilt für das gesamte Land, aber mir ist gerade auch der Blick auf den Osten Deutschlands wichtig, liegen doch hier immer noch besonders viele dieser Regionen. Lassen Sie mich das an drei konkreten Beispielen ausformulieren: Erstens. Der vereinbarte Mindestlohn von 12 Euro und die Kindergrundsicherung werden besonders in Ostdeutschland, wo die Menschen im Durchschnitt immer noch weniger verdienen als im Westen, eine besonders große Wirkung entfalten. Gerade heute haben wir außerdem den Heizkostenzuschuss verdoppelt – ein weiteres wichtiges und vor allem zielgerichtetes Signal. ({1}) Zweitens: Verbesserung der Lebensqualität. Alle Menschen sollen sich auf moderne Standards wie bezahlbare und klimafreundliche Mobilität, schnelle Mobilfunk- und Breitbandverbindungen und die Gesundheitsversorgung verlassen können. Zudem wollen wir die Notfallversorgung unterversorgter Regionen verbessern, damit der Krankenwagen rechtzeitig kommt. Und drittens machen wir die Energiewende flott, sodass der ländliche Raum, wo die Windräder und Solaranlagen stehen, profitiert. Im Streit um den CO2-Preis haben wir durchgesetzt, dass die Kommunen eine Abgabe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde erhalten können. Das macht bei einem modernen Windrad 10 000 bis 12 000 Euro pro Jahr für die Gemeinde aus ({2}) und bei 1 Hektar Photovoltaik 800 bis 1 000 Euro pro Jahr, abhängig vom Standort. ({3}) Jetzt – und das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart – wollen wir das für bereits bestehende Wind- und Freiflächensolaranlagen öffnen. Das bringt richtig Geld ins Land und hilft den Kommunen. Das hilft ganz real bei der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Und: Wir leisten einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele. ({4}) Wir werden die Möglichkeiten für Bürgerenergieanlagen vereinfachen, damit Privatpersonen direkt vor Ort profitieren, und wir erleichtern die Nutzung von selbstgenutztem Strom. Wenn wir die Energiewende flottkriegen, dann hilft das Ost und West, Nord und Süd, zumindest wenn dort die 10-H-Regel fällt. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ingo Schäfer für die SPD-Fraktion hält in diesem Haus seine erste Rede, und wir freuen uns darauf. ({0})

Ingo Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Was unterscheidet Städte und Gemeinden im CDU-geführten Land NRW von Kommunen in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland? Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen hat die meisten überschuldeten Kommunen Deutschlands und trotzdem keinen Altschuldenfonds. Hessen hat die Hessenkasse. Niedersachsen hat den Zukunftsvertrag. Die SPD-geführte Regierung von Rheinland-Pfalz arbeitet an einem kommunalen Entschuldungsfonds. Auch das Saarland hat bereits einen Entlastungsfonds für die Bestandsschulden, genannt „Saarlandpakt“. Das von der CDU geführte Land NRW hat hierzu nichts Adäquates vorzuweisen. ({0}) Die CDU-Landesregierung von Hendrik Wüst hatte fünf Jahre Zeit, den Stärkungspakt Stadtfinanzen von Hannelore Kraft zu verlängern. ({1}) Dieser Stärkungspakt trug wesentlich dazu bei, dass die überschuldeten Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen wieder den notwendigen Handlungsspielraum für die mittelfristige und nachhaltige Konsolidierung erhielten – bis 2020. Die CDU-Landesregierung von NRW hätte schon längst einen Altschuldenfonds für Nordrhein-Westfalens Kommunen beschließen müssen; ({2}) denn sie weiß um die sich zuspitzende Problematik. Hochverschuldeten Kommunen, weder in Nordrhein-Westfalen noch in anderen Bundesländern, bringt es etwas, wenn wir hier in diesem Hause ein weiteres Gremium, einen parlamentarischen Beirat für gleichwertige Lebensverhältnisse mit Empfehlungscharakter, einsetzen. Das, was Städte wie Solingen, Remscheid, Wuppertal, Pirmasens, Kaiserslautern oder auch der Kreis Kusel brauchen, ist eine Zukunftsperspektive. ({3}) Um ein Beispiel aus meinem Wahlkreis zu nennen: In Wuppertal-Ronsdorf wird das örtliche Hallenbad seit zehn Jahren in privater Trägerschaft mithilfe von Spenden betrieben. Dies wurde notwendig, weil der Stadt das Geld zur weiteren Unterhaltung fehlte. Das war und das ist kein Einzelfall. In vielen Städten Deutschlands werden die Hallenbäder geschlossen, weil den Kommunen das Geld fehlt. Andererseits warnt die DLRG seit Jahren, dass immer weniger Kinder schwimmen lernen und ihnen zunehmend die Schwimmkompetenz fehlt. Als die CDU/CSU als Regierungsfraktion in der vergangenen Legislaturperiode die Möglichkeit hatten, den Altschuldenfonds zu installieren, hat sie sich mit aller Kraft dagegengestemmt. Den Kommunen könnte es heute um ein Vielfaches besser gehen, hätte die Union vor ein paar Jahren mehr Weitsicht bewiesen. ({4}) Die SPD hat im Bund dafür gesorgt, dass der Altschuldenfonds im Koalitionsvertrag steht. Es ist das feste Ziel unserer Ampelkoalition, die überschuldeten Kommunen von ihrer Altschuldenlast zu befreien. Dadurch werden wir erheblich dazu beitragen, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen. „Gleichwertig“ bedeutet, Unterschiede anzuerkennen und zu versuchen, diese zu minimieren. „Gleichwertig“ heißt auf jeden Fall nicht: Wer hat, dem wird gegeben. Das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen, ist nur realisierbar, wenn alle Ebenen zusammenarbeiten. So wie es einen Finanzausgleich zum Beispiel bei den Bundesländern gibt, so braucht es auch einen Ausgleich zwischen armen und reichen Kommunen, und das so schnell wie möglich. Nur dann können wir die zunehmend auseinanderklaffende Schere schließen. Und diese Schere hat sich bereits sehr weit geöffnet: bei der Arbeitslosigkeit von 2 bis 15 Prozent, bei der Langzeitarbeitslosigkeit von 12 bis mehr als 50 Prozent, bei den Beschäftigungsquoten von Menschen über 55 Jahre von 35 bis 55 Prozent, und bei den Gewerbesteuereinnahmen reicht die Spanne von 165 Euro pro Kopf und Jahr im Donnersbergkreis bis fast 2 300 Euro in Frankfurt am Main, und zwischen den beiden letztgenannten liegen gerade mal 80 Kilometer. Ohne einen finanziellen Ausgleich zwischen Frankfurt und dem Donnersbergkreis kann es keine gleichwertigen Lebensverhältnisse geben. Das gilt auch für Solingen und Monheim, Dahme-Spreewald und Barnim, Lüchow-Dannenberg und Wolfsburg sowie für den Landkreis Regensburg und die Stadt München. Wenn Sie diese desolate Lage nicht kennen, dann lade ich Sie gerne ein, in meinen Wahlkreis zu kommen. Dann zeige ich Ihnen gerne die alten Standorte der Schwimmhallen, der Freibäder, der Sportstätten und die maroden Feuerwachen. Die Koalition in diesem Hause wird die Voraussetzungen dafür schaffen, dass alle Kommunen wieder in Schulen und Schwimmbäder investieren können. Wir werden dafür sorgen, dass Kunst und Kultur vor Ort weiterhin für alle finanzierbar bleiben, dass Feuerwachen zeitgemäß ausgestattet werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe heute dafür, dass Sie die Anstrengungen der Bundesregierung zur Schaffung eines tragfähigen kommunalen Altschuldenfonds unterstützen, anstatt die aufgezeigte Problematik in ein Beratungsgremium zu verlagern und deren Lösung dadurch zeitlich zu verzögern. Die Menschen in vielen unserer Wahlkreise brauchen keine Ergebnisse aus Arbeitskreisen; sie brauchen einen Altschuldenfonds. Vielen Dank. ({5})

Daniel Baldy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005015, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte jetzt gerne dem Kollegen Hartmann den Vortritt gelassen; aber wenn Sie das so wünschen, dann richte ich mich da natürlich nach der Präsidentin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Entschuldigung, mir wurde mitgeteilt, dass Sie beide getauscht haben. Sie können das machen, wie Sie wollen.

Daniel Baldy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005015, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt bin ich ja schon hier.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt sind Sie schon da. Dann machen wir es so. – Bitte schön, Herr Baldy.

Daniel Baldy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005015, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gerade gestern habe ich mit Noel Firmenich von der Jugendvertretung Bingen in meinem Wahlkreis telefoniert. Noel ist einer von vielen engagierten jungen Menschen, wie Sie sie gewiss auch aus Ihren eigenen Wahlkreisen kennen. Obwohl er sich einbringt, seine Stadt mitgestaltet und Verantwortung übernimmt, versteht er nicht, warum wir jungen Menschen in Deutschland nicht mehr zutrauen, indem wir ihnen das Wahlalter ab 16 zusprechen. Aber Noel geht es nicht nur darum, wählen zu dürfen. Für ihn ist klar, dass mit einem früheren Wahlalter auch die politische Bildung in unseren Schulen früher beginnen muss. Und deshalb sage ich auch als Sozialkundelehrer: Bereits in den Schulen müssen frühzeitig das politische System und unser Wahlrecht vermittelt werden. Solange man im Wahllokal am Wahlsonntag noch Sätze hört wie: „Für was ist noch mal die Erststimme da?“, so lange ist auch die politische Bildung noch nicht am Ziel. ({0}) Es muss aber auch einen Auftrag an uns Politikerinnen und Politiker geben, vom Gemeinderatsmitglied in meinem Heimatort Münster-Sarmsheim bis hin zum Bundeskanzler Olaf Scholz hier in Berlin: Wir müssen Politik nahbarer machen, wir müssen auf junge Menschen zugehen, wir müssen mit ihnen auf Augenhöhe sprechen, und wir müssen sie für die Themen begeistern, für die wir selbst brennen, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen. ({1}) Lassen Sie uns Noel und den vielen anderen jungen Menschen das Vertrauen geben, das sie verdienen. Lassen wir sie mitbestimmen, mitentscheiden, sich einbringen und ihrer Stimme Gewicht geben. Lassen Sie uns gemeinsam das Wahlalter mit 16 auf die Schiene bringen. ({2}) Doch nicht nur beim aktiven Wahlrecht bedarf es eines echten Aufbruchs und Fortschritts. Auch beim passiven Wahlrecht besteht Handlungsbedarf. Denn 103 Jahre nachdem Frauen bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung erstmals an die Urne treten durften, liegt der Anteil von Frauen im aktuellen Bundestag bei gerade einmal 34 Prozent. Das darf so nicht bleiben, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! ({3}) Als ich vor elf Jahren in die SPD eingetreten bin und bei den Jusos aktiv wurde, habe ich nicht verstanden, wofür es eine Quote braucht; denn schließlich stand doch allen alles offen. Männer und Frauen sind gleichberechtigt, und damals gab es auch noch eine Frau als Kanzlerin. Aber mit der Zeit habe ich auch festgestellt: Es sind die Männer, die häufiger sprechen. Bei Listenaufstellungen sind es eher die Herren, die ihren Hut für vordere Plätze in den Ring werfen, und Sitzungen finden zu Zeiten statt, die alles andere als familienfreundlich sind. All die schönen Worte der letzten Jahre, die wir zu diesem Thema gehört haben, haben daran leider nichts geändert: 34 Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen, in den Landesparlamenten sind es rund 30 Prozent und in Kommunalparlamenten zuweilen sogar nur 15 Prozent. Dies zeigt unmissverständlich: Fehlende Parität ist kein alleiniges Problem des Deutschen Bundestages; es ist ein strukturelles Problem in deutschen Parlamenten. Strukturelle Probleme werden wir nur mit strukturellen Veränderungen verbessern. Eine dieser Änderungen ist ein paritätisches Wahlrecht, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen. ({4}) Nun fragt sich vielleicht der ein oder die andere zum Beispiel: Was sind denn die konkreten strukturellen Probleme, die eine Benachteiligung bewirken? Eine Befragung von 800 Politikerinnen und Politikern durch die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin – einige von Ihnen wurden vielleicht ebenfalls dazu befragt – liefert uns aufschlussreiche Antworten. 75 Prozent der Befragten gaben an: Termine im Zusammenhang mit dem Mandat liegen oft zu Zeiten, die man lieber im Kreis der Familie verbringe. 66 Prozent gaben an, die Art der politischen Diskussion und Auseinandersetzung schrecke Frauen ab. 65 Prozent gaben an, Frauen müssten höhere Erwartungen erfüllen als Männer. Ein paritätisches Wahlrecht gleicht diese Benachteiligungen zwar aus, es schafft sie aber nicht ab. Daher gilt auch bei der Parität: Die Wahlrechtsreform ist nicht das Ende; nein, sie muss der Anfang unserer Bemühungen sein. – Das ist unser Auftrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Deshalb müssen wir hier im Parlament auch darüber sprechen, wie wir die Arbeit hier besser, familienfreundlicher gestalten können und wie die Vereinbarkeit von Kind und Karriere für alle Väter und Mütter besser gelingt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Quote ist nicht die letzte Maßnahme zur Herstellung von Parität; nein, sie ist die erste Maßnahme zur Parität. Unser gemeinsames Ziel hier im Bundestag muss es sein, durch die gezielte Förderung von Frauen und durch Veränderungen in unseren Parteien die Quote überflüssig zu machen. Lassen Sie mich als Feminist abschließend sagen: Es geht bei der Parität nicht um die Hälfte des Kuchens; nein, es geht um die Hälfte der Bäckerei, die Hälfte der Metzgerei und auch noch die Hälfte des Baumarkts. 103 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist es Zeit, auch die Macht endlich gerecht zu teilen. Vielen lieben Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Ansgar Heveling jetzt das Wort. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Frage bleibt eine weitere Reform des Wahlrechts auch in dieser Wahlperiode eine wichtige Aufgabe. In der letzten Legislatur haben die seinerzeitigen Regierungsfraktionen erste Reformschritte, angelegt auf den Zeitraum von zwei Wahlperioden, unternommen und insbesondere drei Stellgrößen in den Blick genommen: erstens die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280, zweitens die teilweise Verrechnung von Überhangmandaten einer Partei mit Listenmandaten der gleichen Partei aus anderen Ländern und drittens drei unausgeglichene Überhangmandate. Dieses Paket hat zumindest dazu geführt, dass der Bundestag bei der Bundestagswahl nicht in einem Maße weiter gewachsen ist, wie es ohne Anpassung der Fall gewesen wäre. Dennoch ist der Bundestag aber größer und nicht kleiner geworden. Das bedeutet: Wir müssen weitere Reformschritte unternehmen, und das werden wir als Unionsfraktion natürlich auch mit angehen. ({0}) Eine entsprechende Kommission wurde ja auch schon vom letzten Bundestag mit anderen Mehrheitsverhältnissen beschlossen und soll nun – grundsätzlich folgerichtig – fortgeführt werden. Der Umgang der neuen Mehrheiten mit der Fortführung der Kommission ist aber kein gutes Vorzeichen, wenn es darum gehen sollte, einen breiten Konsens und eine mehrheitsübergreifende Zusammenarbeit für weitere Reformschritte zu erreichen. Erst hört man lange von der Koalition – nichts! Ich erinnere mich noch gut an das ständige Insistieren insbesondere vonseiten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der letzten Wahlperiode, wann denn endlich die Kommission eingerichtet werde. Da wurde immer wieder laut zum Halali geblasen. Wir haben in dieser Wahlperiode bewusst erst einmal nicht ins gleiche Horn gestoßen. Damit war auch die Hoffnung verbunden, dass die Ampelkoalition ihren eigenen Anspruch, die Diskussion ums Wahlrecht auf ein breites Fundament zu stellen, einlösen würde. Das ist allerdings schon heute, im ersten Schritt, gescheitert. Weder sind wir als größte Oppositionsfraktion im Vorfeld der Neueinsetzung eingebunden worden, noch hatten wir ausreichend Gelegenheit, uns mit dem neuen Einsetzungsantrag auseinanderzusetzen. Gestern haben die Koalitionsfraktionen ihren Antrag beschlossen, heute schon wird die Direktabstimmung umgesetzt. Plötzlich haben Sie es ganz eilig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte. – Frau von Storch, es ist so vorgesehen, dass wir die Masken hier im Saal tragen. Wenn Sie am Platz reden, dann ziehen Sie die Maske bitte nicht herunter, sondern tragen Sie sie die ganze Zeit über der Nase. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die bereits erkrankt sind, und wollen – hier jedenfalls – keine weiteren Erkrankungen hervorbringen. ({0}) Entschuldigung, und gerne weiter mit Ihrer Rede.

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Uhr ist übrigens weitergelaufen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Uhr habe ich im Blick; das ist mir auch aufgefallen. Entschuldigung.

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Noch einmal: Das sind keine guten Vorzeichen für die Suche nach einem breiten Konsens. Vielmehr ist es entweder Ausdruck der inneren Unordnung bei der Ampel oder schlicht ein Vorgeschmack darauf, dass jetzt mit neuen Mehrheiten einfach ein neues Wahlrecht durchgepeitscht werden soll. Vergleicht man den Einsetzungsbeschluss aus der letzten Wahlperiode mit dem nun vorliegenden Einsetzungsantrag, fallen doch einige deutliche Veränderungen auf. ({0}) In ihrem Koalitionsvertrag versprechen Sie, „gesellschaftliche Spannungen in Zeiten des schnellen Wandels zu reduzieren und das Vertrauen in unsere Demokratie zu stärken“ und demokratisches Engagement zu fördern. Und was tun Sie? Sie kassieren bei der Wahlrechtskommission die Bürgerbeteiligung, die der Einsetzungsbeschluss der letzten Legislaturperiode noch vorgesehen hatte, einfach ein. ({1}) In Ihrem Einsetzungsantrag findet sich hierzu nichts. ({2}) Ich muss ganz offen und ehrlich sagen: Das befremdet mich. Ein dauerhaft tragfähiges Wahlrecht kann doch nur ein Wahlrecht sein, das auf einer größtmöglichen Akzeptanz beruht und nicht allein von einer parlamentarischen Mehrheit für gut befunden wird. Aber das scheint Sie nicht zu kümmern. Nur so kann ich mir auch erklären, dass der Abschlussbericht, für den in der letzten Legislaturperiode noch eine Zweidrittelmehrheit in der Reformkommission vorgesehen war, nun nur noch mit einfacher Mehrheit beschlossen werden soll. ({3}) Zentrale Themen der Reformkommission wie etwa die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre lassen sich nur im Wege der Grundgesetzänderung realisieren. Dazu brauchen Sie aber eine Zweidrittelmehrheit. Auch das im Einsetzungsantrag genannte Ansinnen, nicht nur die Amtszeiten des Bundeskanzlers, sondern zudem auch die Mandatszeiten zu begrenzen, rührt an die Grundfesten von Artikel 38 des Grundgesetzes. ({4}) So etwas können wir nur auf breiter Basis diskutieren und nicht lediglich in Koalitionsrunden verhandeln. Daher appelliere ich an Sie: Suchen Sie den Konsens mit uns, um eine Wahlrechtsreform zu verwirklichen, die diesen Namen verdient. ({5}) Die heutige Ouvertüre erzeugt aber eher Dissonanzen als Harmonie. Das können wir nicht mittragen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Till Steffen hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Till Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005228, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Seit 2002 ist die Größe des Deutschen Bundestages stetig gewachsen: von damals 603 Sitzen auf nunmehr 736 Abgeordnete. Nicht alle sind jetzt da; aber wir kennen natürlich das volle Haus, wie es sich hier präsentiert. Ein Zuwachs von fast einem Viertel: 133 zusätzliche Sitze. Allein dieser Zuwachs entspricht der Größe des Niedersächsischen Landtags. Nur zur Erinnerung: Seit 2002 ist kein weiteres Bundesland hinzugekommen – auch kein kleines –, und auch die Bevölkerung ist seitdem nicht gewachsen. Bei dieser Zuwachsrate werden wir dann 2040 die 900er-Marke erreichen. Vielleicht geht das sogar noch schneller, wenn man den Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung folgt. Meine Damen, meine Herren, wenn das das Ziel sein sollte: Man kann die direkte Demokratie auch anders erreichen. ({0}) Der Zuwachs kostete mehrere Hundert Millionen Euro. Nicht nur die Abgeordnetendiäten, ihre Ausgaben für Mitarbeitende und Sachkosten, auch der Bau neuer Gebäude. Gerade ist für 70 Millionen Euro der Luisenblock West eingeweiht worden. Die Frage ist: Wie lange wollen wir noch so weitermachen? Wollen wir demnächst das Reichstagsgebäude vollständig mit Abgeordnetenbüros umzingeln und auch noch die große Wiese vor dem Reichstag bebauen? Die Situation ist doch völlig absurd. Viele Abgeordnete haben immer noch keine Büros, weil die Umzüge immer noch laufen. Ich werde als Abgeordneter selbst ja nicht schlecht bezahlt; ich habe bislang aber noch nicht mal einen Platz, wo ich in Ruhe mein Notebook aufklappen kann. ({1}) Das ist kein effektiver Einsatz staatlicher Mittel. Die Ampel wird diesen jahrzehntelangen Reformstau nicht mehr hinnehmen. Angesichts der enormen Zukunftsausgaben und der Belastungen der letzten Zeit ist es schlichtweg untragbar, mit jeder Wahl die Kosten für den Bundestag weiter steigen zu lassen. Wie kommt es überhaupt zu einer solchen Entwicklung? Das liegt daran, dass sich der Bundestag in der Vergangenheit selbst im Wege stand. Herr Heveling, Sie haben die Mechanismen dafür beschrieben. Das ist eine Reformunfähigkeit, die an eigennützigen Interessen scheitert. Die Ampel als Zukunftskoalition wird dies ändern. Wir werden jetzt endlich unsere Hausaufgaben machen und dafür sorgen, dass der Bundestag nicht wieder so groß wird. Der Vorschlag von Grünen und FDP, der in der letzten Wahlperiode zusammen mit den Linken vorgelegt wurde, liegt auf dem Tisch. Durch die Verringerung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 würden wir die Überhangmandate effektiv vermeiden. Wer bessere Vorschläge hat, die zum Ziel führen, kann sie gerne vorlegen. ({2}) Aber Ziel ist die Regelgröße von 598 Abgeordneten und ausdrücklich nicht die Größe des chinesischen Volkskongresses von 2 980 Abgeordneten. ({3}) Daneben werden wir weitere wichtige Reformvorhaben angehen. Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist überfällig. Demokratie lebt von der Gestaltung, der Einmischung und dem politischen Engagement der Bürgerinnen und Bürger. ({4}) Dazu gehören auch die Jugendlichen; denn sie tragen mit Kreativität, Flexibilität und Mut wesentlich zum gesellschaftlichen Wandel bei. ({5}) Es ist ein deutliches Signal an junge Menschen, dass sie von Zukunftsentscheidungen, von denen sie selbst am stärksten betroffen sind, nicht länger ausgeschlossen sind. ({6}) Auch beim Thema Parität müssen wir weiter vorankommen. Zugegeben sind die letzten Gerichtsentscheidungen nicht gerade Mut machend ({7}) und meines Erachtens von manchen eher überkommenen Dogmen getragen. ({8}) Aber spätestens in der letzten Legislaturperiode – das geht in Richtung der AfD – müsste so manchem ein Licht aufgegangen sein, dass hier Handlungsbedarf besteht. ({9}) Ich sehe hier Bewegung auch bei politischen Kräften, die sich bisher mit Händen und Füßen gewehrt haben. Ich bin überzeugt, dass dieses Thema nicht nur ein Frauenthema ist. ({10}) Deswegen, liebe Mitmänner: Wir profitieren alle davon, wenn Frauen und Männer gemeinsam um Lösungen ringen. ({11}) Politik als Boys Club, das brauchen auch wir Männer nicht. ({12}) Meine Fraktion wird sich deshalb mit aller Kraft dafür einsetzen, einen Weg aufzuzeigen, der zu Parität im Deutschen Bundestag führt. Wir wollen noch in diesem Jahr die Änderung des Bundeswahlgesetzes beschließen. Das ist wichtig, um überhaupt die Option zu haben, an die Zahl der Wahlkreise heranzugehen. Deswegen haben wir einen strammen Zeitplan vorgesehen. Das erklärt auch unser Vorgehen bei der Einbringung. Denn das Wichtige kommt ja jetzt: Wir bilden aus guten Gründen diese Kommission, bevor wir bei all diesen Fragen zu einer Entscheidung hier im Deutschen Bundestag kommen. Wir wollen uns intensiv mit Sachverständigen beraten, und – das ist mir besonders wichtig – wir wollen das Gespräch mit Union und Linken suchen. Die beste Lösung für das Wahlrecht ist eine Veränderung, die breit getragen wird. Ich sage aber auch: Die schlechteste Lösung ist es, wenn wir das Bundeswahlgesetz so lassen, wie es ist. ({13}) Um diese Reform zu erreichen, müssen alle Fraktionen zu Bewegung bereit sein. Wenn die Interessen einer Regionalpartei auf 100 Prozent gesetzt werden, wird das nicht klappen. Ich bin überzeugt: Eine gemeinsame Reform des Wahlrechts, die zu einer wirksamen Verkleinerung des Bundestages führt, kann gelingen. Packen wir’s an! ({14})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schön, nach Wochen im „Oberhaus“ mal wieder von diesem Rednerpult aus reden zu können. Dafür habe ich eine Veranstaltung im Kreisverband Oder-Spree sausen lassen müssen. Viele Grüße an Kathi Muxel und Rainer Galla, die da heute Abend ohne mich auskommen müssen! ({0}) Meine Damen und Herren, viel Schatten, wenig Licht hat der Antrag, den Sie zur Einsetzung dieser Kommission vorgelegt haben, in sich. ({1}) Viel Schatten, wenig Licht. Ein bisschen Licht erkennt man daran, dass Sie jetzt, nach Jahren des Versagens, hilflos versuchen, den Deutschen Bundestag angeblich zu verkleinern – was Ihnen natürlich keiner abnimmt, weil Sie sich hier wunderbar eingerichtet haben. Und viele von Ihnen würden ja gar keinen Job finden außerhalb des Bundestages. ({2}) Deshalb meinen Sie es natürlich nicht ernst. Das zweitgrößte Parlament der Welt, nach dem chinesischen Volkskongress, XXL, aber mitnichten die zweitbeste Politik der Welt. Mitnichten ist es auch mit Blick auf die Bevölkerung von Deutschland geboten, den Bundestag so groß zu machen. 736 Abgeordnete, Tausende Büros, Tausende Mitarbeiter, Milliardenkosten im Jahr. Das Problem haben Sie jetzt erkannt; Sie wollen es aber nicht angehen, ich sehe es Ihnen an. ({3}) Ganz einfach ist übrigens das Problem zu lösen: Stimmen Sie einfach dem AfD-Antrag zu, der schon seit Jahren auf dem Tisch liegt! ({4}) Dazu brauchen Sie keine Kommission, und dann gehen Sie auch nicht in Richtung der gesetzlichen Größe, sondern erreichen genau die gesetzliche Größe von 598. Die Sache ist in zehn Minuten erledigt – wenn Sie wollen –; da brauchen Sie keine Kommission und keine Sachverständigenanhörungen. Den Frauenanteil zu erhöhen, ist eine super Sache. Auch ich bin gelegentlich mal Feminist. ({5}) Liebe Freunde von der AfD, ich weiß nicht, wie euch das geht. Heute fühle ich mal so ein bisschen feministisch und sage: Mehr Frauen in die Parlamente, natürlich – aber doch nicht unter Bruch des Grundgesetzes, sondern mehr Frauen in die Parlamente dadurch, dass sich die Frauen auch mehr einbringen. Der Kollege, der zuerst geredet hat, hat es schon erwähnt: Viele Frauen kandidieren auch, werden gewählt oder werden nicht gewählt – da geht es ihnen wie den Männern. ({6}) Wenn Sie Minderheitenprobleme oder Emanzipationsprobleme mit einer Quote lösen wollen, kommen Sie in Teufels Küche: „Frauen“, „Männer“, das sagen ja heute nur noch die Konservativen unter uns, die ich auf der rechten Seite sehe. Ich weiß gar nicht, in welche Richtung Sie sich begeben, wenn Sie über Frauen- und Männerquoten reden. Wo lassen Sie denn die Queeren, die, weiß ich nicht, anderen 25, 30 Geschlechter? Manche reden von 8 Milliarden Geschlechtern auf dieser Erde. Jeder Mensch hätte ein Geschlecht, wurde mir mal bei einer Podiumsdiskussion von einem Vertreter des Schwulen- und Lesbenverbandes gesagt. Und jetzt überlegen Sie sich doch mal: Diese 8 Milliarden wechseln auch noch ihre Geschlechter. ({7}) Was das für Wahllisten wären, die Sie da paritätisch besetzen wollen! Sie haben hinterher keine Wahlmöglichkeit mehr, Sie brauchen ein Riesenrechenzentrum, um auszurechnen, welche Minderheit wo mit welcher Quote vertreten ist. ({8}) Deshalb: Finger weg von Quoten! Der AfD geht es um Leistung. Wenn vernünftige Frauen kandidieren, werden die genauso gewählt wie vernünftige Männer, die kandidieren. ({9}) Also: Haken daran! Das war viel Schatten in Ihrem Antrag. Dann folgt ein Blabla-Teil – wahrscheinlich gestaltet von der FDP –: Wir brauchen „Modernisierung“, alles muss „transparenter“, „attraktiver“, digitalisierter werden. Tolle Sache! Ich bin einmal gespannt, was sich dahinter versteckt. Was sich nicht dahinter verstecken darf, ist natürlich, dass man sich zu Hause einrichtet und sagt: Ich bin jetzt Bundestagsabgeordneter, aber ich gehe ganz relaxt, digitalisiert an die Sache ran, bleibe zu Hause auf meinem Sofa und bewege mich nicht nach Berlin. – Das wäre kein Fortschritt, muss ich Ihnen sagen. Deshalb: Gerne reden wir darüber, alles transparenter und digitalisierter zu machen; aber die Auseinandersetzung findet hier statt und nicht zu Hause auf dem Sofa vor dem Bildschirm. ({10}) Letzter Punkt: aktives Wahlalter auf 16 senken. Natürlich auch durchschaubar, warum Sie das wollen. Warum senken Sie denn nicht auch das passive Wahlalter auf 16? Sie wollen, dass die Jüngeren Sie wählen, aber Sie wollen Ihre Posten nicht abgeben. ({11}) Auch das ein durchschaubares Manöver. Mit uns kann man über die Volljährigkeit reden. An sie sollte das Wahlalter geknüpft sein. Rosinenpickerei gibt es mit der Alternative für Deutschland nicht. Also entweder volljährig, dann ganzes Wahlrecht, oder nicht volljährig, dann gar kein Wahlrecht. Aber dieses Gieren nach Vorteilen für Sie, die Sie in Ämtern sind, und jüngeren Menschen zu sagen: „Wählt uns; aber ihr dürft nicht gewählt werden“, das geht mit uns nicht. Es ist alles gesagt von mir: viel Schatten, wenig Licht. Der Schatten überwiegt bei Weitem das Licht. Deshalb werden wir diesen Antrag auf Einsetzung der Kommission ablehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Konstantin Kuhle hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch in Krisenzeiten müssen staatliche Strukturen den Ehrgeiz haben, sich selbst zu modernisieren. Das hat etwas damit zu tun, dass die Kosten für diese Strukturen steigen. Das hat etwas damit zu tun, dass die Arbeitsfähigkeit mit einem größeren Parlament abnimmt. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass das Ansehen demokratischer Institutionen beschädigt wird, wenn sie es nicht einmal schaffen, sich selber zu reformieren, aber Reformen von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen. Deswegen ist es gut, dass wir heute endlich die Kommission zur Reform des Wahlrechts einsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Nun ist es ja so, dass verschiedene Vorschläge zur Reform des Wahlrechts auf dem Tisch liegen. In der Tat gibt es Vorschläge aus den Reihen der Grünen, der FDP, der Linksfraktion aus der letzten Wahlperiode. Wir haben Vorschläge der Großen Koalition, die hier vom Kollegen Heveling referiert worden sind. Wir müssen allerdings festhalten: Dass die Vorschläge der Großen Koalition bzw. das Ergebnis der Wahlrechtsreform in der letzten Wahlperiode nicht zu einem Bundestag von 800 oder 900 Abgeordneten geführt hat, ist reiner Zufall. Das hätte wirklich ins Auge gehen können. Deswegen brauchen wir endlich eine nachhaltige Wahlrechtsreform, bei der man sich über mehrere Legislaturperioden darauf verlassen kann, dass der Bundestag nahe an der Regelgröße von 598 Abgeordneten ist. Das sind wir den vielen Bürgerinnen und Bürgern schuldig, die von uns erwarten, dass wir zu Beginn dieser Legislaturperiode das Wahlrecht reformieren, Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Natürlich geschieht eine Reform des Wahlrechts unter Einbindung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages; das ist doch völlig klar. Genau aus diesem Grund setzen wir ja eine Kommission ein, die sich dann parlamentsübergreifend mit allen Akteurinnen und Akteuren zusammensetzt und über eine Reform des Wahlrechts spricht. Nur, Einbindung der Unionsfraktion in eine Reform des Bundestagswahlrechts heißt dann auch Einbindung der CSU. ({2}) Denn eine wirksame Wahlrechtsreform muss allen wehtun. Eine Wahlrechtsreform kann nicht so gestaltet sein, dass man sagt: Die Wahlrechtsreform und die daraus folgende Verkleinerung des Bundestages tut allen weh außer der CSU. – Das wird nicht gehen, ({3}) sondern wir alle werden unseren Beitrag zu einer Verkleinerung des Bundestages leisten müssen. Alle, auch die neuen Kolleginnen und Kollegen, müssen sich über diese verantwortungsvolle Aufgabe im Klaren sein. Ich glaube, dass da noch viele Diskussionen auf uns zukommen werden. Ich bin gespannt auf die Beiträge aus den Reihen der Union. Heute ist deswegen ein guter Tag, weil wir uns so früh und mit großer Priorität diesem Thema widmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das Wahlalter 16 wird bei den Beratungen der Kommission eine Rolle spielen. Wir haben aber in der Ampel den klaren politischen Willen, das zügig zu beschließen, und zwar für die Wahl des Deutschen Bundestages – dafür muss das Grundgesetz geändert werden –, aber auch für die Europawahl, wozu es keine Änderung des Grundgesetzes braucht; das kann man mit einfacher Mehrheit im Europawahlgesetz beschließen. Und das wollen wir zügig auf den Weg bringen. ({4}) Ich will auch einmal beschreiben, warum ich das wichtig finde. Ich finde das wichtig, weil die Frage der Einbindung von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern in den politischen Prozess gekoppelt sein muss mit Verantwortung, aber auch gekoppelt sein muss mit Bildung. Wenn wir bei der Bundestagswahl ein Wahlalter von 18 Jahren haben, dann führt das doch in Wahrheit dazu, dass ein großer Teil der Leute erst mit 19, erst mit 20, erst mit 21 zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnimmt, und damit zu einem Zeitpunkt, wo das Bachelorstudium abgeschlossen ist, wo die Ausbildung längst abgeschlossen ist, wo seit Jahren Steuern gezahlt werden. Die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22 müssen in den politischen Prozess eingebunden werden. Das entspricht auch dem Geist des Grundgesetzes. Entschuldigen und rechtfertigen müssen sich diejenigen, die diese jungen Leute ausschließen wollen, nicht aber diejenigen, die mehr Teile des Staatsvolkes in den politischen Prozess einbinden wollen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch etwas zum Thema Parität sagen: In der Tat ist der Frauenanteil hier im Deutschen Bundestag zu gering, und es ist schlichtweg professionell, dass heute politische Parteien eine gemeinsame Verantwortung dafür haben müssen – gerade die Männer –, dass mehr Frauen im Parlament vertreten sind; das ist so. ({6}) Aber wir haben im Deutschen Bundestag – –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kuhle, sorry. Ich muss das leider durchziehen. – Frau von Storch, ich hatte deutlich gemacht: Bei Zwischenrufen wird die Maske aufbehalten. Das steht so in der Allgemeinverfügung. Das ist jetzt ein Ordnungsruf für Sie. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir als Freie Demokraten haben aber zu der Frage einer verpflichtenden Parität eine andere Haltung, als das hier von unseren Koalitionspartnern vorgetragen worden ist. Und das hängt schlichtweg damit zusammen, dass aus unserer Sicht der Gesetzgeber das Staatsvolk nicht in Gruppen aufteilen darf, für die dann eine bestimmte Abgeordnete oder ein bestimmter Abgeordneter die einzige Vertreterin bzw. der einzige Vertreter ist. Für mich als Staatsbürger ist die Kollegin Jensen, die hier bei der FDP in der ersten Reihe sitzt, eine bessere Abgeordnete als der Kollege Heveling, der bei der Union in der ersten Reihe sitzt. Und das hängt nicht mit dem Geschlecht zusammen, sondern damit, dass sie meine politische Haltung teilt. Deswegen kommt es auf die Individualität, deswegen kommt es auf die Personen an, die aufgestellt werden, und deswegen lehnen wir eine verpflichtende Paritätsregelung ab. Ich weise auch darauf hin, dass im Grundgesetz der Satz „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes“ als Auftrag an alle gemeint ist – an Frauen und Männer –, ({0}) für alle Menschen in der Gesellschaft zu sprechen und sich nicht nur auf ein Geschlecht zu beschränken. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bringt mich zum letzten Thema, und das ist die Modernisierung der Parlamentsarbeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen aber zum Ende kommen, bitte.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir müssen da mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für Digitalisierung und für Bürgerbeteiligung tun. Ich würde mich freuen, wenn wir auch noch was fürs Wahlrecht der Auslandsdeutschen tun.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann sind wir auf einem guten Weg. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Und auf eine gute Zusammenarbeit in der Kommission! Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Amira Mohamed Ali spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der letzten Wahlperiode hätte eine Wahlrechtsreform auf den Weg gebracht werden können, die den Namen auch verdient. Das ist versäumt worden. Dabei lag ein sehr guter, praktikabler Vorschlag von Grünen, FDP und Linken vor. Danach – das hat der Kollege Steffen richtig gesagt – wäre die Zahl der Direktwahlkreise maßvoll von 299 auf 250 reduziert worden, mit dem Ergebnis, dass ein Großteil der Überhangs- und Ausgleichsmandate weggefallen wäre. Das würde verhindern, dass sich der Bundestag immer stärker aufblähen kann. Die damalige Bundesregierung aus Union und SPD ist diesem Vorschlag nicht gefolgt. Dass der jetzige Bundestag nicht auf eine Größe von über 1 000 Abgeordneten aufgeblasen wurde, wie es lange befürchtet worden ist, war nur dem Umstand geschuldet, dass sich die Direktmandate am Ende doch relativ gleich auf die größeren Parteien verteilt haben. Das hätte auch anders ausgehen können. Trotzdem haben wir heute den größten Bundestag aller Zeiten, und zu Recht sind viele Bürgerinnen und Bürger darüber empört. ({0}) Denn schließlich hat ein immer größerer Bundestag auch immer größere Kosten zur Folge. Und wenn man bedenkt, wofür alles angeblich kein Geld da ist – für Luftfilter in Schulen, für einen Bonus für alle Pflegekräfte oder auch, ganz aktuell, für effektive Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bezüglich der explodierenden Energiepreise, zum Beispiel durch die Absenkung der Mehrwertsteuer –, wenn man das alles bedenkt, dann ist diese Empörung wirklich mehr als nachvollziehbar. ({1}) In der letzten Wahlperiode hieß es vonseiten der SPD immer, dass eine wirkliche Wahlrechtsreform mit der Union nicht zu machen sei. Wir wissen ja alle: Die Union ist nicht mehr in der Regierung. Jetzt müsste doch eigentlich der Weg frei sein. ({2}) Aber jetzt soll erst mal wieder eine Kommission gebildet werden. In der letzten Wahlperiode gab es die schon mal. Rausgekommen ist dabei nichts. Besser wäre es doch, jetzt den vorliegenden, fertigen Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform von Grünen, FDP und Linken zur Grundlage der Debatte zu machen; das wäre doch ganz einfach. ({3}) Ich bin froh, dass der Kollege Steffen das gesagt hat; das habe ich auch mit Freude zur Kenntnis genommen. Der Kollege von der SPD hat das nicht erwähnt, im Antrag kann man darüber auch nichts lesen. Die FDP hat das nur als einen Vorschlag von vielen bezeichnet. Das überzeugt mich jetzt nicht so sehr, klingt für mich nicht nach entschlossenem Handeln, sondern das klingt für mich danach, dass wir wieder befürchten müssen, dass wir sehr lange Debatten mit ungewissem Ausgang haben werden. Das darf aber nicht wieder passieren, Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Für uns als Linke gilt weiterhin, dass wir eine sinnvolle Reform des Wahlrechts befürworten. Selbstverständlich. Wichtig ist für uns, dass das fair und ausgewogen geschieht. Keine Partei darf durch die Reform begünstigt werden. Die Reduzierung der Mandate muss von allen getragen werden. ({5}) Was wir nicht mitmachen werden – das kann ich Ihnen jetzt schon sagen –, ist eine Entwertung von Zweitstimmen, wie es Teilen der Union, die das fordern, immer wieder mal vorschwebt. Das ist schlicht verfassungswidrig. ({6}) Zum Schluss möchte ich sagen: Es war einmal gute Tradition, Änderungen zum Wahlrecht hier gemeinsam zu bearbeiten und mit breiter Mehrheit zu beschließen. Das ist auch notwendig; denn das Wahlrecht darf nicht dem Verdacht ausgeliefert sein, je nach politischer Wetterlage angepasst zu werden. Die letzte Bundesregierung hat mit dieser Tradition gebrochen. ({7}) Bitte wiederholen Sie nicht diesen Fehler. Danke schön. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt kommt für die SPD-Fraktion der Kollege Sebastian Hartmann zu Wort. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zur letzten Regierung, lieber Kollege Heveling, setzen wir die Wahlrechtskommission schon ganz früh ein, nämlich am Anfang dieser Wahlperiode. Wir haben uns darüber hinaus im Koalitionsvertrag der Ampel ein sehr ambitioniertes zeitliches Ziel gesetzt, nämlich bis zum Ende des Jahres zu einem Ergebnis zu kommen. Was daran im Vergleich zu dem, dass das beim letzten Mal auf Wunsch der CSU sehr lange verzögert wurde, bevor dann unter größten Mühen und Schmerzen überhaupt noch ein Kompromiss herausgekommen ist, jetzt kritikwürdig ist, hat sich mir nach Ihrem Beitrag nicht erschlossen. ({0}) Wir laden Sie dennoch ganz herzlich dazu ein, mitzuwirken und Ihre Vorschläge einzubringen. Das Gleiche gilt auch für die Linken. Man sollte nicht am Anfang gleich sagen, warum es nicht geht, warum es nicht funktioniert. Vielmehr wollen und werden wir eine echte Reform des Wahlrechts vornehmen, meine Damen und Herren. Darauf haben die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland einen Anspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darüber hinaus haben wir jetzt schon einige Vorschläge hier im Plenum vernommen. Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Sie diese Debatte verfolgen wollen, werden auch die Möglichkeit dazu haben, da diese Debatte übertragen wird. ({1}) Sie wird öffentlich sein, und es wird Gelegenheit geben, die Vorschläge vorzutragen. Einige andere Dinge haben wir schon im Koalitionsvertrag festgelegt, nämlich zum Beispiel, dass wir das Wahlalter auf 16 Jahre senken wollen. Wir sind sehr gespannt auf die Begründung der Union, warum sie dies nicht will. Wir werden es trotzdem anstreben. Für die Europawahl steht das schon, und auch bei der Bundestagswahl, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir das Wahlalter auf 16 Jahre senken. ({2}) Der Wahlakt als solcher ist das zentrale Merkmal unserer Demokratie. Er sollte so einfach wie möglich sein, aber auch dafür sorgen, dass es fair und gerecht zugeht und zu einer entsprechenden Repräsentation führt. Doch das, was das Wahlrecht zurzeit ausmacht, sind tatsächlich Komplexität und Unübersichtlichkeit, die dazu führen, dass am Wahlabend noch nicht mal genau gesagt werden kann, wie groß der neue Bundestag sein wird. Es ist deswegen absolut zutreffend, dass es mit Privilegien, die sich eine einzelne Partei wie die CSU immer wieder herausgenommen hat, aber umgekehrt Fraktionsgemeinschaften gebildet hat, um auch Redezeiten usw. darzustellen, nicht funktionieren wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jede Fraktion wird sich hier auch bewegen müssen. Ich verrate aber auch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen der geschätzten Koalitionspartner: Wenn jetzt schon zu Anfang gesagt wird, es liege ein Modell auf dem Tisch, welches Sie damals in anderer Konstellation mit den Linken zusammen vorgelegt haben, dann gehört zur Wahrheit aber auch, festzustellen, dass dies im Wesentlichen nicht dazu geführt hätte, dass sich der Bundestag wieder der Regelgröße von 598 Sitzen angenähert hätte, sondern es wäre deutlich darüber hinausgegangen. Wir werden auch nicht pauschal einfach – 280 Wahlkreise sind vereinbart – nonchalant auf 250 Wahlkreise gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Das ist auch etwas, was diesen Deutschen Bundestag ausmacht; denn die Bürgerinnen und Bürger wählen ihre Wahlkreisabgeordneten, und sie haben auch einen entsprechenden Weg zum Wahlkreisbüro, zu ihrem Abgeordneten. Das sollten wir nicht außer Acht lassen. ({4}) Deswegen heißt es auch „personalisiertes Verhältniswahlrecht“. Wir setzen da auch auf die Einsichtsfähigkeit, weil ja mittlerweile Direktmandate nicht nur auf die beiden großen Parteien verteilt sind, lieber Kollege von den Grünen. Deswegen werden wir uns auch mit der optimalen Betreuung von Wahlkreisen auseinandersetzen und dafür sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger ihren Abgeordneten kennen. Wir haben weitere Ziele formuliert. Deswegen komme ich noch mal auf einen Vergleich der Einsetzungsanträge von 2019 und 2021 zurück. Der Union rate ich – und es gibt ja noch einen Redner von der Union, der nach mir spricht –: Vergleichen Sie doch den Einsetzungsantrag von 2019 mit dem von 2021. ({5}) Sie werden eine hohe Deckungsgleichheit entdecken, und die Verweigerung der Stimme – populistisch – wird Sie nicht der Pflicht entheben, hier zu einzelnen Vorschlägen Stellung zu nehmen und zu sagen, was Ihr Verbesserungsvorschlag ist oder warum Sie bestimmte Punkte ablehnen. ({6}) Wir haben ein Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir feststellen müssen, dass die Repräsentanz von Männern und Frauen in diesem Bundestag nicht zu gleichen Teilen gegeben ist. Das widerspricht dem Abbild der Bevölkerung, weswegen auch Punkte im Koalitionsvertrag nicht so einfach zu vereinbaren waren – ich danke auch dir, lieber Konstantin Kuhle, dass das offen benannt worden ist –; aber wir geben das Ziel einer Parität, einer entsprechenden Repräsentanz in diesem Bundestag nicht auf, sondern wir werden hierüber ernsthaft streiten, demokratisch ringen, damit wir ein entsprechendes Ziel im Wahlrecht erreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Debatte gehört nicht hier an den Anfang, sondern in die Kommission, und das Thema muss ernsthaft diskutiert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Der Wahlakt als solcher ist ein zentrales Moment unserer Demokratie. Er sollte nachvollziehbar sein, und wir wollen eine Situation vermeiden: dass am Wahlabend nicht nur auf das Wahlergebnis im eigenen Wahlkreis geschaut wird und darauf, wer denn nun den Wahlkreis vertritt, sondern auch darauf, wie möglicherweise die Wahlverteilung zwischen den einzelnen Ländern ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir bei den letzten Wahlen erlebt haben, war, dass man immer ein wenig nach Bayern schielen musste, um zu erfahren, was denn dort passiert. ({8}) Es hätte passieren können – ich schließe mich dieser Argumentation hier ausdrücklich an –, dass die Zahl der Abgeordneten auf weit mehr als 736 gestiegen wäre. Es kann nicht sein, dass durch die Privilegien der CSU hier eine solche Unbill mit unserem Wahlrecht betrieben wird. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir abschaffen. ({9}) Und weil das so ist mit den Mehrheiten, werden wir diesen ambitionierten Zeitplan nun nutzen und diese Kommission zügig einsetzen. Zu den Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, die von den Fraktionen entsandt werden, wird die gleiche Zahl von Sachverständigen hinzukommen. Wir freuen uns insbesondere auch auf diese Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen Sachverständigen, die seitens der Fraktionen benannt werden. Wir von der SPD, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden dies paritätisch tun und Männer und Frauen zu gleichen Teilen benennen, sowohl was die Abgeordneten als auch was die Sachverständigen angeht. Wir laden Sie ein, es diesem Beispiel gleichzutun. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ja, die alten Mären werden natürlich gerne da weiter erzählt, wo sie sich quasi widerstandslos einpassen lassen: Da haben wir die widerstrebende CSU aus Bayern, ({0}) da haben wir nach wie vor die Erzählung, ein Bundestag von 800, 900, 1 000 Abgeordneten sei möglich; das haben wir heute alles wieder gehört. Es ist nur doof, dass die Wählerin und der Wähler darüber entscheiden, und sie haben entschieden, dass dieser Bundestag nicht auf diese drohenden Größen anwächst. Ja, er ist zu groß. Wahr ist aber auch, dass unsere Reform tatsächlich ein weiteres Anwachsen verhindert hat. Man kann sagen, das reicht nicht – deshalb der zweite Schritt, deshalb auch die Zusage zu einer maßvollen Verringerung der Wahlkreise. Nur sind Sie doch das Problem nicht los. ({1}) Nach wie vor sitzen in diesem Deutschen Bundestag lediglich 299 direkt gewählte Kandidaten, aber 437 Listenkandidaten. Das Problem stellen aber anscheinend die direkt gewählten Abgeordneten dar. Diese Logik begreift nicht mal der Wähler, und er will sie auch nicht begreifen. ({2}) Wenn schon die besten Programme hier auf den Tisch gepackt werden, dann muss man mal deutlich sagen: Selbstverständlich gibt es ein Wahlrecht – das können wir heute Abend mit einfacher Mehrheit verfassungsgemäß entscheiden –: das sogenannte Grabenwahlrecht oder echte Zweistimmenwahlrecht. ({3}) Das ist jederzeit machbar, mit der Verfassung vereinbar, sogar vom Verfassungsgericht abgesegnet. – Aha, ich merke: Eine große Form der Zustimmung gibt es an dieser Stelle nicht. ({4}) Diese Kommission, die in der letzten Legislatur vier volle Jahre getagt hat – um das einmal deutlich zu sagen: nicht die letzten Wochen, sondern vier volle Jahre; ihr wart alle dabei –, ({5}) ist am Ende des Tages tatsächlich nicht an den Interessen der CSU, ({6}) sondern an der Unbeweglichkeit in der Frage gescheitert. Ich will es noch einmal ins Gedächtnis rufen: Die Reform, die die Union – übrigens, die SPD war auch dabei; wir wollen das nur mal der Vollständigkeit halber hinzufügen – ({7}) auf den Weg gebracht hat, hat dazu geführt, dass durch eine Dämpfung des ersten Zuteilungsschrittes sehr wohl ein weiteres Anwachsen verhindert werden konnte. Was ist das eigentlich Bemerkenswerte? Das Bemerkenswerte ist, dass das Wahlrecht, mit dem wir nun wirklich seit Jahren kämpfen, damals auch zusammen mit der Opposition beschlossen wurde; dass aber der Konsens, der heute – ich habe es viermal gehört – nach wie vor breit über die Fraktionen hinaus getragen werden soll, jetzt verlassen wird. Er wird nicht nur verlassen, weil man die Geschäftsordnung wieder einmal mit Füßen tritt, was die Frage der Einbringung, die Frage der Kurzfristigkeit anbetrifft. Nein, wir senken auch noch das Thema „Mehrheit des Beschlusses“ ab. Wir machen es jetzt zu einer einfachen Mehrheit, obwohl man verfassungsrechtliche Fragen im Auge hat. Also, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. ({8}) Und wenn wir schon dabei sind, etwas an den Spielregeln zu ändern, dann streichen wir mal die Bürgerbeteiligung auch gleich weg. Also, so viel Chuzpe muss man mal haben, zu glauben, man könnte so tun, als würden einen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wirklich interessieren, und sie dann auf die Streaming-Bank zu verweisen, indem man sagt: Na ja, zuschauen dürft ihr schon, aber mitreden dürft ihr auf keinen Fall. – Wer glaubt, dass es hier noch um Interessen geht, dem muss ich ehrlich sagen: Ich glaube nicht mehr, dass man diese Interessen wirklich noch im Kopf hat. ({9}) Aber mit direkter Beteiligung und direkter Demokratie haben es anscheinend auch die Koalitionäre der Ampel nicht so sehr, so wie auch mit direkten Abgeordneten in den Wahlkreisen. ({10}) Es funktioniert nicht, dass man einfach Wahlkreise herausstreicht. ({11}) Es wird nicht funktionieren, weil Sie nicht wissen, welcher Wahlkreis am Ende des Tages über die Landeslisten tatsächlich zu Ausgleichsmandanten führen wird. ({12}) Diese Mär muss man immer wieder erzählen. Es tut mir auch wahnsinnig leid, dass man sich da sehr oft wiederholen muss. Es bleibt dabei: Wer Angst hat vor direkter Demokratie, ({13}) schon was die Kommission betrifft, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Wähler am Ende des Tages davon Abstand nehmen. ({14}) Wir haben gerade in der Coronapandemie erlebt, dass direkte Abgeordnete Ansprechpartner und Krisenmanager vor Ort ({15}) sein können, was durchaus sinnvoll ist. ({16}) Wenn Sie es ernst meinen mit Ihrem Angebot, dann kommen Sie aber auch mit einem Angebot rüber, das diesen Namen verdient. ({17}) Dann wird sich die Opposition, dann wird sich die Union diesen Vorschlägen mit Sicherheit nicht verweigern. ({18})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die Energiekosten in Deutschland sind zu hoch. Wir wissen nicht, wo die Energie für den kommenden Winter herkommen soll, und internationale Abhängigkeiten bestehen in einem äußerst ungesunden, einseitigen Ausmaß. So lässt sich nach über 20 Jahren der Energiewende die deutsche Energiepolitik zusammenfassen. Aber Deutschland kann sich diese Experimente nicht länger leisten. Ich verzichte hier auf Schuldzuweisungen; denn die Lage ist dazu viel zu ernst. Sie wollen jetzt, um das Gasproblem im kommenden Winter zu lösen, bei den Lieferanten umschichten, was dem Ministerium zum Teil auch gelingen wird, aber natürlich verbunden mit entsprechend hohen Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für die Wirtschaft in Deutschland. Die Prüfung zweier Ministerien hat ergeben, dass die Kernkraft dazu keinen nennenswerten Beitrag wird leisten können, weil sie nicht rechtzeitig ertüchtigt werden kann, und dass der Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoff uns durch den kommenden Winter bringen sollen. Viele Fachorganisationen und Verbände widersprechen allerdings dieser Prüfung und beschweren sich darüber, dass sie in diese nicht eingebunden waren. Des Weiteren konzentriert sich Ihr Ministerium ausschließlich auf den kommenden Winter 2022/23. Aber hier eine Binsenweisheit: Es wird auch einen Winter 2023/24 geben, und die Energiesicherheit in diesem Winter wird genauso ungewiss sein wie im kommenden. ({0}) Schauen wir uns aber jetzt Ihre Lösungen an: Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoff. Dazu einige Zahlen: Im Jahr 2021, im letzten Jahr, haben die sechs verbliebenen deutschen Kernkraftwerksblöcke in acht von zwölf Monaten mehr Strom erzeugt als sämtliche circa 1,5 Millionen Photovoltaikanlagen in Deutschland zusammen. Die Erzeugung von Strom durch die sechs verbliebenen Kernkraftwerksblöcke war ein Drittel, circa 33 Prozent, höher als durch alle Photovoltaikanlagen zusammen, trotz der vorrangigen Einspeisung der Energie aus den Photovoltaikanlagen. Für den Aufbau dieser Minderleistung haben Sie über 20 Jahre gebraucht, ({1}) und in diesen Unsinn haben Sie Dutzende, wenn nicht Hunderte Milliarden Euro von Stromverbraucher- und Steuerzahlergeldern hineingesteckt. ({2}) Genauso weltfremd ist Ihr Hoffen auf den Wasserstoff. Während wir bei Kernkraftwerken über real existierende Anlagen sprechen, die ich besichtigen und begehen kann, bei denen ich schauen kann, wo der Treibstoff reinkommt, damit es funktioniert, ({3}) haben Sie beim Wasserstoff nichts. Es bewegt sich ausschließlich im Rahmen von „Wünsch dir was“. Sie haben heute nichts, Sie werden in acht Monaten keinen Wasserstoff haben, und Sie werden in den kommenden Wintern keinen Wasserstoff haben. Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit der Prüfungen der Ministerien BMWK und BMU. Wenn es sich ausschließlich um den kommenden Winter dreht, dann können, wie gezeigt, der Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoff nichts dazu beitragen, das Gas abzulösen oder die Kernkraft zu ersetzen. Die Kernkraft kann das aber nach Meinung der Fachverbände sehr wohl leisten, ({4}) wenn man sich jetzt daranmacht und sie dafür ertüchtigt. Geht es aber in Ihrer Argumentation nicht um den kommenden, sondern um die zukünftigen Winter, dann ist nach Ihrer eigenen Prüfung ausreichend Zeit, die Kernkraftwerke, die wir noch haben, zu ertüchtigen und den notwendigen Brennstoff zu bestellen. ({5}) Der Antrag der Alternative zeigt hier einen Lösungsweg auf: Zum einen kümmern wir uns um die Legalität; denn trotz aller Prüfungen ist es nach Ablauf dieses Jahres verboten, Strom aus Kernenergie zu erzeugen. Dieser Passus muss weg. ({6}) Zum anderen ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem wir über die sichere, zuverlässige und auch bezahlbare Energieversorgung des Landes in den kommenden Jahren und Wintern reden müssen. Und ja, das schließt auch die Frage mit ein, wie man mit noch existierenden, aber stillgelegten Kernkraftwerken umgeht, wie man sie ertüchtigen kann, damit sie wieder eine Betriebsgenehmigung erhalten, ({7}) damit sie wieder zuverlässigen, sicheren Strom produzieren können. ({8}) Das Allerletzte, was wir wollen – ganz ehrlich! –, ist, ({9}) dass uns irgendwann die nackte Energienot dazu bringt, ein Kernkraftwerk wieder ans Netz nehmen zu müssen, das keine Betriebsgenehmigung hat. So weit darf es niemals kommen. ({10}) Dazu ist es nötig, Verantwortung zu übernehmen, Weitblick zu beweisen und die nötigen Weichenstellungen einzuleiten. Ich möchte Minister Habeck, der heute leider nicht da ist, hier auffordern, diesen Weitblick zu beweisen und diese Verantwortung zu übernehmen; denn das schuldet er unseren Bürgern. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Jakob Blankenburg das Wort. ({0})

Jakob Blankenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005025, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Man könnte fast sagen: „Und täglich grüßt das Murmeltier“. In dieser zugegebenermaßen noch recht jungen Legislaturperiode ist es nun schon das zweite Mal, dass wir auf Antrag der AfD über die Wiedereinführung der Kernenergie und die Verlängerung der Laufzeiten der verbliebenen Kernkraftwerke diskutieren. ({0}) Für uns als SPD-Fraktion ist klar: Die Rahmenbedingungen mögen sich geändert haben, aber die Antwort ist immer noch dieselbe: Die Verlängerung der Laufzeiten der noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke lehnen wir ab. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Antwort fußt nicht auf Ideologie, ({2}) wie es uns die Abgeordneten der AfD-Fraktion gern unterstellen. Die Antwort fußt auf einer objektiven Überprüfung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucher/-innenschutz haben sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ({3}) ob und inwiefern eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken zur Energiesicherheit beitragen kann. Außerdem haben die genannten Ministerien genau geprüft, ob diese Verlängerung in Hinblick auf die nukleare Sicherheit vertretbar ist. Und das Ergebnis der Prüfung hat gezeigt: Längere AKW-Laufzeiten helfen uns nur sehr begrenzt bei der Lösung der Probleme der Energieversorgung; aber dieser begrenzte Nutzen kommt zusammen mit hohen wirtschaftlichen Kosten und – noch wichtiger – mit erheblichen Sicherheitsbedenken. ({4}) Die drei verbliebenen AKW gehen Ende dieses Jahres vom Netz, und darauf ist auch alles ausgelegt, etwa die Bestellung von Brennelementen, die Personalplanung, aber vor allen Dingen auch der Modus der Sicherheitsüberprüfungen. Nach internationalen Sicherheitsstandards unterliegen Atomkraftwerke alle zehn Jahre einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung, der sogenannten PSÜ. Diese umfangreiche AKW-Sicherheitsüberprüfung hat für die drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke im Jahr 2009 stattgefunden. Im normalen Rhythmus hätte sie also 2019 erneut durchgeführt werden müssen. Angesichts der endgültigen Abschaltung bis spätestens Ende dieses Jahres wurde auf die erneute umfangreiche Sicherheitsprüfung ausnahmsweise verzichtet. ({5}) Bei einem Weiterbetrieb nach dem 1. Januar 2023 wäre die letzte PSÜ also mehr als 13 Jahre alt, und eine neue wäre dringend notwendig. ({6}) Das Problem dabei ist aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD: Die Prüfung erfolgt doch nicht über Nacht. Die Prüfung ist ein über Jahre währender Prozess, ({7}) in dessen Verlauf erkanntes Verbesserungspotenzial laufend umgesetzt wird. Das geht nicht einfach so, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Die aktuelle Situation in der Ukraine zeigt uns außerdem, wie schnell atomare Anlagen Ziel kriegerischer Handlungen werden können. ({9}) In den letzten Tagen haben uns besorgniserregende Nachrichten erreicht: Kernkraftwerke waren von der Stromversorgung abgeschnitten, die russische Armee hat Expertinnen und Experten in den Kernkraftwerken in ihre Gewalt gebracht. Zu unserer „neuen Realität“, die Sie in Ihrem Antrag beschreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, gehört also auch, dass wir Störfallszenarien und vor allen Dingen Sicherheitsbedenken noch stärker als bisher in unsere Überlegungen miteinbeziehen müssen. ({10}) Auch kriegerische Auseinandersetzungen auf dem europäischen Kontinent – das müssen wir nun so anerkennen – gehören zu dieser neuen Realität dazu. Wir können und wir wollen nicht länger Atomkraftwerke in Deutschland betreiben und damit ein unnötiges Risiko eingehen. Die Entscheidung zum Atomausstieg haben wir 2011 unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima getroffen. An der entsprechenden Einschätzung hat sich auch seit dem 24. Februar dieses Jahres nichts geändert. Wir mögen in fundamental anderen Zeiten leben. Was sich aber nicht verändert hat, ist Folgendes: Atomenergie bleibt eine Energieform, deren Risiken sich nicht auf heute und unsere Generation beschränken. Im Standortauswahlgesetz, das den Prozess der Endlagersuche definiert, ist festgelegt, dass wir ein Endlager für 1 Million Jahre suchen – eine Zeitspanne, die für Menschen kaum vorstellbar ist. ({11}) Das ist aber auch die Zeitspanne, in der wir mit dem Atommüll leben müssen – nachfolgende Generationen und der Planet insgesamt. Jeder Tag, an dem also kein neuer hochradioaktiver Atommüll in deutschen Atomkraftwerken produziert wird, ist wichtig. Deshalb werden wir die Laufzeit der drei noch am Netz befindlichen AKW nicht verlängern; nicht um wenige Tage und schon gar nicht, wie von Ihnen gefordert, um mehrere Jahre. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle geopolitische Lage darf nicht missbraucht werden, um unter dem Deckmantel der Energiesicherheit eine Verschiebung des Ausstiegs aus der Atomenergie herbeizuführen. Stattdessen müssen wir gemeinschaftlich an zukunftsfähigen Lösungen für Deutschland arbeiten. ({13}) Das sind Lösungen, die eine tatsächlich unabhängige Energieversorgung ermöglichen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln für einen schnellen und massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Das schafft wahre Unabhängigkeit, und das schafft Klimaneutralität. Lassen Sie uns dieses Ziel auch in dieser Krise nicht aus den Augen verlieren. Vielen Dank ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Heilmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Viel Publikum hat der Antrag nicht verdient. Der Antrag der AfD disqualifiziert sich schon deswegen, weil er mit einer moralisch wirklich absurden Gewichtung beginnt. Im ersten Absatz fangen Sie mit einem komplizierten, grammatikalisch unzureichenden Satzgewirr an, ({0}) mit dem Sie vor allen Dingen eines vermeiden: Sie nennen nicht klar den Schuldigen beim Namen. Russland führt einen entsetzlichen, brutalen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine. ({1}) – Natürlich geht es auch um den Krieg und dessen Folgen; das ist doch Ihre eigene Argumentation. Besonders krass ist Ihr Fehltritt – anders kann man es nicht sagen – im ersten Satz der Begründung Ihres Antrages. Schuld an den steigenden Energiekosten sind danach der „völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine“ – Sie vermeiden den Begriff „Krieg“ – und gleichbedeutend daneben die „Waffenlieferungen Deutschlands“. ({2}) Ja, geht’s noch? Es ist traurig, dass man das feststellen muss. ({3}) – Das ist zur Sache. ({4}) – Entschuldigen Sie, ich widerspreche der Begründung Ihres Antrages.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heilmann, ich habe die Uhr angehalten. – Ich sage es nur einmal, Herr Hilse: Auch bei Zwischenrufen ist die Maske vollständig die Nase und den Mund bedeckend zu tragen. – So, Sie haben wieder das Wort.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Präsidentin. – Ich sage es noch mal: Ich widerspreche Ihrem Antrag, in dem steht, dass die Waffenlieferungen Deutschlands genauso schuld seien wie der Angriffskrieg der Russen. Dieser Wertung kann man nur widersprechen. Es ist auch bezeichnend, dass Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, Putins Krieg als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich ein Kriegsverbrechen. ({0}) Aber nicht nur die Einleitung Ihres Antrags ist vollständig verfehlt. Zum mittlerweile vierten Mal in dieser Legislaturperiode mit teilweise gleichen Formulierungen unterstützen Sie die Kernkraft. Sie wollen den Ausbau der Kernenergie grundsätzlich, wie Sie sagen, als langfristige Lösung. ({1}) Das wird nicht richtiger, auch wenn Sie es wiederholen. Ich lehne Ihr Wertesystem ab. Deswegen will ich es mit ökonomischen Argumenten versuchen. Erstens sagen Sie: Erneuerbare Energien tragen nicht zur Netzstabilität bei und seien unzuverlässig. ({2}) Vielleicht hören die Vertreter der AfD, Herr Kaufmann und Herr Bernhard, mal der Bundesnetzagentur zu, wenn sie schon im Beirat sitzen. Sie zeigt nämlich immer wieder auf, dass der dezentrale Aufbau eines Netzes sicherer ist als der zentrale. ({3}) Deswegen ist in den letzten Jahren die Energiestabilität auch nicht zurückgegangen. Kernkraft ist auch nicht günstiger, im Gegenteil. Sie ist schon immer hochsubventioniert gewesen, in Deutschland und auch in Frankreich. Sie überträgt sehr entscheidende Folgekosten auf die Allgemeinheit. Vor allen Dingen wird sie immer teurer. Es werden wenige Atomkraftwerke neu gebaut. In Finnland ist gerade eines nach 13 Jahren Verspätung fertiggestellt worden und hat nicht 3 Milliarden, sondern 10 Milliarden Euro gekostet. In Frankreich sollte Flamanville 3 in der Normandie 2012 ans Netz gehen. Es ist immer noch nicht am Netz und wird nicht 3,4 Milliarden Euro kosten, sondern 19 Milliarden Euro. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heilmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Hilse?

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, werter Herr Heilmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Das zeigt Rückgrat; im Gegensatz zu vielen anderen hier. ({0}) Die CDU/CSU-Fraktion wird morgen einen Antrag einbringen, in dem sie die Bundesregierung unter anderem auffordert, ohne ideologische Scheuklappen zu prüfen, ob die Kernkraft in den nächsten Jahren zur Netzstabilität, also zur Versorgung der Bundesrepublik, beitragen kann. ({1}) Das heißt, Ihre Fraktion, zumindest Ihre Energiepolitiker, fordern abgeschwächt genau das, was wir fordern: Wir fordern den Wiedereinstieg bzw. den Nichtausstieg. Sie fordern eine von Ideologie befreite Überprüfung der wirtschaftlichen Aspekte, ob die Kernenergie in den nächsten Jahren zur Stromversorgung der Bundesrepublik beitragen kann. Das entspricht jetzt nicht unbedingt dem, was Sie hier gerade vortragen. Wie ergibt sich diese Diskrepanz? ({2})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In unserem Antrag, den Sie zu Recht in dem Zusammenhang wiedergeben, fordern wir, zu prüfen, ob der temporäre Weiterbetrieb von in diesem Jahr abzuschaltenden Kernkraftwerken Sinn macht. ({0}) Das ist aber etwas anderes als das, was Sie sagen. Erstens haben wir eine andere moralische Wertung, wie ich vorhin dargestellt habe. ({1}) – Na ja, die Frage „Wer ist schuld an diesem Krieg?“ ist ja nicht zufällig von Ihnen nie erwähnt worden, weil Sie von Herrn Putin bisher unterstützt wurden, ({2}) zu ihm hingereist sind und hier immer der große Wortführer für Herrn Putin waren. ({3}) Zurück zu Ihrer Frage. Zweitens. Wir glauben, dass Atomenergie keine dauerhafte Lösung für die Probleme der Energielieferung oder der Stromerzeugung in Deutschland ist, und zwar aus Kostengründen und aus vielen weiteren Gründen. Nun ist es denkbar, dass die drei Atomkraftwerke länger laufen, um einen in der Tat kleinen, wirklich kleinen Beitrag zur Energiestabilität zu leisten. Warum ist es nur ein kleiner Beitrag? Das muss man auch mal dazu sagen: weil wir ein Wärmeproblem haben. Wir haben ein Gasproblem und kein Stromproblem. ({4}) Natürlich wird Gas auch verstromt, und da könnte man ein bisschen sparen; deswegen könnte es Sinn machen. ({5}) Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt in Ihrer Frage eingehen. ({6}) – Nein, nein. ({7}) Wir haben den Antrag gestellt, weil man sich auf den fünf Seiten, die die Bundesregierung dazu verfasst hat, nur mit den Problemen beschäftigt hat und Lösungen erst gar nicht gesucht hat. ({8}) Das ist natürlich das Gegenteil von Ergebnisoffenheit. Und, Herr Blankenburg, Sie haben eben letztlich auch gesagt, dass Sie das nicht wollen; Sie haben mit den Leuten, die davon was verstehen, gar nicht gesprochen. ({9}) Die Betriebsräte haben Sie nicht befragt, Sie haben mit der Reaktor-Sicherheitskommission und mit den Betrieben, die die Brennstoffe liefern, nicht gesprochen. Die haben sich bei mir gemeldet und gesagt: Wir könnten das viel schneller als in 18 Monaten liefern. Wir haben dazu Ideen. – Die sind gar nicht angehört, geschweige denn sind deren Vorschläge behandelt worden. So kann eine ergebnisoffene Prüfung, die Sie ja selber versprochen haben, nun auch wieder nicht aussehen. ({10}) Das ist einer unter vielen Punkten. In Ihrem Antrag heißt es: Atomenergie ist die alleinige Lösung der Energiekrise. – Dazu kann ich Ihnen sagen: Das ist weder in der Begründung noch im Ergebnis akzeptabel. ({11}) Bevor Sie Ihre Frage gestellt haben, war ich gerade dabei, vorzurechnen, warum Atomenergie nicht wirtschaftlich ist. Bloomberg hat bekanntermaßen auch einen Research-Dienst, und der hat ausgerechnet, dass, wenn man die vergangenen Baukosten heranzieht, die vollen Kosten bei 37,8 Cent pro Kilowattstunde und zukünftig, weil die Baupreise so stark steigen, tatsächlich bei 46 Cent pro Kilowattstunde liegen. Das ist vollständig aus dem Markt gepreist und übrigens sehr viel teurer als alles das, was man bei erneuerbaren Energien mit Speichern und Netzleitungen wohl jemals wird bezahlen müssen. Das heißt, es ist ökonomisch nicht sinnvoll. Im Übrigen, selbst wenn man eine politische Mehrheit für Atomenergie bekommt und man die ganzen moralischen Bedenken, die es gibt, alle mal beiseitelegt: Glauben Sie im Ernst, dass wir in den nächsten 20 Jahren genug Atomkraftwerke in Deutschland bauen können? Das ist doch eine reine Scheindebatte. Das wird doch niemals so schnell gehen, dass wir unsere Energieprobleme, weder die ganz akuten wegen des Ukrainekrieges noch die mittelfristigen wegen des Klimawandels, werden lösen können. ({12}) Im Übrigen – das ist mein letzter Gedanke – denkt die deutsche Wirtschaft auch ganz anders als Sie. Die sagen: Wir wollen die Erneuerbaren haben, und zwar so schnell wie möglich; ({13}) unsere Sorge ist, dass der Staat nicht schnell genug ist. – Wir in der Union haben eine Menge Ideen gehabt, wie man Genehmigungsverfahren beschleunigen kann. Wir sind gerne bereit, die Regierung dabei zu unterstützen. ({14}) Abschließend: Die Lage in der Ukraine ist furchtbar. Wir sollten bitte keine Scheindebatten führen, auch nicht über die Prüfungsfrage, ob man Atomkraftwerke nicht doch kurzfristig länger laufen lassen kann. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Stefan Wenzel das Wort. ({0})

Stefan Wenzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Heilmann, interessant waren auch Ihre ökonomischen Argumente, die Sie hier vorgetragen haben. Man muss vielleicht noch ergänzen, dass die Betreiber bis fast zuletzt gesagt haben: Wir wollen nicht mehr ({0}) – hören Sie erst mal zu –, wir haben unsere Unternehmensstrategie neu ausgerichtet, wir haben ein neues Geschäftsmodell. Dann gab es ein oder zwei, die gesagt haben: Wenn der Staat die vollständige Haftung und die vollständige Finanzierung übernimmt, dann tritt möglicherweise ein Sinneswandel ein. ({1}) Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was heißt das unter den Sicherheitsbedingungen? Ich trete gerne mit jedem, der das für richtig hält, in die Diskussion. Aber ich will vorweg noch etwas anderes ansprechen, und zwar das, was wir in den letzten Wochen in der Ukraine gesehen haben, was bis dahin undenkbar war: Angriffe auf Atomkraftwerke mit zwei Panzern, mit zehn Fahrzeugen, in dem einen Fall mit Schüssen in die Anlage hinein; Betriebsmannschaften, die seit drei Wochen in Geiselhaft sind, die über Wochen nicht ausgetauscht wurden, die ihre Familien nicht sehen konnten. Man muss sich vorstellen, was das heißt, wenn man zwangsweise in so einer Situation am Arbeitsplatz festgehalten wird. Man weiß nicht, was die Frau, was die Kinder, was der Mann gerade machen, wo sie sind. – Meine Damen und Herren, das ist wirklich der Wahnsinn. Dazu kommen viele andere Dinge: fehlende Ersatzteile, Behinderungen der Feuerwehr, Unterbrechungen der Stromversorgung. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Ein Atomkraftwerk braucht nämlich Kühlung, auch wenn das Stromnetz ausfällt. Der Notstromgenerator reicht für ein paar Tage. Allerdings meldet heute Abend die „Süddeutsche Zeitung“, dass es gelungen ist, das ukrainische Stromnetz an das kontinentaleuropäische Netz anzuschließen – ein kleiner Lichtblick in einer ansonsten sehr düsteren Lage. ({2}) Meine Damen und Herren, was auch bemerkenswert war: Wir hatten eine Vertreterin der Internationalen Atomenergieagentur im Umweltausschuss zu Gast, um zu hören, wie die Situation in der Ukraine ist. Das, was am meisten beunruhigt, betrifft das Safeguards System – das ist sozusagen der Heilige Gral der Sicherheitsfunktionen –, das verhindern soll, dass unzulässig waffenfähiges Material weitergegeben wird. Die IAEA hat bei zwei Anlagen in der Ukraine den Kontakt zu ihrem Kontrollsystem verloren. Der Kontakt ist unterbrochen. Sie kann in diesem Moment nicht mehr sehen, was dort passiert. Dieses Kontrollsystem ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Betrieb von Anlagen, für den Umgang mit Kernmaterial, meine Damen und Herren. Das ist ein Vorgang von ganz besonderer Tragweite. Die Ukraine hat als einziges Land der Erde freiwillig ihre Atomwaffen abgegeben. Die Kontrollen der IAEA spielen deshalb eine sehr wichtige Rolle, wenn es gilt, beispielsweise perfide Unterstellungen von russischer Seite abzuwehren und zurückzuweisen. Das muss man leider sehr ernst nehmen. Meine Damen und Herren, wir haben in der Tat eine neue Realität. Das Völkerrecht ist hier völlig klar: Angriffe auf Atomkraftwerke sind völkerrechtswidrig. – Trotzdem ist genau dieser Fall eingetreten. Wir sehen eine hybride Form der Kriegsführung, die mit den Ängsten von Menschen spielt, die, wie wir wissen, in der Ukraine Erfahrungen mit einem Reaktorunfall gemacht haben. Atomkraftwerke wurden und werden hier zur Waffe des Gegners im eigenen Land. Die Abwesenheit von Krieg war und ist Prämisse für die Sicherheitsanforderungen von Atomkraftwerken. Kein Atomkraftwerk ist für solche Situationen ausgelegt, ({3}) weder im Osten Europas noch im Westen Europas oder in irgendeinem anderen Land der Welt. Die Anforderungen an Sicherheit und an Sicherung – „Sicherung“ ist ein sehr, sehr wichtiges Wort; Sicherung gegen Einwirkungen Dritter heißt es in den entsprechenden Regelwerken – müssen daher auf den Prüfstand. ({4}) Es ist bezeichnend, meine Damen und Herren, dass das Wort „Sicherung“ in Ihrem Antrag überhaupt nicht auftaucht. Kein Wort, nichts, gar nichts dazu. Das allein ist in einer solchen Situation, wo wir über eine solche Lage in der Ukraine reden, wirklich ein Hammer. ({5}) Ein weiterer Punkt. Wir reden in diesen Tagen viel über Abhängigkeiten. Da werden in der Regel Öl, Kohle und Gas genannt. Ein Punkt wird vergessen: Die Abhängigkeit von russischen Lieferungen ist bei Uran und Brennelementen noch größer. ({6}) 18 Atomkraftwerke in Europa haben nur noch einen Lieferanten für Brennelemente, und der sitzt in Russland. Beim Uran kommen 53 Prozent der Welturanproduktion aus Russland, Kasachstan und Usbekistan. Die Uranlieferanten für europäische Atomkraftwerke kommen zu 40 Prozent aus Russland und Kasachstan, 20 Prozent aus Niger, wo in der Nachbarschaft mittlerweile merkwürdigerweise die „Gruppe Wagner“ aktiv ist. ({7}) Meine Damen und Herren, mit Ihren Vorschlägen kommen wir bei Abhängigkeit und Erpressbarkeit vom Regen in die Traufe. ({8}) Ich stelle fest, dass Ihre Feststellungen in Ihrem Antrag schlicht falsch sind, sowohl was die ökonomischen Fragen angeht als auch was Sicherheit und Sicherung angeht. Nicht zuletzt muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was mit dem Speicher von Gazprom, dem Astora-Speicher in Rehden, passiert ist. Wenn man sich die Einspeicherung anguckt, dann stellt man fest: Schon vor einem Jahr wurde dieser Plan angelegt. – Das kann man an den Speicherkurven sehen, meine Damen und Herren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege.

Stefan Wenzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das sollten Sie sich zu Herzen nehmen. Ich bin dem Kollegen Heilmann auch dankbar dafür, dass er auf den ersten Satz Ihrer Begründung hingewiesen hat. Der spricht wirklich Bände. Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Um 19.43 Uhr meldete die „Tagesschau“ ein Erdbeben der Stärke 7,3 60 Kilometer vor der Küste Japans. 2 Millionen Menschen sind derzeit ohne Strom, im Abklingbecken des Kraftwerks Fukushima Daiichi sind die Pumpen ausgefallen. Wir alle haben Sorge, dass sich in Tschernobyl erneut eine nukleare Katastrophe anbahnt, dass durch Putins Krieg in der Ukraine einer der 15 Atomreaktoren in Saporischschja, Chmelnyzkyj oder Riwne havarieren könnte. Im Angesicht dieser Situation fordert die AfD eine neue Realität. Sie fordert mehr Atomkraftwerke und versucht, genau wie die Atomlobbyisten der Union, Söder und Merz, Atomkraft wieder salonfähig zu machen. Ihre absurde Begründung, Deutschland über Atomstrom vor dem Blackout zu schützen und die Abhängigkeit von russischem Gas dadurch zu reduzieren, kann ich nicht verstehen. ({0}) Als Techniker plante ich in der Industrie Serienproduktion. Die Lieferkette muss von Anfang bis Ende sicher sein. Der Kollege sagte es bereits: Für den Betrieb von AKWs braucht man Brennstäbe; die bestehen aus Uran. 47 Prozent des Urans wird in Russland und Kasachstan gewonnen, 7 Prozent in Usbekistan, 2 Prozent in der Ukraine, 6 Prozent in Niger, in der Nähe des Bürgerkriegslandes Mali. Klar, man könnte versuchen, Uran aus Australien, Kanada, Namibia oder China zu erwerben. Aber erstens haben diese Länder bereits feste Abnehmer, und zweitens können sie nur 36 Prozent des weltweiten Bedarfs decken. ({1}) Vom weltweiten Bedarf benötigen alleine die USA derzeit 30 Prozent, China 18 Prozent, Frankreich 14 Prozent und Südkorea 8 Prozent. Also allein die USA und Frankreich brauchen mehr Uran, als derzeit aus halbwegs sicheren Herkunftsgebieten zu erhalten ist. Bei dieser Faktenlage deutsche Atomkraftwerke, denen Brennelemente fehlen, als Lösung anzusehen, zeugt von wirtschaftlicher Blindheit. ({2}) Und wer die Abhängigkeit von russischem Gas durch eine Abhängigkeit von russischem Uran ersetzt, ist einfach untragbar. ({3}) Wer die Energiesicherheit mit Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken sichern will, ist wirtschaftlich inkompetent und spielt russisches Roulette. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere die Bundeszentrale für politische Bildung: Die zivile und die militärische Nutzung der Kerntechnik ähneln siamesischen Zwillingen: Sie sind so eng miteinander verbunden, dass sie sich kaum voneinander trennen lassen. Recht hat die Bundeszentrale. ({5}) Ohne Atomkraftwerke keine Atombomben. Und gerade auch wegen der Angst vor einem Atomkrieg lehnt Die Linke Atomkraftwerke konsequent ab. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Konrad Stockmeier für die FDP-Fraktion. ({0})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Fangen wir doch einfach noch mal vorne an: beim Uran. Auf die Herkunftsländer wurde schon hingewiesen. In Kasachstan – darauf möchte ich noch hinweisen – gibt es eine Abbaumethode, die besonders schmutzig ist, sie heißt „in situ leaching“ und ist eine Art Fracking; das wird anderswo vermieden. Und wissen Sie, wo wir uns noch mit den Folgen beschäftigen? In der Sächsischen Schweiz! Dort werden wir noch bis 2050 damit beschäftigt sein, die Schäden zu beseitigen. Kostenpunkt: 7 Milliarden Euro. Unter „zukunftsträchtig“ verstehe ich etwas anderes. ({0}) Das Nächste, was Sie uns immer anpreisen, sind dann die tollen neuen Reaktortypen, die angeblich so wahnsinnig effizient sind. Also, fangen wir mal an mit den so genannten Dual-Fluid-Reaktoren. Da ist das Verkaufsargument, dass die Strahlenabfälle eine kürzere Halbwertszeit haben, nur noch 300 Jahre. Ich finde, das ist, ehrlich gesagt, immer noch zu lang; aber so zukunftsorientiert sind Sie. Übrigens, die ersten Prototypen sollen erst 2029 fertig sein. ({1}) Dann preisen Sie uns immer die Small Modular Reactors an; da sind die Franzosen, die Briten und die Belgier ziemlich engagiert. Hierzu noch der Hinweis: Auch da sollen die ersten Prototypen Anfang der 2030er-Jahre fertig sein. Wissen Sie was? Deren Finanzierung ist immer noch nicht geklärt. Privates Kapital scheint sich nicht darauf zu stürzen. Und noch ein Hinweis: Um einen Industrieraum wie Stuttgart damit zu versorgen, bräuchten Sie ungefähr sechs Stück. Sagen Sie Ihren Leuten in Baden-Württemberg, sie sollen das in den Kommunalparlamenten beantragen. Dann fliegen sie da nämlich raus – soll mir auch recht sein. ({2}) Gucken wir mal rüber nach Frankreich. Die finanzielle Situation der Électricité de France ist einfach nur bedauerlich. Dieser Staatskonzern versinkt in horrenden Schulden. Experten sagen, dass in Frankreich die Wartungszeiten der dortigen Reaktoren – Achtung! – nicht mehr planbar sind. Ich kann nur sagen: Ja, „la sécurité de la provision de l’électricité en France c’est passé“. So sieht es aus. ({3}) Hinzu kommt die kürzliche Anweisung von Präsident Macron, mehr Atomstrom zu produzieren und ihn bitte auch unter Marktwert zu verkaufen. Damit habe ich als Liberaler so meine Schwierigkeiten. Flamanville 2 ist auch erwähnt worden. Die Baukosten explodieren, übrigens auch bei dem Partnerprojekt in China, wo die Électricité de France auch engagiert ist. Das musste im letzten Sommer vom Netz genommen werden, es ging nicht weiter, weil nämlich technisch sensible Bauteile nicht in den Griff zu kriegen waren. Vereinigtes Königreich: Sie preisen Hinkley Point C an. Die Bauentscheidung fiel 2014; dem Betreiber wurde eine staatliche Vergütung von 11 Cent pro Kilowattstunde plus einem Inflationsausgleich über 35 Jahre zugesagt. Das Ding kommt trotzdem nicht in die Pötte. Bezüglich UK: Lassen Sie sich sagen, dass Großbritannien die Regenerativen wesentlich stärker vorantreibt als dieses Milliardengrab. Die USA-Studie überspringe ich aus Zeitgründen. MIT, tolle Ingenieure, ziehen Sie es sich mal rein. Die Aussichten sind auch da einigermaßen verheerend. Kommen wir noch kurz zur Endlagerfrage. Da werden Sie sicherlich mit finnischen und schwedischen Beispielen um die Ecke kommen. Diese Länder sind ein bisschen anders besiedelt. Sie bewegen sich da zugegebenermaßen in einem einstelligen Milliardenbereich. Für Deutschland aber sind für die Endlagerung Kosten in Höhe von circa 170 Milliarden Euro veranschlagt. Da wollen Sie noch was obendrauf legen? Dazu sage ich: Nein, danke. Abgesehen davon überzeugt mich als Marktwirtschaftler dann doch immer das Argument, dass Atomkraft am freien Markt wirklich nicht versicherbar ist. ({4}) Sie sind keine Alternative für Deutschland, Sie sind keine für die Gegenwart, und Sie sind auch keine für die Zukunft, und in der Vergangenheit kennen Sie sich auch nicht richtig aus. ({5}) Hoffentlich bleibt es so, dass Sie für die Energieversorgung in diesem Land nie zuständig werden, da würden die Lichter nämlich ausgehen. ({6}) Wir werden dafür sorgen, dass die Lichter weiter strahlen: regenerativ und bezahlbar. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Helmut Kleebank das Wort. ({0})

Helmut Kleebank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005105, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Aktuellen Stunde und den Hiobsbotschaften, die uns jeden Tag aus der Ukraine erreichen, geht es mir wie Ihnen: Wir alle sind betroffen; das klang schon ein bisschen durch. Ich nenne hier ausdrücklich die Angriffe auf die Atomkraftwerke: ein Tabubruch ohnegleichen. Dann gab es heute – es wurde schon erwähnt, als könnte man es nicht besser timen – ein erneutes Erdbeben vor der Küste von Fukushima. Und wir diskutieren hier heute die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich fühle mich echt wie im falschen Film. ({0}) Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich mich gefragt: Soll ich mich wundern oder nicht? Also, soll ich mich wundern, weil es ein wiederholter Antrag ist? Das wurde schon gesagt. Soll ich mich wundern, weil die Argumente eigentlich hinlänglich ausgetauscht sind? Ober soll ich mich nicht wundern, weil die Standardantwort der AfD auf sämtliche Energieprobleme immer nur Atomkraft heißt? Mehr fällt Ihnen offensichtlich nicht ein. Deswegen wundert es mich im Ergebnis dann doch nicht, dass dieser Antrag hier heute auf dem Tisch liegt. Ich habe ihn trotzdem aufmerksam gelesen. Sie stützen Ihren Antrag auf drei steile Thesen: „Die Kernkraftwerke tragen zur sicheren und unabhängigen Energieversorgung bei“, Laufzeitverlängerungen seien über viele Jahre möglich, und schließlich – ganz wichtig –: „Mit der Laufzeitverlängerung können ganz konkret Erdgaslieferungen ersetzt werden.“ – Das können wir leicht widerlegen – manches wurde schon dazu gesagt –, aber dazu müssen wir uns zunächst mal mit der Versorgungssituation auseinandersetzen. Immerhin 4 Gigawatt – das entspricht 5 Prozent unseres jährlichen Strombedarfs oder Leistungsbedarfs – kommen aus diesen drei verbliebenen Kernkraftwerken. 5 Prozent, diese Zahl merken wir uns für den Moment. Zu Kohle und Öl hat Herr Dr. Kraft immerhin ausgeführt, dass wir das werden ersetzen können, dass diese Abhängigkeit zwar nicht schön, aber belastbar zu lösen ist. Das hat er anerkannt. Also konzentrieren wir uns auf das Thema Gas. Wofür brauchen wir Gas? Im Wesentlichen brauchen wir Gas – das wurde schon gesagt – zur Wärmeerzeugung, nur etwa 15 Prozent zur Stromerzeugung. Wo läuft dieses Gas hin? Zum großen Teil läuft auch das noch in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Das heißt, auch hier landet noch ein Teil in der Wärmeerzeugung. Also weder bei der Strom- noch bei der Wärmeerzeugung würde Atomkraft einen Beitrag leisten. Das heißt, wir können die gegenwärtige Situation damit nicht lösen. Es kommt noch eines hinzu: Die Turbinengaskraftwerke, die wir haben, sind für die Spitzenlast gedacht, weil sie schnell anfahren; innerhalb weniger Minuten sind sie am Netz, manchmal sogar in unter einer Minute. Atomkraftwerke sind für die Grundlast gedacht. Das heißt, Sie wollen hier ein Spitzenlastkraftwerk durch ein Grundlastkraftwerk ersetzen. Das wird technisch überhaupt nicht funktionieren. Weder bei der Wärme noch beim Strom ist Ihr Ansatz tauglich. ({1}) Zur Beschaffung der Brennstäbe ist schon einiges gesagt worden; ich will das nicht zu sehr vertiefen. Zum Übergang wäre tatsächlich ein Streckbetrieb möglich. Der Nachteil eines solchen Streckbetriebs, wenn ich ihn denn mit den ausgelaugten Brennstäben, die im Moment vorhanden sind, mache, bis die neuen da sind, ist: Daraus entsteht nicht mehr Strom. Die Stromerzeugung wird nur auf längere Zeit gestreckt. Damit haben wir dann allerdings auch nicht wirklich etwas gewonnen. Auch auf die Abhängigkeit von Russland, von Kasachstan bei Uran ist hingewiesen worden; in der Förderung steckt Russland ebenfalls mit drin. Das heißt, Sie tauschen die eine Abhängigkeit durch die andere aus. Welchen Sinn das ergeben soll, erschließt sich mir nicht. ({2}) Ein paar Worte noch zur Störanfälligkeit; auch darauf ist schon hingewiesen worden. Es ist aber ganz wichtig. Es sind ja keine neuen Meiler, um die es geht, sondern es geht um alte. Es ist so, dass von der installierten Leistung der AKWs in der Vergangenheit nur ungefähr 70 Prozent tatsächlich angekommen sind. ({3}) Der Rest ging verloren: durch Wartungsarbeiten, durch Stillstand, Notabschaltungen, was weiß ich. Es sind alte Meiler, das heißt, diese Quote wird sich höchstwahrscheinlich noch erhöhen. Der Kollege Blankenburg hat auf die Wartungsnotwendigkeiten hingewiesen. Von den drei Meilern, um die es geht, wird im Schnitt mindestens einer stillstehen, wahrscheinlich sogar zwei, ({4}) und dafür setzen Sie einen Riesenapparat in Gang. Das steht in überhaupt keinem Verhältnis. ({5}) Noch ein paar Worte zur Wirtschaftlichkeit. Ich will das nicht mit Zahlen hinterlegen; das hat der Kollege Heilmann, finde ich, ausführlich und gut getan. Vielleicht nur noch mal zu den Kosten und Risiken im weitesten Sinne. Es ist darauf hingewiesen worden: Die Betreiber sind nur bereit, einen Weiterbetrieb durchzuführen, wenn der Staat die komplette Verantwortung, das komplette Risiko übernimmt. Neue Genehmigungen wären fällig, an verschiedenen Stellen eine Aufrüstung auf den aktuellen Stand der Technik, eine komplett neue Personalplanung wäre zu erstellen, da die jetzige natürlich auf das Auslaufen der Meiler angelegt ist. Es wäre gegebenenfalls neues Personal zu akquirieren; denn das vorhandene hat ja andere Pläne, hat Abfindungen bekommen. Auf die Kosten für den neu anfallenden Atommüll ist auch schon hingewiesen worden. Das heißt, die Wirtschaftlichkeit ist überhaupt nicht gegeben. ({6}) Die Betreiber wollen am Atomausstieg Ende 2022 festhalten. Dazu gibt es etliche Zitate. Ich muss und kann die hier auch aus Zeitgründen nicht mehr vortragen. Eine letzte Bemerkung: Die Ampel hat mit dem Osterpaket und den nachfolgenden Gesetzen die mit Abstand bessere Lösung parat. Es geht nämlich darum, auf die Erneuerbaren umzusteigen. Hierzu sind die Argumente schon hinlänglich ausgetauscht. Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, betrachte ich Ihren Ansatz als widerlegt; denn die Grundannahmen, auf die Sie sich stützen, treffen schlichtweg nicht zu. Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Dr. Klaus Wiener für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Klaus Wiener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005257, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns energiepolitisch in einer Zeitenwende. Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, um unser Klima zu schützen. Wer mich persönlich kennt, der weiß, dass ich das mit meiner Familie schon lange lebe. Komplette Hausdämmung, Photovoltaik, Frischwasserstation, ein wasserführender Kamin, E-Auto: All das haben wir gemacht, um unseren persönlichen Beitrag zu leisten. Damit ist das viel größere Problem aber natürlich nicht gelöst. Es muss sehr viel mehr geschehen – hier in Deutschland, aber auch international. Das wird Zeit kosten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist, gelinde gesagt, eine Herkulesaufgabe. Das Ziel, bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen, ist möglich. Genauso ist aber auch ein Scheitern möglich. Nur wäre das für den Wirtschaftsstandort Deutschland verheerend. Damit das nicht passiert, müssen wir Vorsorge betreiben. Bislang haben wir gehofft, dass wir die Zeit bis zum vollständigen Ausbau der erneuerbaren Energien mit Gas überbrücken können. Aber das ist seit dem 24. Februar nicht mehr möglich; das ist keine Option mehr. Ohne Gas aus Russland wird es schwierig. Der vermehrte Einsatz von Kohle, wie er jetzt auch von der Bundesregierung vorangetrieben wird, ist im Grunde auch keine echte Option; denn damit würden wir die Klimaziele nicht erreichen. ({0}) Deshalb müssen alle Optionen auf den Tisch. Hier stimme ich mit Minister Habeck ausdrücklich überein. Wenn alle Optionen auf den Tisch kommen, gehört dazu aber auch, dass wir über die Kernenergie sprechen und ergebnisoffen prüfen – das ist mir wichtig –, ob ein Weiterbetrieb der noch bestehenden Kraftwerke möglich ist. Wenn ich „ergebnisoffen“ sage, meine Damen und Herren, dann meine ich nicht den Prüfvermerk, den das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium veröffentlicht haben. ({1}) Dieses Dokument ist – freundlich formuliert – ein Schnellschuss. Es wurde einseitig mit der klaren Absicht geschrieben, eine Tür zuzuschlagen. Das wird an mehreren Stellen deutlich. So heißt es in dem Vermerk, für den Weiterbetrieb seien rechtliche Maßnahmen erforderlich, die einer Neugenehmigung gleichkommen. Fakt ist aber: Solange die Genehmigung für den Rückbau nicht bei den Kernkraftwerken eingegangen ist, gilt weiterhin die bestehende Betriebsgenehmigung. ({2}) In dem Prüfvermerk werden auch Sicherheitsbedenken genannt. Aber auch ohne die 2019er-Prüfung wurden die Kernkraftwerke durch fortlaufende Kontrollen, etwa durch Betreiber oder Landesbehörden, auf höchstem Sicherheitsniveau gehalten. Andernfalls wäre der laufende Betrieb auch gar nicht denkbar. ({3}) Am schlimmsten aber ist, dass der Prüfvermerk erstellt wurde, ohne den Rat von Experten einzuholen. Dem Vernehmen nach wurden weder die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit noch die Reaktor-Sicherheitskommission eingebunden; das haben diese auch bemängelt. Auch frage ich mich, ob wirklich alle Partner der Ampel den ablehnenden Kurs dieses Prüfvermerks mittragen. FDP-Wirtschaftsminister Pinkwart aus Nordrhein-Westfalen hat jedenfalls erkannt, was mit diesem Prüfvermerk an Potenzial zerschlagen werden sollte. Das kann man alles heute frisch in einer dpa-Meldung nachlesen; das empfehle ich auch den FDP-Kollegen. ({4}) Im aktuellen Umfeld von Angebotsverknappung und massiv steigenden Energiepreisen laufen wir auf einen klassischen Angebotsschock zu. Die Älteren werden sich vielleicht noch an die Ölpreisschocks der 70er-Jahre erinnern: Hohe Inflation, massive Wachstumseinbußen waren die Folge. Wirtschaftlich gesehen waren die 70er-Jahre ein verlorenes Jahrzehnt. Das gleiche droht uns heute wieder. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Prüfen Sie – und dieses Mal wirklich ergebnisoffen – den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. ({5}) Was den Antrag – klatschen Sie nicht zu früh – der AfD angeht, so lehnen wir ihn ab. ({6}) Warum? Weil wir einen Weiterbetrieb auf keinen Fall bis zum – und hier zitiere ich wörtlich aus Ihrem Antrag – „technisch sinnvollen Lebensende“ der Kernkraftwerke ins Auge fassen wollen und sollten. Vielmehr darf ein möglicher Weiterbetrieb nur eine Option für die Zeit der akuten Engpässe sein. CDU und CSU – das sage ich ganz ausdrücklich – halten am Ausstieg aus der Kernenergie fest. Sie von der AfD wollen das nicht, weil Sie in Ihrem Antrag auch den Neubau von Kernkraftwerken fordern. Das unterscheidet uns voneinander. ({7}) Auch deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Vielen Dank. ({8})