Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag wird heute die Einsetzung eines Hauptausschusses beschließen. Das ist geübte Praxis. Bereits 2013 und 2017 hat der Bundestag direkt nach der Wahl einen solchen Hauptausschuss eingesetzt.
Der Hauptausschuss soll den Zeitraum bis zur Konstituierung der ständigen Ausschüsse überbrücken. Er kann Vorlagen beraten, die ihm vom Plenum überwiesen werden, und er kann Beschlussempfehlungen für das Plenum erarbeiten. Damit sichert der Bundestag in einer Übergangsphase seine Handlungsfähigkeit. Es sollen diesem Ausschuss 31 Mitglieder angehören, und natürlich kommen dazu auch 31 stellvertretende Mitglieder. Die CDU/CSU-Fraktion möchte nun, dass nicht 31, sondern 39 Mitglieder in diesen Ausschuss berufen werden,
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mit dem Hauptargument, dass vor vier Jahren der Hauptausschuss auch größer gewesen sei, nämlich 47 Mitglieder gehabt habe. Natürlich wäre das eine gute Lösung für die Union, weil sie damit drei Mitglieder mehr benennen könnte. Ich glaube aber, dass 31 Mitglieder für den Hauptausschuss vollkommen ausreichend sind,
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und möchte das auch begründen.
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Der Hauptausschuss wird voraussichtlich nur zweimal regulär tagen und zudem zwei Anhörungen durchführen. Er wird nur zwei Gesetze, zwei Verordnungen und eine Vorlage beraten, und dafür, meine ich, sollten doch 31 Mitglieder ausreichen, zumal es ja auch – wie von mir schon erwähnt – 31 stellvertretende Mitglieder gibt. Der Hauptausschuss wird zudem nur kurz bestehen. Das war 2017 auch anders, weil damals aufgrund der schwierigen Regierungsbildung dieser Hauptausschuss für mehr als zwei Monate eingesetzt war. Wir wollen allerdings schon bereits Mitte Dezember die regulären Ausschüsse einsetzen. Mit der Einsetzung, mit der Konstituierung der ständigen Ausschüsse ist ja der Hauptausschuss automatisch aufgelöst. Sollte es dann noch irgendwelche unerledigten Vorlagen geben, werden die sofort an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.
Ich sichere zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Sollte es wider Erwarten – das ist wirklich ein sehr unwahrscheinlicher Fall – mit der Regierungsbildung doch länger dauern und der Beratungsbedarf im Hauptausschuss anwachsen, dann können wir jederzeit beschließen, diesen Hauptausschuss zu vergrößern. Dazu wären wir auch bereit.
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Im Moment sehen wir aber überhaupt keinen Anlass dazu. Und ich sage noch einmal: Ich glaube, 31 Mitglieder für diesen Hauptausschuss und dazu 31 stellvertretende Mitglieder sind ganz bestimmt ausreichend. Deswegen bitte ich um Zustimmung für unseren Antrag.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Michael Grosse-Brömer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schieder!
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– Konnten Sie mich nicht verstehen? – Doch.
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Was mich besonders gefreut hat, war der Hinweis: Es läuft alles gut bei den Koalitionsverhandlungen. – Als ich noch die Kollegin Baerbock vor Kurzem gehört habe, die NGOs würden aufgefordert, ein bisschen Druck zu machen auf SPD und FDP, hatte ich gedacht: Es stockt etwas. – Aber wenn es gut läuft? Alles bestens!
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Ich will eins vorwegsagen: Dieser Hauptausschuss ist ein bewährtes Mittel zu Beginn einer Wahlperiode. Wir als Union haben ihn 2013 und 2017 selbst genutzt. Wir haben uns den sogar ausgedacht. Damals hielten es manche Teile der Ampelkoalition für verfassungswidrig, einen solchen Ausschuss einzusetzen. Man muss nur lange genug abwarten, dann sieht man: Das Meiste, was sich die Union ausgedacht hat, ist doch letztlich gut und richtig und nutzbar.
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Wir stimmen also der Einsetzung eines Hauptausschusses absolut zu. Was wir ablehnen, ist allerdings ein Hauptausschuss in Schmalspurgröße, weil der Ampel ihr Koalitionszeitplan wichtiger ist als seriöse Parlamentsarbeit. Der Ausschuss ersetzt alle Fachausschüsse – das weiß auch jeder; das hat die Kollegin Schieder auch richtig gesagt – und übernimmt verfassungsrechtliche, rechtliche, gesetzliche Aufgaben des Europaausschusses, des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses, des Haushaltsausschusses. Laut Presse – daran halte ich mich – bereiten derzeit über 200 Frauen und Männer den links-gelben Koalitionsvertrag vor.
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Wenn dieser wichtige Hauptausschuss jetzt von 31 auf 39 Personen erweitert werden soll, dann haben Sie nicht ausreichend Personal.
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Also, das können wir nicht so ganz verstehen.
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Im Übrigen ist es ja so: Unsere Fraktion hat drei Personen weniger, als bei Ihnen den Vertrag vorbereiten, nämlich 197. Nach Ihrer Planung sollen davon acht Personen tatsächlich ordentliche Mitglieder im Hauptausschuss werden, mit den Aufgaben, die geschildert wurden. Da weiß ich nicht, wo die breite fachpolitische Basis ist, die im Zweifel ja auch Sie von diesem Ausschuss erwarten.
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Das ist nicht die richtige Art, mit uns umzugehen.
Besonders beachtlich bei den kleinen Ampellichtern, FDP und Grünen, ist ja auch, dass Sie in der vergangenen Legislaturperiode in unzähligen Reden Krokodilstränen vergossen haben,
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weil es bei der politischen und parlamentarischen Arbeit nicht immer darum geht, Minderheiten zu berücksichtigen.
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Na ja! Jetzt lehnen Sie konsequent jeden kleinen Wunsch – es geht um acht Personen – der Minderheit ab.
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Ich will jetzt nicht wieder von „Arroganz der Macht“ sprechen. Wahrscheinlich ändern Sie auch noch die Sitzordnung in diesem Bundestag, weil es Ihnen nicht passt, wo Sie sitzen.
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Das sind die wahren Probleme dieses Landes – wirklich! –: acht Leute zu wenig im Hauptausschuss, und Sie sitzen an der falschen Stelle.
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Fangen Sie mit der seriösen parlamentarischen Arbeit an. Ich bin dafür: Wir setzen den Hauptausschuss ein, aber lassen ihn durch unseren Änderungsantrag auch arbeitsfähig werden. Stimmen Sie ihm zu! Acht Personen mehr kann dieser Ausschuss nicht nur vertragen;
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es ist gut, wenn er acht Personen mehr hätte.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die nächste Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, spricht Britta Haßelmann.
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Danke. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, in der Tat: Die Einsetzung eines Hauptausschusses muss man sich gut überlegen. Wenn es vor einer Regierungsbildung eine Notwendigkeit gibt, muss man es machen. Das ist ein Prozess, den wir natürlich jetzt auch hier als mögliche neue Konstellation – Ampel – zu vollziehen haben; denn es werden wichtige Entscheidungen zu treffen sein, bevor ein Bündnis der Ampel geschlossen werden kann. Das weiß jede und jeder hier im Haus, und das weiß auch jede und jeder in der Öffentlichkeit. Die Fragen zum Infektionsschutzgesetz werden gleich beraten. Sie machen doch deutlich, dass es dazu einen Ausschuss braucht, der berät. Dass man Ausschüsse nicht komplett einsetzt, bevor eine Regierung steht, hat ja Michael Grosse-Brömer gerade erläutert. Das war die Praxis in den letzten 16 Jahren und überhaupt hier im Parlament.
Michael Grosse-Brömer, ich verstehe das: An eine neue Rolle muss man sich gewöhnen.
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Sagt Britta Haßelmann für ihre Fraktion, und sagt irgendwann sicher auch die CDU/CSU für sich.
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Aber ich entdecke jetzt wirklich den Skandal nicht, der hier aufgemacht wird.
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Deshalb rate ich: Bei aller Frage der Rollenfindung – das gilt für uns demnächst in der Regierung, das gilt für Sie in der Opposition –
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sollten wir doch das, was schwierig und von großer Tragweite ist, so benennen. An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Tatsache, dass man acht plus acht, also 16 Möglichkeiten hat, Sitze zu besetzen, für möglicherweise zwei Sitzungen eines Ausschusses, reduzieren wir mal den angeblichen Skandal,
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und den Skandal kann niemand entdecken.
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Sie haben acht Möglichkeiten, Sie können acht ordentliche Mitglieder benennen. Die anderen acht, die stellvertretenden Mitglieder, können sogar in den Ausschuss kommen. Es können sogar alle in den Ausschuss kommen – das ist nämlich die Rechtslage –; alle können zuhören und im Ausschuss anwesend sein. Es könnten auch 16 von Ihnen rotierend beraten, wenn es zu unterschiedlichen Themen Beratungen gibt. Deshalb seien Sie doch bitte so ehrlich und sagen sich selbst: Leute, wir haben 16 Besetzungsmöglichkeiten für einen Ausschuss, der zweimal tagt, wir können dort für mögliche Gesetzentwürfe, die diesen Ausschuss erreichen, alles abdecken. – Das sind vielleicht zwei oder drei. Und dann lassen wir alle zusammen mal die Kirche im Dorf und befassen uns in diesem Ausschuss mit inhaltlichen Themen.
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Als nächster Redner für die AfD-Fraktion Stephan Brandner.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen auf der Tribüne! Frisch getestet, gut gelaunt am 11.11. – was kann schöner sein, als hier am Rednerpult zu stehen? Gruß an die Karnevalisten im Lande am heutigen Tage, auch wenn es noch einige Stunden zu früh ist!
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Drei Anträge haben wir heute hier zu verhandeln: einen guten, einen, der so geht, und einen, der schlicht und ergreifend eine Frechheit darstellt. Der erste gute wird natürlich von der AfD-Fraktion mitgetragen. Auch für die Öffentlichkeit: Wir, alle Bundestagsfraktionen, haben gemeinsam einen Antrag eingebracht. Da geht es um das Berechnungsverfahren für die Stellenanteile der Fraktionen. Wenn das Frau Merkel mitbekommt, wird der Antrag wahrscheinlich am Ende für null und nichtig erklärt. Gleichwohl zeigen wir: Wir reichen Ihnen die Hand, wir arbeiten mit Ihnen zusammen, wenn es vernünftig ist. Und vernünftig ist nur dieser Antrag. Es tut mir leid, das hier so sagen zu müssen.
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Zum zweiten Antrag. Der geht so, was – das wurde schon ausgeführt – die Einsetzung von Hauptausschuss, Petitionsausschuss und Wahlprüfungsausschuss angeht. Das muss sein. Ob die Größen so sein müssen? Das sehen wir wie die CDU/CSU, weshalb wir dem Änderungsantrag der CDU/CSU zustimmen werden. Die Zahl von 31 Personen ist wieder genau die Schwelle, um die AfD kleinzuhalten. Da wird also gleich wieder das Berechnungsverfahren, das wir gemeinsam beschließen werden, missbraucht und gegen die AfD in Position gebracht. Das finden wir nicht gut; aber damit kann man leben. Es soll ja nur für eine kurze Zeit sein. Wir sind gespannt, wann Ihre Koalitionsverhandlungen zum Abschluss kommen.
Der dritte Antrag schließlich, meine Damen und Herren, ist schlicht und ergreifend eine Frechheit. Jährlich grüßt das Murmeltier. Es geht mal wieder um die Terminplanung des Deutschen Bundestages. 2022 sind die Abgeordneten der Altparteien, die hier sitzen, wieder die Faulheit in Person. Nur 21 von 52 Wochen – das sind 40 Prozent – sind als Sitzungswochen vorgesehen. Vorgesehen sind lediglich drei Sitzungswochen bis Ende Februar – in zwei Monaten drei Sitzungswochen! Opulente Karnevalspausen sind wieder als Reminiszenz an die frühere Bonner Republik vorgesehen. Zwei Monate Sommerpause wollen Sie machen, einen Monat Winterpause.
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Wir von der AfD beißen bei dem Versuch auf Granit, auch nur eine einzige Sitzungswoche mehr durchzusetzen.
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Wir sagen: Arbeiten für Deutschland, nicht faulenzen für Deutschland. Deshalb: Folgen Sie uns, seien Sie mit uns einer Meinung. Wir brauchen mehr Sitzungswochen in Berlin,
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und eine einzige sollte doch wohl drin sein.
Dabei müssen die Menschen draußen wissen: Eine Sitzungswoche – das hört sich jetzt an wie: von Montag bis Sonntag. Nein! Eine Sitzungswoche ist zurzeit ein Tag hier im Plenum. Die Länge der Sitzungswochen kann man also auch noch ausdehnen.
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Beschweren Sie sich dann am Ende nicht wieder, wenn die Sitzungen unseres Bundestages bis in die Nachtstunden gehen, wenn Sie sich lieber in die Karnevalsferien oder in die Sommerferien zurückziehen. Wir sagen: Arbeiten für Deutschland.
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Deutschland steht vor extremen Herausforderungen: Wir haben explodierende Sprit- und Energiepreise. Wir haben eine galoppierende Inflation. Wir haben einen weiteren Massenansturm, eine Masseneinwanderung an der Ostgrenze. Wir haben kollabierende Sozialsysteme. Wir haben eine gefährdete Energieversorgung. Das alles beschäftigt die Leute draußen, und Sie beschäftigen sich mit Karnevalspausen, Skiferien und Sommerpausen.
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Das ist ein Affront dem Wähler gegenüber, meine Damen und Herren.
Deshalb: Nicht Pause machen für Deutschland, sondern arbeiten für Deutschland, Sitzungswochen für Deutschland. Dafür stehen wir von der Alternative für Deutschland.
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Wir sind ein Arbeitsparlament und kein Teilzeitparlament. Also verhalten Sie sich auch so, und stimmen Sie unseren Anregungen zu, mehr Sitzungswochen durchzuführen.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin für die FDP-Fraktion Bettina Stark-Watzinger.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner, es ist ja interessant, dass Sie in Nichtsitzungswochen nicht arbeiten. Wir tun das.
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Ich rate Ihnen: Tun Sie das auch. Dann tun Sie unserem Land einen Gefallen.
Am 26. September haben die Bürgerinnen und Bürger den Bundestag gewählt. Sie haben zu Recht die Erwartung, dass jetzt zügig eine Bundesregierung gebildet wird. Die drei Partner, die zusammensitzen, gehen ernsthaft und zügig mit dieser Situation um. Lieber Herr Grosse-Brömer, das unterscheidet sich erfreulich von 2017. Deswegen werden wir in Kürze eine Regierung bilden.
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Aber die Sorgen und Nöte der Menschen machen natürlich nicht halt, sie stehen nicht still. Deswegen ist es richtig, dass wir heute den im Grundgesetz verankerten Petitionsausschuss einsetzen. Die Menschen dürfen sich an uns wenden, an ihre Volksvertreter. Die Demokratie macht keine Pause. Es ist gut, dass wir heute arbeitsfähig werden.
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Jetzt haben Sie schon viel über den Hauptausschuss und den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gesprochen. Der Hauptausschuss soll zweimal tagen. Er hat eine ganz bestimmte Tagesordnung, und er ist, wie schon gesagt wurde, mit 31 Mitgliedern und mit 31 Stellvertretern besetzt. Es sind 62 Vertreter hier aus diesem Haus: SPD 9, Union 8, Bündnisgrüne 5, FDP 4, AfD 3 und Linke 2.
Die Union bekommt 16 Vertreterinnen und Vertreter, die jederzeit ausgewechselt werden können. Sie können Ihre ganze Fraktion ein- und auswechseln. Wir haben das Heft des Handelns in der Hand, auch die Zusammensetzung dieses Ausschusses noch zu verändern. Deswegen gebe ich der Union den Rat: Mein Empfinden ist, dass die Menschen in diesem Land sich nicht damit beschäftigen wollen, was wir untereinander für Ränkespielchen treiben. Sie wollen nicht, dass wir uns mit uns beschäftigen. Sie wollen, dass wir uns mit dem Land beschäftigen. Da sollten wir heute anfangen. Wir sollten Lösungen finden. Ich würde mich freuen, wenn Sie das auch tun.
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Vielleicht zum Abschluss, weil Sie gesagt haben, wie schlecht Sie behandelt werden: 2017 haben Sie keine Aktuelle Stunde einer Oppositionspartei zugelassen.
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Wir geben Ihnen die Bühne für die Aktuelle Stunde hier und heute, damit Sie als Opposition sich äußern können. Deswegen würde ich sagen: Wer fair miteinander umgeht, kann auch erwarten, dass er danach ebenso behandelt wird.
Danke schön.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Jan Korte.
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Liebe Kollegin, bei den Aktuellen Stunden teilen nicht Sie zu, wer hier wann was machen darf,
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sondern das geht nach einem parlamentarischen Verfahren nach der Größe der Fraktionen.
Ihre Rede hat ja gewisse Widersprüche. Also, wenn ich mir hier die Rednerinnen und Redner der Ampel so anhöre – das ist ja irgendwie so eine Start-up-Truppe –,
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will ich dazu folgende Anmerkung machen: Wenn Sie wirklich sagen, es sei egal, ob der Hauptausschuss 31 Mitglieder hat, der tage eh nur zweimal und sei nicht besonders wichtig, dann fällt Ihnen doch wohl auch kein Zacken aus der Krone, wenn Sie einfach 8 Mitglieder mehr vorsehen.
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Das ist ein absoluter Widerspruch, was Sie hier erzählen. Das ist ja wirklich kleinkariert sondergleichen.
Ich möchte außerdem folgende Anmerkungen machen:
Erstens. Liebe designierte Ampelkumpels, ich bin schon sehr überrascht, dass Sie so sicher sind, dass an Nikolaus oder was weiß ich, wann das stattfinden soll, hier ein neuer Bundeskanzler von Ihnen gewählt werden soll. Also, da bin ich mir nicht sicher. Ihr habt ja jetzt in der Presse zum Beispiel mitbekommen, dass Bündnis 90/Die Grünen gerade aufgefallen ist, dass sie noch gar nichts Vernünftiges durchgesetzt haben, sondern dass die FDP alles diktiert. Deswegen ist doch gar nicht sicher, dass Sie das schaffen.
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– Ja, das ist einfach Sachlage.
Meine Fraktion sagt Folgendes: Wir halten den Hauptausschuss für ein durchaus diskussionswürdiges Instrument. Allerdings kann das nur eine kurze Übergangslösung sein. Wenn Sie bis Dezember nicht Ihre Koalition zusammengezimmert haben, dann müssen im Dezember sofort sämtliche Ausschüsse eingesetzt werden, um das hier in aller Klarheit einmal festzustellen. So muss das laufen.
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Ich möchte zum Zweiten anmerken: Wir sollten angesichts der Situation – vielleicht könnten wir das ja auch im Ältestenrat, Frau Präsidentin, mal ansprechen – darüber nachdenken, ob man sich jetzt nicht kurzfristig interfraktionell darauf verständigt, den Gesundheitsausschuss sofort einzusetzen. Ich glaube, das würde Sinn machen, auch als Zeichen an die Bevölkerung,
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dass wir hier nicht alle rumpennen wie die Bundesregierung.
Zum Dritten möchte ich etwas zu dem Änderungsantrag der CDU/CSU sagen. Also, die Linke entscheidet hier grundsätzlich immer nach Sacherwägungen.
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– Wieso? Michael Grosse-Brömer, pass auf! – Ich kann sagen: Wir finden den Antrag in Ordnung. Wir werden dem auch zustimmen; denn er beinhaltet eine Sacherwägung. Ich will auch begründen, warum wir da ganz objektiv sind:
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Egal ob 31 Mitglieder oder 8 mehr oder sogar 10 mehr, die Linke hat immer 2. Deswegen sind wir davon gar nicht betroffen. Dennoch gucken wir uns das an.
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– Ja, ich will das hier klar sagen. – Ich finde in der Tat, dass die beiden demokratischen Oppositionsfraktionen – wir müssen noch ein bisschen lernen, wie man das so macht – sich hier in solchen Fragen unterstützen müssen.
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Ich finde, es ist wirklich kein Problem.
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Nur weil von Ihnen 200, 300 Leute in irgendwelchen Verhandlungsgruppen rumrennen, kann es ja nicht sein, dass dieses Parlament hier nicht vernünftig arbeiten kann. Deswegen finde ich es überhaupt kein Problem, wenn die CDU/CSU ein paar Leute mehr drin haben soll. Also, ich verstehe das überhaupt nicht.
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Deswegen: Auf eine konstruktiv-kritische Zusammenarbeit in der Opposition! Da könnt ihr noch viel von uns lernen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Virus ist noch unter uns und bedroht die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger.
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Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir alle Maßnahmen ergreifen, um sicher zu sein, dass wir die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes schützen können.
Auch wenn die Lage anders ist, weil so viele geimpft sind, ist sie noch nicht gut,
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ganz besonders deshalb, weil bisher nicht genügend Bürgerinnen und Bürger von der Impfmöglichkeit Gebrauch gemacht haben. Deshalb müssen wir weiter vorsichtig sein. Wir müssen vorsichtig sein und bleiben und zum Beispiel dafür Sorge tragen, dass die Maskenpflicht weiter beachtet und durchgesetzt werden kann, beispielsweise bei Verkehrsbetrieben, und dass bei Veranstaltungen Abstandsregeln und Hygieneregeln gelten und dass Impfnachweise vorgelegt werden müssen. All die Dinge, die wir schon kennen, werden auch in nächster Zeit weiterhin erforderlich sein. Das ist ein Unterschied zwischen unserem Land und anderen Ländern, die sich entschieden haben, ganz auf solche Vorsichtsregeln zu verzichten. Wir halten sie für weiterhin erforderlich.
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Wir müssen darüber hinaus viele, viele weitere Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, damit wir durch diesen Winter kommen. Wir müssen unser Land gewissermaßen winterfest machen. Deshalb will ich über einige der Dinge und Maßnahmen sprechen, die jetzt erforderlich sind und über die in diesem Gesetzespaket zu entscheiden sein wird, und auch über die Maßnahmen, die darum herum auf den Weg gebracht werden und im Rahmen der Gesetzesberatungen noch dazukommen werden.
Das Allererste und Wichtigste ist: Wir dürfen nicht nachlassen bei dem Versuch, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu impfen. Es haben sich noch nicht alle überzeugt, dass das für sie richtig ist. Wir sollten eine große gemeinsame Kampagne starten, damit die Bürgerinnen und Bürger von dieser Impfmöglichkeit Gebrauch machen.
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Die Hausärzte impfen, und es gibt mobile Angebote. Wir brauchen wieder mehr Impfzentren. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie wieder eröffnet werden. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass die eröffneten Impfzentren gemeinsam, also auch mit Mitteln des Bundes, finanziert werden.
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Wir brauchen sie auch, weil wir jetzt alles dafür tun müssen, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger eine Auffrischungsimpfung bekommen, dass sie sich boostern lassen. Dass Millionen Bürgerinnen und Bürger die Auffrischungsimpfung bekommen, das ist die Aufgabe der nächsten Wochen und Monate.
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Auch dazu wird es erforderlich sein, dass wir diese Möglichkeiten haben: die Aktivitäten der Hausärzte, die mobilen Angebote und die Impfzentren. Wir sollten das möglich machen, was aktuell in einem gemeinsamen Schreiben des Bundesgesundheitsministers und der Ärzteverbände an alle Hausärzte und Ärzte formuliert worden ist, nämlich dass man nach sechs Monaten eine Auffrischungsimpfung erhalten kann und soll. Wir werden alles dafür tun, dass das auch tatsächlich überall in Deutschland möglich ist.
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Ganz besonders wichtig ist, dass wir jetzt dafür Sorge tragen, dass die Älteren schnell geimpft werden und die dritte Impfung bekommen, die Boosterimpfung. Darum will ich an dieser Stelle auch die Pflegeheime ansprechen, die so wichtig sind. Das war nicht zu ertragen, was wir am Anfang der Pandemie erlebt haben, nämlich dass so viele Bürgerinnen und Bürger erkrankt sind, die in den Pflegeheimen gelebt haben, und dass so viele gestorben sind. Das darf uns in diesem Winter nicht mehr passieren. Deshalb müssen wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit das nicht geschieht. Wer dort arbeitet und nicht geimpft ist, muss täglich getestet werden, und auch alle Besucherinnen und Besucher müssen getestet werden. Das ist für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, die in den Pflegeeinrichtungen leben, erforderlich.
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Natürlich müssen wir auch sicherstellen, dass überall in diesen Bereichen geboostert wird, dass die Impfungen durchgeführt werden. Das ist längst vereinbart und muss jetzt mit großer Geschwindigkeit geschehen. Die Geschwindigkeit muss eher zunehmen zu dem, was wir bisher haben. Deshalb bin ich sehr froh, dass es hier das Vorhaben gibt, dafür zu sorgen, dass die Durchsetzung des Boosterns, der Auffrischungsimpfung, in den Pflegeheimen gemonitort wird, sodass wir für jedes einzelne Pflegeheim wissen, wie weit es ist. Das ist die Aufgabe, die wir jetzt in ganz Deutschland durchsetzen müssen.
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Wir werden weiter dafür Sorge tragen, dass an den Schulen getestet wird.
Und wir müssen sicherstellen, dass die Arbeitsplätze sicher sind. Darum haben wir Gespräche geführt mit den Gewerkschaften, mit Betriebsräten, mit vielen anderen, mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und mit den Unternehmen, und wir sind sicher: Wir müssen eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme am Arbeitsplatz treffen. Deshalb wollen wir, dass in Zukunft an Arbeitsplätzen 3 G gilt. Am Arbeitsplatz muss man nachweisen, dass man geimpft ist, genesen oder negativ getestet. Das ist eine notwendige Verbesserung.
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Auch das muss jetzt geschehen: Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die mit dem neuen Gesetz verbunden sind. Dadurch werden den Ländern alle Kompetenzen eröffnet, damit sie differenziert nach einzelnen Bereichen Entscheidungen über 3-G-Konzepte treffen können, zum Beispiel für den Zutritt zu Gaststätten, zu Veranstaltungen, zu Geschäften und zu allem Möglichen. Aber sie können sich eben auch für 2 G entscheiden. Ich sehe, dass sich jetzt viele Länder auf den Weg gemacht haben und überall bei sich die Entscheidung treffen, dass sie insbesondere bei Gaststätten und Veranstaltungen, bei Kino- und Theaterbesuchen 2 G vorschreiben.
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Ich halte es für einen guten Fortschritt, dass das überall gemacht wird. Die Möglichkeiten dafür schaffen wir jetzt.
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Für all das, was jetzt notwendig ist, gilt aber eines ganz entschieden: Es muss auch umgesetzt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir im Hinblick auf die Altenpflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe das Monitoring machen. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir sicherstellen, dass in den Restaurants in Deutschland die Zutrittskriterien tatsächlich auch überwacht werden. Es kann nicht sein, dass wir solche Vorschriften haben und man dann, wenn man in ein Restaurant geht, merkt, dass sie nicht beachtet werden. Das gilt nicht für alle, aber das gilt an vielen Stellen.
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Damit man diesen Weg gehen kann, damit wir Deutschland winterfest machen können, ist es aber auch wichtig, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, die es für sie gestaltbar machen, damit umzugehen. Darum bin ich froh, dass wir uns gemeinsam zu der Einsicht vorgearbeitet haben, dass es notwendig ist, dass die Möglichkeit kostenloser Tests für die Bürgerinnen und Bürger wieder eröffnet wird.
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Wir werden jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es kostenlose Tests gibt, die zum Beispiel in Apotheken oder bei den Maltesern oder anderen Einrichtungen für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande verfügbar sind.
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Dann sind nämlich auch 3-G-Konzepte in den Betrieben und 2-G-Vorschriften und 3-G-Vorschriften möglich. All das kann man machen, wenn man Tests anbietet.
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Herr Scholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein. – Und dann, glaube ich, müssen wir uns natürlich damit auseinandersetzen, dass das Virus eben nicht weg ist,
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dass wir all diese Maßnahmen ergreifen müssen, aber es trotzdem dazu kommen wird, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger infizieren, ganz besonders diejenigen, die sich nicht haben schützen lassen und die nicht geimpft sind. Wir sind in der wirklich schwierigen Situation, dass wir genügend Impfstoff haben, dass jeder und jede sich impfen lassen könnte, aber dass es keineswegs alle gemacht haben bisher. Und wir wissen, was die Konsequenz sein wird: Sehr, sehr viele von denen, die nicht geimpft sind, werden sich infizieren,
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und viele von denen, die sich infizieren werden, werden krank werden, und von denen, die krank werden, werden einige auf den Intensivstationen unserer Krankenhäuser um ihr Leben ringen.
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Das ist die Situation, die uns bevorsteht. Deshalb müssen wir hier eine Abwägungsentscheidung treffen, eine Abwägungsentscheidung, wie wir uns trotz der Tatsache, dass die Impfangebote nicht wahrgenommen worden sind, um den Schutz des Lebens dieser Bürgerinnen und Bürger mit allen unseren Möglichkeiten kümmern. Das hat eine Konsequenz, nämlich die Konsequenz, dass wir sagen: Wir werden den Krankenhäusern die finanziellen Mittel geben, dass sie Operationen neu aufteilen können, dass sie Operationen, die verschiebbar sind, verschieben können, damit sie Platz haben für die Coronapatienten, die jetzt behandelt werden müssen. Denn bei allem, was man im Hinblick auf das Impfen unterschiedlich diskutieren mag: Wir müssen Schutz für die Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger bieten, und wir müssen ihnen diesen Schutz in den Krankenhäusern ermöglichen.
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Dazu dient das Gesetzespaket, das hier im Deutschen Bundestag zwischen den Parteien beraten wird.
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Ich will ausdrücklich sagen: Ich fände es sehr schön, wenn es parteiübergreifend getragen würde, weit über die Parteien hinaus, die die künftige Regierung bilden wollen. Das ist jedenfalls die Absicht, und ich möchte alle einladen, mitzumachen. In dieser Gesundheitskrise müssen wir über Parteigrenzen, über Regierung und Opposition hinweg zusammenarbeiten.
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Wir müssen und werden auch mit den Ländern und den Gemeinden darüber sprechen, was an zusätzlicher Unterstützung notwendig ist und wie wir all das, was jetzt hier möglich gemacht wird, auch umsetzen; denn es muss sich ja in der Wirklichkeit wiederfinden. Deshalb wird es auch – die Kanzlerin und ich sind darüber einig – in der nächsten Woche ein Gespräch, ein ganz klassisches Gespräch zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder geben, um die Umsetzungsschritte, die sich aus all dem, was hier auf den Weg gebracht wird, ergeben werden, genau zu besprechen.
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Das ist es, was wir jetzt brauchen: dass das Land zusammenhält und an einem Strang zieht, in die gleiche Richtung, damit wir diesen Winter überstehen.
Mein letzter Wunsch, an die Bürgerinnen und Bürger, die es bisher noch nicht gemacht haben: Lassen Sie sich impfen! Es ist wichtig für Ihre Gesundheit, und es ist wichtig für unser Land.
Schönen Dank.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Ehrhorn aus der AfD-Fraktion.
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Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich muss als Erstes voranstellen, dass ich es für sehr bedauerlich halte, dass selbst ein Bundesminister heute nicht mehr die Größe und den Mut hat, eine Zwischenfrage der AfD, die berechtigt ist, zuzulassen.
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Meine Frage, die Sie vielleicht nicht nur mir, sondern auch der Bevölkerung beantworten sollten, ist folgende: Wir haben ja nun alle gelernt, dass geimpfte Personen eine genauso hohe Virenlast tragen können wie ungeimpfte. Sie haben von der 3-G-Regelung am Arbeitsplatz geredet. Nun erklären Sie doch mal mir und auch der Bevölkerung, welchen Sinn es macht, dass geimpfte Personen nun nicht getestet werden müssen; denn sie können ja andere genauso gut anstecken wie ungeimpfte. Also ist doch die Frage: Warum ist es nicht so, dass entweder alle oder niemand getestet werden muss? Das versteht in der Bevölkerung wirklich niemand. Aber vielleicht können Sie diese Frage beantworten.
Danke.
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Herr Bundesminister, möchten Sie erwidern?
Ich möchte auf Ihre Frage gern antworten. Erst einmal ist es so, dass es wichtig ist, dass man sich impfen lässt,
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weil das dazu beiträgt, dass man geschützt ist vor dem Virus. Aber wir wissen: Das ist ja kein Raumanzug, den wir tragen, sondern das ist etwas, was unseren Körper in die Lage versetzt, mit einer lebensbedrohlichen Gefahr besser umzugehen.
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Dass das der Fall ist, das sehen wir an den ganz unterschiedlichen Krankheitsverläufen derjenigen, die infiziert sind, das sehen wir an der ganz unterschiedlichen Betroffenheit: Viel weniger Geimpfte sind betroffen von der Infektion als diejenigen, die sich nicht haben impfen lassen. Deshalb muss man festhalten: Ja, es ist es wichtig, sich impfen zu lassen.
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Es führt dazu, dass man mit der Sache besser umgehen kann und die Virenlast typischerweise geringer ist, weil der Körper schnell und zügig mit der Infektion umgehen kann.
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Erstens. Wer sich hat impfen lassen und sich trotzdem testen lässt – wie die meisten von uns ununterbrochen weiter getestet werden –,
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macht nichts falsch.
Zweitens. Ich teste mich mehrfach die Woche – ich mache das oft, weil ich zu Veranstaltungen gebeten werde und gesagt wird: „Lassen Sie sich bitte testen!“; das mache ich, trotz meiner Impfung –,
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und ich finde: Das können auch viele andere machen. Selbstverständlich: Wenn ein Besucher eine Altenpflegeeinrichtung betritt und sich testen lässt trotz seiner Impfung, dann ist das keine schlechte Sache. Also, das sollten wir schon alles mit im Blick haben.
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Was Sie machen, ist, merkwürdige Konstruktionen, die immer alle an der Sache vorbeigehen, zu fabulieren,
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Konstruktionen, die darüber hinwegreden, dass das Einzige, was dazu beitragen kann, dass wir die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes schützen können, darin besteht, dass sich möglichst viele impfen lassen. Und für jeden Einzelnen ist es auch die beste Lösung.
Schönen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Ralph Brinkhaus.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahlen, die uns heute Morgen erreicht haben, sind dramatisch: über 50 000 Neuinfektionen. Es ist so, dass die Hospitalisierungszahlen steigen. Es ist so, dass uns Hilferufe von den Intensivstationen erreichen, übrigens nicht nur von den Krankenhausleitern, sondern auch von den Pflegerinnen und Pflegern, die einfach nicht mehr können; das muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden. Wir haben eine viel zu hohe Todeszahl; sie hat sich gegenüber dem August verzehnfacht. Und wir sind in der Situation, dass noch viel zu wenig Menschen in diesem Land geimpft sind. Es ist so, dass die Drittimpfungen – ich mag nicht von „Boosterimpfungen“ sprechen; es sind Drittimpfungen – nicht gut genug organisiert sind. Das heißt, wir stehen vor einer riesigen Problemlage, wir stehen vor einer vierten Welle, wir sind in einer vierten Welle. Deswegen ist richtig, dass wir das nicht einfach durchlaufen lassen, sondern hier und heute im Deutschen Bundestag ernsthaft darüber debattieren. Das ist dringend, dringend notwendig.
Herr Scholz, ich finde es richtig, dass Sie sich als wahrscheinlich zukünftiger Kanzler endlich auch dieser Diskussion gestellt haben, dass Sie endlich etwas gesagt haben. Aber eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich konstatieren: Das war mehr eine Zustandsbeschreibung als eine kraftvolle politische Aussage.
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Es ist gut und richtig, dass wir uns die Zeit für diese Diskussion nehmen. Wir haben ja eben einen Hauptausschuss eingesetzt. Es ist richtig, dass wir auch eine Anhörung machen. Das ist alles gut. Es ist auch richtig – ich habe es gerade vernommen –, dass die Ministerpräsidenten sich jetzt endlich, nächste Woche, mit der Bundesregierung treffen. Das lag übrigens nicht an den CDU/CSU-Ministerpräsidenten, sondern – Herr Müller sitzt ja auch hier im Plenum – an den SPD-Ministerpräsidenten. Ich hätte es als respektvoll empfunden, wenn, bevor wir über dieses Gesetz abstimmen, bevor wir über dieses Gesetz beraten, die Ministerpräsidenten sich zusammengesetzt hätten, weil wir dieses Problem nur zusammen – Bund und Länder – lösen können, meine Damen und Herren.
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Aber nicht gut und richtig, Herr Scholz, ist das, was Sie hier als Gesetzentwurf eingebracht haben. Sie haben eine Sache konsequent ausgelassen: Sie haben den Menschen in diesem Land nicht verraten, dass es Ihr Wunsch ist, dass es der Wunsch der Ampel ist, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite – die Grundlage, die rechtssichere Grundlage, die verlässliche Grundlage für unsere Pandemiepolitik – auslaufen soll. Darüber haben Sie kein Wort verloren.
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Bevor jetzt irgendwelche Zweifel kommen, ob wir die epidemische Lage wirklich brauchen, zitiere ich aus dem Infektionsschutzgesetz, das wir haben. In § 5 heißt es dort:
Eine epidemische Lage von nationaler Tragweite liegt vor, wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht, weil ... eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht oder stattfindet.
Meine Damen und Herren, wie ist denn die Situation? Ist hier irgendjemand – außer der AfD – der Meinung, dass Covid nicht übertragbar ist?
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Ist hier irgendjemand der Meinung, dass Covid nicht bedrohlich ist? Ist hier irgendjemand der Meinung, dass wir keine dynamische Entwicklung haben? Also, das ist doch eine Realitätsverweigerung!
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Deswegen werden wir uns dafür einsetzen – das sage ich ganz klar –, dass die epidemische Lage auch verlängert wird.
Herr Brinkhaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kubicki von der FDP-Fraktion?
Nein, er kann gleich eine Kurzintervention machen.
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Das ist aber nicht der einzige Punkt. Das Zweite ist: Wenn man sich den Gesetzentwurf ansieht, was darin vorgebracht, was darin gefordert wird, dann muss man feststellen, dass die Länderrechte – Herr Ramelow ist anwesend – geschwächt werden. Den Ländern wird Flexibilität genommen. Den Ländern werden Handlungsoptionen genommen. Das geht doch nicht, meine Damen und Herren! Wir sind in einer Krise. Die Länder müssen Handlungsoptionen haben, um entsprechend gegen diese Coronakrise vorgehen zu können.
Ein weiterer Punkt. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf – das muss man auch sagen – viele Dinge, die wichtig sind. Aber, Herr Scholz, Sie sprachen gerade von Krankenhausfinanzierung. Warum haben Sie das nicht in den Gesetzentwurf hineingeschrieben? Das wird jetzt irgendwo nachgeliefert. Ich meine, man kann von zukünftigen Regierungsparteien, die in Koalitionsverhandlungen sind, in dieser Krise erwarten, dass sie sauber liefern. Hier ist nicht sauber geliefert worden, meine Damen und Herren.
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Wenn man das Ganze bewertet, dann muss man sagen: Das, was Sie da aufgeschrieben haben, ist dünn, wirklich dünn. Kommunikativ wird außerdem das völlig falsche Signal gesendet. Dadurch, dass Sie die epidemische Lage von nationaler Tragweite aufheben, sagen Sie doch den Leuten: Es ist nicht mehr so schlimm. Es ist nicht mehr so wichtig, dass wir den gesamten Katalog haben. – Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen den Menschen sagen: Ihr müsst noch achtsamer sein. Ihr müsst noch vorsichtiger sein. Wir müssen gut durch diese Krise kommen. – Aber das geht doch nicht, wenn ich solche Signale setze.
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Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir jetzt zweigleisig fahren. Ja, wir sind eine konstruktive Opposition, und ja, Herr Scholz, wir sind daran interessiert, weil es im Interesse des Landes ist, ein vernünftiges Ergebnis hinzubekommen. Wenn Sie nicht bereit sind – aber vielleicht erklärt das gleich noch einer von den Rednerinnen und Rednern –, die epidemische Lage zu verlängern, dann machen Sie wenigstens ein vernünftiges Gesetz. Ein vernünftiges Gesetz zu machen, bedeutet, dass die Länder mehr Flexibilität brauchen und nicht mit einem abschließenden Katalog arbeiten müssen; denn das wird ihnen die Handlungsoption für eine konsequente Krisenbekämpfung nehmen. Sie müssen dann auch alles in dieses Gesetz hineinschreiben, was notwendig ist. Dann müssen Sie uns auch sagen, welche Vorstellung Sie haben, wie zukünftig 2 G und 3 G gehandhabt werden sollen.
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Dann müssen Sie uns sagen, wie Sie es sich vorstellen, dass der Schutz am Arbeitsplatz konsequent sichergestellt wird. Das sind doch die Fragen, die wir uns stellen müssen, damit wir eine konsequente Pandemiebekämpfung hinbekommen.
Dass wir eine konsequente Pandemiebekämpfung brauchen – Sie haben das angesprochen –, das sind wir diesem Land und insbesondere zwei Gruppen in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen, schuldig. Wir haben viele Dinge richtig gemacht. Was wir nicht richtig gemacht haben, ist: Wir haben im letzten Dezember und im letzten Januar die Menschen in den Pflegeheimen nicht schützen können. Deswegen der dringende Appell, auch an die Seite der Länder: Wir müssen alles dafür tun, damit das, was im Dezember letzten Jahres und im Januar dieses Jahres passiert ist, nicht noch einmal passiert.
Wir haben eine zweite ganz große Schuld, nämlich Schuld gegenüber den jungen Menschen.
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Das ist die Schuld gegenüber den jungen Menschen, die nicht in die Kitas, nicht in die Schulen gehen konnten, die nicht studieren konnten, die auf viel verzichten mussten.
Meine Damen und Herren, wir sind es diesen Menschen schuldig, dass wir alles dafür tun, dass wir schnell und gut durch diese vierte Welle kommen. Dieses Gesetz, das Sie hier vorlegen, trägt nicht dazu bei. Deswegen gibt es da noch etwas nachzuarbeiten.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckhardt.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brinkhaus, wir haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, nachdem klar ist, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen wird. Wir mussten diesen Entwurf hier vorlegen, weil eben nichts vorbereitet worden ist – nichts von Ihnen, nichts von der Vorgängerregierung und nichts vom Bundesgesundheitsminister.
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Es war der Bundesgesundheitsminister, der in diesem Sommer gesagt hat: Wir können das Auslaufen der epidemischen Lage gewährleisten. – Das ist die Realität!
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Wir haben die Situation, dass bei Weitem nicht genügend Menschen in diesem Land geimpft sind – in der Tat. Der Gesundheitsminister, der noch amtiert, hat immer gesagt: Alle haben ein Impfangebot bekommen. – Aber wo war denn das Gespräch mit denjenigen, die dieses Angebot nicht wahrgenommen haben? Das müssen wir jetzt nachholen, das müssen wir jetzt nacharbeiten bis zum Thema „dritte Impfung“. Sie können sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen, Herr Brinkhaus. Das ist schäbig, und das ist verantwortungslos.
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Wir haben wirklich eine dramatische Lage. Die Ansteckungszahlen liegen weit über dem, was wir einfach hinnehmen könnten. Wir müssen jetzt darauf reagieren mit Maßnahmen, die erstens wirksam und zweitens rechtssicher sind. Ich finde es nicht sinnvoll, dass wir uns hierhinstellen und sagen: „Wir machen mal Maßnahmen“, und die werden dann von Gerichten wieder gekippt.
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Das führt zu neuer Verunsicherung. Diese können wir uns nicht leisten, meine Damen und Herren.
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Wenn Sie heute in die Krankenhäuser schauen, wenn Sie in die Pflegeheime schauen, ja auch in die Schulen und Kitas, dann sehen Sie: Dort arbeiten Menschen wieder oder immer noch am Limit. Das müssen wir ernst nehmen. Wir müssen den Krankenhäusern helfen. Wir müssen klar sein beim Schutz der Menschen in den Pflegeheimen. Wir müssen klar sein dabei, dass es nicht wieder die Kinder und Jugendlichen sein können, die zuerst zu Hause bleiben müssen. Deswegen brauchen wir eben auch viel mehr Schutz am Arbeitsplatz. Das ist übrigens auch etwas, was Sie bisher nicht gemacht haben. Ich hätte es mir sehr gewünscht, dass klar ist: Kinder zuerst!
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Herr Brinkhaus, am 22. Oktober hat die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten
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den Deutschen Bundestag aufgerufen und gebeten, ein Gesetz vorzulegen. Genau das machen wir jetzt.
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– Nein, die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hat gesagt, sie brauchen einen Rahmen. Diesen Rahmen legen wir jetzt hier vor, und wir diskutieren ihn.
Das machen wir nämlich auch anders als in der Vergangenheit.
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Wir sagen, diese Diskussion gehört hierher, ins Parlament. Beschlüsse sind nicht mehr vorher in Stein gemeißelt, und man muss hier einfach die Hand heben, nein, das diskutieren wir hier gemeinsam und besprechen es mit Expertinnen und Experten in der Anhörung, mit den Leuten aus der Praxis, die Erfahrungen haben, natürlich auch mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Olaf Scholz hat das angekündigt – zu Recht. Wir müssen zu einer gemeinsamen Haltung, zu einer gemeinsamen Lageeinschätzung, zu gemeinsamem Handeln kommen. Dazu kann ich Sie nur aufrufen und Sie bitten, nicht billige parteipolitische Aktionen zu machen.
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Wenn ich mir anschaue, worum es geht, dann sage ich: Wir sind solche rechtssicheren wirksamen Maßnahmen schuldig, gerade denjenigen, die in den Krankenhäusern arbeiten, in den Pflegeheimen, in den Schulen lernen. Die Inzidenz bei denen, die nicht geimpft sind, ist ungefähr 20-mal höher ist als bei denen, die geimpft sind.
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Die Situation ist so, dass wir nicht einfach sagen können: Es ist egal, ob jemand geimpft ist. Das werden Gerichte nicht zulassen. Deswegen müssen wir alle möglichen Maßnahmen ergreifen. Wir reden gerne weiter darüber, wie der Katalog erweitert werden kann. Wir reden gerne über die Maskenpflicht, über die Frage, wie wir beim ÖPNV verfahren, über die Frage, wie wir Veranstaltungen eingrenzen. Natürlich brauchen wir 2 G. Das ist eine der wirksamen Maßnahmen, die wir jetzt machen können. Natürlich brauchen wir das alles.
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Wenn Sie weitere Vorschläge haben, dann reden wir auch darüber sehr gerne. Ich finde, das gilt auch für Diskussionen, die uns gerade der Ethikrat und die Leopoldina auf den Tisch gelegt haben. Sie stellen nämlich die Frage, wie es eigentlich mit einer Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen ist, die für Pflegende, für andere vulnerable Gruppen da sind? Ich finde, dieser Diskussion können wir uns nicht entziehen. Wir müssen zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
Aber eine Impfung wirkt natürlich erst in vielen, vielen Wochen. Deswegen brauchen wir jetzt verlässliche Testregimes für alle, die in diese Einrichtungen gehen, und deswegen ist es notwendig, dass es wieder kostenlose Tests für die Bürgerinnen und Bürger gibt.
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Ich finde es eine wirklich krasse Entscheidung, dass die abgeschafft worden sind. Wir könnten jetzt besser und weiter sein, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
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Deswegen sage ich Ihnen: Das, was wir jetzt rasch tun müssen und selbstverständlich mit den Ländern besprechen, ist das, was für Sicherheit in unserem Land sorgt. Alle hier – bis auf Sie ganz rechts – machen sich, glaube ich, große Sorgen darüber, wie die nächsten Wochen aussehen werden, und natürlich hätten wir uns alle gewünscht, wir könnten entspannt aufs Weihnachtsfest blicken. Das werden wir nicht tun können, und deshalb mein Aufruf: Lassen Sie uns mit den Expertinnen und Experten diskutieren, lassen Sie uns hier im Parlament diskutieren!
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Lassen Sie uns aufhören, parteipolitisch hin und her miteinander eine Auseinandersetzung auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten, die jetzt auf den Intensivstationen liegen, und der Pflegerinnen und Pfleger zu führen! Lassen Sie uns keine Diskussion auf dem Rücken derjenigen führen, die die Schwierigkeiten in dieser Pandemie aushalten müssen!
Deswegen meine große Bitte: Die Debatte sollte hier stattfinden. Wir sollten dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land geschützt sind, dass die Arbeitsplätze sicher sind, dass die Pflegeheime sicher sind, dass die Kinder und Jugendlichen weiter in Kita und Schule gehen können und dass die Intensivstationen in unserem Land alle Unterstützung dafür bekommen, dass sie diese so wichtige Arbeit auch ausreichend machen können. Wir müssen dafür sorgen, dass die Lage, in der wir sind, ernst genommen wird und dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden. Dafür stehen wir bereit, dafür wollen wir hier in diesem Parlament diskutieren, und dafür laden wir die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in diesem Land, also die Länder, und auch Sie ein.
Übrigens: Wir haben hier der Feststellung einer epidemischen Lage viermal zugestimmt – beim fünften Mal nicht. Jetzt sind Sie am Zug, zu sagen: Ja, wir übernehmen auch gemeinsam Verantwortung für dieses Land. – Das ist das, was der Lage angemessen ist.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP legen Ihnen heute ein neues Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Corona vor. Es löst das alte Maßnahmenpaket ab. Der Name dieses alten Maßnahmenpakets führt immer wieder zu Missverständnissen. Manchmal hat man den Eindruck, dass diese Missverständnisse bewusst geschürt werden.
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Das alte Maßnahmenpaket enthält den Ausdruck „epidemische Notlage von nationaler Tragweite“. Wir wollen dieses alte Maßnahmenpaket jetzt ablösen. Manchmal hat man den Eindruck, dass so getan und behauptet wird, wir würden damit sagen, Corona sei vorbei, und wir würden nicht auch robuste Maßnahmen gegen diese Krankheit ergreifen wollen. Ich möchte an dieser Stelle mal eines sagen: Wir können über jedes einzelne Element hart in der Sache diskutieren, aber Lügen und Fake News gehören in den Instrumentenkasten
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von Diktatoren und Populisten und nicht in die Debatte zwischen aufrechten Demokraten.
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Dass das alte Maßnahmenpaket nicht so bleiben konnte, wie es war, ist eine Frage der Wahrhaftigkeit. Ich will Sie daran erinnern: Erst zu Beginn des letzten Monats hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Ausgangssperre gekippt. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat gesagt, dass eine Ausgangssperre selbst zu einem Zeitpunkt, als es noch keinen Impfstoff in ausreichender Menge gab, nicht mehr verhältnismäßig war. Deshalb würde er auch heute wieder so urteilen. Auch heute wäre dieses Instrument nicht mehr verhältnismäßig. Wer das ignoriert, ignoriert die Anforderungen unseres Grundgesetzes. Ich finde, wir müssen auch in der Krise unser Grundgesetz respektieren, damit wir das bleiben, was wir sind und was wir sein wollen, nämlich ein freiheitlicher Rechtsstaat.
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Wir legen mit dem neuen Maßnahmenpaket robuste Maßnahmen für die Bekämpfung von Corona vor. Wir ermöglichen es den Ländern, auf rechtssicherer Grundlage all die physikalischen Infektionsbarrieren aufzubauen, die sie brauchen:
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Maskenpflicht, 3 G, Abstandspflichten, Hygienekonzepte – auch welche, die behördlich durchgesetzt werden können. Das legen wir auf den Tisch, und wir gehen über das hinaus, was in der Vergangenheit Pflicht war. Es wird immer so getan, als sei das nur ein Minus. Es ist dort ein Minus, wo es verfassungswidrig wäre, aber es ist dort ein Mehr, wo wir als Land versagt haben.
Herr Brinkhaus, ich gebe Ihnen recht: Unser Land hat versagt beim Schutz der Älteren. Aber wenn Sie mit einem Finger auf uns zeigen, die wir in den letzten Jahren aufgrund der Konstellation nicht in Verantwortung waren, dann müssen Sie mal erkennen, dass an der Hand, mit der Sie mit einem Finger auf uns zeigen, gleichzeitig drei Finger auf Sie zurück zeigen. Das macht Ihren Beitrag nicht zu einem guten Beitrag in dieser Debatte.
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Wir werden für 3 G sorgen, und wir liefern auch eine Rechtsgrundlage für 2 G. Wir werden über Testpflichten in den Alten- und in den Pflegeheimen sprechen. Da hat unser Land versagt.
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Es gibt Bundesländer, in denen die Toten zu fast 90 Prozent aus den Alten- und aus den Pflegeheimen kommen. Wer da sagt, dass das Instrumentarium, das wir jetzt ablösen, ein gutes war, der verkennt die Realität, Herr Brinkhaus, und das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen.
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Nachdem wir einige Dinge klargestellt haben, will ich zum Schluss noch zwei Anmerkungen machen.
Erstens. Ich möchte mich ausdrücklich bei Bundesminister Scholz dafür bedanken, dass er seine Vorstellungen zur Pandemiepolitik hier vorgestellt hat; denn das gehört in den Deutschen Bundestag, in die Herzkammer der Demokratie. Deshalb war es richtig, das hier zu tun.
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Zweitens möchte ich sagen: Wenn jetzt ein Maßnahmenpaket in einer der umstrittensten Fragen unseres Landes vorliegt, dem sowohl Wolfgang Kubicki als auch Karl Lauterbach, also zwei so unterschiedlich denkende Leute, übereinstimmend das Prädikat erteilen, dass man damit die Pandemie erfolgreich bekämpfen kann und wir damit ein geeignetes, gutes und rechtssicheres Paket haben, dann sollte sich vielleicht der eine oder andere einen Ruck geben und über seinen parteipolitischen Schatten springen.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Sebastian Münzenmaier.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man höre und staune: Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Deutsche Bundestag feststellen, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite abgeschafft wird.
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Millionen von Menschen haben darauf gewartet; denn man hat ihnen versprochen, dass mit dem Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite auch die Freiheitseinschränkungen, aufgehoben werden, Freiheitseinschränkungen, die viele Bürger massiv getroffen haben, die Existenzen vernichtet haben und die zu unzähligen Kollateralschäden geführt haben. Heute könnte für viele dieser Menschen also ein Tag der Freiheit werden, ein Freedom Day, wie ihn etliche andere Länder bereits gefeiert haben.
Wenn man sich Ihren Entwurf aber einmal genauer anschaut, dann stellt man fest: Sie streichen zwar den Ausdruck „epidemische Lage“, aber die Maßnahmen sollen bleiben. Die können jetzt – das fordern Sie wortwörtlich so – „unabhängig“ davon getroffen werden, ob eine solche Lage überhaupt vorliegt.
Sie setzen im vorliegenden Gesetzentwurf ja noch einen drauf! Sie reden hier zwar munter vom Parlament und den Diskussionen im Parlament, aber erstens ist die nächste Klüngelrunde schon geplant – wir haben es gehört: der Ministerpräsidentenstammtisch soll wieder zusammentreten –, und zweitens wollen Sie mit diesem Gesetzentwurf verstetigen, dass es auf die Entscheidung des Bundestages nicht mehr ankommt. Außerdem wollen Sie die Beteiligung der Landesparlamente auch noch aushebeln. Damit degradieren Sie die Herzkammern unserer Demokratie erneut zu Statisten. Dieses undemokratische Verhalten wird von unserer Fraktion abgelehnt.
({1})
Der vorliegende Gesetzentwurf – wir haben es ganz deutlich hier vom Rednerpult, von Herrn Scholz und Frau Göring-Eckardt, gehört – wird zu zwei Dingen führen: zu einer extremen Ausweitung der 2-G-Regelung in etlichen Bundesländern und darauf aufbauend zu einem weiteren massiven und unanständigen Druck auf Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht impfen lassen wollen.
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Wir als AfD-Fraktion haben im Vergleich zu Ihnen allen ein anderes, ein freiheitliches Menschenbild. Für uns ist die Impfung eine persönliche Entscheidung eines jeden Bürgers. Diese Entscheidung muss freiwillig und ohne direkten oder indirekten Zwang erfolgen.
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Wundern Sie sich denn nicht, dass die Bürger draußen Ihnen schlicht und ergreifend nichts mehr glauben? Die STIKO zieht gerade die Impfempfehlung für unter 30-Jährige mit dem Impfstoff von Moderna aufgrund von Nebenwirkungen zurück – für einige wohl zu spät, meine Damen und Herren. Die Boosterimpfung oder Drittimpfung, die von Ihnen auch heute wieder als Weg aus der Pandemie propagiert wird, wird von der Fachwelt immer noch nicht für die Gesamtbevölkerung empfohlen. Das ist schlicht und ergreifend Unfug. Die Einzigen, die es empfehlen, sind die selbsternannten Virologen hier im Deutschen Bundestag, die meinen, sie müssten der Bevölkerung erklären, was für sie gut und richtig ist.
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Das aktuellste und unsinnigste Beispiel Ihrer Coronapolitik der Widersprüche ist die sogenannte 2-G-Regel. Diese Regel ist schlicht und ergreifend sinnlos; denn sämtliche wissenschaftliche Erkenntnisse haben uns gelehrt, dass auch Geimpfte und Genesene ansteckend sein können. Diese Menschen, Geimpfte und Genesene, wiegen sich also ohne Test in geschlossenen Räumen und auf Großveranstaltungen in vermeintlicher Sicherheit und stecken andere Personen an, während negativ getestete Menschen, die nachweisen können, dass sie nicht ansteckend sind, draußen bleiben müssen. Da geht es Ihnen nur um Impfdruck. Denn ginge es Ihnen tatsächlich um eine Maßnahme des Infektionsschutzes, dann müssten Sie, wenn überhaupt, alle Anwesenden ohne Ansehen des Impf- oder Genesenenstatus testen, meine Damen und Herren.
({5})
Oder um es mit den Worten des ehemaligen Chefvirologen der Charité, Professor Krüger, zu sagen: „2G ist nicht sicherer – aber unfreier.“
Wir als AfD-Fraktion lehnen auch weiterhin Ihre Ideen der Unfreiheit und des Zwangs ab und stehen stattdessen für eine Rückkehr zu Freiheit, zu Eigenverantwortung und zu vernunftbasierter Politik.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Susanne Ferschl.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geht natürlich heute nicht darum, die Pandemie für beendet zu erklären. Das wäre angesichts der dramatischen Infektionszahlen auch ziemlicher Quatsch. Es geht um die Beendigung dieses juristischen Konstrukts, mit dem das Regieren per Verordnungsermächtigungen möglich ist. Damit muss Schluss sein, und das finden wir auch gut.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, FDP und Grünen, Sie betreiben schon auch ein bisschen Symbolpolitik, weil natürlich die Länder weiterhin Maßnahmen ergreifen müssen; der amtierende Bundesratspräsident sitzt heute auch hier. Sie werden Maßnahmen ergreifen müssen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen.
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Die Symbolpolitik darf nur nicht dazu führen, dass man den Menschen etwas vorgaukelt.
Sie, Kollege Buschmann, haben ja versprochen, dass mit dem 20. März alle Maßnahmen beendet sein werden. Seit Monaten wird den Menschen erzählt: Wenn ihr dieses und jenes macht, dann ist die Pandemie bald vorbei. – Ich glaube, die Leute haben einfach den Kanal voll von diesen leeren Versprechungen.
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Deswegen sollten wir alle im Zweifelsfall mal die Klappe halten.
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Es ist die vierte Welle, und es ist das vierte Mal, dass die Verantwortlichen warten, bis die Welle über ihnen zusammenschlägt. Verantwortlich ist die noch amtierende Bundesregierung, der noch amtierende Gesundheitsminister Spahn. Ich muss schon sagen: Es war heute für mich so ein bisschen absurdes Theater. Herr Scholz, ich weiß nicht: Waren Sie in den letzten Jahren nicht in der Regierungsverantwortung? Warum haben Sie denn die ganzen Dinge nicht gemacht, die Sie vorgeschlagen haben?
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Herr Brinkhaus spricht von „Schuld“. Ja, warum haben Sie denn nicht alles das gemacht, wovon Sie jetzt die ganze Zeit hier erzählt haben?
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Es ist ein Versagen in Reihe gewesen, was hier passiert ist, angefangen mit der Abschaffung der kostenlosen Tests. Die vierte Welle war doch absehbar. Auch Geimpfte und Genesene können den Virus weitergeben. Da muss man doch mehr testen und nicht weniger. Also, das war doch eine absurde Entscheidung.
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Oder die zu niedrige Impfquote: Wo war denn Ihre Impfkampagne mit aufsuchenden und niedrigschwelligen Impfangeboten? Andere Länder zeigen, dass es deutlich besser geht.
Dann die fehlende Boosterimpfung für die über 60-Jährigen und die vulnerablen Gruppen. Die müssten doch alle schon ein drittes Mal geimpft sein. Die Erfahrungen aus Israel zeigen doch, dass der Impfschutz nachlässt. Statt zu reagieren, haben Sie auch noch die Impfzentren abgeschafft. Jetzt kommen die Hausärzte nicht hinterher mit Impfen. Das ist wirklich unfassbar.
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Was haben Sie eigentlich in all der Zeit getan, um den Pflegenotstand wenigstens zu lindern? Es stehen jetzt noch weniger Intensivbetten zur Verfügung als Anfang des Jahres, weil die Kolleginnen und Kollegen in der Pflege so überlastet sind, dass sie weiterhin aus dem Beruf flüchten. Ich wünsche an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst in den Ländern, die jetzt im Streik sind, viel Durchhaltevermögen und viel Erfolg; denn eure Arbeit ist mehr wert.
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Liebe Ampel, notwendig sind jetzt Sofortmaßnahmen. Die Rückkehr zu den kostenlosen Tests ist schon beschlossen – das ist auch gut so –: eine lückenlose Testpflicht, unabhängig vom Impfstatus, insbesondere in Pflegeeinrichtungen. Wir dürfen die Menschen nicht erneut einsperren. Auch die Arbeitgeber müssen beim Arbeitsschutz in die Pflicht genommen werden. Auch 3 G mag Sinn machen, aber unter Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften. Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber den Impfstatus erfragt. Da sind wir an der Seite der Gewerkschaften.
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Im Übrigen geht es selbstverständlich um Impfen, Impfen, Impfen. Aber eines ist auch klar – damit bin ich dann am Ende –: Wir brauchen Investitionen ins Gesundheitswesen, in Kitas, in Schulen, in die öffentliche Daseinsvorsorge insgesamt. Denn eine Gesellschaft, die nur auf Profit getrimmt ist, wird immer pandemieanfällig bleiben.
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Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dirk Wiese.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal, dass am heutigen Tag der Gesetzentwurf der möglichen zukünftigen Ampelkoalitionäre hier eingebracht wird. Wir zeigen mit diesem Gesetzentwurf, dass wir in einer nicht einfachen Situation Verantwortung übernehmen, auch über den 25. November hinaus, vor allem rechtssichere Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die nicht vor einem Gericht scheitern, die nicht wieder infrage gestellt werden, die nicht morgen wieder nachgebessert werden, sondern die den Ländern einen Instrumentenkasten an die Hand geben, in dieser Situation zu reagieren, darauf zu antworten. Diese Möglichkeit geben wir ihnen mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute auf den Weg bringen.
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Ich möchte an dieser Stelle auch die Möglichkeit nutzen, einmal denjenigen Danke zu sagen, die jetzt in den Krankenhäusern diejenigen mit schweren Verläufen pflegen und sich um sie kümmern. Diese Pflegerinnen und Pfleger in den Krankenhäusern, die Ärztinnen und Ärzte leisten seit Beginn dieser Pandemie eine unglaubliche Arbeit. Ja, das sind schwierige Arbeitsbedingungen, ja, das ist herausfordernd; wir wissen das. Hier ist einiges zu tun. Mein großer Respekt für das, was dort wieder täglich geleistet wird – gerade jetzt, wo es in einigen Krankenhäusern auch schwieriger wird.
({1})
Ich kann auch die Sorgen der vielen Eltern verstehen, die momentan aufgrund der Situation unsicher sind, dass die Schülerinnen und Schüler bis zur Vollendung des elften Lebensjahres noch nicht geimpft werden können, dass man sich angesichts des täglichen Gangs der Kinder in die Schule Gedanken und Sorgen macht. Aber auch hier ist es wichtig, dass wir als Ampel und zukünftige Ampelkoalitionäre Maßnahmen auf den Weg bringen, um Auflagen gerade für Gemeinschaftseinrichtungen möglich zu machen oder weiter zu ermöglichen.
Ich muss auch ganz klar sagen: Ich bin manchmal etwas überrascht, dass das eine oder andere Bundesland in dieser Situation die einfache Maßnahme, die sehr zielgerichtet ist, nämlich die Maskenpflicht an Schulen, vielleicht etwas vorschnell aufgehoben hat. Hier wünschte ich mir, gerade die Möglichkeiten, die es jetzt per Gesetz gibt und die es zukünftig geben wird, auch anzuwenden. Das sind einfache Schutzmaßnahmen. Sie können helfen, und sie sollte man nicht vorschnell aufheben.
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Ich bin Olaf Scholz dankbar dafür, dass er das, was wir vorhaben, und die Richtung, in die es gehen soll, heute zuerst hier im Deutschen Bundestag erläutert hat. Olaf Scholz hat es angesprochen: Das Entscheidende ist, dass wir bei den Impfungen vorankommen, dass wir einen Zahn zulegen, dass wir auch mit Praktikern ins Gespräch kommen, um zu erfahren: Welche kreativen Lösungen gibt es eigentlich noch, um diejenigen zu erreichen, die noch nicht den Entschluss gefasst haben, sich impfen zu lassen?
Darum ist es auch ein Signal, dass wir als zukünftige Ampelkoalitionäre ein Praktiker-Panel auf den Weg bringen – es wird morgen im Deutschen Bundestag stattfinden –, bei dem wir die Expertise der vielen einholen wollen, die täglich draußen unterwegs sind, die in einigen Regionen durch kreative Lösungen zu hohen Impfquoten kommen. Es muss ein Ziel sein, diese Expertise in das laufende Verfahren einfließen zu lassen.
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Wir bringen mit dem Gesetzentwurf zielgerichtete Maßnahmen auf den Weg – ja, auch mit Änderungsanträgen –: eine Testpflicht, 3 G am Arbeitsplatz, die Ermöglichung von 2 G und 3 G in den Bundesländern. Ich will das mal ganz deutlich sagen: Es ist ja nicht so, dass die Länder nichts gemacht haben in der letzten Zeit. Wir hatten eine sehr wichtige Gesundheitsministerkonferenz der Länder, in der von den Ländern wichtige Beschlüsse – auch Richtung Bundesregierung – gefasst worden sind. Wir werden diese in das laufende Gesetzgebungsverfahren aufnehmen bzw. einfließen lassen und an der ein oder anderen Stelle – wo es notwendig ist, wo es zu mehr Rechtssicherheit führt – nachsteuern. Das kann ich zusichern.
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Herr Brinkhaus, ich muss auf das ein oder andere, was Sie gerade gesagt haben, noch einmal ganz kurz eingehen. Ich will nicht verhehlen, dass Ihre Fraktion bei der letzten Verlängerung der Feststellung der epidemischen Lage nicht geschlossen abgestimmt hat – das muss man vielleicht an diesem Punkt noch mal erwähnen – und dass es auch innerhalb Ihrer Fraktion über die Frage der epidemischen Lage Debatten gegeben hat.
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Sie haben gesagt, dieses und jenes müsse möglich gemacht werden. Was Sie aber heute hier nicht gemacht haben – das können Sie im laufenden Verfahren gerne noch nachsteuern –: Sie haben keinen konkreten Vorschlag gemacht.
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Sagen Sie uns bitte konkret: Was halten Sie im Verfahren für zielführend? Was brauchen Sie noch an konkreten Maßnahmen? Wir schauen uns das dann an und nehmen das mit auf.
Aber ich muss Ihnen schon deutlich sagen: Ich weiß manchmal nicht, was zwischen Berlin und München auf der A 9 stattfindet. Ich bin Markus Söder dankbar, dass er sich bis zum 26. September täglich geäußert hat. Das hat uns geholfen; das hat diese neue Konstellation mit möglich gemacht.
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Aber ganz offen gesprochen: Das, was Markus Söder seit dem 26. September macht, ist kein verantwortbares Handeln eines Ministerpräsidenten. Derzeit gilt die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite noch. Er könnte handeln, tut es aber nicht. Er redet viel, aber macht vor Ort nichts, nicht mal 2 G in seinem eigenen Kabinett.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Scholz, Sie haben hier gesagt, wir müssten weiter vorsichtig sein. Dazu hätten Sie heute jede Chance gehabt, und zwar mit dem klaren Bekenntnis, dass Sie die Feststellung der epidemischen Lage weiter verlängern wollen. Die Hospitalisierung steigt, das Infektionsgeschehen explodiert, die dritte Impfung muss erst an Fahrt gewinnen, die Risiken steigen – und Sie schrauben den Instrumentenkasten herunter. Das kann nicht gut gehen, Herr Scholz.
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Sie verlassen gerade das Team „Vorsicht“, und Sie gehen ins Team „Versuchen wir’s mal“. Das reicht aber nicht, um Ihrer neuen Verantwortung nachzukommen. Im August, Herr Scholz, haben Sie sich noch für die Verlängerung der Feststellung der epidemischen Lage ausgesprochen. Heute, bei mehr Kranken, bei mehr Infizierten, bei mehr Belastung der Krankenhäuser, beenden Sie politisch die epidemische Lage. Das ist schlichtweg eine falsche Entscheidung.
({1})
Sie werben hier eindrucksvoll für das Impfen – aus meiner Sicht vollkommen zu Recht –, aber Sie geben komplett andere Signale. Wenn Sie heute die epidemische Lage beenden wollen:
({2})
Wie soll das in der Öffentlichkeit eigentlich ankommen? Wie wollen Sie Menschen davon überzeugen, sich impfen zu lassen, wenn Sie das Signal geben: „Es wird schon irgendwie werden, die epidemische Lage muss nicht verlängert werden, es kommt schon wieder alles irgendwie in Ordnung“? Das reicht nicht als Signal, um die Impfbereitschaft zu erhöhen.
({3})
Was Sie aber tun: Sie werden als Ampel sicher unser Gesundheitswesen vor eine Belastungsprobe stellen. Wir haben jetzt schon Regionen in Deutschland mit einer Inzidenz von über 1 000, Tendenz weiter steigend. Die Intensivbetten sind belegt.
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– Ja, in verschiedenen Regionen in Deutschland, auch in Bayern, auch in Sachsen. Auch in anderen Ländern wird genau das anstehen. Beim besten Willen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich verstehe die hämischen Zwischenrufe an dieser Stelle überhaupt nicht. Es geht um Infizierte, es geht um kranke Menschen, es geht um die Belastung der Krankenhäuser. Es geht um eine Situation, die sich weiter verschärft.
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Diese dümmlichen Zwischenrufe können Sie sich sparen. Das zeigt, dass Sie vieles sind, aber nicht regierungsfähig, meine Damen und Herren.
({6})
Man muss kein Hellseher sein, um zu sehen, dass es in den nächsten Tagen oder Wochen zu einer Überlastung des Gesundheitswesens kommen kann. Deswegen ist es falsch, den Instrumentenkasten an dieser Stelle zu reduzieren. Es ist schlichtweg ein Fehler.
Sehr geehrter Herr Buschmann, ich habe Ihrer Rede sehr genau zugehört. Auf Ihrer Webseite kann man aktuell nachlesen – ich zitiere daraus –: „Eine Überlastung des Gesundheitssystems sei nicht mehr zu erwarten.“ Was für eine grandiose Fehleinschätzung!
({7})
Herr Buschmann, Sie sagten hier am Pult vorhin: „Wir gehen über die bisherigen Maßnahmen hinaus.“ Ich darf Sie laut Ihrer Webseite zitieren. Dort sagen Sie – aktuell nachlesbar –: „Die Fraktionen wollen daher den Ländern nur noch befristet niederschwellige und wenig eingriffsintensive Maßnahmen bis zum Frühjahr 2022 ermöglichen.“ Sie reduzieren die Maßnahmen; die Wahrheit sagen Sie auf Ihrer Webseite und nicht in Ihrer Rede hier im Deutschen Bundestag.
({8})
Frau Göring-Eckardt, Sie haben hier gesagt: Wir können es uns jetzt nicht leisten, dass Maßnahmen von Gerichten gekippt werden. – Sie haben über Rechtssicherheit gesprochen. Ich darf Sie an dieser Stelle fragen: Ist es rechtssicherer, wenn der Deutsche Bundestag die epidemische Lage feststellt und die Feststellung weiter verlängert oder wenn Sie ein halbherziges Gesetz auf den Weg bringen?
({9})
Herr Scholz, Sie haben hier für 2 G geworben. Sie haben gesagt, Sie schafften jetzt die Maßnahmen. Die Maßnahmen dafür sind übrigens in den Regelungen zur epidemischen Lage zu finden und werden nicht erst durch Ihr Gesetz geschaffen. Sie haben für Ihre Maßnahmen geworben. Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie Ihre Verantwortung auch wahr, und kommen Sie als Bund mit den Ländern zu einer gemeinsamen Lösung. Sie können 2 G in Deutschland durchsetzen.
({10})
Sie haben die Entscheidung dafür mitzutreffen. Sie können Druck machen. Sie können alle Länder mit ins Boot nehmen. Dazu gehört aber die Bereitschaft, dass Bund und Länder über die aktuelle Lage fair und offen sprechen und gemeinsam Entscheidungen treffen. Kommen Sie dieser Verantwortung nach. Sie haben sie jetzt; nehmen Sie sie auch an.
Danke schön.
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Als nächste Rednerin hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Dobrindt, ich muss sagen: Sie haben sich gerade wirklich verstiegen. Sie werfen dieser werdenden Ampel vor, sie schädige das Gesundheitswesen, obwohl Sie gleichzeitig eine Situation in Bayern verantworten müssen, wo Sie neun der am höchsten betroffenen Landkreise bundesweit stellen und wo Sie ernsthaft vor der Situation einer Überlastung Ihrer Krankenhäuser,
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Ihrer Intensivstationen und der Beschäftigten auf den Intensivstationen stehen; das ist Ihre Verantwortung.
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Es ist unverschämt, an dieser Stelle all denjenigen, die sich hier wirklich bemühen, Lösungen zu finden, so etwas vorzuwerfen. Das ist unverantwortlich und undemokratisch.
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Herr Brinkhaus, ich meine, wir haben in den letzten zwei Jahren versucht, gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir als Bundestag Verantwortung übernehmen, dass wir schauen, dass wir diese sehr, sehr schwierige Situation tatsächlich meistern, und dass wir dem gerecht werden, was insbesondere all denjenigen wichtig ist, die betroffen sind: den Eltern, die viel haben tragen müssen, den Kindern und Jugendlichen, die ebenfalls viel haben tragen müssen, und den vielen schwer erkrankten Menschen sowie den Angehörigen der Menschen, die im hohen Alter verstorben sind. Da haben wir uns um Verantwortung bemüht.
Und Sie haben heute hier eine Rede gehalten, die zeigt, dass Sie nicht auf dem Weg einer konstruktiven Opposition sind, die daran interessiert ist, mit uns gemeinsam konstruktiv nach Lösungen zu suchen,
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sondern dass Sie auf billige und opportunistische Art und Weise Anklage erheben und nicht gemeinsam mit uns zusammenarbeiten wollen.
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Jetzt geht es darum: Die Feststellung der epidemischen Lage hat keine der Entwicklungen, die wir jetzt sehen, irgendwie aufhalten können. Sie haben eben gerade nicht die Maßnahmen vorgelegt,
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die wir brauchen. Aber das tun wir jetzt mit dem vorgelegten Gesetzentwurf.
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Wir schaffen zusätzliche Möglichkeiten zu denen, die bisher im Infektionsschutzgesetz vorgesehen waren. Wir schaffen den besseren Schutz der Vulnerablen in den Einrichtungen, indem wir zusätzliche Testpflichten festlegen. Wir schaffen insgesamt einen besseren Schutz, indem wir insbesondere dafür sorgen, dass es am Arbeitsplatz, dass es im Bereich der Arbeitswelt zusätzliche Schutzmöglichkeiten und zusätzliche Pflichten des Testens gibt. Und wir werden dafür sorgen, dass all die Maßnahmen, die wir jetzt vorgelegt haben, im Anhörungsverfahren noch mal auf den Prüfstand gestellt werden, um zu schauen, ob wir nachsteuern müssen. Und wir haben als werdende Koalition versprochen, dass wir immer da nachsteuern, wo es notwendig ist, und dass wir die notwendigen Maßnahmen schaffen und für Handlungsfähigkeit sorgen.
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Zur Verantwortung gehört, das Impfen voranzubringen. Das ist der Schlüssel, den wir brauchen. Wir müssen die ungeimpften Erwachsenen erreichen, dringend. Wir müssen viel, viel schneller werden bei den Boosterimpfungen, bei den Auffrischungsimpfungen, damit wir sicherstellen können, dass in den nächsten Wochen die Intensivstationen nicht volllaufen, gerade mit denjenigen, die als Ältere den Immunschutz verlieren.
Das ist das, was wir jetzt tun müssen. Und gemeinschaftlich müssen wir dafür sorgen, dass alle an einem Strang ziehen. Sonst wird es uns nicht gelingen, gut durch diesen Winter zu kommen.
Wir legen mit diesem Gesetz viele Maßnahmen vor, mit denen wir weiter nachsteuern können. Machen Sie mit! Tragen Sie mit uns eine offene Diskussion dazu aus, was wir tun müssen, was wir anpacken können. Wir sind gespannt, was Sie an weiteren Vorschlägen in die Diskussion einbringen.
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Wir jedenfalls sind in der offenen Diskussion und nehmen alle Anregungen aus der Anhörung auf. So werden wir vorgehen, und damit werden wir auch eine bessere Situation schaffen.
Danke.
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Als nächste Rednerin für die FDP-Fraktion Christine Aschenberg-Dugnus.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich zu Beginn ganz deutlich zu sagen: Eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist längst überfällig; denn wir benötigen Rechtssicherheit in der Coronakrise,
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und dieses Parlament muss daran beteiligt sein, meine Damen und Herren.
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Wir haben uns gemeinsam mit SPD und Grünen zusammengesetzt, um Lösungen zu erarbeiten. Diese Lösungen werden jetzt – ja, da werden sich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU und CSU verwundert die Augen reiben – in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht, meine Damen und Herren.
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Heute erfolgt die erste Lesung, in einer Woche die zweite und dritte Lesung. Es wird eine Anhörung geben. Selbstverständlich werden wir mit Verbesserungsvorschlägen, egal wo sie herkommen, offen und transparent umgehen. Kurzum, meine Damen und Herren: Es findet die von uns seit langer Zeit geforderte Reparlamentarisierung statt. Und das ist gut so.
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Meine Damen und Herren, das Parlament ist handlungsfähig, selbst in Zeiten einer lediglich geschäftsführenden Regierung. Wir zeigen, dass wir in der Lage sind, zügig zu reagieren.
Ja, und jetzt geht es los. Es kommen natürlich sofort Vorwürfe der Untätigkeit, der unzureichenden Mittel im Infektionsschutzgesetz – Herr Brinkhaus hat es gesagt, Herr Dobrindt hat es gesagt –, und natürlich kommen die lautesten Stimmen von einem Vorsitzenden einer Regionalpartei, der sich kurz vor der Landtagswahl eigentlich nur darüber ärgert, dass er sich nicht mehr hinter dem Bund verstecken kann, meine Damen und Herren.
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Und ich sage hier ganz deutlich: Statt laut nach harten Maßnahmen zu schreien, die dann wieder von den Gerichten aufgehoben werden, sollten Sie sich im Süden Deutschlands doch einfach mal ein Beispiel an meinem Heimatland Schleswig-Holstein nehmen: Impfquote der über 60-Jährigen – 90 Prozent, Impfquote der 12- bis 17-Jährigen – 57 Prozent.
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Boosterimpfungen in den Heimen wurden bereits im August vorbereitet, und seit September finden diese statt. Einen schönen Gruß mal aus dem schönen Norden in den Süden! Statt großartig Pressekonferenzen zu geben, könnte man auch einfach handeln.
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Um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen:
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Mit dem Auslaufen bzw. der Nichtverlängerung der Feststellung der epidemischen Notlage wird natürlich nicht festgestellt, dass Corona vorbei ist. Ich glaube, unsere Bevölkerung ist intelligenter, als es die CDU/CSU annimmt. Die Menschen wissen das nämlich und können die Lage sehr gut einschätzen, meine Damen und Herren. Dazu bedarf es nicht der Verlängerung der Feststellung der epidemischen Lage.
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Wir wollen mit unserem vorgelegten Gesetz den Ländern die Möglichkeit geben, auf gesetzlicher Grundlage die angemessenen Maßnahmen, die notwendig sind, weiterzuführen. Dass jetzt durch das Auslaufen der Feststellung der epidemischen Lage den Ländern Maßnahmen entzogen würden, das stimmt auf jeden Fall nicht, meine Damen und Herren.
({9})
Eines möchte ich an dieser Stelle auch noch mal ganz deutlich sagen: Es muss jetzt unser aller oberste Priorität sein, die vulnerablen Gruppen zu schützen; denn das vergangene Jahr darf sich nicht wiederholen. Und ich glaube, da sind wir uns doch alle einig.
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Konkret müssen wir wie in Schleswig-Holstein die Boosterimpfungen voranbringen. Jeder, der eine Alten- und Pflegeeinrichtung, eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung betritt, muss getestet werden, um diese Gruppen weiterhin gut zu schützen. Wir reagieren außerdem, indem wir die 3-G-Regel am Arbeitsplatz einführen. Zudem ist die Wiedereinführung kostenfreier Tests ganz wichtig. Wir wollen die Krankenhäuser finanziell besser ausstatten, und wir schaffen einen runden Tisch, um die Menschen zu erreichen, die wir bisher bei den Impfungen noch nicht erreicht haben. Das sind konkrete Maßnahmen, und das ist mehr, als die letzte Bundesregierung überhaupt auf den Weg gebracht hat, meine Damen und Herren. Das sind Maßnahmen, um Menschenleben zu retten,
({11})
und das sind konkrete Maßnahmen, die wir jetzt brauchen. Wir nehmen die Lage sehr ernst.
Ich freue mich auf das Verfahren, auf die Anhörung. Wir werden gute Maßnahmen auf den Weg bringen.
Ganz herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne zurückkommen auf den Anfang unserer Debatte. Bundesminister Scholz hat sich hier als zukünftiger Kanzler hingestellt und gesagt: Das Virus ist nicht weg, und die Lage ist nicht gut. – Und er hat recht damit. Das wird auf besorgniserregende Weise durch die Zahlen, die wir auch heute wieder hören, deutlich gemacht. Wir haben 50 000 Neuinfektionen am Tag. Das ist der höchste Wert, den wir in der Pandemie jemals gehabt haben. Wir haben eine unglaublich hohe Dynamik. Es gibt 50 Prozent mehr Neuinfektionen gegenüber der Vorwoche. Die Inzidenz liegt bei 249. In drei Wochen hat sie sich fast verdreifacht. Die Anzahl der Toten nimmt zu. Die Intensivbetten sind mittlerweile so ausgelastet, dass wichtige Operationen verschoben werden müssen und nicht durchgeführt werden können. Lieber Herr Scholz, wenn Sie sagen: „Das Virus ist nicht weg, und die Lage ist nicht gut“, dann wollen Sie damit doch nicht allen Ernstes sagen, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die wir hier im Bundestag miteinander beschlossen haben, nicht mehr vorliegen. Das ist doch nicht Ihr Ernst!
({0})
Ich will Ihnen sagen, wieso Sie das sagen: Sie haben offensichtlich Angst vor der FDP. Genauso wie im Sondierungspapier haben Sie sich hier aus einem falsch verstandenen Freiheitsverständnis heraus über den Tisch ziehen lassen.
({1})
Ich sage Ihnen: Freiheit bedeutet auch immer Verantwortung, und Verantwortung bedeutet an dieser Stelle auch, unbequeme Entscheidungen treffen zu müssen, und natürlich ist die Feststellung der epidemischen Lage eine unbequeme Entscheidung. Ich sage aber: Wenn das notwendig ist, um den Schutz der Gesundheit der Menschen zu gewährleisten, dann muss man auch den Mut zu dieser unbequemen Entscheidung haben, und die Ampel hat offensichtlich nicht diesen Mut, meine Damen und Herren.
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Da wundere ich mich schon ein bisschen, dass die SPD und die Grünen sich hier ganz offensichtlich in Mithaftung nehmen lassen. Ich sehe den Kollegen Lauterbach, der durch jede Talkshow tingelt, dort als großer Mahner auftritt und sagt, was wir alles brauchen. Sie sind das Gesicht der SPD für die Coronabekämpfung; aber Sie haben offensichtlich null Durchsetzungskraft in Ihrer eigenen Fraktion. Denn von den Dingen, die Sie öffentlich in Talkshows sagen, findet sich in diesem Gesetzentwurf kein einziges Wort.
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Wir haben aktuell mit § 28a, der auf die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufbaut, eine rechtssichere und bewährte Rechtsgrundlage.
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Wodurch wollen Sie das jetzt ersetzen? Durch einen Maßnahmenkatalog, der in keiner Weise ausreichend ist und der in keiner Weise gewährleistet, dass wir entschlossen, zielgenau und effizient gegen Corona vorgehen können?
Wir sind uns doch alle einig: Wir brauchen flächendeckend 2 G. Ja, wo ist denn die Rechtsgrundlage für eine konkrete und rechtssichere bundeseinheitliche Regelung? Wo ist denn die Rechtsgrundlage für verpflichtende Tests in Gemeinschaftseinrichtungen? Wo ist denn die Rechtsgrundlage für ein allgemeines Auskunftsrecht des Arbeitgebers?
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All das findet sich nicht in Ihrem Gesetzentwurf. Das ist ein Scheitern mit Ansage, was Sie hier machen, meine Damen und Herren von der Ampel!
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Das Gleiche gilt für das Thema „Fälschung von Impfausweisen“. Die Bedeutung von Impfausweisen hat in der Pandemie enorm zugenommen. Es ist für den Schutz der Gesundheit, für die Abschätzung von Infektionsrisiken und für das Vertrauen in die Pandemiebekämpfung eminent wichtig, dass wir uns darauf verlassen können, dass Impfnachweise richtig, rechtssicher und valide sind. Deswegen sagen wir als Union ganz klar: Wer Impfausweise fälscht, der muss hart bestraft werden; da gibt es an dieser Stelle kein Vertun.
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Das ist nach der momentanen Gesetzeslage nicht gewährleistet. Es gibt an der Stelle Strafbarkeitslücken.
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Es gibt ungerechtfertigte Privilegierungen. Deswegen haben wir als Union einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diese Strafbarkeitslücken schließt.
Wir haben die Ampel damit aus der Lethargie gerissen. Sie haben jetzt selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt, nachdem das Bundesjustizministerium sich über Monate geweigert hatte, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Da sieht man mal wieder: Wir machen eine konstruktive Oppositionspolitik, und Opposition wirkt auch an dieser Stelle, meine Damen und Herren.
({9})
Herr Luczak, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lauterbach?
Selbstverständlich doch.
({0})
Ihre schäbigen Bemerkungen, Herr Brandner. – Herr Luczak, zunächst einmal vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben recht: 2 G wäre das, was jetzt notwendig wäre. Aber die jetzige Rechtslage, die Feststellung der epidemischen Lage, gilt ja noch. Das heißt, bundesweit wäre 2 G durch die noch amtierende Regierung einführbar gewesen, und demnächst, wenn also die neue Regelung gilt, ist es durch jedes Bundesland einführbar. Das heißt, 2 G ist jetzt deutschlandweit einführbar, und es ist demnächst durch jedes Bundesland einführbar. Und: Ich tingele nicht durch die Talkshows, sondern ich werde eingeladen.
({0})
Ich empfehle dort die flächendeckende Einführung der 2-G-Regelung, deren Einhaltung wir auch kontrollieren müssen.
Meine Frage ist jetzt folgende: Wieso erwecken Sie hier den falschen Eindruck, als ob wir 2 G bundesweit und in den einzelnen Ländern nicht längst einführen könnten? Wieso erwecken Sie diesen falschen Eindruck?
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Lieber Herr Kollege Lauterbach, zunächst einmal ist mir der Unterschied zwischen „durch die Talkshows tingeln“ und „dort eingeladen werden“ nicht sehr geläufig. Ich glaube, es kommt im Ergebnis auf das Gleiche raus.
({0})
Sie haben mit Ihrer Frage ja eigentlich genau das deutlich gemacht. Sie haben doch gerade gesagt: In der Tat können wir das bundeseinheitlich festlegen. – Nach dem, was Sie uns jetzt hier mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, wird es eben nicht mehr möglich sein, das bundeseinheitlich festzulegen, sondern jedes Land muss es selber machen.
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Sie können doch nicht abstreiten, dass das ein Minus, ein Weniger ist gegenüber der Gesetzeslage, die wir aktuell haben.
Deswegen: All das, was Sie von der Ampel hier unisono vortragen, dass man mehr machen könne, dass das kein Minus sei, stimmt nicht, wenn man sich die Rechtsgrundlagen genau anschaut, die Sie jetzt vorgeschlagen haben. Sie haben hier in der Debatte vorgetragen, dass man noch viele andere Maßnahmen im parlamentarischen Verfahren beschließen möchte. Wieso haben Sie diese denn nicht gleich in den Gesetzentwurf geschrieben? Das ist eine Mogelpackung, die Sie machen, und mit dieser falschen Argumentation, die Sie hier vorbringen, werden wir als Union Sie nicht durchkommen lassen.
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Sie haben noch einen letzten Satz.
Einen letzten Satz möchte ich noch zu den Impfausweisen sagen. Der Gesetzentwurf, den die Ampel uns hier vorgelegt hat, ist absolut unzureichend. Die Strafbarkeitslücken, die aktuell existieren, werden damit nicht zweifelsfrei geschlossen. Die nicht gerechtfertigten Privilegierungen, die es im gegenwärtigen Rechtszustand gibt, werden ebenfalls nicht aufgegriffen. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Wieso sollte ein Arzt, der Corona leugnet und einen falschen Impfpass ausstellt, eigentlich geringer bestraft werden als jemand, der, ohne Arzt zu sein, einen Impfausweis fälscht? Das ist doch ein Widerspruch. Wenn jemand seine Stellung als Arzt missbraucht, muss er doch härter bestraft werden als ein Irgendjemand.
Meine Damen und Herren, diese ungerechtfertigten Differenzierungen in Ihrem Gesetzentwurf sind nicht überzeugend. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Er ist besser als das, was die Ampel uns hier vorgelegt hat.
Vielen Dank.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, der den Ländern auch nach dem Ende der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Rechtssicherheit beim Anordnen der nach wie vor notwendigen Coronaschutzmaßnahmen geben wird.
Mit der erstmaligen Feststellung einer epidemischen Lage hat der Deutsche Bundestag im März 2020 im Infektionsschutzgesetz ein Sonderrecht geschaffen, ein Sonderrecht für die Bundesregierung, vor allem für das Gesundheitsministerium, um Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie per Rechtsverordnung anzuordnen. Damit verbunden war auch die Möglichkeit für die Länder, Schutzmaßnahmen anzuordnen, die mit teils schwerwiegenden Grundrechtseinschränkungen verbunden waren. Diesen verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand wollen die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP beenden und die Entscheidung darüber wieder ins Parlament zurückholen.
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Dass der Zeitpunkt dafür jetzt wohl der richtige ist, sieht man auch daran, dass der ressortverantwortliche Bundesgesundheitsminister genau dies vorgeschlagen hat, nämlich die epidemische Lage nicht weiter zu verlängern. Vielleicht sollten Sie, Herr Dobrindt, Herr Brinkhaus, Herr Luczak, da noch mal in den Austausch gehen.
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Gleichwohl ist die Pandemie nicht vorbei. Wir sind mitten in der vierten Welle. Wir erleben mit 50 000 Neuinfektionen am Tag eine Infektionsdynamik bislang nicht gekannten Ausmaßes. Die Länder unternehmen aktuell erhebliche Anstrengungen, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu kriegen, und sie wünschen sich dafür zu Recht weiterhin klare rechtliche Grundlagen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen wir sicher, dass in den Herbst- und Wintermonaten die erforderlichen und auch bewährten Instrumentarien weiterhin zum Einsatz kommen können: Maskenpflicht, Abstandsgebot, 3 G, 2 G, Hygienekonzepte, Kapazitätsbegrenzungen.
Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger, wir wollen, wir müssen und wir werden weiterhin dafür Sorge tragen, dass die Schwächsten und Verletzlichsten in unserer Gesellschaft so gut wie möglich geschützt werden können. Pflegebedürftige und Kranke sollen weiterhin Besuch von ihren Angehörigen bekommen können, Kitas und Schulen sollen geöffnet bleiben. Deshalb müssen wir das Umfeld dieser besonders schutzbedürftigen Gruppen so sicher wie möglich machen.
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Wir wollen absichern, dass Beschäftigte bei ihrer Arbeit bestmöglich geschützt sind und Betriebe verantwortungsvoll weitergeführt werden können. Deshalb sprechen wir in den laufenden Verhandlungen über notwendige Ergänzungen des Gesetzentwurfs. Dazu gehören die Testpflichten für Beschäftigte und Besucherinnen und Besucher in Pflegeeinrichtungen. Wer als Beschäftigter nicht genesen oder geimpft ist, wird sich täglich testen lassen müssen. Aber auch für Geimpfte und Genesene wird es in gewissen Bereichen regelmäßig verpflichtende Tests geben. Deshalb werden wir auch die kostenlosen Bürgertests wieder einführen.
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, was wir jetzt erleben – exponentielles Infektionsgeschehen, Regionen mit Inzidenzen über 1 000, ein Volllaufen der Intensivstationen, Pflegekräfte und Ärzte, die am Limit arbeiten –, all das hat einen Grund: Es ist der Tatsache geschuldet, dass 16 Millionen Erwachsene und 2,5 Millionen Jugendliche noch immer nicht geimpft sind, dass die Immunität mit zunehmendem Abstand zur Impfung abnimmt, aber auch, dass wir zwischenzeitlich wieder ein sehr viel sorgloseres Miteinander erleben.
Kollegin Dittmar, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein. – Unsere Intensivstationen sind voll mit Menschen, die sich mit einer Impfung hätten schützen können. Als Medizinerin kann ich nicht logisch nachvollziehen und erklären, warum die Angst vor äußerst seltenen Nebenwirkungen bei einer Impfung schwerer wiegt als die Angst davor, mit Lungenversagen und schweren Langzeitfolgen auf der Intensivstation beatmet zu werden.
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Dabei liegt der Weg aus der Pandemie auf der Hand. Die Devise lautet: Impfen, impfen, impfen, Impflücken schließen und beim Boostern schneller werden!
Lassen Sie uns in den bevorstehenden intensiven Beratungen über Fraktionsgrenzen hinweg alles dafür tun, damit Corona aus unserem Leben, aus unserem Alltag zurückgedrängt wird.
({1})
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie.
Als letzte Rednerin folgt Nina Warken aus der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Ampelparteien die Geltung der epidemischen Lage nicht verlängern, sondern sie Ende des Monats auslaufen lassen wollen, ist ein völlig falsches Signal für den Umgang mit der Pandemie in der aktuellen Lage.
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Der Gesetzentwurf, der hier vorgelegt wurde und als großer Befreiungsschlag verkauft wird, ist insofern paradox, als die darin enthaltenen Maßnahmen, die bislang aufgrund der Notlage verhängt werden konnten, in abgespeckter, unzureichender Form bis März fortgelten sollen. Es ist künftig nicht mehr so, dass alle drei Monate die Notlage durch das Parlament festgestellt werden kann. Aktuell kann die Geltung der epidemischen Lage hier im Plenum nach Abstimmung beendet und mit kurzem Vorlauf wieder eingeführt werden.
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Künftig braucht es für Änderungen der Maßnahmen ein Gesetz. Das ist für die Eindämmung einer Pandemie ein viel zu behäbiges Vorgehen, meine Damen und Herren.
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Mit ihren Plänen verkürzen die künftigen Koalitionäre, auch wenn es hier anders dargestellt wird, die Rechte des Hohen Hauses. Sie geben sie nicht an das Parlament zurück, wie es die FDP uns hier weismachen will. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
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Liebe Kollegen, vor allem aber weist der eingebrachte Gesetzentwurf einige Lücken auf und bleibt auch hinter dem zurück, was heute in den Reden vollmundig angekündigt wurde. Es fehlen klare Regelungen für 2 G und 3 G am Arbeitsplatz mit einem Auskunftsrecht des Arbeitgebers. Auch die finanzielle Unterstützung von Krankenhäusern ist bisher nur angekündigt, aber noch nicht verankert, und die Länderrechte werden eingeschränkt. Insgesamt kann man sagen, dass anscheinend mehr Rücksicht auf Impfverweigerer genommen wird als auf jene, die sich zum Wohle aller für eine Impfung entschieden haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Pandemie hat uns allen viel abverlangt. Damit wir – mit der gebotenen Vorsicht – ein bisschen mehr Normalität in unserem Leben möglich machen können, braucht es verlässliche Regeln. Die 2-G- und 3-G-Regelungen bieten solche Voraussetzungen, und darum müssen wir auch auf sie vertrauen können und dürfen nicht fürchten müssen, dass die Person am Nachbartisch im Restaurant einen gefälschten Nachweis vorgelegt hat. An dieser Stelle gibt es Strafbarkeitslücken, die wir als Union schon seit Längerem schließen wollen. Jetzt endlich, mit Einbringung unseres Gesetzentwurfes, haben auch die Ampelparteien diesen Punkt aufgegriffen. Die Schritte gehen in die richtige Richtung, aber sie reichen in der gegenwärtigen Situation nicht aus. Wir fordern eine härtere Bestrafung für Impfpassfälschungen und für die Nutzung dieser gefälschten Dokumente.
Meine Damen und Herren, sagen wir, wie es ist: Man merkt, dass die drei Parteien einen Spagat schaffen müssen zwischen dem, was Grüne und FDP lautstark in der Opposition gefordert haben, dem, was sie in den Koalitionsverhandlungen unter einen Hut bringen müssen, und dem, was die wirklich zunehmend dramatische Coronalage als gebotenes Handeln erfordert. Die rot-grün-gelbe Selbstfindungsphase, liebe Kollegen, strahlt der eingebrachte Gesetzentwurf aus.
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Wir brauchen aber Führung und Sicherheit. Um diesem unsicheren Kurs entgegenzusteuern, werden wir uns als Union auch im weiteren parlamentarischen Verfahren konstruktiv einbringen.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Was wir derzeit in Belarus, an der Grenze zu Polen, erleben, ist eine menschliche Tragödie, die wir nicht zum ersten Mal erleben. Wir haben schon an der türkisch-griechischen Grenze und an der marokkanisch-spanischen Grenze erlebt, dass Menschen auf eine ganz perfide Weise eingesetzt werden, um außen- und machtpolitische Ziele zu erreichen. Das ist die Tat eines Diktators, Lukaschenko, unter tätiger Mithilfe von Erdogan und Putin, und das dürfen wir denen nicht durchgehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Deshalb ist es so entscheidend, dass wir an dieser Stelle mit dem EU-Mitgliedstaat Polen absolut solidarisch sind, übrigens nicht nur mit Polen, sondern auch mit den baltischen Staaten, mit Litauen, mit Lettland, die ihren Beitrag dazu leisten, dass europäische Außengrenzen gesichert werden. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass es in einem vereinigten Europa keine Binnengrenzen geben muss. Dafür brauchen wir einen effektiven Außengrenzschutz.
({2})
Das macht Polen. Dort werden nicht nur polnische, sondern europäische Interessen vertreten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und deshalb verdient das Land auch unsere Unterstützung.
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Ich will an dieser Stelle sagen, dass es grundfalsch ist, wenn man jetzt einen Beitrag dazu leistet, dass das Kalkül von Lukaschenko aufgeht. Und das tut derjenige, der sagt: Diejenigen, die dort im Grenzgebiet sind, sollen jetzt in Europa verteilt werden. – Damit geht das Kalkül von Lukaschenko auf.
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Damit wird der Druck auf die polnische Grenze verstärkt, und damit wird ein Spaltpilz in die Europäische Union getrieben. Das ist das Dümmste, was man an dieser Stelle fordern kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
– Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Entweder Sie stellen eine Zwischenfrage, oder Sie halten Ihren Mund. Aber so geht es nicht.
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Das ist absolut unparlamentarisch, wie Sie sich verhalten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zur Sachpolitik zurück. Vor diesem Hintergrund ist es besonders alarmierend, dass wir mit der Situation konfrontiert werden, dass in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 150 000 Asylanträge gestellt wurden, allein 20 000 in den letzten vier Wochen.
Herr Kollege Frei, Sie haben es ein bisschen provoziert. Jetzt möchte Herr Kollege Kleinwächter eine Frage stellen.
Dann soll er das tun.
({0})
Werter Herr Kollege Frei, vielen Dank für das Zulassen dieser Zwischenfrage. Werte Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie mir das Wort erteilt haben.
Sie müssen unsere Erregung schon entschuldigen, Herr Frei; denn Sie reden hier gerade und stellen eine Politik dar, die Deutschland unter einer CDU-geführten Bundesregierung von Angela Merkel ja völlig anders erlebt hat, als Sie es gerade darstellen. Was Sie sagen, ist völlig richtig: dass die Außengrenzen geschützt werden müssen, dass wir endlich Solidarität mit unseren polnischen Nachbarn üben müssen. Aber die Realität ist doch eine andere. Ich war letzte Woche in Polen, ich war an der ostpolnischen Grenze – übrigens der einzige Vertreter Deutschlands, der sich überhaupt irgendwo hat blicken lassen.
({0})
Das wurde mir am letzten Dienstag bestätigt.
Ich muss Sie an dieser Stelle fragen, was Sie antworten, wenn uns unsere polnischen Freunde fragen: Sagt mal, warum erkennt eigentlich die Bundesregierung nicht, wie gefährlich das ist? Warum erkennt Deutschland nicht, wie gefährlich es ist, dass da viele Tausende Menschen kommen, oft mit IS-Verbindungen? Und warum hört Deutschland nicht endlich auf, dieser Magnet zu sein für all diese Menschen – durch die Aufnahme ins Sozialsystem, die eben nicht nur theoretisch möglich, sondern praktisch erwiesen ist –, nachdem sich die Regierung Merkel mit Ihrer Koalitionsverantwortung mit einem EU-Türkei-Deal erpressbar gemacht hat?
({1})
Wie kommen Sie jetzt bitte schön auf die Idee, eine solche Rede zu halten, in der Sie all das fordern, was Sie im Endeffekt negiert haben, als Ihre Partei in der Regierung war?
({2})
Herr Kollege, das, was Sie darstellen, ist wirklich rundum falsch. Wenn Sie sich mal die Politik der Vergangenheit anschauen, dann sehen Sie, dass die alte Koalition aus CDU/CSU und SPD im Frühsommer 2019 ein großes Migrationspaket bestehend aus acht Gesetzen verabschiedet hat, in dem wir genau die Punkte, die notgetan haben, entsprechend adressiert haben. Und ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Wir machen einen klaren Unterschied zwischen der Arbeitsmigration auf der einen Seite und der Asyl- und Fluchtmigration auf der anderen Seite.
({0})
Genau das haben wir im Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, im Fachkräfteeinwanderungsgesetz und in anderen Gesetzen statuiert. Deshalb waren wir damit auch auf dem richtigen Weg.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen: Gemeinsam mit der SPD haben wir dafür gesorgt, dass Pull-Faktoren reduziert werden. Warum? Weil wir die Bezugsdauer für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 15 auf 18 Monate verlängert und dafür gesorgt haben, dass, wenn jemand nach Deutschland kommt, obwohl er bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat, die Bezugsvoraussetzungen abgesenkt werden.
({1})
Das ist eine Politik, die Sinn macht. Und deswegen fordere ich an dieser Stelle auch die SPD auf, dass sie bei der Migrationspolitik die Mitte nicht verlässt, dass sie sich von den Grünen nicht nach links ziehen lässt und das rückabwickelt, was wir in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsam gemacht haben.
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– Weil Herr Lindner so lacht: Dabei bin ich ganz besonders auf die FDP gespannt,
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die im Grunde genommen das Gegenteil von dem sagt, was die Grünen wollen. Ich will Ihnen eines sagen: Wenn man sich das Sondierungspapier anschaut, dann sieht man die Erfolglosigkeit der Grünen im Bereich der Klimapolitik.
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Das wird offensichtlich überkompensiert durch eine einladende Migrationspolitik.
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Das wird mit uns nicht zu machen sein.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Das Wort erhält für die Bundesregierung Bundesminister Heiko Maas.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen alle die entsetzlichen Bilder, die uns aus dem belarussischen Grenzgebiet zu Polen und den baltischen Staaten erreichen, und das nicht erst seit den letzten Tagen. Hunderte Menschen sind dort an der Grenze gestrandet, angeleitet von belarussischen Sicherheitskräften, die ihnen jetzt gewaltsam den Rückweg versperren. Kinder, Frauen und Männer kampieren in Eiseskälte ohne ausreichende Bekleidung unter freiem Himmel. Mittlerweile sind auch Menschen ums Leben gekommen.
Verantwortlich für dieses Leid sind Herr Lukaschenko und seine Helfer in Minsk. Ich will an der Stelle sagen: Unabhängig von anderen politischen Diskussionen, die wir in der Europäischen Union führen, ist das Problem in dieser Frage nicht Polen – diesen Eindruck habe ich manchmal in dieser Debatte –,
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sondern das Problem ist Lukaschenko, Belarus und das Regime, das es dort gibt.
({1})
Deshalb hat Polen in dieser Situation unsere Solidarität, europäische Solidarität verdient.
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Meine Damen und Herren, die Machthaber in Minsk bringen Migrantinnen und Migranten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Belarus, um sie von dort in Richtung Europäische Union zu schicken.
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Ohne jeden Skrupel missbrauchen sie Tausende von Menschen als Geisel für ein zynisches Machtspiel. Sie wollen die Europäische Union und einzelne Mitgliedstaaten wie insbesondere Polen, aber auch Litauen, unter Druck setzen, und sie spielen dabei skrupellos mit Menschenleben.
Währenddessen, nur um das auch mal zu erwähnen, geht auch die Repression gegen das belarussische Volk weiter. Seit dem vergangenen Jahr haben Sicherheitskräfte des Regimes Tausende Menschen festgenommen, die Zahl der politischen Gefangenen ist auf über 800 gestiegen, und ein Dialog mit der Opposition findet nicht statt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in einer Situation, in der es vielleicht emotional naheliegt, Herrn Lukaschenko zu beschimpfen; aber das reicht bei Weitem nicht mehr aus. Wir sind in einer Situation, in der es überfällig ist, jetzt die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Und das wollen wir auch, und zwar mit unseren europäischen Partnern.
Erstens. Die humanitäre Versorgung der Menschen im belarussischen Grenzgebiet hat Priorität, besonders angesichts des nahenden Winters. Zu den Grundwerten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten gehört, dass wir Menschen in Not nicht alleinlassen.
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Diese gemeinsamen Werte werden wir auch an unseren Außengrenzen hochhalten müssen. Das Völkerrecht gebietet, gerade in dieser Situation humanitären Zugang zu gewähren. Internationale Hilfsorganisationen und zivilgesellschaftliche Vereinigungen stehen bereit, um den Menschen in Polen, aber auch in Belarus zu helfen,
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und das muss möglich gemacht werden.
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Zweitens. Wir werden als Europäische Union gegen illegale Schleusungen durch Belarus weiter vorgehen.
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Niemand soll sich ungestraft an diesem Schleuserring beteiligen können. Das ist eine Botschaft an die Transitstaaten, die Herkunftsstaaten und die Fluggesellschaften, mit denen Migrantinnen und Migranten nach Belarus gebracht werden. Ihnen muss klar sein, dass die Europäische Union nicht bereit sein wird, das länger zu akzeptieren.
Diese Botschaft kommt auch an. In den Herkunftsländern haben wir mittlerweile viele Gespräche geführt, die zum Beispiel dazu geführt haben, dass im Irak und in Jordanien Flüge nach Belarus eingestellt worden sind. Wir reden auch mit den Fluggesellschaften. Es ist rechtlich nicht einfach, Fluggesellschaften zu sanktionieren, weil sie formalrechtlich nichts Illegales tun. Aber wir haben allen Fluggesellschaften mittlerweile mitgeteilt, dass es auf EU-Ebene möglicherweise kein Sanktionsregime gibt, dass aber die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr wohl überlegen, diejenigen, die Mittäter eines Schleuserrings sind, in Haftung zu nehmen.
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Und Landerechte werden in jedem einzelnen Mitgliedstaat selbst erteilt. Auch das ist ein Thema, mit dem sich diese Fluggesellschaften ernsthaft auseinandersetzen müssen.
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Drittens. Die Europäische Union wird ihre Sanktionen gegen Lukaschenkos Regime ausweiten und verschärfen. Das werden wir am Montag im Außenrat in Brüssel beschließen. Diejenigen Personen und Unternehmen, die sich an der gezielten Schleusung beteiligen, werden wir weiter sanktionieren, und zwar überall auf der Welt. Zudem liegen weitere Optionen auf dem Tisch, etwa die Ausweitung schon bestehender und anderer Sanktionsregime, insbesondere der sogenannten sektoralen Sanktionen, also wirtschaftliche.
Es ist in der Vergangenheit durchaus gesagt worden, dass zu viele Wirtschaftssanktionen die Abhängigkeit Belarus’ von Russland weiter verschärfen. Wir sind mittlerweile aber in einer Situation, in der die Konsequenzen klarer werden müssen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass auch so wichtige Wirtschaftszweige wie die Kaliindustrie in Belarus jetzt sanktioniert werden müssen. Das trägt die Mehrheit der Europäischen Union mit.
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Herr Minister, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Kleinwächter?
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Nein.
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Viertens. Wir intensivieren unsere Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern. Ich bitte, das nicht zu unterschätzen. Jeder, der das in Zweifel zieht, sollte sich daran erinnern, dass es auf dem Westbalkan gewirkt hat, unsere Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern zu verbessern. Reisebüros und Schleuserbanden locken Menschen auf die gefährliche Reise nach Belarus, weil sie damit Geld verdienen können. Sie ziehen diesen Menschen dafür Tausende von Dollar – möglicherweise das Letzte, was sie haben – aus der Tasche. Deshalb müssen wir mit den Lügen der Schleuser und den Gerüchten in den sozialen Medien aufräumen
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und auch die Folgen aufzeigen, die Lukaschenkos Handeln für jeden Einzelnen hat, der sich überlegt, sich auf die Reise zu begeben.
Deshalb, meine Damen und Herren: In dieser Situation stehen wir solidarisch an der Seite unserer europäischen Partner in Polen und in Litauen. Die jüngsten Ereignisse zeigen einmal mehr: Wir brauchen nachhaltige und menschliche Lösungen in den Bereichen Flucht und Migration, das heißt Fortschritte hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem, das Migrationsursachen angeht, europäische Grenzen schützt, aber vor allem solidarisch ist. Dafür werden wir uns auf europäischer Ebene weiter einsetzen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Heiko Maas. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Dr. Franziska Brantner das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lage der Menschen an der Grenze zwischen Polen und Belarus ist furchtbar. Ich finde sie unerträglich, und sie ist auf jeden Fall inakzeptabel. Deswegen, Herr Frei, werde ich sie auch nicht für offensichtliche Scharmützel benutzen. – Mein Kollege Julian Pahlke und meine Kollegin Merle Spellerberg waren auch dort, Herr Kleinwächter.
Das ist eine sehr schwierige Situation für Polen und unsere baltischen Partner. Lassen Sie mich deswegen ganz klar sagen: Wir werden Polen, wir werden unsere baltischen Partner nicht alleinlassen in dieser schwierigen Zeit.
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Europäische Solidarität bedeutet Hilfe für Polen: humanitäre Hilfe, Hilfe bei den Kontrollen, der Registrierung und Versorgung, bei der Aufnahme. Ich hoffe, dass die polnische Regierung die europäischen Unterstützungsangebote doch noch annehmen wird und dass die geschäftsführende Regierung darauf drängt, dass Ärztinnen und Ärzte, Hilfsorganisationen und Journalistinnen und Journalisten endlich wieder Zugang zu dem Grenzgebiet haben;
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denn Menschen, Kinder dort erfrieren und verhungern zu lassen, das darf keine europäische Politik sein.
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Wir sind anders als Lukaschenko, und das müssen wir auch bleiben. Das wird sich genau im Umgang mit dieser Krise zeigen.
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Wir werden unsere Grenze zu Polen nicht schließen; denn wir lassen uns nicht spalten. Die CDU/CSU hat in ihrem Antrag Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze gefordert. Ich finde das kontraproduktiv; denn es bestraft die Falschen. Es bestraft jene Menschen aus Polen und Deutschland, die sich für ein europäisches Leben über die Grenzen hinweg entschieden haben.
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Sie spielen damit jenen in die Hände, die die EU destabilisieren wollen, nämlich Lukaschenko und Putin.
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Diese tragen die Verantwortung für das humanitäre Desaster, was wir dort sehen. Lukaschenko instrumentalisiert Menschen, indem er sie aus Damaskus, Dubai, Istanbul oder Moskau einfliegt. Ja, er instrumentalisiert sie. Aber trotzdem sind diese Menschen keine Waffe, sie sind keine Verhandlungsmasse, sondern sie sind Menschen mit ihrer Würde.
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Der Umgang mit diesen Menschen zeigt, was für ein unmenschliches Regime in Minsk herrscht. Deswegen muss die Priorität jetzt sein, alles zu tun, um dieses staatliche Schleusertum zu unterbinden. Ja, hier muss die Europäische Union geeint stehen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Deswegen braucht es nächste Woche weitere Sanktionen – Herr Maas, Sie haben es erwähnt –: harte Sanktionen gegen das belarussische Regime und, ja, auch gegen die Wirtschaft, gegen die Kaliindustrie, gegen diese Wirtschaftszweige, die von uns sehr profitieren.
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Frau Kollegin Brantner, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?
Nein.
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Die Weihnachtszeit ist ja auch eine beliebte Einkaufszeit in München oder anderen deutschen Städten, gerade für welche aus der Machtclique aus Belarus. Das muss doch nicht sein.
Außerdem braucht es Konsequenzen für die Fluglinien, die Menschen aus dem Irak, aus Syrien oder anderen Ländern nach Belarus fliegen. Herr Maas, Sie haben es angedeutet. Ich hoffe, dass wir da von der geschäftsführenden Regierung konkrete Schritte sehen werden. Es braucht Aufklärung vor Ort, um die Menschen vor den perfiden Lockangeboten Lukaschenkos zu warnen. Auch da hoffe ich, dass die geschäftsführende Regierung noch etwas auf den Weg bringt.
Aber vor allem gibt es einen, der das belarussische Regime noch am Leben hält und diesen perfiden Erpressungsversuch deckt: Wladimir Putin. Wir müssen hier eine neue Politik des Dialogs und der Härte voranbringen. Wir müssen unsere Verwundbarkeiten abbauen. Das geht nicht von heute auf morgen; das weiß ich sehr wohl. Aber das ist eine der großen Aufgaben der nächsten Regierung.
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Lassen Sie mich zum Schluss bitte noch einmal betonen, wie bewundernswert ich es finde, was die Zivilgesellschaft in Polen, aber auch in Belarus gerade leistet. Viele Polinnen und Polen leisten vor Ort akute Nothilfe für die Geflüchteten. In Belarus kämpfen die Menschen weiterhin für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.
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Stellvertretend dafür möchte ich Frau Tichanowskaja, die uns heute hier beehrt hat, danken.
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Ich möchte zusichern: Wir stehen an Ihrer Seite.
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Vielen Dank. – Für den Bundesrat spricht jetzt der nordrhein-westfälische Minister Dr. Joachim Stamp.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle mit dem klaren Bekenntnis beginnen, dass nicht nur der Bundestag, sondern selbstverständlich auch der Bundesrat fest an der Seite der Opposition in Belarus steht und dass wir keinen Erpressungsversuchen von Lukaschenko nachgeben dürfen.
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Meine Damen und Herren, der Bundesaußenminister hat die wesentlichen Dinge hier vorgetragen. Es ist ganz entscheidend, dass wir zusammenstehen; auch in der Unterstützung von Polen, das alle Hilfen bei der humanitären Versorgung verdient hat, weil natürlich – Kollegin Brantner hat ja eben darauf hingewiesen – in unserem Verantwortungsbereich keine Menschen sterben dürfen und wir hier ein Imperativ haben. Aber genauso braucht Polen eben auch die Unterstützung bei der Sicherung unserer gemeinsamen europäischen Außengrenzen.
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Man muss die Hilfen dann natürlich auch annehmen; auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Meine Damen und Herren, es stehen ja verschiedene Diskussionen, auch aus der Wissenschaft, im Raum. Ich denke, wir sollten uns auch noch einmal Gedanken machen, wie durch multilaterale Abkommen auch in Zukunft die Europäische Union weniger erpressbar wird. Das ist eine schwierige Situation, in der wir sind. Herr Kollege Frei, ich bin mir nicht sicher, ob es der richtige Weg ist, innenpolitische Polemik hier in die Debatte zu bringen.
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Ich war etwas erstaunt, Herr Brinkhaus – auch über Ihren Antrag –, über die Polemik gegen den Spurwechsel. In Nordrhein-Westfalen hat die erfolgreiche Koalition von CDU und FDP den Spurwechsel möglich gemacht, damit gut integrierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht abgeschoben werden. Herr Brinkhaus – vielleicht hören Sie mir zu –: Handwerk und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen danken uns. Dass Sie die Wahl verloren haben, das hat auch was damit zu tun, dass Ihre Innenpolitiker in dieser Fraktion fachlich nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind.
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Herr Abgeordneter Frei, ich lade Sie herzlich ein: Kommen Sie mal zu uns nach Nordrhein-Westfalen, schauen Sie sich unsere Migrations- und Integrationspolitik an. Wir schieben konsequenter als jedes andere Bundesland Straftäter und Gefährder ab. Aber wir schaffen für fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch die notwendige Rechtssicherheit.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Stamp. – Für die AfD-Fraktion hat jetzt das Wort Dr. Gottfried Curio.
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Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben den Offenbarungseid der deutschen Migrationspolitik. Und: Der Hauptschuldige spielt schnell ein bisschen AfD. Wir stellen fest: Einwanderung ist kein Menschenrecht. Illegaler Grenzübertritt ist ein krimineller Akt. Die Abwehr illegaler Migration ist Staatspflicht. Deutschland verletzt diese Pflicht eklatant.
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Polen hingegen schützt sich, Deutschland und die ganze EU. Binnenfreizügigkeit hat den Schutz der Außengrenzen zur notwendigen Voraussetzung. Polen handelt in unserem Interesse, da die Migranten auf ihrer Reise durch sichere Drittstaaten offenbar keinen Schutz suchen, sondern nur den Weg ins Abzockschlaraffenland Deutschland. Wer vor Polens Grenze „Germany“ schreit, sucht nicht Asyl.
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Polen braucht jetzt keinen Etikettenschwindel – wie Frontex –, sondern wirklich effektive Unterstützung gegen die Angreifer, die mit Steinen werfen und Grenzanlagen niederreißen. Wo die Grenzen löchrig sind wie Schweizer Käse, will Deutschland noch den Käse wegnehmen und nur die Löcher übrig lassen. Polen will die Löcher stopfen. Nicht Brüssel, nicht NATO, nicht Merkel verteidigen Deutschland; das tut nur noch Polen. Dafür schulden wir ihm unsere volle Unterstützung, meine Damen und Herren.
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Aber der CDU-Bock will sich jetzt als Gärtner aufspielen mit seinen alten Trugworten „Migration ordnen und steuern“, „neue Pull-Faktoren verhindern“. Wie wäre es denn mal damit, alte Pull-Faktoren zu verhindern? Übermäßige Sozialleistungen für Migranten, offene Grenzen, nie erfolgende Abschiebungen, wofür diese Union samt SPD verantwortlich ist. „Ordnen“ heißt bei denen: das Chaos durchnummerieren; „steuern“ heißt: weiter in den Abgrund. Das sind die Leute, die nicht die Probleme der weltweiten illegalen Migration nach Deutschland lösen wollen. Nein, Sie haben sie alle erst geschaffen. Solche Heuchelei wie im Unionsantrag braucht niemand.
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„Lukaschenko stoppen“: Stoppen Sie doch mal die kriminellen Angreifer. Da werden nicht arme Migranten, die nicht wissen, wie ihnen geschieht, für irgendwas instrumentalisiert. Die machen genau das, was sie selbst wollen. Diese Täter haben ihre Lage selbst herbeigeführt, um sich eine Rundumversorgung in Deutschland zu erpressen; denn Deutschland ist das Problem. Nur weil Deutschland nicht sagt: „Wir nehmen euch nicht, wir zahlen für euch nicht“, nur deshalb haben wir solche Probleme.
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Mit Lukaschenko sucht man ein Alibi fürs eigene Versagen. Mit Weißrusslands Durchlässigkeit als Transitland für migrationswillige Glücksritter handelt der aber sogar genau gemäß dem globalen Migrationspakt, von Ihnen initiiert. Das ist nur Umsiedlung pur um jeden Preis. „Mission Lifeline“, die illegale Migranten übers Mittelmeer bringen, nennen sich jetzt unverhohlen „Team Umvolkung“. Also: Helfen wir Polen bei der effektiven Sicherung der gemeinsamen Außengrenze. So geht Steuern und Begrenzen.
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Aber Herr Habeck will stattdessen die Leute reinholen und so die illegale Migration weiter anheizen. Er findet halt „Vaterlandsliebe … zum Kotzen“, „wusste … mit Deutschland noch nie etwas anzufangen“. So ein Minister wäre eine Schande für Deutschland, meine Damen und Herrn.
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Und wenn Merkel meint: „Wir haben das geschafft“,
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spielt sich vor unseren Augen ein zweites 2015 ab. Die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts wiederholt sich. Wir sagen: Das darf nicht sein. Bewahren wir das Recht, bewahren wir Deutschland, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat für die Fraktion Die Linke Gökay Akbulut.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mindestens zehn Menschen sind bereits an der Grenze von Polen zu Belarus gestorben – zehn Menschen, die nicht hätten sterben müssen, hätte man geltendes Recht an der EU-Außengrenze eingehalten. Täglich werden Menschen Opfer von illegalen Pushbacks von Polen nach Belarus und an anderen europäischen Grenzen.
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Ich selber betreue einige solcher Fälle als Abgeordnete und stehe im Austausch mit vielen NGOs. Ich möchte hier noch mal betonen, dass für die EU Menschenrechte Maßstab politischen Handelns sein müssen
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und nicht die Erzählung, dass geflüchtete Menschen als Waffen eingesetzt werden.
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Schutzsuchende sind keine Waffen und keine Kriegsparteien.
Die Zurückweisung von Geflüchteten ohne individuelle Prüfung des Asylverfahrens ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen geltendes EU-Asylrecht.
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Frau Kollegin Akbulut, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Frohnmaier von der AfD?
Nein, danke. Wir müssen weitermachen. – Diese Rechte können nicht durch nationale Gesetzgebung ausgehebelt werden, wie es derzeit Polen immer wieder versucht. Hiergegen muss die Europäische Kommission endlich vorgehen.
Die EU darf sich gegenüber Lukaschenko nicht erpressbar machen, heißt es immer wieder. Aber die EU hat sich doch selbst in diese Lage gebracht, weil sie die Aufnahme einer überschaubaren Zahl von Schutzsuchenden als Bedrohung dargestellt hat.
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Doch was sind ein paar Tausend Menschen auf 450 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger verteilt? Die Situation an der Grenze ist doch einfach untragbar.
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Erschreckend ist, wie sehr das rechte Narrativ der Abschottung um jeden Preis inzwischen die Asyldebatte in Deutschland bestimmt. 2015 wurde die Forderung der AfD, die Grenzen zu schließen und Flüchtlinge zurückzuweisen, notfalls mit Zäunen und Schießbefehl, noch einhellig zurückgewiesen. Aber inzwischen wird der Bau von Mauern propagiert, und man nimmt tote Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze hier anscheinend achselzuckend in Kauf.
Wir möchten uns aber nicht an diese Bilder gewöhnen. Deutschland und die Europäische Union dürfen nicht weiter Teil des Wettbewerbs der Brutalität sein und das menschenverachtende Spiel Lukaschenkos, bei dem alle Gesetze und Flüchtlingskonventionen nicht mehr gelten, befeuern. Diese menschenverachtende Migrationspolitik der Europäischen Union muss endlich beendet werden. Die NGOs brauchen dringend und so schnell wie möglich Zugang, damit sie den Menschen helfen und sie unterstützen können, weil die Europäische Union und auch die Bundesregierung systematisch in der Migrationsfrage versagen. Diese menschenverachtende Flüchtlingspolitik muss endlich beendet werden.
Vielen Dank.
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Das Wort erhält für eine Kurzintervention der Abgeordnete Frohnmaier von der AfD.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist ja schon interessant, wenn man hier heute wieder zuhört. Da stellt sich sofort die Frage – auch wenn man der Vorrednerin zugehört hat –: Wie viele Personen würden Sie denn bei sich daheim aufnehmen?
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Sie werben immer dafür, dass wir eine Politik der offenen Tür fortsetzen sollen, dass man human sein soll. Vorhin wurde von einer Zuwanderung zu europäischen Werten etc. gesprochen. Allein auf dem afrikanischen Kontinent mit 1,2 Milliarden Menschen gelten beispielsweise zwei Drittel davon als ausreisewillig. Wollen Sie all diese Leute dann in die Europäische Union und nach Deutschland bringen? Diese Frage müssen Sie uns doch mal grundsätzlich beantworten.
Sie können – das sage ich Ihnen als Entwicklungspolitiker –
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die Probleme anderer Länder nicht lösen, indem Sie alle Menschen aus den Ländern, aus denen jetzt migriert wird, nach Deutschland holen. Peter Scholl-Latour hat mal gesagt: Man kann Kalkutta nicht helfen, indem man Deutschland zu Kalkutta macht. – Das ist doch das, worauf man sich endlich mal festlegen müsste. Versuchen Sie, durch eine gute Entwicklungszusammenarbeit die Situation in Ländern vor Ort zu verbessern. Aber hören Sie doch mal auf, uns zu erzählen, dass wir die Probleme der Welt lösen können, indem wir die Welt nach Deutschland bringen. Das wird nicht funktionieren; das ist völlig absurd.
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Dann vielleicht zum Abschluss noch: Beenden Sie doch einfach mal Interventionismus. Es gibt doch einen Grund, warum wir weltweit Migrationsbewegungen haben. Und CDU und CSU, lieber Kollege Frei, sie haben doch Lukaschenko und Co gezeigt, wie es geht. Sie bezahlen doch bis heute Schutzgeld an Erdogan dafür, dass illegale Migration nicht stattfindet. Vor zwei Jahren, als die AfD darüber gesprochen hat, dass Migration als Waffe eingesetzt wird, –
Herr Kollege Frohnmaier.
– da waren wir ein Fall für das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Herr Kollege Frohnmaier!
Ich komme direkt zum Schluss. – Heute sagt die Europäische Union selber „weaponization of migration“. Das ist doch, was gerade stattfindet. Das muss beendet werden.
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Frau Kollegin Akbulut, Sie können antworten, Sie müssen aber nicht. – Alles klar.
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Dann bekommt jetzt das Wort der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Die CDU/CSU-Fraktion nimmt ihre neue Rolle als voraussichtliche Oppositionsfraktion an. Und, Herr Kollege Stamp, wir freuen uns immer, wenn hier auch Vertreter einer erfolgreichen nordrhein-westfälischen Landesregierung das Wort ergreifen.
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Aber ich muss schon sagen: Einerseits fordern Sie uns auf, die Oppositionsrolle anzunehmen, und wenn wir dann argumentieren und der Kollege Frei hier auch die innenpolitische Debatte führt, dann antworten Sie andererseits darauf, wir sollten hier nicht mit parteipolitischen Spielchen anfangen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
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Wenn wir Opposition machen sollen – und das werden wir machen –, dann werden wir hier auch entsprechend auftreten, dann werden wir auch entsprechende Diskussionen hier miteinander führen müssen. Das hat unser Fraktionsvorsitzender heute eindrucksvoll gezeigt, und das hat auch der Kollege Frei vorhin deutlich gemacht. Einen Kuschelkurs, liebe links-gelbe Koalition, die sich hier auf den Weg macht, wird es mit der CDU/CSU-Fraktion also nicht geben, sondern wir tragen unsere Sachargumente vor.
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Dabei stehen wir natürlich vor der schwierigen Aufgabe – das wissen wir hier auch alle in diesem Hohen Hause – der Abgrenzung von der AfD. Das ist heute aber noch einmal sehr deutlich geworden. Ich muss sagen, Herr Kollege Curio: Was Sie hier wieder an politischer Brunnenvergiftung geleistet haben, hat wirklich wieder dem Fass den Boden ausgeschlagen.
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Hier von „Angreifern“ zu sprechen, wenn Menschen in der Tat in einer schrecklichen Art und Weise von einem Diktator als Mittel politischer, staatlicher Gewalt eingesetzt werden, finde ich abenteuerlich.
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So schlimm die Situation ist: An allererster Stelle sind es Menschen, zu deren Hilfe und Schutz wir Europäer verpflichtet sind.
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Herr Kollege Wadephul.
Ich würde meine Rede gerne fortführen. – Deswegen war es richtig, dass die Bundeskanzlerin Herrn Putin angerufen hat und gesagt hat, dass auch er eine Mitverantwortung hat.
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Sie als die größten Verteidiger von Herrn Putin könnten an dieser Stelle mal einen einzigen Satz dazu sagen, was die russische Mitverantwortung für die jetzige Situation ist.
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Dazu würde ich gern was von Ihnen hören. Herr Putin kann es sofort stoppen. Fordern Sie ihn doch mal dazu auf! Aber Sie sind doch am Gängelband von Moskau. Deswegen wagen Sie es nicht, das hier entsprechend aufzuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Außenminister hat gesagt, dass es überfällig ist. Herr Maas, wir haben ja die bisherige Bundesregierung mitgetragen, die jetzt geschäftsführend im Amt ist. Das muss ich auch selbstanklagend sagen: Vier Monate macht Lukaschenko jetzt schon diese Aktion: 50 Flüge pro Woche! Und nächste Woche will die EU nun endlich mal etwas machen. Herr Außenminister, ich muss sagen: Das muss jetzt endlich bei allen Verhandlungen über die neue Koalition, die Sie führen, Ihre Toppriorität werden, dass diese Sache mit Belarus gestoppt wird. Da muss die EU endlich in Vorhand kommen.
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Frau Kollegin Brantner, Sie haben eine Rede gehalten, bei der ich an vielen Stellen zustimmen konnte. Wenn es so ist, dass die Grünen dafür sorgen werden, dass die neue links-grüne Koalition, links-gelbe Koalition – –
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– Ja, sie ist auch grün. – Wenn Sie dafür sorgen wollen, dass es jetzt eine harte Hand gegen Moskau gibt, dann werden Sie unsere Unterstützung haben. Dabei werden wir Sie unterstützen. Machen Sie weiter! Dazu gehören auch 2 Prozent des Bundeshaushalts für Verteidigungsausgaben. Dazu wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Da haben Sie die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wadephul. – Nunmehr folgt für die SPD-Fraktion Herr Professor Lars Castellucci.
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Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Tagesordnung steht Migration; doch wir haben es mit einem Verbrechen zu tun. Wir haben es mit jemandem zu tun, der nicht nur sein eigenes Volk unterdrückt, sondern auch Menschen auf widerwärtigste Weise anlockt, als Druckmittel benutzen will und im Niemandsland zurücklässt.
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Deshalb eine klare Aussage, eine klare Botschaft an Herrn Lukaschenko: Europa ist stärker.
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Wir haben es hier mit staatlichem Menschenschmuggel zu tun, und wir werden alles dafür tun, diesen staatlichen Menschenschmuggel zu unterbinden: mit Einwirken auf Belarus, mit Einwirken auf die Länder, wo die Menschen herkommen, mit Einwirken auf die Fluggesellschaften. Wir haben staatlichen Menschenschmuggel, und wir werden ihn nicht akzeptieren. Wir werden die Rechte Europas hochhalten. Das ist unsere erste Aufgabe.
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Ein Wort an die Union. „Migration ordnen, steuern und begrenzen“, so lautet Ihr Antrag. Taufrisch ist diese Wahlperiode, und schon haben Sie Ihren Grundsatz der letzten Wahlperiode, diesen ungeliebten Grundsatz, der immer dazukam, über Bord geschmissen: die Humanität. Aber ich sage Ihnen: Es geht, wenn es um Ordnung geht, immer um beides. Es geht nicht um irgendeine Ordnung, sondern es geht um eine Rechtsordnung.
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Und diese Rechtsordnung erfordert, dass wir das Recht auch an den europäischen Außengrenzen aufrechterhalten. Dazu gehören immer und zu jeder Zeit die Menschenrechte. Deswegen: Humanität und Ordnung gehören zusammen. Sie sind nicht trennbar.
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Lieber Herr Frei oder Herr Wadephul, viele Grüße von Links-Grün oder von Links-Gelb oder von was auch immer. Machen Sie sich mal keine Sorgen um die Mitte. Passen Sie lieber auf, dass Sie nicht zu weit nach rechts rücken!
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Herr Kollege Castellucci, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nastic
Nein, danke. – Kolleginnen und Kollegen, die in den Grenzregionen unseres Landes ihre Wahlkreise haben, haben mir berichtet, dass es dort zu abscheulichen Taten gekommen ist, zu Menschenjagden, dass Waffen aufgefunden wurden. Das ist beschämend; das ist abscheulich. Noch beschämender und noch abscheulicher ist, dass der verlängerte Arm dieser Rechtsextremen hier in diesem Parlament sitzt und hier wieder solche Reden gehalten wurden.
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Herr Curio, schämen Sie sich einfach für Ihre Rede!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Grundsätze. An den Außengrenzen Europas soll niemand zu Tode kommen. Wer an unsere Außengrenzen kommt, soll menschenwürdig behandelt werden. Wer nach Asyl fragt, der soll ein faires Verfahren erhalten.
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Niemand soll dorthin zurückgeschickt werden, wo Tod und Verderben drohen. Das sind unsere Grundsätze. So steht es in der Europäischen Menschrechtskonvention, und so steht es seit 70 Jahren in der Konvention über die Rechte von Flüchtlingen. Wir dürfen nicht nachlassen, uns für diese Rechte einzusetzen. Dazu rufe ich uns alle auf.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Für eine Kurzintervention bekommt das Wort Zaklin Nastic.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Castellucci hat uns die Lage beschrieben, und ja, es sind Verbrechen. Menschen werden für politische Zwecke benutzt. Sie werden sowohl von Lukaschenko als auch von der polnischen Regierung für ihre schändlichen Zwecke benutzt.
Sie sprechen darüber, dass hier Rechte sitzen – das ist vollkommen richtig – und kritisieren es. Aber in der polnischen Regierung sitzen die Brüder im Geiste der AfD. Dass hier niemand darüber spricht und es endlich einfordert, dass internationale Beobachter/-innen, dass Menschenrechtsorganisationen von dieser Regierung endlich einen freien Zugang zur Sperrzone bekommen, macht mich übrigens auch als Polin wirklich traurig; denn die Regierung tut alles, außer den Menschen in Not zu helfen.
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In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat man sich, haben wir uns dazu verpflichtet.
Nicht zuletzt ist es eine Frage an alle, die hier aus verschiedenen politischen Ecken geredet haben. Es wird darüber gesprochen, woher die Menschen kommen. Sie suchen Schutz. Es wird nicht darüber geredet, wieso sie fliehen,
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darüber, dass die Menschen aus dem Jemen kommen, dass sie aus dem Irak kommen, aus Syrien, auch viele Kurdinnen und Kurden, dass diese Menschen vor Regime Change und auch teilweise vor Beteiligung an NATO-Kriegen fliehen. Und auch noch, dass in den Staaten wie Saudi-Arabien und in der Kriegskoalition die Kriegsparteien mit Waffen aus Deutschland ausgerüstet werden, ist ein Verbrechen an diesen Menschen. Deswegen hat man erst recht die Verantwortung, sie hier aufzunehmen und ihnen an der polnisch-weißrussischen Grenze endlich zu helfen.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kollegin, vielen Dank, dass Sie sich zu Wort gemeldet haben. Ich will darauf reagieren. Ich finde, Sie müssen aufpassen, dass Sie das Geschäft von Herrn Lukaschenko, der ja anstrebt, Europa zu spalten, nicht hier selber auch noch mal vorantreiben. Wir müssen als Europa zusammenstehen in dieser Krise. Deswegen geht es jetzt nicht darum, Vorhaltungen zu machen, sondern darum, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.
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Ich bin kein Freund von Mauern oder Zäunen und den Dingen, die da jetzt wieder entstehen, aber ich halte auch nichts von dem Konzept Ihrer Fraktion, dass es einfach Free Choice geben soll und dass jeder kommen kann. Unsere Überzeugung ist: Migration braucht gute Regeln. Wir werden immer dort helfen, wo Hilfe nötig ist, soweit es in unseren Möglichkeiten steht. Das wünsche ich mir, und das erhoffe ich mir als die Leitlinie unserer neuen Bundesregierung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nunmehr hat als letzte Rednerin in dieser Debatte das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Andrea Lindholz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Antrag heute geht es um die migrationspolitische Notlage an der östlichen EU-Außengrenze. Der weißrussische Diktator Lukaschenko benutzt dort verzweifelte Migranten, um die EU zu spalten, und das dürfen wir ihm nicht durchgehen lassen.
Wir sehen heute in dieser Debatte auch wieder die schwierigen Prozesse des Grenzschutzes auf der einen Seite und auf der anderen Seite natürlich die Tatsache, dass es immer auch um Menschen geht, dass es um Migranten geht. Zunächst einmal begrüßt es die Unionsfraktion, dass der geschäftsführende Bundesinnenminister die Schleierfahndung bereits ausgeweitet und die Bundespolizei an der Grenze zu Polen deutlich verstärkt hat.
Unsere Sorge ist aber, dass Deutschland als Führungsnation in der EU auf diese perfide Strategie von Lukaschenko, Putin und Erdogan nicht entschlossen genug reagiert. Die alte Bundesregierung ist nicht mehr wegweisend im Amt; die neue Bundesregierung, die kommen wird, ist es noch nicht. Deutschland und die EU dürfen sich nicht von den Machenschaften des weißrussischen Diktators Lukaschenko erpressen lassen. Wir dürfen nicht nachlassen, Migration weiterhin zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen.
Deutschland ist nach wie vor Hauptzielland für irreguläre Migration.
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Wir dürfen daher auch nicht, wie es die Ampel offensichtlich vorhat, neue Anreize durch Spurwechsel, durch die Erhöhung von Asylbewerberleistungen oder durch Änderungen bei der Staatsangehörigkeit schaffen; denn damit schaffen wir neue Hoffnungen und einen neuen Druck Richtung Europa und Richtung Deutschland.
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Kollegin Lindholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage von den Grünen?
Nein. – Unser Motto muss sein: Ordnung statt Erpressung. Und nichts anderes. Falsche Signale dürfen wir nicht zulassen.
Angesichts der aktuellen Situation fordern wir in unserem Antrag von der Bundesregierung eine Reihe von Gegenmaßnahmen.
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Drei davon möchte ich exemplarisch anreißen.
Erstens soll die EU Polen, aber auch Litauen und Lettland beim Schutz der gemeinsamen Außengrenzen in jeder Hinsicht unterstützen; denn freie Binnengrenzen gibt es nicht ohne sichere Außengrenzen, und ohne sichere Außengrenzen gibt es auch keine Ordnung in der Migration. Wir dürfen unsere polnischen Nachbarn mit diesem Akt der hybriden Kriegsführung auch nicht alleine lassen; darauf hat bereits Manfred Weber, der EVP-Fraktionsvorsitzende, hingewiesen.
Zweitens. Die Fluglinien und Staaten, die dem Regime in Minsk diese irreguläre Migration ermöglichen, müssen sanktioniert werden. Dazu gehören auch europaweite Lande- und Überflugverbote.
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Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum es jetzt Wochen braucht, bis hier gehandelt und reagiert wird. Stattdessen werden falsche Visa ausgestellt, und diese werden noch nicht einmal kontrolliert. Es muss hier Sanktionen geben.
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Drittens. Die EU muss die Rückführung von nicht schutzberechtigten Personen forcieren und darf die Sekundärmigration, vor allem nach Deutschland, nicht zulassen. Wir müssen diese Sekundärmigration wirksam unterbinden.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Deutschland hilft. Deutschland hilft wie kein anderes Land bei der Aufnahme, bei der Integration, bei der Hilfe vor Ort in Krisengebieten. Darauf können wir stolz sein. Dabei werden wir auch nicht nachlassen. Aber was wir nicht akzeptieren können, ist, dass mit kurzsichtiger Migrationspolitik neue Anreize geschaffen werden und dass wir durch unklare, statt schnelle und zügige Sanktionen Menschenleben aufs Spiel setzen und Schmugglern, Diktatoren und Populisten in die Hände spielen. Das, sehr geehrte Damen und Herren in diesem Parlament, kann nicht unser Ansatz sein.
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Deswegen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen: für eine Ordnung und für eine Begrenzung der Migration und gegen diese Politik der hybriden Kriegsführung.
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Das Wort für eine Kurzintervention erhält Julian Pahlke aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Lindholz, auch Sie haben gerade wieder diese Formulierung der „hybriden Kriegsführung“ benutzt. Ich bin heute Nacht aus dem Grenzgebiet zu Belarus zurückgekommen. Ich habe gesehen, wer dort an der Grenze steht. Das sind keine Waffen. Das sind Menschen. Das sind Menschen, die teilweise sechsmal zurückgebracht worden sind,
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zurück in die Arme von Lukaschenko, in die Arme der brutalen Einheiten, die dort an der Grenze stehen. Darum geht es. Das sind Menschen, die sich in den letzten Wochen teilweise von Blättern ernährt haben, weil es nichts zu essen gab, die Wasser aus Pfützen trinken müssen.
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– Ja, und Sie toben jetzt.
Wissen Sie, worum es geht?
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Es geht um nichts anderes als um die Menschenrechte, um die universellen Menschenrechte.
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Ja, Sie können mich jetzt hier anschreien. Aber ich sage Ihnen eins: Diese Rechte, die würde ich auch für Sie verteidigen, wenn Sie angegriffen würden. Das ist der Sinn und das ist der Zweck von universellen Grundrechten. Um nichts anderes geht es als um diese Gültigkeit. Dafür müssen wir uns einsetzen und auch für die Gültigkeit der Menschenrechte in unserer Europäischen Union.
Vielen Dank.
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Kollegin Lindholz, möchten Sie antworten? – Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich kann das verstehen; denn natürlich, es geht um Menschen. Tatsache ist aber, dass Lukaschenko mit seinem Regime nichts anderes macht, als Menschen als Waffe zu benutzen und damit eine hybride Kriegsführung zu betreiben. Nichts anderes ist das.
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Ich kann es nicht gutheißen, dass Menschen sich mit Visa, die sie offensichtlich erhalten, auf Wegen, die sie eigentlich gar nicht nehmen dürften oder könnten,
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unkontrolliert in Richtung Belarus begeben und dann weiter an die polnische Grenze.
Es geht also genau um Menschenrechte, für deren Einhaltung wir uns hier einsetzen müssen, indem wir Sorge dafür tragen, dass Menschen nicht als Waffen benutzt werden. Das ist einfach der Punkt. Wenn ich für Menschenrechte bin, dann aber akzeptiere, dass mit dem Leid der Menschen ein ganz mieses Spiel betrieben wird, dann hat das für mich mit der Wahrung von Menschenrechten nichts zu tun.
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Mir ist es vollkommen klar, dass es eine schwierige Abwägung ist. Aber wenn wir hier nicht entschieden und klar vorgehen und Grenzen setzen – und da ist die Europäische Union viel zu spät unterwegs –, dann werden wir diese Situation immer und immer wieder erleben.
Am Ende geht es um die Menschen und um nichts anderes.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt reden wir über die Anpassung der pauschalen Durchschnittsbesteuerung von landwirtschaftlichen Umsätzen. Dieses Gesetz ist reine Pflicht, keine Kür. Es dient allein dazu, eine der vermutlich noch zahlreichen faulen Kartoffeln aus der Regierungszeit von CDU und CSU zu entsorgen, und zwar so zu entsorgen, dass sie keinen milliardenschweren Schaden für unsere Landwirte anrichtet.
Seit Jahren gibt es nämlich einen intensiven Streit zwischen der EU-Kommission und dem CDU-geführten Landwirtschaftsministerium. Worum geht es? Die EU-Kommission hat kritisiert, dass Deutschland eine besondere Ausnahme bei der Umsatzbesteuerung, nämlich die Möglichkeit, die Umsätze pauschal nach Durchschnittssätzen zu besteuern, um Bürokratie zu sparen, in der Landwirtschaft zur Regel gemacht hat, und zwar nicht, um einfach von Bürokratie zu entlasten, sondern, um damit die Landwirtschaft zusätzlich zu subventionieren.
Die Kommission hat deswegen nicht nur ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die EU-Kommission hat bereits Anfang 2020, also vor fast zwei Jahren, auch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen unzulässiger Beihilfe eingereicht. Das heißt: Im Zweifel drohen den deutschen Landwirten Rückzahlungen in Höhe von 2 Milliarden Euro. Auf diese Summe schätzt jedenfalls die Kommission die unzulässige Beihilfe an die deutsche Landwirtschaft über die letzten zehn Jahre.
Aber die CDU/CSU hat sehenden Auges und offenbar aus rein wahlkampftaktischen Gründen fahrlässig eine tragfähige gesetzliche Korrektur dieser Regelung über eineinhalb Jahre verhindert.
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Und deshalb müssen wir uns jetzt, nach der Wahl, auf den wirklich allerletzten Drücker, noch mitten im Konstituierungsprozess und ohne gewählte Regierung – –
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Entschuldigung, Frau Kollegin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich fröhlich unterhalten wollen, spricht nichts dagegen. Aber bitte nicht hier im Raum!
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Deshalb müssen wir uns also jetzt mit diesem Gesetz beschäftigen – ohne gewählte Regierung. Ich finde, das ist wirklich grotesk, meine Damen und Herren.
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Den Bundesrat hat der Gesetzentwurf jetzt nach der Wahl auch ohne großes Federlesen mit den Stimmen der CDU in erster Lesung passiert.
Und was steht drin? Vor allem soll nun der Durchschnittssatz der Umsatzbesteuerung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf von 10,7 auf 9,5 Prozent abgesenkt werden. Darüber hinaus wird die Berechnungsformel, die zur Kalkulation des Durchschnittssatzes dient, gesetzlich festgelegt. Damit greift der Gesetzentwurf eine Empfehlung des Bundesrechnungshofes auf, der übrigens die geltenden Bestimmungen der Durchschnittsbesteuerung bereits 2015 als europarechtswidrig kritisierte.
Ja, die Absenkung des Durchschnittsbesteuerungssatzes bedeutet wohl 95 Millionen Euro weniger für die Landwirte. Und ja, es wird auch, wieder diejenigen treffen, die heute schon um ihr Überleben kämpfen. Aber: Eine Milliardenrückzahlung ist leider wirklich nicht die bessere Alternative, meine Damen und Herren.
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Die Einkommenssituation vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist aktuell wirklich äußerst schwierig, insbesondere bei den tierhaltenden Betrieben. Gerade die kleinen und regional verankerten Betriebe müssen aber erhalten bleiben, wenn wir den Umbau der Landwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit und regionaler Erzeugung voranbringen wollen.
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Die Entwicklung ist wirklich dramatisch: Seit 2010 ging die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 13 Prozent zurück.
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Die Zahl der viehhaltenden Betriebe insgesamt sank in der gleichen Zeit sogar um 22 Prozent. Und bei den Milchviehbetrieben war die Entwicklung noch einmal dramatischer: ein Minus von 40 Prozent. Umgekehrt entwickelte sich der Konzentrationsprozess: Seit 2010 stieg die durchschnittliche Zahl der Milchkühe pro Betrieb von 46 auf 72 Tiere. Und die durchschnittliche Zahl der Schweine pro Betrieb stieg von knapp 460 auf 826 Tiere, also auf fast das Doppelte, in derselben Zeit. Insbesondere kleine Betriebe brauchen daher dringend unsere Unterstützung und pragmatische Lösungen, meine Damen und Herren.
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Hierzu gehört aus unserer Sicht auch, dass wir der Umgehung der Grunderwerbsteuer durch Share Deals endlich gesetzlich einen Riegel vorschieben, meine Damen und Herren.
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Kapitalinvestoren, die Spekulation von Hedgefonds haben in den vergangenen Jahren zu erheblichen Preissteigerungen bei Ackerland und Pacht geführt. Steuerfreie Share Deals mit Grundbesitz spielen dabei eine erhebliche Rolle. Sie zerstören eine breite Eigentumsstreuung in der Landwirtschaft. Sie führen zur Verdrängung von bäuerlich und ökologisch wirtschaftenden Betrieben – zugunsten von Agrarholdings ohne Verankerung in der Region. Wir von den Grünen wollen deshalb das Steuerschlupfloch „Share Deals“ schnellstmöglich schließen.
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Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält nun das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, jetzt wird es wieder etwas technisch – die Finanzer kommen –: Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im Umsatzsteuerrecht. Dieses Gesetz enthält in der Tat zwei Regelungen, die vor dem Hintergrund des Unionsrechts noch vor Jahresende umzusetzen sind. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute hier in dieser Debatte den Gesetzentwurf einbringen und ihn dann auch weiter beraten.
Das Ganze, was wir hier diskutieren, klingt sehr technisch. Die erste Maßnahme, die wir umsetzen, klingt in der Tat noch technischer; es geht um die Steuervergütung für Leistungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Aber Sie hören schon an der Bezeichnung: Es geht tatsächlich auch hier um das Thema, das uns alle sehr intensiv beschäftigt. Es geht tatsächlich auch um die Frage, wie wir diese Krise innerhalb Europas lösen. Und da ist ganz klar: Wir möchten sie solidarisch lösen.
Hier geht es um Steuervergütungen. Wenn europäische Einrichtungen in Deutschland Leistungen, die sie zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beziehen – da geht es beispielsweise um Beatmungsgeräte und andere spezialisierte Behandlungsmechanismen –, unentgeltlich an Dritte weiterreichen, ist es das gemeinsame Verständnis der Mitgliedstaaten, dass davon nicht die nationalen Fisken profitieren sollen, sondern grundsätzlich auf die anfallende Umsatzsteuer verzichtet wird. Das ist, glaube ich, eine Lösung, die richtig und gut ist und die auch dazu beiträgt, dass wir hier gemeinsam gut aus der Krise kommen.
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Ganz praktisch bedeutet das, dass sich europäische Einrichtungen, wenn sie entsprechende Gegenstände erwerben, die hierfür gezahlte Umsatzsteuer vom Fiskus erstatten lassen können. Das schafft zusätzliche finanzielle Spielräume bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.
Wenn solche Gegenstände aus einem Drittland nach Deutschland geliefert werden, dann ist die Einfuhr steuerbefreit, also auch hier eine saubere Lösung.
Ich denke, wir sind uns alle einig, dass es nicht nur aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben Sinn macht, das hier zeitnah umzusetzen, sondern auch deswegen, weil es eine sinnvolle Regelung ist.
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Der zweite Punkt – das hat die Kollegin Lisa Paus ja schon vorgestellt – ist die Umsatzbesteuerung der Landwirte, da konkret die Durchschnittsbesteuerung der Landwirte. Das hat uns in der vergangenen Legislaturperiode in der Tat häufiger beschäftigt. Hier geht es ganz praktisch darum, dass man für kleinere landwirtschaftliche Betriebe eine Vereinfachungsregelung vorsieht. Auch da ist es erst einmal so, dass es in der Tat eine sinnvolle Maßnahme ist. Sie besagt nämlich, dass Landwirten für bezogene Leistungen zwar kein Vorsteuerabzug zusteht; sie bekommen vom Finanzamt die Umsatzsteuer auf ihre Eingangsleistung also nicht erstattet. Aber sie brauchen umgekehrt die Umsatzsteuer, die sie bei ihren Rechnungen ausweisen und vereinnahmen, nicht an den Fiskus abzuführen. Die einbehaltene Umsatzsteuer kompensiert also den fehlenden Vorsteuerabzug.
Der Prozentsatz, der angibt, in welcher Höhe Landwirte in ihren Rechnungen Umsatzsteuer ausweisen dürfen, das ist der genannte Durchschnittssatz. Wenn dieser Durchschnittssatz zu hoch ist, dann erfolgt eine Überkompensation; denn die Landwirte nehmen dann mehr Umsatzsteuer ein, als ihnen über den fehlenden Vorsteuerabzug entgeht. Das ist in der Tat so, und das – darum diskutieren wir hier – verstößt gegen das Unionsrecht. Deswegen müssen wir hier Abhilfe schaffen.
Derzeit beträgt der Durchschnittssatz 10,7 Prozent. Richtigerweise dürfte er, nach den aktuellen Daten und der anzuwendenden Berechnungsmethode, jedoch nur 9,5 Prozent betragen. Daher möchten wir den Durchschnittssatz mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf diese Höhe anpassen.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass wir hier wirklich handeln müssen, weil wegen der Höhe des Durchschnittssatzes sowohl ein Vertragsverletzungsverfahren als auch ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland existieren. Wir riskieren sonst, mit möglichen Rückforderungsansprüchen, auch an unsere Landwirte, in Milliardenhöhe konfrontiert zu werden. Deswegen – auch wenn das für die Landwirte sicherlich erst einmal eine Sache ist, mit der sie lernen müssen umzugehen – ist es richtig, dass wir hier so handeln.
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Damit das Verfahren auch in Zukunft rechtssicherer ist, steht in dem Gesetzentwurf zusätzlich, dass das Bundesministerium der Finanzen die Höhe des Durchschnittssatzes in Zukunft jährlich überprüft, dem Gesetzgeber jährlich berichten soll und bei Bedarf einen Gesetzwurf zur Anpassung des Durchschnittssatzes vorlegt. Ich glaube, damit sind wir gut aufgestellt und geben auch unseren Landwirten eine gute Perspektive.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Ryglewski. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort die Kollegin Antje Tillmann.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der eventuell künftigen Koalition, nicht eine einzige vollständige Sitzungswoche haben Sie abgewartet, um das erste Steuererhöhungsgesetz dieser künftigen Koalition auf den Weg zu bringen.
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– Liebe Kollegen der FDP, ihr habt nicht eine Woche standgehalten! Noch bevor der Koalitionsvertrag unterschrieben wird, macht ihr die erste Steuererhöhung; das lässt manches ahnen.
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Ich will mal nicht davon ausgehen, dass Sie gedacht haben, dass es sich, weil der Durchschnittssatz von 10,7 auf 9,5 Prozent gesenkt wird, um eine Steuersenkung handelt. Denn Sie wissen ja sehr wohl, dass durch das System der Durchschnittsbesteuerung eine Senkung des Durchschnittssteuersatzes zu einer zusätzlichen Belastung der Landwirte führt.
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Es ist wahr, dass die Europäische Kommission die Senkung des Durchschnittssteuersatzes angemahnt hat; das ist so. Das wissen auch wir. Deshalb hatte ja auch das Finanzministerium im Sommer dieses Jahres eine Absenkung auf 9,6 Prozent vorgeschlagen. In der Zwischenzeit haben wir die Bemessungsgrundlage verändert, sodass eine erhebliche Zahl von landwirtschaftlichen Betrieben nicht mehr durch die Durchschnittsbesteuerung begünstigt wird. Seit dem Jahressteuergesetz 2020 dürfen Landwirte mit einem Umsatz über 600 000 Euro gar nicht pauschalieren.
Warum dann aber der Steuersatz, den das BMF heute vorschlägt, mit 9,5 Prozent noch niedriger ist, obwohl wir weniger Begünstigte haben, das werden wir uns am Montag in der Anhörung sehr genau erklären lassen. Das konnte uns bisher nämlich niemand tatsächlich transparent machen. Man könnte meinen, 0,1 Prozentpunkte wären eine Kleinigkeit. Nein, das sind 8 Millionen Euro für die Landwirte und Landwirtinnen. Das wollen wir am Montag hinterfragen.
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Es war im Referentenentwurf aber noch schlimmer. Nicht nur, dass die Zahlen nicht transparent gemacht werden, es wurde zudem deutlich, dass das Finanzministerium auch in Zukunft das Parlament eher als lästig empfindet. Es war nämlich vorgesehen, dass künftig die Anpassungen des Pauschalsatzes allein durch das BMF erfolgen sollen, also durch Schreiben eines Ministers. Dass der Tarif auf Rädern, liebe Kollegen von der FDP, von Ihnen so gemeint war, dass er automatisch zu Steuererhöhungen führt, war mir bisher nicht klar, aber Sie werden es mir gleich bestimmt erklären können.
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Unsere Landwirtschaftsministerin Klöckner hat das abgewiesen. Wir werden jedes Mal wieder im Parlament darüber diskutieren müssen und werden uns die Zahlen jeweils vorrechnen lassen.
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Insgesamt ist dieser erste Gesetzentwurf aber natürlich ein schlechtes Omen für die Zukunft. Denn wenn ich mir die Sondierungspapiere ansehe und die Diskussionen von Ihnen anhöre, so zeigt sich: Es gibt weder Vorsorge hinsichtlich der reduzierten Besteuerung der Renten
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noch Maßnahmen, den Steuererstattungszinssatz zu reduzieren – beides Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.
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Liebe FDP, Sie haben im Sondierungspapier auch keine Vorsorge hinsichtlich der kalten Progression getroffen. Obwohl die Progression in diesem Jahr wieder Auswirkungen haben wird, nämlich fast 4 Milliarden Euro für die Bürgerinnen und Bürger, haben Sie nicht sichergestellt, dass sie neutralisiert wird. Das wird die nächste Steuererhöhung, die Sie in diesem Haus beschließen werden. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
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Wir werden Sie ermahnen und Ihnen Ihre Wahlprogramme vorhalten. Da nützt es auch gar nichts, dass eventuell ein FDP-Minister diese Verordnung beschließt.
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Wir brauchen die parlamentarische Kontrolle. Diese werden Sie garantiert auch von uns in der Opposition bekommen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Tillmann. – Für die FDP-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Till Mansmann. Bitte schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute, noch vor Bildung der neuen Bundesregierung, hier über das Thema „Umsatzsteuerpauschalierung für Landwirte“ sprechen müssen, zeigt offensichtlich ein Versäumnis, das seine Wurzeln bereits im Jahre 2013 hat
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und das sich über die letzte Legislaturperiode dann noch weiter angestaut hat. Frau Kollegin Tillmann, Sie haben da sehr schnell auf Opposition umgeschaltet.
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2013 wurden die Wurzeln im BMF gelegt, das damals von der CDU geführt wurde. Das ist ein Problem, das Sie produziert und die ganze Zeit weiter ausgebaut haben. Heute müssen wir das einfach regeln.
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In aller Kürze: Wir müssen das jetzt in letzter Minute vor Jahreswechsel abschließen, um Schaden vom deutschen Fiskus, aber auch von den betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben abzuwenden. Im Kern geht es darum, dass in der Vergangenheit die Pauschalierung zu hoch war, sodass man die Regelung als unzulässige Beihilfe werten musste. Das hat uns nicht nur die EU-Kommission so gesagt, sondern auch unser eigener Bundesrechnungshof.
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Aber auf die Frage meines Kollegen Gero Hocker in einer Kleinen Anfrage im September 2020, ob die Bundesregierung eine Anpassung des Pauschalierungssatzes plane, hat die Bundesregierung vor gerade einem Jahr noch eindeutig mit Nein geantwortet. Man habe der Kommission die „Berechnungsmethode und die … Datenquellen ausführlich dargelegt und erläutert“. Und heute sehen wir: Die Bundesregierung war da auf dem Holzweg.
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Jetzt ist die Zeit sehr knapp geworden. Das ist aber kein Grund, auf die ordentliche parlamentarische Befassung zu verzichten, weder jetzt noch bei der zukünftig nötigen regelmäßigen Neufestsetzung des Pauschalierungssatzes. Ich freue mich ausdrücklich auf die Expertenanhörung, wo wir im Interesse der betroffenen Landwirte auch noch einmal über die Berechnung gerade in der Übergangszeit der ersten drei Jahre sprechen müssen.
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Eine generelle Anmerkung. Pauschalierungen leiden immer unter gewissen Unsicherheiten bei ihrer Festsetzung. Sie sind aber immer noch ein sehr wichtiges Instrument, um ausufernde Bürokratie einzudämmen.
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Ein anderes, auch ergänzendes Instrument kann es sein, das Verfahren an sich zu modernisieren. Viele Probleme kommen noch aus der Zeit, als man Steuerbelastungen noch auf Papier ausrechnen und in Papierformulare eintragen musste. Unser Steuersystem ist immer noch nicht wirklich im digitalen 21. Jahrhundert angekommen, gerade auch bei der Umsatzsteuer. Frau Kollegin Tillmann, das lag auch an den letzten 16 Jahren Ihrer Regierung.
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Da sind viele unserer Nachbarländer, große wie kleinere, deutlich weiter, auch was die Umsatzsteuer betrifft: Frankreich, Italien, Tschechien zum Beispiel.
Jetzt in Deutschland weitere vier Jahre zu warten, um die 20 Jahre des Abwartens und des Nichtstuns vollzumachen, bis wir Anschluss an das internationale Feld gefunden haben, das wäre ein großer Fehler! Lassen Sie uns mithilfe elektronischer Rechnungen und digitaler Übermittlungs- und Kontrollverfahren gerade unsere kleinen und mittelständischen Betriebe von Bürokratie entlasten! Auch kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe, die wir jetzt leider belastet und verunsichert haben, würden davon schnell profitieren. Die Menschen, die dort arbeiten, sollen sich doch um ihr eigentliches Geschäft kümmern und nicht um Bürokratie.
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Bei dieser Gelegenheit sollten wir auch noch einmal auf die durch die Pandemie deutlich verstärkte Fristenballung im nächsten Dreivierteljahr aufmerksam machen. Da sollten wir auch nicht zuletzt zur Entlastung der Steuerfachleute noch einmal genau hinschauen.
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Um im landwirtschaftlichen Bild zu bleiben: Holen wir nun in diesem Jahr noch die Kuh vom Eis, was die Frage der Pauschalierung angeht, und ab dem nächsten Jahr schmelzen wir dann das Eis der Bürokratie in diesem Land generell ab!
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In diesem Sinne freue ich mich auf die Arbeit der nächsten Jahre. Wir stimmen der Überweisung in den Hauptausschuss natürlich zu.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Für seine erste Rede hier im Deutschen Bundestag erhält jetzt das Wort Klaus Stöber von der AfD.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Vergleich zu den bisherigen Tagesordnungspunkten heute – Migration und Änderung des Infektionsschutzgesetzes – klingt dieses Thema erst einmal recht fade und scheint von wenig Brisanz zu sein. Aber ich muss sagen: Für die betroffenen Landwirte hat dieses Thema eine hohe Brisanz. Die Landwirte erhalten natürlich auch Subventionen aus der EU; aber ich denke, keine andere Branche hier in Deutschland ist vom Verordnungswahn der EU so geprägt wie unsere Landwirte.
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Die neue Regelung trägt dazu bei. Mit dieser Neuregelung wird das Optionsrecht der Landwirte zur Durchschnittsbesteuerung nochmals erheblich eingeschränkt. Es wurde ja schon erläutert, dass Anfang des Jahres die Umsatzgrenze auf 600 000 Euro reduziert wurde.
Was ich neben den 95 Millionen Euro an Mehrausgaben für Steuern durch die Landwirte insbesondere bemängele – das ist auch schon angesprochen worden –, ist, dass diese Regelung erst am 4. Oktober 2021 den Verbänden vorgelegt wurde. Am 1. Januar 2022 soll diese schon in Kraft treten. Das heißt also, die Verbände hatten überhaupt nicht die Möglichkeit, ihre Landwirte zu informieren und über Gestaltungsvorschläge zu unterrichten.
Dass da Beratungsbedarf vorhanden ist, das will ich Ihnen auch gerne erläutern – da sind wir jetzt in der Praxis –: Jeder Landwirt muss bis zum 10. Januar eines Jahres erklären, ob er zur Regelbesteuerung oder zur Durchschnittsbesteuerung optiert. Da muss er Entscheidungen treffen hinsichtlich seiner Investitionen, die er in den nächsten zwei Jahren plant, vor dem Hintergrund der Investitionen, die er in den letzten fünf Jahren vorgenommen hat. Wenn er nämlich zur Durchschnittbesteuerung optiert, hat er keinen Anspruch mehr auf Vorsteuererstattung für diese Wirtschaftsgüter. Ich denke, das ist gerade das Problem, das viele Landwirte haben, dass sie jetzt von heute auf morgen vor eine neue Situation gestellt werden.
Letztendlich sollten wir parteiübergreifend hier im Bundestag dafür sorgen, dass wir das Steuerrecht für alle Bürger, für alle Unternehmen einfach und verständlich und planbar gestalten. Das ist gerade nicht der Fall, wenn wir eine solche Regelung von heute auf morgen den Landwirten einfach aufdrücken. Der Kollege Merz hat einmal die Apostrophierung gebraucht, man müsse die Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen können. Sicherlich lässt sich die Steuererklärung eines Landwirtes nicht auf einen Bierdeckel transferieren. Aber die bisherige Regelung hat dazu beigetragen, dass die Bürokratie gerade für die Landwirte erheblich eingeschränkt wurde. Mit der Neuregelung wird diese Einschränkung etwas zurückgenommen. Auch das muss man einfach einmal so feststellen.
Letztendlich müssen wir zusammenfassend feststellen, auch wenn das sicherlich hier im Hause nicht gern gehört wird, dass wieder einmal Europarecht vor deutsches Recht gestellt wird. Wir übernehmen jetzt praktisch die Vorgaben der EU, die uns aufgezwängt wurden, um unsere Landwirte hier in Deutschland wirtschaftlich zu schädigen; anders kann man das nicht nennen.
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Dieser Gesetzentwurf ist ein Paradebeispiel dafür, wie die EU in deutsches Recht eingreift – hier zulasten der deutschen Bauern; das muss man auch mal so deutlich sagen.
Die EU hätte genügend Aufgabenfelder, um für eine Vereinheitlichung in Europa zu sorgen. Ich denke zum Beispiel an die Messung der Nitratwerte in Europa, an einheitliche Bedingungen für die Nutztierhaltung. Aber nein, da wird nichts unternommen, sondern es wird hier eine Regelung gefunden, mit der wieder mal deutsche Landwirte belastet werden. Deswegen sagen wir: Wir lehnen diese Regelung ab, auch wenn sie europarechtlich vorgegeben ist, weil diese Übergangsphase vom 4. Oktober bis zum 31. Dezember für die Landwirte ganz einfach nicht verkraftbar ist.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Ebenfalls für seine erste Rede im Deutschen Bundestag erhält jetzt das Wort Christian Görke für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass ich mir vor meiner ersten Rede dieses unterschwellige EU-Bashing der Hobbypatrioten der AfD anhören musste,
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ist hier wahrscheinlich gang und gäbe, aber für mich erst mal gewöhnungsbedürftig.
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Zur Sache: Das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt auf dem Tisch und ist symptomatisch für die Schlafwagenpolitik der letzten Jahre. Reformen über Reformen wurden vergeigt oder ausgesessen – so auch hier. Erst nachdem der Bundesrechnungshof den Finger gehoben und Deutschland nun eine EU-Klage am Hals hat, wird gehandelt.
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Die Probleme mit der Pauschalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind ja längst bekannt. Die Reformen hätten, wie gesagt, schon früher angegangen werden müssen, um eine Lösung zu finden, die praktikabel ist und die vor allen Dingen die Praxis der hart schuftenden Landwirte irgendwie abbildet.
Liebe Kollegin Tillmann, ich glaube, die amtierende Bundesregierung hat diesen Gesetzentwurf im Oktober beschlossen. Insofern verstehe ich Ihre Kritik überhaupt nicht.
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Was jetzt vorliegt, ist vielleicht EU-klagebeständig, aber handwerklich, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich bin kein Landwirt, aber Finanzpolitiker –, wirklich schlecht gemacht. Ich will aus Zeitgründen auf zwei Sachen eingehen:
Erstens wird gerade den kleinen Landwirten durch diesen niedrigen Steuersatz in die Kasse gegriffen. Dieser Pauschalisierungssatz fällt nämlich nur deshalb so niedrig aus, weil in die Berechnung die großen, profitablen Firmen nicht mehr einfließen; denn sie sind nach der neuen Pauschalisierungsregel im Umsatzsteuergesetz bei einem Umsatz von mehr als 600 000 Euro raus aus dem Geschäft. Also: Die Berechnung ist falsch.
Nehmen wir zweitens die Umsetzung zum 1. Januar. Die ist ja völlig realitätsfremd, weil das Wirtschaftsjahr für Land- und Forstwirtschaft eben schon – das ist bereits gesagt worden – im Juli beginnt. Das heißt: Buchungschaos und Mehrkosten sind vorprogrammiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sage nicht ich, sondern das sagen die Fachverbände.
Angesichts von nur einem Tag Beteiligung in einem Gesetzgebungsverfahren muss ich wirklich sagen: Das ist kein Bundestagsniveau.
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Insofern, meine Damen und Herren, ist bei großen Teilen dieses Gesetzentwurfs handwerklich schlecht gearbeitet worden, und das werden wir im Hauptausschuss nacharbeiten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort die Kollegin Cansel Kiziltepe.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit ein paar Wochen führen wir intensive Koalitionsverhandlungen. Und auch wenn wir wirklich sehr, sehr gut vorankommen,
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gibt es eben Punkte, die wir nicht bis zur Regierungsbildung aufschieben können. Dazu zählt die Umsatzsteuersonderregel für unsere Landwirtinnen und Landwirte, die Pauschalbesteuerung. Diese Regel ist so alt wie unser Mehrwertsteuersystem und vor allem für Landwirte mit kleinen und mittleren Betrieben von großer Bedeutung und wichtig. Wir stehen als SPD-Bundestagsfraktion auch zu der pauschalen Besteuerung. Sie gibt es auch in vielen anderen EU-Ländern.
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Was wir allerdings ändern müssen, ist die Höhe des Durchschnittssteuersatzes. Der muss sich nach EU-Recht nämlich an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung orientieren.
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In Deutschland ist der durchschnittliche Steuersatz zu lange – seit 2013 – nicht angepasst worden, und das führt teilweise dazu, dass mehr Umsatzsteuer vereinnahmt als Vorsteuer gezahlt wird.
Kritik an den veralteten Steuersätzen übt der Bundesrechnungshof bereits seit sechs Jahren. Auch die Kommission kritisiert die fehlende Anpassung. Sie hat mittlerweile ein Vertragsverletzungsverfahren und ein Beihilfeverfahren eingeleitet. Es drohen Rückforderungen für die Landwirte in Höhe von rund 2 Milliarden Euro, und genau das wollen wir verhindern.
Eins will ich hier klarstellen: In diese Situation sind wir gekommen, weil sich die Union als vermeintlicher Schutzpatron der Landwirte aufgespielt hat,
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ein Schauspiel, das am Ende ebendiese Landwirte ausbaden müssen.
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Das riskieren Sie. Zuletzt hatte das Finanzministerium noch vor der Sommerpause versucht, das Vertragsverletzungsverfahren mit ebendiesem Gesetz abzuwenden – ohne Erfolg. Denn aus wahltaktischen Gründen wollte die CDU/CSU-Fraktion das nicht. Das muss auch mal gesagt werden.
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So warnte noch im Mai der agrarpolitische Sprecher, Kollege Stegemann, vor Schnellschüssen und regte eine angehende Prüfung an,
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ähnlich der Kollege Straubinger, der das Ziel der Abschaffung der Pauschalierung unterstellte. All das war Show. Wir hingegen wollen verantwortungsvolle Politik für unser Land und für unsere Landwirte machen. Das ist der Punkt.
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Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf streben wir eine Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens an. Dazu muss das Gesetz bis Ende des Jahres vorliegen. Deshalb debattieren wir hier heute. Dabei geht es zum einen darum, den Durchschnittssteuersatz abzusenken. Wir wollen künftig aber auch ein schnelleres und transparenteres Verfahren zur jährlichen Anpassung.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält auch dieses neue Verfahren. Die geschäftsführende Bundesregierung konnte sich leider darauf nicht einigen. Daher freue ich mich sehr auf die gemeinsamen Gespräche mit den Grünen und der FDP in diesem Zusammenhang. Wir können gemeinsam zeigen, dass eine neue Koalition dieses Problem dauerhaft aus der Welt schafft. Wir wollen Schaden von unseren Landwirten abwenden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich bin überzeugt davon, dass wir mit diesem Gesetz einen ersten Erfolg der kommenden Koalition in der Steuerpolitik erreichen können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letzter Redner für die CDU/CSU-Fraktion erhält das Wort der Kollege Fritz Güntzler. Bitte schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist schon spannend, mal wieder eine steuerpolitische Debatte zu führen und auch die verteilten Rollen zu erleben. Es ist schon interessant, zu sehen, wie reflexartig die FDP reagierte, als Frau Tillmann zu Recht darauf hingewiesen hatte, dass mit diesem Gesetz – das steht sogar im Gesetzentwurf – eine Steuererhöhung verbunden ist. Wer diesem Gesetz zustimmt, wird letztlich einer Steuererhöhung zustimmen.
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Sie aber stellen sich draußen hin und sagen: Wir wollen keine Steuererhöhung. – Die Aufgeregtheit zeigt, dass die FDP noch nicht so ganz angekommen ist.
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Frau Paus, weil Sie dazwischenrufen, möchte ich zu Ihrer Rede sagen: Sie haben wieder den Eindruck erweckt, als ob die Besteuerung nach Durchschnittssätzen bei den Landwirten eine Subvention sei.
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Das ist es definitiv nicht. Diese Sonderregelung gibt es seit 1968 – Frau Kiziltepe hat ja auch darauf hingewiesen –; sie ist in der Mehrwertsteuerrichtlinie so angelegt.
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Wenn sie funktioniert, ist sie richtig, weil das Ziel ja ist, dass durch den Durchschnittssatz die Vorsteuerbelastung aller pauschalierenden Landwirte in Deutschland ausgeglichen wird. Das heißt, der zusätzliche Erlös, den der Landwirt über die Umsatzsteuer erzielt, soll die finanzielle Belastung durch die Vorsteuer abdecken. Das ist der Kern der Regelung. Wenn das funktioniert, ist die Zahllast Null, und dann ist auch alles gut.
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Jetzt gibt es einen strittigen Punkt. Daran ist das Verfahren auch – so viel zur Geschichte – beim Steueroasen-Abwehrgesetz gescheitert, weil wir bis jetzt nicht vorgelegt bekommen haben, wie die Berechnung des Satzes von 9,5 Prozent im Tatsächlichen durchgeführt wird. Das BMF liefert hier einfach nicht. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, auch wenn es ein Entwurf der Bundesregierung ist, genau hinzuschauen. Ich will wissen: Wo kommt diese Zahl her? Wie ist sie berechnet worden? Auch der Kollege der Linken hat auf das Problem hingewiesen.
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Es gibt Nachholbedarf, und die Regierung hat jetzt die Chance, das im Gesetzgebungsberatungsverfahren einfach mal vorzulegen. Denn eines ist ja richtig: In dem Moment, in dem der Satz zu hoch ist, gibt es eine Überkompensation – sprich: vielleicht eine Beihilfe.
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Der Umkehrschluss ist natürlich: Wenn der Satz zu niedrig ist, gibt es eine zu hohe Belastung der Landwirte. Von daher müssen wir uns das schon genau angucken; das mögliche Vertragsverletzungs- und Beihilfeverfahren ist angesprochen worden.
Es gibt den Verdacht, dass der Satz zu niedrig ist, weil die Berechnung einen großen Fehler enthält. Wir haben mit dem Jahressteuergesetz 2020 den Anwendungsbereich vermindert, weil nur noch Landwirte mit einem Umsatz von bis zu 600 000 Euro die Pauschalierung wählen können. Aber in den statistischen Unterlagen, die der Berechnung anscheinend – wir haben es ja nicht vorliegen – zugrunde gelegen haben, ist das nicht berücksichtigt worden. Die Vermutung ist, dass gerade die Landwirte mit einem hohen Umsatz aus der Berechnung herausfallen. Von daher brauchen wir konkrete Zahlen, damit wir das Ganze gegenüber den Landwirten auch wirklich vertreten können; denn es geht im Wesentlichen – Frau Paus, das sollte doch auch in Ihrem Interesse sein – um die kleinen bäuerlichen Betriebe,
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für die Sie sich angeblich immer so einsetzen.
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Hier haben Sie die Chance, auch etwas für die zu tun, und Sie versagen auf ganzer Linie, Frau Paus.
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Von daher werden wir unserer Verantwortung als Parlamentarier, wahrscheinlich in der Opposition, gerecht, wenn wir uns die Dinge, die die zukünftige Bundesregierung hier vorlegt, sehr genau angucken. Natürlich wollen wir kein Beihilfeverfahren. Wir wollen keine Rückzahlungen von 2 Milliarden Euro über zehn Jahre erzeugen.
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Aber wir wollen solide Zahlen, damit wir den Landwirten offen gegenübertreten können.
Und ich war schon verwundert, als ich Herrn Kollegen Mansmann von der FDP hier gehört habe, der den Eindruck erweckt hat, dass man die Durchschnittsbesteuerung abschaffen will.
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Das finde ich eine spannende Geschichte. Diese sollten Sie mal mit Ihrem Kollegen Hocker aus Niedersachsen besprechen. Ich glaube, davon wird der nicht begeistert sein.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gebe den grünen Kommunisten und den Klimafanatikern in anderen Fraktionen ungern recht. Aber ja, sie haben recht, wenn sie behaupten, es sei fünf vor zwölf. Sie haben recht, wenn sie sagen, dies sei die letzte Legislatur, in der die Weichen für eine bessere Zukunft Deutschlands und für die Menschen gestellt werden können. – Ach nein, ihnen geht es ja nicht um Deutschland. Sie können ja mit Deutschland nichts anfangen. Sie wollen die Welt retten, und wenn Deutschland dafür auf der Strecke bleibt, scheint es ihnen recht zu sein.
Und ja, es ist fünf vor zwölf, aber nicht wegen eines vorrangig menschengemachten Klimawandels oder der Bekämpfung desselben. Es ist fünf vor zwölf, fast schon Punkt zwölf, weil Sie mit Ihrer katastrophalen Energiepolitik wissentlich und offensichtlich willentlich Deutschland in den Abgrund steuern.
Es ist die letzte Legislatur, in der mit einer – allerdings gewaltigen – Kraftanstrengung noch verhindert werden könnte, dass völlig intakte, höchst sichere und zuverlässige Kern- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden.
({0})
Es ist die letzte Legislatur, in welcher die mit Sicherheit eintretenden Brown- und Blackouts, die unweigerlich eintreten werden, wenn der Kohleausstieg samt der rein ideologischen Energiewende nicht rückgängig gemacht wird, noch verhindert werden könnten,
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Brown- und Blackouts, die unsere Bevölkerung aufs Schwerste treffen werden und deren Folgen überhaupt nicht absehbar sind.
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Nur so viel wissen wir – und das wissen auch Sie sicher –: Sie werden verheerend sein: verheerend für die Menschen, verheerend für den Wirtschaftsstandort Deutschland und verheerend für unsere Gesellschaft.
({3})
Wir wissen es, weil wir uns unseren gesunden Menschenverstand bewahrt haben. Sie müssten es wissen, da es in der Bundestagsdrucksache 17/5672 niedergeschrieben steht: Tausende Tote, Milliarden Euro Schäden, eine vollständige Destabilisierung unserer Gesellschaft.
Bis zum Ende des Jahres sind es nur noch sechs Wochen. Bis dahin werden drei Kernkraftwerke mit knapp 4 500 Megawatt Leistung
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abgeschaltet.
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Bis Ende nächsten Jahres werden dann die letzten drei mit nochmals 4 500 Megawatt Leistung
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auf Nimmerwiedersehen abgeschaltet.
({7})
Sie lieferten jedes Jahr mehr Strom als alle Solaranlagen zusammen.
Das muss auf der Stelle rückgängig gemacht werden.
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Und mit Ihrer Hilfe, werte Kolleginnen und Kollegen der FDP und Union, könnten wir das auch tun – hier und jetzt. Eine Mehrheit dafür wäre vorhanden, auch wenn dafür viele über ihren Schatten springen müssten. Tun Sie es! Sie sind es den Menschen schuldig. Folgen Sie nicht weiter den Kommunisten, die unter dem Deckmantel, das Klima retten zu wollen, Deutschland zugrunde richten.
Die Kommunisten propagierten früher, sie wollten das Proletariat befreien. Aber das Proletariat wehrte sich irgendwann gegen diese Vereinnahmung, weil das keine Befreiung, sondern eine Versklavung war. Nachdem auch die Befreiung der Afrikaner nicht so richtig funktionieren wollte, dachten sich die Kommunisten einen genialen Trick aus. Sie machten ein sogenanntes Rebranding und suchten sich als welthistorisches Objekt zur Rettung die Tiere, die Pflanzen und das Klima aus, wohlwissend, dass diese sich nicht wehren können.
({9})
Inzwischen ist die 26. Klimakonferenz in Glasgow fast vorbei. Wie die grüne Heldin Greta treffend bemerkte, kam wieder einmal nicht viel mehr dabei heraus als – ich zitiere mit Ihrer Genehmigung –: „Bla, bla, bla!“
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Da sind sich fast alle einig, und es wurde auch viel darüber berichtet. Kaum berichtet wird dagegen darüber, dass die Landwirtschaft keinen Dünger mehr bekommt, weil die Energie auch dank der Verweigerungspolitik gegenüber fossilen Brennstoffen zu teuer geworden ist. Damit sind die kommenden Ernten gefährdet.
Der Gaspreis hat sich in den letzten Wochen mehr als verdoppelt. Der Strompreis ist um 20, 30 und mehr Prozent, der Kraftstoffpreis um teilweise 50 Prozent gestiegen, und kein Ende ist in Sicht. Natürlich ist alles so gewollt. Die grünen Kommunisten wollen, dass Energie zum Luxus wird. Sie wollen, dass Mobilität zum Luxus wird. Und ihnen ist völlig egal, wie viele Opfer es kostet.
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Wollen Sie als CDU und FDP dieser Ideologie wirklich den Wohlstand dieses Landes opfern? Wollen Sie wirklich, dass die grünen Kommunisten die Zerstörung vollenden, dass Ihre Kinder in einem Entwicklungsland aufwachsen? Wenn nicht, stimmen Sie für unsere Anträge.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Das Wort erhält für die SPD-Fraktion der Kollege Timon Gremmels.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit einer Technik von vorgestern will die AfD der Herausforderung von heute und morgen begegnen. Das zeigt, wie rückwärtsgewandt Sie sind, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD-Fraktion; aber von Ihnen haben wir auch nichts anderes erwartet.
Dann präsentieren Sie heute die alte Mär der umweltfreundlichen, sicheren und kostengünstigen Atomkraft. Das war doch schon in den 80er-Jahren falsch, und das ist es 2021 erst recht.
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Lassen Sie uns Ihren Antrag doch mal durchgehen – ich habe mir die Mühe gemacht, obwohl es mir schwergefallen ist, ihn mal durchzuarbeiten –:
Umweltfreundlich. Wir müssen ja nur mal in die Asse gucken und uns da die korrodierten Fässer ansehen.
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Dort ist zwar nur leichtradioaktiver Müll, aber das zeigt doch, dass das in keinster Weise umweltfreundlich ist.
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Gucken Sie doch mal auf die Endlagersuche. Das Endlagersuchverfahren läuft doch gerade. Stehen Sie auf, Herr Hilse, und sagen Sie, Sie möchten ein Endlager in Ihrem Wahlkreis haben. Diese Ansage habe ich von Ihnen heute nicht gehört.
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Für den Atommüll, den wir produzieren, sind wir auch verantwortlich, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dann die Frage der CO2-Neutralität. Ja meinen Sie denn, beim Uranabbau, bei der Brennelementeherstellung, beim Kraftwerksbau, beim Kraftwerksrückbau, bei der Endlagerung entsteht kein CO2? Selbstverständlich! Deswegen ist auch Kernkraft nicht CO2-neutral, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Und dann sagen Sie, wir würden uns mit der Kernkraft unabhängiger machen. Ja wo soll denn das Uran herkommen, Herr Hilse? Ja, es gab mal in der DDR Uranabbau, im Erzgebirge. Dann stellen Sie sich hierhin und sagen, Sie möchten als AfD, um von Energieimporten unabhängig zu sein, dass Uran hier im Erzgebirge in Deutschland abgebaut wird. Auch diese Ansage habe ich von Ihnen hier nicht gehört, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und die Folgen des Uranabbaus der Wismut kosten den deutschen Steuerzahler bis heute 6,8 Milliarden Euro Bundesmittel, um damit die Schäden durch den Abbau zu kompensieren. Deswegen zeigt es: Auch das ist nichts Preiswertes und nichts Umweltfreundliches, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dann sagen Sie, Atomkraft sei sicher. Fragen Sie doch mal die Menschen in Tschernobyl, fragen Sie mal die Menschen in Fukushima, was die davon halten, dass das sicher sei.
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Das Max-Planck-Institut hat gesagt: Ähnliche Unfälle wie in Fukushima drohen theoretisch alle 10 bis 20 Jahre. – Auch das ist aus meiner Sicht ein Hinweis, dass die Atomkraft nicht sicher ist.
Herr Kollege Gremmels, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilse?
Nein.
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Also: Atomkraft ist nicht sicher. Wenn wir das mal weniger emotional betrachten, können wir feststellen: Wenn Atomkraft sicher wäre, würden wir auf dieser Welt ja einen Dienstleister finden, der Atomkraftwerke versichert. Aber auch in der ganzen Finanzwirtschaft finden Sie nicht ein Institut, das Atomkraftwerke versichert.
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Und warum nicht, Herr Hilse? Weil ein Schaden, wenn er eintritt, so stark und so immens ist, dass das unbezahlbar ist. Jeder Versicherungskonzern würde da in die Knie gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Noch etwas zur Frage der Sicherheit. Auch der Rückbau ist eine große Herausforderung. Atomkraft gibt es seit über 70 Jahren. 173 Atomkraftwerke sind weltweit mittlerweile abgeschaltet, erst 19 wurden zurückgebaut. Auch das ist eine große Herausforderung, und da von „sicher“ zu sprechen, ist aus meiner Sicht lachhaft.
Dann sagen Sie, Atomkraft sei kostengünstig. Gucken Sie sich doch einfach mal an, wie viel wir in den letzten Jahren dafür bezahlt haben. Sie dürfen doch nicht den Strompreis als solchen betrachten.
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Sie müssen gucken, was da an staatlichen Subventionen über die letzten Jahrzehnte gezahlt worden ist. Und wenn Sie das dann vergleichen – die staatlichen Investitionen, die Subventionen und die Folgekosten –,
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dann sehen Sie, dass Atomkraft um ein Vielfaches teurer ist als erneuerbare Energien, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Sie können auch mal nach Großbritannien gucken – Atomkraftwerk Hinkley Point –, wie lange es von der Planung bis zur Fertigstellung eines Atomkraftwerkes dauert. Hinkley Point C hätte 2017 fertiggestellt sein sollen, jetzt scheint es 2026 zu werden. Die Kosten betragen 10 Milliarden Euro mehr als ursprünglich geplant. Eine schnelle, eine kostengünstige Antwort ist Atomkraft nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Die Investitionssummen, die wir jetzt für neue Atomkraftwerke bräuchten, sind doch viel besser aufgehoben im Bereich der erneuerbaren Energien. Wir sollen kein Geld in die Förderung von Atomkraft binden. Dieses Geld brauchen wir für Investitionen in erneuerbare Energien, damit wir deren Ausbau schnell umsetzen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ich sage Ihnen: Für die Sozialdemokratie ist es eine Freudenstunde, wenn am 31. Dezember 2022 das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz geht.
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Dann werden wir die Sektkorken knallen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil wir das gut und richtig finden. Es ist ein wichtiges Menschheitsziel, was wir da erreicht haben.
Sie haben in Ihrem Antrag – und das soll mein Schlusswort sein, Frau Präsidentin – gesagt, Sie würden gerne Ihren Horizont erweitern. Ich halte es da lieber mit Udo Lindenberg: „Hinterm Horizont geht’s weiter“, und da kommen die erneuerbaren Energien. In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf!
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Für eine Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Hilse das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Herr Gremmels, Sie haben viel erzählt. Es war viel dabei, was wissenschaftlich nicht haltbar ist.
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Es gibt Kernreaktoren der Generation IV; im September ist einer dieser Reaktoren ans Netz gegangen. Es gibt also auch jetzt schon mehrere Reaktoren in Russland, in China, die hochradioaktive Reststoffe verarbeiten. Das heißt, die brauchen auch kein Endlager. Es entsteht also kein Atommüll, wie Sie es behaupten, es sind einfach Kernbrennstoffe, die man verwenden kann.
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Mit dieser Technologie, die natürlich noch entwickelt werden muss – in der Theorie gibt es sie schon, man muss bloß Testreaktoren bauen –, könnte man unser Land mit den jetzt gelagerten hochradioaktiven Kernbrennstoffen aus unseren jetzigen Kernkraftwerken circa 150 Jahre lang mit Strom versorgen.
Wie erklären Sie sich, dass alle Industriestaaten auf der Welt außer Deutschland auf Kernenergie setzen? Auch die EU will Kernenergie vorantreiben. Sie möchte die Kernenergie jetzt quasi sogar als grüne Energie deklarieren, um zu sagen: Okay, das ist ein Weg – so sagt es auch das IPCC –, um die Klimakatastrophe, die Sie ja am Horizont sehen, zu verhindern.
Ich möchte noch mal ganz kurz auf die Erneuerbaren eingehen. Am gestrigen Tag wurde von diesen sogenannten Erneuerbaren Strom produziert, und zwar 3,64 Prozent der installierten Leistung. Das sind circa 110 Gigawatt, wenn ich richtig informiert bin; das kann schon wieder ein bisschen mehr sein. Geliefert haben sie 3,64 Prozent, also circa 4 Gigawatt. Wir brauchen aber 70 bis 80 Gigawatt, das wissen Sie selbst. Wo soll die Energie herkommen?
Herr Abgeordneter, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.
Alles klar, natürlich. Entschuldigung.
Danke. – Herr Abgeordneter Gremmels, Sie wollen antworten.
Frau Präsidentin, auf diese Sachen muss man antworten. – Ich sage Ihnen eins: Wir haben nicht die Zeit, zu warten. Wir müssen jetzt die Energiewende einleiten. Wir müssen Technologien ausbauen, die jetzt im Markt verfügbar sind, die funktionieren, die in der Bevölkerung eine große Akzeptanz haben und die uns in die Zukunft bringen.
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Wir brauchen einen schnellstmöglichen Ausbau von Solarenergie, von Windkraft. Das sind die Antworten.
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Wir haben keine Zeit, auf solche Märchen von Ihnen zu hören. Wir müssen jetzt investieren. Wir haben da eine breite Mehrheit in der Bevölkerung hinter uns, und darauf bauen wir.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion bekommt jetzt das Wort Mark Helfrich.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zehn Jahren, im Frühjahr 2011, kam es zur Nuklearkatastrophe von Fukushima. In der Folge gab es in Deutschland weder eine gesellschaftliche noch eine parlamentarische Mehrheit für die Fortsetzung der Kernenergienutzung. Der Ausstieg aus der Atomkraft wurde hier im Deutschen Bundestag beschlossen und wird nächstes Jahr abgeschlossen sein. Dann geht das letzte deutsche Kernkraftwerk vom Netz. Diese Form der Energieerzeugung wird in Deutschland der Vergangenheit angehören.
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Ob es der richtige Weg war, erst aus der Kernenergie und dann aus der Kohle auszusteigen? Das ist verschüttete Milch. Die Weichen sind unumkehrbar gestellt, und das vor allem auch aus Sicht der Kraftwerksbetreiber.
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Lassen Sie uns lieber vor Augen führen, was wir in den letzten zehn Jahren seitdem geleistet haben. Zum damaligen Zeitpunkt lag der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bei 20 Prozent. Heute liegen wir bei knapp 48 Prozent
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und haben mit dem EEG die Solarmodule und Windkraftanlagen weltmarktfähig gemacht. Das Schöne an Sonne und Wind ist: Es gibt kein atomares Erbe, das wir unseren Kindern und Kindeskindern in Form von Atommüll hinterlassen.
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Wir haben zudem in der letzten Legislaturperiode den Kohleausstieg besiegelt. Das letzte Kohlekraftwerk soll 2038 vom Netz gehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit ist Deutschland weltweit das einzige Industrieland, das gleichzeitig aus Kernkraft und Kohleverstromung aussteigt.
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SPD, Grüne und FDP haben ja in ihrem Sondierungspapier vereinbart, den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorzuziehen. Hierzu einige grundsätzliche Anmerkungen.
Erstens. Energiewende braucht Verlässlichkeit. Das gilt für Ausstiegspfade genauso wie für Ausbaupfade der Erneuerbaren.
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Zweitens. Die Energiewende ist ohne Versorgungssicherheit zum Scheitern verurteilt.
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Und wenn ich Versorgungssicherheit sage, dann rede ich von Spitzenlastkraftwerken und damit am Ende natürlich auch vom Gas; das sage ich in Richtung der Grünen. Der Wegfall von Grundlast bei der Stromerzeugung muss kompensiert werden, aber am Ende bitte nicht durch den Import von tschechischem oder französischem Atomstrom.
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Deshalb müssen wir in Zukunft neben dem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien auch auf Gas setzen. Und wenn ich Gas sage, dann meine ich zunehmend Wasserstoff oder synthetisches Methan aus erneuerbaren Quellen.
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Hier hat die GroKo mit der Nationalen Wasserstoffstrategie und insbesondere dem darin enthaltenen Förderprogramm H2Global Wegweisendes geleistet. Mit Letzterem wollen wir den globalen Markthochlauf der Produktion von grünem Wasserstoff anreizen und uns entsprechende Importmengen sichern.
Aber machen wir uns nichts vor: Als einer der größten Gasverbraucher der Welt werden wir mittelfristig auch noch auf klassische Erdgasimporte angewiesen sein, und weil die niederländische und britische Gasförderung stark rückläufig ist, brauchen wir eine Erhöhung der Kapazitäten für Gasimporte aus anderen Ländern. Da wäre zunächst Nord Stream 2, die möglichst bald in Betrieb genommen werden sollte.
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Sie kann 55 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas und damit 40 Prozent des europäischen Mehrbedarfs nach Europa transportieren.
Herr Kollege? Erlauben Sie eine Zwischenfrage von der AfD, von Herrn Dr. Kraft?
Ich würde gerne weiter ausführen. – Wer wie Sie von den Grünen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 bekämpft, sorgt am Ende vor allem für steigende Energiepreise in Deutschland und Europa.
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Wer Versorgungssicherheit und keine allzu hohe Abhängigkeit von Russland haben will, der muss vielmehr für eine Diversifizierung der Erdgasimporte sorgen, sei es mittels Pipelinegas aus anderen Exportländern oder aber auch mittels LNG-Importen.
Ich komme zum Schluss. Der sich abzeichnenden Koalition möchte ich sagen: Bleiben Sie verlässlich, und sichern Sie die Eigenversorgung Deutschlands mit elektrischer Energie und die Importe von Erdgas, Grünem Wasserstoff und erneuerbaren Gasen. Der AfD sage ich: Niemand wird der Republik den Stecker ziehen. Bitte führen Sie keine Phantomdiskussion zu Optionen, die gar nicht mehr auf dem Tisch liegen. Ihre Anträge lehnen wir ab.
Danke schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich empfinde es als Zumutung, dass Sie von der AfD uns auch in der neuen Wahlperiode ständig mit Ihren schrägen und antiquierten Behauptungen die Zeit stehlen.
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Atomkraft ist gefährlich. Atomkraft ist teuer und produziert am laufenden Band Atommüll, für den wir nun gezwungenermaßen ein Endlager finden müssen, das möglichst sicher ist. Und das gibt es noch lange nicht. Ich habe Sie von der AfD in diesem Prozess bei der Suche nach einem Endlager nicht von einer konstruktiven Seite erlebt.
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Die verheerenden Unfälle von Tschernobyl und Fukushima haben gezeigt, wie riskant die Atomkraft ist, von den Gefahren der Atomwaffen mal ganz zu schweigen, die eng mit der Nutzung der Atomenergie verbunden sind. Und auch das Märchen von der angeblich kostengünstigen Atomenergie sollten Sie endlich vergessen. Schauen Sie sich doch mal die Zahlen an.
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Das ist doch längst widerlegt! Neue Atomkraftwerke werden nur noch mit erheblichen staatlichen Subventionen gebaut. Die private Wirtschaft hat überhaupt kein Interesse mehr daran.
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Die macht einen weiten Bogen um solche Investitionen. In Wirklichkeit ist Atomkraft völlig unwirtschaftlich.
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Bei aktuellen Atomprojekten – Sie haben gerade Frankreich genannt – explodieren die Kosten, und auch die Bauphasen verzögern sich immer weiter. Nehmen Sie zum Beispiel das Atomkraftwerk Flamanville in Frankreich: Die ursprünglich geplanten 3,3 Milliarden Euro Baukosten sind inzwischen auf über 19 Milliarden Euro gestiegen – das ist eine Versechsfachung. Das Projekt ist außerdem schon zehn Jahre im Verzug.
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Für diese 19 Milliarden Euro könnte man locker 5 000 Windenergieanlagen bauen, die insgesamt das Zwölffache an Leistung bringen wie der geplante Reaktorblock.
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Teure Brennstäbe brauchen Sie für die Windräder auch nicht.
Umso fataler ist es, dass die EU-Kommission in der Diskussion um die Kennzeichnung von nachhaltigen Investitionen vor den Atomstaaten jetzt eingeknickt ist und Atomkraft in der sogenannten Taxonomie als „nachhaltig“ labeln will.
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Das behindert die echten zukunftsfähigen Investitionen und hält die Technologie aus der Vergangenheit künstlich am Leben. Wir Grüne halten diese Entscheidung von Frau von der Leyen für einen fatalen Fehler.
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Herr Helfrich, Unabhängigkeit von teuren fossilen Energieträgern erreichen wir dadurch, dass wir rasch mit der Energiewende vorankommen, und nicht dadurch, dass wir ständig neue fossile Importinfrastrukturen bauen;
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denn die günstigste Energie stellen inzwischen die neuen Solar- und Windenergieanlagen. Hier gilt es, zu investieren, und hierauf müssen wir den Fokus setzen.
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– Es ist erstaunlich, dass Sie das lachhaft finden. Sie sollten sich mal besser informieren, Herr Hilse.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein.
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Nachdem es unter CDU-Minister Altmaier in den letzten Jahren viel zu langsam vorangegangen ist mit dem Ausbau der Erneuerbaren, wollen wir nun endlich die Bremsen lösen. Wir wollen für einen Boom sorgen. Und dass dies überfällig ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, das sagen alle aktuellen Szenarien zur Energieversorgung. Vom BDI über Agora Energiewende bis hin zum Fraunhofer-Projekt Ariadne sind sich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig: Wir brauchen viel mehr erneuerbare Energien, und das so schnell wie möglich.
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Deshalb wollen wir jetzt die Hindernisse aus dem Weg räumen und die Planung, die Genehmigungsprozesse und die Umsetzung massiv beschleunigen. Es gibt so viel Potenzial für Solar- und Windenergie in Deutschland! Wir können die Dachflächen in großem Stil nutzen. Und mit den richtigen Hebeln schaffen wir es, mehr Windenergie ans Netz zu bringen, auch im Süden der Republik.
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Dafür wollen wir mit einer neuen Regierungskonstellation endlich die Weichen stellen.
Aber wir dürfen auch die zweite Seite der Energiewende nicht vergessen; denn der Kampf gegen die Energieverschwendung ist ein wichtiger. Ob im Verkehr, in der Industrie, im Gewerbe- oder Gebäudesektor: Überall gibt es noch riesige Energieeinsparpotenziale. Zeitgemäße Energieeffizienzstandards und intelligente Steuerungen können dabei helfen. Die Energieeffizienzbranche steht in den Startlöchern. Sie wartet nur auf die richtigen Bedingungen am Markt, und dann kann es losgehen mit der Effizienzrevolution. Die wiederum hilft uns dabei, viel schneller auf 100 Prozent Erneuerbare zu kommen.
Lassen Sie uns Klimaschutz und Energiewende als das sehen, was es ist: eine riesengroße Chance für Modernisierung, für Innovation und vor allen Dingen für internationale Solidarität. Denn das, was wir hier in Deutschland für Energiewende und Klimaschutz tun, hat enorme Auswirkungen auf den Rest der Welt. Die Klimakrise geht bisher vor allem zulasten der Länder im Globalen Süden, die schon jetzt die Auswirkungen am heftigsten spüren.
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Sie brauchen dringend Unterstützung bei der Anpassung an die Klimaveränderung, und sie brauchen Gewissheit, dass die Industrienationen beim Klimaschutz vorangehen.
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Wir müssen das Pariser Abkommen deswegen endlich mit den notwendigen Maßnahmen unterfüttern, meine Damen und Herren.
Aber auch bei uns sind die dramatischen Folgen der Klimakrise längst angekommen. Das, was wir diesen Sommer an der Ahr und in der Eifel erlebt haben, hat alle Hoffnungen, es werde bei uns schon nicht so schlimm, jäh zunichtegemacht.
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Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Allein die Schäden durch dieses Ereignis hat die Bundesregierung gegenüber der EU mit 29 Milliarden Euro beziffert. Da soll noch mal jemand sagen, Klimaschutz sei teuer. Ich sage Ihnen: Kein Klimaschutz ist teuer!
Vielen Dank.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Kraft.
Danke schön. – Sehr geehrte Kollegin, Sie haben ja gesagt: Wir wollen uns an die Fakten halten. – Dann machen wir das doch: Wir nehmen die Zahlen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aus der Vorcoronazeit, also von 2019. Da lagen die EEG-Umlagen für Windkraft in Deutschland für On- und Offshore zusammen bei circa 19,8 Milliarden Euro, 19,9 Milliarden Euro; das ist also schon mehr als ein halbes Kernkraftwerk.
Der Marktwert dieses Stroms aus Windkraft betrug in 2019 aber nur 4,1 Milliarden Euro. Das bedeutet einen volkswirtschaftlichen Verlust von über 9 Milliarden Euro in diesem tollen, wunderbaren Sektor, getragen von den Stromverbrauchern in Deutschland – dafür, dass der Staat sie zwingt, mit überteuerten Strompreisen eine nicht wettbewerbsfähige Energieerzeugungsmethode querzufinanzieren.
Als Folge der Unzuverlässigkeit der Stromerzeugung aus Windenergie – im Schnitt steht ein Windkraftwerk zu drei Viertel der Zeit herum, ohne Strom zu liefern – hat sich die Abhängigkeit von französischem Nuklearstrom massiv erhöht. Der Import im Jahr 2019 betrug 14,8 Terawattstunden – das entspricht zwei kompletten Jahresproduktionen von zwei französischen Kernkraftwerksblöcken, die in Frankreich für den Export nach Deutschland laufen.
Dahin hat uns Ihre Energiewende geführt! Es ist lächerlich, wenn Sie, die Sie immer den Kernkraftwerksausstieg in Deutschland forciert haben, uns mit Ihrer Politik in eine Abhängigkeit von weniger sicheren Anlagen im europäischen Ausland treiben.
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Frau Kollegin, Sie können antworten.
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Nur ganz kurz zwei Anmerkungen zu dem, was Sie gesagt haben.
Erstens. Deutschland war in den vergangenen Jahren stets Nettostromexporteur;
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das heißt, wir hatten eine riesige Überproduktion von Strom, die ins europäische Ausland geflossen ist.
Zweitens. Wenn wir über Kosten für erzeugten Strom sprechen, dann vergleichen Sie bitte mal die Quellen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung oder vom Fraunhofer ISE. Die sagen nämlich, dass ein neues großes Kraftwerk, das mit Solarenergie betrieben wird, zwischen 2 Cent und maximal 6 Cent Gestehungskosten pro Kilowattstunde hat, ein Atomkraftwerk hingegen zwischen 14 Cent und 19 Cent. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen aus der FDP-Fraktion, Herrn Reinhard Houben.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin schon etwas überrascht, dass wir hier eine von der AfD angeregte so starke Vergangenheitsdebatte führen. Wem hilft das eigentlich noch?
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Wir haben in den nächsten vier Jahren eine Unmenge an Aufgaben vor uns, und da hilft doch keine romantisierende und zum großen Teil falsche Debatte über den Atomstrom.
Erstens. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es weder privatwirtschaftlich ökonomisch möglich ist, Atomstrom in Deutschland zu produzieren, noch ist es politisch möglich. Und dann stelle ich die Frage: Warum beschäftigen wir uns überhaupt noch damit? Ich halte das einfach für unsinnig.
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Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Probleme der Zukunft lösen. Natürlich ist es ein Problem, wenn wir Kraftwerke abstellen; das bestreitet ja niemand. Aber dabei in eine gewisse Romantik zu verfallen, hilft uns vor Ort überhaupt nicht.
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Zweitens. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln: Energieerzeugung ist eigentlich in keinem Fall etwas Angenehmes vor Ort. Niemand möchte ein Windkraftwerk direkt vor der Haustür haben.
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Niemand möchte ein Kohlekraftwerk vor der Haustür haben. Vielleicht kann die Solarenergie die Möglichkeit sein, bei der man sagt: Das können wir mit unserem privaten Leben gut verbinden.
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Also sollten wir doch mit den Menschen, mit den Bürgerinnen und Bürgern, darüber diskutieren.
Ja, wir brauchen Energie, wir brauchen verlässlich Energie, und wir brauchen auch preiswerte Energie. Denn wenn wir als vielleicht neue Ampel
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sagen: „Deutschland soll Industriestandort bleiben; Deutschland soll weiterhin wirtschaftlich stark bleiben“, dann müssen wir über Lösungen debattieren und dürfen keine Debatten über vorgestern führen.
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Natürlich sind die Herausforderungen immens. Aber wir haben als öffentliche Hand schon einen Einfluss darauf, wie teuer der Strom ist. Ohne nun Geheimnisse zu verraten, kann ich sagen: Wir sind in den Debatten, die wir über die EEG-Umlage führen, durchaus schon einen gewissen Schritt weitergekommen.
Natürlich ist es unabdingbar für die deutsche Industrie, aber natürlich auch für die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher, dass der Strompreis günstiger wird. Außerdem haben wir uns doch, zumindest in den Debatten, vorgenommen: Wir müssen schneller werden. – Auch das liegt in unserer Hand. Wir müssen natürlich auch die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Es gibt ja zum Beispiel diese interessante Alternative von RWE und BASF, in der Nordsee einen großen Windkraftpark zu bauen, um den größten CO2-Footprint in Deutschland zu neutralisieren.
Und was sagt die Industrie? Sie sagt: Genug Geld haben wir; wir brauchen keine Subventionen. Aber gebt uns schnell Planungssicherheit, damit wir diese schwierige Aufgabe lösen können und den Einstieg in das, was wir gemeinsam erreichen wollen, schaffen.
Deswegen, meine Damen und Herren, sollten wir nach vorne debattieren. Eine Illusion sollten wir uns aber nehmen: Wir werden es nicht schaffen, in Deutschland so viel Energie zu produzieren, wie wir in Deutschland benötigen.
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– Nein, das konnten wir noch nie, Herr Hilse. Das konnten wir noch nie!
Danke schön.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Lenkert von der Linksfraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Welt wird auf den Kopf gestellt: Wie kann man heute noch ernsthaft Atomstrom fordern, nach Harrisburg, nach Tschernobyl, nach Fukushima und bei der ungeklärten Endlagerfrage?
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Ehrlich gesagt, finde ich es unverständlich, dass Frankreich weiterhin auf Atomstrom setzt.
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Ich erinnere an 2019, als die französischen AKW wegen der Dürre am Verdursten waren, wegen Kühlwassermangels 50 Prozent ihrer Leistung verloren und wegen Hitze der Stromverbrauch nach oben schnellte. 2019 haben deutsche Erzeugungsanlagen, insbesondere PV und Windkraft, Frankreich vor dem Blackout gerettet.
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Wer beim Klimawandel auf Atomstrom setzt, der lebt riskant. Und Atomstrom als umweltfreundlich zu bezeichnen,
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ist ein Hohn für jeden, der durch die Atom-GAUs seine Gesundheit oder seine Heimat verlor, und für jeden, der wegen der Hinterlassenschaften des Uranbergbaus leidet,
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sei es in Afrika, sei es in Nordamerika oder sei es in Thüringen, in Ronneburg oder in Westsachsen.
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Für mich als Techniker ist es einfach nur irre, wenn die AfD auf eine Technologie setzt, die Transmutation heißt und nur in Computersimulationen funktioniert.
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Mal ganz ehrlich: 1 000 Jahre Reststrahlzeit bei den Produkten, die da übrig bleiben, ist für die Menschheit immer noch unendlich lang.
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Übrigens: Bei neuen Windanlagen kostet der Strom 5 Cent je Kilowattstunde, 6 Cent bei Solaranlagen; Atomstrom kostet fast 20 Cent, ohne Versicherung.
Ja, wir brauchen eine sozialverträgliche Energiewende. Deshalb fordert Die Linke, die Stromsteuer abzuschaffen und die EEG-Kosten aus den Steuermitteln zu bezahlen. Wir fordern, Netzentgelte zu vereinheitlichen, überflüssige Industrierabatte abzuschaffen und – jetzt für die Fachleute – die Scheibenpachtmodelle zu verbieten, mit denen Großkonzerne wie Daimler und Bayer die ehrlichen Stromkundinnen und Stromkunden um 10 Milliarden Euro bei der EEG-Umlage betrogen haben.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Frau Kollegin Scheer von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer wieder erschütternd, zu erleben, wie viel Stumpfsinn und Falschbehauptungen aus den Reihen der AfD kommen.
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Das ist ja der Anlass, warum wir uns heute hier mit dem Thema noch mal beschäftigen. Aber ich möchte die Zeit zur Aufklärung nutzen und gleich mal mit ein paar Fakten anfangen, die dringend dem entgegengesetzt werden müssen, was insbesondere Sie, Herr Hilse, hier die ganze Zeit wieder unterstellen, zum Beispiel der Annahme, dass weltweit wieder eine Renaissance der Atomenergie zu verzeichnen sei und dass die Industrienationen alle auf Atomenergie setzen würden. In der Tat: Es gibt einige Staaten, die sich dafür ausgesprochen haben, wie zum Beispiel Frankreich, das jetzt noch mal 1 Milliarde Euro in Kernkraftwerke investiert; sie haben aktuell 56 Atomkraftwerke am Netz.
Man muss aber auch die Größenverhältnisse sehen und erkennen, dass die Industrienationen, die Atomwaffen haben – das ist übrigens auch eine Antwort auf Ihre vorhin gestellte Frage –, in der Tat in einem Dilemma stecken. Denn sie stecken in der Kostenfalle, indem sie nach wie vor damit umgehen müssen, dass sie Know-how im Kontext Atomwaffen besitzen, dann aber gleichzeitig erkennen müssen, dass Atomenergie eigentlich unwirtschaftlich ist. Aber sie stecken nun mal in diesem Dilemma und müssen als Atomwaffenstaat überlegen, wie sie es lösen können. Der Lösung dieses Dilemmas müssen wir uns auch an anderer Stelle widmen.
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Dann möchte ich noch mal unterstreichen – das ist schon vielfach auch aus der Fraktion der Grünen und von meinem Vorredner Timon Gremmels unterstrichen, rechnerisch belegt und dargelegt worden –, dass die Atomenergie ein Vielfaches dessen kostet, was erneuerbare Energien kosten. Sogar die Atomenergiebehörde sieht das ja inzwischen nicht mehr anders. Auch die Atomenergiebehörde bzw. die Internationale Energieagentur erklärt, dass sie nicht schätzt, dass im Jahr 2030 der Anteil der Atomenergie noch mehr als 10 Prozent betragen wird. Wenn selbst die größte Interessensorganisation der Welt dieses Szenario entwirft, wie um alles in der Welt kann man dann ernsthaft behaupten, dass in der Atomenergie eine Renaissance verankert sei, dass sie Zukunft hätte?
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Dann noch mal zu der Aussage, es gebe neben den alten Technologien ja eine neue Generation. Da muss man auch mal gründlich mit den Fake News aufräumen, die sich meines Erachtens im Grunde genommen mit der Kategorie Coronaleugnung gleichsetzen lassen. Man muss nicht jeden Schwachsinn glauben, der erzählt wird. Und wenn behauptet wird, es gebe eine neue Generation – und selbst wenn ein Bill Gates das sagt –, dann muss das nicht unbedingt stimmen. Es gibt auch reiche Menschen auf der Welt, die nicht recht haben.
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Nur weil ein Bill Gates diese Annahme vertritt, der übrigens vielleicht auch ein ökonomisches Interesse daran hat, dass Staaten Verpflichtungsstrukturen eingehen und dann Aufträge vermittelt werden – das ist übrigens ein sehr korruptives Element, das da drinsteckt –, muss das doch nicht für uns als Politiker bedeuten, dass wir da hinterherhüpfen. Das ist ein gefährlicher Weg, den die Politik nicht einschlagen darf, nur weil irgendwo auf der Welt Milliardäre meinen, da eine Geldanlage mit staatlicher Hilfe zu wittern und in diese Richtung gehen zu müssen.
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Diese Minireaktoren bräuchte man zehntausendfach, um die Energiemengen, die man jetzt noch bräuchte, um im Kontext der Klimaneutralität zu wirtschaften, zu gewinnen. Wir bräuchten Zehntausende dieser Minireaktoren, verteilt auf der ganzen Welt. Wie bitte schön soll ein Sicherheitskonzept dafür aussehen? Wie bitte schön sollen Versicherungen aussehen, die dafür notwendig wären? Alleine dieser eine Punkt sei genannt. Das ist nicht leistbar und stellt ein enormes Sicherheitsrisiko dar. Und: 40 Prozent des Mülls, der angeblich dafür als Rohstoff herhalten soll, ist in Glaskokillen verpackt. 40 Prozent! Dieser Müll kommt überhaupt nicht in Betracht.
Es sind so viele Unwahrheiten in Ihren Szenarien enthalten, dass ich mindestens noch weitere zehn Minuten darüber reden könnte.
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Meine Redezeit ist aber leider zu Ende.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der letzte Redner in dieser Debatte: Dr. Andreas Lenz von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute Anträge der AfD-Fraktion. Vieles ändert sich ja in diesem Bundestag in dieser Legislatur. Eines ändert sich aber nicht: Wir lehnen Ihre Anträge ab. Die Anträge sind weder besonders neu noch besonders originell; aber das sind wir letztlich gewohnt. Es handelt sich um eine Ansammlung von Irrtümern, aber auch Fehl- und Falschinformationen. Herr Hilse, ich höre ja genau zu, was Sie sagen. Sie haben vorhin gesagt: Ihnen – also dem Rest des Parlaments – geht es um die Welt, auch wenn Deutschland auf der Strecke bleibt. -
({0})
Ich habe einige Minuten über diesen Satz von Ihnen nachgedacht, und Sie sollten vielleicht auch noch mal darüber nachdenken.
Was aber wichtig ist, ist die Frage der Energieversorgung der Zukunft. Das Thema Atomstrom wird unterschiedlich gesehen, unterschiedlich diskutiert, auch auf europäischer und globaler Ebene; das muss man ganz nüchtern konstatieren. Zum einen wollen die deutschen Kraftwerksbetreiber diese Technologie im Moment nicht, und zum anderen ist auch klar: Atomstrom ist eben nicht die günstigste Form der Energieerzeugung. Übrigens gibt es kein Versicherungsunternehmen auf der Welt, das Atomkraftwerke versichert.
({1})
Marktwirtschaft sieht also anders aus, sehr geehrte Damen und Herren.
({2})
Unter der unionsgeführten Bundesregierung ging der Ausbau der Erneuerbaren massiv voran.
({3})
Wir stehen bei annähernd 50 Prozent Erneuerbare im Strombereich. Wir haben das Klimaschutzziel 2020 – 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 – als Deutschland erreicht.
({4})
Wir haben den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppelt.
({5})
Und ja, man muss es schon sagen, auch wenn es wehtut: Das waren wir und eben nicht Sie. Wir haben die Ziele erreicht, und wir haben den massiven Zubau in den letzten Legislaturen bewerkstelligt.
({6})
Die Union hat eine Nationale Wasserstoffstrategie initiiert. Diese muss jetzt weitergedacht und auf nationaler und europäischer Ebene entsprechend umgesetzt werden. Die Energiewende wird nicht nur in Deutschland stattfinden, deshalb brauchen wir internationale Energiekooperationen, gerade auch, wenn es um den Bereich „synthetische Kraftstoffe“ und den Bereich der Wasserstoffproduktion geht.
Deutschland hat im internationalen Vergleich mit die höchsten Strom- und Energiekosten. Das ist langfristig Gift für den Produktionsstandort Deutschland, und es ist im Übrigen auch eine soziale Frage. Wir wollten beispielsweise bereits in der letzten Legislatur die EEG-Umlage abschaffen. Das war leider mit dem damaligen Finanzminister nicht möglich.
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Auch um die Frage der Versorgungssicherheit müssen wir uns bzw. muss sich die zukünftige Regierung noch mehr kümmern. Es geht natürlich um Ersatzkapazitäten. Es ist ja naiv, zu glauben, man würde keine neuen Kapazitäten brauchen, wenn man aus Atomkraft und Kohle aussteigt. Jetzt schreiben Sie zwar in Ihrem Sondierungspapier, dass Sie Gaskraftwerke errichten wollen, aber die Gaskraftwerke wachsen nicht einfach aus dem Boden.
({8})
Es braucht Anreize, es braucht Planungssicherheit für Investoren, und diese kann es nur durch einen Kapazitätsmarkt geben. Die kann es nur dadurch geben, dass zukünftig das Vorhalten von Kapazitäten im System belohnt wird.
({9})
Sie schreiben übrigens nicht, wie diese Gaskraftwerke betrieben werden sollen. Sie müssen erst einmal Ihr Verhältnis zu Nord Stream 2 innerhalb Ihrer potenziellen Ampelkoalition klären, meine Damen und Herren.
Obwohl wir bei der Energieversorgung natürlich auch die europäische Perspektive mitdenken müssen, brauchen wir in Deutschland gesicherte Leistung. Das Thema Versorgungssicherheit muss auch entsprechend gesetzlich geregelt werden, liebe Damen und Herren. Letzten Endes brauchen wir auch zukünftig Technologie, wir brauchen Innovation, wir brauchen Anreize. Wir brauchen natürlich einen massiven Ausbau der Erneuerbaren, aber eben auch Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Dafür stehen wir.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
In dem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich beende die Aussprache.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe das Statistische Bundesamt gefragt, wie viele Menschen zu wenig Geld haben, um ihre Wohnung zu heizen. Ich muss Ihnen sagen: Die Antwort hat mich erschüttert. 7,4 Millionen Menschen – 7,4 Millionen Menschen! – in unserem Land haben zu wenig Geld, um ihre Wohnung warm zu halten. Das sind Menschen aller Altersgruppen; auch Kinder und Alte sind dabei. Das ist ein unhaltbarer Zustand!
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Meine Damen und Herren, das müssen wir ändern, und zwar sofort. Keiner soll in unserem reichen Land in seiner Wohnung frieren müssen.
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Die amtierende Bundesregierung getragen von Union und SPD hat alles getan, um die Stromrechnungen der Konzerne zu reduzieren – mein Kollege Ralph Lenkert hat in der vorigen Debatte darauf hingewiesen –, doch sie hat nichts, aber auch gar nichts getan, um zu verhindern, dass 7,4 Millionen Menschen in ihren Wohnungen frieren. Das ist ein Armutszeugnis, und hier besteht Handlungsbedarf.
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Von den Ampelparteien habe ich zu diesem Thema bisher noch nichts gehört. Ich hoffe, dass Sie heute hier im Bundestag anlässlich unseres Antrages versprechen, dass in diesem Winter in diesem Land kein Mensch frieren muss, weil er zu wenig Geld hat. Wir fordern einen wirksamen Keiner-soll-frieren-Plan, meine Damen und Herren.
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Unsere wichtigsten Forderungen: 200 Euro sofort für jeden Menschen, der an der Armutsgrenze lebt. Die Hartz-IV-Sätze müssen sofort deutlich angehoben werden. Übrigens hat sich bei einer Umfrage herausgestellt, dass auch die Anhängerinnen und Anhänger der Parteien, die sich anschicken, eine Ampel zu bilden, der Auffassung sind, dass das Geld für die Hartz-IV-Empfänger erhöht werden muss. Also handeln Sie, meine Damen und Herren!
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Das Wohngeld muss auf der Basis der Bruttowarmmiete gezahlt werden, und Strom- und Gassperren wegen Zahlungsunfähigkeit müssen endlich verboten werden, meine Damen und Herren.
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Jetzt kommt in der Regel von der FDP der Zwischenruf, wer das alles bezahlen soll. Diese Frage ist sehr leicht zu beantworten: Auf der einen Seite gibt es 7,4 Millionen Menschen, die nicht genug Geld haben, um ihre Wohnung zu heizen. Gleichzeitig gibt es 119 Milliardäre; sie wissen häufig nicht, wo sie ihr Geld anlegen sollen. Mit einer gerechten Besteuerung von Vermögen könnten wir diese ungerechte Verteilung endlich beenden, meine Damen und Herren!
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Leider haben SPD und Grüne im Laufe der Koalitionsverhandlungen schon ihren ersten Wahlbetrug begangen. Sie haben sich blitzschnell von ihrer Forderung aus dem Wahlkampf nach einer Vermögensteuer verabschiedet. Das ist eine fatale Entscheidung, meine Damen und Herren!
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In den Koalitionsverhandlungen wurde bisher nur eines deutlich: Diese Koalition wird offensichtlich von Herrn Lindner geführt.
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Da ist die soziale Kälte vorprogrammiert. Ich finde, Herr Scholz hätte im Wahlkampf nur eine einzige Bedingung an die FDP stellen müssen: Armut darf es in diesem reichen Land nicht geben.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernhard Daldrup von der SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gesine Lötzsch, ich werde mich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen. Was Ratschläge betrifft, wie sich Leute aus der eigenen Fraktion verhalten sollten, finde ich, dass Sie eine ganze Menge vor der eigenen Haustür zu kehren haben.
Die Diskussion über die Pandemie, die heute schon geführt worden ist, ist ganz ohne Zweifel wichtig; aber die steigenden Energiepreise bewegen die Menschen im Land genauso. Deswegen ist es gut, dass wir hier darüber diskutieren. Ich finde nämlich, dass das Thema des Antrags der Linken ernst ist. Es gibt eine ganze Reihe von Gruppen, Städtetag, Mieterbund, Verbraucherzentrale, die das Thema aufgegriffen haben. Ohne hier über Details von Koalitionsverhandlungen zu sprechen, darf ich Ihnen zusichern, dass dieses Thema eine wichtige Rolle spielt und wir dazu eine konkrete Lösung finden werden; denn tatsächlich sollte ja niemand in seiner Wohnung frieren. Die steigenden Energiepreise haben soziale Folgen. Eine warme Wohnung ist kein Luxus, sondern ein Anspruch, der allen Menschen gleichermaßen zusteht; dem werden wir auch Rechnung tragen.
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Um eins vorweg zu sagen: Der zum gegenwärtigen Zeitpunkt ja noch geringe CO2-Preis ist bereits in eine Wohngelderhöhung eingeflossen; die beträgt je nach Anzahl der Haushaltsmitglieder zwischen 15 und 30 Euro im Monat. Der seit Januar bestehende CO2-Preis kann bei Wohngeldempfängern also nicht zur Begründung der höheren Energiepreisbelastung herangezogen werden. So wird das sicherlich gleich die AfD machen, bei der der CO2-Preis ja nur dazu dient, Ängste zu schüren gegen eine solche Politik. Würde überdies der CO2-Preis – wie wir das ganz gerne wollen – nicht auf Mieterinnen und Mieter alleine abgewälzt – das haben wir leider mit der CDU/CSU nicht anders verabreden können –, dann wäre die Situation noch einmal anders. Aber wir werden weiter daran arbeiten, wie man zu einer Klimakomponente kommen kann. Bei den Kosten der Unterkunft, der Grundsicherung oder Sozialhilfe werden die Heizkosten übrigens vom Jobcenter, von der Arge, vom Sozialamt übernommen. Die höheren Energiepreise sind jedenfalls keine Begründung für Kürzungen, sondern das sind andere Faktoren. Das muss man zunächst einmal sachlich darstellen.
Aber trotzdem stellt sich ja die Frage, wie wir vor dem Hintergrund eines offenen Marktes auf aktuelle massive Preissprünge durch begrenzte Gaslieferungen bei gleichzeitig weltweit angestiegener Nachfrage reagieren. Denn von der Hilfe für Wohngeldempfänger oder für Langzeitarbeitslose abgesehen sind es ja vor allen Dingen Menschen mit niedrigen Einkommen, die diese Preise nicht bezahlen können und überproportional von Energiepreissprüngen belastet sind, zum Beispiel diejenigen, die den Kinderzuschlag bekommen, Rentnerinnen und Rentner. Ich will damit deutlich sagen, dass Klimapolitik, Klimaanpassung, Energiepolitik für uns eine soziale Herausforderung ist. Das war für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten jedenfalls immer klar.
Vor allem unsere kommunalen Versorger – das will ich an dieser Stelle auch betonen – sichern aufgrund ihrer langfristigen Verträge, dass die Preissprünge nicht sofort auf private Haushalte durchschlagen. Auch wenn Energiesperren – davon ist eben gerade gesprochen worden – prozentual in Deutschland nur sehr selten vorkommen – im Gasbereich beispielweise liegen sie bei unter 1 Prozent der Haushalte –, ist trotzdem jede absolute Zahl zu hoch; da gebe ich der Kollegin recht. Wir müssen Strom- und Gassperren unter allen Umständen vermeiden, weil die sozialen, die gesundheitlichen, kurzum: die menschlichen Folgen in unserer Gesellschaft nicht akzeptabel sind.
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Einen einmaligen Heizkostenzuschuss zu gewähren, wie er eben angesprochen worden ist, wäre eine schnelle Reaktion darauf. Und ich finde in der Tat, dass darüber zu beraten sein wird. Wir haben Kostenschätzungen dazu: Für 100 Euro Zuschuss braucht es 65 Millionen Euro. Das kann man beliebig verdoppeln oder noch höher ansetzen, so wie Sie es getan haben. Aber jedenfalls weiß man die Beträge schon. Langfristig betrachtet zeigen uns die Entwicklungen am Energiemarkt eigentlich zweierlei:
Deutschland muss sich vor dem Hintergrund offener Märkte von fossilen Energieträgern, vor allen Dingen von Öl und Kohle, unabhängig machen. Das ist eine ganz wichtige Sache, perspektivisch gilt das auch bei Gas. Der Ausbau von erneuerbaren Energien ebnet uns den Weg zu mehr Unabhängigkeit. Und während bei Öl beispielsweise die Heizkosten um bis zu 44 Prozent steigen, liegt die Steigerung bei Wärme, die über Fernwärme, über Wärmepellets, über Wärmepumpen und Ähnliches erzeugt wird, prozentual im einstelligen Bereich. Das zeigt, wie unterschiedlich eine solche Entwicklung in der Zukunft zu gestalten ist.
Zweitens sollten wir Wärmesysteme mit erneuerbaren Energien stärker berücksichtigen, um nachhaltig Wärme zu produzieren, Wärmepotenziale besser zu nutzen und gleichzeitig Treibhausgasemissionen zu senken. Zudem können wir dadurch internationalen Preissteigerungen durch ein höheres Maß an Unabhängigkeit ausweichen. Ich glaube, dass gerade in diesem Bereich die Kommunen eine wichtige Aufgabe haben, die sie auch gerne wahrnehmen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir bei den Beratungen durchaus auf der Höhe der Zeit sind und dass wir im Rahmen der Koalitionsverhandlungen ganz ohne Zweifel auch für die jetzige Heizperiode im Interesse der Menschen eine adäquate Lösung finden werden.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Kai Whittaker von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke beschäftigt sich ausgerechnet am Sankt-Martins-Tag mit unserer christdemokratischen Kernkompetenz, nämlich der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe.
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Und damit Sie mich nicht missverstehen: Warme Wohnungen sind für uns auch ein wichtiges Thema, über das wir hier debattieren müssen.
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Aber, liebe Frau Kollegin Lötzsch, das Ross, auf dem Sie dahergeritten kommen, scheint doch ein ziemlich lahmer Gaul zu sein. Der Staat soll warme Wohnungen für seine Bürgerinnen und Bürger garantieren. Da fragt man sich ja sofort: Um Himmels willen! Ja ist dem noch nicht so? Die Antwort findet sich sehr schnell auf internationaler wie nationaler Ebene. In den Artikeln 9 und 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UN ist glasklar festgehalten, dass es ein Recht auf soziale Sicherheit und angemessenen Lebensstandard inklusive Unterbringung gibt. Dieser Pakt stammt von 1966. Insofern kommt Ihr Antrag heute, am 11.11., wie die alte Fastnacht hinterher.
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Eine warme Wohnung ist in Deutschland also bereits ein Menschenrecht. Und auch im SGB II gibt es glasklare Regeln dazu. Hören Sie gut zu! In § 22 Absatz 1 heißt es – ich zitiere –:
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
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In den Ausführungsbestimmungen steht dazu unter Ziffer 3.3.2 – ich zitiere –:
Einmalig anfallende Nachzahlungen … sind zunächst in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen.
Deutlicher kann man es kaum formulieren. Es existiert also nicht nur ein Menschenrecht auf warme Wohnung, es wird in Deutschland auch gewahrt.
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Wir sehen aber auch – keine Frage –, dass gerade Geringverdiener, genauso wie die breite Mittelschicht in unserem Land, unter den aktuell horrenden Energiepreisen ächzen, und das darf uns nicht kaltlassen. Das sind weite Teile der Gesellschaft, die früh aufstehen, hart arbeiten und wenig oder durchschnittlich verdienen.
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Strom ist binnen eines Jahres um 10 Prozent, Gas um 30 Prozent teurer geworden. Das ist eine harte Belastung, die wir abfedern müssen.
Deshalb fordere ich die Ampelfraktionen jetzt auf, schnell das weiterzuführen, was wir auf den Weg gebracht haben. Als Union haben wir mit der SPD den CO2-Preis eingeführt mit der Absicht, andere Steuern und Abgaben schnell abzuschaffen. Deshalb müssen die EEG-Umlage bei Strom und die Gassteuer bei Gas dringend abgeschafft werden.
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Wenn Sie dann noch bei Energie den reduzierten Mehrwertsteuersatz ansetzen, dann sparen die Verbraucherinnen und Verbraucher bares Geld. Ein Dreipersonenhaushalt behält dann bei Gas circa 210 Euro und bei Strom circa 250 Euro pro Jahr im Geldbeutel.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Linksfraktion?
Aus der Linksfraktion? – Ja, gerne. – Das sind nicht mehr so viele; deshalb muss man so weit nach links gucken.
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Lieber Herr Kollege Whittaker, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie werden sich noch wundern, was wir mit unserer kleinen Fraktion hier alles auf die Beine stellen werden; das kann ich Ihnen versichern.
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Sie haben sich über die große Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die gestiegenen Energiepreise beschwert. Ich will daran erinnern, wer letztlich die CO2-Preise im Sektor Wohnen bezahlt. Trifft es zu, dass Sie als Union in den letzten Monaten verhindert haben, dass diese Kosten zwischen Vermietern und Mietern geteilt werden? Wenn das zutrifft, wie können Sie sich dann hierhinstellen und sagen, dass Sie versuchen, die kleinen Leute vor den steigenden Energiepreisen zu bewahren?
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Fakt ist doch, dass Sie dafür gesorgt haben – ich bin bespannt, ob die Ampel das jetzt ändern wird –, dass die Mieterinnen und Mieter alleine die gestiegenen Energiepreise in diesem Sektor zahlen. Ich erwarte, dass Sie an dieser Stelle mal eine klare Aussage dazu machen.
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Herr Kollege, wir haben den CO2-Preis eingeführt – ich habe es gerade eben erläutert – mit der Absicht, CO2-intensive Energie stärker zu bepreisen, damit es einen Anreiz gibt, wegzukommen von der fossilen Energie. Gleichzeitig müssen wir, wenn wir so eine zusätzliche Belastung machen, an anderer Stelle die Menschen entlasten. Deshalb habe ich hier gerade noch mal für uns als Unionsfraktion klargemacht: Den ersten Schritt sind wir gegangen, der zweite Schritt – EEG-Umlage abschaffen, Stromsteuer abschaffen, Gassteuer abschaffen – muss jetzt gemacht werden. Dazu fordere ich die Ampelfraktionen auf.
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Das wäre die Entlastung, die jetzt für die breite Mittelschicht notwendig wäre. – Ich bin noch nicht fertig, Herr Kollege.
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– Ja, gut; sehr schön.
Wir haben auch ganz klar gesagt: Wir wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Anreiz haben, über ihre Energiekosten zu entscheiden; schließlich entscheiden sie über ihren Verbrauch. Den Vermieter kann ich nicht einfach in die Mithaftung nehmen; denn er hat überhaupt keinen Einfluss auf den konkreten Verbrauch des einzelnen Mieters. Deshalb wollen wir die Vermieterinnen und Vermieter durch zusätzliche Anreize, KfW-Förderung etc., lieber dabei unterstützen, ihre Immobilien energetisch zu sanieren, damit sie von der fossilen Energie wegkommen, und gleichzeitig die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten, indem wir Steuern und Abgaben senken. So einfach wollen wir es machen.
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Wenn ich das richtig sehe, dann waren wir als Union mit der Forderung nach Abschaffung der Steuern und Abgaben nicht allein. Die SPD hatte es im Wahlprogramm, die FDP hatte es im Wahlprogramm, selbst die Grünen hatten eine entsprechende Andeutung in ihrem Wahlprogramm. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel: Das sollte jetzt nicht so schwer sein. „Hopphopp!“, kann man da nur sagen. Die Zeit drängt.
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Die Tage werden kürzer und die Nächte kälter. Legen Sie rasch einen Gesetzentwurf vor, liebe Ampel! Sie können jetzt entscheiden, ob Sie am Großteil der Gesellschaft vorbeireiten oder Ihren Mantel teilen.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Erst mal ein Dank an die antragstellende Fraktion, dass wir heute über das Thema „Energiepreise, sozialer Ausgleich“ hier beraten können.
Klar ist: Wohnen ist so vielfältig wie die Menschen selbst. Egal ob sie im Eigentum wohnen oder zur Miete, die Energiekosten treffen sie alle gleichermaßen. Grundsätzlich ist an dieser Stelle anzumerken: Die steigenden Energiepreise bei den fossilen Energieträgern, die Berg- und Talfahrten auf den internationalen Energiemärkten zeigen eines ganz deutlich: Wir müssen in Europa und in Deutschland unabhängiger werden von diesen Preisschwankungen. Deswegen: Lassen Sie uns unabhängig werden vom Import fossiler Energien – in Deutschland und in Europa.
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Diese Unabhängigkeit werden wir nur durch den Ausbau der erneuerbaren Energien hinbekommen, durch eine echte Renovierungswelle, durch mehr Investitionen in Energieeffizienz. Dann sind wir nicht mehr abhängig von den Diktatoren und Oligarchen dieser Welt und den schwankenden Energiepreisen. Lassen Sie uns dieses Projekt zu einem der großen Projekte dieses Jahrzehnts machen!
3 Milliarden Euro wurden in der letzten Wahlperiode ausgegeben, um Gasthermen in Gebäuden zu subventionieren. Wir finden: Dieses Geld muss in Zukunft in die Energieeffizienz, in den Ausbau der erneuerbaren Energien, in die Energiewende in unseren Städten und unseren Quartieren gesteckt werden.
({1})
Das ist ein wichtiger Beitrag, auch um Energiearmut in Deutschland zu verhindern; denn Energieeffizienz ist am Ende auch Politik für soziale Belange.
Unser Ziel ist – das eint uns mit den Antragstellerinnen –, Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten. Darüber haben wir in den letzten Tagen mit Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag gesprochen, mit Kevin Kühnert, Daniel Föst und anderen. Das eint uns. Schon im Sondierungspapier, das ja allen bekannt ist, wurden ganz klare Maßnahmen benannt: Absenkung der EEG-Umlage, ein Mindestlohn von 12 Euro. Das sind wirkliche soziale und energiepolitische Errungenschaften, die wir hier formuliert haben. An dieser Stelle möchte ich Ihnen eines sagen: Wir sind in manchen Punkten schon da, wo Sie uns haben wollen, weil wir das schon lange erkannt haben. Da brauchen wir keine Belehrungen, Herr Whittaker.
({2})
Es braucht weiter gezielte Unterstützung – ganz klar – beim Wohngeld; Bernhard Daldrup hat es vorhin angesprochen. Wir brauchen dabei nicht nur den Blick auf die Energiepreise, sondern auch den auf den Klimaschutz und den Menschen.
Eines ist auch klar – das ist völlig logisch –: Der CO2-Preis und seine Verteilung müssen in Deutschland fair und neu geregelt werden. Dass Sie hier als Vertreter der Unionsfraktion eine große Rede halten, obwohl die Unionsfraktion es in der letzten Wahlperiode verhindert hat, dass es beim CO2-Preis eine faire Aufteilung zwischen Vermietern und Mieterinnen und Mietern gibt, zeigt eines ganz klar: dass Sie nicht verstanden haben, was Sankt Martin eigentlich sagen wollte, Herr Whittaker.
({3})
Das haben Sie nicht verstanden. Auch für diese Politik sind Sie am Wahltag abgestraft worden. Sie haben die Menschen in Deutschland aus dem Blick verloren.
Wir müssen das Vermieter/Mieter-Dilemma endgültig in Deutschland lösen. Wir brauchen endlich einen Aufbruch bei der Sanierungs- und Energiepolitik im Gebäudebereich in Deutschland; denn am Ende ist Energieeffizienz, ist Politik für erneuerbare Energien auch Politik für soziale Gerechtigkeit. Deswegen: Lassen Sie uns das mutig voranbringen!
Zum Schluss will ich sagen: Werte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, ich habe mich schon gewundert, als ich Ihren Antrag gelesen habe. Ich habe mich wirklich gewundert, einmal über die Sprache, aber auch über den Titel. Ich weiß nicht, ob diese Form – ich finde es fast flapsig – diesem Thema angemessen ist.
({4})
Unter II. haben Sie, Frau Lötzsch, aufgeschrieben:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung
– die Bundesregierung! -
auf, unverzüglich einen Gesetzesentwurf für einen „Keiner soll frieren“-Plan mit folgenden Eckpunkten vorzulegen: …
Ich frage mich: Welche Bundesregierung meinen Sie?
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Wollen Sie allen Ernstes, dass Peter Altmaier und Horst Seehofer in dieser Wahlperiode einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen? Ich sage Ihnen eins: Wir wollen das nicht.
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Wir wollen das ganz sicher nicht.
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– Sie können ja eine Zwischenfrage stellen.
({8})
Ich sage Ihnen eines: Wir werden das besser machen.
Danke schön.
({9})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Whittaker, wir Freie Demokraten waren jetzt vier Jahre lang die konstruktive Opposition. Gerade Sie als CDU/CSU werden mit Ihren Ausführungen, wir sollten doch mal die Steuern senken, nachdem Sie es 16 Jahre lang versprochen, aber nie getan haben, zur unfreiwillig komischen Opposition.
({0})
Aber die Debatte ist viel zu ernst, um die Flapsigkeit der Union zum Thema zu machen. Denn wir sind in einer problematischen Situation: Die Energiepreise steigen. Die Menschen leiden immer noch unter hohen Mieten. Der Winter kommt. Und zu den hohen Mieten kommen jetzt hohe Heizkosten. Deswegen ist die Debatte ernst und ist das Thema wichtig.
Ja, keiner in Deutschland soll frieren; das stimmt. Aber die Situation hätte wirklich eine pragmatische Lösung verdient. Und die haben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, wieder nicht geliefert.
({1})
Bei Ihnen steht die Ideologie immer vor allem. Nachdem ich Ihren Antrag gelesen habe, kam ich zu dem Fazit: Ja, Ihre Fraktion ist kleiner geworden, aber nicht klüger.
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Nur um das mal an einem wirklich ganz banalen Punkt in Ihrem Antrag klarzumachen: Sie fordern einen Heizkostenzuschuss noch vor Weihnachten, praktisch als Weihnachtsgeschenk, als Weihnachtsgeld.
({3})
Es ist aber schlicht der falsche Zeitpunkt. Die Nebenkostenabrechnung kommt im Frühjahr 2022. Dann kommen die hohen Nachzahlungen, dann brauchen die Menschen das Geld, und dann müssen wir hoffen, dass von Ihrem Weihnachtsgeschenk noch irgendwas da ist.
({4})
Das Ziel der kommenden Regierung ist, glaube ich, relativ klar:
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Wir müssen den Energieverbrauch im Gebäudebestand senken. Wir müssen die Erneuerbaren ausbauen, die energetische Sanierung beschleunigen
({6})
und einen sozialen Ausgleich schaffen. Das eint uns.
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Damit tun wir insgesamt sowohl dem Klima als auch dem Geldbeutel der Mieterinnen und Mieter was Gutes. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite ist: Wir müssen auch die Anreize setzen, dass sowohl Mieterinnen und Mieter als auch Vermieter CO2 reduzieren und damit dem Klima was Gutes tun und dann auch Geld sparen. Deswegen ist völlig falsch, was Sie hier wieder pauschal reinwerfen, nämlich dass ausschließlich und nur der Vermieter die CO2-Kosten tragen soll. Wenn wir dem Klima und dem Geldbeutel was Gutes tun wollen, ist es wichtig, dass wir sowohl die Vermieter als auch die Mieter im Rahmen ihres Einflusses auf die CO2-Emissionen im Gebäude an den Kosten beteiligen.
Dazu haben wir Freie Demokraten einen klugen Vorschlag in die Debatte eingebracht: Wir wollen eine Teilwarmmiete. Die Vermieter stellen eine gewisse Basisversorgung mit Wärme zur Verfügung, und alles, was die Mieter darüber hinaus an Wärme brauchen, müssen sie selber zahlen. Damit haben wir einen Anreiz sowohl für die Vermieter, die Kosten zu senken, als auch für die Mieterinnen und Mieter, sich entsprechend zu verhalten. Es macht doch wirklich überhaupt keinen Sinn, in einem energetisch sanierten Gebäude zu sitzen und dann zum Fenster raus zu heizen. Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür sorgen, dass CO2 reduziert wird – im Bestand, im Neubau, und zwar Vermieter genauso wie Mieter.
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Ich muss – auch wenn es mir schwerfällt, aber einer muss es ja machen – ein Wort zum Antrag der AfD sagen.
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Einen solchen Antrag kann man nur schreiben, wenn man nach wie vor den Klimawandel total leugnet.
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Sie haben wieder mal gezeigt, wie sehr Sie in Ihrer eigenen Parallelwelt leben und wie völlig egal Ihnen unser Planet ist.
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Hauptsache, Sie kriegen Reichweite in den sozialen Medien. Das ist erbärmlich, und das wird den Problemen nicht gerecht.
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Es ist der richtige Weg, dass CO2 einen Preis bekommt, unserer Meinung nach durch einen sektorübergreifenden CO2-Zertifikatehandel, bei dem der Preis am Markt gebildet und mit einem harten Deckel versehen wird, der das CO2 rausdrückt. So sparen wir Geld sowohl für die Mieterinnen und Mieter als auch für die Vermieter und tun dem Klima was Gutes.
Letzter Satz. Richtig ist: Die Probleme, die uns die Union im Bauministerium hinterlassen hat, muss die neue Regierung schnell angehen. Deswegen werden wir das Klima schützen, die energetische Sanierung voranbringen und soziale Härten abfedern. Da bin ich mir sehr sicher.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Marc Bernhard von der AfD.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angela Merkel hat in 16 Jahren dafür gesorgt, dass wir in Deutschland die höchsten Strompreise der Welt haben, doppelt so hoch wie in unseren Nachbarländern. Und Sie von der vielleicht künftigen Bundesregierung wollen das jetzt sogar noch toppen und uns Bürger mit noch höheren Energiepreisen abzocken.
So kostet heute schon Heizöl mehr als das Doppelte als im letzten Jahr, und die Explosion der Gaspreise macht den Menschen im Land Angst. Eine vierköpfige Familie zahlt über 600 Euro im Monat für Strom, Benzin und Heizung,
({0})
also 1 800 Euro pro Jahr mehr als letztes Jahr. Dafür verantwortlich sind Bundesregierungen, die in maßloser Selbstüberschätzung im nationalen Alleingang angeblich die Welt retten wollen.
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Sie sorgen dafür, dass das Heizen in diesem Winter für viele Menschen unbezahlbar wird. Bereits im letzten Winter mussten mehr als 7 Millionen Menschen frieren, weil sie ihre Wohnung nicht mehr ausreichend heizen konnten. Diese soziale Kälte der Regierung trifft besonders Bedürftige, Rentner, Geringverdiener und Alleinerziehende.
Und SPD-Spitzengenossen wie Katarina Barley fällt nichts Besseres ein, als die Menschen zu verhöhnen und ihnen zu raten, dass sie doch einfach weniger Strom verbrauchen und weniger heizen sollen, wenn sie sich die Energiepreise nicht mehr leisten können.
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Dabei sind die extrem hohen Energiepreise doch gerade das direkte Ergebnis Ihrer völlig verfehlten Klimapolitik, die jetzt von der Realität eingeholt wird, und nichts anderes.
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Mit der Energiesteuer, der Ökosteuer, der EEG-Umlage, der Gassteuer, der Mineralölsteuer, der Stromsteuer, der CO2-Steuer usw. pressen Sie uns Bürgern immer neue und höhere Belastungen ab. Während Sie unsere Bürger immer weiter abzocken und in kalten Wohnungen sitzen lassen, senkt Italien die Energiepreise für seine Bürger – und zwar mit deutschen Steuergeldern aus den EU-Coronahilfen, meiner sehr geehrten Damen und Herren.
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Es ist wirklich eine Schande, dass die Bundesregierung Hunderte von Milliarden Euro ans Ausland verschenkt, während Millionen von Menschen in unserem Land frieren müssen. Damit muss endlich Schluss sein!
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Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch die sofortige Streichung der EEG-Umlage, die Abschaffung der CO2-Steuer und die sofortige Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Strom und Heizkosten.
Herzlichen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Ihre Redezeit ist vorbei, Herr Bernhard. – Ich erteile das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag Kevin Kühnert.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer ganz lustig, wenn die AfD anfängt, über soziale Gerechtigkeit zu sprechen, und dann mal zwei, drei Sachen raushaut. Dann könnte man für einen kurzen Moment fast vergessen, dass Sie im Wahlkampf beispielsweise ein sehr unklares Verhältnis zum Thema „Mindestlohn und seine Erhöhung“ hatten
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oder dass Ihr Noch-Parteivorsitzender Herr Meuthen die Rente – Sie sprachen eben von Rentnerinnen und Rentnern – komplett zu einer kapitalgedeckten Altersvorsorge hin entwickeln möchte. Er möchte die gesetzliche Rente in Deutschland pulverisieren.
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Dann reden wir nicht mehr über das Problem mit dem Heizen, sondern darüber, dass gar kein Geld mehr außer Sozialleistungen übrig bleibt. Das ist das, was Ihre Partei sich unter sozialer Gerechtigkeit vorstellt.
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Dass Sie sich nicht schämen, sich hier vorne hinzustellen und als Schutzpatron aufzuspielen! Nun ja!
Meine Damen und Herren, Herr Whittaker von der CDU/CSU-Fraktion hat, wie ich finde, zu Recht auf den UN-Sozialpakt hingewiesen, auf Artikel 11, auf das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, was eben auch die Frage der Wohnung, ihrer Qualität und Infrastruktur, beinhaltet. Ich finde nur, Sie haben ein bisschen die falschen Schlüsse daraus gezogen. Wenn ich überlege, was wir in den nächsten Jahren hier tun können – ohne zu viel zu verraten, kann man auch aus den Redebeiträgen der Kollegen ein bisschen heraushören, in welche Richtung die Reise gehen könnte –, dann denke ich natürlich an den Ausbau der Erneuerbaren, den wir uns ganz vorneweg vorzunehmen haben. Alle Argumente dazu sind mehrfach gebracht worden. Wir haben klug zu sanieren und unsere Mittel dabei intelligent einzusetzen, damit der eingesetzte Euro am Ende den bestmöglichen Beitrag zur Klimabilanz unserer Gesellschaft, aber auch unserer Haushalte beiträgt.
Wir haben die Dekarbonisierung bei der Energie- und Wärmeversorgung voranzutreiben. Wir haben auch Instrumente, mit denen wir den Weg dahin, weil nicht alles sofort vom Himmel fällt, überbrücken können. Wir können am Heizkostenzuschuss arbeiten. Wir können und müssen das Wohngeld weiter verbessern. Wir haben am Anfang der Coronazeit auch gesehen, wie beispielsweise das Leistungsverweigerungsrecht helfen konnte, Härtephasen zu überwinden sowie Stromsperren und Gassperren zu vermeiden, von denen es im abgerechneten Kalenderjahr 2020 deutlich weniger gab. Auf dem Weg dahin, vielleicht auch zu so etwas wie einem Teilwarmmietenmodell, in dem auch eine Modernisierungsumlage und Ähnliches aufgehen könnten, haben wir zu sagen, wie das gerade mit dem CO2-Preis beim Wohnen auszusehen hat.
Ich muss schon sagen: Ihre Aussage, Herr Whittaker, einen Anreiz zu setzen, von der Nutzung fossiler Energie wegzukommen, sei das Ziel des CO2-Preises gewesen, höre ich ganz gerne; aber dem folgt ja die einseitige Verortung des CO2-Preises bei den Mieterinnen und Mietern gerade nicht. Ich glaube, Ihr Fraktionskollege Thorsten Frei war damals ehrlicher, als er begründete, weshalb Sie sich geweigert haben, das, was Ihre eigenen Leute in der Regierung ausverhandelt hatten, nämlich fifty-fifty – nicht super, aber besser als das, was wir jetzt haben –, umzusetzen. Er sagte nämlich, fifty-fifty sei kontraproduktiv, der CO2-Preis verfolge am Ende das Ziel der Verhaltenslenkung.
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Aber das bedeutet, konsequent zu Ende gedacht, dass wir über Kaltduschen, Ausmachen der Heizung, Häkeln von Mützen und Kaufen von Pullis die Energiewende und den Klimaschutz in Deutschland schaffen wollen.
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Das kann nicht ernsthaft Ihre Ansage sein.
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Diese Ausgestaltung des CO2-Preises geht auf Ihre Rechnung, auf Ihre Fraktion. Das ist der Nebenkostenabrechnung gewordene Arbeitsnachweis von CDU und CSU gegenüber den Mieterinnen und Mietern in Deutschland. Und wir werden uns nicht nur vornehmen, sondern es auch erledigen,
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das in dieser Wahlperiode anders und gerechter zu gestalten, ohne dass dabei soziale Härten durchschlagen oder der Klimaschutz unter die Räder kommt.
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Das ist es, was wir uns hoffentlich gemeinsam als Ampelparteien vornehmen. Ich sehe zu den Kollegen Föst und Kühn und bin optimistisch, dass wir das auch hinbekommen werden.
Gestatten Sie mir bitte, zum Abschluss dieser Rede noch einen Hinweis zu geben – vielleicht etwas Versöhnendes, was alle sofort umsetzen können –: Wenn wir über warme Wohnungen und einen Keiner-soll-frieren-Plan sprechen, dann haben wir nicht nur an diejenigen zu denken, die in diesen Tagen in ihren Wohnungen sitzen und sich um das Heizen Gedanken machen, sondern auch über diejenigen zu reden, die gar keine Wohnung haben.
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Als erste, aber sicherlich nicht abschließende Sofortmaßnahme wäre es vielleicht angebracht, dass sich alle hier im Saal, aber auch zu Hause für die anstehende Wintersaison die Nummer der nächsten Kältehilfe raussuchen, damit Menschen, die leider noch und hoffentlich nicht mehr lange in Obdachlosigkeit sind, geholfen werden kann. Hier in Berlin, liebe Kolleginnen und Kollegen, an unserem Arbeitsort, kann man das auch einfach über die App der Berliner Kältehilfe machen. Ich lade Sie alle herzlich dazu ein, dieses Angebot jetzt zu nutzen.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner in dieser Debatte: Peter Aumer, CDU/CSU.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Es ist schon sehr spannend, wie diese Ampelkoalition zueinanderfindet. Man kann ein kleines bisschen Geschichtsvergessenheit beobachten, bei der FDP, wenn sie sagt: Ach, ihr von der Union wart ja 16 Jahre lang in der Regierung. – Wenn wir schauen, dann sehen wir: Ein paar Jahre war die FDP auch mit dabei.
({0})
– Es ist schon ein bisschen her; aber Impulse kamen da in dem Bereich auch nicht.
({1})
Die SPD sollte vielleicht auch nicht ganz vergessen, dass ein gehöriger Teil dieser 16 Jahre in die Verantwortlichkeit der SPD fällt. Ich glaube, dass das zur Ehrlichkeit und zur Fairness von Politik dazugehört.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch ein kleines bisschen auf die Vorredner eingehen. Wenn Herr Kühn sagt: „Wir werden das besser machen“, – –
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– Ich habe aber keine Antworten gefunden. – Wenn Sie sagen, Herr Föst: „Das eint uns“, dann muss ich feststellen, dass ich keinen einzigen gemeinsamen Vorschlag dieser Ampel gefunden habe.
({4})
Und wenn man in Ihr Sondierungspapier schaut, dann findet man darin auch sehr wenig zu diesem Bereich. Ich habe es mir ganz genau durchgelesen. Es steht nicht sehr viel zu dem Bereich drin. Ich bin mal gespannt, welche Antworten Sie auf diese wichtige Herausforderung für die Menschen in unserem Land geben.
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Es wird sich vor allem zeigen, Herr Kühn, ob die Ideologie oder die Menschen im Vordergrund der Politik der Ampelkoalition stehen werden.
({6})
Ganz kurz: Hohe Energiepreise belasten zum einen die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger; darüber haben wir gerade gesprochen. Unser bayerischer Ministerpräsident hat einige Vorschläge gemacht – Kai Whittaker hat sie aufgegriffen –, wie man vor allem schnell helfen kann. Das ist vor dem Winter ganz wichtig.
Herr Föst, ich habe in Ihrer Rede gehört, die Nebenkostenabrechnung komme erst im Februar. Es gibt auch Menschen, die selber eine Wohnung haben und vielleicht auch nicht so viel Geld, um es zu bezahlen.
({7})
Irgendwie komisch, was die FDP mittlerweile in ihren Reden von sich gibt!
Schnell geht es, wenn man die Mehrwertsteuer senkt, schnell geht es, wenn man die EEG-Umlage abschafft, und schnell geht es, wenn man die Stromsteuer auf ein europäisches Mindestmaß senkt. Ich glaube, hier sind die Vorschläge der Union relativ gut.
({8})
– Herr Kühn, die Nummer mit den 16 Jahren können Sie sich sparen.
({9})
Machen Sie Vorschläge; dann können wir uns darüber unterhalten. Heute habe ich keinen einzigen konkreten Vorschlag von den Grünen gehört.
({10})
Ich bin gespannt darauf, wenn wir vor Weihnachten noch mal ganz konkret über dieses Thema reden.
({11})
– Welche denn? Keine konkreten,
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die alle drei Fraktionen gemeinsam mittragen können. Das hätte ich heute erwartet, weil eine Lösung vor Weihnachten – da haben die Linken ausnahmsweise recht – sicherlich nicht schlecht wäre.
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Das andere Problem ist – das ist gar nicht angesprochen worden –, dass die hohen Energiepreise, liebe Kollegen der FDP, natürlich auch die Unternehmen und die Kommunen belasten. Mir ist aus einer Kommune meines Wahlkreises berichtet worden, dass in der letzten Woche der Gasliefervertrag gekündigt worden ist. Neues Angebot: 500 Prozent teurer.
({14})
Ich freue mich auf die Antworten, die die Ampel bringt, um solche Effekte einzudämmen.
({15})
– Das hat nichts mit Markus Söder zu tun. – Geben Sie mal Antworten in dem Bereich, und dann können wir darüber reden. Wettbewerbsfähigkeit ist hier ein ganz wesentlicher Punkt.
Kurz zu den Anträgen. Es ist vorhin angesprochen worden: Bei der AfD war die Antwort, die CO2-Bepreisung völlig abzuschaffen, es gebe kein Problem in diesem Land.
({16})
– Lesen Sie es doch! Zur CO2-Bepreisung haben Sie gesagt: Alles abschaffen! Das heißt am Ende, dass der Klimawandel kein Problem ist.
Dann fordert die AfD, die Regelbedarfe zu erhöhen.
({17})
Sie wissen wahrscheinlich nicht mal, dass wir neben den Regelbedarfen auch die Kosten der Unterkunft haben, bei denen unter anderem die Kosten der Heizung berücksichtigt werden. Das findet man in Ihrem Antrag nicht.
Bei der Linken findet man immer wieder dieselben Antworten, etwa die Forderung, die Vermögensteuer wieder zu erheben.
({18})
Das ist auch bei diesem Thema die Antwort. Und die CO2-Preise zu 100 Prozent auf die Vermieter umzuwälzen, ist auch nicht die richtige Antwort.
Lieber Herr Kühnert, ich denke, wir haben auch das Problem, dass wir in unserem Land Wohnungen schaffen müssen.
({19})
Ich bin gespannt, welche Antwort da kommt; denn da braucht es auch Vermieter, die die Möglichkeit haben, Wohnungen zu schaffen, und das muss sich in irgendeiner Art und Weise, Herr Föst, rechnen.
({20})
Da haben wir gemeinsam viele Hausaufgaben zu machen, und Sie zuallererst.
({21})
Herzlichen Dank.
({22})
Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich freue mich sehr, dass Sie heute die Sitzung zum ersten Mal leiten. Werte Kolleginnen und Kollegen! Was haben Glasgow und Berlin gemeinsam?
({0})
Nicht das Wetter, sondern dass sowohl in Glasgow als auch hier in Berlin derzeit wichtige Verhandlungen zum Thema Klimaschutz stattfinden.
({1})
In Glasgow kämpfen die Verhandler dafür, dass sich alle Staaten der Welt ehrgeizige und ambitionierte Klimaziele geben. Nur wenn alle mitziehen, haben wir eine Chance, das weltweite 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Einhaltung dieser Klimaziele muss vergleichbar, muss kontrollierbar sein. Deswegen ist es wichtig, dass das Regelbuch von Paris noch weiter präzisiert wird. Darum wird gerade intensiv gerungen.
({2})
Dass wir dieses einheitliche Regelbuch haben, ist entscheidend für einen erfolgreichen internationalen Klimaschutz, aber auch entscheidend für einheitliche Wettbewerbsbedingungen für unsere Volkswirtschaft. Denn eines ist klar: Wer nur mit der nationalen Brille Klimapolitik macht, wie es bei manchen Ampelkoalitionären den Anschein hat, der schadet unserer Volkswirtschaft
({3})
und erweist auch dem Klimaschutz in Wahrheit einen Bärendienst, meine Damen und Herren.
({4})
Auch in Berlin kommen die Verhandlungen in die entscheidende Phase. Dort ist es genauso: Es ist einiges im Fluss. Die Honeymoon-Bilder vom Anfang sind vorbei. Jetzt muss es konkret werden, und jetzt ist es wirklich mal interessant, sich die Details anzuschauen.
({5})
So sieht das Sondierungspapier – das kennen wir – eine Abkehr von den Sektorzielen vor.
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Stattdessen wird von sektorübergreifenden mehrjährigen Gesamtrechnungen gesprochen. Hört! Hört! Die Sektorziele waren der SPD und den Grünen, auch den Nichtregierungsorganisationen und den Umweltverbänden immer so wichtig.
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Denn sie sind Bestandteil eines effektiven Monitorings und einer effektiven Kontrolle, die das Klimaschutzgesetz so erfolgreich und so effektiv machen. Kaum ist die Ampel am Zug, werden die Daumenschrauben, die wir als Große Koalition eingeführt haben,
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wohl abgeschafft. Das ist nicht gut für das Klima, und das ist auch erstaunlich. Wenn man Klimaregierung werden will, dann muss man sich auch an den Taten messen lassen, meine Damen und Herren.
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Von Zeitenwende war die Rede, von Aufbruch, von Fortschritt und Veränderung. Im Augenblick scheint reichlich Sand im Getriebe zu sein.
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Ich bin gespannt, wie die SPD, die Grünen und die FDP die künftige Klimapolitik gestalten wollen, was sie grundlegend anders machen wollen, ohne die Menschen – denn für die sitzen wir hier im Bundestag, meine Damen und Herren – dabei zu verlieren, und wie sie die Energieversorgungssicherheit zu erträglichen Preisen garantieren wollen.
Interessant ist auch eine weitere Stelle im Sondierungspapier. Da ist von einer konsequenten Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes die Rede. Soll weiter an der Schraube der Klimaziele gedreht werden? Ich sage Ihnen: Die 65 Prozent bis 2030, die wir jetzt mit dem Klimaschutzgesetz gesetzlich verbindlich gemacht haben, sind sehr ambitioniert. Was ist der Beweis dafür? Die Grünen haben genau diese 65 Prozent immer gefordert. Kaum haben wir sie ins Gesetz geschrieben, haben sie auf einmal 70 Prozent gefordert. Das ist doch die Wahrheit: Man will immer weiter an der Schraube drehen. Die Menschen werden dabei nicht mitgenommen und die Wirtschaft auch nicht, meine Damen und Herren.
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Es gibt keinen Zweifel: Deutschland und Europa werden und müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Aber alleine können wir das Klima nicht retten. Wir brauchen die anderen Staaten der Welt, China und die USA.
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Ich bin da zuversichtlich angesichts der Erklärung, die gestern veröffentlicht wurde. Ein effektiver und marktwirtschaftlicher Weg für eine erfolgreiche Klimapolitik ist der Handel mit Verschmutzungsrechten; der Emissionshandel ist der Schlüssel. Das zeigt der Emissionshandel der EU, mit dem wir es kontinuierlich geschafft haben, die CO2-Emissionen im Bereich „Industrie und Energie“ zu senken.
Ich finde es deshalb erstaunlich, dass ich in Glasgow von meinen Kollegen aus dem Europaparlament erfahren habe, dass die Grünen und auch Teile der SPD im Europaparlament dagegen sind, dass wir auf europäischer Ebene einen Emissionshandel für Wärme und Verkehr einführen. In Deutschland sollen die Preise für Öl und Benzin hoch sein – sie können den Grünen gar nicht noch hoch genug sein –, und für andere EU-Länder soll etwas anderes gelten. Das ist keine konsistente und glaubwürdige Politik, meine Damen und Herren. Im Rahmen einer konstruktiven, kritischen Oppositionsarbeit werden wir immer wieder den Finger in solche Wunden legen. Darauf können Sie sich verlassen.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Träger von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Erst mal herzlichen Dank an die beantragende Fraktion, dass wir heute über ambitionierten Klimaschutz sprechen können. Ich bin ja weit davon entfernt, alles zu kritisieren, was wir in den letzten Jahren zum Klimaschutz vorangebracht haben. Gemeinhin ist es viel mehr, als in der Öffentlichkeit bekannt ist, zum Beispiel das angesprochene Klimaschutzgesetz. Aber es ist schon bezeichnend, dass die Union jetzt eine Aktuelle Stunde beantragt, während die COP noch läuft, um darüber zu reden,
({0})
und dass sie zu den Koalitionsverhandlungen Stellung nimmt, die auch noch nicht abgeschlossen sind. Wir könnten über 10 H in Bayern reden, Herr Dobrindt, aber das ist ja nicht der Punkt, den wir heute aufrufen.
({1})
Liebe Anja, du warst in Glasgow, und ich freue mich, dass du nach dem Rückflug heil gelandet bist. Ich finde es aber schon bezeichnend, dass du Stellung zu den Koalitionsverhandlungen nimmst, obwohl du, wahrscheinlich weil du in Glasgow warst, schon räumlich ein bisschen davon distanziert warst. Ich war nicht in Glasgow; ich habe an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen. Meine Wahrnehmung der Ergebnisse ist eine ganze andere. Wir werden ja sehen, wohin die Reise am Ende des Tages führt. Auf jeden Fall freue ich mich auf die konstruktiven Vorschläge aus der Opposition; denn die können bei der Erreichung eines Zieles, das wirklich eine Menschheitsaufgabe ist, nur hilfreich sein.
Wir wollen den Klimawandel stoppen. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass die Koalition sich zum 1,5-Grad-Ziel bekennt, übrigens wie die COP in Glasgow. Das ist doch schon mal eine gute Gemeinsamkeit, mit der wir starten können.
({2})
Ich verrate auch nicht zu viel, wenn ich sage, dass wir auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzen, Herr Dobrindt, auch der Windenergie. Das ist, glaube ich, kein Geheimnis; so viel kann man schon verraten. Wir steigen aus der Kohleenergie aus – ich hoffe, wir tun das früher, als es bisher geplant war –, und wir steigen aus der Atomenergie aus. Und wir beteiligen uns nicht an dem Gerede vom Revival der Atomenergie der Herren da oben auf der Coronatribüne,
({3})
sondern wir sagen: Kohleausstieg und Atomausstieg noch in diesem bzw. im nächsten Jahr; das betrifft übrigens auch das letzte Atomkraftwerk, das in Bayern noch läuft.
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Der Kollege Gremmels war in Glasgow; er wird nachher zu den einzelnen Verhandlungspunkten dort Stellung nehmen. Ich möchte an dieser Stelle aber schon sagen: Es war die Rede davon, dass eine Klimakonferenz nur bla, bla, bla sei. Das sehe ich komplett anders. Klimakonferenzen und ihre einzelnen Beiträge kann man natürlich immer trefflich kritisieren – da ist nicht alles Gold, was glänzt –; aber wenn man sich vor Augen führt, dass die Klimakonferenz mittlerweile wirklich ein fixer Termin im politischen Kalender der kompletten Welt ist, dann sieht man schon, dass das ein Wert an sich ist. Das ist so ein bisschen – Staatssekretär Flasbarth hat es ganz gut formuliert – wie Weihnachten: Wenn man zur Bescherung kommt und kein Geschenk dabeihat, dann ist es irgendwie ein bisschen blöd. Deswegen strengen sich alle Staaten und vor allem die Staats- und Regierungschefs an, dass sie Beiträge mitbringen, dass sie über den Weg berichten können, den sie gegangen sind.
Wir haben auch dieses Mal erlebt, dass erfreuliche Zusagen gemacht worden sind, dass man ambitionierter werden will. Es ist der große Wert einer Klimakonferenz, dass dort wirklich gezielt gehandelt wird und dass wir gut vorankommen. Wenn man dann noch in Rechnung stellt, dass eine Klimakonferenz mittlerweile so etwas wie eine globale Klimamesse ist,
({5})
dass nicht nur die Politik, sondern dass auch die Führerinnen und Führer von großen Unternehmen dort vertreten sind und Gespräche untereinander und mit der Politik führen – übrigens sind auch indigene Völker vertreten –, dann ist das ein guter Boden für Vorreiterallianzen. Es ist ein guter Weg, dass man dort im Sinne eines gemeinsamen Vorgehens vorankommt. Wenn jetzt sogar China und die USA heute Nacht ein gemeinsames Vorgehen oder eine Kooperation vereinbart haben – was auch immer das dann sein mag;
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auf jeden Fall haben sie ein gemeinsames Bekenntnis zum Kohleausstieg gemacht –, dann sind das doch gute Ergebnisse.
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– Ach ja, Sie sind auch da. Schön. Ich grüße Sie, Herr Kraft.
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Ich finde, dass die Klimakonferenz in Glasgow, die ja noch nicht mal abgeschlossen ist – Bundesumweltministerin Svenja Schulze greift ja sozusagen erst heute in das Geschehen ein –, ein guter Weg ist. Ich kann Ihnen versprechen, dass diese Koalition, eine Fortschrittskoalition, das Thema Klimaschutz ganz oben auf der Agenda hat. Warten wir mal ab, was am Ende bei den Gesprächen herauskommt. Ich bin aber sehr optimistisch, dass wir das Thema, das Ihnen seit Neuestem so am Herzen liegt, befriedigend angehen und sehr gute Lösungen finden werden.
({9})
Ich erteile das Wort Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat interessant, dass die CDU/CSU eine Aktuelle Stunde zum Thema Klimaschutz beantragt hat.
({0})
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass wir so etwas schon mal hatten. Das scheint ja eine ganz neue Entwicklung zu sein.
({1})
Ich finde es sehr gut, dass Sie das tun.
({2})
Ich finde das klasse; denn das gibt uns Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, um herauszufinden, wo wir in der Klimapolitik im Moment eigentlich stehen.
Wir müssen feststellen: Wir verfehlen das nationale Klimaschutzziel.
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Wir müssen feststellen: Wir sind in den letzten Jahren vom Vorreiter zum Nachzügler geworden. Wir müssen feststellen: Wir verlieren relevante Industriezweige wie die Erneuerbare-Energien-Industrie. Investitionen in klimaschonenden Stahl und im Bereich Chemie finden in anderen Ländern statt, nicht in Deutschland. Wir haben in diesem Land Milliarden Euro an Folgekosten für Klimaanpassung. Gleichzeitig haben wir einen Riesenberg an ungelösten Problemen, was beispielsweise umweltschädliche Subventionen angeht. Meine Damen und Herren, das alles ist Ergebnis von 16 Jahren CDU/CSU-Politik.
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Es haben sich hier Kolleginnen und Kollegen in unterschiedlichen Rollen für den Klimaschutz eingesetzt. Aber am Ende – da können Sie sich die Reden der letzten Jahre ansehen – hat es eine Partei gegeben, die immer und ausschließlich auf der Bremse gestanden hat. Frau Weisgerber, wenn das eine neue Politik sein soll, hätte ich es gut gefunden, wenn Sie wenigstens ein kritisches Wort zu Peter Altmaier, zu Julia Klöckner, zu Andi Scheuer gesagt hätten,
({5})
die in den letzten Jahren nichts, aber auch gar nichts für Klimaschutz getan haben, sondern das bestenfalls dem Koalitionspartner oder der Opposition überlassen haben. Das wäre ein ehrlicher Neuanfang gewesen.
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Ich kann Ihnen sagen, wenn das jetzt die ersten Gehversuche in der Opposition sind: Da haben wir Erfahrung; wir kennen uns aus mit Opposition.
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– Die muss erst mal kommen; an dem Punkt scheinen Sie noch nicht zu sein.
Der zweite Schritt muss dann sein, dass man sich ernsthafte Konzepte, Ziele überlegt. Ich habe mir in Ihrem Wahlprogramm angeguckt, was da eigentlich zu Klimapolitik steht.
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Meine Damen und Herren, Sie geben mit Ihrem Klimakonzept dem Begriff „schwarzes Loch“ eine völlig neue Bedeutung, und das ist Ihr Grundproblem.
({9})
Ich kann Ihnen nur eines sagen – der Kollege Träger hat eben die 10H‑Regelung angesprochen –: Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren schaffen. Herr Dobrindt, gehen Sie nach Bayern, gehen Sie zu Herrn Söder,
({10})
machen Sie da Ihre Arbeit! Sorgen Sie dafür, dass eine neue Bundesregierung ernsten Klimaschutz in diesem Land machen kann, dass wir endlich wieder Vorreiter werden. Sie bremsen überall dort, wo Sie Verantwortung haben, aus, und damit muss Schluss sein, wenn das hier ein gemeinsames Erfolgskonzept werden soll.
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Was das größte Problem ist: Sie sind ja noch geschäftsführend in der Regierung und haben hier die Aktuelle Stunde zum Klimagipfel in Glasgow beantragt. In Glasgow gab es eine Erklärung von vielen Staaten, die besagt: Wir wollen aus den Subventionen für fossile Energieträger aussteigen. – Was ist passiert? Das Wirtschaftsressort mit dem geschäftsführenden Minister Peter Altmaier hat interveniert, sodass diese Erklärung nicht unterzeichnet werden kann. Es gibt jetzt so eine komische Seitenerklärung, die dazu führt, dass Deutschland das am Ende doch machen kann. Das heißt, Sie stehen wieder auf der Bremse.
({12})
Das Gleiche erleben wir beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Hier verweigern Sie seit Jahren eine ernsthafte Debatte. Auch da bremsen Sie aus, dass Deutschland einer vernünftigen Allianz beitritt. Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben es immer noch nicht verstanden.
({13})
Sie versuchen jetzt noch, obwohl Sie schon abgewählt sind, Klimapolitik kaputtzumachen.
({14})
Damit möchte ich zu dem entscheidenden Schluss kommen. Wir haben in den letzten Wochen auf europäischer Ebene eine Debatte über Taxonomie erlebt. Auch da müssen wir feststellen, dass die geschäftsführende Bundesregierung, die Unionsteile, etwas tut, was erstens dem Klimaschutz entgegensteht, was aber zweitens meiner Meinung nach auch den Interessen Deutschlands entgegensteht: Sie versuchen, die Förderung der Atomenergie mit einfließen zu lassen, kombiniert mit Gaskraftwerken.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Krischer.
Das macht die Taxonomie wertlos, und das kann nicht sein. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und damit muss Schluss sein. Das muss eine neue Bundesregierung ändern.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort Dr. Lukas Köhler von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Oliver Krischer hat gerade einen guten letzten Satz formuliert; er hat gesagt: Es geht nach vorne. Und es muss nach vorne gehen. Dass wir den Blick jetzt gemeinsam nach vorne richten, das können wir, glaube ich, hier und auch in der COP sehen.
Klimapolitik funktioniert nur dann, wenn wir uns die nächsten, die kommenden Jahre anschauen. Klimapolitik kann nur dann funktionieren, wenn wir uns anschauen, was jetzt alles möglich wird. Klimapolitik, liebe Union – das habe ich leider aus den Reden von Ihnen herausgehört –,
({0})
ist bei Ihnen hauptsächlich etwas, was Sie als ein Problem beschreiben, eine große Sorge, was da alles schieflaufen könnte – anstatt darüber nachzudenken, dass Klimapolitik eine fundamentale Chance für Deutschland, für die Entwicklung und das Vorankommen Deutschlands, sein kann. Darum muss es doch in den nächsten Jahren gehen
({1})
und nicht darum, was wir jetzt alles an Herausforderungen und Problemen sehen.
({2})
– Keine Sorge, liebe Union, in die Richtung kommen wir noch.
Ich wollte mich ganz kurz einmal auf die COP beziehen; denn sie ist das eigentliche Thema. Anja Weisgerber hat in ihrer Rede auch über die Artikel-6-Maßnahmen und die globalen Auswirkungen gesprochen. Es ist gut, zu sehen, dass die COP sich bewegt; es ist gut, zu sehen, dass wir auf der COP nach vorne kommen können. Natürlich gibt es Herausforderungen und Probleme. Jede COP hat bisher, immer, die Schlagzeile geliefert: Es bewegt sich zu wenig. – Und am Ende waren dann doch alle irgendwie überzeugt, dass einiges passiert ist.
({3})
Genau das passiert gerade auf der COP. Dieses Mal committen sich die Staaten, schnell zu werden, und nicht nur die Staaten – die großen Unternehmen, die bei Ihnen allen in den Wahlkreisen sitzen, sagen selber, sie wollten Klimaschutz. Dafür brauchen sie aber Rahmenbedingungen.
Liebe Union, da hat Oliver Krischer einen Punkt gemacht, als er gesagt hat: Das ist das Feld, das Sie in den letzten Jahren nicht bestellt haben. Das ist das Versagen Ihrer Wirtschaftspolitik; Sie haben von Wirtschaftspolitik keine Ahnung mehr.
({4})
Sie sind doch überhaupt nicht mehr auf dem Weg. Sie sind gar nicht mehr in der Lage, zu sagen, wie die Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft kommen könnte. Sie wissen überhaupt nicht, was Sie machen wollen. Da ist so eine Auszeit in der Opposition eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie moderne Politik funktionieren kann.
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Sie haben 4 000 Kilometer zu wenig an Leitungen gebaut. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass der Ausbau der Netze so schnell geht, dass wir den günstigen Strom auch von A nach B bekommen. Sie haben im Wirtschaftsministerium nichts getan, um wirklich nach vorne zu kommen. Das ist doch das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union. Die Wirtschaft, die Menschen sind schon viel weiter.
Man braucht eine klare Idee davon, wie die Zukunft in der Klimapolitik gestaltet werden kann. Diese fundamentale Veränderung, vor der wir stehen, kann nur durch eine Vereinbarkeit von Ökonomie, Ökologie und auch der sozialen Frage gelingen.
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Dafür müssen wir in den nächsten Jahren arbeiten, meine Damen und Herren: Wir müssen die Energiekosten nach unten bringen.
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Wir müssen dafür sorgen, dass wir jeden Euro so gut und gezielt wie möglich ausgeben.
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Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine extrem hohe Geschwindigkeit haben.
Warum sind wir so weit in der Klimapolitik, wie wir sind? Nicht wegen der Politik des Bundeswirtschaftsministeriums! Wir sind so weit in der Klimapolitik, weil die Menschen in Deutschland mit ihrer Innovationskraft die Ideen von Morgen entwickeln. Das hat aber nichts mit der Politik der letzten vier Jahre zu tun, sondern damit, dass wir tolle Menschen in Deutschland, tolle Unternehmerinnen haben, dass wir Innovatoren haben, dass wir Erfinder und Denker haben, die neue Ideen formulieren können.
Das funktioniert aber nur, wenn die Rahmenbedingungen passen. Klar ist doch, dass wir einen ökonomischen Rahmen brauchen, in dem sich das entwickelt. Klar ist auch, dass wir Geschwindigkeit brauchen. Und klar ist, dass wir günstigen Strom, zum Beispiel aus erneuerbaren Energien, brauchen. Für all das haben Sie nicht gesorgt; das ist ein Versagen in dieser politischen Richtung.
({9})
Ich weiß, Sie üben die Opposition noch. Wir haben das jetzt vier Jahre lang gemacht und haben hier oft genug kritisiert, was alles fehlte. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zumindest einmal der Richtung nach sagen, was Sie besser machen wollen.
({10})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie einmal vorstellen: Das ist unsere Idee. – Das ist die Rolle der Opposition: zu sagen, wohin man will, und zu sagen, was man besser machen könnte.
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Einfach nur zu sagen: „Es ist schön, dass wir Artikel 6 ausverhandeln“, das ist ein netter Ansatz, reicht aber bei Weitem nicht.
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Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen werden: Wir brauchen ein funktionierendes System der Bepreisung von CO2.
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Wir brauchen einen klaren Schritt in Richtung viel mehr erneuerbare Energien. Das System muss versorgungssicher gemacht werden. Wir brauchen ein neues Strommarktdesign. Wir müssen uns überlegen, wie Deutschland seine Innovationen nach vorne bringen kann. All diese Punkte sind fundamental, aber sie sind so vernachlässigt worden, dass das, was Sie hier gerade gesagt haben und beantragt haben, mich doch etwas ratlos zurücklässt. Ich glaube, da kann man vieles besser machen,
({14})
und auf diesem Weg sind wir auch.
({15})
Ich erteile das Wort Steffen Kotré von der AfD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Glasgow ist ein Blabla; es kommt nichts dabei heraus.
({0})
Aber es ist nicht deswegen ein Blabla, weil sich die Staaten und Akteure nicht einigen können, sondern weil die Ziele einfach falsch sind und weil diese falschen Ziele einfach nicht erreicht werden können. Das Klima lässt sich nicht in eine bestimmte Richtung beeinflussen, zumindest nicht mit dem derzeitigen Stand der Technik.
Aber was wir tun können, das ist natürlich, die Widerstandskraft zu verbessern, beispielsweise indem wir Geld dafür ausgeben, dass in der Landwirtschaft andere Pflanzen angebaut werden und all diese Dinge. Im Übrigen sterben die Menschen eher durch Kälte und nicht durch Temperaturerhöhung.
An dieser Stelle sei noch einmal ganz kurz erwähnt, dass Inselstaaten nicht untergehen werden, auch wenn einzelne Inseln oder die Strände im Vorfeld vielleicht untergehen, aber nicht, wie es immer propagiert wird, ganze Inselstaaten; an dieser Stelle bitte ich noch einmal zu überlegen, wie viel Propaganda dort drinsteckt.
({1})
Aber: Wir haben es in der Tat mit einer Klimakatastrophe zu tun, nämlich mit einer Klimakatastrophe der Meinungsfreiheit, meine Damen und Herren.
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In der Gesellschaft, in den Medien kommen nur Klimahysteriker zu Wort; das Diskussionsklima ist vergiftet. – Wenn ich Sie schon wieder höre, wie Sie hier reinrufen, dann ist das das beste Beispiel, dass man sich nicht vernünftig über die Dinge äußern kann,
({3})
sondern einige gleich in einen Schreimodus verfallen.
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Das bringt uns nicht weiter, meine Damen und Herren. Wenn Frau Thunberg sagt: „Wir müssen in Panik verfallen“, oder wenn ein Herr Obama sagt, wir müssten weiterhin wütend sein, dann ist das genau der Mechanismus, die Leute aufzustacheln, in Panik zu verfallen. So bekommt man keinen vernünftigen Diskurs, meine Damen und Herren.
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Und wenn immer wieder von irgendwelcher Schuld, historischer Schuld von Deutschland gesprochen wird, dann ist auch das wieder nur ein Mechanismus, die Menschen für seine eigenen Ziele zu missbrauchen, meine Damen und Herren.
({6})
Was sind denn diese Ziele? Frau Merkel hat es doch gesagt: Es geht um eine umfassende Transformation unseres Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens. Herr Schwab vom Weltwirtschaftsforum sagt, dass wir vielleicht bald kein Eigentum mehr haben werden. Das Bundesinnenministerium schreibt, dass Demokratie durch Digitalisierung ersetzt werden kann. Meine Damen und Herren, Marx, Mao und Lenin hätten das nicht besser ausdrücken können.
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Aber wir lehnen es ab, den Menschen die Freiheit zu rauben, die Demokratie weiter zu untergraben und den Wohlstand zu vernichten.
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Wir werden die westliche, die freiheitliche Art, unser Leben zu gestalten, nicht der Planwirtschaft und auch nicht der Funktionärsgesellschaft opfern, meine Damen und Herren.
Der Verbrennungsmotor soll verboten werden. Das trifft gerade die Wertschöpfung hier in Deutschland; das trifft die Arbeitsplätze in Deutschland mehr als woanders. Die Unternehmen haben sich längst in der Planwirtschaft eingerichtet, sie profitieren von den Subventionen für Ladesäulen, für Batteriespeicher und für Windanlagen. Wir Deutsche, der Steuersäckel, der deutsche Steuerzahler ist wieder der Dumme.
Während China und andere Länder auf Kernenergie und Kohle setzen und um uns herum die Kernenergie eine Renaissance erlebt, werden wir in Deutschland in dümmlicher Art und Weise dazu getrieben, aus der Kernenergie auszusteigen, aus der sicheren Kernenergie auszusteigen, und vielleicht schon 2030 unserer Kohlekraftwerke verlustig zu gehen. Diese Zerstörung der eigenen Energieinfrastruktur macht außer Deutschland niemand in der Welt – so dumm ist in dieser Welt nämlich kein anderer! Die Quittung bekommen wir schon – wir haben es heute auch schon gehört –: steigende Strompreise, noch und nöcher.
({9})
Die Stromlücke ist offenbar. Der Blackout wird immer wahrscheinlicher. Die energieintensiven Industrien – wie die Stahlindustrie, Wacker Chemie zum Beispiel, Saarstahl – verlassen unser Land, um woanders ihre Produktionsstätten zu bauen. Die Chinesen reiben sich die Hände
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und lachen über uns, lachen uns aus.
Wenn es wirklich um CO2-Einsparungen gehen würde, na ja, dann würde man auf die sichere Kernenergie setzen.
({11})
Darauf setzt auch der sogenannte Weltklimarat. Warum hören Sie nicht in diesem Punkt auf den Weltklimarat? Er ist ja auch sonst der Gott in der Welt der Klimahysteriker.
Wenn es wirklich um CO2-Einsparungen gehen würde, dann würde man CO2 abtrennen und verpressen. Das Ganze wäre preiswerter, als es jetzt der Fall ist mit den Strafsteuern auf CO2 und dergleichen. Wir würden so vielleicht bei 50 Euro pro Tonne CO2 landen. Wenn aber von 100 Euro die Rede ist, die pro Tonne CO2-Ausstoß bezahlt werden müssen, dann ist das eine Ignoranz vor allen Dingen den Alternativen gegenüber, dann ist das eine Technologiefeindlichkeit, die wir, meine Damen und Herren, nicht mitmachen. Dieses Verbrechen am Wohlstand unseres Landes machen wir nicht mit!
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Schauen Sie sich einmal die Berechnungen an: 5 Billionen Euro werden in der EU für die Erreichung der Klimaziele 2030 ausgegeben.
Kommen Sie bitte zum Schluss. Ihr letzter Satz.
Das sind 10 000 Euro pro Kopf für jeden EU-Bürger. Das ist doch irre, meine Damen und Herren.
Herr Kotré, bitte kommen Sie zum Schluss.
Das machen wir nicht mit.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Amira Mohamed Ali, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich komme wieder zurück zur Sache. Ich finde es einigermaßen bemerkenswert, dass ausgerechnet die Union diese Aktuelle Stunde beantragt hat, aber es passt auch irgendwie ins Bild – und das ist leider ein trauriges Bild. Sie von der Union sind unzufrieden mit der Klimapolitik, auch die Bundeskanzlerin hat beim Klimagipfel in Glasgow gesagt, sie sei unzufrieden mit der Klimapolitik der letzten 16 Jahre. Diese Unzufriedenheit besteht durchaus zu Recht, aber, Entschuldigung, Sie haben doch die letzten 16 Jahre regiert! Sie sind doch verantwortlich für diese schlechte Klimapolitik! Sie haben es doch versäumt, die richtigen Weichen dafür zu stellen, dass unser Land rechtzeitig CO2-neutral wird! Ich finde es wirklich verwunderlich, dass Sie sich heute hierhinstellen und dieses Thema aufrufen.
({0})
Sie haben die letzten 16 Jahre regiert, mal mit der FDP, mal mit der SPD. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen Ihr Klimaschutzgesetz um die Ohren gehauen, weil Ihre Maßnahmen viel zu mickrig waren und weil so verheerende Folgen für die nachfolgenden Generationen drohten. Ja, Sie haben im Klimaschutz fast nichts zustande bekommen, aber wenn, dann ging das vor allem zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Mieterinnen und Mieter – durch steigende Energiekosten, Mietnebenkosten und, und, und. Sie haben Klimapolitik fast ausschließlich über die Verbraucherpreise gemacht, und das ist nicht nur unsozial, es ist auch vollkommen ineffizient.
({1})
Daher finde ich es schon auch bemerkenswert, dass nun ausgerechnet Sie die Ansätze der Ampelparteien zur Klimapolitik kritisieren; denn daran erkennt man ganz deutlich die Fortsetzung dieser unsozialen, ineffektiven Klimapolitik. Die Hauptverursacher, die großen Konzerne, sollen weiterhin geschont werden.
Ich möchte etwas konkreter werden. Wie will man denn einer Pendlerin auf dem Land, zum Beispiel mit einem Nettoeinkommen von 1 500 Euro, erklären, wie sie den Weg zur Arbeit noch finanzieren soll. Die immer weiter steigenden Spritpreise sind eine Katastrophe besonders für die, die ohnehin schon wenig haben, und für die, die nun einmal auf ihr Auto angewiesen sind. Denn wo sind sie, die Alternativen zum Auto? Wo ist er, der flächendeckende öffentliche Nah- und Fernverkehr? Genau, der ist nicht vorhanden.
Und was schlagen die Ampelparteien jetzt vor? Wie man hört, wollen Sie die Bahn zerschlagen. Mehr Wettbewerb auf der Schiene soll es geben. Ich meine, wem wollen Sie eigentlich weismachen, dass dadurch die Probleme gelöst werden? Wir haben doch alle gesehen, was seit der Marktorientierung der Deutschen Bahn geschehen ist: Ganze Regionen wurden gnadenlos abgehängt, einfach weil sich die Strecken nicht mehr gerechnet haben.
({2})
Von immer schlechter werdendem Service und immer schlechter werdender Zuverlässigkeit will ich gar nicht erst anfangen zu sprechen. Das wird doch noch schlimmer werden, wenn Sie immer mehr Strecken für Private freigeben wollen; das ist doch klar.
So ist es doch wirklich nur verständlich, dass die Aussicht auf eine autofreie Zukunft Millionen Menschen in unserem Land den Angstschweiß auf die Stirn treibt,
({3})
weil sie wissen, dass sie dann überhaupt nicht mehr beweglich sein werden. Dass Sie dieses wichtige Gut, die Mobilität der Menschen, den flüchtigen Interessen des Marktes unterwerfen wollen, das ist einfach nur unverantwortlich, Kolleginnen und Kollegen!
Genauso unverantwortlich ist es übrigens, den völlig aus dem Ruder laufenden Energiepreisen nicht sofort einen Riegel vorzuschieben. Meine Kollegin Gesine Lötzsch hat es gerade gesagt: Aktuell haben 7,4 Millionen Menschen in unserem Land nicht genug Geld, um ihre Wohnung vernünftig zu heizen. In dieser Situation ist doch ganz klar der Staat gefordert. Die Energiepreise müssen gedeckelt werden! Menschen mit geringem Einkommen brauchen sofort Zuschüsse. Und ja, wir müssen sofort verbieten, dass Menschen aufgrund von Zahlungsrückständen der Strom oder das Gas in ihren Wohnungen abgeschaltet werden darf. Damit muss Schluss sein!
({4})
Es ist dringend notwendig, eine klimagerechte Zukunft zu gestalten, und zwar ohne dass das Leben für Gering- und Normalverdiener immer unbezahlbarer wird. Wir brauchen dringend öffentliche Investitionen, und dafür braucht es vor allem eines, nämlich Geld! Aber auch hier: Die Ampelparteien halten weiterhin an der Schuldenbremse fest, sie verweigern eine Steuerreform, die endlich Multimillionäre und Milliardäre zur Kasse bittet. SPD und Grüne, sie hatten es doch noch im Wahlkampf versprochen, dass eine Vermögensteuer kommen soll. Davon ist plötzlich keine Rede mehr.
Was das konkret bedeutet, das sehen wir in vielen Ländern und Kommunen, wo einfach das Geld fehlt. Gehen Sie nach Wolfen in Sachsen-Anhalt, gehen Sie nach Hagen in NRW, schauen Sie sich da einmal um! Das sind nur Beispiele. An vielen Stellen in unserem Land verfallen die Schulen, die Jugendklubs, die Straßen. Damit muss doch endlich Schluss sein, Kolleginnen und Kollegen!
Es braucht auch mehr Geld, um Deutschland endlich besser auf Extremwetterereignisse vorzubereiten, die zu erwarten sind, wenn man realistisch ist.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir haben es doch jüngst gesehen in Nordrein-Westfalen und in Reinland-Pfalz. Lassen Sie sich von der FDP doch nicht einreden, dass sich solche Katastrophen mit einer noch so smarten App aufhalten lassen! Hier braucht man Investitionen in die Feuerwehren, in den Katastrophenschutz – und das flächendeckend. Das muss geschehen.
({0})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Mohamed Ali.
Wissen Sie, noch ist Zeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wir als Linke werden darauf achten, dass Klimagerechtigkeit und Soziales immer zusammen gedacht werden.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion.
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Geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Glasgow liegt eine große Verantwortung für das Weltklima, aber auch für die Fähigkeit einer Weltgemeinschaft, sich auf die Zukunft zu verständigen, auf eine lebenswerte Zukunft. Da sollten wir, glaube ich, voller Respekt in Richtung der Verhandlerinnen und Verhandler schauen. Ich wehre alles ab, was in die Richtung geht, es sei alles nur Blabla. Das halte ich für kein gutes Zeichen.
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Es ist in Glasgow in den drei Bereichen „Minderung des Treibhausgasausstoßes“, „Unterstützungsleistung für die vulnerablen Staaten in puncto Anpassung an die Folgen des Klimawandels“ und natürlich auch „Klimafinanzierung“ ein riesengroßer Berg an Arbeit zu leisten. Natürlich ist es einfach nur ehrlich, zu konstatieren, dass wir am Ende des Tages nicht die Ziele erreicht haben werden, die uns eigentlich das Klimaschutzziel von Paris aufbürdet. Ja, das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Gleichwohl ist es ungemein wichtig, an diesen Punkten weiterzuarbeiten, alle Kraft da hineinzulegen, die genannten Bereiche zu bearbeiten und dabei sogenannte Breakthroughs zu formulieren, wonach Staaten und auch Unternehmen Verpflichtungen eingehen, wie eine Defossilisierung hinzubekommen ist und wie auch der Weg in die erneuerbaren Energien zu gehen ist. Es ist dabei auch zu überlegen, wie bessere Kooperationsmechanismen greifen können, damit dann auch alle Staaten in einem Boot sitzen. Dies sind die Aufgaben, die beschrieben sind.
Es ist aber auch eine große Schwierigkeit damit verbunden, weil wir eben wissen, dass immer noch ein Gap übrig bleiben wird. Wie gehen wir damit um? Ich glaube, es ist wirklich eine historische Aufgabe, dass nicht der Fehler begangen wird, ein gutes Ergebnis, das uns irgendwie gelingt, gleichzusetzen mit dem, was möglich ist. Wir müssen im Kontext der nationalen Verantwortungsebenen, die natürlich auch Bestandteil der Klimaschutzverhandlungen und der NDCs sind, erreichen, dass wir die Mechanismen vor Ort umsetzen. Wir müssen auf den Klimakonferenzen beispielhaft belegen und darlegen können, wie der Transformationsprozess gehen kann, sodass hinterher ein mit der Wirtschaft sich selbst überholender Prozess entsteht.
Es wird eine historische Herausforderung, wieder zu diesem Pfad zurückzukommen. Ich sage bewusst „zurückzukommen“; denn man muss den Klimaforschern – Herrn Latif oder auch Herrn Graßl, die dieses Geschehen schon sehr lange beobachten und begleiten – einmal genau zuhören. Sie sagen etwa, dass es das Klimaschutzziel von Paris nicht gegeben hätte, wenn zum Beispiel Deutschland nicht das EEG vorgelegt hätte,
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wenn nicht die historische Umstiegsmöglichkeit geschaffen worden wäre, die Alternativen zum fossilatomaren Energiesystem, wenn es nicht geschafft worden wäre, tatsächlich darzulegen, dass es diese Option gibt und es geht.
Wir haben uns in der Geschichte des EEG, vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2010, überholt, was die Umsetzung im Vergleich zu den gesetzten Zielen angeht. Wir müssen deswegen in den NDCs entsprechende Mechanismen implementieren. Wir müssen beispielhaft als Industrienation vorgehen und zeigen, wie es gelingen kann, diese Mechanismen gesetzlich zu formulieren. Das ist die Aufgabe der Staaten, und das gilt es auch in die Klimakonferenzen zu transportieren.
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Ich möchte die verbleibende Redezeit dazu nutzen, zu erklären, auf welchem Weg dies eben nicht gelingen kann; denn das gehört auch zur Wahrheit dazu. Ich fand es etwas mutig, als ich gesehen habe, von wem heute die Aktuelle Stunde anberaumt wurde. Denn es ist in der Tat so, dass wir die ganzen letzten Jahre deutlich weiter hätten sein können. Da nehme ich einige Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion lobend aus, die gut zusammenarbeiten wollen.
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Aber en gros war es in dieser Koalition leider nicht möglich, zu verhindern, dass Barrieren implementiert wurden.
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Wir haben beim Ausbau der erneuerbaren Energien leider Barrieren in die Gesetze bekommen; die 10-H-Regelung ist auch so ein Beispiel.
Frau Weisgerber, Sie sagen, wir wollen die 65 Prozent immer weiter hochschrauben. Da frage ich mich: Wofür stehen diese 65 Prozent denn? Die stehen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Diese 65 Prozent stehen für Zukunft, für ein Wirtschaftsmodell der Transformation.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Deswegen finde ich es aberwitzig, wenn an diesen Beispielen dann noch deutlich wird, dass man in Ihrer Fraktion offenbar immer noch im Status quo verharrt –
Bitte kommen Sie zum Schluss.
– und die Zukunft verkannt wird.
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Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Dr. Christoph Ploß, CDU/CSU.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was braucht es, damit wir die Klimaschutzziele erreichen? Das ist eine Frage, die sich nicht nur die Jüngeren in Deutschland stellen, sondern alle Generationen. Auch die Großmutter mit zwei Enkelkindern stellt sich die Frage: Ist die Welt in 30, 40, 50 Jahren noch mindestens in einem Zustand, wie wir sie jetzt vorfinden, idealerweise vielleicht sogar in einem besseren Zustand? Alle Generationen, alle vernünftigen Menschen in Deutschland haben ein großes Interesse daran, dass wir die Klimaschutzziele erfüllen. Es ist deswegen auch keine Frage des Ob. Manche haben hier in der Debatte wieder der Eindruck erweckt, wir müssten darüber diskutieren, ob wir die Ziele erreichen wollen. Es ist eher eine Frage des Wie. Auf welche Weise erreichen wir die Ziele?
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Da gibt es unterschiedliche Ansätze – das hat man auch bei dieser Debatte wieder gesehen –: Die einen setzen vor allem auf Ideologien, die setzen auf Planwirtschaft,
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die wollen von oben verordnen, was Unternehmen, was die Bürger in Deutschland machen sollen, die wollen einen nationalen Alleingang.
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– Sie gehören eindeutig zu der ersten Gruppe.
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Die anderen sagen: Wir setzen auf Innovation, auf neue Technologien, auf soziale Marktwirtschaft und auf internationale Kooperation. Zu dieser letzten Gruppe gehört die CDU/CSU-Fraktion. Wir werden auch in dieser Legislaturperiode deutlich machen, dass mit einem nationalen Alleingang und einer Verbotskultur die Klimaschutzziele nicht erreicht werden können und dass das auch schlecht für den Wirtschaftsstandort Deutschland wäre.
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Am Ende auch schlecht fürs Erreichen der Klimaschutzziele.
Das kann man ganz aktuell am Beispiel der Debatte zur Zukunft des Verbrennungsmotors deutlich machen, die in Glasgow auch eine wichtige Rolle spielte. Da sagen einige – das spielt im Moment auch bei den Ampeldiskussionen eine Rolle –, der Verbrennungsmotor soll verboten werden; es soll nur noch batteriebetriebene Elektromobilität geben. Da sage ich Ihnen ganz klar: Das wäre nicht nur für Tausende Arbeitsplätze in Deutschland verheerend und würde Tausende Arbeitsplätze vor allem in der deutschen Automobilindustrie kosten,
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sondern es wäre am Ende für das Erreichen der Klimaschutzziele schlecht.
Wir werden allein noch in den 2030er-Jahren über 30 oder sogar 35 Millionen Fahrzeuge in Deutschland haben, die mit Verbrennungsmotor betrieben werden. Wenn Sie also dafür sorgen, dass an dieser Technologie nicht mehr geforscht wird, wenn Sie dafür sorgen, dass andere klimafreundliche Technologien wie zum Beispiel E-Fuels nicht zugelassen werden oder keine Rolle spielen sollen, dann versündigen Sie sich nicht nur am Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern dann werden Sie auch dem Erreichen der Klimaschutzziele einen Bärendienst erweisen.
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Es gibt noch andere Themen, die vorangetrieben werden müssen. Da hoffe ich, dass sich die FDP vor allem gegenüber SPD und Grünen durchsetzt – auch das sage ich ganz klar –, nämlich wenn es um das Thema „schnelleres Planen und Bauen“ geht.
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Es kann doch nicht sein, dass wir für ein durchschnittliches Schienenprojekt 20 Jahre benötigen. Es kann doch nicht sein, dass man für manche Schienenprojekte und andere wichtige Infrastrukturprojekte, die wir für den Wirtschaftsstandort brauchen,
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aber auch für das Erreichen der Klimaschutzziele über 30 Jahre plant, dass es teilweise 35 Jahre dauert, bis die realisiert werden. Da müssen Sie dringend ran.
Sie haben einen Satz dazu in Ihrem Sondierungspapier stehen. Vielleicht sind wir uns einig, wenn wir sagen: Ja, wir müssen schneller planen und bauen. – Nur da ist es aber doch gerade die SPD,
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da sind es doch gerade die Grünen, die sich den wichtigen Reformen nicht nur verweigert haben, sondern auch bei der aktuellen Debatte immer noch verweigern,
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zum Beispiel, wenn es darum geht, dass das Verbandsklagerecht reformiert wird, wenn es darum geht, dass nicht Verbände wichtige Infrastrukturprojekte beklagen, obwohl sie eigentlich mit diesen Projekten nichts zu tun haben. Deswegen wird die Ampel auch daran gemessen werden, ob sie es schafft, Reformen einzuleiten. Der Teufel steckt da im Detail, und Sie werden für das Erreichen der Klimaschutzziele auch eine Beschleunigung der Infrastrukturprojekte in Deutschland erreichen müssen.
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Ansonsten sind Sie auf dem Holzweg.
Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden als CDU/CSU in den nächsten Jahren darauf achten, dass wir auf Technologieoffenheit setzen, dass wir auf soziale Marktwirtschaft setzen, dass wir auf neue Innovationen setzen
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und dass vor allem unser Planungsrecht weiter reformiert wird. Da gab es sehr, sehr gute und wichtige Ansätze in den vergangenen Jahren. Enak Ferlemann hat da einiges auf den Weg gebracht, und diesen Weg werden wir als CDU/CSU im Bundestag weitergehen und da Druck auf die Ampelkoalition machen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Ich danke Ihnen. – Schönen Nachmittag! Ich freue mich, dass es auch für mich wieder losgeht.
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– Ja, Vorfreude; gut.
Nächster Redner in der Aktuellen Stunde: Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ploß, es würde dem Niveau der Debatte im Hause wirklich guttun, wenn Sie sich wenigstens, bevor Sie uns Wirtschaftsfeindlichkeit vorwerfen, mal mit dem Szenario des Bundesverbandes der Deutschen Industrie auseinandersetzen würden.
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Dieser ist nämlich weiter als Sie. Er vertritt nicht nur einen Kohleausstieg bis 2030. Er will auch, dass ab 2023 keine neuen Ölheizungen mehr zugelassen werden. Ich kann nur sagen: Das haben sich nicht mal die Grünen getraut zu fordern.
Wenn Sie mich zu Glasgow fragen, dann sage ich Ihnen: Da haben sich gestern Xie Zhenhua und John Kerry getroffen und eine Vereinbarung abgeschlossen. Das war ein interessantes Bild. Wenn Sie von uns hören wollen, was wir künftig anders machen wollen, dann sage ich Ihnen: Wir wollen, dass so ein Bild nicht mehr entsteht. – Das wäre früher nicht möglich gewesen. In Zeiten von Helmut Kohl und Klaus Töpfer hätten wir da gestanden, weil Deutschland damals ein Vorreiter beim Klimaschutz war. Deutschland war Treiber des internationalen Prozesses. Wenn wir da heute nicht mehr stehen, dann hat das damit zu tun, dass CDU und CSU in den 16 Jahren der Regierung Merkel sich darin gefallen haben, Deutschland in zwei Zukunftsindustrien, in der Windenergie und in der Photovoltaik, zu deindustrialisieren, was uns Zehntausende von Arbeitsplätzen in diesem Lande gekostet hat.
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Wir wollen, dass das anders wird. Wir wollen, dass wir wieder Vorreiter werden. Wir wollen, dass die Blockaden gegen den Ausbau der Erneuerbaren behoben werden.
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Wir wollen das international machen.
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Wir wollen unsere G-7-Präsidentschaft dafür nutzen, dass die Investitionen in den Industrieländern in Kapazitäten für Erneuerbare verdoppelt werden.
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Dafür muss aber die 10-H-Regelung, muss die bürokratische Schikane, die gegen die erneuerbaren Energien aufgebaut worden ist, beseitigt werden.
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Erneuerbare Energien liegen im öffentlichen Interesse dieses Landes, weil der Klimaschutz im öffentlichen Interesse dieses Landes liegt.
Wir wollen nicht mehr abseitsstehen, wenn Staaten vereinbaren – übrigens wie von der Internationalen Energieagentur gefordert –, keine fossilen Subventionen mehr zu tätigen. Dazu findet in der alten Bundesregierung eine Riesendebatte statt. Am Ende unterschreibt man einen sogenannten Side Letter, der nichts anderes besagt: Es ist nicht so gemeint, nehmt’s nicht so ernst. – Wenn man nach dem Hintergrund fragt, dann stellt man fest: Es geht darum, dass Peter Altmaier weiterhin Investitionen auf der Jamal-Halbinsel, also Sicherheit für Russengas über Hermes, garantieren will. Sie wollen keinen Klimaschutz. Sie wollen Russengas subventionieren. Das ist doch keine Klimapolitik, die Sie da betreiben.
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Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, bei dem die Industrie auch schon weiter ist. Andi Scheuer hat verhindert, dass Deutschland die Erklärung mit dem Ziel eines Null-Emissionen-Autos unterschreibt. Diese Erklärung wird auch von General Motors und Mercedes – einem deutschen Unternehmen – mitgetragen, aber Deutschland darf nicht mitmachen. Warum nicht? Ja, das ist der gleiche Andi Scheuer, der mit seinen Vorgängern dafür verantwortlich ist – einer sitzt hier –, dass Deutschland in der Zeit von Frau Merkel die Emissionen des Verkehrs von 150 Millionen auf über 160 Millionen Tonnen gesteigert hat. In den 16 Jahren Angela Merkel ist der Anteil der verkehrsbedingten Emissionen an unseren Treibhausgasemissionen von 20 auf 27 Prozent gestiegen. Das ist Ihre klimapolitische Bilanz.
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Und dann machen Sie hier eine Aktuelle Stunde? Das kann man wirklich nur am 11.11. machen.
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Deswegen sagen wir: Ja, Angela Merkel hatte recht, als Sie Ihnen in einer Fraktionssitzung mal gesagt hat
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– nein, ich beziehe mich auf einen Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die, wie wir alle leidvoll wissen, häufig sehr gut informiert ist –,
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dass Klimaschutz kein „Pillepalle“ ist. – Sie haben das als Pillepalle behandelt.
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Wir werden das nicht mehr als Pillepalle behandeln.
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Wir wollen, dass dieses Land auf den 1,5-Grad-Pfad kommt. Dazu gehören ein Kohleausstieg vor 2030, ein frühzeitiges Ende des Verbrennungsmotors, und dazu gehören 80 Prozent erneuerbare Energien in 2030. Dafür werden wir streiten, und dafür werden wir Verantwortung übernehmen.
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Vielen Dank, Jürgen Trittin. Maske! – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Judith Skudelny.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Ich möchte wieder auf das Thema dieser Aktuellen Stunde zurückkommen, das in vollem Umfang lautet: „Klimagipfel in Glasgow, stockende Verhandlungen in Berlin – Haltung von SPD, Grünen und FDP zur künftigen Klimapolitik“. Eigentlich ist es eher ungewöhnlich, in einer Aktuellen Stunde drei Themen aufzurufen. Aber ich werde jetzt mal versuchen, meiner Aufgabe gerecht zu werden, und Ihnen, liebe Union, alle drei Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten.
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Erstens: Klimagipfel in Glasgow. Der Klimagipfel in Glasgow ist tatsächlich eine der großen Herausforderungen. Ich darf sagen: Die EU bringt sich da richtig gut ein. Mit dem Green Deal, mit „Fit for 55“ sind wir schon in die richtige Richtung gegangen. Die EU zeigt da auch, wohin es gehen muss. Deutschland bringt sich augenscheinlich sehr aktiv ein. Ich habe gehört, Frau Schulze ist da gut angekommen. Da geht richtig was. Wir sehen, dass auch die großen Player, China und die USA, mit ihrer Vereinbarung in die richtige Richtung gehen. Diese Vereinbarung ist noch nicht ausreichend ambitioniert. Aber wir werden uns dafür einsetzen, dass da noch ein bisschen mehr Gas gegeben wird, und in Richtung Klimaneutralität und Weltenschutz ambitioniert und engagiert vorangehen.
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Die zweite Frage betrifft die Haltung von SPD, Grünen und FDP. Sie haben vollkommen recht: Wir sollten viel, viel öfter über Haltungsfragen sprechen. Ich habe mir überlegt: Was ist denn die Haltung der Ampel? Jetzt nach den Sondierungen kann ich es Ihnen relativ genau sagen. Wir werden eine Klimapolitik machen, die ambitionierte Ziele mit sozialen Standards und ökonomischem Sachverstand vereint. Das ist unsere Haltung, das ist unser Versprechen für Sie.
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Man muss ja sagen, dass in der Vergangenheit gerade der Wirtschaftsminister nicht so richtig Gas gegeben hat. Beim Ausbau der Trassen, beim tatsächlichen Strommarktdesign und beim Ausbau der Erneuerbaren ging es ja nicht ausreichend voran. Wir haben viel zu tun. Wir drei in der Ampelkoalition sitzen gerade daran, hier mal neuen Wind und frischen Schwung hineinzubringen, weil dies Deutschland und das Klima verdient haben.
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Das letzte Thema, das Sie aufgerufen haben: die stockenden Verhandlungen in Berlin. Ich darf Ihnen sagen: Uns Freie Demokraten beschäftigt das auch. Tatsächlich sehen wir, dass manche Fragen geklärt werden müssen, und zwar möglichst schnell und möglichst effizient. Seit längerer Zeit stocken die Verhandlungen. Was mich ein bisschen wundert, liebe CDU: Die Frage, wer eigentlich Ihre Partei künftig anführen wird, kann doch nicht von uns beantwortet werden. Diese stockenden Verhandlungen müssen Sie für sich klären.
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Insofern darf ich Ihnen von meiner Seite aus sagen: Wir drei Parteien, SPD, Grüne und FDP, ziehen am gleichen Strang in die richtige Richtung. Wir werden gucken, dass es mit dem Klimaschutz, mit den sozialen Standards und mit der Wirtschaft hier in Deutschland vorangeht, und das aufholen, was Sie versäumt haben.
Vielen Dank.
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Sind Sie schon fertig?
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– Gut. Vielen Dank, Judith Skudelny. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich vor vier Jahren in den Deutschen Bundestag eingezogen bin, war ich acht Jahre Oppositionsabgeordneter im Landtag in Hessen. Da darf ich jetzt mal der neuen Opposition, die sich in diese Rolle noch hineinfinden muss, einen Tipp geben: Man sollte für die Aktuellen Stunden Themen wählen, bei denen man selber gut ist, bei denen man selber eine tolle Bilanz hat, bei denen man selber auch Ideen und Konzepte hat, um den Unterschied deutlich zu machen.
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Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen am Montag war, als Ralph Brinkhaus und Alexander Dobrindt in der Weinstube oder in der Bayerischen Landesvertretung beim Bier zusammengesessen und überlegt haben: Wo waren wir denn so richtig gut in den letzten vier Jahren? Wo können wir es denn jetzt der Ampel mal so richtig zeigen?
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Und einer hat dann gesagt – ich weiß gar nicht: waren Sie es, Herr Dobrindt? Sie können es ruhig sagen –: beim Klimaschutz.
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Also, ehrlich gesagt, als Premiere für eine Aktuelle Stunde als Opposition wäre mir als Union vieles eingefallen, aber das nicht. Wer hat denn hier auf der Bremse gestanden? Peter Altmaier war ja bemüht; aber da gab es einen Herrn Nüßlein, und da gab es einen Herrn Pfeiffer – ich habe das selber im Ausschuss für Wirtschaft und Energie erlebt –, die ständig blockiert haben. Bei der Erhöhung von Ausbauzielen für Photovoltaik und Windkraft haben sie immer gebremst. Das sind doch die wirklichen Blockierer.
Und dann kommen Sie auf einmal mit dem Thema E-Fuels, Herr Ploß oder auch Andi Scheuer. Dafür brauchen Sie eine siebenfache Energieintensität. Man kann darüber nachdenken. Aber man müsste auch die erneuerbaren Energien um das Siebenfache ausbauen, damit man E-Fuels klimaverträglich herstellen kann, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ihre Argumente sind doch gar nicht stringent.
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– Jetzt sagt Sie „importieren“. – Unser Ziel ist es, dass wir möglichst energieunabhängig werden, dass wir Wertschöpfung hier in Deutschland generieren, mit erneuerbaren Energien Arbeitsplätze schaffen, das Geld hierbehalten und nicht importieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wir wollen Energie nicht importieren. Wir wollen sie hier in möglichst großem Umfang selber herstellen. Das ist nämlich der Unterschied zwischen Ihnen und uns, meine sehr verehrten Damen und Herren. Für uns ist Klimaschutz auch Wirtschaftspolitik, weil man damit gute, nachhaltige Arbeitsplätze schaffen kann.
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Ich möchte die Gelegenheit nutzen – ich war selber drei Tage in Glasgow –, erst mal einen ganz großen Dank auszusprechen, und zwar an Jochen Flasbarth, Svenja Schulze und das ganze Team des BMU, die dort internationale Klimadiplomatie auf hohem Niveau betreiben, unter erschwerten Coronabedingungen einen ganz großartigen Job machen. Schöne Grüße nach Glasgow an die Kolleginnen und Kollegen!
Und ich möchte sagen, dass ein solcher Gipfel, dass man da zusammenkommt, sehr sinnvoll ist. Ich kenne kein anderes Format, wo Zivilgesellschaft, NGOs, Wirtschaft, Politik wirklich nah beieinander sind, in engem Austausch miteinander sind, diskutieren, debattieren, um den richtigen Weg ringen. Zwei Wochen lang steht das Thema Klimaschutz international auf der Agenda. So muss das sein. Das sind gute Verhandlungen, das ist ein gutes Format, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wenn man dann – ich muss noch mal auf den AfD-Redner zurückkommen – wirklich ernsthaft meint, es würde kein Südseestaat oder kein Inselstaat untergehen: Ich habe mit Kollegen aus Französisch-Polynesien oder von den Marshallinseln gesprochen. Das ist der große Unterschied: Man liest nicht darüber, sondern man spricht mit den betroffenen Menschen, die Tränen in den Augen haben, weil ihre Heimat einfach abzusaufen droht. Sich hier hinzustellen und zu sagen: „Das ist nicht wahr“, ist Zynismus pur, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Kommen Sie doch mal mit zu einem internationalen Klimagipfel, reden Sie doch mal mit den Menschen vor Ort. Die Ergebnisse sind nicht geringzuschätzen.
Ich finde, dass einige gute, wichtige Beschlüsse in Glasgow auf den Weg gebracht worden sind, zum Beispiel in Bezug auf das Thema Methan, das endlich adressiert wurde:
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30 Prozent weniger bis 2030, das macht 0,2 Grad weniger. Das ist ein erster wichtiger Schritt. Auch ein Entwaldungsstopp wurde auf den Weg gebracht. Wir Deutsche machen mit Südafrika eine Kooperation. Wir zeigen, wie man den Kohleausstieg auch in Südafrika hinbekommt; das sind die richtigen Ansätze. Auch das Ende der Kohlefinanzierung ist ein richtiger Beschluss. Wenn man sich das alles anguckt, muss man feststellen: Ohne Paris, ohne Glasgow wären wir auf einem Erwärmungspfad von über 5 Grad.
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Vor Glasgow waren wir bei 2,7 Grad. Wenn man all die Absichtserklärungen betrachtet – sie müssen dann noch in die Realität umgesetzt werden; das gehört zur Wahrheit dazu –, stellt man fest, dass wir bei unter 2 Grad liegen. Wir sind also auf dem Pfad hin zu 1,5 Grad, und das ist auch gut so, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Aber man darf diese Klimagipfel auch nicht überinterpretieren und nicht zu hohe Erwartungen wecken. Man darf nicht erwarten, dass jetzt alles gelöst wird. Über 190 Staaten mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Interessenlagen zusammenzubekommen, das ist die große Kunst. Dafür ist ein solcher Gipfel wichtig. Ihm werden weitere folgen. Nach dem Gipfel von Glasgow ist vor dem Gipfel im Scharm al-Scheich. Wir brauchen Unterstützung. Ich bin mir sehr sicher, dass die neue Ampelregierung der nächsten COP in Scharm al-Scheich Rückenwind geben wird. Wir werden dort den Klimaschutz voranbringen, und zwar mit wirtschaftlichem Wachstum und im Interesse der Bevölkerung.
In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Vielen Dank, Timon Gremmels. – Der letzte Redner in dieser lebendigen Debatte: Kai Whittaker für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Die nächste Regierung ist die letzte, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann.“ Diesen Satz sagte Annalena Baerbock in einem der TV-Trielle vor der Wahl. Olaf Scholz bezeichnet sich heute schon als Klimakanzler. Christian Lindner hat sogar ein Klimaministerium in Aussicht gestellt. So weit die Ankündigungen der Ampelfraktionen. Mit der Wirklichkeit hat das bisher wenig zu tun.
Die Welt trifft sich gerade in Glasgow und verhandelt über weitere Klimamaßnahmen. Sie von der Ampel hingegen verschanzen sich aber hinter verschlossenen Türen und sagen nichts. Deshalb, liebe Kollegen Köhler, Krischer und andere: Diese Aktuelle Stunde wäre Ihre Chance gewesen, zu sagen, was Sie eigentlich in den nächsten vier Jahren beim Thema Klimaschutz wollen, und hätte nicht dazu dienen sollen, zu bewerten, was in den letzten 16 Jahren passiert ist.
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Davon, was Sie wollen, haben wir nichts gehört. Herrn Lindner interessiert dieses Thema nicht.
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Herr Scholz – ich bin ja froh, dass er heute Morgen überhaupt mal im Plenum gesichtet worden ist –
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ist bei diesem Thema verschollen, und Frau Baerbock beißt sich auf die Lippen und schweigt. Kein Wunder, denn was bisher zum Thema Klima nach außen gedrungen ist, klingt wenig entschlossen.
Liebe Grüne, wo ist euer Durchsetzungsvermögen?
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Jetzt habt ihr euer bestes Wahlergebnis in eurer Geschichte eingefahren, und alles, was euch einfällt, ist, einen Brief an NGOs und Umweltorganisationen zu schreiben, damit sie euch beim Verhandeln mit der SPD und der FDP helfen. Du liebe Güte, wie schnell kann man eigentlich als Tiger starten und als Kätzchen landen? Ihr seid doch nicht mehr in der Opposition, wenn diese Koalitionsverhandlungen erfolgreich sind.
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Da ist ein Wahlversprechen einzulösen, das leistbaren Klimaschutz angekündigt hat. Ergebnisse werden erwartet. Aus Ihren bisherigen Papieren geht nicht klar hervor, was jetzt der Markenkern dieser Klimaregierung sein wird. Da steht viel von Wollen, Sollen und Können drin, aber wenig von Machen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um zum Beispiel über ein neues transatlantisches Handelsabkommen mit den USA zu verhandeln mit dem Ziel, einen globalen CO2-Emissionshandel einzuführen. Von Ihnen kommt nichts.
Wenigstens einen der wenigen konkreten Punkte aus Ihrem Sondierungspapier könnten Sie doch jetzt vorlegen. Zum Thema Energiepreise – wir haben auch schon vorher darüber gesprochen –: Die Menschen ächzen aktuell unter den horrenden Energiepreisen. Strom ist binnen eines Jahres um 10 Prozent, Gas um fast 30 Prozent teurer geworden. Das ist eine harte Belastung. Die Ampel fordere ich jetzt deshalb auf, das fortzuführen, was wir angestoßen haben. Als Union haben wir den CO2-Preis eingeführt. Daran war aber die feste Absicht geknüpft, dass wir Steuern und Abgaben senken bzw. abschaffen.
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Die EEG-Umlage bei Strom und die Gassteuer dringlich abzuschaffen, das ist die Ampel den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes nun schuldig.
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Wenn Sie dann noch auf die Energie den reduzierten Satz der Mehrwertsteuer ansetzen, dann sparen die Verbraucherinnen und Verbraucher bares Geld. Ich habe das in meiner vorherigen Rede schon mal durchgerechnet: Ein Dreipersonenhaushalt behält beim Gas 210 Euro und beim Strom 250 Euro pro Jahr im Geldbeutel. Das ist bares Geld für die Menschen.
Zum Schluss. Ich war die letzten vier Jahre auch im Nachhaltigkeitsbeirat dieses Parlamentes Mitglied. Ich bin schon schwer enttäuscht, Herr Trittin, welch mickrige Rolle eine solide Nachhaltigkeitspolitik in Ihrem Sondierungspapier spielt.
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Sie bezeichnen sich als Zukunftskoalition; aber beim Thema Nachhaltigkeit wollen Sie sich nur im Bereich der Entwicklungshilfepolitik dazu verpflichten,
Ihre Politik im Sinne der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele auszurichten. Alle anderen Politikfelder ignorieren Sie konsequent.
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Ich hätte gedacht, Sie packen das Prinzip der Nachhaltigkeit in die Überschrift Ihres Sondierungspapiers.
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Da waren wir in der letzten Legislaturperiode mit der SPD weiter. Das ist keine Zukunftskoalition, das ist Rückschritt, meine Damen und Herren.
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Es überrascht mich, dass Sie das Naheliegendste nicht umsetzen. Wir haben gemeinsam mit allen Fraktionen – außer mit der AfD – hier im Bundestag eine Empfehlung beschlossen, dass wir in Zukunft alle Gesetze – messbar – auf Nachhaltigkeit prüfen, dass wir mehrfach in einem Jahr die Umsetzung kontrollieren. Der Ball liegt auf Ihrem Elfmeterpunkt. Sie müssen dieses Tor nur noch selber machen. Der Erfolg einer Regierung misst sich an den Ergebnissen.
Herr Gremmels, ich weiß nicht, ob Sie in den letzten acht Jahren nicht mitbekommen haben, dass Sie mitregiert haben. Wir haben gemeinsame Erfolge erzielt in der Großen Koalition.
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Wir haben mit dem Klimaschutzgesetz die Grundlage für eine nachhaltige Transformation hin zur Klimaneutralität geschaffen. Wir haben die internationalen Klimaziele erreicht. Beim Klimaschutz-Ranking sind wir innerhalb eines Jahres sogar um sechs Plätze nach oben geklettert; das hat Germanwatch gerade eben festgestellt.
Wir haben geliefert. Nun liegt es an Ihnen,
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diesen Pfad nachhaltig auszugestalten. Wir sind gespannt, ob die Ampel auf Grün springt.
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