Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen – aus einem einzigen Grund: Die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes Unterdrückungsregime infrage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen.
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Die schrecklichen Bilder aus Kiew, Charkiw, Odessa und Mariupol zeigen die ganze Skrupellosigkeit Putins. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit, der Schmerz der Ukrainerinnen und Ukrainer, sie gehen uns allen sehr nahe.
Ich weiß genau, welche Fragen sich die Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen abends am Küchentisch stellen, welche Sorgen sie umtreiben angesichts der furchtbaren Nachrichten aus dem Krieg. Viele von uns haben noch die Erzählungen unserer Eltern oder Großeltern im Ohr vom Krieg, und für die Jüngeren ist es kaum fassbar: Krieg in Europa. Viele von ihnen verleihen ihrem Entsetzen Ausdruck – überall im Land, auch hier in Berlin.
Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen.
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Das setzt eigene Stärke voraus.
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Ja, wir wollen und wir werden unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand sichern. Ich bin Ihnen, Frau Präsidentin, sehr dankbar, dass ich die Vorstellungen der Bundesregierung dazu heute in dieser Sondersitzung mit Ihnen teilen kann. Auch den Vorsitzenden aller demokratischen Fraktionen dieses Hauses danke ich dafür, dass sie diese Sitzung unterstützt haben.
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Meine Damen und Herren, mit dem Überfall auf die Ukraine will Putin nicht nur ein unabhängiges Land von der Weltkarte tilgen. Er zertrümmert die europäische Sicherheitsordnung, wie sie seit der Schlussakte von Helsinki fast ein halbes Jahrhundert Bestand hatte. Er stellt sich auch ins Abseits der gesamten internationalen Staatengemeinschaft.
Weltweit haben unsere Botschaften in den vergangenen Tagen gemeinsam mit Frankreich dafür geworben, die russische Aggression im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als das zu benennen, was sie ist: ein infamer Völkerrechtsbruch. Wenn man sich das Ergebnis der Sicherheitsratssitzung in New York anschaut, durchaus mit Erfolg. Die Beratungen haben gezeigt: Wir stehen keineswegs allein in unserem Einsatz für den Frieden. Wir werden ihn fortsetzen mit aller Kraft. Für das, was sie dort zustande gebracht hat, bin ich Außenministerin Baerbock sehr dankbar.
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Nur mit der Notbremse seines Vetos konnte Moskau – immerhin ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates – die eigene Verurteilung verhindern. Was für eine Schande!
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Präsident Putin redet dabei stets von unteilbarer Sicherheit. Tatsächlich aber will er gerade den Kontinent mit Waffengewalt in altbekannte Einflusssphären teilen. Das hat Folgen für die Sicherheit in Europa. Ja, dauerhaft ist Sicherheit in Europa nicht gegen Russland möglich. Auf absehbare Zeit aber gefährdet Putin diese Sicherheit. Das muss klar ausgesprochen werden.
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Wir nehmen die Herausforderung an, vor die die Zeit uns gestellt hat – nüchtern und entschlossen.
Fünf Handlungsaufträge liegen nun vor uns.
Erstens. Wir müssen die Ukraine in dieser verzweifelten Lage unterstützen. Das haben wir auch in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren in großem Umfang getan. Aber mit dem Überfall auf die Ukraine sind wir in einer neuen Zeit. In Kiew, Charkiw, Odessa und Mariupol verteidigen die Menschen nicht nur ihre Heimat. Sie kämpfen für Freiheit und ihre Demokratie, für Werte, die wir mit ihnen teilen.
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Als Demokratinnen und Demokraten, als Europäerinnen und Europäer stehen wir an ihrer Seite, auf der richtigen Seite der Geschichte.
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Am Donnerstag hat Präsident Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine eine neue Realität geschaffen. Diese neue Realität erfordert eine klare Antwort. Wir haben sie gegeben: Wie Sie wissen, haben wir gestern entschieden, dass Deutschland der Ukraine Waffen zur Verteidigung des Landes liefern wird.
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Auf Putins Aggression konnte es keine andere Antwort geben.
Meine Damen und Herren, unser zweiter Handlungsauftrag ist, Putin von seinem Kriegskurs abzubringen. Der Krieg ist eine Katastrophe für die Ukraine. Aber der Krieg wird sich auch als Katastrophe für Russland erweisen.
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Gemeinsam mit den EU-Staats- und -Regierungschefs haben wir ein Sanktionspaket von bisher unbekanntem Ausmaß verabschiedet. Wir schneiden russische Banken und Staatsunternehmen von der Finanzierung ab. Wir verhindern den Export von Zukunftstechnologien nach Russland. Wir nehmen die Oligarchen und ihre Geldanlagen in der EU ins Visier. Hinzu kommen die Strafmaßnahmen gegen Putin und Personen in seinem direkten Umfeld sowie Einschränkungen bei der Visavergabe für russische Offizielle.
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Und wir schließen wichtige russische Banken vom Bankenkommunikationsnetz SWIFT aus. Darauf haben wir uns gestern mit den Staats- und Regierungschefs der wirtschaftlich stärksten Demokratien und der EU verständigt.
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Machen wir uns nichts vor: Putin wird seinen Kurs nicht über Nacht ändern. Doch schon sehr bald wird die russische Führung spüren, welch hohen Preis sie bezahlt. Allein in der letzten Woche haben russische Börsenwerte um über 30 Prozent nachgegeben. Das zeigt: Unsere Sanktionen wirken. Und wir behalten uns weitere Sanktionen vor, ohne irgendwelche Denkverbote.
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Unsere Richtschnur bleibt die Frage: Was trifft die Verantwortlichen am härtesten? Die, um die es geht, und nicht das russische Volk!
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Denn Putin, nicht das russische Volk, hat sich für den Krieg entschieden. Deshalb gehört es deutlich ausgesprochen: Dieser Krieg ist Putins Krieg.
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Die Differenzierung ist mir wichtig; denn die Aussöhnung zwischen Deutschen und Russen nach dem Zweiten Weltkrieg ist und bleibt ein wichtiges Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte.
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Und ich weiß, wie schwierig die derzeitige Situation gerade für die vielen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu ertragen ist, die in der Ukraine oder in Russland geboren sind. Darum werden wir nicht zulassen, dass dieser Konflikt zwischen Putin und der freien Welt zum Aufreißen alter Wunden und zu neuen Verwerfungen führt.
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Noch etwas sollten wir nicht vergessen: In vielen russischen Städten haben Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Tagen gegen Putins Krieg protestiert, haben Verhaftung und Bestrafung in Kauf genommen.
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Das erfordert großen Mut und große Tapferkeit.
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Deutschland steht heute an der Seite der Ukrainerinnen und der Ukrainer. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten heute den Opfern des russischen Angriffskriegs. Genauso stehen wir an der Seite all jener in Russland, die Putins Machtapparat mutig die Stirn bieten und seinen Krieg gegen die Ukraine ablehnen. Wir wissen: Sie sind viele.
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Ihnen allen sage ich: Geben Sie nicht auf! Ich bin ganz sicher: Freiheit, Toleranz und Menschenrechte werden sich auch in Russland durchsetzen.
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Meine Damen und Herren, die dritte große Herausforderung liegt darin, zu verhindern, dass Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift. Das bedeutet: Ohne Wenn und Aber stehen wir zu unserer Beistandspflicht in der NATO.
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Das habe ich auch unseren Alliierten in Mittel- und Osteuropa gesagt, die sich um ihre Sicherheit sorgen. Präsident Putin sollte unsere Entschlossenheit nicht unterschätzen, gemeinsam mit unseren Alliierten jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes zu verteidigen.
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Wir meinen das sehr ernst. Mit der Aufnahme eines Landes in die NATO ist unser Wille als Bündnispartner verbunden, dieses Land zu verteidigen, und zwar so wie uns selbst.
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Die Bundeswehr hat ihre Unterstützung für die östlichen Bündnispartner bereits ausgeweitet und wird das weiter tun. Für dieses wichtige Signal danke ich der Bundesverteidigungsministerin. In Litauen, wo wir den Einsatzverband der NATO führen, haben wir unsere Truppe aufgestockt. Unseren Einsatz beim Air Policing in Rumänien haben wir verlängert und ausgeweitet. Wir wollen uns am Aufbau einer neuen NATO-Einheit in der Slowakei beteiligen. Unsere Marine hilft mit zusätzlichen Schiffen bei der Sicherung von Nord- und Ostsee und im Mittelmeer. Und wir sind bereit, uns mit Luftabwehrraketen auch an der Verteidigung des Luftraumes unserer Alliierten in Osteuropa zu beteiligen.
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Unsere Soldatinnen und Soldaten haben in den vergangenen Tagen oft nur wenig Zeit gehabt, sich auf diese Einsätze vorzubereiten. Ich sage ihnen, sicher auch in Ihrem Namen: Danke!
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Danke für ihren wichtigen Dienst gerade in diesen Tagen.
Meine Damen und Herren, angesichts der Zeitenwende, die Putins Aggression bedeutet, lautet unser Maßstab: Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan. Deutschland wird dazu seinen solidarischen Beitrag leisten. Das heute klar und unmissverständlich festzuhalten, reicht aber nicht aus; denn dafür braucht die Bundeswehr neue, starke Fähigkeiten.
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Und das ist mein viertes Anliegen, meine Damen und Herren. Wer Putins historisierende Abhandlungen liest,
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wer seine öffentliche Kriegserklärung an die Ukraine im Fernsehen gesehen hat oder wer wie ich kürzlich persönlich mit ihm stundenlang gesprochen hat, der kann keinen Zweifel mehr haben: Putin will ein russisches Imperium errichten. Er will die Verhältnisse in Europa nach seinen Vorstellungen grundlegend neu ordnen, und dabei schreckt er nicht zurück vor militärischer Gewalt. Das sehen wir heute in der Ukraine.
Wir müssen uns daher fragen: Welche Fähigkeiten besitzt Putins Russland, und welche Fähigkeiten brauchen wir, um dieser Bedrohung zu begegnen, heute und in der Zukunft?
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Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.
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Das ist eine große nationale Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt.
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Ich habe bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor einer Woche gesagt: Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen,
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und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind.
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Darum geht es, und das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa.
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Aber machen wir uns nichts vor: Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld.
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Wir werden dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten, und ich bin Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstützung dabei.
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Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten.
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Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.
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Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.
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Meine Damen und Herren, ich richte mich hier an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages: Lassen Sie uns das Sondervermögen im Grundgesetz absichern.
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Eines will ich hinzufügen: Wir streben dieses Ziel nicht nur an, weil wir bei unseren Freunden und Alliierten im Wort stehen, unsere Verteidigungsausgaben bis 2024 auf 2 Prozent unserer Wirtschaftsleistung zu steigern. Wir tun dies auch für uns, für unsere eigene Sicherheit,
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wohl wissend, dass sich nicht alle Bedrohungen der Zukunft mit den Mitteln der Bundeswehr einhegen lassen. Deshalb brauchen wir eine starke Entwicklungszusammenarbeit.
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Deshalb werden wir unsere Resilienz stärken, technisch und gesellschaftlich, zum Beispiel gegen Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, gegen Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur und Kommunikationswege. Und wir werden technologisch auf der Höhe der Zeit bleiben.
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Darum ist es mir zum Beispiel so wichtig, dass wir die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit europäischen Partnern und insbesondere Frankreich hier in Europa bauen. Diese Projekte haben oberste Priorität für uns.
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Bis die neuen Flugzeuge einsatzbereit sind, werden wir den Eurofighter gemeinsam weiterentwickeln.
Gut ist auch, dass die Verträge zur Eurodrohne in dieser Woche endlich unterzeichnet werden konnten.
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Auch die Anschaffung der bewaffneten Heron-Drohne aus Israel treiben wir voran.
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Für die nukleare Teilhabe werden wir rechtzeitig einen modernen Ersatz für die veralteten Tornado-Jets beschaffen. Der Eurofighter soll zu Electronic Warfare befähigt werden. Das Kampfflugzeug F‑35 kommt als Trägerflugzeug in Betracht.
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Und schließlich, meine Damen und Herren, werden wir mehr tun, um eine sichere Energieversorgung unseres Landes zu gewährleisten.
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Eine wichtige Maßnahme dazu hat die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht. Und wir werden umsteuern – umsteuern, um unsere Importabhängigkeit von einzelnen Energielieferanten zu überwinden.
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Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben uns doch gezeigt: Eine verantwortungsvolle, vorausschauende Energiepolitik ist nicht nur entscheidend für unsere Wirtschaft und unser Klima,
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sondern entscheidend auch für unsere Sicherheit. Deshalb gilt: Je schneller wir den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, desto besser.
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Und wir sind auf dem richtigen Weg. Wir wollen als Industrieland bis 2045 CO2-neutral werden.
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Mit diesem Ziel vor Augen werden wir wichtige Entscheidungen treffen müssen, etwa eine Kohle- und Gasreserve aufzubauen. Wir haben beschlossen, die Speichermenge an Erdgas über sogenannte Long Term Options um 2 Milliarden Kubikmeter zu erhöhen. Zudem werden wir rückgekoppelt mit der EU zusätzliches Erdgas auf den Weltmärkten erwerben.
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Schließlich haben wir die Entscheidung getroffen, zwei Flüssiggasterminals, LNG-Terminals, in Brunsbüttel und Wilhelmshaven schnell zu bauen.
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Bundeswirtschaftsminister Habeck möchte ich für seinen Einsatz dabei ganz ausdrücklich danken.
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Das, was nun kurzfristig notwendig ist, lässt sich mit dem verbinden, was langfristig ohnehin gebraucht wird für den Erfolg der Transformation. Ein LNG-Terminal, in dem wir heute Gas ankommen lassen, kann morgen auch Grünen Wasserstoff aufnehmen.
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Und natürlich behalten wir bei all dem die hohen Energiepreise im Blick. Putins Krieg hat sie zuletzt noch weiter steigen lassen. Deshalb haben wir in dieser Woche ein Entlastungspaket vereinbart: mit der Abschaffung der EEG-Umlage noch in diesem Jahr, einer Erhöhung der Pendlerpauschale, einem Heizkostenzuschuss für Geringverdiener, Zuschüssen für Familien und steuerlichen Entlastungen.
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Die Bundesregierung wird das schnell auf den Weg bringen.
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Unsere Botschaft ist klar: Wir lassen die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen in dieser Lage nicht allein.
Meine Damen und Herren, die Zeitenwende trifft nicht nur unser Land; sie trifft ganz Europa. Und auch darin stecken Herausforderung und Chance zugleich. Die Herausforderung besteht darin, die Souveränität der Europäischen Union nachhaltig und dauerhaft zu stärken. Die Chance liegt darin, dass wir die Geschlossenheit wahren, die wir in den letzten Tagen unter Beweis gestellt haben, Stichwort „Sanktionspaket“. Für Deutschland und für alle anderen Mitgliedsländer der EU heißt das, nicht bloß zu fragen, was man für das eigene Land in Brüssel herausholen kann, sondern zu fragen: Was ist die beste Entscheidung für die Union?
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Europa ist unser Handlungsrahmen. Nur wenn wir das begreifen, werden wir vor den Herausforderungen unserer Zeit bestehen.
Damit bin ich beim fünften und letzten Punkt. Putins Krieg bedeutet eine Zäsur, auch für unsere Außenpolitik. So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein, dieser Anspruch bleibt. Nicht naiv zu sein, das bedeutet aber auch, kein Reden um des Redens willen.
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Für echten Dialog braucht es die Bereitschaft dazu auf beiden Seiten. Daran mangelt es aufseiten Putins ganz offensichtlich, und das nicht erst in den letzten Tagen und Wochen.
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Was heißt das für die Zukunft? Wir werden uns Gesprächen mit Russland nicht verweigern. Auch in dieser extremen Lage ist es die Aufgabe der Diplomatie, Gesprächskanäle offenzuhalten. Alles andere halte ich für unverantwortlich.
Meine Damen und Herren, wir wissen, wofür wir einstehen, auch angesichts unserer eigenen Geschichte. Wir stehen ein für den Frieden in Europa. Wir werden uns nie abfinden mit Gewalt als Mittel der Politik. Wir werden uns immer starkmachen für die friedliche Lösung von Konflikten. Und wir werden nicht ruhen, bis der Frieden in Europa gesichert ist.
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Dabei stehen wir nicht allein, sondern zusammen mit unseren Freunden und Partnern in Europa und weltweit. Unsere größte Stärke sind unsere Bündnisse und Allianzen. Ihnen verdanken wir das große Glück, das unser Land seit über 30 Jahren genießt: in einem vereinten Land zu leben, in Wohlstand und Frieden mit unseren Nachbarn.
Wenn wir wollen, dass diese letzten 30 Jahre keine historische Ausnahme bleiben, dann müssen wir alles tun für den Zusammenhalt der Europäischen Union, für die Stärke der NATO, für noch engere Beziehungen zu unseren Freunden, Partnern und Gleichgesinnten weltweit. Ich bin voller Zuversicht, dass uns das gelingt. Denn selten waren wir und unsere Partner so entschlossen und so geschlossen.
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Uns eint in diesen Tagen: Wir wissen um die Stärke freier Demokratien. Wir wissen: Was von einem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens getragen wird, das hat Bestand, auch in dieser Zeitenwende und darüber hinaus. Deshalb danke ich Ihnen und allen Fraktionen dieses Hauses, die den russischen Überfall auf die Ukraine entschieden als das verurteilt haben, was er ist: ein durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf ein unabhängiges Land, auf die Friedensordnung in Europa und in der Welt. Der heutige Entschließungsantrag bringt das klar zum Ausdruck.
Ich danke allen, die in diesen Tagen Zeichen setzen gegen Putins Krieg und die sich hier in Berlin und anderswo zu friedlichen Kundgebungen versammeln. Und ich danke allen, die in diesen Zeiten mit uns einstehen für ein freies und offenes, gerechtes und friedliches Europa. Wir werden es verteidigen.
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Vielen Dank, Herr Bundeskanzler. – Sie müssten Ihre Maske wieder aufsetzen; vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser 24. Februar 2022 wird uns allen als ein Tag im Gedächtnis bleiben, von dem wir später einmal sagen werden: Ich weiß noch genau, wo ich war, als ich die erste Nachricht vom Krieg in der Ukraine gehört und die ersten Bilder davon gesehen habe. – Unsere ersten Gedanken in diesen Minuten galten und sie gelten unverändert bis heute dem ganzen Volk der Ukrainer.
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Wir trauern mit den Familien um die Opfer, die es bis heute und auch in diesen Stunden und Minuten in so großer Zahl – auch unter der Zivilbevölkerung – gibt. Und wir bewundern den Mut und den Willen dieses Volkes, um seine Freiheit zu kämpfen.
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Wir sind zugleich beschämt und bedrückt, dass wir diesem Land und diesem Volk nicht schon haben früher helfen können.
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Unsere größte Bewunderung und unser größter Respekt gilt dem frei gewählten Staatspräsidenten der Ukraine, Präsident Wolodymyr Selenskyj.
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Diesen mutigen Mann, der aus einer jüdischen Familie stammt, als drogenabhängig und als Nazi zu diffamieren, wie es der russische Präsident in dieser Woche getan hat, zeigt ein Ausmaß an Niedertracht und Menschenverachtung, wie wir es in den letzten Jahrzehnten auf diesem Kontinent nicht erlebt haben.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben es so ausgedrückt: Mit diesem Krieg geht eine Zeitepoche in Europa zu Ende, eine Zeit, von der wir uns erhofft und geglaubt haben, dass sie im Frieden und in Freiheit und natürlich auch im Wohlstand im ganzen 21. Jahrhundert voranschreitet. Seit wenigen Tagen sind wir nun eines Besseren belehrt. Brutal und rücksichtslos hat ein autoritäres System einen Angriffskrieg mitten in Europa begonnen – ja, mitten in Europa; denn dieser Krieg findet statt zwischen den beiden territorial größten Ländern Europas. Russland ist ein europäisches Land, und die Ukraine ist ein europäisches Land. Der Krieg findet statt weniger als zwei Flugstunden von diesem Ort entfernt, an dem wir uns heute Morgen, an einem Sonntag, treffen.
Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen im Namen der Unionsfraktion und der sie tragenden Parteien CDU und CSU für Ihre Regierungserklärung danken.
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Sie wissen, dass wir sehr darum bemüht sind, mit Ihnen und den Sie tragenden Koalitionsfraktionen einen gemeinsamen Weg in dieser Zeit einer großen Herausforderung zu gehen. Wir haben in den letzten Tagen mit Ihren Fraktionen um gemeinsame Antworten gerungen, und wir geben sie wieder in einem Entschließungsantrag, den wir heute gemeinsam mit der SPD, den Grünen und der FDP einbringen. Aber lassen Sie mich das ganz deutlich sagen: Dieser Antrag ist nur das gemeinsame Minimum, das wir heute hier feststellen können. Wir haben und wir behalten hoffentlich auch in der Zukunft eine klare Auffassung zu diesem Krieg und seinem einzigen Verantwortlichen. Der verantwortliche Mann heißt Wladimir Putin.
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Aus diesem „lupenreinen Demokraten“, der er nie war, ist nun endgültig und für alle Welt sichtbar ein Kriegsverbrecher geworden.
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Aber so einen Krieg befiehlt nicht einer allein, und er entsteht auch nicht ohne ein politisches Umfeld. Das verantwortliche System um ihn herum ist ein Geflecht aus Geheimdienstoffizieren und erprobten Meistern der politischen Propaganda wie etwa seinem Außenminister Lawrow, ein Geflecht aus einer großen Gruppe hemmungsloser Oligarchen, die sich die Ressourcen dieses Landes unter den Nagel gerissen haben, und vor allem aus einem repressiven Staatsapparat, der ohne jeden Anflug von Rechtsstaatlichkeit beliebig verhaftet, vergiftet, in Lager steckt, Familien zerstört und auch nicht davor zurückschreckt, mitten in den Ländern Westeuropas Auftragsmorde zu vollstrecken.
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Damit an dieser Stelle, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, überhaupt kein Missverständnis entsteht: Die Verantwortlichkeit liegt allein dort und allein bei diesen handelnden Akteuren. Aber zu diesem Netzwerk zählen seit vielen Jahren auch mehr oder weniger gutgläubige Interessenvertreter in aller Welt, auch und gerade hier in Deutschland, die sich einmal als Putin-Versteher gerieren, das andere Mal als Freunde Russlands, die bis hin zu windigen Stiftungskonstruktionen nichts unversucht lassen,
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mit diesem System Geschäfte zu machen, und dann auch noch versuchen, das Ganze der Öffentlichkeit als gemeinnützig zu vermitteln.
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Sie als „nützliche Idioten“ ganz im Sinne der Lenin’schen Denkmuster zu bezeichnen, ist dann wohl noch die freundlichste Umschreibung dieses Treibens auch und gerade hier in Deutschland, meine Damen und Herren.
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Die Bedrohung der Ukraine durch einen Angriffskrieg ist aber nicht die einzige Bedrohung, die wir in diesen Tagen sehen. Parallel zu den Panzern rollen seit Jahren Wellen von Propaganda durch Europa, die in Zeiten der Digitalisierung und der sozialen Netzwerke eine hohe Effizienz und damit einen großen Schaden erzeugen, einen Schaden, der auch unsere gesellschaftliche Ordnung von innen bedroht, meine Damen und Herren.
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Zu dieser Propaganda zählt seit Langem die Behauptung, die NATO sei der eigentliche Aggressor gegen das friedliebende Russland. Dieses in der Tat großartige Land müsse sich nun, so der allmächtige Staatsapparat und sein Präsident, gegen eine militärische Bedrohung zur Wehr setzen. Dabei wissen sie alle es besser. Herr Putin, Sie sind und waren von der NATO nie bedroht; das wissen Sie auch.
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– Meine Damen und Herren, wenn wir sehen, wer an dieser Stelle jetzt klatscht und wer jetzt nicht klatscht, dann wissen wir, welche Reden wir hier im Laufe des heutigen Vormittags von ganz links und von ganz rechts noch zu hören bekommen.
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Wir wissen jetzt schon, wenn wir uns das hier anschauen, wie Sie hier gleich sprechen werden.
Meine Damen und Herren, die einzige Bedrohung, die es für Putin und seine Nomenklatura gibt – und die nimmt er zu Recht sehr ernst –, ist die Bedrohung seiner Macht durch das eigene Volk, die Bedrohung durch Freiheit und Demokratie auch in seiner Nachbarschaft. Da ist die Bedrohung für dieses System.
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Deshalb unterdrückt Putin im eigenen Land jede Opposition, und deshalb macht er gemeinsame Sache mit Alexander Lukaschenko, der heute, an diesem Tag, während wir hier zusammentreten, ein sogenanntes Referendum in Belarus abhalten lässt, um die Verfassung zu ändern und ab dem morgigen Tag in diesem Land Atomwaffen stationieren zu können. Meine Damen und Herren, das ist die neue Realität, in der wir in dieser Woche aufgewacht sind.
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Die Staatengemeinschaft des Westens, die Europäer, die Amerikaner, viele andere Länder auf der Welt, reagieren auf diesen Bruch des Völkerrechts und aller Verträge, die wir mit Russland bisher geschlossen haben, mit Konsequenz und Härte. Russland wird international isoliert, das Land und seine Repräsentanten werden auch persönlich sanktioniert. Dazu gehört – damit das hier auch von meiner Seite aus klar ist – richtigerweise, dass Russland jetzt aus SWIFT, dem internationalen Zahlungssystem, ausgeschlossen wird.
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Herr Bundeskanzler, herzlichen Dank, dass Sie das heute Morgen hier gesagt haben, dass Sie in den letzten Tage darüber intensive Gespräche und Verhandlungen geführt haben, einschließlich der Frage, wie mit Waffenlieferungen aus mehreren europäischen Ländern in die Ukraine jetzt umzugehen ist. Wichtig ist das klare und unmissverständliche Signal vom heutigen Tag: Genug ist genug! Das Spiel ist aus!
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Lassen Sie mich aber auch sehr deutlich sagen: Gefragt sind am heutigen Tag nicht gute Reden allein.
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– Und gute Regierungserklärungen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das war eine gute Regierungserklärung.
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Gefragt sind Stringenz und Durchhaltevermögen in den nächsten Tagen und Wochen. Dieses Durchhaltevermögen kann schon in wenigen Tagen auf harte Proben gestellt werden. Die Sanktionen werden Wirkung entfalten, nicht nur in Russland,
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sondern auch hier bei uns.
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Der Krieg in der Ukraine wird Konsequenzen fordern, nicht nur in der Verteidigungspolitik, sondern auch in vielen anderen Bereichen.
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Deshalb, Herr Bundeskanzler, bieten wir Ihnen und Ihrer Regierung an dieser Stelle heute umfassende und konkrete Hilfe und Unterstützung an. Wenn Sie um Unterstützung und Zustimmung für die jetzt notwendigen umfassenden Sanktionen werben – und Sie tun es hier heute Morgen –, dann werden wir das unterstützen und nicht im Kleinen herummäkeln.
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Wenn Sie eine umfassende Ertüchtigung unserer Streitkräfte wollen – und wir wollen sie ab heute ganz offensichtlich mit Ihnen –, dann werden wir auch gegen Widerstände diesen Weg mit Ihnen gehen.
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Wenn Sie es für notwendig erachten, die Energiepolitik und die Ihrer Regierung neu auszurichten, wenn Sie mit uns der Meinung sind, dass wir jetzt endgültig auf keine weiteren Optionen der Energieerzeugung mehr verzichten dürfen, dann finden Sie dabei unsere tatkräftige Unterstützung.
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Wenn Sie es so wollen, wie Sie es heute Morgen hier vorschlagen, dann können wir auch darüber, Herr Bundeskanzler, reden. Aber ein Sondervermögen ist nicht ein Vermögen, sondern ein Sondervermögen bedeutet zunächst einmal neue Schulden.
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Wie wir diese neuen Schulden aufnehmen und wie wir sie dann möglicherweise in unserer Verfassung verankern, das kann nicht allein im Rahmen einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen geklärt werden. Darüber müssen wir dann in Ruhe und im Detail sprechen.
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Lassen Sie mich auch dies ganz klar sagen: Das machen wir dann in allen Teilen gemeinsam, nicht in der Arbeitsteilung, dass wir für Sie bei den unangenehmen Dingen den Kopf hinhalten und Sie in Ihrer Koalition unverändert alle Wohltaten weiter zulasten der jungen Generation verteilen, Herr Bundeskanzler. Das machen wir dann nicht!
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Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind ja alles die mehr oder weniger naheliegenden Entscheidungen, die wir jetzt kurzfristig treffen müssen. Die eigentliche Herausforderung ist doch eine ganz andere, und sie liegt viel tiefer: In Wahrheit stehen wir spätestens mit dieser Woche vor einem Scherbenhaufen der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte.
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Einige der vermeintlichen Gewissheiten der letzten Jahre gehören nun endgültig der Vergangenheit an. Wir sind nicht mehr nur von Freunden umgeben. Auch wir werden durch einen aggressiven Staat in unserer direkten Nachbarschaft bedroht.
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Einseitige Abrüstung führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit.
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Oder hat hier im Haus irgendjemand vergessen, dass die Ukraine 1994 alle ihre Atomwaffen abgegeben hat und im Gegenzug von Russland umfassende und dauerhafte Garantien der territorialen Integrität erhalten hat? Hat das irgendjemand von Ihnen hier vergessen?
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Lassen Sie mich das so sagen: Lichterketten, Friedensgebete, Ostermärsche sind eine schöne Sache.
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Auch wir haben heute Morgen mit einer Gruppe von Abgeordneten aus einigen Fraktionen des Deutschen Bundestages für den Frieden in der Welt und das Ende dieses Krieges gebetet.
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Aber, meine Damen und Herren, mit Moral allein wird die Welt um uns herum nicht friedlich,
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schon gar nicht mit der angeblich besseren Moral, die immer wieder auch in Deutschland vorgetragen wird.
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Der Ukraine jedenfalls haben gute Worte nichts genutzt, auch nicht die vertagte Mitgliedschaft in der NATO, meine Damen und Herren.
Und schließlich: Auch Deutschland muss endlich bereit sein, in dieser Welt seine Interessen zu definieren,
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und vor allem bereit sein, diese Interessen auch durchzusetzen. Dazu zählt nicht nur, aber auch die Fähigkeit, das eigene Territorium und die eigene Bevölkerung wirksam gegen jedwede Form der Gewalt und der Nötigung zu schützen und zu verteidigen.
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Die Bundeswehr ist dazu – soweit sie gefragt ist – am heutigen Tag jedenfalls nicht in der Lage.
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– Darauf reagiere ich nicht. Aber ich reagiere schon,
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wenn Sie das zu einem Thema der parteipolitischen Auseinandersetzung machen.
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Meine Damen und Herren, wir alle miteinander in diesem Haus – ich war schon ziemlich früh dabei –
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sind verantwortlich dafür, dass die Bundeswehr in dem Zustand ist, in dem sie heute ist.
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Wir haben uns bemüht, das zu verbessern. Vieles ist an Ihnen gescheitert.
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Wenn wir heute einen neuen Weg nach vorne gehen, dann gehen wir ihn gemeinsam, aber nur dann, wenn wir ihn jetzt wirklich gemeinsam nach vorne gehen, und nicht, wenn wir wie Sie hier parteipolitisch zurückblicken.
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Das alles sind Annahmen und politische Einschätzungen, die Sie hier im Hause teilen mögen oder auch nicht.
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Die eigentliche Führungsaufgabe kommt in diesem historischen Augenblick so oder so auf Sie zu, Herr Bundeskanzler.
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Lassen Sie mich deswegen abschließend aus einer großen deutschen Tageszeitung zitieren, die es vor einigen Tagen aus meiner Sicht sehr präzise auf den Punkt gebracht hat.
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Der Autor schreibt am Ende einer sehr ernüchternden Analyse wie folgt:
Die eigentliche Rechnung aber wird in Deutschland selbst fällig,
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wo diese … Krisendichte auf eine weitgehend unvorbereitete Bevölkerung trifft, der schlicht das Handwerkszeug fehlt,
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um mit Erpressung, Nötigung, militärischer Bedrohung … auf das politische System umzugehen. Unsicherheit
– so schreibt er weiter –
entsteht durch einen Aggressor. Aber gefährlich wird sie erst durch Schwäche.
Ende des Zitats.
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Das notwendige Handwerkszeug bereitzustellen, Herr Bundeskanzler, um diese Schwäche in unserem Land zu beseitigen,
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ist seit dieser Woche die historische Aufgabe Ihrer Kanzlerschaft.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin: für die Bundesregierung die Bundesministerin Annalena Baerbock.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Die Bilder aus der Ukraine sind kaum zu ertragen. Tausende fliehen. Wahrscheinlich hat jeder hier im Saal eine Nachricht bekommen von Freunden, Bekannten, von Kolleginnen und Kollegen, mit denen man – so wie ich letzte Woche – noch gemeinsam in Kiew Mittag gegessen hat und die jetzt sagen: Bitte, rettet uns! – Eltern mit kleinen Kindern verbringen in U-Bahn-Schächten ihre Nächte, um Schutz vor Bomben und Raketen zu suchen. Das könnten wir in diesen U-Bahn-Schächten sein, das könnten unsere Kinder sein.
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Was hier gerade mitten in Europa passiert, war für jemanden aus meiner Generation bisher unvorstellbar. Es ist der Moment, in dem der Angriffskrieg nach Europa zurückgekommen ist. Unsere Welt ist nach diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Putin jetzt eine andere.
Botschafter Melnyk, ich begrüße Sie hier im Saal stellvertretend für die über 40 Millionen mutigen Ukrainerinnen und Ukrainer!
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Ich möchte Ihnen hier aus ganzem Herzen sagen: Das unsägliche Leid der Männer, Frauen und Kinder trifft uns ins Mark. Wir sind fassungslos angesichts dessen, was der Ukraine, den Menschen in der Ukraine erneut angetan wird. Aber wir sind nicht ohnmächtig.
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Wir lassen Sie bei dieser rücksichtslosen Aggression gegen Ihr Land nicht alleine.
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Dieser Krieg ist kein Krieg der Menschen in Russland. Dieser Krieg ist Putins Krieg.
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Dieser Krieg ist ein Angriff auf unseren Frieden in Europa. Dieser Krieg ist ein Angriff auf unsere Freiheit. Dieser Krieg ist ein Angriff auf das internationale Völkerrecht. Dieser Krieg ist ein Angriff auf all die Werte einer regelbasierten internationalen Ordnung. Dieser Krieg ist ein Angriff auf das menschliche friedliche Miteinander. Und es ist ein Krieg, der es nötig macht, dass wir die Grundfesten unseres außenpolitischen Handelns neu ziehen.
Vor wenigen Wochen noch habe ich hier in diesem Saal zum Thema Waffenlieferungen gesagt, dass man eine Entscheidung für eine außenpolitische 180-Grad-Wende im richtigen Moment und bei vollem Bewusstsein treffen muss. Jetzt ist – so traurig das ist – der Moment dafür. Wir haben es bis zur letzten Minute mit Diplomatie versucht. Der Kreml hat uns hingehalten, belogen und sich all dem verweigert, wofür wir bisher als Europäerinnen und Europäer eingestanden haben. Putin wollte diesen Krieg – „whatever it takes“.
Russland hat die Ukraine rücksichtslos angegriffen. Und die Ukraine hat wie jedes Land dieser Welt ein Recht auf Selbstverteidigung, verbrieft in der Charta der Vereinten Nationen.
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Und wir, die wir auf dem Boden des Völkerrechts stehen, stehen auch in der Pflicht, diese Charta der Vereinten Nationen jetzt gemeinsam zu verteidigen.
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Vielleicht ist es so, dass Deutschland am heutigen Tag eine Form besonderer und alleinstehender Zurückhaltung in der Außen- und Sicherheitspolitik hinter sich lässt. Die Regeln, die wir uns dafür gegeben haben, dürfen uns nicht aus unserer Verantwortung nehmen. Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein.
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Ein Land mit einer Parlamentsarmee und umfassender demokratischer Kontrolle darf und muss sich erlauben – und das tun wir mit dem heutigen Tag –, in Fragen von Krieg und Frieden in voller Verantwortung zu entscheiden. Wir werden bei Waffenexporten und Einsätzen weiter aus tiefster Überzeugung zurückhaltend sein. Wir werden uns aber in dieser historischen Stunde angesichts des brutalen Angriffs auf die Ukraine für eine Unterstützung entscheiden, die neben unserem großen wirtschaftlichen und humanitären Engagement die Ukraine jetzt auch mit Lieferung von militärischem Material und Waffen unterstützt.
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Denn wir dürfen die Ukraine nicht wehrlos dem Aggressor überlassen, der Tod und Verwüstung über dieses Land bringt.
Und ich danke Ihnen allen sehr, wie auch der Bundeskanzler. Das ist die Stärke dieses Hohen Hauses, das ist die Stärke unserer liberalen Demokratie: dass wir bei Sachfragen erbittert streiten können, aber dass wir in dem Moment, wo es darum geht, unsere Grundwerte zu verteidigen, alle fraktionsübergreifend beieinanderstehen. Herzlichen Dank!
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Wir tun das, weil es hier um Menschenleben geht. Wir tun das, weil unsere internationale Ordnung auf dem Spiel steht. Wir tun dies mit Besonnenheit und aus Verantwortung für unseren Frieden in Europa. Das ist auch eine klare Botschaft an Wladimir Putin: Das Preisschild dieses Krieges gegen unschuldige Menschen und der Bruch mit der Charta der Vereinten Nationen werden für das System Putin untragbar sein.
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Wir müssen – und das hat der Bundeskanzler unterstrichen – jetzt vieles gleichzeitig tun. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in der Ukraine schnell mit dem Nötigsten versorgt werden, mit medizinischen Gütern, mit sicheren Unterkünften. Dafür haben wir unter anderem unseren Beitrag zum humanitären VN-Hilfsfonds für die Ukraine um 5 Millionen Euro aufgestockt. Wir stellen für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz weitere Hilfe in Höhe von 10 Millionen Euro kurzfristig bereit. Wir werden uns mit allem, was wir haben, gemeinsam dafür einsetzen, dass die Menschen, die jetzt fliehen, alle in Sicherheit kommen. Dafür haben wir Vorbereitungen getroffen. Auch das ist unsere Stärke, nicht nur in der Europäischen Union, sondern gemeinsam mit unseren Freunden in Kanada, in Amerika und an vielen, vielen anderen Orten in der Welt: Wir lassen die fliehenden Ukrainerinnen und Ukrainer nicht im Stich.
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Und ja, auch an dieser Stelle müssen wir über Geld reden. Ich bitte um die Unterstützung, im anstehenden Haushalt diese humanitäre Hilfe dann auch so auszustatten, wie wir das für den Schutz der Menschen brauchen.
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Drei weitere Elemente sind entscheidend.
Erstens: Sanktionen. Die bittere Realität ist: Keine Sanktion kann diesen Wahn in diesem Moment stoppen. Wir hätten, wenn wir ein Sanktionsmittel hätten, das alles stoppt, natürlich dieses längst ergriffen. Aber was unsere Sanktionen leisten – und das ist zentral –, ist, Putin zu zeigen: Mittel- und langfristig wird dieser Krieg Ihr Land ruinieren. – Putins perfides Spiel ist auf Strecke angelegt; deswegen müssen das auch unsere Sanktionen sein, und deswegen müssen wir sicherstellen, dass uns nicht nach drei Monaten die Puste ausgeht, sondern diese Sanktionen müssen das System Putin im Kern treffen.
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Deswegen gehen sie Hand in Hand: wirtschaftlich, finanziell und individuell. Deswegen listen wir Herrn Putin selbst und Außenminister Lawrow. Sie tragen Verantwortung für diesen Krieg. Deswegen werden wir weitere Sanktionen auf den Weg bringen, mit Blick auf Banken, Oligarchen und Familienangehörige. Deswegen haben wir die SWIFT-Sanktionen – und ich kann verstehen, dass da einige etwas nervös geworden sind; aber ich bitte in diesen Zeiten um Vertrauen – so angelegt, dass sie das System Putin treffen und nicht als Bumerang auf uns zurückkommen, und das gemeinsam mit der internationalen Verantwortung, die wir jetzt gemeinsam zeigen müssen.
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Zweitens. Wir unterstützen unsere Bündnispartner im Namen der NATO; das hat der Bundeskanzler bereits deutlich gemacht. Die NATO ist der Garant für unsere Sicherheit und Freiheit. Dafür wurde sie gegründet, und daran hat sich nichts geändert.
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Und mein letzter Punkt: Ja, wir müssen Härte zeigen; aber wir stehen hier für das internationale Recht und die internationalen Regeln ein. Deswegen gehört in diesem Moment der Dialog immer mit dazu,
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nicht mit dem Aggressor, sondern mit der internationalen Gemeinschaft. Das muss jetzt unser absoluter Fokus sein. Es geht hier nicht nur um Europa. Kein Land der Welt kann akzeptieren, dass seine Souveränität zur Disposition steht, wenn sein stärkerer Nachbar es will.
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Dann hätte Putin gewonnen. Deswegen müssen wir uns jetzt gemeinsam mit allen Staaten, die wie wir an die Charta der Vereinten Nationen glauben, dieser Aggression entgegenstellen.
Deswegen appelliere ich auch hier an all unsere Partner weltweit, hier aus diesem geschichtsträchtigen Hohen Haus: Bekennen Sie nächste Woche Farbe in der Generalversammlung der Vereinten Nationen! Das ist unsere internationale Friedensordnung. Wir müssen sie jetzt gemeinsam verteidigen.
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Bei der Wahl zwischen Krieg und Frieden, bei der Wahl zwischen einem Aggressor auf der einen Seite und Kindern, die sich in U-Bahn-Schächten verstecken, auf der anderen Seite, da kann niemand neutral sein.
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Danke, dass wir das heute hier gemeinsam deutlich machen.
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Die nächste Rednerin spricht von der Tribüne: für die AfD-Fraktion Frau Dr. Alice Weidel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Russlands Angriffskrieg auf ein Nachbarland ist ein Rückruf in die raue Welt der Realpolitik. Das ukrainische Volk zahlt den Preis für den russischen Völkerrechtsbruch, für die Illusion der eigenen Führung und für die falschen Versprechungen des Westens.
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Es war ein verhängnisvoller Fehler, die Ukraine mit den unerfüllbaren Versprechen einer Mitgliedschaft in NATO und EU in eine aussichtslose Konfrontation und eine gefährliche Zerreißprobe zu locken.
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Klüger wäre es gewesen, auf Henry Kissinger zu hören, der schon 2014 richtig festgestellt hat – ich zitiere –: „… um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine niemandes Vorposten sein.“ Dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine eine rote Linie darstellt, deren Überschreiten Russland nicht hinnehmen würde wie die vorangegangenen NATO-Osterweiterungsrunden, liegt seit fast zwei Jahrzehnten klar auf dem Tisch.
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Unzählige Gelegenheiten wurden seither versäumt, einen Status gesicherter Neutralität für die Ukraine auszuhandeln, der den Sicherheitsinteressen aller Rechnung getragen und der Ukraine ermöglicht hätte, vom Zankapfel zu einer Brücke zwischen Ost und West zu werden.
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Stattdessen haben die Hardliner, gefangen in einer völlig überkommenen Logik des Kalten Krieges, starr an der Beitrittsperspektive für die Ukraine festgehalten und dabei überheblich Russland den Großmachtstatus abgesprochen. Das ist das historische Versagen des Westens: die Kränkung Russlands.
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Es ändert nichts an der Verwerflichkeit des russischen Einmarschs, aber das Verständnis aller Ursachen ist Voraussetzung für die Suche nach Lösungen.
Deutschland hat in seinem gegenwärtigen Zustand nichts aufzubieten, um den Worten auch Taten folgen zu lassen.
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Sanktionen, die den eigenen Bürgern am Ende mehr Schaden zufügen als denen, die damit gemeint sind, werden dem Krieg in der Ukraine kein Ende setzen können.
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Sie sind letztendlich Alibi- und Sanktionspolitik, so wie das Anstrahlen des Brandenburger Tores in den ukrainischen Nationalfarben.
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Die gescheiterte Energiewende, sehr geehrte Damen und Herren, hat uns in eine fatale einseitige Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen geführt,
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die kurzfristig, wenn überhaupt, nur zu astronomischen Kosten gelöst werden kann. Wer erklärt, wir seien bereit, dafür auch einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen, muss auch sagen: Es ist die Bevölkerung, die diesen Preis zu zahlen hat.
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Es hat im Übrigen auch Gründe, dass die USA nicht daran denken, auf ihre beträchtlichen Ölimporte aus Russland zu verzichten.
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Sicherheitspolitisch ist Deutschland ebenfalls ein Leichtgewicht geworden. „Und die Bundeswehr … steht … blank da“, gesteht sogar der Inspekteur des Heeres in selten gewordener Offenheit ein. Eine heruntergewirtschaftete Armee und eine marginalisierte Rüstungsindustrie, das ist das Erbe von 16 Jahren Angela Merkel, Herr Merz.
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Wer soll uns noch ernst nehmen, wenn wir uns wirtschaftlich und militärisch das Rückgrat brechen und uns statt mit realen Problemen mit Gender-Gaga und ideologischen Experimenten beschäftigen?
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Das ist grober Unfug.
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Wir müssen den Weckruf der Realpolitik hören. Wir brauchen Energiepolitik, die den Fokus auf Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit legt. Der Schlüssel dazu sind weder noch mehr Windräder noch Flüssiggas aus den USA, sondern der Wiedereinstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie. Wie denn auch sonst?
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Wir brauchen eine Bundeswehr, die die Fähigkeit zur Landesverteidigung zurückgewinnt. Das erfordert nicht allein mehr Geld, sondern vor allem eine strategische Wende, sehr geehrte Damen und Herren.
Und wir brauchen geopolitische Nüchternheit statt feministischer Außenpolitik.
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Haltung und schöne Worte sind kein Ersatz für Realpolitik. Auch nach diesem Krieg werden wir mit Russland immer noch auf einem Kontinent leben.
Die Herausforderung, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die das Ost-West-Blockdenken überwindet, ist nicht vom Tisch, aber sie ist schwieriger geworden. Deutschland kann und sollte hier eine wichtige Rolle als ehrlicher Makler spielen. Voraussetzung ist, dass wir die richtigen Konsequenzen ziehen und verlorenes Vertrauen, Souveränität und Handlungsfreiheit wieder aufbauen und uns bloß nicht unreflektiert in einen Krieg hineinziehen lassen, sehr geehrte Damen und Herren.
Ich bedanke mich.
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Nächster Redner: für die Bundesregierung Bundesminister Christian Lindner.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist Krieg in Europa. Was Geschichte war, ist Gegenwart geworden. Es ist Krieg in Europa. Der 24. Februar 2022 trennt das Vorher vom Nachher. Es reicht nicht mehr, über Freiheit und die Werte des Grundgesetzes, über internationale Zusammenarbeit und Solidarität zu reden. Jetzt ist die Zeit, die Werte des Grundgesetzes – Freiheit und internationale Solidarität – zu leben.
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Russland hat einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Das ist das Ende aller Hoffnung auf Frieden, und es ist auch das Ende aller Illusionen über Putins Russland. In dieser Zeit der Entscheidung ist Klarheit gefordert, wo wir stehen: Wir stehen in Solidarität an der Seite der Ukraine.
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Was haben wir hier gerade gehört? Was für ein Bild der Gründe, warum es zu diesem Krieg gekommen ist?
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Sagen wir es in aller Klarheit:
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Putin hat die Ukraine angegriffen,
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weil sich ein souveräner Staat in freier Selbstbestimmung dafür entschieden hat, seinen Weg nach Westen zu gehen.
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Die Ukraine ist ein souveräner Staat, und sie hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht, über ihre Zukunft zu entscheiden. Sie hat sich gegen Autoritarismus entschieden. Sie hat sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschieden – und dafür ist sie angegriffen worden.
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Der Angriff auf die Ukraine ist deshalb nicht nur der Überfall auf einen souveränen Staat. Es ist ein Angriff auf eine Werteordnung. Es ist ein Angriff auf uns alle.
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Wir waren und sind solidarisch mit der Ukraine, gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union und im Kreise der G 7. Deutschland hat in der Vergangenheit erhebliche finanzielle Mittel zur Unterstützung der Ukraine bereitgestellt, und das werden wir fortsetzen. Schon in dieser Woche werden wir im Kreis der G-7-Staaten beraten, was an zusätzlicher Hilfe nötig ist.
Wir sind aber zugleich auch entschlossen: Wir ziehen diejenigen mit den Mitteln des Rechts zur Rechenschaft, die Verantwortung dafür tragen, dass das Völkerrecht gebrochen wurde. Wir werden Russland isolieren – wirtschaftlich, finanziell und politisch.
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Wir treffen Russlands Banken. Wir treffen Russlands Oligarchen. Wir treffen Russlands Wirtschaft. Die Sanktionen, die wir beschlossen haben, sind auf Dauer angelegt. Wir brauchen einen langen Atem. Wir haben diesen langen Atem. Diese Sanktionen werden negative Auswirkungen auch auf uns haben. Aber wir sind bereit, diese negativen Auswirkungen zu tragen; denn sie sind der Preis der Freiheit.
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Die Bundesregierung unternimmt alles, um maximalen Druck auf Putin auszuüben und zugleich eine Schwächung unserer Position zu begrenzen.
Erstens. Wir haben sorgfältig, unter Federführung des Kanzleramtes, an finanziellen Sanktionen gearbeitet, die Putin keinen Vorwand bieten, notwendige Rohstofflieferungen auszusetzen, die auf der anderen Seite aber erreichen, dass es mit Russland wortwörtlich kein business as usual mehr geben wird.
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Und damit enden wir nicht. Die deutschen und europäischen Finanzbehörden, wir werden alles unternehmen, um Geldströme und Vermögenswerte derjenigen, die Putin unterstützen, zu identifizieren und einzufrieren.
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Zweitens. Wir werden Reserven bei Gas und Kohle aufbauen, um unsere Durchhaltefähigkeit auszubauen. Dafür haben wir Mittel im Milliardenbereich eingeplant.
Drittens. Die Bedeutung der Energiesicherheit erfährt eine neue Priorität. Unsere Planungen der nächsten Jahre werden wir an die veränderte Lage anpassen müssen. Dabei werden wir nicht auf die Antworten der Vergangenheit setzen, sondern im Gegenteil den Weg in die Zukunft entschlossener fortsetzen. Erneuerbare Energien leisten nämlich nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit und ‑versorgung. Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.
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Wir setzen auf Freiheitsenergien.
Viertens. Die Stabilität der öffentlichen Finanzen und die Handlungsfähigkeit des Staates müssen erhalten bleiben. Die Schuldenbremse gilt. Das Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte in Deutschland begründet eine unserer Stärken.
Fünftens. Die Anstrengungen, die vor uns liegen, sind enorm. Die Anstrengungen, die vor uns liegen, erfordern wirtschaftliche Stärke. Und deshalb ist auch eine Konsequenz aus der veränderten geopolitischen Lage, dass wir unsere eigene wirtschaftliche Substanz stärken und alles unterlassen, was diese wirtschaftliche Stärke reduziert.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben viele Jahre eine Friedensdividende genutzt. Die Bundeswehr wurde vernachlässigt. In diesen Tagen wurde noch über eine Taxonomie gesprochen, die Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt hätte. Der Krieg in der Ukraine weckt uns alle aus einem selbstgerechten Traum.
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Die Zeit der Vernachlässigung der Bundeswehr muss enden. Wir werden deshalb in der laufenden Finanzplanung und in jedem Haushaltsjahr die Mittel für den Verteidigungshaushalt erhöhen.
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Wir werden den laufenden Betrieb der Bundeswehr aus den laufenden Haushalten unter Achtung der Schuldenbremse finanzieren. Aber eine jahrelange, mindestens 15 Jahre dauernde Vernachlässigung der Bundeswehr
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kann man nicht von jetzt auf gleich im laufenden Haushalt korrigieren.
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Deshalb müssen wir zu einem anderen Mittel greifen. Um die Bundeswehr zu ertüchtigen, um notwendiges Material, um notwendige Technik anzuschaffen, werden wir – der Bundeskanzler hat es gesagt – ein Sondervermögen einrichten. 100 Milliarden Euro wollen wir dafür zur Verfügung stellen. Wir wollen dieses Sondervermögen im Grundgesetz absichern, um deutlich zu machen, dass die Verwendung nur und ausschließlich für die Stärkung unserer Bündnisfähigkeit gedacht ist. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Länder. Dafür brauchen wir die Unterstützung der CDU/CSU.
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Friedrich Merz, wir werden nicht danach fragen, wer die Verantwortung für den Zustand der Bundeswehr hat.
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Wir werden nicht mit dem Finger aufeinander zeigen. Aber wir erwarten, dass beim Blick in die Zukunft und bei der Schaffung einer Bundeswehr, die wieder ihren Bündnisverpflichtungen gerecht werden kann, die Opposition die Bundesregierung unterstützt.
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Ja, 100 Milliarden Euro neben den jährlichen Haushalten, das ist eine enorme Summe Geld. Sprechen wir es offen aus: Am Geld allein hat es nicht gemangelt, sondern wir werden auch über die Strukturen der Bundeswehr sprechen müssen,
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über ihren Auftrag, über die Möglichkeit, mit den Mitteln auch tatsächlich äußere Sicherheit zu garantieren.
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Für diese Debatte sind wir offen, und diese Debatte werden wir führen. Aber über die Investitionen in die Bundeswehr, lieber Friedrich Merz, sollten Sie sie nicht führen mit der Warnung vor neuen Schulden. Das sind in Wahrheit natürlich Kredite, die wir aufnehmen in den nächsten Jahren. Aber in dieser Weltlage sind es zunächst und zumeist Investitionen in unsere Freiheit.
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Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was sind das für mutige Menschen in der Ukraine, die für ihre Freiheit kämpfen, die in ihrem Land unsere westlichen Werte leben wollen! Sie nehmen uns auch in eine Verantwortung: Sie nehmen uns in die Verantwortung, dass auch wir hier unsere Werte ernst nehmen. Wir sind solidarisch mit der Ukraine, weil ein Volk über seine Zukunft frei entscheiden soll. Aber wir sind auch solidarisch mit der Ukraine, weil sie eine Inspiration für uns selbst ist.
Ich danke Ihnen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In den Morgenstunden des 24. Februar sind wir in einem Europa aufgewacht, das nie wieder so sein wird wie vorher.
Wir teilen natürlich klar die Auffassung, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Wladimir Putin hat den Verhandlungstisch mutwillig verlassen und bringt auf skrupelloseste Art und Weise ganz Europa und die Welt in die konkrete Gefahr eines Krieges. Dieser Angriffskrieg muss sofort beendet werden; die Soldaten müssen sofort zurückgezogen werden.
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Sie wissen, dass wir als Linke häufig das Verhalten der NATO kritisiert haben, die sich mehrfach nicht an Völkerrecht gehalten hat. Aber, um es unmissverständlich zu sagen: Dieser russische Angriff ist durch nichts zu relativieren, durch nichts zu rechtfertigen, Kolleginnen und Kollegen.
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In der Ukraine sterben Kinder, Frauen und Männer. Angstvoll drängen sich Menschen in U-Bahnhöfen, Familien werden auseinandergerissen, Wohngebäude werden zerstört. Hunderttausende sind auf der Flucht, vor allem Frauen und Kinder. Die Bilder, die uns täglich erreichen, sind unfassbar, schockierend. Bei vielen Menschen in ganz Europa, besonders bei den Älteren, die die Schrecken und das Leid des Zweiten Weltkrieges noch erlebt haben, wächst die Angst. Meine Tante Hilda aus Heide – sie ist 95 Jahre alt – rief vor ein paar Tagen an und sagte, sie hat wieder Angst vorm Krieg. Auch das ist erschütternd.
Kolleginnen und Kollegen, ich kann für mich persönlich, für meine Partei und sicher auch für viele hier im Raum sprechen, wenn ich sage: Wir haben das nicht für möglich gehalten. Diesen Angriff Russlands auf die Ukraine, diesen verbrecherischen Akt, den haben wir, wie auch viele Expertinnen und Experten, nicht erwartet. Für meine Partei Die Linke räume ich in aller Deutlichkeit ein, dass wir die Absichten der russischen Regierung falsch eingeschätzt haben.
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Das macht uns nachdenklich. Wir bewerten die Lage heute anders und sagen klar: Putin ist hier der Aggressor und muss sofort aufgehalten werden. Seine Großmachtfantasien, die dürfen nicht Realität werden.
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Wir stehen geschlossen an der Seite der ukrainischen Bevölkerung, an der Seite derer, die in der Ukraine um ihr Leben fürchten müssen, an der Seite derer, die sich auf der Flucht befinden und bei uns hier in Deutschland oder in angrenzenden Ländern Schutz suchen. Sie sind hier willkommen. Wir müssen uns gemeinsam mit den Ländern der Europäischen Union um diese Menschen kümmern.
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Für alle Menschen, die jetzt vor Krieg und Terror aus der Ukraine fliehen, braucht es eine unbürokratische Aufnahmeregelung und einen gesicherten Aufenthaltsstatus, Kolleginnen und Kollegen.
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Herr Scholz, dieses Bekenntnis habe ich in Ihrer Rede leider vermisst.
Wir sind auch solidarisch mit den mutigen Menschen, die zur Stunde in Russland Putin die Stirn bieten und für den Frieden demonstrieren.
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Sie werden verhaftet, sie riskieren Folgen, von denen heute keiner weiß, wie schwerwiegend sie für die Betroffenen sein werden. Diese Stimme des Friedens in Russland gegen Putin, die müssen wir stärken.
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Kolleginnen und Kollegen, wir stellen fest, dass wir in der Bewertung dieses Angriffs unter den demokratischen Fraktionen in diesem Haus große Einigkeit haben. Darum haben wir in unserem Entschließungsantrag viele Passagen Ihres Antrags auch wörtlich übernommen. Bei der Frage, was es jetzt zu tun gilt, sind wir allerdings in mehreren Punkten anderer Auffassung; denn was sich bei uns bei aller Nachdenklichkeit und Neubewertung der Lage nicht geändert hat, ist unsere tiefe Überzeugung, dass Abrüstung und Diplomatie der Weg zum Frieden sind.
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Darum können wir niemals zustimmen, dass Waffen in Krisengebiete geliefert werden und aufgerüstet wird.
Herr Scholz, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass es ein Sondervermögen geben soll: 100 Milliarden Euro. Das Grundgesetz soll dafür geändert werden. Ich muss es einfach in aller Deutlichkeit sagen: Dieses Hochrüsten, diese Militarisierung, die können und werden wir als Linke nicht mittragen.
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Über zivile Hilfe habe ich in Ihrer Rede leider auch nichts gehört, Herr Scholz. Frau Baerbock hat es gesagt. Selbstverständlich unterstützen wir es, dass im Haushalt dieser Posten zur Verfügung gestellt wird. Was denn sonst? Aber auf der einen Seite kommt ein Sondervermögen; auf der anderen Seite geht es um einen Haushaltsposten. Kolleginnen und Kollegen, da ist etwas in Schieflage; ich möchte es mal so deutlich sagen.
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Die Geschichte lehrt uns, dass Wettrüsten keine Sicherheit schafft. Wir müssen bei dem, was wir jetzt tun, nicht nur das Heute im Blick haben, sondern auch das Morgen und das Übermorgen. Und insbesondere die Notwendigkeit der atomaren Abrüstung auf allen Seiten ist doch heute dringlicher und deutlicher denn je.
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Zum Thema Sanktionen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass weder Putin noch seine Regierung noch die mächtigen Oligarchen, die hinter dem Angriffskrieg stehen, irgendeine Schonung verdient haben, genauso wenig wie die russische Rüstungsindustrie.
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Anders sieht es bei der russischen Bevölkerung aus. Das kann man nicht gleichsetzen; denn es gibt eine tiefe Kluft zwischen den extrem reichen und privilegierten Oligarchen und der breiten arbeitenden Bevölkerung. Da muss man differenzieren.
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Sanktionen, die die russische Führung und die Oligarchen treffen sollen, die finden wir sehr sinnvoll. Aber es wird sich leider zeigen – das muss ich Ihnen sagen –, dass die Sanktionen, die Sie jetzt vornehmen, viel weniger wirkungsvoll sein werden, als es nötig wäre, weil die Reichen und Mächtigen Russlands längst Mittel und Wege haben, sie zu umgehen, weil sie durch Gesetzeslücken und Mängel in der Geldwäschebekämpfung ihre Investitionen hier bei uns im Land, in Europa, im Rest der Welt verstecken können, zum Beispiel in einem Geflecht von Briefkastenfirmen, weil sie ihr Geld in der Schweiz oder in Steueroasen längst in Sicherheit gebracht haben. Das ist ein Problem, Kolleginnen und Kollegen.
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Aber dieses Problem kann und muss man jetzt angehen. Geldwäsche kann wirksam bekämpft werden. Steueroasen können ausgetrocknet werden. Das muss jetzt geschehen, damit die Sanktionen auch wirklich wirken können.
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Auch die russische Rüstungsindustrie darf nicht geschont werden. Darum brauchen wir sofort einen Lieferstopp für Güter, insbesondere im Hightechbereich, die für Rüstung verwendet werden können. Hier sind nach wie vor große Lücken, die dringend geschlossen werden müssen; denn auch hier drohen die Maßnahmen sonst zahnlos zu sein.
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Kolleginnen und Kollegen, beim Thema Sanktionen muss man sich aber auch ehrlich machen. Daher geht es ausdrücklich nicht, dass Einzelinteressen von einflussreichen Lobbys berücksichtigt werden, ohne dass es irgendeine sachliche Erklärung gibt. Wenn ich jetzt zum Beispiel erfahre, dass italienische Luxusartikel aus dem Sanktionskatalog herausfallen, dann muss ich mich schon fragen, welche Prioritäten hier gesetzt werden. Das geht so nicht.
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Kolleginnen und Kollegen, die Bilder, die wir jeden Tag sehen, die Meldungen, die wir hören, die machen uns betroffen, und wir sehen aktuell noch keinen Weg, wie die Menschen in der Ukraine schnell ein Leben in Frieden und Freiheit führen können. Ja, wir brauchen sofort einen Waffenstillstand. Auch wenn es uns aktuell vielleicht unmöglich erscheint, muss unser Handeln klar von dem Gedanken getragen sein, dass der Tag kommt, an dem man an den Verhandlungstisch zurückkehren muss. Eine Lehre sollte sein, dass wir uns unabhängiger machen, besonders von diktatorischen Regimen,
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und dass das Völkerrecht und die Menschenrechte wichtiger sind als wirtschaftliche Interessen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Rolf Mützenich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vom russischen Präsidenten befohlene Überfall auf die Ukraine ist eine entsetzliche Barbarei. Putin will ein Volk, eine souveräne Nation brechen. Er verantwortet wissentlich und willentlich Tod, Elend und Zerstörung. Wir trauern mit den Hinterbliebenen um die Opfer eines Kriegsverbrechens, das in diesen Minuten, in diesen Stunden und wahrscheinlich auch noch in den nächsten Tagen in vollem Gange ist. Das ist Putins Krieg.
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Diese Zäsur, meine Damen und Herren, bedeutet gleichwohl mehr: Der russische Präsident zerstört damit endgültig die internationale Ordnung, die wir nach dem Kalten Krieg errichten wollten. Vor wenigen Tagen hat sich die europäische Sicherheitsordnung, aber auch die internationale Politik grundlegend verändert.
Putins hochgerüstete Militär- und Atommacht verstößt abermals gegen das Interventions- und Gewaltverbot. Deshalb sage ich von dieser Stelle aus auch an die Welt: Heute ist eine Nation auf dem europäischen Kontinent das Opfer, morgen kann es auch ein Land in Zentralasien treffen, um die vermeintlich russischen Seelen einzusammeln. Wir müssen gemeinsam Putin die Stirn bieten, mit vielen Regierungen und mit vielen Menschen, soweit wir können.
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Meine Damen und Herren, der russische Überfall ist eine Rückkehr zu einer kriegerischen Großmachtpolitik. Es besteht die Gefahr eines Flächenbrandes. Wir sind der Bundesregierung und unseren Verbündeten deshalb dankbar für die klaren und eng abgestimmten Maßnahmen. Wir erhoffen uns die Unterstützung von weiteren Regierungen außerhalb des Westens. Zugleich bin ich sicher, dass die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung die Aggression verurteilt.
Vor diesem Hintergrund muss sich vor allem die chinesische Regierung fragen, wie lange sie die Spannung zwischen ihren außenpolitischen Grundsätzen und einer mitleidlosen Interessenpolitik noch aushalten kann. Präsident Xi, ändern Sie Ihren Kurs. Stoppen Sie den Krieg Putins. Nur dann kann China eine internationale Ordnung für den Frieden in Zukunft mit prägen.
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Es war richtig, dass der UN-Sicherheitsrat vor zwei Tagen versucht hat, die russische Aggression aufs Schärfste zu verurteilen und das Recht der Ukraine auf die territoriale Integrität und Souveränität zu bekräftigen. Russlands Veto ändert daran nichts. Putin hat sein Vetorecht moralisch und politisch verwirkt.
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Umso wichtiger ist jetzt die Überweisung der Resolution in die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Hier sind fast alle Länder versammelt, und das Haus der Staatenwelt könnte morgen ein deutliches Zeichen setzen. Auch dafür, meine Damen und Herren, müssen wir zusammenarbeiten – hier im Parlament, aber auch mit vielen Regierungen auf der Welt.
Putin sollte die Entschlossenheit und den Zusammenhalt der freien Staatenwelt nicht unterschätzen. Wir haben Sanktionen verhängt, die nicht nur die russische Wirtschaft und das Bankensystem, sondern auch Putin, seine Kriegstreiber und Hasardeure treffen.
Russland wird von den internationalen Finanzmärkten ausgeschlossen. Es wird die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen schmerzhaft spüren. Ich sage auch: Selbst wenn Russland über umfangreiche Devisenreserven verfügt und seine Kriegskasse gut gefüllt ist, sollen Putin und seine Handlanger wissen: Langfristig wird das Regime die Sanktionen spüren. – Das ist die klare Botschaft, die heute auch hier aus Berlin in Richtung Moskau ausgesendet wird.
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Dazu müssen wir in den kommenden Tagen einen noch größeren Unterstützerkreis schaffen. Das heißt dann aber auch – auch das sage ich sehr deutlich –: Unser Land ist bereit, die finanziellen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu tragen. Darüber darf sich niemand heute hinwegtäuschen.
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Ja, der Krieg in der Ukraine bedeutet das Scheitern aller bisherigen diplomatischen Bemühungen. Das ist schmerzhaft und bitter. Das sage ich auch gerade für jemanden wie mich, der bis zum Schluss alle diplomatischen Mittel nutzen wollte und benutzt sehen wollte. Deshalb danke ich Bundeskanzler Olaf Scholz und stellvertretend für die gesamte Bundesregierung Annalena Baerbock für die unermüdliche Arbeit ebenso wie dem französischen und dem amerikanischen Präsidenten, dem britischen Premier und allen unseren Freunden und Partnern, die nichts unversucht gelassen haben, Putin von diesem Schritt abzuhalten. Vielen Dank!
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Hervorheben möchte ich auch die weitgehende Einigkeit in diesem Haus: von der Diplomatie über Waffenlieferungen bis hin zum Bankensystem. Am Ende unserer Debatte werden wir zusammen mit der Union eine gemeinsame Resolution verabschieden. Das ist ein starkes Zeichen des Zusammenhalts in einer existenziellen Krise. Dafür möchte ich mich bei Ihnen, Herr Merz, ganz herzlich bedanken.
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Mit der Invasion wurden die Hoffnungen und die Arbeit für eine friedlichere Welt wahrscheinlich auf Jahrzehnte zurückgeworfen. Junge und nachfolgende Generationen werden uns dafür verurteilen, dass wir Älteren es nicht vermocht haben, eine bessere Welt zu schaffen, sei es beim Klima, bei der Armut oder bei Militär und Rüstung. Ich kann für viele hier in diesem Haus versprechen: Solange wir können, müssen wir diese Schuld abtragen.
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Die um sich greifende Missachtung internationaler Normen, die einseitige Kündigung von Abrüstungsverträgen und das eigenmächtige verstörende Auftreten mancher Staatschefs in den letzten Jahren haben die Welt nicht sicherer gemacht. Nichts rechtfertigt Putins Krieg. Wir müssen ihm Grenzen setzen und neue russische Aggressionen eindämmen. Dafür braucht es beides: eine glaubhafte Verteidigung, aber eben auch gemeinsam eine kluge Außenpolitik.
Deswegen: Ja, wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Unsere Streitkräfte müssen die Ausrüstung bekommen, die sie brauchen. Deswegen haben wir in den vergangenen Jahren den Verteidigungshaushalt erhöht, und wir werden das auch in Zukunft verantwortungsvoll tun, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Gleichzeitig – auch das sage ich in voller Kenntnis der großen Herausforderung – müssen wir – Kollege Lindner hat darauf hingewiesen – das Geld besser und effizienter einsetzen,
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auch innerhalb der Europäischen Union und der NATO.
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Allein wir Europäer geben jährlich über 200 Milliarden Euro für Verteidigung aus. Deswegen sind wir überzeugt: Eine effiziente Verteidigungspolitik, meine Damen und Herren, darf sich nicht in Etatansätzen erschöpfen.
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Auch wenn wir uns heute auf die Wehrhaftigkeit konzentrieren müssen, dürfen wir die anderen Elemente einer gerechten und demokratischen Sicherheitspolitik nicht vernachlässigen. Deshalb war es ein gutes Zeichen, dass wir noch am Tag des russischen Angriffs zusätzlich 5 Millionen Euro für den Ukraine-Hilfsfonds der Vereinten Nation bereitgestellt haben. Dies ist eine Botschaft an die Kriegsflüchtlinge, an die Binnenflüchtlinge in der Ukraine, aber auch diejenigen, die versuchen, nach Europa zu kommen: Wir stehen ihnen in schwerer Not zur Seite, auch durch die Aufnahme ihrer Staatsbürger in die Länder der Europäischen Union.
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Unser Respekt und unsere Anerkennung gelten am Schluss meiner Rede den mutigen russischen Staatsbürgern, die öffentlich oder im Sinn des zivilen Ungehorsams die Barbarei ihres Präsidenten verurteilen. Sie zeigen damit der Welt, dass es ein anderes Russland gibt, ein Russland, das Teil der Völkergemeinschaft sein möchte und in Frieden mit seinen Nachbarn leben will.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Krieg ist im 21. Jahrhundert in die Mitte Europas zurückgekehrt. Das Unmögliche ist Wirklichkeit geworden. Ich weiß nicht, was überwiegt, wenn man die Bilder sieht, wie Leben von jungen Menschen in Uniformen, von Frauen und Kindern in der Zivilbevölkerung zerstört wird: Ist es Trauer, oder ist es Wut, die einen erfasst? Aber eines überwiegt sicher: Größer als der Hass Putins auf die Ukraine ist unsere Solidarität mit den Menschen und dem Volk der Ukraine, meine Damen und Herren.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung aus unserer Sicht richtig dargelegt, dass der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Finanzsystem jetzt notwendig ist. Sie haben richtig dargelegt, dass die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu unterstützen ist und wir Waffen zu liefern haben. Sie haben uns bei diesen Maßnahmen an Ihrer Seite, sowohl, was das Finanzsystem anbelangt, als auch, was die Lieferung von Verteidigungswaffen an die Ukraine betrifft.
Wir haben seit mehreren Tagen festgestellt, dass unsere Partner in Europa dieses Vorgehen auch von Deutschland eingefordert haben, und wir wollen im Gleichklang mit unseren europäischen und amerikanischen Partnern handeln. Um dies deutlich zu sagen: Es darf auch bei weiteren notwendigen Maßnahmen keinen Sonderweg Deutschlands als Land mit dem Fuß auf der Bremse geben. Dann haben Sie uns weiterhin an Ihrer Seite, Herr Bundeskanzler.
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Um auch das klarzustellen, für alle unmissverständlich, weil es natürlich große Debatten auch in der Öffentlichkeit gibt, wenn wir Waffen in Kriegsgebiete liefern: Es geht uns bei diesen Lieferungen von Waffen nicht darum, Krieg zu führen. Es geht darum, Verhandlungen wieder zu ermöglichen und es zu schaffen, dass diejenigen, die angegriffen werden, sich auch wehren können, meine Damen und Herren.
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Putin hat den Frieden in Europa zerstört. Wir müssen einsehen, dass unsere Idee „Frieden durch Handel, durch wirtschaftliche Verflechtung“ nicht funktioniert hat. Wir waren uns sicher, dass der gemeinsame Austausch von Waren, dass der Handel automatisch zu einem friedlichen Miteinander führt. Es ist auch nicht und es war auch nicht falsch, daran zu glauben; aber es hat schlichtweg nicht ausgereicht. Frieden zu sichern, braucht mehr als wirtschaftliche Stärke. Frieden zu sichern, braucht auch starke Sicherheitsgarantien und braucht eine starke Verteidigungsfähigkeit, meine Damen und Herren.
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Ich hoffe, dass wir in diesem Parlament einer Meinung sind: Putin hat nicht nur den Frieden Europas zerstört, Putin hat auch die Friedensdividende zerstört. Politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich haben wir in der Vergangenheit von dieser Friedensdividende profitiert.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sätze, die es in diesem Parlament gegeben hat, die geheißen haben: „Immer mehr Ausrüstung kann nicht die Antwort sein“, passen nicht mehr in diese Zeit. Die Antwort muss zwingend heißen: Mehr Ausrüstung, mehr Militärtechnik und vor allem mehr Wertschätzung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten und der Bundeswehr!
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Und ja, es hat sich abgezeichnet, dass die wachsende Zahl der Aufgaben, die auf die Bundeswehr zukamen, und die Mittel, die dafür bereitgestellt worden sind, nicht zusammenpassen. Ja, es hat sich abgezeichnet, in der Tat. Der 24. Februar – das muss jedem klar sein – ist die Zäsur, die zeigt, dass Landes- und Bündnisverteidigung wieder allerhöchste Priorität haben muss. Wie viele Länder in Europa verlassen sich auf Deutschland, wenn es um die Bündnisgarantien geht! Und wie viele in Deutschland, auch in der Politik, glaubten, dass die Sicherheitsgarantien im Bündnis alleinige Aufgabe der Vereinigten Staaten von Amerika sind? Ich frage Sie: Wenn wir nicht die Sicherheit in Europa garantieren wollen, warum sollten es dann die Vereinigten Staaten von Amerika tun?
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Deswegen will ich an dieser Stelle schon auch sagen: Wenn man dem zuhört, was hier von der linken Seite kommt – was letztlich alles infrage stellt, was wir gerade hier diskutieren,
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zur Verteidigungsfähigkeit und Wehrfähigkeit Europas, zur NATO und zur Bundesrepublik Deutschland –, glaube ich, wir sollten das gemeinsame Bekenntnis abgeben: Wir brauchen für unsere Verteidigungsfähigkeit auch die nukleare Teilhabe.
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Es ist unverantwortlich, diese nukleare Teilhabe infrage zu stellen, meine Damen und Herren.
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In den letzten Tagen und Wochen war immer wieder zu hören und auch zu lesen, Putin sei stark und der Westen sei schwach. All denjenigen, die so etwas gesagt oder geschrieben haben, kann ich nur sagen: Unsere Stärke ist nicht einfach nur militärisch, unsere Stärke ist vor allem auch demokratisch. Wenn der Westen schwach wäre, dann würde Putin ihn nicht fürchten und würde nicht versuchen,
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Länder wie die Ukraine dazu zu bringen, sich ihm anzuschließen. Wir sind deswegen stark, weil wir für Demokratie, für Wohlstand und für Freiheit stehen. Das sind die Werte, die Putin seinem eigenen Volk vorenthält, deswegen fürchtet er uns, meine Damen und Herren.
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Europäische Union und NATO sichern Freiheit und Wohlstand ihrer Mitglieder; deswegen wollen gerade auch die Länder aus dem ehemaligen Ostblock sich uns anschließen. Und sie wollen es auch deswegen tun, weil sie den Unterschied kennen zwischen einer Partnerschaft in der EU und der NATO und einer Partnerschaft mit Putin: Wir wollen, dass unsere Freunde und Partner auf eigenen Beinen in Freiheit stehen können; Putin will, dass sie sich in den Staub werfen, meine Damen und Herren.
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Vor 70 Jahren, im Februar 1952, hat der Deutsche Bundestag eine Debatte über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland geführt. Es ging damals um die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. „Friedenspolitik heißt … Verzicht darauf, politische Ziele mit Gewalt durchsetzen zu wollen“, hat damals Franz Josef Strauß gesagt und weiter erklärt: „Friedenspolitik heißt aber auch, einem … Angreifer klar zu machen, dass sein Angriff auf den … Gesamtwiderstand Europas … stoßen wird.“ Dieser Satz ist heute so richtig wie damals. Wir können den Angriff auf die Ukraine nicht mehr verhindern; aber wir können dafür sorgen, dass das nicht so weitergeht. Krieg und Gewalt dürfen schlichtweg nicht das letzte Wort in der Geschichte haben, meine Damen und Herren.
Gott schütze die Ukraine!
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Nächster Redner: für die Bundesregierung der Bundesminister Dr. Robert Habeck.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie auch mir noch ein paar einordnende Bemerkungen zur Situation, zum Handeln der Bundesregierung und zu diesen Tagen, Wochen, Stunden und zu dieser Plenardebatte, die sicherlich in zehn Jahren als historisch beurteilt werden wird.
„Ukraine“ heißt „Grenzland“: ein Land am Rand von Europa – so sagt es der Name –, ein Land am Rand von Russland. Immer wieder wurde seine territoriale Integrität zerstört, wurde seine territoriale Integrität nicht geachtet, wurde es erobert. Ein Land, das eine so wechselvolle Geschichte als Randland, als Grenzland, wie es der Name ja schon sagt, erlebt hat, hat natürlich manchmal Probleme, seine eigene Staatlichkeit zu entwickeln. Aber der seit 30 Jahren bestehende Wille der Menschen in der Ukraine, für die Freiheit und für die Demokratie einzutreten, ist unerschütterlich geblieben. Wir reden hier nicht allein über die Grenzfragen; wir reden darüber, ob der Wille zu Freiheit und Demokratie, der Selbstbestimmungswille dieses Landes, erhalten und verteidigt wird. Das bedeutet die Auseinandersetzung, die wir eigentlich gerade diskutieren, und das rechtfertigt auch die unbestreitbare Solidarität dieses Hauses und dieser Bundesregierung mit der Ukraine.
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Es ist die Freiheit, die Putin fürchtet. Er hat es selbst gesagt in einer Nebenbemerkung bei einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Macron, als er ein russisches Kinderlied zitiert hat, das Mädchen manchmal beim Kämmen der Haare vorgesungen wird, wenn es ziept. Das ist aber auch ein Synonym für Vergewaltigung: Die Ukraine solle sich nicht so anstellen, sie würde jetzt halt vergewaltigt werden. – So hat der Präsident gesprochen. Er weiß, was er tut. Und wer bei einer militärischen Vergewaltigung zuschaut, macht sich schuldig. Deswegen müssen wir handeln, und wir müssen unsere Position so stark machen, dass wir der Ukraine in dieser Stunde der militärischen Vergewaltigungsnot helfen.
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Es sind, rückwirkend gesehen, sicherlich Fehler gemacht worden, und auch diese gilt es aufzuarbeiten. Das tun wir gerade. Wenn man in der Ukraine war, dann hat man an allen Ecken die Frustration darüber gespürt, dass die Haltung des Westens offen, unklar war: Die Tür ist offen, aber ihr dürft nicht durch. Wir halten an unseren Prinzipien fest, aber bezahlen sollen andere den Preis.
Wir wollen gute Partnerschaft und Handel durch Wandel, aber wir sind nicht achtsam genug, um zu sehen, in welche Abhängigkeit wir geraten, beispielsweise durch die hohe energiepolitische Abhängigkeit Deutschlands von russischen Öl-, Kohle- oder Gasimporten. Man hatte also genug warnende Stimmen, und wir waren politisch nicht wachsam und nicht klar genug, um darauf zu antworten.
Umgekehrt ist die deutsche Geschichte eine schwere Hypothek. Ukraine, Russland, Polen, Belarus: Wir wissen ja gar nicht, bei welchem Land wir uns zuerst entschuldigen sollen aufgrund all der Massaker, der Angriffskriege und des Wütens von Deutschen in diesen Ländern. Insofern achte ich – und ich achte es hoch – eine Position des unbedingten Pazifismus, die sich sicherlich auch aus dieser Geschichte ableitet und sagt: Wir können nicht weiter die nächste Schuld auf uns laden.
Ich achte sie, aber ich halte sie für falsch; denn schuldig werden wir trotzdem. Wir kommen nicht mit sauberen Händen aus der Sache raus. Deswegen ist die Korrektur, die die Bundesregierung gemacht hat, also die Bereitschaft, Waffen zu liefern, richtig. Sie ist richtig, weil nur eine Position, die sagen würde: „Nur wenn niemand Waffen liefert, ist alles richtig; also lassen wir die Ukraine alleine, hoffen wir darauf, dass sie schnell überrannt wird“, die logisch konsequente Position wäre. Diese Position können wir aber aus den genannten Gründen nicht einnehmen. Deswegen, so schwer es ist: Es ist die richtige Positionierung und die richtige Entscheidung.
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Sie ist richtig, aber ob sie gut ist, das weiß heute keiner. Ich weiß es auch nicht. Ich habe mich immer sehr offen dafür gezeigt, diesen Schritt zu gehen. Denn wer weiß schon, wie sich dieser Krieg entwickelt? Und wer weiß, ob aus dieser Entscheidung heraus nicht weitere Entscheidungen getroffen werden und wir nicht irgendwann lauter Waffen für einen dauerhaften, langen Krieg in Europa liefern?
Auch das ist möglich. Wir müssen uns deswegen von der Grundprinzipienfrage leiten lassen, warum wir uns solche schweren, auch uns an die Grenze führenden Entscheidungen zumuten. Diese Antwort kann nur in der Solidarität mit der Freiheit und der Demokratie der Völker und der Menschen stehen, die für diese kämpfen. Das kann aber Konsequenzen haben. Die Bundesregierung wird – auch ich in meinem Amt – alles, wirklich alles dafür tun, Konsequenzen für Deutschland und Schaden vom deutschen Volk fernzuhalten.
Wir werden also für die Bereiche der Wirtschaft, die möglicherweise von Sanktionen betroffen sind, ähnliche Schutzmaßnahmen treffen, wie wir es in der Coronapandemie getan haben. Wir werden die Reserven für Kohle, Öl und Gas hoch halten und sind schon längst dabei. Wir werden aber auch den Ausstieg aus der Verbrennung von fossilen Energien deutlich beschleunigen müssen und an dieser Stelle nicht mehr über Jahrzehnte reden.
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Wir werden also einen Ausstiegsplan aus den fossilen Energien vorlegen und mit großer Kraft umsetzen. Wir werden das Gesetz, mit dem beschlossen werden soll, die Speicher voll zu halten, zeitnah vorlegen. Ich werde auf die Fraktionen zugehen und sie bitten, dieses Gesetz einzubringen, damit wir möglichst wenig Zeit verlieren.
Wir werden einen Hochlauf von Wasserstoff und erneuerbaren Energien brauchen. Es ist gut, in die militärische Sicherheit zu investieren, aber lassen Sie mich an dieser Stelle klar sein: Die Energieversorgung und die Souveränität der Energieversorgung ist ebenfalls eine Frage von nationaler Sicherheit geworden. Auch darin werden wir investieren müssen.
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Der Krieg ist in Russland nicht populär. Es gibt Demonstrationen dagegen in etwa 50 Städten. Über tausend Menschen sind allein am ersten Tag verhaftet worden. Man riecht sie förmlich, die Angst der Potentaten, die Angst von Putin vor seinem eigenen Volk. Und wenn wir uns klarmachen, worüber wir entscheiden, dann sehen wir, was hier den systemischen Unterschied macht und was diese Tage markiert.
Es ist die Angst der Potentaten vor ihren eigenen Menschen, die den Unterschied macht. Es ist die Angst der Autoritären vor ihrer eigenen Bevölkerung, die den Unterschied macht. Hier die Angst der Machthaber – dort der Mut zur Freiheit, die Hoffnung auf Selbstbestimmung, der Mut, auf die Straße zu gehen. Das macht den Unterschied aus.
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Es ist die Provokation der Freiheit, die Putin und die Seinen nicht aushalten. Insofern ist es eine Systemfrage, vor der wir heute stehen. Denken wir nicht nur bis zur Grenze – denken wir darüber hinaus. Seien wir in Zukunft wachsam und nicht arglos. Wenn Wachsamkeit der Preis der Freiheit ist, dann wollen wir nicht wieder schlafmützig sein. Setzen wir also auf die Freiheit! Vertrauen wir auf die Menschen und die Menschlichkeit!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister Dr. Habeck. – Nächster Redner ist der Kollege Tino Chrupalla, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Lassen Sie mich zu Beginn eine Feststellung treffen und allen Vorrednern dahin gehend recht geben: Russland hat die Ukraine angegriffen, und wir haben wieder Krieg in Europa. Das bestürzt mich als Politiker, als Bürger Deutschlands und als Familienvater zutiefst.
Fest steht, dass die Konfliktursachen mindestens acht Jahre zurückliegen und komplex sind. Es darf in diesen Tagen aber nicht unser Ziel sein, den einen Schuldigen auszumachen. Wir müssen die Diskussion auch zu einer Lösung, zu einer gemeinsamen Zukunft führen.
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Im Mittelpunkt sollten dabei Deutschland und seine Bürger genauso stehen wie die Rolle der europäischen Staaten und Völker. Russland ist ebenso Teil dessen wie die Ukraine. Herr Lindner, es gibt immer Hoffnung, auch Hoffnung in einem Krieg. Russland ist ebenso wenig Wladimir Putin wie Deutschland Frank-Walter Steinmeier ist. So einfach ist das nicht.
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Wir dürfen gerade in diesen Tagen Russlands Beitrag für Deutschland und Europa nicht vergessen. Auch dadurch wurde vor 32 Jahren die deutsche Einheit ermöglicht, untermauert durch den Abzug russischer Truppen im Jahr 1994. Dem müssen wir Respekt zollen, und das sage ich ganz bewusst auch als Ostdeutscher. Wir danken Russland bis heute dafür.
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Liebe Kollegen, Schuldzuweisungen und Schuldzuschreibungen erzeugen keine Lösungen, sondern heizen den Konflikt immer weiter an. Vielmehr stimme ich allen Rednern zu, die sich für Deeskalation und Entschärfung in Worten und Taten starkmachen, und ich rufe selbst zur Mäßigung auf. Wir alle wollen Frieden in Deutschland und Europa. Deshalb, werte Bundesregierung, versammeln Sie bitte alle Partner am Verhandlungstisch. Verlassen Sie den Denkkorridor des Ost-West-Konfliktes, und skizzieren Sie eine gemeinsame Zukunft des europäischen Kontinents. Dafür müssen wir im Dialog bleiben.
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Mögliche Lösungen setzen Zugeständnisse auf beiden Seiten voraus. Herr Scholz, Sie haben heute mit Ihrer Rede leider den Kalten Krieg reaktiviert; das muss ich so deutlich sagen.
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Leider sehe ich im Moment – das habe ich in den Vorreden alles schon gehört – einen Überbietungswettbewerb darin, am schnellsten und am effektivsten die Brücken nach Osten abzubrechen, zum Beispiel die Geldströme oder Nord Stream, wie Herr Bundeskanzler Scholz das möchte, oder Verkehrswege, sodass Aeroflot bei uns nicht mehr landen darf. Da muss man wirklich die Frage stellen: Wem nutzt das? Wem nutzt das, und welche Folgen erkaufen wir uns damit? Herr Merz, Sie haben vorhin von „Interessen“ gesprochen. Welche Interessen Sie verfolgen, wissen wir alle. Deutsche Interessen sind es definitiv nicht.
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Wir müssen uns fragen: Welche sozialen Folgen hat Ihre Politik für die deutschen Bürger? Diese müssen schon jetzt überall mit steigenden Preisen leben lernen, Stichworte: Benzinpreise, Heizkosten, steigende Inflation. Denken Sie bitte auch daran, welche Signale Sie den nachfolgenden Generationen geben. Wollen Sie allen Ernstes die Bundesregierung sein, die wieder Soldaten in einen Krieg gegen Russland schickt? Das lehnen wir ebenso wie die Lieferung von Waffen in Kriegsgebiete ab.
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Werte Kollegen, wir als Deutschland in der Mitte Europas sind leidgeprüft. Gerade wir könnten mit unseren Erfahrungen eigenständig und selbstbewusst für ein stabiles, sicheres Europa auftreten und in diesem Konflikt neutral vermitteln. Deshalb rufe ich der Bundesregierung zu: Planen Sie nicht, wie wir Beziehungen verschlechtern, sondern wie wir Wohlstand, Sicherheit und eine friedliche Koexistenz aller Nationen von Wladiwostok bis Lissabon garantieren können!
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Wir brauchen Stabilität. Es darf auf keinen Fall darin münden, dass Sie schon jetzt die nächste Migrationswelle planen.
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Wer die Ukraine wie wir als eigenständigen Staat betrachtet, muss sich auch für diesen einsetzen und nicht dessen Destabilisierung begünstigen.
Meine Damen und Herren, bei allem Streit für das Gute entpuppt sich eine scheinbar klare Position für Freiheit und Demokratie auch mal als Sackgasse. Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, soll sich von russischer Politik distanzieren, weil er Russe ist. Ich weiß nicht, Herr Merz, ob er für Sie auch ein Repräsentant Russlands ist. Er soll sich bis Montag entscheiden, ansonsten wird ihm sein Arbeitsplatz gekündigt. Ist das ein Einzelfall, oder werden bald alle russischen Bürger in Deutschland in Sippenhaft genommen? Das ist wirklich unfassbar.
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Diese Forderung stammt vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister Münchens, Dieter Reiter. Ideologiegetriebene Cancel Culture für Freiheit und Demokratie! Wie ist dazu die Position der Bundesregierung, Frau Staatsministerin Roth? Wen glaubt man denn damit zu treffen, etwa Putin? Das ist reine Machtsymbolik und unangemessen. Die Zeiten, in denen Auge um Auge, Zahn um Zahn galt, sind vorbei.
Meine Damen und Herren, ebenso wichtig wie die deutsch-französische muss die deutsch-russische Freundschaft sein. Gegenseitige Achtung und Respekt sind die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Stabile Verhältnisse auf dem europäischen Kontinent sind dabei in unserem Interesse.
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Ein neues Wettrüsten lehnen wir ab. Deswegen: Diese 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, Herr Scholz, sind wirklich irre. Als Fraktionsvorsitzender und Bundessprecher der Alternative für Deutschland werde ich mich persönlich weiterhin für den Dialog mit allen Verhandlungspartnern und für den Frieden einsetzen.
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, nächster Redner ist der Kollege Christian Dürr, FDP-Fraktion.
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Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich nicht darauf eingehen – nicht dass wir Worte der Anteilnahme für das ukrainische Volk von der AfD erwartet hätten –, aber: Die Realität in Europa so zu verzerren, wie Sie es gerade getan haben, Herr Chrupalla, ist niederträchtig.
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Ich will Ihnen auch sagen: Die Bundesrepublik Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie, und zwar nach außen – das beweist die Mehrheit des Deutschen Bundestages gerade –, aber auch nach innen gegen die Feinde der Demokratie, um das in aller Klarheit zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wladimir Putin führt einen Angriffskrieg mitten in Europa. Die Ukraine hat Putins Krieg nicht provoziert. Es gab in keinem Moment eine glaubwürdige Bedrohung für Russland durch die Ukraine. Wladimir Putins Begründungen für diesen Krieg sind auf Desinformation, auf Propaganda und auf Lügen gebaut. Es grenzt an Zynismus, wenn der russische Präsident behauptet, Ziel seines Angriffs sei eine „Entnazifizierung“ der Ukraine. Es ist gelogen, wenn er behauptet, im Donbass verübe die Ukraine einen „Genozid“ oder die Ukraine wolle Nuklearwaffen, um Moskau zu bedrohen. Meine Damen und Herren, wahr ist: Wladimir Putin ist der Aggressor in diesem Konflikt, und das muss deutlich ausgesprochen werden.
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Der russische Präsident bricht mit seiner Entscheidung zum Angriff auf die Ukraine aufs Schwerste das Völkerrecht. Er bricht alle grundlegenden Regeln der internationalen Ordnung: die KSZE-Schlussakte von 1975, die Charta von Paris von 1990, das Budapester Memorandum von 1994, die NATO-Russland-Grundakte von 1997, den 2008 verlängerten Freundschaftsvertrag der Ukraine mit Russland und die Charta der Vereinten Nationen. Meine Damen und Herren, wer all das bricht, ist ein Verbrecher.
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Deshalb ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag diesen Angriffskrieg des russischen Präsidenten auf das Schärfste verurteilt. Wir dürfen nicht schweigen, wenn ein souveränes Mitglied der Staatengemeinschaft angegriffen wird. Deshalb ist es richtig, dass die internationale Gemeinschaft harte Konsequenzen zieht und umfassend Sanktionen verhängt: gezielte Sanktionen, insbesondere auch gegen die Person Wladimir Putin und sein Umfeld, um die Oligarchen und seine Unterstützer zu treffen.
Ich will in Richtung des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers sagen: Es war in der gestrigen Nacht eine richtige Entscheidung, das scharfe Schwert zu ziehen und Russlands Banken von SWIFT abzukoppeln. Sie haben in dieser Frage die ausdrückliche Unterstützung des Deutschen Bundestages, Herr Finanzminister und Herr Bundeskanzler.
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Das Gleiche gilt für die Waffenlieferungen, die in der gestrigen Nacht entschieden worden sind. Jedes freie Volk hat, wenn es angegriffen wird, das Recht, sich zu verteidigen. Unsere Solidarität gilt an dieser Stelle der Ukraine – eben auch über diesen Weg. Da kämpfen Menschen gerade um ihr Leben und Überleben. Soldaten verteidigen ihr Land. Deswegen ist es richtig, dass wir die Ukraine mit Waffenlieferungen zur Verteidigung des eigenen Landes und von Menschenleben unterstützen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich will auf einen Punkt Ihrer Rede eingehen, Herr Merz; wir haben in den letzten Tagen miteinander gesprochen. Ich fand es ausdrücklich gut und hilfreich, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt hat, sie unterstütze die Bundesregierung bei dem, was jetzt vor uns liegt. Das ist ein schwerer Weg für unser Land. Für diese Kooperation, diese Einmütigkeit danke ich Ihnen.
Sie haben in Ihrer Rede gerade gesagt: Wir stehen vor einem Scherbenhaufen der Sicherheitspolitik. – Ich teile diese Einschätzung. Es geht – Christian Lindner hat es vorhin gesagt – dabei nicht um Schuldzuweisung, sondern es geht um gemeinsame Verantwortung. Deswegen, Herr Merz, fordere ich Sie auf: Tragen Sie diese gemeinsame Verantwortung! Der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister haben eben Vorhaben skizziert, wie wir die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes im NATO-Bündnis stärken. Ich fordere Ihre Fraktion auf, dem beizutreten und das auch mehrheitlich zu unterstützen, sollte eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag für eine Grundgesetzänderung nötig sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Bundeskanzler, Herr Finanzminister, liebes Kabinett, ich habe das starke Gefühl, Sie haben für das, was Sie hier vorgetragen haben, die große Mehrheit des Deutschen Bundestages hinter sich, und das ist vor dem Hintergrund dieses Konflikts ein ganz wichtiges Signal in die Welt.
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Weil uns das alle bewegt, will ich an dieser Stelle sagen: Ein Europa, in dem Streit nicht mit Krieg, sondern friedlich gelöst wird, ist ein Europa, wie wir es uns vorstellen. Es ist ein Europa, zu dem auch Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat, es aufzubauen. Viele haben gesagt: Putins Angriff ist ein Angriff auf ganz Europa. – Doch es ist in Wahrheit vielmehr ein Angriff auf die gesamte Menschheit, auf das Grundrecht jeder Person, in Frieden und Freiheit zu leben.
Wir stehen an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts, in dem diese hart erkämpften Rechte weltweit bedroht werden. Deswegen ist der Krieg in der Ukraine ein Krieg für die Rechte aller Menschen, überall. Hinter der Ukraine stehen nicht nur die Europäische Union und Europa, sondern die ganze demokratische Welt sowie all diejenigen, die woanders gegen autokratische Staaten und für Freiheit kämpfen.
Meine Damen und Herren, es geht um die Freiheit in der Welt. Deswegen steht die Bundesrepublik Deutschland als liberale Demokratie an der Seite des ukrainischen Volkes. Herr Botschafter, ich will Sie an dieser Stelle direkt ansprechen: Der Deutsche Bundestag und die Menschen in Deutschland leiden derzeit mit Ihrem Volk. Wir stehen solidarisch an der Seite der demokratischen Institutionen und des ukrainischen Volkes; auch das ist eine Botschaft der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am heutigen Tage, Herr Botschafter.
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Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich auch ein Wort an das russische Volk richten. Ich weiß, dass viele gerade überlegen, auf die Straße zu gehen. Viele Menschen in Russland sind bereits verhaftet worden, weil sie sich gegen das autokratische Regime von Wladimir Putin stellen. Wir wollen den Menschen in Russland an dieser Stelle auch sagen: Wir haben höchsten Respekt vor denjenigen, die sich gegen Wladimir Putin auflehnen, die in den letzten Tagen laut gegen den Krieg in der Ukraine gesprochen haben und in Russland auf die Straßen gehen. Auch diese Menschen haben unsere ausdrückliche Solidarität, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir als Deutsche, wir als Europäer dürfen uns nicht kleinreden. Europa ist ein Sehnsuchtsort. Unser demokratisches System ist ein Symbol der Hoffnung für viele. Gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir stärker als die Kraft der Autokratie und der Kriegstreiberei.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. – Als nächste Rednerin erhält die Kollegin Saskia Esken, SPD-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der russische Machthaber Wladimir Putin hat mit abscheulicher Arroganz das Völkerrecht gebrochen und die Ukraine überfallen. Putin hat den Krieg und das Blutvergießen in Europa wieder ins Hier und Jetzt geholt, in ein Hier und Jetzt, an dem ganz Europa aus Verantwortung vor Krieg und Leid in unserer Geschichte gemeinsam gearbeitet hat, damit es uns, unseren Kindern und Enkeln heute und morgen ein Leben in Frieden ermöglicht.
Doch nun haben wir Krieg in Europa. Dieser Krieg ist Putins Krieg. Putin führt diesen Krieg gegen die Ukraine. Doch vor allem führt er diesen Krieg gegen das, was er als Diktator am meisten fürchtet: Demokratie und Freiheit. So stehen die Farben der Ukraine, die Farben Europas heute auch für Demokratie und Freiheit. Sie sind stärker als das autoritäre Weltbild des russischen Diktators.
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In Russland, in Georgien, in ganz Europa gehen Menschen gegen diesen Krieg und für den Frieden auf die Straßen. Putin führt auch Krieg gegen die Menschen im eigenen Land. Tausende wurden festgenommen, die Proteste durch die russische Staatsgewalt brutal niedergeschlagen. Die Friedensdemonstrationen, wie sie gerade heute in Berlin und anderswo in Deutschland und in Europa stattfinden, geben auch denjenigen eine Stimme, die nicht sprechen können, ohne ihr Leben zu gefährden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht erst seit Putins Überfall sind Menschen in unserer Mitte in großer Sorge um ihre Mütter und Väter, ihre Brüder und Schwestern, Freundinnen und Freunde in der Ukraine und in Russland. Sie halten Kontakt, sie leisten Beistand, sie versorgen die Menschen mit verlässlichen Informationen. Doch seit dem 24. Februar sind die Antworten auf ihre Anrufe und Nachrichten spärlich geworden; denn die Menschen sind auf der Flucht. Sie verstecken sich. Sie müssen leise sein, weil sie Angst haben, entdeckt zu werden. Sie schreiben, wenn sie können, kurze Nachrichten und hektisch geschriebene Hilferufe.
Das sind Zeugnisse voller Sorge und Angst, Sorge und Angst auch um die Soldatinnen und Soldaten, die für ihr Leben und für ihr Land kämpfen. Und doch scheint auch immer wieder Hoffnung durch: Hoffnung darauf, dass Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrer Heimat bald wieder in Frieden und Freiheit leben können.
Putin führt in der Ukraine einen Krieg gegen die Menschen, und er führt einen Krieg gegen die Menschlichkeit. Der Überfall auf die Ukraine ist insofern eine Zäsur; denn er bricht mit den Grundprinzipien der internationalen Gemeinschaft. Es ist unsere vordringliche Aufgabe, diesen blutigen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
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Deshalb werden die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft nochmals verschärft. Dabei kommt es entscheidend darauf an, unkalkulierbare Auswirkungen auf die Bevölkerung abzuwenden oder sie, wo nötig, auch auszugleichen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Maxime deutscher Außenpolitik, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, ist tief in unserer historischen Verantwortung verwurzelt. Dass die Bundesrepublik Deutschland jetzt Waffen an die Ukraine zur Selbstverteidigung liefert, ist in dieser Situation eine tragische Notwendigkeit und moralisch geboten. Diese Entscheidung schulden wir der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, und wir schulden sie unseren geteilten europäischen Werten von Demokratie und Freiheit.
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Bundeskanzler Scholz hat deshalb meinen tiefen Respekt und meine Anerkennung, diese schwierige Entscheidung von großer Tragweite verantwortungsvoll getroffen zu haben.
Mit unserer Bundeswehr werden wir als Mitglied von NATO und Europäischer Union für die Sicherheit in Europa unseren Beitrag leisten. Darauf ist Verlass, heute und in der Zukunft. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben unseren tiefen Respekt. Um ihre Aufgabe erfüllen zu können, müssen sie bestmöglich ausgestattet sein. Auch dafür steht diese Bundesregierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen in Europa sind in großer Solidarität an der Seite der Ukraine und sichern ihre Hilfe zu. Für viele Schutzsuchende ist Polen der erste sichere Hafen und erhält dafür im Rahmen der EU auch alle notwendige Unterstützung. Auch viele deutsche Städte können und wollen sichere Häfen sein. Den Menschen, die sich hier solidarisch zeigen, die anpacken und helfen wollen, gilt mein großer Dank.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass Demokratie und Freiheit immer obsiegen werden. Dafür werden Menschen immer und zu jeder Zeit bereit sein zu kämpfen. Unsere Gedanken sind in dieser schweren Zeit bei unseren Freundinnen und Freunden in der Ukraine, die in diesen Tagen Freiheit und Demokratie verteidigen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Esken. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir hörten es in vielen Reden: Es ist Krieg – nicht irgendwo weit weg, sondern mitten in Europa. Es zeigt sich, wie schön es ist, wie einfach es ist, ein Hohelied auf Europa zu singen, sich zu freuen, sich zur Europäischen Union als dem größten Friedensprojekt in der Nachkriegszeit zu bekennen, ihre Bedeutung jetzt zu erkennen.
Aber, Kolleginnen und Kollegen, es gilt auch: Die Bewährungsprobe ist jetzt. Ich danke dafür, dass wir hier in dieser Form zusammenstehen – hier im Haus, jetzt in Deutschland und auch innerhalb der Europäischen Union.
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Ein Nachbar wird angegriffen. Leid und Zerstörung werden bewusst in Kauf genommen. Heute ist es die Ukraine. Aber sollte der Plan gelingen, so möchten wir uns doch nicht dieses Vorgehen ausmalen, wo es als Präzedenzfall ebenfalls in die Tat umgesetzt würde – ob durch Putin an weiteren Grenzen seines Landes oder einen anderen Aggressor anderswo auf der Welt. Machen wir uns bewusst, welche Gedanken und Sorgen in diesen Tagen vor allem auch die Menschen in Vilnius, in Prag und Warschau beschäftigen – Kriegsangst geht um – und welche Erwartungen und Hoffnungen sie mit uns verbinden.
Die letzten Tage und Stunden haben es gezeigt: Man schaut auf uns. Deshalb: Lassen Sie uns diese Hoffnungen nicht enttäuschen – nicht weiter enttäuschen, ist man leider versucht zu sagen. Es geht um Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Überall finden Kundgebungen und Mahnwachen mit Tausenden von Menschen statt, an vielen Stellen erstrahlen die Nationalfarben der Ukraine. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in diesem Land. Aber, Kolleginnen und Kollegen, Solidarität braucht auch Glaubwürdigkeit.
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Wir sehen Väter, die sich von ihren Familien verabschieden, Männer, die unzureichend bewaffnet gegen Panzer kämpfen, einen Präsidenten, der zum Ausdruck bringt: Ich bin da, ich bleibe bei euch – Bilder, die gerade um die Welt gehen.
Freiheit ist nicht selbstverständlich – wir haben es heute bereits mehrfach gehört –; sie hat ihren Preis. Für die Menschen in der Ukraine wird dieser Preis aktuell mit der Angst um ihr eigenes Leben bezahlt. Vergessen wir nicht: Sie kämpfen diesen Kampf auch für uns. Der Angriff auf dieses Land ist ein Angriff auf unser aller Wertesystem.
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Und wenn wir heute über Sanktionen reden, auch solche, die Auswirkungen auf uns selbst haben, dann muss uns die Verteidigung dieser Werte immer gegenwärtig sein.
Kolleginnen und Kollegen der AfD, wir kennen unsere Werte, wir verteidigen sie. Was Ihre Werte sind, dahinter machen wir hin und wieder ein Fragezeichen.
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Seit gestern Nachmittag macht sich Erleichterung breit, innerhalb und außerhalb Europas. Deutschland hat klargemacht, wenn auch spät: Unser Platz ist an der Seite unserer Bündnispartner. – Es kann gar nicht anders sein.
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Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung ihre Haltung hinsichtlich SWIFT – Stichwort „internationaler Zahlungsverkehr“ – wie auch bei der Lieferung von Waffen mit defensivem Charakter aufgegeben hat. Kolleginnen und Kollegen, wir bedauern gleichwohl, dass es hierfür erst eine Welle der Empörung gebraucht hat.
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Wir müssen den Mut haben, alles an Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer eigenen militärischen Auseinandersetzung aufzufahren. Nicht wir, nicht die Ukraine führen einen Angriffskrieg. Aber wir müssen geeignete Instrumente in die Hand nehmen, um zwischenzeitlich auch Leben zu schützen, zu verteidigen und größtmöglichen Druck auszuüben. Es geht darum, weiteres Leid und Zerstörung zu vermeiden, und so es möglich ist, ein Stoppschild aufzustellen. Wann, wenn nicht jetzt, Kolleginnen und Kollegen?
Es ist unsere Pflicht, die Ukraine zu unterstützen, so Bundeskanzler Olaf Scholz am gestrigen Tag. Das galt jedoch schon spätestens zu Beginn der vergangenen Woche. Deshalb: Zeigen Sie auch weiterhin, dass Sie den Worten insbesondere des heutigen Tages Taten folgen lassen und wir unserer Verantwortung gerecht werden. Ich sage Ihnen zu: Dann haben Sie uns an Ihrer Seite.
Ich schließe mit den Worten des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko:
Unser Seele, unser Lied wird nicht sterben, wird nicht verschwinden. Darin, Leute, liegt unser Ruhm.
Slawa Ukrajini, Herr Botschafter!
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Lips. – Als nächste Rednerin rufe ich auf die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Britta Haßelmann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kiew ist von Berlin so weit entfernt wie Rom. Ich glaube, auch das ist es, was es mit uns allen und mit den Menschen im Land macht.
Es ist eine unfassbare Tragödie. Unsere Gedanken sind dort. Die Trauer über die Toten dieses sinnlosen Krieges ist schon jetzt groß: bei den Familien, bei den Angehörigen, bei den Freundinnen und Freunden, bei den Menschen, die auf der Flucht sind, in großer Angst um ihre Zukunft und ihre Sicherheit. Wir alle wissen – wir können uns in die Lage versetzen –, was die Menschen dort gerade durchleben. Und das macht die Tragik und die Dramatik aus, meine Damen und Herren.
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Ich bin fassungslos, wenn ich die Bilder von zerstörten Wohnhäusern sehe, von Menschen, die den Schutz in U-Bahn-Stationen suchen. – Die Menschen hier am Brandenburger Tor haben Freunde in der Ukraine, sind in Sorge um ihre Angehörigen in der Ukraine. – Diese Menschen wollen eigentlich alle etwas ganz Einfaches, etwas Selbstverständliches, nämlich frei und selbstbestimmt leben wie wir alle.
Ich frage mich wirklich jeden Tag: Was täte ich, wie ginge es mir, wie ginge es meiner Familie, wenn ich sehe, dass sich junge Menschen bewaffnen lassen, weil sie denken, sie müssten jetzt auch als Bürgerinnen und Bürger des Landes, der Ukraine, ihr Land verteidigen und für Freiheit kämpfen? Und darum geht es, meine Damen und Herren, und nicht um Franz Josef Strauß, verdammt noch mal. Das ist doch völlig verfehlt in dieser Debatte!
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Es herrschen Wut, Entsetzen, Verzweiflung über diesen barbarischen, unmenschlichen Krieg. Es gibt Ungewissheit und viele Fragen, weil seit dem 24. Februar die Welt nicht mehr die gleiche ist. Und das spüren die Menschen im Land.
Das sage ich auch in Ihre Richtung, Herr Merz: Wie können Sie Menschen so lächerlich machen, die an Lichterketten und Mahnwachen teilnehmen, wie auch heute wieder überall im Land?
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Es ist unser Privileg, hier im Parlament über diese Lage reden zu dürfen.
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Aber andere Menschen, Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, haben vielleicht nur diese eine Ausdrucksform wie die Teilnahme an einer Lichterkette, um ihre Verzweiflung, ihre Besorgnis und ihre Solidarität mit der Ukraine, Herr Botschafter, auszudrücken. Ich rate Ihnen: Sagen Sie so etwas nie wieder!
({4})
Wir haben eine Verantwortung, meine Damen und Herren, und die nehmen wir wahr, als nationales Parlament, europäisch und im transatlantischen Bündnis.
Ja, viele Gewissheiten, die ich habe, die meine Fraktion hat, die alle demokratischen Kräfte in diesem Land haben, sind vielleicht nicht mehr die Gewissheiten wie noch gestern oder vor dem 24. Februar.
({5})
Und wir alle wissen: Es verlangt uns wirklich viel ab. Wir werden über vieles diskutieren müssen. Die Welt ist eine andere. Wir müssen über den Schutz und die Aufnahme von geflüchteten Menschen reden, und zwar ohne Wenn und Aber.
({6})
Denn auch das heißt Europa: Zusammenstehen für humanitäre Hilfe und den Schutz der Menschen. Das ist das, was wir ihnen entgegenbringen können. Die Türen sind auf. Chrupalla und andere sind weit weg. Sie sind außerhalb dieses demokratischen Diskurses an dieser Stelle.
({7})
Die Türen in Europa sind offen für die Menschen angesichts eines solchen eklatanten Bruchs des Völkerrechts; denn wir alle könnten in der gleichen Situation sein. Und das wissen wir und spüren wir, und es gibt eine Bereitschaft bei den Bürgerinnen und Bürgern dafür, das mitzutragen, offen dafür zu sein. Und das ist gut.
({8})
Wir müssen über die Frage der Ernährungssicherung reden. Wir müssen über die Energieversorgung reden. Und ja, wir werden auch über den Verteidigungsetat und die Fragen, was notwendig ist, reden. Aber der Ort der Entscheidung und der Debatte ist hier im Parlament, meine Damen und Herren. Da bin ich ganz sicher.
({9})
Ich danke an dieser Stelle für die klare Haltung und die Vorbereitungen der Bundesregierung für die Umsetzung des harten Sanktionspakets. Auch die zielgenaue Abkopplung von SWIFT war notwendig. Dass dies die russische Zentralbank trifft, wird enorme Auswirkungen haben. Und ich bin wie meine Fraktion der Auffassung, dass an der Stelle die Frage der Waffenlieferungen und des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine sehr, sehr große Bedeutung hat. Deshalb war auch dieser Schritt notwendig und wichtig in dieser schwierigen Situation.
Danke.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin Haßelmann. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Petr Bystron, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Exzellenz! Ja, Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wir haben hier sehr viel über die Verantwortung von Wladimir Putin für diesen Krieg gehört, und Putin wird sich auch verantworten müssen: vor den russischen Wählern, vor den russischen Bürgern.
({0})
Aber unsere Bürger wollen wissen: Welche Rolle hat die deutsche Bundesregierung in der Vergangenheit gespielt? Und wie wird sie sich hier jetzt verantworten?
({1})
Herr Bundeskanzler Scholz, ich habe in Ihren Ausführungen die Selbstreflexion vermisst genauso wie in denen von der CDU. Sie haben die letzten acht Jahre regiert. Sie haben die Ukraine seit acht Jahren finanziert; Deutschland ist der zweitgrößte Nettozahler. Und Sie haben kein einziges Mal diese Zahlungen daran geknüpft, dass die Ukraine das Minsk-II-Abkommen auch erfüllt.
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Darin ging es lediglich um Autonomie. Jetzt ist die Autonomiefrage vom Tisch, jetzt haben wir Krieg, und dafür tragen Sie eine Mitverantwortung.
({3})
Sie haben acht Jahre lang der Ukraine falsche Versprechen gemacht. Sie haben sie in die EU und in die NATO gelockt. Und jetzt, wo der Krieg da ist: Wo ist denn jetzt Ihre Verantwortung? Die Werte, die Demokratie, die wollten sie mal mit der Waffe sogar am Hindukusch verteidigen. Jetzt ist der Krieg in Europa; jetzt können Sie sie verteidigen. Und was machen Sie? Gar nichts! Sie haben die Ukraine immer nur als Spielball auf der geopolitischen Karte missbraucht. Ihr ganzes Wertegerede war pure Heuchelei.
({4})
Jetzt kommen Sie mir nicht mit den Sanktionen; ich bitte Sie. Die Russen haben die Sanktionen miteingepreist. Ich will gar nicht zitieren, was der russische Botschafter in Schweden gesagt hat. Und Herr Lindner hat gesagt: Schulden sind Freiheit. – Das sagt jemand, der in einer ehemals liberalen Partei ist. Also, liebe Freunde, Schulden sind nicht Freiheit; Schulden sind Knechtschaft.
({5})
Jeder Euro von diesen 100 Milliarden Euro, die Sie hier ausgeben werden, wird arbeitenden Bürgern in Deutschland über Steuern abgepresst. Und was haben Sie erreicht? Sie, Herr Bundeskanzler Scholz, haben gesagt: Die Einflusssphäre hat sich verschoben. – Ja, welche Einflusssphäre? Die der NATO hat sich verschoben an die Grenze Russlands. Die amerikanische Einflusssphäre hat sich Richtung russische Grenze verschoben. Und was ist der Preis dafür? Junge Männer, Ukrainer genauso wie Russen, sterben jetzt, und geopolitisch haben Sie Russland in die Hände von China getrieben.
({6})
Russland war immer eine europäische Macht, und Sie haben sie in die Arme von China getrieben.
Und sagen Sie nicht, Sie wurden nicht gewarnt. Es warnten die Russen schon vor 15 Jahren. Wladimir Putin hat hier im Deutschen Bundestag gesprochen; damals wurde er beklatscht. Er hat 2007 bei der SiKo in München gesprochen und hat uns eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur angeboten. Sie haben das alles ausgeschlagen. Ihre eigenen Leute haben Sie gewarnt, Admiral Schönbach noch vor einem Monat. Das alles haben Sie ausgeschlagen; Sie haben alle Warnungen ignoriert. Das Ergebnis ist Krieg in Europa, und dafür tragen auch Sie eine Mitverantwortung.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch solche Reden zeigen den Unterschied zwischen einem Parlament in Freiheit und einem Parlament in Unfreiheit.
({0})
Als nächster Redner erhält das Wort der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Dr. Dietmar Woidke.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Dass ich mal an dieser Stelle stehe und sage, dass die Brandenburger AfD-Fraktion beispielgebend war, was die Verurteilung des Überfalls Russlands auf die Ukraine betrifft, das hätte ich mir vor wenigen Minuten noch nicht vorstellen können. Aber nach dem, was hier gesagt worden ist, muss ich leider sagen: Es ist ein Skandal, wie Sie von der AfD-Fraktion mit dieser Krise umgehen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach Jahrzehnten des Friedens gibt es wieder Krieg in Europa. Es ist eine Tragödie für die Menschen in der Ukraine. Es bringt Leid; es bringt Tod. Es ist aber auch eine Tragödie für die Menschen in Russland. Wir erleben einen eklatanten Bruch des Völkerrechts. Wir erleben den Versuch, den Lauf der Geschichte mit militärischen Mitteln zu verändern, und wir erleben den Versuch, die demokratische Entwicklung in einem unabhängigen Land mit militärischer Gewalt zu verhindern. Es ist ein verbrecherischer Krieg, den der russische Präsident vom Zaun gebrochen hat. Es ist ein Krieg gegen die Demokratie und gegen die Freiheit, und, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein Krieg gegen uns alle.
({1})
Wir stehen fest an der Seite der Ukraine. Diese Aggression wird ihre Ziele nicht erreichen, nicht in der Ukraine, aber auch nicht in Europa. Die Menschen in Deutschland, die Menschen in Brandenburg wollen Frieden. Wir wollen Freundschaft mit anderen Völkern, besonders auch mit dem russischen Volk. Viele, die sich in den letzten Jahrzehnten für gute Beziehungen zu Russland, beispielsweise in Schul- oder Städtepartnerschaften, bei Wirtschafts- oder Sportprojekten, eingesetzt haben, sind heute tief enttäuscht, verbittert und frustriert. Und ich gebe zu: Das betrifft auch mich persönlich.
Ich hätte mir noch vor wenigen Wochen nicht vorstellen können, was am 24. Februar dieses Jahres Realität geworden ist. Auch ich bin tief enttäuscht von dem, was in den letzten Tagen passiert ist. Aber ich glaube, gerade in dieser schweren Zeit ist es notwendig, die Menschen zu ermuntern, sich weiterhin für starke Kontakte in die russische Zivilgesellschaft einzusetzen.
({2})
Es ist eben nicht das russische Volk, das Krieg in der Ukraine führt. Es ist ein Präsident, der mit seiner Clique diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat. Deswegen müssen wir weiter versuchen, auch wenn es schwierig ist, Brücken zu bauen; denn wenn diese Brücken nicht gebaut werden, hat Präsident Putin gewonnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich in den letzten Tagen häufig an eine Veranstaltung am 3. Mai des Jahres 2019 in Bad Freienwalde erinnert. Ich habe damals mit seiner Exzellenz dem russischen Botschafter eine neugestaltete Gedenkstätte für sowjetische Opfer des Zweiten Weltkrieges eingeweiht. Das Besondere an dieser Gedenkstätte ist, dass 1 400 Gefallene ihren Namen und ihre Geburtsdaten zurückbekommen haben, 1 400 gefallene Soldatinnen und Soldaten der damaligen sowjetischen Armee haben mit diesen Daten ihre Identität zurückbekommen. Mit ihren Namen wird jedem klar: Es liegt hier nicht der unbekannte Soldat, sondern es liegt hier Andrej, Pjotr, Iwan oder Alexej. Jeder Einzelne von ihnen war ein Sohn, ein Bruder, ein Ehemann und ein Freund. Nur wenige von den 1 400 Soldaten, die in Bad Freienwalde beerdigt worden sind, waren älter als 20 Jahre.
Genau jetzt, genau heute, genau zu dieser Stunde, meine sehr verehrten Damen und Herren, sterben wieder Menschen in einem Krieg. Die Toten, die in Bad Freienwalde, aber auch an vielen anderen Stellen begraben worden sind, die 25 Millionen Toten, die die Sowjetunion als Blutzoll im Zweiten Weltkrieg zu bezahlen hatte, mahnen uns, dem russischen Präsidenten heute zuzurufen: Nie wieder Krieg!
({3})
Auch im Namen der Menschen, die im Zweiten Weltkrieg gestorben sind, fordern wir: Herr Präsident Putin, stoppen Sie sofort die Aggression gegen die Ukraine, stoppen Sie das Morden, stoppen Sie den Krieg!
Danke sehr.
({4})
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, für diese Worte. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Kollegen! Ich glaube, Herr Ministerpräsident, genau in dieser Tonalität sollten wir auch die Debatte miteinander führen. Sie hat gezeigt, dass es richtig ist, in dieser Situation zusammenzustehen. Der Bundeskanzler hat dazu heute eine bemerkenswerte Rede gehalten. Es ist ein geopolitischer Amoklauf, den Präsident Putin veranstaltet, und dem müssen wir uns in der Mitte des Hauses gemeinsam entgegenstellen.
({0})
Die Debatte hat erneut gezeigt, dass links und rechts in diesem Haus Parlamentarierinnen und Parlamentarier sitzen, die ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Ich muss sagen: Was wir hier insbesondere an Stimmen aus der AfD-Fraktion heute wieder gehört haben, schlägt dem Fass den Boden aus. Es ist widerlich, sich anhören zu müssen, dass Sie angesichts dieses Angriffskrieges sogar der Bundesregierung eine Mitverantwortung geben wollen, angesichts der Begründung, die der russische Präsident für seinen Angriffskrieg gegeben hat, es müsse eine Entnazifizierung in der Ukraine stattfinden, die von einem Präsidenten mit jüdischer Abstammung geführt wird. Das ist an Perfidie nicht zu überbieten. Wir müssen als Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen, damit solche Leute nie wieder Verantwortung übernehmen.
({1})
Und: Wir müssen gemeinsam handeln. Genau deswegen glaube ich auch, wir alle hier in der Mitte des Hauses sind aufgefordert, zusammenzustehen. Es hat ja nachhaltige Aufforderungen dazu in unsere Richtung gegeben. Die CDU/CSU-Fraktion ist im Geiste der bisherigen Beratung dazu bereit, und ich schlage vor, Frau Kollegin Haßelmann, dass wir uns an der Stelle auch nicht voneinander trennen. Das ist genau das, was Friedrich Merz heute angeboten hat und was wir – natürlich ohne Aufgabe unserer parlamentarischen Oppositionsrechte – machen. Wir kennen uns seit vielen Jahren, in denen Sie hier als wirklich strikte Verfechterin der Wahrnehmung von oppositionellen Rechten aufgetreten sind. Die CDU Deutschlands hat gestern eine Mahnwache abgehalten, und dort hat Friedrich Merz gesprochen. Das hat er hier heute für gut befunden.
({2})
Deswegen – das will ich ganz ehrlich sagen – war es absolut daneben, uns so etwas vorzuwerfen.
({3})
Wenn man einer Partei so etwas nicht vorwerfen kann, dann der CDU unter Führung von Friedrich Merz.
({4})
Der Punkt ist nur: Wir müssen gemeinsam handeln. Einen großen Handlungsbedarf, nämlich im Bereich der Verteidigungspolitik, hat der Herr Bundeskanzler angesprochen. Er hat hier – das Wort „Bazooka“ passt jetzt an der Stelle nicht; das haben Sie an anderer Stelle benutzt, und ich will es ausdrücklich nicht verwenden – eine bessere finanzielle Ausstattung der Bundeswehr zugesagt. Danach sollen 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung niemals mehr unterschritten werden und 100 Milliarden Euro in einem Sondervermögen bereitgestellt werden. Das ist eine große Ansage, und darüber können wir miteinander reden. Nur: Mir fällt auf, dass außer dem Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokraten bisher keine Parteivorsitzende und kein Parteivorsitzender aus den Koalitionsfraktionen, auch nicht der Fraktionsvorsitzende der SPD, diese Ankündigung begrüßt und unterstützt hat. Das fällt mir auf, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Die Zurückhaltung in der Grünenfraktion, als der Herr Bundeskanzler genau das gesagt hat, ist schon sehr auffällig gewesen.
({6})
Sie haben uns bei sich, wenn es darum geht, jetzt geschlossen zu reagieren. Sie haben uns bei sich, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Aber wir müssen auch zusammenstehen, wenn es konkret wird – nicht dass es wieder mit Gruppenanträgen losgeht, wenn es um die Förderung der Bundeswehr und die Erhöhung des Verteidigungsetats geht.
({7})
Da brauchen Sie Ihre eigene Mehrheit, und da verlangen wir von Ihnen, dass Sie stehen.
({8})
– Ich kann es nicht anders sagen, Frau Esken. Es gab zahlreiche Reden, Herr Kollege Mützenich, in denen Sie hätten sagen können, dass Sie all das hundertprozentig unterstützen.
({9})
Wir warten darauf. Bitte schön, machen Sie es!
Ich will etwas zum Thema Abschreckung sagen, Herr Kollege Mützenich, weil Sie sich – das haben Sie heute nicht wiederholt – in vergangener Zeit schon dazu eingelassen haben. Es ist nicht schön, aber Abschreckung ist leider notwendig, damit man nicht erst in diese moralischen Abwägungen hineinkommt, die Robert Habeck hinsichtlich der Waffenlieferungen heute sehr treffend umschrieben hat. Das Verrückte, das Perfide ist doch, dass die Ukraine jetzt dafür bestraft wird, dass sie 1994 Nuklearwaffen abgegeben hat.
({10})
Diese Rechnung darf doch nicht aufgehen!
Herr Kollege Mützenich, ich möchte bei aller Freundschaft zwischen uns, die wir den politischen Diskurs miteinander führen, sagen: Deswegen kann man sich doch nicht hinstellen und sagen: Nukleare Abschreckung funktioniert nicht. – Leider funktioniert sie doch, und deswegen brauchen wir Deutschen sie. Deswegen braucht auch die NATO die nukleare Abschreckung: damit wir den Russen nicht ausgeliefert sind.
({11})
Da wird es jetzt sehr konkret werden, und wir messen Sie daran, wie Sie sich dazu verhalten.
Wir sind der Meinung – das hat der Fraktionsvorsitzende für meine Fraktion angekündigt –: Über alles kann man reden, auch über Sonderfonds; natürlich. Aber dann muss es ein Gesamtkonzept geben, insbesondere was die Bundeswehr betrifft, in das wir auch eingebunden werden. Einen Blankoscheck der CDU/CSU-Fraktion, den Sie dann irgendwie verwenden, wird es nicht geben. Wir verlangen, in die Diskussion einbezogen zu werden.
({12})
Wenn wir gemeinsam so handeln, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann können wir dafür sorgen, dass ein möglicher militärischer Sieg, der Putin vielleicht gelingen könnte – wir hoffen es alle nicht –, in jedem Fall ein Pyrrhussieg sein wird. Dieser Mann muss sich verantworten, nicht nur vor dem russischen Volk, Kolleginnen und Kollegen der AfD, sondern vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Da gehört er hin.
Herzlichen Dank.
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege Wadephul. – Nächster Redner ist der Kollege Rüdiger Lucassen, AfD-Fraktion, von der Tribüne.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Die Atommacht Russland hat die Ukraine angegriffen. Ein militärischer Sieg Putins ist sehr wahrscheinlich – zu einem enorm hohen Preis. Was kommt dann? Ein Land doppelt so groß wie Deutschland im Guerillakrieg, Repressionen, Terror, dauerhafte Destabilisierung an der Ostgrenze der EU – dramatische Aussichten.
Viele von Ihnen wünschen sich eine Niederlage Putins. Ich auch. Aber was käme dann? Einsicht? Rückkehr in die internationale Gemeinschaft? Übergabe der Macht an einen friedlichen Nachfolger? Unvorstellbar. Putin ist „all-in“ gegangen. Verliert er, kann es erst recht zu einem Albtraum werden: Aufstand des russischen Volkes, Aufstand des Militärs, Machtkampf im Staatsapparat. Eine Niederlage Putins ist unkalkulierbar, weil Russland Atommacht ist.
Meine Damen und Herren, wir haben eine historische Chance verpasst. Europa und wir Deutsche haben es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht geschafft, eine Friedensordnung zu bauen, die Russland integriert. 1990 bekamen wir dazu eine zweite Chance; auch die haben wir nicht genutzt. Putin hat uns Angebote gemacht, wir sind aber nicht darauf eingegangen. Wir haben es nicht vermocht, das Sicherheitsinteresse der Russischen Föderation zu verstehen und zu akzeptieren. Wir haben denen geglaubt, die es bewusst nicht verstehen wollten. Jetzt ist es dafür zu spät. Jetzt haben wir wieder Krieg mitten in Europa – einen Angriffskrieg, der durch nichts zu entschuldigen ist, auch nicht durch die Ignoranz des Westens in den letzten 25 Jahren.
({0})
Was heißt das für Deutschland? Wir sind hart auf dem Boden der Realität aufgeschlagen. Die brutale Politik der Macht ist zurück und fegt die Gesinnungsethik aus der deutschen Politik. Deutschland hat keine Alternative. Die Bundesregierung muss nun auch das Steuer in Richtung Machtpolitik herumreißen. Macht heißt auch, militärische Fähigkeiten zu besitzen. Deutschland hat diese Fähigkeiten nicht mehr; jeder hier im Hause weiß das. Die Bundeswehr kann unser Land nicht verteidigen, und sie kann Deutschlands Verpflichtungen im Bündnis nicht nachkommen. Was wir jetzt brauchen, ist die größte Rüstungsoffensive nach dem Zweiten Weltkrieg. Das lässt sich nicht in einem Jahr bewerkstelligen, auch nicht mit den tatsächlich erforderlichen 100 Milliarden Euro.
Die Bundesregierung ist aber auch dafür verantwortlich, das Bewusstsein für eine neue Wehrhaftigkeit in unserem Volk zu schärfen. Meine Damen und Herren, die Wehrpflicht in Deutschland muss reaktiviert werden! Wann, wenn nicht jetzt? Wehrhaftigkeit ist der Preis unserer Freiheit.
Ich danke Ihnen.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Lucassen. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wadephul, ich glaube, wir brauchen die Schärfe in der Diskussion nicht. Ich finde es immer schwierig, jemandem vorzuwerfen, was er in seiner Rede nicht gesagt hat; denn Sie haben an der Stelle natürlich eine andere Sensibilisierung. Wir werden miteinander über den Haushalt diskutieren, und wir werden dahin kommen, was wir alle wollen, nämlich die Bundeswehr zu stärken.
({0})
Jetzt komme ich zum Thema zurück. Der Angriff auf die Ukraine ist eine historische Zäsur; es wurde heute schon häufig gesagt. Dieser Angriff hat die europäische Friedensordnung zerstört. Dieser Wahnsinn, diese von Präsident Putin vorangetriebene Eskalation der von ihm selbst geschaffenen Krise, macht fassungslos und schockiert. Wir sind schockiert, aber nicht in Schockstarre. Der Westen ist vorbereitet, und er ist mehr denn je geeint. Wir alle stehen in diesen dramatischen Tagen an der Seite der Ukraine.
({1})
Das Streben der Ukrainer und Ukrainerinnen nach Demokratie, nach Freiheit, nach Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, und das ist nicht vom Wohlwollen eines Präsidenten Putin abhängig.
({2})
Wir trauern um die Toten, die Verletzten, die Männer, Frauen und Kinder der Ukraine, die diesem sinnlosen Leid ausgesetzt sind und die so viel Angst haben. Die Menschen in der Ukraine brauchen jetzt unsere Hilfe – humanitär durch Aufnahme der Flüchtlinge, durch Druck gegen das russische Regime, die politisch Verantwortlichen und diejenigen, die diesen verbrecherischen Überfall ermöglichen. Auch die militärische Unterstützung der Ukraine ist nunmehr folgerichtig.
Meine Damen und Herren, Deutschland und seine Verbündeten haben lange den Weg der Diplomatie gewählt und Putin das Gespräch und die Zusammenarbeit angeboten. Das wurde von vielen Seiten auch im Nachhinein als naiv kritisiert. Aber für den Versuch, über Gespräche und Diplomatie eine Eskalation zu vermeiden und zu beenden, werden wir uns niemals schämen,
({3})
auch wenn der russische Präsident dieses Angebot auf brutale Weise ausgeschlagen hat. Allein er hat es jetzt in der Hand, diesen Irrweg zu verlassen, das Töten zu beenden.
Meine Damen und Herren, dieser brutale Überfall ist Auswuchs eines verqueren Weltbildes, einer absurden Interpretation der Geschichte und eines Imperialismus, den wir für überwunden hielten. Mit seinem Vorgehen und seiner Rhetorik knüpft Wladimir Putin an die dunklen Zeiten der russischen und sowjetischen Geschichte an. Sein Vorgehen reiht sich ein in seinen Kampf gegen all diejenigen, die eine echte Aufarbeitung der russisch-sowjetischen Geschichte und des Stalinismus wollen. Deshalb hat er die Menschenrechtsorganisation Memorial aufgelöst. Das war nur einer von so vielen Angriffen auf die lebendige humanistische Erinnerungskultur und die Menschenrechte in Russland.
({4})
Sein Vorgehen reiht sich ein in immer autoritärer werdende Tendenzen innerhalb Russlands und immer enger werdende Freiräume für Menschenrechtsaktivisten und die Zivilgesellschaft. Umso mehr beeindrucken die Proteste gegen den Krieg, die wir in vielen Städten Russlands sehen können. Der Mut dieser oft jungen Menschen, gegen Autokratie und für den Frieden aufzustehen, kann gar nicht genug bewundert werden.
({5})
Das Risiko, verhaftet zu werden oder sogar zu verschwinden, ist immens gestiegen. Aber alle Mittel der Repression werden nichts nützen. Die Mittel des Krieges und der Unterdrückung, die der menschenverachtende Aggressor Wladimir Putin gewählt hat, werden sich auf Dauer nicht durchsetzen. Davon bin ich überzeugt.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Heinrich. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk Wiese, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Eure Exzellenz Botschafter Melnyk! Dieser Krieg ist Putins Krieg. Dieser Angriffskrieg gegen die Ukraine ist völkerrechtswidrig, eine Schande und in keiner Weise zu rechtfertigen, vor allem nicht historisch. Er ist real und findet in unserer Nachbarschaft statt.
Die Zeichen waren da, die Truppen standen bereit. Warum haben wir Putin dennoch unterschätzt? Weil wir vielleicht unsere Analyse zu sehr auf die vermeintliche Rationalität der Akteure gestützt haben, weil wir die Kaltblütigkeit und die imperialistischen und revisionistischen Großmachtgedanken Putins unterschätzt haben, weil wir es vielleicht auch nicht wahrhaben wollten. Dabei ist Putins Krieg die Fortsetzung der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Er ist die Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine; nicht zu vergessen: die Verletzung der territorialen Integrität von Georgien. Er ist auf das Schärfste zu verurteilen und eine Sackgasse jedweder Auseinandersetzung.
({0})
Putin bringt fürchterliches Leid über die Menschen in der Ukraine. Ihnen gilt unsere uneingeschränkte Solidarität – ihnen und den mutigen Russinnen und Russen, die in diesen Stunden gegen ein autoritäres und despotisches Regime aufbegehren, ihnen, die in Kenntnis von Polizeigewalt und Repressalien in Russland trotzdem für den Frieden auf die Straßen gehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser russische Angriffskrieg wird auch massive Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland und auf Fluchtbewegungen in Europa haben. Hierauf bereiten wir uns vor, und wir werden denjenigen, die Schutz bei uns suchen, helfen.
({1})
Unsere Sicherheitsbehörden haben sich bereits intensiv auf alle denkbaren Szenarien vorbereitet und Schutzmaßnahmen hochgefahren. Ich bin Bundesinnenministerin Nancy Faeser dankbar, dass sie bereits mit den Landesinnenministern in einem sehr engen Austausch steht und sich auf europäischer Ebene engmaschig mit unseren Verbündeten koordiniert, auch jetzt, in diesen Stunden.
({2})
Ich bin auch unseren Städten und Gemeinden dankbar – ich nenne stellvertretend für viele den Arnsberger Bürgermeister Ralf Paul Bittner –, die bereits klar zum Ausdruck gebracht haben, dass sie Ukrainerinnen und Ukrainer aufnehmen wollen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus ihrem Heimatland fliehen müssen:
({3})
Kinder, die sich unter Tränen von ihren Vätern verabschiedet haben, Frauen, die ihren Mann vielleicht zum letzten Mal in die Arme genommen haben. Dieses Leid kennt nur eine Adresse: Die Verantwortung dafür liegt im Kreml, ebenso – das sage ich auch sehr deutlich – wie die Verantwortung für die Trauer der russischen Mütter, die ihre jungen Söhne im Zinksarg nach Hause bekommen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen zwar zuerst von Flucht- und Vertreibungsbewegungen innerhalb der Ukraine ausgehen, sie haben sich aber bereits in den vergangenen 72 Stunden auf die unmittelbaren Nachbarländer wie Polen oder die Republik Moldau ausgeweitet. Diese Menschen haben unsere Solidarität und erhalten unsere humanitäre Unterstützung; wir werden sie massiv unterstützen. Die Koordinations- und Unterstützungsmechanismen der Europäischen Union, insbesondere für humanitäre Hilfe, sind bereits angelaufen, damit ganz konkrete Unterstützung sehr schnell erfolgt. Dazu wird Deutschland einen erheblichen Beitrag leisten.
Wir wissen auch, dass Cyberangriffe mittlerweile ein häufig gewähltes Mittel in Konfliktsituationen sind. Wir gehen daher auch für deutsche Stellen von einer erhöhten Gefahr durch Cyberangriffe in der nächsten Zeit aus. Wir beobachten auch sehr genau, dass die russische Propaganda und Desinformation im Zuge des Ukrainekonflikts deutlich zunimmt: bei Russia Today, bei Telegram, bei Demonstrationen, aber auch auf sogenannten Spaziergängen. Wir müssen uns auf ein weiter zunehmendes Ausmaß an fortwährender russischer Desinformation einstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Antwort ist und bleibt: Freiheit, internationale Solidarität und Demokratie. Der Platz für Kriegsverbrecher ist und bleibt hingegen in Den Haag und nirgendwo sonst.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Wiese. – Nächster Redner ist der fraktionslose Kollege Johannes Huber. Er spricht von der Tribüne.
Sehr geehrter Herr Präsident! Eure Exzellenz! Liebe Mitbürger! Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg von Wladimir Putin gegen die souveräne Nation Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen, weder durch den ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Jugoslawien noch durch die NATO-Osterweiterung auf ehemalige Staaten des Warschauer Paktes, die dem Bündnis aus freier Selbstbestimmung beigetreten sind.
Der gewählte ukrainische Präsident Selenskyj hatte dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten in den letzten Wochen fest zugesagt, dass er drei Gesetze im ukrainischen Parlament initiieren wird, um das Minsker Abkommen vollständig umzusetzen. Der diplomatische Korridor war also noch nicht ausgeschöpft; das wusste auch Putin. Er wollte aber die beiden Volksrepubliken nicht wieder in die Ukraine integrieren, sondern diese Friedensordnung mit der einseitigen Anerkennung der Unabhängigkeit der gesamten Gebiete Donezk und Luhansk bewusst aufkündigen. Das ist keine Rechtfertigung für den Überfall auf die gesamte Ukraine, sondern für Putin das Mittel zum Zweck, um die ukrainische Regierung gewaltsam und unter Inkaufnahme von zahlreichen Kriegstoten und Flüchtlingen zu stürzen und zur Sicherung seiner eigenen Autorität im eigenen Land durch eine kremlhörige Regierung zu ersetzen. Bis dieses Ziel erreicht ist – da dürfen wir uns nichts vormachen – werden die Kampfhandlungen nicht eingestellt und die Truppen, die später zur Sicherung der künftigen Regierung benötigt werden, nicht zurückgezogen.
Auch eine Vermittlung von Deutschland und Frankreich sieht Putin mittlerweile eher als Einmischung. Das Regime Putin muss daher nicht nur mit personenbezogenen Sanktionen gestoppt und isoliert werden, sondern auch mit einer militärischen Abschreckung. Das bedeutet, dass auch Deutschland nicht um eine schnelle und massive Ertüchtigung der Bundeswehr sowie eine Wehrpflicht auch zur Verteidigung des eigenen Landes herumkommt. Schließlich droht Putin offen mit einem Flächenbrand, indem er Manöver in Moldau und Georgien abhält, jegliche ausländischen Truppen aus den 14 neuen Mitgliedstaaten der NATO vertreiben will, Schweden und Finnland droht, in Bosnien Einfluss zur Spaltung ausübt und sich als ehemaliger KGB-Offizier in der DDR das geopolitische Wiederaufleben der Sowjetunion wünscht.
Herr Präsident, ich schließe mit meiner Hoffnung, die jetzt bei den unschuldigen russischen Bürgern liegt, die mit der Politik Putins nicht einverstanden sind. Sie haben jetzt die Chance, dafür zu sorgen, dass Putin im Jahr 2024 nicht mehr als Präsident wiedergewählt wird.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Huber. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Sanae Abdi, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen fiel es mir schwer, Worte für die aktuellen Ereignisse zu finden. Der brutale Angriff Russlands wird in erster Linie auf dem Rücken der ukrainischen Zivilgesellschaft ausgetragen. Putin nimmt den Menschen in der Ukraine die Hoffnung auf ein Leben in Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
Auch aus entwicklungspolitischer Perspektive steht derzeit eine Menge auf dem Spiel. Gemeinsam mit unseren ukrainischen Partnern haben wir in den letzten Jahren Fortschritte und Veränderungen erzielt. Ein maßgebliches Projekt im Rahmen dieser Zusammenarbeit sind die Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Kommunen. Diese Strukturen erweisen sich in Krisenzeiten als eine effektive Verbindung zur ukrainischen Bevölkerung. Durch unsere Unterstützung haben wir gemeinsam in den Bereichen Bildung, Energie, Infrastruktur und in guter Regierungsführung viel erreicht. Viele Nichtregierungsorganisationen und die politischen Stiftungen haben dazu beigetragen, eine starke Demokratie und Zivilgesellschaft in der Ukraine aufzubauen. All das wird durch Putins Krieg zerstört.
({0})
Meine Gedanken sind dabei auch bei den nationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der entwicklungspolitischen Organisationen, die diese Erfolge erst möglich gemacht haben. Ich bin dankbar, dass die Organisationen mit Hochdruck daran arbeiten, die Sicherheit ihrer nationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten und sie auch finanziell zu unterstützen. Aber auch die breite Bevölkerung braucht nun akute humanitäre Unterstützung. Hierzu brauchen wir Flexibilität bei der Bereitstellung der finanziellen Mittel.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen. Der russische Angriff kann auch gravierende Auswirkungen auf die Länder des Globalen Südens haben. Die Ukraine ist ein großer globaler Exporteuer von Getreide. Länder wie Ägypten, Libyen, Jemen importieren große Mengen an ukrainischem Weizen. Eine jetzt zu erwartende Verknappung der Lebensmittelversorgung und erhöhte Preise können einen Dominoeffekt auslösen; innerstaatliche Konflikte können verstärkt oder neu angefacht werden – und dies alles vor dem Hintergrund der ohnehin durch Corona bedingten wirtschaftlichen Notlage in den Ländern des Globalen Südens. Ich vertraue der Bundesregierung, auch dies im Blick zu haben.
({1})
Mein tiefster Respekt gilt den Menschen, die nun in Sankt Petersburg und in Moskau trotz der Gefahren auf die Straßen gehen, um sich mit der Ukraine zu solidarisieren. Bei all dem internationalen Druck, der auf Putin einwirkt, zeigt sich: Am meisten Angst hat dieser Mann vor seiner eigenen Zivilgesellschaft,
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vor Menschen, die sich für Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzen.
Daran sehen wir, wie wichtig eine starke Zivilgesellschaft ist. Ich bin froh, dass der Bundeskanzler auch die Notwendigkeit der krisenpräventiven Entwicklungspolitik in seiner Rede betont hat, das heißt, wir müssen das 0,7-Prozent-Ziel für ODA-Ausgaben in Zukunft dauerhaft einhalten.
({3})
Verteidigungspolitik geht nur Hand in Hand mit Entwicklungspolitik; denn Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik.
Danke.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Abdi. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in der SPD-Bundestagsfraktion aufgeteilt und sprechen jetzt als Fachpolitiker einige Punkte an, die sicherlich auch in diesem Zusammenhang näher beleuchtet werden müssen. Das, was Olaf Scholz heute als „Zeitenwende“ bezeichnet hat, betrifft auch die Klima- und Energiepolitik. Dazu in der gebotenen Kürze vier Punkte, die aus meiner Sicht in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren essenziell sein werden:
Erstens. Wir müssen in diesem Haus die zukünftige Energie- und Klimapolitik als elementaren Bestandteil von Daseinsvorsorge sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Dazu gehört – Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen –, dass das Thema Speicherung keine Frage von privatwirtschaftlichen Interessen sein darf, sondern in hoheitliche Aufgabenbereiche gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Dazu gehört auch, dass wir das Thema Energiepreise aus dem Blickwinkel der Daseinsvorsorge betrachten. Energie muss für Wirtschaft und Bevölkerung bezahlbar bleiben; das müssen wir als Staat garantieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Der zweite Punkt. Energiesouveränität erreichen wir nur auf einem Weg: Das ist der maximale Ausbau der erneuerbaren Energien.
({3})
Und ich bin ausgesprochen dankbar, dass sowohl der Bundeskanzler als auch der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister hier ein deutliches Votum abgegeben haben, dass der maximale Ausbau unsere Aufgabe Nummer eins sein muss.
({4})
Wenn Sie, Herr Kollege Merz, von Optionen in der Energiepolitik reden, dann spüre ich das, was ich in den letzten Jahren leider in der Großen Koalition gespürt habe: Sie haben leider keinen inneren Kompass. Wenn Sie meinen, dass Atomkraft weiter eine Alternative sein soll, dann sage ich Ihnen: Wir sehen doch jetzt am Beispiel von Tschernobyl, am Beispiel der alten Reaktoren und angesichts der Verwundbarkeit von Staaten, dass diese Technologie – das ist mein dritter Punkt – nie mehr eine Alternative sein darf.
({5})
Der vierte Punkt ist für mich als Klimapolitiker der schwierigste: Das Pariser Abkommen gilt weiter. Dieser Planet ist zu klein, als dass wir es gegeneinander hinkriegen würden. Wir werden alle Staaten brauchen. Wir werden es nur zusammen können. Deswegen hoffe ich, dass die Diplomatie auch in dieser Frage siegen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Miersch. – Als Nächstes erhält das Wort der Kollege Dr. Nils Schmid, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung beginnen. Im September 1989 habe ich am ersten Schüleraustausch einer westdeutschen Stadt mit Unterbringung in Familien teilgenommen. Das war in Poltawa, damals Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik. Damit gehöre ich einer Generation an, die in den letzten 30 Jahren versucht hat, die beiden Hälften des Kontinents enger zusammenzubringen: über Schüleraustausch, über wirtschaftliche, über zivilgesellschaftliche Verflechtungen, natürlich auch über viele politische Weichenstellungen, wie sie in den letzten 30 Jahren über Abrüstungsverträge, Kooperationsverträge und Ähnliches zustande gekommen sind. Eine Generation ’89 sozusagen, die sich in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien in den letzten 30 Jahren dafür eingesetzt hat, dass wir in Ost und West, auf dem ganzen Kontinent, ein friedliches Miteinander, eine gesamteuropäische Friedensordnung, aufbauend auf Demokratie und Freiheit, schaffen.
Mit dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine ist nicht nur eine Zeitenwende eingetreten. Es ist auch das Ende der Hoffnung einer ganzen Generation, die nicht von ’68 und der Nachrüstungsdebatte geprägt ist, sondern eben von der Zeitenwende ’89 und dem Aufbruch hin zu unseren osteuropäischen Partnern. Deshalb ist dieses Ereignis, dieser Einschnitt in unsere europäische Geschichte so bitter für viele aus meiner Generation.
Wir spüren ganz genau, was das jetzt auch für das praktische außenpolitische Handeln bedeutet. War bislang „Dialog und Abschreckung“ die Parole, wird es doch wieder mehr „Abschreckung und Dialog“ sein. In der Vergangenheit, in den letzten 30 Jahren, gab es drei Elemente, mit denen wir es geschafft haben, den europäischen Kontinent zusammenzubringen: gemeinsame Regeln im Rahmen der OSZE, der wirtschaftliche Austausch und die Verflechtung sowie die Zivilgesellschaft. Diese drei Elemente werden wir auch noch in Zukunft brauchen.
Wir sollten gemeinsam im Deutschen Bundestag dafür kämpfen, die Kanäle gerade auch nach Russland aufrechtzuerhalten. Aber sie werden deutlich weniger Bedeutung haben. Sie werden zum Teil, wenn wir uns die Wirtschaft anschauen, in Zukunft fast keine Bedeutung mehr haben können. Deshalb ist es jetzt wichtig, nicht nur das Heute zu sehen und über kurzfristige Waffenlieferungen oder Ähnliches zu reden, sondern wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in einer anderen Politikmischung mit Russland in den nächsten Jahren umgehen müssen, dass eben Abschreckung stärker wird und leider die Elemente, die wir die letzten 30 Jahre gepflegt haben, weniger bedeutsam werden, dass Resilienz deutlich wichtiger wird und dass wir vor einer Daueraufgabe stehen, diese russische Herausforderung, wie sie Putin uns formuliert hat, wirklich zu bestehen.
Trotzdem – und das soll mein Appell zum Schluss sein –: Lassen Sie uns die wenigen Dialogkanäle gerade auch nach Russland und in die Gesellschaft hinein nicht aufgeben! Denn es wird auch ein Russland nach Putin geben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schmid. – Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Putin hat mit einem verbrecherischen Angriffskrieg die europäische Friedensordnung zerstört. Er hat gleichzeitig uns alle bedroht. Im Laufe der letzten Jahre haben wir gesehen, wie Waffenpotenziale aufgebaut worden sind, die in ihrer Wirkung bis tief nach Europa hineinreichen. Das, was wir in den letzten Tagen im Zuge dieses Angriffskrieges an Drohungen gegenüber ganz Europa sehen, muss uns besorgt machen; denn im Blick hat er nicht nur die Ukraine, sondern er hat uns alle im Blick. Er hat unsere Werteordnung, er hat unsere Gesellschaften und er hat unsere Menschen im Blick – und nicht nur im Blick, sondern im Visier. Das ist ein Punkt, der uns tief besorgt machen muss.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir gerade im transatlantischen Bündnis der NATO unsere Fähigkeiten ausbauen und stärken, um uns gegen diese Bedrohung schützen zu können.
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Das ist essenziell für unsere Existenz und auch essenziell für den Frieden in dieser Welt, den wir wiedergewinnen wollen. Denn eines schafft Putin nicht – das sehen wir in Tiflis, das sehen wir in der Ukraine, das sehen wir in Russland, das sehen wir in vielen europäischen Städten –: Den Willen der Menschen zum Frieden, den kann er nicht brechen. Das wird er nicht schaffen.
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Deshalb ist es so wichtig, dass wir in dieser Situation von hier aus, aber auch von den Demonstrationen in Berlin und in vielen anderen Städten die Botschaft rüberbringen, dass wir an der Seite der Menschen stehen, die sich dort im Widerstand befinden. Deshalb ist es richtig, dass in dieser Situation auch Waffen in die Ukraine geliefert werden, damit die Menschen dort in der Lage sind, ihr Leben zu verteidigen, ihr Land zu verteidigen, ihre Freiheit und ihr Recht zu verteidigen.
Richtig ist auch – dafür bedanke ich mich herzlich bei der Bundesregierung und dem Herrn Bundeskanzler –, in dieser Situation deutlich zu machen, dass wir unsere Fähigkeiten in der NATO stärken und ausbauen werden, dass wir unsere Beiträge liefern werden und dass wir verlässlich sind.
Unsere Soldatinnen und Soldaten, die gerade in der NATO ihren Dienst versehen und sich im Laufe der letzten Tage mit Schiffen auf den Weg gemacht haben, um die NATO zu stärken, machen damit auch deutlich: Wir stehen ein für unsere Bündnispartner, so wie wir von unseren Bündnispartnern erwarten, dass sie für uns einstehen. Das werden wir vollumfänglich erfüllen.
Und, Herr Wadephul, ich will nur eines sagen: Wir gehen jetzt in den Maschinenraum der parlamentarischen Arbeit, um das, was angekündigt worden ist und jetzt auf dem Tisch liegt, entsprechend umzusetzen, damit unsere Soldatinnen und Soldaten das, was ihnen hier zugesagt worden ist, zügig auf dem Hof und im Hangar stehen und auf der Werft und dann auch im Hafen liegen haben und sie damit umgehen können.
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Deshalb an dieser Stelle mein herzlicher Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten, denen sehr wohl bewusst ist, welche Verantwortung auf sie zukommt und an welcher Stelle sie gerade ihren Eid, nämlich das Land tapfer zu verteidigen, umsetzen. Meinen herzlichen Dank dafür! Wir stehen nicht nur an ihrer Seite, wir unterstützen hierbei und helfen, wo wir können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hellmich. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Maria Mezentsewa, Lisa Jasko, Wolodymyr Ariew und Julia Ljowotschina – das sind Kolleginnen und Kollegen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und Mitglieder des ukrainischen Parlaments. Ich bin in kontinuierlichem Kontakt mit ihnen. Es ist unbeschreiblich und unvorstellbar: Sie sind bewaffnet, und sie versuchen, alles zu tun, um ihr Land, um ihre Hauptstadt zu verteidigen. Ich will die Gelegenheit nutzen, von hier aus ihnen einen Gruß auszurichten, aus dem freien Berlin in das freie Kiew, und ihnen zu wünschen, dass Kiew auch frei bleibt.
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Normalerweise wäre ich gar nicht hier, sondern auf dem Weg nach Moskau, nach Inguschetien und nach Dagestan. Das schließt sich natürlich jetzt aus. Das schließt sich aber auch deshalb aus, weil wir Russland aus dem Europarat ausgeschlossen haben. Ich wäre eigentlich für den Europarat dort gewesen. Wir haben Russland ausgeschlossen. Ich weiß, es gab eine lange Debatte darum. Das war jetzt aber eine schnelle Entscheidung, eine Entscheidung in großer Einigkeit. Und sie war ohne Alternative. Ich wollte gerade sagen: unumkehrbar. Das hoffe ich aber nicht. Ich hoffe, dass Russland eines Tages zurückkehren kann in den Europarat. Aber es wird ein langer und schwerer Weg werden.
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Ehrlich gesagt: Es hat auch keinen Sinn mehr gemacht – das muss ich hier leider eingestehen –, weil Russland ja nicht nur nach außen kriegerisch und aggressiv ist, sondern auch im Inneren alle Menschenrechte und die Prinzipien der Demokratie verletzt. Gerade hat jemand gesagt: Man muss Putin irgendwie demokratisch abwählen. – Es gibt keine Demokratie in Russland. Es ist alles eine Farce, was dort entsprechend stattfindet.
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Es ist eine Schande. Es ist schlimm, zu sehen, wie die Menschen in der Ukraine leiden, wie sie sterben. Aber es ist doch auch eine Schande, dass Putin für diesen absurden Krieg seine eigenen Leute verfeuert. Wir sehen die Bilder von jungen Soldatinnen und Soldaten aus Russland, die jetzt auf den Straßen der Ukraine sterben müssen. Das ist absurd, und das zeigt, dass Putin sich eben auch an seinem eigenen Volk versündigt.
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Es ist eben kein Kampf gegen Russinnen und Russen. Es ist ein Kampf um Freiheit und Demokratie, um Gerechtigkeit, um das freie Europa, um Menschenrechte. Die Ukraine steht an der Front dieses Krieges – für uns alle letztendlich.
Ich will danken für den Antrag, den es heute gibt und der gleich verabschiedet wird, weil er deutlich macht, dass wir den Europarat nicht alleinlassen. Russland scheidet aus. Es fehlen Gelder im Europarat. Es wäre ja absurd, wenn wir am Ende durch diesen Ausschluss dafür sorgen würden, dass der Europarat geschwächt würde. Das Gegenteil ist nötig: Es ist das Haus der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit, und das muss erst recht gestärkt werden in diesen Zeiten.
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Weil ich der letzte Debattenredner heute bin, will ich schließen mit: Freiheit für die Ukraine! Slawa Ukrajiny!
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