Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/18/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Anna Lührmann (Gast)

Politiker ID: 11003585

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Europa gemeinsam stärker machen“, das ist der Titel des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2022. Europa gemeinsam stärker machen, das heißt für uns, dass wir die EU resilienter und zukunftsfester machen. Wir müssen unser europäisches Haus zukunftsfest machen, und „zukunftsfest“ bedeutet insbesondere: klimaneutral. Dieses Ziel setzt sich auch das Arbeitsprogramm der EU-Kommission. Unser europäisches Haus braucht eine klimaneutrale Kernsanierung. ({0}) Aber das wird nur gelingen, wenn das Fundament unter unseren Füßen stabil bleibt. Europas Fundament ist in Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union ausbuchstabiert: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das ist es, was uns in Europa verbindet, das ist es, was uns von autoritären Gesellschaften unterscheidet, meine Damen und Herren. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Es gibt nicht etwas Menschenwürde, es gibt nicht etwas Demokratie, und es gibt auch keine halben Rechtsstaaten. Im Rechtsstaat gelten immer die Gleichheit vor dem Gesetz, der Schutz vor staatlicher Willkür und die Gewaltenteilung mit einer unabhängigen Justiz. Da, wo an diesen Grundsätzen gerüttelt wird, ist nicht ein Teilaspekt des Rechtsstaats gefährdet, nein, da ist die Demokratie als Ganzes gefährdet. ({1}) Die Rechtsstaatlichkeit ist wirklich eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren der EU. Gemeinsames Handeln braucht gemeinsame Regeln. Es reicht eben nicht aus, nur an die Einhaltung von Regeln zu erinnern; es ist auch nötig, Verstöße gegebenenfalls zu ahnden. Dafür ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mittwoch ein so wichtiger Schritt; denn das höchste europäische Gericht hat für Rechtsklarheit gesorgt. Es hat gesagt: Der Konditionalitätsmechanismus ist rechtskonform – Jetzt gilt in Europa ein einfaches wie wirksames Prinzip: Wer europäisches Recht bricht, der kann nicht mit europäischem Geld rechnen. Im europäischen Instrumentenkasten liegt damit ein starkes zusätzliches Werkzeug, und das brauchen wir. Denn Europa ist eine Rechtsgemeinschaft, und der Rechtsstaatsmechanismus macht Europa jetzt zu einer wehrhaften Rechtsgemeinschaft. ({2}) Dieser Mechanismus muss jetzt zügig angewendet werden. Dabei werden wir als Bundesregierung die EU-Kommission nach Kräften unterstützen. Ich möchte beim Grundwert der Rechtsstaatlichkeit auch mit einem Missverständnis aufräumen. Die Auseinandersetzung zu diesem Thema in der EU ist keine Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Im Eurobarometer vom letzten Jahr konnten wir klar nachlesen: Für die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer ist die Achtung der Demokratie und der Menschenrechte der wichtigste Vorteil der EU, und zwar noch vor wirtschaftlichen Profiten. Das sehen auch die Ungarinnen und Ungarn so. Ebenso steht die Bevölkerung Polens klar hinter diesen Werten. Deshalb sind die Menschen 1989 auf die Straße gegangen, deshalb sind die Länder 2004 Mitglied der EU geworden. ({3}) Die Frage der Rechtsstaatlichkeit ist eben keine Frage der Himmelsrichtung; sie ist eine Frage von Freiheit und Demokratie. Rechtsstaatlichkeit beschützt die Freiheit. Wer Rechtsstaatlichkeit angreift, der greift die Demokratie an. Rechtsstaatlichkeit in Europa ist keine Verhandlungssache, meine Damen und Herren. ({4}) Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Frage der Rechtsdurchsetzung betrifft auch uns hier in Deutschland. Gerade bei der Umsetzung von europäischem Umweltrecht war Deutschland in den letzten Jahren wahrlich kein Musterschüler. Eines muss klar sein: Wohlstand und Fortschritt brauchen Rechtsdurchsetzung und Rechtssicherheit. Klimaschutz braucht Rechtsdurchsetzung in ganz Europa. Unternehmen brauchen Rechtssicherheit auf dem Binnenmarkt. Nur ein Europa des Rechts kann auch zu einem Europa des Fortschritts werden, und nur durch Fortschritt werden wir das europäische Haus zukunftsfest machen. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Detlef Seif. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Kommission setzt mit der Überschrift in ihrem Arbeitsprogramm 2022 sicherlich den richtigen Akzent: „Europa gemeinsam stärker machen“. Schwieriger ist es dann aber, dieses Ziel bei der Ausgestaltung der verschiedenen Initiativen auch zu erreichen. Beispiel Green Deal. Europa soll bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Die Unternehmen sind bekanntlich zentraler Ort der Wertschöpfung und damit auch des Wohlstands in der Europäischen Union. Es ist für die Unternehmen überhaupt nicht geklärt, wie sie die angestrebten Klimaziele tatsächlich auch erreichen können. Es ist keine Strategie der Europäischen Union auf dem Weg, die genau dies in den Fokus nimmt. Deshalb wird zu Recht von Wirtschaftsverbänden wie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gefordert, dass die EU-Kommission Wirtschaft und Industrie mit derselben Entschlossenheit stärken soll, wie sie den Klimaschutz vorantreibt. Es wäre fatal, wenn man am Ende des Transformationsprozesses feststellen müsste, dass nicht nur erfolgreiche europäische Unternehmen in die Pleite getrieben worden wären, sondern dass entgegen der Planung der EU-Kommission eine Verlagerung der Produktion in Drittstaaten stattgefunden hätte. ({0}) In der offiziellen Pressemitteilung der Kommission findet sich kein Wort zur Asyl- und Migrationspolitik, im textlichen Teil des Programms ein kleiner Absatz. Es scheint so, dass die Kommission die Legislativvorschläge formal zwar weiterverfolgt, diese tatsächlich aber nur noch hinten auf der Prioritätenliste stehen. Bei allem Verständnis für Green Deal und das digitale Zeitalter: Die EU-Kommission sollte die erforderliche Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, des GEAS, mit demselben Nachdruck betreiben. Es handelt sich um ein zentrales Thema, das keinen Aufschub gestattet. Wir brauchen dringend eine verbindliche Regelung, um zukünftig auszuschließen, dass autokratische Herrscher wie Lukaschenko oder Erdogan auf die Idee kommen, Migranten im Rahmen einer hybriden Kriegsführung zu instrumentalisieren. ({1}) Wir brauchen die Reform des Asylsystems aber besonders, um den vielfachen Missbrauch dieses Schutzsystems auszuschließen. Mehr als die Hälfte der Menschen, die formal einen Asylantrag stellen, hat keinen Schutzanspruch. Die im Grenzverfahren vorgesehene Asylvorprüfung mit Identifizierung und Sicherheitsprüfung würde sicherstellen, dass Personen, die keinen Schutzanspruch haben, ermittelt werden. Beim Dublin-System ist ein Paradigmenwechsel dringend erforderlich. Die Zuständigkeit zur Bearbeitung von Asylanträgen darf nicht von der geografischen Lage eines Mitgliedstaates abhängen, sondern muss fair bestimmt werden. In einigen Mitgliedstaaten herrschen unmenschliche Aufnahmebedingungen. Das hat im Fall Griechenlands beispielsweise zur Folge, dass dort bereits anerkannte Asylbewerber in Deutschland erneut einen Antrag stellen können. Tausende Asylbewerber, die in Griechenland anerkannt wurden, haben das in der Zwischenzeit genutzt und sind hierhergekommen. Und wenn Sie von Rechtsstaatlichkeit reden: Es ist Aufgabe der Kommission als Hüterin der Verträge, auch diese unvertretbaren Zustände schnellstmöglich zu beseitigen. ({2}) Zur Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Coronapandemie wurde bekanntlich 2020 der Aufbauplan „Next Generation EU“ geschaffen. Es soll sich um ein einmaliges und um ein zeitlich befristetes Instrument handeln. Die Mittel sollen eine Investition in die Zukunft darstellen. Die Finanzierung erfolgt über EU-Anleihen. Die spätere Rückzahlung soll über sogenannte Eigenmittel erfolgen, die es zurzeit aber noch gar nicht gibt. Wir müssen genau darauf achten, wofür die Gelder in den Mitgliedstaaten verwendet werden. Sie müssen einen investiven Mehrwert haben. Es ist auszuschließen, dass die Mitgliedstaaten die Gelder zur allgemeinen Schuldentilgung und Sanierung ihres Haushalts nutzen. Darüber hinaus sind die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten gefordert, kurzfristig die erforderlichen Eigenmittel auf den Weg zu bringen, damit letztlich nicht doch die Mitgliedstaaten haften müssen und faktisch eine Schuldenunion entsteht. Das wäre nicht nur vertragswidrig, sondern würde die weitere Existenz der Europäischen Union aufs Spiel setzen. Vielen Dank. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Markus Töns. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute das Arbeitsprogramm der Kommission. Vorweg würde ich gerne eine Bemerkung dazu machen, die mir ein bisschen auf der Seele brennt. Wir diskutieren hier im Parlament jedes Jahr über das Arbeitsprogramm, weil es jedes Jahr eines von der Kommission gibt. Ich finde, das ist richtig. Wir diskutieren in den Ausschüssen über das Programm. Wir schauen uns an, was da passiert. Wir machen das auch in den Landtagen. Aber wir bräuchten dazu auch eine öffentliche Debatte. Denn wenn wir eine größere Vertiefung der Europäischen Union wollen, eine politische Europäische Union, und die Bürgerinnen und Bürger mit der Europäischen Union, mit der Kommission debattieren wollen, dann müssen wir das auch öffentlich debattieren. Ich würde mir sehr stark wünschen, dass solch eine Debatte stattfindet, weil ich glaube, dass sie dazu beitragen würde, mehr Verständnis für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in der Kommission, aber auch im Parlament in Brüssel und Straßburg zu bekommen. ({0}) Die EU ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, das beste und wichtigste politische Projekt des vergangenen Jahrhunderts. Sie ist für uns wichtig. Sie ist für uns Europäer, für uns Deutsche wichtig. Sie hat eine zentrale Bedeutung. Deshalb ist auch das Arbeitsprogramm für uns wichtig. Dieses Arbeitsprogramm fällt jetzt in besonders schwierige Zeiten. Ich glaube, dass wir sowieso vor sehr unruhigen Zeiten stehen. Die Pandemie ist noch nicht bewältigt; wir sind dabei, das zu tun. Die Folgen der Pandemie werden uns noch länger belasten. Das Arbeitsprogramm gibt darauf Antworten. Ich glaube, dass wir diese diskutieren und darüber auch durchaus mit der Kommission streiten müssen. Aber in diese schwierigen Zeiten fällt auch – das will ich sehr deutlich sagen – die Russlandkrise, die Krise im Osten Europas mit der Gefahr, dass ein Land wie die Ukraine in einen Krieg gezogen wird. Dass wir alle davon betroffen sind, steht außer Frage. Somit haben wir, die Europäische Kommission wie die Europäische Union, auch eine Verantwortung hierfür. Wenn wir mit den osteuropäischen Staaten reden und über Verantwortung sprechen, dann hat das auch viel mit unserer eigenen Verantwortung vor dem Rechtsstaat zu tun. Deshalb sind der vorhin von der Ministerin zitierte Rechtsstaatsmechanismus und das entsprechende EuGH-Urteil, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, von zentraler Bedeutung; denn hier wurde klargemacht, dass Sanktionen möglich sind. Wir haben hier Verantwortung. Rechtsstaat, Pressefreiheit, die Rechte von Minderheiten und Menschenrechte sind schlichtweg nicht verhandelbar und schon gar nicht in einer demokratischen Europäischen Union. ({1}) Wenn wir von einer Wertegemeinschaft und von gemeinsamen Werten reden, dann lassen Sie mich eines dazu sagen: Wer in Europa davon träumt, eine illiberale Demokratie zu schaffen, dem muss gesagt sein, dass das mit uns nicht zu machen ist; denn das ist keine Demokratie, das hat mit Demokratie überhaupt nichts zu tun. ({2}) An dieser Stelle möchte ich für einige, die hier auch gerne mal dazwischenrufen, ein Zitat nennen. Sie haben dem Bundespräsidenten nach seiner Wiederwahl vielleicht zugehört. Herr Steinmeier – ich will ihn gerne zitieren – hat von Verantwortung gesprochen: Meine Verantwortung gilt allen Menschen, die in unserem Lande leben. – Überparteilich werde ich sein, ja, aber ich bin nicht neutral, wenn es um die Sache der Demokratie geht. Wer für die Demokratie streitet, der hat mich auf seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben. Das gilt für uns alle in diesem Land: dass wir uns um die Demokratie nicht nur in Europa, in der Europäischen Union, sondern auch darüber hinaus kümmern. Das ist eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union und gerade von uns Deutschen. ({3}) Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu dem Arbeitsprogramm machen. Es geht hier vor allem darum, dass wir ein stabiles Europa auch mit geregelten Handelsbeziehungen haben. Die EU hat 46 Abkommen mit 78 Partnern. Schon das zeigt, dass wir da eine herausragende Rolle spielen. Es ist europäische Kompetenz, die Handelsverträge zu machen. Das heißt, wir begleiten sie. Wir sollten sehr genau drauf achten. Denn worum geht es zukünftig? Es geht darum, dass wir es auf europäischer Ebene mit unseren Partnern schaffen, eine Reform der WTO hinzubekommen. Der jetzige Zustand der WTO ist nicht so, wie wir ihn uns wünschen. Wir brauchen eine Vertiefung der Partnerschaften der EU mit Nachbarstaaten – auch das ist wichtig –, unter anderem mit den Erweiterungsländern, aber auch mit den Ländern Afrikas. Ich bin froh, dass die französische Ratspräsidentschaft Afrika wieder in den Fokus nimmt. Das ist zentral für uns. ({4}) Dies alles sind wichtige Aspekte. Es ist eine ambitionierte Strategie, damit umzugehen. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir auch schon abgeschlossene oder im Abschluss befindliche Handelsverträge haben, zum Beispiel einen mit den Mercosur-Staaten und auch CETA, zu dem es wahrscheinlich demnächst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts geben wird. Zum Schluss will ich Ihnen nur noch eines sagen. Die Neuausrichtung der Handelsstrategie ist ein wichtiger Schritt. Hierbei haben wir effektive Nachhaltigkeitsstandards und Streitbeilegungsmechanismen zu berücksichtigen. Aus meiner Sicht ist ganz wichtig: Wir brauchen gut funktionierende internationale Handelsnetzwerke, nicht nur um unseren Wohlstand und unseren Frieden zu sichern, sondern auch die Werte der Europäischen Union. Dafür streiten wir alle, zumindest die Demokraten in diesem Haus. Vielen Dank und Glück auf! ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Harald Weyel. Der Kollege spricht von oben. ({0})

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Damen und Herren hier und außerhalb! Auch diese Kommission ist nicht Hüterin, sondern Überdehnerin und Aushöhlerin nicht nur der europäischen Idee im Allgemeinen, sondern selbst der europäischen Verträge im Besonderen. Sie steht zusammen mit dem sogenannten Europäischen Parlament, Ministerrat und Rat für eine einzigartige, selbstreferenzielle Antisubsidiaritätsorgie. Zum ersten und hoffentlich nicht letzten Male hat man lediglich 1999 endlich einmal eine Kommission komplett nach Hause geschickt. Möge sich dies in Bälde wiederholen! ({0}) Zur Begründung erst einmal ein EU-KOM-Selbstzitat: Die Europäische Kommission hat auf alle Herausforderungen prompt reagiert: Sie hat der COVID-19-Pandemie Einhalt geboten, ist gegen die Auswirkungen der Klima- und Umweltkrise vorgegangen … Punkt, Punkt, Punkt. – Gestatten wir uns ein Lächeln. Vorgegangen wird jedoch vor allem gegen die wirtschaftlichen, kulturellen und insbesondere freiheitlichen Interessen der gesamten EU-Bevölkerung und insbesondere der Bevölkerungs- und Berufsgruppen außerhalb des künstlichen Brüsseler Füllhorns. In nahezu jedem EU-Land könnte man besser leben, blieben die nationalen Talente zu Hause in produktiven, ja kreativen Tätigkeiten, anstatt sich als Brüsseler Wunschweltarchitekt oder Scheinbaustellenhilfsarbeiter für Wolkenkuckucksheimarchitekturen zu verdingen. ({1}) Der ideologischen Volkserziehung der jeweiligen Landes- oder Staatsregierung fügt sich die Kommission als weitere Möchtegerngouvernante hinzu. Sie geriert sich nicht etwa als Dienstleisterin für Notwendiges, sondern eher als Hohepriesterin für Überflüssiges bis hin zum höchst Schädlichen. In nahezu allen Kardinalpunkten agiert sie als bloße Subunternehmerin globalisierter Interessenpolitik im bewährten Panikmodus von Klima und Corona. Aber noch ist die Coronawelle nicht zu Ende geritten. Jetzt soll sogar auf Vorschlag des Ratspräsidenten Michel – der Brüsseler, nicht der deutsche Michel ist hier gemeint – das WHO-EU-Superbürokraten-Joint-Venture eines Weltgesundheitsrates aus der Retorte gezaubert werden. Dazu nur kurz: Anstatt mit 194 Staaten, von denen lediglich ein paar Dutzend leidlich funktionieren, sollte man doch lieber einmal weltweit ein Verbot der wuhanmäßigen Gain-of-Function-Forschung durchsetzen, nach dem Muster der Internationalen Atomenergiebehörde zum Beispiel. Ein interinstitutionelles EU-Ethikgremium, von der Bundesregierung auch „EU-Ethikbehörde“ genannt, braucht es nicht. Denn man sieht ja, wie man sich schon hierzulande von dem selbstinstallierten Ethikrat und Ähnlichem die fragwürdigsten Vorhaben und unsachgemäßesten, rein politischen Entscheidungen absegnen lässt: Atomausstieg, Impfzwang usw. Weitere fadenscheinige Selbst- und Scheinlegitimierung braucht es dann nun wirklich nicht, zumal sich doch höchste Gerichte dafür ein ums andere Mal herbeilassen. Auch für Ethikfragen scheinen doch am Ende Interpol, Europol, OLAF – hier ist jetzt nicht der Bundeskanzler gemeint – sowie die nationale Rechtspflege die weit besseren und finalen Adressen zu sein, ob nun in der analogen oder digitalen Welt. Verschenkt wird bei alledem von Brüssel rein gar nichts. Ich zitiere: Besondere Aufmerksamkeit wollen wir dabei der jungen Generation schenken – daher der Vorschlag für das Europäische Jahr der Jugend 2022. Auch dieses Freibier steht bei jemandem auf der Rechnung. Auslandsreisen und Fremdsprachen sind für viele seit Kindesbeinen doch Standardprogramm der hippen Spaßgesellschaft, eine Zusatzqualifikation, die ohnehin fast ein jeder hat. Ich komme zum Schluss. – Aber wenn es bei der beruflichen Karriere durch oder mit EU-ropa dann eben nicht nur um Allerweltsbachelor- oder ‑mastergrade geht, sondern um den nationalen Pass, sprich: den EU-Verwaltungsnationalproporz, dann wird dem Großteil der Nettozahlerlandjugend schlagartig klar werden, dass sie nicht nur den kontraproduktiven Braindrain der vermeintlich schwächeren Länder beförderten, sondern dafür auch noch mit dem eigenen Karriereverzicht im Inland wie im Ausland bezahlten. – Denken Sie einmal darüber nach. Danke. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin für die FDP-Fraktion ist die Abgeordnete Katja Adler, die ich hier ganz herzlich zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag begrüße. ({0})

Katja Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Europa gemeinsam stärker machen“, unter dieses Motto hat die Europäische Kommission ihr Arbeitsprogramm gestellt. Mit Themen wie dem europäischen Green Deal, Europa im digitalen Zeitalter, angepassten Fiskalregeln, einer globalen Steuerreform, der Schaffung einer echten europäischen Verteidigungsunion, der Stärkung unserer Demokratie und der Förderung unserer europäischen Lebensweise hat sich die Europäische Kommission viel vorgenommen. Doch gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und Freunden werden wir als Fortschrittskoalition die Europäische Union fit für die Zukunft machen. ({0}) Herzstück der europäischen Integration ist der gemeinsame europäische Binnenmarkt, den wir nun nach fast 29 Jahren in die digitale Zukunft führen müssen. Der Digital Markets Act und der Digital Services Act dürfen hier nur der Anfang sein. Seien wir mutig und ermöglichen wir unseren Unternehmen und Erfinderinnen und Erfindern einen rechtssicheren Rahmen für ihre Innovationen, zum Beispiel durch die Harmonisierung der Mobilfunklizenzversteigerung oder die Schaffung von Freiraum für künstliche Intelligenz. ({1}) Stabile Staatsfinanzen sind für uns Liberale seit jeher das tragende Fundament unserer sozialen Marktwirtschaft. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist in Europa wichtigster Grundpfeiler einer nachhaltigen Politik. Als Ampelkoalition sind wir uns einig, dass wir den Pakt weiterentwickeln und vereinfachen müssen; denn mit 100 Seiten Anleitung für zwei eigentlich ganz einfache Regeln ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt von Reform zu Reform unübersichtlicher, intransparenter und komplizierter geworden. Nicht nur das zeigt, dass die Europäische Union im Bereich Bürokratieabbau stärker werden muss. ({2}) Überbordende bürokratische Regeln als Innovationshemmer – nicht nur in Deutschland ist das ein Problem. Deshalb freut es mich besonders, dass die Kommission nun endlich das Prinzip „One in, one out“ anwenden will. Wir Freien Demokraten werden besonders darauf achten, dass Innovationen unbürokratisch und unkompliziert möglich werden. Bauen wir Türme aus Ideen statt Stapeln aus Papier! ({3}) Unsere Freiheit und der Pluralismus der Medien sind essenzielle Grundlagen unserer demokratischen Systeme. Der Plan der Europäischen Kommission, einen europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit vorzulegen, kommt angesichts neuerlicher Entwicklungen keine Sekunde zu früh. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich an dieser Stelle an unseren Freund und ehemaligen Außenminister Guido Westerwelle erinnern, der einmal gesagt hat: Europa hat seinen Preis. Aber es hat auch seinen Wert. – Dieser Wert, verehrte Kolleginnen und Kollegen, geht weit über das Ökonomische hinaus. Dieser Wert wird deutlich bei über 1 Million Erasmus-Babys, die zeigen, dass Liebe nicht vor Grenzen Halt macht. ({5}) Geben wir den Menschen die Möglichkeit, ihren beruflichen Erfolg, ihr Glück und ihre Liebe in Europa zu finden. Verbessern wir die Anerkennung der Elternschaft über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinaus. ({6}) Nicht nur in Deutschland sehen wir, dass die Gesellschaft in ihrer inneren Liberalität das geltende Familienrecht bereits überholt hat. Deshalb hat sich die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag auf eine umfassende Reform des Familienrechts verständigt. Familie ist da, wo füreinander Verantwortung übernommen wird, und das europaweit. ({7}) Wirken wir also gemeinsam darauf hin, dass unterschiedliche Familienformen europaweit anerkannt werden, und öffnen wir endlich den europäischen Raum der Freizügigkeit für diese Familien. Die Kommission hat 2022 zum Europäischen Jahr der Jugend erklärt. Lassen Sie uns das nun gemeinsam mit Leben füllen, beispielsweise durch die Stärkung von Erasmus+ und die Schaffung von Austauschmöglichkeiten für Auszubildende. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Katja Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind Europa. In diesem Sinne: Machen wir das Beste daraus! Machen wir Europa stärker, und machen wir Europa zu unser aller Erfolg! Vielen Dank. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Alexander Ulrich. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Stunden tagt ja in Brüssel der EU-Afrika-Gipfel, und ich glaube, wir müssen deutlich zum Ausdruck bringen: Europa und auch Deutschland sind während der Coronakrise keine guten Partner. Es ist unsolidarisch und eine Schande, wie wir den afrikanischen Kontinent im Stich lassen. Südafrikas Regierungschef hat gesagt, es herrsche „Impfstoff-Apartheid“. Deshalb auch hier an die Bundesregierung und an die Gipfelteilnehmer aus Europa: Geben Sie endlich die Impfstoffe frei! Afrika braucht diese. Wir können Corona nicht nur in Europa besiegen, sondern nur weltweit und damit auch in Afrika. ({0}) Die Coronakrise hat die europäische Wirtschaft in große Schwierigkeiten gebracht. Man hat Fehler, die man in der Finanz- und Wirtschaftskrise gemacht hat, zum Glück nicht wiederholt. Man hat schon sehr früh, im Frühjahr 2020, den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Fiskalregeln ausgesetzt, weil man gewusst hat: Wir können diesem wirtschaftlichen Einbruch nur begegnen, wenn wir als Staaten kräftig dagegen aninvestieren. Ich glaube, wir hätten in Europa nicht den jetzigen Stand erreicht, wenn wir nicht die Möglichkeit gehabt hätten, vieles gegen den sozialen und wirtschaftlichen Niedergang zu tun. Wir wissen selbst in Deutschland, wie viel Geld wir dafür bis heute noch in die Hand nehmen. Deshalb ist es vollkommen falsch, jetzt schon wieder zu den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückzukehren. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Frankreich und Italien den Stabilitäts- und Wachstumspakt reformieren wollen. Wir brauchen für die sozial-ökologische Transformation, für die riesigen Veränderungen, die notwendig sind, um die Klimaziele zu erreichen, auch in Zukunft handelnde Staaten in Europa. Deshalb hoffe ich, dass die Bundesregierung nicht auf die FDP hört, die relativ schnell wieder zu dem Pakt zurückkehren will. Wir brauchen Zukunftsinvestitionen in ganz Europa. Dafür braucht es zumindest eine goldene Regel, dass diese Investitionen bei den Verschuldungskriterien nicht mitzählen. ({1}) Man kann aber in Europa auch darüber nachdenken, wenn man sich nicht verschulden will, liebe FDP, wie man die Einnahmeseite erhöhen kann. Deshalb brauchen wir europaweit eine Vermögensabgabe. Wir brauchen in Europa endlich die Digitalsteuer. Und was ist eigentlich aus der Finanztransaktionsteuer geworden? ({2}) Wir haben damals klipp und klar gesagt: Auch die Finanzjongleure sollen mithelfen, diese Krisen zu bezahlen. Bis zum heutigen Tag ist keine Finanztransaktionsteuer umgesetzt worden, obwohl sie sogar damals schon Finanzminister Schäuble im Haushalt eingeplant hatte. Sie sind mal wieder vor den Börsen und vor den Finanzmärkten eingeknickt. Wir brauchen aber diese Steuer. Wir als Linke werden immer wieder darauf hinweisen. ({3}) Viele Maßnahmen in Hochglanzbroschüren der Europäischen Kommission, der Zukunftsgipfel und alles andere, was geplant ist, werden nur dann erfolgreich sein, wenn die europäischen Bürgerinnen und Bürger durch Europa einen Mehrwert erfahren. Deshalb kann es nicht sein, dass das soziale Europa, die soziale Säule immer nur in Sonntagsreden diskutiert werden, sondern es braucht tatsächlich auch faktische Umsetzungen. Deshalb muss in diesem Jahr die Richtlinie für europäische Mindestlöhne endlich zum Erfolg geführt werden. Dazu gehört auch, dass die Richtlinie handhabbar ist und umgesetzt wird. Wir als Linke sagen: 60 Prozent des Medianlohns in jedem Land. Der wird in Portugal anders sein als in Deutschland. Aber wir brauchen endlich verbindliche Untergrenzen in ganz Europa – nicht nur als Empfehlungen, sondern sie müssen durchsetzbar sein. ({4}) Das braucht Europa, sonst werden wir die Menschen nicht mehr mitnehmen. Ein Allerletztes. Die Europäische Kommission kommt ja immer wieder auf irrsinnige Vorschläge. Nicht nur, dass sie Silvester kurz vor Mitternacht – welcher Beamter in Brüssel da wohl noch saß? – den Vorschlag weitergeleitet hat, dass auch die Atomkraft in die Taxonomie aufgenommen wird. Diese Woche ist die Kommission mit dem glorreichen Vorschlag gekommen, dass man in Zukunft Rüstungsprojekte von der Mehrwertsteuer befreien solle. ({5}) Grundnahrungsmittel werden besteuert, aber Rüstungsgüter sollen von der Mehrwertsteuer befreit werden. Solch ein Europa braucht niemand! Vielen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Anton Hofreiter. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anna Lührmann hat bereits darauf hingewiesen, welch große Bedeutung die Rechtsstaatlichkeit und das Urteil von Mittwoch für die Europäische Union und die Demokratie haben. Aber ich glaube, man muss sich sehr bewusst sein, dass dieses Urteil auch eine große Bedeutung für die Möglichkeit der Europäischen Union hat, nach außen geeint und stark aufzutreten. Nur wenn wir nach innen unsere Rechtsstaatlichkeit glaubwürdig verteidigen, erhalten und dort wieder ausbauen, wo sie bereits in großen Schwierigkeiten ist, sind wir in der Lage, nach außen stark aufzutreten. ({0}) Wenn man sich die Lage in der Welt anschaut – da geht es nicht nur um die derzeit vom Aggressor Russland verursachte Krise in Osteuropa, sondern auch um Herausforderungen durch die Klimakrise, um Herausforderungen durch ökonomisch sehr erfolgreiche, aber autoritär und immer diktatorischer auftretende Regime wie China –, dann brauchen wir ein starkes, geeintes, souveränes und handlungsfähiges Europa. Um ein starkes, geeintes, handlungsfähiges Europa zu bekommen, brauchen wir die Einigkeit, die Handlungsfähigkeit und den proeuropäischen Kurs der großen Mitgliedstaaten. Es gibt ein bekanntes Bonmot in Europa: Es gibt nur zwei Sorten von Ländern innerhalb der Europäischen Union: kleine Länder und Länder, die noch nicht begriffen haben, dass sie kleine Länder sind angesichts der Herausforderungen durch China und durch Russland. – Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns als neue Regierung mit aller Kraft für ein geeintes Europa einbringen. ({1}) Es ist auch wichtig, dass man gegenüber China nicht mehr naiv auftritt. Deshalb ist es entscheidend, dass das Außenministerium und die neue Bundesregierung eine kohärente neue China-Strategie voranbringen. Man denke daran, welch schwere Fehler da in der Vergangenheit gemacht worden sind. Man hat damals in der Banken- und Finanzkrise Griechenland, das sicher in großen Schwierigkeiten war und selber schwere Fehler gemacht hat, auch vonseiten der deutschen Bundesregierung unter Druck gesetzt, einen der wichtigsten Mittelmeerhäfen, Piräus, an China zu verkaufen. Welch schwerer geostrategischer Fehler! ({2}) Jahrelang stand man mit einer Mischung aus Verblüffung und Desinteresse vor der Strategie der neuen Seidenstraße der chinesischen Regierung. ({3}) Diese ist bereits weit vorgedrungen. Deshalb kommt es ganz entscheidend darauf an, dass wir als neue Regierung die Strategie „Global Gateway“ der Europäischen Union massiv unterstützen. ({4}) China ist natürlich, wenn es um den Kampf gegen die Klimakrise geht, ein wichtiger Partner für uns. ({5}) China ist aber auch ein unglaublich herausfordernder Wettbewerber und, wenn es um Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht, ein Systemrivale. Darauf müssen wir mit einer Mischung aus Klugheit und Selbstbewusstsein antworten. Deshalb ist es auch entscheidend, dass in Zusammenarbeit mit den afrikanischen Ländern von den vielen Versprechungen, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, zukünftig deutlich mehr umgesetzt werden. ({6}) Auch da habe ich große Hoffnung, dass mit dem neuen Bundeskanzler und der neuen Außenministerin einiges in die Realität umgesetzt wird. Die Herausforderungen sind groß. Aber mit einem geeinten, souveränen und handlungsfähigen Europa sind wir in der Lage, sie erfolgreich umzusetzen. Gehen wir sie an! Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Christoph Ploß. ({0})

Dr. Christoph Ploß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004854, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie können wir als Europäer gegenüber Großmächten wie China, Russland und den USA mithalten und eine Rolle spielen? Was können wir tun, damit der Industriestandort Europa gestärkt wird und europäische Unternehmen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sind? Das sind entscheidende Fragen, auf die wir hier im Deutschen Bundestag Antworten geben müssen. In den Reden von den Kollegen der Ampelkoalition habe ich gerade ein Hohelied auf den Multilateralismus und den Ruf nach einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik gehört. Das ist im Grundsatz richtig. ({0}) Nur, Ihre Botschaften harmonieren nicht mit Ihrem politischen Handeln. Schauen wir doch mal auf den Ukraine-Russland-Konflikt. Da hat sich die Ampelkoalition komplett von allen Partnern der NATO, von den europäischen Partnern entfernt, ({1}) einen deutschen Alleingang hingelegt und dafür gesorgt, dass unser Ansehen gerade in Osteuropa in den letzten Wochen massiv gesunken ist. ({2}) Die Esten wollen Waffen an die Ukraine liefern, damit sich die Ukraine gegen eine mögliche weitere russische Invasion verteidigen kann. Und was macht die Ampelkoalition? Sie untersagt das. Olaf Scholz nimmt neben US-Präsident Joe Biden das Wort „Nord Stream 2“ nicht mal in den Mund, ({3}) obwohl sich der US-Präsident genauso wie alle anderen europäischen Partner das klare Signal wünscht: Nord Stream 2 ist gestorben, ({4}) wenn die Russen in die Ukraine einmarschieren und weitere Teile annektieren. ({5}) Wenn ich mir obendrauf noch das Handeln der SPD, der führenden Regierungspartei, im Russlandkonflikt anschaue, ({6}) dann muss ich sagen, dass uns auch das gegenüber allen Partnern in der Welt blamiert. ({7}) Wir haben Olaf Scholz, der wochenlang nahezu untergetaucht ist. Wir haben Kevin Kühnert, der teilweise Narrative von Putin im deutschen Fernsehen verbreitet und eine völlig naive außenpolitische Haltung an den Tag legt. Und wir haben Personen wie Manuela Schwesig, die in dieser Phase auch noch die Amerikaner attackieren und eine Nibelungentreue zu Russland an den Tag legen, die uns gerade im NATO-Bündnis und innerhalb der Europäischen Union massiv schadet. ({8}) Friedrich Merz hat es vor drei Wochen hier im Deutschen Bundestag hervorragend auf den Punkt gebracht. ({9}) Er hat gesagt: Angesichts der Aggression von Russland brauchen wir keinen deutschen Alleingang, sondern wir brauchen eine gemeinsame europäische Antwort, die wir mit allen europäischen Partnern abstimmen müssen, meine Damen und Herren. ({10}) Verlassen wir das Feld der Außenpolitik; es gibt ja noch ganz viele Felder, über die wir in dieser Debatte sprechen müssen. Schauen wir auf die Industriepolitik. Auch da hat die Ampel in den ersten Wochen ihres Handelns einen klaren Fehlstart hingelegt. Gerade von der FDP war erwartet worden, dass sie technologieoffene Ansätze unterstützt, damit europäische Unternehmen klimaneutral werden können und im weltweiten Wettbewerb eine Antwort darauf geben können, wie sie ihre Prozesse klimaneutral gestalten. Alle Unternehmen in Deutschland und in Europa sind im Prinzip bereit, diesen Weg zu gehen. Sie wollen investieren. Sie wollen aber für alle klimafreundlichen Technologien die gleichen politischen Rahmenbedingungen: für Wasserstoff, für klimaneutrale Kraftstoffe wie E-Fuels, für Batterien. Was macht die Ampel? Sie zerstreitet sich in der Regierung. Es gibt einen Wettbewerb zwischen den Grünen und der FDP. Die Grünen sagen: „Man soll nahezu nur auf Batterien setzen, gerade im Pkw-Sektor“, und die FDP kann sich an ihre Wahlversprechen nicht erinnern. ({11}) Das hat die Folge, dass Unsicherheit herrscht und notwendige Investitionen in klimaneutrale Kraftstoffe, in Wasserstoff ausbleiben. ({12}) Gerade die deutsche Flugzeugindustrie, die Flugzeugbauer drohen zurückzufallen; denn die USA sind da viel weiter. Sie investieren in klimaneutrale Kraftstoffe, und sie geben eine gemeinsame Antwort. Deswegen kann ich nur sagen: Wir werden Druck machen, dass wir als Bundesrepublik Deutschland eine gemeinsame europäische Antwort mit unseren Partnern geben. Wir werden Druck machen, dass Technologieoffenheit auch in Europa fest verankert ist. Und wir werden Druck machen, dass Sie endlich international kooperieren, anstatt unser Land mit nationalen Alleingängen zu blamieren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: Für die SPD-Fraktion Jörg Nürnberger, den ich auch zu seiner ersten Rede hier im Hause begrüße. ({0})

Jörg Nürnberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005169, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich nach diesem Rundumschlag meines Kollegen wieder auf das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für dieses Jahr konzentrieren ({0}) und mich dabei auf zwei Themen beschränken, und zwar die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Zusammenarbeit in den Grenzregionen. Meine Auswahl ist darin begründet, dass ich selbst seit mehr als 25 Jahren in drei EU-Staaten als Anwalt tätig bin und in zwei Ländern lebe. Damit erlebe ich sozusagen hautnah, live und in Farbe mit, welche Erwartungen die Menschen in Deutschland, aber auch in Tschechien oder Österreich an die Politik der EU haben. Innerhalb der EU wird immer häufiger die Frage gestellt, was der Beitrag der Europäischen Union zur Stärkung ihrer äußeren Sicherheit sein kann. Es ist deshalb zu begrüßen, dass zeitnah mit dem sogenannten Strategischen Kompass eine neue Grundlage für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit geschaffen wird. ({1}) Es geht dabei um ein vielfältiges Instrumentarium, zivil und militärisch. Ich konnte mich bei einem Besuch des Multinationalen Kommandos der EU in Ulm davon überzeugen, dass hier Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Teilen der EU ganz hervorragend zusammenarbeiten, um internationale Einsätze der EU vorzubereiten. Die Umsetzung dieser Strategie wird zu mehr Sicherheit in Europa führen und gibt den Menschen insbesondere in unseren östlichen Nachbarstaaten die Bestätigung, dass sich zusätzlich zur NATO auch die EU um ihre berechtigten – und unsere gemeinsamen – Sicherheitsinteressen kümmern wird. ({2}) Es liegt in unserem eigenen Interesse, und wir sind es auch den Menschen schuldig – die Frau Staatsministerin hat es zu Beginn erwähnt –, die sich vor 30 Jahren für unseren gemeinsamen freiheitlichen Weg entschieden haben. Eine Voraussetzung für eine konsequente und gemeinschaftliche Sicherheitspolitik nach außen ist auch die Stärkung des inneren Zusammenhalts in der Europäischen Union. Und wo könnte man das besser sehen als in den Grenzregionen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten? Genau so eine Region darf ich hier als Abgeordneter vertreten. Mein Wahlkreis liegt in der Euregio Egrensis, die Teile Sachsens, Thüringens, Bayerns und Westböhmens miteinander verbindet. Hier wird seit 30 Jahren ein wertvoller Beitrag zur ganz praktischen Zusammenarbeit in Europa geleistet. Grenzüberschreitender Rettungsdienst, gemeinsame Landesplanung, ein Gastschuljahr und vieles mehr sind Beispiele dafür. Die coronabedingten Grenzschließungen haben den gegenseitigen Beziehungen schwere Schrammen zugefügt. Es freut mich daher, wenn jetzt die Stärkung der Zusammenarbeit – die Verbesserung der Kohäsion – sowohl aufseiten der EU wie auch im Programm der französischen Ratspräsidentschaft und ebenfalls im Koalitionsvertrag einen wichtigen Raum einnimmt. ({3}) Die Menschen in den Grenzregionen stehen in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit zu einer Vertiefung und zum Ausbau der Beziehungen. Am Ende meiner Rede möchte ich ein ganz kleines, aber sehr persönliches Beispiel darstellen, um zu verdeutlichen, worum es mir geht. Vor einigen Jahren kam mein damals achtjähriger Sohn auf mich zu und stellte mir die folgende Frage: Papa, sag mal, ich habe eine tschechische Mama, und ich habe einen deutschen Papa. Bin ich jetzt eigentlich mehr Tscheche oder mehr Deutscher? – Meine Antwort darauf war: Jonas, das ist doch ganz einfach: Wenn wir Fußball spielen, bist du natürlich Deutscher; das ist klar. Wenn wir über Eishockey reden, darfst du gerne Tscheche sein. ({4}) Zwei große, sehr ungläubige Kinderaugen haben mich angeschaut, und er stellte die Frage: Papa, das meinst du jetzt nicht wirklich ernst, oder? – Ich habe die Augenbrauen etwas nach oben gezogen und darauf geantwortet: Es ist eigentlich völlig unerheblich. Solange wir in einem freiheitlichen Europa mit guten sozialen und ökologischen Standards leben, wo du überall wohnen, studieren und arbeiten kannst, spielen deine beiden Staatsangehörigkeiten keine entscheidende Rolle. Wir als SPD-Fraktion werden uns dafür einsetzen, die Zusammenarbeit in der EU zu stärken, sodass nicht nur meinem kleinen Europäer, sondern allen jungen Menschen in der EU eine sichere Zukunft geboten werden kann. Wir als SPD-Fraktion finden das sehr gut. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Norbert Kleinwächter. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Ich bin mir sicher: Erst wenn man getestet wird, zeigen sich Geist und Seele wahrhaftig.“ Ganz und gar nicht selbstverliebt zitiert sich Ursula von der Leyen ganz zu Beginn des Arbeitsprogramms selbst. Sie wissen vielleicht: Ich bin Lehrer und damit mit der Natur von Tests vertraut. Ich muss ganz ehrlich sagen: Diese Frau hat keine Ahnung. Tests sind kein Selbstzweck. Sie verweisen auch nicht auf eine größere Wahrheit, sondern sie sollen Kenntnisse und Fähigkeiten evaluieren, vielleicht feststellen, wo man noch nacharbeiten muss, ({0}) auf gut Deutsch: ob der Schüler was gelernt hat. Die Kommission, muss ich feststellen, hat nix gelernt. ({1}) Sie lernt nicht die Fakten, sie lernt nicht aus den eigenen Fehlern, und sie lernt nicht aus den Fehlern der anderen. Es ist wirklich grotesk, mit welchem Eifer die EU-Kommission Konzepte kopiert, die woanders gescheitert sind, zum Beispiel bei der EU-US-Agenda für den globalen Wandel. In den USA heißt das Ding ja Green New Deal, ist abgelehnt worden. In der EU heißt es European Green Deal, und dort will man die Gesellschaft gewaltsam zu irgendwas Ökologischem und einer Union der Gleichheit transformieren. Na, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, das hätten Sie in der Internationalen Sozialistischen Vereinigung nie gedacht, dass sogar die EU-Kommission Sie mal links überholt, Stichwort „Union der Gleichheit“. Das passiert dann auch noch mit Programmen, wie „Build Back Better“, unter Biden auch gescheitert. In der EU will man gleich „Build Back Better World“ machen, also man will da die ganze Welt beglücken. So ein saftiges Rückbauprogramm, das in den Elfenbeintürmen von UN, OECD und Weltbank entwickelt worden ist, wird bei den Bürgern ganz bestimmt gut ankommen. Meine Damen und Herren, es ist mittlerweile wirklich ein Charaktermerkmal der EU-Kommission, dass sie in Gebieten unterwegs ist, in denen sie absolut nichts zu suchen hat. Corona ist ein Beispiel. Da rühmt sie sich damit, dass sie ein Zertifikat entwickelt hat, mit dem man Millionen Bürger von der Freiheit aussperrt. Da rühmt sie sich damit, dass sie irgendwie 4,6 Milliarden Impfdosen bestellt hat – das sind zehn pro Bürger. Kein Wunder, diese Politik hält man ja nur noch an der Nadel aus. Sie will in der Migrationspolitik mitreden, sie will Milliarden deutscher Steuergelder verschwenden, und sie will sogar eine Strategie zur Pflege und Bildung vom Säugling bis zum Greis vorlegen. Da kann man nur noch laut rufen: Nein, wir wollen das nicht! – Demokratie bedeutet Selbstbestimmung, und deswegen muss man rufen: EU raus! ({2}) Aber wer aufmuckt, Herr Petry, den trifft natürlich die volle Härte des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Die EU-Kommission droht ganz offen Vertragsverletzungsverfahren an. Daher muss man zu den Bürgern ganz einfach sagen: Uns stehen, glaube ich, harte Prüfungen bevor und die Erkenntnis für viele, dass es ein schwerer Fehler war, nicht die AfD zu wählen. Diese hatte die Wahrheit gesagt und hätte viel Leid verhindert. ({3}) Meine Damen und Herren, Geist und Seele werden nicht in Tests wahrhaftig, sondern eher im Sprechen und im Handeln. Es ist wahrlich unfreiwillig komisch, dass die EU-Kommission sogar eine Initiative zur Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte auflegt. Kein Wunder: Vor dieser Kommission kann man nur noch die Flucht ergreifen. Vielen Dank. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Konrad Stockmeier, den ich auch zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag begrüße. ({0})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Und selbstverständlich: Meine Damen und Herren zu Hause in Mannheim! Herr Kleinwächter, in Richtung der Alternative für Destruktive kann ich nur anmerken, dass man das Zitat der EU-Kommissionspräsidentin, das sie dem Arbeitsbericht vorangestellt hat – „Erst wenn man getestet wird, zeigen sich Geist und Seele wahrhaftig“ –, natürlich auch konstruktiv interpretieren kann und aus ihm die Frage ableiten kann, welche Schlussfolgerungen denn aus dem Test zu ziehen sind, den diese Pandemie auch für die Europäische Union zweifellos darstellt. ({0}) Kommissionspräsidentin von der Leyen stellt angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit auf die Widerstandsfähigkeit der EU-Staaten als Union ab. Daher möchte ich an dieser Stelle aus aktuellem Anlass anmerken, dass es aus Sicht der Freien Demokraten in der Tat keine Rabatte auf Rechtsstaatlichkeit für Ungarn und Polen geben darf. ({1}) Der EuGH hat in seinem Urteil den Rechtsstaatsmechanismus bestätigt. Wir fordern die EU-Kommission auf, diesen nun auch zur Anwendung zu bringen; denn die Grundwerte der EU sind nicht verhandelbar. ({2}) Die Widerstandsfähigkeit der Europäischen Union wird wachsen, wenn die Kommission einerseits den Grundsatz der Subsidiarität stark beherzigt und sich andererseits darauf fokussiert, wo sie die großen Herausforderungen unserer Zeit supranational angehen kann, wo wir als Mitgliedstaaten stärker gemeinsam agieren als individuell. Lassen Sie mich aus dem Arbeitsprogramm einige Aspekte zum Themenkomplex „Klimaschutz und Energie“ kurz herausgreifen. Die FDP-Fraktion steht zum „Fit for 55“-Programm. Dabei ist es uns besonders wichtig, dass die Maßnahmen und Zielvorgaben in der Tat technologieoffen gestaltet werden. Kollege Ploß, erlauben Sie mir die Anmerkung: Ich weiß nicht, was Sie in Hamburg so machen. Schauen Sie mal bei Airbus vorbei. Die sind längst an alternativen Antrieben dran. Der Ausflug könnte sich lohnen. ({3}) Wir brauchen nicht nur den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik und neue Leitungen und Netze. Wir brauchen auch weitere Formen der erneuerbaren Energien und Effizienzsteigerungen beim Energieverbrauch. Wir fordern die EU-Kommission auf, ihre besondere Stärke in der Förderung der Grundlagenforschung in diesem Bereich auszuspielen. Wir fordern sie auch auf, den CO2-Emissionshandel als das zentrale Element im Kampf gegen den Klimawandel zu stärken. Ich möchte anmerken, dass ein funktionierender Energiebinnenmarkt im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft dann wirklich nicht durch nationale Maßnahmen da und dort garniert oder ausgebremst werden sollte. ({4}) Es ist wichtig, dass die Kommission gerade die Chancen als großer, globaler Player für die Europäische Union ergreift, unsere Zusammenarbeit mit Partnern in Nordafrika und beispielsweise in den Golfstaaten auszubauen. Wie wichtig es ist, unsere Lieferantenstruktur im Bereich Energie zu diversifizieren, erleben wir gerade in diesen Tagen. Insofern hoffe ich, dass vom sechsten EU-Afrika-Gipfel in diesen Tagen starke Impulse für mehr Wohlstand und mehr Schutz vor dem Klimawandel für alle Beteiligten ausgehen. Denn, meine Damen und Herren, es kommt doch letztendlich darauf an, dass wir uns nicht aus Angst vor dem Klimawandel zu unsinnigen Maßnahmen treiben lassen, sondern dass wir mehr Freiheit, mehr Fortschritt, mehr Wohlstand schaffen für Deutschland, für Europa und für seine Partner in der ganzen Welt. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Chantal Kopf, die ich ebenfalls zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag herzlich begrüße. ({0})

Chantal Kopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005111, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Europa ist stark. Die EU zählt zu den gefragtesten und einflussreichsten Akteuren in der Welt. Und wir wollen Europa gemeinsam noch stärker machen, wie ja auch die Kommission im Titel ihres Arbeitsprogramms hervorhebt. ({0}) Worauf fußt Europas Stärke, liebe Kolleginnen und Kollegen? Unsere Stärke ist unser gemeinsamer Binnenmarkt. Es ist eine große Errungenschaft, dass wir unseren Wohlstand gemeinsam erwirtschaften und auf der Grundlage gemeinsamer Regeln Handel mit anderen betreiben. ({1}) Die Pandemie hat uns gelehrt, was es bedeutet, wenn die Grundfreiheiten dieses Binnenmarkts eingeschränkt sind. Das gilt es bei künftigen Krisen dieses Ausmaßes unbedingt zu verhindern. Und das gemeinsame EU-Impfzertifikat ist dafür ein erstes gutes Beispiel. ({2}) Damit der Kontinent noch enger zusammenwachsen kann, müssen wir Lücken in den europäischen Infrastrukturnetzen schließen, insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Energie und Schienenverkehr. Dabei sollten wir nicht nur die zentralen Transportkorridore im Blick haben, sondern auch regionale Lückenschlüsse wie zum Beispiel in meiner Heimatregion zwischen Freiburg und Colmar, um einen echten Mehrwert für die Grenzregionen zu schaffen. ({3}) Wir alle wissen, dass die EU mehr ist als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Ich möchte das hier noch mal unterstreichen: Ja, die EU ist auch eine Wertegemeinschaft und nach innen wie nach außen eine starke Stimme für eine regelbasierte Ordnung, für Demokratie und für Menschenrechte. ({4}) Diese europäische Wertegemeinschaft muss ihre Stärke und ihre Resilienz unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz und der Geopolitik unter Beweis stellen. Und Europas schärfstes geopolitisches Schwert, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Handelspolitik. Es gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben der Kommission, eine regelbasierte und zukunftsfähige Handelspolitik voranzutreiben. Die von der Bundesregierung unterstützte Neuausrichtung der EU-Handelsstrategie muss ambitioniert umgesetzt werden. Dazu gehört insbesondere, dass Nachhaltigkeitskriterien in künftigen Handelsverträgen keine bloßen Lippenbekenntnisse mehr sein dürfen. ({5}) Nachhaltigkeitskriterien müssen endlich auch konkret verankert und durchsetzbar sein. Das ist das Entscheidende, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({6}) Europa gemeinsam stärker machen: Ich freue mich darauf, auch mit Ihnen hier im Bundestag in den nächsten Jahren genau daran zu arbeiten. Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Catarina dos Santos Firnhaber. Auch Sie begrüße ich ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Catarina Santos Firnhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Europa liegt mir im Blut. Ich bin in Lissabon geboren worden, aufgewachsen in meinem Wahlkreis bei Aachen im Dreiländereck mit offenen Grenzen zu Belgien und den Niederlanden, im Herzen Europas. Ich bin Europäerin, und in der Europäischen Union liegt für mich die Zukunft. Dafür brauchen wir ein Europa, das erstens funktioniert und das zweitens zukunftsorientiert ist. Mit dieser Ansicht bin ich als junger Mensch nicht allein. Das Auswärtige Amt hat zusammen mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas junge Menschen in Deutschland und in Frankreich nach ihren Prioritäten für die Zukunft Europas gefragt. Allein in Deutschland haben etwa 45 000 junge Menschen teilgenommen. Was liegt diesen jungen Bürgerinnen und Bürgern denn nun am Herzen? Am häufigsten wurden dort tatsächlich nicht der Klimawandel oder Themen der Migration angesprochen, sondern die Stärkung der Demokratie. Hinsichtlich der Arbeit der EU-Institutionen erwarten vor allem junge Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare Entscheidungen. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind der Schlüssel für die Legitimation komplexer politischer Entscheidungen. ({0}) Wir brauchen keinen sich selbst blockierenden Apparat, sondern eine handlungsfähige und starke EU. „Europa gemeinsam stärker machen“ – diesen Satz haben wir heute schon ein paarmal gehört –, so heißt es im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2022. Die Stärke der EU zeichnet sich nicht nur durch die Erschließung weiterer Politikfelder aus. Bevor wir uns Neuerungen zuwenden, sollten wir erst dafür sorgen, dass die Bereiche, die schon jetzt in der Kompetenz der EU liegen, auch funktionieren; denn nur das schafft langfristig Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Ich bin davon überzeugt: Europa ist der Kontinent der Zukunft – unserer Zukunft. ({1}) Die Kommission selbst formuliert in ihrem Arbeitsprogramm als eins von sechs übergreifenden politischen Zielen ein Europa für das digitale Zeitalter und verfolgt einen ambitionierten Zeitplan. Der Weg der digitalen Dekade soll weiterverfolgt werden; bis 2030 soll der digitale Wandel vollzogen sein. Damit zieht sich Digitalisierung wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Gesetzgebung. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: der sogenannte Digital Chips Act, der die Innovationsfähigkeit und Versorgungssicherheit mit Computerchips gewährleisten soll, das Gesetz über digitale Dienste zu Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte sowie das Gesetz über digitale Märkte zum fairen Umgang auf Plattformen und nicht zuletzt auch die Schaffung einer europäischen digitalen Identität für alle Europäerinnen und Europäer. Ich könnte noch eine Vielzahl der Initiativen und Gesetze vortragen; aber eins ist klar: Die EU-Kommission hat erkannt, dass die Zukunft der EU als Projekt des Friedens und des Wohlstands auch in der Gestaltung der Digitalisierung liegt. Natürlich sind diese Gesetzgebungsprozesse und technischen Abläufe kompliziert; aber ihre Folgen werden ein Marktvorteil gegenüber anderen Region in dieser Welt sein. Die Botschaft lautet: In Europa sind die Freiheit des Internets, die Innovationskraft von Unternehmen und die Sicherheit der Daten der Nutzerinnen und Nutzer gewährleistet. ({2}) Ein Blick in die Welt zeigt, dass das nicht selbstverständlich ist. Schutz der Daten und Chancen der Digitalisierung sind zwei Seiten derselben Medaille. ({3}) Unsere verankerten Rechte, Freiheiten und europäischen Werte sollten online wie offline geachtet werden. Gerade junge Menschen müssen sich dabei auf uns verlassen können. Herzlichen Dank. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Susanne Mittag. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zwölf Zeilen im Programm, aber 40 Prozent des Gesamthaushaltes, es betrifft so ungefähr 450 Millionen Einwohner, überwiegend im ländlichen Raum lebend. Alle essen und trinken! Das ist der Bereich Ernährung und Landwirtschaft. Oftmals thematisch völlig isoliert debattiert, allenfalls mit Umweltthemen in Verbindung gebracht, aber damit auch völlig unterschätzt, besonders auf EU-Ebene. Der im Programm aufgeführte Green Deal wird zu einem großen – also flächenmäßigen – Anteil von der Landwirtschaft umgesetzt. Besonders möchte ich das Programm „Vom Hof auf den Tisch“ erwähnen. Nicht nur das durch die französische Ratspräsidentschaft propagierte Carbon-Farming-Programm und die damit verbundenen Maßnahmen wie Humusaufbau, Moorschutz, Pestizidreduzierung, Agroforstsysteme, Waldaufbau sowie weitere Nachhaltigkeitsprogramme, besonders im Rahmen der GAP, warten auf die Umsetzung durch uns alle. Auch die Digitalisierung, europäisch kompatibel ‑sehr wohl bis zur letzten Milchkanne –, ist erforderlich. Kaum ein Wirtschaftsbereich ist so weit digitalisiert wie die Landwirtschaft. Sei es für Vermarktungsbereiche, zukünftiges Labeling, für Smart Farming – die Daten müssen nur noch gezielt und zeitnah ankommen. Aber da wären wir wieder beim Thema Netzausbau; da ist auch noch Luft nach oben. ({0}) Aber auch für die ab 2026 erforderliche Berechnung und Überwachung der Nachhaltigkeitsindikatoren, also wie die CO2-Speicherung berechnet und angerechnet wird – europaweit, einfach zu bedienen und betrugssicher –, ist die flächendeckende Digitalisierung ein Muss. Landwirtschaft und Ernährung kann man also nicht isoliert sehen. Neben den vorgenannten Themen wirken sich die Programme, Maßnahmen und Beschlüsse auch im energetischen Bereich aus. Denn wo wird ein Großteil der Energie eigentlich erzeugt? In der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Da landwirtschaftliche Betriebe Wirtschaftsbetriebe sind, gibt es auch hier ergänzende Aspekte: sei es Zulieferung zur Landwirtschaft, Handel, Arbeitsmärkte oder verkehrliche Aspekte wie zum Beispiel Logistik und Antriebssysteme in der Landwirtschaft. Aber auch wechselseitige geopolitische Auswirkungen sind zu berücksichtigen, besonders im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Weltweit befindet sich die Landwirtschaft auch klimabedingt in einer Transformation; denn die außereuropäische Lage der Ernährung und Landwirtschaft hat auch innereuropäische Auswirkungen: sei es beim Import, beim Export, und ganz konkret sei hier mal die Afrikanische Schweinepest genannt. Und nicht zu vergessen und aus aktuellem Anlass – leider –: die Überarbeitung der europäischen Notfallversorgung mit Lebensmitteln. Corona hat es gezeigt – die einen oder anderen haben noch die Fernsehbilder von Grenzschlangen in Erinnerung –: Man machte sich Sorgen, ob man versorgt wird. Dazu kommt eine veränderte, vernetzte Katastrophenvorsorge. Das ist ein volles Programm für uns alle. Wir machen was draus! Herzlichen Dank. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner ist der Abgeordnete Matthias Helferich. Er spricht von der Tribüne.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Im Arbeitsprogramm 2022 der Europäischen Kommission findet sich der Unterpunkt „2.5. Förderung unserer europäischen Lebensweise“. Doch was dann folgt, darf wohl eher als Angriff auf die europäische Lebensweise betrachtet werden. Die Kommission verweist in ihrem Arbeitsprogramm auf das vor einem Jahr beschlossene Migrations- und Asylpaket der EU. Mit dem EU-Pakt für Migration und Asyl will die Kommission den Grundstein für ein Migrationsmanagement in ganz Europa legen. Die Mitgliedstaaten sollen nun auch im Bereich der Migrations- und Asylpolitik Entscheidungskompetenzen zugunsten der Brüsseler Bürokratie abgeben. Die Kommission wünscht sich einen Verteilungsschlüssel für den Youth Bulge, den Überschuss an jungen Männern aus dem Nahen Osten und dem afrikanischen Kontinent, und dies freilich gegen den Willen der europäischen Völker. Das Meinungsforschungsinstitut INSA befragte im Auftrag unserer EU-Delegation Bürger in acht Mitgliedstaaten der EU. Diese lehnen zu 80 Prozent den weiteren Zuzug von Migranten ab, fordern den besseren Schutz der EU-Außengrenze. 40 Prozent sehen ihre persönliche Sicherheit durch Migration gefährdet, und nochmals 40 Prozent fühlen sich in ihrer nationalen Identität bedroht. Wenn die Kommission wirklich deutsche, europäische Lebensart fördern will, dann sollte sie auch den artikulierten Willen der europäischen Völker respektieren, das Eigene zu bewahren und nicht Opfer einer großen Transformation werden zu wollen, wie es auch im Koalitionsvertrag der Ampel angedroht wird. Deutschland übt durch die Kommissionspräsidentin von der Leyen eine negative Dominanz aus. Deutschland projiziert seine fehlende Vorstellung von Souveränität und Selbstbehauptung auf die EU und gefährdet damit die Stabilität Europas. Es ist die dogmatische Fixierung auf die Migration als Menschenrecht, die die EU unfähig macht, ihre Außengrenzen robust zu verteidigen und damit die europäische Lebensart zu erhalten. Die Europäer möchten nicht in abendländlichen Parallelgesellschaften leben, um Ihrer Migrationssucht gerecht zu werden. ({0}) Ihre Koalition der Willigen ist bereits gescheitert, und das europäische Migrationsmanagement wird es auch. Da bin ich sicher. Vielen Dank. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Tobias Winkler. ({0})

Tobias Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union ist bedroht. Sie ist bedroht von innen und von außen. Das Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2022 gibt darauf viele Antworten. Wenn wir auf die Bedrohung von innen schauen, dann denken wir oft an die Rechtsstaatlichkeit und an die Verletzung derselben in dem einen oder anderen Mitgliedstaat. Ich begrüße außerordentlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der bestätigt hat, dass wir einen Sanktionsmechanismus haben, um diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Die Europäische Union ist aber von innen auch bedroht, wenn sie überladen, wenn sie überfrachtet wird, wenn sie von ihren Kompetenzen, die ihr von uns demokratisch zugeteilt wurden, abrückt. Wenn wir über ein Finanzmarktinstrument, das viele im letzten Jahr noch gar nicht auf dem Schirm hatten, versuchen, die Sozialpolitik, die Nachhaltigkeit in der Europäischen Union zu prägen, dann ist das nicht der Weg, wie wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger stärken oder zurückgewinnen. Wir müssen uns in den Institutionen auf unsere Kernbereiche fokussieren. Wir müssen in der Europäischen Union das gut machen, für was wir die Europäische Union brauchen. Die Institutionen müssen ihren Aufgaben gerecht werden und dürfen nicht versuchen, durch die Hintertür ihre Kompetenzen auszuweiten. ({0}) Die Europäische Union ist aber auch von außen bedroht. Wir sind eine Werteunion. Wir sind die Antwort auf Krieg auf diesem Kontinent. Die längste Friedensperiode, die wir in Europa erleben dürfen, haben wir der Europäischen Union zu verdanken. Und wir sehen, dass auch dieser Frieden, den wir lange für sicher geglaubt haben, im Osten bedroht ist. Angesichts der Tatsache, dass wir in einem Wettbewerb der Systeme stehen mit den autoritären Staaten, die vermeintlich die Oberhand zu gewinnen drohen und auch in der Pandemie ein Narrativ erzählen, dass sie besser auf solche Herausforderungen antworten können, ist es umso wichtiger, dass wir mit Blick auf die Welt auch auf die von Ihnen erwähnten 4,6 Milliarden Impfdosen schauen. Das sind nicht, wie Sie vielleicht denken, zehn Impfdosen pro Einwohner der Europäischen Union. Nein, Sie müssen über die Grenzen Europas hinaus denken. Wir haben diesen Impfstoff auch produziert, bestellt und bezahlt für andere Menschen in der Welt. Kein Kontinent, keine Region auf der Welt hat so viel Impfstoff auch für Menschen außerhalb der eigenen Region produziert wie wir; und darauf können wir stolz sein, meine Damen und Herren. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Winkler, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung von Herrn Weyel aus der AfD-Fraktion?

Tobias Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Wenn wir über die Bedrohung von außen sprechen und über unsere Stärke als Europäische Union, dann ist die in erster Linie – und das haben Sie richtig erkannt – durch wirtschaftliche Maßnahmen durchsetzbar. Ich vermisse in der Handelspolitik die Wiederaufnahme der Verhandlungen über Wirtschafts- und Handelsabkommen, wie wir sie dringend brauchen in dieser Welt, um unsere Position zu stärken. Stattdessen höre ich, dass Sie diese Handelsabkommen überladen wollen mit irgendwelchen Wünschen, die Sie noch draufpacken, so dass wir nie eine Einigung erzielen werden. Wenn es uns nicht mal gelingt mit Staaten wie den Vereinigten Staaten von Amerika ein Handelsabkommen auf Augenhöhe abzuschließen, wenn es uns nicht gelingt, mit Kanada das Handelsabkommen CETA richtig in Kraft zu setzen: Wie wollen Sie denn dann in der Welt bestehen, und wie wollen Sie dann andere Handelsabkommen wirksam durchsetzen? Wir müssen uns auf das konzentrieren, was möglich ist, und dann ist es auch möglich, mit einem starken Europa, mit einem wertegeleiteten Europa, einem Europa des Friedens, der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit diese Welt zu verändern. ({0}) Gemeinsam können wir Europa stärker machen! Vielen Dank. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, hat das Wort zu einer Kurzintervention Herr Dr. Weyel.

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, finden Sie wirklich, dass diese Geschichte, wie offenbar auch viele andere, umso wahrer wird, je öfter man sie erzählt, und zwar egal, wie oft sie widerlegt wurde, nicht nur durch Menschenverstand, sondern auch durch Forschung, durch aktuelle politische, diplomatische etc. Praxis? Es heißt, die EU, die ja offenbar ein schlechtes Wirtschaftsprojekt ist, sei dafür ein umso besseres Friedensprojekt. Diese Legende hält sich über die Jahrzehnte. 2005, als es um die sogenannte EU-Verfassung ging, die dann abgelehnt wurde und im Lissaboner Vertrag endete, war das auch der große Gimmick: Der Frieden in Europa ist bedroht, wenn die EU nicht in der bisherigen und stets verschlimmbesserten Form fortbesteht. Der Frieden in Europa hat doch wohl mit der NATO und mit dem Anfang der 60er-Jahre installierten Roten Telefon zwischen Washington und Moskau zu tun. Es hat nichts damit zu tun, was in Paris oder früher Bonn, jetzt Berlin, selbst in London entschieden wurde. Nicht nur die Deutschen, sondern die gesamten Europäer sind – und zwar nicht nur militärisch – ein Schatten ihrer selbst nach 1945. Und ohne die Vernunft, die immer wieder aus Washingtoner und aus Moskauer Entscheidungen rührte, hätte es weder eine deutsche Wiedervereinigung gegeben noch Frieden in Europa. Abschließend: Der Frieden in Europa – schön und gut. Nach 1945 wurden mehr Kriege geführt als von 1900 bis 1945. Die Kriege in der Dritten Welt, an denen sehr wohl unsere Freunde in Frankreich, unsere englischen Freunde, die ganzen Kolonialmächte usw. beteiligt waren, haben 18 Millionen Tote gefordert – so viele wie der Erste Weltkrieg. Also: Es ist kein Friedensprojekt, und es ist kein europäisches Verdienst, dass hier ein paar Jahrzehnte Ruhe im Karton war. Danke schön. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Winkler, möchten Sie darauf antworten? – Dann haben Sie das Wort.

Tobias Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weyel, ich kann zwar nicht gleichzeitig ins Mikrofon sprechen und Sie anschauen, aber ich kann Ihnen doch antworten. Wenn Sie die Geschichte Europas anschauen, dann können Sie sehen, dass es allein in den letzten 500 Jahren keine längere Friedensperiode gab als die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. ({0}) Dass wir in Frieden und Freiheit leben und Sie in einem freiheitlichen Parlament solche Reden halten dürfen, das haben wir einem Europa zu verdanken, das die Grenzen, das die Erzfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, die lange im Mittelpunkt stand, überwunden hat. Das ist eine historische Leistung der Europäischen Union. Der Friedensnobelpreis 2012 war eine berechtigte Würdigung dieser großartigen Leistungen. Und wenn Sie hier kleinreden wollen, was die Europäische Union für den Frieden auf diesem Kontinent geleistet hat, dann haben Sie die Geschichte der Europäischen Union, dann haben Sie die Geschichte dieses Kontinents nicht verstanden. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich auf einen der sechs Schwerpunkte im Arbeitsprogramm der EU-Kommission eingehen, und das ist die Frage des Green Deals. Wir als SPD-Fraktion sagen: Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, sich um diese Themen zu kümmern. Was ich allerdings weniger gut fand – und mit mir auch die Mehrheit dieser Koalition –, war, dass als erste Amtshandlung im neuen Jahr zwischen Silvester und Neujahr die EU-Kommission die Taxonomie für Atomkraft auf den Weg gebracht hat, nach dem Motto, Atomkraft sei nachhaltig. Ich bin froh, dass wir als Koalition genau das eben nicht sagen. Wir sind nicht der Auffassung, dass Atomkraft Teil der Lösung ist, meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Kaum ist aber Friedrich Merz im Amt, hat er wohl in den Schubladen geguckt, die er da vor 20 Jahren zurückgelassen hat, ob er noch irgendwas findet. Und da ist ihm anscheinend ein Papier in die Hände gekommen, aus dem er schlussfolgerte, dass die Union jetzt auch wieder für Atomkraft ist. Es ist schon spannend: 20 Jahre Zeitvergessenheit, und jetzt auf einmal sind Sie die Verfechter der Renaissance der Atomkraft. Das sagt doch viel über die CDU/CSU aus, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Wir sind froh, dass Ende dieses Jahres die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz gehen. Wir können „Fit for 55“ nur hinbekommen, wenn wir die erneuerbaren Energien deutlich ausbauen. Ich fand es etwas schade, dass im Arbeitsprogramm der Kommission zum Beispiel für den Bereich Solar nur zwei lapidare Sätze drinstehen. Ich habe vernommen, dass im April dieses Jahres eine Strategie kommen soll. Das Ziel ist ausgegeben, bis 2030 auf europäischer Ebene Anlagen im Umfang von 420 Gigawatt hinzuzubauen. Wenn wir unseren Koalitionsvertrag zugrunde legen, verhält es sich so, dass wir davon schon 200 Gigawatt leisten. Da kann die Europäische Union gern noch eine Schippe drauflegen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir geben da gerne auch Unterstützung. Ja, wir müssen in der Tat auch gucken, was parallel die Kommission macht und was im Europäischen Parlament verhandelt wird. Da ist derzeit die Erneuerbare-Energien-Richtlinie auf dem Tisch, und da wollen wir noch mal nachschärfen. Hier muss klar sein: Auch in Zukunft brauchen wir für Windparks mit bis zu 18 Megawatt klar die De-minimis-Regelung, also betreffend die Frage der Nichtausschreibung von solchen Flächen. Das stärkt kommunale Stadtwerke; das stärkt Bürgerenergiegenossenschaften. Auch bei Photovoltaik auf Dachflächen von Privathäusern kann ich mir gut vorstellen, dass das zukünftig ohne Ausschreibungen geht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir bringen damit die erneuerbaren Energien voran. Ja, wir diskutieren derzeit auch sehr viel über den europäischen Emissionshandel und die Ausweitung auf die Bereiche Straßenverkehr und Gebäude. Das hat allerdings – wir haben ja gleich den nächsten Tagesordnungspunkt dazu – auch immense Auswirkungen auf die Energiepreise. Das muss abgefedert werden; das ist aus meiner Sicht essenziell wichtig. Deswegen ist es gut, dass auch dort ein Klima-Sozialfonds aufgelegt werden soll. Der muss aber auch treffsicher sein; sonst verlieren wir die Unterstützung der Mehrheit der Menschen. Es darf nicht sein, dass sie die Zeche zahlen, sondern wir müssen die Energiewende, wir müssen den europäischen Emissionshandel so ausgestalten, dass Menschen entlastet werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Die Frau Staatsministerin hat es eben gesagt – ich finde das Zitat so nett –: Unser europäisches Haus braucht eine klimaneutrale Renovierung. – Auf Parlamentsebene macht das die Regierung, machen das die koalitionstragenden Fraktionen. Aber eine Renovierung ist ja auch was ganz Praktisches. Die Renovierung der Gebäude machen die Handwerkerinnen und Handwerker; und da haben wir einen massiven Fachkräftemangel. Leider, leider steht im Arbeitsprogramm der EU-Kommission viel zu wenig drin, wie wir diesen massiven Fachkräftemangel abbauen können. Wenn wir die Energiewende, wenn wir den Ausbau der erneuerbaren Energien, wenn wir die Sanierung und Renovierung hinbekommen wollen, brauchen wir Fachkräfte. Und da müssen wir noch ein bisschen investieren, damit uns das gelingt. Meine Damen und Herren – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss –, wir als Regierungskoalition und insbesondere die SPD sieht im Klimaschutz, in der Energiewende eine Riesenchance für die europäische Gesellschaft, für die europäische Wirtschaft und auch für die Menschen. Nachhaltige Energieerzeugung kann zum Standortfaktor werden, damit Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird. Und dafür wird diese Koalition ihren Beitrag leisten. Vielen Dank und Glück auf! ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Damit schließe ich die Aussprache zu dieser Vereinbarten Debatte.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn der Debatte drei Punkte ansprechen: Erstens. Es gibt ganz grundsätzlich drei Themen, die die Bürgerinnen und Bürger dieser Tage ganz besonders beschäftigen: Russland/Ukraine, Corona, explodierende Energiepreise. Zu allen drei Themen finden in dieser Woche hier im Deutschen Bundestag Debatten statt; das ist gut. Aber sie werden hier nur diskutiert, weil wir, die Union, die Opposition, sie zum Thema machen. ({0}) Und – das ist noch bemerkenswerter –: Zu all diesen drei Themen, zu Ukraine/Russland, Corona und auch zu den explodierenden Energiepreisen, hat die Regierung, haben die Minister der Regierung hier anscheinend nichts zu sagen. ({1}) Sie in der Koalition haben viel über Parlamentarismus in den Koalitionsvertrag geschrieben. Wir haben viel Kluges dazu gehört. Parlamentarismus stärkt man vor allem dadurch, dass man ihn lebt, indem die Debatten hier im Deutschen Bundestag stattfinden und die Regierung sich hier im Deutschen Bundestag erklärt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Zweitens. Zur Explosion der Energiepreise sei eines vorneweg gesagt: Dass die Preise steigen, liegt offenkundig nicht in der Verantwortung der Regierung. ({3}) Das wäre jeder Regierung so gegangen; das hat was mit Entscheidungen oder Nichtentscheidungen der Vergangenheit zu tun, ({4}) vor allem aber mit gedrosselten Gaslieferungen aus Russland, die nur ihre Verträge erfüllen, aber eben auch nicht mehr. Nein, dass die Preise steigen, liegt nicht in Ihrer Verantwortung. ({5}) Aber dass es keine schnelle, keine schnell wirksame Reaktion gibt, das liegt in Ihrer Verantwortung. ({6}) Ja, ein Heizkostenzuschuss ist gut; aber er reicht nicht. Er ist für zu viele zu wenig. Energiepreise sind mittlerweile eine echte soziale Frage. Krankenpfleger, Polizistinnen, Handwerker, all diejenigen, die unser Land am Laufen halten, drehen an kalten Tagen mittlerweile mit einem ziemlich klammen Gefühl die Heizung wärmer. Sie müssen an der Zapfsäule sehr genau überlegen, wie viel Liter Benzin es heute sein müssen. Handwerker, Unternehmen, aber auch Großkonzerne überlegen sich gerade sehr genau, ob sie Investitionen hier in Deutschland tätigen, ob sie sie aufschieben, fallen lassen oder ins Ausland verlegen. All diese Menschen können nicht auf wärmeres Wetter warten; sie brauchen Entlastung bei den Preisen, und zwar jetzt und sofort. ({7}) Dazu schlagen wir einiges vor: die EEG-Umlage abzuschaffen, ({8}) die Stromsteuer und die Mehrwertsteuer auf Energie deutlich zu senken, die Pendlerpauschale auf 38 Cent zu erhöhen. Das sind nur drei der wichtigsten Maßnahmen. Sie sind übrigens auch fair und finanzierbar, weil nicht zuletzt der Staat an den höheren Energiepreisen mitverdient – bei der Mehrwertsteuer, bei hohen CO2-Preisen. Es ist nur fair und gerecht, wenn in dieser schwierigen Lage und auch angesichts dieser sozialen Frage die Bürgerinnen und Bürger dann wieder entlastet werden; das ist das, was wir einfordern. ({9}) Sie reden viel vom Sofortprogramm Klimaschutz – das ist ja auch alles okay –, aber was es noch dringlicher braucht, ist ein Preis-runter-Sofortprogramm, ein Entlastungsprogramm, und zwar sofort, Herr Minister. Das ist jedenfalls das, was wir erwarten. Das ist vor allem das, was die Bürgerinnen und Bürger erwarten und auch erwarten dürfen. ({10}) Drittens. In aller Kürze: Unsere starke Abhängigkeit von russischem Gas erweist sich auch als ziemliche Achillesferse. Das spüren wir dieser Tage schmerzhaft. ({11}) Wer aber aus Kernenergie und Kohle aussteigt, braucht, auch wenn er in erneuerbare Energien stärker einsteigt, auf absehbare Zeit Gas, und er braucht vor allem Versorgungssicherheit. Sie können jetzt zehn Debatten darüber führen, was alles hätte entschieden werden müssen. Sie regieren gerade. ({12}) Sie müssen mit den Dingen, wie sie sind, umgehen. ({13}) Deswegen müssen wir offenkundig ({14}) auch ein Sofortprogramm für Gas haben: für mehr Gaskraftwerke, verlässliche Gaslieferungen, mehr strategische Gasreserven, LNG-Terminals für Flüssiggas aus dem Ausland. ({15}) Das haben Sie, Herr Minister, ja richtigerweise gesagt. Nur, ich sehe bei dem Begriff „LNG-Terminals“ Ihre eigene Fraktion in Teilen schon zucken. Wir sehen doch, wie an den möglichen Standorten sich jetzt schon wieder die ersten grünen Bürgerinitiativen gründen und in Bewegung setzen. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Fraktion und Ihre Partei beim Thema „LNG-Terminals“ an Ihrer Seite haben. Uns als Union haben Sie dabei an Ihrer Seite. Wir brauchen LNG-Terminals und Flüssiggas, um nicht so stark abhängig zu sein von Russland. ({16}) Kurzum, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir erwarten, dass die Regierung zu den Fragen unserer Zeit hier im Deutschen Bundestag Stellung bezieht, auch und gerade zu den explodierenden Energiepreisen. Und: Wir fordern Taten, wie wir sie in unserem Antrag beschreiben. Ankündigungen und warme Worte allein lindern die finanzielle Not der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen in Deutschland nicht. Die brauchen ein Preis-runter-Programm sofort. ({17})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Michael Schrodi. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Pandemie ist aktuell nicht zu Ende. Wir erleben geopolitische Konflikte, die zu eskalieren drohen. Wir erfahren, auch daraus resultierend, Lieferengpässe und einen Preisschock bei fossilen Energieträgern. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen arbeiten mit Hochdruck und beständig daran, Lösungen für all diese Themen zu formulieren. Wir haben schon einiges auf den Weg gebracht, und wir werden noch einige weitere Maßnahmen auf den Weg bringen, die wirkungsvoll, schnell umsetzbar und finanzierbar sind. ({0}) Zum Thema Energiepreissteigerung gibt es drei Anträge, zwei erwartbare von der AfD und den Linken. Bemerkenswert, aber auch beunruhigend ist, zu sehen, wie sich CDU und CSU in atemberaubender Geschwindigkeit von einer langjährigen Regierungspartei zu einer unseriösen Oppositionspartei entwickeln. ({1}) Dieser Antrag zeigt dies deutlich an verschiedenen Punkten. Das, was Sie vorlegen, ist ein Bauchladen. Alles, was Ihnen in den letzten Wochen so zugerufen wurde, haben Sie da hereingepackt: 22 Einzelmaßnahmen, die sich doppeln, die sich ausschließen, die sogar kontraproduktiv sind. Nur ein Beispiel: Sie fordern einerseits, die Stromsteuer abzusenken; gleichzeitig wollen Sie auch noch den Spitzenausgleich angehen. Das ist obsolet, wenn Sie das eine tun. ({2}) Es ist ein Sammelsurium nicht aufeinander abgestimmter Einzelforderungen statt gezielter Maßnahmen, die ich von Ihnen als ehemaliger Regierungspartei erwartet hätte. Auch deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. ({3}) Ich darf auch zitieren aus Ihrem Antrag. Sie fordern die Bundesregierung auf, „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ diese Forderungen umzusetzen. ({4}) Das ist eine interessante Forderung; denn das heißt: Entweder wollen Sie, dass mit Blick auf die Haushaltslage die Forderungen gar nicht umgesetzt werden, oder aber Sie müssen Farbe bekennen. Wie wollen Sie denn das alles finanzieren? ({5}) Wollen Sie höhere Steuern? Wollen Sie neue Kredite? ({6}) Denn anders sind Ihre 22 Punkte gar nicht zu finanzieren. Die Zeitung „Die Welt“ hat das mal ausgerechnet – ich übrigens auch –: 40 Milliarden Euro würden alle Maßnahmen kosten, ({7}) die Sie hier aufgeschrieben haben – ohne ein Wort zur Gegenfinanzierung. Das ist ein Oppositionswolkenkuckucksheim-Antrag, aber keine seriöse Politik, die Sie hier vortragen, Herr Spahn. ({8}) In der sogenannten Toolbox der EU-Kommission, Herr Spahn, ({9}) die Sie auch aufnehmen und auf die Sie sich beziehen, fordert die Kommission insbesondere soziale Unterstützungsmaßnahmen, möglichst als Pauschale: zeitlich befristete, zielgerichtete Entlastungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, aber nicht Maßnahmen mit der Gießkanne, die zum Teil speziell Spitzenverdiener entlasten würden. ({10}) Wir haben und wir werden gezielte Maßnahmen für diejenigen auf den Weg bringen, die besonders unter den Energiepreisen, den Gaspreisen, zu leiden haben. Das sind kleine und mittlere Einkommen. ({11}) Sie haben gesagt, wir würden nichts tun oder hätten nichts vor. – Natürlich tun wir etwas – Sie müssten nur mal genauer zuhören, vielleicht auch mal die Zeitungen lesen –: Heizkostenzuschuss – ({12}) übrigens hier heute in erster Lesung –, Wohngelddynamisierung, vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage, ({13}) weitere Maßnahmen wie die Anhebung des Mindestlohns – auch das wird helfen –, Sofortzuschlag für Kinder, endlich mal eine gerechte Aufteilung des CO2-Preises zwischen Mieter und Vermieter, ({14}) was mit Ihnen nicht zu machen war, oder auch die Mindestausbildungsvergütung. All das bringen wir auf den Weg. ({15}) Zuletzt muss man deutlich sagen: Herr Spahn, das ist eine fossile Inflation. ({16}) Es sind die fossilen Energieträger, die die Preise treiben. ({17}) Deshalb werden wir auch mittel- und langfristig dafür sorgen, dass die Preise sinken; denn die günstigsten Preise erhalten wir mit den erneuerbaren Energien. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Sie uns jetzt auffordern, die erneuerbaren Energien schneller auszubauen. ({18}) Sie saßen doch am Kabinettstisch. ({19}) Da saß doch ein Herr Altmaier auch mit dabei. Ich kann mich erinnern, dass er derjenige war, der gebremst hat, ({20}) der den Solardeckel nicht aufgehoben hat, ({21}) der bei der Windenergie gebremst hat. So war es doch. Ich erinnere Sie auch daran, dass es in der CSU den bayerischen Windkraftverhinderer Markus Söder gibt, der verhindert, dass in Bayern erneuerbare Energien ausgebaut werden. ({22}) Kehren Sie erst mal vor Ihrer Haustür! Wir werden als Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen, die schnell umsetzbar sind, ({23}) auf den Weg bringen, ({24}) und wir werden die mittel- und langfristigen Lösungen, nämlich den Ausbau der erneuerbaren Energien, voranbringen. Das tun wir gemeinsam und geschlossen ({25}) in dieser neuen Koalition, ({26}) und darauf freue ich mich, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({27})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Bernd Schattner. ({0})

Bernd Schattner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005203, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Leben wird für die Menschen in Deutschland immer teurer. Seit Monaten sehen wir immer stärker steigende Preise bei Lebensmitteln, Wohnkosten und Energiekosten. Die aktuelle Inflationsrate liegt mittlerweile bei rund 5 Prozent. Im Dezember hatten wir die höchste Inflationsrate seit über 30 Jahren. Zusätzlich werden die Sparer durch die aktuelle Niedrigzinspolitik durch die Hintertür enteignet. Es wird höchste Zeit, dass wir unsere Bürger hier spürbar entlasten. Insbesondere die Energiepreise steigen in schwindelerregende Höhen. Das tägliche Leben wird für viele Menschen in unserem Land bald unbezahlbar sein. Egal ob wir uns die Spritpreise anschauen oder die nächste Heizkostenabrechnung, zurzeit kennen die Preise nur eine Richtung: stark nach oben. Und sicherlich erinnert sich noch jeder von Ihnen an die Aussage unseres jetzigen Kanzlers, dass er ja nicht selbst tanken muss und daher die Preise nicht kennt. Mit anderen Worten: Der Bundeskanzler hat keine Ahnung, wie teuer das Leben in Deutschland mittlerweile geworden ist. ({0}) Aber fragen Sie doch mal Ihre Wähler zu Hause im Wahlkreis. Die können es Ihnen ganz genau sagen. Die merken es nämlich täglich in ihrem Geldbeutel. Die meisten Abgeordneten hier im Haus dürften die Preise vermutlich nicht kennen, daher mal zu Ihrer Information: Heute Morgen kostet der Liter Super in Berlin mittlerweile 1,85 Euro. Aber schauen wir in dem Zusammenhang doch mal in unsere Nachbarländer, wie diese mit dem aktuellen Problem umgehen. Polen hat aktuell die Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe von 23 auf 8 Prozent gesenkt, und damit ist der Liter Sprit in Polen mittlerweile um rund 60 Cent billiger als in Deutschland. Während an der Grenze zu Polen die Tankstellen auf deutscher Seite verwaisen und die Pächter kurz vor dem Ruin stehen, boomt der Tanktourismus nach Polen. Nicht nur bei Steuern und Abgaben sind wir europaweit Spitzenreiter; auch unsere Kraftstoffpreise gehören mittlerweile zu den höchsten in der EU. Auf meine Anfrage an das Bundesfinanzministerium, ob eine Senkung der Mehrwertsteuer bzw. Energiesteuer auf Kraftstoffe in Deutschland möglich wäre, bekam ich folgende Antwort: Die Umsatz- und die Energiesteuer werden erhoben, um die Finanzierung der staatlichen Aufgaben zu sichern. Eine Senkung dieser Steuern würde ihre Lenkungswirkung schmälern ({1}) und Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels verlangsamen. -Offensichtlich ist doch hier mittlerweile die einst liberale FDP vor dem Zeitgeist des grünen Klimawahns komplett eingebrochen. ({2}) Unser politischer Grundsatz ist die Rettung des deutschen Steuerzahlers und eben nicht die des Weltklimas. Aktuell sind mittlerweile 60 Prozent des Spritpreises auf Steuern und Abgaben an den Fiskus zurückzuführen. Deswegen sind unsere Forderungen nach einer befristeten Absenkung der Mehrwertsteuer sowie die Abschaffung der CO2-Steuer ökonomisch und gesellschaftlich das Gebot der Stunde. ({3}) Ich kann natürlich nachvollziehen, dass Ihre links-grün-gelbe Koalition überhaupt kein Interesse an einer Lösung der hier debattierten Probleme hat. Schließlich führen diese horrenden Preise zu sprudelnden Steuereinnahmen an der Zapfsäule. Die hier vorgestellten Vorschläge der Union zielen eigentlich in die richtige Richtung. Leider gehen Sie aber auch den Irrweg des Klimaaktivismus in Ihren Forderungen mit, und deshalb werden wir uns bei diesem Antrag enthalten müssen. Dahingegen ist unser vorgestellter Antrag zur Senkung der Mehrwertsteuer ein Antrag zur Entlastung der Unternehmen, Arbeitnehmer und Familien in Deutschland gleichermaßen. Bei der immer stärker werdenden staatlichen Gängelung der Menschen in unserem Land sehen wir uns als Alternative für Deutschland nicht nur dem Schutz der Bürger vor einem grünen Klimawahn der Bundesregierung verpflichtet, sondern ebenso dem Schutz der Grundrechte. Und genau aus diesem Grund werden wir auch am 5. März einen deutschlandweiten Aktionstag gegen eine staatlich verordnete Impfpflicht veranstalten. Zurück zum Antrag. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Sie würden damit insbesondere den ländlichen Raum unterstützen, die Wirtschaft ankurbeln und das Leben eines jeden Einzelnen in Deutschland leichter machen. Vielen Dank. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Ingrid Nestle. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schattner, Sie haben es geschafft, in nur einer Rede auf die Energiewende zu schimpfen, die unsere Unabhängigkeit von den Fossilen reduzieren würde, und mit Krokodilstränen das zu beweinen, was die Abhängigkeit von den Fossilen für Folgen hat, nämlich die hohen Energiepreise. Das ist bemerkenswert, aber nicht seriös. ({0}) Damit zu Ihrem Antrag, werte Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU. Sie sind mutig; das muss man Ihnen lassen. ({1}) Sie führen unter Punkt II ganz korrekt auf, was wir brauchen, um uns aus der Abhängigkeit von den Fossilen zu lösen, um das zu verhindern, was gerade die Preissteigerung verursacht. Sie wollen die Effizienz steigern. Sie haben in Ihrer Regierungszeit diesen Punkt aber nicht nur unzureichend vorangetrieben, sondern ihn zum Teil auch aktiv hintertrieben. ({2}) Ein Beispiel nur: die Effizienz bei Autos. Sie haben in der EU aktiv verhindert, dass wir anspruchsvolle Effizienzvorgaben bekommen, und beim Effizienzlabel für Autos haben Sie sich dafür eingesetzt, dass die Autos besser gestellt sind, die schwerer sind. Das ist kein Fortschritt bei der Effizienz. ({3}) Ähnlich ist es bei der Unabhängigkeit von den Fossilen. Die Erneuerbaren sind bei Ihnen eingebrochen. Die Sanierung ist nicht vorangekommen. Von daher ist es mutig, dass Sie das benennen. ({4}) Ja, natürlich brauchen wir kurzfristig Maßnahmen, um die hohen Energiepreise zu senken. Aber dass Sie jetzt aus allen Rohren gleichzeitig und ohne Zielgenauigkeit mit der Subventionskanone schießen wollen – 9 Milliarden Euro bei der Umsatzsteuer, 7 Milliarden Euro bei der Stromsteuer, 10 Milliarden Euro bei der kalten Progression –, das ist natürlich nicht die Lösung. ({5}) Man kann sagen: Sie haben sich sehr schnell und sehr umfassend in Ihrer Rolle als Opposition eingefunden. ({6}) – Würden Sie mir einmal ganz kurz fertig zuhören? – Aber aus den genannten Gründen können wir dem Antrag leider nicht zustimmen. Wir haben schon mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht und arbeiten an weiteren. Das hat mein Kollege gerade ausgeführt; ich glaube, das kann ich in meinen letzten drei Sekunden nicht. Zugleich möchte ich Ihr Angebot annehmen. Ich freue mich, dass Sie erkannt haben, dass wir jetzt Energieeffizienz und die Unabhängigkeit von den Fossilen brauchen. ({7}) Lassen Sie uns sehr gerne gemeinsam nach Lösungen suchen. Denn die Unternehmen und die Menschen im Land brauchen zweierlei: ({8}) Sie brauchen zielgerichtete Unterstützung da, wo es am meisten schmerzt, und das kurzfristig, weil wir in der Patsche sitzen wegen dem, was unterblieben ist. Wir brauchen aber auch langfristige Planungssicherheit. Da hilft es bestimmt, wenn wir einen breiten Konsens hinbekommen, ({9}) der uns aus der würgenden Abhängigkeit von den fossilen Energien lösen kann. Herzlichen Dank. ({10})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die gestiegenen Energiekosten sind ein Riesenproblem. Im Schnitt sind sie im Laufe des letzten Jahres für Heizen um circa 50 Prozent, für Sprit um 38 Prozent und für Strom um 9 Prozent angestiegen. Das kann so wirklich nicht weitergehen. ({0}) Was das konkret bedeutet, möchte ich jetzt mal an einem Beispiel festmachen: Eine Friseurin in Brandenburg verdient 1 300 netto im Monat. Es mag sich der eine oder andere hier nicht vorstellen können, dass das so wenig ist, aber das ist bittere Realität für Millionen Arbeitnehmer – auch in Vollzeit, auch in Ausbildungsberufen –; viele verdienen sogar weniger. Sie wohnt in einer Zweizimmerwohnung und pendelt jeden Morgen 25 Kilometer mit dem Auto zur Arbeit; denn da fährt kein Bus. Auch das ist Realität für Millionen Menschen in unserem Land. Dieser Weg kostet sie heute etwa 50 Euro mehr im Monat als vor einem Jahr. Für die warme Wohnung sind es mindestens 70 Euro. Für Strom kommen noch mal 10 Euro mehr dazu. Das macht zusammen 130 Euro monatliche Mehrbelastung. Das sind 10 Prozent des Monatsnettos. ({1}) Was das konkret bedeutet, ist, dass sich viele Menschen ernsthaft fragen müssen: Heizen oder essen? Das ist doch wirklich ein Skandal! ({2}) Was tut jetzt die Bundesregierung? ({3}) Gehen wir die Maßnahmen durch: Sie wollen den Menschen, die wohngeldberechtigt sind, 135 Euro Heizkostenzuschuss zahlen. Nicht pro Monat, nein. Nur einmal. Das reicht nicht aus. Und wissen Sie was? Die Friseurin, die bekommt davon gar nichts, weil sie – halten Sie sich fest – dafür zu viel verdient. ({4}) Richtig wäre stattdessen das, was wir fordern, nämlich dass der CO2-Preis auf Energie für Mieterinnen und Mieter sofort entfällt. ({5}) Sie wollen außerdem die EEG-Umlage nächstes Jahr streichen. Gut, aber die Not herrscht doch jetzt. Das ist viel zu spät. Wir fordern daher, die Mehrwertsteuer auf Energie von 19 auf 7 Prozent zu senken. Das bringt bares Geld für die Bürgerinnen und Bürger, und zwar zeitnah. ({6}) Christian Lindner hat außerdem gesagt, die Pendlerpauschale solle erhöht werden. Da verrate ich Ihnen jetzt mal was: Auch davon hat die Friseurin aus Brandenburg gar nichts. Denn auf ihr geringes Einkommen zahlt sie kaum Steuern. Sie kann heute nicht mal die Pendlerpauschale voll ausnutzen. Stattdessen wäre das richtig, was wir fordern, nämlich ein Mobilitätsgeld, das direkt ausgezahlt wird. Davon profitieren alle Pendlerinnen und Pendler. Das wäre der richtige Schritt. ({7}) Kolleginnen und Kollegen, neben diesen effektiven Sofortmaßnahmen braucht es natürlich auch langfristige Konzepte, zum Beispiel die Einführung einer funktionierenden staatlichen Preisaufsicht für Energie. Außerdem muss der Strompreis von den Spekulationen an der Börse endlich entkoppelt werden. ({8}) Ich weiß, dass einige, auch hier im Hause, die hohen Energiekosten befürworten, weil sie meinen, dass die Leute dann weniger Auto fahren, was den Klimaschutz voranbrächte. Aber das ist ein Irrglauben; denn die Friseurin in Brandenburg hat, wie viele andere, keine Alternative zum Auto. Und was die hohen Spritkosten bewirken, das kann man aktuell an der deutsch-polnischen Grenze bestaunen: Der Tanktourismus boomt. ({9}) Und übrigens: Nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern führen die hohen Energiekosten zu Löchern im Portemonnaie – auch die klammen Kommunen leiden, die heute kaum noch wissen, wie sie die Bibliothek oder das Schwimmbad offen halten sollen. Die Preissenkungen im öffentlichen Personennahverkehr, die für die Verkehrswende wichtig wären, rücken so in immer weitere Ferne. Das ist der falsche Weg. ({10}) Außerdem sehen wir, dass die Ewiggestrigen von rechts die Preisexplosion ausnutzen, um den dringend notwendigen Klimaschutz pauschal zu diskreditieren – ein Grund mehr, den steigenden Verbrauchspreisen sofort Einhalt zu gebieten, Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Zusammenfassend: Für uns als Linke ist klar: Das Leben muss bezahlbar sein, und zwar für alle. Vielen Dank. ({12})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Michael Kruse. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere lieber Kollege Spahn! Ich wusste immer, dass wir beide in einer unterschiedlichen Realität leben. ({0}) Dass wir uns hier ausgerechnet von der Person, die eineinhalb Jahre alles im Bereich der Coronapolitik an diesem Hause hier vorbeigewunken hat, anhören müssen, wir müssten jetzt die relevanten Debatten ins Parlament holen, ist der Treppenwitz des Jahres, Herr Kollege Spahn! ({1}) In Ihrem Antrag geht es ja noch weiter. Ich habe den mit einer gewissen Verwunderung gelesen; denn eigentlich handelt es sich hierbei um die Mängelliste der Unionsenergiepolitik, meine Damen und Herren. ({2}) Wir kehren jetzt hinter Ihrer Arbeit her, weil Sie jahrelang hier oben auf den Regierungsbänken überhaupt nichts auf die Kette gekriegt haben. ({3}) Sie schreiben – und das ist ja das Spannende; da sind Sie besonders unscharf –: „Den Schaden tragen nun die Endkunden, die in erheblich teurere Grundversorgungstarife fallen ...“ Ja, aber die Verantwortung, lieber Kollege Spahn, die trägt Ihre Bundesregierung, also die letzte Bundesregierung, ({4}) die insbesondere im Bereich der Regulierung der Gasmärkte überhaupt nichts auf die Kette gebracht hat. ({5}) Wir brauchen in diesem Bereich einen Nachtwächterstaat. Der Nachtwächter hatte bisher ein schwarzes Parteibuch, nur leider hat der Nachtwächter geschlafen. Und wenn der Nachtwächter im Nachtwächterstaat schläft, dann wird es besonders bitter. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Wir räumen jetzt auf hinter Ihrer Politik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union! ({6}) Und jetzt wird es ganz besonders spannend. Der erste Satz Ihres Antrags, der eine inhaltliche Forderung aufmacht, bedeutet ja zugleich, dass der Rest des Antrags kassiert wird. Denn Ihre Haushälter waren zumindest so wachsam – herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen –, einen Haushaltsvorbehalt hierreinzuschreiben. ({7}) Ich bin sehr gespannt, ob hier gleich noch jemand von Ihren Haushältern in die Rede geht und uns erklärt, wo denn das Geld liegt, das Sie alles verausgaben wollen. ({8}) Ich komme gleich darauf zurück. Ich finde es ja ganz spannend, wie Ihr Parlamentsverständnis ist. Sie haben von uns eine Parlamentsdebatte eingefordert, und die führen wir gerne, wie Sie sehen. ({9}) Nur eines ist neu für mich: Die Regierung verständigt sich darauf, die EEG-Umlage abzuschaffen. Die Regierung ist bereit, die Abschaffung der EEG-Umlage sogar vorzuziehen aufgrund der ernsten Lage, in der wir sind. Und jetzt kommen Sie mit einem Oppositionsantrag und fordern genau das munter von uns ein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie von der Union müssen in der Opposition wirklich noch sehr viel lernen. ({10}) Ich überspringe jetzt ein bisschen. Die geschätzten Kollegen aus der Ampel sind ja darauf eingegangen, dass sehr viele Forderungen sich teils widersprechen. Manche halten wir im Grundsatz auch für richtig. Natürlich wäre es gut, die Stromsteuer ein bisschen zu senken. Aber Sie müssen dann eben auch einen Vorschlag machen. Wir kommen ja in die Haushaltsberatungen, und jeder, der mit einem guten Vorschlag um die Ecke kommt, kann dann auch für sich in Anspruch nehmen, eine Maßnahme durchzusetzen. ({11}) Was mich ganz besonders verwundert hat, ist, dass Sie in Ihrem Antrag die Tür in Richtung Atomenergie auflassen. Denn genau diese Form von Politik ist es ja, die uns erst in diese hohe Preislage geführt hat. ({12}) Ihre Energiepolitik und die Abhängigkeit von den Fossilen haben dazu geführt, dass wir in dieser dramatischen Lage sind. Ich kann Ihnen von der Union nur sehr raten: Nur weil Sie Herrn Merz wieder zum Vorsitzenden gewählt haben, müssen Sie in der Energiepolitik nicht auch in die 90er-Jahre zurück, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Wir werden mit dieser Ampelkoalition das Zeitalter der Erneuerbaren beschreiten. Wir werden Carbon Leakage verhindern, und wir werden das erreichen, weil wir die Probleme beim Planungsrecht, die Sie nicht haben ausräumen können, nun endlich beheben, ({14}) damit wir vorankommen und damit die Preise in diesem Land sinken, und zwar dauerhaft und weg von dem Niveau, das Sie uns eingebrockt haben. Herzlichen Dank. ({15})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Mathias Middelberg. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kruse, diese Bemerkung will ich mir doch erlauben: Sie sollten sich Ihre Rede nachher vielleicht noch einmal im Video ansehen. Ich fand, dass das eine richtig arrogante Rede war. ({0}) Das sage ich Ihnen ganz ehrlich. ({1}) Sie war ausgesprochen überheblich gegenüber der Opposition, und sie war ohne irgendeinen konkreten Vorschlag, wie Sie der Situation, über die wir heute hier sprechen, begegnen wollen. ({2}) Ich habe nicht einen einzigen konkreten Beitrag von Ihnen dazu vernommen. ({3}) Die FDP ist in den Wahlkampf gegangen und hat versprochen: Es gibt keine Steuererhöhungen, es gibt keine Mehrbelastungen. – Und wenn Sie sich die Situation jetzt ansehen, stellen Sie fest: Sie sind voll in diesem Szenario drin. Sie haben massive Steuererhöhungen, und zwar de facto über die kalte Progression. Sie haben massive Mehrbelastungen für die Mehrheit der Bürger über massiv gestiegene Energiepreise. Da können Sie doch nicht einfach drüber hinweggehen! ({4}) Sie haben die stärkste Inflation seit 30 Jahren – das ist hier angesprochen worden – mit über 5 Prozent Preissteigerung im letzten Dezember und 4,9 Prozent in diesem Januar. ({5}) Und dagegen leisten Sie keinen konkreten Beitrag. Das, was Sie bisher in die Wege geleitet haben, ist das Thema Heizkostenzuschuss, und das war es. ({6}) Über den Abbau der EEG-Umlage und wann Sie es machen wollen, darüber diskutiert diese Regierung noch, und auch bei der Pendlerpauschale sind Sie uneins. Sie haben überhaupt nichts im Portfolio. Das ist die Wahrheit. Kein einziger konkreter Vorschlag! ({7}) Ich finde das – und das sage ich Ihnen ganz offen – superarrogant: gegenüber den Menschen, die Pendler sind und die jetzt für jede Tankfüllung 20 Euro, 30 Euro mehr zahlen und am Ende des Monats möglicherweise 200 Euro, 300 Euro und 400 Euro mehr für ihren Berufsweg hinlegen müssen; gegenüber den Familienvätern; gegenüber Alleinerziehenden, die demnächst Heizkosten von 1 000 Euro und Mehrkosten weit darüber hinaus im Jahr zu tragen haben. Da müssen Sie dem einen oder anderen jetzt eine Hilfe gewähren; da hilft nicht der Hinweis auf den Energieumbau, der ja richtig ist. ({8}) Aber der technische Umbau findet erst im Laufe der Jahre statt. Wir müssen aber jetzt den Menschen helfen, die unter diesen massiven Preissteigerungen leiden. Wir haben 4 Prozent Inflation wahrscheinlich auch in diesem Jahr. Das frisst jede Lohnerhöhung absehbar auf. Gleichzeitig wandern die Arbeitnehmer, also die Menschen, die arbeiten, im Steuertarif weiter nach oben. Und das ist die Steuererhöhung, von der Sie versprochen haben, dass sie nicht käme. Wenn die jetzt aber doch kommt, dann ist die Frage an Sie, gerade an einen FDP-Finanzminister: Was machen Sie jetzt, um die Belastung der Leute auszugleichen? Danach fragen doch die Menschen hier in diesem Land! ({9}) Sie haben den Tarif auf Rädern gepredigt. Jetzt hören wir nichts mehr davon. Jetzt haben wir gehört, dass Herr Dürr, Ihr Fraktionsvorsitzender, in der „WirtschaftsWoche“ im Januar angekündigt hat, der Progressionsbericht solle jetzt in Kürze vorgelegt werden; normalerweise wird er im Herbst vorgelegt. Vorgestern sagte uns der Finanzminister von diesem Platz, er werde jetzt doch im Herbst vorgelegt. Da sage ich Ihnen: Herr Lindner hat hier mehrfach gesagt, er wäre Ermöglichungsminister. ({10}) Jetzt erwarten wir von ihm aber auch, dass er bei dem Thema „Entlastung der Bürger“ Möglichkeiten schafft. ({11}) Und wenn Sie dann entlasten – Thema „Heizkostenzuschuss“ –, dann müssen Sie auch gerecht entlasten. Sie dürfen nicht nur an die denken, die Empfänger von Sozialleistungen sind, sondern Sie müssen vor allen Dingen an die denken, die in diesem Land auch arbeiten, die jeden Tag zur Arbeit fahren, die lange Wege haben; auch die müssen Sie entlasten. ({12}) Deswegen kommen Sie, jedenfalls vorübergehend, an einem Thema wie Pendlerpauschale nicht vorbei. ({13}) Denn nicht jeder hat die Möglichkeit, auf den ÖPNV zu wechseln. Und Sie lassen die Menschen auf dem Lande, im ländlichen Raum, mit Ihrer Politik schlichtweg im Stich. Die sind mit Ihrer Politik verlassen. ({14}) Letzter Punkt, weil Sie hier immer problematisieren, das sei nicht durchgerechnet: Das, was wir vorgelegt haben, ist durchaus durchgerechnet. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Sie haben massive Mehreinnahmen. Ich will nur drei Punkte nennen: CO2-Emissionshandel, europäisch und auch national. Das sind erhebliche Milliarden, die Sie zusätzlich an Einnahmen haben werden. Sie werden Mehreinnahmen aus der Lohnsteuer haben, und Sie haben jetzt schon reichlich Mehreinnahmen aus der Umsatzsteuer. Das sind im Zweijahresvergleich – Dezember letztes Jahr zu zwei Jahren vorher, 2019, gerechnet – über 30 Prozent Steigerung alleine bei der Umsatzsteuer. Bei diesem Thema heute geht es nicht darum, dass wir den Leuten zusätzlich irgendwas versprechen oder unsolide irgendwas zusagen würden, sondern es geht schlichtweg darum, dass Sie den Menschen das zurückgeben müssen, was Sie ihnen über Abgaben und Steuern aus der Tasche gezogen haben. Das ist die Wahrheit! ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kollegen Bernd Westphal jetzt das Wort. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja schon eine muntere Debatte. – Herr Middelberg, ich muss sagen: Das soziale Gewissen der CDU/CSU-Fraktion habe ich in den letzten Jahren nicht erkennen können, weder bei Tarifbindung oder beim Mindestlohn noch bei der Entlastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. ({0}) Von daher ist das schon ein Stück weit schräg, was Sie hier vorgetragen haben. ({1}) Zum Thema. Selbstverständlich braucht es nicht den Antrag der CDU/CSU, um sich mit den wichtigen Themen dieses Landes zu beschäftigen. ({2}) Das ist natürlich die wirtschaftliche Entwicklung, das ist eine Inflation, die getrieben ist durch Energiepreise, das ist ein Riesentransformationsprozess unseres Wirtschaftsstandortes Deutschland. Und deshalb ist es natürlich richtig, dass diese Bundesregierung – und das zeichnet sich schon in dem Koalitionsvertrag vom letzten Herbst ab – sich genau mit der Frage auseinandersetzt: Wie kann diese Gesellschaft, wie kann dieser Wirtschaftsstandort aus den Fossilen aussteigen und einen Weg in das Zeitalter der Erneuerbaren aufzeigen? Deshalb ist es wichtig, die erneuerbaren Energien auszubauen. Und zwar sage ich das deswegen, weil ich die Bremser in Ihrer Fraktion doch live bei den Verhandlungen erlebt habe, wenn es darum ging: Bei Windradabständen haben Sie geblockt, beim Ausbau der Photovoltaik haben Sie geblockt, mit einem Deckel wollten Sie den versehen. ({3}) Das waren die Debatten, die wir geführt haben. Und deshalb ist es richtig, dass wir jetzt eine andere Regierung haben. ({4}) – Ja, Sie müssen schon zuhören. Und dass wir nichts machen, stimmt nicht. Gerade bei dem, was wir mit Ihnen bezüglich der Kosten durch den CO2-Preis zur Entlastung der Mieterinnen und Mieter diskutiert haben, war es Ihre Fraktion, die es behindert hat, dass wir die Kosten aufteilen. Diesen Fehler werden wir jetzt heilen. Sie wollten das alles den Mieterinnen und Mietern aufhalsen, die gar keine Chance haben, dafür zu sorgen, dass eine andere Heizung in den Keller kommt. ({5}) Und natürlich muss man gucken, dass es auch seriös finanziert werden kann. Ich finde, es gehört dazu, zu überlegen, ob man den Haushaltsspielraum nutzt und die Mittel gemäß der Verteilungsfrage gezielt dort einsetzt, wo es notwendig ist. ({6}) Deshalb machen wir das genauso mit dem Heizkostenzuschuss. Das sind nämlich genau diejenigen mit geringen Einkommen, die wir jetzt entlasten wollen. Das ist zielgerichtet. Ich weiß nicht, wie Ihre Heizung aussieht, Herr Middelberg, aber ich glaube, es ist angebracht, das so zielgerichtet mit einer sozialen Flankierung zu machen. Der zweite Punkt betrifft die Abschaffung der EEG-Umlage. ({7}) Darüber haben wir lange diskutiert. Ich kann mich noch an Debatten im Wirtschaftsausschuss in der letzten Legislaturperiode erinnern. Wir haben Peter Altmaier oft aufgefordert: Lasst uns das Steuer-, Abgaben-, Umlagensystem gerade im Energiebereich anfassen; das ist nicht mehr passend zu der heutigen Zeit. – Und genau diese Dinge werden wir jetzt mit der Abschaffung der EEG-Umlage in einem ersten Schritt anfangen. Natürlich brauchen wir in einem Zeitalter der Erneuerbaren, die eine immer stärkere Bedeutung im System haben, auch eine andere Bepreisung. Da gehören Strommarktdesign und andere Dinge mit dazu. Deshalb ist es richtig, mit der Abschaffung der EEG-Umlage jetzt im Sommer das richtige Zeichen zu setzen, und zwar nicht nur für die privaten Haushalte, sondern natürlich auch für die energieintensiven Unternehmen, die ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten müssen. ({8}) Weitere Maßnahmen werden wir auf den Weg bringen. Gerade der Ausbau der erneuerbaren Energien wird dazu führen, dass wir die Abhängigkeit von fossilen und teuren Energien dementsprechend reduzieren. Deshalb ist es richtig, dass wir zum Beispiel auch den Wasserstoffhochlauf organisieren, ({9}) die entsprechenden Infrastrukturmaßnahmen begleiten. Eine Wasserstoffwirtschaft, die dazu führt, dass wir eben eine Unabhängigkeit von fossilen Energien bekommen, die jetzt Preistreiber sind, das ist jedenfalls das Ziel dieser Regierung. ({10}) Zum Schluss möchte ich noch eines erwähnen: Wir haben zur Erholung der Volkswirtschaft – zumindest, was jetzt auch nach der Pandemie ansteht – einiges auf den Weg zu bringen. Ich will noch mal daran erinnern, dass wir jetzt in einer guten Phase der Pandemie sind, die sich sicherlich in den nächsten Wochen weiterhin positiv entwickeln wird. Aber wir müssen alles dafür tun, dass wir nicht im Herbst – gerade was Arbeitsplätze angeht, was wirtschaftliche Entwicklung angeht – wieder vor dem gleichen Dilemma stehen. Deshalb kann ich nur dazu aufrufen: Lassen Sie sich impfen! Informieren Sie sich! Machen Sie alles dafür, dass wir mit der Impfkampagne weiterkommen! ({11}) Dann wird auch das, was Frank-Walter Steinmeier am Sonntag noch mal erwähnt hat, unterstrichen: Diese Transformation, die wir vor uns haben, wird nur gelingen, wenn möglichst alle davon profitieren. Und daran arbeitet diese Ampelkoalition. Herzlichen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Dirk Spaniel für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben Rekordpreise für Kraftstoffe und eine energiepreisbedingte Inflation von offiziell über 5 Prozent. Aber das sind alles keine Naturereignisse. Das ist das Ergebnis einer Politik, die nicht in der Lage ist, die Folgen des eigenen Handelns abzuschätzen. Und da muss ich jetzt mal in die Union gucken: Das, was wir hier sehen, ist doch nichts anderes als die von Ihnen verursachte Situation. Durch Ihre eigenen Gesetze haben Sie in den letzten Jahren diese Situation geschaffen, und wir haben in diesem Plenum hier permanent vor genau dieser Steigerung von Kraftstoff- und Energiepreisen gewarnt. Wir haben Sie darauf aufmerksam gemacht. Und jetzt haben Sie das Ergebnis Ihrer Politik der letzten Jahre. ({0}) Aber ich will mal ganz konkret auf Ihren Antrag eingehen. Fast alles – das habe ich ja schon gesagt –, was Sie darin beklagen, ist ausschließlich durch Sie und Ihre Gesetze verursacht, die Gesetze natürlich auch der SPD. Mir ist aufgefallen, dass Sie wesentliche Teile Ihres Antrags unseren AfD-Anträgen der letzten Legislaturperiode entnommen haben. Konkret haben wir bereits im Dezember eine Erhöhung der Kilometerpauschale gefordert, und Sie haben ja sogar unseren Zahlenwert von 38 Cent pro Kilometer übernommen. Also, vielen Dank dafür, dass Sie das hier auf die Art einbringen und verstanden haben. ({1}) In der gleichen Debatte bin ich hier erstmalig auf die unverschämte CO2-Besteuerung der CO2-freien Kraftstoffanteile eingegangen, und auch das finde ich in Ihrem Antrag wieder. Ich finde toll, dass Sie unsere Sachen so aufgreifen. Aber gut, Ihr Sammelsurium an Punkten bleibt Stückwerk. ({2}) – Ja, das weiß ich. Aber es bleibt ja trotzdem so. – In der jetzigen Situation hilft es jedenfalls nicht – das muss ich Ihnen jetzt mal sagen –, mit Schaufensteranträgen die aufgebrachte Bevölkerung etwas zu beruhigen. Was die Bürger in diesem Land brauchen, ist eine fundamentale Umkehr von einer durch und durch ideologisch verblendeten Wünsch-dir-was-Politik. ({3}) CO2-Reduktion um jeden Preis ist für viele in unserem Land unbezahlbar. Sowohl die Umverteilungsmaßnahmen, die von der EU in ihrem Werkzeugkasten aufgeführt werden, als auch die Ansätze der Linken sind Planwirtschaft, und die hat noch nie funktioniert. ({4}) Wenn Sie, liebe Kollegen von der Union, eine tatsächliche Entlastung der Bürger in diesem Land wollen, sind wir auch gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam Initiativen in diesem Parlament einzubringen. Aber ich glaube, die Zusammenarbeit mit uns haben Sie sich ja selber verboten. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage aus der Unionsfraktion zulassen?

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, gerne, selbstverständlich.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Spaniel, ja, wir arbeiten nicht mit Ihnen zusammen, weil wir in einem Punkt fundamental anderer Meinung sind. ({0}) Den würde ich mal als Frage formulieren: Glauben Sie wirklich, die Politik der vorherigen Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass überall in der Welt die Energiepreise, insbesondere die fossilen Energiepreise, steigen? Wieso ist die vorherige Bundesregierung schuld daran, dass Russland jetzt nur das Gas liefert, das vertraglich zugesagt wurde, und nicht, wie in den vergangenen Jahren, mehr? Warum ist das die Schuld der letzten Bundesregierung und nicht ein weltweites Phänomen?

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Darauf will ich gerne eingehen. Zunächst zur Energiepolitik und zur Energieversorgung mit russischem Gas. Es ist natürlich einerseits richtig, dass es Weltmarktpreise gibt. Aber andererseits – das muss ich jetzt hier auch mal sagen – ist es ja so, dass Nord Stream 2 eine Gasversorgung für Deutschland sicherstellt. Wir sind ja auch der Meinung, dass wir diese Gasversorgung brauchen. ({0}) Wir müssen an dieser Stelle auch mal klar sagen: Wenn die Russen uns Gas zu vereinbarten Konditionen liefern, dann gibt es doch überhaupt nichts daran zu kritisieren. ({1}) Jetzt komme ich noch mal auf die Energiepreissteigerungen zurück, die Sie ansprechen. Es ist schon verwunderlich: Wenn Sie genau hingucken, wie die Kraftstoffpreise – über die reden wir hier konkret – sich entwickeln, werden Sie feststellen, dass die Rohölpreise in der Welt schon höher waren als jetzt, wesentlich höher; aber die Kraftstoffpreise in diesem Land waren noch nie höher als jetzt. Das liegt ganz wesentlich an der von Ihnen herbeigeführten CO2-Steuer. ({2}) – Doch, da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Sie können nachgucken; dazu gibt es jede Menge Statistiken. ({3}) Noch nie waren die Kraftstoffpreise höher, obwohl wir schon höhere Rohölpreise am Weltmarkt hatten. ({4}) Das heißt, die Argumentation, dass die Weltmarktpreise den Preisanstieg hier bei uns diktieren, ist einfach nicht richtig. ({5}) Das kann jeder nachvollziehen, der im Internet googelt. ({6}) – Wenn Sie meine Ausführungen kommentieren wollen, müssen Sie das über eine Zwischenfrage machen, aber so nicht. Es ist niemandem damit geholfen, wenn wir hier in Deutschland versuchen, die Welt zu retten, und uns dabei selbst ruinieren. Deshalb können wir Ihrem Antrag in der jetzigen Form so leider auch nicht zustimmen; da bitte ich um Verständnis. Aber, wie gesagt, das Angebot steht: Kommen wir doch einfach mal zusammen und machen eine vernünftige Politik für die Menschen in diesem Land, damit die Menschen in diesem Land sich das Leben wieder leisten können! Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andreas Audretsch hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Millionen Menschen in Deutschland haben gerade Angst vor der nächsten Stromrechnung, sie haben Angst vor der nächsten Gasrechnung. ({0}) Diese Menschen brauchen Unterstützung, weil die Preise für fossile Energien gerade massiv nach oben gehen. Das, was Sie vorgelegt haben, liebe Union, ist leider das exakte Gegenteil davon: keinerlei gezielte Maßnahmen, nichts dergleichen und gleichzeitig viele, viele teure Steuergeschenke. ({1}) Die haben nichts mit Haushaltsdisziplin, die haben nichts mit solider Haushaltsführung zu tun. Das ist aber das Einzige, was Sie hier dazu einbringen. Ich nenne mal zwei Beispiele. Wissen Sie, was es kostet, die Umsatzsteuer auf Strom und Gas für zwei Jahre zu senken, wie Sie es vorschlagen? 18 Milliarden Euro! Das ist das, was Sie da reingeschrieben haben. ({2}) Das ist tatsächlich nicht zu finanzieren. Das treibt gleichzeitig die fossile Inflation. ({3}) Das ist das, was Sie damit bezwecken. Und vor allem kommt es bei den Leuten nicht an; das ist doch völlig klar. Dann sagt der CDU-Vorsitzende zusätzlich noch: Wir müssen die Spritsteuer senken. – Glauben Sie, dass das eins zu eins an der Tankstelle ankommt? ({4}) Nichts dergleichen wird passieren. Was passieren wird, ist, dass Sie Schecks an Gazprom, an Exxon Mobil ausstellen können. Das ist eine Politik einer fossilen Inflation mit der Gießkanne, die es mit uns so nicht geben wird. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Audretsch, es gibt einen Zwischenfragewunsch aus der AfD-Fraktion. Möchten Sie dem nachkommen?

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. ({0}) Zweites Beispiel: die Erhöhung der Pendlerpauschale. Die kostet wieder Milliarden Euro und nutzt als steuerliche Abschreibung gerade denen mit den hohen Einkommen. Und das Wichtigste, weil Sie von „akuter Unterstützung“ sprechen: Akut ist das nicht. Es wird dann relevant, wenn die Steuererklärung im nächsten Jahr fällig ist. Das ist keine akute Unterstützung. ({1}) Auch hier wird ein Muster deutlich: Sie wollen hemmungslos Milliarden aus dem Fenster schmeißen, und zwar so, dass vor allem die mit dem meisten Geld und gleichzeitig die Mineralölkonzerne profitieren. ({2}) Das – das muss man so sagen – ist keine sinnvolle Politik, und genau deswegen werden wir das so nicht mitmachen. ({3}) Stattdessen – das muss man sagen – geht es um gezielte Maßnahmen, ({4}) die finanzierbar und umsetzbar sind. Das ist das, was jetzt nötig ist. Es braucht den Heizkostenzuschuss, den Sofortzuschlag für Kinder und Jugendliche und eine schnelle Einmalzahlung für alle in der Grundsicherung, um Menschen aus der größten finanziellen Not zu holen. Das ist das, was es jetzt braucht. ({5}) Wissen Sie, wir stehen mit diesen Forderungen beileibe nicht alleine. Anfang der Woche hat ein Dutzend Sozialverbände in der Öffentlichkeit genau das gefordert. Sie sind rausgegangen, weil Not am Mann und an der Frau ist und wir jetzt solche Lösungen brauchen. Daneben hat Clemens Fuest vom ifo-Institut genau das gefordert: sich auf die bedürftigen Haushalte zu konzentrieren und auch Sozialtransfers anzupassen. Die CDU-geführte Regierung in NRW hat am 11. Februar einen Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht, in dem sie eine Einmalzahlung für alle Menschen in der Grundsicherung fordert. Bei Ihnen hingegen finde ich nichts, keinerlei gezielte Maßnahmen. ({6}) Gezielte Maßnahmen – das ist das, was wir wollen. Sie haben kein machbares Konzept. ({7}) Wir sagen: Langfristig raus aus der fossilen Inflation, raus aus den fossilen Energien, rein in die Erneuerbaren und jetzt gezielt unterstützen! Das ist Politik, die Sinn macht und die funktioniert. Danke schön. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zu einer Kurzintervention des Kollegen Springer von der AfD-Fraktion.

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Audretsch, es ist schade, dass Sie die Zwischenfrage nicht zugelassen haben; aber im Grunde waren Sie ja nur konsequent. Ich erinnere an die Ausschusssitzung am Mittwoch, wo Sie gesagt haben, dass Sie nicht an einem Diskurs mit der AfD interessiert sind. Das ist sehr schade. ({0}) Ich hatte daraufhin gesagt: Wir sind sehr wohl an einem Diskurs mit Ihnen interessiert, auch daran, diesen Diskurs zu intensivieren. Unsere Hand ist ausgestreckt, und wir hoffen, dass wir gemeinsam mit Ihnen an einer Lösung der Probleme arbeiten können, die die Inflation für viele Menschen in unserem Land mit sich bringt. Nun zu einer Aussage, die Sie getätigt haben. Sie sagten schon in der Ausschusssitzung – heute haben Sie es noch mal wiederholt –, dass Steuersenkungen auf Spritpreise von den Unternehmen nicht weitergegeben würden. Ich möchte darauf hinweisen, dass, während wir hier noch debattieren und im Grunde nichts passiert und niemand entlastet wird, die konservative Regierung in Polen tatsächlich die Steuern auf die Spritpreise gesenkt hat. Der Sprit in Polen kostet inzwischen ungefähr 60 Cent weniger als in Deutschland. Ich weiß das; ich komme aus Ostbrandenburg. Jeder in meinem Umfeld fährt inzwischen nach Polen zum Tanken, und die Tankstellenlandschaft in Ostbrandenburg geht gerade den Bach runter. Wenn Sie also das Argument anführen, die Entlastungen würden nicht weitergegeben, aber Polen zeigt, dass es geht: Sind Sie bereit, Ihren Standpunkt zu überdenken und vielleicht doch eine Senkung der Steuern auf Spritpreise in Betracht zu ziehen? Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Audretsch zur Antwort. Bitte schön. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann das an der Stelle sehr, sehr kurz machen. Zu einer wehrhaften Demokratie gehört es auch, ({0}) mit bestimmten Gruppierungen nicht zu sprechen. ({1}) Das ist der Grundsatz. Und das bedeutet für mich, dass ich mit Rechtsextremisten nicht spreche, mit Rechtsextremisten nicht in einen politischen Dialog gehe. ({2}) Insofern ist das auch das Einzige, was ich Ihnen an dieser Stelle als Antwort übermitteln kann. Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Maximilian Mordhorst hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. Bitte schön. ({0})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich doch über den einen oder anderen humoristischen, vielleicht auch über den einen oder anderen geradezu aggressiven Zwischenruf aus der Unionsfraktion wundern. Denn wir reden hier doch über ein wahnsinnig ernstes Thema. ({0}) Wir reden darüber, ob der Oberstufenschüler, der auf dem Land wohnt und sein erstes Auto hat, am Ende des Monats noch zur Schule kommt. Wir reden darüber, ob der Student, der in seiner ersten Wohnung wohnt, durch die immer höheren Stromkosten nicht ein immer größer werdendes Problem bekommt. Wir reden darüber, ob Arbeitnehmer, ob Rentner in Deutschland Angst haben müssen vor der nächsten Heiz- und Nebenkostenabrechnung. Das ist ein ernstes Thema. Deswegen werden wir als Ampelkoalition – das haben wir angekündigt – auch handeln. Dass Sie so tun, als würden wir keine Vorschläge machen, ({1}) als würden wir dem nichts entgegensetzen, ist blanker Hohn. Wir machen Vorschläge ohne Ende. ({2}) – Darüber können wir jetzt einmal kurz sprechen. Sie führen lieber einen Krieg um das Framing, als dass es Ihnen um die Sache an sich geht. Die einen sprechen von grüner Inflation, die anderen von fossiler Inflation. Man muss sagen: Beides ist richtig. – Ja, es sind vor allem die Rohstoffpreise, deren Anstieg zurzeit dazu führt, dass sich die Verbraucherpreise immer weiter erhöhen. Deswegen müssen wir die Energiewende langfristig so auf den Weg bekommen, dass wir von einzelnen Energieträgern möglichst unabhängig werden. Deswegen müssen wir bei der Übergangstechnologie Gas auch darüber nachdenken, wie wir es endlich schaffen, Abhängigkeiten von einzelnen Staaten in den Griff zu bekommen. Dabei werden wir auch solche Debatten wie die über LNG-Terminals führen müssen. So etwas muss strategisch, muss langfristig betrachtet werden. Das haben wir in der Vergangenheit beispielsweise beim LNG-Terminal Brunsbüttel aus meiner Sicht nicht ausreichend getan.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke. Möchten Sie sie zulassen?

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Lenkert, bitte schön.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage. Sie sprachen davon, LNG-Terminals zuzulassen. Ist Ihnen bekannt, dass LNG-Gas, insbesondere das gefrackte aus den USA, erstens klimaschädlich und zweitens deutlich teurer ist als viele andere Energieformen? Die zweite Frage. Sie sprachen gerade davon, dass die Kosten explodieren. Das stimmt. Explodieren tun aber auch die Gewinne der Energiekonzerne. Vattenfall – neue Meldung –: 4,6 Milliarden Euro Gewinn. Uniper korrigiert seine Gewinnprognose nach oben. EON verdoppelt den Gewinn auf 2,2 Milliarden Euro. Die Energiekonzerne haben in den letzten fünf Jahren ihre Gewinne verdreifacht, und das ohne die Preisexplosion im Dezember und Januar, die noch einmal zu weiteren Gewinnsprüngen geführt hat. Das sind die Realitäten. Sind Sie deswegen nicht wie wir der Meinung, dass zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher dringend die Einrichtung einer Energiepreisaufsicht notwendig ist, dass es dringend erforderlich ist, die Gewinne einzuschränken, abzukassieren, um sie zu nutzen, die Energiekosten für die Bevölkerung und für die Unternehmen zu senken? ({0})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, ich finde das immer wahnsinnig interessant. Natürlich ist Gas eine Brückentechnologie. Über Umweltprobleme brauchen wir gar nicht lange zu sprechen. Bei Russland fällt Ihnen so etwas aber irgendwie nie ein. ({0}) Dann sprechen Sie davon, dass Sie als Reaktion auf eine wirklich problematische Inflation mehr Aufsichten haben möchten, helikoptermäßig Geld an alle möglichen Haushalte verteilen möchten. Das ist nicht das Gegenmittel bei Inflation; solche Aktionen können der Grund für Inflation sein. Deswegen ist das nicht hilfreich, sondern eher problematisch. Das gilt auch für die Vorschläge, die Sie in Ihrem Antrag unterbreiten. ({1}) Ich hatte gerade über fossile oder grüne Inflation gesprochen. Zum einen sind es natürlich die steigenden Rohstoffpreise, die dazu führen. Zum anderen sind große Anteile an den Preisen beim Strom, beim Benzin – das müssen wir uns eingestehen – staatlich festgesetzt. Die Preise bestehen zu einem großen Prozentsatz aus Steuern und Abgaben. Neben der Tatsache, dass wir die EEG-Umlage zeitnah abschaffen wollen – so hatte das die Union nicht vor –, werden wir den Einkommensteuertarif auf Basis des Progressionsberichts anpassen – darüber haben wir gestern gesprochen – und werden Zuschüsse auf den Weg bringen. Zusätzlich müssen wir, wenn wir mit dem CO2-Preis weitermachen wollen – ich bin dafür; denn wir müssen den Klimawandel stoppen –, über das Nebeneinander von Verbrauchsteuern und CO2-Preis sprechen. Denn das Nebeneinander kann nur kurzfristig, nicht aber langfristig funktionieren. Ich bin der Überzeugung, wir sollten den Weg, auf dem wir jetzt sind, vernünftig beschreiten. Ich finde es interessant, was Sie jetzt alles neu auf den Weg bringen wollen. Ich habe da vielleicht eine ein bisschen andere Perspektive, schließlich bin ich 25 Jahre alt. Ich stehe nun vor Menschen von der Union, die fast mein gesamtes Leben durchgängig regiert haben – in unterschiedlichsten Konstellationen, in unterschiedlichen Mehrheiten, mit unterschiedlichen Prozentsätzen –, und auf einmal kommen Sie mit Vorschlägen um die Ecke, die Sie 16 Jahre lang nicht ins Land gebracht haben. ({2}) Die Krone aber setzen nicht Sie dem Ganzen auf, Herr Kollege; die Krone – der Kollege Schrodi hat es zu Ihrem konkreten Antrag schon ausgerechnet – setzt dem Ganzen mal wieder die CSU auf. Wir haben das einmal bei Ihrem Programm „Deutschland in der Mitte halten“ ausgerechnet. Herr Dobrindt, Sie hatten ja eben auch schon den tollen Zwischenruf mit „Superschwachsinn“. Das passt zu Ihrem Programm! Wir haben mal ausgerechnet, was das bis 2026 kosten würde. Der Kinderfreibetrag soll auf die Höhe des Grundfreibetrags angehoben werden: 8,1 Milliarden Euro; Generationenfonds: 14 Milliarden Euro; Anleihen mit einem Garantiezins von 2 Prozent: 18 Milliarden Euro; Mütterrente III: 19 Milliarden Euro; Senkung der Energiesteuer: 90 Milliarden Euro; Homeoffice-Pauschale: 23,8 Milliarden Euro – und, und, und. Wir sind am Ende auf eine Summe bis 2026 von rund 300 Milliarden Euro gekommen. Dazu kommen noch viele Sachen, die man nicht genau beziffern kann. Das alles ohne einen Gegenfinanzierungsvorschlag! Und es wird noch besser: Davor steht sogar noch ein Haushaltsvorbehalt. Also, wie man das seriös umsetzen soll, kann ich den Menschen nicht vermitteln. Ich möchte es ihnen auch nicht vermitteln. Wir werden das vernünftig machen, vernünftig finanziert.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. – Ich bin sehr froh, dass wir das jetzt endlich nach dieser langen Zeit auf den Weg bringen können. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen erwarten ganz konkrete und schnell wirksame Lösungen in Bezug auf die steigenden Gas- und Energiepreise. Nicht wenige fragen sich: Was ist bezahlbar, die warme Wohnung oder der Sportunterricht für die Kinder? Eine Steigerung von 40 Prozent bei den Energiepreisen bedeutet eine neue soziale Frage. Aber auch für Unternehmen in der Glas-, Keramik- und Druckindustrie ist die Wettbewerbsfähigkeit längst gefährdet, ja mehr, es stehen Arbeitsplätze ganz konkret auf dem Spiel. Wer jetzt bei den hohen Energiepreisen nicht sofort handelt, muss sich vorwerfen lassen, die Menschen im Stich zu lassen und die Arbeitsplätze zu gefährden. Wir brauchen schnell wirksame Lösungen. ({0}) Die Bundesregierung ist nicht ursächlich für die hohen Energiepreise, aber wenn sie jetzt nicht handelt, wird sie verantwortlich werden. Wenn Sie jetzt nicht alles in die Wege leiten, um die Preise zu senken, dann ist der Einkommensverlust der Mittelschicht Ausdruck Ihrer sozialen Kälte in diesem Land. ({1}) Die Vorschläge, die Sie auf den Tisch gelegt haben, reichen nicht aus. Der Heizkostenzuschuss ist zu niedrig und in der Ausgestaltung zu ungenau. Das Klimageld, das eines Tages kommen soll, ist überhaupt nicht administrierbar, weil man nicht weiß, wie man das Geld den Menschen zurückgeben kann. Entscheidend ist, dass wir mit Maßnahmen dort ansetzen, wo sie sofort wirksam sind. Die Menschen müssen sofort etwas davon haben und spüren, dass der Staat sie bei den steigenden Energiekosten entlastet. Das ist der Kern unseres Antrags. ({2}) Was wollen wir? Wir wollen die Stromsteuer auf das europäische Minimum senken. Wir wollen die Umsatzsteuer für Energieleistungen von 19 auf 7 Prozent absenken. Wir wollen die Abschaffung der EEG-Umlage vorziehen. Wir wollen aber auch regulatorisch sicherstellen, dass die Energieversorgungsunternehmen diese Absenkungen an ihre Kunden weitergeben. Das ist regulatorisch möglich. Das wird ganz klar eine erhebliche Entlastung bedeuten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion. Möchten Sie sie zulassen?

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Es geht aber auch um die konkreten Vertragsbeziehungen von Verbrauchern zu ihren Energielieferanten. Wir haben in den letzten Monaten festgestellt, dass viele Billigstromanbieter und viele Billiggasanbieter von heute auf morgen gekündigt haben. Dadurch war oftmals Post des Grundversorgers im Briefkasten, und damit stand eine bis zu 200-prozentige Erhöhung im Raum. Es muss durch Regulierung sichergestellt werden, dass Stromanbieter nicht von heute auf morgen kündigen können, dass es eine Kündigungsfrist gibt und dass Stromanbieter – gerade im Niedrigpreissegment – solide und seriös sind, dass ihr Geschäftsmodell trägt und dass jemand, der auf eine Lieferung vertraut, diese Lieferung auch erhält. Das muss diese Bundesregierung durch Regulierung sicherstellen. ({0}) Bei aller Wertschätzung auch für die Lokalstromversorger: Wir müssen noch mal im Kartellrecht an die Frage herangehen, inwieweit eine zu große Spreizung zwischen Grundtarif und Normaltarif tatsächlich angebracht ist. Die Menschen müssen drauf vertrauen können, dass die Senkungen im Bereich der Energiepreise sofort ankommen. Das entbindet uns nicht von der langfristigen Pflicht, die erneuerbaren Energien auszubauen. Aber jetzt geht es um ganz konkrete Entlastungen, weil die Menschen angesichts steigender Energiepreise ganz konkrete Befürchtungen haben. Diese Probleme müssen wir jetzt lösen. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Andreas Mehltretter für die SPD-Fraktion kommt heute hier zu seiner ersten Rede zu Wort. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Niemand sollte sich arm heizen müssen. Das steht außer Frage. Viele Menschen können sich die steigenden Heizkosten aber nicht leisten. Dagegen müssen wir etwas tun. Es ist gut, dass wir uns an dieser Stelle alle einig sind. Wir erleben gerade weltweit eine Krise der fossilen Energieerzeugung. Die Konjunktur zieht wieder an. Die Rohstoffpreise steigen. Geopolitische Konflikte verschärfen die Situation. Wir sind – das führt uns gerade diese Situation sehr deutlich vor Augen – immer noch viel zu abhängig von fossilen Energieträgern. ({0}) Es sind die fossilen Energieträger, vor allem das Erdgas, die für die sprunghaften Preisanstiege verantwortlich sind. Es ist eben nicht nur klimapolitisch notwendig, die Erneuerbaren schnell auszubauen, sondern auch sinnvoll für eine sichere Energieversorgung, und es entlastet den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({1}) Erneuerbare Energien sind mittlerweile günstiger als alle fossilen Energieträger, von Atomkraft ganz zu schweigen. Wenn wir mittelfristig stabile und günstige Energiepreise haben wollen, geht das nur, wenn wir die erneuerbaren Energien ausbauen. ({2}) Deshalb ist es richtig, dass wir in der Ampelkoalition auf eine schnelle Energiewende setzen. Erneuerbare Energien statt Gas und Kohle – darum geht es. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme aus dem Bundesland, in dem die CSU den Ausbau der Windenergie mit der 10-H-Regelung fast komplett gestoppt hat. Die Blockadehaltung der Union ist dafür verantwortlich, dass wir bei den Erneuerbaren noch nicht weiter sind und dass uns die steigenden Preise bei fossilen Energien jetzt vor so große Probleme stellen. Auch bei der Gebäudesanierung haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, immer gebremst. ({3}) Das Ergebnis waren zu wenig ambitionierte und unterfinanzierte Förderprogramme. Wir brauchen aber eine Renovierungsoffensive. Die Heizkosten für ein Gebäude der schlechtesten Energieeffizienzklasse, der Klasse H, sind heute zehnmal so hoch wie die für ein Gebäude mit der besten Effizienzklasse, also A+. Ohne Gebäudesanierungen zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin zu hohe Preise. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, nachdem Sie also jahrelang dafür gesorgt haben, dass zu wenig passiert, um Energie günstig und unsere Gebäude effizient zu machen, kommen Sie jetzt mit solch einem Sammelsurium an zusammenhangslosen Maßnahmen, um zu kaschieren, dass Sie im Wirtschaftsministerium in den letzten Jahren leider wenig auf die Reihe bekommen haben. ({4}) Klar kann man nach dem Gießkannenprinzip möglichst viele Forderungen in einen Antrag schreiben, und natürlich kann man für 40 Milliarden Euro Forderungen aufstellen, ohne zu sagen, woher denn das Geld dafür kommen soll. Man hat sich dann aber von konstruktiver Politik komplett verabschiedet, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Der rasante Anstieg der Gaspreise trifft die Haushalte am stärksten, die geringe Einkommen haben und in schlecht gedämmten Wohnungen leben. Dort muss die Hilfe ankommen. Dafür müssen wir sorgen. Statt gezielt zu entlasten, fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aber ineffiziente und teure Maßnahmen, die, wie zum Beispiel bei der Pendlerpauschale, auch noch klimapolitisch falsche Anreize setzen. Es ist wirklich gut, dass Sie von der Regierungs- auf die Oppositionsbank gewechselt sind. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Perspektive für echte Unabhängigkeit von steigenden Energierohstoffpreisen. Deswegen forcieren wir eine schnelle Energiewende. Vorhersehbar steigende Preise für fossile Energieträger haben dabei eine wichtige Lenkungswirkung. Gleichzeitig haben wir aber auch immer gesagt, dass es einen Schutz vor Überforderung durch zu schnell steigende Preise geben muss. Die Preise steigen derzeit einfach zu schnell. Deshalb brauchen wir jetzt Soforthilfen. ({7}) Es ist richtig, dass wir heute den Heizkostenzuschuss für Menschen mit niedrigen Einkommen auf den Weg bringen. Es ist richtig, dass die Bundesregierung gerade prüft, die Abschaffung der EEG-Umlage vorzuziehen. Und es richtig, darüber zu diskutieren, wie wir plötzliche Vertragskündigungen und den Rückfall in teure Grundversorgertarife verhindern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen Soforthilfen, und wir brauchen eine Perspektive für niedrigere Heizkosten und bezahlbare Energie. Beides werden wir anpacken, nicht mit der Gießkanne, sondern mit gezielten Maßnahmen. Danke. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielleicht noch einmal für alle: Wir haben hier den guten Brauch – es ist nicht in der Geschäftsordnung festgehalten –, dass wir bei einer ersten Rede zum einen als Präsident/-innen ein bisschen großzügiger sind, falls die Redezeit überzogen wird – das war eben gerade gar nicht nötig –, und dass zum anderen keine Zwischenfragen gestellt werden. Das ist jetzt gerade auch sofort akzeptiert worden. Ich wollte es nur noch einmal für alle sagen. Ich gebe jetzt gerne dem Kollegen Bernhard Herrmann das Wort, auch zu seiner ersten Rede für Bündnis 90/Die Grünen hier im Haus. ({0})

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die steigenden Energiepreise sind ganz klar das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Wir erleben eine dadurch verschuldete Fossilflation. Es wurde verschlafen, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Die Bedeutung energetischer Modernisierung wurde in Gänze verkannt. Die Wucht dieser fossilen Versorgungskrise hätte abgefedert werden können. ({0}) Es überrascht mich nicht im Geringsten, dass die CDU/CSU in ihrem Antrag kaum ein Wort darüber verliert. Sie, sehr geehrte CDU/CSU, haben die Energie- und Wärmewende verschlafen. ({1}) Die Lunte zur nun beklagten Preisexplosion haben Sie doch selbst gelegt. Wir sind uns einig, dass steigende Strompreise und Heizkosten für sehr viele Menschen zur schweren Belastung werden. Betroffen sind Menschen mit geringen Einkommen, aber immer mehr auch die Mittelschicht. Dringend nötige kurzfristige Maßnahmen kommen, und zwar gezielt; das ist richtig so. ({2}) Lassen Sie mich einen wesentlichen Aspekt an dieser Stelle ergänzen. Wenn wir über steigende Heizkosten sprechen, dann müssen wir zugleich die geringe Modernisierungsrate von Gebäuden in den Blick nehmen. Gebäudezustand und Energiekosten gehören doch untrennbar zusammen. Mehr als ein Drittel des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs erfolgt im Gebäudesektor. Etwa zwei Drittel aller Wohngebäude wurden vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung vor 43 Jahren errichtet. Sie sind oft schlecht gedämmt und verbrauchen bis zu fünfmal mehr Energie als Neubauten. Die Förderung gehört in den Bestand. ({3}) Unbestreitbar können im Gebäudebereich enorme Einsparpotenziale beim Energieverbrauch erreicht werden. Die neue Bundesregierung richtet auch dazu den Blick nach vorn. Wir packen die energetische Modernisierung in dieser Legislaturperiode endlich an. Ab 2023 wird ein neues Förderprogramm zum klimafreundlichen Modernisieren und Bauen in ganzheitlicher Betrachtung aufgelegt. Jede ab 2025 neu eingebaute Heizung soll auf Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden. Wir sorgen endlich für mehr Energieeffizienz. ({4}) Beim Ausbau erneuerbarer Energien sind wir schon jetzt aktiv. Das BMWK hat in seiner Eröffnungsbilanz die Schritte vorgegeben und wird bereits bis zum Sommer die erforderlichen Weichen stellen für das Ausbauziel von 80 Prozent erneuerbarem Strom bis 2030. Damit sorgen wir für eine sichere, saubere und einzig noch langfristig bezahlbare Energieversorgung. ({5}) Der Ausweg aus der fossilen Versorgungskrise lässt sich nur mit einem raschen Ausbau der Erneuerbaren erreichen. Und um eines klarzustellen: Nicht in zehn Jahren werden Erneuerbare preiswerter sein; bereits heute sind sie preiswerter, was Sie auch daran erkennen, dass es im Januar an den Energiebörsen in Frankreich einen 10 Cent teureren Energiepreis gegenüber Deutschland gab. Alles ist einschlägig da. Wir packen jetzt an und stellen jetzt um, schnellstmöglich und engagiert. Ja, wir packen die vor uns liegenden Herausforderungen an, sozial gerecht, für ein gutes, langfristig bezahlbares Leben für uns, aber auch für das unserer Kinder, Enkel und Urenkel. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das erste Wort geht an die Redner der AfD: In der Tat, wir werden mit Ihnen niemals zusammenkommen, weil wir als Christdemokraten Wertüberzeugungen haben, die uns fundamental von Ihnen trennen. ({0}) Das gilt ganz generell, und auch in dieser Frage haben wir eine andere Haltung, wir haben eine andere Analyse: Die Explosion der Energiepreise liegt nicht an den Kosten der Erneuerbaren in Deutschland; sie liegt an einem Hunger nach fossiler Energie weltweit. Deshalb ist es ja auch keine Entwicklung, die sich nur bei uns zeigt, sondern die uns international beschäftigt. Das ist schon in der Analyse ein erheblicher Unterschied. ({1}) Deshalb teilen wir die Überzeugung, dass die mittel- und langfristige Antwort der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien ist. Energieeffizienzmaßnahmen sind notwendig, um schrittweise unabhängig zu werden von fossiler Energie. Das ist richtig. Den Weg muss man gehen. Wir werden alles, was in diese Richtung geht und vernünftig ist, unterstützen. Wir fordern, dass das, was jetzt im Hinblick auf die Energieeffizienz auf den Weg gebracht werden muss, auch beherzt angegangen wird. Nachdem bei der KfW-Gebäudesanierung viel Porzellan zerschlagen wurde, brauchen wir jetzt Klarheit: Wie sind die Regeln für den Neubau, bei effizienten Neubauten? ({2}) Wie sind die Regeln bei den Sanierungen? – Da reichen keine politischen Absichtserklärungen, Herr Minister. Wir brauchen jetzt Klarheit, wir brauchen Verlässlichkeit. Wir brauchen Regeln, auf die man sich stützen kann, zu denen man Anträge stellen kann. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion zulassen?

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön, Herr Kollege Jung, für das Zulassen der Zwischenfrage. – Zunächst: Meine Großmutter pflegte zu sagen, man soll nie „nie“ sagen; das einfach mal vorneweg. ({0}) Die Geschichte hat tatsächlich diejenigen bestätigt, die das sagen. Erstens. Sprechen Sie doch lieber von „grüner Inflation“. Ich glaube, wir fangen gar nicht erst an, mit Ihnen über Klimafragen zu reden, bevor Sie nicht Ihren grundlegenden Fehler eingeräumt haben, Hals über Kopf, rein ideologisch und populistisch getrieben, nach Fukushima aus der Kernenergie ausgetreten zu sein. ({1}) Zweitens frage ich Sie: Würden Sie einräumen, dass der Dämmwahn in Deutschland – das konnte man jüngst dem „Handelsblatt“ und vielen anderen guten Publikationen entnehmen – erstens ineffizient ist und zweitens natürlich – der Kollege von der SPD hat das ja auch so gesagt – auch vom armen Mieter bezahlt werden muss; denn irgendwer muss es bezahlen? Oder soll es der Vermieter, der böse, bezahlen, der schon gar nicht mehr motiviert ist, in Berlin überhaupt Wohnungen zu bauen? Drittens. Würden Sie eingestehen – ich bin ein bisschen älter –: Das Benzin hat auch Ihrer Partei seit über 30 Jahren zum Stopfen von Finanzlöchern genutzt? Erst hieß es: Wir erhöhen den Benzinpreis für die Rente, dann für die Umwelt. Für jeden Mist haben Sie tatsächlich den Benzinpreis herangezogen und haben das den Autofahrern über die Rübe gezogen, um es mal ganz plastisch zu formulieren. ({2}) Viertens. Würden Sie eigentlich auch bestätigen, dass der Strompreis in Deutschland im Prinzip nicht deshalb so hoch ist, weil grün so schön ist, sondern weil wir auch hier die Querfinanzierung der sogenannten Erneuerbaren vorgenommen haben? Denn wir haben den höchsten – höchsten! – Strompreis weltweit, und das hat nichts mit der Preisentwicklung zu tun, sondern mit Ihrer ideologisch getriebenen Energiewende. Wir haben den höchsten Energiepreis, das wissen Sie hoffentlich. Wenn Sie mir das beantworten würden, wäre ich Ihnen sehr, sehr dankbar. ({3})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst habe ich den Eindruck, dass das keine Zwischenfrage war, sondern eher eine Grundsatzerklärung zu unterschiedlichen energie- und klimapolitischen Fragen. ({0}) Ich gehe darauf gerne ein, möchte aber darauf hinweisen, dass sich die Redezeit dann um einiges verlängern wird. ({1}) Erstens: Nein heißt nein. Gerade wegen unserer Geschichte und unserer Wertüberzeugungen werden wir mit Ihnen niemals zusammenkommen; das kann ich Ihnen ins Stammbuch schreiben. ({2}) Zweitens. Ja, wir haben nach Fukushima die Entscheidung getroffen, aus der Kernenergie auszusteigen. Das war nicht aus Ideologie, sondern aus guten Gründen, ({3}) weil sich gezeigt hat, dass die Kernenergie ein Restrisiko mit sich bringt, das sich dort verwirklicht hat. Ein Tsunami wie dort ist in Deutschland nicht zu erwarten; aber auch hier gab es ein Restrisiko. Deshalb hat man ja nicht irgendwas übers Knie gebrochen, sondern hat eine Kommission eingesetzt, die sich damit beschäftigt hat, zu ergründen, ob es die Möglichkeit gibt, Energieformen voranzubringen, die diese Risiken nicht in sich tragen. Deshalb hat man die Kernenergie ja nicht sofort abgeschafft, sondern man hat gesagt: Wir nehmen uns einen Zeitraum von zehn Jahren, in denen wir die Kernkraftwerke Schritt für Schritt abstellen werden, in denen wir auch Antworten auf die Frage der Endlagersuche finden wollen. Tragen Sie mal zur Lösung dieser Fragen bei! ({4}) Damit haben wir uns in Kommissionen im Bundestag beschäftigt. Wir wollen die schwierige Frage beantworten: Wo kommen diese Stoffe hin, die für viele Generationen noch Risiken mit sich bringen werden? Deshalb, unterm Strich: Diese Entscheidung war nicht ideologisch. Sie war richtig, und wir halten daran fest. ({5}) Dann haben Sie die Frage der Verteilung der CO2-Kosten auf Vermieter und Mieter angesprochen. Dazu will ich sagen: Wir müssen uns das genau angucken, aber mir scheint das, was die Regierung jetzt vorlegt, auf den ersten Blick ein vernünftiger Weg zu sein. Und es ist übrigens ein anderer – das sage ich an die Adresse von Westphal und anderen in der SPD – als der, den Sie noch vor wenigen Monaten in der Regierung vorgeschlagen haben. Sie haben gesagt: Wir verteilen die Kosten zu je 50 Prozent auf Vermieter und Mieter. Wir haben gesagt: Das ist doch nicht gerecht. Es wird dem Klimaschutz nicht gerecht, weil es doch eine Rolle spielen muss, ob ein Vermieter ein Haus oder eine Wohnung saniert. Alles, was er macht oder eben nicht macht, muss eine Rolle spielen. Dass der, der nichts macht, gleichviel bezahlen soll, wie der, der alles gemacht hat, das kann nicht richtig sein. Deshalb finde ich es richtig, zu sagen: Wir knüpfen an den Sanierungszustand der Wohnung an. Ein Vermieter, der viel getan hat, muss weniger bezahlen, und einer, der eben nicht saniert hat, muss mehr tun und mehr bezahlen. Damit wird auch das Mieter-Vermieter-Verhältnis zu einem gerechten Ausgleich gebracht. Das werden wir uns genau angucken, aber es scheint mir in die richtige Richtung zu gehen. ({6}) Dann will ich, weil ich sehe, dass meine Redezeit weiterläuft, ({7}) zu der Frage kommen, wie die Maßnahmen zu finanzieren sind, die wir hier vorschlagen. Ich will Ihnen sagen, was die Ampelregierung in diesem Jahr plant: Das ist der Heizkostenzuschuss, der nach Ihren Berechnungen 180 Millionen Euro kostet. Und das ist die Abschaffung der EEG-Umlage, die noch nicht entschieden ist, aber kommen soll; die kostet in diesem Jahr 0 Euro. Es gibt einen Finanzierungsbedarf von 13 Milliarden Euro; aber im Topf sind bereits jetzt 12,7 Milliarden Euro. Bis Juli, wo Sie die Umlage abschaffen wollen, wird nach Ihren Plänen mehr drin sein, als das überhaupt kostet, und es wird noch was überzählig sein. Aber in unserem Staatshaushalt sind Mehreinnahmen über die Mehrwertsteuer vorhanden, es gibt Mehreinnahmen über den EU-ETS. Wenn man das zusammenrechnet, dann kommt zehnmal mehr – sogar mehr als zehnmal mehr – in den Staatshaushalt hinein, als Sie mit dem Heizkostenzuschuss zurückgeben. Deshalb muss hier mehr gemacht werden. ({8}) Darauf drängen wir. Dafür haben wir Vorschläge gemacht, die seriös sind und der jetzigen Herausforderung begegnen. Wir brauchen jetzt Entlastung. Und auch die grundsätzlichen Aufgaben, auch die des Klimaschutzes, bringen wir unter einen Hut. Dafür arbeiten wir in diesem Parlament. Vielen Dank. ({9})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit einigen Monaten erleben wir eine zunehmende Teuerung; Heiz- und Stromkosten steigen. Es zeigt sich: Es sind die Haushalte mit geringen Einkommen, die ganz besonders hart von diesen Entwicklungen betroffen sind. Wer ohnehin schon wenig verdient, dem bleibt jetzt noch weniger übrig. Nun hat die Union einen Antrag vorgelegt, der in seinem Titel ein großes Versprechen anpreist: „Zeitnah wirksam und gerecht entlasten“. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit einem gerechten Vorschlag hat Ihr Antrag leider gar nichts zu tun. ({0}) Er gibt vor, einkommensschwache Haushalte entlasten zu wollen. Tatsächlich aber kommen Ihre Vorschläge insbesondere Unternehmen zugute. Für die energieintensive Industrie wollen Sie gleich zweimal tief in die Tasche des Staatshaushaltes greifen. Sie fordern nicht nur eine Stromsteuererstattung, sondern sogar noch Zuschüsse. Große Unternehmen würden damit viel Geld vom Staat bekommen. Sehr geehrte Unionsabgeordnete, das ist nicht nur eine sehr fragwürdige Haushaltsplanung, Ihre Vorschläge sind auch überhaupt nicht glaubwürdig! Machen wir uns doch mal ehrlich: Dieser Antrag ist für Gutverdiener und Unternehmen geschrieben! ({1}) Das ist Klientelpolitik! Schieben Sie doch dafür nicht die Haushalte mit geringen Einkommen vor. Bei einigen anderen Punkten aus dem Antrag der Union stimmen wir im Ansatz überein. Klar, wir müssen die erneuerbaren Energien weiter ausbauen, um die ökologische Transformation weiter voranzubringen. Das hätten wir aber in der vergangenen Legislatur gemeinsam machen können. Da haben Sie den Wirtschaftsminister gestellt und standen ständig auf der Bremse. ({2}) Aber ich bin ja wirklich froh, dass die CDU-Fraktion jetzt, wo sie in der Opposition ist, endlich verstanden hat, dass wir massiv in die erneuerbaren Energien investieren müssen. Aber vielleicht kommunizieren Sie das auch an Ihre Parteikolleginnen und ‑kollegen vor Ort. Herr Jung, jetzt bitte genau zuhören: Da, wo ich herkomme, tut die CDU alles dafür, um die Windkraft zu verhindern. ({3}) Die Kreistagsfraktionen im Erzgebirge und in Mittelsachsen wehren sich mit Händen und Füßen gegen den Ausbau. Gemeinsam mit der AfD stimmen sie gegen Windkraft. Herr Merz, sieht so Ihre Brandmauer gegen die AfD aus? Ihre Brandmauer ist nichts weiter als ein kläglicher Steinhaufen. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, Ihr Antrag in allen Ehren, aber Sie sind einfach nicht glaubwürdig. Im Gegensatz zur Union setzen wir als Ampelkoalition tatsächlich die Energiewende um. Heute wurde bereits ausgeführt, wie wir das schaffen und gleichzeitig Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Ganz zentral ist und bleibt: Wir schaffen die EEG-Umlage ab – nicht wie geplant 2023, sondern schon in diesem Jahr. Außerdem werden wir den Heizkostenzuschuss erhöhen. Dies wird heute in erster Lesung im Bundestag beraten. Liebe Abgeordnete der CDU, im Gegensatz zu Ihnen machen wir seriöse Politik, die wirkt, ({5}) auch für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist jetzt Dr. Sebastian Schäfer für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Sebastian Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005201, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen hier eine wichtige Debatte: In einer sozialen Marktwirtschaft, in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft zumal, darf nicht die reine Marktlogik gelten. Wir müssen immer auch die Verteilungswirkung der Marktmechanismen im Blick haben. ({0}) Der fossile Energiemarkt ist gerade extrem angespannt. Im Herbst 2019 haben wir uns im Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern zum damaligen Klimapaket überparteilich verständigt. Als die Union im vergangenen Frühjahr noch in Verantwortung war, gab es interessante Vorstöße aus ihren Reihen. Frau Präsidentin, Sie gestatten mir ein Zitat aus dem „RND“: Als Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz sollten die für 2022 und 2023 geplanten Anhebungsschritte auf 30 und 35 Euro pro Tonne CO2 übersprungen werden ... – forderte Alexander Dobrindt. Er sitzt nicht mehr an seinem Platz. - Vielmehr wolle die CSU im nächsten Jahr direkt einen Sprung auf einen CO2-Preis von 45 Euro machen, der eigentlich erst 2024 vorgesehen wäre. Bemerkenswert für Ihre Partei! ({1}) Schade, wohin Sie jetzt mit Ihrem Antrag gehen. Die Absenkung der Umsatzsteuer, die Sie fordern, hätte eine völlig falsche Verteilungswirkung. Damit würden vorrangig diejenigen entlastet werden, die einen hohen Energieverbrauch haben. Das sind in unserem Land in aller Regel diejenigen mit den höchsten Einkommen. Ich nenne sie mal Pars pro Toto die Dahlemer Villenbesitzer. ({2}) Es ist auch gar nicht garantiert, dass der Preis dann gesenkt wird. Das hängt wieder vom Markt ab. Auch die Erhöhung der Pendlerpauschale, die Sie vorschlagen, würde regressiv wirken. Hier würden also diejenigen mit den höchsten Einkommen am meisten entlastet. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun und geht an den Nöten der unteren Einkommensschichten komplett vorbei. ({3}) Dieser Antrag zeigt noch mal deutlich, warum ein Politikwechsel in diesem Land dringend notwendig war. ({4}) In der letzten Dekade waren alle Grundlagen da, unser Land wirklich voranzubringen. Die Haushaltskonsolidierung ist Ihnen nach der Finanzkrise mit der Konjunkturentwicklung und der langandauernden Niedrigzinsphase in den Schoß gefallen. In einem langanhaltenden Nullzinsumfeld mit vielen freien Mitteln haben Sie das Geld für Baukindergeld, für irgendwelche Straßen in bayerischen Wahlkreisen verpulvert. Unsere Abhängigkeit von Russland könnte wesentlich geringer sein, wenn Sie den Ausbau der regenerativen Energien nicht sabotiert hätten. ({5}) Diese Passagen in Ihrem Antrag wirken wie blanker Hohn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Die Ampel geht den Fortschritt jetzt entschlossen an. Natürlich hat die Pandemie die Situation für uns nicht einfacher gemacht. Die Preise für fossile Energien sind deutlich angestiegen; wir haben es in der Debatte gehört. Wir müssen nun diejenigen gezielt unterstützen, die am stärksten von den steigenden Preisen betroffen sind. Das hat höchste Priorität. Wir haben einen Heizkostenzuschuss beschlossen. Und wir wollen die Mieterinnen und Mieter mit einem Stufenmodell bei der CO2-Steuer entlasten. Das hat die Union in der Großen Koalition verhindert. Wir werden die EEG-Umlage abschaffen. Wir geben das uns anvertraute Geld gezielt aus, um unser Land zu stärken. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich an diesem Rednerpult am Beginn der Coronakrise für die damalige Bundesregierung – das gilt aber auch für die heutige Bundesregierung – deutlich gemacht, was unser Ziel am Arbeitsmarkt ist. Unser Ziel ist es, den deutschen Arbeitsmarkt stabil und robust durch die Coronakrise – die tiefste Gesundheitskrise, aber auch die tiefste Wirtschaftskrise unserer Generation – zu bringen. Ich kann feststellen: Vieles hat nicht geklappt in dieser Pandemie. Aber es ist mit vereinten Kräften gelungen, den deutschen Arbeitsmarkt vor allen Dingen mit dem Instrument der Kurzarbeit stabil zu halten. Die Kurzarbeit war und ist die stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal. Ich bin dankbar, dass dieses Parlament diese Regelung getroffen hat. ({0}) Ich habe das auch an anderer Stelle erwähnt: Ich war vor einem Jahr eingeladen – digital, muss man leider sagen – in Amerika, in Harvard. Die hatten einen Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über Krisenreaktionen am Arbeitsmarkt in Amerika und den USA auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite. Ich habe festgestellt, dass der Begriff „the kurzarbeit“ im angelsächsischen Raum inzwischen ein Lehnwort geworden ist, ähnlich wie das schöne deutsche Wort „the kindergarten“. Er steht als Chiffre für gutes Krisenmanagement. Denn Kurzarbeit, meine Damen und Herren, hilft uns zum einen, Arbeitsplätze zu sichern. Wir haben in der Coronakrise über 3 Millionen Arbeitsplätze gesichert. Wir hatten insgesamt 8 Millionen Anträge zu Kurzarbeit. Es hilft zum anderen volkswirtschaftlich, die gesamte wirtschaftliche Nachfrage zu stabilisieren. Es hilft auch Unternehmen, nach der Krise mit Fachkräften an Bord wieder durchstarten zu können. Deshalb sage ich an dieser Stelle – das dürfen wir nie vergessen –: Es waren nicht nur Wirtschaftshilfen, sondern es war der deutsche Sozialstaat, der mitgeholfen hat, dieses Land stabil durch diese schwierigen Zeiten zu bringen. ({1}) Ja, meine Damen und Herren, Kurzarbeit war und ist für unseren Sozialstaat sehr, sehr teuer. Wir hatten am Beginn der Krise 26 Milliarden Euro Rücklagen bei der Bundesagentur für Arbeit aus den guten Zeiten; wir haben sie voll eingesetzt. Wir haben dann mit Steuermitteln nachgeholfen, damit die Bundesagentur für Arbeit stets handlungsfähig geblieben ist. Ich sage Ihnen aber auch deutlich: In solchen Krisen muss man unterscheiden. Kurzarbeit war teuer, aber die Rückkehr von Massenarbeitslosigkeit zuzulassen, wäre für Deutschland wirtschaftlich und sozial viel, viel teurer gewesen. Deshalb war das der richtige Weg, und wir setzen ihn heute fort. ({2}) Ich will aber auch für die Bundesregierung erklären, dass unser Ziel nicht ist „Kurzarbeit forever“, sondern wir bauen Brücken und wollen das andere Ufer erreichen. Wir haben die Hoffnung, dass wir im Sommer in einer anderen Situation sind. Aber wir haben nach wie vor Branchen, die schwer getroffen sind, vor allen Dingen im Veranstaltungsgewerbe, im Messebau, in der Gastronomie. Diese Unternehmen und ihre Beschäftigten brauchen jetzt die Kurzarbeit. Im industriellen Bereich haben wir auch hin und wieder mit Problemen zu tun, obwohl die Industrie sehr gut läuft, Stichwort „Lieferkettenprobleme“. Deshalb bin ich dankbar, dass der Deutsche Bundestag heute diese Brücke weiter verlängert. Ich bin übrigens auch der Opposition, der vernünftigen Opposition, dankbar, dass sie der Fristverkürzung zugestimmt hat und offensichtlich heute auch mitmachen will. Es ist wichtig, dass wir diesen Weg gehen. Im Einzelnen: Wir verlängern die Bezugsdauer von 24 auf 28 Monate. Denn 24 Monate sind seit Beginn der Krise vergangen. Das würde für viele Beschäftigte jetzt zu einer Abbruchkante führen. Wir haben die Hoffnung, dass wir im Sommer in einer besseren Situation sind. Wir verlängern die sogenannte Treppe für diejenigen, die ganz lange in Kurzarbeit sind. Aufgrund der Tatsache, dass in vielen Bereichen keine Aufschläge gezahlt werden, sind 60 oder 67 Prozent für Familien mit geringem Einkommen oft eine ziemlich harte Nummer. Deshalb ist es richtig, dass wir dafür sorgen, dass es für diejenigen, die lange drin sind, einen Puffer gibt bis hin zu 80, 87 Prozent. Meine Damen und Herren, richtig ist auch, dass wir uns eine Verordnungsermächtigung gewünscht haben. Ich bin dem Parlament sehr dankbar, dass Sie das unterstützen. Im Fall der Fälle, dass es im Sommer nicht gut läuft – aus welchen Gründen auch immer; wir haben ja eine Pandemie; die ist unkalkulierbar –, können wir auch kurzfristig noch reagieren. Ich hoffe allerdings, dass wir davon nicht Gebrauch machen müssen. Wir haben einen Schritt gemacht, der in einigen Bereichen kritisiert wurde: Wir haben die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge schon zum 1. Januar 2022 von 100 auf 50 Prozent herabgesetzt. Wir gehen jetzt von 50 auf 0 Prozent. Ich halte das für vertretbar, zumal wir Wirtschaftshilfen haben, auch aus dem Bereich des Kollegen Habeck. Außerdem kann man als Unternehmen 50 Prozent erhalten, wenn man Kurzarbeit mit Qualifizierung und Weiterbildung verknüpft. Ich will auch sagen: Wir müssen auch ein bisschen auf die Kassenlage gucken; denn die Bundesagentur für Arbeit muss Rücklagen aufbauen für spätere Krisensituationen und die großen Aufgaben der Transformation in Bezug auf die Qualifizierung. ({3}) Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie diesen Weg heute gehen, auch mit den Fristverkürzungen. Sie helfen damit vielen Beschäftigten in Deutschland, Sie helfen Unternehmen. Bei allem, was nicht läuft: Wir können in Deutschland vielleicht auch mal stolz auf die Dinge sein, die funktionieren. Die Kurzarbeit hat funktioniert. Das ist nicht allein das Verdienst der Bundesregierung, meines Ministeriums oder dieses Parlaments, sondern es ist vor allen Dingen das Verdienst der fleißigen Kolleginnen und Kollegen der Bundesagentur für Arbeit, die die Regelungen die ganze Zeit über vorbildlich umgesetzt haben. Deshalb gilt mein Gruß den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

– und bei der Bundesagentur für Arbeit, die Deutschland wirklich durch diese Krise geholfen haben. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stephan Stracke hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch in der gegenwärtigen Lage der Pandemie ist der vereinfachte Zugang zu Kurzarbeit über den 31. März hinaus notwendig und auch ohne Zweifel richtig. Der Bitte um Fristverkürzung, Herr Minister, sind wir natürlich gerne nachgekommen. Wir als Oppositionsfraktion unterstützen immer dort, wo es notwendig ist. Aber – erlauben Sie mir die Bemerkung – die mangelnde Umsicht und Vorausschau hat mich ein bisschen erstaunt; denn es war doch allseits bekannt, dass die gegenwärtigen Regelungen in diesem Bereich zum 31. März auslaufen. Entscheidend ist das, was Sie vorlegen. Und das, was Sie vorlegen, ist nicht ausreichend, um Beschäftigung zu sichern und damit auch die Unternehmen in den kurzarbeitenden Branchen mit ihren Fachkräften halten zu können. Ich fordere Sie auf: Bessern Sie nach! Verlängern Sie für drei Monate die bisherigen Regelungen für den hälftigen Ersatz der Sozialversicherungsbeiträge, und beziehen Sie auch die Zeitarbeit in die Regelungen zum Kurzarbeitergeld mit ein! ({0}) Die Dauer der Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben viele Branchen finanziell belastet; der Minister hat es erwähnt. Besonders der Hotel- und Gaststättenbereich, der Einzelhandel, die Veranstaltungswirtschaft, insbesondere der Messebau, sind betroffen. Auch das verarbeitende Gewerbe hat zum Teil Probleme, was Lieferengpässe angeht. In diesen Branchen und Betrieben sind die Rücklagen und die Liquidität vielfach aufgebraucht. Das stellen Sie ja selber fest, beispielsweise in Ihrer Begründung hinsichtlich der Eilbedürftigkeit. Ich darf zitieren: Es gibt eine größere Zahl von Betrieben, die seit Beginn der Pandemie im März 2020 Kurzarbeitergeld beziehen und bei denen die maximale Bezugsdauer Ende Februar 2022 ausläuft. Aufgrund der Dauer der Pandemie ist davon auszugehen, dass diese Betriebe über keine ausreichenden Liquiditätsreserven mehr verfügen. Die Betriebe sind also auf eine nahtlose Bewilligung von Kurzarbeitergeld angewiesen. – Das bedeutet natürlich auch die weitere Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 50 Prozent. Wenn keine ausreichende Liquidität vorhanden ist, dann ist das der notwendige weitere Schritt. Sie springen zu kurz und gefährden auf den letzten Metern der hoffentlich endenden Pandemie ohne Not Arbeitsplätze. Das ist aus unserer Sicht der falsche Weg, den Sie an dieser Stelle beschreiten. ({1}) Die Sachverständigenanhörung hat in diesem Bereich ein ganz klares und eindeutiges Ergebnis gezeigt: Wirtschaft und Gewerkschaften sehen es unisono als notwendig an, dass die Beiträge weiterhin erstattet werden. Folgen Sie dem Rat der Sachverständigen, und tun Sie das Richtige! Auch der Hinweis auf die Qualifizierung, den der Minister gegeben hat, ist natürlich richtig. Qualifizierung ist überall gut; aber auch Qualifizierung kostet Geld. Wenn man Sie in Ihrer Argumentation, was die Liquidität angeht, ernst nimmt, dann stellt man fest, dass das nicht funktioniert. Es ist auch kein Instrumentarium, das in der Praxis angenommen wird. Auch darauf haben die Sachverständigen einstimmig hingewiesen. Also: Das Instrument der Qualifizierung ist kein praxistaugliches Mittel zur Beschäftigungssicherung in der gegenwärtigen Lage. Deswegen ist auch der Hinweis auf diesen Bereich zu kurz gesprungen. Was die Aussicht auf Öffnungsschritte angeht, sei an dieser Stelle nur erwähnt: Auch das wird natürlich Verbesserungen bringen; aber bis diese in den betroffenen Betrieben ankommen – denken Sie beispielsweise an den Messebau –, dauert es wirklich ziemlich lange. Vor allem ist auch nicht nachvollziehbar, warum Sie den Zeitarbeitskräften nicht den Zugang zur Kurzarbeit gewähren. Beschäftigte in der Zeitarbeit sind keine Beschäftigten zweiter Klasse. ({2}) Auch sie haben es verdient, mit anderen gleichbehandelt zu werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat dies auch klar und deutlich zum Ausdruck gebracht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das sollte gerade für Sie von der SPD Umsetzungsauftrag sein. Tun Sie das Richtige, und verändern Sie den Entwurf für das, was nottut, nämlich die hälftige Einbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge und natürlich die Einbeziehung der Zeitarbeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Schimke wird gleich sauer, weil ich von ihrer Redezeit sonst etwas abziehen muss. – Gerade noch geschafft.

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu ihrer ersten Rede hat jetzt die Kollegin Tina Winklmann für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Tina Winklmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005259, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir folgen dem Rat der Sachverständigen, und deswegen verlängern wir. Es ist Freitag, und deshalb passt es hervorragend, dass wir heute über dieses Thema sprechen. Wir wissen doch alle, was es heißt, dass Freitag ist: Es ist Wochenende. Wissen Sie noch? Wir sind nach einer Arbeitswoche auf Veranstaltungen, in die Kneipe, in die Klubs gegangen oder haben einen Kurztrip übers Wochenende gemacht. Wir konnten abschalten, Energie tanken und freuten uns die ganze Woche auf ein Konzert, ein Theaterstück, auf Kultur, auf Veranstaltungen, auf einen Schafkopferer, auf Gastlichkeit. Für viele ging die Arbeit dann erst richtig los. Jetzt sind wir beim Thema Gastgewerbe. Gerade am Gastgewerbe und an der Veranstaltungsbranche hängen viele wichtige Jobs. Die retten wir mit der Kurzarbeit. ({0}) Die Kultur will ihren Hunger nach Wirkung stillen, und wir hungern nach Kultur. Hier braucht es Arbeitsplatzsicherung. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Redezeit reicht nicht aus, um auf alle Bereiche explizit einzugehen, die unsere Hilfe brauchen und durch die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auch von uns bekommen. Einen wichtigen Bereich will und muss ich aber nennen: Es ist die Pflege. Denn mit der Verlängerung wird sichergestellt, dass die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf weiter bestehen bleibt. Ein wichtiger Pfeiler unseres Miteinanders ist diese Vereinbarkeit. Daher wird die Bundesregierung die Regelungen im Pflegezeitgesetz und im Familienpflegezeitgesetz über den 31. März hinaus verlängern. ({1}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, ich weiß selber, was es heißt, als Schichtarbeiterin in Kurzarbeit zu sein. 2008 habe ich selber Kurzarbeitergeld bezogen. Und ja, ich und meine damaligen Kolleginnen und Kollegen waren froh, diese großartige Sicherung zu haben. Herr Minister Heil hat es eben angesprochen: „Kindergarten“, „Rucksack“, „Realpolitik“ sind deutsche Begriffe, die ihren Weg in die englische Sprache gefunden haben. Gleiches gilt für das Wort „Kurzarbeit“. Dieses Wort fand sich gleich zu Beginn der Pandemie und während der dadurch entstandenen wirtschaftlichen Turbulenzen im angloamerikanischen Raum wieder. Dies zeigt, was für ein Erfolg dieses Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist. Es wurde mittlerweile vielfach auf der Welt kopiert und ist neben der dualen Ausbildung ein absolutes Erfolgsmodell. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kurzarbeit hat vor allem eins verhindert: Massenarbeitslosigkeit. Der Hochstand wurde im Sommer 2020 mit 6 Millionen Beschäftigten erreicht. Wir können mit wissenschaftlichem Background sagen: Wir haben damit Millionen Jobs erhalten. Kolleginnen und Kollegen, die Kritik am schnellen Verfahren kann ich teilweise verstehen. Eine ausreichende Beratungszeit ist wichtig, und dafür stehen wir auch. Nur: Hier brauchen die Unternehmen und die Beschäftigten Planungssicherheit. Es ist eine nahtlose Bewilligung von Kurzarbeitergeld notwendig, wofür wir den rechtlichen Rahmen mit der Verlängerung setzen. Unser Dank geht hier an die Sachverständigen, die ihre Expertise eingebracht haben, und an die Fraktionen. Damit können wir dies schnell auf den Weg bringen. ({3}) Es pressiert! Und weil es pressiert, verlängern wir ein bewährtes bestehendes Instrument und machen kein neues Thema auf. Deshalb das schnelle Verfahren. Es wird die maximale Bezugsdauer auf 28 Monate verlängert. Unter anderem dies war eine Forderung, die mich und Sie in mehreren Zuschriften immer wieder erreicht hat. Es bleibt auch bei den vereinfachten Zugangserleichterungen, und Minijobs bleiben anrechnungsfrei. Diese Antworten brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wir liefern sie. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, warum machen wir das hier? Warum debattieren wir hier heute? Es sind die Menschen, die uns verdeutlichen, dass die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes gebraucht wird. Es ist ein Unterschied, ob jemand sagt: „Ich bin arbeitslos“ oder: „Ich bin in Kurzarbeit.“ Es ist ein Unterschied, ob jemand sagt: „Ich weiß nicht, wie ich es machen soll“ oder: „Ich kann Pflege und Beruf vereinen.“ Es geht um Harald, Sabine, Jarek, Ayla, Juppi und Gitte. Es geht um Menschen, und die haben Namen. Deshalb verlängern wir das Kurzarbeitergeld. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gerrit Huy hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Regierung will das Coronakurzarbeitergeld noch einmal um drei Monate bis Ende Juni verlängern. Warum? Weil in Deutschland immer noch der Pandemiestatus gilt und nach Ansicht der Regierung wohl auch in drei Monaten noch gelten soll. Warum sonst diese erstaunliche Verlängerung? ({0}) Es sind im Wesentlichen Menschen im Gastgewerbe, Handel, Event- und Kulturbetrieb, die wegen 2 G und 3 G in Kurzarbeit sind, fast eine halbe Million von ihnen schon seit über zwei Jahren, viele sogar in Kurzarbeit null, das heißt, sie sind de facto arbeitslos. Würde man die Kurzarbeit nicht mehr verlängern, wären schlagartig eine weitere halbe Million Menschen zusätzlich zu den – Stand heute – 2,5 Millionen Arbeitslosen offiziell arbeitslos. Oder wenn man ehrlich zählt und die Unterbeschäftigten mit einrechnet, sind es tatsächlich 3,2 Millionen Arbeitslose. Das sind sehr, sehr viele Menschen, die fast alle arbeiten wollen, aber nicht können, weil es keine Arbeit für sie gibt. Und es werden noch mehr werden, sosehr sich die Regierung auch bemüht, dies durch Gesetze zu verschleiern; denn Gesetze schaffen keine Arbeit. Nur die Wirtschaft, also Unternehmen und Selbstständige, schaffen Arbeit. ({1}) Dies wird ihnen aber extrem erschwert durch die pandemischen Gängelungsmaßnahmen. Oder haben Sie Angst, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dass Sie ohne Pandemieverlängerung für Ihre Impfpflichtplanung nicht mehr argumentieren können? ({2}) Die von Ihnen als „Ungeimpfte“ stigmatisierten Menschen wollen aber nicht geimpft werden. Sie gehen seit Wochen zu Hunderttausenden auf die Straße, übrigens zusammen mit vielen Geimpften, um Ihnen genau das zu zeigen. ({3}) Und Sie wollen sie trotzdem zu einer Impfung zwingen? Warum? Den Pandemieverlauf können Sie damit nicht ändern; ({4}) aber Sie ruinieren damit sehenden Auges unsere Wirtschaft. ({5}) Während überall in den Ländern um uns herum geöffnet und gelockert wird, bleiben Sie mit Ihrer Impfpflichtplanung weiter auf Geisterfahrerkurs. ({6}) Das Ergebnis: Während überall um uns herum die Wirtschaft wieder wächst, ist sie in Deutschland im letzten Quartal um fast ein ganzes Prozent geschrumpft; die Reallöhne sind ebenfalls gesunken. ({7}) Wenn Sie diesen Weg weitergehen, fahren Sie Deutschland in die Rezession. Daher fordere ich Sie auf: Beenden Sie endlich den Pandemiestatus! Schaffen Sie alle G-Regelungen ab, und lassen Sie die Wirtschaft wieder maskenfrei laufen! ({8}) Das erspart nicht nur den Sozialkassen hohe Kurzarbeiterkosten, sondern Sie geben den Menschen auch ein positives Signal und sagen ihnen: Ihr könnt wieder all euren Berufen nachgehen. Ihr könnt all eure Geschäfte wieder unbegrenzt betreiben, ({9}) euch wieder unbegrenzt miteinander treffen, vergnügen und wieder ein ganz normales Leben führen – nach eurem persönlichen Geschmack. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende, bitte.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Damen und Herren, Sie alle hier vertreten die Bürger unseres Landes. ({0}) Geben Sie ihnen endlich ihre Freiheit zurück! Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns, dass wir die Verlängerung der Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld beschließen können. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen CDU/CSU und Die Linke bedanken, dass sie den Fristverzichten zugestimmt haben, dass sie konstruktiv die Regelungen schnell hier mit auf den Weg gebracht haben. Das zeigt, dass unser Parlament reaktionsschnell ist; das zeigt, dass unser Parlamentarismus auch in kurzer Zeit handlungsfähig ist. Das ist ein gutes Zeichen, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. ({0}) Mit der Verlängerung beschreiben wir letztlich mehrere Perspektiven. Zum einen haben sich die wirtschaftliche Lage und die Situation auf dem Arbeitsmarkt spürbar verbessert – das ist gut –, aber noch nicht für alle Betriebe und Branchen gleichermaßen. Bei einer Reihe von Unternehmen hat sich in den letzten Wochen abgezeichnet, dass sie noch über den 31. März hinaus auf das Kurzarbeitergeld angewiesen sein werden; insbesondere die Veranstaltungsbranche und die Gastwirtschaft kämpfen mit den Auswirkungen der Ausbreitung von Omikron und mit der Tatsache, dass die Impfquote weiterhin hinter dem Wünschenswerten zurückbleibt. Für diese Unternehmen sind die heute zu beschließenden Verlängerungen der Möglichkeiten des erleichterten Zugangs zum Kurzarbeitergeld die Chance, unverzichtbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Dass die Unternehmen in Not sind, ist nicht ihre Verantwortung, sondern den einschränkenden staatlichen Maßnahmen geschuldet. An der Stelle möchte ich mich ganz ausdrücklich auch einmal bei den Unternehmerinnen und Unternehmern bedanken, die über das Kurzarbeitergeld hinaus durch eigene Leistungen, die sogenannten Remanenzkosten, die Solidarität mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitgetragen haben. Das war ein tolles Signal, und dafür ausdrücklichen Dank. ({1}) Gleichzeitig wollen wir perspektivisch aus dem Krisenmodus aussteigen und zur Normalität wieder zurückkehren. Das betrifft natürlich die einschränkenden Maßnahmen, die wir zurücknehmen wollen; das betrifft aber auch mittelfristig die Sonderregelungen zur Kurzarbeit. Auch aus diesen müssen wir in absehbarer Zeit verantwortungsbewusst wieder herauskommen. Wir haben sie jetzt noch mal um drei Monate verlängert mit der Option einer weiteren Verlängerung durch eine Verordnungsermächtigung; aber die Bundesregierung sollte dieses Mittel äußerst verantwortungsbewusst einsetzen. Kurzarbeit kann und darf kein Dauerinstrument sein. Wir müssen vermeiden, dass strukturelle Probleme einer Branche durch das Kurzarbeitergeld verdeckt werden und dass notwendige Anpassungen in nicht zukunftsfähigen Unternehmen unterbleiben. ({2}) Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass viele Unternehmen derzeit auch im Aufwachsen begriffen sind und händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen, dass der Verbleib in dem einen Unternehmen für den Einzelnen durchaus Sicherheit bedeutet und erstrebenswert ist, in manchen Fällen damit aber auch ein Nachteil für ein anderes Unternehmen einhergeht und vielleicht eine Chance für den Einzelnen mittelfristig verloren geht. Deshalb müssen wir daran denken, dass Kurzarbeit kein Dauerinstrument sein kann. Wir müssen da auch daran denken, dass die Ausgaben für das Kurzarbeitergeld finanziert werden müssen. Für die Zukunft glaube ich, dass wir einsehen müssen, dass Qualifizierung nicht in dem Maße stattgefunden hat, wie wir es für gut befunden hätten, und dass wir daraus lernen müssen, wenn wir Kurzarbeit mit Qualifizierung verbinden wollen. Was muss in Zukunft besser werden? Diese Aufgabe bleibt als Folge aus diesen Erfahrungen, und auch denen sollten wir uns stellen. ({3}) Das Kurzarbeitergeld ist eine Erfolgsgeschichte; aber nichts ist so gut, dass es nicht auch noch verbessert werden könnte. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstes spricht Jessica Tatti für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist absolut notwendig, dass wir heute die coronabedingten Sonderregelungen zur Kurzarbeit nochmals verlängern. Die Linke wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Die Beschäftigten müssen sich auf die volle Rückendeckung des Parlaments verlassen können. ({0}) Trotzdem: Es nervt ohne Ende, dass das Gesetz auf den letzten Drücker ins Parlament kommt und dass dann noch nicht mal die offensichtlichen Mängel behoben werden. Die Lage ist doch die: Die Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter verzichten zwangsweise auf Einkommen; gleichzeitig wird so vieles durch die Inflation teurer. Das ist ein Riesenproblem für viele. Deshalb bleibt Die Linke auch dabei: Erhöhen Sie das Kurzarbeitergeld für die Dauer der Pandemie auf 90 Prozent! Führen Sie endlich ein Mindestkurzarbeitergeld von 1 200 Euro für Vollzeitkräfte ein! ({1}) Das ist doch viel besser, als die Leute noch zusätzlich in die Jobcenter zu schicken, weil das Kurzarbeitergeld vorne und hinten nicht reicht, um über die Runden zu kommen. Minister Heil, es ist wirklich ein fatales Signal, das Sie an die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter senden, dass sie kein Kurzarbeitergeld mehr erhalten sollen. Gerade Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter befinden sich in permanent unsicheren Arbeitsverhältnissen, und dass sie jetzt auch noch beim Kurzarbeitergeld zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert werden, finde ich wirklich schäbig. Dass das sogar die Union kritisiert, sollte Ihnen als Sozialdemokrat wirklich zu denken geben. ({2}) Nicht zuletzt halte ich es für unklug, dass Sie die Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen für alle Unternehmen gleichermaßen streichen wollen. Sie provozieren für kleinere Betriebe, die gerade echt schlecht dastehen, das Aus und für ihre Beschäftigten die Kündigung. Stattdessen sollten die finanziellen Hilfen doch endlich an Bedingungen geknüpft werden! Genau das haben Sie von Anfang an versäumt. Bisher haben Sie die Kohle den Unternehmen in den Rachen geworfen, die gleichzeitig horrende Dividenden und Managerboni ausgezahlt haben. Und jetzt sollen notleidende kleine Betriebe dafür die Zeche zahlen? Das ist wirklich eine unterirdische Krisenpolitik. ({3}) Lernen Sie endlich aus den letzten zwei Jahren, und handeln Sie endlich entsprechend! ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jens Peick kommt jetzt zu Wort für die SPD-Fraktion mit seiner ersten Rede. ({0})

Jens Peick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede hier zu einem so wichtigen Thema für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien in unserem Land halten kann. Ich komme aus Dortmund, und bei uns in Dortmund wissen die Menschen sehr gut, was Kurzarbeit bedeutet. Sie kennen es aus Zeiten des Strukturwandels im Ruhrgebiet, vom Ende des Bergbaus in den 60er-Jahren oder von der Stahlkrise der 70er. Als Parlament, glaube ich, sollten wir auch einmal einen Blick darauf werfen, dass das für jeden individuell erst mal nicht gut ist. Es ist nicht schön, in Kurzarbeit zu müssen, und ja, Kurzarbeit ist mit finanziellen Einbußen verbunden. Aber die Menschen in unserem Land wissen auch: Kurzarbeit rettet Arbeitsplätze. Das hat die Mentalität unserer Region, des Ruhrgebiets, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und auch mich geprägt: Wer hart arbeitet, wird in schwierigen Zeiten nicht alleine gelassen. Dafür stehen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. ({0}) Es ist diese Gewissheit, über die wir heute bei der Verlängerung der Sonderregelung zum Kurzarbeitergeld abstimmen, einem Instrument, das auf dem Höhepunkt der Pandemie circa 6 Millionen Menschen und Familien in unserem Land Sicherheit und Stabilität gegeben hat. Fakt ist: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. In allen Bundesländern gelten noch immer Infektionsschutzmaßnahmen. Hotels und Gastronomie, die Veranstaltungsbranche, all diejenigen, die beteiligt sind, wenn die Kirmes in die Stadt kommt oder Konzerte und Festivals anstehen, können noch immer nicht in vollem Umfang ihrer Arbeit nachgehen. Das bedeutet: Der Grund, weshalb am 13. März 2020 die Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld beschlossen wurde, besteht weiterhin. Wie es damals richtig und notwendig war, diese Regelung zu beschließen, so ist es auch jetzt richtig und notwendig, die Geltungsdauer zu verlängern. ({1}) Aber ebenso wie die Infektionsschutzmaßnahmen der Pandemie angepasst werden, passen wir diese Sonderregelung des Kurzarbeitergeldes der aktuellen Situation an. Deshalb verlängern wir eben nicht eins zu eins. Die pandemiebedingte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge zu 50 Prozent lassen wir auslaufen. Damit erhöhen wir den Anreiz für Unternehmen, ihre Beschäftigten weiterzubilden. Das hätte von Anfang an passieren sollen. Wer jetzt noch diese 50 Prozent haben möchte, der muss weiterbilden. Wir haben von Anfang an auf Weiterbildung gesetzt; denn das hilft den Menschen. So wird die Beschäftigungsbrücke zur Weiterbildungsbrücke und hilft den Menschen bei ihrem beruflichen Fortkommen. ({2}) Und ja, klar ist: Kurzarbeitergeld darf und soll nicht zum Dauerinstrument werden. Es muss irgendwann enden, so wie hoffentlich auch die Pandemie bald enden wird. Wie die Öffnungsschritte, die wir jetzt diskutieren, so sind auch unsere Anpassungen beim Kurzarbeitergeld ein erster Schritt zur Rückkehr zur Normalität. Deshalb haben wir auch die Leiharbeit aus den Sonderregelungen herausgenommen. 200 000 offene Stellen bundesweit in der Leiharbeit rechtfertigen diese Krisenregelung nicht mehr. Aber eines ist auch klar, und das wissen wir sehr genau: Ein zu frühes Ende des Kurzarbeitergeldes würde alles bisher Erreichte gefährden. Auf 24 Monate Kurzarbeitergeld würde dann Arbeitslosigkeit folgen. Bei einer echten Brücke ist klar: Man baut sie nicht zu lang, aber auf keinen Fall baut man sie zu kurz; das gilt auch für das Kurzarbeitergeld. Ansonsten würden die Menschen hinten runterfallen, und das ist gegen die Grundüberzeugung der SPD. Wir lassen niemanden hinten runterfallen. ({3}) Wenn ich auf die Änderungsanträge der Opposition schaue und den Wortbeitrag von Herrn Stracke höre, dann fällt auf, dass nicht nur der Verlauf der Pandemie sich seit 2020 geändert hat, sondern noch etwas: Früher war die CDU noch in der Regierung. Ich möchte daran erinnern, dass Sie bei diesem Instrument gebremst haben; das haben Sie getan. Heute suchen Sie verzweifelt Ihre Rolle in der Opposition und stellen populistische Maximalforderungen, die vom Geschehen auf dem Arbeitsmarkt der Pandemie komplett entkoppelt sind. ({4}) Sie haben uns unter Herrn Brinkhaus eine konstruktive Oppositionsarbeit versprochen. Am Dienstag haben Sie Herrn Merz zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Ich sage Ihnen: Kaum hat der Hahn dreimal gekräht, schon sind Sie wortbrüchig geworden; denn das ist nicht konstruktiv. Und dieser Herr Merz, den Sie zum Fraktionsvorsitzenden gewählt haben, hat bei der Einführung der Sonderregelung noch gesagt, das würde Menschen von der Arbeit entwöhnen. Das, was Sie hier tun, nimmt Ihnen niemand ab. ({5}) Das letzte Mal, dass wir das Instrument der Kurzarbeit so massiv eingesetzt haben, war 2009 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Damals hat das Kurzarbeitergeld etwa 1,2 Millionen Menschen und ihre Familien durch die Krise gebracht. Im Anschluss folgte das, was die Presse, auch die internationale Presse, als das deutsche Jobwunder bezeichnete. Damals war Olaf Scholz übrigens Arbeitsminister. Heute ist Olaf Scholz Bundeskanzler. Und ich versichere Ihnen: Wir lassen auch heute niemanden im Stich. Eine Rückkehr zur Normalität scheint nahe. Damit das klappt, verlängern wir heute diese Maßnahmen. Ein zweites Jobwunder ist dann hoffentlich möglich. Deswegen bitten wir um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe heute das politische Schlusswort in dieser Debatte und empfehle der Bundesregierung bei der Entscheidung über künftige Gesetzgebungsverfahren doch etwas mehr Praxisnähe. Die Union kritisiert zu Recht, dass in der zukünftigen Kurzarbeitergeldregelung die Erstattung der SV-Beiträge und auch die Zeitarbeit herausgenommen sind. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eines sagen: Es ist ja gut, dass wir im März endlich wieder loslegen können, dass wir wieder öffnen, aber unsere Unternehmen brauchen mindestens zwei bis drei Monate Vorlaufzeit, sie brauchen Planungszeit. Glauben Sie denn im Ernst, dass im März schon das Zimmer gebucht und bezahlt ist? Glauben Sie denn im Ernst, dass im März schon die Gewerke beauftragt sind, die Bühne gebaut, das Material beschafft ist? Glauben Sie denn im Ernst, dass im März schon die Tickets verkauft und bezahlt sind? Das ist nicht der Fall. Und genau das ist der Punkt, auf den wir hinweisen: Die Liquidität in unseren Unternehmen fehlt. Anfangs war sie noch vorhanden. Man hat das Eigenkapital zusammengekratzt und versucht, damit durch die Krise zu kommen, sie zu durchstehen. Aber jetzt sind die Kassen leer, es ist kein Polster mehr da. Deshalb sagen wir als Union, als ordnungspolitische Kraft in diesem Land, dass wir uns auch gut überlegen müssen, wie wir solche Hilfen, solche Unterstützungsleistungen, solche existenziellen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen und die auch erfolgversprechend sind, künftig ausgestalten. Auch wenn das Hotelzimmer gebucht ist, ist der Tourismus nach wie vor massiv betroffen; machen wir uns nichts vor. Wir haben es im Ausland immer noch mit unterschiedlichen pandemischen Regelungen zu tun. Nicht überall ist jeder Impfstoff akzeptiert, überall gibt es unterschiedliche Quarantäneregelungen. Das alles trifft auch unsere Branchen in Deutschland, unsere Unternehmen. Ich empfehle Ihnen sehr: Stehen Sie mal auf aus Ihren bürokratischen Sesseln! Unterhalten Sie sich mal mit den Menschen in diesem Land, mit den Unternehmern der verschiedenen Branchen in diesem Land! Dann wissen Sie, wie die Lage draußen ist. ({0}) Ich gebe dem DGB recht; das mache ich nicht oft. Er kritisiert zu Recht, dass die Herausnahme der Zeitarbeit ein schwerwiegender Fehler ist, und sagt, dass es unbedingt erforderlich ist, die Zeitarbeit weiter zu unterstützen, da uns sonst in diesem Bereich eine Entlassungswelle droht. ({1}) Das Lieferkettenproblem auf der Welt ist immer noch nicht überstanden, im Gegenteil. Im Herbst drohen weitere Einbußen. 37 Prozent der Menschen, die im Bereich von Lieferketten tätig sind, sind Zeitarbeitnehmerinnen und ‑arbeitnehmer. Und es trifft die Schwächsten; denn 34 Prozent aller arbeitenden Geflüchteten sind in Zeitarbeit, und 20 Prozent aller ehemaligen Langzeitarbeitslosen arbeiten in Zeitarbeit. Ich bin der Meinung, dass sich an dem, was in § 11a Arbeitnehmerüberlassungsgesetz steht – dass unter außergewöhnlichen Verhältnissen die weitere Unterstützung der Zeitarbeit gerechtfertigt ist –, nach wie vor nichts geändert hat. Natürlich muss die Zeitarbeit weiter unterstützt werden. Sie sagen: Na ja, 5 600 Anträge im Monat Januar ist doch nicht so viel; wir brauchen das nicht mehr. ({2}) Ich finde, das ist eine Menge. Und diese Menschen brauchen weiterhin unsere Unterstützung. ({3}) Meine Damen und Herren, es geht nicht nur darum, jetzt wieder zu öffnen. Es geht darum, unseren Unternehmen auf den letzten Metern der Pandemie nicht noch das Genick zu brechen. Deswegen appellieren ich an Sie: Unterstützen Sie unseren Antrag, und stimmen Sie für die weitere Unterstützung der Zeitarbeit und für die Erstattung der Sozialbeiträge! Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, vielen Dank für die Segenswünsche! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist ein schöner Anlass, an seinem Geburtstag zum Heizkostenzuschuss zu sprechen. Das ist das erste Vorhaben, das das neu gegründete Bundesbauministerium im Rahmen der Formulierungshilfe mit auf den Weg gebracht hat, und es ist auch eines der prioritären Vorhaben des Bundeskabinetts gewesen. Für mich hat diese Premiere in dreifacher Hinsicht eine hohe Signalwirkung. Zum einen wird damit gezeigt: Für uns, für die Bundesregierung, ist beides wichtig, nämlich bezahlbares und klimagerechtes Wohnen. Das hat absolute Priorität, und ich werde mich immer dagegen aussprechen, dass man das eine gegen das andere ausspielt. ({0}) Zu Jahresbeginn haben wir erstmalig das Wohngeld automatisch an die Miet- und Einkommensentwicklung angepasst. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Einführung einer Klimakomponente beim Wohngeld werden wir ebenfalls angehen. Eine meiner ersten Amtshandlungen war es, die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau für 2022 auf den Weg zu bringen. Noch im Dezember haben wir uns mit den Ländern auf 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau verständigt. Wir brauchen hier mehr Tempo. Deswegen biete ich den Ländern eine weitere Milliarde an, und zwar nicht für irgendetwas, sondern für klimagerechten sozialen Wohnraum. ({1}) Im Neubau wollen wir den sozialen Wohnungsbau im Standard EH 55 fördern. Die Verwaltungsvereinbarung werden wir nun zeitnah mit den Ländern verhandeln und hoffentlich auch bald abschließen. Diese neue „Klimamilliarde“ ist ein klares Bekenntnis für mehr sozialen Wohnraum und für mehr Klimaschutz. Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum treiben wir voran, und im Frühjahr wollen wir zu einer Investitions- und Innovationsoffensive einladen. Sehr geehrte Damen und Herren, der einmalige Heizkostenzuschuss setzt folgendes Signal: Die Bundesregierung will schnell, gezielt und spürbar Bürgerinnen und Bürger bei steigenden Energiepreisen entlasten. Die Heizkostenpreise steigen stark an, die Warmmieten steigen auch. Die Zusatzbelastung trifft jedoch nicht alle gleich stark. Die Belastungen in einkommensschwächeren Haushalten sind besonders hoch. Ich denke hier zum Beispiel an Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende und Menschen, die wenig verdienen. Sie haben deutliche Probleme, die drohenden Nachzahlungen aus den kalten Wintermonaten zu schultern. Hier setzt unser Heizkostenzuschuss an. Er soll mögliche soziale Härten abfedern. Doch diese Finanzspritze ist dabei eine von vielen wichtigen Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg bringt. Zur Entlastung arbeiten wir in diesen Tagen in der Bundesregierung zwischen den Ressorts intensiv an einer fairen Lösung für die Aufteilung der CO2-Preisumlage zwischen Mietenden und Vermietenden. Im Klimaschutz-Sofortprogramm möchte ich zudem die Bedingungen für Mieterstrom weiter verbessern. Wir haben hier die Chance, die Bürgerinnen und Bürger für die Energiewende zu gewinnen und für Entlastungen zu sorgen. ({2}) Der einmalige Heizkostenzuschuss ist drittens aber auch ein Signal des Miteinanders in dieser Fortschrittskoalition. Wir arbeiten in der Koalition zwischen den Ressorts Hand in Hand und erreichen so mehr gemeinsam für unser Land. ({3}) Ursprünglich war der Heizkostenzuschuss für 710 000 Haushalte, die Wohngeld beziehen – immerhin 1,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger –, gedacht. Im Miteinander mit meiner Kollegin Frau Stark-Watzinger und meinem Kollegen Hubertus Heil haben wir die Sofortunterstützung sinnvoll ausgeweitet. Herzlichen Dank dafür! ({4}) Denn es sind ja nicht nur Wohngeldbeziehende von den Zusatzbelastungen stark betroffen. Auch Menschen in Ausbildung mit geringen Einkommen spüren die steigenden Heizkosten deutlich. Daher waren wir uns rasch einig, dass auch Empfängerinnen und Empfänger von BAföG, Aufstiegs-BAföG, Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld mit dieser Maßnahme unterstützt werden sollen. ({5}) Unterm Strich werden rund 2,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger von dem einmaligen Heizkostenzuschuss profitieren. Ich bin in den letzten Tagen häufig gefragt worden, wo man denn als Wohngeldbezieher einen Antrag stellen muss, um diesen einmaligen Heizkostenzuschuss zu bekommen. Die gute Nachricht ist: Das muss man gar nicht, den gibt es automatisch, weil wir nicht nur schnell, sondern auch unbürokratisch helfen wollten. Danke schön. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Breilmann spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Breilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund stark steigender Energiepreise beraten wir heute einen Gesetzentwurf, mit dem die Ampelkoalition versucht, der Entwicklung mit einem einmaligen Heizkostenzuschuss insbesondere für Wohngeldempfängerinnen und ‑empfänger entgegenzutreten. Dieser Schritt ist grundsätzlich erst mal richtig; er reicht aber bei Weitem nicht aus. Es ist gerade nicht der große Wurf, Frau Ministerin, so wie Sie es vorhin dargestellt haben. Erforderlich ist nicht eine halbherzige, sondern eine dauerhafte und nachhaltige Lösung, die die steigenden Energiekosten abbildet. ({0}) Darüber hinaus müssen auch Wege der Entlastung gerade für Menschen mit mittleren Einkommen und Familien gefunden werden. Auch die dürfen wir nicht im Stich lassen. Es ist doch heute in der Debatte zu den Energiepreisen deutlich geworden: Sie als Bundesregierung und als Koalition müssen hier endlich handeln. ({1}) Es ist ja bereits dargestellt worden: Die gestiegenen Beschaffungspreise für Strom und Erdgas auf den Energiemärkten führen zu erheblichen Belastungen bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ich selber habe viele Jahre als Mietrechtsanwalt gearbeitet. Viele Haushalte und Familien gerade mit kleinen und mittleren Einkommen bekommen das im Geldbeutel schon seit Jahren zu spüren. Viele Menschen haben Angst, auch bei mir im Wahlkreis, vor der neuen Nebenkostenabrechnung. Sie haben Sorge, dass sie die Heizkosten nicht mehr bezahlen können. Und ja, es sind nicht nur finanzschwache Haushalte von den stark gestiegenen Preisen betroffen. Vielmehr sind die Effekte bis weit in die Mitte der Gesellschaft spürbar. Sie haben es gerade selber angesprochen: Der einmalige Zuschuss hilft nur etwa 2 Millionen Menschen in unserem Land. Und das ist zu wenig. ({2}) Kommen wir aber zur Umsetzung des Gesetzes. Wir als Unionsfraktion können nicht nachvollziehen, dass die Regelung dieses einmaligen Heizkostenzuschusses in einem eigenständigen Gesetz außerhalb des bewährten Wohngeldgesetzes erfolgt. Innerhalb des Wohngeldgesetzes würde Klarheit zur Zuständigkeit der Gemeinden, zur Ausführung dieses Gesetzes hergestellt und die Umsetzung nach den allgemeinen Verfahrensregelungen des Wohngeldgesetzes normiert. Auch müssen wir darüber diskutieren, ob der anspruchsberechtigte Personenkreis – er ist gerade angesprochen worden – nicht ausgeweitet werden sollte. So sollte jedenfalls eine Ausweitung des Heizkostenzuschusses auf alle Kinderzuschlagsempfänger nach dem Bundeskindergeldgesetz, die kein Wohngeld erhalten, erfolgen. ({3}) Hier und auch bei anderen Punkten müssen wir nachjustieren. Ich bin daher auf die Ausschussberatung und die Anhörung in den nächsten Wochen sehr gespannt. Diese Bundesregierung muss aber auch – das haben wir heute Morgen schon des Öfteren gehört – kurzfristig handeln und weitere Maßnahmen angehen. Hierzu liegen ja Vorschläge der Union auf dem Tisch. ({4}) Viele Rednerinnen und Redner haben sie angesprochen. Wir brauchen eine Senkung der Mehrwertsteuer auf lebenswichtige Energie wie bei den Heizkosten, eine schnelle Abschaffung der EEG-Umlage und eine Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß. Das ist erforderlich und muss so schnell wie möglich umgesetzt werden. ({5}) Und beim Wohngeld darf es – ich sage es konkret – nicht bei dem von der Koalition vorgeschlagenen einmaligen Heizkostenzuschuss bleiben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, der Kollege Fricke möchte eine Zwischenfrage stellen. – Nein, doch nicht.

Michael Breilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen eine dauerhafte, eine nachhaltige Erhöhung und Dynamisierung des Wohngelds. Das alles hätten Sie schon längst angehen können, liebe Koalitionäre. Sie aber kündigen immer nur vollmundig an; die Umsetzung ist, wenn überhaupt, dann nur halbherzig und zögerlich. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Ampel ist mit dem Versprechen angetreten, Deutschland zu einem klimafreundlichen Land zu machen. „Was gut ist fürs Klima, wird günstiger – was schlecht ist, teurer.“ Das kündigten Sie im Koalitionsvertrag an. Sie versprachen, insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen zu unterstützen. Wir als Unionsfraktion nehmen Sie da beim Wort. Dämpfen Sie endlich den Preisanstieg bei den Energiekosten! Senken Sie umfassend staatliche Abgaben, und entlasten Sie die Bürgerinnen und Bürger richtig! Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gab eben leichte Verwirrungen. Weil man ursprünglich davon ausging, dass das Ihre erste Rede sei, wollte Herr Fricke dann doch keine Zwischenfrage stellen. Sie haben hier aber schon Ihre zweite Rede gehalten. Ich wollte nur erklären, warum es eben die Aufregung gab. Der Grund für die Aufregung war – das glaube ich jedenfalls – nicht der Inhalt der Rede. ({0}) Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Hanna Steinmüller für Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Hanna Steinmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005230, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag auch von mir! Was gibt es Schöneres als die erste Lesung des Heizkostenzuschussgesetzes am Geburtstag? Ich freue mich sehr für Sie und für uns. ({0}) Die Preise für fossile Energieträger wie Öl, Kohle und Gas sind international in den letzten Monaten gestiegen; darüber haben wir heute Vormittag ja schon ausführlich diskutiert. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland bedeutet das, dass Heizen immer teurer wird. Der Anstieg ist von Wohnung zu Wohnung sehr unterschiedlich, aber eines ist klar: Gerade für Menschen mit geringem Einkommen wird der Anstieg besonders deutlich zu spüren sein. Denn einerseits leben diese Menschen oft in Häusern oder Wohnungen, die schon lange nicht mehr saniert wurden, in denen noch eine alte Ölheizung steht, die über Decken und Wände viel Wärme verlieren, und haben oft nicht das Geld, um selber zu sanieren oder in eine sanierte Wohnung umzuziehen. Andererseits fallen steigende Fixkosten dort ganz besonders auf. Das bedeutet, dass dann an anderer Stelle gespart werden muss: bei Freizeitaktivitäten, bei der Nachhilfe für die Kinder oder eben beim Monatsticket für die Bahn. Um diese zusätzliche Belastung für Menschen mit geringem Einkommen abzufedern, haben wir in den Koalitionsverhandlungen beschlossen, dass der Heizkostenzuschuss schnellstmöglich kommen muss. Das ist hier jetzt der Fall. Danke auch an Chris Kühn und die grünen Verhandler/-innen, die das ermöglicht haben. ({1}) Das Heizkostenzuschussgesetz ist eines unserer ersten Gesetze. Ich finde, das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir als Ampel besonders diejenigen im Blick haben, die unsere Unterstützung ganz besonders brauchen. Vom Heizkostenzuschuss profitieren die, die der Preisanstieg am härtesten trifft: Menschen, die sich in Ausbildung oder im Studium befinden, die vielleicht gerade in ihre erste eigene Wohnung oder ein WG-Zimmer gezogen sind und die Eltern haben, die sie da nicht unterstützen können, Menschen, die viele Stunden in der Woche arbeiten und trotzdem nicht genug Geld verdienen, um die steigenden Warmmieten aus eigener Tasche zu zahlen, und Menschen, die von einer kleinen Rente leben und deren Ölheizung jetzt dafür sorgt, dass ihnen die Heizkosten über den Kopf wachsen. Mehr als 2 Millionen Menschen werden dank dieses Zuschusses etwas besser schlafen können, wenn im Sommer die Nachzahlung für die Heizperiode im Briefkasten liegt. ({2}) Klar ist aber auch – das wissen Sie selber, Herr Kollege Breilmann –: Das ist nur der erste Schritt. Es braucht ein Gesamtpaket an Entlastungen. Zu diesem Gesamtpaket gehört, dass wir endlich den Sofortzuschlag für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen brauchen. ({3}) Zu dem Gesamtpaket gehört auch, dass wir Mieterinnen und Mieter beim CO2-Preis für Wärme entlasten und die Vermieter stärker in die Verantwortung nehmen. Beim Wohngeld müssen wir dafür sorgen, dass Menschen weniger abhängig sind von den steigenden Heizkosten. Darum haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Stärkung des Wohngelds voranzubringen und eine Klimakomponente einzuführen. Das werden wir bald angehen. ({4}) Die massiven Preisschwankungen bei fossilen Energien machen aber auch deutlich, dass wir langfristig aus der Abhängigkeit von diesen Rohstoffen herauskommen müssen, und zwar durch den Ausbau der erneuerbaren Energien; denn mit der dezentralen Energiewende vor Ort sind wir in Zukunft weniger abhängig von den internationalen Preisschocks der fossilen Energien. Dazu gehört auch, dass wir Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und Gebäudeeffizienz brauchen; denn jede Kilowattstunde, die wir nicht verbrauchen, müssen wir nicht produzieren und nicht bezahlen. Nur so können wir eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung in Zukunft sicherstellen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir haben eine Menge vor. Jetzt freue ich mich aber erst mal darauf, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf im Ausschuss beraten. Ich glaube, wir müssen auch noch mal darüber sprechen, ob es nicht möglich wäre, dass alle diesen Zuschuss unbürokratisch ausbezahlt bekommen, ohne ihn beantragen zu müssen. Das werden gute Debatten; darauf freue ich mich. Dann wird es bald so weit sein, dass wir zügig den Zuschlag an die Menschen auszahlen können, die ihn besonders nötig haben. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sebastian Münzenmaier spricht jetzt für die AfD-Fraktion. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich mal vor: Die Regierung bricht Ihnen zuerst ein Bein, reicht Ihnen dann eine Krücke und behauptet, ohne Regierung könnten Sie jetzt nicht laufen, lieber Bürger. – Das wäre völliger Wahnsinn; das würden Sie nie tun. Exakt nach diesem Prinzip verfahren Sie hier aber in puncto Heizkostenzuschuss, meine Damen und Herren. Aber ich bin ein positiver Mensch; fangen wir mal mit den positiven Nachrichten an. Ich bin ja schon froh – normalerweise beschäftigen Sie sich mit irgendwelchen Gender-Klos oder mit queerfeministischer Außenpolitik oder laden irgendwelche Clowns in die Bundesversammlung ein –, ({0}) dass wir heute hier im Deutschen Bundestag mal über die echten Probleme sprechen, ({1}) die die Menschen da draußen umtreiben. ({2}) Das Explodieren der Heizkosten ist ein wahnsinnig großes Problem. Das betrifft Millionen von Menschen. Deswegen ist es gut, dass wir heute darüber reden. Ich hatte mich darauf gefreut, dass Sie hier vielleicht eine Lösung auf den Tisch legen, die sinnvoll ist und über die wir reden können. Aber was ist Ihre Lösung? Ihre Lösung ist ein einmaliger minimaler Heizkostenzuschuss für etwas mehr als 1 Million Haushalte in ganz Deutschland. Ganz großes Kino! Was ist denn mit den anderen 40 Millionen Haushalten, die nichts bekommen? Und was ist das überhaupt für eine Lösung? Sie doktern wieder mal nur an Symptomen herum, anstatt endlich das Problem an der Wurzel zu packen, meine Damen und Herren. Haben Sie sich mal Gedanken gemacht, warum die Heizkosten in der Vergangenheit durch die Decke gegangen sind? Sie, meine Damen und Herren von der Abzockerampel, sind verantwortlich für die Explosion der Spritpreise, der Heizkosten, die enorme Inflation und den Preisanstieg in nahezu allen Lebensbereichen. ({3}) 80 Prozent aller Deutschen fürchten sich laut einer aktuellen Umfrage vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Wissen Sie, warum? Weil die Kilowattstunde, die im Jahr 2000 noch 14 Cent gekostet hat, heute mehr als 32 Cent kostet. Diese Menschen und deren Sorgen sollten Sie endlich mal ernst nehmen. Verteilen Sie also bitte keine Almosen an einen minimalen Empfängerkreis, sondern ändern Sie Ihre desaströse Politik, und sorgen Sie so für eine deutliche Entlastung unserer fleißigen Bürger und Steuerzahler, meine Damen und Herren! ({4}) Wir als AfD-Fraktion haben Ihnen ja konkrete Vorschläge gemacht; wir haben Ihnen Vorschläge auf den Tisch gelegt: Stoppen Sie die Nullzinspolitik. Schaffen Sie die CO2-Steuer ab. Setzen Sie die Mehrwertsteuer auf Strom, Gas, Heizöl, Fernwärme und Kohle vorübergehend aus. – All das wären sinnvolle Lösungen des Teuerungswahnsinns. Aber all das wurde von Ihnen im Plenum ja abgelehnt. Ihre staatliche Klima- und Steuerpolitik sorgt dafür, dass im Winter Menschen in Deutschland frieren müssen und jetzt ein Almosen zugewiesen bekommen. Wir als Alternative für Deutschland kämpfen stattdessen für eine echte Entlastung aller Bürger. Wir können Sie nur auffordern: Hören Sie endlich auf, Menschen mit Krücken abzuspeisen, und ermöglichen Sie unseren Bürgern ein Leben auf beiden Beinen und vor allem in einer warmen Wohnung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion gebe ich Rainer Semet das Wort. ({0})

Rainer Semet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005223, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die steigenden Kosten sind eine große Belastung für viele Bürgerinnen und Bürger; vor allem Mitbürger mit niedrigem Einkommen leiden darunter, zuletzt unter den stark gestiegenen Kosten für Heizöl oder Gas. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb vereinbart, diese Gruppe gezielt zu unterstützen. Wir möchten die besonders betroffenen Haushalte und Personen zielgenau unterstützen. Es sind verschiedene Zahlen genannt worden; aber es sind auf jeden Fall über 2 Millionen Menschen, die davon profitieren. Als Ampelkoalition unterstützen wir damit auch sehr viele junge Menschen, die durch ihre Ausbildung eine wichtige Grundlage für die Zukunft unseres Landes leisten werden. Als ehemaliger Lehrer an einer beruflichen Schule finde ich es besonders gut, dass unter den Geförderten 370 000 Auszubildende und 75 000 Personen in Fortbildung zusätzlich unterstützt werden. ({0}) Weiterhin bin ich der Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger dankbar, dass 65 000 BAföG-Empfänger ebenfalls entlastet werden können. Genau diese jungen Menschen, die ohnehin auf jeden Euro schauen müssen und die durch die Coronakrise stark belastet sind, unterstützen wir mit dem Gesetzentwurf maßgeblich. Gemeinsam mit der Abschaffung der EEG-Umlage haben wir als Ampelkoalition wenige Monate nach Vereidigung des Kabinetts ein sinnvolles Maßnahmenpaket geschaffen, das viele Menschen spürbar entlasten wird. Die Heizkosten hängen aber auch direkt mit der Qualität der Wohngebäude zusammen. Alte und schlecht isolierte Wohngebäude verbrauchen mehr Energie. Es zeigt sich: In Zukunft wird energieeffizientes Bauen eine wichtige Rolle spielen, um den Energieverbrauch, die Kosten und den CO2-Ausstoß im Wohnungssektor zu senken. Deshalb müssen wir als Politik vor allem für private Unternehmen Anreize und Klarheiten schaffen, damit die von uns formulierten Ziele entsprechend zügig umgesetzt werden können. ({1}) Es wird in Zukunft von besonderer Bedeutung sein, wie wir in Europa zusammen mit Problemen und Aufgaben in der Energieversorgung und im Bauwesen umgehen. Die Kommunikation auf allen Ebenen – von Brüssel über Berlin und schließlich zu den Ländern, Städten und Gemeinden – muss zusammengeführt und verbessert werden. Gebaut wird maßgeblich in den Kommunen, wo letztendlich geplant und festgelegt wird, was gebaut werden soll. Wichtig für uns sind die zwei Programme der EU, welche sich direkt auf Deutschland auswirken: Mit der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und dem „Fit for 55“-Paket ist der Startschuss für ein energieeffizientes Bauen gegeben. ({2}) Wodurch zeichnet sich zukunftsorientiertes Bauen aus? Hierzu einige Punkte: neue, innovative Baustoffe und Bauweisen, Baustoffrecycling – wir werden mehr Baustoffrecycling betreiben müssen, um weniger Ressourcen zu verwenden –, moderne Heizungssysteme und Wärmeversorgung. Und nicht zuletzt müssen wir darüber nachdenken, wie zukünftiges Wohnen aussehen soll: Welche Wohnungsgrößen brauchen wir? Wie wollen wir zusammenleben? Wie wollen wir unsere Städte und Gemeinden weiterentwickeln? Wir müssen die Geldmittel des Bundes überlegt und zielgerichtet einsetzen. Unsere Ziele für Neubauten und in noch stärkerem Maße für Sanierung und Ertüchtigung von Altbauten sind nur erreichbar, wenn wir gemeinsam mit privaten Investoren diese große Aufgabe angehen. Hierfür muss eine technologieoffene Umsetzung der Richtlinien und Gesetze in Deutschland sichergestellt werden. ({3}) Die schnelle Verabschiedung des Heizkostenzuschussgesetzes ist ein erster wichtiger Schritt, um zunächst soziale Härten abzufedern, während wir weiter an anderen Gesetzentwürfen arbeiten, um die dauerhafte, preisangemessene Energieversorgung sowie den Bau von Wohnraum voranzubringen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat zu ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag die Kollegin Susanne Hennig-Wellsow für die Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Hennig-Wellsow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005082, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist zwar gut, dass die Bundesregierung etwas zur Abfederung der steigenden Heizkosten unternehmen will, aber das Gesetz, das Sie hier vorgelegt haben, reicht bei Weitem nicht aus. Frau Geywitz, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! – Sie haben erklärt, es sollen diejenigen eine spürbare Unterstützung erhalten, die die steigenden Energiepreise nicht einfach wegstecken können. Dieses Ziel allerdings verfehlt dieser Gesetzentwurf deutlich, und zwar aus drei Gründen: Erstens. Vier von fünf Bürgern machen sich aufgrund steigender Energiepreise Sorgen. Über 7 Millionen Menschen haben schon jetzt zu wenig Geld, um ihre Wohnung warmzuhalten. Ihr Heizkostenzuschuss hilft aber nur gut 2 Millionen Menschen. Viele der knapp über der Wohngeldgrenze liegenden Familien, die wegen Corona und der Preisentwicklung ohnehin schon unter Druck stehen, können die steigenden Energiekosten ebenfalls nicht einfach wegstecken. Zweitens. Die Beträge, die Sie hier als Hilfe veranschlagen, sind viel, viel, viel zu niedrig. ({0}) Das denken wir uns nicht einfach aus, um Sie zu ärgern, sondern das sagen auch Mietervereine, Sozialverbände und Verbraucherschützer/-innen, also Experten und Expertinnen, die täglich damit zu tun haben und wissen, wie schwer es für viele ohnehin schon ist, über die Runden zu kommen – und das nicht erst, seitdem die Preise so deutlich steigen. Drittens. Eine einmalige Hilfe verkennt doch nun tatsächlich, was strukturell verändert werden muss. ({1}) Die Linksfraktion hat dazu einige Vorschläge. Ich will nur drei nennen: Das Wohngeld muss auf Basis der Bruttowarmmiete gezahlt werden. ({2}) Strom- und Gassperren wegen Zahlungsunfähigkeit müssen endlich verboten werden. ({3}) Menschen in Grundsicherungsbezug müssen die tatsächlichen Energiekosten vollständig bezahlt bekommen. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, die Inflation und damit die steigenden Heizkosten treffen auf eine schon vorher grassierende und unvertretbare Armutsgefährdung. Dagegen kommt man nicht mit unzureichenden Zuschüssen an. Deshalb: Das Gegenteil von „gut“ ist nun mal „gut gemeint“. Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Martin Diedenhofen für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Martin Diedenhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im gesamten Wahlkampf vor der zurückliegenden Bundestagswahl hat die Sozialdemokratische Partei konsequent von Respekt gesprochen. Mit dem Gesetzentwurf zum Heizkostenzuschuss zeigen wir, dass Respekt für uns keine leere Versprechung ist. ({0}) Und wir setzen das wichtige Signal: Wir lassen Sie, wir lassen euch mit den steigenden Energiepreisen nicht alleine. ({1}) An dieser Stelle möchte ich mich bei unserer Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, ganz herzlich bedanken und ihr natürlich auch noch zum Geburtstag gratulieren. Danke, dass du und dein gesamtes Haus gemeinsam mit den beteiligten Ressorts diesen Gesetzentwurf so schnell auf den Weg gebracht hast, und das während des Aufbaus eines neuen Ministeriums. Das ist eine enorme Leistung, und das zeigt auch die Entschlossenheit der gesamten Ampel. ({2}) Wir handeln hier schnell und unbürokratisch, um die Mehrbelastungen von über 2 Millionen Menschen aufzufangen, und das ist richtig gut so. Der starke Anstieg der Energiepreise trifft uns alle. Aber er trifft vor allem Menschen und Familien mit geringem Einkommen; denn sie geben anteilig deutlich mehr Geld für Heizung, Strom und Warmwasser aus. Deshalb ist für uns auch ganz klar, dass wir hier gezielt diejenigen unterstützen müssen, bei denen die höheren Energiepreise mit voller Wucht zuschlagen. Das sind eben die Menschen, die sowieso schon auf jeden Euro achten müssen, und übrigens auch viele junge Menschen in Ausbildung und Studium. Hier helfen wir ganz konkret. ({3}) Die in den letzten Wochen laut gewordene Forderung nach pauschalen Steuersenkungen im Energiebereich halte ich für falsch. Eine schnelle und gezielte Maßnahme wie der geplante Heizkostenzuschuss ist doch jetzt viel sinnvoller als eine pauschale Steuersenkung, von der auch sehr gut verdienende Menschen – wie übrigens auch wir Abgeordneten hier im Saal – profitieren würden. Wir als Sozialdemokraten setzen das Geld jedenfalls lieber für diejenigen ein, die es am dringendsten brauchen. ({4}) Es gibt Stimmen, übrigens auch aus der Union, die sagen, dass der Betrag zu gering sei und für viele Menschen nicht ausreichen werde. Lassen Sie mich dazu drei Dinge sagen: Erstens freue ich mich natürlich riesig, dass Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, plötzlich Ihre soziale Ader entdeckt haben. ({5}) In meiner Erinnerung waren es aber Sie, die immer wieder auf der Bremse standen, wenn es darum ging, Menschen und Familien mit geringem Einkommen gezielt zu unterstützen. ({6}) Um nur ein Beispiel zu nennen: die faire Teilung der CO2-Mehrkosten zwischen Mieter und Vermieter. ({7}) Wie so oft gilt auch hier: Sie haben in der Vergangenheit blockiert, und die Ampel löst jetzt. ({8}) Zweitens ist die Höhe des Zuschusses natürlich nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern sie wurde vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln berechnet. 135 Euro für Alleinstehende – das ist für viele Menschen sehr viel Geld, und das sollte auch hier nicht vergessen werden. Drittens ist der Heizkostenzuschuss nur ein kleiner Baustein von vielen, um die Menschen bei steigenden Energiepreisen zu entlasten. Er reiht sich ein in eine Vielzahl von Maßnahmen, die Ministerin Geywitz vorhin teilweise schon genannt hat. Wir haben die EEG-Umlage bereits gesenkt, und wir werden sie zügig komplett abschaffen. Die automatisierte Anpassung beim Wohngeld haben wir bereits vorgenommen, und wir werden das noch zusätzlich stärken. Wir erhöhen den Mindestlohn auf 12 Euro, und davon werden Millionen von Menschen profitieren. Wir wollen jährlich 400 000 neue Wohnungen bauen, davon 100 000 Sozialwohnungen. Wir intensivieren den Ausbau der erneuerbaren Energien und machen uns damit unabhängig von fossilen Energieträgern und den Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt. ({9}) Nicht zuletzt spielt die energetische Gebäudesanierung eine wichtige Rolle, um langfristige Kostensteigerungen vermeiden zu können; denn Heizkosten sind in schlecht sanierten und schlecht gedämmten Gebäuden um ein Vielfaches höher. Dort schlagen die Preissteigerungen umso mehr ein. Unsere Aufgabe ist also klar: Wir müssen Wohnraum zukunftsfähig gestalten, umweltschonend und sozial gerecht. ({10}) Von all diesen Punkten profitieren die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Genau das ist die Maßgabe der SPD-Fraktion. Das ist der Weg. Ganz herzlichen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Emmi Zeulner das Wort. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die drei großen Themen, die die Menschen aktuell in unserem Land bewegen, sind natürlich die Ukraine, Corona und die steigenden Energiepreise. Deshalb möchte ich Ihnen heute zum Geburtstag, liebe Ministerin, auch ein Lob aussprechen. Sie sind die erste Ministerin aus diesem Kabinett, die hier mal einen konkreten Vorschlag vorgelegt hat, der hilft. Deswegen danke dafür. ({0}) Sie waren die Erste, die vorgelegt hat; aber der Gesetzentwurf geht nicht weit genug. Das sagen nicht nur wir als Union; das steht auch dem entgegen, was der Kollege zuvor gesagt hat, nämlich dass wir keine soziale Ader hätten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie sich mal an, was in der letzten Legislaturperiode, auch unter einem Bauminister Seehofer, alles funktioniert hat, zum Beispiel beim Wohngeld. Da haben wir einiges vorgelegt. Wir sind wirklich weit davon entfernt, irgendwelche Dinge zu verhindern. ({1}) Die Wohlfahrtsverbände sagen – auch die Fakten zeigen es –, dass das, was vorgelegt wurde, noch nachgebessert werden muss. Steigerung der Energiekosten um bis zu 40 Prozent, das ist schon ein Hammer, und deshalb müssen Sie einige Fragen beantworten, zum Beispiel: Wie kommen Sie auf einen Betrag von 175 Euro für einen Paarhaushalt? Warum bleibt der Zuschuss ein einmaliger Zuschuss ohne Dynamisierung? Wie kommen Sie darauf, dass das das richtige Instrument ist, um die zukünftig tendenziell weiter steigenden Energiekosten sozial auszugleichen? Schauen Sie dazu in andere europäische Länder, wie es dort gehen kann. Dieser Zuschuss darf keine einmalige Sache bleiben. ({2}) Warum erhält den Zuschuss nur der, der auch Transferleistungen erhält? Was ist mit den Menschen mit den kleinen und mittleren Einkommen, mit den kinderreichen Familien, mit Alleinerziehenden usw., die eben keine Transferleistungen erhalten, aber trotzdem nicht viel verdienen? Es ist doch gerade das Wahlversprechen der SPD und der Ampelparteien gewesen, dass die Energiewende sozial abzufedern ist. Deshalb muss die Debatte um die Energiepreise breiter angelegt werden. Wir haben dazu heute Vormittag im Plenum ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt; denn es gibt eben nicht die eine Maßnahme, sondern es muss ein Maßnahmenbündel sein, um diese soziale Frage abzufedern. ({3}) Anstatt also in der nächsten Sitzungswoche allen Ernstes als Tagesordnungspunkt den „Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2021“, also einen Bericht der alten Bundesregierung, vorzusehen, sollten Sie Vorlagen zu einem Tagesordnungspunkt aufrufen, die die Menschen in unserem Land auch tatsächlich bewegen. Werden Sie konkret! Füllen Sie die Tagesordnung nicht mit alten Berichten! Lösen Sie Probleme, wenn Sie diese schon erkannt haben! Deswegen: Schaffen Sie die EEG-Umlage ab! Erhöhen Sie die Pendlerpauschale! Das ist nicht nur eine Debatte in der Berliner Blase, sondern es geht auch darum, dass für die Menschen im ländlichen Raum mehr von dem erarbeiteten Gehalt übrig bleibt. Senken Sie die Mehrwertsteuer auf Energie! Bitte, behalten Sie die Industrie im Blick. Ich bin Staatssekretär Kellner sehr dankbar, dass er ein Gespräch mit unserer heimischen Glasindustrie geführt hat. Diese Familienunternehmen in der Grenzregion Bayern/Thüringen sorgen für Tausende von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. Sie haben volle Auftragsbücher. Aber es lohnt sich eben kaum noch für sie, in Deutschland zu produzieren, weil die Energiekosten, beispielsweise am Spotmarkt, um bis zu 500 Prozent gestiegen sind. Falls die Arbeitsplätze dort unter Druck geraten, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Zeulner.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– kann ich nicht garantieren, wer diese Lücke füllen soll. Deshalb nützt es, wenn Sie diesen Gesetzentwurf nachbessern. Wir als Union werben sehr dafür, dass Sie unsere grundsätzlichen Vorschläge zur Reduzierung der Energiekosten –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte setzen Sie jetzt einen Punkt.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– im Omnibusverfahren zusammen mit der Verabschiedung des Heizkostenzuschussgesetzes umsetzen. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut Hans-Böckler-Stiftung fehlen seit Jahren über 2 Millionen bezahlbare Wohnungen. Dass es in Deutschland zu wenige Wohnungen gibt, hat im Wesentlichen drei Gründe: Es ziehen immer mehr Menschen aus dem ländlichen Raum in die Ballungszentren, und es gibt immer mehr Singlehaushalte. An diesen Fakten kann die Regierung wenig ändern. Der dritte Grund ist aber, dass wir in Deutschland jedes Jahr eine Nettozuwanderung von rund 500 000 Menschen haben. Das heißt, jedes Jahr müssen so viele Wohnungen wie für eine Großstadt wie Dresden zusätzlich neu gebaut werden. Das Leibniz-Institut bestätigt, dass die jährlich rund 300 000 fertiggestellten Wohnungen allein schon für die Zuwanderer benötigt werden. Ohne das Ordnen, Steuern und Begrenzen der Zuwanderung, so wie dies neuerdings, seit sie in der Opposition ist, ja auch die Union fordert, wird es keine Entlastung am Wohnungsmarkt geben. ({0}) Und die Regierung tut alles dafür, auch noch die Kosten des Wohnens immer weiter in die Höhe zu treiben: Energiewende, Baustoffwende, Überregulierung, CO2-Steuer, Klimaschutzgesetz, Gebäudeenergiegesetz und andere Klimaabgaben füttern geradezu die grüne Inflation, und das ohne irgendeinen erkennbaren Nutzen. Über 500 Milliarden Euro in Form von Styropor sind in den letzten Jahren an die Häuser geklebt worden. Und mit welchem Effekt? Mit dem Effekt, dass bei der Herstellung der Dämmstoffe noch mehr CO2 in die Luft geblasen wurde, als wenn wir gar nichts gemacht hätten, und dass die Kosten des Wohnens um weitere 500 Milliarden Euro gestiegen sind. ({1}) – Gehen Sie doch einfach mal dorthin. Der gestrige Wohnungsbau-Tag hat auch klar und deutlich bestätigt, dass der aktuell von der Regierung geplante KfW-40-Standard im Wohnungsbau überhaupt keine nennenswerte CO2-Einsparung bringt, aber die Kosten des Wohnens massiv weiter verteuern wird. ({2}) Im Land mit den höchsten Energiepreisen der Welt wird Heizen zum Luxus. Schon 2020 konnten 7,4 Millionen Menschen ihre Wohnungen nicht mehr ausreichend heizen, und nach der Explosion der Energiepreise in diesem Winter werden noch mehr Menschen frieren müssen. ({3}) Auch Ihr lächerlicher einmaliger Heizkostenzuschuss von sage und schreibe 135 Euro ändert daran nichts, zumal diesen ja auch nur gerade mal 600 000 Haushalte von 42 Millionen bekommen, also etwas mehr als ein einziger Haushalt von 100. Die Menschen brauchen keine Täuschungsmanöver, sondern Lösungen. ({4}) Deshalb müssen die Preistreiber bei den Energiepreisen – und das sind nun mal die staatlichen Abgaben und Steuern – weg, so wie es Polen und Italien machen, indem sie die Steuern auf Energie senken, in Italien sogar mit deutschen Steuergeldern aus den Coronahilfen. ({5}) Die Abschaffung der Grundsteuer würde die Kosten des Wohnens sofort für alle um 14 Milliarden Euro senken, und die ersten eigenen vier Wände müssen von der Grunderwerbsteuer frei sein. Wir freuen uns aber ganz besonders, dass Sie von der Union sich unseren Forderungen anschließen und mit Ihrem Antrag auf Bundestagsdrucksache 20/28 endlich ebenfalls „Migration ordnen, steuern und begrenzen“ wollen. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernhard Daldrup das Wort. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war der 13. Wohnungsbau-Tag – das ist gerade angesprochen worden –, zu dem uns sieben große Wohnungsverbände eingeladen haben. Sie fordern von uns ein Multimilliardenprogramm zum Wohnungsbau. Sie fordern eine wirksame Klimapolitik im Bausektor. Sie fordern von uns massive Zuwanderung zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. ({0}) Und wir beschäftigen uns angesichts dieser Herausforderungen mit einem Antrag der AfD, der uns weismachen will, Flüchtlinge und Zugewanderte seien die Hauptursache der Wohnungsnot. Im Kern ist Ihr Antrag ein Dokument der Flucht vor der Wirklichkeit, der Flucht vor verantwortungsvoller Klimapolitik, der Flucht vor der notwendigen Solidarität als Schwester der unbeschränkten Freiheit, der Flucht vor der Generationengerechtigkeit. Aber Sie wollen nicht in ein anderes Land flüchten, Herr Bernhard; Sie wollen in eine andere Zeit flüchten: in die Vergangenheit, die für uns überwunden ist. ({1}) Wir wollen eine zukunftsorientierte Wohnungspolitik betreiben. Wir wollen Wohnungsknappheit durch Zusammenarbeit in einem Bündnis für bezahlbares Wohnen mit bis zu 400 000 Wohnungen im Jahr bekämpfen. ({2}) Wir wollen 100 000 Sozialwohnungen für breite Schichten der Bevölkerung schaffen, was die AfD in ihrem Antrag gar nicht wahrnimmt. Wir wollen durch ein soziales Mietrecht Bezahlbarkeit und Sicherheit im Wohnen erreichen. Das ist unser Ziel. Wir haben bereits gemeinsam das Grundgesetz geändert. Wir haben mit 5 Milliarden Euro den sozialen Wohnungsbau wieder auf die Bundesebene gebracht, und wir werden unser Vorhaben mit zusätzlichen Milliardenbeträgen massiv nach vorne bringen. Das ist unsere Perspektive: sozialer Wohnungsbau, der übrigens häufig genug in soziale Eigentumsförderung mündet; sozialer Wohnungsbau, der natürlich klimagerecht betrieben werden muss und für den die Ministerin bereits für das laufende Jahr eine zusätzliche Klimamilliarde zur Verfügung gestellt hat, womit der KfW-55-Standard im Bereich des sozialen Wohnungsbaus förderfähig bleibt. Das war eine sehr, sehr gute Entscheidung. Vielen Dank dafür! Wohnungspolitik, das ist aber mehr als nur sozialer Wohnungsbau. Der Fächer des Mietrechtes wird von dieser Koalition weiter geöffnet. Kommunen – Herr Luczak, ich habe das gestern gesagt – brauchen Freiheit für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik, nicht Freiheitsbegrenzung durch das Baurecht, wie Sie es wollen. Ich sage Ihnen dazu: Milieuschutz – das ist auch noch mal wichtig zu sagen – hilft gegen Einsamkeit als Folge von Verdrängung und Gentrifizierung. Auch darüber müssten Sie nachdenken. ({3}) Gemeinsam wollen wir zu einer gerechten Aufteilung der CO2-Kosten kommen; auch das ist eben schon angesprochen worden. Wohnungspolitik ist mehr als Bauen, Bauen, Bauen. Wohnungspolitik ist auch Städtebauförderungspolitik, die wir auf hohem Niveau weiterentwickeln wollen. Wir fühlen uns übrigens den sechs Zielen des Wohnungsbau-Tages durchaus verpflichtet: klimaneutral, altersgerecht, barrierefrei, flexibel, gesund, bezahlbar und sozial. Ja, das sind auch unsere Maßstäbe. ({4}) Konkret sind wir jetzt in den Mühen der Ebene. Wir werden geltende Mieterschutzregelungen verbessern und verlängern; darauf wird mein Kollege noch eingehen. Wir helfen bedürftigen Menschen mit dem Heizkostenzuschuss – das ist eben gesagt worden –, ein wichtiger Schritt, eine schnelle Reaktion, die sich aus dem Koalitionsvertrag ergibt. Wir werden das Baurecht entschlacken. Wir werden Verfahren vereinfachen, Digitalisierung befördern. Wir werden der Raumordnung Geltung verschaffen – eminent wichtig für eine fortschrittliche Baupolitik –, um Flächenverbrauch zu reduzieren und die Nutzung regenerativer Energien zu ermöglichen. Wir werden die steuerlichen Anreize vereinfachen und fortsetzen, die wir angesprochen haben, nicht nur die steuerliche Abzugsfähigkeit von Energieinvestitionen am Gebäude, nein, auch die Erhöhung der linearen Abschreibung von 2 auf 3 Prozent; auch Verbesserungen des Mieterstroms werden angepackt. All das ist in diesem Repertoire enthalten. Wir werden die Bauüberhänge zu reduzieren versuchen – ja, genau –, durch qualifizierte Zuwanderung und durch Ausbildung und durch Stärkung von Fachkräften und beispielsweise auch durch serielles Bauen. ({5}) Das ist eigentlich unsere Perspektive, und das ist nur ein kleiner Teil unseres Programms. Ich will auf das leidige Thema KfW-55-Förderung gerne zu sprechen kommen. Ja, auch ich war irritiert und auch verärgert. Ich glaube, es hätte vielleicht auch andere Möglichkeiten gegeben. Aber ich will an dieser Stelle auch sagen: Wenn man noch in der letzten Regierung – wir waren selber daran beteiligt – durch die KfW und das Wirtschaftsministerium kurzfristig erklärt: „Wir machen da einen Stopp“, ohne zu sagen, wie es weitergeht, dann muss man sich nicht wundern, wenn man eine gewaltige Flut an Anträgen mit Milliardenprogrammen auslöst, für die kein Geld zur Verfügung steht. Die gute Nachricht ist: Wir werden jetzt diese Programme fortsetzen können. Der Haushaltsausschuss hat gestern 9,5 Milliarden Euro für alte und neue Anträge der Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude bereitgestellt. ({6}) Auch zusätzliche Mittel für den KfW-55-Standard im sozialen Wohnungsbau – das ist das andere Programm – werden zur Verfügung gestellt. Mit einem neuen Programm wird es um die Reduzierung der Treibhausgasemissionen gehen. Ich kann Ihre Kritik verstehen, Herr Luczak. Aber ich will auch eins sagen: Wer nur den Status quo erhalten will und wer um die gewaltigen Kosten weiß, der kann nicht gleichzeitig vor dem Verfassungsgericht die dafür bereitstehenden Mittel für den Klimafonds in Höhe von 60 Milliarden Euro –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Daldrup.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– als verfassungswidrigen Weg beklagen. Das ist dann pharisäerhaft. ({0}) Frau Präsidentin, der eine Satz zur AfD sei mir noch gestattet: Wir lehnen den Antrag ab. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde im weiteren Fortgang der Tagesordnung sehr genau auf die Einhaltung der Redezeit, zumindest bei den Kolleginnen und Kollegen, von denen ich weiß, dass sie es können und dass sie schon eine ganze Weile dabei sind, achten. Das ist in unser aller Interesse, um das ganz deutlich zu sagen. ({0}) Das Wort hat der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich hoffe, ich muss mich nicht angesprochen fühlen. Ich bin zwar schon ein paar Tage in diesem Hohen Haus, aber mit den Redezeiten habe ich auch immer so meine Schwierigkeiten. Insofern: Seien Sie bitte nachsichtig. Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren jetzt den Antrag der AfD „Neue deutsche Wohnungsnot stoppen“. Wenn Sie dem Kollegen der AfD jetzt aufmerksam zugehört haben und den Antrag gelesen haben, werden Sie feststellen: Es gibt im Prinzip zwei Argumentationsstränge, die diesen Antrag ausmachen. Der erste heißt: Grenzen zumachen! Abschieben, abschieben, abschieben! Dann haben wir mit der Wohnungsnot kein Problem mehr. ({0}) Der zweite betrifft den Klimaschutz und lautet: Es wird zwar wärmer, die Sonne scheint – das macht uns allen gute Laune –, wir haben aber gar kein Problem damit. Wir finden das gut. Es handelt sich um eine sogenannte Klimaschutzpolitik; die hat aber gar keinen Nutzen, und am Ende ist sie überflüssig. – Das schreiben Sie in Ihrem Antrag. Sie machen damit sehr deutlich, dass Sie nichts anderes sind als Klimaleugner, meine Damen und Herren. ({1}) Sie machen damit vor allen Dingen auch deutlich, dass Sie nicht an einer ernsthaften Debatte interessiert sind. Sie argumentieren ideologisch, faktenfrei; oftmals leugnen Sie auch die Fakten. Sie sind populistisch und oft auch menschenverachtend in Ihrer Argumentation. ({2}) Sie disqualifizieren sich mit diesem Antrag selbst, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der AfD. ({3}) Ich will mit Blick auf das ganze Thema Klimaschutz noch einmal sagen: Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie Sie eigentlich auf Menschen zum Beispiel im Ahrtal zugehen wollen, ({4}) wo es viele Tote gegeben hat, wo es Verletzte gegeben hat, ({5}) wo Menschen vor zerstörten Existenzen und tiefem menschlichen Leid stehen. ({6}) Ich finde Ihre Argumentation, den Menschen zu sagen: „Klimawandel und Erderwärmung, das gibt es alles nicht“, zynisch. Sie sind keine Alternative für Deutschland, Sie sind eine Schande für Deutschland. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Luczak, lassen Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion zu?

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es nach mir geht, hat die AfD viel zu viel Redezeit in diesem Hohen Haus. Deswegen lasse ich keine Frage zu. ({0}) Das Gleiche gilt für Ihre Argumentation mit Blick auf Einwanderung und Migration. Natürlich will ich gar nicht behaupten, dass da in den letzten Jahren alles immer optimal gelaufen ist. ({1}) Natürlich müssen wir Zuwanderung auf einer humanitären Grundlage ordnen und steuern. Aber was Sie in Ihrem Antrag machen, ist: ({2}) Sie versuchen, die Menschen für dumm zu verkaufen. ({3}) Sie suggerieren hier, es gebe seit 2015 jedes Jahr 500 000 Menschen, die Flüchtlinge sind, die alle illegal sind, die alle auf Staatskosten alimentiert werden. Und das ist falsch. ({4}) Wenn Sie sich die Statistik anschauen, werden Sie sehr schnell feststellen, dass acht der zehn Hauptherkunftsländer Staaten der Europäischen Union sind. ({5}) Das sind Menschen, die nach Deutschland kommen, die hier arbeiten, die sich hier integrieren ({6}) und die zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes beitragen. ({7}) Diese Menschen brauchen wir für die Herausforderungen, die wir auf dem Wohnungsmarkt haben. Der Kollege Daldrup hat es gerade angesprochen: Wir müssen 400 000 Wohnungen bauen. Das ist das Ziel, das die Ampel sich gegeben hat. Wer soll denn diese Wohnungen bauen? Das sind die Menschen, die Sie ausweisen wollen, die Sie ausgrenzen wollen. Die brauchen wir hier. Sprechen Sie einmal mit dem Baugewerbe! Genau diese Menschen brauchen wir; sonst schaffen wir dieses gewaltige Baupensum niemals. ({8}) Am Ende ist genau das richtig: Wir müssen mehr, schneller und kostengünstiger bauen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir haben als Bundesregierung in der letzten Wahlperiode schon viel auf den Weg gebracht. Wir haben erstmals seit vielen Jahren mehr als 300 000 fertiggestellte Wohnungen. Aber das reicht nicht. Wir müssen an diese Weichenstellungen anknüpfen. Da will ich, an die Kolleginnen und Kollegen von der Ampel gerichtet, auch sagen: Ich habe da Sorge. Der KfW-Förderstopp ist gerade angesprochen worden. Dieses Hin und Her war nicht nur ein kommunikatives Desaster, das vielen Menschen, vielen Unternehmen, aber vor allen Dingen jungen Familien auf dem Weg in die eigenen vier Wände den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Da ist massiv Vertrauen zerstört worden, da ist Planungssicherheit verloren gegangen. Das ist aber genau das, was wir brauchen, wenn wir davon sprechen, dass wir 400 000 Wohnungen bauen wollen. Dann braucht die Bauwirtschaft verlässliche Rahmenbedingungen. Wenn man so agiert wie die Ampel, hin und her springt und von heute auf morgen einen Förderstopp macht, zerstört man dieses Vertrauen, und dann wird die Immobilienwirtschaft, die Bauwirtschaft diese Wohnungen nicht bauen. Deswegen war das, was Sie gemacht haben, nicht nur Gift für den Klimaschutz, sondern es war vor allen Dingen auch Gift für den Neubau und für das bezahlbare Wohnen. Damit haben Sie Ihre eigenen Ziele mehr als torpediert, liebe Ampel. ({9}) Was machen Sie stattdessen? Sie setzen auf Gebote, Verbote, mehr Regulierung. Wir haben über das Vorkaufsrecht gesprochen, über die ganzen Problematiken, die mit den Abwendungsvereinbarungen einhergehen. Wir haben über die CO2-Mehrkosten gesprochen. Sie wollen jetzt Eigentümer bestrafen, indem Sie ihnen Mehrkosten aufbürden, wenn sie nicht sanieren. Aber Sie finden keine Lösung, wenn es zum Beispiel um denkmalgeschützte Gebäude geht. Da sagen Sie: Na ja, das könnte man ja auch irgendwie machen. ({10}) Nein, in Milieuschutzgebieten können die Eigentümer nicht sanieren, das wird ihnen verboten, ({11}) und trotzdem sollen die Eigentümer dann die Mehrkosten tragen. Das ist widersprüchlich, das passt nicht zusammen. ({12}) Es gibt noch viele andere Beispiele, die ich nennen könnte, etwa dass Sie mehr Bürokratie und überbordende, praxisferne Dokumentationspflichten schaffen und vieles, vieles mehr. Sie torpedieren Ihre Ziele selbst. Deswegen ist das Fazit, das wir jetzt nach einigen Wochen und Monaten der Ampel ziehen können: Sie haben nichts für den Klimaschutz getan, Sie haben nichts für den Wohnungsbau getan. Im Gegenteil: Sie kappen Förderungen, Sie haben Vertrauen zerstört und Bürokratie aufgebaut. Das ist genau der falsche Weg. Den werden wir als Union nicht mitmachen – Ihren Weg nicht und den der AfD erst recht nicht. Vielen Dank.  ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich nutze die Zeit gleich zu einer Erläuterung. Kollege Luczak, bei Ihnen war alles okay. Wären Sie über die Zeit gekommen, hätte ich Ihrem nachfolgenden Kollegen die Zeit entsprechend abgezogen. Insofern müssen Sie das dann einfach in den Fraktionen austragen. Das konnte ich beim Kollegen Daldrup nicht machen, weil ich niemandem bei seiner ersten Rede die Redezeit dezimieren will. Ich sage aber auch gleich noch etwas anderes: Ich werde in den noch vor uns liegenden etwas mehr als drei Stunden prinzipiell keine Kurzinterventionen zulassen, es sei denn – diese Regel gilt natürlich –, jemand ist persönlich in irgendeiner Weise angegriffen oder angesprochen worden und will sich dazu noch einmal äußern. Das Wort zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat die Kollegin Anja Liebert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Liebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005130, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hatte gerade bei dem Beitrag meines Vorredners am Anfang so ein bisschen das Gefühl, Sie wollten der Ampel beitreten; aber das hat sich dann geändert. Sie sprachen von einem Desaster beim Thema KfW. Da sollten wir vielleicht noch einmal überlegen, in wessen Verantwortung das liegt. Für das, was wir da geerbt haben, trägt nun einmal Herr Altmaier von der Union die Verantwortung. ({0}) Aber zum Antrag der AfD. Es geht Ihnen darin nicht um das Thema. Er zeigt einfach Ihr menschenfeindliches Gesellschaftsbild. Sie schüren Fremdenfeindlichkeit und eine diffuse Angst vor Zuwanderung. Wir von der Fortschrittskoalition hingegen stehen für eine tolerante, offene und vielfältige Gesellschaft. ({1}) In unserem Koalitionsvertrag steht: Migration war und ist schon immer Teil der Geschichte unseres Landes. Einwanderinnen und Einwanderer, ihre Kinder und Enkel haben unser Land mit aufgebaut und geprägt. So werden wir auch handeln. ({2}) Dank der Zuwanderung und der Integration vieler Menschen, die zu uns gekommen sind, verfügt das Land auch über wirtschaftliche Stärke. Ich habe in Ihrem Antrag lange gesucht, ob es vielleicht einen bemerkenswerten Satz gibt, und ich habe einen einzigen gefunden: „Die Bauwirtschaft leidet zunehmend unter einem Mangel an Fachkräften …“ Das haben Sie richtig erkannt. ({3}) Aber die Lösung und die Antwort ist auch hier: Zuwanderung. Denn wir brauchen die Fachkräfte, um dem Arbeitsmarkt neue Perspektiven zu geben und wirtschaftlich stark zu bleiben. ({4}) Jetzt kommen wir aber zu der Frage: Wie soll eigentlich eine seriöse Bau- und Wohnungspolitik aussehen? Wie schaffen wir dauerhaft günstigen Wohnraum für alle Menschen? Wir haben im Koalitionsvertrag ehrgeizige Ziele in der Wohnungsbau- und Mietenpolitik, aber auch viele konkrete und geeignete Maßnahmen, damit wir endlich bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Daher empfehle ich ausdrücklich noch mal die Lektüre des Koalitionsvertrages. Wir stehen für sozialen Wohnungsbau. Wir wollen nicht nur 100 000 öffentlich geförderte Wohnungen jährlich, sondern 400 000 Wohneinheiten pro Jahr schaffen, und das werden wir klima- und ressourcenschonend, mit effizienten Technologien und nachhaltigen Baustoffen tun. Neubau allein führt aber nicht automatisch zu bezahlbarem und preisgünstigem Wohnen. Es wird wieder mehr gebaut, ja, aber oft mit hohem Flächenverbrauch oder gerade nicht in den angespannten Wohnungsmärkten. Auch der Leerstand steigt auf die große Zahl von über 600 000 Wohnungen. Was wir brauchen, ist daher ein Mix aus Maßnahmen in der Wohnungs- und Baupolitik in den Städten, aber auch im ländlichen Raum, wo es einen höheren Leerstand gibt. Allen Ampelpartnern – natürlich uns Grünen ganz besonders – ist es wichtig, das Bauen im Bestand weiter zu fördern, ({5}) und zwar mit Nachverdichtung, mit Umbau und Sanierung. Das spart wertvolle Ressourcen, vermindert den Flächenverbrauch und ist deutlich günstiger als Neubau. ({6}) Dafür bieten sich viele Möglichkeiten in den Ballungsräumen an: die Umnutzung von Büro- und Gewerbeflächen, Aufstockungen, Dachgeschossausbau, viele weitere Möglichkeiten. Und der Antrag der AfD, der wie üblich und absehbar den menschengemachten Klimawandel leugnet? Sie sorgen sich vor allem um Immobilieninvestoren und deren Interessen und warnen vor Überregulierung durch Klimaschutzmaßnahmen. ({7}) Was hat das, bitte schön, mit bezahlbarem Wohnen und modernem Bauen zu tun? Das erschließt sich mir überhaupt nicht. ({8}) Die Bauwirtschaft, Wohnungsbaugesellschaften, Handwerksbetriebe, Eigentümerinnen und Eigentümer – das haben wir bei den Diskussionen auf dem Wohnungsbautag gemerkt – sind längst bereit für Innovationen und Fortschritt und auf dem Weg, sich gemeinsam mit der Ampel den neuen Perspektiven im Baubereich zu stellen. Die AfD allerdings steckt weiter in ihrer dunklen Vergangenheit fest. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Caren Lay das Wort. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer die gleiche Leier, die gleiche rassistische Leier – dieses Mal gepresst in die Wohnungspolitik. ({0}) Egal welches Problem in diesem Land existiert, die Antwort der AfD lautet immer: Die Zuwanderung ist schuld. – Und wenn die Migrantinnen und Migranten einmal nicht schuld sind, dann ist die Klimapolitik schuld. Beides sei schuld an den Problemen auf dem Wohnungsmarkt. Das ist Ihre Argumentation, und die ist grundsätzlich falsch. ({1}) Hauptgrund der Mietenkrise ist die Spekulation mit Immobilien; hinter der Mietenkrise steht das Kapital. Das ist die Wahrheit. ({2}) Und ja, auch eine Politik, die genau das zulässt, dass sich nämlich das Finanzkapital durch unsere Städte frisst und Mieterinnen und Mieter verdrängt, ist ein Problem; aber um das zu bekämpfen, war die AfD ja nicht gerade hilfreich. Sie waren es, die die Gelder für den sozialen Wohnungsbau kürzen wollten. Sie haben als einzige Fraktion in diesem Hohen Haus gegen die Verlängerung des sozialen Wohnungsbaus gestimmt. Sie sind gegen die Mietpreisbremse, gegen den Mietendeckel. Sie lassen sich Ihre Arbeit durch Großspenden von Immobilienhaien finanzieren. ({3}) Sie stehen stramm an der Seite des Kapitals. Sie sind ein wohnungspolitischer Totalausfall. So sieht es aus. ({4}) Die Mieten sind in den letzten Jahren eskaliert: in Berlin ein Plus von 44 Prozent, in Osnabrück ein Plus von 36 Prozent und in München ein Plus von 32 Prozent. Das sind die aktuellen Zahlen aus der Antwort auf meine Anfrage. Und das alles in den letzten sechs Jahren, wo doch die Mietpreisbremse wirken sollte! Das beweist: Die Mietpreisbremse funktioniert nicht. ({5}) Deswegen brauchen wir einen bundesweiten Mietenstopp und einen Mietendeckel für die großen Städte. Ich freue mich sehr, dass das Bündnis Mietenstopp, das heute seinen ersten Geburtstag feiert, aber auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung heute ihre Forderungen dazu präsentiert haben. Der Mietenwahnsinn muss aufhören! Das Wohnopoly muss beendet werden! ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hagen Reinhold für die FDP-Fraktion. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss mich ein bisschen entschuldigen: Ich bin sehr müde heute. Das Plenum ging gestern bis nach 22 Uhr; danach fanden noch Sitzungen statt. Es hat mich, ehrlich gesagt, auch nicht munter gerüttelt, als ich diesen Antrag gelesen habe. Er las sich eher wie eingeschlafene Füße, muss ich feststellen. Na ja, ich muss trotzdem dazu reden. Einwanderer nehmen uns die Wohnungen weg, Klimaschutz ist völlig unnötig, die ganze Welt bereitet sich auf die Folgen des Klimawandels vor, nur Deutschland muss das nicht, völlig unnötig! Herr Bernhard, Sie sind ja kein Dummer. Ich frage mich manchmal: Wenn Sie da sitzen, Ihren Antrag schreiben und Ihre eigene Welt formulieren, muss Ihnen doch manchmal auffallen, wie unschlüssig die eigentlich ist. Das traue ich Ihnen eigentlich zu. Man muss sich das einmal überlegen: Seit 1990 haben wir einen Wanderungssaldo von Nichtdeutschen von ungefähr 7,6 Millionen Bürgern. Ihre Großstadtrechnung ist also – – Egal! Hätten wir die nicht in Deutschland, dann – da bin ich mir sicher – wäre ich heute nicht unfallfrei im ÖPNV hierhergekommen. Ich weiß gar nicht, ob ich mein Frühstück so hätte zu mir nehmen können – egal ob das jetzt vegan ist oder aus Fleisch besteht –; dafür hätte ich auch fleißige Hände gebraucht. Krankenhäuser, Pflegeheime: Alles würde sicherlich in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. ({0}) Sie haben recht: Bei 76 Millionen Einwohnern hätten wir jetzt vielleicht keine angespannten Wohnungsmärkte, aber dann würden wir hier heute über ganz andere Probleme diskutieren als über die Wohnungsnot. ({1}) Wenn ich nichts zu Essen und zu Trinken habe, aber ein Dach über dem Kopf, hilft mir das nicht weiter. ({2}) Ich will Ihnen sagen: Ich bin Handwerker. Man kann zu den Energieformen stehen, wie man will – das zeigen Sie uns ja ständig –, aber auch eine Heizung, die mit Öl betrieben wird, geht irgendwann kaputt, und dann brauche ich einen, der das repariert. Den hätten Sie ganz genauso wenig in Ihrem Weltbild. Dann sprechen Sie vom „vermeintlichen Klimaschutz“. Das ist schon die erste Krux und unterscheidet eben die, die mitdenken, von denen, die das nicht tun. Wenn Sie einmal ein bisschen verfolgen würden, was Energie gerade im Aufruf kostet – gerade wenn wir neue an den Start bringen –, dann würden Sie sehen, dass die erneuerbaren Energien mittlerweile viel günstiger als die fossilen sind. Uran ist übrigens endlich, genau wie fossile Energieträger. Alles, was endlich ist, wird teurer. Wie erklären Sie es eigentlich Ihren Leuten, dass Sie sie nicht auf die steigenden Kosten vorbereiten? Wir tun das zumindest und haben ein Auge darauf, dass Energie nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft bezahlbar ist. Das – und nicht das, was Sie tun – ist zukunftsgewandte Politik. ({3}) – Lassen Sie es doch sein! ({4}) Schon in Ihrem Vortext schreiben Sie, dass Sie den „vermeintlichen Klimaschutz“ und alles, was damit zu tun hat, abschaffen wollen. Und dann schreiben Sie etwas von Lärmschutz. Sie müssen doch wenigstens beim Schreiben ein bisschen überprüfen, was da steht. Was hat denn der Lärmschutz mit dem Klimaschutz zu tun? ({5}) Gar nichts! Steht in Ihrem Antrag drin. ({6}) So viel Unwissen in einem Antrag macht beim Lesen echt keinen Spaß. ({7}) Den Lebenszyklus wollen Sie nicht betrachten; der ist Ihnen egal. Ich sage Ihnen: Egal womit ich baue, es ist eine endliche Ressource. ({8}) Endlich ist eine Fortschrittsregierung da, die sagt: Wir geben acht darauf, womit wir bauen, wir schauen, dass wir es wiederverwenden, damit wir dieses Land auch in Zukunft erfolgreich gestalten können; denn die Wohnungen, die wir heute brauchen, stehen vielleicht auch in 30 Jahren noch an der falschen Stelle, weil Menschen wandern. Deshalb ist das, was wir treiben, richtig. 400 000 Wohnungen haben wir uns vorgenommen, weil selbst die 360 000 der letzten Legislatur – wären sie geschafft worden – nicht gereicht hätten. Der Bedarf ist höher. Deshalb das hohe Ziel, das wir uns vorgenommen haben! Ja, wir wollen die Baukosten im Blick behalten, innovative Materialien und Zulassungsverfahren beschleunigen. Das ist nämlich das Gebot der Stunde. ({9}) Sie haben die Bauvorschriften angesprochen. Es ist völlig richtig: Das sind zum geringsten Teil Gesetzesnormen, und sie wurden schon gar nicht hier im Bundestag beschlossen. Das sind privatwirtschaftliche Normen. Selbst das haben wir uns aufgeschrieben, weil wir erkannt haben, welche Stellschrauben es gibt. Die Baukostensenkungskommission hat schlaue Vorschläge gemacht. Die wollen wir umsetzen, damit wir endlich niedrigere Baukosten bekommen. Die lineare AfA wird umgesetzt. Ich komme zum Abschluss – man soll nicht überziehen –: Ich sage Ihnen, ich bin zurzeit heilfroh – ich bin selber Handwerker und habe ein Handwerksunternehmen – über jeden Maurer, Tischler und Trockenbauer, den ich bekomme, egal ob er aus der EU kommt oder von außerhalb. Was ich nicht brauche, sind Anträge, die sich anfühlen wie tausendjährige Eier, und die will ich in Zukunft auch nicht mehr lesen. Ich lehne Ihren Antrag mit großer Freude ab. ({10})

Timo Schisanowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Blick auf die Tagesordnungspunkte allein in dieser Sitzungswoche zeigt, wie präsent und bedeutsam das Thema „Bauen und Wohnen“ hier im Deutschen Bundestag ist. Erst gestern haben wir schon die wichtige Debatte zum Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten geführt. Ich freue mich ganz besonders, dass unsere wohlgeschätzte Bundesministerin Klara Geywitz es sich nicht hat nehmen lassen, heute persönlich – noch dazu an ihrem Geburtstag, wie wir gehört haben – zu sprechen. ({0}) Ja, wir sind uns in der Sache sehr wohl bewusst, wie angespannt die Situation für Mieterinnen und Mieter sowie für Wohnungsuchende derzeit vielerorts ist. Der hier vorliegende Antrag hat darauf keine Antwort, weshalb wir ihn ablehnen. Stattdessen lassen Sie mich konstruktiv auf ein wichtiges und richtiges Vorhaben der Fortschrittskoalition eingehen. Ein Grundsatz dabei lautet: Wohnen darf keine Frage des Geldbeutels, des Bildungsabschlusses oder der Herkunft sein. Wohnen ist ein Menschenrecht, wie die Ministerin schon in ihrer Antrittsrede so treffend erklärt hat. Deshalb haben wir uns als SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern auf die Fahnen geschrieben, die strukturellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt mit allem Nachdruck anzugehen und bezahlbaren Wohnraum für alle zu ermöglichen. ({1}) Auf keinen Fall darf die vielerorts hohe Nachfrage weiter zulasten der Mieterinnen und Mieter gehen, insbesondere nicht zulasten der Menschen mit geringem Einkommen. Durch steigende Mietpreise und Energiekosten sind Menschen mit geringem Einkommen de facto am stärksten betroffen. Zu viele Menschen müssen schon jetzt mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete aufwenden. Diesem besorgniserregenden Trend müssen wir ganz entschieden entgegentreten. Daher ist es ein gutes Signal, dass bereits seit Jahreswechsel mehr als 1 Million Bürgerinnen und Bürger von der Erhöhung des Wohngeldes profitieren. Daher ist es auch richtig, ein Bündnis für bezahlbaren Wohnraum zügig anzugehen. Ich bin sehr froh, dass dies als eine der obersten Prioritäten unserer Bauministerin angepackt wird. ({2}) Ein weiteres zentrales Vorhaben ist die Stärkung des Mieterschutzes. Denn es darf nicht länger sein, dass Mieterinnen und Mieter mit ihren Familien in der ständigen Angst leben müssen, ob sie sich ihr Zuhause in Zukunft überhaupt noch leisten können. Deshalb werden wir die Mietpreisbremse bis 2029 verlängern und auf angespannten Märkten die Kappungsgrenze absenken. Die Mieterinnen und Mieter in unserem Land, sie können sich auf uns verlassen. ({3}) Als Sozialdemokrat ist es mir ganz besonders wichtig, vulnerable Gruppen in Zukunft besser zu schützen und die ganze Vielfalt des Wohnens zu ermöglichen. Egal ob junge oder alte Menschen, sie alle haben einen besonderen Bedarf, dem wir durch gezielte Programme gerecht werden wollen. Werte Kolleginnen und Kollegen, unser Bundespräsident hat am vergangenen Sonntag – viel beachtet – ausgeführt, dass wir vor allem auch denen helfen müssen, die gar keine Wohnung haben. In diesem Zusammenhang gibt es einen Leitsatz, der mich als Sozialdemokraten prägt. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin diesen Satz aus der Präambel der Schweizer Verfassung: dass „die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. Umso mehr danke ich unserem Bundespräsidenten für seine Worte, ebenso auch wie unserer Fortschrittskoalition dafür, dass wir uns genau das zu Herzen nehmen und das Ziel gesetzt haben, Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden, und dass wir hierfür einen nationalen Aktionsplan auflegen werden. Zum Schluss meiner Rede darf ich deshalb festhalten. Das Thema „Bauen und Wohnen“ erfährt in dieser Legislaturperiode mit dem neuen Ministerium eine spürbare Aufwertung. Wir als SPD-Bundestagsfraktion machen gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern ordentlich Tempo, um gemeinsam mehr bezahlbaren, qualitativ hochwertigen und nachhaltigen Wohnraum zu schaffen. In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit in diesem Hause. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Michael Kießling das Wort. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.“ Das Zitat stammt von Adenauer. Wenn ich hier an die eine oder andere Debatte und den vorliegenden Antrag denke, dann stelle ich fest, dass der eine oder andere den Horizont vor lauter geistiger Vernebelung nicht sieht. ({0}) Liebe AfD, zu Ihrem Antrag: Sie geben einfache Lösungen vor. Die gibt es aber nicht. Die Wohnraumknappheit hat mehrere Ursachen. Das sind die Urbanisierung, die Singularisierung, der demografische Wandel, die Zunahme der Zahl der Haushalte, letztendlich aber auch die Niedrigzinsphase und die Inflationsentwicklung. An dieser Stelle eine Bitte an die Ampel: Achten Sie doch etwas mehr auf eine stabile Geldmarktpolitik, die wir auch für unsere Wohnungspolitik brauchen. ({1}) Wenn es nach der AfD geht, dann ist immer die Migration schuld; das haben wir vorher schon gehört. Darum will ich auf dieses Thema der AfD gar nicht mehr weiter eingehen, und die Ressentiments, die Sie in Ihrem Antrag haben, sind eine Katastrophe; das muss ich ganz ehrlich sagen. Das hat mit Wohnungspolitik nichts zu tun. Wir müssen schauen, dass wir Wohnungen bauen, dass wir günstig bauen und dass wir Kosten sparen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Ampelkoalition eingehen. Wenn ich an die Ampelkoalition denke, dann denke ich an Stop-and-go und Stau und nicht an Fortschritt, und das zeigen Sie auch. ({2}) Sie wollen 1,6 Millionen Wohnungen bauen. Wer soll die Wohnungen bauen? Welche Anreize setzen Sie? Ich sehe momentan keine. Sie wollen den Weg für 400 000 Wohnungen frei machen. Aber es war kein guter Einstieg, sofort die entsprechende KfW-Förderung auszusetzen. Die KfW-Förderung hat damals unter anderem ein Finanzminister auf den Weg gebracht, der heute Kanzler ist. Es gibt also eine gemeinsame Verantwortung. Ich glaube, dass man einen besseren Weg gefunden hätte, mit dieser KfW-Förderung umzugehen. Die Realität zeigt, dass weder EH 40 – hier soll die Förderung fortgeschrieben werden – noch EH 55 der Standard sind. Deshalb denke ich, dass man mit einer geringeren Fördersumme und dem Standard EH 40 nicht auf dem richtigen Weg ist. Fakt ist: Wenn ich Ihre Koalition anschaue und mir die Reden von Ihnen, Herr Daldrup, vor Augen führe, habe ich Bedenken, dass es mehr Auflagen und weniger Anreize gibt und dass dadurch auch weniger Wohnraum entsteht. Ihrem Wirtschaftsminister, Herrn Habeck, habe ich gestern zugehört. Er hat ein Osterpaket der Koalition angekündigt. Ich hoffe nur, dass da kein faules Ei dabei ist. Wir müssen schauen, dass wir alle, die bauen wollen, erreichen, die Unternehmer, die Häuslebauer und die Kommunen; denn wir brauchen sie alle. Sie haben die lineare Abschreibung angekündigt. Ich hoffe, dass sie auch kommt. Das war auch eine Forderung von uns in der letzten Koalition. Ich bitte die FDP, darauf zu achten, dass auch das Kleingedruckte stimmt. Wir hatten einen Finanzminister, der uns sehr vieles hineingeschrieben hat, was dann nicht so gezogen hat, wie wir von der Union das gerne gehabt hätten. Achten Sie darauf, was bei der linearen Förderung im Kleingedruckten steht. Das ist ein guter Ansatz. Aber das alleine hilft uns nichts. Wir müssen genauso gut bei den Brachflächen vorankommen. Wir müssen schauen, dass wir den Vergabeprozess für die Kommunen, aber auch für den öffentlichen Bau optimieren und dass wir die Genehmigungsprozesse beschleunigen. Dazu gehört auch die Digitalisierung. Dazu habe ich bis jetzt von der Koalition noch wenig gehört. ({3}) Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss – konstruktive Diskussionen, ohne die Polemik der AfD. Dann hoffe ich, dass wir im Bereich des Bauens weiterkommen. Momentan, wie gesagt, sehe ich eher Ampel als Fortschritt bei Ihnen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Kassem Taher Saleh das Wort. ({0})

Kassem Taher Saleh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005197, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin einer von denen, denen die AfD-Fraktion gemäß ihrem Antrag die Wohnung wegnehmen will. Ich möchte aber, dass alle Menschen in diesem Land gut und preiswert leben und wohnen können. ({0}) Das will die AfD explizit nicht, und deshalb lehnen wir den Antrag entschieden ab. Die AfD fordert in ihrem Antrag, alle Maßnahmen des Klimaschutzes beim Bauen abzuschaffen. Das ignoriert das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutzgesetz sträflich. Damit ist der Antrag nicht nur politisch indiskutabel, sondern schlichtweg verfassungswidrig. ({1}) Mit diesem Antrag, der das Urteil aus Karlsruhe derart missachtet, stellt sich die AfD erneut außerhalb des Rechtsstaates, meine Damen und Herren. ({2}) Wer ist es denn, der auf dem Bau hart schuftet? Wer sind die Leute, die unter teils widrigen und manchmal leider auch ungesetzlichen Bedingungen arbeiten? Es sind nicht selten genau die Migrantinnen und Migranten, denen unser Dank gebührt, aber auch den Vermietern und Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. ({3}) Dieser schreiende Widerspruch macht den Antrag der AfD neben seiner fehlenden Rechtsstaatlichkeit, seiner Ideologie, seiner unfassbaren Leugnung der Klimakrise und seinen diversen handwerklichen Mängeln vollkommen indiskutabel. ({4}) Der Kernwiderspruch des Antrags der AfD ist jedoch, dass er einerseits Migrantinnen und Migranten die Schuld an den Problemen auf dem Wohnungsmarkt gibt. Andererseits aber schreibt die AfD explizit im vorletzten Absatz auf Seite 2 – Zitat –: „Die Bauwirtschaft leidet zunehmend unter einem Mangel an Fachkräften und Baustoffen.“ Der Punkt ist doch genau der: Würden wir dem Antrag so, wie ihn die AfD gestellt hat, zustimmen, hätten wir einen Fachkräftemangel auf dem Bau, der alles Gekannte übertreffen würde. Ich frage Sie, und ich frage Sie auch als Bauleiter: Waren Sie in den letzten Jahren überhaupt mal auf einer Baustelle? Wissen Sie, wie die Arbeitsbedingungen bei den Menschen sind? – Hätten Sie es gewusst, hätten Sie nicht die Frechheit gehabt, heute in diesem Hohen Haus solch einen Antrag zu stellen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege, Sie müssen jetzt den Schlusspunkt setzen.

Kassem Taher Saleh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005197, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

So viel Mut zur Wahrheit möchte ich mir an dieser Stelle erlauben. Vielen Dank. ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt tödliche Waffen, und es gibt gefährliche Spionagesoftware, die tödlich wirken kann. Ich rede über Spionagewerkzeuge wie Pegasus, Candiru oder QuaDream. Mit ihnen werden Smartphones zu Wanzen, durch die Menschen unbegrenzt überwacht werden können. Pegasus wurde gegen die Verlobte des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi eingesetzt. Der mexikanische Journalist Cecilio Pineda Birto wurde erst ausspioniert und dann ermordet. Es gibt Spähangriffe gegen Oppositionspolitikerinnen und ‑politiker im Wahlkampf, gegen die unabhängige Justiz, gegen kritische Journalistinnen und Journalisten, auch in Europa – in Polen und Ungarn –, in angeblichen Rechtsstaaten. Der Antrag meiner Fraktion ist die notwendige Antwort auf diese Entwicklungen. ({0}) Der Ankauf und der Einsatz derartiger Spähsoftware muss sofort unterbunden werden. ({1}) Durch die Geschäfte der Bundesregierung mit den profitierenden Unternehmen wird diese Praxis gewissenlos unterstützt, sodass Diktatoren, die diese Spionagesoftware kaufen, indirekt profitieren. Mit dem Einsatz hier folgen unverhältnismäßige Eingriffe von Polizei, Zoll und Geheimdiensten in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Wir ahnen allein dank investigativer Presserecherche, welche Behörden Pegasus nutzen: BKA und BND; das BfV nutzt wohl den Zwilling Candiru. Die Bundesregierung schweigt dazu. Parlament und Öffentlichkeit wissen nichts über den konkreten Vertragsinhalt zu dem Trojaner. Wir sollen uns darauf verlassen, dass das BKA eine an unsere Rechtslage angepasste Pegasus-Version erhalten hat. Aber wer hat dies eigentlich kontrolliert? Wir sollen uns darauf verlassen, dass die abgefangenen Daten nur bei deutschen Behörden landen. Naiv nenne ich so eine Vorstellung nach dem NSA-BND-Skandal. ({2}) Wir sollen uns darauf verlassen, dass der unantastbare Kernbereich der Privatsphäre geschützt wird. Dabei wissen wir, dass Geheimdienste auf Grundrechtsschutz pfeifen. Auf all das verlassen wir Linke uns lieber nicht. Daher fordern wir heute das Verbot des Ankaufs und des Einsatzes entsprechender Software. ({3}) Dies reicht meiner Meinung nach aber nicht. Wer die Begehrlichkeiten der Behörden stoppen will, der muss bei den Befugnissen ansetzen. Im Bereich der Gefahrenabwehr, im Bereich der geheimdienstlichen Überwachung ist der Einsatz dieser Software generell unverhältnismäßig. ({4}) Spähsoftware anzukaufen, widerspricht dem Rechtsstaat. Entsprechende Befugnisse der Behörden sind zu streichen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Uli Grötsch das Wort. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Renner, ich kann Ihre Aufregung – das wird Sie nicht überraschen – nicht so recht nachvollziehen. ({0}) Ich will auch gerne sagen, warum nicht. Erstens. Unsere Sicherheitsbehörden halten sich beim Einsatz von Überwachungssoftware nachgewiesenermaßen an die Vorgaben der Gerichte und natürlich an die Vorgaben des Gesetzgebers. Das Bundeskriminalamt, das Sie eben angesprochen haben, setzt Pegasus – und das auch nur in ganz wenigen Bereichen – auf die gleiche Art und Weise ein: eben nur zur Abwehr im Bereich des Terrorismus oder der Organisierten Kriminalität. Es plant dahin gehend auch nichts anderes. Wer das Gegenteil behauptet – so finde ich –, muss Beweise liefern; denn ansonsten sind das nur Unterstellungen. Ich jedenfalls habe größtes Vertrauen in das gesetzeskonforme Handeln des Bundeskriminalamtes und anderer deutscher Sicherheitsbehörden. ({1}) Zweitens. Das Bundesinnenministerium hat auf Ihre Nachfrage ja bestätigt, dass keine Spähsoftware auf Smartphones von Angehörigen und Mitarbeitern der Bundesregierung und der nachgeordneten Behörden festgestellt werden konnte. Das ist doch in Ihren Augen vermutlich eine gute Nachricht. Drittens. Sie müssten doch eigentlich hocherfreut sein, dass wir im Koalitionsvertrag klipp und klar geregelt haben, keine Überwachungstechnologien an repressive Regime weiterzugeben. Denn wir wissen, klar, dass solche Technologien wie Pegasus, die auch verschlüsselte Kommunikation knacken können, in falschen Händen tatsächlich gefährlich sind. Wir wissen bereits von Fällen aus Saudi-Arabien oder aus Ungarn, dass Regimekritiker, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ausgespäht wurden. Mir hat erst im Dezember 2021 der ungarische Investigativjournalist Szabolcs Panyi beschrieben, wie er von der ungarischen Regierung mit Pegasus überwacht wurde. In falschen Händen – das ist ganz klar richtig – ist Pegasus ein Unterdrückungswerkzeug und gefährlich. ({2}) Aber – das gehört zur Wahrheit dazu – wir können im Deutschen Bundestag nicht verhindern, dass die israelische Securityfirma NSO Group ihre Produkte an autoritäre Regime verkauft. Aber wir können dafür sorgen, dass künftig keine Firma mit Sitz in Deutschland solche Überwachungstechnik an Unrechtsregime verkaufen darf. Ich sage deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Genau so wie es für Rüstungsgüter wie etwa Panzer oder U-Boote in Deutschland eine Exportkontrolle gibt, so muss es auch für derartige in Deutschland programmierte Software eine Exportkontrolle geben. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, warum schreien Sie denn „Skandal“ und nicht „Juhu“ angesichts der Vereinbarung im Ampelkoalitionsvertrag – ich habe es eben schon gesagt –, dass der Staat künftig keine Sicherheitslücken ankaufen oder offenhalten wird? Wieso jubeln Sie eigentlich nicht angesichts der Zusage, dass der Staat künftig sogar verpflichtet wird, Sicherheitslücken umgehend zu schließen? Und warum feiern Sie keine Party angesichts der Zusage, dass wir den Einsatz von Überwachungssoftware an die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Onlinedurchsuchung anpassen wollen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Grötsch, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Renner?

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich ahnte es.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Kollege Grötsch, für die Möglichkeit, zu fragen. – Erstens. Der Datenschutzbeauftragte der Europäischen Union hat unlängst, am 15. Februar, die Mitgliedstaaten aufgefordert, den Einsatz entsprechender Spionagesoftware sofort zu stoppen. Ich würde gerne die Haltung der Bundesregierung zu dieser konkreten Forderung wissen. ({0}) Es geht ja um ein Moratorium des bestehenden Einsatzes von Pegasus, Candiru und Co. Zweitens. Sie haben darauf hingewiesen, dass hier alles rechtmäßig läuft. Ich habe in meiner Rede danach gefragt – dazu würde ich gerne Ihre Kenntnis wissen –: Was ist mit dem Bundesnachrichtendienst und seinen Kooperationen? ({1}) Können Sie ausschließen, dass Daten zu Zielpersonen, die über Pegasus erfasst werden, nicht an andere Geheimdienste weitergegeben werden, die diese Daten dann zum Beispiel zur Zielerfassung im Drohnenkrieg nutzen? Das können Sie nicht ausschließen. Deswegen bleibe ich dabei: Der Einsatz und der Ankauf dieser Spionagesoftware muss sofort unterbunden werden, weil er nicht verfassungskonform ist. ({2})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Na ja, Frau Renner, die Haltung der Bundesregierung kann nicht zuletzt beim Kollegen Mahmut Özdemir erfragt werden. ({0}) Ich kann Ihnen aber gerne meine Haltung dazu sagen. Ich bin jemand – das wissen Sie –, der ein hohes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden in Deutschland und tatsächlich auch in die Nachrichtendienste hat. Ich habe sehr viel mit der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste zu tun, und wir haben 2016 – Sie haben den Bundesnachrichtendienst angesprochen – den Rechtsrahmen für den BND gerade in derlei Angelegenheiten – Stichwort „Ringtausch“; Sie wissen, wovon ich spreche – klipp und klar gefasst. Ja, ich gehe davon aus, dass sich die Beschäftigten bei den Sicherheitsbehörden an die Gesetze halten. ({1}) Sollte das nicht so sein und das bekannt werden, hätte das natürlich Konsequenzen. Ich glaube auch, dass sich die Mentalität in den Diensten in den letzten Jahren entsprechend entwickelt hat. Aber das ist nicht die erste Debatte, in der wir feststellen, dass das Thema „Vertrauen in staatliche Institutionen oder insbesondere in Sicherheitsbehörden“ auf der einen Seite stärker ausgeprägt ist und auf der anderen Seite nicht. Es steht Ihnen natürlich offen und steht Ihnen auch zu, dass Sie dazu eine Haltung einnehmen, die Ihnen entspricht. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen – das passt vielleicht auch zu der Frage von Frau Renner –, dass unsere Sicherheitsbehörden auf der Höhe der Zeit sind, aber auch auf Augenhöhe mit anderen internationalen Partnern im Bereich technischer Fähigkeiten bzw. Cyberfähigkeiten. Sie wollen die Sicherheitsbehörden in einer Zeit, in der fast jeder mit Messengern und nicht über Festnetzleitungen kommuniziert, handlungsunfähig und blind machen. Das werden wir auch in dieser Koalition ganz bestimmt nicht zulassen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Marc Henrichmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marc Henrichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004744, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Skandalrhetorik im Sinne des Antrages ist vielleicht etwas Versachlichung geboten. Worüber reden wir? Laut Bundesamt für Justiz hat es in 2019 in Deutschland genau drei Anwendungsfälle der Telekommunikationsüberwachung und zwölf Onlinedurchsuchungen gegeben – nicht etwa, weil Ermittler gesagt haben: „Das muss so sein“, sondern abgewogen nach Verhältnismäßigkeit und unter Richtervorbehalt, und das Ganze nicht etwa für kleine Bagatelldelikte, sondern für Katalogstraftaten, schwere Verbrechen im Sinne von Mord, Totschlag oder Missbrauch. Der Einsatz der Software, über die wir diskutieren, ist Ultima Ratio und nicht an der Tagesordnung. Umgekehrt: In was für einer Welt leben wir? Extremisten, Islamisten und Gefährder kommunizieren nicht mehr über altbewährte Kanäle, sondern – wir haben hier im Parlament die Telegram-Debatte geführt – über Chatforen und Messengerdienste. Die Zahl der Verfahren ist allein in diesem Bereich zwischen 2012 und 2017 um das 13-Fache gestiegen. Wir als Union wollen unseren Sicherheitsbehörden, unserer Polizei modernste Strafverfolgungsmethoden an die Hand geben, um schwere Straftäter dingfest zu machen. ({0}) Natürlich ist die grundgesetzliche und auch die politische Bewertung komplex. Es gilt, zwischen Grundrechtsschutz und Sicherheit abzuwägen. Aber die Frage, die sich im Wettbewerb der Straftäter mit den Strafverfolgungsbehörden zuallererst stellt, ist: Geben wir unseren Sicherheitsbehörden alle möglichen Instrumente an die Hand, um schwerste Straftäter dingfest zu machen? Oder noch kürzer: Vertrauen wir eigentlich unseren Sicherheitsbehörden? Die Union ist offenbar die einzige Partei, die diese Frage eindeutig mit Ja beantwortet. Wir stehen hinter unseren Sicherheitsbehörden. ({1}) Ich möchte, dass sich eine Gruppe in diesem Land fürchtet. Das sind die Menschen, die schlimmste Straftaten begehen. Vielleicht ein Beispiel, das in den letzten Tagen von der Bundesregierung bestätigt worden ist: In den letzten fünf Jahren sind in Deutschland 19 000 Hinweise ausländischer Dienste im Bereich Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ergangen. 19 000! Das sind nicht Einzelschicksale, sondern vielleicht stecken wie im Fall Münster Netzwerke dahinter. Unfassbare Zahlen! Wenn uns die Verbindungsdaten zu den Hinweisen ausländischer Dienste fehlen, gehen uns diese Täter durchs Netz. Wie erklären wir das den Opfern? Die Opfer kämpfen mit gebrochenen Biografien und erleiden schwerste psychische Schäden. Ich finde, allein das rechtfertigt es, im Bereich von Schwerstkriminalität auch auf Software in diesem Bereich zu setzen. ({2}) Wir vertrauen unseren Behörden. Wir haben der Bundespolizei im letzten Jahr die Quellen-TKÜ im Bereich „Schlepperei und Menschenhandel“ an die Hand geben wollen. Die SPD war damals der Meinung, sie brauche das nicht. Gerade weil Deutschland in manchen Kreisen als „Bordell Europas“ bezeichnet wird – unrühmlicher Titel! –: Müsste man dann da nicht darüber nachdenken, etwas zu tun? Auch FDP und Grüne befinden sich hier in guter Gesellschaft. Im Dezember noch wurde im Bundesrat die sogenannte G 10-Mitwirkungsverordnung abgelehnt. Da ging es nicht etwa darum, Befugnisse auszuweiten, sondern einfach nur darum, Telekommunikationsunternehmen zur Mitwirkung zu veranlassen. Man kann nicht auf der einen Seite in Sonntagsreden zu Recht die Bekämpfung rechtsextremer Netzwerke fordern und auf der anderen Seite bei solchen Maßnahmen, die wir zur Bekämpfung dringend brauchen, die Axt anlegen. Das funktioniert nicht. Das ist Doppelzüngigkeit, und das machen wir nicht mit. ({3}) Ich glaube, in einem Rechtsstaat wie Deutschland werden hinterher sogar die Maßnahmen bekannt gegeben. Eine Überwachung wird demjenigen, der überwacht wurde, hinterher bekannt gegeben, sodass ein gewisser Rechtsschutz, eine Überprüfungsmöglichkeit besteht. Ich finde aber, wir müssen denjenigen, die für uns ihren Kopf hinhalten, die für unsere Sicherheit garantieren, den Rücken stärken; die sollen ihren Job machen können. Der Antrag der Linken und auch die Haltung der Bundesregierung lassen hier viel Luft nach oben. Wir stehen an der Seite der Sicherheitsbehörden. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Konstantin von Notz das Wort. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit über zehn Jahren thematisieren meine Fraktion und ich hier die verfassungs- und menschenrechtlich hochproblematische Zusammenarbeit privater Sicherheitsfirmen wie Trovicor, FinFisher und Co mit deutschen staatlichen Stellen. Herr Kollege Henrichmann, Ihr Vortrag zur Frage der Quellen-TKÜ ist grundsätzlich etwas am Thema vorbeigegangen; denn Die Linke redet hier über Trovicor und dergleichen. ({0}) Seitdem kämpfen wir gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte und den Reportern ohne Grenzen auch vor höchsten Gerichten gegen den Export dieser Software – darum geht es –, die in die Hände aller Despoten dieser Welt geht. Und das ist schwer erträglich, meine Damen und Herren. ({1}) Spätestens seit dem Arabischen Frühling wissen wir, dass diese oft mit deutschem Steuergeld gecodeten Programme aufgetunt zu massiven Menschenrechtsverletzungen in zahlreichen Ländern beigetragen haben und es bis heute tun. Genau deswegen muss damit endlich Schluss sein! ({2}) Heute wissen wir, dass Pegasus und Co auch bei der Ermordung von Khashoggi – die Kollegin Renner hat es gesagt – eine entscheidende Rolle spielten. Und wir wissen, dass die von uns mühsam geschaffenen EU-Exportbestimmungen sehr bewusst und vorsätzlich umgangen werden. Trotz dieses Wissens wurde die Praxis viel zu lange von den letzten Bundesregierungen geduldet. Die notwendige Kontrolle durch Parlament und Aufsichtsbehörden wurde verunmöglicht, und verfassungsrechtliche Vorgaben wurden missachtet. Wir brauchen – da zitiere ich jetzt mal den ruhmreichen Titel der gestrigen Aktuellen Stunde – auch hier mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir müssen uns ehrlich machen. Die Programme, von denen es immer heißt, sie seien unverzichtbar, werden von denjenigen, die sie nutzen durften – also GBA und BKA –, mit Hinweis auf die bestehenden extremen Rechtsunsicherheiten praktisch nicht angewendet. Sie werden praktisch nicht angewendet! Das zeigt: Diese Programme halten nicht ansatzweise das, was sie sicherheitspolitisch versprechen. Sie gefährden aber Grund- und Menschenrechte, und zwar massiv. Weil das so ein wichtiges menschenrechtspolitisches Thema ist, freue ich mich sehr, dass auch die neue Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, heute dieser Debatte beiwohnt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Die Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben in der Sicherheitspolitik sowie die Orientierung an Grund- und Menschenrechten sind lange überfällig. Da müssen wir ran. Aber es ist nicht trivial, und es ist kein Ort für populistische Debatten. Die Ampelkoalition geht all diese Themen nach 16 Jahren BMI in Unionsverantwortung endlich entschlossen und differenziert an, meine Damen und Herren. ({5}) Es ist gut, dass wir das Thema heute diskutieren. Insofern danke ich der Kollegin Renner und ihrer Fraktion für die Themensetzung. Gleichzeitig tragen Sie Eulen nach Athen; denn – es ist Ihnen sicher nicht entgangen – im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, dass für den Einsatz von Staatstrojanern die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zukünftig zwingend einzuhalten sind – eigentlich eine Selbstverständlichkeit; in der Vergangenheit leider nicht. Das gilt sowohl für staatliche wie auch für private Programme. Es soll ein Schwachstellenmanagement und eine staatliche Meldepflicht für Sicherheitslücken geben, eine gestärkte parlamentarische Kontrolle, ein unabhängigeres BSI, eine Rechtsgrundlage für ZITiS und vieles mehr. Wir werden die Exportbestimmungen weiter verschärfen und prüfen, ob NSO Group und Co nicht auf entsprechende Sanktionslisten gesetzt werden müssen – ein Punkt, auf den die Union leider überhaupt nicht eingegangen ist, obwohl die Vereinigten Staaten es gerade vorgemacht haben. ({6}) Sie haben nämlich die NSO Group auf solche Sanktionslisten gesetzt, meine Damen und Herren. Und auch der EU-Datenschutzbeauftragte fordert genau das ein. ({7}) Das allerdickste Brett allerdings – das muss man auch mal klar benennen – ist zweifellos das Verhandeln neuer internationaler Übereinkünfte zur Ächtung dieser maßlosen digitalen Waffen. Das ist ein dickes Brett; aber das Zeitfenster ist jetzt da. Nutzen wir es! Arbeiten wir zusammen daran! Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Eugen Schmidt für die AfD-Fraktion. ({0})

Eugen Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005209, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich lese hier im Antrag der Linken: „Die Geschichte des Kaufs von Überwachungssoftware … ist von zahlreichen Skandalen überschattet.“ Ja, meine Damen und Herren, die Geschichte hat einen Namen: Sie heißt „SED“. Sie hat sich zweimal umbenannt und sitzt jetzt hier. ({0}) Jetzt tun Sie kritisch. Aber wie glaubwürdig ist das? Die Linken fordern auch, die Verfassungsschutzbehörden abzuschaffen, und tun es in Thüringen nicht. Es ergibt wenig Sinn, wie in der Antragsbegründung in linker Manier das Ausland in Gut und Böse einzuteilen: die sogenannten demokratischen Rechtsstaaten gegen die autoritären Staatsführungen. Spätestens seit März 2020, also dieser Coronageschichte, ist dieser vermeintlich klare Gegensatz komplett entlarvt: linkes Schwarz-Weiß-Denken und Freund-Feind-Mythen. Wir brauchen eine Sicherheitspolitik, die unseren Interessen dient. In einigen Fällen brauchen wir dazu auch technische Mittel. Systeme, mit denen wir angegriffen werden, sollten wir technisch ausschalten dürfen. Das muss die Bundeswehr können. Aber das gilt nicht für das Inland. Sicherheitslücken von Programmen, die in Europa verbreitet sind, müssen gemeldet und gestopft werden. Der Antrag hängt sich auch an der Frage auf, ob Anbieter kommerziell agieren. Typisch Linke und eine vollkommene Nebensächlichkeit. Anbieter müssen vertrauenswürdig sein. Das können wir bei inländischen Anbietern prüfen und sonst eben kaum. Deutschland muss die vollständige Kontrolle über eingesetzte Programme haben. Aber jetzt kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt: Diese Regierung sollte überhaupt keine Überwachungsprogramme nutzen dürfen. Die sind nicht vertrauenswürdig; ganz einfach. ({1}) Eine Ministerin Faeser paktiert offen mit kommunistischen Gruppen. Deren Vorbeter Marx hat den Terror ausdrücklich gefordert. Und so eine Regierung soll für unsere Freiheit verantwortlich sein? Die wollen gegen Terror und Kriminelle vorgehen? Märchenstunde! Das sollte auch klarmachen, dass auch der Antrag der Linken offensichtlich Fassade ist. Schon deswegen gehört er abgelehnt. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir den Antrag der Fraktion Die Linke, der heute vor uns liegt, ansehen, gibt es für mich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Es ist ein wichtiges Thema. Wir müssen darüber sprechen – Konstantin von Notz hat es schon ausgeführt –, wie mit Eingriffsbefugnissen umgegangen wird. Es geht übrigens auch um die Frage, welche Software unter welchen Voraussetzungen in andere Länder exportiert wird. Aber bezogen auf die Anwendung in Deutschland ist das derzeit gar nicht so sehr die Frage, zumindest nicht bei den Fällen, die Sie ansprechen. Die schlechte Nachricht: Es ist der falsche Zeitpunkt, und zwar in mehrerer Hinsicht. Es ist sogar doppelt der falsche Zeitpunkt. Denn zum einen gab es 16 Jahre lang ein unionsgeführtes Innenministerium, das penetrant Überwachungsbefugnisse eingeführt hat, digitale und sonstige Bürgerrechte immer wieder geschliffen hat, also permanent immer in eine Richtung gegangen ist. Das wäre der richtige Zeitraum gewesen, um solche Anträge zu stellen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0}) Sie von den Linken hatten viel Zeit, um da für die Grundrechte einzutreten, Zeit, um für Freiheit und gegen Überwachung einzutreten, Zeit, einen solchen Antrag einzubringen. Es ist aber auch aus einem anderen Grund der falsche Zeitpunkt. Sie stellen den Antrag jetzt an die Fortschrittskoalition. Er kommt zu spät, und er ist überflüssig. ({1}) Sie haben ja sicherlich mal Zeit gehabt, unseren Koalitionsvertrag zu lesen. Und im Koalitionsvertag ist nichts anderes beschrieben als ein Paradigmenwechsel bei der Sicherheitspolitik im Verhältnis zu den Bürgerrechten, meine Damen und Herren. ({2}) Die Bürgerrechte spielen in dieser Koalition endlich wieder eine Rolle. Sie werden neben die Sicherheitsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Sicherheit und Freiheit bekommen bei uns in dieser Fortschrittskoalition einen gleichwertigen Status. ({3}) Das ist der Unterschied zu früheren Innenministern in Deutschland. ({4}) Wir haben dabei durchaus viel zu tun. Wir müssen nämlich erst einmal das aufräumen, was in diesen 16 Jahren passiert ist. Wir haben ein Novum auf den Weg gebracht, etwas, das wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie hatten. Wir werden nämlich eine Überwachungsgesamtrechnung durchführen. ({5}) Es ist also Schluss mit der Betrachtung von Einzelmaßnahmen, Schluss mit dem Betrachten von Einzelbeispielen, wie sie immer wieder von den Kollegen der Union vorgebracht wurden bei der Rechtfertigung einzelner Maßnahmen, ohne den ganzen Rattenschwanz an Überwachungsmaßnahmen in Betracht zu ziehen, durch den die Bürgerrechte geschliffen wurden. Sie werden das in der letzten Rede heute vom Kollegen der Union bestimmt wieder hören. Alle Sicherheitsgesetze, alle Eingriffsbefugnisse werden wir uns anschauen. Wir werden Licht ins Dunkel der Sicherheitspolitik der letzten 16 Jahre bringen. ({6}) Ein Ziel, meine Damen und Herren, ist klar: Wir werden Rechtsstaat und Bürgerrechte gleichermaßen schützen. Wir werden Freiheit und Sicherheit schützen. Ich höre natürlich die Zurufe aus der Union. Ihre Denkweise war und ist immer noch, dass Sie Freiheit scheibchenweise wegnehmen, damit die Menschen das nicht mitbekommen. ({7}) Freiheit verliert man nicht auf einen Schlag. Wir Freie Demokraten haben das immer kritisiert. Mit uns ist in dieser Koalition damit nun endlich Schluss. Sie kriegen nicht mehr die Chance, in den nächsten vier Jahren die Freiheit und die Bürgerrechte scheibchenweise zu beschneiden. Jetzt werden sie wieder nebeneinandergestellt, jetzt wird wieder ordentliche Innenpolitik gemacht. ({8}) Meine Damen und Herren der Linken, ich freue mich auf die weitere Beratung. Allerdings wäre die Union der richtige Adressat dieses Antrags gewesen. Ihr Antrag kommt zu spät. Wir haben einen besseren Plan, mit Freiheitsrechten und dem Rechtsstaatsbedürfnis umzugehen. ({9}) Deshalb freue ich mich auf die weitere Beratung. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Carmen Wegge für die SPD-Fraktion. ({0})

Carmen Wegge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005251, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke will den Kauf und den Einsatz von Überwachungssoftware von kommerziellen Anbietern durch Bundesbehörden verbieten. ({0}) Es steht einiges Richtiges in ihrem Antrag. Wir kennen zum Beispiel die Berichte, wie die Software „Pegasus“ in Ländern, die keinen so gut funktionierenden Rechtsstaat wie wir haben – und auch keinen demokratischen Rechtsstaat, muss man an der Stelle sagen –, systematisch missbraucht wird. Aber um das hier auch klar zu sagen: Die umfassenden Möglichkeiten, die beispielsweise die Software „Pegasus“ bietet, sind mit den Befugnissen der Sicherheitsbehörden wie dem BKA nicht vereinbar. Ihr vollständiger Einsatz durch diese Behörde wäre völlig indiskutabel, um das auch noch mal zu sagen. Und genau deshalb kommt sie, anders als in Ihrem vorliegenden Antrag suggeriert, auch nicht auf diese Art zum Einsatz. Wenn ich Ihren Antrag lese, bekomme ich sowieso den Eindruck: Nicht nur die Fraktion der Union muss ihre Rolle in der Opposition erst noch finden, auch Sie von den Linken müssen sich erst noch an die neuen Mehrheiten gewöhnen. Schauen Sie gerne noch mal ganz genau hin: Im Innenministerium sitzt kein Horst Seehofer mehr. Dort sitzt jetzt eine progressive Innenministerin, und wir schlagen endlich ein neues Kapitel in der Sicherheitspolitik auf. ({1}) Wir schauen uns ganz genau an, wie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit für die Bürger/-innen hier in diesem Land ist. Dafür haben wir neue Mehrheiten im Bundestag; ich sagte es schon.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Wegge, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Carmen Wegge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005251, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. ({0}) Softwareprogramme wie „FinFisher“, „Pegasus“ oder der Staatstrojaner, um die es hier geht, sind dafür vorgesehen, Schwachstellen in der IT-Sicherheit zu nutzen. Dadurch kann in Handys und auf PCs eingedrungen und Kommunikation abgegriffen werden. Dort, wo solche Systeme bereits breitflächig zum Einsatz kommen, werden Sicherheitslücken, die dies möglich machen, bewusst offen gehalten. Es ist falsch, so mit Lücken in IT-Systemen umzugehen. Da sind wir uns auch einig. Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode diese Sicherheitslücken konsequent schließen. Hierfür werden wir zum Beispiel ein Schwachstellenmanagement schaffen und leisten so unseren Beitrag dazu, die Daten von Bürgerinnen und Bürgern hier in diesem Land zu schützen. ({1}) Das vom Bundesverfassungsgericht 2008 geschaffene IT-Grundrecht – das haben Sie auch angesprochen – ist dabei selbstverständlich immer Grundlage unseres Handelns. Und eine der Maßnahmen – das ist heute auch schon häufiger angesprochen worden – ist übrigens auch, die Hürden für den Einsatz von Überwachungssoftware zu erhöhen. Doch damit noch nicht genug. Ich als Juristin freue mich sehr darüber, dass wir nun auch endlich den Auftrag, den uns das Bundesverfassungsgericht mitgegeben hat, erfüllen werden und eine Überwachungsgesamtrechnung anstellen; das hat der Kollege vorhin schon gesagt. Wir schauen uns ganz genau an, ob wir ein Zuviel an Überwachungsbefugnissen durch die Sicherheitsbehörden haben. Und – das möchte ich schon versprechen – wir werden auch dementsprechend handeln – je nach Ergebnis. ({2}) Wir stellen damit außerdem sicher, dass wir ein dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring der Gesetze im Sicherheitsbereich haben. Das hört sich nicht nur gut an, das ist auch gut. ({3}) – Da kann man auch mal klatschen. Wir machen nämlich einige gute Dinge; das wurde heute ja auch schon ausgeführt. Beim Lesen Ihres Antrags bin ich tatsächlich über einen Satz gestolpert. Und zwar schreiben Sie – ich zitiere –: Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Legislaturperioden die Linie verfolgt, immer genau an diesen Leitplanken entlang zu rasen. Sie sprechen da von verfassungsrechtlichen Leitplanken. Auch da bin ich geneigt, Ihnen zuzustimmen. Aber um in Ihrem Bild zu bleiben: Wer gut Auto fahren kann, muss sich über die Leitplanken keine Gedanken machen. Wir haben das Steuer übernommen, und unsere Räder stehen fest auf der Straße. Das kann ich Ihnen versichern. ({4}) Eine letzte Bemerkung sei mir noch erlaubt: Wenn Ihnen wirklich etwas daran gelegen wäre, den Einsatz von Überwachungssoftware im präventiven Bereich zu stoppen, dann würden Sie das dort, wo Sie regieren, tatsächlich auch tun oder konsequent einfordern. Meines Wissens darf die Landespolizei in Thüringen immer noch die Quellen-TKÜ verwenden; und dort stellen Sie seit sieben Jahren den Ministerpräsidenten. ({5}) Ihr Antrag spricht ein wichtiges Thema an. Aber vermeintlich einfache Lösungen wie das generelle Verbot des Kaufs und der Verwendung von Überwachungssoftware sind eben meistens nicht die besten. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zu dem Antrag drei Anmerkungen. Zum einen offenbart er – und das ist nicht sonderlich überraschend – natürlich in eklatanter Art und Weise, dass wir völlig unterschiedliche Herangehensweisen an die Sicherheitsarchitektur in unserem Land haben. Uns allen ist klar, dass diese Sicherheitsarchitektur aus einem gerechten Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit besteht. Uns allen ist auch klar, dass wir dabei natürlich die Grundrechte des Einzelnen gewährleisten müssen. Aber wir von der Union sind überzeugt davon, dass sich Freiheit und Sicherheit eben nicht gegenseitig ausschließen, ({0}) sondern sich bedingen. Das heißt, ohne Freiheit wird es keine Sicherheit geben, und ohne Sicherheit gibt es am Ende des Tages keine Freiheit. Deshalb sind wir bereit, für maximale Sicherheit bis an die Grenze des durch das Grundgesetz Möglichen zu gehen. ({1}) Die Linken wollen dafür einen „Sicherheitsabstand“; so nennen sie es. Ich sage Ihnen: Das ist mit uns nicht zu machen. Meine Damen, meine Herren, es geht um die Bekämpfung rechtsextremistischer, linksextremistischer Gewalt; es geht um die Bekämpfung islamistischen Terrors und antisemitischen Terrors. Wir wollen dafür einen möglichst vollen Instrumentenkasten und keinen halb leeren. ({2}) Auf die Wahrung der Grundrechte haben wir als Union im Übrigen immer größten Wert gelegt. ({3}) Das zeigt ein Blick in die letzte Legislaturperiode; ich erinnere an das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 und an das Verfassungsschutzgesetz. Die Mechanismen funktionieren ja auch; im Übrigen funktionierten sie auch schon vor dieser letzten Legislaturperiode. ({4}) Sie selbst schreiben ja in Ihrem Antrag, dass „FinFisher“ nicht eingesetzt wurde, und in der Begründung, dass „Pegasus“ angepasst wurde. Zudem erwecken Sie den Eindruck, dass wir es hier mit einem Massenphänomen der Spähsoftware zu tun hätten; und auch das ist falsch. Gestatten Sie mir am Ende die dritte Anmerkung, und die geht Richtung Ampel. Wer genau hingehört hat, der hat schon gemerkt, dass es völlig unterschiedliche Ansichten gibt, also wie die SPD das sieht im Vergleich zu den Ausführungen der FDP und der Grünen. ({5}) Im Übrigen, Ihnen von den Grünen und der FDP möchte ich mal ins Stammbuch schreiben: Das muss Ihnen doch zu denken geben, wenn Sie zu einem Antrag, den Die Linke im Bereich des Sicherheitsrechts vorlegt, in der Tat sagen: Sie tragen damit Eulen nach Athen, denn wir gehen ja noch viel weiter. – Das lässt bei uns die Sorge aufkeimen, dass Sie unter Umständen Gefahr laufen, die Sicherheit zu opfern zuungunsten von Ideologie ({6}) und Ihrem Begriff von Freiheit. ({7}) Auch heute haben Sie wieder viel angekündigt. Ich sage Ihnen: Sie müssen aufpassen! Sie werden nämlich irgendwann, wenn Sie so weitermachen, eine reine Ankündigungskoalition. ({8}) Schauen Sie sich diese Plenarwoche an: Wir hatten ganz wenige Plenarpunkte. Und woran liegt das? Die Wahrheit sieht so aus, dass Sie bisher kaum etwas auf die Schiene gesetzt haben. ({9}) Sie kündigen nur jede Woche an und lesen immer wieder Ihren Koalitionsvertrag vor. ({10}) Dazu passt es, dass wir bis heute nicht einmal ein neues PKGr, ein Parlamentarisches Kontrollgremium, eingesetzt haben. Wissen Sie, warum? Wegen Postenschacherei. ({11}) Die Grünen und die SPD können sich nicht einigen, wer den Vorsitz übernimmt. ({12}) So wichtig sind Ihnen die Grundrechte und die Kontrollfunktion dieses Organs, dass Sie da jetzt die Postenschacherei über alles stellen! ({13}) Das sollte man in dieser Diskussion auch erwähnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({14})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesnetzagentur hat kürzlich eine Untersuchung zu Messengerdiensten veröffentlicht. Das Ergebnis zeigt, dass kaum ein anderes Produkt so gut geeignet ist, um auf die Probleme der Plattformökonomie hinzuweisen und die Probleme auf den Punkt zu bringen. 93 Prozent aller Nutzer von Messengern, also fast alle, nutzen WhatsApp. Warum das so ist, wird jedem schnell klar, wenn er mal versucht, auf diesen Dienst zu verzichten: Der Kontakt zu Familie und Freunden ist deutlich schwerer herzustellen. Ob im Fußballverein oder unter Kollegen: Überall bekommt man deutlich weniger mit, kann sich deutlich weniger einbringen. Auf WhatsApp zu verzichten, ist in Deutschland möglich, aber kommt einer Art digitaler Quarantäne gleich. Nur endet diese eben nicht nach sieben oder zehn Tagen. Dieser sogenannte Lock-in-Effekt, also dass man de facto dabei sein muss, macht digitale Plattformen auch in vielen anderen Bereichen so mächtig und ist schädlich für einen funktionierenden Wettbewerb. Deshalb ist es notwendig, dass Anbieter mit einer überragend großen Marktmacht ihre Dienste so gestalten, dass Nutzer unabhängig von ihren Messengeranbietern miteinander in Kommunikation treten können. Schließlich können ja auch Kunden von Telekom, Vodafone oder Telefónica miteinander telefonieren. Diese Interoperabilität ist wichtig; denn der beste Verbraucherschutz ist fairer Wettbewerb. ({0}) Und auch ein weiteres Problem der Digitalwirtschaft wird am Messengermarkt deutlich. Die Studie der BNetzA zeigt die schärfsten Konkurrenzdienste von WhatsApp auf: Auf Platz zwei folgt der Facebook-Messenger und auf Platz drei der Instagram-Messenger. Sieht so funktionierender Wettbewerb aus? Wohl kaum; denn alle drei Dienste gehören zum selben Konzern. Die Konkurrenten wurden aufgekauft und in das konzerneigene Ökosystem integriert, die Marktmacht damit regelrecht zementiert. Doch solche Killer Acquisitions sind gefährlich, weil sie die ohnehin schon großen Monopolisierungstendenzen in der Digitalwirtschaft verstärken. Sie gehören deshalb im Falle besonders großer Marktmacht, also für Gatekeeper, reguliert; denn sie killen nicht nur den jeweiligen Konkurrenten, sondern eben auch funktionierenden Wettbewerb gleich mit. Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft werden somit aus der Digitalwirtschaft verbannt. Meine Damen und Herren, wir müssen hier gegensteuern. ({1}) Dass wir die Funktionsweisen der sozialen Marktwirtschaft auch im digitalen Raum dringend brauchen, darüber besteht über Fraktionsgrenzen hinweg große Einigkeit. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode haben wir als erstes Parlament der Welt, damals sogar mit Stimmen von Teilen der Opposition, einen Rechtsrahmen geschaffen, der digitale Techgiganten in die Schranken weist. Nun hat sich Europa diese 10. GWB-Novelle, also die Anpassung unseres Wettbewerbsrechts, zum Vorbild genommen und will mit dem Digital Markets Act, dem DMA, europaweit einheitliche Regeln für die Plattformökonomie schaffen. Dass diese Regierung die Arbeit ihrer Vorgängerregierung bei der Gestaltung dieses europäischen Gesetzes fortsetzt, kann man nur begrüßen. ({2}) Gemeinsam sollten wir nun auch dafür Sorge tragen, dass unsere Errungenschaften auch nach Inkrafttreten des DMA erhalten bleiben. Das Bundeskartellamt ist in ganz Europa wohl die Wettbewerbsbehörde, die am meisten Expertise und Erfahrung mit der Sicherung des Wettbewerbs auf digitalen Märkten hat. Sie muss deshalb bei der Umsetzung der Regeln des DMA grundlegend miteinbezogen werden; dafür muss die Ampelregierung in den Verhandlungen Sorge tragen. Zudem müssen Rechtsunklarheiten zwischen unserem deutschen GWB und dem europäischen DMA in den Verhandlungen bereits ausgeräumt werden; denn es wäre wohl eine Genugtuung für so manchen Techkonzern, wenn er das Verfahren bei den Bonner Wettbewerbsbehörden mit dem Verweis auf rechtliche Unklarheiten verzögern könnte. Die GWB-Novelle hat Deutschland zu einem Vorreiter für klare und faire Regeln in der Plattformökonomie gemacht. Der DMA darf bei der Anwendung nicht zum Stolperstein auf dem Weg zu einer sozialen digitalen Marktwirtschaft in Europa werden. Die Kernforderungen dieses Antrags unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die Staatssekretärin Brantner in der vergangenen Sitzung des Digitalausschusses für die Bundesregierung formuliert hat. Ich sehe deshalb keinen Grund, warum dieses Haus nicht auch diesen Antrag jetzt gemeinsam beschließen sollte. Ich jedenfalls würde mich sehr freuen, wenn wir Seite an Seite für die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft einstehen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Johannes Arlt für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Johannes Arlt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Der Antrag der CDU/CSU ruft nicht weniger als die Geburtsstunde der sozialen digitalen Marktwirtschaft aus. Mit der Änderung am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sei ein Meilenstein in der wirtschaftspolitischen Geschichte erreicht. Und ja, die Begrenzung der Marktmacht von Techgiganten auf nationaler und auch auf europäischer Ebene ist zu begrüßen. Ja, die Schaffung fairer Marktbedingungen und von Interoperabilität sind zu begrüßen und zu unterstützen. Aber das Wettbewerbsrecht für Techgiganten ist eben nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite betrifft die Tatsache, dass die Digitalisierung ein in alle Bereiche der Gesellschaft disruptiv einsickerndes und umfassendes Querschnittsphänomen ist. Deswegen muss die soziale digitale Marktwirtschaft auch infrastrukturelle und soziale Rahmenbedingungen für alle Menschen in Deutschland setzen. Hierbei sind wir leider keineswegs führend. ({0}) Was wir benötigen, ist ein digitaler Überschallknall auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Ich möchte zunächst eine Bestandsaufnahme machen, anschließend werde ich kurz drei Felder umreißen, bei denen Ihr Antrag zu kurz greift bzw. die von Ihrem Antrag nicht umfasst sind. Zunächst: Bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit steht Deutschland laut des Digital Riser Report 2021 auf dem vorletzten Platz innerhalb der G 7. Auch wenn man die Digitalisierung in Europa und Nordamerika vergleicht, steht Deutschland vor Albanien auf dem vorletzten Platz. Deutschland befindet sich bei den Hochleistungsinternetanschlüssen im letzten Drittel der EU. Nur 3 Prozent nutzen leider derzeit Internet via Glasfaser. Wir sehen ein dramatisches Stadt/Land-Gefälle, und beim E-Government sind wir laut ifo-Studie ebenfalls unterdurchschnittlich. Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam einige sinnvolle Dinge auf den Weg gebracht wie die Bürgernummer als Backbone für ein sinnvolles E-Government. Aber das reicht nicht. Für die größte Volkswirtschaft innerhalb der EU sind das insgesamt unhaltbare digitalpolitische Zustände und wahrlich keine wirtschaftspolitischen Meilensteine. Deshalb benötigen wir endlich, endlich den digitalen Überschallknall. ({1}) Dazu ein Beispiel: die öffentliche Verwaltung, das E-Government. Peter Altmaier kündigte 2017 auf einer Veranstaltung des Handelsblatt Wirtschaftsclubs an: Deutschland werde 2021 – ich zitiere – „die bürgerfreundlichste und anwenderfreundlichste Verwaltung Europas haben“. Darauf wettete er zwölf Flaschen guten Grauburgunder. ({2}) Es ist jetzt Februar 2022. In europäischen Nachbarländern kann ich meinen Nachnamen digital in einer Verwaltungs-App ändern, ich kann mich digital von meinem Mann scheiden lassen. Wir können darüber diskutieren, ob wir das wollen; aber es ist möglich. Herr Altmaier, falls Sie heute zusehen sollten, ich glaube, es wäre an der Zeit, Ihren Wetteinsatz einzulösen. Andererseits können die Kollegen der CDU/CSU Herrn Altmaier ja gerne erinnern und ihren Fraktionskühlschrank ein bisschen auffüllen lassen für lange Abende in der Opposition. ({3}) Die Fortschrittskoalition wird die Digitalisierungspolitik nun zügig angehen. Wir werden erstens eine umfassende bürgernahe und bürgerfreundlich mitdenkende Verwaltung aufbauen. Neue Gesetze werden wir einem Digitalisierungscheck unterziehen. KI-basierte Sachbearbeitung ist in unseren Nachbarländern ebenfalls Alltag, und auch wir brauchen sie; denn sie ermöglicht uns, Personal dort einzusetzen, wo es wirklich benötigt wird, zum Beispiel, um den Bürgern neue Verwaltungsverfahren und ‑techniken zu erklären und Planungsverfahren zu beschleunigen. Voraussetzung dafür sind zweitens soziale und infrastrukturelle Rahmenbedingungen. An die neuen Bedingungen angepasste Rahmenbedingungen garantieren den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit einerseits und faire sowie soziale Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer andererseits. Schaffung von Infrastruktur meint: zügiger Ausbau des Glasfasernetzes, Entbürokratisierung und Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie digitale Superabschreibungen für Unternehmen, die wir einführen werden. ({4}) Das heißt aber auch die bessere Vermittlung von Digitalkompetenzen an Schulen, lebenslanges Lernen und der wirksame Schutz vor Cyberangriffen. Ein digitaler Überschallknall bedeutet drittens, gleiche Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu schaffen. Auch für Unternehmen auf dem Land ist die Internetversorgung essenziell. Ich möchte ein Beispiel aus meinem Wahlkreis an der Müritz nennen. Dort gibt es Dörfer, in denen es kein Festnetz mehr gibt, die haben kein Breitband und auch kein Mobilfunknetz. Dort steigen die Leute auf ihren Apfelbaum, um mit der Umgebung Verbindung aufzunehmen – und das im 21. Jahrhundert, meine Damen und Herren. Das muss aufhören! ({5}) Erstens zum Beispiel in der Landwirtschaft. Dort besteht ein hoher Bedarf an schnellem mobilen Internet. Smart Farming könnte eine deutsche Vorreitertechnologie sein. Zweites Beispiel: ÖPNV. Auf Basis von KI-gesteuertem Ridepooling könnten Rufbusse endlich Zuverlässigkeit und Flexibilität sicherstellen und auch auf dem Land ein Leben mit weniger Auto möglich machen. Drittes Beispiel: Nahversorgung. Dank digitaler Technologien könnten Dorfläden existieren, in denen Bürger rund um die Uhr einkaufen können, mit digitaler Identifikation und Bezahlung. Somit könnten wieder Dorfzentren entstehen, in denen Bürger gerne leben und die dazu beitragen, dass Menschen nicht in die Städte verdrängt werden. ({6}) Dies alles gibt es schon, und dies alles könnten Elemente der sozialen digitalen Marktwirtschaft sein. Ihr Antrag ist fixiert auf Techgiganten und Wettbewerbsrecht. Den Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, haben Sie dabei komplett ausgespart. ({7}) Wie beim Klimaschutz müssen wir jetzt handeln. Eine soziale digitale Marktwirtschaft braucht soziale und infrastrukturelle Rahmenbedingungen. Sie braucht – mit einem Wort – einen digitalen Überschallknall. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Abgeordnete Dr. Malte Kaufmann für die AfD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Malte Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005099, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Marktmacht von Tech-Giganten in die Schranken weisen“ – das möchten die Kollegen von CDU und CSU; so steht es im Antrag. Es ist grundsätzlich richtig, wenn unsere soziale Marktwirtschaft verteidigt wird. Die hat uns nämlich den Wohlstand der früheren Jahrzehnte gebracht. Und noch etwas ist gut in Ihrem Antrag. Sie heben die Bedeutung des Nationalstaats empor. Das Bundeskartellamt scheint Ihnen offenbar vertrauenswürdiger zu sein als das Pendant in Brüssel. ({0}) Beides sieht unsere freiheitliche Bürgerpartei genauso; und daher werden wir Ihrem Antrag auch zustimmen. ({1}) Allerdings: Ihr Antrag ist zwar richtig, aber aus Ihrem Munde nicht glaubwürdig. Sie berufen sich auf Ludwig Erhard. Aber wer soll das der heutigen CDU noch abnehmen? Wer soll das einer Partei glauben, die 16 Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel möglich gemacht hat? 16 quälend lange Jahre, die die freiheitliche Denkweise aus Ihrer Partei in weiten Teilen vertrieben haben! Vielleicht fragen Sie sich mal, wie es sein kann, dass man als Kanzlerpartei in 16 Jahren fast 190 000 Mitglieder verliert – darunter im Übrigen auch mich. ({2}) Ich helfe Ihnen gerne bei der Fehlersuche: Die Menschen spüren seit Langem, dass Ihre Worte nicht mehr zu Ihren Taten passen. Das trifft übrigens auch auf Ihren heute vorliegenden Antrag zu. Wer hat denn in den letzten zwei Jahren mit seiner völlig verkorksten Coronapolitik ({3}) der von Ihnen beklagten Marktmacht von Techgiganten einen enormen Schub verliehen? Warum steht beispielsweise Amazon so glänzend da wie nie zuvor in Deutschland, während viele Einzelhändler vor Ort für immer dichtgemacht haben? Wegen Ihrer unnötigen Lockdowns! ({4}) Weil Sie Kunden in Panik versetzt haben, am besten gar nicht mehr das Haus zu verlassen. Die Lockdowns und die unsinnigen 2-G- und 3-G-Maßnahmen haben viele Händler verzweifelt und auch verbittert zurückgelassen. Diese fleißigen Unternehmer haben sich von Ihrer Politik verraten und verkauft gefühlt, und ihre Kunden haben Sie in die Arme von Techgiganten wie Amazon getrieben. Der aktuelle Zustand ist also zum großen Teil hausgemacht. Deshalb: Verlassen Sie Ihren eigenen rot-grünen Irrweg, und kehren Sie jetzt ernsthaft mit uns und allen freiheitlich Gesinnten hier in diesem Hohen Haus zu politischer Vernunft zurück! Vielen herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Maik Außendorf für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Maik Außendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005012, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank zunächst an die Union für die Einbringung dieses Antrags und die Möglichkeit, hier im Plenum über den Digital Markets Act, den DMA, zu debattieren. Der Digital Markets Act ist ein Meilenstein im Kampf gegen die Übermacht der großen Techkonzerne. Er bietet eine gute Grundlage, die Marktmacht der Onlinegiganten einzuschränken und ein faires und verbraucher/-innenfreundliches Internet zu gewährleisten. Es liegt im ausdrücklichen Interesse von Usern und Userinnen und besonders auch kleinen Unternehmen, dass die EU nun endlich klare Regeln für die Onlinewelt setzt und damit den Einfluss großer Monopolisten begrenzt. Derzeit verhindern wenige große Plattformen und Techplayer alternative Geschäftsmodelle, auch kleinerer und mittelständischer Unternehmen, und verhindern somit, dass diese eine Chance am Markt und Verbraucher/-innen eine echte Wahlfreiheit haben zwischen verschiedenen Diensten, zum Beispiel anhand von Datenschutzkriterien oder Bedienkomfort. Mit dem Gesetz über digitale Märkte schiebt die EU der Marktdominanz von Google und Co in der EU endlich einen längst überfälligen Riegel vor. ({0}) Nun zu dem Antrag der Union. Einige Punkte, die wir nachbessern müssen, haben Sie dort zu Recht aufgegriffen. Aber im Grunde entsprechen die meisten eins zu eins dem, was schon im Koalitionsvertrag vereinbart ist, und auch dem, was die Staatssekretärin Dr. Brantner für die Bundesregierung im Digitalausschuss dargestellt hat. Ich möchte auf einige Punkte im Detail eingehen. Sie haben zu Recht, Herr Durz, die Killer Acquisitions angesprochen, also das Phänomen, dass die großen Marktkonzerne kleinere Wettbewerber aufkaufen, sobald sie eine interessante Lösung haben, die entweder zu einer Konkurrenz heranwachsen könnten oder die so interessant sind, dass die großen Marktplayer diese integrieren möchten. Und das hat eben auch zur Folge – Herr Arlt, Sie haben das angesprochen –: Die Internetwirtschaft in Deutschland und Europa hängt hinterher. Immer wenn ein zartes Pflänzchen wächst, kaufen die Konzerne dieses auf und machen damit unser Ökosystem kaputt. Das ist also ein wesentlicher Grund, warum wir gegen die Killer Acquisitions vorgehen müssen. Das haben wir im Koalitionsvertrag auch so vereinbart, und das entspricht weitgehend der Positionierung des Europaparlamentes gegenüber dem Kommissionsvorschlag. Da ist die Bundesregierung klar auf Kurs und unterstützt das Parlament in seiner Einstellung. Wir stehen voll dahinter. ({1}) Herr Durz, Sie haben zu Recht die Interoperabilität der Messenger angesprochen; das ist ja auch ein Kernpunkt in Ihrem Antrag. Sie haben das eindrucksvoll an Beispielen erklärt. Da möchte ich nun ergänzen: Das ist nicht nur im Sinne der Anwenderinnen und Anwender, sondern es ist auch ein Instrument der Wirtschaftsförderung. Denn dadurch, dass die Anbieter gezwungen werden, ihre Schnittstellen offenzulegen, eröffnen wir für kleinere Unternehmen Möglichkeiten, dort anzudocken und mit anderen neuen Apps und Geschäftsmodellen hier einzusteigen und Innovationen voranzutreiben. Daher bin ich froh, dass insbesondere die Grünen im Europaparlament Änderungsanträge in diese Richtung eingebracht haben und sich dort stark einsetzen. Es ist gut, dass wir da in eine gemeinsame Richtung gehen. ({2}) Sie erwähnen in Ihrem Antrag auch die sogenannten Gatekeeper, die Torwächter, also die Funktion von großen Unternehmen, die es aufgrund ihrer Marktmacht schaffen, kleinere aus dem Markt rauszuhalten. Aber hier ist nicht verständlich, warum Sie da an der doch hohen Unionsmesslatte von 80 Milliarden Euro Marktkapitalisierung festhalten wollen. Wir Grüne setzen uns dafür ein – das tut auch die Bundesregierung –, diese Latte runterzusetzen, damit mehr große Firmen betroffen sind. Denn 80 Milliarden Euro Marktkapitalisierung, das haben nicht wirklich viele, und es gibt durchaus Gatekeeper, die unterhalb dieser Grenze liegen. Also: Wir kämpfen dafür, dass diese Grenze abgesenkt wird und mehr Firmen unter diese Regelung fallen. ({3}) Dann sprechen Sie § 19a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen an. Auch da ist im Koalitionsvertrag ganz klar vereinbart, dass die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten – so steht es im Vertrag – mit der Durchführung beauftragt werden sollen; also letztlich ist das auch kein neuer Punkt. Als letzten Punkt sprechen Sie an, dass die Vorschläge der Kommission zum Wettbewerbsrecht 4.0 Eingang finden sollen. Das ist aber auch nichts Neues. Diese Vorschläge liegen seit 2019 vor, sind teilweise schon in das GWB eingeflossen und gehen im Übrigen auch weit über den Umfang des DMA hinaus. Zum Beispiel werden dort Vorschläge zum Thema „Datentreuhänder und Datenstrategie“ vorgelegt. Wenn Sie den Koalitionsvertrag gelesen hätten, hätten Sie festgestellt, dass wir genau diese Punkte aufgreifen und an anderer Stelle fortführen. Aber das betrifft eigentlich nicht den DMA. ({4}) Insgesamt ist also festzuhalten: Der CDU/CSU-Antrag bringt nicht wirklich etwas Neues. Im Gegenteil: Einige Punkte fehlen. Ich könnte das noch weiter ausführen; nur leider ist langsam die Zeit zu Ende. Deswegen komme ich zum Schluss. Der CDU/CSU-Antrag ist im Lichte des Koalitionsvertrages und der Positionierung der Bundesregierung im Grunde hinfällig. Dennoch stimmen wir einer Überweisung in die Ausschüsse zu; denn das ist guter Brauch, und dort können wir im Detail weiterdiskutieren und auch die Punkte aufgreifen, die im DMA zu kurz kommen. Ich danke Ihnen und freue mich auf die Diskussion. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Pascal Meiser hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat dringend geboten, dass wir hier im Deutschen Bundestag wieder über die gefährliche Machtkonzentration bei den großen Digitalkonzernen Amazon, Google und Co sprechen. Ich nehme erfreut zur Kenntnis, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass Sie unsere Forderung nach einem Verbot von Killer-Akquisitionen jetzt wieder aufgreifen und damit ebenfalls verhindern wollen, dass große Digitalkonzerne, wie wir es schon gehört haben, gezielt Start-ups aufkaufen, nur um potenzielle Konkurrenz auszuschalten. Doch zur Wahrheit gehört auch: Als Sie im vergangenen Jahr die Chance hatten, ein solches Verbot zumindest im nationalen Rahmen zu ermöglichen, da haben Sie gekniffen. Glaubwürdige Politik, meine Damen und Herren, sieht anders aus. ({0}) Und auch sonst haben Sie hier in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der SPD leider nur halbe Sachen gemacht, die die Konzernchefs bei Amazon, Google und Co kaum um den Schlaf gebracht haben dürften. Warum zum Beispiel die Benachteiligung anderer Einzelhändler oder erpresserische Vertragsbedingungen auf einem digitalen Marktplatz wie Amazon nicht per Gesetz prinzipiell untersagt sein sollen, das haben Sie bis heute nicht schlüssig darlegen können. Zugegebenermaßen liefert auch die Ampelkoalition da bisher keine erkennbaren Ansätze, die die Macht bestehender Digitalkonzerne grundsätzlich infrage stellen würden. So ist und bleibt es zu kurz gesprungen, wenn man glaubt, alle damit zusammenhängenden Fragen allein mit dem Instrument des Wettbewerbsrechts angehen zu können, gleich ob auf nationaler oder europäischer Ebene. ({1}) Digitale Plattformen sind inzwischen vielfach zentrale Bestandteile unserer gesellschaftlichen Infrastruktur. Sie bedürfen wie Telekommunikation, Energie oder auch das klassische Postwesen einer besonderen Regulierung und Steuerung. Wir als Linke sagen deshalb weiter: Es braucht eine Plattformregulierung, die die Regeln der verschiedenen digitalen Plattformen ex ante, also im Vorhinein, klar und verbindlich festlegt. ({2}) Das betrifft zum Beispiel den diskriminierungsfreien Zugang, das Verbot bestimmter Geschäftspraktiken, aber gegebenenfalls auch die Zugangsentgelte. Wer sich hier wegduckt und nicht handelt, der versagt. Ich hoffe, dass die Ampelkoalition sich dieses Themas endlich annimmt. Wir als Linke werden da weiterhin Druck machen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nicole Bauer spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sorgsame Ausgestaltung der digitalen Märkte ist die größte wirtschaftliche Herausforderung dieses Jahrzehnts, und diese Herausforderung braucht offensive Antworten. Bereits heute ist so gut wie jede wirtschaftliche Aktivität in irgendeiner Form abhängig von digitalen Services. Dieser Anteil steigt in den nächsten Jahren sukzessive an. Digitale Plattformunternehmen dominieren zunehmend die Weltwirtschaft. Deutschland ist ein Innovationsland, und wir als Ampelregierung wollen Deutschland wieder zum Wachstumsland machen und deshalb mehr Fortschritt wagen, meine Damen und Herren. ({0}) Fortschritt entsteht in Deutschland vor allem dadurch, dass mutige und innovative Menschen in unserem Land, sich im freien Wettbewerb der Ideen messen können und dadurch die besten Lösungen erzielen können. In der digitalen Wirtschaft existieren aktuell aber sehr viele Eintrittsbarrieren, gerade bei datenintensiven Geschäftsmodellen. Die Techgiganten kontrollieren die essenziellen digitalen Infrastrukturen, was eine Gefahr für den fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen birgt, aber auch für unsere Demokratie. Deshalb unterstützen wir das Level Playing Field, um den Wettbewerb entsprechend zu stärken. Und wir setzen uns für ambitionierte Ziele im Digital Markets Act ein, ({1}) insbesondere in den Bereichen Interoperabilitätsverpflichtungen und effektive Fusionskontrolle. Wir als Ampel wollen aber nicht nur in diesem Bereich neue Themen setzen, sondern auch den Venture-Capital-Standort Deutschland stärken, um die Finanzierung dieser Start-ups zu ermöglichen; denn das hilft unserer Volkswirtschaft wirklich. ({2}) Aktuell werden Tausende deutscher Start-ups gegründet, aber von internationalen, von außereuropäischen Großunternehmen aufgekauft. Seit SAP gab es keinen einzigen Champion mehr aus Deutschland, obwohl Deutschland die meisten Patente in Europa anmeldet. Es ist deshalb wichtig, dass wir diesen Ideenreichtum wieder in volkswirtschaftlichen Reichtum ummünzen. ({3}) Es hilft unserer Volkswirtschaft auch nicht, dass wir immer mehr Bürokratie bekommen; denn damit schwächen wir die KMUs. Deshalb ist es von essenzieller Bedeutung, dass die DMA-Regeln, aber auch die GWB-Regeln so eindeutig ausgestaltet werden, dass sie nicht das Wachstum von KMUs hemmen. Deshalb spielt eine eindeutige Definition der betroffenen Unternehmen eine entscheidende Rolle. Im Antrag werden Grenzen beim Jahresumsatz und bei der Marktkapitalisierung erwähnt. Wir wollen aber auch klare und scharfe Definitionen, welche Faktoren ein digitales Plattformunternehmen mit marktbeherrschender Stellung ausmachen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass gesetzte Schallmauern schnell durchbrochen werden können. Vor Kurzem war noch die 1‑Billion-Dollar-Bewertung in aller Munde, und jetzt sind Apple und Microsoft schon auf dem Weg zur 3‑Billionen-Dollar-Grenze. Deshalb sollten wir alle wettbewerbsschädlichen Geschäftspraktiken identifizieren und einen eindeutigen Rahmen schaffen; denn in einer sozialen Marktwirtschaft – das müssen wir uns vor Augen halten – hat der Staat die Rolle eines starken Schiedsrichters. Darüber hinaus müssen wir KMUs auch mit Blick auf die Digitalisierung weiter stärken, unkomplizierte Förderungen ausbauen sowie neue digitale Technologien nutzen. Nur so können wir das Potenzial unseres Landes tatsächlich ausschöpfen. Aber wir haben nicht nur im Wirtschaftsbereich viele Hausaufgaben zu erledigen. Gleichzeitig brauchen wir auch im Bildungs- und Forschungsbereich eine Neuausrichtung für das 21. Jahrhundert, um wirkliche Impulse zu setzen und eine neue Innovationskraft entfachen zu können. Nur mit der weltbesten Bildung schaffen wir es, dass Deutschland wieder eine führende ökonomische Rolle einnimmt und somit die Spielregeln in der digitalen Welt mitgestalten kann. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Heilmann hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger an den digitalen Endgeräten! Der Verlauf der Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, zeigt leider, dass Sie den Sinn unseres Antrags nicht sehen und ihn nicht unterstützen, und das bedauere ich außerordentlich. Warum haben wir den Antrag eingebracht und ihn gerade heute zur Debatte gestellt? Weil der DMA im Europäischen Parlament noch nicht verabschiedet ist und wichtige Details noch offen sind. Es wäre ein starkes Zeichen, wenn dieses Parlament zeigen würde, dass es über die Grenzen von Parteien hinweg einig ist, jedenfalls zwischen Unionsfraktion und Ampel; denn die Verhandlungen im März werden sehr schwierig werden. Herr Außendorf, wir diskutieren darüber natürlich sehr gerne mit Ihnen im Ausschuss; aber in einer öffentlichen Debatte und mit einem Beschluss können wir unsere Position zu wichtigen Fragen wie der Interoperabilität, bei der es, glaube ich, gar keinen großen Unterschied zwischen uns gibt, deutlich machen. – Das ist der Sinn dieses Antrags. Der Antrag von uns als Oppositionsfraktion richtet sich ausnahmsweise gar nicht gegen Sie als Regierung, sondern zeigt – im Gegenteil –, dass es hier eine gewisse Kontinuität gibt. Wir in der Unionsfraktion haben, wie Sie wissen, vor zwei Jahren das Konzept „Neustaat“ entwickelt, das versucht, die digitalen Defizite, die es in Deutschland natürlich gibt, zu beschreiben und Lösungen aufzuzeigen. Eine der Lösungen ist das Thema Wettbewerbsrecht, und zwar das Wettbewerbsrecht im Digitalen. Diese Debatte bietet die Gelegenheit, noch einmal auszuführen, warum das das entscheidende Kriterium ist, wenn es darum geht, Wachstum in Unternehmen zu schaffen. Herr Arlt, natürlich schafft Wettbewerbsrecht nicht sofort einen sozialen Ausgleich, sondern es ist ein Instrument zur Wirtschaftsförderung und zur Stärkung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch das ist in einer sozialen Marktwirtschaft sehr wichtig. Gerade in der digitalen Wirtschaft ist es so, dass Ordnungsmaßnahmen immer hinterherhinken, weil die Entwicklungen von digitalen Produkten so schnell gehen. Die Hoffnung, dass die Datenschutz-Grundverordnung den Wettbewerb stärkt, hat sich – bisher jedenfalls – nicht erfüllt, obwohl das einer der Zwecke war. Das Wettbewerbsrecht ist viel stärker für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn wir Interoperabilität bekommen und wenn sie, so wie wir sie meinen, nicht nur für Messengerdienste, sondern für die gesamten neuen digitalen Instrumente gilt, dann gibt es mehrere Anbieter zur Auswahl. Das stärkt die Verhandlungsmacht von kleineren Lieferanten – jemand hat das Beispiel Amazon genannt –, und das bietet den Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Möglichkeiten, zu wechseln. Damit wird das Schutzniveau höher – höher, als Sie es regulativ jemals schaffen würden, erst recht in Europa, wo das Regulative noch viel länger dauert als im nationalen Rahmen. Wenn wir über die Details reden, dann würde ich gern auch noch erläutern, warum Marktkapitalisierung nicht das richtige Instrument ist. Tesla hat eine Marktkapitalisierung, die ein Vielfaches von 80 Milliarden Euro beträgt; die hatte das Unternehmen übrigens schon, als es noch kein einziges Auto auf der Straße hatte. Das heißt, Marktkapitalisierung ist kein Kriterium dafür, ob jemand marktbeherrschend ist. Man kann übrigens auch mit weniger als 80 Milliarden Euro Marktkapitalisierung marktbeherrschend sein. Das ist in der digitalen Wirtschaft allerdings sehr unwahrscheinlich. Deswegen, Herr Außendorf, ist das nicht das richtige Kriterium. Man muss immer wissen: Derjenige, den man zum Gatekeeper erklärt, hat unfassbar hohe bürokratische Lasten. Es ist durchaus denkbar, dass europäische Unternehmen sehr schnell diese Marktkapitalisierung erreichen und wir sie dann in ihrer Entwicklung behindern, obwohl sie gar keine Gatekeeper sind; das würde ich jedenfalls gerade für den Bereich der Digitalwirtschaft sagen. Zusammenfassend: Ich fordere Sie auf – Herr Mohrs, Sie reden ja noch nach mir –, dass wir an unsere europäischen Partnerländer vor dem Trilog das gemeinsame Signal senden: Wir wollen diese Interoperabilität. – Frau Staatssekretärin Brantner hat das am Mittwoch nach unserer Antragstellung ausgeführt. Wir sind in diesem Punkt bei Ihnen, weil das im fundamentalen Interesse des Wettbewerbs und damit auch der deutschen Unternehmen, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Heilmann.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– namentlich der Start-ups, ist. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich wollte nur sagen: Das war es jetzt mit der Zeit. ({0}) – Nein, es kam nach der Zeit kein Wunsch nach einer Zwischenfrage mehr, und wenn einer gekommen wäre, hätte ich die Zwischenfrage sowieso nicht zugelassen. Wie Sie schon richtig angekündigt haben, hat der Kollege Falko Mohrs das Wort für die SPD-Fraktion. ({1})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wettbewerb ist wirklich ein zentraler Baustein. Er hat eine zentrale Funktion für die Art, wie wir wirtschaften, wie wir leben, wie wir arbeiten, eben weil er Innovationen fördert, eben weil er dafür sorgt, dass derjenige, der sich am weitesten streckt, der besonders motiviert vorangeht, auch – hoffentlich – das beste Angebot unterbreitet. Das ist eines der Kernelemente unseres Wirtschaftssystems. Wettbewerb – das ist klar – ist anstrengend. Deswegen liegt es nicht unbedingt in der Natur aller Unternehmen, um es einmal freundlich auszudrücken, den Wettbewerb zu wollen, den Wettbewerb zu fördern. Es ist unsere Aufgabe, den richtigen Rahmen für den Wettbewerb zu setzen. Das gilt auf klassischen Märkten genauso wie auf digitalen Märkten, meine Damen und Herren. Es ist aber so, dass gerade auf digitalen Märkten der Wettbewerb an vielen Stellen etwas anders funktioniert, dass dort Märkte viel schneller kippen und dass diejenigen, die sich mit ihrem Geschäftsmodell durchsetzen, gerade am Anfang einen ganzen Markt übernehmen. Ein ganz klassisches Beispiel – das ist bereits beschrieben worden – sind soziale Netzwerke und Messengerdienste. Das sind natürlich die, die am Ende all das absorbieren, was dann eben auf dem Markt ist, und zwar nicht, weil sie über die Dauer das beste Angebot haben, sondern weil sie eine Marktmacht haben, die für andere überhaupt keinen Spielraum mehr lässt. Deswegen ist es unsere Aufgabe, insbesondere auf den digitalen Märkten das Wettbewerbsrecht passgenau und proaktiv zu gestalten, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir haben das mit der Wettbewerbsrechtsnovelle vor einem guten Jahr getan. Wir sind als Deutsche vorangegangen und haben es mit dem § 19a GWB, dem Herzstück dieser Novelle, geschafft, großen Playern proaktiv Verhaltensregeln vorzugeben. So können wir ihnen, bevor die Marktmacht ausgenutzt werden kann, sagen, wie sie sich zu verhalten haben. Kollege Meiser, Sie haben da ehrlicherweise offensichtlich nicht aufgepasst. Wir haben nämlich proaktiv auf nationaler Ebene dafür gesorgt, dass das Bundeskartellamt aktiv werden kann. ({1}) Dass das Bundeskartellamt gerade gegen all die großen Player Verfahren führt, zeigt doch, dass wir hier ein sehr scharfes Schwert auf nationaler Ebene geschaffen haben, das sehr wirkungsvoll durch das Bundeskartellamt anzuwenden ist. Deswegen haben wir uns auch im Koalitionsvertrag klar vorgenommen, dass der europäische Markt, die europäische Ebene der eigentlich sehr viel bessere Ort ist, um das Wettbewerbsrecht für die globalen digitalen Player zu regeln. Wir sind überzeugt, dass wir hiermit im Wettbewerbsrecht ein sehr scharfes Schwert geschaffen haben. Uns ist völlig klar: Wir haben mit dem Digital Markets Act, der bereits angesprochen wurde, vor, einen absolut ambitionierten Rechtsrahmen für das Wettbewerbsrecht für digitale Märkte in Europa zu schaffen. Wir sagen aber auch: Wenn das, was dort geschaffen wird, nicht unserem Ambitionsniveau entspricht, dann muss es natürlich auch möglich sein, dass das Wettbewerbsrecht, das wir proaktiv geschaffen haben, auch weiter genauso gut und effektiv wirken kann, wie wir es angelegt haben. Deswegen gilt beides: einen europäischen Rahmen zu schaffen – und auch wenn Sie es nicht begriffen haben, ja, liebe AfD, die europäische Ebene ist der Ort für das Wettbewerbsrecht – und gleichzeitig – das ist kein Widerspruch – nationale Möglichkeiten stark zu halten. Meine Damen und Herren, der Wettbewerb spielt – ich habe es hoffentlich deutlich gemacht – eine wichtige Rolle für uns alle und für unsere Wirtschaft. Gerade auf digitalen Märkten ist es eine Frage des Schutzes von Verbraucherinnen und Verbrauchern und kleinen Unternehmen. Da hat es eine zentrale Funktion. Wir haben mit dem Wettbewerbsrecht auf nationaler Ebene eine gute Grundlage geschaffen und werden dafür sorgen, dass wir mit dem gleichen Ambitionsniveau das Wettbewerbsrecht auf europäischer Ebene sicherstellen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Herzlichen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Frau Wehrbeauftragte! Meine Damen und Herren! Frankreich zieht in Mali die Reißleine. Der engste europäische Partner der Bundesregierung zieht seine Truppen aus Mali ab, weil dort nichts erreicht wurde und nichts zu erreichen sein wird, weil es in Staaten wie Mali nicht funktioniert. Ob das kulturelle, ob das strukturelle, ob das historische Gründe hat, ist irrelevant. Fakt ist: Es geht nicht, was Sie mit all Ihren moralischen Ansprüchen dort vorhaben. ({0}) Nicht nur, dass Sie dort Geldberge versenken und Soldatenleben aufs Spiel setzen. Die Bundesregierung lässt sich auch noch von einer Putschistenregierung vorführen. Das ist unerträglich. ({1}) Ich zitiere den Generalinspekteur, der vor zwölf Tagen erstens sagte: Rein militärisch sehe ich Parallelen zu Afghanistan … Er sagte zweitens: Die Terrorgruppen breiten sich weiter aus. Eine vergleichsweise sichere Zone gibt es nur rings um die Hauptstadt Bamako. Drittens: Ein „Weiter so“ kann es so nicht geben. Und Verteidigungsministerin Lambrecht fügte an, sie habe nicht den Eindruck, dass wir in Mali länger willkommen sind. Noch einmal zum Mitschreiben: Das war vor zwölf Tagen. Jetzt meine Frage an die Bundesregierung: Was in Gottes Namen bringt Sie dazu, den Einsatz in Mali weiterzuführen? Was ist es? Wahlen können damit ja nicht mehr gewonnen werden. Parteiintern kann man damit auch nicht punkten, auch nicht mehr französischen Interessen dienen; die sind draußen. Was ist es also? Vorletzte Woche im Ausschuss waren die größten Bedenken der Koalition noch, dass die russische Militärfirma „Wagner“ in Mali eingesetzt wird, und das könne man nicht akzeptieren. Die Antwort der Bundesregierung: 200 bis 300 dieser „Wagner“-Dienstleister seien im Land. – Diese Woche sagt das Ministerium, nein, das seien keine „Wagner“-Söldner, das seien alles reguläre russische Soldaten, die Putschisten hätten dies versichert. Damit macht die Bundesregierung genau das, was sie der russischen Staatsführung immer vorwirft: Sie täuscht. Sie verpasst einer Tatsache einfach einen anderen Namen und betreibt ihre Politik dann auf dieser gefälschten Basis einfach weiter. Überhaupt verwendet die Bundesregierung beim Mali-Einsatz eine Sprache der Täuschung und Verschleierung wie aus einem Wörterbuch zur hybriden Kriegsführung. Sie macht eine Putschisten-Clique zu Partnern. Der Entzug von Fluglizenzen unserer Aufklärungsdrohnen durch die Putschisten wird von der Bundesregierung zum Kommunikationsmissverständnis umgedeutet. Überall, wo die Putschisten Deutschland sonst noch verarschen, sieht die Bundesregierung positive Signale. Mit dieser unwahren Sprache täuscht die Bundesregierung das Parlament. Sie täuscht internationale Partner, und sie täuscht sich am Ende auch selbst. ({2}) Meine Damen und Herren, das Einsatzführungskommando hat dem Verteidigungsministerium gestern zwei Möglichkeiten des Handelns aufgezeigt: erstens sofortiger Abzug aller deutschen Soldaten aus Mali und zweitens Aufstockung der deutschen Kräfte um eine weitere Infanteriekompanie mit Mörsern und fünf Kampfhubschraubern. Option eins heißt späte Einsicht und Vernunft, Option zwei heißt Wahnsinn, Risiko und Verzögerung der unausweichlichen Niederlage. Handeln Sie richtig und beenden Sie endlich den Einsatz in Mali! Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Karamba Diaby hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! In den Ausschüssen, in den Arbeitsgruppen, in unseren Arbeitskreisen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit NGOs und politischen Stiftungen spreche ich seit Wochen nahezu täglich über die aktuelle Situation in Mali. Wenn wir also heute über unser Engagement in Mali diskutieren, dann ist das für uns eine von vielen wichtigen Aussprachen. Es ist nicht so, wie die AfD es erscheinen lässt, dass wir bei der Beurteilung des Bundeswehreinsatzes in Mali auf kaltem Fuß erwischt werden; das ist falsch. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in Mali im Rahmen des Multilateralismus aktiv, und wir treffen unsere Entscheidungen gemeinsam auf Basis der einschlägigen UN-Resolutionen. Fest steht: Den Bundeswehreinsatz in Mali müssen wir differenziert betrachten. Wir unterscheiden ganz klar zwischen der Beteiligung an MINUSMA und dem Engagement bei EUTM Mali. EUTM Mali ist eine Ausbildungsmission zur Unterstützung der malischen Streitkräfte. Die UN-Mission MINUSMA hat dagegen den entscheidenden Auftrag, das Friedensabkommen von Algier umzusetzen und die Zivilbevölkerung vor Ort zu schützen. MINUSMA ermöglicht den innermalischen politischen Dialog. Die Operation sichert wichtige Gesprächsrunden ab und schafft für die malische Bevölkerung Sicherheit und Stabilität. Genau deshalb ist die deutsche Beteiligung an MINUSMA wichtig und richtig. ({1}) Der Abzug von Frankreich und seinen Partnern erschwert die gesicherte Weiterführung des Bundeswehreinsatzes. Über die Fortführung unserer Beteiligung an MINUSMA müssen wir deswegen mit unseren europäischen Partnern intensiv beraten. Ohne den Bundeswehreinsatz können wir unter den gegenwärtigen Bedingungen unsere Entwicklungszusammenarbeit nur schwer fortsetzen. Aber nur mithilfe engagierter Entwicklungszusammenarbeit durchbrechen wir den Teufelskreis des Zulaufs zu terroristischen Gruppierungen. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, selbstverständlich sollten wir alle Prozesse unterstützen, die zeitnah demokratische Wahlen in Mali ermöglichen. Mit großer Sorge sehen wir das Engagement der russischen Truppen in Mali. Herr Kollege, ich darf anmerken: Wenn Sie bei den Beratungen der Ausschüsse waren, dann wissen Sie, dass die Bundesregierung deutliche Worte gefunden hat, uns eindeutig informiert hat. Die Schwarz-Weiß-Malerei, die Sie hier betreiben, lehnen wir ab. ({3}) Die Anwesenheit der russischen Truppen bedeutet für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz ein zusätzliches Risiko. ({4}) An dieser Stelle möchte ich den unermüdlichen und extrem gefährlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort würdigen und mich ausdrücklich bei ihnen bedanken. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir jetzt den Bundeswehreinsatz in Mali evaluieren, ist eines von entscheidender Bedeutung: Wir müssen so viele Stimmen wie möglich zu Wort kommen lassen. Das bedeutet, dass wir offen für die malische Zivilbevölkerung und die Wissenschaft sind und uns ihren Rat zum deutschen Engagement zu Herzen nehmen – wir müssen ihn bei den Diskussionen berücksichtigen –; denn wenn wir über den Einsatz der Bundeswehr in Mali entscheiden, muss der Schutz der malischen Zivilbevölkerung unser Kompass sein. ({6}) Ein Kollaps des malischen Staates hätte gravierende Konsequenzen nicht nur für die malische Bevölkerung, sondern für die gesamte Sahelregion. Wir müssen uns weiterhin für Frieden und Stabilität in Mali einsetzen; das ist unsere internationale Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Knut Abraham für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Knut Abraham (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der angespannten Sicherheitssituation in den Nachbarregionen Europas müssen wir klug, wohlinformiert und vor allem ohne jeden billigen Populismus umgehen. Niemand schickt leichtfertig deutsche Soldatinnen und Soldaten in internationale Einsätze. Das gilt ganz besonders für den wichtigen und in der Tat gefahrvollen Einsatz der Bundeswehr in Mali. Solche Einsätze sind bei unserer Bundeswehr in guten, professionellen Händen. Denn wäre es einfach, bräuchten wir die Bundeswehr dort nicht. Worum geht es denn in Mali? Es geht um die Stabilisierung einer Region, von der erhebliche Sicherheitsgefährdungen für Europa und Deutschland ausgehen. Das ist ein Fakt. Diesen Gefahren für uns müssen wir begegnen, und zwar nicht durch eine Beendigung der Einsätze. Es ist sehr einfach, zu sagen: Wir ziehen uns zurück. Nur, was dann? Glauben Sie denn, dass die Gefahren für Deutschland enden, wenn der Bundeswehreinsatz dort endet? Das glauben Sie nicht; ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das glauben. Haben Sie bessere Konzepte? Ich habe bei dem, was Herr Lucassen gerade gesagt hat, nichts, aber auch gar nichts gehört, keine Konzepte, keine Ideen, wie wir die Sicherheit dort stärken können. ({0}) Die Wahrheit ist doch: Mit der Teilnahme der Bundeswehr an den Missionen stärken wir unsere Sicherheit. Das ist kein karitatives Unternehmen zur Stärkung einer unzuverlässigen Regierung in Bamako, es geht um unsere Sicherheit. Ich glaube tatsächlich, dass es Ihnen, meine Damen und Herren von der AfD, in Wahrheit um etwas ganz anderes geht. ({1}) Ich höre stets Ihre Reden zu Russland. Die klingen für mich immer so ein bisschen wie früher Radio Moskau oder RT heute. ({2}) Mich beschleicht der extrem ungute Verdacht, dass es Ihnen in Wahrheit darum geht, Ihren russischen Freunden freie Bahn für deren üble Söldnertruppe „Wagner“ zu schaffen. ({3}) Damit geben Sie den Hebel ungesteuerter Migrationsbewegungen und den Schmuggel in die Hand Moskaus. ({4}) Was Elendes dabei herauskommt, haben wir jüngst an der polnisch-belarussischen Grenze gesehen; denn auch dahinter steht und stand Ihr Freund Putin. ({5}) Damit würden die Gefahren für Europa noch steigen. Nein, wir brauchen weiterhin die Einsätze in Mali. Über ihre Effizienz allerdings sollten wir sprechen: Gibt es Verbesserungsbedarf? Welche Möglichkeiten haben wir? Denn eines ist klar: Die Sicherheit unserer Soldaten muss durch die Ausgestaltung der Mission gewährleistet sein. S ehen wir da Verbesserungsbedarf, müssen wir entsprechend handeln, und hier ist die Bundesregierung gefordert. Ist, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die Mission noch besser aufzustellen? Prüfen Sie das bitte! Das ist der richtige Ansatz, nicht die plumpe Forderung nach einer Beendigung. Dies gilt gerade nach der Ankündigung Frankreichs, seine Mission in Barkhane und Takuba zu beenden. ({6}) Ich kann verstehen, dass unsere französischen Freunde unter den von der malischen Regierung gegebenen Umständen dieser bilateral nicht länger zur Seite springen wollen. Eine UNO-Mission hat aber eine weit darüber hinausgehende Dimension und auch Wirkung. Nochmals: Wir schützen in Mali unsere Sicherheit, unsere Interessen. Deutschland übernimmt Verantwortung. Ihre Position dagegen ist verantwortungslos. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Merle Spellerberg, und das ist ihre erste Rede hier im Hohen Haus. ({0})

Merle Spellerberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005226, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu den Abgeordneten der AfD-Fraktion ist es für uns nicht schwer zu verstehen, inwieweit der Einsatz der Bundeswehr in Mali auch deutschen Interessen dient. Denn ein klares deutsches Interesse ist die Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnerinnen und Partnern, um gemeinsam eine Welt zu schaffen, in der Menschen in Sicherheit und in Frieden leben können. ({0}) Anders als bei anderen in diesem Hause endet unsere Politik nicht dort, wo sie nur deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern dient; nein, sie verfolgt das Ziel, das Leben aller Menschen zu verbessern. ({1}) Und wir verstehen anscheinend im Gegensatz zu Ihnen, dass unsere außenpolitischen Entscheidungen Konsequenzen haben. Und gerade deswegen dürfen wir jetzt nicht versuchen, mit scheinbar einfachen Lösungen schwierige Abwägungen, die es in der Tat sind, zu überspringen. ({2}) Frankreich beendet seine Einsätze Barkhane und Takuba, und das wirft in der Tat auch Fragen über die Zukunft unseres europäischen Engagements in der Sahelzone auf. Wir müssen über die Zukunft von EUTM Mali und MINUSMA ehrlich diskutieren, und die Zukunft von EUTM Mali ist mehr als fraglich. Die oberste Priorität unserer Politik muss sein, die Sicherheit der Menschen vor Ort zu gewährleisten. Und auch dadurch, dass wir die Stabilisierung in Mali unterstützen, unterstützen wir die Sicherheit der Menschen. ({3}) Wenn wir nun aber sehen, dass die EU Soldaten ausbildet, die in einem Militärputsch genau diese Stabilität und die Sicherheit ihrer Mitbürger/-innen gefährden, dann kann es kein Weiter-so geben. ({4}) Wenn sich die Militärregierung immer mehr von Demokratie und der internationalen Gemeinschaft abwendet, dann ist das alarmierend, vor allem, weil wir wissen, in was für eine gefährliche Situation wir unsere Soldatinnen und Soldaten entsenden. Fragen wir also ehrlich, ob es unter diesen Umständen noch gelingen kann, unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen, ob wir es schaffen, den Menschen mehr Sicherheit zu geben, oder ob die Unterstützung der EU und der Bundeswehr die Sicherheitslage im Gegenteil sogar verschlechtert. Und das ist keine Frage, die wir uns hier alleine stellen, sondern gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern besprechen. Bei MINUSMA befinden wir uns aber in einer anderen Situation. MINUSMA ist ein UN-Mandat. Mit MINUSMA unterstützen wir immer noch eindeutig, wofür wir mit unserer Außenpolitik im Kern stehen: Wir wollen dauerhaft Frieden sichern, Menschenrechte schützen und humanitäre Hilfe absichern. Und das machen wir im Rahmen eines UN-Mandates gemeinsam mit unseren internationalen Partnerinnen und Partnern und unseren Partnerinnen und Partnern vor Ort. Aber auch in diesem Rahmen ist es keine leichtfertige Entscheidung; denn MINUSMA ist der gefährlichste Einsatz, in dem unsere Bundeswehr momentan aktiv ist. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen in ihrem Einsatz sicher sein und sicher bleiben. An dieser Stelle möchte ich mich besonders bei den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz bedanken. ({5}) Wichtig ist weiterhin: Die malische Bevölkerung muss bei all unseren politischen Entscheidungen gehört und unterstützt werden. ({6}) Mali hat eine aktive Zivilgesellschaft und eine Tradition von demokratischen Wahlen. Das sind Grundsteine, auf denen Stabilität aufbaut, und genau das sind die Grundsteine, die wir stärken wollen. Aber wir sehen eben auch, dass es Akteure in Mali gibt, die ganz klar das Ziel verfolgen, diese Grundlage zu destabilisieren. ({7}) So sehen wir etwa russische Desinformationskampagnen. Und wenn wir uns jetzt unbedacht zurückziehen, dann überlassen wir Autokratinnen und Autokraten das Feld. Vor jeglicher Entscheidung über beide Bundeswehreinsätze, EUTM Mali und MINUSMA, muss klar sein, welche Auswirkungen sie auf die Bevölkerung vor Ort hat. Das bedeutet auch, zu fragen, was mit den Menschen passiert, die uns in den letzten Jahren vor Ort unterstützt haben. ({8}) Das bedeutet, mitzudenken, welche Dynamiken ein Abzug auslösen oder verstärken kann. Das bedeutet, sicherzustellen, dass niemand kurz- oder langfristig darunter leidet, dass er oder sie mit der Bundeswehr zusammengearbeitet hat. ({9}) Der Schutz der Menschen muss an oberster Stelle stehen, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein wahres deutsches Interesse. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Die Linke erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Ali Al-Dailami. ({0})

Ali Al-Dailami (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war eigentlich schon seit Langem abzusehen, und wir Linken haben immer wieder genau vor dem Szenario gewarnt, das sich jetzt in Mali abspielt. Aber Sie, die Bundesregierung, haben einfach stoisch an diesem falschen Kurs festgehalten, obwohl schon lange offensichtlich war, dass Frankreich und seine Verbündeten, also auch die Bundeswehr, von der Mehrheit der malischen Bevölkerung als Besatzungsmacht empfunden werden und somit auch nicht mehr erwünscht sind. ({0}) Nun haben also Frankreich und andere Verbündete angekündigt, das Land zu verlassen, und die Bundesregierung steht tatsächlich völlig planlos da – das haben wir auch eben gehört –; die Vertreter der Regierung haben keinen Plan. ({1}) Ich sage Ihnen: Mit einer seriösen Außen- und Verteidigungspolitik hat Ihre ganze Mali-Politik überhaupt nichts zu tun. Deshalb: Beenden Sie endlich dieses Chaos. Ziehen Sie die richtigen Konsequenzen. Holen Sie die Soldaten schleunigst nach Hause, anstatt hier weiter herumzugurken und deren Leben weiter in Mali zu gefährden, meine Damen und Herren. ({2}) Schauen wir zurück: 2013 hat die ehemalige Bundesregierung Bundeswehrsoldaten nach Mali mit der Begründung entsandt, an der Seite der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich das Vorrücken bewaffneter Terrorgruppen auf die malische Hauptstadt verhindern zu wollen. Nachdem das geglückt ist, hätte sich die Bundeswehr eigentlich zurückziehen müssen: Mission erfüllt, möchte man meinen. – Doch weit gefehlt. Stattdessen haben Sie humanitäre Gründe angeführt, um zu rechtfertigen, warum man dort weiter im Einsatz bleibt. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hat es Sie auch nicht groß interessiert, dass es innerhalb von nur 18 Monaten – nämlich im Jahre 2020 und 2021 – zu zwei Militärputschen in Mali kam. Allerspätestens da hätten Sie doch die Reißleine ziehen müssen. Stattdessen aber sind Sie im Land geblieben in der Hoffnung, mit ebendiesen Putschisten kooperieren zu können, und haben fleißig weiter deren Sicherheitskräfte ausgebildet. Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn in Zukunft glaubhaft für demokratische Verhältnisse werben, wenn Sie in der praktischen Außenpolitik keinerlei Berührungsängste zu Putschregierungen haben? – Unglaubwürdiger und naiver geht es eigentlich kaum. ({3}) Auch als die Konflikte zwischen der aktuellen Putschregierung und Frankreich immer weiter zunahmen und diese sogar ankündigte, die vorgesehenen Wahlen um Jahre nach hinten zu schieben, war von Ihnen nur das übliche leise Murren zu vernehmen. Noch nicht einmal die Ausweisung des französischen Botschafters und der dänischen Truppen aus Mali haben die Bundesregierung zu einem Umdenken bewegt, genauso wenig wie die Verweigerung der Gewährung von Überflugrechten für deutsche Transportflugzeuge. Aktiv wurden Sie allerdings, als die USA Angaben darüber machten, dass die russische „Wagner“-Gruppe auf Einladung ebendieser Putschregierung in Mali interveniert hat. Plötzlich gab es Sanktionen. Offiziell begründet wurde das mit der Verschiebung der Wahlen, tatsächlich aber ging es um die Präsenz russischer Söldner. Die Verteidigungsministerin lässt sich mit dem Satz zitieren: „Wir werden nicht weichen, so einfach machen wir es den Russen nicht.“ Offensichtlicher kann man doch nicht sagen, dass es eben nicht um humanitäre Missionen geht, sondern um die Durchsetzung knallharter Interessen und geopolitischer Einflusszonen. Und seit wann bitte richtet sich die deutsche Außenpolitik danach, ob Russland in einem Land militärisch aktiv ist oder nicht? Was sind das denn für absurde Maßstäbe? ({4}) Das ist völlig absurd. So machen Sie sich völlig unglaubwürdig. Auch damit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Herren! ({5}) – Die Wahrheit tut weh; ich weiß. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wer aus der Geschichte nichts lernt, der ist verdammt, die immer gleichen Fehler zu wiederholen. ({6}) Die Parallelen zwischen Mali und dem Afghanistan-Debakel sind unübersehbar. Auch dort waren wir im Schlepptau anderer, in dem Fall der US-Amerikaner, militärisch im Land, und auch dort zogen sich die Amerikaner zuerst zurück, also jene, die diese Einsätze erst veranlasst hatten. Auch in Afghanistan war die Bundesregierung letztlich planlos, hilflos, ratlos. Deshalb: Lernen Sie aus dem Afghanistan-Desaster! Ziehen Sie die Soldaten aus den Auslandseinsätzen ab! Damit würden Sie im Übrigen dem Grundgesetz endlich auch wieder Rechnung tragen, meine Damen und Herren. ({7}) Zuallerletzt – weil hier immer über Humanität gesprochen wird –: Mehr als 2 Milliarden Euro haben Sie für diesen Einsatz in Mali, für militärische Aktionen und Einsätze, regelrecht verpulvert. Sie können sich ja mal fragen, wie viel Leid und Elend man mit nur einem Bruchteil dieses Geldes vor Ort hätte verhindern können. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Mir sei zwischendurch noch ein Hinweis auf unsere Geschäftsordnung gestattet: Es gab jetzt mehrere Meldungen zu Zwischenfragen. In diesem Format, in der Aktuellen Stunde, gibt es keine Fragen und Bemerkungen und auch keine Kurzinterventionen – nur für diejenigen, die das bisher noch nicht so oft miterlebt haben. Wir fahren fort in der Aktuellen Stunde. Das Wort hat der Kollege Alexander Müller für die FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir mal wieder zur Sache. Die Lage in Mali hat sich in den letzten Monaten stark verändert. Die Putschistenregierung ist wählerisch geworden, von wem sie sich noch unterstützen lässt und von wem nicht mehr. Das dänische Kontingent wurde nach Hause geschickt, das französische mehr oder weniger zum Abzug gedrängt, und dafür wurden russische Söldner in hoher Zahl angeheuert, ({0}) die nicht wie alle anderen Truppen unter dem Auftrag der Vereinten Nationen arbeiten wollen. Dass die Umtriebigkeit solcher russischen Söldner, professionell bewaffnet im Land unterwegs, ohne dass jemand deren Absichten und Finanzierung kennt, ohne dass es Kommunikationskanäle mit den internationalen Friedenstruppen gibt, die Sicherheit unserer Bundeswehrsoldaten nicht gerade erhöht, das muss jedem einleuchten. Als Regierungskoalition haben wir uns vorgenommen, die Bundeswehreinsätze transparenter zu machen, Erfolge und Misserfolge gründlich zu evaluieren, aber auch die Mandatsziele und deren Erreichung komplett ehrlich zu machen. ({1}) Die Zeiten, in denen Mandate immer unverändert verlängert wurden, weil bloß nichts geändert werden sollte oder weil ein möglicher Abzug ein Eingeständnis des Scheiterns sein könnte, müssen vorbei sein. Afghanistan hat uns gelehrt, dass eine ständige Kontrolle unseres Wirkens nötig ist. ({2}) Weil wir wissen, dass EUTM Mali explizit ein Ausbildungsmandat ist und dass die Ausbildung in Mali aus verschiedenen Gründen im Moment kaum stattfindet, müssen wir Anpassungen des Mandats ernsthaft prüfen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Mission zum Beispiel künftig „EUTM Sahel außer Mali“ heißen könnte. In den letzten Wochen hat uns Mali stellenweise keine Überfluggenehmigungen für unsere Einsatzflugzeuge erteilt, und auch die Aufklärungsdrohnen, die zum Schutz unserer Soldaten über ihnen kreisen, durften nicht immer die notwendigen Lufträume nutzen. Von einem Staat, der uns um Hilfe bittet, dürfen wir erwarten, dass er uns bei diesen Aufgaben nicht behindert. Wenn diese Behinderungen sich als nicht versehentlich erweisen und unsere Auftragserfüllung und die Sicherheit unserer Bundeswehrsoldaten gefährden könnten, dann müssen wir als verantwortliche Abgeordnete uns sehr genau überlegen, was das für die Zukunft der Mandate bedeutet. ({3}) Wenn ein Gastgeber nachts nach und nach die Lichter ausschaltet, dann müssen die Gäste solche Signale zu deuten wissen. Deutschland ist eingebunden in internationale Teams, die vor Ort die Sicherheitsanforderungen der UN und der EU sicherstellen. Diese Bundesregierung hat den Multilateralismus wieder ganz hoch priorisiert. Deswegen wird es kein unabgestimmtes Vorgehen Deutschlands geben. Wir werden mit den Partnern der Weltgemeinschaft genau absprechen, was nun zu tun ist. Ohne die internationalen Truppensteller droht die Sahelregion von Terrorbanden beherrscht zu werden. Deutschland hat eine Verantwortung. Wir haben Verantwortung für die Mittelmeeranrainerstaaten, die von Flucht und Vertreibung aus Afrika unmittelbar betroffen sind. Wir haben Verantwortung für Freiheit und Menschenrechte weltweit. Wir haben Verantwortung für Humanität, Verantwortung für Entwicklungszusammenarbeit und für den Kampf gegen den Hunger. Die Erreichung dieser Ziele ist wichtig und erstrebenswert. Aber wenn wir ehrlich sind, sind diese Ziele nur mit ausreichend robustem militärischen Schutz für die UN-Kräfte erreichbar. Die Ankündigung unseres Partners Frankreich, den militärischen Antiterroreinsatz in Mali zu beenden, hat Einfluss auf die Sicherheit unserer Missionen. Eine Verlängerung ist daher nur bei glaubwürdigem Ersatz des robusten Schutzes verantwortbar. Diese Frage muss in den kommenden Tagen und Wochen noch geklärt werden. ({4}) Wer Soldatinnen und Soldaten in einen gefährlichen Einsatz schickt, der muss immer abwägen: nicht nur die eigenen Ziele, die man erreichen will, sondern auch die Gefahren für Leib und Leben. Besteht eine ausreichende Chance auf Erreichung unserer Ziele, und ist dies das Risiko wert, welches wir unseren Soldaten abverlangen? Diese schwierige Abwägung vorzunehmen, ist stete Aufgabe von uns Abgeordneten. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch, kein eindeutiges Schwarz und kein Weiß. Deswegen sollten wir ein solches Mandat auch nicht unter parteitaktischen Erwägungen diskutieren. Die verbleibenden Monate bis zum vorläufigen Ablauf der Missionen müssen wir nutzen, um gemeinsam mit den Akteuren vor Ort an den nötigen Mindestvoraussetzungen für unsere Einsätze zu arbeiten, aber auch mit allen Partnern mögliche Konsequenzen abzustimmen, falls dies nicht gelänge. Ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar, die in unserem Auftrag vor Ort für Sicherheit und Stabilität sorgen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Christoph Schmid für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Christoph Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005208, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diese Uhr werde ich mich erst noch gewöhnen müssen. In den letzten 13 Jahren hat zum Leidwesen aller anderen niemand meine Redezeit begrenzt. ({0}) EUTM, MINUSMA, Takuba, Barkhane: Wir wissen alle, was das bedeutet. Aber wie viele Menschen draußen auf der Straße könnten wohl auf Anhieb sagen, was dahintersteckt? Die wenigsten werden wissen, dass sich dahinter die militärischen Missionen in Mali und den Nachbarstaaten verbergen. Unabhängig von Abkürzungen ist es nicht nur unsere Aufgabe, politische Entscheidungen zu treffen, sondern auch, diese Entscheidungen zu vermitteln und anständig zu begründen. Ich stelle allerdings infrage, ob eine kurzfristig angesetzte, populistische Aktuelle Stunde das richtige Format ist, um in die Diskussion einzusteigen, ({1}) und zwar in die Diskussion im Plenum, also hier im Parlament, und nicht in der Regierung, Herr Al-Dailami. Wir sind auch nicht planlos, wie Die Linke behauptet. Nein, wir nehmen unsere Arbeit sehr ernst. Und falsche Behauptungen werden nicht durch ständige Wiederholungen richtig. ({2}) Das Wichtigste zuerst: Danke an alle Soldatinnen und Soldaten, die im Auftrag dieses Parlaments in Mali oder in anderen Ländern im Einsatz sind! ({3}) Sie leisteten und leisten dort einen großartigen Beitrag zur Stabilität des Landes und der Region. Aber natürlich fragen sich auch die Soldatinnen und Soldaten, ob ihr gefährlicher Einsatz unter den gegebenen Rahmenbedingungen noch sinnvoll und vor allem sicher ist. Darum bin ich sehr froh, dass Staatssekretärin Siemtje Möller im Dezember im Auftrag von Bundesministerin Christine Lambrecht die Truppe in Mali besucht hat und den Austausch mit der Truppe vor Ort gesucht hat. Das war ein wichtiges Signal der Solidarität und Wertschätzung für unsere Soldatinnen und Soldaten! ({4}) Die Reise der Verteidigungsministerin nach Mali konnte letzte Woche leider nur virtuell stattfinden. Die Informationen, die wir in der Sondersitzung des Ausschusses vermittelt bekommen haben, waren aber trotzdem umfassend und informativ. Auch dafür ein herzliches Dankeschön! Wer sich seriös mit den Einsätzen in Mali auseinandersetzt, der muss, wie mein geschätzter Kollege Karamba Diaby das erwähnt hat, auch die unterschiedlichen Ziele der Missionen für die Bewertung heranziehen. Natürlich bedingen sich die Missionen zum Teil gegenseitig, und natürlich ist die Durchführung der Missionen auch vom Engagement der Partnerstaaten und von den eingebrachten Fähigkeiten abhängig. MINUSMA soll die Bevölkerung vor terroristischen Angriffen schützen; wir haben es gehört. Die Bundeswehr übernimmt dabei neben der Sicherung und dem Schutz wichtige Aufklärungsfunktionen. Frankreich steuert wichtige Sanitätsdienstleistungen und den Schutz des Luftraums durch Kampfhubschrauber über die Taskforce Takuba bei. Ohne Frankreich ist ein Einsatz der Bundeswehr nur mit einer erheblichen Ausweitung des eigenen Engagements oder mit anderen, neuen Partnern zu gewährleisten. Der enge Austausch zwischen unserer Verteidigungsministerin und ihrer französischen Amtskollegin ist deshalb besonders wichtig. Wie wichtig diese Mission auch für den Erfolg der Bemühungen im Bereich der vielfältigen Entwicklungszusammenarbeit ist, wurde bereits ausgeführt. Spätestens seit der gestrigen Debatte um den Entwicklungshilfebericht wissen wir aber, dass es eine Fraktion im Haus gibt, die den afrikanischen Kontinent – ja den ganzen Globalen Süden – am liebsten sich selbst überlassen würde und jegliches Engagement in diesem Bereich ablehnt. Zum Glück ist das aber sowohl hier im Haus als auch in der Gesellschaft nur eine Einzelmeinung. ({5}) Sowohl zum Schutz der Bevölkerung vor Terroristen als auch zur Absicherung der zivilen Maßnahmen müssen wir die mögliche Fortführung unseres Engagements bei MINUSMA sorgfältig abwägen. Aber auch eine eventuelle Beendigung muss sorgfältig abgewogen werden. Bei seriöser Argumentation und Abwägung kann man heute sicher noch keine abschließende Aussage treffen. Im Falle der EU-Trainingsmission fallen die aktuellen Entwicklungen in Mali sicherlich noch deutlich stärker ins Gewicht; denn wenn wir die Sicherheitskräfte eines Landes ausbilden, dann wollen wir auch wissen, welchem Regime sie dienen. Ein demokratisch nicht legitimiertes Militärregime, das zur Durchsetzung seiner Interessen auch bereit ist, auf „Wagner“-Truppen zurückzugreifen, kann nicht allen Ernstes unser Maßstab sein. ({6}) Deswegen muss Machthaber Goïta nun zügig erklären, wie er den Übergang in seinem Land beschleunigen will und mit welchen Partnern er künftig zusammenarbeiten möchte. Wir wissen auch, dass demokratische Prozesse nicht von heute auf morgen zu organisieren sind. Aber das Regime schuldet der internationalen Staatengemeinschaft eine seriöse Zeitschiene. Nur dann ist an eine Fortführung von EUTM Mali mit deutscher Beteiligung überhaupt noch zu denken. Wir sind uns der Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten sehr bewusst. Wir sind uns auch der Verantwortung für die Region sehr bewusst. Und deswegen werden wir in enger Abstimmung mit all unseren internationalen Partnern im dafür vorgesehenen parlamentarischen Prozess die richtigen Entscheidungen treffen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erhält nun der Kollege Armin Schwarz für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Armin Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005218, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die politische Entwicklung in Mali treibt einem große Sorgenfalten auf die Stirn. Wir stehen nicht nur in Mali, sondern in der gesamten Sahelregion vor großen Herausforderungen, und deswegen ein klares Wort in Richtung AfD-Fraktion: Mit einem nicht abgestimmten Abzug deutscher Truppen gefährden wir die Menschen, die Zivilgesellschaft, in Mali, wir gefährden damit die deutsche Glaubwürdigkeit bei internationalen Einsätzen und darüber hinaus die deutschen Truppen und auch die verbündeten Truppen. All das darf nicht sein, und genau deswegen machen wir das nicht unabgestimmt. ({0}) Mit Blick auf das Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde sei Ihnen deshalb Folgendes gesagt: Sie erkennen offensichtlich nicht, dass wir in Mali zwei unterschiedliche Missionen haben. Zum einen – darüber haben wir eben schon gesprochen – ist das EUTM Mali, und ich teile die Bedenken einiger, sei es bezüglich der Effektivität, sei es auch bezüglich des Verhaltens der malischen Regierung. Wenn man genau hinschaut: Die Regierung hat jüngst den französischen Botschafter ausgewiesen, die Regierung lässt 200 dänische Soldaten nicht rein, die Regierung bevorzugt russische Söldnertruppen, „Wagner“-Gruppen. Das sind alles andere als vertrauensbildende Maßnahmen, und deswegen muss man in der Tat darüber nachdenken: Darf man und will man für eine solche Regierung Soldaten ausbilden? ({1}) Der nächste Punkt, den ich Ihnen zurufe: Sie haben offensichtlich nicht verstanden, dass die andere Mission, die wir haben, nämlich MINUSMA, einen wesentlichen Stabilitätsanker für den Norden von Mali darstellt. Machen wir uns nichts vor: Sie ist – und das wurde auch schon gesagt – eine der gefährlichsten UN-Missionen überhaupt. Seit 2013 sind dort über 250 Blauhelmsoldaten zu Tode gekommen. Das ist ganz, ganz schlimm, und ich bedanke mich bei allen Kräften, die wir zur Verfügung stellen. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten dort eine vorzügliche Arbeit, und das muss man immer wieder unterstreichen. ({2}) Grundvoraussetzung für jeden Einsatz ist der Schutz der Soldaten, und Grundvoraussetzung für den Einsatz ist eine bestmögliche Sicherheit für die Soldaten. Wir müssen uns als Deutscher Bundestag da ehrlich machen: Wir brauchen vor Ort Ersatz für die abziehenden französischen Kampfhubschrauber. Wenn beispielsweise eine Patrouille von uns in den Hinterhalt gerät, kann man nur mit einem Kampfhubschrauber schnell und effektiv helfen. Die Koalition muss entscheiden: Bekommen unsere Soldaten ein Mandat mit entsprechenden Kampfhubschraubern? Bekommen sie möglicherweise ein Mandat mit bewaffneten Drohnen? – Ich erinnere: Die SPD hat unseren Soldatinnen und Soldaten den Schutz durch bewaffnete Drohnen in der letzten Legislaturperiode versagt. Oder wir müssen mit den Partnern darüber reden, ob sie anstatt Frankreich diese Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Das ist die Grundvoraussetzung. Wenn das nicht der Fall ist, dann bleibt – sicherlich in einem abgestimmten Verfahren mit den Partnern – nichts anderes übrig, als über die Beendigung des Mandates zu diskutieren. Allerdings sage ich auch: Das hätte fatale Folgen, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Die Verbündeten, die vor Ort an unserer Seite stehen, würden dann vermutlich auch gehen. Es hätte Folgen für die Region, es hätte Folgen für Europa, es hätte Folgen für Deutschland; denn die Destabilisierung der Sahelregion hätte zweifelsohne eine Beschleunigung von terroristischen Entwicklungen zur Folge. Zweifelsohne würde diese wiederum Flüchtlingsströme nach sich ziehen, und darüber hinaus würde sie die Abhängigkeit von Russland verstärken. Es ist im Grunde genommen das Geschäft für Putin. Putin hätte wieder direkten Einfluss auf Migrationsströme – ich will an Syrien und an Belarus erinnern –, und da stellt sich die Frage an die AfD: Wollen Sie das? Ist das tatsächlich im deutschen Interesse? ({3}) Ich will Ihnen sehr deutlich zurufen: Sie haben sich hier im Deutschen Bundestag abermals als verantwortungslos demaskiert. ({4}) Verantwortung für Deutschland wahrzunehmen, heißt, Ausloten von Optionen. Verantwortung für Deutschland wahrzunehmen, heißt, Abstimmung mit den Partnern. Und genau deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt hier einen breiten Konsens zur Mission EUTM. ({0}) Es heißt aber, vor dem Hintergrund des Militärputsches müsse man schwarzsehen, was die Fortsetzung dieser Mission angeht. Ich könnte auch noch darüber sprechen, wie ich Takuba und Barkhane einschätze. Es ist nicht nur schlecht, dass es dort zu weniger Einsätzen kommt; denn viele – wie es so schön heißt – der Kollateralschäden, die es in der Zivilbevölkerung gegeben hat, haben den Stabilisierungsauftrag von MINUSMA vielfach untergraben. Ich glaube aber, das ist nicht das Eigentliche. Das Eigentliche ist: Ich möchte mich mit einer nationalistischen Wahrnehmung auseinandersetzen, die ich hier vielfach angetroffen habe. Da will ich ganz klar entgegenhalten: Krieg beginnt nicht dann, wenn sich Deutsche und Europäer daran beteiligen. Anders als es die Äußerungen von Gregor Gysi gestern nahegelegt haben, haben die Kriege auf dem Balkan nicht 1999 begonnen, sondern sehr viel früher. 1999 hat es bereits zehn Jahre lang Balkankriege gegeben. Das war die Realität. Aber Kriege enden auch nicht, wenn sich Europäer zurückziehen. Dafür ist die Region, über die wir heute sprechen, ein beredtes Beispiel. Eine kluge Kanzlerin und ein kluger Außenminister Guido Westerwelle, unterstützt von der damaligen Opposition, haben damals gesagt: Wir beteiligen uns nicht an dem Krieg in Libyen. Aber was ist passiert, nachdem der Krieg dort beendet war und sich die Alliierten zurückgezogen haben? Das Ergebnis ist gewesen, dass der ganze Raum komplett destabilisiert wurde. Terroristen und Islamisten haben sich an den Waffenvorräten bedient, die Franzosen und Briten, als sie noch Freunde von Gaddafi waren, dorthin geliefert haben, und haben sich überall verbreitet. Das war übrigens der Hintergrund – und nicht der Kolonialismus –, dass die Vereinten Nationen gesagt haben: Wir möchten eine Vereinbarung haben, um dies zu vollenden. – Damit das abgesichert wird, haben die Vereinten Nationen MINUSMA begründet. Das heißt, wir werden sehr genau zu beurteilen haben, ob wir, wenn MINUSMA beendet wird, nicht wieder solchen Raum für Krieg eröffnen. Das werden wir sehr ernsthaft zu prüfen haben. ({1}) Dann möchte ich ein weiteres Missverständnis klären. Wir reden hier immer von den Einsätzen der Bundeswehr. Aber nicht jeder Einsatz ist wie der andere. Es gibt zum Beispiel einen Unterschied zwischen einem offen völkerrechtswidrigen Krieg wie dem der Türkei in Syrien, ({2}) dem Krieg der USA gegen den Irak und solchen Stabilisierungsmissionen, die von dem dafür von der Weltgemeinschaft vorgesehenen UN-Sicherheitsrat mandatiert wurden. Das hat auch nichts mit Kolonialismus zu tun. Bei MINUSMA stellen Tunesier, Menschen aus anderen afrikanischen Staaten und Indonesier sogar die Mehrheit im Vergleich zu den Europäern. Die Aufgabe dieses Einsatzes ist es, eine politische Vereinbarung abzusichern und ihre Einhaltung zu überwachen. Das dortige Engagement ist nicht schrecklich; wir fürchten es nicht. Was wir jedoch fürchten, ist, dass dieser Stabilisierungsansatz durch die Regierung der Putschisten so untergraben wird, dass es nicht mehr möglich ist, die Aufgabe zu erfüllen. ({3}) Dann komme ich zum Letzten. Da ich von Nationalismus gesprochen habe, liebe Linke und Rechte, und da wir uns hier nicht im Bereich der Unilateralität befinden: Unilaterale Abzüge sind auch unilateral. Nicht nur unilaterale Kriege sind unilateral. Wir werden entsprechende Diskussionen im Rahmen der Vereinten Nationen gemeinsam zu führen haben. Der Zeitpunkt wird sein, wenn das Mandat Ende Mai/Anfang Juni ausläuft. ({4}) Wir werden mit den anderen Partnern in den Vereinten Nationen – diese Weltgemeinschaft stellt eine regelbasierte Weltordnung dar – die Entscheidung treffen, ob wir MINUSMA fortsetzen und, wenn ja, in welchem Umfang und mit welchen Fähigkeiten. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal eine Bemerkung, die in der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages begründet ist: 85 Prozent der AfD-Fraktion sind offensichtlich bereits im Wochenende und haben uns am Ende eine Aktuelle Stunde gegönnt. ({0}) Ich kommen nun gerne auf das eigentliche Thema zu sprechen. Es ist gut und richtig, dass wir über unser Engagement in Mali sprechen; denn in letzter Zeit haben sich bereits einige Rahmenbedingungen für unser Engagement geändert, und gestern wurden nun noch weitere Änderungen für die nahe Zukunft angekündigt. Es ist selbstverständlich, dass wir darüber nachdenken, wie wir nun auf diese Änderungen reagieren wollen. Aber was wir hier von der AfD und von den Linken hören, ist keine Reaktion auf die neue Situation. Die üblichen Verdächtigen in gewohnter Verbundenheit waren ja schon vorher gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Mission MINUSMA und der EU-Mission EUTM Mali und werden das auch zukünftig sein. ({1}) Gerade Sie, der vorhin gesprochen hat wie jemand, der direkt in Moskau geschult wurde, ({2}) erzählen uns jetzt, wie die Sache funktioniert. Fürchterlich, Herr Kollege! ({3}) Das war ja noch schlimmer als der Beitrag von der AfD. Und das muss man erst mal hinbekommen. ({4}) Für Sie ist jedoch jede Gelegenheit nur ein willkommener Anlass, uns immer wieder die gleiche Leier zu predigen. Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden wir uns ja kaum bzw. nie an irgendeiner Friedensmission der Vereinten Nationen irgendwo auf der Welt beteiligen. ({5}) In der Mitte dieses Hohen Hauses hingegen haben wir eine weitaus verantwortungsvollere Einstellung zur Außenpolitik. Wir haben den Mali-Mandaten bisher aus guten Gründen zugestimmt, die jetzt nicht plötzlich alle hinfällig sind. Die Ziele, die wir mit unserem Engagement verfolgen, sind weiter gegeben. Wir wollen verhindern, dass der islamistische Terrorismus in Mali und der gesamten Sahelregion erstarkt. Und bei aller Liebe, wohin führt denn Terrorismus in der Regel? Zu Flucht, Vertreibung und Not für die Zivilgesellschaft. ({6}) Und wohin führen Flucht und Vertreibung? Das kann doch niemand wirklich wollen. Wir wollen die Zivilbevölkerung vor Ort genauso schützen und stabilisieren und ihr stabile Verhältnisse geben. Dass das bei zwei Putschen nicht gegeben ist, ist uns allen doch klar. Deswegen ist ja gerade im Moment die Ausbildungsmission ausgesetzt, was malische Sicherheitskräfte betrifft. Aber in dieser Mission ist etwas anderes eingebettet, was wir als Opposition in der vergangenen Legislaturperiode angestrengt haben und was der damalige Wehrbeauftragte Bartels gefordert hat: die Mission Gazelle im Niger. Was ist der derzeitige Ankerpunkt in der gesamten Sahelregion? Der Niger. Was heißt das für uns? Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit diesen Kräften, die weiterhin demokratisch verfasst sind, unsere G‑5-Sahelstrategie in Zukunft fortführen können. Das ist uns allen doch offensichtlich klar. Zumindest den Außenpolitikern sollte es klar sein, und alle anderen müssen in Zukunft auch über diesen Punkt nachdenken. – Will keiner klatschen? ({7}) Das ist in Ordnung. Aber ich glaube, ich habe recht. Selbst Jürgen Trittin nickt. ({8}) Unsere Forderungen sind ja dieses Jahr auch durch ECOWAS vor Ort entsprechend unterstützt worden. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft hat Mali aufgrund der beiden Putsche sehr starke Sanktionen aufgedrückt. Und dann kam erst die Reaktion von Mali gegenüber Frankreich und Dänemark; das wurde schon vorgetragen. Aber die französischen Truppen fliegen ja nicht schon morgen nach Hause, sondern das wird noch eine Zeit lang dauern. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir im Austausch sind. Nach meinem Kenntnisstand sind sowohl unser Auswärtiges Amt als auch unser Verteidigungsministerium, in guter partnerschaftlicher Verbundenheit mit Frankreich, bereits dabei, darüber zu reden, wie es in der Region weitergeht. Denn Mali ist nicht alles: Es geht nämlich um alle fünf Sahelstaaten. Für uns hier in Deutschland ist diese Region in Afrika extrem wichtig, weil sie nämlich eine der instabilsten Regionen auf der Welt ist. ({9}) Die Probleme Afrikas sind und bleiben auch die Probleme Europas und damit auch die Probleme der beiden zentralen Staaten der Europäischen Union, nämlich der Bundesrepublik Deutschland und der „großen Nation“ Frankreich. ({10}) Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, wir sind mit unseren internationalen Partnern in engem Austausch, um die notwendigen Anpassungen unseres Engagements in Mali und der Sahelregion vorzunehmen, damit diese Einsätze zielführend fortgesetzt werden können; denn es gilt ja, zu verhindern, dass der Sahel zum Rückzugsort für den islamistischen Terrorismus wird. Deswegen werden wir daran denken. Für uns als Freie Demokraten ist ganz wichtig, dass unsere Soldaten in sichere Mandate gehen. Dass gerade dieses Mandat das schwierigste ist, haben wir heute schon gehört. Wir werden alles dafür tun, dass unsere Soldaten dort unten mit der entsprechenden Unterstützung auch dieses Hauses vielleicht ihren Einsatz fortsetzen können. Aber das können wir heute, an diesem Tag, noch nicht abschließend festlegen. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Marja-Liisa Völlers das Wort. ({0})

Marja Liisa Völlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Meine Kolleginnen und Kollegen! Unser heutiges Thema zeigt: Der Einsatz unserer Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten im Rahmen der Mandate MINUSMA und EUTM Mali beschäftigt uns – zumindest weite Teile des Hauses, die hier auch heute noch in guter Stärke vertreten sind – sehr. Ich möchte zuallererst eine Sache betonen: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten seit mehreren Jahren ihren Dienst in dieser Region. Gerade der Einsatz im Rahmen von MINUSMA – einige Kollegen haben das bereits angesprochen – ist einer der gefährlichsten Einsätze der Bundeswehr überhaupt. Die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten, die sich dieser Gefahr aussetzen, liegt uns allen hier sehr am Herzen und ist auch ein sehr großes Anliegen unserer neuen Ampelkoalition. ({0}) Ich selbst habe noch in der alten Regierung im Oktober 2019 die damalige Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf ihrer Reise nach Mali und in den Niger begleiten können. Selten hat mich eine Reise so bewegt. Ich habe vor Ort die Arbeitsbedingungen und den Einsatz der Bundeswehrkräfte mit eigenen Augen erfahren können, dort auch einige Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten geführt. Ich habe großen Respekt vor allen, die sich in der Region, sei es militärisch oder auch zivil – wir haben viele zivile Kräfte in der Region, die sich dort im Einsatz befunden haben oder nach wie vor befinden –, für die dortige Stabilität, für die Sicherheit der Zivilbevölkerung einsetzen. ({1}) Lassen Sie mich ergänzen: Dort waren auch immer wieder Einsatzkräfte aus meiner Heimat, aus meinem Wahlkreis stationiert, nämlich aus Nienburg, aus Bückeburg und auch aus Achum. Einige von ihnen kenne ich persönlich, ich bin mit ihnen befreundet. Ihnen allen und ihren Familien sollte heute noch einmal unser besonders großer Dank gelten, für das Opfer, das sie für die Menschen in Afrika bringen, aber auch für unsere Bundesrepublik. Vielen Dank! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat sich in den letzten Wochen leider deutlich gezeigt, dass die malische Putschregierung nicht an einem demokratischen Wandel interessiert ist und sich auch die Haltung gegenüber den internationalen Truppen verschlechtert hat; man kann fast sagen, dass sie in Teilen sogar ein bisschen feindselig geworden ist. Gerade Frankreich hat sich aufgrund dieser Entwicklung schnell für einen Abzug seiner Einsatzkräfte entschieden – aber natürlich nicht von heute auf morgen, wie es von der Linken eben ein bisschen angedeutet wurde. Wir teilen die Bedenken und die Sorgen Frankreichs und sind uns auch darüber einig, dass diese Entwicklung nicht ohne Konsequenzen für den Einsatz Deutschlands in Mali und der gesamten Region bleiben wird; meine Vorrednerinnen und Vorredner haben das bereits ja sehr detailliert ausgeführt. Dennoch: Angesichts der aktuellen Entwicklung bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit den Mandaten und unserem Einsatz in Mali. Bei einer Bewertung müssen wir zwei Punkte voneinander trennen und stärker beachten. Erstens. Wir müssen den Abzug Frankreichs aus Mali mitdenken. Dieser sollte und muss durch die internationale Gemeinschaft kompensiert werden, was durchaus eine kleine Herausforderung sein wird; das möchte ich hier nicht verhehlen. Aber ich bin hoffnungsfroh, dass uns allen das gemeinsam gelingen wird. Zweitens. Wir müssen zwischen dem EU-Mandat EUTM Mali und dem UN-Mandat MINUSMA unterscheiden. Eine Ausbildung von malischen Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der EUTM Mali muss und wird unter den aktuellen Umständen kritisch untersucht werden. Etwas anders stellt sich die Sachlage allerdings bei der UN-geführten Mission MINUSMA zur Sicherung des Friedensabkommens von Algier dar. Das Hauptziel dieses Mandates ist eben die Stabilisierung des Landes in der Sahelregion. Unsere Aufgabe wird es nun sein, mithilfe der Bundeswehr und an der Seite unserer europäischen und internationalen Partner in der Region Verantwortung zu übernehmen und insbesondere die malische Zivilbevölkerung zu unterstützen. Gerade für eben jene Zivilbevölkerung ist MINUSMA wichtig; denn durch diese Mission wird auch der Zugang zu humanitärer Hilfe sichergestellt. Dieser Beitrag hat gerade in den letzten Jahren – es wurde ja schon angedeutet, das alles hätte ja gar nichts gebracht – etwas für die Zivilbevölkerung gebracht. Wir haben Frauen, wir haben Kinder schützen können. Ich glaube, das ist etwas, was uns allen ein humanitäres Anliegen sein sollte. ({3}) Abschließend möchte ich noch mal Folgendes betonen: Wenn wir die Fortführung dieses Einsatzes in Mali in den kommenden Wochen und Monaten hier im Bundestag diskutieren werden – und am Ende ist es eben auch eine Parlamentsentscheidung, ob und wie wir dort weitermachen –, dann muss uns allen aber auch klar sein, dass wir eine Verantwortung für unsere Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten haben. Diese war für mich als SPD-Parlamentarierin immer von höchster Priorität und wird das auch in Zukunft sein. Da ich noch ein paar Sekunden Redezeit über habe, möchte ich noch mal einen Hinweis an die Kollegen von der Linken geben: Sie stellen es jetzt so dar, als würde die Regierung sich nicht darum kümmern. Das stimmt nicht. Da reicht ein kleiner Blick in das Reisetagebuch des Auswärtigen Amtes oder des Verteidigungsministeriums – Kollegen haben es schon erläutert –: Staatssekretärin Möller war im Dezember letzten Jahres kurz nach der Regierungsübernahme in Mali und hat dort gesprochen, ({4}) Frau Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, war erst kürzlich dort. Ich weiß gar nicht, wo Sie hier immer die Rechtfertigung hernehmen, Dinge in Abrede zu stellen. ({5}) Und dass die AfD jetzt hier noch mit so knapp zehn Leuten sitzt, das hat der Kollege Lechte eben schon angeführt. Ich glaube, die Demokratinnen und Demokraten in diesem Hause werden sich gut um den Einsatz in Mali kümmern. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ampelkoalition kann jetzt nichts für die Situation in Mali. ({0}) Aber sie muss sich eine Meinung dazu bilden, und sie muss sich schnellstmöglich eine Meinung dazu bilden; denn wir können jetzt nicht sagen: Wir tun nichts, solange die Mandate noch laufen. Die Frage, wie wir in Mali weiter verfahren, steht jetzt an. Jede Verzögerung führt zu einer weiteren Verunsicherung sowohl bei der malischen Zivilbevölkerung, die Sie ja in Ihren Reden hervorgehoben haben, als auch bei unseren Partnern sowie bei unseren Soldatinnen und Soldaten, die diesen Einsatz für uns ausführen. Jetzt habe ich die ganze Sitzungswoche gewartet, wie sich die Ampel denn positioniert. Jetzt erkenne ich eine Tendenz in diesen Debatten, nämlich dass wir EUTM Mali beenden und MINUSMA fortführen. ({1}) Das kann man so machen. Aber Sie haben in Ihren ganzen Beiträgen nicht die Frage gestellt, was denn passiert, wenn wir die Ausbildung der malischen Streitkräfte beenden. Wer füllt diese Lücke? Sie wissen es natürlich: Wenn wir nicht weiter an der Ausbildung der Malier arbeiten, wird sofort Russland in dieses Vakuum stoßen. Die Frage ist: Wollen wir den Russen diesen Erfolg gönnen? Jetzt sagen Sie, wir müssen auf die malische Zivilbevölkerung hören; das haben wir gerade von der Kollegin von der SPD und auch von den Grünen gehört. Wir haben aber die schwierige Situation, dass die malische Zivilbevölkerung sehr große Sympathien für diese Putschregierung hat. ({2}) – Aber in großen Teilen. Es ist natürlich so: Wenn wir jetzt rausgehen und den Russen den Raum lassen, mit der jetzigen malischen Putschregierung zu kooperieren, dann stärken wir genau das Narrativ, dass am Ende, als es schwierig geworden ist, die Russen zu ihnen gestanden haben und die Europäer sie verraten haben. Eine schwierige Frage; Sie haben sie nicht beantwortet. Dann war die Aussage: Wir bleiben bei MINUSMA. – Ja, das tun wir. Aber Sie haben die Frage nicht beantwortet, wer dann bei MINUSMA den Schutz der Soldatinnen und Soldaten sicherstellt. ({3}) Das war eine ganz wichtige Funktion der Franzosen, dass sie diese Schutzkomponenten zur Verfügung gestellt haben, sodass wir uns auf vergleichsweise ungefährlichere Tätigkeiten wie zum Beispiel Aufklärung konzentrieren konnten. Wenn Sie sagen: „Wir bleiben bei MINUSMA“: Sind Sie dann bereit, die Bundeswehr mit den notwendigen Fähigkeiten, dem notwendigen Material und vor allem mit dem notwendigen Mandat auszustatten, damit sie ihre Sicherheit und übrigens auch die aller zivilen Mitarbeiter in Mali gewährleisten kann? Auf diese Frage habe ich heute von Ihnen keine Antwort gehört. ({4}) Nächster Punkt. Wer führt denn nach dem Abzug Frankreichs den Antiterrorkampf? Wissen Sie, worüber sich die malische Regierung und Frankreich überworfen haben? Das Problem war, dass die französische Regierung ihren Antiterrorkampf im Wesentlichen auf die Dschihadisten vom „Islamischen Staat“ im Bereich von Niger und im Grenzgebiet zu Burkina Faso konzentriert hat und die Malier gefordert haben, dass sie stärker gegen al-Qaida im Zentrum vorgeht. Erst nachdem sich die Franzosen aus innenpolitischen Gründen – der IS war ja für die Anschläge in Paris verantwortlich – eher auf den genannten Bereich konzentriert hatten und dem Wunsch der Malier nicht nachgekommen waren, im Zentrum aktiv zu werden, hat sich ein Raum für die Russen eröffnet, die dann wiederum gemeinsam mit der malischen Putschregierung Operationen durchgeführt haben. Jetzt sagt Herr Trittin: Der Antiterrorkampf führt zu Kollateralschäden ({5}) – kann zu Kollateralschäden führen – und damit zum Unterlaufen der Mission. – Das kann sein. Richtig ist aber auch, dass wir 2012 – da hatten wir schon mal die Debatte darüber, wie es in Mali weitergeht – am Ende froh waren, dass die Franzosen im Antiterrorkampf nach Mali gegangen sind und damals einen weiteren Vormarsch der islamistischen Terroristen verhindert haben. Wenn die Franzosen damals nicht – das Wort sage ich bewusst – mit Gewalt eingestiegen wären, dann wäre das Land vollkommen in die Hände der Terroristen gefallen. Jetzt ist die Frage, ob ein solches Mandat ohne die Komponente des Antiterrorkampfes überhaupt sinnvoll und erfolgreich sein kann. Die Frage mussten wir uns bisher nicht stellen, weil die Franzosen diese Aufgabe mit übernommen haben. Aber jetzt steht sie auf der Tagesordnung. Wir können jetzt nicht bis zum Sommer warten, wenn unsere Mandate auslaufen. Wir müssen diese Frage jetzt beantworten. Darum bitte ich die Ampel. Das ist jetzt Ihre Verantwortung. ({6}) Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. März 2022, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. (Schluss: 16.33 Uhr)