Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle verfolgen die Situation der Ukraine und die Lage dort. Die Bundesregierung setzt auf Deeskalation, auf Entspannung, auf Frieden; das Mittel ist die Diplomatie. Dennoch darf sich niemand einer Fehlannahme hingeben: Auf die Verletzung politischer, rechtlicher oder territorialer Grenzen würde Deutschland gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern mit eiserner Konsequenz reagieren.
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Wir haben als Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit die Ukraine unterstützt. Wir sind der größte Geber der Ukraine. Wir sind dabei – das habe ich mit der ukrainischen Wirtschaftsministerin am vergangenen Freitag bei ihrem Besuch in Berlin verabredet –, 150 Millionen Euro an ungebundenem Finanzkredit zu mobilisieren. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Kiew ergänzt, dass weitere 150 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Die G-7-Staaten haben unter deutscher Präsidentschaft zudem an diesem Montag ein Kommuniqué veröffentlicht. Wir haben klargemacht, dass wir auf eine Aggression Russlands gemeinsam, auch als Finanzminister, reagieren würden und dass wir im Falle einer Krise die Zugänge der Ukraine zu den Finanzmärkten garantieren würden.
Was immer Wladimir Putin beabsichtigt, eines ist ihm bereits gelungen: Die Europäische Union und das Transatlantische Bündnis stehen zusammen und haben neue Handlungsfähigkeit gewonnen.
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Eine zweite Bemerkung: Das Bundeskabinett hat heute das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz beschlossen. Es wird dem Bundesrat jetzt zugeleitet. Es umfasst die Verlängerung der Homeoffice-Pauschale, die Steuerfreiheit des Pflegebonus, die Verlängerung und Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags und die Verlängerung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter um ein Jahr für das Jahr 2022. Das ist eine starke Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger und für die Betriebe. Es ist ein Beitrag dazu, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu lindern.
Klar ist aber auch: Jede Form von Stillstand des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in unserem Land richtet sozialen und ökonomischen Schaden an. Deshalb ist es richtig, dass – auch auf Veranlassung der Bundesregierung – die Konferenz des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und ‑chefs der Länder heute über eine Öffnungsperspektive spricht. Mehr noch: Das ist nicht nur sozial und ökonomisch richtig, es ist ein Gebot unserer Verfassung, dass Freiheitseinschränkungen nur so lange und so weit bestehen, wie sie wirklich erforderlich sind.
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Zum Dritten: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle beobachten die Preisentwicklung, die Inflation. Das ist eine soziale Frage, die bei Menschen mit einem geringen Einkommen über einen gefüllten oder leeren Kühlschrank am Monatsende entscheidet. Geldwertstabilität ist auch ein zentraler Faktor einer guten wirtschaftlichen Entwicklung in der Marktwirtschaft insgesamt, weil sie Investitionssicherheit verspricht.
In einer mittelfristigen Perspektive müssen wir deshalb in Deutschland und Europa zu Fiskalregeln – in unserem nationalen Kontext also zur Schuldenbremse – zurückkehren. Die Reduzierung der Staatsschuldenquote in Europa in den nächsten Jahren ist eine wichtige Voraussetzung dafür, unserer Notenbank die Handlungsfähigkeit zu erhalten.
In kurzfristiger Hinsicht wird die Bundesregierung aber ebenfalls Maßnahmen ergreifen, um die Bürgerinnen und Bürger und die Betriebe zu entlasten. Wir bereiten innerhalb der Bundesregierung zum Beispiel die Abschaffung der EEG-Umlage bereits in diesem Jahr zur Jahresmitte vor.
Die klare Botschaft ist: Wir setzen makroökonomisch die richtigen Schwerpunkte, um die langfristige Preisstabilität zu sichern, und wir sind kurzfristig in diesem Jahr bereit, Abhilfe zu schaffen. Wir werden die Bürgerinnen und Bürger mit steigenden Preisen nicht alleinlassen.
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Vielen Dank. – Wir beginnen jetzt die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen des Bundesministers und zum Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit allgemeinen Fragen.
Das Wort hat zuerst aus der CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Florian Oßner.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind als FDP-Parteivorsitzender und jetzt als Bundesfinanzminister mit dem Versprechen angetreten, die Steuern und Abgaben für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu senken, aber – Sie haben es bereits angesprochen – höhere CO2-Preise, eine extrem hohe Inflation, höhere Energiepreise und jetzt auch noch die kalte Progression wirken wie knallharte Steuererhöhungen. Wie möchten Sie dem entgegenwirken, und sind Sie davon überzeugt, dass Ihre jetzt angekündigten Maßnahmen am Ende in der Tat dazu führen, dass mehr Geld in der Geldbörse der Bundesbürger verbleibt?
Sehr geehrter Herr Kollege Oßner, vielen Dank für Ihre Frage. – In der Tat hat die gegenwärtige inflationäre Entwicklung auch Einfluss auf die Steuerlast der Bürgerinnen und Bürger. Die frühere Bundesregierung hat die Inflationsentwicklung für dieses Jahr 2022 deutlich unterschätzt. Deshalb ist unser Steuertarif durch die frühere Bundesregierung nicht an die aktuelle Preisentwicklung angepasst worden.
Wir werden in diesem Jahr im Zuge des turnusgemäßen Progressionsberichts Vorschläge unterbreiten, sowohl für den Grundfreibetrag als auch für den Tarifverlauf 2023 und 2024. Die kalte Progression wird, was die Preissteigerung und ihre Auswirkung im Steuerrecht angeht, idealerweise bekämpft durch eine Veränderung am Steuertarif; das ist das Mittel der Wahl, und hier wird die Bundesregierung einen fairen Vorschlag machen.
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Herr Oßner, haben Sie eine Nachfrage?
Ja, ich würde gerne eine Nachfrage stellen; vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie dies zulassen. – Ein weiterer Punkt zur Thematik der Inflation ist auch die grüne Inflation, wie Sie teilweise ausgeführt haben. Für uns stellt sich die Frage: Wenn die Ampelkoalition die Klimaschutzverpflichtungen und den Klimaschutz, den sie immer wieder propagiert, wirklich ernst nimmt, dann muss sie am Ende die Preise für fossile Energien nochmals drastisch erhöhen, um zu den gewünschten Verhaltensänderungen zu kommen. Können wir deshalb davon ausgehen, dass wir in Zukunft mit einer noch höheren CO2-Abgabe zu rechnen haben – also noch wesentlich höher als nach den Vorschlägen der alten Bundesregierung –, um diese Ziele zu erreichen?
Sehr geehrter Herr Kollege Oßner, die frühere Bundesregierung hat ein Klimagesetz eingeführt und dabei auch einen hohen CO2-Preis festgelegt. Wirtschaftswissenschaftler haben bereits erkannt, dass auch davon ein inflationärer Effekt ausgehen wird.
Die Bundesregierung beabsichtigt in dieser Legislaturperiode die Einführung eines Klimageldes. Wir wollen also die Einnahmen, die dem Staat aus der Bepreisung von CO2 zusätzlich zuwachsen, an die Bürgerinnen und Bürger individuell zurückerstatten. Das ist ein Beitrag dazu, dass Marktkräfte bei der Transformation wirken können, ohne dass es zu einer individuellen Überforderungssituation bei den Bürgerinnen und Bürgern kommt.
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Gibt es weitere Nachfragen zu diesem Thema? – Eine Nachfrage haben wir oben aus der AfD-Fraktion. Bitte, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Bundesumweltministerin Lemke hat eine Anfrage der Kollegin aus der Linksfraktion schriftlich dahin gehend beantwortet, dass die Bundesregierung beabsichtigt, bei der Höhe der Preise für Entlastung zu sorgen, also den durch die Steuern und Abgaben getriebenen Preisanstieg zu bekämpfen und nicht die Mehreinnahmen nachher wieder sozial an die Bürger auszuschütten.
Die Frage ist deswegen: Ist die schriftliche Antwort des Bundesministeriums für Umwelt auf die Frage der Kollegin der Linksfraktion irrig, dass die Bundesregierung den von Steuern und Abgaben getriebenen Preisanstieg bekämpfen will? Oder soll es nach dem Willen der Bundesregierung so sein, wie Sie es gerade dargelegt haben: dass Sie das Geld nach wie vor komplett einnehmen, der Preissteigerung nicht entgegenwirken und dann etwas sozial zurückgeben? Welche Lösung soll es denn bitte sein?
Sehr geehrter Herr Kollege, wenn ich Ihre Frage richtig interpretiere, dann ist die Antwort erstens, dass auf die allgemeine Preisentwicklung über eine Anpassung des Grundfreibetrags, des Steuertarifs und des Regelsatzes der Grundsicherung geantwortet wird. Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung die Einführung eines Klimageldes, um die Einnahmen aus der Bepreisung von CO2 an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben. Und zum Dritten, wie eben ausgeführt, soll die EEG-Umlage bereits in diesem Jahr vollständig entfallen. Das entlastet – von der Rentnerin über den BAföG-Bezieher und die Familie bis hin zum Handwerk – die breite Mitte unseres Landes.
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Es gibt eine weitere Nachfrage, nämlich aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, ich möchte Sie fragen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass der Begriff „grüne Inflation“ eigentlich irreführend ist, weil wir es derzeit mit einer fossilen Inflation zu tun haben? Die derzeitige Inflation ist – so auch die Zahlen der EZB – zur Hälfte getrieben durch importierte Erhöhungen der Energiepreise der fossilen Energien, also speziell Öl und Gas; sie ist auch getrieben durch die aktuelle globale Krisensituation, aber ansonsten auch nachholend beim Öl. Deswegen adressieren wir doch auch als Bundesregierung, soweit ich informiert bin, speziell diese Thematik der fossilen Inflation.
Sehr geehrte, liebe Frau Kollegin, ich will mich jetzt an interpretatorischen Debatten und an der politischen Nutzung bestimmter Begriffe nicht beteiligen. Richtig ist jedenfalls, dass wir aufgrund der aktuellen Situation an den Energiemärkten, aufgrund von Lieferkettenproblemen innerhalb Europas eine Preissteigerung sehen. Wir wissen auch, dass die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität sehr hohe Finanzmittel, sehr hohe Investitionen erfordert. Diese Investitionen werden von Bürgerinnen und Bürgern, von Betrieben und auch vom Staat zu tragen sein. Dafür werden wir gemeinsame Lösungen finden, die dafür Sorge tragen, dass wir auf der einen Seite die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht gefährden, sondern durch die Transformation stärken, und auf der anderen Seite den Menschen ein Leben in Freiheit ermöglichen, in dem sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können, ohne durch finanzielle Belastungen zu stark eingeschränkt zu werden.
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Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Fragen zu diesem Thema.
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– Okay, dann haben Sie das Wort aus der AfD-Fraktion.
Frau Präsidentin, es ist sehr freundlich, dass Sie die Frage noch zulassen. – Ich möchte mich auch nicht der interpretatorischen Definitionen des Begriffes „Inflation“ befleißigen, allerdings doch darauf verweisen, dass die Geldmenge M3 in der Eurozone gerade erheblich steigt. Das ist, wie Sie wissen, eine Politik der EZB, die letztendlich dazu dient, die Schulden der Länder zu finanzieren, die ihre Schuldenregeln seit langer Zeit nicht eingehalten haben: Italien, Frankreich usw.
Wir hatten 2019 noch eine Geldmenge von 12,9 Billionen Euro, 2020 schon von 14,46 Billionen Euro und Ende 2021 von 15,5 Billionen Euro, Tendenz steigend. Was sagen Sie denn auf europäischer Ebene – Sie gerieren sich ja als EU-Freunde – genau zu dieser Thematik? Sie wissen, dass die Gleichung zutrifft: Geldmenge ist gleich Preisniveau, und wenn die Geldmenge steigt, dann steigt das Preisniveau; das ist eine volkswirtschaftliche Binsenweisheit, die ja eigentlich jeder kennt, der in diesem Segment unterwegs ist. Was sagen Sie zu diesem fundamentalen Kernproblem der Geldmengenexplosion, die unsere Leute in Deutschland letztendlich arm macht?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, der Bundesfinanzminister kommentiert Entscheidungen der europäischen Notenbank nicht im Einzelnen und gibt ihr auch keine Ratschläge; denn es gehört zu unserem Institutionengefüge, dass die Notenbank unabhängig ist und keine politischen Weisungen entgegennimmt. Das ist ja auch insbesondere der Bundesrepublik Deutschland in ihrer stabilitätspolitischen Tradition immer wichtig gewesen.
Ich nehme allerdings wahr, dass die EZB angekündigt hat, das Pandemic Emergency Purchase Programme in diesem Jahr einzustellen, und dass auf Dauer auch das Asset Purchase Programme angepasst wird. Der Chef der niederländischen Notenbank hat zudem einen Zinsschritt in Höhe von 25 Basispunkten in Aussicht gestellt.
Der Beitrag der Regierungen ist, die Schuldenstandsquote zu reduzieren. Konkret ist das Ziel dieser Bundesregierung, bereits zu Anfang der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts die Maastricht-Kriterien von 60 Prozent Gesamtschuldenstand wieder einzuhalten und in Europa dazu beizutragen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt einen klaren, verbindlichen Schuldenabbaupfad vorsieht.
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Nächste Fragestellerin – noch zum gleichen Thema – ist aus der Fraktion Die Linke Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie sprachen über die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings war mir das, ehrlich gesagt, nicht konkret genug. Ich kann auch begründen, warum ich das genauer wissen will: Nach Angaben zum Beispiel von Eurostat hatten 15,5 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland im Jahr 2020 nicht ausreichend Geld, um ihre Wohnungen so zu heizen, dass sie nicht frieren müssen. Aber nicht nur Alleinerziehende haben nicht ausreichend Geld, um die Energiekosten zu tragen. Darum würde ich gerne wissen, wie Sie sich konkret vorstellen, diese Menschen zu entlasten: ob Sie aus den zusätzlichen Steuermehreinnahmen etwas zurückgeben wollen und, wenn ja, wie und an welche Personengruppen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung hat ja sehr frühzeitig Initiativen ergriffen, den Wohngeldempfängerinnen und ‑empfängern, BAföG-Beziehern und anderen Gruppen einen Heizkostenzuschuss zur Verfügung zu stellen. Es ist jetzt mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz noch Weiteres mit auf den Weg gebracht worden.
Zudem haben wir einen gesetzlichen Auftrag, den Regelsatz der Grundsicherung anzupassen, und auch einen Progressionsbericht wird es im Laufe dieses Jahres geben. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ist zudem vorgesehen, zu einer neuen Kindergrundsicherung zu finden, die ebenfalls bedürftige Familien gezielt unterstützt. Es ist beabsichtigt, bereits im Haushaltsjahr 2022 im Vorgriff auf diese Kindergrundsicherung eine Maßnahme zu etatisieren.
Vielen Dank. – Jetzt lasse ich noch eine Nachfrage zu, aus der AfD-Fraktion der Kollege Gottschalk, und dann würde ich zur nächsten Fragestellung übergehen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundesminister Lindner, immerhin: In Ihrem Bericht eben waren noch Rudimente von dem Lindner, den ich durchaus mal geschätzt habe, als er in der Opposition war, vorhanden. Sie sprachen davon, das Problem der kalten Progression erkannt zu haben.
Nun will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Auf Drucksache 19/7697 wurde ein Antrag mit dem Titel „Chancentarif statt Belastungstarif – Abschmelzen des Mittelstandsbauches“ vorgelegt. Ich helfe Ihnen da noch mal auf die Sprünge: Es geht um die kalte Progression. Auch dort ist es der Tarif auf Rädern, den Sie in diesem Antrag sogar von der AfD-Fraktion kopiert haben, weil Sie dem nicht beispringen wollten.
Nun ist meine Frage: Wie sieht Ihre konkrete Antwort aus? Morgen wird die AfD-Fraktion exakt den Antrag, den Sie auch eingebracht haben, entsprechend ins Plenum einbringen. Und wird die Lösung sein, die kalte Progression mittels des Tarifs auf Rädern zu stoppen? Wie sehen da Ihre Ideen aus?
Sehr geehrter Herr Kollege, es ist eine beklagenswerte Realität, aber auch ich muss sie anerkennen: Die FDP hat bei der Bundestagswahl die absolute Mehrheit verfehlt.
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Aus diesem Grund muss in der Mitte des Hauses ein Kompromiss gefunden werden, um eine gesetzesändernde Mehrheit zu erreichen. Und deshalb ist vermutlich keine Fraktion hier in der Lage, ihre Ideen exklusiv und eins zu eins in Gesetzesbeschlüsse zu übersetzen. Das betrifft auch den von Ihnen genannten Antrag der Fraktion der Freien Demokraten aus der letzten Legislaturperiode.
Konkret wird es, wie seit 2012 vorgesehen, in diesem Jahr einen Progressionsbericht geben. Auf diesen Progressionsbericht wird die Bundesregierung reagieren und dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.
Was speziell die Indexierung im Sinne eines Tarifs auf Rädern angeht, so ist mir das Anliegen prinzipiell sympathisch. In der konkreten inflationären Situation, in der wir sind, könnte eine Indexierung von Sozialleistungen, Tarifen und anderem allerdings zusätzliche Effekte auf die Inflationssteigerung haben. Bei diesem Instrument mahne ich also zur Vorsicht, ganz abgesehen davon, dass Sie als frei gewählter Abgeordneter immer kritisch sein sollten, wenn Dinge, die haushaltswirksam sind, sich automatisch vollziehen, ohne dass Sie mitentscheiden.
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Ich gehe jetzt zur nächsten Fragestellerin über: aus der SPD-Fraktion Bettina Hagedorn.
Herr Minister, ein kleiner Themenwechsel: Sie sind ja zuständig für ein großes Portfolio, und ich denke, nicht nur ich und die SPD-Fraktion, sondern der Haushaltsausschuss und der Bundestag insgesamt sind schon ganz gespannt auf den 9. März, wenn Sie den Regierungsentwurf für den Haushalt 2022 und den Finanzplan bis 2026 der Öffentlichkeit vorstellen werden.
Um unsere Neugierde ein bisschen zu zügeln, wäre es schön, wenn Sie vielleicht darstellen könnten, wie Ihre Schwerpunkte in Umsetzung des Koalitionsvertrages mit Blick auf Haushalt und Finanzplan sein werden. Einerseits geht es darum, die schon sehr hohen Investitionen der letzten Jahre möglicherweise nochmals zu steigern mit den Schwerpunkten Klimaschutz und Transformation, aber auch die soziale Sicherung zu stärken, Stichwort „Rente“, „Grundsicherung“; die Kindergrundsicherung haben Sie schon selbst genannt. Andererseits gilt es das, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben, zu beachten, nämlich dass wir ab 2023 wieder zu einer soliden Haushaltsführung zurückfinden. – Danke schön.
Sehr verehrte, liebe Frau Kollegin Hagedorn, das Bundeskabinett vibriert vor Gestaltungsehrgeiz.
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Es gibt eine große Ungeduld, jetzt alles umsetzen zu wollen. Leider sind die haushalterischen Spielräume in diesem Jahr 2022 so begrenzt, dass nicht alles, was wünschbar ist und was sofort umgesetzt werden sollte, auch direkt realisierbar ist. Deshalb wird es bis zum 9. März noch sehr kollegiale Gespräche geben, auch auf der Chefebene, wo wir gemeinsam eine Priorisierung auf der Zeitachse vornehmen werden.
Prinzipiell kann man sagen, dass erstens die Bundesregierung bei ihrer Haushaltsinitiative einen Schwerpunkt auf all das legen wird, was aktiviert, wie Bildung und das geplante Bürgergeld.
Zweitens. Wir setzen einen Schwerpunkt auf Investitionen, die auch die Wachstumsperspektive der Wirtschaft verbessern. Ich denke etwa an den Digitalbereich, gerade ganz aktuell die Gestaltung der Energiewende und den Ausbau erneuerbarer Energien, die ja über die aktuelle Situation und den Klimaschutz hinaus auch unsere Energieunabhängigkeit sichern können.
Drittens. Wir wollen die Schuldenbremse ab 2023 einhalten. Das bedeutet, dass jede zusätzliche strukturelle Ausgabe, die wir in diesem Jahr verabreden, sich bereits an der Schuldenbremse des nächsten Jahres messen muss. Das verlangt uns viel Disziplin ab; aber das Kabinett hat bereits gezeigt, dass es bei seinen Vorschlägen diese Disziplin aufbringen kann.
Apropos Disziplin: Der rote Balken hat eine Bedeutung; vielleicht sollten alle noch mal draufschauen. – Frau Hagedorn, möchten Sie eine Nachfrage stellen?
Früher fanden Sie es gut, wenn der rote Balken wächst.
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Auf jeden Fall! Der hat auch eine Bedeutung; habe ich ja gesagt. – Frau Hagedorn.
Frau Bundestagspräsidentin, ich hätte noch viele Fragen, aber zugunsten anderer Fragesteller werde ich darauf verzichten. – Vielen Dank.
Zu diesem Themenkomplex habe ich bereits zwei Nachfragen: zunächst der Abgeordnete Janecek aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Minister, die Bundesregierung hat auch großen, vibrierenden Gestaltungsehrgeiz bei der Ausgestaltung der Coronahilfen, die jetzt noch ein weiteres Mal verlängert wurden, bis zum 30. Juni dieses Jahres. Wir haben ja Branchen, die noch sehr betroffen sind, wie beispielsweise die Veranstaltungswirtschaft und die Messewirtschaft.
Heute Abend tagt wieder die MPK. Sie haben beschrieben, dass es dort jetzt zu nachvollziehbaren und planungssicheren Öffnungsschritten kommen soll. Auch das Bundeswirtschaftsministerium hat am Wochenende Vorschläge gemacht. Aber wie kann man in diesem Kontext die Äußerungen Ihres neuen Chefvolkswirtes Lars Feld einordnen – den ich persönlich sehr schätze, auch aus vielen Dialogen –, der gesagt hat, man müsste diese Hilfen jetzt eigentlich umgehend ändern?
Es ist tatsächlich erforderlich, dass wir schrittweise auf die Coronahilfen verzichten. In vielen Bereichen unserer Wirtschaft sind sie gottlob auch nicht mehr erforderlich. Es gibt aber Bereiche – ich denke an den Event-, Kultur- und Veranstaltungsbereich –, da ist auch bei Öffnungsschritten nicht sofort wieder zu erwarten, dass es Umsatzerlöse gibt. Und hier ist ein schrittweises Herauffahren mit einer befristeten Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und mit der Überbrückungshilfe IV bis zur Mitte des Jahres vertretbar. Das langfristige Ziel indessen muss sein, dass wir die wirtschaftliche Intervention des Staates in die Wirtschaft beenden, weil wir auch an die fiskalischen Grenzen dessen stoßen, was möglich ist.
Nächste Fragestellerin zum Thema: aus der Fraktion Die Linke Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir sind uns ja alle einig, dass es eine große Notwendigkeit von Investitionen gibt. Und wir haben gesehen, dass sich die Coronakrise, die ja leider noch lange nicht vorbei sein wird, für einen kleinen Teil der Bevölkerung quasi sehr gelohnt hat, weil ihre Einkommen und Vermögen gestiegen sind, aber ein großer Teil der Bevölkerung eher weniger Geld in der Tasche hat.
Wie wollen Sie denn diese Investitionen unter der Überschrift „Schuldenbremse“ und unter der Überschrift „Keine Steuererhöhungen für Vermögende, für große Einkommen“ realisieren? Ich glaube, Sie müssten mir doch eigentlich aus dem Herzen zustimmen,
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dass es sinnvoll wäre, jetzt endlich auch die Vermögenden, die Superreichen und die, die in der Krise profitiert haben, heranzuziehen, um die Investitionen, die ja allen nutzen, zu finanzieren.
Sehr geehrte Frau Kollegin Lötzsch, in der Finanzpolitik empfiehlt es sich, Entscheidungen nicht mit dem Herzen oder gar aus dem Bauch heraus zu treffen, sondern mit dem Kopf.
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Deshalb sollten wir eine Erholung unserer Wirtschaft nicht dadurch gefährden, dass wir mittelständische Strukturen, das Handwerk oder die Industrie belasten.
Ihnen ist bekannt, dass Deutschland im internationalen Vergleich – bedauerlicherweise – ein Höchststeuerland ist.
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Es wäre töricht, wenn wir diese international höchste Belastung, die sich auch durch 16 Jahre nahezu völliger Untätigkeit im steuerpolitischen Bereich ergeben hat, weiter erhöhten. Deshalb wollen wir uns darauf konzentrieren, durch kluge Abschreibungen, durch gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen, durch die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren privates Kapital zu mobilisieren, damit es in Transformation und Fortschritt investiert werden kann.
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Frau Präsidentin, da vorne leuchtet es noch gelb.
In der Hoffnung, dass Gelb auch aufwächst. – Ich verstehe.
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Ja.
Ich sehe keine weiteren Nachfragen. – Dann kommen wir zum nächsten Fragesteller: aus der AfD-Fraktion Peter Boehringer.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Minister, aktuellen Berichten von „Le Monde“ und der „Welt“ ist zu entnehmen, dass die Bundesregierung die Veröffentlichung von Unterlagen zum Wiederaufbaufonds der EU zu verhindern versucht. In fast 250 Fällen hat das BMF die Herausgabe von Dokumenten zu diesem 750-Milliarden-Euro-Fonds verweigert. Sie hat sogar bei der EU-Kommission ein Veto gegen die Herausgabe eingelegt, weil Transparenz an dieser Stelle – Zitat – die internationalen Beziehungen Deutschlands gefährden könne.
Meine Frage: Wieso hält die Bundesregierung diese Dokumente zurück? Was soll die Öffentlichkeit zur Entstehungsgeschichte dieses riesigen Fonds nicht erfahren? Inwiefern hat der deutsche Umsetzungsplan dieses Fonds – um den geht es ja hier – Auswirkungen auf die Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten? Könnte dabei vielleicht herauskommen – um Ihr Gedächtnis vielleicht aufzufrischen; denn es betrifft ja teilweise auch noch die Vorgängerregierung –, -
„Teilweise“ ist gut.
– dass die Regierung auf hohe Geldsummen verzichtet hat, also Deutschland statt der ihm zustehenden 100 Milliarden Euro nur 25 Milliarden Euro beantragt hat, also eigentlich auf 75 Milliarden deutsche Steuer-Euro verzichtet hat? – Danke.
Sehr geehrter Herr Kollege, wie Sie ansatzweise angedeutet haben, war ich mit dem Programm „Next Generation EU“ und dem Wiederaufbaufonds in Europa fachlich nicht befasst. Das weist auf die Zeit der Vorgängerregierung zurück. Etwaige Fragen müssten Sie also schriftlich stellen. Dann würde die Bundesregierung schauen, was dargelegt werden kann.
Herr Boehringer, möchten Sie eine Nachfrage stellen?
Na gut, angesichts dieser Nichtantwort muss ich eine Nachfrage stellen. – In den genannten Presseberichten wird explizit erwähnt, dass nicht nur unter Bundesfinanzminister Scholz, dem jetzigen Kanzler Scholz, sondern auch unter dem jetzigen Finanzminister Lindner die Herausgabe noch einmal explizit verweigert wurde. – Das war Ihr eigenes Haus, Herr Minister!
Deshalb vielleicht doch auch noch die Erinnerung an einen Antrag der FDP-Bundestagsfraktion von Mitte 2021 mit dem Titel „Transparenz umfassend gewährleisten“ mit der schönen Feststellung: „Politische Transparenz ist ein Grundpfeiler unserer offenen Gesellschaft.“ Ihre Worte! Sie haben es selbst unterzeichnet.
Wie erklären Sie Ihren Wählern, dass bei solch einer riesigen Summe offensichtlich gemauert wird, auch von Ihnen bzw. Ihrem Haus?
Ich bin mit diesem Vorgang persönlich nicht befasst worden. Deshalb kann ich in einer Fragestunde dazu auch nicht spontan ohne Aktenunterlage antworten. Ihnen stehen andere Möglichkeiten, Ihr parlamentarisches Fragerecht auszuüben, zur Verfügung, und ich lade Sie herzlich ein, davon Gebrauch zu machen.
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Vielen Dank. – Zu diesem Themenkomplex sehe ich keine weitere Nachfrage.
Dann kommen wir zur nächsten Fragestellerin: aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Katharina Beck.
Herr Lindner, ich freue mich sehr, dass wir und auch das Finanzministerium die Finanz- und Kapitalmärkte in unserer Regierung als Ermöglicher sehen. Wir haben in der Debatte um die Taxonomie gesehen: Diese Finanzmärkte haben richtig Lust, auch die grüne Transformation mit zu ermöglichen.
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– Das ist tatsächlich so: Allianz, Munich Re, ganz viele Player haben sich auch dazu positioniert, dass sie gerne nicht die Taxonomie aufgeweicht haben wollten, sondern gerne noch mal klare Regeln hätten, bessere Rahmenbedingungen, damit das mit dem grünen Finanzmarkt auch gut funktioniert.
Und jetzt hier meine Frage zu unserem gemeinsamen Projekt, führender Sustainable-Finance-Standort zu werden: Was ist da Ihre Vision? Wie stellen Sie sich diesen pulsierenden führenden Standort Deutschland vor? Und was sind Ihre konkreten nächsten Schritte, die Sie in den nächsten Monaten auch über die Etablierung des Beirates hinaus zu gehen gedenken? – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Wir werden eine Sustainable-Finance-Strategie entwickeln. In ihrem Zentrum steht, dass die Bundesregierung auch zukünftig wieder Green Bonds begeben wird. Wir wirken mit an der Etablierung eines Green-Bond-Standards auf europäischer Ebene. Wir wollen auch die Finanzierungsinstrumente der Kreditanstalt für Wiederaufbau in diese Richtung weiterentwickeln; dazu ist ja schon einiges an Vorarbeit geleistet worden. Und die Bundesregierung begrüßt, dass die private Seite – also das sind Impulse aus unserer Marktwirtschaft – Nachhaltigkeitsaspekte unmittelbar auch in der Unternehmensberichterstattung etablieren will. Insofern war die Bundesregierung mit ihrem Jahreswirtschaftsbericht so etwas wie ein Trendsetter, weil auch im privaten Bereich inzwischen andere Indikatoren als nur finanzielle Kennzahlen bemüht und berichtet werden.
Frau Beck, Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Sehr gerne. – Super Themen; das verfolgen wir, und da arbeiten wir gerne zusammen weiter daran.
Noch das Thema – –
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– Nee, abnehmen bei der Frage; haben wir geklärt mit dem Präsidium. Ich hoffe, das stimmt. – Der grüne Balken ist noch grün und wird hoffentlich ganz groß.
Geht immer mehr Richtung gelb.
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Ich hatte es befürchtet. – Die OECD schätzt, dass 35 Prozent der deutschen Staatsausgaben in die öffentliche Auftragsvergabe gehen. Wie gedenken Sie, beim Thema „öffentliche Auftragsvergabe“ auch Sustainable-Kriterien mehr zu integrieren? Was haben Sie da vor?
Ich kann jetzt die Zahl von 35 Prozent nicht im Einzelnen bestätigen. Aber die Bundesregierung achtet auf Nachhaltigkeitskriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe und wird das auch weiter tun. Das ist ein wichtiger Aspekt auch der Finanzierung von Vorhaben mit öffentlichen Mitteln.
Gibt es eine Nachfrage zu diesem Thema? – Herr Kleinwächter aus der AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, es geht tatsächlich um den Sustainable-Finance-Beirat und dort natürlich um die Tatsache, dass der Bundesrechnungshof per Bericht festgestellt hat, dass dieser Sustainable-Finance-Beirat, den Sie ja beibehalten wollten, im Endeffekt unwissenschaftlich gearbeitet hat, zum Beispiel bei seinem Zwischenbericht Quellenangaben zu empirischen Analysen und Umfragen gefehlt haben. Macht Ihnen das keine Sorgen, wenn Sie das sozusagen als Instrument weiterführen wollen?
Doch, das ist Anlass für eine Überarbeitung von Zielsetzung, Mandat und Satzung des Beirates.
Weitere Nachfragen zu dem Thema sehe ich nicht. Dann gehen wir weiter.
Die nächste Frage stellt für die Fraktion Die Linke Victor Perli.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! In diesem Jahr soll der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht werden. Das ist ein aus unserer Sicht längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung; dafür haben wir lange gekämpft.
Ein Problem ist allerdings – darauf wird selten hingewiesen –, dass Millionen Beschäftigte in diesem Land um den Mindestlohn betrogen werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat auf Basis von Zahlen des DIW eine Analyse gemacht. Demnach bekommen 2,4 Millionen Beschäftigte in diesem Land den Mindestlohn nicht, obwohl er ihnen zusteht.
Nun gibt es die Besorgnis, dass bei einem dann deutlich gestiegenen Mindestlohn die Betrugsmanöver zunehmen. Zu Ihrem Arbeitsbereich gehört ja auch der Zoll und da die Finanzkontrolle Schwarzarbeit; das heißt, Sie sind dafür zuständig, diesen Mindestlohn auch durchzusetzen und Betrug zu bekämpfen. Ich frage Sie: Was tun Sie, wenn in diesem Jahr der Mindestlohn so deutlich erhöht wird, dafür, dass der Mindestlohnbetrug endlich gestoppt wird?
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Sehr geehrter Herr Kollege, zunächst einmal geht die Bundesregierung davon aus, dass das Gros, also die absolute Mehrzahl der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in unserem Land fair und auch rechtlich sauber arbeitet.
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Ich glaube, dass es uns nicht guttut, so eine allgemeine Atmosphäre des Misstrauens zu schüren. Wir können froh sein, dass wir so viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben, die gute, qualifizierte Beschäftigung anbieten.
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Zusammen mit dem BMAS wird mein Haus, da wir ja über den Zoll zuständig sind, darauf achten, dass es eine Kontrolle der Arbeitszeiten und damit auch der Einhaltung des Mindestlohnes gibt, die möglichst bürokratiearm erfolgt. Wir sehen zwei große Ziele: zum einen, Missbrauch und Dumping zu verhindern, zum anderen aber auch, eine Belastung der mittelständischen Wirtschaft, der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber durch überzogene Bürokratielasten zu verhindern.
Herr Perli, Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Vielen Dank. – Dazu eine Nachfrage: Natürlich, die große Mehrheit hält sich an den gesetzlichen Mindestlohn; das ist gar keine Frage. Aber durch meine Anfrage ist bekannt geworden, dass sogar in der Fußballbundesliga, da, wo die einen Millionen verdienen, vier Vereine Mindestlohnbetrug begangen haben und dort ermittelt werden musste. Wir sehen daran, dass selbst in Bereichen, in denen viel Geld verdient wird, gegen den Mindestlohn verstoßen wird.
Sie haben zu Recht angesprochen, dass sich die große Mehrheit daran hält. Aber es ist für die, die sich daran halten, natürlich ein Problem, dass es diejenigen gibt, die sich nicht daran halten, weil dort dann Dumpinglöhne forciert werden. Die konkrete Frage stellt sich natürlich schon: Wollen Sie denn auch neben einem deutlich steigenden Mindestlohn für mehr Personal sorgen, damit mehr Kontrollen möglich werden? Wenn Sie sich beim Zoll umhören, bekommen Sie gesagt: Wir würden gerne mehr kontrollieren; uns fehlt das Personal. Wir müssen hier Quoten erfüllen. Das schaffen wir alles gar nicht. Deswegen brauchen wir von der Politik deutlich mehr Unterstützung, also mehr Personalaufwuchs.
Weil es nicht mal ein Meldeportal bei der Bundesregierung gibt, wo man Verstöße melden kann, habe ich selbst ein Meldeportal initiiert: www.mindestlohnbetrug.de. Da gehen wöchentlich zig Fälle ein. Das zeigt: Es gibt einen großen Bedarf. – Ich leite diese Fälle an die Behörden weiter, damit die Behörden dem nachgehen.
Kommen Sie bitte zur Frage.
Ich finde schon, dass der Bund hier aufgefordert ist, dieser Ungerechtigkeit, dass Menschen um ihren Lohn betrogen werden, endlich ein Ende zu setzen.
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Sehr geehrter Herr Kollege, Ihr drastischer Appell wird von mir geteilt. Es geht um Fairness gegenüber den Beschäftigten. Übrigens geht es auch um Fairness gegenüber den ehrlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, die ja auch in eine Wettbewerbssituation mit unehrlichen Wettbewerbern, Konkurrenten geraten.
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Deshalb werden wir das uns Mögliche tun, um eine Durchsetzung des Mindestlohns zu gewährleisten, über den Zoll, über die Möglichkeiten der Dokumentation, die wir auch hinsichtlich digitaler Möglichkeiten bürokratieschonend weiterentwickeln wollen.
Vielen Dank. – Gibt es zu diesem Thema weitere Nachfragen? – Das sieht nicht so aus.
Dann hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Markus Herbrand.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundesminister, mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz unterstützt die Bundesregierung die Menschen und auch die Unternehmen in der aktuell ja noch immer sehr schwierigen Situation. Die angedachten 11 Milliarden Euro Entlastung werden gezielt eingesetzt und helfen dort, wo es wirklich am nötigsten ist. So stellt man sich schnelles und auch sehr umsichtiges Regierungshandeln vor. Gab es durch den gerade erfolgten Kabinettsbeschluss, von dem Sie eben sprachen, noch Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf?
Vielen Dank, Herr Kollege Herbrand, auch für die sehr freundliche Würdigung des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes und seiner makroökonomischen Bedeutung.
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Ich will das zum Anlass nehmen, in diesem Hause und auch gegenüber dem Bundesrat dafür zu werben, dieses Vorhaben zu unterstützen. Insbesondere mit Blick auf die degressive AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter erhoffe ich mir in diesem Haus und im Bundesrat Unterstützung, weil das ein wichtiger Baustein dazu ist, dass wir gut aus der Krise kommen.
Zu Ihrer Frage: Ja, es gab Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf, die zum einen die Steuerfreiheit der Zuschusszahlungen des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld betreffen und zum anderen vorsehen, dass auch Empfängern von Grundsicherung für Arbeitsuchende die gewährten Sonderzahlungen nicht angerechnet werden. Man hört, dass im parlamentarischen Raum weitere Veränderungen in Vorbereitung sind.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage, Herr Herbrand.
Die will ich auch sehr gerne in Anspruch nehmen. Herzlichen Dank. – Vielen Dank, Herr Minister. Wir haben ja immer noch die Situation, dass die Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahren nicht so hat investieren können, wie es möglich bzw. auch notwendig gewesen wäre, Stichwort „Lieferketten“. Wir brauchen aber Wachstum, auch um aus den enormen Schulden herauszuwachsen, die in den vergangenen Jahren aufgenommen wurden. Plant die Bundesregierung da Weiteres?
Ja, das tun wir. Ich habe es eben schon kurz bei anderer Gelegenheit angesprochen: Wir bereiten ein Instrument der sogenannten Superabschreibung im Sinne einer Investitionszulage bzw. ‑prämie vor. Der Bundeskanzler hatte das in seiner Regierungserklärung angesprochen. Das kann ein weiterer Baustein bzw. – so sage ich es einmal – Hebel sein, um private Investitionen anzuschieben, insbesondere in den transformativen Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung.
Der Deutsche Bundestag hat mit dem zweiten Nachtrag zum Haushalt 2021 zudem ja auch zusätzliche Möglichkeiten gesichert und auf Dauer etatisiert, mit denen wir pandemiebedingt ausgebliebene Investitionen nachholen können. Das ist makroökonomisch im internationalen Vergleich übrigens kein unübliches Instrument, um aus der Pandemie heraus transformative Aufgaben anzugehen und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
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Gibt es zu diesem Themenkomplex noch Nachfragen? – Herr Gottschalk aus der AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundesminister Lindner, Sie sprachen eben von Superabschreibungen und davon, damit eine Stimulanz, ein Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Nun sind wir uns alle einig: Wenn sich Investitionen aufstauen, dann wird sicherlich eine Abschreibung keine Motivation befördern, diese zu tätigen, sondern eher dazu führen, dass man Mitnahmeeffekte hat. Stimmen Sie mir nicht dahin gehend zu? Und was wollen Sie dafür tun, dass der Wirtschaftsstandort, die Langfristigkeit und die Verlässlichkeit ausmachen, ob ich investiere? Dazu gehören Strompreise, faire Steuertarife. Dazu gehört ein wirtschaftliches Umfeld. Dazu gehören befahrbare Autobahnen und natürlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, damit sie überhaupt zur Arbeit kommen, vernünftige und günstige Bedingungen für Mobilität, Stichwort „Benzinpreise“.
Das heißt, Ihre Superabschreibungen verpuffen doch, erzeugen eigentlich nur einen Mitnahmeeffekt und führen zum Gegenteil, nämlich zu Verschuldung, und nicht zu einem konsolidierten Haushalt und einem vernünftigen Wirtschaftswachstum.
Sehr geehrter Herr Kollege, bei Ihrer Aufzählung guter Standortbedingungen für unser Land fehlt vermutlich nicht zufällig die qualifizierte Einwanderung von Fachkräften.
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Denn auch die ist enorm wichtig, das Wachstumspotenzial unseres Landes zu heben. Jedes verständige Gespräch mit Mittelständlern und Industrie würde Ihnen das zeigen.
In den Zusammenhang der Standortbedingungen, die Sie zu Recht aufgezählt haben – Steuer- und Energiepreise, Infrastruktur, Geschwindigkeit der öffentlichen Verwaltung, weltoffenes Klima einer Exportnation, die auf den Weltmärkten erfolgreich sein will und Fachkräfte gewinnen will –, passt die Idee einer sogenannten Superabschreibung im Sinne einer Investitionszulage durchaus; denn wir wollen ja gerade die durch die Pandemie möglicherweise geschwächte Eigenkapitalbasis des Mittelstands durch diese Abschreibung stärken, indem Liquidität gesichert und nicht vom Fiskus eingezogen wird.
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Vielen Dank. – Ich habe eine weitere Nachfrage aus der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, das Stichwort „Eigenkapital stärken“ führt mich zu einer Anmerkung. Sie haben soeben zu Recht darauf hingewiesen, dass die FDP keine 100 Prozent hatte. Das bedauere ich jetzt ein bisschen weniger als Sie. Aber eine gute Eigenkapitalstärkung wäre ja die Thesaurierungsbegünstigung. Deren Befürwortung haben Sie mit den Grünen gemein, und trotzdem hat sie es nicht ins Wahlprogramm geschafft. Können Sie mir sagen, wie da Ihre Ideen sind, das Eigenkapital innerhalb der Unternehmen zu stärken, wenn Sie die Thesaurierungsbegünstigung definitiv nicht auf den Weg bringen wollen?
Über diese fachliche Frage können wir gerne auch miteinander in den nächsten Jahren einen Dialog führen. Das Erste und Wichtigste, was man tun kann, um das Eigenkapital zu stärken, ist, es nicht über eine höhere Belastung der Wirtschaftssubjekte zu entziehen, egal in welcher Rechtsform sie arbeiten. Deshalb ist aus meiner Sicht schon ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Standorts, dass neben dem Bestehen auf der Schuldenbremse eine zweite Leitplanke dieser Regierung ist, dass es keine höhere Steuerlast – für niemanden – gibt und dass auch keine neuen Steuern eingeführt werden.
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Weitere Fragen zu dem Thema sehe ich nicht.
Dann ist der nächste Fragesteller aus der CDU/CSU-Fraktion Fritz Güntzler.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben im Wahlkampf – aber Sie tun es auch jetzt – öffentlich Steuererhöhungen immer ausgeschlossen. Der hochgeschätzte Kollege Christian Dürr, den ich noch aus dem Niedersächsischen Landtag kenne, hat gesagt: „Die Kalte Progression ist eine heimliche und politisch nicht legitimierte Steuererhöhung …“ Wenn Sie jetzt, im Jahr 2022, nicht tätig werden, um den Tarif zu ändern, sind Sie doch faktisch für eine Steuererhöhung durch die Hintertür. Wie erklären Sie uns das?
Na ja, eine Entscheidung über den Steuertarif 2023/24 ist ja noch nicht getroffen. Sie wissen, der Progressionsbericht wird im Herbst vorgestellt. Dann wird auch entschieden über das steuerfreie Existenzminimum, über den Tarifverlauf und im Übrigen auch über den Regelsatz der Grundsicherung. Dann ist der richtige Zeitpunkt dafür.
Über den Steuertarif 2022 wurde anhand des Progressionsberichts 2020 entschieden. Den Tarifverlauf des Jahres 2022 hatte eine frühere Bundestagsmehrheit beschrieben. Unterjährig den Tarifverlauf von Lohn- und Einkommensteuer zu verändern, ist allerdings wegen des enormen bürokratischen Aufwands nicht empfehlenswert, etwa bei der Lohnsteuer und in der Finanzverwaltung.
Vielen Dank. – Sie dürfen noch eine Nachfrage stellen, wenn Sie möchten.
Ja. – Man möchte ja fast schon in der Form Stellung dazu nehmen, dass das eher eine Schutzbehauptung ist. Aber ich habe noch eine andere Frage.
Herr Minister, wir haben den Medien auch entnehmen können, dass Sie für eine Anpassung der Pendlerpauschale sind, wenn es dafür Mehrheiten gibt. Meine Frage wäre: Kämpfen Sie für diese Mehrheiten? Können wir damit rechnen, dass aus Ihrem Hause ein konkreter Gesetzentwurf kommt? Ich habe das leider im Entwurf des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes, den Sie und auch der Kollege Herbrand hier mehrfach sehr gepriesen haben, vermisst. Es wäre doch eine gute Gelegenheit, das dort einzuspeisen.
Der Bundesfinanzminister ist offen für eine Erhöhung der Pendlerpauschale. Es gibt ja im politischen Raum eine Reihe von Vorschlägen dazu. Ich habe wahrgenommen, dass etwa das Land Niedersachsen eine solche Initiative in den Bundesrat eingebracht hat. Auch andere haben sich in dieser Weise geäußert. Ich will schauen, wie die Mehrheitsbildung diesbezüglich im Deutschen Bundestag ist.
Und – vielleicht darf ich da auf Ihre Unterstützung bauen –: Natürlich ist der Bundesfinanzminister auch daran interessiert, zu erfahren, ob die Länder im Falle einer Erhöhung der Pendlerpauschale die entsprechenden Einnahmeausfälle auf der Länderseite übernehmen würden. Es handelt sich ja um eine Maßnahme, die, je nach Ausgestaltung, gesamtstaatlich zwischen 1,7 und 2,1 Milliarden Euro kostet. Eine solche Maßnahme wäre bei einer Mehrheit im Deutschen Bundestag nur gemeinsam von Bund und Ländern fiskalisch abzubilden. Ich hoffe also sehr, da Sie aus Niedersachsen kommen, dass Sie bei Herrn Hilbers ein gutes Wort einlegen.
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– Da freue ich mich.
Gibt es zu diesem Thema weitere Fragen? – Ja, hier vorne aus der CDU/CSU-Fraktion Christian Haase.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Minister, da muss ich jetzt noch mal nachfragen. Das heißt, Sie trauen sich nicht, Ihren eigenen Vorschlag in den Gesetzentwurf reinzuschreiben, weil Sie auf Zuarbeit aus den Ländern hoffen?
Ich habe keinen entsprechenden Vorschlag gemacht. Wenn Sie meine Äußerungen in den Medien verfolgen, so werden Sie wissen, dass ich gesagt habe: Wenn es eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, also eine Verständigung insbesondere der Koalitionsfraktionen, gibt und der Bundesrat das unterstützt, dann ist der Finanzminister offen dafür. – Und genau das habe ich hier auch dargelegt.
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Eine Nachfrage geht nicht. Aber ich nehme jetzt den Herrn Gottschalk dran, und dann dürfen Sie gerne noch mal zu dem Thema fragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Nun kann man Progressionsentlastungen ja über eine Rechtsverschiebung erreichen. Sie könnten dazu natürlich unserem Tarif auf Rädern zustimmen, aber Sie könnten auch ein Versprechen realisieren – dafür hätten wir, glaube ich, eine Mehrheit im Hause –, indem Sie sagen, Sie schaffen den Solidaritätszuschlag komplett ab. Denn der ist ja nach wie vor gerade für den von Ihnen so präferierten Mittelstand – Sie haben sich ja auch mal als eine Mittelstandspartei verstanden – von fundamentaler Bedeutung, weil er bei Einkommen ab einer Höhe von etwa 70 000 Euro brutto ansetzt und die Progression verstärkt.
Sie haben vor der Bundestagswahl auch hier im Plenum immer gesagt: Wir sind für eine Abschaffung. – Die CDU hat sie sogar im Programm stehen, hat sich aber sehr gerne gewunden, indem sie sagte: Wir haben nun einen Koalitionsvertrag abgeschlossen. – Da kann man natürlich Grundwerte der eigenen Programmatik gerne feilbieten.
Ich jedenfalls fordere Sie auf, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Das wäre für viele Menschen und gerade für viele Betriebe in diesem Spektrum eine wirkliche Erleichterung und würde tatsächlich nachhaltig dafür sorgen, von kalter Progression und Inflation hin zu Innovation und Wachstum zu kommen.
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Der Solidaritätszuschlag ist aus meiner Sicht in ökonomischer Hinsicht und auch hinsichtlich der Berechenbarkeit politischer Entscheidungen entbehrlich. Er sollte entfallen. Aber ich muss feststellen, dass es hier in diesem Haus unter den demokratischen und staatstragenden Fraktionen keine Mehrheit dafür gibt. Ich bin da Kummer gewohnt: 2017 ist die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags an der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gescheitert, 2021 gab es in der Ampelkonstellation dafür keine Mehrheit.
Ich werde weiter dafür werben, dass es im demokratischen Zentrum dieses Hauses dafür eine Mehrheit gibt. Gegenwärtig muss ich zur Kenntnis nehmen, dass es eine solche Mehrheit nicht gibt.
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Eine nächste Nachfrage zu dem Thema hat der Herr Haase aus der CDU/CSU-Fraktion.
Danke schön, dass ich noch mal nachfragen darf. – Herr Minister, wäre es nicht ein Zeichen von Handlungsfähigkeit, wenn Sie Ihre durchaus bestehende Meinung zum Thema Pendlerpauschale zumindest dem Kabinett vorgelegt hätten? Selbst wenn Sie sich da nicht durchgesetzt hätten, hätten wir schon mal gewusst, für was Sie speziell stehen.
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Für mich ist das Mittel der Wahl, um Inflationstendenzen in der Breite der Bevölkerung zu beantworten, der Steuertarif, also der Progressionsbericht. So ist er 2012 einmal auch mit Stimmen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verankert worden. In dem Zusammenhang wird es einen umfassenden Vorschlag geben.
Wenn im Vorgriff darauf einzelne Maßnahmen von der Koalition auf den Weg gebracht werden, dann verschließe ich mich dem nicht. Ich habe auch durchaus Vorstellungen, die wir regierungsintern prüfen. Aber zunächst einmal gilt, dass das Mittel der Wahl, um auf Veränderungen des Preisniveaus zu reagieren, die regelmäßige Anpassung von – ich sage es noch einmal – Grundsicherung, steuerfreiem Existenzminimum und Tarifverlauf sind.
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Weitere Nachfragen zu dem Thema sehe ich jetzt nicht.
Dann kommen wir zum nächsten Fragesteller: aus der SPD-Fraktion Johannes Schraps.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, bevor das dem zeitlichen Ablauf der Regierungsbefragung zum Opfer fällt, möchte ich gern noch mal auf die europäischen Reformvorhaben zu sprechen kommen. Da hat Ihnen Ihr Vorgänger ein gut bestelltes Feld hinterlassen, und trotzdem stehen auch in der nächsten Zeit sehr viele wichtige wirtschafts- und finanzpolitische Weichenstellungen auf europäischer Ebene bevor. Die Stichworte dazu sind sicherlich die Debatte über die Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, aber auch die Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung in Europa, die Vollendung der Bankenunion oder eben die Debatte über neue Eigenmittel der Europäischen Union.
Sie haben gerade schon die Motivation der Bundesregierung angesprochen. Trotzdem ist eine gewisse Prioritätensetzung sicherlich notwendig. Deshalb würde ich gerne nachfragen, welches aus Ihrer Sicht die Reformvorhaben sind, die Sie auf europäischer Ebene für vordringlich halten.
Lieber Kollege Schraps, es steht sogar noch mehr an. Wir haben die Banken- und Kapitalmarktunion, den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Umsetzung des Inclusive Framework on BEPS der OECD, aber eben auch die Entscheidung über Eigenmittel der Europäischen Union. Das heißt, es handelt sich um eine sehr dichte Agenda auf der europäischen Ebene, und es gibt Ankündigungen seitens des Chefs der Eurogruppe, der französischen Ratspräsidentschaft und der Europäischen Kommission, dass in allen Bereichen in diesem Jahr Fortschritte erzielt werden sollen. Dafür ist die Bundesregierung offen. Sie wird zu gegebener Zeit auch eigene Vorschläge vorlegen.
Wichtig ist für uns erstens die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, zweitens die Mobilisierung von privaten und öffentlichen Mitteln für die transformativen Vorhaben, und drittens wollen wir sicherstellen, dass wir einen nachvollziehbaren, verbindlichen Schuldenabbaupfad in den nächsten Jahren erreichen. Die unterschiedlichen Handlungsfelder, die Sie genannt haben, sind dort in spezifischer Weise verbunden.
Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?
Sehr gerne. – Erst mal vielen Dank für die Einordnung, Herr Minister. Viele Punkte sind genannt worden, die auch wir für maßgeblich halten. Ich würde gerne zur Bankenunion konkret nachfragen. Wir haben uns ja im Koalitionsvertrag die Vollendung der Bankenunion auf die Fahne geschrieben. Ich würde gerne noch mal von Ihnen genau wissen, was aus Ihrer Sicht die nächsten konkreten Schritte sind, um im Bereich der Vollendung der Bankenunion voranzukommen.
Wir haben ein Gespräch zwischen den Finanzministerinnen und Finanzministern. Ich führe auch viele bilaterale Gespräche. Ich war bezüglich dieser Frage kürzlich in Rom. Sie wissen, dass ein Gesprächspunkt zwischen Deutschland und Italien die Berücksichtigung der Staatsverschuldung in den Bilanzen privater Banken ist. Wir wollen einen ganzheitlichen Ansatz bei der Bankenunion. Das heißt, wir wollen sowohl die Problematik „Staatsverschuldung in Bankbilanzen“ als auch die Einlagensicherung, Liquidität und Kapitalflüsse zwischen einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsam angehen.
Wichtig für Deutschland ist: Eine starke nationale Komponente bei der Einlagensicherung muss erhalten bleiben. Eine voll vergemeinschaftete Einlagensicherung ist nicht in unserem Interesse. Und die besondere Situation mit Blick auf die Institutssicherung unserer Sparkassen, Volksbanken und Genossenschaftsbanken muss berücksichtigt werden. Die sind stark beim regionalen Angebot von Finanzdienstleistungen für die Kundinnen und Kunden und bei der Finanzierung des Mittelstands. Das darf nicht gefährdet werden.
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Dazu eine Nachfrage von der Kollegin Tillmann.
Danke, Herr Minister, dass Sie sich so erfreulich für die Institutssicherung ausgesprochen haben. Aber ich wüsste gerne noch mal konkret Ihre Meinung zur Vollendung der Bankenunion. Können wir uns darauf verlassen, dass Sie die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung auch in Form eines Rückversicherungssystems nur dann machen, wenn die Verabredungen zur Risikoreduzierung in den Bankbilanzen tatsächlich eingehalten wurden? Ich nenne beispielhaft die Risikountersetzung der Staatsanleihen, die Reduzierung der Non-performing Loans, die Insolvenzrechtsharmonisierung in Europa. Mir reicht, wenn Sie sagen: „Ja, Sie können sich darauf verlassen, dass ohne diese Maßnahmen mit mir eine Bankenunion nicht machbar ist.“
Die Insolvenzrechtsharmonisierung wird im Zusammenhang mit der Kapitalmarktunion diskutiert. Aber auch dort macht sich Deutschland dafür stark, dass wir eine einheitliche Regelung – insbesondere bei der Berücksichtigung der Gläubigersituation bei gegebenenfalls notwendigen Insolvenzverfahren – erreichen können.
Sie haben die Rückversicherung im Zusammenhang mit der Vollvergemeinschaftung der Einlagensicherung genannt. Das sind aber Gegensätze. Beim Rückversicherungsmodell, für das sich Deutschland einsetzt, geht es ja gerade darum, dass eine starke nationale Komponente erhalten bleibt; deshalb erfolgt eben keine Vollvergemeinschaftung der Einlagensicherung. In diesem Sinne ist die Antwort auf Ihre Frage: Ja.
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Vielen Dank. – Herr Kleinwächter, Sie haben noch die Gelegenheit zu einer Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Werter Herr Minister, ich frage bezüglich der deutsch-italienischen Gespräche, die Sie angesprochen haben. Es ist ja durch die Presse gegangen, dass es einen deutsch-italienischen Aktionsplan geben soll, der vielleicht zu so etwas Ähnlichem wie dem Vertrag von Aachen wird. Meine Frage bezieht sich auf Ihre Ausführungen: Wird das, was Sie gerade ausgeführt haben, Teil eines deutsch-italienischen Aktionsplans sein und vertraglich vereinbart werden? Wenn ja, was wird gerade konkret besprochen, was soll von dem, was Sie beschrieben haben, konkret vereinbart werden?
Das Bundesfinanzministerium strebt keine bilaterale Initiative an, um Vorschläge für die Bankenunion zu unterbreiten; vielmehr haben wir einen multilateralen Zugang. Wir bevorzugen einen holistischen Ansatz zur Bankenunion, bei dem die unterschiedlichen Aspekte – Frau Kollegin Tillmann hat einige genannt – gemeinsam betrachtet werden.
Ein Einlagenrückversicherungssystem kann nur eingeführt werden, wenn es zugleich Fortschritte bei der Überwindung des Sovereign-Bank-Nexus gibt, also der Frage der Staatsanleihen auf den Bilanzen, wenn Fragen der Abwicklung von in Schieflage geratenen Instituten geklärt sind und wenn sichergestellt ist, dass es auch eine Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern gibt. Das heißt, es braucht einen holistischen Ansatz. Die Bundesregierung strebt aber keine bilaterale Initiative mit irgendjemandem an, sondern wir bleiben multilateral und für alle ansprechbar.
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Vielen Dank. – Bevor ich zu einer weiteren Frage dem Kollegen Marvi das Wort erteile: Frau von Storch, wenn Ihre Maske immer herunterrutscht, weil sie zu weit ist, sollten Sie vielleicht an den Bändchen ein bisschen arbeiten.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Marvi von der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Bundesminister der Finanzen, meine Frage bezieht sich noch mal auf die eingehende Frage von Herrn Schraps zu den europäischen Verhandlungen, Stichwort „globale Mindestbesteuerung“. Das ist ja ein ganz wesentlicher historischer Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Steuerordnung zur Bekämpfung von unfairem Steuerwettbewerb. Es ist ein Projekt, das sowohl von Ihrem Amtsvorgänger Olaf Scholz als auch von Ihnen gestützt wird und von Frankreich lange beharrlich bearbeitet wurde.
Die französische Ratspräsidentschaft strebt jetzt eine zügige Umsetzung der Richtlinie noch im ersten Halbjahr an. Wir haben aber beispielsweise von den Mitgliedstaaten Ungarn und Polen Signale vernommen, die besagen, dass es ihnen zu schnell geht, dass sie da etwas auf der Bremse sind. Wie bewertet die Bundesregierung das, und was tun Sie, um diese Widerstände aufzuheben?
Vielen Dank für die Frage. – In der Tat sehe auch ich einen großen Fortschritt bei der Umsetzung des Inclusive Framework der OECD. Dem gehen zehn Jahre – ein ganzes Jahrzehnt! – Arbeit voraus. Über zehn Jahre wurde an der Neuverteilung der Besteuerungsrechte auf der einen Seite und der Einführung einer effektiven globalen Mindestbesteuerung auf der anderen Seite gearbeitet. Zehn Jahre Arbeit! In dem Zusammenhang ist übrigens auch Wolfgang Schäuble Respekt zu zollen, der das seinerzeit mit auf den Weg gebracht hat.
Jetzt geht es um die Umsetzung. Es gibt innerhalb der Europäischen Union die Auffassung, dass Pillar One und Pillar Two rechtlich zusammen betrachtet werden sollen. Diese Auffassung teilen wir nicht. Ich habe im Ecofin auch klargemacht: Für uns hat die Umsetzung von Pillar Two jetzt Priorität, also die effektive Mindestbesteuerung in der EU. Wir unterstützen dort die französische Ratspräsidentschaft. Mag es einen politischen Zusammenhang mit Pillar One geben, so bestreiten wir das nicht. Rechtlich ist der Versuch, beides zu verbinden, aber Teil einer dilatorischen Behandlung des Inclusive Framework. Davon raten wir ab, auch in den bilateralen Gesprächen, die wir mit noch skeptischen Mitgliedstaaten führen.
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Zu einer letzten Frage im Rahmen der Befragung der Bundesregierung rufe ich auf den Kollegen Kay Gottschalk, AfD-Fraktion.
Ich würde an meinen Kollegen Stöber zum Thema Unternehmensteuer abtreten; denn ich habe meine Frage schon unterbringen können.
Na gut.
Sehr geehrter Herr Minister, ich wollte Ihnen einfach mal sechs Zahlen nennen; denn das passt zu dem, was Sie gerade gesagt haben: 9, 10, 14, 19, 21 und 24. Das sind nicht die Lottozahlen, das sind die Unternehmensteuersätze in Europa von Ländern wie Ungarn, Großbritannien, Italien etc., also keine Exoten wie Luxemburg oder Liechtenstein. Wir liegen mit 31 Prozent da einsam an der Spitze. Der Durchschnittssteuersatz von 20 Prozent in Europa bzw. 23 Prozent weltweit liegt auch deutlich unter unserem Steuersatz.
Sie haben vorhin gesagt, Sie haben keine 100 Prozent bekommen. Aber, ich denke mal, die 15 Prozent, die Sie gewählt haben, haben damit insbesondere die Hoffnung verbunden, dass Sie sowohl auf dem Gebiet der Einkommensteuer als auch auf dem Gebiet der Unternehmensteuer eine Reform herbeiführen, die darauf abzielt, die Steuersätze für die deutschen Unternehmen zu senken. Was haben Sie da geplant?
Die der FDP zugemessenen 15 Prozent nehme ich einmal als Kompliment. – Wir werden im Bereich „steuerliche Abschreibungstatbestände“ in den nächsten Jahren für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für den Mittelstand, zu Verbesserungen kommen. Darüber hinaus halte ich eine grundlegende Reform von Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer in der Tat für notwendig. Dazu hat es in den vergangenen Jahren im Bundestag und im Bundesrat allerdings keine Mehrheit gegeben. Also müssen wir uns auf das Erreichbare konzentrieren bei der Frage der Energiekosten und bei anderen Standortbedingungen.
Wenn Sie Steuersätze in Europa vergleichen, dann bitte ich Sie, auch zu berücksichtigen, dass sich Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit nicht nur am Steuersatz festmachen, sondern auch an dem, was man dafür bekommt, also beispielsweise Zustand der Infrastruktur, Versorgung, Zugang zu Fachkräften, Marktpositionen weltweit, Rechtssicherheit, gute Verwaltung.
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Vielen Dank. – Es gibt eine weitere Nachfrage.
Wenn es um die Harmonisierung des Steuerrechts in Europa geht, dann fällt ja auf, dass wir in Deutschland mit unserer Gewerbesteuer vollkommen aus der Reihe fallen. Das heißt: Kein anderes Land hat so eine Steuer.
Wir wollen zum Beispiel mit unserem Programm die Gewerbesteuer abschaffen und dafür die Kommunen mit einem höheren Anteil an der Einkommensteuer beteiligen. Das würde einerseits die Unternehmen deutlich entlasten, aber im Prinzip auch die Planungssicherheit der Kommunen wesentlich verbessern; denn gerade die Gewerbesteuer unterliegt sehr großen Schwankungen. Diese machen die Planungen in den Kommunen in Bezug auf die Gewerbesteuer sehr schwierig. Das wäre mit der Einkommensteuer wesentlich einfacher. Wäre das auch ein Ansatz für Sie und Ihre Regierung?
Sehr geehrter Herr Kollege, wenn Sie die Konjunkturreagibilität der Gewerbesteuer überwinden wollen, dann rate ich davon ab, einen Steuertausch mit der Einkommensteuer vorzusehen. Wenn Sie die Konjunkturreagibilität reduzieren wollen, dann empfiehlt es sich, einen stärkeren Umsatzsteueranteil vorzusehen, da die Verbrauchsteuern stetiger in ihrem Aufkommen sind. Aber das sage ich nur als fachliche Entgegnung, weil Sie ein Modell angedeutet haben.
Politisch nehme ich zur Kenntnis, dass die kommunalen Spitzenverbände unisono an der Gewerbesteuer festhalten wollen. Und ich glaube, es ist ganz gut, wenn wir im Deutschen Bundestag nicht über die Köpfe unserer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker hinweg entscheiden, sondern deren Befindlichkeiten, Wünsche und Interessen sehr genau wahrnehmen.
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Vielen Dank. – Noch eine letzte Frage, und dann ist Schluss.
Herr Minister, Sie haben die Notwendigkeit der Modernisierung des deutschen Unternehmensteuerrechts benannt, haben aber nur von Abschreibungen gesprochen. Ich nehme an, diese Modernisierung wird sich nicht nur auf die Abschreibungsfrage begrenzen. Können wir damit rechnen, dass aus Ihrem Hause, von Ihnen persönlich ein konkreter, ein umfassender Vorschlag zur Modernisierung des deutschen Unternehmensteuerrechts kommt?
Wir werden Ihnen als Gesetzgeber beim Unternehmensteuerrecht und beim Steuerrecht insgesamt Vorschläge unterbreiten. Aber ich will noch einmal sagen, dass es Festlegungen der Koalitionsparteien gibt – so etwas ist der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus der Vergangenheit ja wohlbekannt –, die eine breitflächige Entlastung, etwa bei der Körperschaftsteuer, nicht zulassen. Das sind politische Realitäten. Und ich sage es mal so: Die nächsten Wahlkämpfe der Parteien sollen ja auch spannend bleiben; also darf man nicht jetzt schon jedes Problem lösen.
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Herzlichen Dank. – Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung und bedanke mich, Herr Minister Lindner, für Ihre Standfestigkeit über eine Stunde hinweg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir gedenken heute derjenigen, die beim rassistischen Verbrechen am 19. Februar 2020 in Hanau ihr Leben verloren haben. Dieser Tag ist leider einer von viel zu vielen Gedenktagen an Opfer rechter Gewalt, und wir dürfen es nicht zulassen, dass diese Menschen zu einer Zahl in einer Statistik werden. Es ist unsere Verantwortung, ihre Erinnerung hochzuhalten und sie nicht vergessen zu lassen, und deshalb kann man ihre Namen auch nicht oft genug sagen: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Kaloyan Velkov und Ferhat Unvar.
Diese Menschen sind viel zu früh aus dem Leben gerissen worden, weil aus Hass Schandtaten geworden sind, ein Hass, der uns alle bedroht; davon zeugen auch die feigen Morde an Michèle Kiesewetter und an Walter Lübcke. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung als Demokratinnen und Demokraten, alles dafür zu tun, dass sich so etwas nicht wiederholt, und allen Personen und Parteien, die diesen Hass verbreiten, ein klares Stoppschild aufzustellen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir erleben dieser Tage, dass in der Pandemie verunsicherte Menschen zusammen mit Rechtsextremen durch unsere Straßen marschieren. Ich kann diesen Menschen nur zurufen: Lassen Sie sich von diesen Hetzern nicht instrumentalisieren!
({1})
Rechtsextreme nutzen Ihre Verunsicherung. Sie nutzen die Verunsicherung, um die Realität umzudeuten und um demokratisch legitimierte Politikerinnen und Politiker einzuschüchtern. Sie sind weder das Volk noch die Mehrheit in diesem Land.
Es ist gut, dass sich in Hessen die demokratischen Parteien bei allen Differenzen auf einen Untersuchungsausschuss geeinigt haben, weil die Angehörigen ein Anrecht darauf haben, Antworten auf die Fragen zu erhalten, die sie haben und die noch nicht beantwortet worden sind.
({2})
Es ist bezeichnend, dass die AfD nicht einmal der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses zugestimmt hat.
({3})
Das ist schlicht unanständig, und ich hoffe, dass der Verfassungsschutz in Zukunft noch deutlicher darstellen kann, wes Geistes Kind Sie eigentlich sind.
({4})
Ich bin unserem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble sehr dankbar, dass er bei der Bundestagsdebatte damals vor zwei Jahren diese deutlichen Worte gefunden hat – ich zitiere –:
Betroffenheit reicht längst nicht mehr. Hanau fordert vor allem: Aufrichtigkeit – Aufrichtigkeit vom Staat, der sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben.
Diese Aufrichtigkeit und diese Erkenntnis erfordern ein entschlossenes Handeln des Staates und seiner Institutionen. Alle Menschen, die unserem Staat dienen, müssen das auf der Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung tun, und die allerallermeisten tun das hervorragend. Ich möchte an dieser Stelle sicher nicht nur in meinem Namen den Polizistinnen und Polizisten danken, die sich tagtäglich den Kräften entgegenstellen, die unsere Demokratie infrage stellen.
({5})
Sie haben es sicher gesehen, einen Polizeibeamten, der bei einem dieser sogenannten Spaziergänge einem Teilnehmer zurief – ich zitiere –:
Sie wollen nicht spazieren gehen. Sie wollen uns verarschen. Sie wollen uns hier eindeutig an der Nase herumführen.
Und er hat einfach recht. – Die Demokratie ist wehrhaft; wir lassen uns nicht an der Nase herumführen.
({6})
Wir stehen zusammen gegen Rassisten in diesem Haus und außerhalb. Lassen Sie uns gemeinsam die Strukturen und Organisationen stärken, die die unerlässliche Bildungsarbeit vor Ort machen und den Betroffenen von rechter, rechtsextremer und antisemitischer Gewalt als Anlaufstelle dienen.
Um bei Hessen zu bleiben: Ich möchte die Bildungsstätte Anne Frank bei uns in Frankfurt erwähnen, die auch den Hinterbliebenen der Opfer von Hanau hilft, oder die Bildungsinitiative, die Frau Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar, ins Leben gerufen hat, die Kindern und ihren Eltern eine Anlaufstelle bietet, wenn sie Diskriminierung erfahren. Ich möchte diesen Organisationen und vielen anderen einfach nur meine Hochachtung zum Ausdruck bringen und Danke sagen.
({7})
Ich habe am Rande der Bundesversammlung mit Frau Unvar sprechen dürfen. Ich habe sie gefragt, was sie heute sagen würde, wenn sie hier an meiner Stelle stehen könnte, und sie hat gesagt: Sag ihnen, dass die Kinder in meiner Bildungsstätte die Zukunft Deutschlands sind wie alle anderen Kinder in unserem Land auch. – Meine Damen und Herren, lassen Sie uns für diese Zukunft zusammenstehen, sie wahren und nicht zulassen, dass sie vom Hass zerstört wird.
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Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hanau liegt nur wenige Autominuten von meinem Wahlkreis entfernt. Vor zwei Jahren wurden dort neun Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft ermordet. Die Tat war eindeutig Rechtsterrorismus und klar rassistisch motiviert.
Heute sind unsere Gedanken vor allen Dingen bei den Familien der Opfer, und ihnen rufe ich zu: Wir stehen weiterhin an Ihrer Seite. Der Hass darf in Deutschland niemals siegen.
({0})
Der politische Auftrag für uns ist klar: Jeder Mensch soll sich in Deutschland sicher fühlen können, egal welche Herkunft man hat, egal ob man politische Verantwortung trägt oder ob man einfach nur eine Synagoge, einen Weihnachtsmarkt oder die Domplatte in Köln besuchen möchte. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, brauchen unsere Behörden moderne Befugnisse, um zum Beispiel Hass in seinen digitalen Resonanzräumen wirksam bekämpfen zu können.
Ideen, wie unsere Behörden hier besser werden können, habe ich weder im Koalitionsvertrag der Ampel gefunden noch heute im Innenausschuss im Bericht der Bundesinnenministerin vernommen.
({1})
Befugnisse sollen stattdessen eingeschränkt und zusammengestrichen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brauchen, ist gesellschaftlicher Zusammenhalt. Neben allem Staatlichen ist das Gesellschaftliche unglaublich wichtig; denn die Wehrhaftigkeit unserer streitbaren Demokratie fängt bei jedem Einzelnen an, indem man Hass und Hetze im Netz, auf der Arbeit oder wo auch immer man ihn vorfindet, ganz klar widerspricht. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Gedanken werden Worte, und manchmal werden aus Worten leider auch Taten.
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Es sollte ein klarer politischer Konsens unter den demokratischen Parteien herrschen, dass es keinen guten Extremismus gibt. Wir sollten jede Form des Extremismus entschieden ablehnen und das auch immer wieder gemeinsam betonen.
({3})
Der frühere Bundesinnenminister Horst Seehofer hat dem Rechtsextremismus bereits 2019 den Krieg erklärt. Die Innenministerkonferenz hat in der letzten Wahlperiode Beschlüsse gefasst. Ein Kabinettsausschuss hat 89 Maßnahmen gegen Rassismus auf den Weg gebracht. Die Sicherheitsbehörden wurden personell und strukturell massiv gestärkt. Wir haben das Waffenrecht und das NetzDG verschärft. Wir haben eine Zentralstelle beim BKA zur Strafverfolgung von Hass im Netz geschaffen. Das BKA hat sein System zur Überwachung islamistischer Gefährder auf Rechtsextremisten übertragen. Und: Es laufen Strukturermittlungsverfahren, die wir gerade im Parlamentarischen Kontrollgremium gemeinsam vorangetrieben haben und die viel Licht ins Dunkel bringen. Der Blick der Behörden zur Aufdeckung von Netzwerken und Kennverhältnissen hat sich stark verändert und verbessert. Der Verfassungsschutz hat eine neue Abteilung, die Extremismus im öffentlichen Dienst beobachtet. Und wir, das Parlament, haben 1 Milliarde Euro zusätzlich für Präventionsprogramme bereitgestellt. Das sind nur einige Beispiele.
Ja, es ist Fakt: Der Rechtsextremismus ist eine zentrale Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland. Wir haben diesen Kampf in den vergangenen Jahren auf breiter Front aufgenommen. Das hat gerade auch Horst Seehofer mit vorangetrieben, und er war oft bei uns im Innenausschuss.
({4})
Liebe Frau Faeser, ich habe heute vernommen, dass auch Sie den Austausch mit dem Ausschuss suchen werden. Der Kampf gegen Rechtsextremismus darf nicht mit ideologischen Scheuklappen geführt werden.
({5})
Aber Sie haben uns bei Ihrem Kampf an Ihrer Seite.
({6})
Ich habe es schon im Januar gesagt: Gewalttäter der Antifa sind keine Hilfe im Kampf gegen Rechtsextremismus. Ich muss heute mit Blick auf die neue Bundesinnenministerin ergänzen: Auch die Autorenschaft für eine linksextremistisch beeinflusste Vereinigung ist ein No-Go.
({7})
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um Gastbeiträge zu transportieren. Das war eine denkbar schlechte Wahl.
({8})
Es geht nicht um Rollen, die wir spielen. Es geht nicht um Rollen, die man als Innenministerin spielt, wie man in der „Bild am Sonntag“ lesen konnte.
({9})
Es geht um das richtige Gespür für rechtsstaatliche Prinzipien.
({10})
Mit einem Artikel für eine Vereinigung, für die sich der Verfassungsschutz nicht nur in Bayern interessiert, setzt man sich in jeder politischen Rolle dem Vorwurf aus, am linken Rand zu fischen.
({11})
Das schadet dem eigentlichen Anliegen. Das schadet dem berechtigten Anliegen. Denn der rechtsstaatliche Kampf gegen den gravierenden Rechtsextremismus –
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
– kann nur gewonnen werden, wenn er mit aller Entschlossenheit, mit konkreten Befugnissen und frei von linker Ideologie geführt wird.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht wären etwas weniger Emotionen bei dieser Debatte, die einen wirklich tragischen Hintergrund hat, angemessen. Kollege Korte, um das mal zu sagen: Auch bei Beiträgen der Linken klatscht gelegentlich die AfD, ohne dass das zu denunziatorischen Schlussfolgerungen führen würde.
({0})
Ich will darauf hinweisen, dass die Masken etwas Negatives und etwas Positives haben. Das Negative ist: Man kann hier nichts verstehen. – Es könnte auch positiv sein.
({1})
Man hört hier nur eine allgemeine Geräuschkulisse, und das ist der Sache nicht angemessen.
Ich will auch darauf hinweisen: Bei diesem Thema möchte ich entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit eine Rede nur äußerst ungern unterbrechen. Aber die Aktuelle Stunde hat wegen der fünf Minuten Redezeit ein konsequentes Zeitmanagement. Ich bitte darum, das wirklich zu beachten. Das heißt, wenn die Lampe da vorne blinkt, Frau Kollegin und andere, dann sollte man wirklich zum Ende kommen; denn es ist auch fair gegenüber allen anderen Rednerinnen und Rednern in dieser Debatte.
Als nächste Rednerin erhält das Wort die Frau Bundesministerin für Inneres und Heimat, Nancy Faeser, für die Bundesregierung.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lindholz, Sie haben hier von richtigem Gespür gesprochen. Sie sollten endlich dazu übergehen, wenn es um eine Form des Extremismus geht, nicht immer reflexartig die andere hervorzuholen.
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Das ausgerechnet in dieser Debatte anlässlich des zweiten Jahrestages von Hanau zu tun, fand ich mehr als unangemessen.
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Und obwohl ich es unangemessen finde, sage ich diesen einen Satz noch: Wenn Sie mit mir hier über eine klare Abgrenzung zum Linksextremismus reden, werde ich auch dazu reden und mich ganz klar gegen Linksextremismus stellen und nicht reflexartig nach rechts gucken. Vielleicht lernen Sie davon auch was für Ihre Äußerungen gegenüber diesen Phänomenen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov nie vergessen. Sie fehlen.
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Sie alle hatten viel vor in ihrem Leben. Für sie alle war Hanau ihr Zuhause. Sie wurden mit entsetzlicher Brutalität ermordet. Viele Familien haben das Schlimmste erlebt, was passieren kann: Sie haben ihre Kinder verloren.
Der rassistische Terroranschlag in Hanau hat unser ganzes Land zutiefst erschüttert. Der 19. Februar 2020 bleibt ein tiefer Einschnitt für unser Land. In dieser Woche gedenken wir der Opfer. Heute haben wir im Kabinett beschlossen: Ab diesem Jahr ist der 11. März der nationale Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt. Wir wollen, dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen uns allen in Staat und Gesellschaft bewusster wird. Wir wollen, dass die Stimmen der Opfer gehört werden und ihre Perspektive zählt. Wir wollen die Familien der Opfer mit mehr Empathie und mit mehr Sensibilität unterstützen, auf allen staatlichen Ebenen.
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Meine Damen und Herren, viele Menschen in Hanau kannten die Ermordeten. Der Täter kannte seine Opfer nicht. Und doch wollte er genau sie treffen. Er ermordete neun Menschen, weil sie eine Einwanderungsgeschichte haben. In seinem mörderischen Rassismus, seinem fanatischen Hass und Verschwörungsdenken erklärte er sie zu „Fremden“. Das waren sie aber nicht. Sie waren Teil unserer Gesellschaft. Daran dürfen wir als Staat nicht den geringsten Zweifel lassen.
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Das Schicksal der Angehörigen der Ermordeten treibt mich sehr um – viele habe ich kennengelernt, ich hatte viele persönliche Begegnungen und Kontakte, und ich werde auch am Samstag bei ihnen sein. Deshalb sage ich auch hier ganz deutlich: Der Staat schuldet den Familien der Opfer eine transparente und lückenlose Aufarbeitung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags.
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Wir, der Bund, und das Land Hessen haben die Pflicht, aufzuklären. Nur so haben die Angehörigen die Möglichkeit, mit dem grauenvollen Geschehen leben zu können, und nur so kann das tief verletzte Vertrauen in unseren Staat wieder wachsen, bei den Angehörigen, aber auch bei anderen Menschen, die immer wieder rassistische Angriffe erleben. Dieser Anschlag hatte eine Wirkung weit über Hanau hinaus. Viele von uns können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn Rassismus zum Alltag gehört.
Zwei Jahre nach dem Anschlag sind noch viele Fragen offen. Der Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag bietet nun endlich die Chance für eine umfassende Aufarbeitung. Als hessische Landespolitikerin habe ich mich sehr dafür eingesetzt. Als Bundesinnenministerin werde ich alles dafür tun, dass auch vonseiten des Bundes Transparenz und umfassende Unterstützung erfolgen. Das ist eine Frage der Empathie und der Verantwortung. Und das ist mein Verständnis von einem Staat, der aus Versäumnissen und Fehlern lernt, einem Staat, der handelt und Konsequenzen zieht.
Dieser Anschlag kam nicht aus dem Nichts, und er geschah auch alles andere als zufällig. Die Spur des rechten Terrors zieht sich auch durch unsere jüngere Geschichte: Solingen, Mölln, Hoyerswerda, der Terror des NSU, der Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, meinem ehemaligen Kollegen Dr. Walter Lübcke, der Terror von Halle und Hanau. Wer es vorher noch nicht verstanden oder verharmlost hat, dem muss nach Hanau endlich klar sein: Der Rechtsextremismus ist die schlimmste Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
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Und deshalb hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus unsere höchste Priorität. Wir werden alles tun, um die Menschen, die in unserem Land bedroht und angegriffen werden, besser zu schützen. Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir bekämpfen die Feinde der offenen Gesellschaft. Wir bekämpfen jede Form von Extremismus mit aller Kraft. Diese Gewalt hat einen Nährboden: ein menschenfeindliches Klima, das gewaltbereite Extremisten anstachelt und im schlimmsten Fall zur Tat schreiten lässt. Geistige Brandstifter schüren diesen Hass bewusst. Sie liefern die mentale Munition für solche Taten. Diese Hetzer wissen, was sie tun. Sie haben Unterstützer, die Menschenhass und Rassismus auch aus unseren Parlamenten heraus verbreiten. Ich kann Ihnen sagen: Wir stellen uns jeder Menschenverachtung ganz entschieden entgegen, hier und überall in unserem Land.
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Und ich sage auch: Sie werden sich an eine Frau mit einer klaren Haltung an der Spitze des Bundesinnenministeriums gewöhnen müssen.
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Wir setzen alles daran, den Nährboden für rechtsextreme Gewalt auszutrocknen. Vom ersten Tag an im Amt habe ich einen klaren Kurs eingeschlagen, um die Eskalation von Hass und Gewalt zu stoppen. Wir haben die Ermittlungen des Bundeskriminalamts deutlich intensiviert. Und wir haben deutlichen Druck auf Plattformen wie Telegram aufgebaut. Ich kann heute sagen, dass wir erste Erfolge haben. Ich bin stolz darauf, dass von 68 gemeldeten zu löschenden Seiten jetzt 64 gelöscht wurden. Ich bin froh, dass wir das erreichen konnten,
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dass Posts, die Hass und Hetze verbreiten – im Übrigen auch gegen Kommunalpolitiker und andere, die Verantwortung tragen –, nun gelöscht wurden. Dafür darf ich mich auch sehr herzlich bedanken.
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Das ist ein Anfang. Wir werden weiter darauf drängen, dass das Unternehmen den gesetzlichen Pflichten nachkommt. Morddrohungen und andere gefährliche Hassposts müssen gelöscht werden und deutliche strafrechtliche Konsequenzen haben. Wir müssen Hetzer schnell identifizieren und zur Verantwortung ziehen.
Ich habe es hier an dieser Stelle im Januar angekündigt: Als Bundesinnenministerin werde ich bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. Wir setzen alles daran, Radikalisierung zu stoppen und rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen. Wir werden die Finanzströme der Extremisten verfolgen und ihnen ihre Einnahmequellen nehmen, und wir werden ihnen sehr konsequent die Waffen entziehen.
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Doch tief verwurzelter Menschenfeindlichkeit konsequent zu begegnen, ist nicht allein die Aufgabe einer starken Polizei und gut ausgestatteter Sicherheitsbehörden. Es ist auch die Aufgabe von uns allen als Gesellschaft. Deshalb werden wir gesellschaftliches Engagement, politische Bildung und Extremismusprävention stärken. Wir werden das demokratische Engagement unzähliger Vereine, Verbände, Initiativen – der Kollege Nouripour hat es genannt – in ganz Deutschland endlich verlässlich und umfassend fördern. Das ist die beste Antwort auf Menschenverachtung, Intoleranz und Gewalt. Deshalb werden Familienministerin Anne Spiegel und ich das Demokratiefördergesetz auch schnell auf den Weg bringen, meine Damen und Herren.
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Frau Ministerin!
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Wir kriegen sonst ein Geschäftsordnungsproblem.
Wir werden uns an die Opfer des 19. Februar 2020 in Hanau immer erinnern. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov bleiben immer in unserer Erinnerung. Sie fehlen.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! In diesem Land darf es keinen Platz für irgendwelchen Extremismus geben – das sollte eigentlich Konsens in diesem Hause sein. Zwei Jahre sind seit der Bluttat von Hanau vergangen, der zehn Menschen zum Opfer fielen, bevor sich der Täter selbst richtete – ein Tag, der so gut wie jedem Bundesbürger noch in Erinnerung sein wird und an dem ganz Deutschland schockiert war und in Trauer mit den Hinterbliebenen der Opfer stand.
Das kranke Weltbild des Täters manifestierte sich in einigen Videos auf seinem Youtube-Kanal und vor allem in seinem Manifest, welches er auf seiner Internetseite veröffentlichte. Der offenkundig psychisch zutiefst gestörte Täter äußerte neben rassistischem Gedankengut abstruse Verschwörungstheorien. Er sei seit seiner Geburt von einem Geheimdienst beobachtet worden, der seine Gedanken lesen und andere Menschen fernsteuern könne. Dieser unterhalte auch unterirdische Militärbasen in den USA, in denen Kinder gequält würden und der Teufel angebetet würde. Er selbst plane, mittels einer Zeitschleife in die Vergangenheit zu fliegen, um die Erde zu zerstören, bevor sich Leben auf ihr entwickeln könne. – So viel, um nur einen kleinen Einblick in seine Wahnvorstellungen zu geben.
Es ist wahrlich absurd, aber nichts kann für die politische Konkurrenz, die diese Gedankenwelt mit der Alternative für Deutschland in Verbindung bringen will, absurd genug sein, um nicht aus dieser schrecklichen Tat politisches Kleingeld zu schlagen. Als Beispiel möchte ich den Kollegen Konstantin Kuhle zitieren, der ja auch gern mal den moralischen Zeigefinger erhebt,
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der wortwörtlich auf Twitter schrieb:
Das Pamphlet des Täters von Hanau liest sich wie eine Rede von Gottfried Curio (AfD) im Deutschen Bundestag.
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Ohne Worte!
Die Frage, die sich uns heute stellt, ist: Hätte die Tat von Hanau verhindert werden können, und welche Lehren ziehen wir hieraus für die Zukunft? Bei genauer Betrachtung der Chronologie eröffnet sich eine ganze Reihe von Fällen erheblichen Behördenversagens. Bereits im Jahre 2002 erlangte man erst Kenntnis von der psychischen Störung, als der Täter beim Polizeipräsidium Oberfranken eine Anzeige mit der Begründung erstattete, man höre ihn durch die Steckdose seiner Wohnung ab. Der Amtsarzt stellte daraufhin eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit paranoiden Inhalten fest und empfahl die sofortige Einweisung in die Psychiatrie. Aus dem Krankenhaus wurde er am selben Abend ungeheilt entlassen.
2004 stellte er eine weitere paranoide Anzeige. Es folgten weitere Ermittlungen wegen diverser Delikte, beispielsweise wegen Angriffs auf einen Wachmann der Universität Bayreuth und wegen Drogenschmuggels. Trotz alledem erhielt er im Jahre 2013 eine Waffenbesitzkarte, die auch nach weiteren Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung und erneuten Drogenschmuggels nicht entzogen wurde.
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Selbst oberste Behörden erlangten Kenntnis über den Geisteszustand des Täters erst, als er kurz vor seiner Tat im November 2019 eine Strafanzeige bei der Generalbundesanwaltschaft gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation stellte, deren Inhalt größtenteils identisch mit dem zuvor von mir erwähnten abstrusen Manifest ist. Dass dieser Fall vermutlich eher mit einer psychiatrischen Behandlung hätte verhindert werden können als mit Extremismusprävention, soll natürlich nicht bedeuten, dass Extremismusprävention nicht dringend angezeigt wäre.
Aus der Statistik des Bundeskriminalamtes zur politisch motivierten Kriminalität lassen sich besorgniserregende Zahlen entnehmen, die uns alle angehen sollten. Stellvertretend möchte ich aus dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität“ Zahlen zu Körperverletzungs- und Tötungsdelikten des Jahres 2020 nennen: 1 092 Delikte von rechts und 1 526 von links.
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Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen wir einen Anstieg um 10,75 Prozent bei rechten Gewalttaten und satten 45,06 Prozent bei linken Gewalttaten. Dass unsere neue Innenministerin Faeser im Magazin „antifa“ der linksextremistischen VVN-BdA einen Artikel veröffentlicht hat, lässt nichts Gutes hoffen, was die Bekämpfung des linken Extremismus angeht.
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Ebenfalls zu nennen ist das besorgniserregende Personenpotenzial im Bereich Islamismus/islamischer Terrorismus aus dem Verfassungsschutzbericht 2020.
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Die relevanten Sicherheitskreise des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums illegale Migration, kurz: GASIM, befürchten jetzt einen rasanten Anstieg von Gefährderzahlen aufgrund der Einwanderungspolitik der Ampelkoalition, namentlich der Ministerien Faeser und Baerbock. Auch hierüber wird noch zu reden sein.
Zum Schluss bleibt uns allen, zu hoffen, dass es uns künftig gelingen wird, solche schrecklichen Taten wie die von Hanau zu verhindern. In Gedanken sind wir bei den Opfern und den Hinterbliebenen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wirth.
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Als nächster Redner erhält für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Benjamin Strasser das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren wurden bei einem rassistischen Anschlag in Hanau neun Menschen brutal ermordet. Für die neun Familien, deren Freunde und Bekannte ist die Welt seitdem eine andere. Geliebte Menschen fehlen. Sie fehlen als Eltern, als Kinder, als Geschwister, als Arbeitskollegen. Und zu diesem menschlichen Verlust mischen sich oft weitere Ängste und finanzielle Sorgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau deshalb ist es so wichtig, dass wir heute diese Debatte führen und das Schicksal der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen.
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Nach dem Anschlag gab es eine große Anteilnahme und viele Zeichen der Solidarität, und auch die Bundesregierung und verschiedene Landesregierungen haben geholfen: durch finanzielle Unterstützung und andere praktische und psychologische Hilfen. Und trotzdem müssen wir uns eingestehen, dass in zu vielen Fällen nicht angemessen und umsichtig genug mit den Betroffenen von Anschlägen umgegangen wurde und umgegangen wird.
Wenn Überlebende wie Said Etris Hashemi berichten, dass sie noch im Krankenhaus von der Polizei aufgesucht und im Rahmen einer Gefährderansprache aufgefordert wurden – Zitat – „keine Straftaten zu begehen, sich an niemandem zu rächen und die Füße stillzuhalten“, dann sollte uns das im höchsten Maße zu denken geben. Andere Angehörige wiederum beklagen eine mangelnde Kommunikation sowie einen zu bürokratischen Umgang.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen besser werden, und wir wollen auch besser werden!
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Deswegen, liebe Frau Bundesministerin Faeser, war es heute so ein wichtiges und starkes Zeichen, dass Sie gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium im Kabinett beantragt haben, den 11. März zum nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt zu erheben – nicht nur, weil es ein Wunsch der Betroffenen war, sondern weil es auch ein Signal an die Opfer, die Überlebenden und die Angehörigen ist, nicht nur von Hanau: Ihr Leid ist nicht vergessen. Es ist eine stetige Mahnung und Aufgabe, insbesondere an Verbesserungen in der Opferbetreuung und Nachsorge zu arbeiten.
Und genau das wird die Bundesregierung tun.
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Wir werden Lücken im Opferentschädigungsrecht konsequent schließen. Wir werden die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe NOAH auch für die Tätigkeit bei Anschlägen in Deutschland öffnen und so das bereits bestehende Know-how im Umgang mit Opfern weiter professionalisieren und ausbauen.
Die Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen erfahren unermessliches individuelles Leid. Doch jeder dieser Anschläge richtet sich auch gegen unsere offene und vielfältige Gesellschaft. Umso mehr ist es Verpflichtung und Aufgabe dieser Bundesregierung, stetig an der bestmöglichen Versorgung zu arbeiten. Die NSU-Terrorserie und die schrecklichen Anschläge vom Breitscheidplatz, von Halle und Hanau zeigen: Aus Worten können Taten werden. Allen Anschlägen ist eine massive Radikalisierung der Täterinnen und Täter vorausgegangen.
Und es ist eben auch das gesellschaftliche Klima, das zu einer solchen Radikalisierung beiträgt.
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Wir sollten deshalb nicht nur im Parlament auf unsere Wortwahl und den Umgang untereinander achten, sondern auch Beleidigungen, Volksverhetzung und Mordaufrufe verfolgen, die Straftaten sind – egal ob online oder offline, sie sind Straftaten.
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Deswegen wird die neue Bundesregierung alle Mittel eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats nutzen, um solche Straftaten konsequent zu ahnden und zu verfolgen. So hat der Bundesjustizminister gemeinsam mit der Bundesinnenministerin die Gangart gegenüber Plattformen wie Telegram deutlich verschärft. Es steht eben nicht im Belieben eines Unternehmens, ob es sich an deutsches Recht halten möchte oder nicht, ob Straftaten verfolgt werden oder nicht.
Und deswegen werden wir uns darüber hinaus als Bundesregierung gemeinsam mit der französischen Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, über den Digital Services Act zeitnah ein effektives rechtsstaatliches Instrument der Plattformregulierung in Europa zu etablieren. Wir müssen den Fahndungsdruck im Netz erhöhen, damit diejenigen, die sich dort strafbar machen, das nicht mehr in der Gewissheit tun können, dass ihnen keine Konsequenzen drohen. Die Praxis zeigt: In der Regel fehlen den Behörden nicht die Befugnisse, sondern die Kapazitäten, um Straftaten zu verfolgen. Deswegen sind auch die Länder in der Verantwortung, beispielsweise Internetstreifen einzurichten, die hier einen ganz wichtigen Beitrag leisten können. Aber bei allem, was getan worden ist und was noch zu tun ist, müssen wir ehrlich sein: In einer offenen, freien Gesellschaft werden wir Anschläge nie ganz verhindern können.
Die Betroffenen – letzter Satz – haben aber den berechtigten Anspruch, dass wir aus Fehlern lernen und Konsequenzen ziehen, dass der Tod dieser Menschen, dieser schlimme Tod, nicht umsonst war, nicht nur eine Mahnung ist, sondern dass er ein Auftrag bleibt.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich war schuldlos an dieser kurzen Unterbrechung.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Janine Wissler, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Danach tötete der Mörder seine Mutter und sich selbst.
In wenigen Minuten starben neun junge Menschen, die ihren Abend mit Freunden verbrachten, die gearbeitet haben oder sich etwas zu essen gekauft haben: Morde, so wahllos und doch so gezielt, weil der Täter Menschen mit Migrationsgeschichte töten wollte. Das war sein Motiv.
Unsere Solidarität gilt den Angehörigen der Opfer, unsere Solidarität gilt den Überlebenden von Hanau.
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Hanau ist kein Einzelfall und rechter Terror kein neues Phänomen. Das Oktoberfest-Attentat, Rostock, Mölln und Solingen, die Mordserie des NSU, München, der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, Hanau – über 200 Menschen wurden seit 1990 durch rechte Gewalt getötet. Immer wieder trauern Familien, fühlen sich Menschen schutzlos, werden Opfer, verdächtigt. Erinnern wir uns an den Umgang mit den Familien der NSU-Opfer, die kriminalisiert wurden, statt Hilfe zu erfahren, weil man nicht glauben wollte, dass die Täter rechte Terroristen sind.
Rechter Terror und rechte Netzwerke wurden viel zu lange verharmlost und nicht ernst genommen, und die Opferfamilien von Hanau fordern Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen – Erinnerung, damit die Tat und die Namen der Opfer nicht vergessen werden. Es darf keinen Schlussstrich geben.
Aufklärung heißt, Fehler der Behörden im Vorfeld und in der Tatnacht zu untersuchen. Armin Kurtović, Hamzas Vater, vermutet, dass vieles anders gelaufen wäre, wenn die Opfer Stefan und Marie geheißen und in Waldis Bierkeller statt in einer Shishabar gesessen hätten. Wäre auch ein schwerverletzter Deutscher ohne Migrationshintergrund von der Polizei als Erstes nach seinem Ausweis gefragt und die Abfahrt des Krankenwagens verzögert worden?
Die Initiative „19. Februar“ und die Angehörigen haben versucht, den Verlauf der Tatnacht zu rekonstruieren. Sie stießen auf viele Ungereimtheiten und sprechen von einer Kette des Versagens. Warum besaß der Täter legal Waffen, obwohl er auffällig war? Warum liefen in der Nacht Notrufe ins Leere, auch die von Vili Viorel Păun, der den Täter verfolgt hat, der Menschen schützen wollte und dabei ermordet wurde? Welche Rolle spielt der Vater des Täters, der das rassistische Weltbild seines Sohnes teilt, der die Tatwaffen zurückverlangt hat und der weiterhin in der Nachbarschaft der Opferfamilien wohnt? Warum gab es nach der Tat Gefährderansprachen an die Opferfamilien, warum keine Gefährdetenansprachen?
Diese Fragen quälen die Familien seit zwei Jahren, und in Hessen wird versucht, in einem Untersuchungsausschuss diese Fragen jetzt in Teilen zu beantworten. Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, Fehler und Verantwortung nicht benannt sind, kommen die Familien nicht zur Ruhe. Und sie haben ein Recht auf Aufklärung, sie haben ein Recht auf Konsequenzen und auf Unterstützung, meine Damen und Herren.
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Wer rechte Gewalt und rechten Terror beenden will, der muss die rechten Netzwerke erkennen, der muss die Szene konsequent entwaffnen. Es muss Schluss sein mit dem Gerede von Einzelfällen und Einzeltätern. Und wir müssen den strukturellen, den alltäglichen Rassismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen und auch in staatlichen Institutionen bekämpfen.
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Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus dürfen keinen Platz haben.
Und hören wir den Menschen zu, wenn sie erzählen, wie entwürdigend es ist, immer und immer wieder anlasslos in Polizeikontrollen zu kommen, wie schwierig es ist, mit einem nichtdeutschen Namen eine Wohnung zu finden, dass man bei der Polizei oft nicht ernst genommen wird oder sogar verdächtigt wird, wenn man doch Hilfe sucht.
Ferhats Mutter Serpil Unvar fragt: Warum müssen Eltern ihren Kindern erklären, dass sie sich in der Schule mehr anstrengen müssen, weil sie nicht die gleichen Chancen haben wie andere? Dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, anders behandelt zu werden, Vorurteilen ausgesetzt zu werden, das müssen wir überwinden. Die Diskriminierungen bei der Arbeitsplatzsuche, bei Behörden, auf dem Wohnungsmarkt und in der Schule müssen beseitigt, der strukturelle Rassismus bekämpft werden, meine Damen und Herren.
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Und wir müssen die geistigen Brandstifter benennen, die für ein Klima sorgen, in denen sich Täter ermutigt fühlen. Wer von Messermännern, Kopftuchmädchen und anderen Taugenichtsen spricht, wer Muslime, Migranten und Geflüchtete diffamiert, die Verbrechen der Nazizeit relativiert, wie die AfD das tut, schafft einen Nährboden für rechte Gewalt.
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Unsere Solidarität gilt den Menschen, die Opfer von rechter Gewalt und Bedrohung werden, und unsere Solidarität gilt all denen, die sich tagtäglich gegen Rassismus engagieren, die sich den Rechten in den Weg stellen; denn die sind doch der beste Verfassungsschutz in diesem Land.
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Gegen die Gefahr von rechts brauchen wir breite Mobilisierung, wir brauchen Bündnisse wie die „Omas gegen rechts“, wie „Black Lives Matter“, wir brauchen Antifa-Bündnisse –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– und „Aufstehen gegen Rassismus“. Zivilgesellschaftliche Initiativen und Beratungsangebote müssen gestärkt und finanziell besser ausgestattet werden.
Bitte!
Und zum Schluss: Die Opfer von Hanau sind nicht vergessen. Ihre Angehörigen fordern zu Recht: Hanau darf keine weitere Station des rechten Terrors sein, Hanau muss die Endstation sein.
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Frau Kollegin, ich habe die Regelung mit den fünf Minuten bei der Aktuellen Stunde nicht erfunden, und wir sollten nicht alle aus fünf Minuten sechs Minuten machen. Dann müssten wir die Geschäftsordnung ändern.
Als nächster Redner hat der Kollege Hakan Demir, SPD-Fraktion, zu seiner ersten Parlamentsrede das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war 35 Jahre alt, und noch nie in meinem Leben wollte ich Deutschland verlassen. Doch dann kam Hanau. Neun junge Menschen wurden ermordet, Menschen wie Sie und ich, Menschen, die Gedichte schrieben, Menschen, die heiraten, ein Leben haben wollten. Niemand wird den Schmerz und das Leid der Hinterbliebenen nachempfinden können. Dafür ist der Schmerz zu groß.
Viele der Hinterbliebenen haben die Zimmer der Opfer unberührt gelassen. Die Bettwäsche ist nicht abgezogen. Es ist wichtig, dass wir hier gemeinsam gedenken; denn der Anschlag auf ihre Söhne und Töchter, ihre Schwestern und Brüder, Mütter und Väter war ein Anschlag auf uns alle.
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Aber da ist noch etwas anderes, etwas, das über Trauer und Anteilnahme hinausgeht: Der Täter von Hanau hat seine Opfer nicht zufällig ausgewählt. Er hat nicht zufällig die Bar „La Votre“, die Shishabar „Midnight“ und die Arena Bar mit ihrem angrenzenden Kiosk ausgewählt. Er tat dies, weil er wusste, dass dort Menschen arbeiten und ihren Feierabend verbringen, die Gültekin, Unvar, Gürbüz, Hashemi, Kierpacz, Kurtović, Saraçoğlu, Velkov und Păun hießen. Er tat es aus Hass auf Menschen, die er als Ausländer wahrnahm, die er in seinem Rassismus nicht als Deutsche akzeptieren konnte.
Und wir wissen: Hanau ist kein Einzelfall. Noch an diesem Montag habe ich die Familie und Freunde von Burak Bektaş in meinem Wahlkreis Berlin-Neukölln getroffen. Er wäre an diesem Montag 32 Jahre alt geworden. Er wurde auf offener Straße getötet. Ich hatte seine Mutter mal gefragt, was wir als Politiker/-innen tun können. Sie sagte: Findet einfach den Mörder meines Sohnes.
Gestern sprach ich kurz mit Abdullah Unvar, dem Cousin von Ferhat Unvar. Er fand diesen Gedanken noch wichtig: Der Großvater von Ferhat Unvar hat Straßen in Hanau gebaut, die der Täter genutzt hat. – Der Großvater hat also etwas aufgebaut, aber es gibt Menschen in diesem Land, die zerstören wollen. Das dürfen wir nicht zulassen. Straßen können vielleicht neutral sein, aber wir dürfen es nicht sein.
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Nach der Tat in Hanau wurde von einem fremdenfeindlichen Anschlag gesprochen. Ein Anschlag auf Fremde, die in Hanau, Langen oder Offenbach geboren wurden? Nein, sie sind keine Ausländer, keine Fremden, das waren sie auch nie. Sie sind ein Teil von uns, und sie werden es auch immer bleiben.
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Zugegeben: Der Rassismus in dieser Gesellschaft kann dazu führen, dass Menschen unserer Gesellschaft den Rücken kehren. Es wäre nur zu verständlich. Stattdessen leisten die Opferfamilien Aufklärungsarbeit und klagen Versäumnisse an. Sie erzählen ihre Geschichte, lassen das Andenken an die Opfer nicht verblassen und engagieren sich in der Kommunalpolitik und in Initiativen. Diese Kraft ist einfach beeindruckend.
Auch andere Menschen schöpfen Kraft aus ihrem Beispiel. So weiß ich, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Raum gesagt haben, dass sie jetzt erst recht für den Bundestag kandidieren wollen.
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Nur um einige der wenigen beispielhaft zu nennen: Kaweh Mansoori, Reem Alabali-Radovan, Sanae Abdi.
Kolleginnen und Kollegen, ich war 35 Jahre alt, und noch nie in meinem Leben wollte ich Deutschland verlassen. Dann kam Hanau, aber ich bin geblieben wie viele andere auch; denn das hier ist auch unser Land, das ist auch unsere Sache. Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht weichen. Unser Weg hin zu einer offenen und solidarischen Gesellschaft geht weiter.
Vielen Dank.
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Ich erteile ebenfalls zu seiner ersten Rede das Wort Michael Breilmann, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau war ein schrecklicher Einschnitt für unser Land. Die Kaltblütigkeit und Sinnlosigkeit dieser Tat lässt viele von uns, mich auch, zwei Jahre später immer noch fassungslos zurück. Doch ich will hier auch feststellen – ich glaube, es ist angebracht, das noch mal zu sagen –: Die Opfer wurden von einem Täter mit menschenfeindlicher, rechtsextremistischer und rassistischer Gesinnung mitten aus dem Leben gerissen und brutal ermordet. Da kann es keine psychologischen Relativierungen oder Deutungen geben.
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Der schreckliche Anschlag mahnt und verpflichtet uns zu konsequentem Handeln gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus. Ich bin dankbar, dass so viele Menschen bundesweit in diesen Tagen, auch in meiner Heimatregion im Kreis Recklinghausen, der Opfer gedenken. Wir begrüßen auch, dass der 11. März ab sofort als nationaler Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt gilt. Das ist ein gutes und richtiges Zeichen; denn die Familien und Angehörigen der Opfer sollen wissen: Sie sind nicht allein. Wir sind in Gedanken und in unserem persönlichen politischen Handeln bei ihnen. Ihnen sind wir es auch schuldig, die Tat und ihre Umstände vollständig aufzuklären. Die Opfer von Hanau sind und waren ein vollwertiger Teil unserer Gesellschaft. Wer hier lebt, verdient Schutz vor Hass und Gewalt.
Aber ich möchte ein bisschen dem Eindruck entgegenwirken, dass erst jetzt wirklich etwas gegen Rechtsextremismus getan wird. Die unionsgeführte Bundesregierung hat in der vergangenen Legislaturperiode – da waren die Sozialdemokraten mit dabei – ein umfangreiches Maßnahmenpaket gegen Rassismus und Rechtsextremismus auf den Weg gebracht. Es ist ein Katalog mit 89 Einzelmaßnahmen für mehr Forschung, mehr Prävention und wirksamen Opferschutz. Das kann man hier auch mal deutlich sagen. Darauf können, darauf müssen wir aufbauen. Wir müssen diesen Weg konsequent weitergehen und diesen Katalog auch umsetzen.
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Ich denke, was die Lehren aus dieser schrecklichen Tat angeht, gibt es zwischen den Demokratinnen und den Demokraten in diesem Haus mehr Gemeinsames als Trennendes. Das schließt hier natürlich nicht notwendige Debatten über den richtigen Weg aus; die wird es sicherlich auch bei Ihrem Aktionsplan, Frau Ministerin, in den kommenden Monaten geben. Aber eines muss doch in dieser Aktuellen Stunde klar sein: Der Rechtsextremismus darf in Deutschland keine Chance haben.
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Die Gewaltspirale dreht sich ja leider immer weiter und schneller, und damit verbunden verschärfen sich die Radikalisierungstendenzen in den sozialen Netzwerken. Der besorgniserregende Anstieg der Fallzahlen und der zügellose Hass gegen Bürgermeister und andere Mandatsträger, darunter im Übrigen viele ehrenamtliche in der Kommunalpolitik, seien an dieser Stelle noch mal erwähnt. Auch hier dürfen wir uns nicht wegducken; denn die kommunalpolitische Arbeit, das kommunalpolitische ehrenamtliche Wirken sind die Wurzeln unserer Demokratie.
Es gilt auch, die Leistungsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden weiter zu erhalten. Aber neben der engen, verbesserten Kooperation zwischen den Sicherheitsbehörden geht es mir heute auch um eine deutliche Wertschätzung unserer Polizei und unseres Verfassungsschutzes. Die leisten nämlich eine hervorragende Arbeit. Es sind die Beamtinnen und Beamten, die für unsere Sicherheit und Freiheit jeden Tag auf die Straße gehen und auch Leib und Leben riskieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Jahre nach Hanau mahnt uns dieser Terroranschlag immer noch zum Handeln. Wir stehen hier in der Verantwortung den Opfern, aber natürlich auch den Angehörigen der Toten gegenüber. Wir können und wollen das tun. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich weiterhin mit aller Schärfe gegen jede Form von Extremismus wehren. Hierbei ist für uns klar: Der Rechtsextremismus ist derzeit die größte Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht mit allen Formen des Extremismus auseinandersetzen.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort ebenfalls zu ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag Frau Schahina Gambir, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein“, das hat Serpil Temiz Unvar, Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, mir am Sonntag auf der Bundesversammlung gesagt. Ich kann nur erahnen, wie viel Kraft es die Angehörigen und Überlebenden kostet, den anstehenden zweiten Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau zu begehen, wie viel Schmerz und Leid sie täglich durch den Verlust ihrer geliebten Angehörigen und Freundinnen und Freunde empfinden, wie viel Kraft es sie kostet, darum zu kämpfen, dass die vielen offenen Fragen rund um den 19. Februar 2020 endlich beantwortet werden, und auch wie anstrengend es sein muss, die Erinnerung wachzuhalten, die uns allen Mahnung ist, dass Rassismus entmenschlicht, ausgrenzt, verletzt und tötet. Den Angehörigen und Überlebenden gilt mein tiefstes Mitgefühl, meine und unsere Solidarität, und ich bewundere sie für ihre Stärke.
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Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie viel Ausdauer es braucht, ständig dafür zu kämpfen, dass anerkannt wird, wie tief Rassismus in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, und immer wieder erklären zu müssen, was es heißt, mit Rassismus konfrontiert zu sein und davon bedroht zu werden. Ich sage den Angehörigen und Überlebenden hier und heute: Wir stehen an Ihrer Seite, nicht nur an diesem Tag, sondern auch an den anderen 364 Tagen im Jahr.
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„Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein“, diese Worte haben mich tief bewegt. Doch in all ihrer Traurigkeit sind sie auch voller Willenskraft und Tatendrang. Und sie sind nur ein Beispiel für all das, was die Angehörigen und Überlebenden in den letzten zwei Jahren bewirkt haben, wie sie immer für die Öffentlichkeit und für uns Politiker/-innen ansprechbar waren, damit sich in diesem Land endlich grundlegend etwas ändert, damit wir Hass und Rassismus endlich strukturell bekämpfen, aber auch damit der Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen von rassistischer Gewalt und Terror endlich empathischer und würdiger gestaltet wird.
Ich stehe hier, weil ich ihnen und all den anderen Angehörigen der Opfer und Überlebenden von rassistischen Anschlägen und Übergriffen sagen will: Hier tut sich was. Hier kommen wir wirklich vorwärts.
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Aber das geht nur, wenn unsere Gesellschaft ein Grundwissen über Rassismus hat und akzeptiert, dass Rassismus aktiv verlernt werden muss, sowohl institutionell als auch jeder und jede für sich persönlich. Denn auch im Jahr 2022 gibt es noch so viele Menschen, die entweder glauben, wir hätten gar kein Rassismusproblem, oder die selbst rassistische Einstellungen teilen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum eine 17-Jährige mitten in Berlin in einer Straßenbahn aus rassistischen Motiven angegriffen wird und niemand eingreift oder zu Hilfe kommt.
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Wenn ich mir diesen Bundestag oder jedenfalls Teile davon anschaue, dann kann ich feststellen, dass wir diverser aufgestellt sind als jemals zuvor. Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Rassismuserfahrung wie ich selbst sind endlich hier oder im Kabinett vertreten. Diese Diversität ist das Fundament unserer Stärke und unseres Zusammenhalts. Das ist ein Anfang.
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Denn wir sind Stimme und Einfluss für all jene, die hier zu Hause sind und denen Teilhabe, gleiche Rechte, gleiche Sicherheit bisher viel zu oft verwehrt wurden, weil ihre Namen anders klingen oder aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft. Wir sind Stimme und Einfluss für eine konsequente, antirassistische Politik mit wirksamen Maßnahmen. Deswegen werden wir zum Beispiel ein Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen. Wir werden das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbessern. Und, ja, eine Verschärfung des Waffenrechts gehört auch dazu. Damit stellen wir Weichen für erkennbar nachhaltige Veränderungen.
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Wir werden einen langen Atem brauchen, aber wir sind es den Angehörigen der Opfer und den Überlebenden des Anschlags in Hanau und all den anderen Opfern rechtsextremer und rassistischer Anschläge schuldig. Ferhat Unvar und die anderen sollen nicht umsonst gestorben sein.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner in der Debatte ist Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag gedenkt heute der Opfer des rechtsextremen Terrorakts von Hanau vor zwei Jahren. Und wenn wir heute über dieses Ereignis debattieren, dann müssen wir zunächst über die Opfer sprechen. Der Anschlag von Hanau betraf in erster Linie Menschen, die selbst oder deren Familien nach Deutschland eingewandert sind. Damit steht der Anschlag in Hanau in einer Reihe mit den Morden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes; denn auch die Taten des sogenannten NSU richteten sich in erster Linie gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn man selber keine Vorfahren hat, die nach Deutschland eingewandert sind, wenn man selber selten oder niemals für jemanden gehalten wird, der einen Migrationshintergrund hat oder der beispielsweise muslimisch ist, dann kann man sich nur sehr schwer vorstellen, wie die Taten des NSU und wie der Anschlag von Hanau sich auf das Sicherheitsgefühl bestimmter Individuen und bestimmter Gruppen in Deutschland ausgewirkt haben.
Ich will aber auch sagen, liebe Frau Kollegin Gambir: Die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus ist nicht nur die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern mit Migrationshintergrund, sondern die Aufgabe von allen Politikerinnen und Politikern. Das müssen wir gemeinsam hier in diesem Haus voranbringen.
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Dazu gehört, dass wir die Sicherheitsbedenken der betroffenen Communitys ernst nehmen. Dazu gehört, dass wir auch in der Ausbildung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten stärker darauf drängen, dass es eine Sensibilität für die berechtigten Sicherheitsinteressen dieser Gruppen gibt. Und dazu gehört ein neuer Umgang mit Opfern. Der Kollege Staatssekretär Strasser hat es gesagt: Es gibt leider immer mehr Opfer terroristischer Gewalttaten in unserem Land. – Ich bin auch dem neuen Beauftragten der Bundesregierung, Pascal Kober, dankbar, dass er bereits konkrete Vorschläge gemacht hat, etwa im Hinblick auf den leichteren Zugang zu Entschädigungsleistungen.
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Tat von Hanau sprechen, dann müssen wir über die Opfer sprechen. Wir müssen aber auch über die Radikalisierungsgeschichte des Täters sprechen. Denn nicht jedes Motiv, das der Täter in seinen Pamphleten, in seinen Manifesten verbreitet hat, lässt sich eindeutig dem Rechtsextremismus, lässt sich eindeutig dem Rassismus zuordnen. Wenn man sich das durchliest, dann stellt man fest, dass der Täter auch Verschwörungsmythen verbreitete, die auf den ersten Blick oder wenn sie isoliert auftreten, verrückt oder abseitig herüberkommen. Aber es ist eben genau dieses Zusammenspiel aus Verschwörungserzählungen und gewaltorientierten extremistischen Radikalisierungsprozessen, das die besondere Gefährlichkeit von Tätern wie im Fall des Anschlags von Hanau ausmacht.
Es gibt eine ganz akute Überlappung von Verschwörungsmythen auf der einen Seite und Radikalisierung auf der anderen Seite: die einfachen Erklärungen für komplexe Sachverhalte, die Einteilung der Welt in Gut und Böse. Es gibt zahlreiche Studien, ältere wie neue, die sich ganz besonders mit dieser Überlappung von Verschwörungsmythen und Radikalisierung auseinandersetzen. Genau diese wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen endlich in unseren Sicherheitsbehörden ankommen. Die müssen Teil der Ausbildung sein, die müssen Teil der Personalauswahl sein. Es ist ja gut, wenn da Juristen arbeiten; aber da müssen auch Leute arbeiten, die ein Verständnis für internationale, digitale radikale Codes haben, die das lesen und verstehen können und ein Gespür dafür entwickeln, wenn sich in unserem Land etwas zusammenbraut. Ich bin dankbar, dass diese Erkenntnisse und diese Gewissheit jetzt auch im Bundesinnenministerium angekommen sind, meine Damen und Herren.
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Lassen Sie mich auch etwas zu den politischen Konsequenzen insgesamt sagen. Wir stehen am Beginn einer neuen Legislaturperiode. In der vergangenen Legislaturperiode, der 19., gab es neben dem rechtsextremen Anschlag von Hanau im Februar 2020 den antisemitisch motivierten Anschlag von Halle im Oktober 2019. Vier Monate zuvor wurde der Kasseler Regierungspräsident und CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten erschossen. Die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages war damit ganz klar gekennzeichnet von mehreren tödlichen rechtsextremistischen Anschlägen. Deswegen ist es auch total richtig, dass zu Beginn der 20. Wahlperiode eine neue Bundestagsmehrheit und eine neue Bundesregierung sagen: Das ist jetzt unser Schwerpunkt.
Erinnern wir uns doch einmal zurück an die Zeit vor zwei Legislaturperioden. Während der 18. Wahlperiode, am 19. Dezember 2016, gab es den islamistischen Anschlag am Berliner Breitscheidplatz. Es starben 13 Menschen. Infolge dieser Tat war in der darauffolgenden Legislaturperiode die Bekämpfung des Islamismus ein ganz zentrales Anliegen dieses Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, und das war richtig so.
Aber, meine Damen und Herren, einen Arbeitsschwerpunkt auf ein konkretes oder akutes Problem, hier den Rechtsextremismus, zu legen, bedeutet nicht, andere Formen des Extremismus zu vernachlässigen. Unsere Sicherheitsbehörden und unsere Innenpolitik sind auf keinem Auge blind. Es muss aber möglich sein, über konkrete Maßnahmen zu sprechen. Das Analysetool RADAR-rechts für rechtsextreme Gefährder muss fertig werden. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage für das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum und das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum im Bereich des Rechtsextremismus. Und wir brauchen eine konsequente Entwaffnung von Rechtsextremisten und Reichsbürgern auf der Basis des geltenden Waffenrechts; dazu brauchen wir es gar nicht zu verschärfen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kuhle.
Meine Damen und Herren, der Satz „Jeder Extremismus ist schlimm; es gibt keinen guten Extremismus“ ist so richtig wie banal. Wir sind es aber den Opfern jedes terroristischen Anschlags schuldig, –
Bitte kommen Sie zum Schluss.
– den Ursachen für die Tat genau auf den Grund zu gehen, um künftig derartige Anschläge zu vermeiden. Das sind wir auch den Opfern von Hanau schuldig.
Vielen Dank.
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Zu seiner ersten Rede erteile ich das Wort Lennard Oehl, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben recht; es ist meine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich spreche heute aber nicht nur als neuer Abgeordneter zu Ihnen, sondern auch als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Hanau. Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, in dieser Aktuellen Stunde zu sprechen. Ich sehe es als Verpflichtung, als Verpflichtung gegenüber den Angehörigen der Opfer, die ihre Liebsten durch einen rassistisch motivierten Anschlag verloren haben, aber auch als Verpflichtung gegenüber allen Hanauerinnen und Hanauern, die ich im Bundestag vertrete und für die der 19. Februar nie mehr ein normaler Tag sein wird.
Ich bin in Hanau zur Schule gegangen und sicherlich Hunderte Male über den Hanauer Heumarkt gelaufen. Heute schnürt es mir jedes Mal die Kehle zu, wenn ich über den Hanauer Heumarkt laufe, einen der beiden Anschlagsorte. So geht es wahrscheinlich Tausenden Hanauerinnen und Hanauern. Und gleichwohl unzählige Menschen mit dem rassistischen Anschlag eigene Emotionen verbinden, so ist dies jedoch nicht zu vergleichen mit dem unvorstellbaren Leid, das die Angehörigen durchleiden müssen. Es berührt mich persönlich sehr, wie die Angehörigen ihre Trauer auf unterschiedliche Art und Weise verarbeiten und mit eigenen Initiativen ein würdiges Erinnern ermöglichen. Ich finde es bewundernswert, nach so einem harten Schicksalsschlag nach wie vor Hoffnung in unsere Zivilgesellschaft zu haben.
Ich begrüße, dass der Anschlag aufgrund seines zweiten Jahrestages Thema der Aktuellen Stunde ist; denn das gibt mir die Möglichkeit, hier im Bundestag deutlich zu machen, was wir vor Ort in Hanau konkret zur Trauerbewältigung geleistet haben. Natürlich steht die Betreuung der betroffenen Familien durch die Stadt Hanau im Vordergrund; es geht aber auch, ganz aktuell, um das Schaffen eines würdigen Gedenkens in der Stadt und die Entwicklung neuer Angebote. Wir wollen in Hanau mit dem Zentrum für Demokratie und Vielfalt einen lebendigen Salon für Debatten einer bunten Gesellschaft einrichten. Damit soll der Zusammenhalt der Hanauer Zivilgesellschaft unterstützt werden.
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Der Anschlag war ein Anschlag auf die Werte, die diese Stadt und ihre Bürgerschaft leben. Bei der Beerdigung von Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović fand Oberbürgermeister Claus Kaminsky die passenden Worte: Diese beiden Opfer waren keine Fremden, sie waren Hanauer Buben.
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Ich habe mich sehr gefreut, dass Ajla Kurtović, die Schwester des ermordeten Hamza Kurtović, am vergangenen Sonntag Teil der Bundesversammlung war. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt, und sie gab mir für die heutige Rede folgenden Appell mit:
Sorgen Sie, sehr geehrte Politiker, dafür, dass die Umstände dieses schrecklichen Verbrechens restlos aufgeklärt und die entsprechenden Lehren daraus gezogen werden, damit sich so eine schreckliche Tat nicht wiederholen kann.
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Dieser Appell, den Ajla Kurtović in ihrer Rede bei der zentralen Trauerfeier am 4. März 2020 das erste Mal an die Öffentlichkeit richtete, hat an seiner Aktualität leider nichts verloren.
Wenn wir über die Verarbeitung des Anschlages sprechen, dann dürfen wir die politische Aufarbeitung nicht vergessen. Ich bin Nancy Faeser sehr dankbar, dass sie die Aufarbeitung im Hessischen Landtag in den letzten zwei Jahren stets vorangetrieben hat und seit ihrem ersten Amtstag als Bundesinnenministerin dem Rechtsextremismus in ganz Deutschland den Kampf angesagt hat.
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Doch auch im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages werden aktuell die Landespolitikerinnen und Landespolitiker mit den Fragen der Angehörigen konfrontiert: Hätte der Anschlag verhindert werden können? Der Täter ist bereits im Vorfeld durch rassistische Äußerungen auffällig gewesen; trotzdem konnte er in Hessen nach wie vor einen Waffenschein besitzen. Welche Pannen unterliefen den Sicherheitsbehörden im Einsatz? Warum war der Notruf technisch so veraltet, dass Anrufe der Opfer nicht durchkamen? Warum waren allgemein Notausgänge am Tatort in Kesselstadt blockiert? – Diesen Fragen der Angehörigen müssen wir nachgehen. Wer diesen Fragen nicht ernsthaft nachgeht, kann nicht behaupten, genug gegen Rassismus und rechten Terror zu unternehmen.
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Deshalb ist es unsere moralische Pflicht, auf diese Fragen Antworten zu liefern – in Hanau, in Wiesbaden, aber auch hier in Berlin.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Dr. Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind langsam am Ende dieser Debatte. Ich will deshalb nur wenige ergänzende Anmerkungen machen.
Zunächst finde ich, dass es gut ist, dass bei diesem wichtigen und auch sensiblen Thema unter den großen und demokratischen Fraktionen in diesem Haus eine große Einigkeit herrscht.
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Der 19. Februar 2020 war einer der dunkelsten Tage in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik, und er war auch einer der dunkelsten Tage in der jüngeren Geschichte meines Heimatbundeslandes Hessen. Es ist richtig und es ist wichtig, dass der Deutsche Bundestag heute, kurz vor dem zweiten Jahrestag, die Gelegenheit nutzt, auch an dieser Stelle noch einmal daran zu erinnern.
An diesem 19. Februar – wir haben es gehört – hat der Täter kaltblütig und innerhalb kürzester Zeit neun junge Menschen aus der Blüte ihres Lebens gerissen. Er hat anschließend seine Mutter getötet und sich selbst gerichtet und sich damit der Aufarbeitung in einem rechtsstaatlichen Verfahren entzogen. Es waren neun junge Menschen, die noch so viel vorhatten. Wir werden sie nicht vergessen – nicht in Hanau, nicht in Hessen und auch nicht hier im Deutschen Bundestag.
Es ist erste Pflicht des Staates, die Angehörigen nicht alleine zu lassen in ihrem Leid, aber auch mit ihren berechtigten Fragen. Deswegen hat der Generalbundesanwalt sehr ausführlich ermittelt, und deshalb ist es richtig, dass sich ein Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag mit den noch offenen Fragen beschäftigt. Und es war gut, dass Hessen hier sehr schnell reagiert hat und neben der Opferentschädigung ein Sonderförderprogramm für Hanau mit insgesamt 600 000 Euro aufgelegt hat. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Verantwortung geht darüber hinaus. Es gibt im demokratischen Rechtsstaat niemals hundertprozentige Sicherheit. Aber Auftrag des Staates ist es, den bestmöglichen Schutz für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Frau Bundesministerin Faeser, Sie haben recht: Politische Bildung ist ein Teil der Antwort darauf, aber das ist eben nicht alles. Und damit sind wir bei der sehr politischen Frage: Wie stellen wir unsere Sicherheitsbehörden auf, damit sie mit diesen Herausforderungen zurechtkommen?
Wir haben eben vom Kollegen Kuhle sehr eindrucksvoll gehört, was diesen Täter von anderen unterscheidet. Es gibt offenbar einen neuen Tätertypus – in Hanau, ähnlich auch in Halle –, der sich nicht in Vereinigungen radikalisiert, die von unseren Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden, sondern eher in der Isolation und scheinbar zurückgezogen. Das findet nicht auf Marktplätzen statt, sondern in Räumen, zu denen wir zunächst keinen Zugang haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute auch über die Frage sprechen, welche Instrumente unsere Sicherheitsbehörden brauchen, um hierauf die richtigen Antworten zu finden.
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Da muss man leider sagen, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, nicht die richtige Antwort ist.
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Das, was Sie dort niedergeschrieben haben, ist eher ein Manifest des Misstrauens gegen unsere Sicherheitsbehörden.
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Sie lehnen die Onlineuntersuchung ab, Sie lehnen die Quellen-TKÜ ab,
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und auch eine personelle Perspektive für die Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden fehlt.
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Frau Bundesministerin, wir kennen uns aus Hessen.
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Sie standen immer wieder – auch gegen Widerstände in Ihrer eigenen Partei – engagiert auf der Seite der Beamtinnen und Beamten.
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Ich möchte Ihnen heute zurufen: Setzen Sie sich gegen die Bedenkenträger in dieser Koalition durch! Statten Sie die Sicherheitsbehörden mit den Möglichkeiten aus, die sie brauchen! Uns haben Sie dabei an Ihrer Seite.
Herzlichen Dank.
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Der letzte Redner in dieser Runde ist Uli Grötsch, SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Angehörige der Opfer des rechtsterroristischen Anschlages von Hanau, ich werde die Namen Ihrer Verstorbenen nicht vergessen, und ich glaube, dass in dieser Debatte deutlich geworden ist, dass wir alle, die Demokratinnen und Demokraten in diesem Haus, die Namen der Opfer des Anschlages nicht vergessen werden – Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu –, genauso wie wir die Namen der NSU-Mordopfer nicht vergessen werden, keinen Einzigen. Sie sind uns allen Mahnung und Auftrag. Denn sie sind die Opfer der größten Gefahr in unserem Land geworden. Sie sind allesamt Opfer des Rechtsterrorismus geworden.
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Und wir werden auch nie vergessen, wie rassistisch und einseitig die Polizeiermittlungen bei den NSU-Morden waren – „Dönermorde“, Angehörige als Beschuldigte usw. Auch die Angehörigen der Mordopfer von Hanau mussten sich anhören, dass an der Tat des Wahnsinnigen Merkels Flüchtlingspolitik schuld sei. Und sie mussten zum Beispiel vom damaligen AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen und seinen Parteikollegen hören, dass es sich eben nicht um rechten Terror, sondern um die Tat eines Irren handle. Das haben wir in dieser Debatte heute in gleicher Weise noch mal gehört, Einzeltätertheorie also.
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Ich dachte, nach all den Untersuchungsausschüssen bundesweit und in den Länderparlamenten wäre ein für alle Mal klar, dass wir rechtsterroristische Strukturen und Netzwerke in unserem Land haben – mit fast 14 000 gewaltbereiten und bewaffneten Neonazis und 76 rechten Gefährdern, von denen jeder Einzelne eine tickende Zeitbombe ist. Wer aber von dieser konkreten Gefahr nicht sprechen möchte, der kann sie auf der anderen Seite natürlich auch nicht bekämpfen.
Ja, das stimmt, Herr Heck: Es ist die erste Pflicht des Staates, sich um die Opfer derartiger Anschläge zu kümmern. Deshalb ist es ja so beschämend, dass die Angehörigen nach dem Anschlag von Hanau nicht sofort die Unterstützung und Behandlung vor allem aus einer Hand erfahren haben, die angemessen gewesen wäre.
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Das lag nicht zuletzt in Ihrer Zuständigkeit, in der Zuständigkeit der Regierung, der Sie am Tattag angehört haben. Das tut mir persönlich und uns allen sehr leid, und ich bin froh, dass die heutige Bundesinnenministerin damals so schnell und so nah bei den Angehörigen der Opfer war.
Nichts, was wir als Staat tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen, bringt den Angehörigen die Verstorbenen zurück oder lindert gar ihr Leid. Aber vielleicht – ich danke allen, die heute Appelle und Zitate der Angehörigen der Opfer vorgetragen haben – finden sie Trost in dem Wissen, dass wir Demokratinnen und Demokraten hier im Deutschen Bundestag und in vielen anderen Parlamenten dieses Landes alles tun werden, damit sich derart monströse Taten wie die von Hanau nicht wiederholen.
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Ich darf sagen: Wir haben die Sicherheitsbehörden, Herr Heck, schon so aufgestellt, dass sie auf derartige Täterphänomene reagieren können. Wir haben ihnen schon die Instrumente an die Hand gegeben. Die Sicherheitsbehörden haben schon ihre Strukturen diesem Tätertypus angepasst. Und mit Verlaub: Dass gerade Sie das heute sagen, verwundert mich etwas. Ich sehe Ihr Bundesland Hessen und Ihre Hessische Landesregierung gerade nicht als den Vorkämpfer und die Speerspitze im Kampf gegen Rechtsterrorismus. Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses und andere in Ihrem Landtag wissen, wovon ich spreche, und alle diejenigen, die sich mit dem Thema befasst haben, ebenso.
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Wir haben uns in der Koalition darauf geeinigt und es im Koalitionsvertrag so festgehalten, dass wir die Maßnahmen gegen Hass im Netz verschärfen werden, mit mehr Prävention, aber auch mit einem schärferen Schwert des Rechtsstaates. Es sind eben nicht nur Worte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unser Koalitionsvertrag, das, was wir tun, ist konkrete Arbeit im Kampf gegen Rechtsterrorismus.
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Zu lange hat dieser Staat rechten Terror nicht wahrgenommen, im schlimmsten Fall sogar ignoriert. Aber ich versichere Ihnen – damit komme ich zum Schluss –, dass für mich und meine Partei und für alle Demokratinnen und Demokraten in diesem Land und in unserer Koalition und für die Bundesinnenministerin der Kampf gegen rechts oberste Priorität hat, weil der Rechtsterrorismus die größte Gefahr in diesem Land war und bleibt.
Vielen Dank.
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