Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/27/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben aktuell eine Zeit, die für Frieden und Sicherheit auf unserem Kontinent entscheidend ist, eine Zeit, in der wir für unsere Werte eintreten müssen, eine Zeit, in der markige Sprüche gut klingen, aber Steilvorlagen für heftigste Konsequenzen sein könnten. ({0}) Das ist alles andere als eine einfache politische Zeit; denn es ist schwer, es nicht als Drohung zu verstehen, wenn sich über 100 000 Soldaten mit Panzern und Geschützen ohne nachvollziehbare Gründe in der Nähe der Ukraine versammeln und in Belarus weitere Truppen zusammengezogen werden. Und die russische Regierung hat uns mit Forderungen nach sogenannten Sicherheitsgarantien konfrontiert, die mit der europäischen Sicherheitsordnung nicht vereinbar sind. Die Bundesregierung reagiert darauf geschlossen und entschlossen, und zwar, ehrlich gesagt, nicht mit etwas, was uns gerade so einfällt, sondern natürlich in enger Abstimmung gemeinsam mit unseren EU-Partnern, unseren NATO-Partnern und im Rahmen der G 7. ({1}) Da haben wir klipp und klar deutlich gemacht, dass ein erneutes militärisches Vorgehen gegen die Ukraine massive Konsequenzen für Russland hätte. Auf dieser Basis arbeiten wir an einem starken Sanktionspaket. ({2}) Bei neuer Aggression steht uns eine Bandbreite an Antworten zur Verfügung, inklusive Nord Stream 2. Ja, wir wollen jederzeit Dialog, aber es braucht angesichts der aktuellen Lage auch Härte, die unmissverständlich deutlich macht: Die souveräne Gleichheit von Staaten und die Grundpfeiler der europäischen Friedensordnung sind nicht verhandelbar. ({3}) Diese Haltung vertreten wir geschlossen, und zwar transatlantisch und europäisch. In den vergangenen Wochen ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht mit den Amtskolleginnen und Amtskollegen aus der EU und aus der NATO gesprochen habe – in zahlreichen Telefonaten und bei persönlichen Treffen. Dabei hatte ich, genauso wie der Bundeskanzler, zwei Botschaften: Unsere Einigkeit ist unsere stärkste Waffe, wenn man dieses Wort überhaupt gebrauchen möchte, und – ja, das kann man ganz offen sagen – unsere Rollen sind dabei nicht komplett identisch. Wir haben unterschiedliche Rollen zwischen unterschiedlichen Ländern. Länder wie Polen und Litauen übernehmen eine andere Rolle als Länder wie Italien, Frankreich und eben auch Deutschland, und zwar aus guten Gründen. Denn unsere Stärke in diesem Bündnis ist doch gerade, dass wir eine klare gemeinsame Haltung haben und zugleich unsere Stärken in unterschiedlichen Rollen entsprechend einsetzen. ({4}) Um mal ein ganz anderes Beispiel aus dem Sport zu nehmen: In einem Team braucht es keine elf Mittelstürmerinnen, die alle dasselbe machen, sondern elf Spielerinnen, die gut miteinander können und die vor allen Dingen den gleichen gemeinsamen Spielplan im Kopf haben. – Und unsere besondere Rolle ist dabei als Deutschland, als eine der stärksten Wirtschafts- und Industrienationen der Welt, das eine führende Rolle in Europa spielt, folgende: Deutschland ist seit Jahren der größte Geber in der Ukraine: über den IWF, über die EU und bilateral. ({5}) Aktuell arbeiten wir daran, 150 Millionen Euro aus einem ungebundenen Finanzkredit möglichst schnell an die Ukraine auszuzahlen. Wir arbeiten natürlich bei der Impfstoffversorgung, im Energiesektor und bei den Reformprozessen im Land gemeinsam mit unseren Partnern zusammen. Und wir haben gemeinsam mit Frankreich – das war in den letzten Jahren nicht immer einfach – dafür gesorgt, dass wir als Europäerinnen und Europäer gerade in diesem Moment bei dem Thema Sanktionen ganz eng beieinander bleiben. ({6}) Deutschland – das braucht man gar nicht so wegzuwischen – unterstützt die Ukraine auch militärisch: Und zwar – das möchte ich an dieser Stelle auch einmal deutlich sagen – liefern wir jetzt auf ukrainischen Wunsch Schutzhelme. ({7}) Das hat sich Frau Lambrecht nicht einfach ausgedacht, sondern das war der besondere Wunsch, dem wir hier jetzt nachkommen. Das Gleiche gilt für Schutzbunker bei Odessa. Es gab vor ein paar Tagen den Anruf, dass wir bitte dabei unterstützen mögen, diese wieder instand zu setzen, und morgen – weil wir direkt handeln – wird eine erste Erkundungsreise dahin stattfinden. Ukrainische Offiziere haben an der militärischen Ausbildungshilfe des Bundesverteidigungsministeriums teilgenommen. Die deutsche Unterstützung für die Ukraine im Rahmen des NATO-Treuhandfonds beträgt seit 2014 mehr als 8 Millionen Euro. Auch in der EU – das wird gerade vorbereitet – planen wir jetzt gemeinsam mit anderen europäischen Partnern eine Ausbildungsunterstützung für die Ukraine. Im NATO-Bündnis – es ist hier wichtig, dass wir unterscheiden zwischen unserer Unterstützung der Ukraine und dem NATO-Bündnis – ist Deutschland seit 2014 eine der Leitnationen in der Vornepräsenz im Baltikum. Genauso stehen wir auch heute zu unserer Verantwortung im Bündnis, indem wir in diesem Jahr wieder mit der Beteiligung am NATO Air Policing South in Rumänien und im Baltikum aktiv sind. Meine Damen und Herren, auch darüber diskutieren wir heute sehr offen – das ist ja Sinn und Zweck einer parlamentarischen Debatte –, dass nun einige fordern, diesen Kurs zu verlassen und jetzt akut Waffen zu liefern. Natürlich – und das sage ich auch ganz offen und ehrlich – muss man in schwierigen Situationen sein Handeln immer wieder auch selbstkritisch reflektieren. Aber ich sage hier auch sehr klar und deutlich, da ich ja nicht nur Chefdiplomatin unseres Landes, sondern auch Politikerin bin: Eine Pressemitteilung ist schnell geschrieben, aber seinen außenpolitischen Kurs einfach mal so um 180 Grad zu drehen, wo gerade noch – das sage ich auch an die Unionsfraktion – im Sommer eine andere Entscheidung getroffen worden ist, sollte man schon bei vollem Bewusstsein tun. Und vor allen Dingen sollte man damit nicht Türen zur Deeskalation verschließen, die sich gerade in diesem Moment so zaghaft wieder öffnen. ({8}) Ich war bewusst in der letzten Woche vor Ort, sowohl in der Ukraine als auch in Russland, um darüber zu sprechen. Präsident Selenskyj hat gestern noch mal deutlich gemacht, wie wichtig Minsk für ihn ist, dass er sich dringend ein baldiges Gipfeltreffen wünscht und dass es Fortschritte im Verhandlungsprozess braucht. Das hat für mich, das hat für diese Bundesregierung jetzt absolut oberste Priorität. ({9}) Gestern hat deswegen zum ersten Mal seit Langem – auch das ist keine Selbstverständlichkeit – wieder ein physisches Beratertreffen im Normandie-Format stattgefunden. Wir haben dort über acht Stunden lang verhandelt. Ob dabei etwas rauskommt, wissen wir nicht. Niemand kann das in dieser Zeit mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Aber: Wer redet, der schießt nicht. Daher ist es fatal, die Wiederaufnahme des Dialogs einfach so abzutun. Warum? Weil die Menschen im Donbass seit zwei Jahren, seit dieser Pandemie noch mal ganz besonders leiden. Das Minsker Abkommen dreht sich gerade darum, den Menschen in der Region wieder etwas mehr normales Leben zu ermöglichen. Als ich dort war, hat eine Botschaftsmitarbeiterin gesagt: Ich bin immer mal wieder hingefahren, um meine kranke Oma zu sehen; aber seitdem ich jetzt ein kleines Baby habe, mache ich das nicht mehr. Was ist, wenn ich nicht mehr zurückkomme? – Das sind die Lebensschicksale, um die es hier geht. Das ist die Alltagssituation für viele Tausende Menschen, und deswegen ist das Minsker Abkommen so entscheidend. ({10}) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir, mein französischer Amtskollege Le Drian und ich, werden daher übernächste Woche wieder in die Ukraine und auch an die Kontaktlinie reisen, um die intensiven Bemühungen der OSZE an dieser Stelle zu unterstützen. Ich sage sehr deutlich: Das, was wir gerade im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit tun, ist in dieser Situation essenziell. Wir müssen in diesem Moment die Ukraine gerade wirtschaftlich und finanziell stärken; denn im 21. Jahrhundert droht man nicht nur mit Kanonen. Wir haben in der Pandemie gesehen, was passiert, wenn Lieferketten ausfallen. Deswegen haben wir, habe ich ganz bewusst entschieden, dass wir unser Botschaftspersonal nicht reduzieren, sondern dass wir die Ukraine dadurch unterstützen, dass wir präsent sind, dass wir investieren, dass Diplomatie absoluten Vorrang hat und dass wir gemeinsam für die Sicherheit der Ukraine und in ganz Europa eintreten. Herzlichen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile dem nächsten Redner das Wort: Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen vermutlich alle noch unter dem Eindruck der Reden, die wir heute Morgen zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gehört haben. Es erfüllt mich mit etwas Beklemmung, wenige Minuten später hier im Deutschen Bundestag über die Frage reden zu müssen, ob nicht möglicherweise erneut ein Krieg in Europa droht – ein Krieg, Frau Baerbock, kein Fußballspiel. Herr Bundeskanzler, wir hätten uns durchaus vorstellen können, dass nicht die Bundestagsfraktionen auf unsere Initiative hin heute Morgen diese Debatte beantragt hätten, sondern dass Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Lage eine Regierungserklärung abgegeben hätten und anschließend eine Debatte im Deutschen Bundestag stattfindet. ({0}) Es droht ein Krieg in einem Teil unseres Kontinents, der von den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges in besonders brutaler Weise betroffen war. Auf dem Territorium der heutigen Ukraine hat es grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung gegeben, vor allem an der jüdischen Bevölkerung. Die Ukraine hat allein im Zweiten Weltkrieg mehr als ein Viertel ihrer Bevölkerung verloren. Und schon vor dem Zweiten Weltkrieg war die Ukraine vielfältig Opfer: des russischen Bürgerkriegs, der Kollektivierung unter Stalin und nicht zuletzt des Hitler-Stalin-Paktes von 1939. Deswegen, Frau Baerbock, erlaube ich mir den Hinweis: Wenn Sie an anderer Stelle mit Verweis auf die deutsche Geschichte zur Rücksichtnahme und zur Zurückhaltung ermahnen, was wir teilen, dann kann das nicht nur an die Adresse Russlands gehen, dann muss das auch und ganz besonders an die Adresse der Ukraine gehen. ({1}) Ich denke, wir müssen deshalb heute zunächst einmal einige Dinge miteinander klären: Wir sind uns vermutlich hier im Deutschen Bundestag weitgehend einig, dass Russland ein europäisches Land ist, das wir alle gern als Teil einer stabilen politischen Ordnung in Europa sehen würden. Ich will persönlich hinzufügen: Die meisten von uns haben die Rede, die Wladimir Putin von dieser Stelle aus wenige Tage nach Nine Eleven im Jahr 2001 fast ausschließlich in deutscher Sprache vor dem Deutschen Bundestag gehalten hat, in Erinnerung. ({2}) Ich habe diese Rede hier im Parlament miterlebt. Ich sage ganz ausdrücklich: Ich bedaure, dass die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder die Angebote, die Putin gemacht hat, nicht angenommen hat, und ich bedaure, dass ich als Oppositionsführer im Jahr 2001 die Bundesregierung unter Gerhard Schröder vier Wochen später nicht gefragt habe, warum er diese Angebote nicht angenommen hat. Aber, meine Damen und Herren, das war der Putin von 2001. Diejenigen von Ihnen, die an der Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 in München teilgenommen haben, wissen, dass wir seit dem Jahr 2007 einen anderen Putin haben. Dieser Putin und dieses Russland destabilisieren seit 15 Jahren systematisch die politische Ordnung in Europa, und dies unter beständiger Verletzung der Verträge und Vereinbarungen, die Russland und zuvor die Sowjetunion verbindlich eingegangen sind. Cyberangriffe auf den Deutschen Bundestag, Auftragsmorde und Giftanschläge im eigenen Land und in anderen Ländern Europas bis hin zu der als „Tiergartenmord“ in die Öffentlichkeit gelangten Ermordung eines Georgiers hier in unmittelbarer Nähe, wenige Hundert Meter vom Deutschen Bundestag entfernt, im Tiergarten: Das ist der tägliche Bestand des Handelns des russischen Staates. Vorrangiges Ziel der permanenten Destabilisierung durch Russland ist ganz offensichtlich seit einigen Jahren die Ukraine. Erst die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, zugleich das Eindringen russischer Truppen und paramilitärischer Einheiten in die Ostukraine und seit einigen Wochen nun ein massiver Truppenaufmarsch an mehreren Stellen, auch in Belarus, im Zangenangriff auf die gesamte Ukraine. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir uns hier im Deutschen Bundestag in der Feststellung einig sind, dass diese Gefährdung des Friedens in Europa ausschließlich von der Russischen Föderation und ausschließlich von Wladimir Putin ausgeht. ({3}) Und deshalb, Herr Bundeskanzler, sagen wir Ihnen trotz der sehr unklaren Position Ihrer eigenen Partei zu Russland, die offensichtlich auch Ihr Handeln bestimmt: Nicht allein wir, die Opposition im Deutschen Bundestag, sondern auch die Menschen in unserem Land erwarten von Ihnen jetzt, dass Sie im deutschen Parlament eine klare Einschätzung der Lage aus Ihrer Sicht geben und dass Sie vor allem die Konsequenzen daraus für Deutschland und für Europa aufzeigen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie, so wie alle Ihre Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, mit Partnern in der Europäischen Union Initiativen ergreifen. Und wenn sich nicht alle 27 Mitgliedstaaten beteiligen können oder wollen, dann sollten Sie wenigstens mit Frankreich, mit Polen, mit den baltischen Staaten und auch mit Großbritannien gemeinsame klare Antworten geben. Dies erfordert eine klare und unzweifelhafte Haltung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren. ({4}) Es kann sein, dass wir noch etwas Zeit haben. Aber dann, Herr Bundeskanzler, darf an der europäischen und darf auch an der deutschen Entschlossenheit kein Zweifel entstehen. ({5}) Und diese Zweifel sind da. Sie haben es immerhin fertiggebracht, in dem ansonsten heillos zerstrittenen amerikanischen Kongress eine vollkommen einheitliche Einschätzung des unklaren Bildes und der Unzuverlässigkeit der Bundesrepublik Deutschland entstehen zu lassen. Das ist Ihre Verantwortung, Herr Bundeskanzler, das ist Ihre Politik. Sie führen nicht, weder in Deutschland noch in Europa. ({6}) Und wer, wie Sie, diese Zweifel entstehen lässt, sich erkennbar – jedenfalls für die deutsche Öffentlichkeit; es kann ja sein, dass Sie im Stillen viel Gutes tun – ({7}) zu wenig um dieses Problem kümmert, der vergrößert das Risiko nicht nur für die Bevölkerung in der Ukraine, sondern auch für die politische Stabilität in ganz Europa. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort dem nächsten Redner: Lars Klingbeil, SPD-Fraktion. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist gestartet in einer schwierigen internationalen Situation. Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag war noch nicht einmal trocken, als die neue Regierung schon gefordert war, nicht nur mit einer schwierigen innenpolitischen Lage, der Pandemie, umzugehen, sondern auch mit einer schwierigen außenpolitischen Lage, dem sich zuspitzenden Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze. Ich will meine Rede damit beginnen, dass ich dem Bundeskanzler und der Bundesaußenministerin danke für das Engagement und die Intensität des Engagements, die beide stellvertretend für die ganze Bundesregierung in den letzten Wochen an den Tag gelegt haben. Es ist wichtig, dass Deutschland europäisch und international Verantwortung übernimmt. Das erleben wir von dieser Bundesregierung. Dafür ein großer Dank an dieser Stelle! ({0}) Herr Merz – an dieser Stelle noch einmal: Glückwunsch zur Wahl! –, ich sage Ihnen auch: Ich habe mich gefragt, wie lange die ruhige, bedächtige Tonlage, die wir in den letzten Wochen von Ihnen erlebt haben, anhält. Sie haben recht: Außenpolitik ist kein Fußballspiel. – Ich sage auch: „Außenpolitik ist mehr als Schwarz und Weiß, Außenpolitik hat nicht diese simple Einteilung in Gut und Böse“, und ich habe eine Bitte: Außenpolitik dient auch nicht der Selbstfindung einer neuen Oppositionspartei. ({1}) Ich glaube, dass die Bundesrepublik Deutschland immer davon geprägt war, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik einen Konsens hatten, der größer war als eine Regierungsmehrheit, und ich wünsche mir – diesen Wunsch möchte ich äußern –, dass wir das beibehalten. Ich habe mich gefragt – bei Ihrer Rede gerade und auch bei einigen Kommentaren, die ich in den letzten Tagen gehört habe –: Was wünscht man sich eigentlich von der Spitze des Landes? Wir hatten eine Bundeskanzlerin, die 16 Jahre – ich will das hier erwähnen – das Land gut geführt hat, indem sie Lösungen gefunden hat, statt auf Überschriften zu setzen. Das ist das, was ich auch jetzt von einer Bundesregierung erwarte. Es gibt andere Beispiele: ein konservativer Staatslenker in Großbritannien, der die Europäische Union kaputtmacht; ein Konservativer – und Freund ja gerade der CSU – in Ungarn, Herr Orban, der die Europäische Union kaputtmacht. Ich erinnere mich daran, wie die Junge Union nach der Wahl Herrn Trump als konservativen Staatslenker gefeiert hat; er hat auf Überschriften gesetzt, internationale Beziehungen aber kaputtgemacht. Herr Merz, das, worum es geht, ist doch, dass wir hier eine Bundesregierung haben, die mit Bedacht und lösungsorientiert in einer schwierigen Lage, wie wir sie an der russisch-ukrainischen Grenze haben, nach Lösungen sucht. ({2}) Das ist das, was ich von einer Bundesregierung erwarte. Deswegen noch einmal ein großer Dank an Olaf Scholz, an Annalena Baerbock für das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben. ({3}) Worauf kommt es jetzt an? Ich will hier ein paar Punkte klar benennen. Das Erste ist – und das müssen wir uns jeden Tag bewusst machen –: Mitten in Europa droht gerade ein Krieg. Zwei Flugstunden von Berlin entfernt droht eine kriegerische Auseinandersetzung, die diesen Kontinent nachhaltig verändern kann. Deswegen geht es nicht um eine innenpolitische Debatte. Es geht jetzt darum, außenpolitisch alles zu tun, damit eine militärische Eskalation der Lage abgewendet werden kann. Zweiter Punkt, um den es geht – das sage ich ganz klar –: Wir benennen sehr deutlich, von wem die Eskalation ausgeht; das ist die russische Seite. Die Eskalation, die wir gerade erleben, geht von Russland aus, und wir blicken mit großer Sorge auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, auf die innenpolitische Entwicklung in Russland, auf die Verletzung des Völkerrechts. Wir sind da klar: Wenn die territoriale Integrität der Ukraine angegriffen wird, dann gibt es eine klare, eine konsequente und eine entschiedene Antwort, die diese Bundesregierung mit den internationalen Partnern abgestimmt hat. ({4}) Und, Herr Merz, ich weiß gar nicht, was unverständlich ist an der Aussage des Bundeskanzlers: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. – Ich meine, es waren nicht der Vorsitzende der FDP oder die Vorsitzenden der Grünen oder der SPD, die als Erstes gerufen haben: Aber SWIFT nehmen wir aus. – Das waren Sie. ({5}) Sie haben der russischen Seite gezeigt, dass wir an dieser Stelle wackeln. Der Satz „Alle Optionen liegen auf dem Tisch“ muss aber von allen hier unterschrieben werden. Damit komme ich zu meinem dritten Punkt. Wir brauchen Klarheit und wir brauchen Konsequenz, wenn die russische Seite die Grenze politisch, geografisch überschreitet. Aber bis dahin konzentrieren wir uns doch jetzt bitte darauf, über Frieden zu reden. Wir brauchen doch nicht jeden Tag Drohungen, wir brauchen nicht jeden Tag Drohgebärden, wir brauchen nicht jeden Tag eine weitere Eskalation der Situation, sondern wir müssen als Bundesrepublik Deutschland deutlich machen, dass es gerade darum geht, Frieden zu organisieren, jedes Gespräch zu nutzen, jeden Dialog. ({6}) Jeder Tisch, an den man sich setzen kann, ist wichtig, damit Frieden organisiert wird. Und ich sage hier ausdrücklich: Waffen zu liefern, bedeutet nicht, Friedensbemühungen zu stärken. ({7}) Deswegen ganz klar: Wir liefern keine Waffen in die Ukraine. ({8}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen will: Ja, wenn die aktuelle Situation überwunden ist, müssen wir auch wieder die größere Perspektive in den Blick nehmen: Eine dauerhafte Friedensordnung in Europa wird es nicht geben gegen Russland, sondern nur mit Russland. ({9}) Deswegen muss der russischen Seite klar signalisiert werden: Ihr habt euch da verrannt; ihr seid auf einem völlig falschen Weg; das, was ihr gerade tut, rückt diese europäische Friedensordnung in weite Ferne. Aber das Angebot, sich an den Tisch zu setzen und darüber zu reden, wie wir Frieden und Stabilität in Europa organisieren, dieses Angebot bleibt bestehen. Herzlichen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention Friedrich Merz erteile, begrüße ich recht herzlich auf der Besuchertribüne den Botschafter der Ukraine, seine Exzellenz Herrn Dr. Andrij Melnyk. Herzlich willkommen! ({0}) Nun hat das Wort zur Kurzintervention Friedrich Merz.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Klingbeil, wir nehmen das Angebot einer weitestmöglichen Zusammenarbeit in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Verteidigungspolitik mit Ihrer Bundesregierung, Ihrer Fraktion, den Koalitionsfraktionen an. Damit genau an dieser Stelle keine Irritationen entstehen: Ich habe SWIFT in der Tat angesprochen. Ich habe, um in dem Bild, das ich gewählt habe, zu bleiben, auf die Sprengkraft hingewiesen, die eine Aussetzung von SWIFT hätte. Aber SWIFT liegt auch für mich ausdrücklich mit auf dem Tisch der Möglichkeiten, wenn es darum geht, diese Bedrohung abzuwenden, nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa. Es ist nicht vom Tisch, es bleibt auf dem Tisch. Es hätte allerdings erhebliche Rückwirkungen auch auf unsere Volkswirtschaft, und die müssen wir alle bedenken, wenn wir auch über solche Instrumente sprechen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort dem nächsten Redner: Stefan Keuter, AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns zusammen eine Zeitreise in das Jahr 1962 machen: Der damalige amerikanische Präsident Kennedy drohte der Sowjetunion mit einem dritten Weltkrieg, sollte sie atomare Waffen auf Kuba – quasi vor der Haustür der USA – stationieren. Wenn Sie mich fragen, tat er das zu Recht. Warum tat er das? Die Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten waren massiv bedroht. Lassen Sie uns gut dreißig Jahre weitergehen, ins Jahr 1999: Polen, Tschechien und Ungarn treten der NATO bei. Einige Jahre später, 2004 bzw. 2007, folgten Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien. ({0}) Betrachten wir einmal das Verhältnis zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine; es ist in der postsowjetischen Zeit geprägt durch Scharmützel um Gas und die Krim. Lassen Sie uns über die Krim sprechen. 180 Jahre war sie russisch; nachdem sie von den Osmanen erobert worden war, wurde russifiziert. 1954 hat Chruschtschow per Verwaltungsakt – es ging damals um den Bau einer Eisenbahnlinie – die Krim der Ukraine angegliedert. Die Krim hat seitdem zweimal versucht, zu Russland zurückzukehren: 1994 und zuletzt 2014 in einem Referendum, in dem fast 97 Prozent der Bevölkerung der Krim für den Anschluss an Russland stimmten. Völkerrechtlich gibt es da verschiedene Bewertungsmöglichkeiten; aber dazu wird uns unsere Außenministerin ja wahrscheinlich ein bisschen mehr sagen können. Was mich beängstigt, ist diese Stimmungsmache gegen Russland, und zwar in den Medien, in der Politik und vor allen Dingen auch hier in diesem Hohen Hause, dem Bundestag. ({1}) Wir müssen nur unseren Vorrednern zugehört haben, um zu bemerken, dass es sich hier um eine unsägliche Rhetorik handelt mit Drohszenarien von Krieg und der Einstellung von Gaslieferungen. In dieses Horn stößt auch der Botschafter der Ukraine, Melnyk, der heute in diesem Hause zu Gast ist. Das freut mich, Herr Melnyk, so kann ich es Ihnen auch sagen: Die Forderung nach Waffen können wir Deutschen nicht erfüllen, und Ihre unsägliche Kriegstreiberei kann ich nur verurteilen. Sie beleidigen Deutschland, ({2}) Sie ziehen unwürdige Vergleiche zur deutschen Geschichte, zum Nationalsozialismus. Frau Baerbock, unter Ihren Vorgängern wäre so ein Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt worden, und ein Staatssekretär hätte ein sehr nachhaltiges Gespräch mit ihm geführt. ({3}) Es gibt aber auch andere Töne. Vizeadmiral Schönbach äußerte vor Kurzem, dass Russland Respekt auf Augenhöhe möchte und auch verdienen würde, dass Krieg absoluter Nonsens sei, dass die Krim weg sei und auch nie wieder zurückkommen würde. Ich sage es Ihnen, meine Damen und Herren: Dieser Offizier hat nicht nur recht, er hat auch Schneid. ({4}) Wem nutzt diese Eskalation an der Grenze in der Ukraine, cui bono? Die USA nutzen die Pipeline Nord Stream 2 als Druckmittel. Deutschland soll eigene Interessen für fremde Interessen opfern. Wir schauen uns die EU-Sanktionen von 2014 an, die übrigens ganz geschickt die USA ausklammern. Leidtragende sind vor allem Russland mit einem Wirtschaftsverlust von 36 Milliarden US-Dollar, direkt gefolgt von Deutschland – mit weitem Abstand zu all den anderen europäischen Staaten zusammen – mit 23 Milliarden US-Dollar. Wir schneiden uns mit diesen Sanktionen ins eigene Fleisch, und das muss ein Ende haben. ({5}) Die US-Wirtschaft übrigens hat im gleichen Zeitraum ein Plus in diesen Geschäften gemacht. Damit muss Schluss sein. Die Ukraine braucht eine Lösung, eine Lösung, die sowohl auf der einen Seite die Interessen der Ukraine berücksichtigt, auf der anderen Seite aber auch die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation. Wir haben es eben gehört, und da gebe ich Ihnen recht: Einen Frieden ohne Russland wird es nicht geben. Lassen Sie mich ein Fazit ziehen. Es gibt keinen Krieg, es droht auch kein Krieg. Es droht kein Gasmangel. Die Sicherheitsinteressen Russlands müssen wir ernst nehmen, dann klappt das auch mit dem Weltfrieden. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Keuter, ich möchte noch mal ausdrücklich an die parlamentarische Wortwahl erinnern und dass diese auch hier im Hohen Hause eingehalten wird. – Vielen Dank. Der nächste Redner ist Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen hier eine Debatte unter dem Titel „Frieden in Europa sichern“, weil wir eine Kriegsgefahr in Europa sehen, die nach übereinstimmender Analyse in diesem Haus – mit Ausnahmen, die nicht weiter erheblich sind – von Russland ausgeht. Ich möchte an diesem Tag, am 27. Januar, daran erinnern, dass man den Menschen in Russland nichts über die Gräuel des Krieges erzählen muss. Der 27. Januar 1944 war der Tag, an dem die Rote Armee die Blockade von Leningrad nach über 900 Tagen Belagerung durch die deutsche Wehrmacht endlich durchbrochen hat. Über 1 Million Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Die Blockade von Leningrad war ein Kriegsverbrechen, ein grauenhaftes Kriegsverbrechen. Sie steht symbolisch für all die Opfer, die alle Völker der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg erbracht haben – eben auch Weißrussen, Ukrainer genauso wie die Russen, meine Damen und Herren. Wir verneigen uns vor diesen Opfern und nehmen die Verantwortung an, die uns aus diesen Taten erwächst. ({0}) Aber so wenig man den Menschen in Russland über die Gräuel des Krieges sagen muss, so dringend scheint es zu sein im Dialog mit der aktuellen russischen Regierung. Wir müssen diesen Krieg abwenden, der uns in Europa droht. Dazu – und das will ich hier ausdrücklich unterstreichen – ist Diplomatie auf allen Kanälen das Mittel der Wahl: ({1}) im NATO-Russland-Rat, im Normandie-Format, bilateral mit der OSZE und mit der Europäischen Union. Das ist der Weg, wie wir versuchen, Frieden in Europa zu schaffen, meine Damen und Herren. ({2}) Nun hat gestern Außenminister Lawrow verkündet, dass für die OSZE und die Europäische Union kein Platz am Verhandlungstisch sei. Für mich heißt das dreierlei. Erstens. Mit ihrer Ablehnung der OSZE zeigt die Russische Föderation, dass ihr Präsident offenbar nicht weniger will, als die europäische Friedensordnung von 1990 zurückzudrehen: die Ablehnung der Charta von Paris, die Ablehnung des Wiener Dokuments, vielleicht sogar die Ablehnung der Schlussakte von Helsinki. Wir müssen die russische Seite daran erinnern, dass sie all diese Dokumente unterschrieben hat und dass sie sich an sie zu halten hat. ({3}) Zweitens. Für uns als Europäische Union bleibt der Frieden auf dem europäischen Kontinent unser erstes und fundamentalstes Interesse. Wir sind bereit, russische Sicherheitsbedürfnisse zu adressieren auf der Basis des Völkerrechts. Aber wir sind nicht bereit, meine Damen und Herren, wie es Wiktor Jerofejew gestern formulierte, der russischen Regierung die Schaffung einer zweiten Wirklichkeit zuzugestehen. Nicht die NATO bedroht Russland, auch nicht die Ukraine. Nicht die NATO hat die europäische Friedensordnung durch die Verlegung von 100 000 Soldaten an die Grenzen eines anderen Landes gestört. Nicht die NATO hat Soldatinnen und Soldaten in Ländern stationiert gegen den Willen der betroffenen Regierungen. Keine NATO-Soldaten stehen in Georgien, in der Republik Moldau oder in der Ukraine. Es sind die Soldaten der Russischen Föderation, meine Damen und Herren. Die russische Seite wäre erheblich glaubwürdiger, wenn Präsident Putin den Rückzug dieser Truppen anordnen würde. ({4}) Drittens. Wir dürfen uns als Westen nicht auseinanderdividieren lassen. Ein Einmarsch Russlands in die Ukraine, die Verletzung der territorialen Integrität und ihrer Grenzen muss weitere ernsthafte Konsequenzen für Moskau haben, politisch, wirtschaftlich und finanziell. Ich finde es in dieser Hinsicht extrem gut, wie eng die Abstimmung mit unseren europäischen, aber auch mit unseren amerikanischen Partnern in der NATO erfolgt. Die NATO hat gerade erklärt, dass sie bereit ist, weiter mit Russland zu reden. Die amerikanische Seite hat erklärt, dass sie 8 500 Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die Bedeutung von Worten und Gesten ist allen klar. Auch das Ziehen von roten Linien ist nötig; aber es ist dann wichtig, diese roten Linien auch zu respektieren. Alle Optionen liegen auf dem Tisch, meine Damen und Herren. Wir sollten keine Option vom Tisch nehmen, um die Kalkulation derer, die in Moskau die Kriegsgefahr anheizen, leichter zu machen. Im Gegenteil: Machen wir die Kalkulation so schwierig wie möglich. Machen wir den Krieg in Europa unwahrscheinlich. Sichern wir den Frieden auf unserem Kontinent. Herzlichen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schwierigkeit bei dem Gegenstand der Gespräche mit Russland besteht darin, dass das so unterschiedlich gesehen wird. Der Westen möchte gerne über die Gefahr in der Ukraine sprechen. Russland will über eine neue Sicherheitsordnung in Europa sprechen. Und mit einer neuen Sicherheitsordnung wären vielleicht auch die Gefahren für die Ukraine zu minimieren, die aber auch selbst Versuche unterlassen muss, den Konflikt ausschließlich militärisch zu sehen. ({0}) Welche Voraussetzungen gibt es? Gerade gegen den Willen Russlands müssen wir der OSZE wieder ein stärkeres Gewicht geben, das sie früher mal hatte, heute aber kaum noch. Die NATO kann nicht quasi als einzige Säule europäischer Sicherheit verstanden werden und darf sich nicht, wie bisher, als Instrument gegen Russland sehen. Frieden und Sicherheit in Europa – das wurde hier schon gesagt – gibt es nicht ohne, geschweige denn gegen Russland. ({1}) Der frühere Außenminister Genscher hat am 2. Februar 1990 im Beisein vom damaligen US-Außenminister Baker Folgendes gesagt: „Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt nicht nur für die DDR, sondern ganz generell.“ ({2}) Später hat das auch Helmut Kohl gesagt. Im Gegensatz dazu sind 14 Staaten in die NATO aufgenommen worden. ({3}) – Ja. ({4}) Den USA wird immer ein Sicherheitsabstand zugebilligt. Wenn jetzt wirklich schwerbewaffnete russische Soldaten auf Kuba und in Venezuela stationiert werden würden, würden die USA das nicht zulassen. ({5}) Ich stelle an Sie die Frage: Warum billigen Sie der Atommacht USA einen Sicherheitsabstand zu und der Atommacht Russland nicht? Das verstehe ich nicht. ({6}) Ihre Kritik am Truppenaufmarsch in Russland besteht zu Recht. Aber diese Kritik ist nicht aufrichtig, wenn man das Agieren der NATO durch die Nähe ihrer Truppen zur russischen Grenze, die dort stattfindenden NATO-Manöver und den Beschuss der Ostukraine durch Kampfdrohnen der ukrainischen Armee auslässt, übrigens Drohnen mit deutscher Technologie aus der Türkei. Apropos Türkei: Sie hat nicht nur Truppen und Kriegsgerät auf eigenen Territorien an irgendeiner Grenze stationiert, sondern ist völkerrechtswidrig in Syrien einmarschiert, hat Luftangriffe geflogen – alles nur gegen Kurdinnen und Kurden, und das auch noch, ohne die NATO zu informieren. Was sagt die Bundesregierung dazu? – Fast nichts. ({7}) Jeden Tag wird über Russland gesprochen, aber kaum über die Türkei. Offensichtlich darf ein NATO-Partner alles. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit der Politik. ({8}) Aber jetzt sage ich noch etwas: Die NATO sagt – das sagen Sie ja auch, Graf Lambsdorff –, sie habe nicht die geringsten aggressiven Absichten. Das mag ja sein; aber wenn es die russische Führung nicht glaubt, nutzt uns das nichts. Es gibt nur einen Weg; das sind Verhandlungen. Waffenlieferungen können auf gar keinen Fall die Antwort sein. ({9}) In den 90er-Jahren war von einem gemeinsamen Haus Europa die Rede. Das wird man nicht auf gegenseitiger Hochrüstung bauen können. Die FDP sollte vielleicht noch einmal bei Hans-Dietrich Genscher nachlesen. ({10}) Seit gestern gibt es nun auch Forderungen des Westens. Ich wäre dafür, dass die NATO Forderungen an Russland stellt, zum Beispiel: Ende aller Hacking-Angriffe, eine Reduzierung von Truppenmanövern in bestimmten Gebieten, keine Gefährdung der Souveränität der Ukraine oder anderer Länder. ({11}) Wenn man das machte – Russland hat seine Forderungen, wir hätten unsere Forderungen –, dann könnte man Verhandlungen führen, und solange man Verhandlungen führt, gibt es auch keinen Krieg. Das ist das Wichtigste. ({12}) Außerdem: Bei den Verhandlungen muss man Moskau auch entgegenkommen; sonst machen Verhandlungen gar keinen Sinn. Man muss ja nicht alles übernehmen, aber man muss die Bereitschaft zeigen, dem anderen entgegenzukommen. Und ich sage Ihnen noch etwas: Die Ukraine könnten wir auch dadurch sichern, dass wir Aufnahmegespräche zur EU beginnen. Allerdings müssen die Werte in der Ukraine gesichert sein. Es darf uns nicht dasselbe passieren wie bei Polen und Ungarn. Letzter Satz: Die Alternative zu all diesen Vorschlägen wäre eine weitere Zuspitzung mit der Gefahr eines Krieges. Können wir Deutschen vor dem Hintergrund unserer Geschichte das ernsthaft in Kauf nehmen oder sogar daran mitwirken? Ich denke auch an die heutige Gedenkstunde, die wir erlebt haben: Wir brauchen Frieden durch Entspannung, Deeskalation, Interessenausgleich und durch Verhandlungen, und das wird höchste Zeit. ({13})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Robin Wagener, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Robin Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass seine Exzellenz Herr Melnyk heute bei der Debatte hier ist. Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 25. Januar 2014, verstarb Roman Senyk durch die Gewalt der Berkut-Einheiten während des Euromaidan. Es heißt, dass eine Granate ihn schwer verwundete, seine Hand zerriss und ein Metallgeschoss seine Lunge verletzte. Er überlebt die Notoperation nicht. Ich kenne die Biografie dieses Mannes nicht; aber er ist einer von Tausenden, die seit der Revolution der Würde ihr Leben für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit, für Würde und Freiheit, für die Annäherung und die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union verloren haben, für eine Mitgliedschaft in der EU, die der Kreml seit jeher zu unterbinden versucht. Es hat mich daher sehr gefreut, dass unsere neue Außenministerin diesen Opfern am Mahnmal in Kiew unseren Respekt zollte und den Menschen in der Ukraine unsere Solidarität versicherte. ({0}) Sie hat bekräftigt, dass unser Weg nach Moskau in der Frage stets über Kiew führen wird: keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine. Und Putin fordert aktuell den Frieden in ganz Europa heraus. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat es keine vergleichbaren Truppenkonzentrationen samt rhetorischer Drohgebärden und Kriegspropaganda gegeben. Russland hat über ein Drittel seiner militärischen Fähigkeiten an die ukrainische Grenze verlegt; über zwei Drittel von ihr wird aktuell von russischen Streitkräften an der Grenze kontrolliert. Wer von der NATO-Einkreisung Russlands schwadroniert, hat keinen Blick für die Realität, und es ist dabei klar – das, Herr Merz, in Ihre Richtung –: Nicht die Ukraine, sondern Russland ist es, das hier eskaliert. In dieser Situation reicht eine einzige Fehleinschätzung, die einen Flächenbrand auf dem Kontinent auslösen könnte. Und in dieser Situation sind Frieden und Diplomatie unsere Stärke, die unsere Gemeinschaft auszeichnen muss. ({1}) Wir brauchen daher kein rhetorisches Wettrüsten in der „Bild“, auf Twitter oder hier im Saal, sondern die europa- und friedenspolitische Klarheit unserer Außenministerin, wie sie gegenüber Außenminister Lawrow klar deutlich gemacht wurde. Eine überhitzte Debatte um Waffenlieferungen schafft keine Klarheit. Sie überlagert die Diskussion zu wirkungsvollen Sanktionen. Sanktionen träfen derzeit zielgenauer, als Waffen es tun, und Sanktionen gefährden nicht das Leben der Soldaten oder der Zivilbevölkerung in der Ukraine oder in Russland. Aber sie gefährden den Machtapparat im Kreml, der für die Bedrohung unseres Friedens verantwortlich ist, den Machtapparat, dem wir mit einer geschlossenen Haltung und klaren Sanktionsdrohungen entgegentreten und unmissverständlich deutlich machen, dass die europäische Friedensordnung nicht verhandelbar ist und weitere Verletzungen der territorialen Integrität der Ukraine harte politische und wirtschaftliche Konsequenzen hätten, wobei wir im Übrigen keine Sanktionen voreilig vom Tisch nehmen sollten. Gut, dass Sie, Herr Merz, bei SWIFT noch einmal die Kurve gekriegt haben. Aber das zeigt, wie gefährlich voreiliges Schwadronieren in der Frage ist. ({2}) Ich habe, ehrlich gesagt, von Ihnen viel Kritik gehört, aber wenig konkrete Vorschläge, was denn wirklich passieren soll. Deutschland ist für die schwersten Menschenrechtsverletzungen auf dem Boden der Ukraine verantwortlich, so auch für das Verbrechen von Babyn Jar, wo innerhalb weniger Stunden 33 771 Menschen durch SS und Wehrmacht ermordet wurden. Das ist eines von vielen deutschen Verbrechen auf dem Boden der Ukraine, Russlands und Belarus’. Die strategische Zurückhaltung bei Waffenlieferungen sollte niemals als unterlassene Hilfeleistung missverstanden werden, nicht in Kiew und schon gar nicht in Moskau. In dieser Frage kann sich niemand parteipolitische Bequemlichkeit oder simple Überschriftenpolitik leisten. Das ist eine Gewissensfrage.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Wagener.

Robin Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– Mach ich. – Denn wir wollen und werden das Leben der Menschen schützen. Unsere im Koalitionsvertrag vereinbarte grundsätzliche restriktive Rüstungspolitik rührt aus der Verantwortung unserer Geschichte und ist zugleich Ergebnis der gesellschaftspolitischen Entwicklung seit 1945.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Wagener, letzter Satz jetzt bitte.

Robin Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie ist kein Ausdruck mangelnder Solidarität mit der Ukraine und steht auch dafür, dass wir fest an der Seite der europäischen Friedensordnung stehen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Wagener, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.

Robin Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau, ich bin fertig. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort dem Kollegen Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Holocaustüberlebende Inge Auerbacher hat uns eine Aufgabe mitgegeben. Die Aufgabe lautete, eine Kerze für den Frieden zu entzünden. Wenn wir heute diese Kerze für den Frieden entzünden würden, dann würde sie in einem erheblichen Gegenwind stehen. Lassen Sie uns eine Kerze entzünden mit der heutigen Debatte für Frieden und gesicherte Freiheit – auch für die Ukraine, nicht nur für uns. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Friedrich Merz und Alexander Graf Lambsdorff haben sehr deutlich gemacht, dass der Verursacher der Eskalation in Moskau sitzt, und wir müssen sehr klar ansprechen, wo Ursache und Wirkung sind. Es ist Geschichtsklitterung, wenn Gregor Gysi hier Russland das Wort redet und Beifall von der AfD bekommt. Denn erinnern wir uns an die Auswirkungen, was die Ukraine durchzumachen hat: Im Jahre 1994 vereinbarte man im Budapester Memorandum und in vielen Verhandlungen davor, dass die Ukraine ihren Status als drittstärkste Nuklearmacht der Welt abgibt, die Atomwaffen übergibt, um selbst Integrität und Souveränität zu erhalten. Und 2014 ist dieses Abkommen gebrochen worden. Sämtliche Nuklearverhandlungen weltweit liegen auf Eis, weil alle das Beispiel Ukraine fürchten. Das ist die Wahrheit. Herr Klingbeil, ich hätte mir gewünscht, dass Sie so klare Worte gefunden hätten wie Alexander Graf Lambsdorff oder Friedrich Merz. ({0}) Frau Außenministerin, ich hätte mir gewünscht, dass Sie diesen Punkt deutlicher herausarbeiten. Es ist natürlich richtig, dass wir verhandeln. Aber die Bundesregierung hat in den letzten 80 Tagen kein glückliches Bild abgegeben. Unsere Hoffnung, auch die der Union, ist, dass Sie nicht in den noch verbleibenden Tagen, bis Sie die 100 Tage voll haben, die16 Jahre verantwortlichen Aufbaus verspielen. Es war Außenminister Steinmeier, der 2014 mit dem Minsker Abkommen gemeinsam mit der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten erreicht hat, dass wir eine europäische Lösung gefunden haben. Diese europäische Lösung war damals gegen den Willen der USA, die auf eine militärische Aufrüstung der Ukraine setzten. Aber was ist denn aus 2014 geworden? Wir müssen uns doch Gedanken machen, ob unsere Art des Umgangs seit 2014 wirklich erfolgreich war. Seit wenigen Wochen – seit wenigen Wochen – sind so viele Truppen um die Ukraine stationiert wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Wir sind am Vorabend einer kriegerischen Eskalation, wenn wir nicht aufpassen. Wir müssen schauen, dass Putin sich nicht versteigt, weil er eine Erwartungshaltung im eigenen Volk schürt, von der er nicht mehr herunterkommt. Deshalb müssen wir – das erwarte ich auch von Ihnen, Herr Bundeskanzler – alles tun, dass der Zusammenhalt der Europäischen Union gewährleistet bleibt und dass die Ukraine ernst genommen wird. ({1}) Wir müssen zu einem respektvolleren Umgang mit der Ukraine kommen und nicht sorglos glauben, dass wir als der stärkste Geber, die führende Macht in der zivilen Unterstützung der Ukraine, auf volles Verständnis stoßen. Ich möchte nicht Klitschko zitieren, weil es ein sehr ernstes Thema ist. Aber wenn die europäischen Staaten Deutschland bitten, mitzuhelfen, dass Exporte bestimmter Systeme möglich sind, dann sollten wir hinter den Kulissen ganz schnell diese Anträge gewährleisten. Wir müssen von dem verständnisvollen Umgang mit Russland zu einem entschiedeneren Umgang mit Russland kommen. Ich denke, dass die Kanzlerin dies über viele Jahre versucht hat. Aber heute können wir das nicht fortsetzen, in dem Sinne, dass wir auf der Schiene der Beschwichtigung fahren, wenn Russland fast 80 Prozent seiner eigenen Landstreitkräfte um die Ukraine stationiert. Diese Truppenmassierung ist einzigartig. Deswegen kommt es, damit die Kerze nicht ausgepustet wird, darauf an, dass wir gemeinsam mit der EU ein starkes Signal setzen, dass wir Biden, den wir uns statt Trump gewünscht haben, zeigen, dass wir in der Lage sind, transatlantische Lastenteilung zu gewährleisten, dass wir in der Lage sind, in der europäischen Sicherheit vorbildlich zu wirken, dass wir im systemischen Wettbewerb mit China zeigen, ob wir überhaupt in der Lage sind, in der Gleichzeitigkeit von Krisen weltweit Krisenprävention auch außerhalb Europas zu leisten. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten keine Sanktionen ausschließen. Sie müssen hart verhandelt werden; nicht alles muss öffentlich gemacht werden. Aber von vornherein mit Ausschließeritis zu beginnen, ist ein Riesenfehler. Abschließend. Wir müssen unsere Bevölkerung darauf vorbereiten, dass Sanktionen ihren Preis haben, sie werden auch uns treffen; ansonsten sind Sanktionen wirkungslos. Wenn Putin erkennt, dass wir bereit sind zu entschiedenem Handeln, ermöglichen wir ihm auch, dass er die Truppen zurückzieht. Ansonsten müssen wir geschlossen bleiben und zusammenstehen. In dem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir eine Kerze haben, die diesem Wind entgegensteht. Ich danke Ihnen. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Michael Roth, SPD-Fraktion. ({0})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, am 27. Januar, gedenken wir der Opfer des Holocaust. Alleine 24 Millionen Menschen – Soldatinnen und Soldaten, Zivilistinnen und Zivilisten – fielen dem Vernichtungskrieg von Nazideutschland auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zum Opfer – unendliches Leid! Und wir erinnern der furchtbaren Orte des Grauens und der Vernichtung. Das betrifft aber nicht nur das heutige Russland; das betrifft eben auch die anderen Staaten, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind. Malyj Trostenez ist ein Ort der Vernichtung und des Grauens in Belarus. Babyn Jar ist ein Ort der Vernichtung und des Grauens unweit von Kiew. Deshalb ist die Verantwortung, über die wir immer wieder sprechen, eine Verantwortung, die wir allen Staaten des östlichen Europas zuteilwerden lassen. Das erfordert viel Sensibilität, aber eben auch Mitgefühl und Empathie. Die Ukraine wird nicht irgendwie abstrakt bedroht. Sie wird ganz konkret bedroht, und das seit vielen, vielen Jahren: 2014 die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die militärische Unterstützung der Separatisten im Osten der Ukraine – das ist ein kriegsähnlicher Zustand seit vielen Jahren – und jetzt der Aufzug von 100 000 gefechtsbereiten Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Das ist eine Bedrohung der Sicherheit nicht nur für die Ukraine, nicht nur für die Staaten und Gesellschaften Osteuropas, sondern es ist auch eine Bedrohung der Sicherheit für uns in Deutschland und der Europäischen Union, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Viele in Deutschland, vor allem auch meine Partei, sind stolz auf die Ostpolitik von Willy Brandt und von vielen anderen, die im Prinzip die Voraussetzung dafür geschaffen hat, dass Deutschland, aber eben auch Europa wiedervereinigt werden konnte. Deshalb muss unsere Botschaft immer sein: Go east! Ich stelle fest, dass es in unserer Gesellschaft, aber auch bei uns selber viel zu wenig Interesse daran gibt, was sich derzeit im östlichen Europa abspielt. Wenn wir heute über eine europäische Ostpolitik sprechen – das wäre meine Ermutigung –, dann muss das heißen, dass wir die Souveränität und die Bündnisfreiheit der Staaten im Osten Europas anerkennen. Über deren Zukunft wird nicht allein in Moskau entschieden, sondern in deren Hauptstädten, in deren Gesellschaften. Das gilt sowohl für die NATO-Mitgliedschaft als auch für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. ({1}) Wir dürfen keine Türen verschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wenn wir über europäische Ostpolitik sprechen, dann müssen wir immer auch die Sicherheitsinteressen unserer mittel- und osteuropäischen Partnerinnen und Partner miteinbeziehen. Wir können doch nicht einfach die Augen davor verschließen, dass sich Polinnen und Polen, die Menschen in den baltischen Staaten, konkret bedroht fühlen von einer solchen militärischen Aufrüstung. Wenn wir über europäische Sicherheit sprechen, dann fordern wir zu Recht mehr europäische Souveränität in der Sicherheits-, Verteidigungs- und in der Außenpolitik. Das darf aber nicht gegen die NATO gerichtet sein, sonst verlieren wir die mittel- und osteuropäischen Länder, die vor allem ihre Sicherheitsinteressen in der NATO gewahrt wissen. Es muss darum gehen, dass wir die Formate, die wir haben – OSZE, NATO-Russland-Rat –, auch wieder ernst nehmen, dass wir auch endlich wieder über Angebote sprechen, die wir Russland im Bereich der Rüstungskontrolle, im Bereich der Abrüstung unterbreiten können, dass wir wieder vertrauensbildend tätig sind. Wenn es etwas gibt, was für mich zwingend zu einer europäischen Ostpolitik gehört, dann ist es die Zivilgesellschaft: It’s the civil society, stupid! Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, dass Putin seit Jahren die kritischen Teile der Zivilgesellschaft ausgrenzt, kriminalisiert und an den Rand der Gesellschaft drängt. Deswegen muss es uns darum gehen, dass wir dieser Bewegung für Demokratie und Freiheit zumindest Gehör verschaffen. Herr Putin hat doch nicht in erster Linie Angst vor den NATO-Soldatinnen und NATO‑Soldaten; er hat Angst vor der Kraft von Demokratie und Freiheit, die von uns, von der Europäischen Union, ausgeht. Deshalb müssen wir dieser demokratischen und freiheitlichen Bewegung auch immer wieder zum Durchbruch verhelfen, indem wir diesen Menschen Mut machen und ihnen sagen: Ja, wir nehmen auch das wahr, was mit euch passiert. ({3}) Und wir brauchen – last, but not least – mehr Austausch, mehr Begegnung. Ich habe schon vor Jahren vorgeschlagen, dass wir ein eigenes Jugendwerk für Osteuropa auf den Weg bringen, wo sich junge Menschen aus der Europäischen Union, aus Russland und aus anderen osteuropäischen Staaten begegnen, dass wir mehr tun im Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft und dass wir auch dazu beitragen, dass wir endlich wieder über eine Friedensordnung sprechen, die aber nicht darauf beruht, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– dass Russland permanent zur Destabilisierung Osteuropas beiträgt; das ist kein Gebot der Stunde. Darüber müssen wir reden. Deswegen sind die Gespräche, die wir jetzt führen, auch unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesregierung, so unendlich wichtig. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Petr Bystron, AfD-Fraktion. ({0})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Exzellenz! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Roth, ich kann dieses Gerede davon, dass Russland Europa destabilisieren will, nicht mehr hören. Das entbehrt jeder logischen Grundlage. ({0}) Russland hat die Ressourcen, wir haben das Know-how. Es liegt im Interesse der Europäischen Union, aller Staaten in der EU, mit Russland zusammenzuarbeiten, genauso wie das im Interesse Russlands liegt. ({1}) Das, was Sie hier vorführen, ist Kriegstreiberei, Panikmache und Kriegsrhetorik. Ja, es ist richtig: Russland bewegt seine Armee auf seinem Territorium. Darüber wird hier sehr intensiv gesprochen. Aber wird auch darüber gesprochen, was auf der Gegenseite, in der Ukraine, passiert? Ich möchte Ihnen zitieren, was der ukrainische Verteidigungsminister vorgestern erklärt hat: Ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass Stand heute die russischen Streitkräfte keine Angriffsgruppierungen aufgestellt haben, die einen gewaltsamen Einmarsch in die Ukraine durchführen könnten. Also bitte betreiben Sie hier an dieser Stelle keine Kriegsrhetorik! ({2}) Lieber Herr Roth, Sie haben die Interessen Polens angesprochen. Wir nehmen die ernst. Ich komme gerade von einem Gespräch mit dem estnischen Botschafter; ich war letzte Woche im Parlament in Prag. Wir nehmen die Interessen der mittel- und osteuropäischen Länder ernst. Aber Sie müssen sehen, Herr Merz: Es ist nicht richtig, dass die Konfrontation ausschließlich von Russland ausgeht. Zu einem Streit gehören immer zwei, mindestens zwei, manchmal sogar drei Akteure; das geht nie nur mit einem. Und ein Akteur – das ist der rosa Elefant hier im Raum; das wurde überhaupt noch nicht angesprochen – sind die USA. Herr Merz, die USA sagen doch ganz offen, dass sie Russland aus SWIFT ausschließen wollen, dass sie ein Embargo verhängen wollen, dass sie die Gaslieferungen von Russland nach Europa stoppen wollen, weil sie uns ihr überteuertes LNG als Hilfe verkaufen wollen. ({3}) Das sind doch die Interessen, die hier im Spiel sind. Ich war erstaunt, liebe Frau Außenministerin, dass wir hier so schnell zu Einigkeit gefunden haben; denn Sie haben gesagt, man soll miteinander sprechen und die Ukraine soll endlich an die Vereinbarungen von Minsk II erinnert werden und zurück an den Verhandlungstisch kommen. Dem stimmen wir hundertprozentig zu. Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die Ukraine nicht weiter eskaliert, ({4}) dass sie Fernsehsender der Opposition nicht abschaltet, dass sie oppositionelle Politiker wie unseren Kollegen, den Parlamentsabgeordneten Medwedtschuk, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Bystron. ({0})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– nicht widerrechtlich einsperrt, sondern dass sie zurück an den Verhandlungstisch kommt. Dann werden wir wieder Frieden haben. Danke schön. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Denken Sie bitte an Ihre Maske. – Und auch Sie möchte ich an unsere parlamentarische Wortwahl erinnern. Es fiel erneut das Wort „Kriegstreiberei“. ({0}) – Ich erinnere an die parlamentarische Wortwahl. Wenn das weiterhin vorkommen sollte, werde ich mir weitere Ordnungsmaßnahmen vorbehalten. ({1}) Ich erteile das Wort dem nächsten Redner: Bijan Djir-Sarai, FDP-Fraktion. ({2})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit April des letzten Jahres stehen russische Truppen an der Grenze zur Ukraine. Mit der Behauptung, dass Russlands Sicherheit bedroht sei, wird das Truppenaufgebot seitdem weiter verstärkt. Forderungen nach dem Abzug aus dem Gebiet und die Warnung vor Sanktionen blieben bisher völlig unbeachtet. Ich bin weiterhin sehr besorgt über die Lage vor Ort. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag über den Konflikt, den Russland entfacht hat, offen diskutieren. Meine Damen und Herren, nicht die Ukraine hat diesen Konflikt entfacht, nicht die NATO hat diesen Konflikt entfacht, sondern Russland hat diesen Konflikt entfacht. ({0}) Diplomatie und Deeskalation müssen für uns oberstes Gebot sein und bleiben. Dabei dürfen wir aber die Fakten in dieser Debatte nicht ignorieren. Es ist nicht die Sicherheit Russlands, die bedroht ist. Es ist die Ukraine, die von Russland bedroht wird; es sind die Menschen in der Ukraine, die Angst um ihre Zukunft haben. Immer öfter wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Sicherheitsgarantie von russischer Seite genannt. Ich frage mich, wovor Russland eigentlich Angst hat und wofür Russland eine Sicherheitsgarantie braucht. Ich glaube nicht – das hat der Kollege Michael Roth vorhin auch zu Recht gesagt –, dass Russland Angst vor der Ukraine oder vor der NATO hat. Russland hat Angst vor Demokratie und Freiheit. ({1}) Es wäre ein Albtraum für Präsident Putin, wenn die Ukraine europäisch, demokratisch und wirtschaftlich erfolgreich wäre. Deswegen versucht Russland nun schon seit vielen Jahren, die Ukraine und übrigens ganz Europa zu destabilisieren. ({2}) Russland hat Angst vor Veränderung und Fortschritt. Wenn ehemalige Sowjetrepubliken der Geist der Freiheit packt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch im eigenen Land ähnliche Bewegungen entstehen. Das lässt deutlich erkennen, dass die außenpolitische Agenda des Kremls stark innenpolitisch motiviert ist. Es darf nicht sein, dass am Ende ein Verhandlungsergebnis steht, bei dem Russland ein Vetorecht über die Zukunft anderer Staaten hat. Herr Kollege Gysi, weil Sie das vorhin in Ihrer Rede erwähnt haben: Es gibt einen Grund, warum die Menschen in diesen Ländern in die NATO wollen. Der Grund ist: weil sie Angst vor Russland haben und weil sie sich Hoffnungen machen, eine Zukunft in Sicherheit zu haben. Das sollte bei dieser Debatte ebenfalls erwähnt werden, meine Damen und Herren. ({3}) Aus unserer Sicht ist es von großer Bedeutung, dass der Kreml den Preis weiterer Eskalationen kennt. Zu einer realistischen Außenpolitik gehört, dass alle Optionen auf dem Tisch bleiben. Wenn wir wollen, dass Diplomatie eine Chance hat, und wenn wir wollen, dass uns Russland ernst nimmt, dann müssen alle Optionen auf dem Tisch bleiben, meine Damen und Herren. ({4}) Eine russische Invasion wäre nicht irgendein ferner Grenzkonflikt, sondern ein fundamentaler Schlag gegen unsere europäische Sicherheitsordnung und Sicherheitsarchitektur. Wir sind Freunde des russischen Volkes und haben großen Respekt vor den Menschen in Russland. Wir lehnen aber die aktuelle Politik der russischen Führung entschieden ab. Der gegenwärtige russische Weg ist ein Irrweg, der unweigerlich in die Isolation führt. Präsident Putin muss klar sein, dass sein Verhalten gravierende Folgen haben wird, die nicht im russischen Interesse liegen können. Ich bedaure sehr, meine Damen und Herren, dass die Debatte über die Sicherheitsarchitektur in Europa, die derzeit stattfindet, im Wesentlichen zwischen den USA und Russland geführt wird. Europa ist nicht dabei. Und es gibt einen Grund, warum Europa nicht dabei ist: Uns ist es in den letzten Jahren in Europa nicht gelungen, in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Wir als Europäer haben uns in den letzten Jahren kleingemacht, und jetzt bezahlen wir leider auch den Preis dafür. ({5}) Wir sind bei dieser wichtigen Debatte nicht dabei. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass sich das ändert. Frau Präsidentin, ein letzter Gedanke: Die Prinzipien des Völkerrechts, der Menschenrechte und der europäischen Friedensordnung sind nicht verhandelbar. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Schraps, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, die uns hier alle beschäftigt, die auch medial derzeit rauf und runter gefragt wird – auch mir wurde sie in den letzten Tagen mehrfach gestellt –, ist an sich ja etwas skurril, nämlich die Frage, ob Russland nun einen Krieg gegen die Ukraine anfängt, die Frage, die Friedrich Merz hier gerade gestellt hat, ob es einen Krieg in Europa gibt. Sie ist skurril; denn diesen Krieg gegen die Ukraine – da wird mir Botschafter Melnyk sicher zustimmen – gibt es bereits seit 2014, und er dauert leider bis heute an, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) In diesem Sinne ist der erste Teil des Titels unserer heutigen Debatte – „Frieden in Europa sichern“ – fast etwas irreführend; denn wir haben diesen Krieg bereits seit 2014. Aber in der Tat hat sich die Situation mit dem russischen Truppenaufmarsch in den vergangenen Wochen besorgniserregend zugespitzt. Selbstverständlich muss aktuell deshalb alles darangesetzt werden, um mit diplomatischen Mitteln eine weitere Eskalation dieses Krieges zu verhindern, so wie es unsere Bundesregierung richtigerweise tut. Offensichtlich fällt es der russischen Staatsführung außerordentlich schwer, das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundlage des Völkerrechts anzuerkennen. Und weil es Putin für sein innenpolitisches Narrativ braucht, möchte er ebenso wenig sehen, dass die NATO-Mitgliedschaft einzelner Nachbarstaaten keine Gefahr oder Bedrohung für Russland darstellt. Umso wichtiger ist es, gegenüber Putin sehr deutlich zu artikulieren, dass die erneut im Raum stehende Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine keinesfalls toleriert wird. Die Unverletzlichkeit von Grenzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, muss wieder von allen akzeptiert werden. ({1}) Insofern stimmt zumindest der zweite Teil des Titels unserer Debatte. Ich bin froh, dass dieses klare Signal aus der heutigen Debatte ganz eindeutig hervorgeht. In den letzten Tagen wurde immer wieder Kritik daran laut, dass Deutschland keine Waffen an die Ukraine liefert. Für mich persönlich bleibt die Frage offen, ob Waffenlieferungen an die Ukraine tatsächlich mehr Sicherheit gegenüber einer Bedrohung durch Russland bringen oder ob sie nicht im Gegenteil einen Konflikt anheizen können, der vielleicht besser auf anderen Wegen entschärft werden sollte. Unsere Position ist jedenfalls deutlich: Solange eine friedliche Lösung möglich ist, werden wir sie anstreben. Dafür muss auf diplomatischem Wege jede Möglichkeit genutzt werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Das hat nichts mit Russlandfreundlichkeit oder mit Freundlichkeit zu irgendeinem Land zu tun, sondern mit einem umsichtigen, bedachten Vorgehen, das auf eine friedliche Konfliktlösung ausgerichtet ist. Zugleich sagen wir der russischen Führung klar und deutlich, dass ein Einmarsch in die Ukraine einen sehr hohen Preis haben würde. Zu Recht tun wir das in der heutigen Debatte parteiübergreifend noch mal mit besonderem Nachdruck, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Als Europapolitiker möchte ich hier noch einen Aspekt betonen, der mir in einer zumindest öffentlich-medial teils sehr polarisierten Debatte viel zu kurz kommt, nämlich die gemeinsame europäische Außenpolitik. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat die Ukraine zu Recht als einen Teil Europas bezeichnet und betont, dass es keine Sicherheit in Europa ohne die Sicherheit der Ukraine gibt. Beides stimmt. Nur sitzt Europa – das hat der Kollege Djir-Sarai gerade richtigerweise angesprochen – bei den Gesprächen zwischen Putin, den USA und der NATO selten mit am Tisch. Wir als Europäer müssen aufpassen, dass wir in einer Großmachtauseinandersetzung auf europäischer Stellvertreterbühne nicht zum vollkommen unbeteiligten Zuschauer werden. Leider wird in der öffentlichen Debatte weniger über die Möglichkeiten eines gemeinsamen europäischen Vorgehens gesprochen, wie es Außenministerin Baerbock vorhin dankenswerterweise sehr deutlich getan hat. Vielmehr werden vermeintliche Unterstützungsleistungen einzelner Länder einander gegenübergestellt und gegeneinander aufgewogen: Die baltischen Staaten liefern Luftabwehrraketen. Die Ukraine versucht, gegenüber Deutschland aus der Fehlleistung einer einzelnen Person, die nebenbei bemerkt sehr klare und schnelle Konsequenzen nach sich gezogen hat, sehr grundsätzliche Forderungen abzuleiten. Polen verkauft bereits seit Jahren gepanzerte Fahrzeuge an die Ukraine. Die Briten liefern Panzerabwehrwaffen. Und Deutschland und Frankreich versuchen derweil, im Normandie-Format auf diplomatischem Wege zu einer Entspannung des Konflikts beizutragen. – Es ist gut, dass gestern in Paris nach langer Zeit endlich wieder Gespräche in diesem Format stattfanden. Ich denke, wir alle wünschen uns, dass sie erfolgreich zu einer Deeskalation beitragen können. Die Beispiele zeigen aber deutlich den fehlenden Konsens für eine gemeinsame EU-Außenpolitik. Diese Uneinigkeit bringt Europa in die Zuschauerrolle. Dabei geht es nicht nur um die aktuelle Situation, sondern um die grundsätzliche Frage, ob Europa als starker politischer Akteur gemeinsam handeln und auftreten kann. Kurzfristig wünsche ich mir deshalb eine diplomatische Konfliktlösung über die gestern wieder begonnenen Gespräche im Normandie-Format. Mittel- und langfristig wünsche ich mir, dass wir Europäer endlich als gemeinsamer außenpolitischer Akteur auftreten, um uns in Konfliktsituationen nicht als kleine Einzelstaaten, sondern gemeinsam mit Kraft und Nachdruck für friedliche Lösungen einsetzen zu können. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schraps. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die ersten Wochen der Regierungsarbeit der neuen links-gelben Koalition betrachte, ({0}) muss ich immer wieder an einen Satz aus einer legendären Reportage von den Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid denken. Der ZDF-Reporter Bruno Moravetz rief damals ({1}) mit Blick auf den Verlauf des Langlauf-Wettkampfs: „Wo ist Behle? Behle haben wir noch nicht gesehen. Wir wissen nichts, wir sehen ihn nicht. Behle ist weg.“ – Wie würde Moravetz wohl die aktuelle Arbeit der Bundesregierung und ihre Performance zu den aktuellen Topthemen wie Impfpflicht oder Ukraine-Krise kommentieren? Er würde vermutlich rufen: Wo ist Scholz? Scholz haben wir noch nicht gesehen. Wir wissen nichts, wir sehen und hören ihn nicht. Scholz ist weg. ({2}) Das ist der Eindruck, den nicht nur wir haben, sondern den zunehmend auch ein Großteil der Bevölkerung im Moment von Ihnen und Ihrer Arbeit hat, Herr Bundeskanzler. Gravierend kommt hinzu, dass das auch der Eindruck der Bündnispartner in Europa und in der NATO ist. Sie waren 16 Jahre andere Regierungsarbeit gewohnt, nämlich das konsequente Engagement einer Bundeskanzlerin Angela Merkel. ({3}) Sie hat die europäische Familie zusammengehalten und den Draht nach Moskau nie abreißen lassen. Sie hat mit Putin auf Augenhöhe in Minsk verhandelt, und in ihrer Amtszeit wussten unsere Partner: Auf Deutschland kann man sich verlassen. Wo ist Albrecht? Ich finde, die Bundesverteidigungsministerin ({4}) als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr, eine der größten Streitkräfte in Europa und der NATO, sollte in dieser Frage doch eine besonders aktive Rolle spielen. Sie ist bei dieser Debatte noch nicht mal auf der Regierungsbank. Und dass sie bis zum gestrigen Tag noch nicht einmal ein Gespräch mit dem ukrainischen Amtskollegen geführt hat, spricht Bände. ({5}) Wir als CDU/CSU wollen, dass die Ukraine-Krise diplomatisch gelöst wird. Das bedeutet ein Verhandeln auf höchstem Niveau. Dabei ist es entscheidend, mögliche Maßnahmen als Folgen einer russischen Eskalation nicht unnötig vom Tisch zu nehmen. Das gilt auch für die Frage von Waffenlieferungen zur Stärkung der Selbstverteidigung der Ukraine, eine schwierige Frage, gerade für Deutschland. Wir stehen dem traditionell sehr skeptisch gegenüber. Dass dies aber auch richtig und wichtig sein kann, hat sich bei der Unterstützung der Kurden zur Bekämpfung des IS gezeigt. Deshalb sollten wir diese Option eben nicht vom Tisch nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über die Ukraine-Krise sprechen und Weltpolitik machen, dann entsteht manchmal der Eindruck, dass wir die Menschen vergessen, die diese Krise direkt betrifft, und das sind die Menschen in der Ukraine. Das sind zum Beispiel Mütter und Väter, die Angst um ihre Kinder haben, die im Zweifel bereit sind, ihr Land und die Freiheit der Ukraine zu verteidigen. Diese Menschen erhoffen sich von uns Unterstützung in dieser Krise. Deshalb ist es so wichtig, das Signal zu setzen: Europa und der Westen sind an der Seite der Ukraine. Besonders hoch ist dabei der Erwartungsdruck auf Deutschland. Dass die Bundesregierung glaubt, mit einer Lieferung von 5 000 Helmen an die Ukraine dieses Signal der Unterstützung zu senden und dem Erwartungsdruck an uns Herr zu werden, ist ein großer Irrtum. ({6}) Das war kein Befreiungsschlag, liebe Bundesregierung, sondern ein echter, beschämender Rohrkrepierer. Meine Damen und Herren, wir fragen uns in diesen Tagen und auch bei dieser Debatte immer wieder: Warum kommt es zu dieser Krise? Was ist der Grund für den Konflikt, den die Ukraine und der Westen auf der einen Seite und die Russische Föderation auf der anderen Seite miteinander haben? – Ich glaube, ein Grund ist, dass wir diametral andere Ansichten darüber haben, was im Interesse eines Landes ist, auch mit Blick auf die Nachbarschaftspolitik. Wir haben durch die europäische Integration gelernt: Geht es unserem Nachbarn gut, profitieren wir selbst massiv davon. – Moskau sieht das anders. Dort befürchtet man den Erfolg des Nachbarn, weil er als Gefahr für die eigene innere Stabilität gesehen wird. Nichts wird dort so gefürchtet wie die Freiheit, die Meinungsfreiheit, die Wahlfreiheit, die Religionsfreiheit, die Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit. ({7}) Diese Freiheit beansprucht die Ukraine zu Recht für sich. Wir können gar nicht anders, als sie dabei zu unterstützen. Klar ist aber auch, dass Russland unser Nachbar ist und bleibt und wir natürlich ein übergroßes Interesse an einer guten und gedeihlichen Zusammenarbeit haben. Deshalb bitte ich uns alle: Lassen Sie uns alles daransetzen, diesen Konflikt im Interesse aller zu entschärfen. Die CDU/CSU-Fraktion in ihrer Rolle wird sich dabei in diesem Sinne zu 1 000 Prozent engagieren. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. Kollegen, das ist das Problem: Mit der Maske im Gesicht kann man Zwischenrufe nur ganz undeutlich wahrnehmen. Ich sage das nur, damit Sie nicht zur Erschöpfung kommen. Letzter Redner ist der Kollege Dr. Joe Weingarten, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Lage in und um die Ukraine ist brandgefährlich. Sie bedroht den Frieden in ganz Europa und die Ukraine in ihrer territorialen Integrität. Es ist doch unstrittig und hier schon mehrfach deutlich geworden: Die Regierung im Kreml ist der Aggressor, nicht die Ukraine. Russland versucht, seine Interessen mit militärischen Drohgebärden durchzusetzen. Das werden wir nicht akzeptieren. Deswegen unser klarer Appell: Präsident Putin, ziehen Sie Ihre Truppen von der ukrainischen Grenze zurück, und unterlassen Sie alle Maßnahmen zur Destabilisierung der Ukraine! ({0}) Mich irritieren jedoch auch manche Reaktionen in unserer deutschen Diskussion. Ich höre dort teilweise eine Lust an der Konfliktverschärfung heraus, die der Brisanz der Lage nicht angemessen ist. Weder die Leier von einer stets aggressiven NATO-Politik noch die kritiklose Verehrung der russischen Gewaltpolitik, die wir hier aus den linken und rechten Fraktionen des Deutschen Bundestages hören, werden dem Problem gerecht. ({1}) Wir brauchen keine Ideologie, sondern pragmatisches Handeln. ({2}) Und es ist eine völlig falsche Sichtweise, zu hoffen, dass die Lieferung von todbringenden Waffen in dieser Krisensituation etwas zur Entspannung der Krise beitragen würde. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stützt deshalb ohne Einschränkung die Linie der Bundesregierung und des Bundeskanzlers, keine letalen Waffen in das Krisengebiet zu liefern. ({3}) Den Kolleginnen und Kollegen der Union, die nicht in der Lage sind, sich den Namen der Bundesverteidigungsministerin zu merken – sie heißt Lambrecht, Herr Kollege Hahn –, aber gleichzeitig weitere Waffenlieferungen fordern, sage ich: Machen Sie sich doch nichts vor! Deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine würden wenig helfen, aber gleichzeitig von der Kreml-Propagandamaschine als massive Provokation verstanden werden, egal wie gut unsere Vorsätze oder Begründungen wären. Und weitere Provokationen brauchen wir nicht. Deutschlands Rolle muss eine andere sein: Druck auf Russland auszuüben, ohne die militärische Situation anzuheizen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen zu unseren Verbündeten in der NATO. Unsere Truppen in Litauen stehen dort nicht nur symbolisch. Unser herzlicher Dank gilt unseren Soldatinnen und Soldaten und ihrem Einsatz. Jeglicher Angriff auf diese Verbündeten und auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten wäre ein Angriff auf die NATO insgesamt. Wir nehmen auch die Bedrohungen, die unsere polnischen und baltischen Partner und inzwischen auch die finnischen und schwedischen Freunde spüren, sehr ernst. Über ihre Sicherheitsinteressen werden wir nicht hinweggehen. Bündnisfreiheit und Völkerrecht sind nicht verhandelbar. ({5}) Es ist sehr viel die Rede von Respekt. Das ist auch richtig. Die Völker Russlands und der Ukraine verdienen Respekt. Mehr noch: Angesichts dessen, was ihnen aus unserem Land heraus angetan wurde, verdienen sie unsere Demut, Demut vor ihrer Geschichte und ihren Opfern. Aber das gilt für beide Seiten dieses Konflikts. Auch Politiker verdienen Respekt, jedenfalls manche. Seit Präsident Putin an dieser Stelle vor mehr als 20 Jahren im September 2001 gesprochen hat, hat er viel getan, um den ihm gebührenden Respekt zu schmälern: die Unterdrückung der demokratischen Opposition und der Zivilgesellschaft, Einschränkung der Pressefreiheit, das aggressive Verhalten gegenüber den Nachbarn. Unser Wille zum Gespräch bleibt aber unverändert. Wir Sozialdemokraten unterstützen das Normandie-Format mit Russland und der Ukraine, Frankreich und Deutschland. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz hier engagiert vorangehen: Dialog statt Eskalation. Der Kreml muss deeskalieren. Aber alle Beteiligten können zur Stabilisierung der äußerst gefährlichen Lage beitragen. Lassen Sie uns gemeinsam auf diesem Weg weitergehen! Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Weingarten. – Damit schließe ich die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt.

Dr. Anna Lührmann (Gast)

Politiker ID: 11003585

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Demokratie ist diese Pandemie eine enorme Herausforderung. Das merken die Bürgerinnen und Bürger, das merken wir Abgeordnete im Parlamentsalltag. Umso bemerkenswerter ist es, dass Europa mitten in der Pandemie das größte Experiment aller Zeiten zur besseren Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gestartet hat, die Zukunftskonferenz. Damit beweist die EU, dass die europäische Demokratie sehr wohl funktioniert und sehr wohl lebendig ist, dass sie mit immer neuen Ideen Bürgerinnen und Bürger besser beteiligen will. Die Zukunftskonferenz ist ein Booster für die europäische Demokratie. ({0}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch wirklich ein Grund, stolz zu sein auf Europa und Vertrauen in die Demokratie zu haben. ({1}) Die EU hat erstmals alle Europäerinnen und Europäer um konkrete Ideen zur Zukunft Europas gebeten, zum Beispiel über eine Website in den europäischen und in den nationalen Bürgerdialogen im Rahmen der Zukunftskonferenz. Im Auswärtigen Amt haben wir kürzlich ein Nationales Bürgerforum mit über 100 gelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmern organisiert. Ganz besonders beeindruckt hat mich der Enthusiasmus der Teilnehmenden; die Ideen sprudelten nur so. Am letzten Wochenende haben wir in Straßburg – einige von Ihnen waren dabei – begonnen, uns in der Zukunftskonferenz mit den Vorschlägen auseinanderzusetzen. Das war insgesamt eine sehr konstruktive Debatte mit Politikerinnen und Politikern aus dem Europäischen Parlament, aus den nationalen Parlamenten und Regierungen. Aber es gab zwei Arten von Wortmeldungen, die mich sehr nachdenklich gemacht haben. Manche Rednerinnen und Redner waren extrem ablehnend gegenüber den Vorschlägen der Bürgerinnen und Bürger: Das geht so nicht. Das haben wir doch noch nie so gemacht. Die EU ist gut, so wie sie ist. – Andere haben versucht, die Bürgerinnen und Bürger zu vereinnahmen, entweder für ihre eigenen Zwecke oder indem sie einfach das Blaue vom Himmel versprochen haben. „Wir setzen das jetzt alles sofort um“, wurde da gesagt. Beides ist nicht die Antwort der Bundesregierung. Wir werden uns ernsthaft mit den Vorschlägen der Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzen. Es gibt Ideen, wo ich mich frage, warum wir das nicht schon längst so machen. Mit einem Onboarding-Paket soll jedem und jeder Informationen über europäische Werte zur Verfügung gestellt werden. Viele andere konkrete Ideen für mehr Beteiligung und für eine europäische Öffentlichkeit, ein EU-TV, wurden vorgelegt. Dann gibt es großartige Ideen, die aber sehr viel Geld kosten. Ich war ja schon einmal Mitglied im Haushaltsausschuss und weiß: Darüber werden wir sicherlich sehr genau reden müssen, und wir werden gemeinsam dafür kämpfen müssen, um so etwas im Haushalt unterzubringen, zum Beispiel EU-Förderungen für Schüleraustausche. Es gibt auch Vorschläge, die so ähnlich sind wie Vorhaben, die wir gerade in Brüssel oder auch hier im Bundestag sehr intensiv diskutieren. Dazu gehören zum Beispiel die Grenzabgabe beim Import klimaschädlicher Produkte, eine garantierte Lebensdauer und ein bestimmter Lebenszyklus von Produkten, Mindestlohn. Hier müssen die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger wirklich konkret in den Prozess einfließen. ({2}) Zu einer ernsthaften Debatte gehört aber auch, klar zu sagen: Es gibt Vorschläge, die vermutlich schwer umzusetzen sein werden, zum Beispiel aus technischen Gründen. So ist das eben bei einem Brainstorming-Prozess. Es kommen viele Ideen dabei heraus; einige davon muss man aber wieder verwerfen. Bei anderen Vorschlägen kommt die EU an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit, zum Beispiel wenn es darum geht, für ihre Werte nach innen, aber auch nach außen entschieden einzutreten. Deshalb lautet ein Vorschlag, die Regel der Einstimmigkeit zu überprüfen. Solche Debatten müssen wir jetzt gemeinsam ambitioniert und entschlossen angehen; denn ein starkes Europa ist ein Europa, das die Empfehlungen seiner Bürgerinnen und Bürger wirklich ernst nimmt, das die Anregungen nicht in einer Schublade verschwinden lässt, sondern Wege findet, wie die besten unter diesen Realität werden können. Dabei setze ich auf Ihre Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Nächster Redner ist der Kollege Gunther Krichbaum, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunftskonferenz ist schon jetzt ein Erfolg; denn sie sorgt für einen positiven Schub bei den Bürgerinnen und Bürgern in Europa. Man debattiert, man diskutiert über Europa quer durch die Republik, quer durch Europa hindurch. Auch in meiner Heimatstadt, in Pforzheim, einer Stadt mit einem sehr hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, debattiert und streitet man leidenschaftlich über und für die europäischen Themen. Das Thema Europa findet so auch Eingang in die Schulen. Aber bei Lichte besehen müssen wir auch sagen: Es ist noch mächtig Luft nach oben. Hier würde ich mir zum Beispiel gerade von den Ländern wünschen, dass dieses Thema noch stärker über die Kultusministerkonferenz in die Schulen eingespeist wird, sodass wir gerade bei der jungen Generation hier für einen positiven Aufschlag sorgen. Wir müssen uns mit den Vorschlägen, die die Bürger machen, ernsthaft auseinandersetzen. Frau Staatsministerin Lührmann hat es gerade angesprochen: Einer der Wünsche aus der Bürgerschaft heraus ist beispielsweise der Wunsch nach mehr strategischer Autonomie Europas. Wir müssen uns in der Tat kritisch die Frage stellen, ob wir noch weltpolitikfähig sind. Das bedeutet, beispielsweise mit Blick auf China zu erkennen, dass China sehr wohl eine Strategie für Europa und auch für Afrika hat, aber wir umgekehrt keine für China. Auch hier lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Verhältnisse. Wir debattieren leidenschaftlich in Deutschland und in Europa, ob wir Huawei auf den europäischen Markt lassen sollen, ja oder nein. Bei Lichte besehen geht es hier aber gar nicht um Huawei. Das Problem liegt vielmehr darin, dass wir keine europäische Antwort haben, dass wir keinen European oder, besser gesagt, Global Player haben, der Huawei das Wasser reichen könnte. Überdies: Wir debattieren darüber, ob wir es zulassen dürfen, dass wir Züge gemeinsam mit Alstom und Siemens bauen, und versperren uns über das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union wertvolle Wege, die wir brauchen, um hier in der Globalisierung bestehen zu können. Auch das ist wichtig, wenn wir eine strategische Autonomie anstreben wollen. Eine andere Entwicklung, die wir in Deutschland eigentlich kaum wahrnehmen, jedenfalls eine Diskussion, die wir nicht führen, ist die Konzentration auf dem Finanzdienstleistungsmarkt. Schauen wir auf die zehn größten Banken, gemessen am Börsenwert, dann findet sich darunter keine einzige europäische Bank. Fünf kommen aus China, fünf kommen aus den USA. Noch brutaler und dramatischer sieht es aus, wenn wir auf die Bilanzsumme schauen. Die vier größten Banken kommen alle aus China. Was bedeutet das jetzt für uns in Europa? Jeder – jede Bürgerin und jeder Bürger –, der schon einmal eine Finanzierung machen musste, weiß, dass, bevor das Geld fließt, die Daten fließen müssen. Das heißt: Jedes Unternehmen muss, wenn China in den europäischen Markt investiert, Daten liefern und ermöglicht damit den Einblick in die Herzkammer eines Unternehmen. Das heißt: Auch an dieser Stelle müssen wir aufpassen, dass wir uns strategisch klug genug aufstellen; denn es geht nicht nur um die Unternehmen, sondern auch um die Volkswirtschaften. Der Einfluss Chinas in der Welt und vor allem in Europa steigt beharrlich. Wenn wir über die Weltpolitikfähigkeit reden und den Wunsch nach mehr strategischer Autonomie, dann geht es natürlich auch um die Ukraine. Die Ukraine war gerade Debattengegenstand; deswegen möchte ich mir dazu weitere Ausführungen sparen. Aber es fällt natürlich schon auf, dass in Genf aktuell die Gespräche über zentrale europäische Sicherheitsfragen laufen, aber Europa dort nicht mit am Tisch sitzt und mitverhandelt. Für uns ist klar: Die Ukraine ist ein souveränes Land, und es ist zunächst einmal die Entscheidung dieser Länder, ob sie sich den Standards der Europäischen Union annähern wollen oder nicht. Aber wenn das, wie im Fall der Ukraine, erfolgt ist, dann kann es nicht sein, dass Russland hier ein Mitspracherecht für sich reklamiert – das sollte auch Herrn Gysi eigentlich klar sein –; denn würde man das zubilligen wollen, wäre das ein Revival, eine Wiederbelebung der Breschnew-Doktrin. Aber Breschnew ist genauso tot, wie die Breschnew-Doktrin es sein sollte. ({0}) Wenn wir auf Russland schauen, dann sehen wir: Wir werden an einem Punkt immer auseinanderliegen. Das, was wir als unsere Werte betrachten – Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie –, sind aus Sicht von Herrn Putin reale Bedrohungslagen. Er kann mit Freiheit genauso wenig anfangen wie mit Demokratie. Eine der Forderungen – Frau Lührmann, Sie wissen das, weil Sie mit dabei waren – betrifft auch die Frage einer europäischen Armee. Dabei wird ein Stück weit übersehen, dass wir im Prozess der verstärkten Zusammenarbeit PESCO auf den Weg gebracht haben. Willige Länder, die hier vorangehen wollen, können das also tun und machen es dann auch. Aber bis zu einer europäischen Armee ist es noch ein sehr, sehr weiter Weg; denn das würde zunächst einmal bedeuten, dass wir schon beim Beschaffungswesen einheitliche Standards bekommen. Aber auch hier gibt es keine europaweiten Ausschreibungen, weil – mit Blick auf Frankreich – sich einzelne Mitgliedsländer dagegen wehren. Aber an die eigene Adresse gesprochen: Wenn wir tatsächlich den Verteidigungsbereich europäisieren möchten, dann heißt das im Klartext auch, dass wir von den weltweit strengsten Rüstungsexportgesetzen, die wir nun einmal haben, Abstriche machen müssen. Sonst kommen wir hier zu keiner echten Europäisierung. Ich möchte damit schließen, dass die Zukunftskonferenz sehr, sehr viele gute Ideen liefert, auch Positionen vermittelt, die uns zu einer Rückbesinnung verpflichten. Wir müssen jetzt schauen, dass wir dieser Zukunftskonferenz eine Zukunft geben. Ich möchte da ausdrücklich die Projektpartner ermutigen, weiterzumachen. Frau Hartung von Pulse of Europe beispielsweise steckt enorm viel Engagement hinein. Wenn wir als Parlamentarier – Europäisches Parlament, nationale Parlamente – diese Ideen nicht aufgreifen und diskutieren, dann würde sehr viel Enttäuschung zurückbleiben, und das wäre fatal. Das können wir nicht wollen. Ich freue mich deswegen auf eine Fortsetzung dieses Prozesses im Mai. Noch während der französischen Ratspräsidentschaft wird dann wohl der Abschlussbericht vorgelegt werden. Aber, wie gesagt: Weitermachen ist sinnvoll, weil wir dann viele weitere Menschen für das europäische Projekt begeistern können. Vielen Dank. ({1})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier eine Vereinbarte Debatte über die Zukunft Europas. Es hat länger gedauert, zu dieser Vereinbarung zu kommen, als sich das zum Beispiel meine Fraktion gewünscht hätte, und es hat auch etwas mit dem Zustand Europas zu tun: Vieles dauert leider länger, als die überzeugten Föderalistinnen und Föderalisten sich das wünschen. Aber wir sind jetzt tatsächlich an einem Punkt angekommen, an dem wir sagen müssen, dürfen und auch können: Ja, wir befinden uns auf der Höhe der Zeit. Wir befinden uns auf der Höhe der Zeit, in der sich eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für mehr europäische Zusammenarbeit, für mehr europäischen Zusammenhalt, aber auch für mehr europäischen Zusammenschluss ausspricht und sich gleichzeitig lauthals eine leider wachsende Minderheit für Nationalismus, für Abgrenzung und Ausgrenzung artikuliert. Gerade wir wissen: Nationalismus ist ein Irrtum, der auf einen Irrweg führt und in einem Irrsinn, nämlich Krieg, endet. Deshalb ist die europäische Aufgabe der Erhalt des Friedens und der Kampf gegen jegliche Form des Nationalismus. ({0}) Wir sind auf der Höhe der Zeit, weil zum ersten Mal an der Spitze des Fortschritts in Europa eben nicht wie am Beginn des Einigungsprozesses vor 70 Jahren nur die Regierungen stehen – später war es ein Parlament, das zwar viel zu sagen, aber nichts zu entscheiden hatte –, sondern auch das Europäische Parlament, das gleichberechtigt mit den nationalen Parlamenten und einer gleichen Zahl von engagierten Bürgerinnen und Bürgern diskutiert und Vorschläge macht. Das sollten wir aufnehmen, das sollten wir ernst nehmen, und das sollten wir voranbringen, gerade hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bundestag. Diese besondere Verpflichtung zeigt sich auch darin – ich finde, darauf sollten wir alle in den demokratischen Parteien stolz sein –, dass der Austausch zwischen den Parlamenten bisher schon ziemlich gut funktioniert hat. Wir haben hier von Friedrich Merz über Alexander Graf Lambsdorff, Claudia Roth bis hin zu Sahra Wagenknecht – ich gehöre auch zu dieser Riege – Kolleginnen und Kollegen, die schon Mitglieder des Europäischen Parlaments waren und nun Mitglieder des Bundestags sind. Uns kommt es darauf an, dass wir die Rechte des Europäischen Parlaments stärken und seine demokratischen Möglichkeiten ausbauen. Das ist eine zentrale Forderung der Bürgerinnen und Bürger, mit denen wir bisher auf der Zukunftskonferenz diskutiert haben. ({1}) Dazu gehört natürlich immer auch, dass wir mit dem anfangen, was schon heute möglich ist und was übrigens gar kein Geld kostet. Ich appelliere noch einmal, dass wir im Deutschen Bundestag ebenso wie im Europäischen Parlament auch in den Ausschüssen eine öffentliche Debatte führen – auch das ist für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern wichtig – und dass wir vor der nächsten Europawahl über die Konsequenzen und Möglichkeiten transnationaler Listen hier im Deutschen Bundestag diskutieren und entscheiden und nicht sagen: Wir warten so lange, bis alle anderen dafür sind. – Wir müssen wieder eine Vorreiterrolle einnehmen, wie es unsere Vorväter oder Vormütter hier getan haben, die als Erste die Direktwahl eines Europäischen Parlamentes forderten, weit bevor das 1978 beschlossen worden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser Stelle – das ist dankenswerterweise auch schon vom Vorredner Gunther Krichbaum getan worden – noch mal an die Länder appellieren – diese sind sehr stark repräsentiert durch Ministerinnen, Staatssekretärinnen und Staatssekretär sowie Parlamentspräsidentinnen, darunter erfreulich viele Frauen –, dass das auch bitte schön die Aufgabe der Parlamente in den Ländern ist, dies zu diskutieren, wie es sich für die demokratischen, proeuropäischen Fraktionen dort eben gehört. ({2}) Ich appelliere – wir sind ja alle in Wahlkreisen beheimatet; wir wohnen ja in Städten und Gemeinden – an die kommunale Ebene, das zu tun, was die Spitzenverbände formuliert, gefordert, erwartet haben, nämlich das Thema „Zukunft Europas“, weil die Menschen eben vor Ort leben und nicht irgendwo in den Ländern, auch zu einem Gegenstand der Debatten der Ratssitzung bzw. der Gemeindevertretung vor Ort zu machen. Seien wir doch ganz ehrlich: Das findet zurzeit viel zu wenig statt, und deshalb sollten wir das auch ermutigen. Ich werde meinen persönlichen Beitrag leisten und meine Ehefrau, die Bürgermeisterin ist, in diesem Sinne auch zusätzlich ermutigen. Ich gehe davon aus, dass sie das sowieso macht. ({3}) – Nein, Gunther, das ist nur die gleiche Parteifamilie und die gleiche europäische Überzeugung, die ich mit meiner lieben Frau seit 50 Jahren teile. Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist ja immer der Prozess, also dass wir die Diskussion führen und wie wir sie führen. Aber der Prozess muss auch zu Ergebnissen – niemals zu abschließenden, aber doch zu zukunftsweisenden Ergebnissen – führen. Deshalb ist es doch so wichtig, dass das, was hier mit der neuen Koalition in einem Koalitionsvertrag vereinbart und unter besonderer Verantwortung der drei Parteien gelungen ist, auch umgesetzt wird und dass wir das hier wiederholen: Jawohl, diese Bundesregierung, diese Mehrheit des Bundestages hat festgehalten: Die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas werden wir aufnehmen, ernst nehmen und fordern, dass es einen Konvent gibt, der auch Änderungen der europäischen Verträge ermöglicht, um tatsächlich auf dem Weg einer fortschreitenden Integration voranzukommen. Das ist ein Versprechen, und das werden wir hier gemeinsam halten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Idee zur Zukunftskonferenz Europas kam vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Ich bedauere es sehr, dass wir damals in Deutschland nicht mutiger gewesen sind und eine zustimmende Antwort gegeben haben. Lasst uns das heute ein Stückchen nachholen, und lasst uns das gleichzeitig in Europa mit unseren französischen und allen anderen Partnern, die für diese Gemeinschaft und gegen den Nationalismus sind, in die Tat umsetzen, und zwar durch mutige Debatten, in denen wir denen widersprechen, die gegen Europa sind. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. Da wir das gleiche Alter haben, darf ich das ja sagen: Wenn Sie seit 50 Jahren mit Ihrer Frau gemeinsame Überzeugungen teilen, dann haben Sie aber früh angefangen. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Keine Sorge, Herr Präsident, keine Verkehrsdelikte auf meiner Seite. – Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über die Konferenz zur Zukunft Europas, und eigentlich ist der Titel ja schon falsch. Es geht um die Konferenz zur Zukunft der EU, und das ist ein Unterschied. Denn sie ist ja eingerichtet worden von der EU-Kommission – das war ja die Idee von Ursula von der Leyen –, um den Status quo zu erweitern, um das, was die Bürger genau nicht möchten, festzuschreiben und – Herr Schäfer hat es angesprochen – eventuell in einen Verfassungskonvent zu führen. Wir sollten uns, bevor wir über die Zukunft reden, mal ganz kurz die Vergangenheit der EU anschauen. Was ist denn passiert? Die EU, Brüssel, hat die größte Dichte von Lobbyisten weltweit. Die EU ist die Institution, wo Gelder in Milliardenhöhe in Lobbyinteressen verschoben werden, meine Damen und Herren. Die EU ist außerdem die Institution, die keine Freiheiten ermöglicht, sondern sich immer neue Zwänge ausdenkt. Die von Frau Lührmann angesprochenen Schüleraustausche sind zurückgegangen, seit es die EU in dieser Konstitution gibt. Dafür sind die Zwänge hochgegangen: Man hat den Bürgern die Glühbirnen verboten, die Staubsauger verboten, und jetzt verbietet man ihnen, sich frei zu bewegen oder das zu tun und zu lassen, was sie tun möchten. Nur noch als QR-Code-Inhaber ist man ein vollwertiger Mensch. Das digitale Covid-Zertifikat ist auch eine Erfindung der EU-Kommission, meine Damen und Herren. Die europäischen Institutionen, wie sie sind, machen uns arm. Der Euro hat in dem Zeitraum seit seiner Einführung vor ziemlich genau 20 Jahren – am 1. Januar 2002 wurde das Bargeld eingeführt – gegenüber der harten Währung, dem Schweizer Franken, 35 Prozent verloren. Und die EZB druckt im Moment 12,5 Prozent der Geldmenge jedes Jahr nach. Meine Damen und Herren, da verwundert es nicht, dass die Leute in der Europäischen Union nicht mehr wissen, wie sie ihr Leben finanzieren sollen, wie sie ihre Miete finanzieren sollen, wie sie sich überhaupt noch ein Haus kaufen sollen. Das geht gar nicht. Diese Europäische Union macht die Menschen arm. ({0}) Und deswegen muss man leider feststellen: Europas Zukunft wird nur dann blühend sein, wenn diese Europäische Union keine Zukunft hat. ({1}) – Doch! Und das wissen Sie, das weiß die EU-Kommission, und das wissen die Bürger auch. Deswegen haben die Bürger, als es zur Abstimmung über die europäische Verfassung kam, sie abgelehnt. Um das Problem zu umgehen, hat man die Konferenz zur Zukunft Europas erfunden – die sogenannte partizipative Demokratie, das Versprechen: Bürger werden beteiligt, können mitreden und sie werden gehört. Frau Lührmann hat es ja vorhin erzählt. Die Wahrheit: Das ist ein Plenum mit Abgeordneten und dann mit angeblich zufällig ausgewählten Bürgern. Wie sind die ausgewählt worden? Hinterfragen wir das mal. Da saß kein Notar und hat Personalausweisnummern gezogen, sondern das hat Kantar gemacht, eine Organisation, die in Millionenhöhe Zuwendungen von der Europäischen Union bekommt und die übrigens den Mantel des Schweigens darüber hüllt, wie diese Leute ausgewählt worden sind. Und wenn man denen ein bisschen hinterherrecherchiert, dann merkt man: Das sind alles überzeugte Föderalistinnen und Föderalisten, Mitglieder von NGOs, die vereinigte Staaten von Europa fordern. Also für genau das, was die Bürger Europas eigentlich nicht wollen, stehen die Bürger, die Sie in dieses Plenum hineingesetzt haben. ({2}) Jetzt spiegeln sie den Leuten vor, die Zivilgesellschaft seien diejenigen, die die Interessen der Bürger verträten. Das ist einfach nur falsch, meine Damen und Herren. Die Zivilgesellschaft vertritt nicht die Zivilisten, nicht die Bürger, sondern sie vertritt knallhart genau die Lobbyinteressen, die eben der Grund sind, weshalb die Bürger kritisch über Brüssel denken, weshalb sie Brüssel ablehnen, weshalb sie die Europäische Union ablehnen. Keiner will Lobbyisten, jeder will Demokratie, und Sie zerstören die Demokratie mit solchen Aktionen, meine Damen und Herren. ({3}) An dieser Stelle möchte ich Sie bitten: Haben Sie den Mut, die Bürger hier nicht zu betrügen. Haben Sie den Mut, wirklich in den Dialog mit den Bürgern zu treten. Haben Sie den Mut, direkte Demokratie zu wagen. Wenn Sie das nicht tun, dann delegitimieren Sie genau die Institutionen, die wir eigentlich erhalten wollten – die Institutionen, die die Demokratie und die Regierung tragen, aber auch die Demokratie an sich. Denn wenn die Bürger belogen werden, dann können sie das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden, und das wird auffliegen. Europa hat nur dann eine blühende Zukunft, wenn diese Europäische Union keine Zukunft hat. Haben Sie recht herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Hacker, FDP-Fraktion. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So unterschiedlich können die Sichtweisen sein. Die so treffenden Worte des kürzlich verstorbenen Präsidenten des Europäischen Parlaments, David Sassoli, machen uns die Dimension der Aufgabe deutlich, die vor uns Europäerinnen und Europäern liegt: „Unsere Herausforderung ist es, eine neue Welt zu schaffen“ – nicht weniger! Den Herausforderungen unserer Gegenwart kann sich Europa nicht mehr entziehen: Wie bewältigen wir die gesundheitlichen, gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen der andauernden Pandemie? Wie sichern wir unseren Planeten für zukünftige Generationen, ohne Wohlstand und sozialen Frieden zu gefährden? Und wie reagieren wir auf die Aggressionen an unseren Außengrenzen, gegen unsere Nachbarn und auf Angriffe auf unsere demokratischen Werte? Die Antworten werden wir nur gemeinsam und nur im Dialog finden. ({0}) Die Konferenz zur Zukunft Europas ist eine große Chance – vielleicht sogar eine historische –, sie ist gelebtes Europa. Sie ermöglicht Begegnung und Austausch und natürlich auch die Auseinandersetzung mit neuen Perspektiven. Ja, sie ist ein Experiment deliberativer Demokratie, aber dieses Experiment schafft eine neue europäische Öffentlichkeit, eine europäische Öffentlichkeit, die ja längst Realität ist, die grenzüberschreitend denkt, lebt, arbeitet, studiert und liebt. Der Motor der Konferenz hatte Startschwierigkeiten. Nicht jedes der beteiligten Länder ist schon jetzt von ihrem Erfolg überzeugt. Trotz des zögerlichen Starts wegen der Pandemie und einer langen Diskussion über die Besetzung des Exekutivgremiums erleben wir zurzeit eine lebendige Debatte. 5 000 Veranstaltungen, 350 000 Teilnehmer, 13 000 digital eingereichte Zukunftsideen – das ist gelebte Demokratie! Wir erleben es in den Bürgerforen: Unser Europa ist den Menschen nicht egal. Sie wollen sich an der Debatte über die Zukunft, über die Ausrichtung unseres Kontinents beteiligen. Sie wollen ein handlungsfähiges Europa, das seine demokratischen Werte verteidigt. ({1}) Schauen wir auf die Ergebnisse der Bürgerforen: Die Bürger wollen die Rechtsstaatlichkeitsverordnung verschärfen. Sie wollen, dass die Europawahlen direkter werden, und wollen Abgeordnete künftig auch über europäische Listen wählen. Die Menschen wollen ein Europa, das Entscheidungen trifft. Sie fordern zu Recht Lösungen für die Probleme, die das Einstimmigkeitsprinzip mit sich bringt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an Diskurs und Input mangelt es sicher nicht. Jetzt kommt es auf jeden Einzelnen an, auch hier im Haus, für eine kluge Veränderung Europas zu werben, für eine gute Zukunft dieses großen Projekts. Dann haben die Populisten in Warschau oder Budapest und auch hier am rechten Rand und auf dem Balkon keine Argumente mehr für ihren Kurs gegen Europa. Ich bin den Kollegen Gunther Krichbaum und Axel Schäfer sehr dankbar, dass sie uns, dass sie den Deutschen Bundestag in der Plenarsitzung vertreten. Doch wir alle gemeinsam tragen Verantwortung, dass dieses Vorhaben zum Erfolg wird. Die heutige Debatte ist ein Schritt, ein Schritt in Richtung mehr Öffentlichkeit; sie ist aber auch Selbstverpflichtung für uns. Wir müssen dafür sorgen, dass die Empfehlungen zu Handlungsprioritäten der Europapolitik der Bundesrepublik und der EU werden. Die mühsam erarbeiteten Vorschläge dürfen nicht wieder in der Schublade verschwinden. Wahre Glaubwürdigkeit braucht Veränderung. Unser gemeinsames Europa ist gerade für die jungen Demokratien in unserer Nachbarschaft eine Inspiration, ein Sehnsuchtsort, ein Garant für Friede und Freiheit. Ich wünsche mir, dass wir auch Stimmen aus unseren Nachbarländern miteinbeziehen, aus den Ländern, für deren Jugend die Zukunft in der EU liegt. Unsere Regierungskoalition wird zum Gelingen der Konferenz zur Zukunft Europas ihren Beitrag leisten. Wir wollen unsere europäischen Partner davon überzeugen, dass die Ergebnisse der Konferenz ehrlich diskutiert werden. Wir wollen die notwendigen Reformen zügig angehen. Wir wollen, dass die angestoßenen Ideen zu einem verfassungsgebenden Konvent führen, der die Grundlage für das Europa der Zukunft schafft, für einen föderalen europäischen Bundesstaat, der dezentral nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und der fest und unverrückbar auf der Grundrechtecharta fußt. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hacker. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Andrej Hunko, Fraktion Die Linke. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden jetzt über die Zukunft Europas, über die Konferenz zur Zukunft Europas. In der Debatte vorhin haben wir über Frieden in Europa gesprochen. Es sind zwei getrennte Debatten, und ich glaube, dass das falsch ist, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass Europa nur eine Zukunft hat, wenn es ein friedliches Europa ist. ({0}) Wir werden in diesen Tagen durch die Situation an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland, aber vielleicht auch durch die Entwicklungen auf dem Westbalkan, in Bosnien etwa, schmerzlich daran erinnert, dass Europa eben sehr viel größer ist als die Europäische Union. Die Europäische Union hat 27 Mitgliedstaaten. Zu Europa gehören aber auch die Staaten des Westbalkans, die Ukraine, Russland und auch Großbritannien oder die Schweiz. Deswegen denke ich, dass wir, wenn wir über die Zukunft von Europa sprechen, auch über ein gesamteuropäisches Projekt reden müssen, das auch Sicherheitsfragen beinhaltet. Es gibt neben der Europäischen Union weitere wichtige europäische Institutionen, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – die OSZE – und den Europarat, der den gesamten europäischen Kontinent abbildet. Wenn wir aber auf die Proportionen schauen, dann müssen wir feststellen, dass etwa der Europarat einen Jahresetat hat, der dem Tagesetat der EU entspricht, und dass zum Beispiel die OSZE, die jetzt gerade so wichtig wäre, einen Jahresetat hat, der nur ein Vierzigstel dessen beträgt, was dem neuen europäischen Militärfonds, dem sogenannten Verteidigungsfonds, zur Verfügung steht, der gerade auf EU-Ebene beschlossen wurde. Ich denke, das sind falsche Proportionen, die wir korrigieren sollten. ({1}) Bei der Konferenz zur Zukunft der EU – so muss man sie ja nennen – geht es natürlich um wichtige Themen; es ist angesprochen worden. Es geht darum, das Einstimmigkeitsprinzip in bestimmten Politikfeldern aufzuheben. Ich halte es für falsch, es im Politikfeld der Außen- und der sogenannten Verteidigungspolitik aufzuheben; denn das würde dazu führen, dass es perspektivisch noch leichter wäre, militärisch zu intervenieren. Ich wäre sehr dafür, das Einstimmigkeitsprinzip etwa im Sozial- oder im Steuerbereich aufzuheben, damit es einfacher wird, zum Beispiel einen europäischen Mindestlohn einzuführen, damit es einfacher wird, große Konzerne zu besteuern, die hier viel zu wenig Steuern zahlen, damit man vielleicht über eine europäisch koordinierte Vermögensabgabe reden könnte oder auch damit die dringende Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts – Schuldengrenze: 60 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, 3‑Prozent-Regel – umgesetzt werden könnte. Das halte ich für sehr viel zielführender. Zur Frage der Zukunft Europas. Die Konferenz geht noch bis in den Mai hinein. Ich habe darauf hingewiesen, dass es wichtig wäre, andere Institutionen und auch zum Beispiel Beitrittskandidaten vom Westbalkan einzubinden. Ich mache unseren zwei Vertretern hier aus dem Bundestag, Herrn Krichbaum und Herrn Schäfer, die an der Konferenz teilnehmen, einen konkreten Vorschlag. Für die Abschlusskonferenz könnte man die Parlamentspräsidenten von OSZE und Europarat einladen, um die Perspektive des gesamteuropäischen Friedens deutlich zu machen. Das wäre ein konkreter Vorschlag. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hunko. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sehr gut für die Zukunft der Europäischen Union, dass die Konferenz zur Zukunft Europas so erfolgreich arbeitet. Entscheidend ist jetzt, dass möglichst vieles von dem umgesetzt wird, was sich die Bürgerinnen und Bürger vorstellen. Wir brauchen eine handlungsfähige Europäische Union; denn die Probleme sind häufig transnational. Wenn ich mir die Länder Europas anschaue: Die Probleme im Vergleich zu selbst großen europäischen Ländern wie Frankreich oder Deutschland sind riesig. Es glaubt doch niemand ernsthaft, dass die einzelnen europäischen Länder mit den Herausforderungen der Globalisierung, mit den Herausforderungen durch ökonomisch erfolgreiche, allerdings hochgradig autoritär und aggressiv auftretende Mächte wie China alleine klarkommen werden. Es wird uns nur gelingen, diesen Herausforderungen beizukommen, wenn die Europäische Union handlungsfähiger wird, wenn man schneller zu Entscheidungen kommen wird und wenn die europäischen Länder solidarischer sind. Die Bürgerinnen und Bürger haben, weil sie sich ein handlungsfähiges Europa wünschen, hervorragende Vorschläge gemacht. Jetzt kommt es drauf an, dass wir, dass die Bundesrepublik Deutschland, dass unsere Bundesregierung alles dafür tut, dass möglichst vieles davon auch Realität wird. ({0}) Wenn man sich die Umfragen, auch in Deutschland, anschaut: Die Bürgerinnen und Bürger haben laut Umfragen erst vor Kurzem wieder angemerkt, dass die Klimakrise die größte Herausforderung für die Europäische Union ist. Auch für deren Überwindung brauchen wir eine handlungsfähige Europäische Union. Ich bin ehrlich gesagt heilfroh, dass wir jetzt eine Bundesregierung haben, die alles tun wird, um die EU-Kommission zu unterstützen, dass das „Fit for 55“-Paket, bei dem es um realen Klimaschutz geht, auch wirklich umgesetzt und nicht ausgebremst oder verwässert wird. Ich glaube auch, dass es darauf ankommt, dass wir hier im Parlament alles dafür tun, dass vieles in den kommenden Monaten der französischen Ratspräsidentschaft umgesetzt wird. Gegen die Klimakrise müssen wir auch auf nationaler Ebene vieles tun, aber die Klimakrise kriegen wir nur in den Griff, wenn wir europäisch und international handeln. Deshalb ist es entscheidend, dass wir an Frankreichs Seite stehen und eine möglichst praktikable Lösung für das finden, was sich die französische Ratspräsidentschaft vorgenommen hat, nämlich die Einführung eines funktionierenden CO2-Grenzausgleichs, der sowohl klimapolitisch als auch ökonomisch als auch in Zusammenarbeit mit den Partnerinnen und Partnern funktioniert. Was ist – kompliziertes Wort – der CO2-Grenzausgleich? Ein Beispiel: Wenn in China Stahl sehr CO2-reich und in einem europäischen Land Stahl sehr CO2-arm hergestellt wird, dann kann es nicht sein, dass daraus ein Wettbewerbsnachteil für das europäische Land wird. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die Regeln so gestaltet sind, dass die Unternehmen, die CO2-frei produzieren, am Ende davon auch wirklich ökonomisch profitieren, damit der Kampf gegen die Klimakrise sowohl international als auch ökonomisch funktioniert. Dann wird er eine große Vorbildwirkung entfalten. ({1}) Was sich die Bürgerinnen und Bürger auch gewünscht haben, ist, dass wir die Werte nach innen verteidigen. Hier ist der Punkt Rechtstaatlichkeit angesprochen. Auch da, glaube ich, wird man in den nächsten Monaten mehr tun. Es gibt dazu klare Wünsche und Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb gilt es, dies auch umzusetzen. Ich freue mich auf die nächsten Monate und Jahre. Jetzt kommt es drauf an, möglichst viel aus den guten Vorschlägen zu machen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hofreiter. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Ottilie Klein, CDU/CSU-Fraktion, zu ihrer ersten Parlamentsrede. ({0})

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Europa ist unsere Zukunft. Europa ist unser Schicksal“ – diese Feststellung unseres verstorbenen Altbundeskanzlers Helmut Kohl ist ebenso geschichtsträchtig wie zukunftsweisend. Über 77 Jahre lang war die europäische Integration ein Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Gemeinsam haben wir Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg Europa wiederaufgebaut. Gemeinsam haben wir den Kalten Krieg und so manche Krise überwunden. Stets hatten wir dabei die Zukunft eines geeinten Europas vor Augen. Wie die Generation vor uns, stehen auch wir wieder vor der Frage: Wie muss eine Europäische Union beschaffen sein, die das Versprechen von Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit auch zukünftig garantieren kann? Wie beantworten wir die großen Fragen unserer Zeit? Wie auf den Klimawandel reagieren, wie die Digitalisierung von Alltag, Wirtschaft und Verwaltung vorantreiben, wie dem demografischen Wandel begegnen, wie die Migration im europäischen Konsens steuern? Wie bleiben wir wirtschaftlich wettbewerbsfähig und politisch relevant auf der internationalen Bühne? Darauf Antworten zu finden, auch das ist das Ziel der Konferenz zur Zukunft Europas. Für ein Europa, das weiter zusammenwächst und auch zusammensteht, müssen sich die Europäerinnen und Europäer in diesem Vorhaben wiederfinden. Der Kollege hat es schon gesagt: Es ist ein vielversprechendes Zeichen, dass bislang 360 000 Menschen an rund 5 000 Veranstaltungen teilgenommen und mehr als 13 000 unterschiedliche Ideen eingebracht haben. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen diese breite Beteiligung und dieses große Engagement ganz ausdrücklich; denn eins ist klar: Europäischer Geist entsteht nicht durch Bürokratie und durch Regulierungsempfehlungen, er entsteht im Greifbaren, wenn Menschen konkret von der EU profitieren, wenn sie sie als Chance und als Bereicherung wahrnehmen. Die europäische Idee ist nur so stark, wie ihr Rückhalt innerhalb der Bevölkerung der Mitgliedstaaten ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Gefühl der Distanz zwischen Brüssel und den Sorgen und Nöten der Menschen vor Ort entsteht. Die Bürgerkonferenz leistet dazu einen ganz wichtigen Beitrag. Wir haben vorhin schon ein paar Vorschläge und Forderungen gehört. Am letzten Wochenende hat die Konferenz ja wieder mit den Bürgerforen stattgefunden. Da wurden mehr Kitaplätze gefordert, Sicherheit im Netz, verständliche Datenschutzbestimmungen, aber auch mehr Demokratiebildung und sogar die Umbenennung der EU-Institutionen. Wir sehen: Da werden ganz viele Vorschläge eingebracht. Klar ist: Die EU ist immer dort gefordert, wo wir als starke Gemeinschaft mehr erreichen können. Die gemeinsame Handelspolitik ist ein ganz handfestes Beispiel dafür, aber auch gemeinsame Investitionen in Forschung und Innovationen. Die Stärke Europas war aber auch immer die Einheit in Vielfalt. Der permanente Wettbewerb hat uns nach innen und nach außen stark gemacht, und das ist auch gut so; denn im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb, insbesondere mit Blick auf die USA, China und Indien, können Nationalstaaten alleine nur schwer bestehen. Gleichzeitig brauchen wir aber auch wieder mehr Mut zu Subsidiarität und Eigenverantwortung. Für ein einiges Europa brauchen wir Strukturen, die nach innen einen Mehrwert schaffen und nach außen Handlungsfähigkeit gewährleisten. Dafür müssen wir auch selbstkritisch bestehende Strukturen hinterfragen und überprüfen. Vor allem müssen wir aber dafür sorgen, dass die Stimmen der Europäerinnen und Europäer gehört werden. Auch dieses Haus steht in der Verantwortung, darauf zu achten, dass die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger Eingang in die Initiativen der EU finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist überzeugt, dass die Konferenz zur Zukunft Europas eine große Chance sein kann. Sie kann ein Auftakt für eine neue Erzählung von Europa sein, eine Erzählung, die die vielen Stimmen der Bürger Europas ins Zentrum rückt, eine Erzählung, die den Kopf überzeugt und das Herz berührt. Die Zukunft eines starken und geeinten Europas – das sind wir unseren Kindern schuldig, aber auch den Generationen, die dieses Europa aufgebaut haben. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind bereit. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Klein. – Es folgt jetzt gleich eine weitere erste Rede, und zwar vom Kollegen Fabian Funke, SPD-Fraktion. ({0})

Fabian Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für meine Generation ist die EU mehr als nur eine abstrakte Struktur, eine politische Organisation oder die Summe von Verwaltungsakten. Die EU ist ein längst nicht mehr wegzudenkender Teil unseres eigenen Lebens geworden. Meine Generation kennt Europa gar nicht anders. Sie ist aufgewachsen mit offenen Grenzen, mit starkem Austausch zwischen den Regionen, mit Schüleraustauschen, Erasmus-Semestern, einer gemeinsamen Währung und einem gemeinsamen Arbeits- und Wirtschaftsraum. Wir können und wollen uns gar nichts anderes mehr vorstellen als dieses gemeinsame Europa unter dem Dach der Europäischen Union. Sie ist unser Zuhause, ({0}) besonders für mich als jemand, der in der Grenzregion zu Tschechien wohnt und aufgewachsen ist und sieht, wie diese Länder immer mehr zusammenwachsen, wie Freundschaften entstehen, wie Menschen auf Arbeit pendeln und alles immer enger wird. Thema dieser Debatte ist aber auch die Zukunft der Europäischen Union, und unsere Generation wird die Zukunft der Europäischen Union sein. ({1}) Sind wir doch mal ehrlich: Es ist nicht alles gut in der Europäischen Union. Die EU steht vor großen Herausforderungen und Bedrohungen, die die Konferenz zur Zukunft Europas ja auch in den Mittelpunkt stellt. Wir müssen entschlossen und gemeinsam beim Klimaschutz vorangehen, wir müssen große Investitionen in Zukunftstechnologien und Infrastruktur voranbringen, einerseits, um die Klimakrise zu bekämpfen, andererseits aber natürlich auch, um gute Arbeit in ganz Europa zu sichern und die Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen. ({2}) Das Programm „Fit for 55“ der Europäischen Kommission war dazu ein guter Aufschlag, den es jetzt mit Leben zu füllen gilt. Da sind wir als Bundesrepublik Deutschland als wirtschafts- und bevölkerungsstärkstes Land in großer Verantwortung. Aber auch darüber hinaus müssen wir gemeinsam dafür streiten, dass die Rechtsstaatlichkeit in Europa nicht weiter von Nationalistinnen und Nationalisten, beispielsweise in Polen und Ungarn, unterminiert wird ({3}) und dass die europäischen Werte für die Bürgerinnen und Bürger auch als europäische Rechte erlebbar und sicher werden. Das bedeutet auch ganz klar – denn die Verantwortung endet ja nicht an den europäischen Außengrenzen –: Wir müssen das Sterben im Mittelmeer beenden. Wir müssen Europa auf den Weg zu einer menschenwürdigen Aufnahmepolitik bringen, die die Menschen im Mittelmeer rettet und die humanitären Standards unserer Union an den Außengrenzen sichert. ({4}) Situationen wie in Moria oder an der polnisch-belarussischen Grenze dürfen nicht unser Anspruch sein. Die Europäische Union muss nach innen und nach außen ihren humanitären, demokratischen und rechtsstaatlichen Ansprüchen gerecht werden. Sie darf sich nicht von autokratischen Drittstaaten mit Migrationsströmen erpressbar machen, sie darf nicht tatenlos zusehen, wie Mitgliedstaaten demokratische Grundwerte Stück für Stück zurückrollen, und sie muss in der Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig sein; das sehen wir gerade jetzt wieder besonders. ({5}) Kurzum: Wir brauchen europäische Souveränität. Deswegen ist es sehr gut – ich freue mich sehr darüber –, dass die französische Ratspräsidentschaft das jetzt in den Mittelpunkt stellt. Dinge wie der Austritt des Vereinigten Königreichs zeigen uns schmerzlich, wie fragil die Europäische Union auch sein kann. Auch in anderen Ländern machen sich Nationalisten breit, die unsere Vorstellung von einem gemeinsamen Leben in der Europäischen Union infrage stellen. Ich bin insbesondere froh, dass in diesem Haus zumindest unter den meisten Fraktionen – mit expliziter Ausnahme dieser Fraktion hier rechts im Parlament – eine große Einigkeit darüber besteht, dass wir die Europäische Union brauchen und weiterentwickeln müssen, um noch enger zusammenzuwachsen. ({6}) Deshalb müssen wir in der Europäischen Union noch stärker zueinanderfinden und weiter zusammenwachsen, aber die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg auch mitnehmen; denn nur mit Beteiligung fördern wir das Wohlbefinden und schaffen Akzeptanz für die weitere Integration der Europäischen Union. Daher bin ich sehr, sehr froh, dass dieser Prozess zur Zukunft der Europäischen Union in so einer breiten Diskussion zwischen Rat, Kommission, Parlament und mit den Bürgerinnen und Bürger da draußen in diesem Land stattfindet. Ich finde, die Ergebnisse können sich sehen lassen. ({7}) Wir müssen aber auch die parlamentarische Beteiligung in der Europäischen Union stärken. Wir brauchen eine Reform des Europäischen Parlamentes und transnationale Listen. Das ist ja auch das, was die Menschen da draußen fordern. ({8}) Die Zukunft der Bundesrepublik muss eine europäische sein, um die Herausforderungen einer globalisierten Welt meistern zu können. Lassen Sie uns also gemeinsam daran arbeiten und dafür sorgen, dass meine und zukünftige Generationen in einem vereinten, souveränen und gerechten Europa aufwachsen können. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Funke. – Bevor ich dem Kollegen Professor Weyel das Wort erteile, will ich einen kurzen Hinweis geben. Das Sitzungspräsidium und der Sitzungsdienst achten sehr genau darauf, dass diejenigen, die nicht von der Maskenpflicht befreit sind, auch ihre Masken tragen. Wir sind für jeden Hinweis dankbar; aber es muss nicht jeder Hinweis erfolgen, wenn ich das mal so sagen darf. Nächster Redner wird der Kollege Professor Weyel von der AfD-Fraktion sein, der von der Tribüne spricht. ({0}) Herr Professor Weyel, Sie kennen das Spiel: Wenn Ihre Redezeit sich dem Ende nähert, bekommen Sie zwei Minuten vor Schluss ein optisches Signal. Die Redezeit läuft dann runter. – Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von Macron initiierte Zukunftskonferenz soll ja direkt auf einen neuen Verfassungskonvent zulaufen – mit der Verschlimmbesserung, dass qualifizierte Mehrheitsentscheide die letzten Vetomöglichkeiten verhindern sollen. Es geht hierbei vor allem um Außenpolitik und Steuerhoheit mit zeitgemäßer Panikrhetorik in einfacher Sprache, also Klima, Corona, Russland, China usw. Im Ampelkoalitionsvertrag steht sogar einigermaßen verfassungswidrig die Gründung eines EU-Bundesstaates. Durch den Abgang Großbritanniens hat sich die Sache mit dem Veto ja schon von selbst erledigt. Längst sind die Nettozahler in der qualifizierten Minderheit angekommen. Mit der augenwischerischen Zukunftskonferenz wird hier nur ein EU-mäßiges Weiter-so verschleiert. Der englische Erfinder des Nation Branding, Simon Anholt, redete Ende 2011 vor Brüsseler Berufseuropäern zu den Grenzen von Werbung und Propaganda. Die EU-Kommunikationsstrategie zeichne sich demnach dadurch aus, dass sie – Zitat – erstens Informationen verbreitet, nach denen keiner fragt, zweitens Werbung betreibt, obwohl sie kein Produkt hat, drittens nicht weiß, wer ihre Kunden sind, und viertens die ganze Zeit nur geldverschwenderische Propaganda betreibt. ({0}) Diese vor sich her laufende Zukunftskonferenz ist eine besonders dreiste Suggestion homöopathischer Bürgerbeteiligung. Es wird so getan, als ob der ganze Apparat einen echten Änderungswillen hätte. Es hat den Charakter einer Art Paartherapie, und zwar nach einer fast 66 Jahre andauernden Gewalt- und Missbrauchsbeziehung, die fast nur einseitigen Betrug und Ausbeutung kennt, ({1}) einer Missbrauchsbeziehung zwischen Politapparat und zahlendem Publikum, welches immer weniger Leistung für immer mehr Beitrag bekommt – national wie international. Das Ganze kannte immer nur eine Richtung, nämlich die falsche. Hier aber nun unsere glasklaren Vorschläge, wie eine wünschenswerte EU-Zukunft aussehen müsste: Erstens. Rückführung des Brüsseler EP zu einer echten parlamentarischen Versammlung à la Europarat oder Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung mit maximal der Hälfte der derzeitigen Abgeordneten, bezahlt nach nationalen Diäten. Und alle Abgeordneten haben aus national verantwortlichen und gewählten Parlamenten zu kommen, wie es auch die Urform des Geschehens in Brüssel vor 1979 war. Zweitens. Angleichung der Gehälter nicht in dem Sinne, wie es 2009 erfolgt ist – alle bekommen das Gleiche, exorbitant, Brüsseler Spitzengehälter –, sondern es wird bezahlt nach nationalen Diäten plus Spesen. Fertig! Drittens. Zunächst Rückführung des Agrarbereichs in nationale Verantwortung und Beendigung einer völlig überdimensionierten Übergriffigkeit im Finanzbereich sowie endlich eine klare, überfällige Aufgabenbeschränkung, aus der sich alles Weitere ergibt. Machen wir uns bitte sofort auf den Weg in diese gute und bessere EU-Zukunft, die beweist, dass man lernfähig und lernwillig ist! Dieser Beweis ist zu führen. Wir stehen bereit, Sie offenbar nicht. Danke. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Professor Weyel. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ann-Veruschka Jurisch, FDP-Fraktion, die das Wort zu ihrer ersten Parlamentsrede erhält. ({0})

Dr. Ann Veruschka Jurisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005094, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Innerhalb der Europäischen Union prägen Frieden und Wohlstand unser Leben. Es ist heute aber erst 77 Jahre her, dass das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde. Meine Eltern haben als kleine Kinder noch das Grauen des von Deutschland verschuldeten Krieges miterlebt. Heute debattieren wir hier über die Konferenz zur Zukunft Europas. Heute debattieren wir, wie wir in der EU auch in Zukunft in Frieden und sozial, ökologisch und wirtschaftlich stabil leben können. In den Foren der Konferenz zur Zukunft Europas haben sich Menschen sehr selbstbewusst dafür engagiert, Visionen zu entwickeln und Lösungsansätze zu formulieren. Ihnen gilt unser großer Dank für ihren Einsatz und ihre sehr wertvolle Arbeit. ({0}) Ich möchte hier dafür werben, dass wir auch im Bundestag die Dynamik der Zukunftskonferenz und der französischen Ratspräsidentschaft für die Weiterentwicklung der EU flankieren und unterstützen. Europa ist noch nicht fertig. Der Weg zu mehr europäischer Stärke und Integration führt sowohl über Reformen auf institutioneller Ebene als auch über mehr Vernetzung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern: mehr Wissensaustausch, mehr Informationsaustausch, mehr persönliche Begegnungen. Darin liegt noch viel Potenzial für eine innere Stärkung und weitere Entfaltung der EU. ({1}) Deshalb möchte ich diesen Aspekt der besseren Vernetzung von Menschen und Ideen hier und heute besonders in den Fokus rücken. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des deutschen Forums der Zukunftskonferenz haben dazu einige ganz konkrete Vorschläge erarbeitet. Beispielsweise schlagen sie vor, dass ein EU-weites Bildungs- und Informationsmedium einzurichten sei, dass eine Informationsplattform für Best Practice in der Aus- und Weiterbildung aufgesetzt werden solle und dass der Schüleraustausch zwischen allen EU-Ländern intensiviert und unabhängig vom Einkommen der Eltern gestaltet werden solle. ({2}) Als Europäerin möchte ich zu mehr Vernetzung von Menschen und Ideen noch aus ganz persönlicher Sicht ergänzen: Gerade auch die grenznahen Räume innerhalb Europas, also beispielsweise die Bodenseeregion, in der ich lebe, verdienen unsere Aufmerksamkeit. Wenn nicht dort, wie soll es dann zwischen grenzferneren Regionen klappen? Oft hapert es ja an ganz praktischen Dingen. Der mangelhafte Ausbau von grenzüberschreitenden Verkehrswegen zum Beispiel verhindert den Austausch von Menschen und Ideen. ({3}) Bürokratische Erschwernisse bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen verhindern eine wirtschaftliche Integration, und ungenutztes Potenzial bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Institutionen bremst die volle Entfaltung von Regionen. Als Bundestagsabgeordnete werde ich mich dafür starkmachen, dass die Weiterentwicklung der EU für die Bürgerinnen und Bürger greifbar wird, gerade auch durch mehr Vernetzung von Menschen und Ideen. ({4}) Bürgerinnen und Bürger haben sich mit vielen wegweisenden und auch ganz praktischen Ideen an der europäischen Zukunftskonferenz beteiligt. Wirken auch wir hier im Bundestag darauf hin, dass die Ergebnisse der Konferenz für eine umfassende Weiterentwicklung genutzt werden – bis hin zu den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union! Genau das ist eine zentrale europapolitische Forderung in unserem Ampelkoalitionsvertrag, und als Liberale freue ich mich darüber sehr. ({5}) Ich möchte meine erste Rede in diesem Haus nicht beenden, ohne Danke zu sagen. Danke für Ihr europäisches Engagement, liebe Bürgerinnen und Bürger, für ein starkes, vernetztes und demokratisches Europa! Als Liberale und Freie Demokratin erfüllt mich der Frieden innerhalb der EU mit großer Dankbarkeit. Die aktuelle Lage zeigt uns, dass dieser Friede keine Selbstverständlichkeit ist. Lassen Sie uns jeden Tag und überall weiter daran arbeiten! Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Jurisch. – Weil man das von hier oben besonders schön sieht, will ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Maske Mund-Nasen-Bedeckung heißt, damit Mund und Nase bedeckt werden. Ich sage das als allgemeine Anregung, und das nächste Mal spreche ich Persönlichkeiten unmittelbar an. Nächster Redner ist der Kollege Robin Wagener, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Robin Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“ Mit diesem Satz hat der damalige französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 den Grundstein für das größte Friedensprojekt aller Zeiten gelegt, die Europäische Union. Dass wir heute, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, über die Zukunft Europas diskutieren, ist für mich von großer Bedeutung. Wir alle wissen, welch unermessliches Leid die Shoah und der Zweite Weltkrieg für Millionen von Menschen bedeutet haben und teilweise bis heute bedeuten. Wir alle wissen, dass aus dieser historischen Schuld auch immer eine besondere Verantwortung Deutschlands für die Zukunft Europas und für ein friedliches Miteinander erwachsen wird. Innerhalb der Europäischen Union haben wir den Frieden durch eine immer engere Zusammenarbeit und durch friedliches Zusammenwachsen über Grenzen hinweg gesichert. Für uns ist Frieden heute gelebte Selbstverständlichkeit. ({0}) In ganz Europa und in unserer direkten Nachbarschaft ist es das nicht. Bis heute ist der Frieden auf dem Westbalkan brüchig. Bis heute sind dort mancherorts Menschen an der Macht, die den Genozid von Srebrenica leugnen oder verharmlosen. Seit 2014 erleben wir den Krieg in der Ostukraine, und in Belarus zählen wir heute 1 000 politische Gefangene – 1 000 Menschen, die ihren Kampf für Demokratie mit der Freiheit bezahlen, ein trauriger Rekord. Ich selbst habe eine Patenschaft für Ihar Losik, einen oppositionellen Journalisten, 29 Jahre alt, übernommen. Er hat eine dreijährige Tochter. Ihar konnte nicht miterleben, wie seine Tochter Paulina laufen lernte. Er konnte nicht miterleben, wie sie sprechen lernte, weil er mehr als die Hälfte ihres Lebens im Gefängnis sitzt – unschuldig. Es sind diese individuellen Geschichten von Menschen, die uns vor Augen führen, wie wichtig es ist, uns für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen, ({1}) und das innerhalb der Europäischen Union, wo wir uns weiter mit ganzer Energie dafür einsetzen werden, die Werte der EU – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschlichkeit – auch selbst zu leben, und zwar in allen Politikfeldern mit einem klaren Kompass, aber eben auch in der europäischen Nachbarschaft. Die Menschen in Bosnien und Herzegowina, in der Ukraine, in Belarus zählen auf uns. Auch deshalb wird die Koalition ein besonderes Augenmerk auf diese Regionen legen und den Menschen in ihrem Einsatz für Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beistehen. Ich freue mich sehr, dass sich die Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union mit der Rolle der EU in der Welt beschäftigt. Dabei wird beispielsweise intensiv über eine häufigere Anwendung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik diskutiert. Das klingt erst mal technisch, aber es hat sehr konkrete Auswirkungen. Denn das bedeutet, dass das Veto eines einzelnen Staates nicht mehr die komplette Handlungsfähigkeit der EU lahmlegen kann. Die Zukunftskonferenz ist eine einzigartige Chance, um mit vielen Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Nutzen wir sie! Nutzen wir sie für eine Stärkung des Parlaments, für eine weitere intensive Bürgerbeteiligung! Nutzen wir sie, um die EU noch handlungsfähiger, strategisch souveräner und noch stärker zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger zu machen! Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Wagener. – Vorletzter Redner in dieser Debatte wird der Kollege Tobias Winkler, CDU/CSU-Fraktion, sein, ebenfalls mit seiner ersten Parlamentsrede. ({0})

Tobias Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Konferenz zur Zukunft Europas ist mit dem Rückenwind aus der letzten Europawahl gestartet. 2019 sind über 200 Millionen Bürgerinnen und Bürger an die Wahlurne gegangen und haben dem Europäischen Parlament ihre Stimme verliehen. Die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass sie dieses Europa mitgestalten müssen, mitgestalten wollen. Europa ist gegründet von mutigen Politikern, von Vordenkern: Robert Schuman, Jean Monnet, Alcide de Gasperi – viele wurden hier heute schon genannt –, später auch Helmut Kohl, Angela Merkel, Jean-Claude Juncker: viele, die dieses Europa stark vorangebracht haben. ({0}) Ich habe den Eindruck, dass die Politiker, die vorgedacht haben, die die Menschen mitgenommen haben, heutzutage etwas weniger Mut haben und von den Menschen getrieben werden. Die Menschen wollen mehr und ein stärkeres und ein demokratischeres Europa. Deswegen freue ich mich, Frau Staatsministerin Lührmann, dass Sie sagen: Wir wollen die Ergebnisse dieser Konferenz ernst nehmen. Ich habe in meiner kurzen Zugehörigkeit zu diesem Hause schon die besondere Gabe von Abgeordneten und auch von Regierungsmitgliedern erlebt, dass Sonntagsreden auch unter der Woche gehalten werden können. Ich hoffe sehr, dass die Ernsthaftigkeit, mit der die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas behandelt werden, nicht zu dieser Kategorie gehört, sondern dass wir uns damit auseinandersetzen, was die Bürgerinnen und Bürger in den vielen Foren diskutieren und an Ideen einbringen. ({1}) Die Zahlen wurden schon genannt: über 350 000 Bürgerinnen und Bürger, die sich in über 5 000 Veranstaltungen beteiligt haben. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission bringen sehr viel in diesen Prozess ein, organisieren die Bürgerforen und die Veranstaltungen mit und animieren und unterstützen viele Partner aus der Zivilgesellschaft bei ihrer Arbeit. Ich finde es etwas schade – aber es bleibt noch Zeit; das ist jetzt sozusagen nicht nur als Kritik, sondern auch als Ermutigung gemeint –, dass die Bundesregierung, aber auch die Länder, wie es heute schon angesprochen wurde, noch nicht auf diesen Zug aufgesprungen sind. Das, was bisher organisiert wurde, reicht noch nicht. Den Menschen in Deutschland und in vielen anderen Ländern ist in der überwiegend großen Mehrheit nicht bekannt, was für ein großartiges, zukunftsweisendes Projekt der direkten Bürgerbeteiligung hier ins Leben gerufen wurde. Wenn wir mehr Menschen daran beteiligen wollen, dann müssen wir das auf allen Ebenen spielen. Wir haben, wenn das Ende der Konferenz mit dem Schlussbericht um den Europatag am 9. Mai stattfinden soll, zumindest unter französischer Ratspräsidentschaft noch einige Monate Zeit. Ich glaube, es wäre angebracht, wenn die Bundesregierung und die Länder hier noch mal einen Schub reinsetzen und die Bürgerinnen und Bürger animieren, an der Konferenz teilzunehmen, und dafür werben. ({2}) Wir erleben, dass auch in der heutigen Diskussion viele der Ideen, die die Bürgerinnen und Bürger einbringen, schon zu politischen Forderungen vereinnahmt werden, die hier noch mal zu Papier gebracht werden oder in der Rede vorgebracht werden. Das ist, glaube ich, nicht die Art und Weise, wie wir damit umgehen sollen. Wir sollten die Bürgerinnen und Bürger ermutigen. Wir dürfen die Diskussion mit unseren Ideen selbstverständlich mit beeinflussen, wir dürfen auch ganz konkret an diesen Konferenzen mit teilnehmen, aber wir sollten unsere Ideen dann nicht sozusagen mit der Rechtfertigung, dass die Bürgerinnen und Bürger dies alles gefordert hätten, durchbringen, sondern wir müssen auf die Bürgerinnen und Bürger hören und daraus unsere Schlüsse ziehen. Ich sehe in dieser Konferenz zur Zukunft Europas eine großartige Chance, und ich hoffe, dass wir sie auch künftig als solche wahrnehmen und behandeln. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Winkler. – Als letzter Redner hat das Wort der Kollege Johannes Schraps, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine gut funktionierende Demokratie beruht in erster Linie auf Vertrauen – Vertrauen durch Mitspracherecht und durch Mitsprachemöglichkeiten. Ein Mitspracherecht haben wir als Staatsbürger in den europäischen Demokratien ganz automatisch. Aber nicht alle wissen immer so ganz genau, wie sie dieses Recht auch sinnvoll ausüben können. Deshalb müssen immer wieder Möglichkeiten zur Mitsprache geschaffen und dabei immer wieder auch neue Wege gegangen werden. Wenn man ein konkretes Anliegen hat, dann kann man sich beispielsweise an seinen örtlichen Bundestagsabgeordneten wenden, wie es erfreulich viele Menschen tun, oder man kann das parlamentarische Petitionsrecht nutzen. Die Mitglieder des Petitionsausschusses kümmern sich sehr sorgfältig darum. Oder man kann sich im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas beteiligen. ({0}) Denn auch sie ist ein solcher Weg, die eigene Meinung einzubringen und mitzusprechen – und sie ist, wie wir von unseren beiden Teilnehmern des Bundestages, Gunther Krichbaum und Axel Schäfer, gehört haben, ein guter und erfolgreicher Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Neben der Einbindung der Zivilgesellschaft und dem intensiven Austausch von Bürgerinnen und Bürgern aus allen Teilen des Kontinents zu zahlreichen Themen bietet die Zukunftskonferenz aber auch uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern die Möglichkeit, unseren Kurs in bestimmten Fragestellungen noch mal zu überprüfen. Hier möchte ich als konkretes Beispiel auf das Stichwort „Rechtsstaatlichkeit“ eingehen. Viele Vorredner und Vorrednerinnen haben es zu Recht angesprochen. Auch mich hat dieses Thema in den letzten Jahren hier im Bundestag intensiv beschäftigt. Auch bei der Zukunftskonferenz setzt sich eine Arbeitsgruppe mit Werten und Rechten, mit Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit in Europa auseinander. Neben den Diskussionen zwischen den zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, Vertretern der Zivilgesellschaft und Abgeordneten aus den verschiedensten politischen Ebenen wurden auch Tausende Beiträge von Bürgerinnen und Bürgern zu diesem Thema auf der Onlineplattform der Zukunftskonferenz erfasst. Ich finde die Ergebnisse dieser Beiträge ungemein beeindruckend; Kollege Hacker hat es vorhin schon angesprochen. Eine ganz große Gruppe von Teilnehmenden fordert sehr deutlich die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und einen besseren Schutz der Grundwerte in der Europäischen Union. In manchen Beiträgen werden beispielsweise sehr große Bedenken hinsichtlich der Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien, beispielsweise mit Blick auf Ungarn und Polen, geäußert – Bedenken gegenüber Staatsformen, die sich selbst als illiberal bezeichnen. Andererseits muss man auch konstatieren, dass es einige Beiträge gibt, die dazu auffordern, die nationalen Angelegenheiten dieser Länder zu respektieren; da wird beispielsweise auf das demokratische Recht Ungarns verwiesen, seine Grenzen zu verteidigen, seine christliche Religion, Kultur oder auch eine homogene Gesellschaft zu bewahren. Einige Teilnehmende schlagen vor, die finanzielle Unterstützung für Länder zu kürzen, die gegen gemeinsame Rechtsstaatskriterien verstoßen, ihnen das Stimmrecht im Europäischen Rat zu entziehen oder sogar ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu beenden. Es wird debattiert, ob der Europäische Gerichtshof die Rolle eines Wächters über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU übernehmen soll, und auch, wie der Haushaltsschutzmechanismus genutzt werden soll, um Regierungen, die gegen europäische Grundwerte verstoßen, besser sanktionieren zu können. Außerdem wird ein Überprüfungsmechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in der EU gefordert. Es wird also intensivst über verschiedene Standpunkte diskutiert – ebenso wie wir das als Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den Ausschüssen oder eben hier im Plenum tun. Abgesehen davon, dass die Konditionalitätsregelung zum Schutz des EU-Haushaltes, für die wir viele Jahre lang hart hier im Bundestag kämpfen mussten und die wir während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft endlich implementieren konnten, offensichtlich größtenteils ganz im Sinne der europäischen Bürgerinnen und Bürger ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, abgesehen davon wird für mich eines an dieser Zukunftskonferenz ganz deutlich: Die europäischen Bürgerinnen und Bürger wollen ein demokratisches Europa, eines, das sie stark nach innen sowie nach außen vertritt, und ganz viele nehmen die Möglichkeit zur Mitsprache durch ihre Beteiligung an der Zukunftskonferenz wahr. ({2}) Noch ist die Zukunftskonferenz nicht abgeschlossen, und natürlich kann eine solche Konferenz kein Allheilmittel für alle möglichen Übel und Schwierigkeiten sein, mit denen wir ohne Frage auch in Europa zu kämpfen haben. Eines ist diese Konferenz aber ganz sicher: Sie ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt, um über unsere gemeinsame Zukunft zu sprechen, in vielen Themenbereichen entscheidende Weichen zu stellen und die Konferenz – wie wir das auch in unserem Koalitionsvertrag beschrieben haben – für notwendige Reformen und eine Weiterentwicklung Europas zu nutzen ({3}) und, nicht zuletzt, um auch Mitsprachemöglichkeiten, das Mitspracherecht und damit das demokratische Miteinander zu stärken. Mit der heutigen Debatte haben wir ebenfalls unseren Beitrag dazu geleistet. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schraps. – Damit beende ich die Aussprache; der Tagesordnungspunkt ist erledigt.

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hat dieses Jahr turnusgemäß die Präsidentschaft der G 7 übernommen, der Vereinigung der wichtigsten westlichen Industrienationen – es sind demokratische Nationen –, und es führt diese Präsidentschaft in einer sehr, sehr turbulenten Zeit, in der es wichtig ist, Führung und Orientierung zu geben und einen gemeinsamen wertegebundenen Weg zu finden. Neben dem wertegebundenen Bereich, der uns wichtig ist, ist auch das „gemeinsam“ für uns wichtig. Die ersten Erfahrungen in dieser Legislaturperiode lassen eher das Gegenteil befürchten. Mit Blick auf die Ukraine nehmen die internationalen Irritationen über Deutschland eher zu als ab. Beim Thema Klima ist es auch so, dass man zwar generell das Klimaziel verfolgt und hier einen konsensualen Weg in Europa gehen möchte. Wenn aber dann eine Taxonomie entsprechend diskutiert wird, ist der Aufschrei groß, ausgerechnet – ich finde das umso bemerkenswerter – bei den Grünen, die diesen Entscheidungsprozess ja sehr gut fanden, während ich ihn immer für demokratisch sehr fragwürdig gehalten habe, nach dem Motto: Entsprechende Mehrheiten gegen einen Vorschlag zu bekommen, ist jetzt umso schwieriger. – Ich denke, das sollten wir bei diesem Thema separat diskutieren. Es ist aber wichtig, den Energiemix in anderen Mitgliedstaaten zu respektieren. Das Thema „CO2 und Klima“ ist auch in der G 7 ein wichtiges Thema. Darum wünsche ich der Bundesregierung viel Erfolg dabei, eine CO2-Bespreisung international durchzubringen und insbesondere dann auch einen entsprechenden Ausgleichsmechanismus für die WTO zu verankern, wenn entsprechende Importe in die Europäische Union diesen CO2-Kosten nicht unterliegen. Meine Damen und Herren, darum sind diese Ziele – und ich habe mir das Dokument der deutschen Präsidentschaft angeschaut – sehr wichtig: Klima, Umwelt, Soziales, Arbeitsstandards, Gleichstellung. Das sind alles sehr wichtige Ziele. Aber daneben sollte man die Schritte gehen, die möglich sind; das sind regionale Zusammenschlüsse. Wir haben ja die Situation, dass dieses Jahr das Abkommen RCEP mit Japan, Südkorea, den ASEAN-Staaten, China, Australien und Neuseeland, also mit Staaten mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen, die aber 30 Prozent der Wirtschaft und 30 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, ab diesem Jahr gilt. Über ein transpazifisches Abkommen wird verhandelt. Auch Großbritannien und die USA verhandeln mit China. Das heißt, andere nehmen regionale Zusammenschlüsse ernst und versuchen, darüber den Welthandel entsprechend zu beeinflussen und Standards zu setzen; an der Spitze ist es China. Meine Damen und Herren, darum ist es dringend notwendig, dass Deutschland, dass Europa die Möglichkeiten nutzt, die es hat. Da spreche ich das Mercosur-Abkommen mit Südamerika und Lateinamerika und insbesondere das CETA-Abkommen mit dem G-7-Staat Kanada an. Es geht darum, dass wir das endlich voranbringen. Mein Appell geht insbesondere an eine Fraktion, hier ihren Widerstand aufzugeben und den entsprechenden Schritt voranzugehen. ({0}) Wir haben es bei TTIP erlebt: Die Chance war da. Dann ging die Tür zu: Wir hatten es mit einem Präsidenten in den USA zu tun, der gegen den internationalen Handel gearbeitet hat. Meine Damen und Herren, andere schaffen darüber Fakten – und wir schauen zu. Als wenn es bestellt gewesen wäre – aber es war natürlich nicht bestellt –, erschien im heutigen „Handelsblatt“ – lassen Sie mich zitieren –: Der Kontinent macht sich zum Maß aller Dinge und verärgert so wichtige Handelspartner. „Selbstbezogenheit der EU und mancher ihrer Mitgliedstaaten“ – in dem Artikel kommt insbesondere Deutschland zum Ausdruck – „wirkt irritierend“. Dieser Artikel von heute stammt von den früheren SPD-Parteivorsitzenden Scharping und Gabriel. Ich kann ihnen nur zustimmen. Ja, man muss die großen Ziele verfolgen; aber man muss mit den kleinen Schritten beginnen. Darum fordere ich die jetzige Regierung und die Koalition auf: Ratifizieren Sie die Handelsabkommen, die jetzt auf dem Tisch liegen, als Schritte der Machbarkeit! Ich wünsche Ihnen sehr viel Erfolg bei der G 7, Gemeinsamkeit und Geschlossenheit in dieser internationalen Runde. Aber dazu bedarf es natürlich erst einmal der Geschlossenheit in der Bundesregierung und in der Koalition, und daran hapert es leider Gottes. Fangen Sie erst einmal da entsprechend an! Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Radwan. – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Larem, SPD-Fraktion, zu seiner ersten Parlamentsrede. ({0})

Andreas Larem (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Seit dem 1. Januar 2022 hat Deutschland den Vorsitz der G 7. Die Bundesregierung hat hierzu in der letzten Woche ein ausführliches Programm vorgestellt. Die Schwerpunkte sind Klima, Gesundheit und die Stärkung der Demokratie. Die Covid-19-Pandemie ist allgegenwärtig. 70 Prozent der Weltbevölkerung sollen nach dem Willen der Weltgesundheitsorganisation bis Mitte 2022 geimpft sein. Die Bundesregierung unterstützt die WHO bei der Erreichung dieses Ziels. ({0}) Dafür soll die globale Impfkampagne beschleunigt werden und die lokale Impfproduktion in den Entwicklungsländern weiter unterstützt werden. Die Bundesregierung will weiterhin die Präsidentschaft nutzen, um die leitende und koordinierende Rolle der WHO auszubauen. Insgesamt nimmt die Bundesregierung die Agenda 2030 mit ihren Nachhaltigkeitszielen zum zentralen Referenzrahmen für die G-7-Präsidentschaft. ({1}) Die Pandemie hat zu schweren Rückschlägen bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele geführt. Die G 7 sehen wir in besonderer Verantwortung, die Nachhaltigkeitsziele ambitioniert umzusetzen – lokal, national und global. ({2}) Hier sei insbesondere das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter genannt. Im Rahmen der G-7-Präsidentschaft wollen wir die Gleichstellung auch global voranbringen. Besonders wichtig ist uns in diesen unruhigen Zeiten, dass die Bundesregierung die Rolle der G 7 als Brückenbauer und Vermittler für Frieden und Sicherheit stärken will. Fest eingebettet in die multilaterale regelbasierte Ordnung, insbesondere in die Vereinten Nationen, will sie mit den G 7 Lösungswege für Krisenlagen entwickeln und an deren Umsetzung arbeiten. Dabei sollen Krisenprävention und Abrüstung im Mittelpunkt stehen. Wir wollen demokratische Institutionen und Menschenrechte schützen und stärken. Auch die Wahrnehmung des internationalen Rechts werden wir mit Nachdruck verteidigen. Zur besseren Prävention wollen wir die vorausschauende humanitäre Hilfe stärken, um drohende und klimainduzierte humanitäre Krisen bereits im Vorfeld zu verhindern. Dabei ist es besonders wichtig, die Freiheit und Integrität von Informationen sicherzustellen. Freie und unabhängige Medien und gesicherte und verlässliche Informationen spielen für starke Demokratien eine zentrale Rolle. ({3}) Die demokratischen Meinungsbildungsprozesse müssen vor Verfälschungen und vor Verzerrungen geschützt werden, Hassreden müssen bekämpft, Meinungsfreiheit muss sichergestellt und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten muss gewährleistet werden. Anknüpfend an bestehende Prozesse wollen wir in der G 7 geeignete präventive Ansätze zur Verbesserung der Informationsintegrität entwickeln und unsere Bürgerinnen und Bürger noch besser dabei unterstützen, Desinformationen und Verschwörungsideologien zu erkennen und ihnen aktiv entgegentreten zu können. ({4}) Zusätzlich wollen wir die Wissenschaftskommunikation stärken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die internationale Zusammenarbeit ist extrem wichtig. Wenn wir uns einig sind, können wir viel erreichen. Wir haben viel vor, und wir werden es anpacken. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Larem. Gehen Sie davon aus, dass Sie künftig die Redezeit nicht so weit überschreiten dürfen wie heute. Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Woche viel gelernt: CDU und CSU schaffen es ohne Hilfe der AfD nicht einmal, einen eigenen konservativen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen. ({0}) Heute lernen wir: CDU und CSU können auch keine Parlamentsanträge schreiben. In dem Antrag der Union zur Außenpolitik, den wir heute besprechen, schreiben Sie tatsächlich, die neue Bundesregierung solle Libyen und die Sahelzone stabilisieren, den Krieg im Jemen beenden, die humanitäre Krise in Afghanistan lindern, den Terrorismus im Irak und in Syrien bekämpfen. – Warum fordern Sie nicht gleich den Weltfrieden? ({1}) Wer war denn die letzten 16 Jahre an der Regierung? Waren 16 Jahre der Kanzlerschaft Angela Merkels nicht genug, um diese Forderungen in die Realität umzusetzen? ({2}) Oder warum legen Sie uns heute ein Machwerk vor, aus 20 Punkten zusammengeschustert? Was Sie da machen – das muss man wirklich sagen –, ist billig, und es ist bezeichnend, dass keiner der Vorredner bisher darauf eingegangen ist. Sie fordern vom links-gelben Bündnis die Abarbeitung eines außenpolitischen Programms, das Sie selber nicht abgearbeitet haben, als Sie in der Regierung waren. Was Sie hier machen, das ist keine seriöse Oppositionspolitik, das ist Kaspertheater. ({3}) Viele Ihrer Forderungen sind so haarsträubend, dass ich fast dankbar bin – das muss ich an der Stelle wirklich betonen –, dass Sie in 16 Jahren Angela Merkel überhaupt gar nicht zur Umsetzung gekommen sind. So wollen Sie die G 7 um einen sogenannten internationalen Klimaclub erweitern. Greta Thunberg darf dann zukünftig zwischen Joe Biden und Emmanuel Macron Platz nehmen und den G-7-Gipfel eröffnen. Ist das die staatstragende Union unter Friedrich Merz, von der alle sprechen? Auch ein schöner Treppenwitz: Deutschland soll endlich die Vorgaben der NATO umsetzen und 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes in die Bundeswehr stecken. Ja, wer waren denn die letzten fünf Verteidigungsminister, liebe Kollegen: ({4}) Kramp-Karrenbauer – CDU, von der Leyen – CDU, de Maizière – CDU, Guttenberg – CSU und Jung – CDU. 16 Jahre haben Sie das Militär kaputtgespart, und jetzt besitzen Sie die Unverfrorenheit, sich hier als Retter der Bundeswehr aufzuspielen. Das ist an Heuchelei nicht zu überbieten. ({5}) Schließlich möchten Sie Entwicklungsländern alle Schulden erlassen. Bezahlen darf das dann der deutsche Steuerzahler. Unterzeichnet haben den Antrag Brinkhaus, Dobrindt und die Fraktion. Ehrlicher wäre gewesen: Pleiten, Pech und Schulden. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Frohnmaier. – Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung übernimmt nun die Präsidentschaft der G 7 in Zeiten sehr großer globaler Aufgaben. Dementsprechend sind auch die Schwerpunkte, die von dieser Bundesregierung auf die Agenda gesetzt worden sind, sehr ambitioniert – und das ist auch gut so. Es gibt einen sehr klaren Schwerpunkt – gut abgestimmt mit allen Häusern und auch vom Auswärtigen Amt nach vorne gestellt –, nämlich den Klimaschutz. Das ist eine Aufgabe, die gewaltig und groß ist. Auch in Deutschland haben wir sehr viel zu tun – wir haben es in der Eröffnungsbilanzpressekonferenz des Klimaministers und Vizekanzlers Robert Habeck letzte Woche gesehen –: Es ist sehr, sehr viel nachzuholen, was in den letzten Jahren liegen gelassen worden ist – trotz all der Rhetorik in Bezug auf die vor uns liegende Menschheitsaufgabe. Und: Es ist eine Menschheitsaufgabe, und jetzt muss man auch dementsprechend agieren. ({0}) Wenn man sich aber die Signatarstaaten von Paris und deren Klimaziele anschaut und diese zusammenaddiert – vorausgesetzt, alle diese Staaten werden ihre nationalen Klimaziele einhalten –, dann landen wir bei 2,4 Grad Erderwärmung. Das ist schlicht nicht genug, und das zeigt, dass wir da weit mehr tun müssen. Das ist die Frage, mit der sich die G 7 beschäftigen müssen, und deshalb stelle ich das hier auch an den Anfang. Wir brauchen eine weltweite Allianz, natürlich auch ausgehend von den G 7. Ja, es muss über den Know-how-Transfer diskutiert werden, wenn es um Technologie für den Klimaschutz geht. Ja, es muss auch Vereinbarungen geben über Wege der CO2-Bepreisung. Und: Ja, es geht natürlich auch um fortschreitende Reformbemühungen. Es ist vorhin auch vom Kollegen Hofreiter – ich finde, völlig zu Recht – das Thema „CO2-Grenzausgleichsmechanismus innerhalb des Green Deal“ benannt worden. Auch dazu wird es innerhalb der G 7 sehr viele Gespräche geben müssen. Das ist auch gut so. ({1}) Wir werden in dem Bereich aber mehr machen müssen. Wir werden all diese Maßnahmen natürlich auch global unterfüttern müssen und müssen dabei Menschenrechte und den sozialen Ausgleich berücksichtigen. Natürlich ist es auch absolut zentral, dass wir weiterhin auf lokale Zivilgesellschaften setzen, die unermesslich Wichtiges leisten, gerade auch im Bereich Klimaschutz. Im Übrigen, der derzeitige Konflikt mit der Ukraine zeigt, wie richtig das ist, was Robert Habeck vor wenigen Wochen von diesem Pult aus gesagt hat: Entscheidend ist, dass wir endlich herunterkommen von unserem Hunger nach Fossilem. Das ist nicht nur ein Gebot von Klimaschutz, das ist nicht nur ein ökonomisches Gebot, es ist auch ein Gebot der Friedenspolitik. Dort werden wir sehr viel mehr leisten. ({2}) Die Bekämpfung der Pandemie ist ein weiterer Schwerpunkt dieser Präsidentschaft; auch das ist gut und richtig so. Eine Pandemie breitet sich weltweit aus. Vom Tag eins dieser Pandemie an sagten alle, die sich damit auskennen: Diese Pandemie ist erst dann beendet, wenn sie weltweit beendet ist. Es ist bekannt: Je länger die Pandemie dauert, je länger Hilfe für die Schwächeren ausbleibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit des Mutierens des Virus und des Entstehens von neuen Varianten. Deshalb ist es notwendig, auch dort ins Tun zu kommen. Es ist gut, dass Covax im letzten Jahr 800 Millionen Impfdosen verteilt hat, gerade auch an die Schwächeren. Es ist gut, dass die G 7 jetzt für dieses Jahr 900 Millionen Impfdosen in Aussicht gestellt haben; aber sie müssen ja auch verimpft werden. Es muss ja auch Kühlketten geben, und es ist auch notwendig, dass die Haltbarkeitsdaten zu den Kapazitäten passen, die vor Ort teilweise minimal sind. Deshalb ist es absolut notwendig, auch auf Kapazitätsaufbau in schwachen Staaten zu setzen. Das ist ein Schwerpunkt dieser Präsidentschaft, und das ist auch gut so – im Übrigen auch deswegen, weil wir ja wissen, dass es bei den nächsten Pandemien – es kann sie geben; sie sind nicht unwahrscheinlich – hinsichtlich globaler Gesundheit natürlich auch auf Infrastruktur im Gesundheitssystem auf der ganzen Welt ankommt. Das ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern auch ein Gebot des Selbstschutzes. ({3}) Der dritte Schwerpunkt, den ich hier noch einmal herausstellen will, ist die Stärkung der Widerstandskraft unserer Demokratien. Unsere Demokratie ist einem massiven Stresstest ausgesetzt. Wir haben es mit Extremisten zu tun, mit Gewaltbereiten, mit einem massiven Schleudern von falschen Informationen und damit mit einer Unterminierung von Vertrauen. Daher ist es umso klarer, dass wir alle gemeinschaftlich, wenn wir Demokratinnen und Demokraten sind, für gute und für unabhängige journalistische Arbeit eintreten müssen, um diesem Falschen entgegenzutreten. Wenn ich mir jetzt anschaue, wie beispielsweise „RT DE“ – „Russia Today Deutsch“ – dieser Tage agiert und welche Zwischenspiele es beispielsweise zwischen der AfD und „Russia Today“ gibt, dann ist das eindeutig: Sie arbeiten nicht für Deutschland, sondern gegen die Demokratie und machen sich dort auch noch zum Vehikel. ({4}) Wir werden alle gemeinsam dem entgegentreten. ({5}) Das ist das Gebot der Demokratie, auch im Rahmen der G-7-Präsidentschaft. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Deutschland die G-7-Präsidentschaft nutzen will, muss es nicht um Führung gehen, sondern um Handlungsfähigkeit und Handlungswillen. Was könnte G 7 tun? Sie könnte endlich, auch entsprechend einem Vorschlag des amerikanischen Präsidenten, die Patente für Impfstoffe gegen das Coronavirus gerade für die sogenannte Dritte Welt freigeben. Es wird höchste Zeit. ({0}) Aber der größte Bremser diesbezüglich ist die Bundesregierung – nur damit die Erfinder ihr dickes Geld bekommen. Wir brauchen eine deutliche Einschränkung von Rüstungsexporten. Seit 1998 hat Deutschland Kriegsgerät für 120 Milliarden Euro exportiert. Bei den anderen sechs Ländern ist es zum Teil noch schlimmer. Wer so Waffen exportiert, exportiert auch Krieg. Das muss aufhören. ({1}) Dann brauchen wir deutlich mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Die UNO hat beschlossen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts solle dafür bereitgestellt werden. Alle G‑7-Staaten sind davon noch entfernt, und die rechnerischen Tricks diesbezüglich müssen auch aufhören. ({2}) Dann müssen wir die unfairen Freihandelsabkommen überwinden. Man muss sich das mal vorstellen: Wir können in ein armes afrikanisches Land zollfrei liefern, und dies darf zu uns auch zollfrei liefern. Also, eine größere Wahnsinnsungleichheit kann man sich kaum vorstellen. ({3}) Dann müssen die beschlossenen Klimaziele gerade erst mal die G 7 erreichen, bevor sie immer nur andere Länder ermahnen. Was braucht G 7? Eine Erneuerung. Diese anzustoßen, wäre eine Aufgabe für den Bundeskanzler. Existenzielle Fragen sind längst Menschheitsprobleme, über die nicht mehr sieben Staaten entscheiden können. Diese sieben Staaten gehören noch dazu zu den Hauptverursachern der Probleme: Klimasünden, soziale Ungleichheit, Kriege, Ressourcenknappheit. Die multipolare Welt, in der wir leben, braucht zumindest eine Einbindung auch Chinas, Russlands, Indiens und Brasiliens. ({4}) Wenn China in der Coronapandemie eine ähnliche Infektionsverbreitung wie die USA zugelassen hätte, dann sähe es schlimm aus für unsere Welt. Fazit: Die G-7-Staaten müssen endlich von ihrem Sockel runter und den Weg der internationalen Zusammenarbeit, des Interessenausgleichs und des Friedens aktiv beschreiten. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Gysi. – Nun vernehmen wir die Worte der geschätzten Kollegin Anikó Merten, FDP-Fraktion, in ihrer ersten Parlamentsrede. ({0})

Anikó Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005150, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um ein Wort vorweg, was wahrscheinlich meine Redezeit ein bisschen sprengen wird. Aber an einem Tag wie heute meine erste Rede zu halten, das ist unglaublich emotional für mich. Deswegen bitte ich um Verständnis. Jetzt zu meinem Punkt. Eines wird in diesen Tagen deutlich: Die Aufrechterhaltung des Dialogs scheint wichtiger denn je. Doch dazu braucht es Foren. Es braucht neutrale Räume und Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Das Normandie-Format zur Vermittlung im Ukraine-Konflikt, die NATO, die G 7, die G 20 und die OSZE, sie alle sind multilaterale Gremien, die für die internationale Staatengemeinschaft zur Aufrechterhaltung des Dialogs unerlässlich sind. Für Deutschland bieten diese Dialogforen die Chance, sich mit unseren internationalen Partnern für eine multilaterale, demokratische und wertebasierte Ordnung und für eine offene Gesellschaft einzusetzen. ({0}) Dem Format der G 7 kommt dabei eine besondere Rolle zu, und dies nicht nur deshalb, weil die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig den Vorsitz innehat. Die globalen Herausforderungen, vor denen die internationale Staatengemeinschaft steht, sind immens: Wir müssen auf internationaler Ebene mit den Folgen des Klimawandels umgehen. Wir sehen uns konfrontiert mit den gesundheitlichen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie. Wir müssen uns mit den anhaltenden Territorialkonflikten an den Rändern der Europäischen Union und weit darüber hinaus auseinandersetzen. Wir brauchen pragmatische, liberale Antworten und Strategien im Umgang mit Prozessen der zunehmenden Autokratisierung. Den G 7, die als Wertegemeinschaft liberaler Demokratien zu den führenden Industrienationen zählen, kommt dabei in Anbetracht des globalen Ausmaßes dieser Konflikte und Herausforderungen eine besondere Vorreiterrolle zu. Sie verfügen nicht nur über die wirtschaftlichen Ressourcen und über das Know-how, um Lösungsstrategien zu entwickeln, sondern sind auch auf multilateraler Ebene eng vernetzt. Der Vorsitz in der G 7 bietet für die Bundesrepublik eine wichtige Chance, gemeinsam mit unseren Partnern auf internationaler Ebene Verantwortung zu übernehmen und unseren Beitrag zur Bewältigung der großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu leisten. ({1}) Das Programm der deutschen G-7-Präsidentschaft bekennt sich ausdrücklich zu unserer Vorreiterrolle innerhalb einer wertebasierten multilateralen Ordnung. Die Ampelregierung tritt für die Schaffung einer starken Allianz für Fortschritt beim Klimaschutz ein. Sie forciert in ihrem Programm den immanenten Zusammenhang zwischen einer ökologischen und sozial gerechten Transformation und wirtschaftlichem Wachstum; denn Nachhaltigkeit und Wohlstand schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil: Die deutsche G-7-Präsidentschaft setzt auf wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik im Bewusstsein um unsere ökologische Verantwortung. Sie setzt auf den Ausbau von Partnerschaften zu Klima, Energie, Entwicklung, Frieden und Sicherheit sowie die Stärkung der Demokratie und der Zivilgesellschaft weltweit. Das Interesse an unterschiedlichen kulturellen Hintergründen kann dabei Brücken bauen und das Demokratieverständnis fördern. Dabei schöpft unsere Ampelregierung endlich das Potenzial aus, das Investitionen in Infrastruktur bieten, zum Beispiel die sogenannte „Built Back Better World“-Initiative – ich habe es echt rausgekriegt. ({2}) Damit leisten wir zur nachhaltigen Transformation in Schwellen- und Entwicklungsländern unseren Beitrag. Die Bundesregierung verweist auf die außerordentliche Bedeutung, die wehrhafte liberale Demokratien nicht nur für den Schutz von Menschen- und Bürgerrechten haben, sondern auch für den wirtschaftlichen Wohlstand; denn eine demokratische Werteordnung, wirtschaftlicher Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit müssen zusammengedacht werden. ({3}) Die G 7, unter deutschem Vorsitz und geeint durch demokratische Wertvorstellungen, bekennen sich, wie es im Programm deklaratorisch heißt, zu ihrer „Verantwortung für das globale Gemeinwohl“. Doch das gelingt uns nicht alleine. Dialog braucht Partner auf Augenhöhe. Die G 7 bieten ein geeignetes Forum, um gleichberechtigte Partnerschaften zu stärken, aber auch, um darüber hinaus neue Partnerschaften zu schmieden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Ihr Antrag zur Nutzung der deutschen G-7-Präsidentschaft in allen Ehren – aber ein Blick in das Programm zeigt, dass sich die Bundesrepublik ihrer Führungsverantwortung in schwierigen Zeiten durchaus bewusst ist. Und damit vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Merten. – Ich rufe noch die nächste Rednerin auf, und dann machen wir einen Platzwechsel im Präsidium. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Die Klimakrise könnte die G-7-Staaten, wenn nicht mehr getan wird, im Jahr 2050 8,5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten; das macht 4,8 Billionen Dollar aus. Das ist eine abstrakte Zahl. Aber allein diese ökonomische Betrachtung zeigt, in welchen Dimensionen wir zu rechnen haben. Damit einher gehen der Verlust von Lebensgrundlagen, millionenfache Flucht und auch millionenfaches menschliches Leid. Insofern ist es richtig, dass die Klimaschutzpolitik einen zentralen Schwerpunkt in der G‑7-Präsidentschaft darstellt. Bundeskanzler Olaf Scholz hat richtigerweise betont, dass dies so sein soll. Und ich erhoffe mir, dass von dieser Schwerpunktsetzung ein Signal ausgeht und mit diesem Staatenkreis eine Vorreiterrolle verbunden werden wird, damit klimafreundliches Wirtschaften zum weltweiten Standard mit Ausstrahlungswirkung wird. ({0}) Schließlich geht das auch einher mit Klimaschutzpolitik. Das ist nicht nur eine mahnende Politik, sondern es ist eine Politik der Chancen; denn mit ihr verbunden ist die Frage nach der Zukunft der Arbeit und auch die der Zukunft in vielen anderen Bereichen, mit denen wir politisch zu tun haben. Dem Energiesektor, der für einen bedeutenden Teil aller Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, kommt dabei eine entscheidende Schlüsselrolle zu. Auch auf nationaler Ebene bedeutet das, einen drastisch beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien zu realisieren. Damit einhergehen müssen auch die Beseitigung von Ausbauhemmnissen und die Beseitigung von Mengenbeschränkungen. Das muss bedeuten, dass wir Anreize schaffen, die Ziele, die wir uns gesetzt haben, möglichst noch zu übertreffen. Denn anders ist es in der Tat nicht zu schaffen, die weltweiten Handlungsbedarfe zu decken. ({1}) Der Ausbau erneuerbarer Energien liegt dabei im überragenden öffentlichen Interesse. Das hat die Koalition festgeschrieben, und wir sind auch schon mitten im Geschehen. Bundesminister Habeck hat jetzt schon ein Osterpaket und weiter gehende Maßnahmen in Vorbereitung. ({2}) Die Abhängigkeit von fossilen Energien kann, wenn wir sie nicht umgehend zu beenden wissen, zur ungeahnten Armutsfalle werden und auch zum Kollabieren von Volkswirtschaften führen. Sie führt auch zu geopolitischen Konflikten, wie es bereits beim Irakkrieg zu erkennen gewesen war. Auch in Bezug auf den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland muss uns aktuell bewusst sein, dass in dieser Konfliktlage trotz verschiedenster hier wirkender Interessengegensätze auf allen Seiten auch eine Verflechtung durch Abhängigkeiten von fossilen Ressourcen besteht. Wenn wir den Umstieg auf erneuerbare Energien nicht zügig schaffen, werden solche Konflikte immer wahrscheinlicher. ({3}) Atomenergie ist dabei übrigens keine Lösung. Sie ist die teuerste Energie; sie ist eine Hochrisikotechnologie. Wir haben die ungelöste Endlagerfrage. Insofern ist es auch völlig richtig, dass die Bundesregierung die Stellungnahme abgegeben hat, dass Atomenergie nicht nachhaltig ist. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte noch betonen, dass Frankreich ein Label zur Finanzierung der Atomkraft geschaffen hat,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– wodurch Atomenergie auch nicht nachhaltig ist. ({0}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Katja Leikert hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind außen‑ und sicherheitspolitisch herausfordernde, ernste Zeiten. Und ja, lieber Kollege Nouripour, die Demokratien befinden sich aktuell in einem Stresstest. Angesichts der massiven Drohkulisse, die Russland an der Grenze zur Ukraine aufgebaut hat, vergeht kein Tag, an dem wir hier in Berlin nicht inständig von unseren Partnern aufgefordert werden, unseren Verpflichtungen als Bündnispartner klar und eindeutig nachzukommen. Wir werden aufgefordert, unsere Werte von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und territorialer Unversehrtheit gegen autokratische Ansprüche zu verteidigen. Die Signale, die die Ampel aussendet, sind leider alles andere als klar. Wir vonseiten der CDU/CSU sind da unmissverständlich: Was wir brauchen, ist viel Verständnis und Unterstützung für die Ukraine und weniger Verständnis für Russland. Was wir brauchen, ist eine echte Verteidigung unserer Lebensweise und eine klare Absage an Putins Provokationen. ({0}) Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Partner können diese Klarheit und eine feste Zusage von uns verlangen; denn dafür sind Partner ja da. Wir brauchen Verlässlichkeit, wenn es zum Äußersten, wenn es zu einer militärischen Bedrohung kommt; aber wir brauchen diese Verlässlichkeit eben auch grundsätzlich. Wir brauchen sie in der NATO, wir brauchen sie in der Europäischen Union, wir brauchen sie auf Ebene der G-7-Staaten. Die größten demokratischen Industrienationen müssen sich auf Deutschland verlassen können. Deshalb bringen wir heute einen Antrag zur deutschen G-7-Präsidentschaft ein mit der klaren und dringenden Aufforderung an die Bundesregierung – so lautet auch unser Titel –: „In schwierigen Zeiten Führung zeigen“. Genau das wünschen wir uns von Ihnen. ({1}) Die G-7-Präsidentschaft ist wichtig; sie ist vielleicht die wichtigste in den letzten Jahren. Putin wird sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen – er tut es ja bereits jetzt –, die Agenda zu bestimmen, weil er weiß, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der SPD, Schwierigkeiten haben, damit umzugehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen, aber wenn Putin schon die Tagesordnung bestimmen will, dann müssen wir eben etwas dagegenstellen. Als Teil der demokratischen Gemeinschaft stehen wir in Systemkonkurrenz nicht nur zu Russland, sondern auch zu China. Wir fordern Sie mit diesem Antrag dringend auf, dass Sie klarmachen, dass die G 7 als Wertegemeinschaft sehr selbstbewusst antritt, um weltweit Regeln und Standards zu setzen. Wir brauchen dringend Regeln für den Cyberraum, für KI, für Blockchains, für die internationale Finanzwelt. Und wir stehen für einen fairen und freien Handel und lehnen Protektionismus ab. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere im links-grünen Spektrum der Ampel, ({3}) zu diesen Regeln gehört auch Mercosur, und dazu gehört auch CETA. Das sind Musterbeispiele für Regelsetzungen, die Sie ständig verteufeln. Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen von der FDP da noch Überzeugungsarbeit leisten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich sagen: Damit diese Präsidentschaft gelingen kann, reicht es nicht, sie nur mit wolkigen Überschriften zu füllen. Von der Präsidentschaft wird zu Recht Authentizität und eine Vorbildrolle verlangt. Nehmen Sie bitte diese Führungsrolle im Rahmen der G-7-Präsidentschaft an! Kämpfen wir gemeinsam für unsere Werte! Herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Markus Töns. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland übernimmt die G-7-Präsidentschaft in einer herausfordernden Zeit. Ich möchte in meiner Rede den Blick jetzt mehr auf die handelspolitischen Aspekte der G-7-Präsidentschaft richten. In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass Lieferketten, gerade in der Pandemie, schwer erschüttert wurden. Die Folgen sind, dass On-demand-Lieferungen fast unmöglich wurden; die Just-in-time-Produktion kam zum Stillstand. Das zeigt noch einmal deutlich, dass wir hier nachdenken müssen, dass wir neu denken müssen. Uns wurde schmerzlich vor Augen geführt, wie verletzlich auch unsere europäische Wirtschaft ist. Aber nicht nur die Pandemie stellt uns vor große Herausforderungen, meine Damen und Herren, sondern auch die Krise der WTO. Die daraus folgende Krise des regelbasierten Handels in der Welt hat eine enorme Bedeutung. Die Bekämpfung des Klimawandels werden wir nicht schaffen, wenn wir nicht auch Regeln im Handel und Lieferketten im Blick haben und das Ganze sehr ordentlich mit den Partnerinnen und Partnern der G 7 besprechen. ({0}) Deswegen ist es wichtig und richtig, dass die deutsche G-7-Präsidentschaft sich dieser Themen annimmt. Ich möchte noch drei Punkte hervorheben, die aus meiner Sicht besondere Bedeutung haben. Der erste Punkt ist: Wir brauchen eine Reform der WTO, finanziell und strukturell; sie wird seit Jahren blockiert. Wir brauchen die Wiederherstellung des Streitbeilegungsmechanismus, eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der WTO, und wir brauchen neue Impulse für einen regelbasierten Handel. ({1}) Zweitens. Meine Damen und Herren, wir brauchen resiliente Lieferketten. Dabei stehen folgende Fragen im Raum: Was kann man tun, um einen Zusammenbruch der Lieferketten zukünftig zu verhindern? Wie muss Handel gestaltet sein, damit er resilient und ökologisch nachhaltig ist? Das sind entscheidende Fragen. Drittens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einheitliche Wettbewerbsbedingungen weltweit. Es bedarf einheitlicher Wettbewerbsbedingungen in einem WTO-Regelwerk. Deshalb bin ich der Bundesregierung ausdrücklich dankbar, dass sie sich in ihrem Programm gerade handelspolitisch so viel vornimmt. Das ist deutlich mehr, als in Ihrem Antrag steht, Frau Dr. Leikert; das muss ich Ihnen leider sagen. Ich richte große Hoffnung auf den Gipfel im Juni. Sie haben in Ihrem Antrag auch – ich will das jetzt nicht ins Lächerliche ziehen – von dem Vakuum geschrieben, das Frau Dr. Merkel hinterlässt. Ich glaube, Sie hatten dabei wohl mehr das Vakuum im Blick, das Frau Dr. Merkel in der CDU und in Ihrer Fraktion hinterlässt, als das Vakuum bei der G 7. ({2}) Also: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Ich bin ausdrücklich dankbar, dass die Bundesregierung diese so konsequent anfasst. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das aktuelle Infektionsgeschehen zeigt sehr eindrücklich: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. – Die Wachstumserwartungen für Deutschland wurden jüngst vom IWF deutlich korrigiert. Es zeigt sich: Wir kommen nicht so schnell aus der Pandemiedelle, wie wir müssten, um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Die letzten zwei Jahre waren besonders von Unsicherheit geprägt. Viele Investitionen sind nicht erfolgt, vieles ist liegen geblieben. Wir haben nach wie vor eine haushaltspolitische Ausnahmesituation. Die Bekämpfung der kurz- und mittelfristigen sowie der langfristigen Pandemiefolgen für unser Land ist daher Dreh- und Angelpunkt dieses zweiten Nachtragshaushalts. ({0}) Über die Förderung privatwirtschaftlicher Zukunftsinvestitionen stärken wir Wachstum und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das betrifft explizit Investitionen in CO2-neutrale Mobilität oder Energieinfrastruktur sowie Impulse für bestimmte energieintensive Industrien. Der Blick in den OECD-Raum bestätigt uns, dass Covid-Recovery-Strategien vor allem auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind. Daher sind wir besonders unter Zugzwang, auch auf diesen Bereich unseren Schwerpunkt zu setzen. Fast überall in Europa werden die wirtschaftspolitischen Strategien begleitet von Entlastungen zur Belebung des Wachstums, insbesondere bei den Strompreisen. Auch hier werden wir etwas tun: Wir werden die Abschaffung der EEG-Umlage auf den Weg bringen – ich hoffe, bereits für das Jahr 2022, aber spätestens zum 1. Januar 2023. ({1}) Wir fokussieren und priorisieren unsere Wachstumsimpulse. Aus der ganzen Bandbreite möglicher Maßnahmen nehmen wir uns die Bereiche vor, bei denen der Handlungsdruck am größten ist, wo die CDU-geführte Bundesregierung die größten Baustellen hinterlassen hat. Wir schnüren nicht wie im Jahr 2020 ein Konjunkturpaket mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro für 57 Themenfelder aus 14 Ministerien – von der befristeten Mehrwertsteuerreduzierung bis zu einem Stallinvestitionsprogramm –, sondern wir fokussieren uns auf die Bausteine, die dieses Land zukunftsfähig machen. Wenn Sie das kritisieren, meine Damen und Herren von der Union, dann verkennen Sie Ursache und Wirkung. Wir investieren in diesen Schwerpunkt, weil wir Covid und die Pandemie bekämpfen müssen, ({2}) und nicht umgekehrt. ({3}) Das haben wir in den Haushaltsberatungen deutlich gemacht, das hat unser Finanzminister in der Einbringung deutlich gemacht. Es wäre schön, wenn Sie das endlich zur Kenntnis nehmen. ({4}) – Wir haben da ja noch mal geholfen. Nachhilfe ist ja vielleicht auch ganz gut. Die jetzigen Zuweisungen an den EKF – zukünftig: KTF – knüpfen an das Verfahren, welches Sie im Jahr 2020 gewählt haben, an. Zur Erinnerung: Sie haben damals dem Sondervermögen 26 Milliarden Euro zugeführt – ohne Zweckbindung, ohne Befristung. Gerade das ist der Unterschied zu heute. Denn wir haben eine feste Zweckbindung beschlossen. ({5}) Wir haben klargestellt, dass die Mittel für kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Verfügung stehen, und wir investieren gerade nicht in allgemeinpolitische Maßnahmen, wie Sie es seinerzeit gemacht haben. ({6}) Was wir ebenfalls tun, ist, dass wir die Letztentscheidungskompetenz hier im Parlament belassen. Das ist ein Thema, das uns wichtig war. Auch deswegen ist dieser Nachtragshaushalt aus unserer Sicht nicht angreifbar. Es ist nahezu schizophren von Ihnen, meine Damen und Herren von der Union, dass Sie 2020 genau dieses Verfahren getragen haben und es jetzt kritisieren. Es ist schizophren, dass Sie auf der einen Seite heute noch Investitionen in Gebäudeenergieeffizienz in Milliardenhöhe einfordern, auf der anderen Seite aber das Vehikel, womit dies perspektivisch möglich ist, diesen Nachtragshaushalt 2021, bekämpfen. ({7}) Wir setzen mit diesem Nachtragshaushalt ein Signal, ein Signal zur Überwindung der pandemischen Notlage, und wir schaffen Planungssicherheit für privatwirtschaftliche Investitionen. So bringen wir Krisenbekämpfung, Nachhaltigkeit und Zukunftsgestaltung zusammen. Ich danke Ihnen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich wollte gerade sagen: „Ich hatte Ihnen auch ein Signal gegeben“, aber dann hatten Sie es schon gesehen. Dem Kollegen Dr. Mathias Middelberg erteile ich das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden Ihren Nachtragshaushalt heute ablehnen. Und ich sage auch: Wir müssen ihn ablehnen. ({0}) Wenn wir unsere Verfassung – darin ist auch die Schuldenbremse festgelegt – und die Verfassungsprinzipien ernst nehmen, dann müssen wir Ihren Haushaltsentwurf heute ablehnen. ({1}) Sie bekennen sich einerseits zur Schuldenbremse, andererseits legen Sie nach nicht mal zwei Monaten hier einen Entwurf vor, der schlicht darauf hinausläuft, die Schuldenbremse zu umgehen. Ich sage das auch ganz deutlich so: Sie wollen die Schuldenbremse umgehen! – Sie sagen: „Ab 2023 wollen wir die Schuldenbremse formal wieder einhalten“, bis dahin aber nutzen Sie den Nachtragshaushalt 2021 und wahrscheinlich auch den Haushalt für dieses Jahr, um sich – ich sage das mal so deutlich – die Taschen voller Geld zu laden. ({2}) Damit betreiben Sie aber nicht Pandemiebekämpfung – das ist ja die Ausrede dafür; Sie sagen, die Notlage, die Pandemiebekämpfung sei der Grund, weswegen Sie jetzt über Gebühr Schulden machen dürfen –, sondern Sie wollen damit Klimawendepolitik und womöglich noch andere Projekte finanzieren. ({3}) Das hat mit solider Haushaltsführung, das hat mit verfassungsmäßiger Haushaltsführung nichts zu tun. ({4}) Herr Kollege Meyer, Sie haben hier die Punkte angesprochen, um die es geht. Und Sie haben nach der sehr deutlichen und klaren Kritik des Bundesrechnungshofs Punkte nachgeschoben. Sie haben eben die Abschaffung der EEG-Umlage genannt. Sie haben die Investitionen in die Energieeffizienz von Gebäuden genannt, die Sie fördern wollen. Das sind aber genau Beispiele dafür, dass das mit Pandemiebekämpfung gar nichts zu tun hat. ({5}) Wir müssen – darüber sind wir uns ja sogar politisch weitgehend einig – die EEG-Umlage abschaffen. Das machen wir aber deshalb, weil wir die Preisbelastung für die Bürger durch den angehobenen CO2-Preis ausgleichen müssen. Das hat mit Pandemiebekämpfung gar nichts zu tun. ({6}) Das hätten wir auch ohne Pandemie gemacht. ({7}) Beim zweiten Punkt wird sehr deutlich, wie schräg Ihre Argumentation ist. ({8}) Sie sagen, Sie müssten Investitionen in die Effizienz von Gebäuden nachholen. Es ist allerdings so, dass die Investitionen in die Bauwirtschaft gehen. Wenn es eine Branche gibt, die nun wirklich nicht unter Corona gelitten hat, dann war das die Bauwirtschaft. Wie Sie in einem bereits überhitzten Markt – das sage ich Ihnen ganz deutlich – jetzt noch Nachholeffekte aus der Pandemie generieren wollen, das bleibt Ihr Geheimnis. ({9}) Der letzte Punkt. Sie haben so markant angesprochen, das sei im Grunde genommen das Gleiche, was die GroKo 2020 gemacht habe. Nein, das ist es nicht. Das können wir Ihnen an mehreren Punkten sehr genau darlegen. Ich bin sicher, dass das die Kollegen gleich noch machen werden. ({10}) Ich will Ihnen hier nur einen Aspekt nennen, der Ihr Verhalten und Ihre ganze Vorgehensweise superverdächtig macht. Es macht Sie auch verfassungsrechtlich extrem verdächtig. Sie ändern nämlich die Anrechnungsregel für die Schulden. Sie sagen: Die Schulden werden nicht für das Jahr gerechnet, wo sie tatsächlich vom Bund aufgenommen werden, sondern sie werden für irgendein folgendes Jahr gerechnet. – Beziehungsweise es ist genau umgekehrt: ({11}) Sie werden nicht gerechnet. ({12}) – Ja, Sie jubeln jetzt. – Aber das ist ja genau der Punkt: Sie machen Schulden im Jahr 2024 und 2025; da müsste es auf die Schuldenbremse gerechnet werden. ({13}) Das ist wirklich ein Taschenspielertrick: Durch die Veränderung der Anrechnungsbestimmung sorgen Sie dafür, dass Schulden, die zum Beispiel 2025 tatsächlich gemacht werden, auf die ausgesetzte Schuldenbremse des Nachtragshaushalts 2021 gerechnet werden. Das macht Ihr Verhalten so verdächtig. Das wird jedem deutlich machen, dass Sie die Schuldenbremse durch dieses Manöver umgehen wollen. ({14}) Deswegen können wir nicht zustimmen. Dafür bitte ich um Verständnis. Vielen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dennis Rohde hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute auf den Tag exakt zwei Jahre her, dass der erste positive Coronafall in Deutschland festgestellt wurde. Die Pandemie, die uns seitdem im Griff hat, hat auch ihre Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Das Verfahren zur Aufstellung eines Bundeshaushaltes, wie wir es gewohnt waren – wir beschließen kurz vor Beginn des Jahres einen Haushalt, und die Prognose geht am Ende des Jahres mehr oder minder ziemlich genau auf –, funktioniert in Pandemiezeiten nicht. Das ist der vierte Nachtragshaushalt, den wir auf den Weg bringen. Allein das zeigt die Planungsunsicherheit, die wir haben, in einer Pandemie, die wir nur bedingt im Griff haben können. ({0}) Waren die ersten drei Nachtragshaushalte davon geprägt, dass wir zusätzliches Geld ganz kurzfristig mobilisieren mussten – zum Beispiel für den Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel für Impfstoffe, für Brückenhilfe, für Kurzarbeitergeld –, so ist dieser Nachtragshaushalt davon geprägt, dass die Prognose in die andere Richtung ging. Wir haben für 2020/2021 gut 85 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen nicht einsetzen müssen. Gleichzeitig konnten wir feststellen: Das hat zum einen damit zu tun, dass die Einnahmeseite besser ausgefallen ist – wir haben mehr Steuereinnahmen, weil sich die Wirtschaft im Jahr 2021 besser entwickelt hat, als wir mit dem ersten Nachtragshaushalt angenommen haben –, aber eben auch damit, dass Ausgaben nicht abgeflossen sind. Es sind Ausgaben, die zum Teil dringend notwendig sind, weil sie die wirtschaftliche Transformation dieses Landes sicherstellen und damit den nachhaltigen Weg aus dieser Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Diese Investitionen jetzt anzugehen bzw. nachzuholen, ist für uns eine der vordersten Aufgaben. Wir wollen diese Pandemie nachhaltig verlassen. Wir wollen, dass die Arbeitsplätze, die wir gerade retten, auch in der Zukunft erhalten bleiben, dass sie zukunftsfähig sind. Wir wollen, um es deutlich zu machen, einen Long Covid für die deutsche Wirtschaft verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ja, natürlich hat die Bekämpfung der einen Krise auch Auswirkungen auf die anderen großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, auf die andere Krise, die auf uns zukommt. Wir wollen mit den Maßnahmen, die wir ergreifen, auch unseren Planeten schützen und ihn für künftige Generationen lebenswert halten. Beides denken wir zusammen, und ich finde, das gehört auch zusammen. ({3}) Genau für diese Aufgabe der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft überführen wir Mittel in den Energie- und Klimafonds. Weil ja gerade der Vergleich mit 2020 angesprochen wurde: Wir haben im Juni 2020 in der Großen Koalition zusammen ein Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Wir haben Maßnahmen formuliert, die kurzfristig helfen sollen, und wir haben Maßnahmen formuliert, die mittel- und langfristig dabei helfen sollen, diese Pandemie hinter uns zu lassen. Wenn ich mir diese Maßnahmen noch mal genau angucke, Herr Kollege Middelberg, dann wundert mich Ihre Rede. Dann wundere ich mich besonders über die Beispiele, die Sie aufgeführt haben; denn Sie haben exakt dieselben Beispiele genannt, die wir 2020 gemeinsam beschlossen haben. Damals haben wir die EEG-Umlage abgesenkt bzw. den Strompreis festgehalten. Damals haben wir ein Bauprogramm für Energieeffizienz auf den Weg gebracht. Damals haben wir 7 Milliarden Euro für eine Wasserstoffstrategie beschlossen, 2 Milliarden Euro für Quantentechnologie, 2 Milliarden Euro für künstliche Intelligenz. Wir haben uns mit der Batteriezellenfertigung und auch mit der Elektroinfrastruktur auseinandergesetzt. Genau das haben wir 2020 gemacht, und genau das kritisieren Sie heute an diesem Rednerpult. Ich finde das nicht aufrichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Wir waren ja damals genauso klug wie heute. Wir wussten auch damals, dass das Geld natürlich nicht sofort abfließt, und haben uns auch damals Gedanken darüber gemacht: Wie schaffen wir es, sicherzustellen, dass Planungssicherheit da ist, und wie schaffen wir es, dass das Geld in den nächsten Haushaltsjahren abfließen kann? Genau deswegen haben wir infolge des Konjunkturpaketes aus dem Juni den zweiten Nachtragshaushalt beschlossen, und genau deswegen haben wir 26 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds überführt – genau das Gleiche, was wir heute auch machen. ({5}) Deswegen: Das war damals richtig, dass wir das gemacht haben, weil es die Wirtschaft gestützt hat, weil es Arbeitsplätze gerettet hat, und es ist auch heute richtig, dass wir das machen. Ja, auch die Debatte damals war streitig. Ich erinnere mich sehr genau daran, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der Freien Demokraten vieles an unseren Haushalten kritisiert haben. Sie haben das in der Form gemacht, dass sie Änderungsanträge gestellt haben, und wir haben es in der Form gemacht, dass wir am Ende Mehrheiten haben entscheiden lassen und wir auch Änderungsanträge abgelehnt haben. Aber es gab einen Unterschied zwischen der Debatte damals und der heutigen. Ich erinnere mich: Wir hatten hier einen Antrag der AfD auf eine Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht. Es waren sich alle anderen Fraktionen einig. Ich erinnere mich sehr gut an die Rede von Otto Fricke, dass dies hier der Ort der demokratischen Auseinandersetzung ist, dass man hier um Mehrheiten zu ringen hat und dass es am Ende Mehrheiten sind, die im Deutschen Bundestag entscheiden. Das unterscheidet die FDP, die damals so argumentiert hat, von Ihnen heute. Sie stellen sich an die Seite der AfD und wollen zum Bundesverfassungsgericht gehen. ({6}) – Wenn Sie jetzt rufen, dieser Haushalt sei verfassungswidrig, dann setzen Sie sich noch mal mit dem auseinander, was wir 2020 gemacht haben! ({7}) Ich finde, nur weil man seine Rolle im Deutschen Bundestag wechselt, muss man nicht von heute auf morgen komplett andere Reden halten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Deswegen betone ich noch einmal: Dies ist der Ort der demokratischen Auseinandersetzung. Wir setzen mit diesem Nachtragshaushalt sogar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um, das nämlich uns allen ins Stammbuch geschrieben hat, jetzt schnell und konsequent gegen den Klimawandel vorzugehen. Auch dieser Forderung kommen wir heute nach, und wir verbinden es mit dem nachhaltigen Herauswachsen aus der Coronakrise. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Nachtragshaushalt festigt den Weg raus aus der Pandemie. Er stellt unsere Wirtschaft nachhaltiger auf. Er wird damit auch den Erfordernissen des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz gerecht. Wir haben keine Sorge vor Ihrer Klage; wir haben nur Sorge darum, dass Sie immer mehr die Nähe zur AfD suchen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Albrecht Glaser.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrter Herr Rohde, das ist jetzt wirklich kabarettreif: Eine Verfassungsverletzung darf man dann betreiben, um nicht gemeinsam mit der AfD abstimmen zu müssen – das haben Sie gerade dargestellt – oder um unter Rückblick auf die gemeinschaftliche Veranstaltung vor wenigen Jahren Schulden aufzunehmen. – Das ist oberfaul, was Sie zelebrieren, um hier zu erklären, wieso das, was Sie heute hier als Ampel tun wollen, nicht verfassungswidrig sei. Es ist verfassungswidrig. Es ist offensichtlich verfassungswidrig. ({0}) Es hat seit 1949 keinen Haushalt gegeben, der für ein Jahr beschlossen worden ist, das schon abgelaufen ist. Haushalte sind eine Ausgabeerlaubnis für Jahre, die vor einem Haushalt liegen, die nach der Haushaltsfeststellung kommen, aber nicht für Haushaltsjahre, die abgelaufen sind, sodass die Ausgaben gar nicht wirksam getätigt werden können, weil der Zeitraum, für den sie beschlossen sind, schon abgelaufen ist. Aber was schlimmer ist und entscheidend ist: dass Sie zugeben, dass Sie Mittel thesaurieren wollen, für die Sie jetzt die Schulden unter dem Haushalt 2021 buchen und die Sie irgendwann in der Zukunft für irgendwas verwenden wollen. Das sagen Sie selber und versuchen, mit allgemeinen Redensarten, wonach alles mit allem zusammenhängt, das zu rechtfertigen. So geht Haushaltsrecht nicht, und so geht die Schuldenbremse nicht. Die Schuldenbremse gilt dann, wenn sie beschlossen worden ist, in der Zeit, für die sie beschlossen ist, für die Kalamität und ihre Beseitigung, wegen derer die Verschuldung überschritten worden ist. Sie wollen diese Mittel, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– ich komme sofort zum Schluss, Frau Präsidentin –, die Sie in den nächsten Jahren verwenden wollen, jetzt sicherstellen, sozusagen in die Speisekammer legen. Damit zeigen Sie diese Manipulation. Ein Letztes.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, Sie können jetzt nicht mehr weiterreden, Herr Kollege.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie können in zwei Jahren, in drei Jahren die Schuldenbremse erneut hier beschließen lassen, und dann können Sie das alles machen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie sind jetzt bei einer eigenen Rede. Die Zeit müsste ich dem Kollegen, der nach Ihnen noch kommt, abziehen, wenn Sie jetzt weiterreden würden.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, das will ich nicht, deshalb bin ich hiermit beim Ende. – Herzlichen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das wollen Sie nicht, deswegen beenden Sie jetzt. – Ich frage, ob es eine Reaktion gibt. – Bitte schön, Herr Rohde.

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich möchte nicht auf alles das eingehen, was da gesagt wurde. Ich möchte nur an einem Beispiel die Qualität dieses Wortbeitrages deutlich machen. Wenn Sie sagen, dass es das seit Gründung der Bundesrepublik noch nie gegeben hätte, dass ein Nachtragshaushalt zum abgelaufenen Jahr beschlossen wurde, und dass das ein Skandal an sich sei, dann empfehle ich einen Blick in die Bundeshaushaltsordnung, die nämlich genau diese Frage ausdrücklich klärt, indem sie besagt: Ein Nachtragshaushalt muss im laufenden Jahr eingebracht werden, die Verabschiedung kann noch im nachfolgenden Jahr passieren. – Das steht so im Gesetz, das können Sie nachlesen. Ich finde, allein die Lektüre des Gesetzes hätte Ihnen geholfen, nicht so einen Wortbeitrag zu halten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die AfD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Wiehle. ({0})

Wolfgang Wiehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004933, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Heute reden wir über den wohl absurdesten Nachtragshaushalt in der Geschichte dieser Republik. Wir schreiben das Jahr 2022 und beschließen, im Jahr 2021 buchmäßig zusätzliche Ausgaben zu tätigen. Diese Ausgaben erfolgen real aber erst in ferner Zukunft; denn die Mittel fließen in eine Rücklage, die bereits üppig gefüllt ist. Die Ermächtigung für diese Ausgaben fußt auf einer behaupteten Notlage, die durch die Ausgaben beim besten Willen nicht behoben wird. ({0}) Nur der Respekt vor diesem Hohen Hause verhindert, dass das Publikum draußen in Gelächter ausbricht. Aber machen wir uns nichts vor: Solche Manöver zehren kräftig an ebendiesem Respekt. Für ideologische Projekte zum Umbau der Gesellschaft, wolkig klimapolitische „Transformation“ genannt, wollen vor allem die Grünen in Zukunft Milliardenbeträge verfeuern. Zugleich will vor allem die FDP für ihre Klientel den Anschein erwecken, dass man wenigstens ab 2023 wieder zu einer solideren Haushaltsführung zurückkehren und die Vorgaben der grundgesetzlichen Schuldenbremse einhalten würde. Was läge da näher, als für diese Zeit große Geldbeträge zu bunkern. Die Gelegenheit lag auf dem Tisch. Der allzu panisch-pessimistisch veranschlagte Haushalt 2021 nebst erstem Nachtrag bietet gewaltigen Spielraum. Statt nun die Neuverschuldung zu verringern, wie es gute Übung für einen liberalen Finanzminister hätte sein müssen, Herr Kollege Lindner, nimmt man gewaltige 60 Milliarden Euro, um eine Rücklage zu füttern, eben den Energie- und Klimafonds, EKF. Ja, ich hätte gern als Beobachter am Verhandlungstisch der Ampelkoalition gesessen, als dieser Trickbetrug am Wähler erfunden wurde, um die sich widersprechenden Vorstellungen zweier Koalitionspartner zum Schein gleichzeitig zu erfüllen. ({1}) Mit dem Betrug am Wähler ist es aber nicht getan, wie die Expertenanhörung vom 10. Januar eindrucksvoll gezeigt hat. Nicht zuletzt die Stellungnahme des Bundesrechnungshofs zeigt klar auf, dass die Konstruktion dieses Nachtragshaushalts die Grenzen des Grundgesetzes sprengt. Schon die Verabschiedung eines 2021er-Haushalts im Jahre 2022 widerspricht dem Verfassungsgrundsatz der Jährlichkeit und dem Haushaltsgrundsatz der Fälligkeit. Die Bereitstellung einer Rücklage für Klimaschutz und Transformation steht in keinerlei Zusammenhang mit der ins Feld geführten finanziellen Notlage, die eine Ausnahme von den Regeln der Schuldenbremse erlauben sollte. Die behauptete Notlage ist noch dazu in erster Linie Folge der vielfach unverhältnismäßigen staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Jetzt versuchen Sie von der Koalition, eine vielleicht irgendwann in der Zukunft stattfindende Konjunkturbelebung durch staatliche EKF-Ausgaben als Ausweg aus der Coronakrise zu verkaufen. Damit wollen Sie am Ende lediglich dem Verfassungsgericht einen Veranlassungszusammenhang für Ihren Buchungstrick vorgaukeln. Im Namen der AfD-Fraktion sage ich Ihnen voraus, dass das nicht funktionieren wird. ({2}) Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich hier aus der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs: Der Bundesrechnungshof hält den Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushalts 2021 für verfassungsrechtlich zweifelhaft. Ein Zweiter Nachtrag 2021 ist überdies finanzwirtschaftlich nicht notwendig. Der Bundesrechnungshof empfiehlt, auf seine parlamentarische Verabschiedung zu verzichten. Was für eine Ohrfeige für die Koalition! ({3}) Liebe Unionsfraktion, die AfD-Fraktion begrüßt Ihre klare Positionierung gegen diesen Nachtragshaushalt. Wir staunen aber über Ihre kaum übertreffbare Wendigkeit, haben Sie doch – wir haben es schon gehört – selbst mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2020, unter Finanzminister Olaf Scholz übrigens, exakt dieselbe Täuschung vollzogen und den EKF mit rund 25 Milliarden Euro gefüttert. Wenn Sie nach Karlsruhe gehen, nehmen Sie um Ihrer Glaubwürdigkeit willen weitere Kläger aus anderen Fraktionen mit, auch aus unserer. Der Zweite Nachtragshaushalt 2021 ist aber nicht nur formal nicht haltbar; er ist auch politisch jenseits aller Vernunft. Mit 60 Milliarden Euro zusätzlichen Schulden befeuern Sie ein staatliches Konjunkturprogramm für kommende Jahre, obwohl wir alle aus der Vergangenheit wissen, dass solche Programme bestenfalls ein Strohfeuer auslösen, aber bleibende Löcher im Haushalt hinterlassen. Es ist falsch, anzunehmen, 60 Milliarden Euro zusätzliche Staatsverschuldung seien harmlos. Die EZB wird diese Schulden zum größten Teil aufkaufen und monetarisieren. Das führt also zur Inflation der Geldmenge. Diese zusätzliche Geldmenge hat längst die Sphäre der Kapitalmärkte verlassen und schlägt auf die Verbraucherpreise durch. Es ist falsch, anzunehmen, dass der Staat am besten wüsste, wofür es sich lohnt, Geld auszugeben. Auch die modische Klimaargumentation kann nicht vertuschen, dass Ihre Transformationsprogramme immer tiefer in die Staatswirtschaft führen. Und es ist auch falsch, anzunehmen, dass die ideologische Klimapolitik der Ampelkoalition in eine gute Zukunft führen würde. Da trifft die einseitige Förderung der Elektromobilität auf explodierende Strompreise; denn die Märkte kennen den Mangel. Die Abschaltung zuverlässiger und kostengünstiger Stromquellen wie der sicheren deutschen Kernkraftwerke trägt ganz direkt dazu bei. So kann man, meine Damen und Herren, mit einer Industrienation – oder soll man sagen: Noch-Industrienation? – wie Deutschland nicht umgehen. ({4}) Auch deshalb sind 60 Milliarden Euro mehr für den EKF nicht zu verantworten. Um es noch einmal mit den Worten des Rechnungshofs zu sagen: Der Bundestag muss auf die parlamentarische Verabschiedung dieses Nachtragshaushalts verzichten. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Sven-Christian Kindler. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir zeigen hier heute mit diesem Nachtragshaushalt, dass wir eine Politik umsetzen, die sich an der konkreten Realität dieser Pandemie und ihren Folgen orientiert. Wir machen keine Politik der ideologischen Scheuklappen. ({0}) Wir werden das Notwendige tun und finanzieren, um diese Pandemie und ihre massiven ökonomischen Folgen nachhaltig und zukunftsfest zu überwinden. ({1}) Kollege Dennis Rohde hat es angesprochen: Wir sind in Deutschland seit genau zwei Jahren in einer Jahrhundertpandemie. Die frühere Kanzlerin Frau Merkel hat von der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen. Diese Krise betrifft nahezu alle Bereiche des Lebens: die Produktion, die Wirtschaft, die Gesellschaft. Deswegen war es hier im Hause immer klarer Konsens, dass wir nicht nur die pandemiebedingten Gesundheitsausgaben über Kredite finanzieren können – Krankenhäuser, Impfstoffe, Gesundheitsämter –, sondern natürlich in diesem Notfall auch die sozialökonomischen Folgen dieser Pandemie mit Krediten abfedern und bewältigen können und müssen. Und wir haben massive ökonomische Schäden durch diese Pandemie. Das kann niemand bestreiten. Die Bundesregierung hat gerade erst ihre Prognose für das Wachstum in diesem Jahr deutlich gesenkt. Es gibt massive ökonomische Spätfolgen durch diese Pandemie wie geringere Investitionen. Wir haben massive Unsicherheiten in der Volkswirtschaft. Wir haben massiv gestörte globale Lieferketten. Angesichts dieser Situation will ich daran erinnern, dass wir hier im Hause den breiten Konsens hatten, dass wir diese ökonomischen Folgen auch mit Coronakrediten bewältigen können. Ich finde, wenn man jetzt in der Opposition ist, kann man nicht einfach das verleugnen, was man vorher in der Regierung gemacht hat. Ich erwarte, dass die Union sich jetzt nicht in die Büsche schlägt und aus der Verantwortung stiehlt, sondern ich erwarte, dass die Union auch in der Opposition Verantwortung übernimmt, gerade in einer Jahrhundertpandemie. ({2}) Man darf angesichts der massiven ökonomischen Risiken jetzt nicht einfach die Hände in den Schoß legen, wie es die Union vorschlägt. Das wäre eine massive Gefahr für unsere Volkswirtschaft. Das gäbe nicht nur Probleme für das wirtschaftliche Wachstum. Das würde auch die wirtschaftliche Erholung nach dieser Pandemie gefährden. Das würde Tausende Arbeitsplätze gefährden. Ich finde, Sparen um des Sparens willen, aus ideologischen Gründen, wie es die Union vorschlägt, und das mitten in einer Pandemie, das ist keine Alternative für Deutschland. ({3}) Die öffentliche Anhörung hat ja noch mal sehr deutlich gezeigt, dass alle ernstzunehmenden ökonomischen Sachverständigen im Kern den Nachtragshaushalt unterstützt haben. Es gibt jetzt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Union hat überhaupt keine ökonomischen Sachverständigen für die Anhörung vorgeschlagen. Sie hat gar keinen gefunden, der ihre These unterstützt und ökonomisch gestützt hat. Das ist doch die Wahrheit. ({4}) Der Ökonom Jens Südekum hat sehr klar gesagt: Es droht ein ökonomisches Long Covid durch diese Pandemie. – Wir wollen nicht, dass die Volkswirtschaft nachhaltig geschädigt wird. Wir wollen jetzt eine Grundimmunisierung unserer Volkswirtschaft gegen das ökonomische Long Covid, einen nachhaltigen Weg aus der Krise mit öffentlichen und privaten Investitionen. Die Antwort darauf ist dieser Nachtragshaushalt. ({5}) Bei vielen Ökonominnen und Ökonomen besteht große Einigkeit darin, dass wir gezielte Impulse und Investitionen brauchen, um diese Pandemie auch mittelfristig zu überwinden. Klar ist auch, dass nirgendwo in der Verfassung steht, dass wir diese notwendigen Ausgaben und Investitionen nicht mit Klimaschutz und der Transformation verbinden können. Es gibt dafür kein Verbot. ({6}) Im Gegenteil: Wenn wir das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz aus dem letzten Jahr ernst nehmen, wenn wir das völkerrechtlich verbindliche Pariser Abkommen ernst nehmen, wenn wir ernst nehmen, dass es um die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen, unserer Kinder und Enkel, geht – das sind alles rechtliche Verpflichtungen, die wir haben, aufgrund des Urteils des Verfassungsgerichts, aufgrund des völkerrechtlichen Abkommens – , wenn wir das als Gesetzgeber ernst nehmen, was wir ernst nehmen müssen, dann müssen wir doch pandemiebedingte ökonomische Maßnahmen erst recht mit Klimaschutz und der Transformation verbinden. Und genau das machen wir mit diesem Nachtragshaushalt. ({7}) Um es anders zu sagen: Wenn wir jetzt gesamtwirtschaftliche Impulse geben müssen, dann können wir doch gerade nicht zum Beispiel in Braunkohlekraftwerke, Ölheizungen oder in fossile Verbrenner – Stichwort „Abwrackprämie“ – investieren, wie es die Regierung Merkel vor zehn Jahren in der letzten Finanzkrise gemacht hat. Wir müssen doch gerade jetzt in CO2-freie Mobilität, CO2-freie Energieversorgung, in Klimaschutz und Transformation investieren, weil das für die Zukunft richtig ist, aber auch, weil das Arbeitsplätze sichert, neue schafft und neue wirtschaftliche Chancen eröffnet. Genau das machen wir mit diesem Nachtragshaushalt. Das ist ein zukunftsfester Weg aus dieser Pandemie. ({8}) Ich erwarte von der Union schon Ehrlichkeit und Konsistenz in der Argumentation. Kollege Rohde hat darauf hingewiesen: Im Zweiten Nachtragshaushalt 2020 wurden von der damaligen Regierung aus CDU/CSU und SPD Rücklagen in Höhe von 26 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds gepackt; diese Mittel kamen auch aus coronabedingten Notfallkrediten. Wir haben das damals als Grüne in der Opposition auch unterstützt. Ich will darauf hinweisen, dass die meisten Bundesländer Rücklagen aus coronabedingten Notfallkrediten bilden und diese auch in der Zeit nach der Pandemie einsetzen, um die Folgen besser abzufedern und dafür zu sorgen, dass man mittelfristig gut aus der Pandemie herauskommt; insbesondere Bayern und NRW machen das. Ich will das hier im Detail gar nicht kritisieren, auch wenn das nicht so gut begründet ist und nicht so viel Konnexität hat, wie es der Bundestag jetzt macht. Aber was ich kritisieren will, sind die doppelten Standards und die Scheinheiligkeit der Union. Das ist Doppelmoral, was Sie machen. ({9}) Zum Schluss will ich auf Folgendes hinweisen: Die Union spricht hier heute in ihrem Antrag von einer Verletzung des parlamentarischen Budgetrechts. Ich halte das für eine Frechheit. Wir haben alles sehr klar begründet. Die Regierung hat es klar begründet. Der Bundestag hat es sehr klar begründet. Wir haben hier einen Antrag zum Artikel 115 Grundgesetz vorgelegt. Wir hatten eine öffentliche Anhörung im Haushaltsausschuss. Wir haben im Haushaltsausschuss noch einmal die Zwecke der Ausgaben sehr klar konkretisiert und kritisiert, wofür das Geld ausgegeben wird. Wir werden im Haushaltsausschuss konkret darüber entscheiden. Wir haben das volle parlamentarische Budgetrecht. Wir werden das als Koalition auch ausüben. Dieser Nachtragshaushalt ist verfassungsfest. Er ist ökonomisch sinnvoll, und deswegen werden wir ihn heute beschließen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Linksfraktion und zum ersten Mal in diesem Haus spricht jetzt Janine Wissler. ({0})

Janine Wissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005260, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die soziale Ungleichheit hat sich während der Pandemie global und damit auch hierzulande weiter verschärft, wie die jüngste Studie von Oxfam belegt. Die zehn reichsten Menschen Deutschlands konnten ihr Vermögen um fast 100 Milliarden Euro steigern. Die Zahl der Millionäre und Milliardäre ist gewachsen, während viele Menschen um ihre Existenz bangen. Es gibt in diesem Land Geld wie Heu, aber es ist zutiefst ungerecht verteilt. ({0}) Wenn eine Krankenschwester 350 Jahre arbeiten müsste, um auf das Jahresgehalt eines Vorstandsvorsitzenden zu kommen, dann hat das mit Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. ({1}) Was tut die Ampel gegen diese ungleiche Verteilung von Vermögen? Kurz gesagt: nichts. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer auf sehr hohe Vermögen, also auf Vermögen oberhalb von 1 Million Euro, die SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen gefordert hatten, wurde schon vor Beginn der Sondierungen abgeräumt. Gleichzeitig beschneidet die Ampel ihre eigenen Handlungsspielräume. Wie soll die versprochene Modernisierung ohne massive öffentliche Investitionen und ohne höhere öffentliche Ausgaben gelingen? ({2}) Wer die sogenannte Schuldenbremse für heilig erklärt und sich weigert, hohe Einkommen und Vermögen angemessen zu besteuern, der versündigt sich an der Zukunft, meine Damen und Herren. ({3}) Die Coronakrise hat noch mal gezeigt, wie dringend notwendig es ist, dass es mehr Geld für Krankenhäuser und Pflege, für die Schulen, für bezahlbares Wohnen gibt. Die Erreichung der Klimaziele ist eine gigantische Aufgabe. Wir haben doch gerade im letzten Sommer gesehen: Teurer als Klimaschutz sind kein Klimaschutz und die Folgen des Klimawandels. ({4}) Die Ampel will private Investitionen entfesseln. Aber es zeigt sich doch gerade: Der Markt regelt es eben nicht. Langsam dämmert ja auch Finanzminister Lindner, dass es ein Problem gibt, wenn man Kredite und Steuererhöhungen gleichermaßen für Teufelszeug erklärt, zumindest wenn man nicht mehr nur FDP-Chef, sondern eben auch Bundesfinanzminister ist. Es ist ja immer wieder erhellend, wenn das Weltbild der FDP auf die Wirklichkeit trifft und dabei in der Regel den Kürzeren zieht. ({5}) Ganz ohne Kredite geht es nicht. Das merkt auch Herr Lindner, und deshalb will er die 60 Milliarden Euro Kreditermächtigung, die zur Eindämmung der Coronakrise geplant waren, jetzt in den Energie- und Klimafonds stecken. So stolpert Herr Lindner schon in den ersten Tagen seiner Amtszeit über die eigene Ideologie. Wir finden es grundsätzlich richtig, Finanzmittel für Klimaschutz und die Energiewende bereitzustellen. Aber 60 Milliarden Euro sind doch ein Bruchteil dessen, was benötigt wird, um Verkehr, um Industrie und Gesellschaft klimaneutral umzubauen und sozial gerecht zu gestalten. Der vorliegende Nachtragshaushalt beantwortet eben gerade nicht die Frage, wie wir den sozial-ökologischen Umbau in Zukunft finanzieren. Sie werden ja auch nicht müde, zu betonen, dass Sie nur dieses eine Mal bei diesem einen Nachtragshaushalt tricksen und dann zurück zur schwarzen Null wollen, indem Ausgaben gesenkt werden. Das geht immer zulasten der Menschen, die gerade nicht im Geld schwimmen, meine Damen und Herren. ({6}) Notwendig wäre die Abkehr von der Schuldenbremse, die eine Bremse für Investitionen ist. Was soll denn daran generationengerecht sein, wenn wir unseren Kindern eine marode Infrastruktur, bröckelnde Brücken, kaputte Schulen und die Folgen des Klimawandels vererben? Das ist doch nicht generationengerecht, und das ist doch nicht nachhaltig. ({7}) Für langfristige Investitionen muss der Staat auch langfristig Kredite aufnehmen können, gerade jetzt, wo die Zinsen derartig niedrig und die Herausforderungen so gigantisch sind. Und wir brauchen eine andere Steuerpolitik, um den Pflegenotstand zu bekämpfen, ({8}) um Schulen gut auszustatten und Armut zu bekämpfen. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Wir schlagen zudem eine einmalige Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 Prozent vor. Bevor Sie jetzt wieder „Enteignung“ rufen: Nein, nicht die Besteuerung, die Existenz von Milliardenvermögen in diesem Land beruht auf Enteignung, nämlich Enteignung der Menschen, die tagtäglich hart arbeiten und mit viel zu niedrigen Löhnen abgespeist werden. ({9}) Deshalb ist es höchste Zeit, über Umverteilung nicht nur zu reden. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile dem Kollegen Otto Fricke das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kollegin Wissler, manchmal sitzt man da und denkt: „Was sagst du jetzt?“, und dann fällt mir im Hinblick auf die Linken – Kollege Rohde weiß schon, was – leider wieder Shakespeare ein: „Dein Ohr leih jedem, wenigen deine Stimme …“. Shakespeare hatte damals schon recht, insofern es um den Sozialismus ging. ({0}) Wenn wir bei Shakespeare weiterlesen, heißt es für die Union – darauf komme ich jetzt –: „Nimm Rat von allen, aber spar dein Urteil.“ Das will ich dann doch deutlich sagen: Sie gehen den Rechtsweg; diese Koalition geht einen ökonomischen Weg unter Einhaltung des Rechts. ({1}) Und ich will deutlich sagen: Wir erleben – das berichtet der IWF heute; wir werden in den nächsten Tagen weitere Nachrichten bekommen – eine Abkühlung der Wirtschaft. Es ist interessant, dass sich bisher keiner Ihrer Redner um die ökonomische Situation auch nur eine Sekunde gekümmert hat. ({2}) Sie wollen recht haben, Sie wollen aber nicht recht bekommen. Und das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Meine Damen und Herren, wir haben gegenwärtig eindeutig ein Angebotsproblem. Es zeigt sich deutlich: Die Nachfrage steigt an vielen Stellen. Schauen Sie sich den Arbeitsmarkt nicht nur bei uns, sondern selbst in vielen anderen Ländern, inzwischen auch in Südeuropa, an. Und es wird die Frage für diesen Kontinent und ganz besonders für das wirtschaftlich stärkste Land auf diesem Kontinent sein, wie wir nach der Krise aus diesen Problemen herauskommen. Darum hätten Sie sich kümmern müssen. Darüber hätten Sie etwas sagen sollen. Dazu hätten sie Anträge stellen sollen. Das wäre Ihre Aufgabe als Opposition gewesen. ({3}) Ich zitiere dann sehr gerne einen durchaus immer wieder sehr weisen Menschen. Der heißt Friedrich Merz und hat gesagt: „Nur Opposition zu sein, reicht nicht. Wir wollen eigene Antworten geben …“. ({4}) – Das macht ihr, ja. Wisst ihr, was eure Antwort ist? Kein einziger Änderungsantrag im Haushaltsausschuss, hier einen Entschließungsantrag vorlegen, der sich im Allgemeinen verliert. ({5}) Bei allem, was ihr da geschrieben habt, pocht ihr immer nur auf Recht, Recht, Recht. ({6}) Dann hatten wir – das ist für uns als Koalition doch sehr interessant – in der letzten Sitzungswoche eine allgemeine Aussprache. Was kam aus den Reihen der CDU/CSU? Kein Vorschlag, wie man die wirtschaftliche Situation verbessern kann, sondern nur Anmerkungen, wo mehr ausgegeben werden muss, wo es fehlt, und kein einziger Einsparvorschlag. Ich bin sehr gespannt darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob heute der Kollege Haase, den ich sehr schätze – er redet ja nach mir –, sagt: Also, wir sind uns einig; wir wollen nicht nur auf den Weg des Rechtes gehen, sondern wir haben noch ganz viele Vorschläge, wie wir das verbessern können. – Es kann ja sein, dass Sie sagen, wir bräuchten Steuererhöhungen. Übrigens ein kurzer Hinweis an Die Linke: Wenn Sie die Einnahmen des Bundes über die Vermögensteuer erhöhen wollen, dann bringt das nichts. Der Bund kriegt davon null Cent; das kriegen die Länder. ({7}) Insofern ist so ein Vorschlag für diesen Haushalt schlichtweg irrelevant. Aber sei’s drum! Eine zweite Bitte an die Union: Schauen Sie sich doch noch einmal an, was Ihre eigene Kommission über die Frage gesagt hat, warum Ihnen der Wahlkampf misslungen ist. Und dann werden Sie feststellen, dass auf Seite 9 steht: Dementsprechend wirkte die Union in diesem Wahlkampf auch aufgrund ihrer inhaltlich unscharfen Position in zentralen Themenfeldern auf viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr glaubwürdig und authentisch. Und dann setzen Sie das auch noch hier im Bundestag fort. Das geht doch viel besser, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Einige Anmerkungen zur wirtschaftlichen Frage, auf die ich als Letztes noch eingehen möchte: Sie haben einem Haushalt zugestimmt, an dem wir im Jahre 2021 viel Kritik hatten, ({9}) und haben gesagt: Dafür stellen wir Milliarden zur Verfügung. – Über 20 Milliarden Euro von diesen, von Ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln haben wir nicht genutzt. Sie sind auch dank des Finanzministers in Abgang gekommen – weg! Zu den anderen 60 Milliarden Euro haben Sie gesagt: Die geben wir für die Bekämpfung der Krise aus. – Sie bleiben der Idee verhaftet, dass man eine Krise nur kurzfristig bekämpfen kann, und sagen: Dann gucken wir mal, und irgendwann im Juni 2022 beschäftigen wir uns mit dem Haushalt 2022 und der Bekämpfung der Krise durch einen neuen Haushalt. Wir dagegen sagen: Wir wollen die Krise auch mittelfristig bekämpfen, und wir wollen frühzeitig feststellen, wie diese Bekämpfung läuft. Denn eines wird für dieses Land notwendig sein: Wir müssen dafür sorgen, dass investiert wird. Und das kann man nur, wenn Sicherheit ist. Deswegen sage ich Ihnen in leichter Abwandlung von Goethe zum Schluss: Zahlen sind des Haushälters Waffen, nicht die Klage. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christian Haase spricht für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns von rhetorischen Ablenkungsmanövern wieder zum Haushalt kommen. ({0}) Sie können sich sicherlich noch alle an die grünen Strickparteitage in den 80ern erinnern. ({1}) Stricken ist heute wieder in. Ich weiß allerdings nicht, ob auch bei den Koalitionsverhandlungen gestrickt wurde. Zumindest ist das vorliegende Nachtragshaushaltsgesetz mit der heißen Nadel gestrickt. Das mögen einige als Lapsus ansehen, der Strickanfängern passieren kann. Hier geht es aber um mehr: Hier geht es um die Frage, ob die Verfassung zum Erhalt des Koalitionsfriedens beiseitegeschoben werden kann. Hier geht es um die Zukunftsmöglichkeiten unserer Kinder und Kindeskinder. Hier geht es um die finanzwirtschaftliche Solidität Deutschlands an den Finanzmärkten. ({2}) Was passiert genau? Da soll ein Haushalt in 2022 mit Wirkung für 2021 beschlossen werden – verfassungswidrig. Da sollen 60‑Milliarden-Notlagenkredite für Klimaausgaben in der Zukunft angespart werden – verfassungswidrig. Da werden Sondervermögen außerhalb des Zugriffs des Parlamentes auf circa 30 Prozent eines Normalhaushaltes aufgebläht – verfassungswidrig. Da wird die Schuldenaufnahme vor den Einsatz von Rücklagen, Spar- und Konsolidierungsbemühungen oder Beteiligung der Länder gestellt – verfassungswidrig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie hätten die einmalige Gelegenheit, eine Zwischenfrage von Frau Dr. Sitte zuzulassen.

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. – Da werden rückwirkend Schuldenregeln für Sondervermögen angepasst – verfassungswidrig. 60 Milliarden Euro neue Schulden – was heißt das für unsere Kinder und Kindeskinder, die diese ja irgendwann mal tilgen müssen? 60 Milliarden Euro sind nach dem aktuellen Tilgungsplan ohne Zinsen 3,53 Milliarden Euro im Jahr. Das entspricht 421 Euro für jedes Schulkind in Deutschland, zum Beispiel für Digitalausstattung, die uns dann in Zukunft fehlen werden. ({0}) Ich will aber den Faden der Koalition aufnehmen. Vielleicht ist es Zufall: Vor 280 Jahren wurde Georg Christoph Lichtenberg geboren. Von ihm stammt der Begriff „Verschlimmbesserung“. Und genau das hat die Koalition mit ihren Anträgen im Haushaltsausschuss getan. Man versucht, zu konstruieren, warum es einen Zusammenhang zwischen Klimaausgaben und Coronakrise gibt. Wollen wir das hilfsweise mal in den Blick nehmen: Erstens. Da soll die Abschaffung der EEG-Umlage nun mit Krediten anstatt durch die CO2-Abgabe kompensiert werden. Ehrlich gesagt – lassen wir das Thema Verfassung mal beiseite –: Wenn die Energiepreissteigerungen um ein bisschen zurückgenommen werden, dann wird das doch keinen Investitionssturm auslösen. ({1}) Das Wirtschaftsministerium rechnet mit einer durchschnittlichen Entlastung von 155 Euro; die CO2-Abgabe belastet unsere Familien mindestens mit dem Doppelten. Das verpufft doch. Das ist doch Blödsinn, dafür auch noch Kredite aufzunehmen. ({2}) Zweitens. Da sollen Ausgaben für Energieeffizienz im Bausektor mit Krediten finanziert werden. Das Thema ist richtig und wichtig, und der Vertrauensbruch von Herrn Habeck in dieser Woche ist ein Schlag ins Gesicht jedes Häuslebauers. ({3}) Aber wann und wo hat es aus Geldmangel in der Baubranche eine Krise gegeben? Das Statistische Bundesamt stellt in seiner jüngsten Projektion fest, dass die Coronakrise im Baugewerbe keine sichtbaren Spuren hinterlassen hat. Es fehlt an Fachkräften, und so manche Lieferkette ist gestört. In der Baubranche gibt es eine Vertrauenskrise hinsichtlich des Handelns der Regierung und keine Coronakrise, meine Damen und Herren. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Einzige, was Sie mit den verfassungswidrigen Schulden erreichen, ist das Anheizen der Inflation. Das ist nicht das richtige Strickmuster. Und das sollten Sie mal ernst nehmen. Es trifft die unteren und mittleren Einkommen in unserem Land. Es trifft die Menschen, die unser Land am Laufen halten: den Handwerker, die Krankenschwester, den Bauarbeiter, die Einzelhandelskauffrau. Es trifft die vielen, vielen Familien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt jetzt in unserer Hand. Es ist in dieser Woche viel über Gewissensentscheidungen gesprochen worden. Nach dem Grundgesetz treffen wir immer eine Gewissenentscheidung in diesem Haus. Sie müssen sich nicht an das halten, was Ihnen von oben gesagt wird. ({5}) Sie können eine Gewissensentscheidung treffen. ({6}) Sie müssen wissen, ob Sie politischen Opportunismus über die Verfassung stellen wollen. ({7}) Soll ein mit Verfassungsbruch gestrickter Schal das einende Band dieser Regierung werden? Ich sage: Nein! ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. – Herr Haase, Sie haben jetzt mit so viel Verve von Gewissen gesprochen im Zusammenhang mit Haushaltspolitik. Da ist mir, auch wenn ich keine Finanzpolitikerin oder Haushaltspolitikerin bin, eingefallen: Auch die CDU hat im vergangenen Jahr ein Zukunftspaket aufgelegt und das sozusagen auch mit Blick auf die Pandemie getan. Sie werfen jetzt der Bundesregierung offensichtlich vor, dass die Ausgaben nicht pandemiebedingt sind, und wollen deswegen gegen diesen Nachtragshaushalt klagen. Ich bin sicher, dass eine Menge von Ausgaben dabei sind, die garantiert nicht pandemiebedingt sind. Aber ich frage Sie jetzt mal angesichts Ihres vor sich hergetragenen Gewissens: Inwiefern waren denn die 9 Milliarden Euro für Rüstung in Ihrem Zukunftspaket pandemiebedingt? Oder ich frage als Wissenschafts- und Forschungspolitikerin: Inwiefern waren die Milliarden für die Quantentechnologie im vergangenen Jahr pandemiebedingt? Dass ich Letzteres durchaus richtig finde, will ich mit anmerken; aber ich finde, Sie können hier nicht mit unterschiedlichem Maßstab messen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Haase zur Reaktion.

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Sitte, dass ich noch einmal die Möglichkeit habe, zwei Dinge klarzustellen: Mein Gewissen ist mein Gewissen, Ihr Gewissen ist Ihr Gewissen, und man kann an der Stelle durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zu dem, was wir im zweiten Nachtragshaushalt 2020 gemacht haben: Wenn Sie die Begründung lesen, stellen Sie fest, dass wir gesagt haben: Wir können zu dem Zeitpunkt nicht abschätzen, wie lange die Pandemie dauert, ({0}) und wollen deshalb das Geld zwischendurch in den Energie- und Klimafonds geben, damit die Mittel in der Zeit der akuten Pandemie – wir gehen davon aus, dass die Regierung auch für 2022 die Notlage erklären wird – bis Ende 2022 zur Verfügung stehen. Dass 20 Milliarden Euro gebraucht werden, das haben wir in dieser Woche erlebt. So viel wäre für die Förderung der Häuslebauer notwendig. Herr Habeck könnte ihnen das Geld geben. Das will er im Augenblick nicht; das ist seine Sache. Dafür wäre das Geld jetzt aber zum Beispiel gut ausgegeben. Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Wiebke Esdar. ({0})

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, sollte man den Kopf nicht hängen lassen – so lautet ein jüdisches Sprichwort, und das trifft auch auf unseren Nachtragshaushalt zu. Denn wir beherzigen, dass Deutschland immer noch in einer schweren Gesundheits- und eben auch Wirtschaftskrise steckt, und wir, die Koalition aus SPD, Grünen und FDP, halten gemeinsam den Kopf oben. ({0}) Wir sparen nicht gegen die Investitionskrise an, weil das den Aufschwung gefährden würde. Wir geben das Geld aus, und zwar dort, wo es ökonomisch notwendig ist und wo es für unsere Zukunft sinnvoll ist. Deshalb steht dieser zweite Nachtragshaushalt dafür, dass er pandemiebedingt ausgebliebene Investitionen ausgleicht. Wir brauchen diese Investitionen, um aus der wirtschaftlichen Krise, die Corona verursacht hat, herauszukommen. Aber wir brauchen Investitionen nicht nur im Nachtragshaushalt, sondern wir werden sie auch in den folgenden Haushalten brauchen, weil sie ökonomisch sinnvoll und weil sie wichtig sind. Es ist unser Bekenntnis zu einem Staat, der investiert: in Ideen, in Technik und in Talente. Herr Haase, ich muss gestehen, dass ich mich an die Parteitage der 80er-Jahre nicht erinnere, weil ich in dem Jahrzehnt erst geboren wurde. Es gibt in der SPD-Fraktion zum Glück eine Menge junger Menschen, die noch nicht dabei waren. Aber ich habe eine Befürchtung, nämlich dass den jüngeren Generationen diese Debatte am Ende in Erinnerung bleiben wird als eine, bei der die Union keine ökonomischen Gegenvorschläge gemacht hat, sondern immer nur sagen konnte, was sie nicht wollte. ({1}) Unser Staat gibt Geld aus für Ideen, damit Deutschland seinen Beitrag zur internationalen Spitzenforschung leisten kann, beispielsweise in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die den zusätzlichen Mittelaufwuchs von 3 Prozent weiterhin zuverlässig bekommen sollen. Der Staat muss in der Krise verlässlicher Partner der Wissenschaft bleiben. Wir helfen ganz konkret den Forscherinnen und Forschern in Max-Planck-Instituten, in Helmholtz-Zentren sowie in Leibniz- und Fraunhofer-Instituten. Und ich sage Ihnen: Wir brauchen mehr davon. Denn wenn wir nach Mainz gucken, dann können wir sehr genau sehen, was wir von den klugen Forschungsinvestitionen dieses Staates haben. Sie sind die Basis dafür, dass Deutschland führend ist bei der mRNA-Forschung, bei der Entwicklung von Coronaimpfstoffen. Und das ist nicht nur ein entscheidender Baustein, um die Coronapandemie zu beenden, sondern der Durchbruch bei der mRNA-Forschung bietet auch die Chance, dass wir zukünftig Krankheiten wie Krebs und Alzheimer besiegen können. ({2}) Wir wollen in starke Wissenschaft und in starke Forschung investieren, weil wir nur so die großen gesellschaftlichen Herausforderungen angehen können. Genauso wird es wichtig sein, dass wir den Hochschulen auch zukünftig Verlässlichkeit und Planungssicherheit geben. Darum soll der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ mit 3 Prozent Mittelaufwuchs zukünftig dynamisiert werden. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Und ich möchte anfügen: Wir haben es endlich vereinbart, weil wir endlich keinen Koalitionspartner mehr haben, der dabei auf der Bremse steht. Nach vier Semestern Corona ist es höchste Zeit, dass auch die Hochschulen wieder richtig durchstarten können. ({3}) Meine Damen und Herren, wir investieren Geld in Technik, weil wir Schritt halten wollen. Wir brauchen Investitionen in künstliche Intelligenz, die zum Beispiel Chirurginnen und Chirurgen bei den Operationen hilft. Wir brauchen Investitionen in Quantencomputer, damit komplexe wissenschaftliche Berechnungen in wenigen Minuten statt in vielen Jahrzehnten erfolgen können. Wir brauchen mehr Investitionen in Biotechnologie, um nicht nur bei der Impfstoffforschung und bei der Entwicklung von Impfstoffen vorne dabei zu sein, sondern auch bei Therapien, die mit Corona infizierten Patientinnen und Patienten besser helfen können und im besten Fall sogar Leben retten. All das gelingt dann, wenn der Staat die richtige Anschubfinanzierung leistet. Neben Investitionen in Ideen und in Technik, meine Damen und Herren, ist es wichtig, dass der Staat – es ist angesprochen worden – auch in Talente investiert, Stichwort „Fachkräftemangel“. Darum ist es richtig, dass wir kleine und mittlere Unternehmen mit 4 000 Euro Prämie unterstützen, wenn sie Ausbildungsplätze in dieser Krise behalten, und noch mal mit 6 000 Euro Prämie, wenn sie neue Ausbildungsplätze schaffen oder Auszubildende von anderen Unternehmen übernehmen. Mehr als 26 000 Betriebe haben so bereits eine oder mehrere Prämien erhalten. Wir haben sie unterstützt. Das ist der richtige Weg im Hinblick auf die Investitionen, die wir brauchen. Es ist richtig angelegtes Steuergeld, weil unser Land so dringend Fachkräfte braucht. ({4}) Meine Damen und Herren, es wird notwendig bleiben, dass der Staat an den richtigen Stellen investiert. Das sagen uns alle ernstzunehmenden Ökonominnen und Ökonomen; Kollege Otto Fricke hat auf die Anhörung verwiesen. Wir investieren in verschiedene Ideen, in Forschung und in Bildung, in Technik und in Talente, damit unser Land am Ende nicht nur den Kopf über Wasser hält, sondern damit wir auch die Leiter bauen können, mit der wir aus dem Wasser herausklettern werden. So schaffen wir die Grundlage für eine schnellere und nachhaltigere Erholung unserer Wirtschaft. Insofern bitte ich um Zustimmung zum Nachtragshaushalt und freue mich auch auf die Beratungen zum nächsten Bundeshaushalt 2022. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Felix Banaszak hält jetzt seine erste Rede in diesem Haus für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das ist meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Der Tagesordnungspunkt klingt ja recht technisch, aber im Kern geht es heute um die Entscheidung, ob wir die Chance ergreifen wollen auf eine bessere Zukunft für uns und für die, die nach uns kommen. Deswegen habe ich mir im Vorhinein die Frage gestellt: Wie will ich, wie wollen wir eigentlich in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren auf diese Entscheidung zurückblicken? Zu Beginn vielleicht ein paar Zahlen: 350 Milliarden Euro – das ist der Betrag, den das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln jetzt Anfang der Woche an Wertschöpfungsausfall für die deutsche Wirtschaft wegen der Pandemie beziffert hat. Ohne Pandemie hätten wir allein 60 Milliarden Euro mehr Investitionen in den Unternehmen gehabt. 7 Prozent Produktionslücke Ende 2021 allein in der Industrie! Das Bruttoinlandsprodukt ist noch immer nicht auf Vorkrisenniveau. Ich will das mal plastisch machen: In einer solchen Krise kommt es zu Umsatzeinbrüchen bei den Unternehmen. In der Folge müssen diese Unternehmen eben ihre Eigenkapitalreserven angreifen oder neue Kredite aufnehmen. Das senkt ihre Investitionsfähigkeit. Damit sinken die realen Investitionen und damit auch die Chancen, sich für die Zukunft aufzustellen, neue Stellen zu schaffen und vieles mehr. Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört, Herr Middelberg, und ich habe auch gelesen, was Sie in Ihrem Entschließungsantrag geschrieben haben. Sie sagen im Kern, dieser Nachtragshaushalt habe nichts mit dieser Pandemie zu tun. Ich empfehle Ihnen: Sprechen Sie mal mit einem Unternehmen in Ihrem Wahlkreis oder irgendwo anders in diesem Land; vielleicht sehen Sie das dann ein bisschen anders. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben im Kern zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Wir können – und so verstehe ich Sie – die Augen vor diesen Realitäten verschließen, uns an dem Dogma festhalten, dass Schulden immer böse und immer schlecht sind, und dann hoffen, dass die wirtschaftliche Erholung einfach so passiert. Füße hochlegen und abwarten – kann man so machen, klug ist das aus meiner Sicht nicht. ({1}) Die Alternative, liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu ist – und das ist das, wofür wir uns als Koalition entschieden haben –: Wir beschließen mit diesem Nachtragshaushalt, mit diesen 60 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds, ein echtes Pandemiebewältigungspaket. Wir boostern die Wirtschaft gegen die Langzeitfolgen dieser Pandemie! Und das, meine Damen und Herren, ist gleich doppelt klug: ({2}) Denn auf der einen Seite lindern wir die konkreten, akuten Krisenauswirkungen auf die Wirtschaft, und auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass wir unsere Industrienation Richtung Klimaneutralität entwickeln und mit Investitionen nachhaltig aufstellen. ({3}) Das ist auch das, was der überwiegende Teil der Ökonominnen und Ökonomen in diesem Land uns empfiehlt, nämlich uns nicht aus der Krise herauszusparen, sondern zu investieren, und zwar zielgerichtet. Und das ist auch das, was die Ökonominnen und Ökonomen – es ist angesprochen worden – in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses dargestellt haben. Ich frage mich: Waren Sie da anwesend? ({4}) Haben Sie das wenigstens zur Kenntnis genommen? Weil das Argument kam, man könne doch nicht im Haushalt 2021 Dinge für die Zukunft festlegen: Ja wann bitte sollen denn die Investitionen nachgeholt werden, die 2021 pandemiebedingt nicht stattgefunden haben? Rückwirkend wird das nicht gelingen; es geht also nur in der Zukunft. ({5}) Und weil Sie von der Union auf das Bundesverfassungsgericht schielen: Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr in einer, wie ich finde, Eindeutigkeit und Klarheit wie selten gesagt: Klimaschutz bedingt die Freiheitsrechte der kommenden Generationen. – Das heißt umgekehrt: Kein Klimaschutz ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Jetzt in Klimaschutz zu investieren, jetzt in die Neuaufstellung unserer Wirtschaft, unserer Energieversorgung, unserer Mobilität zu investieren, das ist eben nicht nur ökologisch klug, das ist auch ökonomisch die bessere Wahl, als im Nachhinein die Schäden zu reparieren, die entstehen, wenn diese Investitionen unterlassen werden. ({6}) Also, wie wollen wir in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren auf diese Entscheidung zurückblicken? Manche wollen dann vielleicht in einer Welt leben, in der sich die ökologischen und ökonomischen Krisen derart zugespitzt haben, dass wir auf Stahlwerke als Industriedenkmäler schauen und sagen: Mensch, immerhin haben wir 2021 die Kredite nicht genutzt. – Wollen Sie das wirklich? ({7}) Wir wollen mit Stolz darauf zurückblicken, dass wir die richtigen Konsequenzen aus dieser Pandemie gezogen haben, dass wir die wirtschaftlichen Folgen gelindert haben und dass wir nach Jahren des Stillstands ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen gestartet haben. Ich will darauf zurückblicken, dass wir dem gerecht geworden sind, was das Pariser Klimaabkommen, was das Bundesverfassungsgericht, ja, was die Wirklichkeit von uns einfordert: dass wir unserer Verantwortung gerecht werden und dieses Land auf den 1,5‑Grad-Pfad führen. Ich bitte Sie herzlich um Zustimmung zu diesem Nachtragshaushalt. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sebastian Brehm hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ihr erster Nachtragshaushalt, und Sie nehmen gleich mal 60 Milliarden Euro mehr Schulden auf als notwendig. Diese Regierung ist angeblich angetreten, um das Land nachhaltiger zu machen. Aber Nachhaltigkeit hört nicht bei der CO2-Bilanz auf, sondern auch die Staatsbilanz gehört dazu. Wenn wir unseren Enkeln einen gesunden Planeten hinterlassen wollen, dann müssen wir auch gesunde Staatsfinanzen hinterlassen. Wir wollen nachfolgenden Generationen Spielräume geben, um eigene Gedanken umzusetzen, und nicht, dass sie Schulden der Ampelkoalition 2022 abzahlen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kreditfinanzierte Haushalte sind in Ordnung in einer außergewöhnlichen Notlage, zum Beispiel Corona. ({0}) Aber es geht bei Ihnen doch gar nicht darum. Die einzige Notlage, die Sie finanzieren wollen, ist die desolate Performance Ihrer Regierung – und da machen wir nicht mit! ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen mehr Schulden machen, um das Geld im Wahljahr 2025 ausgeben zu können, nicht, um eventuell Klimaschutzmaßnahmen, KfW-Programme oder anderes zu finanzieren, nicht, um Coronaprogramme zu verlängern. Der Finanzminister sagt: Ab 1. April kein Kurzarbeitergeld mehr, keine Überbrückungshilfen mehr für die Wirtschaft. ({2}) Sie wollen das nicht dafür ausgeben, sondern Sie wollen es für Wahlkämpfe in den kommenden Jahren ausgeben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Jetzt möchte ich auf den wesentlichen Unterschied zu sprechen kommen, den Sie alle nicht erwähnt haben und den Sie meiner Meinung nach bewusst verschwiegen haben: Sie ändern die Buchhaltungsregeln dieses Sondervermögens. Das heißt, die Schulden, die Sie heute aufnehmen, die werden in den Haushalt 2020 und 2021 geschoben. Normalerweise müsste man die Ausgaben, die Sie gerade erwähnt haben, in den Haushalten 2022, 2023, 2024 und 2025 aufnehmen, und dann müsste man Prioritäten setzen. Deswegen ist unser Gegenprogramm: kein Nachtragshaushalt, sondern dann Ausgaben beschließen, wenn es den Haushalt auch betrifft. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP erlebt gerade ihr Revival als Umfallerpartei: Was gestern noch galt, ist heute schon falsch. ({5}) In der Opposition predigten Sie Sparsamkeit, in der Regierung kommen Finanztricks, Schulden und Schattenhaushalte. Bei der Einbringung des Haushalts 2021 sagten Sie – ich zitiere von Ihrer Homepage –: Wir würden anders als die Große Koalition mit weniger als der Hälfte der neuen Schulden auskommen und gleichzeitig noch eine Entlastung von 36 Milliarden Euro umsetzen. Das steht bei Ihnen auf der Homepage. Damals haben Sie gesagt: Die ganzen Kreditermächtigungen brauchen wir nicht, und die Bürger kriegen eine Entlastung. – Heute wollen Sie die Kreditermächtigungen, und zu Entlastungen kein Ton mehr: Komplettabschaffung Soli, kein Ton mehr davon; Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, keine Rede davon; Unternehmensteuerreform, keine Rede davon. Entlastung versprochen und Schulden geliefert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! ({6}) Finanzminister Lindner und seine Regierung haben eine eigene 3‑G-Regel für den Haushalt aufgestellt: geschummelt, geschoben und getrickst, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({7}) Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Ob Sie die Verfassung gebrochen haben, das wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Die Klage kommt übrigens mitten aus dem Parlament; das ist ein urparlamentarisches Instrument. Wir werden ja sehen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Dass Sie die Wähler getäuscht haben, das ist heute schon klar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dem Kollegen Frank Junge gebe ich jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Middelberg, wer heute eine Pandemie bekämpfen will und dabei nicht die Weichen für morgen stellt, der hat nach meinem Dafürhalten Krisenprävention, Krisenbewältigung nicht verstanden. ({0}) Ich sage das auch vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Staat ja eindeutig ins Stammbuch geschrieben, dass wir die nachfolgenden Generationen mit den Maßnahmen, die wir hier voranbringen, schützen müssen. ({1}) Und was ist generationengerechter, als mit diesem Nachtragshaushalt heute nicht nur die Weichen dafür zu stellen, dass unsere Wirtschaft die Folgen der Coronapandemie überwindet, sondern auch sicherzustellen, dass wir den Transformationsprozess angehen können, den wir brauchen, um global wettbewerbsfähig zu bleiben? ({2}) Meine Damen und Herren, ich will es noch mal hervorheben: Der Kern sozialdemokratischer Haushaltspolitik in diesen schweren Coronazeiten ({3}) besteht darin, dass wir die Menschen schützen, niemanden unter sozialen Aspekten zurücklassen und die Wirtschaft bei Ausfällen mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft unterstützen und ihr unter die Arme greifen. Das ist uns in der Vergangenheit gut gelungen. Vor dem Hintergrund ist es jetzt Ziel der Ampelkoalition – das ist unser Anspruch –, die Wirtschaft insgesamt durch die Covid-19-Pandemie zu führen bzw. die Volkswirtschaft insgesamt zu stärken und damit auch die Voraussetzungen zu schaffen, damit der Wirtschaft der Transformationsprozess erleichtert wird, der darin besteht, die größte und stärkste Industrienation zu Klimaneutralität zu führen und damit ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten zu genügen. Das ist die beste Generationengerechtigkeit, die wir unter diesem Aspekt vornehmen können. ({4}) Auch das steht wieder im direkten Zusammenhang mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, über das wir schon gesprochen haben. ({5}) Mit dem vorliegenden zweiten Nachtragshaushalt verfolgen wir genau dieses Ziel. Wenn wir nun im Zuge dessen dem Energie- und Klimafonds 60 Milliarden Euro zuweisen, dann übertragen wir dieses Geld in ein Sondervermögen, auf das wir als Deutscher Bundestag, auf das wir als Parlamentarier dieses Hauses Zugriff haben. Wir können darüber diskutieren und entscheiden, was mit diesem Geld passiert. Was kann demokratischer sein, als über so ein Sondervermögen die Aufgaben, die unsere Generation betreffen, zu regeln und zu beschließen? ({6}) Wir können mit diesem Geld – ich sagte es schon – nicht nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass vom Staat investierte öffentliche Gelder dafür genutzt werden, den Transformationsprozess auf den Weg zu bringen, sondern auch Planungssicherheit für Unternehmen schaffen; das klang bei einigen Vorrednern schon durch. Die Unternehmen wussten in der Covid-19-Pandemiezeit ja gar nicht, wie es mit den investiven Möglichkeiten weitergeht, die sie nutzen müssen, um weiter voranzukommen. Wir schaffen damit Planungssicherheit und setzen Signale für genau diese Unternehmen, die am Ende zusätzlich zu diesem Geld privates Kapital investieren. Das ist doch ein Kreislauf, den wir uns alle nur wünschen können, weil das am Ende die Kraft entfesselt, die wir brauchen, um unser Land voranzubringen. ({7}) Ich nenne jetzt einige Beispiele, die wir auch in dem Änderungsantrag der Koalition, der hier jetzt ebenfalls zur Debatte steht, festgeschrieben haben: Es ist aus meiner Sicht völlig klar und logisch: Wenn wir in einen Leitmarkt für Wasserstofftechnologie investieren und dabei eine Wasserstoffnetzinfrastruktur ausbauen, dann setzt das natürlich nicht nur nachhaltige Impulse für die Wirtschaft, sondern ist auch generationengerecht. ({8}) Wenn wir gezielt in moderne Technologien investieren und an der Stelle Förderungen ausgeben, damit CO2-neutrale Grundstoffe für die Produktion unserer Wirtschaft in ausreichendem Maße hergestellt werden können, wie das jetzt noch nicht der Fall ist, weil wir zum Beispiel für Grünen Stahl viel aus dem Ausland importieren müssen, dann setzt das nicht nur nachhaltige Impulse, sondern ist auch generationengerecht. ({9}) Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch sagen, dass wir diese Beispiele, die wir natürlich auch in unserem Koalitionsvertrag mit der Ampel klar definiert haben, unter dem Aspekt Generationengerechtigkeit gut einordnen können. Wir tun das aber vor allen Dingen deshalb, weil wir mit diesem Nachtragshaushalt eben nicht nur die direkten Folgen der Coronapandemie bekämpfen möchten, sondern wir haben damit heute auch die Möglichkeit, die Weichen dafür zu stellen, die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen und damit unsere dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab zu sichern, und wir können dadurch Wachstum und den Wohlstand für morgen sichern. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Nachtragshaushalt. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Andreas Mattfeldt. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Lindner, als ich hörte, dass gerade Sie die Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro, die wir Haushälter Ihnen für Unternehmen bereitgestellt haben, die unter den Coronamaßnahmen massiv leiden, jetzt in den EKF – in den Energie- und Klimafonds – überführen wollen, habe ich gedacht, das sei Satire. Das kann definitiv nicht von dem Christian Lindner kommen, den ich hier kennengelernt habe! Eine solch schräge Nummer, durch den Nachtragshaushalt Coronamittel für das EKF-Sondervermögen anzuhäufen, um damit am Haushalt vorbei Wunschträume zu finanzieren, die dem vorherigen Haushaltszweck wesensfremd sind, ist schlichtweg der Hammer! Eine solch unverantwortliche – dabei bleibe ich – und zugleich für Ihre Partei gefährliche Nummer habe ich Ihnen – gerade nach Ihren Reden hier im Plenum in den vergangenen Jahren – nicht zugetraut. ({0}) Nun weiß ich ja aus leidvoller Erfahrung, dass man in einer Koalition mit der SPD Zugeständnisse machen muss. ({1}) Dass man aber nahezu alle Grundsätze, die zur DNA der eigenen Partei gehören, über Bord wirft, hat mich extrem erschrocken gemacht. Das hat nicht mal – das sage ich jetzt mit einem Schmunzeln, Herr Lindner – meine CDU geschafft. ({2}) Nun müssen Sie Ihr Handeln ja irgendwie nach außen verteidigen. Übrigens wundere ich mich, dass Sie heute hier nicht sprechen; allein das ist schon sehr verwunderlich. Sie merken aber angesichts Ihrer Verbalakrobatik, die Sie gestern im Haushaltsausschuss geleistet haben, selbst, dass das Erklären dieser Maßnahme die Quadratur des Kreises ist. Und natürlich hoffen Sie, dass dieser Drahtseilakt in drei Jahren vergessen ist. Diese Hoffnung – das kann ich Ihnen auch ganz persönlich hier unterschreiben – wird sich ganz schnell zerschlagen; denn der EKF wird in den kommenden Jahren sicherlich mehr als andere Themen hier im Hause und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Immer und immer wieder werden die Bürger dann an diesen Taschenspielertrick erinnert –, ({3}) dies auch, weil der EKF schon im Wortlaut seiner Präambel mit Coronamaßnahmen und der Folgenbewältigung nun überhaupt nichts zu tun hat. Deshalb möchte ich gerade das Wirtschaftsministerium ansprechen. Frau Dr. Brantner, die vorhin noch da war, ist es jetzt übrigens nicht mehr, und der Wirtschaftsminister ist auch nicht hier. ({4}) – Ah, da sitzt sie; Entschuldigung, Frau Dr. Brantner. – Das müssen Sie sich anhören: Sie profitieren hiervon. Ich möchte Sie daran erinnern, warum der EKF ins Leben gerufen wurde. Der EKF ist 2010 angelegt worden, damit wir die CO2-Einsparung gemäß den Pariser Klimazielen erreichen. Wir dürfen hier Projekte fördern, mit denen ein wissenschaftlicher und innovativer Mehrwert für die Wirtschaft, für die Energiesicherheit und für die Umwelt einhergeht. ({5}) Frau Dr. Brantner, der EKF unterstützt mit einem offenen und unvoreingenommenen Ansatz alle Technologien – ich betone: alle –, Methoden und wissenschaftlichen Untersuchungen, die uns in die Lage versetzen, Treibhausgase einzusparen. ({6}) Dies sind – und das ist in den Aufgaben ganz eindeutig definiert, Frau Dr. Brantner – Investitionen in die Energieeffizienz, die Wasserstoffförderung, die E‑Mobilität und – jetzt aufgepasst beim Wirtschaftsministerium – die CO2‑Gebäudesanierung. Dies alles sind aber Wirtschaftsbereiche, die unter Corona nun überhaupt nicht gelitten haben. ({7}) Ich begreife gar nicht, dass der Wirtschaftsminister nicht hier ist. Wenn man 60 Milliarden Euro bekommt, dann ist das schon enorm. Herr Finanzminister Lindner, Sie wissen doch genau, dass erhebliche Reste von über 40 Milliarden Euro im EKF aufgelaufen sind. Hinzu kommen jetzt noch die 60 Milliarden Euro, die Sie übertragen wollen. Damit haben Sie, Herr Lindner, Herrn Habeck und seiner grünen Partei Mittel in Höhe von über 100 Milliarden Euro für ausschließlich Projekte der Grünen an die Hand gegeben. Die Häuslebauer, die für ihre Familien Eigentum schaffen wollen und die Fördermittel im Rahmen der CO2-Gebäudesanierung fest einkalkuliert haben, haben aufgrund Ihrer Ankündigung über Nacht seit dieser Woche definitiv kein Vertrauen mehr. Ich halte diesen Vertrauensbruch, die Förderung der CO2-Gebäudesanierung ohne zeitlichen Vorlauf aufzukündigen – das sage ich ganz deutlich –, für einen Skandal. ({8}) Ein weiterer Punkt – dazu möchte ich noch kommen – beim Nachtragshaushalt ist der massive Personalaufwuchs. Schon die Vorgängerregierung haben wir Haushälter – ich auch ganz persönlich – massiv kritisiert. Was wir jetzt aber erleben, ist nahezu inflationär. Die Ministerien werden gerade durch die steigende Zahl an hochdotierten Stellen massiv aufgebläht. Wir wissen ja, dass es gerade bei der SPD, aber auch bei den Grünen üblich ist, dass man als neue Regierung eigene Parteifreunde unterbringen will. Ich bin mir aber nicht mal sicher – das sage ich auch mit einem kleinen Schmunzeln –, ob Sie noch genügend Mitglieder im arbeitsfähigen Alter haben, um diese Stellen zu besetzen. ({9}) Nicht dass Sie in die Verlegenheit kommen, in Ihren Ministerien vielleicht auch noch CDU-Mitglieder einstellen zu müssen! Das wäre ja fatal. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb zum Abschluss mein Vorschlag, den ich bereits bei den letzten Haushaltsberatungen immer und immer wieder gemacht habe: Lassen Sie uns wieder eine jährliche einprozentige Stelleneinsparung ausweisen, damit dem jährlichen Stellenaufwuchs endlich ein Ende gesetzt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, dieser Nachtragshaushalt –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich meinte damit, dass Ihre Redezeit schon überschritten ist.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– ist verfassungswidrig und deshalb abzulehnen. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Banaszak hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön.

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Mattfeldt, das war ja gerade ein Kessel Buntes, den wir hier von Ihnen gehört haben. Deswegen wollte ich zu ein paar Punkten noch etwas sagen und Ihnen auch die Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen. ({0}) – Wenn Sie mir zuhören, dann ist es mit der Antwort vielleicht auch einfacher. Erster Punkt. Sie haben gerade von den vielen Stellen gesprochen, die jetzt geschaffen wurden. Wollen Sie vielleicht auch noch etwas zu den vielen Stellen sagen, die 2017 beim Regierungswechsel zwischen einer CDU/CSU-SPD-Regierung zu einer CDU/CSU-SPD-Regierung in sehr hohem Maße – dreistellig – geschaffen wurden? ({1}) Vielleicht können Sie dann auch sagen, ob die vielen CDU-Mitglieder, die jetzt gerade schon in den Ministerien sind, damit etwas zu tun haben. Zweiter Punkt. Sie haben gerade gesagt: Herr Lindner ermöglicht mit über 100 Milliarden Euro, dass jetzt Projekte der Grünen umgesetzt werden. – Wenn Sie sich angeschaut haben, dass in dem im Anschluss vorgelegten Änderungsantrag genau konkretisiert ist, wofür die Mittel im EKF jetzt zielgerichtet und zweckgebunden verwendet werden dürfen, dann wissen Sie, dass das beispielsweise Investitionen in die zukunftsfähige Aufstellung der Industrie sind. Außerdem stehen die Mittel unter anderem für die Klimaschutzdifferenzverträge zur Verfügung, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, Investitionen in die nachhaltige Aufstellung unserer Industrienation zu sichern. Würden Sie vielleicht einmal darauf antworten, ob das aus Ihrer Sicht einseitige Projekte der Grünen sind, oder ist es auch in Ihrem Interesse, die Stahlindustrie und andere Industrien zukunftsfähig aufzustellen? Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Mattfeldt, Sie möchten offensichtlich antworten. Bitte schön.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ganz herzlichen Dank für diese Fragen. – Die erste Sache. Natürlich weiß ich, wie viele Stellen wir seinerzeit geschaffen haben. Das war nicht mal die Hälfte von dem, was Sie jetzt machen. ({0}) Sie sind ja erst seit Kurzem in diesem Parlament. Wir haben bereits unter Sigmar Gabriel eine entsprechende Vizekanzlerstelle eingerichtet. Nicht eine Stelle davon ist abgeschafft worden. Herr Robert Habeck hat daher rechnerisch nun eigentlich zwei Vizekanzlerstellen in seinem Ministerium. Das muss man erst mal schaffen, und das mit hochdotierten Stellen. Ich finde, das ist von Ihrer Seite mehr als erklärungsbedürftig. ({1}) Die zweite Sache. Zu der Konkretisierung, was Sie mit diesen 60 Milliarden Euro machen wollen, habe ich noch nichts vorliegen. ({2}) Im Gegenteil: Sie wollen die EEG-Umlage senken, Sie wollen dieses und jenes; das haben Sie verbal angekündigt. Darunter ist nichts, was nachhaltig in der Lage ist, CO2-Tonnage komplett einzusparen. ({3}) Noch einmal: Die Präambel des EKF sagt Ihnen, dass wir Maßnahmen fördern und umsetzen wollen, die uns in die Lage versetzen, massiv CO2‑Tonnage einzusparen. Mit einer EEG-Umlagesenkung – so leid es mir tut und so sinnvoll sie vielleicht auch sein mag – senken Sie aber keine CO2‑Tonnage; das ist Quatsch. Deshalb: Legen Sie einen vernünftigen Plan vor, dann sind wir an Ihrer Seite. Aber was wir hier jetzt sehen, ist nun wirklich gar nichts. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja so, dass viele Jahre lang im Bereich Landwirtschaft und Ernährung die Lösung von Problemen auf die lange Bank geschoben wurde. Aber wir packen das jetzt an. Es macht keinen Sinn, der Landwirtschaft vorzugaukeln – und die wissen es selbst längst besser –, dass alles so bleibt, wie es ist, oder nur kosmetische Operationen vorzunehmen. Nein, 16 Jahren Stillstand im Agrar- und Ernährungsbereich muss jetzt ein tatsächlicher Aufbruch entgegengesetzt werden. ({0}) Unser Ziel ist nämlich eine Landwirtschaft, die Klima und Arten schützt, damit ihre eigenen Betriebsgrundlagen schützt, die die Tiere artgerecht hält und insgesamt verlässliche Bedingungen bekommt. Unsere Ernährungspolitik will, dass Kinder und die Gesundheit der Menschen sowie die Produktionsbedingungen, zum Beispiel die Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in den Mittelpunkt gestellt werden und dass dabei Klima- und Tierschutz beachtet werden, meine Damen und Herren. Das gehört zusammen. Was wir nicht weiter tun können und wollen, ist, dass wir sagen: Die Landwirtschaft soll das mal alleine regeln. – Aber man kann nicht in einem falschen System, in einer falschen Struktur umsteuern. Man kann auch nicht sagen: „Wir machen nur Bildung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, damit die sich anders ernähren“, weil auch diese Heldinnen und Helden des Alltags in einem falschen System nicht die richtige Ernährung und die richtige Nachfrage organisieren können. ({1}) Wenn wir Wertschätzung, Wertschöpfung, Klimaschutz, Artenschutz und Tierschutz wollen, dann müssen wir einen neuen Rahmen schaffen. Das erfordert Veränderung; aber nur in dieser Veränderung liegt Zukunft. Ich will noch einmal klar sagen, was definitiv in dieser Regierung und dieser Koalition nicht mehr passieren wird. Wir werden die Dinge nicht verschlampen und auf die lange Bank schieben. ({2}) Die Bundesregierung ist jetzt unter Druck und muss das EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der Düngeverordnung abwenden. Beim Umbau der Tierhaltung oder dem Umbau der Landwirtschaft insgesamt haben Sie nach Jahren Kommissionen eingerichtet, die erst zum Ende der Wahlperiode zu einem Ergebnis gekommen sind. Auch zur GAP-Reform war das Papier im August fertig, aber Frau Klöckner traute sich nicht, es vor dem Wahltag vorzulegen, weil sie Sorgen hatte. Nein, wir machen die Dinge jetzt pünktlich. Wir wollen tatsächlich alle Kriterien für Verlässlichkeit und Zukunftssicherheit der Landwirtschaft umsetzen. ({3}) Sie wissen doch alle: Die Ernährungs- und Agrarwende sind gut fürs Klima und gut für die Betriebe, weil unsere Art der Ernährung, wenn Sie die ganze Kette ansehen, ein Fünftel unserer Klimabilanz ausmacht. Tierische Lebensmittel haben einen besonders hohen CO2-Fußabdruck, meine Damen und Herren. Ich will Ihnen ein Beispiel zum Thema „Food Waste“, Lebensmittelverschwendung, nennen. Wir werden auch über unseren Lebensstil und unsere Erwartungen, ob den ganzen Tag über alles im Laden verfügbar sein muss, reden müssen. 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln werden jedes Jahr in den Abfall geworfen. Das entspricht umgerechnet 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das wollen wir beenden. ({4}) Ich will hinzufügen: Was wir auch beenden wollen und müssen, sind solche komischen Dinge wie, dass, wenn jemand wie Pater Alt in München Lebensmittel vor der Vernichtung rettet, das ein Diebstahl sein soll und die Polizei hingehen, ihm die Lebensmittel wegnehmen und sie dann vernichten muss. Das ist unzumutbar: ({5}) für den Lebensmittelretter, für die Polizei und auch für die Landwirte, die die Lebensmittel produziert haben. Lassen Sie uns jetzt systematisch anfangen! Was werden wir tun? Wir wollen bei diesem Aufbruch in diesem Jahr erstens eine Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg bringen, in einem Paket mit Baugesetzbuch, TA Luft und Finanzierung. Wir werden die Ernährung dazupacken, indem wir klar sagen: Die Gemeinschaftsverpflegung zum Beispiel muss sich auch verändern. Wir könnten im Bundestag gleich anfangen. ({6}) Besseres Kantinenessen wollen alle haben. Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altersheime: Überall da muss das Essen besser werden, und es soll saisonaler, regionaler werden; das ist sozusagen die Nachfrageseite zu den Veränderungen im Bereich Landwirtschaft. Und dann kommen natürlich noch eine Novelle des Tierschutzgesetzes und der Brandschutzverordnung, weil 5 000 Brände im Jahr in Ställen in Deutschland nicht zu akzeptieren sind für das Mitgeschöpf Tier. ({7}) Wir werden auch den Einsatz von Pestiziden reduzieren, dafür Programme auflegen, den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent setzen. Das ist ehrgeizig; aber man muss sich ja manchmal ehrgeizige Ziele setzen, damit man sich auch dahin strecken kann, meine Damen und Herren. Nicht zuletzt geht es in dem ganzen Kontext um eine soziale und Gesundheitsfrage. Wir haben ja in den letzten Wochen viel über die soziale Frage bei den Lebensmittelpreisen geredet, über die Frage: Wer kann sich das leisten? Dabei ist aber nicht diskutiert worden: Wer kann sich eigentlich die Klimakrise leisten? Welche Auswirkungen hat die Klimakrise auf die Gesundheit genau der Menschen, über die wir gerade bei den Lebensmittelpreisen reden? Und wir haben auch nicht gefragt – jedenfalls nicht laut und öffentlich –, was unser Ernährungssystem eigentlich für die Gesundheit der Menschen bedeutet. Gerade die weniger Gebildeten, meine Damen und Herren, die, die weniger Geld haben, sind doch die, die am häufigsten ernährungsbedingte Erkrankungen haben. Das ist eben auch eine soziale Frage, wo wir nicht tatenlos zusehen dürfen. ({8}) Die Preise müssen die Wahrheit sprechen. Wir brauchen weniger hochverarbeitete Lebensmittel, wir wollen den Lebensmittelabfall reduzieren, und wir wollen auch die Zusammensetzung der Produkte verändern, meine Damen und Herren; denn da muss es um die Gesundheit der Menschen gehen und nicht nur um die Profite der Lebensmittelindustrie, die hochverarbeitete sogenannte Lebensmittel produziert. Im Fazit kann ich eines sagen: Nie war die Bereitschaft im Bereich Umweltbewegung, Landwirtschaft und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern so groß wie jetzt, mitzutun an einer Veränderung dieses Systems. Wir wollen ein Gesamtpaket auflegen, das wirklich heißt: nachhaltige Alternativen für die Landwirtschaft, nachhaltige Alternativen für das jetzige Ernährungssystem. Die CDU fängt jetzt auch an, Anträge zu stellen, hier und im Bundesrat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die hätten Sie auch vor ein, zwei Jahren stellen können. Ich bitte Sie: Schreiben Sie jetzt nicht nur plakativ Anträge, sondern machen Sie mit bei der Aufstellung eines neuen Systems.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Künast, meine Bitte wäre, dass Sie zum Schluss kommen; wir können uns ja hier gegenseitig bitten.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe Hermann Färber das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Regierungskoalition spricht von einem Kurswechsel in der Agrarpolitik, unterlegt mit 15 Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag. Frau Kollegin Künast, über Ihre Ziele kann man sich mehr oder weniger einig sein. Aber es geht ja immer auch um die Frage der Umsetzung, und die Antworten darauf sind Sie in diesem Antrag oft schuldig geblieben. Die Bäuerinnen und Bauern sind sich durchaus dessen bewusst – und sie sind es auch gewohnt –, dass sich die Ansprüche der Gesellschaft an ihre Arbeitsweise, an die Art und Weise, wie sie ihre Felder bewirtschaften, ändern, von früher einmal ertragreicher Lebensmittelsicherung über die Bioenergiegewinnung – Sie erinnern sich vielleicht noch daran – bis hin zu einer Bewirtschaftungsweise mit einer stärkeren Förderung der Biodiversität, des Tierwohls und des Klimaschutzes. Aber egal, was immer sie auch tun sollen, was die gesellschaftliche Aufgabe für die Landwirtschaft jeweils ist, sie brauchen dafür auch einige Voraussetzungen: Sie brauchen eine langfristige Perspektive und Planungssicherheit. ({0}) Investitionen werden nicht selten für 20 Jahre und noch länger gemacht. Da nutzt es nichts, wenn nach drei, vier Jahren wieder etwas anderes gewollt wird. Sie brauchen praxistaugliche Regelungen, die auch realistisch umsetzbar sind. Und vor allem brauchen sie Märkte, die diese Produkte abnehmen und auch die Prozessqualität honorieren – nicht nur die Produktqualität, sondern auch die Prozessqualität. ({1}) Als Beispiel greife ich zwei Punkte aus Ihrem Antrag auf: Sie wollen die Einführung einer verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung. Das bedeutet aber zunächst eigentlich nur eine reine Kennzeichnung der Haltungsform, die den Status quo auf der Verpackung für den Verbraucher sichtbar macht. Durch diese verpflichtende Kennzeichnung wird das Problem zunächst einmal nur auf die europäische Ebene verlagert, und es ist keinerlei Anreizsystem zur Verbesserung des Tierwohls. Wenn Sie die Bauern mitnehmen wollen, wenn Sie in Deutschland bei der Verbesserung des Tierwohls schneller vorankommen wollen, dann brauchen die Bauern Perspektiven, Sie brauchen Anreize für die Betriebe. Deshalb rate ich dringend: Setzen Sie sich noch einmal mit den Inhalten der Empfehlung des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung, der sogenannten Borchert-Kommission, auseinander! Das beinhaltet sowohl Perspektiven bei der Kalkulationsgrundlage als auch eine gewisse Halbwertszeit für Regelungen, die eine gewisse Planungssicherheit beinhalten. Zum Zweiten: Bei der Ackerbaukultur wollen Sie ein neues Programm „Zukunftsfähiger Ackerbau“ starten. Das ist so weit in Ordnung. Greifen Sie da aber bitte noch einmal die Ackerbaustrategie, die im vergangenen Sommer aufgelegt wurde, auf. Sie beinhaltet nicht nur zwölf Handlungsfelder, sondern auch ihre Problemstellungen und zeigt bereits notwendige Maßnahmen auf. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin – ich bin selber Landwirt – ein totaler Fan von weiten Fruchtfolgen. Aber für die Entwicklung einer größeren Kulturvielfalt fehlen teilweise einfach die Absatzmöglichkeiten, die Verwertungsmöglichkeiten. Wir brauchen noch mehr Forschung und Entwicklung. All diese Zielkonflikte sind in der Ackerbaustrategie bereits benannt. Aber sie müssen dann auch aufgelöst werden. ({2}) Bei allem Wunsch nach Aufbruch sollte der Antrag bzw. Ihre Politik doch wenigstens eines berücksichtigen: Die grundsätzliche Aufgabe der Landwirtschaft ist die Versorgung der Bevölkerung mit wertvollen Lebensmitteln. Darüber hinaus gibt es die anderen Punkte wie Tierwohl, Klimaschutz, Biodiversität. Die rote Linie wird aber dann überschritten, wenn die Produktion ins Ausland verlagert wird und von dort dann Produkte mit höheren Pestizidbelastungen, mit dem größeren ökologischen Fußabdruck zu uns zurückkommen. Das darf nicht passieren! Dazu haben die Zukunftskommission Landwirtschaft und auch die Borchert-Kommission einen Plan erstellt. Machen Sie dies für die nächsten Jahre zu Ihrem Kompass in der Agrarpolitik! Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollegin Luiza Licina-Bode gebe ich jetzt das Wort für die SPD-Fraktion zu ihrer ersten Rede hier im Hohen Haus. ({0})

Luiza Licina-Bode (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005128, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ampel steht für Aufbruch, und das gilt auch für die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik. Da ist tatsächlich in den letzten Jahren viel liegen geblieben. Ich persönlich stehe heute hier und möchte mich, was unseren Antrag angeht, auf den Tierschutz fokussieren und möchte uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch noch einmal daran erinnern, dass insbesondere die jungen Wähler/-innen uns dazu auch eindeutig einen Auftrag erteilt haben. Der Tierschutz darf nicht mehr stiefmütterlich behandelt werden! ({0}) Auf europäischer Ebene hat die EU-Kommission bereits die Initiative ergriffen: Das EU-Tierschutzrecht soll umfassend überarbeitet werden, um den EU-Tierschutzstandard deutlich zu erhöhen. Ich freue mich sehr, dass unser Minister Cem Özdemir diese Initiative ausdrücklich unterstützt. Auf nationaler Ebene werden wir die Rechtsgrundlagen schaffen, derer es bedarf, um klare Richtlinien und Kriterien für mehr Tierschutz zu schaffen. Deshalb fordern wir auch mit unserem Antrag – erstens –, dass wir bis Ende 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung inklusive Transport und Schlachtung regeln. Außerdem fordern wir eine verbindliche Herkunftskennzeichnung. Das bringt mehr Transparenz, auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die zunehmend wissen wollen, was sie in ihren Einkaufswagen legen. ({1}) Zweitens fordern wir die Neuausrichtung des Tierschutzes als Verpflichtung. Auch das ist klar für uns; denn wir wollen die Landwirtinnen und Landwirte bei dieser Transformation nicht alleine lassen. Wir werden Landwirtinnen und Landwirte unterstützen, und die Investitionsförderung soll sich künftig danach richten, wie hoch die Haltungskriterien angesetzt werden. Ein hoher Haltungsstandard sichert Landwirtinnen und Landwirten im Ergebnis – und das ist ja dann auch logisch – zukünftig die entsprechende Investitionsförderung, der es bedarf. Das ist für mich eine Win-win-Situation – für das Tier, aber auch für die Landwirtinnen und Landwirte. ({2}) Im Bau- und im Genehmigungsrecht werden wir Anpassungen für tiergerechte Ställe vornehmen. Auch hier gilt es, ein durch die Marktteilnehmer getragenes finanzielles System zu entwickeln, das zweckgebunden die laufenden Kosten ausgleicht und Investitionen am Ende wiederum fördert. Damit schaffen wir die politischen Rahmenbedingungen, um landwirtschaftliche Einkommen zu stützen und nachhaltige Produktionsweisen zu fördern. Wir werden das Tierschutzgesetz verbessern, indem wir zum Beispiel die Anbindehaltung beenden. Denn eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch offenkundig: Die Verbraucherinnen und Verbraucher – das muss man auch mal so sehen – wollen kein Fleisch mehr von Tieren konsumieren, die ihr Leben lang angebunden waren, wenn klar ist, dass das auch anders geht. Und es geht anders. ({3}) Ein weiteres trauriges Kapitel im Tierschutz sind die Lebendtiertransporte. Wenn schon tagelange Lkw-Transporte in Drittstaaten sein müssen, dann nur auf Routen mit tierschutzgerechten Versorgungseinrichtungen und intensiven Kontrollen. Unser Ziel ist es aber, Lebendtransporte von Zuchttieren so bald wie möglich durch den Transfer von Zuchtsperma, befruchteten Eiern oder Embryonen zu ersetzen. Jetzt komme ich zu einem Thema, das viele Verbraucherinnen und Verbraucher bewegt, nämlich der anonyme Heimtierhandel im Netz. Den werden wir verbieten und eine verpflichtende Identitätsprüfung einführen sowie die Kennzeichnung und Registrierung von Hunden. ({4}) Ein letzter Punkt. Wir sind uns einig, dass Tierversuche Alternativen brauchen. Die gibt es auch. Wir wollen dazu mehr Forschung und Anwendung von Ersatzmethoden statt qualvolle Tierversuche. Dieser Auftrag wurde uns auch von unseren jungen Wählerinnen und Wählern ganz eindeutig mitgegeben. Es gibt Möglichkeiten, diesen umzusetzen, und das sollten wir auch tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss und bin zuversichtlich, dass wir in der Ampel im Tierschutz neue Maßstäbe setzen werden. Das jedenfalls ist mein Anspruch. Der Tierschutz braucht deutlich mehr Tatkraft. Packen wir es an! Ich freue mich darauf. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie alle, und wir fahren natürlich gleich fort in der Debatte mit dem Abgeordneten Frank Rinck für die AfD-Fraktion. ({0})

Frank Rinck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005189, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kollegen! „Landwirtschafts- und Ernährungspolitik im Aufbruch“ lautet der Titel des heutigen Antrags der Regierung. Dieses Papier liest sich jedoch eher wie ein Abbruchprogramm für die deutsche Landwirtschaft: keine konkreten Ideen, keine zukunftstauglichen Innovationen. Leider, werte Kollegen, strotzt Ihr Antrag nur so vor ökodiktatorischer Ideologie. ({0}) 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 wollen Sie erreichen. Das wirkt sich natürlich negativ auf die Versorgung der Menschen in Deutschland aus. Auffangen wollen Sie das mit Importen aus Ländern, die geringere oder zumindest andere Standards haben als unsere heimischen Bauern. Dazu aber kein Wort. ({1}) – Natürlich steht das da drin. – Das Bundesamt für Statistik hat ohnehin schon im Jahr 2021 festgestellt: Bis zum Jahre 2030 werden 50 Prozent aller landwirtschaftlichen Familienbetriebe aufgegeben haben. – Das beschleunigen Sie jetzt natürlich umso mehr. ({2}) Sie sollten als Erstes hinterfragen, ob die Landwirte, die uns alle mit Lebensmitteln versorgen, überhaupt ökologisch wirtschaften wollen, werte Kollegen. Ich denke, sie wollen das nicht. ({3}) Keine Idee zur Düngeverordnung, kein Wort zu den sogenannten roten Gebieten. Auch hier ist wieder mit staatlicher Regulierung zum Nachteil der Landwirte verfahren worden. Tier- und klimagerechte Landwirtschaft ist das, wovon Sie schreiben und wovon Sie träumen, ohne auch nur eine Sekunde über die Bedürfnisse oder Sorgen der Landwirte nachzudenken. Sie möchten Stallumbauten oder Stallneubauten. Diese müssten sich dann aber auch rentieren, und man müsste den Landwirten auch erst einmal wieder eine Planungssicherheit geben. Das erste richtige Signal, das Sie in dieser Legislatur an die Landwirte hätten richten können, wäre eine Hilfe und eine Unterstützung bei den Energie- und Düngekosten gewesen. Aber auch diesbezüglich haben Sie nichts getan. Eben haben wir etwas zum Tierwohl und zum tiergerechten Umgang gehört. Meine Damen und Herren, da frage ich Sie: Warum steht in dem Papier denn nichts zur Weidetierhaltung, gerade in puncto Wolf, genau zu diesen Problemen? Wir haben heute einen Antrag eingebracht. Leider wollten Sie nicht darüber debattieren. Dort hätten wir uns eingängig mit den Problemen des Wolfs beschäftigen können, und wir hätten auch deutlich machen können, dass Ihr grün-rot-gelbes Bündnis voller Widersprüche und falscher Kompromisse steckt. Meine Damen und Herren, nach nicht einmal 100 Tagen Ihrer desaströsen Politik ist jetzt schon zu erkennen, dass Sie die deutsche Landwirtschaft in den Ruin treiben. Die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und die Sicherheit der Landwirte und ihrer Höfe sollte für Sie oberste Priorität haben, nicht Ihre ökodiktatorische Ideologie. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege. Das war eine Punktlandung. ({0}) – In der Zeit; alles andere bewerte ich nicht. Als nächster Redner bekommt für die FDP-Fraktion Dr. Gero Clemens Hocker das Wort. ({1})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe gerne zu, dass ich einigermaßen erstaunt bin von der Breitbeinigkeit – wenn ich das so sagen darf –, mit der die Union gerade – nicht nur heute, sondern auch in den letzten Tagen und Wochen – in der Landwirtschaftspolitik auftritt. Ich will das gern noch mal dem einen oder anderen ins Gedächtnis rufen, weil das vielleicht vergessen worden ist. ({0}) In den letzten 16 Jahren wurde die Spitze des Landwirtschaftsministeriums ohne Unterbrechung von Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU gestellt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und ich will Ihnen das ganz deutlich sagen: Während dieser Zeit wurde es quasi hingenommen, dass es immer mehr nationalstaatliche Alleingänge gibt, wodurch sich die Produktionsstandards in Deutschland und die im europäischen Binnenmarkt schlichtweg immer weiter auseinanderbewegt haben. Während dieser Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist dem Verbraucher vermittelt worden, es sei quasi legitim, immer höhere Standards zu fordern, während er gleichzeitig aber nicht bereit sein müsse, für diese Standards tatsächlich auch einen angemessenen Preis zu bezahlen. Sie haben in den letzten Jahren die Fachlichkeit vermissen lassen, und auch die Fraktion ist da nicht ganz untätig gewesen. Sie haben Positionspapiere geschrieben, Sie haben Briefe geschrieben, haben Bauernmilliarden verabschiedet; aber für die Landwirtschaft in Deutschland haben Sie während der letzten 16 Jahre verdammt wenig bewegt. Deswegen ist das eine peinliche Farce, wenn Sie meinen, heute von Wertschätzung sprechen zu können. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich gerne. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hocker, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Ich habe nur eine ganz kurze Frage: Haben Sie inzwischen mitbekommen, dass auch Sie Mitglied der Bundesregierung sind und dass wir einen Regierungswechsel hatten?

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Stegemann, da Sie ja schon länger Mitglied dieses Hohen Hauses sind, hätte ich erwartet, dass Sie wissen, dass ich nicht Mitglied der Bundesregierung bin, sondern Parlamentarier und Mitglied meiner Fraktion. ({0}) Natürlich trägt diese Fraktion die Bundesregierung; aber an den rein politischen Fachlichkeiten müssen Sie noch ein bisschen üben. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich will den Vergleich – weil ich eben von 16 Jahren gesprochen habe – nur noch mal ganz ausdrücklich machen: Diese Bundesregierung ist seit gerade mal zwei Monaten im Amt, und man hat sich dort bereits auf die Fahnen geschrieben, die größten Versäumnisse der letzten 16 Jahre anzugehen, und das ist richtig, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir wollen den Verbraucher endlich in die Pflicht nehmen, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen, damit er sich nicht immer nur aus der Verantwortung stehlen kann, ({2}) er wüsste ja nicht, wie das Lebensmittel erzeugt ist und woher es stammt. Deswegen ist eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung richtig. Das haben Sie 16 Jahre lang nicht vorangebracht, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union. ({3}) Und wir wollen Ordnungsrecht nicht nur nationalstaatlich, sondern im europäischen Kontext verstehen und umsetzen, damit eben das Auseinanderdriften von Produktionsstandards nicht noch zusätzlich verschärft wird, damit der Landwirt in Deutschland tatsächlich wieder faire Wettbewerbsbedingungen vorfinden kann. Auch da haben Sie 16 Jahre lang einfach die Dinge laufen lassen, und das ist falsch, meine Damen und Herren. ({4}) Wir müssen und wir werden in den nächsten 4 Jahren in dieser Koalition mehr erreichen als Sie in den letzten 16 Jahren. ({5}) Wir werden mit einer massiven Unterstützungskampagne beginnen, die den Verbraucher in die Pflicht nimmt, mit seiner Konsumentscheidung tatsächlich auch Verantwortung zu übernehmen. Wir werden dafür streiten, dass es verlässliche Rahmenbedingungen gibt; denn es kann doch nicht sein, dass viel privates Kapital auch in der Landwirtschaft nur darauf wartet, investiert werden zu können, aber aus nur einem einfachen Grund zurückgehalten wird: weil der Landwirt nicht die Gewähr hat, dass er tatsächlich davon ausgehen kann, dass bestimmte Bedingungen auch mal über einen kritischen Zeitraum hinaus gültig sind und nicht wieder nach wenigen Monaten verschärft werden. Daran werden wir gemessen, und daran werden wir arbeiten. Wir werden das Genehmigungsrecht und das Baurecht endlich entschlacken, weil es doch nicht sein kann, dass Landwirte investieren möchten, sie es aber nicht können, weil sie gar keine Genehmigung bekommen können. Das ist doch irrsinnig, und das ist das Ergebnis von Ihren 16 Jahren, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Wir werden in deutlich kürzerer Zeit mehr für die Landwirtschaft erreichen als Sie in den vergangenen 16 Jahren, und zwar nicht, weil sich da irgendjemand beweisen will, sondern weil die Landwirtschaft nicht noch einmal 16 Jahre Zeit hat, auf die Politik zu warten. ({7}) Landwirtschaft hat nicht 16 Jahre Zeit, sie hat nicht mehr 12 Jahre Zeit, sie hat nicht 10 oder 5 Jahre Zeit. Vielen Betrieben in Deutschland steht das Wasser bis zum Hals, und wir werden dafür sorgen, dass sie auch in Deutschland wieder eine Perspektive bekommen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ampelkoalition legt nun noch einmal vor, woran sie sich in der Agrarpolitik messen lassen will, und die Messlatte liegt hoch – das haben wir gerade gehört –, genau wie die Erwartungen an den sozial-ökologischen Umbau. Die Linke ist sehr dafür, dass eine tiefgreifende Veränderung in der Agrarpolitik stattfindet: Neuausrichtung in Landwirtschaft und Ernährung für mehr Umwelt-, Tier- und Klimaschutz im Einklang mit den Interessen der Landwirtinnen und Landwirte, das klingt vielversprechend und ist dringend nötig. ({0}) Eine Landfrau aus dem Münsterland beschrieb am Sonnabend auf der Bäuerinnentagung die Situation ihres Betriebes als „schachmatt“. Forderungen sind gut, aber die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen lassen die Erfüllung einfach nicht zu. Also packen Sie es an, dringend! ({1}) Und dann ist da noch die finanzielle Umsetzung; denn den geforderten Umbau gibt es nicht für lau. Die Einschränkung Ihres Antrages „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ friert förmlich die Erwartungen ein. ({2}) Meine Damen und Herren in der Regierung, Sie müssen für eine sozial-ökologische Strukturförderung schon Geld in die Hand nehmen. Eine Förderung des Ökolandbaus bedarf einer ordentlichen finanziellen Unterstützung; denn sonst ist Ihr Ziel, 30 Prozent Ökolandbau zu erreichen, bis 2030 nicht zu realisieren. In den 15 Punkten Ihres Antrages fehlt uns einiges: Eine Honorierung sozialer Leistungen bleibt anscheinend außen vor. Aber der Erhalt und die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeits- und Ausbildungsplätze in der Landwirtschaft müssen einen Wert haben. ({3}) Der alleinige Fokus auf die Honorierung von Klima- und Umweltleistungen ist mir zu einseitig. Die Ernährungsstrategie darf sich nicht nur auf die Gemeinschaftsverpflegung beschränken. Haushalte mit geringem Einkommen müssen sich eine gesunde Ernährung leisten können, und auch das muss durchfinanziert werden. ({4}) Weitere Leerstellen, nur punktuell: eine gerechte Bodenpolitik, der Erhalt landwirtschaftlicher Nutzflächen, die Entflechtung der Marktmacht in der Verarbeitung und Vermarktung sowie die Schaffung und Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe. – Dieser Antrag ist daher für die Die Linke nur ein allererster Schritt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin Latendorf.

Johannes Schätzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005204, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dieser Antrag bildet nicht nur die Grundlage für unser gemeinsames Handeln in den Politikfeldern Ernährung und Landwirtschaft, nein, dieser Antrag stellt einen Aufbruch dar. Genau aus diesem Grund fühle ich mich sehr geehrt, dass ich hier – genau an diesem Ort, an dem wir vor einigen Stunden Frau Inge Auerbacher mit einer Rede gehört haben, die ich ganz persönlich als eine der bewegendsten Reden einstufen würde, die ich je gehört habe – zu diesem richtungsweisenden Antrag jetzt sprechen darf. Ja, er markiert einen Aufbruch, raus aus altgedienten Strukturen, ein Aufbrechen in eine neue Zeit, ja, ein Aufbrechen in eine neue Denkweise von Landwirtschaft. Wir werden Landwirtschaft und Ernährung endlich zusammen als Einheit denken. ({0}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zu diesem Umdenken gibt es keine Alternativen. Und natürlich – das ist die absolute Grundvoraussetzung – schaffen wir das nur gemeinsam mit unseren Landwirtinnen und Landwirten; dafür brauchen wir deren Unterstützung und Vertrauen. Genau aus diesem Grund stehen wir hier, und dafür werben wir. Ich habe volles Verständnis für eine gewisse Skepsis. Wir alle wissen: Das einzig Beständige ist der Wandel. Aber genau in diesen Wandel hinein machen wir ein Angebot. Wir schaffen Planungssicherheit. ({1}) Dabei greife ich drei konkrete Punkte auf: Agrarpolitik, Ernährung und Digitalisierung. Auch diese Punkte können wir nur gemeinsam denken. Ökologische Landwirtschaft ist Umweltschutz. Sie schützt das Klima, sie schützt unsere Böden, sie schützt unser Trinkwasser, und sie schützt so vieles mehr, und genau aus diesem Grund, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, haben wir uns ein verbindliches Ziel gesetzt: Wir wollen 30 Prozent ökologische Landwirtschaft bis 2030, und wir werden dabei unsere Betriebe nicht alleine lassen. Wir stärken das Bundesprogramm Ökolandbau, wir stärken Alternativen zu konventionellen Pflanzenschutzmitteln, und wir stellen das nötige Geld für die Forschung zur Verfügung. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist ein Aufbruch. ({2}) Sprechen wir über die Ernährung, so sprechen wir über einen der zentralen Punkte, wenn wir an ein gesundes Leben denken. Jede und jeder sollte Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln haben. Genau hier brauchen wir den Ausgleich: zum einen bezahlbare hochwertige Lebensmittel, zum anderen eine faire Vergütung für unsere Landwirtschaft. Genau aus diesem Grund ist die Ernährung eine hochsoziale Frage. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir brauchen ein gemeinsames Verständnis für gute Lebensmittel, eine nachhaltige Ernährungsstrategie, wir brauchen adäquate Standards in unseren Gemeinschaftsunterkünften und Schulen, wir brauchen einen fairen Wettbewerb mit fairen Preisen auf dem Lebensmittelmarkt, eine hohe Regionalität vor Ort, und das brauchen wir für unsere Landwirtinnen und Landwirte genauso wie für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher. ({3}) Dieser notwendige Aufbruch stellt uns vor Herausforderungen. Ein wichtiger Baustein, um diese Herausforderungen zu bewältigen – das ist mir als Informatiker ein großes Anliegen –, ist der digitale Aufbruch, auch und gerade in der Landwirtschaft. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir digitalisieren die Landwirtschaft nicht um der Digitalisierung willen. Vereinfachte Abläufe, gesteigerte Erträge, verbesserte Effizienz: Digitale Abläufe sind längst in der Landwirtschaft angekommen. Was wir brauchen, ist eine geklärte Finanzierung. Wir brauchen verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen, eine öffentliche Datenplattform mit Zugriff auf staatliche Daten und Dienste. Wir müssen jetzt handeln, unsere Landwirtinnen und Landwirte dabei unterstützen, und am Ende – das wissen wir alle – profitieren wir alle davon durch höhere Erträge, nachhaltigere Lebensmittel, bessere Böden und eine gesündere Bevölkerung. ({4}) Meine Kolleginnen, meine Kollegen, wir brauchen ein modernes Land zusammen mit einer modernen Landwirtschaft und dabei gerade doch 5 G an jeder Milchkanne. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Sie bitte selbst darauf achten, ob die Mund-Nasen-Maske auch über der Nase sitzt; das wäre prima. Für die letzte Rede in dieser Debatte bekommt nun Dr. Oliver Vogt gleichwohl zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag das Wort. Bitte schön. ({0})

Dr. Oliver Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005244, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung gefällt sich sehr darin, große Worte zu finden. „Mehr Fortschritt wagen“ heißt es in Ihrem Koalitionsvertrag, und heute fordern Sie nichts weniger als einen Aufbruch in der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik. Das klingt auf den ersten Blick ja ganz schön. Doch wenn man den Antrag einer näheren Betrachtung unterzieht, dann stellt man fest, dass Ihre Forderungen doch ziemlich dünn und durch wenig konkrete Maßnahmen unterlegt sind. Mehr noch: Sie gehen leider an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen, der Landwirte und Landwirtinnen, vorbei. ({0}) Ich denke dabei an die Viehhalter, die ihre Ställe modernisieren und freiwillig in Tierwohl investieren möchten, beim Baurecht aber an ihre Grenzen stoßen. Und da waren es ausgerechnet Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die in den vergangenen Jahren hier immer auf der Bremse gestanden haben. ({1}) Ich denke an die Ackerbauern, die dank des von der Ampel forcierten Verbots von Glyphosat ({2}) – das steht ja auch in Ihrem Antrag – in den kommenden Jahren die Bodenbearbeitung und damit den Eingriff in die Biodiversität des Bodens entscheidend intensivieren müssen, wenn sie annähernd gleiche Erträge erzielen möchten. Unsere europäischen Partner gehen dieses Thema pragmatischer an und schaffen derzeit mit Herbizidausnahmen für die Direktsaat und Neonikotinoidausnahmen beim Rübenanbau entsprechende Alternativen. Solche Ausnahmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Biodiversität und Wirtschaftlichkeit zusammenbringen, wären ein echter Aufbruch für unsere Landwirtschaft. ({3}) Liebe Frau Künast, weil Sie gerade so laut gebrüllt haben: ({4}) Diese Themen würde ich mir auch in Ihrem Antrag wünschen. Anstelle von Aufbruch fassen Sie aber lediglich die Kernvorhaben Ihres Koalitionsvertrags zusammen; darauf hat mein Kollege Färber schon hingewiesen. ({5}) Ich kann es aktuell auch keinem Landwirt verdenken, wenn er sich Sorgen macht, egal wo er wohnt, was er anbaut und welche Tiere er hält. Denn die Situation auf den deutschen Höfen ist ernst, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Realität in Deutschland. ({6}) Was die Rednerinnen und Redner der Koalition aber heute von sich gegeben haben, das grenzt teilweise schon ein bisschen an Verweigerung ebendieser Realität. ({7}) Ich kann es Ihnen, Herr Dr. Hocker, leider nicht ersparen – Sie waren gerade wieder sehr wortreich unterwegs –, mich gerade noch mal an die Kolleginnen und Kollegen der FDP zu wenden. Sie haben die Große Koalition, insbesondere in den vergangenen vier Jahren, bei der Landwirtschaft wirklich nicht geschont, oft Kritik geübt, vieles kritisiert und sich vor allem bei den Landwirten mit teils markigen Worten beliebt gemacht. Jetzt, wo Sie in der Regierungsverantwortung sind, scheinen Sie all das vergessen zu haben. ({8}) Anstelle von Fortschritt und Aufbruch finden sich in Ihrem Koalitionsvertrag zur Landwirtschaft lediglich rot-grüne Ideologien. Von der FDP-Handschrift, lieber Herr Dr. Hocker, ist da leider nichts erkennbar. Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit Aufbruch für die Landwirtschaft, dann lassen Sie uns doch mal über Punkte sprechen wie Digitalisierung, neue Züchtungsmethoden, Grüne Gentechnik, moderne Vermarktungsstrategien und die Umsetzung der Ergebnisse der Borchert-Kommission. Doch davon findet sich in Ihrem Antrag leider nicht viel. Stattdessen lese ich wieder viel von Verboten und Hürden. Ihr Ziel, für einen Aufbruch zu sorgen, ist ja aller Ehren wert. Aber fangen Sie doch erst einmal bei den aktuell drängenden Problemen an: bei unseren Geflügel- und Schweinemästern zum Beispiel, die zurzeit mit jedem verkauften Tier Verlust machen, bei der Stärkung unserer Familienbetriebe gegenüber dem Einzelhandel und bei so vielen anderen weiteren Herausforderungen. Ich könnte die Liste hier unendlich lang fortsetzen. Für uns als Union lassen Ihre Ideen in der Agrarpolitik derzeit keinen Aufbruch erahnen, sondern das Ende der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland. ({9}) Ich appelliere deshalb an Sie aus der Koalition: Besinnen Sie sich bitte auf das, was die Landwirte wirklich brauchen, nämlich erstens Wertschätzung und zweitens Planungssicherheit, und lassen Sie dem auch entsprechend Taten folgen. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt es in der jetzigen Situation an. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Vogt. – Ich schließe die Aussprache.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon vor über einem Jahr hat die Bundesregierung für 400 Millionen Euro Antikörpermedikamente gekauft, die schwere Verläufe bei Corona verhindern können. Obwohl diese Medikamente nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn man sie kurz nach der Infektion nimmt, erhalten viele sie erst viel zu spät, wenn sie schon schwer erkrankt sind und ins Krankenhaus kommen. Bis heute werden sie Menschen verwehrt, die geimpft sind und keiner Risikogruppe angehören, diese aber verlangen. Das ist ein riesiger Skandal. Denn geimpft wird an nahezu jeder Straßenecke; aber Betroffenen werden wirksame Medikamente verwehrt. ({0}) Gäbe es einen Test, der ab dem ersten Tag der Infektion die Schwere des Verlaufs einer Coronainfektion prognostizieren könnte, könnte man die Medikamente zielgerichtet einsetzen. Schwere Verläufe und Todesfälle könnten so im Vorfeld verhindert werden. Sämtliche Maßnahmen wie 2 G, die Spaltung der Gesellschaft durch die Impfpflicht, die massiven Grundrechtseinschränkungen, all das würde seine Grundlage mit solch einem Test verlieren. Selbst die Ängstlichsten könnten zur Normalität zurückkehren; denn Corona hätte seinen Schrecken verloren. Das klingt wunderbar. ({1}) Und es kommt noch besser: Solch einen Test gibt es. Die Proteomanalyse kann mittels Urintest die Schwere des Verlaufs einer Coronainfektion ab dem ersten Tag der Infektion vorhersagen. Seit über einem Jahr ist solch ein Test in Deutschland bereits zugelassen. Seit über einem Jahr könnte er eingesetzt werden, und mit der Nutzung des Tests und der Medikamente könnte Corona beendet werden. Wir könnten schon seit über einem Jahr wieder in Normalität leben. ({2}) Die Bundesregierung weiß das. Sie hat die Entwicklung dieses Tests in Auftrag gegeben und die ganzen Studien zu diesem Test finanziert. Trotzdem hat sie sich bewusst gegen den Einsatz des Tests entschieden. Anstatt alles zu unternehmen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und Corona zu beenden, hieß es immer nur: Impfen, impfen, impfen! Dabei beweist Bremen als Bundesland mit der höchsten Impfquote und zugleich der höchsten Hospitalisierungsinzidenz, dass die Impfung kein Weg aus Corona ist. ({3}) Zahllose Menschen mussten einen schweren Verlauf erleiden, weil die Bundesregierung bis heute bewusst auf den Einsatz des Tests verzichtet. Ihre Politik kostet Menschenleben. ({4}) Es ist unfassbar, dass man solch einen Gamechanger nicht einsetzt, nur weil er nicht ins Impfkonzept passt. Es wird allerhöchste Zeit, dass sich das ändert. ({5}) Jedem Bürger, der sich infiziert, sollte solch ein Test angeboten werden, und Medikamente sollten flächendeckend zur Verfügung gestellt werden. Verhindern wir die schweren Verläufe, bevor sie entstehen! Das ist sinnvoller und weit milder, als alle paar Monate 100 Prozent der Bevölkerung zu impfen. ({6}) Statt wirksam die Gesundheit der Menschen zu schützen, wurde mit willkürlichen Maßnahmen Chaos gestiftet. Letzte Sitzungswoche haben Sie alle gegen die Stimmen der AfD eine Website dazu ermächtigt, über elementare Freiheitsrechte der Menschen zu entscheiden. Über Nacht wurde der Genesenenstatus auf drei Monate verkürzt und mit Johnson & Johnson Geimpften der Geimpftenstatus aberkannt. Über Nacht verloren Millionen Menschen in Deutschland elementare Freiheitsrechte. Väter durften nicht mehr bei der Geburt des Kindes dabei sein, Arbeitnehmer an 2-G-Arbeitsplätzen plötzlich nicht mehr arbeiten. So geht es nicht! ({7}) Meine Damen und Herren, setzen wir Tests und Medikamente ein, kehren wir wie Spanien, Schweden, Dänemark und Großbritannien zurück zum normalen Leben, und sorgen wir dafür, dass nie wieder eine Website über die Bürgerrechte von Millionen Menschen in Deutschland entscheidet! ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als nächster Redner in dieser Debatte erhält das Wort Matthias David Mieves für die SPD-Fraktion. Es ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Matthias David Mieves (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005154, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Wir haben hier einen Antrag vorliegen, der sich in eine ganze Kette von Aktivitäten einreiht, die rein gar nichts dazu beitragen, dass wir Probleme in Deutschland lösen. ({0}) Ganz im Gegenteil: Sie tragen dazu bei, dass Fake News verbreitet werden, dass mehr Menschen in Deutschland erkranken und dass wir länger in dieser Pandemie feststecken, als es sein müsste. Das ist der reinste Unsinn, und deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. ({1}) Ich versuche aber immer, selbst im Schlechten noch etwas Gutes zu finden. Deshalb nutze ich die Gelegenheit, unser Augenmerk auf drei Erfolgsfaktoren zu legen, die dabei helfen, gut durch die Krise zu kommen. Diese drei Erfolgsfaktoren sind erstens das Lernen, zweitens Dinge leichter machen und drittens Mitgefühl. Starten wir mit dem Lernen. Ich höre oft die Forderung: Wir brauchen endlich einen klaren Kurs durch die Krise. – Aber dieser klare Kurs wird oft mit einem starren Kurs verwechselt. Ein starrer Kurs würde bedeuten, dass wir alte Maßnahmen beibehalten, obwohl sich die Lage schon wieder komplett verändert hat. Das macht keinen Sinn; das ist hochgefährlich. Deshalb brauchen wir die Wissenschaft. Stand heute wissen wir immer noch ganz viele Dinge überhaupt nicht. Deshalb brauchen wir jederzeit die neuesten Erkenntnisse, um unser Handeln immer wieder zu hinterfragen, immer wieder neu auszurichten. Das ist superanstrengend, weil es uns dazu bringt, den Kurs immer wieder zu korrigieren und neu auszurichten, aber es ist notwendig, wenn wir immer zielgerichtet und passgenau reagieren möchten. ({2}) Deshalb brauchen wir keinen starren Kurs, sondern permanentes Lernen. Zweitens. Wir müssen Dinge leichter machen, und zwar für die Menschen, die jeden Tag für uns alle arbeiten. Dazu gehören viele Menschen, die in der Pflege arbeiten, die bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, aber auch eine Entlastung von Bürokratie brauchen. Es geht immer noch sehr viel Arbeitszeit drauf, um zu dokumentieren, um bürokratische Vorgaben zu erfüllen. Das müssen wir zurückschneiden. Und wir müssen digitalisieren. Überall dort, wo es geht, Prozesse zu automatisieren, zu digitalisieren, um Menschen ihr Leben leichter zu machen, müssen wir das tun. ({3}) Dinge leichter machen bedeutet aber auch, dass wir uns die Gesundheitsämter anschauen müssen. Die Teams dort brauchen natürlich verlässlich genug Geld und Womanpower. ({4}) Sie brauchen aber auch funktionierende Software, und zwar Software, die gut mit anderen Systemen zusammenarbeitet, die gute Schnittstellen hat und am Ende nicht Arbeit macht, sondern Arbeit spart und es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leichter macht. ({5}) Dinge leichter machen bedeutet, dass wir den Rückstand, den wir in den letzten Jahren bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen an vielen Stellen aufgebaut haben, abbauen. Das ist eine harte Nuss; das wird nicht einfach werden. Aber ich sage Ihnen: Wir nehmen uns dieser Herausforderung an, und wir machen das Schritt für Schritt. ({6}) Drittens. Wir brauchen Mitgefühl – ja, genau. Das hört sich vielleicht kitschig an. Aber was meine ich damit? Ich meine damit zuerst, dass wir alle einen Schritt zurücktreten sollten, zurücktreten hinter die eigenen Interessen, ({7}) um einen neuen Blickwinkel einzunehmen, uns in andere hineinzuversetzen und Sorgen und Ängste zu verstehen, ({8}) und zwar von Menschen, die sich davor fürchten, krank zu werden, ins Krankenhaus zu müssen und zu sterben. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen. Wir müssen auch mitfühlen mit den vielen Schülerinnen und Schülern und den Lehrerinnen und Lehrern, die seit fast zwei Jahren einiges mitmachen, um bei der Bildung nicht zurückzufallen. ({9}) Wir müssen mitfühlen mit denen, die jeden Tag arbeiten gehen und nicht im Homeoffice bleiben können, die für uns Lkw fahren und die Regale einräumen. Auch die müssen wir im Blick haben. Das zeigt uns, wie wichtig Mitgefühl ist, und vor allem, was die Aufgabe dieses Hauses ist. Die ist es nämlich nicht, egoistische Eigeninteressen durchzuboxen, ({10}) sondern immer die gesamte Breite der Gesellschaft im Blick zu haben und einen Weg für alle zu finden. Der Dreiklang aus Lernen, Dinge leichter machen und Mitgefühl drückt eine Haltung aus, eine Haltung, mit der diese Mannschaft durch die Krise gehen will und die uns am Ende in der Krise hilft und uns stärker macht – stärker als offene, fortschrittliche und vor allem herzliche Gesellschaft. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Mieves. – Als Nächste erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Simone Borchardt. Es ist ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vom 14. Januar wurde es ermöglicht, Maßnahmen zu erlassen, welche den Genesenenstatus über Nacht von sechs auf drei Monate verkürzen. Auch wurde der Impfstatus von Bürgerinnen und Bürgern, die mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft wurden, von einem Tag auf den anderen so verändert, dass sie nun als ungeimpft gelten. Ohne jegliche Information und Diskussion ist diese Veränderung eingeführt worden. Nicht mal der Gesundheitsausschuss wurde darüber informiert. Das ist eine Missachtung der parlamentarischen Gremien. ({0}) Quasi über Nacht wurden im Eilverfahren Gesetze verändert, die vor allem nicht nur in unserem Land, sondern auch in der EU keinerlei Zustimmung finden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz im Gegenteil: Am vergangenen Dienstag haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union darauf verständigt, dass der Genesenenstatus sechs Monate gültig sein soll. Wie kann nun die Tatsache erklärt werden, dass in der EU der Genesenenstatus sechs Monate beträgt und in Deutschland drei Monate, und das mit den Stimmen der deutschen Abgeordneten? ({1}) All das wirft Fragen auf, auf die wir Antworten verlangen. Deutschlands Regelungen führen mittlerweile auch in anderen Staaten zu Kopfschütteln. Deshalb richte ich klare Worte an die Kolleginnen und Kollegen der Ampel: Die Umsetzung dieser Verordnung auf diese Art und Weise durchzudrücken, ist absolut inakzeptabel. Das ist keine bürgernahe Politik. ({2}) Den Bürgerinnen und Bürgern, die davon betroffen sind, muss im Rahmen dieser Veränderung ein Handlungsspielraum angeboten werden, und Übergangsfristen für die neuen Regelungen sind dringend geboten. Hier muss nachgearbeitet werden, liebe Regierung. ({3}) Absolut unverständlich in diesem Zusammenhang ist die geltende Regelung für uns Bundestagsabgeordnete. Hier gilt der Genesenenstatus von sechs Monaten. Hält bei uns die Immunantwort länger an? ({4}) Hier einen Sonderstatus einzuräumen, ist skandalös und führt zu noch weniger Akzeptanz der Politik in der Bevölkerung. Die Bürger haben ein Recht auf vernünftige Kommunikation; sonst verlieren wir an Glaubwürdigkeit. ({5}) Schauen wir uns die zahlreichen Medienauftritte von unserem Gesundheitsminister Herrn Lauterbach an, dann wird ganz deutlich, dass genug Zeit ist, mit uns ins Gespräch zu kommen. Aber er nutzt die Zeit eher, um mit den Medien ins Gespräch zu kommen. Auch das muss unbedingt korrigiert werden. ({6}) Sehr geehrter Herr Minister, wenn Sie in Zukunft gedenken, sinnvolle Veränderungen anzustoßen, haben Sie uns an Ihrer Seite. Aber es wäre wirklich hilfreich, die Prozesse zu Ende zu denken und die Mitglieder des Gesundheitsausschusses bei diesen Entscheidungen einzubeziehen. ({7}) Die CDU/CSU-Fraktion wird trotz alledem diesem Antrag nicht zustimmen; denn die Rücknahme der Regelung ist für uns nicht zielführend. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern schlecht erklären: Das war alles nur ein Spaß; wir machen jetzt eine Rolle rückwärts. – Wir müssten uns dann nicht wundern, dass die Menschen den Glauben an die Politik verlieren. ({8}) Sehr geehrter Herr Minister, es wäre sehr schön, wenn wir wieder mehr Wissenschaft zuließen und weniger Selbstdarstellung und Profilierung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ein so sauberes Pult hat heute noch keiner bekommen. Ich finde, wir können uns bei dieser Gelegenheit einmal bei den Saaldienern und Saaldienerinnen bedanken angesichts all dieser Sonderaufgaben, die auf sie zugekommen sind. Ganz herzlichen Dank! ({0}) Jetzt erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dr. Janosch Dahmen. ({1})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Redebeitrag aus der Union ist zur Versachlichung der Diskussion vielleicht etwas Aufklärung zum Prozess des Zustandekommens der Verordnung hilfreich. ({0}) Gemeinsam haben wir am 13. Januar dieses Jahres die Änderung der Corona-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in diesem Haus diskutiert und beschlossen. Im Bundesrat ist sie dann einstimmig von allen Ländern am 14. Januar beschlossen worden. Bis auf eine Fraktion waren also alle Parteien mindestens über die beteiligten Landesregierungen am Zustandekommen dieser Regelung und der Konstruktion der Regel beteiligt. ({1}) Tun Sie hier also nicht so, als wäre eine neue Regel plötzlich vom Himmel gefallen und hätte hier Einzug gehalten. Sie waren daran beteiligt. Die Änderung der Verordnung war notwendig geworden, weil sich Bund und Länder – auch die Union ist da ja vielfach beteiligt – auf dem vorangegangenen Bund-Länder-Treffen darauf verständigt hatten, dass eine evidenzgeleitete Politik schnell zur Anwendung gebracht werden soll. Das ist mit dieser Verordnung festgeschrieben worden. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt Auftrag, die Menschen zu schützen. Das entledigt uns aber nicht der Aufgabe, in der Kommunikation besser zu werden. ({3}) Ja, Änderungen gehören hinreichend erklärt und, soweit irgend möglich, auch rechtzeitig angekündigt. Aber eines muss klar sein: Medizinisch erforderliche Anpassungen zum Schutz von uns allen nicht vorzunehmen, weil diese wenig populär erscheinen, kann und darf nicht die Leitschnur von Politik sein. ({4}) Wir müssen die Menschen schützen, wenn nötig, auch sofort und direkt. Das haben wir im konkreten Fall getan. ({5}) Zum vorliegenden Antrag kann nur gesagt werden: Sie von der AfD fordern die Aufhebung der Verordnung und die Streichung sämtlicher Verweise auf die Bundesbehörden RKI und PEI. ({6}) Wer Wissenschaft leugnet, wer evidenzbasierte Politik ablehnt, wer populistische Parolen als wichtiger erachtet als eine verantwortungsvolle Politik ({7}) – da nützt auch kein Geschrei –, ({8}) der wird nicht nur den Stand der Wissenschaft in der Sache nicht kennen, ({9}) sondern auch kein Interesse am Schutz der Menschen und an einer besseren Gesundheitspolitik haben. ({10}) Deshalb bleibt es müßig, die AfD hier einmal mehr davon zu überzeugen, dass sie in der Sache irrt. ({11}) Richten wir unsere Konzentration und Anstrengung lieber auf eine bessere Kommunikation in der Sache, auf die Überzeugungsarbeit für wichtige Schutzregeln und vor allem für die Notwendigkeit und Wirksamkeit der vorhandenen Impfstoffe. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will die verbleibende Zeit nicht nutzen, um über einen Antrag fernab von Wissenschaft und Fakten zu sprechen. Vielmehr will ich in der Sache noch mal auf etwas hinweisen. Mich besorgt sehr, dass wir schwere Wochen vor uns haben. Es zeichnet sich ab, dass nunmehr nicht nur die Zahl der Neuinfektionen steigt. Seit einigen Tagen nehmen auch die Belegung in den Krankenhäusern und die Zahl der Neuaufnahmen in den Intensivstationen wieder zu. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Entwicklung in den kommenden Wochen anhält oder sich sogar noch verstärkt. Die offensichtlichen Ursachen für diese Entwicklung sind ein Virus, ({13}) das uns seit zwei Jahren in Atem hält, und eine zu niedrige Impfquote, um die wir uns kümmern müssen. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass wir gestern in diesem Hause eine sehr besonnene und gründliche Debatte darüber geführt haben, welche unterschiedlichen Freiheitsdimensionen im Kontext einer Impfpflicht zu betrachten sind und welche Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen sind. Ich bin davon überzeugt, dass eine Impfpflicht die beste Option ist, um schnell aus dieser Pandemie herauszufinden und zu verhindern, dass wir einen neuerlichen Pandemiewinter mit vielen Erkrankten oder gar Toten erleben.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege, erlauben Sie, bevor Sie den Schlusssatz machen, noch eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, danke. Ich glaube, das trägt zur Aufklärung in der Sache nicht bei. ({0}) In diesem Sinne danke ich Ihnen allen. Werben wir für die Impfung! Werben wir für Schutz! Werben wir für eine evidenz- und wissenschaftsbasierte Politik! ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hilse für eine Kurzintervention.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Wir haben gestern über die Impfpflicht gesprochen – Sie haben es gerade erwähnt –; das stimmt. Die Kanzlerin, der Sie 16 Jahre zugejubelt haben, hat immer wieder betont, vom Ende her zu denken. Jetzt möchte ich, dass Sie auch vom Ende her denken. Ein Kollege, den ich schätze und der zu diesen Ausnahmen gehört, ist Herr Gregor Gysi. Er hat in einer Talkshow angemerkt, dass es eine Beugehaft gebe, wenn man das Bußgeld nicht bezahlt. Das steht in § 96 Ordnungswidrigkeitengesetz; dort heißt es „Erzwingungshaft“. Und in § 96 Absatz 3 steht, dass sie bis zu drei Monate dauern kann. Jetzt frage ich Sie: Wenn Millionen nicht geimpft sind, wenn Millionen ein Bußgeld bekommen, wenn für Millionen eine Erzwingungshaft angeordnet wird, wo, bitte, möchten Sie diese Millionen unterbringen? Ich möchte, dass Sie bis zum Ende denken. Möchten Sie provisorische Haftanstalten oder Lager einrichten? Das ist keine Polemik. ({0}) Es ist einfach so, dass ich Sie daran erinnere, vom Ende her zu denken. Ich möchte an Ihr Gewissen appellieren, vom Ende her zu denken. Was möchten Sie mit den Millionen machen, für die eine Erzwingungshaft angeordnet wird? ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich glaube, die Frage ist angekommen. ({0}) Sie müssen aber gar nicht so laut schreien; wir hören Sie wirklich gut.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Entschuldigung, ich bin einfach emotional. Tut mir leid!

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege Dr. Dahmen, Sie wollen sicher antworten.

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich kann Ihnen nur erwidern: Ich glaube, es ist der Sache nicht angemessen, angesichts vieler Tausend Toter, die wir in diesem Land in den letzten zwei Jahren Pandemie zu beklagen haben, von der Tribüne aus schreiend falsche Fakten zu verbreiten. ({0}) Unser gemeinsamer Auftrag kann doch nur sein, für eine Impfung zu werben, die nachweislich schützt, die Leid und Tod verhindert. Der sehr ausgewogenen und besonnenen Debatte am gestrigen Tage will ich an dieser Stelle nichts hinzufügen. Ich will einfach nur an die demokratischen Fraktionen des Hauses den Appell richten, dass wir gemeinsam nach guten Lösungen suchen. Geschrei und Wissenschaftsleugnung helfen uns da sicherlich nicht weiter. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Dann fahren wir in der Debatte fort. Als Nächstes erhält das Wort für die Fraktion Die Linke Ates Gürpinar. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich merke, Sie können meinen Namen besser aussprechen als ich selbst. ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren! Vorweg: Wenn hier Leute nicht nur den Namen Gregor Gysi in den Mund nehmen, sondern auch verstehen würden, was er sagt, würden sie nicht da oben sitzen. ({1}) Der rechte Unsinn wird nicht immer gleich offensichtlich. Manchmal versteckt er sich. Manchmal wird er aber auch in Widersprüchen sehr sichtbar. Beispiel heute: der Antrag der AfD „Prognostik und Therapie – Der wirksame Weg gegen COVID-19“. Die AfD, die Impfungen auch mal als experimentelle Gentherapie bezeichnet, obwohl zigfache Forschung und milliardenfache Praxis dagegensprechen, hat nun in den Tiefen des Internets eine Seite gefunden, die ein Testverfahren erwähnt. ({2}) Die Internetseite ist nicht gänzlich aktuell, erhebt auch nicht den Anspruch darauf. Zum Beispiel findet sich unter „Aktuelles“ zu Corona noch der Hinweis, dass Menschen sich wohl nicht mehrfach mit dem Virus anstecken können. Aber darauf aufbauend will die AfD nicht abschließend auf ihre Sinnhaftigkeit geprüfte Tests sofort flächendeckend einsetzen als Basis für die Anwendung von Medikamenten, die natürlich auch Nebenwirkungen haben, die der AfD hier aber völlig egal sind. Die Tests derselben AfD, die, wenn es passt, pseudokritisch von „Big Pharma“ schwätzt und Ängste vor Impfnebenwirkungen schürt, kosten 850 Euro. ({3}) Bei 100 000 positiven Tests täglich – eher unteres Niveau bei Ihrer parallel geführten Durchseuchungsstrategie – wären das 85 Millionen Euro am Tag, im Monat über 2,5 Milliarden Euro. Sie reden von „Big Pharma“, Sie geben sich als Menschenretter. Was für ein Hohn! ({4}) Solange Sie Ängste schüren können, sind Ihnen Menschenleben und Nebenwirkungen völlig egal. Und manchmal merkt man eben auch, dass die AfD auch von der Pharmaindustrie Geldspenden bezieht und die Rechten sich nie gegen das Kapital stellen würden. ({5}) Wir hoffen, dass neue Testmöglichkeiten und Medikamente Teil einer Strategie gegen Covid werden, gemeinsam mit Impfung und Prävention, um Menschen zu retten, nicht um Ängste zu schüren. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende. – Sehr geehrte Damen und Herren, schauen Sie genauer hin: Manchmal steckt der braune Teufel eben im Detail! Danke schön. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt wird es ja doch noch ein bisschen lebhaft hier. – Ich lasse übrigens Zwischenfragen nur dann nicht zu, wenn die Redezeit schon abgelaufen ist; das nur als Erklärung. Als Nächstes erhält das Wort für die FDP-Fraktion die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich jetzt nicht hierherstellen und erklären, dass bei der Verkürzung des Genesenenstatus alles optimal gelaufen ist. Viele Genesene waren von der Entscheidung, den Status zu verkürzen, überrascht, und ja, die Kommunikation hätte besser sein müssen. ({0}) Die Fortschrittskoalition benennt das auch, meine Damen und Herren. Wir sorgen dafür, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Darauf können Sie sich verlassen. ({1}) Wir haben mit der Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung dafür gesorgt, dass Anpassungen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen. Frau Kollegin von der CDU, ich kann mich erinnern, dass Sie dem auch so zugestimmt haben. Anpassungen sind in Zeiten von Virusvarianten notwendig; denn nur so kann den dynamischen Geschehnissen der Pandemie Rechnung getragen werden. Das hat uns nicht zuletzt die Omikron-Variante sehr verdeutlicht. Aufgabe der Politik ist es doch, nach wissenschaftlichen Kriterien zu gewährleisten, wie lange ein Immunschutz vorhanden ist oder wie man zum Beispiel Quarantänezeiten verkürzen kann. Das Robert-Koch-Institut kam nach Auswertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Schluss, dass sich die Reinfektionszeiten der einzelnen Varianten unterscheiden. Bei Delta beträgt die Reinfektionszeit sechs Monate. Das heißt konkret, dass sich Personen, die sich mit dem Delta-Coronavirus infiziert haben, nach sechs Monaten wieder infizieren können. Durch die dynamische Entwicklung von Omikron als bei uns jetzt vorherrschender Variante musste die wissenschaftliche Einschätzung angepasst werden; denn bei Omikron legen die Studien nahe, dass die Reinfektionszeit im Gegensatz zur Reinfektionszeit bei Delta drei Monate beträgt.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, jetzt nicht. – Mit der Entscheidung, den Genesenenstatus zu verkürzen, hat das Robert-Koch-Institut allerdings für Irritationen gesorgt. Ich sage hier ganz deutlich: In Zukunft werden wir als Koalition dafür sorgen und darauf achten, dass wissenschaftliche Entscheidungen transparent, verständlich und auch rechtzeitig vermittelt werden, meine Damen und Herren. ({0}) Ja, die jetzigen Infektionszahlen erlauben kein Experimentieren. Das Vorgehen der Fortschrittskoalition orientiert sich mit der Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung an evidenzbasierten, wissenschaftlichen Kriterien. In dem vorliegenden Antrag wird so getan, als wenn irgendeine Stelle diese Entscheidung aus politischen Gründen getroffen hätte. Das ist natürlich absoluter Unsinn. Wissenschaft orientiert sich nicht an politischen Vorgaben. ({1}) Ein Satz zu Europa: Eine einheitliche Regelung innerhalb Europas ist selbstverständlich wünschenswert. Deswegen begrüße ich auch, dass das Bundesministerium für Gesundheit darauf hinwirkt, einen einheitlichen Genesenenstatus auf europäischer Ebene umzusetzen. Noch ein Punkt, den ich hier ganz klar ansprechen möchte: Es kann nicht sein, dass der Genesenenstatus für die Bevölkerung drei Monate beträgt und für den Deutschen Bundestag sechs Monate. Sonderregelungen für uns darf es nicht geben, meine Damen und Herren. ({2}) Ich möchte noch auf eine Frage eingehen, die mir in den letzten Tagen oft gestellt wurde: Was ist mit den Menschen, die den Genesenenstatus aufgrund der Verkürzung verlieren? Nun, die Betroffenen können mit nur einer einzigen Impfdosis ihren Impfschutz wiederherstellen. Sie gelten ab dem Tag ihrer Impfung als vollständig geimpft. Dass sie nur eine Impfdosis benötigen, beruht ebenfalls auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich bin dankbar, dass wir hier ausreichend Impfstoff und auch ausreichend Impftermine zur Verfügung haben. ({3}) Unser Ziel bleibt der Gesundheitsschutz der Bevölkerung, und zwar nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft. Dafür werden wir weiter arbeiten. Ganz herzlichen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Stephan Pilsinger. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor: Das Bundesverkehrsministerium entscheidet kurzfristig auf dem Verordnungswege, dass Führerscheine ab sofort nur noch drei Jahre gültig sind, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. ({0}) Personen, die ihren Führerschein vorher erworben haben, ({1}) müssen dann einen Auffrischungskurs machen, um die Fahrerlaubnis erneut zu erhalten. ({2}) Diese Entscheidung veröffentlicht das dem Bundesverkehrsministerium nachgeordnete Kraftfahrt-Bundesamt über Nacht als Aktualisierung ({3}) auf seiner Homepage, während das Bundesverkehrsministerium öffentlich schweigt. Millionen Autofahrer dürften am nächsten Tag nicht mehr ans Steuer. ({4}) Absurde Geschichte? So ähnlich verhält es sich leider in der Realität bei der kürzlich verfügten Verkürzung des Genesenenstatus ({5}) von bisher sechs auf nur noch drei Monate. ({6}) Über Nacht hat das dem Bundesgesundheitsministerium nachgeordnete Robert-Koch-Institut auf seiner Homepage bekannt gegeben, dass „das Datum der Abnahme des positiven Tests … höchstens 90 Tage zurückliegen“ darf, während „das Datum der Abnahme des positiven Tests … mindestens 28 Tage zurückliegen“ muss. Faktisch wurde der Genesenenstatus damit auf nur zwei Monate verkürzt. Millionen von Menschen in Deutschland, die vor mehr als drei Monaten infiziert gewesen waren, hatten von heute auf morgen das Problem, nicht mehr den 2-G-Regeln zu entsprechen und somit keinen Zutritt mehr zum Beispiel in den Einzelhandel oder in die Gastronomie zu haben. Und der sonst nicht gerade medienscheue Bundesgesundheitsminister schweigt dazu. Keine Pressekonferenz, keine Infos, nicht mal eine Verlautbarung bei Markus Lanz! ({7}) Meine Damen und Herren, das ist schlicht ein kommunikatives Desaster. ({8}) Bis heute bleibt uns Minister Lauterbach eine klare, stringente und wissenschaftsbasierte Erklärung schuldig, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Das wäre allerdings seine Aufgabe als verantwortliches Regierungsmitglied und nicht die Aufgabe der Wissenschaftler vom RKI oder vom Paul-Ehrlich-Institut, die nun mal kein politisches Mandat haben, sondern dem Ministerium fachlich zuarbeiten. Zwar liegen wissenschaftliche Erkenntnisse vor, wonach der Schutz von Genesenen nach 90 Tagen nachlässt; ({9}) diese Frist erscheint mir aber sehr knapp bemessen, zumal einige Nachbarländer deutlich davon abweichen. So gilt etwa in Österreich weiterhin ein Genesenenstatus von sechs Monaten, in der Schweiz sogar von 365 Tagen. Das geht mir einfach so nicht ein. ({10}) Jetzt haben sich die EU-Mitgliedstaaten darauf geeinigt, dass in der EU einheitlich gelten soll, dass Genesene eine sechsmonatige Reisefreiheit ohne Einschränkungen haben sollen. Deutschland meint, hier einen Sonderweg gehen zu müssen, stimmt der sechsmonatigen Reisefreiheit in Brüssel aber gleichzeitig zu. Das ist keine stringente Politik, Herr Minister. ({11}) Der Virologe Dr. Hendrik Streeck, auch im Expertenrat der Bundesregierung, sagte kürzlich sehr zutreffend: … wir müssen wirklich aufpassen, dass die Entscheidungen auf fundiertem Wissen basieren und nicht willkürlich getroffen werden. Recht hat er damit! Fundamental wichtig ist, dass unbequeme, aber notwendige Entscheidungen von den Verantwortungsträgern der Politik ordentlich erklärt werden. Das ist in diesem Fall überhaupt nicht geschehen. So geht das einfach nicht, Herr Minister. ({12}) Sehr geehrte Kollegen der AfD, wenn Sie jetzt meinen, deswegen stimmen wir als Union Ihrem Antrag zu, ({13}) dann irren Sie sich gewaltig. Es wäre fahrlässig und verantwortungslos, die gesamte Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung aufzuheben, wie Sie es wollen. ({14}) Sie stellen diesen Antrag aber nicht nur, weil Sie in weiten Teilen Ihrer Fraktion die Coronapandemie leugnen oder verharmlosen, ({15}) sondern auch ganz eigennützig, weil nämlich nicht wenige Ihrer ungeimpften, ({16}) aber genesenen Fraktionsmitglieder nun ihren Status verloren haben. Das ist sehr durchsichtig und bestimmt kein Grund, die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel zu setzen. Insofern lehnen wir Ihren Antrag klar ab. Lassen auch Sie sich endlich impfen, seien Sie einmal ein Vorbild für die Bevölkerung, ({17}) und hören Sie auf, Angst und Unwahrheiten über wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu verbreiten! ({18}) Vielen Dank. ({19})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit kommen wir zur letzten Rednerin in dieser Debatte, und das ist die Kollegin Tina Rudolph. Es ist ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Tina Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005195, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in einer entscheidenden Phase der Pandemie. Wir haben es heute in der Hand, mit jeder unserer Entscheidungen dafür zu sorgen, dass wir gut durch die aktuelle Pandemiewelle kommen und mittelfristig mit einer breiten Grundimmunisierung in eine endemische Lage übergehen. Nach wie vor gilt: Wir müssen die Infektionslage detailliert beobachten. Wir müssen weiterhin, so gut es geht, auf der Grundlage von fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen Entscheidungen treffen. ({0}) Das bedeutet, dass Vorgaben sich ändern können und manchmal schnell ändern müssen. Manchmal passiert das zu schnell, als dass es im Leben der Menschen gut ankommt. Ich verstehe alle, die gerade sagen, dass es schwer ist: schwer, da durchzusehen, und schwer, den Überblick zu behalten. Und trotzdem gilt: Wenn beispielsweise der Genesenenstatus verkürzt wird oder sich Einreisebestimmungen ändern, dann passiert das nicht, um jemandem absichtlich das Leben schwer zu machen. Das passiert, weil nach aktuellen Erkenntnissen der Immunschutz nach einer durchgemachten Delta-Infektion gegenüber der Omikron-Variante eben nicht ausreichend besteht. Hier ist es ein Unterschied, ob man darauf hinweist, dass die Kommunikation besser hätte laufen sollen, oder ob man die Ausrichtung von Entscheidungen an wissenschaftlicher Evidenz an sich kritisiert, so wie Sie es mit Ihrem Antrag tun. ({1}) Das oberste Ziel muss sein, die Bevölkerung zu schützen – präventiv, so gut es geht, um vermeidbares Leid auch wirklich zu verhindern. Wir stehen gegenüber denjenigen in Verantwortung, die aus anderen Gründen als der Covid-19-Erkrankung eine intensivmedizinische Behandlung brauchen – Herzinfarkte und Schlaganfälle bleiben ja leider trotzdem nicht aus –, und auch gegenüber denjenigen, die gerade dringende medizinische Eingriffe verschieben müssen – das kann und darf kein Dauerzustand sein –, aber auch gegenüber denjenigen, die das gesellschaftliche Rückgrat in dieser Pandemie sind: viele Beschäftigte im Gesundheitswesen. Sie gehen für uns an ihre eigenen Grenzen, und das schon im dritten Jahr der Pandemie. ({2}) Wir werden diese Zeit als Gesellschaft gemeinsam bewältigen. Wir werden uns noch mehr anstrengen, Zusammenhänge und Entscheidungen besser zu erklären, Menschen besser zu erreichen und für mehr Vertrauen in evidenzbasierte Maßnahmen zu werben. Das ist aber etwas anderes als das, was Sie mit Ihrem Antrag machen, mit dem Sie den Eindruck erwecken, dass es für die Covid-19-Pandemie eine einfache medizinische Lösung gäbe, die die Impfung – das ist ja wohl der Subtext – ersetzen könnte. Das ist schlichtweg falsch. ({3}) Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in einer Stellungnahme bereits im Jahre 2021 bezüglich des von Ihnen geforderten Verfahrens festgestellt, dass die Datenlage keine ausreichende Grundlage dafür bietet, die Proteomanalyse zur Prognose eines schweren Krankheitsverlaufs bei Covid-19 flächendeckend anzuwenden. Hier möchte ich auch noch mal auf eine gewisse Ironie hinweisen: Bei den Impfstoffen halten Sie den Mythos aufrecht, dass es trotz millionenfacher Anwendung keine ausreichende Evidenz und Sicherheit gebe, und bei diesem Verfahren, zu dem man mit Mühe eine sehr dünne Studienlage findet, die die Anwendung eben nicht hinreichend nahelegt, sind Sie für die sofortige und flächendeckende Implementierung. Jetzt frage ich mich wirklich: Wie passt das zusammen? Wie wollen Sie den Menschen diesen Widerspruch erklären, und wie verantworten Sie es, dass Sie damit falsche Hoffnungen wecken? ({4}) Mit solchen Strohhalmen und Ablenkungsmanövern kommen wir nicht aus der Pandemie. Ich möchte mich nicht im nächsten Herbst zum dritten Mal fragen lassen, warum wir noch mal mit Ansage in den nächsten Pandemiewinter hineinrauschen, ({5}) warum wir noch mal den Beschäftigten im Gesundheitswesen sagen, dass sie diesen Ausnahmezustand nur noch einmal durchhalten müssen. Wir müssen alles tun, um das zu verhindern. ({6}) Dazu gehört auch, dass wir die globale Solidarität ernst nehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Menschen insbesondere in vielen ärmeren Ländern nicht vor einer Covid-Erkrankung schützen können. Einerseits ist es eine Frage der Verantwortung diesen Menschen gegenüber, die darauf angewiesen sind, dass wir Impfstoffe, Produktionswissen und Ressourcen mit ihnen teilen. ({7}) Andererseits sollte es angesichts zukünftiger Mutationen auch in unserem eigenen Interesse sein, die globalen Bemühungen zur Beendigung der Pandemie zu intensivieren. Bitte lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir bald wieder dahin zurückkommen, dass wir alle das, was uns im Leben wichtig ist, ohne Einschränkungen und Ängste tun können! Dafür lohnt sich jede Debatte und jede Anstrengung. Danke. ({8})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor: Ein paar Hände in Handschuhen packen Sie und stülpen Ihnen einen Sack über den Kopf. Sie werden an einen fremden Ort entführt. Auf die Frage nach einem Anwalt ernten Sie nur Gelächter. Es folgt wochenlange Isolationshaft. Sie werden an Händen und Füßen festgekettet. Sie werden geschlagen. Es folgen Schlafentzug und Nahrungsentzug. Ihnen werden Exkremente ins Gesicht geschmiert. Sie wissen nicht mehr, ob Sie leben oder im Delirium sind. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin, warten Sie bitte mal kurz. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine ernste Debatte. Heiterkeit ist immer schön, aber bitte nicht mitten in dieser Debatte. ({0})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sie bitten um einen Arzt und ernten erneut Gelächter. Statt ihrer Rechte erhalten Sie verstärkte Folter durch Waterboarding oder Vergewaltigung. So werden auch Minderjährige missbraucht. Das sind, meine Damen und Herren, keine Beschreibungen aus einem brutalen Hollywoodfilm. Nein, das ist brutale Realität seit 20 Jahren im Foltergefängnis der USA, Guantánamo Bay, und das sind 20 Jahre zu viel. ({0}) Einige sind dort an den Folgen dieser Behandlung gestorben. Viele haben sich das Leben genommen. Beteiligte US-Militärs geben diese Folter mittlerweile zu. Deswegen ist es auch wichtig und eine Chance, meine Damen und Herren, Einseitigkeiten hier heute zu beenden – für die Stärkung der Menschenrechte und des Völkerrechts. ({1}) Sie sind wahrscheinlich ebenso wie ich erfreut, dass US-Präsident Biden erklärt hat, Guantánamo endlich wirklich zu schließen, dass ein Gefangener entlassen wurde und fünf weitere folgen sollen. Aber der US-Kongress legt Biden Steine in den Weg, und deswegen, meine Damen und Herren: Stärken wir als Deutscher Bundestag den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit heute den Rücken! ({2}) Vergessen wir in diesem Hohen Hause nicht Murat Kurnaz und die deutsche Beteiligung. Er hätte vier Jahre früher aus Guantánamo, wo er unschuldig eingesperrt war und gefoltert wurde, entlassen werden können, aber die deutschen Behörden haben ihn dort schmoren lassen. Daran tragen auch Hans-Georg Maaßen und Frank-Walter Steinmeier eine Mitverantwortung. ({3}) Die Linke hat hingegen mit dem Arzt für die ärmsten Menschen und dem Menschenrechtsverteidiger Gerhard Trabert einen würdigen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen. Wenn Sie Menschenrechtsverletzungen in China, Russland oder Venezuela an diesem Pult oft und lautstark anprangern – besonders von der Regierungsbank aus –, aber gleichzeitig verdächtig schweigsam zu NATO-Kriegsverbrechen oder deutschen Rüstungsexporten sind, dann kann unsere Antwort als Linke nur eine sein: Doppelte Standards sind das Schlechteste, was man Standards antun kann. ({4}) Stimmen wir also gemeinsam für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte, des Völkerrechts! Guantánamo gehört endlich geschlossen. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin in dieser Debatte erhält das Wort die Kollegin Derya Türk-Nachbaur von der SPD-Fraktion. ({0})

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nimm mein Blut. Nimm mein Leichentuch und Die Überreste meines Körpers. Photographiere meinen Leichnam am Grabstein, einsam. Schicke die Fotos in die Welt hinaus, Zu den Richtern und Zu den Menschen mit Gewissen, Schicke sie zu den Ehrenhaften und Gerechten. Das, meine Damen und Herren, sind die ersten beiden Strophen vom „Todesgedicht“ von Jumah al-Dossari, eines Häftlings, der Schlimmstes erlebt hat, der darum bittet, dass man sein erfahrenes Leid in die Welt trägt und darüber spricht. Das tun wir heute. Vor knapp zwei Wochen stand ich genau hier und habe gesagt, dass wir auch bei unseren augenscheinlich demokratischen Bündnispartnern auf Menschenrechtsverletzungen achten müssen und dass wir diese genauso ahnden müssen wie bei den Staaten, die sich nur des Deckmantels der Demokratie bedienen. Heute stehe ich hier und möchte Ihnen von sogenannten erweiterten Verhörmethoden in einem sehr bekannten Gefängnis berichten. Dazu gehören – Kollegin Nastic hat es erwähnt – simulierte Hinrichtungen, sexueller Missbrauch, Waterboarding. „Waterboarding“ heißt im Klartext: simuliertes Ertrinken. Dabei wird dem Befragten ein Tuch über das Gesicht gelegt und dieses langsam mit Wasser übergossen, sodass der Gefolterte das Gefühl hat, keine Luft mehr zu bekommen – eine Foltermethode, die körperlich keinerlei Spuren hinterlässt und daher häufig zur Anwendung kommt. Äußerlich keine Spuren, jedoch innerlich bleiben langfristige, gar bleibende Schäden zurück – alles in allem eine entwürdigende und lebensgefährliche Erniedrigung und eine Qual oder auch, kurz, verbotene Folter. Dieses bekannte Gefängnis liegt nicht in einem Land, von dem wir vielleicht sowieso denken, dass man dort die Menschenrechte gar nicht achtet. Nein, die Rede ist von Guantánamo, erbaut auf Anweisung George W. Bushs nach den Anschlägen vom 11. September. Die Menschenwürde gebietet es, dass kein einziger Mensch bloß eine Nummer ist oder ein bloßes Handlungsobjekt, ({0}) niemals und nirgendwo und unter keinen Umständen. Aber genau das sind die Inhaftierten in Guantánamo. Und genau deswegen werden wir uns weiterhin für die Schließung dieses Lagers einsetzen, ({1}) alle Parteien in diesem Bundestag, die sich zur Demokratie bekennen wollen. So werden wir zeigen, dass für uns die Menschenrechte universal gelten. Sie gelten ohne Ansehung der Größe, des Einflusses und der Art der politischen Beziehung, die uns mit dem Staat verbindet, der gegen Menschenrechte verstößt. Wir Europäerinnen und Europäer bekennen uns zur Menschenrechtskonvention. Für uns ist es daher kaum erträglich, mitanzusehen, dass die Amerikaner ihre eigenen verfassungsrechtlich verankerten, urdemokratischen Werte für diese Art der Strafverfolgung opfern. In Europa wurden erst 2018 Litauen und Rumänien vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Beihilfe zu unmenschlicher Behandlung verurteilt. Beide Länder haben das Folter- und Verschleppungsprogramm der CIA in den Jahren von 2002 bis 2006 auf verschiedene Arten unterstützt. Litauen musste eine Entschädigung an den Inhaftierten zahlen, was vor wenigen Wochen endlich geschehen ist. Genau diese Art ist es, auf die wir in Europa Menschenrechtsverletzungen ahnden wollen. Wir sollten Vorbild sein und damit eine Signalwirkung für die USA entfalten. Denn das ist ein rechtsstaatlicher Maßstab für den Umgang mit ehemaligen Gefangenen. Selbst bei rechtmäßiger Verurteilung haben alle Menschen einen Anspruch auf Entschädigung, wenn sie menschrechtswidrig behandelt worden sind. Die Schaffung von Sonderrecht und rechtsfreien Räumen in ausgelagerten Staatsgebieten entbindet die USA nicht von ihrer eigenen Verantwortung. Das ist keine Lösung, vor allem keine, die von der Genfer Konvention oder dem Völkerrecht gedeckt ist. Die USA müssen jetzt die Verantwortung übernehmen für ein Handeln, das mehrere Regierungen gedeckt haben. Und sie müssen dafür sorgen, dass die letzten Inhaftierten rechtsstaatliche Gerichtsverfahren auf amerikanischem Boden bekommen. Außerdem denke ich, dass die Weltöffentlichkeit es sehr begrüßen würde, wenn die USA die Geschehnisse in Guantánamo durch ein unabhängiges Gremium gründlich aufarbeiten würden. ({2}) Die Konsequenz muss dann sein, dass man diese Art der Strafverfolgung in Zukunft international endgültig ächtet, damit das Kapitel Guantánamo endlich der Vergangenheit angehört. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Knut Abraham, und es ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Knut Abraham (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Dank geht vor allen Dingen an die Kollegin Nastic; denn ihre Rede macht es mir etwas leichter. Der Antrag ist im Kern natürlich richtig; aber er kommt mit dieser antiamerikanischen Soße, er kommt mit Anmerkungen zur Bundesregierung, zur NATO, zu allem Möglichen hier und da. Das ist nicht sachdienlich. Wir werden gleich auch noch dieselbe Soße von rechts außen hören. ({0}) Aber sprechen wir über Guantánamo. Wie groß auch immer im Jahre 2002 die Not war, die Wut war, die Verzweiflung war, wenige Monate nach den verheerenden terroristischen Angriffen auf die USA mit Tausenden von Opfern, wie groß auch immer das Gefühl der Ohnmacht angesichts der Niedertracht der Terroristen war: Der Weg nach Guantánamo war falsch. ({1}) Er war eine Sackgasse, nicht nur für die verbliebenen 39 Gefangenen – seien sie schuldig oder unschuldig –, sondern auch für die USA und leider darüber hinaus für die gesamte westliche Welt. Das müssen wir heute klar konstatieren. Auch wenn es schwerfällt, dies zu konstatieren – und mir persönlich fällt das wirklich sehr schwer; ich bin ein überzeugter Transatlantiker; Europa hat den USA mehrfach seine Freiheit zu verdanken –: Die Existenz Guantánamos, vor allem die dahinterstehende Idee, in einem rechtsfreien Raum handeln zu dürfen, hat die Glaubwürdigkeit der westlichen Menschenrechtspolitik erschüttert. Es wird schwer werden, die Folgen von Guantánamo zu überwinden. Ich hoffe und vertraue trotz allem auf die Kraft der USA; denn nur die USA können das selbstgeschaffene Problem endlich lösen. Unsere Rolle bleibt beschränkt. Dennoch ist diese Debatte hier wichtig. Sie wird gehört werden. Wir dürfen Guantánamo nicht ausblenden. Es ist eben nicht ein halb vergessenes Gefängnislager auf Kuba; es ist noch immer der dunkle Schatten, der bleiben wird, solange das Lager besteht. Es hilft aber auch nicht, auf die USA einzudreschen. Dort ist der Fehler längst erkannt. Daniel „Dan“ Fried, einer der klügsten amerikanischen Diplomaten unserer Zeit – wir kennen ihn als Meister der Sanktionsinstrumente in den schwersten internationalen Krisen; er war aber auch Obamas Sonderbeauftragter für die Schließung von Guantánamo –, hat kürzlich im „Guardian“ gesagt – Zitat –: Die Ursünde von Guantánamo war – und das hat uns von Anfang an verfolgt – der Aufbau einer Einrichtung außerhalb des Rechtsstaats. Es gab Leute, die dachten, in dieser neuen Welt braucht es keine althergebrachten Regeln mehr, und genau das war ein schrecklicher Fehler. Barack Obama wollte 2009 die Schließung innerhalb eines Jahres und ist an der politischen und rechtlichen Realität gescheitert. Präsident Biden hat im vergangenen Februar erklärt, er strebe die Schließung Guantánamos bis zum Ende seiner Amtszeit an. Das sollten wir von hier aus auf das Nachdrücklichste begrüßen. ({2}) Wir können die rechtlichen und politischen Hürden in den USA nicht selbst beiseiteräumen. Wir können und wir sollten aber 20 Jahre später dem US-Präsidenten vertrauen und ihn in seinem Kurs stärken. Das macht man nicht, wie es die Linken üblicherweise tun, indem man die USA beschimpft, wenn man regelmäßig wie Sie die himmelschreienden Menschenrechtsverletzungen in Russland, Venezuela, China, Kuba übersieht. ({3}) Insofern kann Ihr Antrag unsere Unterstützung nicht finden. ({4}) Denn die USA bleiben der Leuchtturm der Demokratie und Freiheit in dieser Welt. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. ({0}) – Maske bitte aufsetzen. Aber beim ersten Mal kann einem das noch passieren. Das üben wir ja. ({1}) Jetzt erhält das Wort ein Kollege, der schon öfter hier gesprochen hat, nämlich Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen. ({2})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 20 Jahre Guantánamo, das sind 20 Jahre der Schande. Wenn es heute vielen Autokraten gelingt, universelle Menschenrechte als westliche Werte zu denunzieren, dann hat das seine Ursache in diesem War on Terror – ein War on Terror, der Menschen verschleppen ließ, der Verschleppte in geheimen Gefängnissen foltern ließ. Hunderte dieser entführten, dieser teilweise gegen Geld denunzierten Menschen landeten in Guantánamo, darunter auch mein Bremer Landsmann Murat Kurnaz. Dass er dort viel zu lange sitzen musste, war ein Versagen unserer Bundesregierung. Im Kampf gegen den Terrorismus hat die Administration von George W. Bush nicht auf die Stärke des Rechts, sondern auf das Recht des Stärkeren gesetzt. Es wurden Gefangenen rechtsstaatliche Verfahren verweigert. Sie wurden gefoltert, ohne ausreichende medizinische Versorgung und ohne Anklage eingesperrt. Und die unter Folter erpressten Aussagen lassen sich vor Gericht ohnehin nicht verwenden, da sie illegal erzwungen wurden. Deshalb ist es gut, dass Joe Biden angekündigt hat, die Schließung dieses Lagers endlich angehen zu wollen. ({0}) Ich freue mich – das fand ich gar nicht antiamerikanisch von Frau Nastic –, dass sie das hier in dieser Form so begrüßt hat. ({1}) Zurzeit läuft die Überprüfung dessen, wie man das machen kann. Ich finde, wir tun gut daran, das mit Ernsthaftigkeit und ohne Besserwisserei zu machen. Da nützt es auch nichts, besonders nachdrücklich zu appellieren. Die Auflösung dieses Lagers ist nicht trivial. An dieser Aufgabe ist schon ein Präsident gescheitert. Barack Obama verlor 2010 seine Mehrheit bei den Midterm Elections über diesen Konflikt, weil seine eigenen Abgeordneten ihm die Gefolgschaft versagt haben, bei der Idee, diese Menschen von dort dorthin zu bringen, wo sie hingehören, nämlich vor ein amerikanisches Gericht, oder sie freizulassen. Auch die Bereitschaft anderer Länder, diese Menschen aufzunehmen – aller Länder; ich nehme da niemanden aus –, ist außerordentlich bescheiden. Vielleicht hilft gelegentlich ein Blick in den Spiegel statt Selbstgerechtigkeit. Denn die USA haben dieses Problem, wie mit solchen Gefangenen umzugehen ist, nicht allein. Europa hat kein Guantánamo, doch in den Lagern kurdischer Kämpfer im Nordosten Syriens sitzen unzählige IS‑Kämpfer aus Europa, darunter gut 100 aus Deutschland. Wir haben für diese Menschen auch eine Verantwortung. Es handelt sich um aus Deutschland exportierten Terrorismus. Wir dürfen diese Länder, insbesondere die schwache Staatlichkeit in diesen Provinzen, mit diesen Problemen nicht alleinlassen. ({2}) Wir müssen sie hierherholen und hier vor Gericht stellen. Das ist auch eine Frage der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, und es ist eine Frage der Sicherheit. Vor wenigen Tagen hat der IS versucht, ein solches Gefangenenlager zu stürmen, und es sollen fünf des Terrors verdächtige Deutsche entkommen sein. Wollen wir eigentlich wirklich, dass der IS seine Reihen wieder mit Deutschen auffüllt? Oder wollen wir zusehen, wie diese Menschen unkontrolliert nach Deutschland kommen? Ich finde, wir müssen uns unserer Verantwortung stellen. Auch wir dürfen unser Terrorismusproblem und diese Gefangenen nicht einfach extraterritorial outsourcen. ({3}) Deswegen glaube ich, dass von der heutigen Debatte – ich freue mich, dass unter den demokratischen Parteien hier eine solche Einigkeit besteht – an die Kolleginnen und Kollegen im US-Repräsentantenhaus und im US-Senat ein eindeutiges Signal ausgeht: Der Deutsche Bundestag möchte, dass Guantánamo geschlossen wird. Das Lager der Schande muss geschlossen werden. Wir sind froh, dass wir darüber mit der US-Regierung einig sind; wir wissen allerdings auch, wie schwierig das wird. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Trittin. – Als Nächstes erhält in dieser Debatte das Wort der Abgeordnete Jürgen Braun für die AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Natürlich entspricht die Situation in Guantánamo nicht den Regeln normaler amerikanischer Strafanstalten. Natürlich ist die Verweigerung von Kriegsgefangenenrechten auch völkerrechtswidrig. Um das zu wissen, braucht allerdings niemand einen Antrag der mehrfach umbenannten SED, einer linksradikalen Partei, deren Hauptzweck darin besteht, von den eigenen Verbrechen der SED abzulenken, Geschichtsfälschung zu betreiben. ({0}) Die Linke Kreisverband Chemnitz rühmte erst vor einem Jahr einen Mauermörder öffentlich. Die umbenannte SED schaltet Inserate für DDR-Grenzer, die auf 14-jährige Kinder geschossen haben. Diese Kinder wollten nichts weiter als von Deutschland nach Deutschland. ({1}) Wenn es um kommunistische Verbrechen, wenn es um Inhaftierung und Folter unschuldiger Bürgerrechtler durch die Stasi geht, dann kommt von Ihnen nichts als Verharmlosung. ({2}) Wenn es aber um inhaftierte islamistische Terroristen geht, dann schwadronieren Sie plötzlich von Menschenrechtsstandards. Sozialismus und radikaler Islam: seit Jahrzehnten Verbündete im Kampf gegen die Freiheit. ({3}) Joe Biden ist der dritte amerikanische Präsident, der die Schließung Guantánamos zugesagt hat. Doch seit Obamas Präsidentschaft ist klar, dass die meisten Herkunftsländer die vermeintlich ach so unschuldigen Häftlinge gar nicht zurückhaben wollen, wenn sie denn entlassen werden. Andere Länder wollen diese Häftlinge auch nicht aufnehmen. ({4}) Nun fordern die Fortsetzer der SED mal wieder, der Bundestag solle die USA mit Nachdruck zur Schließung von Guantánamo auffordern, das Parlament ausgerechnet jenen Landes, in dem die Anschläge vom 11. September ungestört vorbereitet wurden; denn es war im damals rot-grünen Deutschland, wo Mohammed Atta unbehelligt seine salafistische Terrorzelle aufbauen konnte. Es war im rot-grünen Deutschland, wo der später nach Guantánamo verbrachte Walid Salihi scharenweise Al-Qaida-Kämpfer bei sich beherbergen konnte; nebenbei kassierte der Terrorist Sozialhilfe. Deutschland wurde und wird von global agierenden Terrormilizen verlacht. Das Bewusstsein für die islamistische Gefahr ist hier so verkümmert, dass wir der beliebteste Rückzugsort der Hisbollah sind. Es gibt Länder wie Israel, die sich schon seit Jahrzehnten mit der islamistischen Gefahr konfrontiert sehen. Dass Gruppen wie Hamas oder Hisbollah eben keine regulären Armeen, sondern Terrormilizen sind und deshalb auch nicht wie reguläre Armeen behandelt werden können, das hat man in diesen Ländern längst begriffen. Nicht so in Deutschland: Hier kümmern sich links-grüne Ideologen um das Schicksal islamistischer Terroristen. Die Opfer des Terrorismus sind ihnen egal, ob am Breitscheidplatz in Berlin, in New York oder Israel. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte noch jemand nicht an der namentlichen Abstimmung teilgenommen haben, dann wäre jetzt noch ein Zeitfenster dafür. – Ich sehe, das ist ausgerechnet der Redner, der jetzt spricht; das ist natürlich irgendwie ungeschickt. Sie müssen also gleich nach Ihrer Rede einen Sprint hinlegen, weil ich die Abstimmung dann bald schließen werde. Jetzt bekommt das Wort der Kollege Peter Heidt von der FDP-Fraktion. ({0})

Peter Heidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004948, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, erst mal vielen Dank für Ihr Verständnis. – Guantánamo, vor 20 Jahren von den USA als Antwort auf den islamistisch motivierten Terror vom 11. September errichtet, ist sicherlich kein Ruhmesblatt für die USA. Guantánamo ist für uns, die wir uns zum Katalog der Menschenrechte bekennen, ein Ort der Menschenrechtsverletzungen, der Misshandlungen und der Missachtung der Rechtsstaatlichkeit. Unsere Meinung ist eindeutig: Grundlegende Menschenrechte können keinem Menschen vorenthalten werden, nicht einmal demjenigen, der sich selbst außerhalb der Rechtsordnung gestellt hat. ({0}) Dies muss auch für die Gefangenen von Guantánamo gelten. ({1}) Die AfD hat heute wieder gezeigt, dass sie das Prinzip der universell geltenden Menschenrechte nicht verstanden hat. Sie sollten einfach nur schweigen. Es ist peinlich. ({2}) Schlimm ist in diesem Zusammenhang auch, dass die USA nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen Demokratien mit der Einrichtung von Guantánamo einen Bärendienst erwiesen haben. Guantánamo steht als Symbol für doppelte Standards des Westens beim Kampf gegen den Terrorismus. Damit konterkarieren wir unser Anliegen selbst. Das ist ein großer Schaden, weil es dadurch nicht gelingt, die Terroristen als Verbrecher zu entlarven und die Menschen in den Herkunftsstaaten von unseren demokratischen und rechtsstaatlichen Werten zu überzeugen. Bereits 2006 gab es hier im Deutschen Bundestag eine Debatte, in deren Verlauf sich alle Fraktionen für eine Schließung des Lagers ausgesprochen haben. An diesem Entschluss hat sich nichts geändert. Deshalb ist ein neuerlicher Antrag unnötig. Ich wundere mich auch über die Diktion des Antrages. Das zeigt wieder einmal, mit welch unterschiedlichem Maß die Linken messen, wenn es um die USA geht. ({3}) Wenn hier jetzt von Kriegsverbrechen der NATO gesprochen wird, dann ist das auch nicht in Ordnung. Im Verhältnis zu Diktaturen wie Russland höre ich von Ihnen immer nur sehr leise Töne. Dabei sitzen in Russlands Internierungslagern unzählige politische Häftlinge ein. Folter und Misshandlungen gehören dort zum Alltag vieler Häftlinge. ({4}) Die russischen Straflager haben zu Recht leider den Ruf, die Hölle auf Erden zu sein. Aber bei Russland drücken die Linken immer wieder ein Auge zu, auch ganz aktuell heute Vormittag der Kollege Dr. Gysi in der Diskussion über die von Russland verursachte Ukraine-Krise. Sie entschuldigen das Säbelrasseln von Putin und drücken sich vor klaren Aussagen. ({5}) Da sitzen Sie ideologisch in einem Boot mit der AfD; das ist sehr faszinierend, sage ich Ihnen. ({6}) Wo war Ihr Aufschrei, als russisches Militär dem syrischen Diktator Assad geholfen hat, das eigene Volk zu massakrieren? Ich höre auch nichts von Ihnen, wenn Russland und China im Weltsicherheitsrat die humanitäre Hilfe für Syrien blockieren. Im Umgang mit Russland beschwichtigen Sie immer wieder nur und verweisen auf Diplomatie. Die USA hingegen sollen wir nun auffordern, das Lager Guantánamo zu schließen, und dieser Forderung sollen wir auch noch Nachdruck verleihen. Dass wir keinen Erpressungen und Nötigungen durch eine autoritäre Macht ausgesetzt sind, verdanken wir nicht zuletzt dem engen Bündnis mit den Vereinigten Staaten. Ohne dieses wären wir – auch das gehört zur Wahrheit – heute nicht stark genug, um uns in einer Welt rüder Machtpolitik und globalen Terrors zu behaupten. Und ohne die große Unterstützung der USA hätte es auch eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht gegeben. Die USA haben verstanden, dass das Lager geschlossen werden muss. Die Freien Demokraten hoffen inständig, dass US-Präsident Biden mit seinen Schließungsplänen Erfolg haben wird. Deshalb werden wir, so wie es unsere Vorgängerregierungen auch immer getan haben, mit unseren amerikanischen Freunden darüber sprechen. Wir werden an sie appellieren, das Lager zu schließen – auf einem diplomatischen Weg, ohne Druck, geschweige denn Nachdruck. Vielen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt ist wirklich die allerletzte Chance, wenn ein Mitglied dieses Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben hat, das jetzt zu tun, während Rainer Keller von der SPD-Fraktion seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält. – Bitte schön. ({0})

Rainer Johannes Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Keine Sorge, ich habe meine Stimme abgegeben und versuche, die vier Minuten einzuhalten. Das Gefangenenlager in Guantánamo steht seit über 20 Jahren als Sinnbild für die Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben in ihren Reden ja bereits auf die Ablehnung von Folter und die Sträflichkeit von rechtsfreien Räumen hingewiesen. Fest steht definitiv: Die USA sind in der Verantwortung, das Lager aufzulösen und endlich rechtsstaatliche Verfahren einzuleiten und auch eine Aufarbeitung zu initiieren. ({0}) Ich will die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle weitere Aspekte zum Thema „Menschenrechte und humanitäre Hilfe“ anzusprechen. Die neue Bundesregierung hat sich den verstärkten Einsatz für die Einhaltung der universell geltenden Menschenrechte vorgenommen. Dies ist gerade für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein sehr wichtiges Vorhaben. Daher werden wir alle Bemühungen mit voller Kraft unterstützen, die die Bundesregierung in Sachen Menschenrechte unternehmen wird. ({1}) Doch mit einer Betrachtung, welche die Welt lediglich in Gut und Böse einteilt, macht man es sich zu einfach, meine Damen und Herren von der AfD; ich sehe da im Moment aber nur Herren. ({2}) Alte Feindbilder und die damit verbundene Einteilung in Gut und Schlecht, also in gute oder schlechte Menschenrechtsverletzungen, teile ich ausdrücklich nicht, und meine Fraktion erst recht nicht. ({3}) Die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen, ist zu einfach und greift zu kurz. ({4}) Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung ist das auch nicht zielführend. Als Sozialdemokratie werden wir weiterhin Menschenrechtsverletzungen, egal wo sie auftreten, verurteilen und ihnen mit Nachdruck entgegentreten, so natürlich auch in den USA. Daher hat die Bundesregierung auch unsere volle Unterstützung, wenn sie nachdrücklich auf die Auflösung des Lagers in Guantánamo hinwirkt und eine Aufarbeitung der unsäglichen Missstände vor Ort einfordert. Lassen Sie mich ein Beispiel für die Notwendigkeit des Einsatzes für die Menschenrechte nennen – da kommen wir jetzt mal weg von Guantánamo –: Belarus. Menschenrechte gelten universell. Universell bedeutet „für jeden“. Dies schließt Belarus und die Russische Föderation natürlich mit ein. Aber machen wir uns das nicht zu einfach. Wir brauchen eine klare Aussage zu den Massenverhaftungen, zur Unterdrückung der Opposition, zu gefälschten Wahlen und zahlreichen weiteren Verletzungen der Menschenrechte. Ich vermisse bei Teilen dieses Hauses eine ganz klare Aussage dazu. Der Koalitionsvertrag, den wir verabschiedet haben, unterstreicht den werteorientierten Ansatz der deutschen Außenpolitik; insbesondere die Menschenrechte nimmt er in den Fokus. ({5}) Dort heißt es – ich zitiere –: Der Einsatz für Frieden, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit ist für uns ein unverzichtbarer Teil einer erfolgreichen und glaubwürdigen Außenpolitik für Deutschland und Europa. ({6}) Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird sich unser Blick auch verstärkt auf Regionen und Länder richten, die aktuell nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, beispielweise der Iran und Afghanistan. Und – auch das will ich hier deutlich sagen – auch mit unseren europäischen Partnern müssen wir intensiv über die Einhaltung der Menschenrechte sprechen. ({7}) Ich weiß, Frau Präsidentin, die Lampe leuchtet auf; aber der letzte Satz sei mir in meiner ersten Rede hier gegönnt. – Die Behandlung der Geflüchteten in Polen ist genauso wenig akzeptabel wie die dortigen Medien- und Justizgesetze. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen aller demokratischen Fraktionen, ich lade Sie herzlich zu einem konstruktiven Dialog im Sinne der Menschenrechte ein. Ich freue mich auf eine produktive Zusammenarbeit in dieser Wahlperiode; denn Menschenrechte sind existenziell und universell. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Keller. Ich schließe jetzt die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird uns zum Ende unseres heutigen Tages noch bekannt gegeben. Als nächsten Redner rufe ich Dr. Jonas Geissler für die CDU/CSU-Fraktion auf. ({0})

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen 20 Jahren wurden 779 Menschen nachweislich in Guantánamo inhaftiert. Das sind 779 Fälle von Folter, massiven Menschenrechtsverletzungen, von Verschleppungen und nichtrechtsstaatlichen Verfahren. Das sind 779 Beispiele dafür, dass die Vereinigten Staaten von Amerika Schuld auf sich geladen haben, ({0}) nicht Schuld, weil sie Terroristen, Extremisten, Straftäter oder Mörder inhaftiert haben, sondern weil sie denen, die sie inhaftiert haben, die Rechte absprechen, die jeder Mensch in der Demokratie haben sollte. Das System Guantánamo ist ein System der Schande, ohne jeden Zweifel. Das System Guantánamo ist ein System der Niederlage, der Niederlage der Demokratie vor ihren eigenen Grundsätzen, der Niederlage des Rechtsstaats vor seinen eigenen Prinzipien. Das System Guantánamo steht auch dafür, dass man die Freiheit für eine vermeintliche Sicherheit geopfert hat. Ich bin dieser Bundesregierung und allen vorherigen dankbar dafür, dass wir immer einer Meinung gewesen sind: Guantánamo muss aufgelöst werden, Guantánamo muss beendet werden. ({1}) Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das seit 2006 klar definiert. Das Europaparlament hat das gemacht, auch der Deutsche Bundestag. Ich würde es mir leicht machen, wenn ich an der Stelle jetzt sagen würde: Wenn wir doch immer diese Meinung gehabt haben, lehnen wir den Antrag ab, weil das schon immer Beschlussfassung dieses Hauses gewesen ist. – Das wäre die eine Seite. Aber die andere Seite ist, Frau Nastic, dass Sie in Ihre Rede eingestiegen sind mit den Worten: Wir müssen Einseitigkeiten beenden. Wir sehen das auch so. Aber Einseitigkeit zu beenden heißt, dass man Menschenrechtsverletzungen überall anprangert. ({2}) Wir haben gestern im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe eine gemeinsame Erklärung gegen die Menschenrechtsverletzungen in China verabschiedet, bei der wir uns mit Tibet, mit den Christenverfolgungen, mit der Pressezensur, mit Hongkong und mit dem Genozid an den Uiguren beschäftigt haben. ({3}) Sie haben im Ausschuss nicht an dieser Abstimmung teilgenommen. ({4}) – Sie haben dem nicht zugestimmt; das ist natürlich so. ({5}) Wenn man Menschenrechte nicht einseitig definiert, dann ist die logische Konsequenz, dass ich Menschenrechtsverletzungen überall da anprangern muss, wo sie passieren, ({6}) egal ob das in Demokratien oder in Diktaturen der Fall ist. Menschenrechte sind universell und nicht teilbar. Das gilt für das System der Schande von Guantánamo genauso wie für kommunistische Regime. Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir den Antrag nicht unterstützen. Wir lehnen Guantánamo ab – das ist überhaupt keine Frage –, aber wir bitten schon darum, dass wir Menschenrechte universell und nicht immer nur dann sehen, wenn es uns in den Kram passt. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Zu einer Kurzintervention erhält das Wort Zaklin Nastic.

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Geissler, wir können politisch sehr unterschiedlicher Meinung sein, aber ich würde Sie schon bitten, nicht mit Unwahrheiten zu arbeiten. Sie wissen ganz genau, dass Die Linke dabei gewesen ist, und Sie wissen ganz genau, dass Die Linke im Menschenrechtsausschuss explizit bei Erklärungen insbesondere von Ihrer Fraktion seit Jahren ausgeschlossen wird, damit Sie hier öffentlich propagieren können, wir würden Ausschusserklärungen nicht unterstützen oder uns nicht daran beteiligen. ({0}) Sie haben uns an diesem Mittwoch ganze 14 Minuten vor der Ausschusssitzung eine Erklärung zu China geschickt, damit Sie hinterher sagen können, Die Linke habe nicht mit abgestimmt. Sie erzählen aber nicht, dass Sie vor zwei Wochen selber mit Ihrer Fraktion, wie alle anderen, eine Ausschusserklärung zu Guantánamo abgelehnt haben, obwohl sie zwei Tage vorher vorlag. Also, bitte arbeiten Sie mit der Wahrheit! ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Abgeordneter, wollen Sie erwidern? – Ja.

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber die Erklärung ist gestern ja nicht von uns eingebracht worden, sondern von den Ampelfraktionen, und wir waren in der Lage, dieser Erklärung zuzustimmen. Ich habe als Vorbereitung auf die Rede sämtliche Ausschusserklärungen der letzten vier Legislaturperioden durchgeschaut, weil es mich wirklich beschäftigt hat, warum Sie das bei Guantánamo machen, bei anderen aber nicht. Ich sage Ihnen eines: Wann immer es um China gegangen ist, haben Sie nicht daran teilgenommen, das Ganze abgelehnt oder dem nicht zugestimmt. ({0}) Ganz ehrlich: Das ist eine einseitige Auslegung von Menschenrechten. Machen Sie es universell, so wie Sie es einleitend gesagt haben! ({1})