Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank, dass ich einleitend zu der Befragung ein paar Bemerkungen machen darf.
Die deutsche Wirtschaft – man kann sagen: die globale Wirtschaft; aber natürlich auch die deutsche Wirtschaft – befindet sich in einer opaken Phase. Es ist nicht ganz leicht, eine allgemeine Prognose zu geben. Viele Branchen haben sich gut erholt. Die Industrie wächst und hat volle Auftragsbücher, andere Branchen haben erhebliche Probleme durch die Einschränkungen wegen der Omikron-Variante. Deswegen hat die Bundesregierung ihre Hilfsprogramme fortgesetzt und fortgeschrieben.
Sie werden es vielleicht gestern den Medien entnommen haben, dass wir über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds Galeria Karstadt Kaufhof mit 220 Millionen Euro unterstützen und so dafür sorgen, dass 16 500 Beschäftigte in Lohn und Brot bleiben können und ungefähr an 130 Standorten diese für viele Innenstädte zentrale Einrichtung diese Krise überlebt. Wir hoffen, dass Galeria Karstadt Kaufhof danach in sicheres und gutes Fahrwasser kommt.
Wir haben außerdem die Überbrückungshilfe IV erstmalig schon vor der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang dieses Jahres freigeschaltet; auch die Neustarthilfen sind freigeschaltet. Die Nachfragen sind erheblich und zeigen, wie wichtig dieses Überbrückungsinstrument ist. 3 500 Unternehmen und 26 000 Soloselbstständige haben bereits Anträge mit einer Fördersumme von insgesamt 270 Millionen Euro gestellt.
Erlauben Sie mir, aus gegebenem Anlass auch noch kurz auf die Abläufe und die Entscheidung, was die energetische Gebäudesanierung angeht, einzugehen. Am 4. November letzten Jahres hat die alte Bundesregierung angekündigt, dass die Förderung der Gebäudesanierung Ende dieses Monats ausläuft. Das hat zu einem in der 74-jährigen Geschichte der KfW-Bank beispiellosen Antragsschub und ‑boom geführt, sodass alleine bis Neujahr 6,2 Milliarden Euro für Gebäudesanierung ausgeschüttet wurden. Im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung sind für diesen Januar noch einmal 5 Milliarden Euro eingestellt worden. Von diesen 5 Milliarden Euro sind etwa 3,2 Milliarden Euro vor dem Wochenende belegt gewesen; es gibt also einen Rest von etwa 1,8 Milliarden Euro. Dem gegenüber standen Anträge in Höhe von 7,2 Milliarden Euro; das sind die Anträge, die noch nicht belegt waren. Insgesamt 24 000 Antragsteller, davon betreffen rund 20 000 Wohngebäude, beantragten diese 7,2 Milliarden Euro.
Die KfW-Bank hat uns das mitgeteilt, und entsprechend hat das Bundeswirtschaftsministerium am 19. Januar einen Antrag für eine Verpflichtungsermächtigung beim Bundesfinanzministerium eingereicht. Dieser ist abgelehnt worden, weil die Analyse ist – ich gehe gleich noch darauf ein –, dass es hier eine Überförderung gibt; anders lassen sich diese hohen Antragszahlen wohl kaum begründen. Am 20. Januar ist das also abgelehnt worden. Der Vorstand der KfW konnte in der Situation nicht anders entscheiden, als das Programm über das Wochenende vom Markt zu nehmen, weil man sonst weiter ungedeckte Haushaltsversprechen gegeben hätte.
In der Staatssekretärs- und auch in der Ministerrunde – wir hatten ja Kabinettsklausur – wurde parallel darüber beraten, wie damit weiter umzugehen ist. Es wurde sich auf Eckpunkte geeinigt. Diese Eckpunkte werden jetzt mit den Fraktionen abgesprochen. Dann soll sehr zeitnah eine Perspektive eröffnet werden, wie die Gebäudesanierung weiter aufgesetzt wird.
Für die Damen und Herren, die in der Hoffnung auf die Zuschläge jetzt Anträge gestellt haben, ist das eine wirklich bittere Nachricht; das muss man tatsächlich so sagen. Andererseits ist es so, dass es bei den Summen – die 7,2 Milliarden sind der Stand bei Abschaltung der Homepage; wir hätten sonst einen Hochlauf auf zweistellige Milliardenbeträge erwartet – haushalterisch durchaus geboten ist. Der Kollege Finanzminister hat aus meiner Sicht an der Stelle richtig gehandelt.
Um das kurz zu begründen, erlauben Sie mir einen Blick auf die Programmentwicklung insgesamt. Das Programm, über das wir gerade reden, wurde 2010 eingeführt. Damals wurden 4 000 Anträge für EH 55 gestellt und bewilligt. 2015 waren es dann 13 000, 2020 waren es 78 000, und im letzten Jahr waren es 120 000 Anträge, die gestellt und bewilligt wurden. Man sieht an diesem Hochlauf – das Programm ist jetzt zwölf Jahre alt –, dass das KfW-Effizienzhaus 55 Standard geworden ist.
Deswegen erlauben Sie mir noch grundsätzliche Aussagen zur Förderpolitik und zur Subvention insgesamt: Sie wissen, dass wir auch angesichts des Jahreswirtschaftsberichts immer mit dem Terminus Sozial-ökologische Marktwirtschaft arbeiten. Ich weise darauf hin, dass auch der zweite Teil dieser Wortverbindung gelesen werden muss, nämlich „Marktwirtschaft“. Subventionen sind immer da geboten, wo Märkte nicht funktionieren. Subventionen sind die Ultima Ratio der Wirtschaftspolitik, und da, wo Märkte funktionieren oder gar erhitzt sind, fördert man mit Subventionen die Inflation. Also muss man immer wieder überprüfen, wo Überförderung stattfindet und wo Subventionen nicht nötig sind.
Dass im November ein Fehler begangen wurde, ist, denke ich, offensichtlich. Dass dieser Fehler jetzt abrupt und unter der Notlage der Abrufung so brutal korrigiert wurde, ist ärgerlich und soll sich auch nicht wiederholen; aber es ist durchaus in der Sache zu begründen.
Ein letzter Satz. Dass Kritik an diesem Abbruch von denjenigen kommt, die strikt darauf drängen, dass die Schuldenbremse gewahrt wird, und die beklagen, dass Mittel für diese Gebäudefinanzierung aus dem Energie- und Klimafonds kommen, macht tatsächlich logisch wenig Sinn.
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Man kann also viel lernen in dieser Situation, und zwar unter anderem, dass man bei Subventionen immer auch das Ende mitbedenken muss. Das werde ich in meiner Amtszeit streng berücksichtigen. Man kann aber auch lernen, dass Konsistenz in der Politik manchmal ein rares Gut ist.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
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Wir beginnen die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen des Bundesministers und zu seinem Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit allgemeinen Fragen.
Das Wort hat Andreas Jung, CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Frau Präsidentin! Herr Minister, Sie haben gerade aus Ihrer Sicht dargestellt, wie es zu dem Stopp der Förderung energetischer Sanierungen und Neubauten gekommen ist. Aber Ihre Beschreibung der internen Vorgänge und Ihre grundsätzlichen Ausführungen zur Wirtschaftspolitik können über eines nicht hinwegtäuschen: Mit Ihrem Vorgehen haben Sie Vertrauen beschädigt,
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das Vertrauen der Menschen, die zum Teil seit vielen Jahren diese Projekte betreiben und die auf diese Förderung setzen. Deshalb fordern wir Sie hier auf: Stellen Sie umgehend wieder Planungssicherheit her, stellen Sie dieses Vertrauen wieder her! Sie haben nicht das Parlament informiert, Sie haben den Betroffenen nicht gesagt, wie es weitergeht.
Und wenn Sie Wert auf logische Begründung legen, dann frage ich Sie ganz konkret. Sie begründen dieses Vorgehen jetzt mit kurzfristig eingereichten Anträgen – Sie stoppen aber alle: die, die schon lange eingereicht wurden, und die, die kurzfristig eingereicht wurden, die KfW-55-, die KfW-40-Anträge und auch die für Sanierungen. Sind Sie bereit, das zu korrigieren?
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Dass das abrupte Ende für diejenigen, die einen Antrag gestellt haben im Vertrauen darauf, dass alle Anträge immer genehmigt werden, eine harte, bittere Nachricht ist – und in dem Vorgehen auch ungewohnt; das sollte sich auch nicht wiederholen –, das ist zugegeben, und das kann man auch nicht wegreden.
Gleichwohl weise ich noch einmal darauf hin – ich bin ja selber Parlamentarier und war es lange im Landtag –, dass ein Fortschreiben dieses Programms – wir reden von weiterer Belegung von zweistelligen Milliardenbeträgen – ohne eine haushalterische Beratung eine starke Bindewirkung entfaltet hätte, auch für die parlamentarischen Beratungen.
Da die Überförderung aus meiner Sicht an der Stelle gegeben ist – ich habe auf die Zahlen hingewiesen –, halte ich es für richtig, dass der Finanzminister gesagt hat: Die Deckung gebe ich jetzt nicht mehr frei an der Stelle. – Damit war der KfW-Vorstand gezwungen – er kann ja keine Versprechungen machen, ohne dass der Gesetzgeber oder die Bundesregierung die Haushaltsmittel bereitstellt –, das Programm runterzunehmen. Das heißt, es liegt überhaupt nicht in meiner Macht, zu sagen: „Macht mal weiter!“, es fehlt schlicht am Geld. Und alle, die sagen: „Mach mal!“, müssten auch sagen, aus welchem Titel denn dann ein ungefähr zweistelliger Milliardenbetrag genommen werden müsste. Ich habe darauf hingewiesen:
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Es ist Förderung im Umfang von 7,2 Milliarden Euro jetzt schon beantragt, und der Monat ist ja noch nicht zu Ende.
Es soll aber schnell Planungssicherheit geschaffen werden; das sage ich zu für die nächste Programmphase.
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Haben Sie eine Nachfrage?
Ich bitte auch, immer an die Zeit zu denken. Die Zeit wird hier oben eingeblendet. Immer wenn es rot leuchtet, ist das ein Zeichen dafür, dass man zum Ende kommen sollte.
Als es rot war, habe ich aufgehört.
Ich denke auch an die Zeit, und zwar an diese Zeit: Wie lange müssen die Betroffenen jetzt warten, bis diese Programmphase beginnt? Sie haben bei Ihrem Koalitionsvertrag die Entscheidung der früheren Bundesregierung, dass es ein Auslaufen Ende Januar geben soll, gekannt. Sie haben darauf aufgebaut in Ihrem Koalitionsvertrag, wollen für die Zukunft was machen. Sie haben jetzt etwas anderes gemacht als das, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht; das ist ein Widerspruch zu Ihrem Koalitionsvertrag.
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Die Betroffenen können nicht warten, die wollen jetzt wissen, wie es weitergeht, die machen jetzt ihre Planung. Das sind Familien, die auf diese Förderung angewiesen sind. Wir brauchen diese Förderung auch für klimagerechtes Bauen, wir brauchen sie, damit Wohnungen entstehen. Wir haben keine Zeit, zu warten. Die Betroffenen brauchen jetzt Klarheit.
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Deshalb ist die Frage: Wann wird es diese Phase geben, und warum haben Sie nicht gleich informiert? Mit dieser Entscheidung hätten Sie doch gleich sagen können: Und so geht es weiter, das wollen wir.
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Ich bitte, die Frage zu stellen und zum Ende zu kommen.
Es ist richtig, dass der Koalitionsvertrag vorsieht, die Förderung bis Ende des Monats fortzusetzen, und das ist ja das Problem an der Stelle. Dem ist auch gefolgt worden: indem 5 Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt wurden. Die hohe Überzeichnung der Mittel – ich habe die Zahlen ja schon genannt – stellt eine neue Wirklichkeit her.
Es soll tatsächlich aber so schnell, wie es geht, Planungssicherheit für die Leute geschaffen werden. Es wird sicherlich auch so sein, dass ein Teil der Anträge, die gestellt werden, weiter gefördert werden kann.
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Gibt es noch weitere Fragen zu diesem Thema, gegebenenfalls aus anderen Fraktionen? – Der Kollege von der AfD.
Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für Ihre Ausführungen. – Ich möchte anschließen an das, was der Kollege Jung gesagt hat. Auch ich habe aus meinem Wahlkreis Telefonanrufe bekommen von jungen Leuten, die auf diese Förderprogramme gesetzt haben; die Handwerker sind schon bestellt, mit dem Geld der KfW wurde gerechnet. Wenn man Versprechungen macht, dann muss man sich auch daran halten.
Wir von der AfD-Fraktion sind zwar der Meinung, dass diese Milliardenprogramme nicht finanzierbar sind. Aber jetzt ist Vertrauen verspielt worden, und dieses Vertrauen müssen Sie wiederherstellen. Sie müssen jetzt sagen, bis wann die neuen Programme konzipiert sind. Und darüber habe ich von Ihnen noch nichts gehört.
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Ich habe, wenn ich so ehrlich sein darf, nicht verstanden, wie die Aussagen „Die Programme sind alle Unsinn; man soll nicht fördern“ und „Dieses Programm soll weitergeschrieben werden“ zusammengehen.
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Aber das ist nur eine Ratlosigkeit auf meiner Seite.
Was die Fortführung des Programmes angeht, ist mir völlig klar, dass so schnell wie möglich Klarheit geschaffen werden muss. Insgesamt ist es so – das ist vielleicht im Haus hier überhört worden –: Es sind 7,2 Milliarden Euro noch nicht belegt – von 24 000 Antragstellern; rund 20 000 davon betreffen Wohngebäude. Jeder von uns hat im Wahlkreis Leute, Familien, die darauf vertraut haben, dass es eine KfW-Förderung gibt. Aber die Summe des Geldes: Das ist nicht das Einfamilienhaus, für das etwas beantragt wird; da ist der Deckel ja bei gut 25 000 Euro gezogen.
Insofern werden wir für den sozialen Wohnungsbau, für die Gebäudesanierung und für andere Programmpunkte schnell eine Lösung finden.
Haben Sie eine Nachfrage?
Ja. – Was ich mit „nicht finanzierbar“ meine, ist Ihre ganze ökologisch-soziale Transformation. Da sagen wir: Das ist nicht finanzierbar für den Steuerzahler, das kostet eine Unmenge an Geld.
Aber wenn man diese Programme schon ins Leben ruft, wenn man schon verspricht, dass man sich darauf verlassen kann, dass man KfW-Darlehen in die Bauvorhaben einrechnen kann, dann muss man sich eben auch daran halten.
Noch mal die Nachfrage – Sie haben es immer noch nicht beantwortet –: Wann endlich wird diesen Leuten, die jetzt vor den Kopf gestoßen wurden, gesagt, wie es weitergeht? Ich habe von der Dame, von der ich vorhin gesprochen habe, gehört, dass sie bei der KfW angerufen hat. Da ist man auch ratlos, da weiß man nicht Bescheid. Also, bitte nennen Sie uns eine konkrete Zeitschiene.
So bald wie möglich; das habe ich ja schon gesagt.
Eine weitere Frage.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister Robert Habeck, Sie hatten ja eben auch schon etwas zu dem Zeitstrahl gesagt. Ich muss jetzt Sie fragen, weil ich den Kollegen Jung ja nicht fragen kann. Aber wenn man sich den Zeitablauf noch einmal vor Augen führt: Der Run auf dieses Förderprojekt ist vor allem deswegen zustande gekommen, weil Ihr Vorgänger im Amt des Bundeswirtschaftsministers das Enddatum auf den 31. Januar festgesetzt hat. Habe ich Sie da richtig verstanden?
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Es ist jedenfalls so, dass mit einem fixen Enddatum alle Programmbeantragungen noch einmal in eine Endlaufhitze eintreten. Das war bei der Abschaffung der Eigenheimzulage ganz genauso. Man kann sich also vielleicht auch daran erinnern, wie man es nicht macht.
Wir haben aber auch andere Förderprogramme; wir fördern Plug-in-Hybride, E-Mobilität. Ich wies schon darauf hin, dass die Subvention, also die Förderung von Produkten, immer Ultima Ratio des Staates ist. Da, wo Märkte funktionieren, müssen die Förderungen zurückgebaut werden. Es gibt ja auch aus diesem Haus immer wieder ein breites Begehren: Streicht endlich mal wieder Subventionen! – Insofern muss man sich das auch gut überlegen. Das, denke ich, ist die Lehre dieser Zeit. Ein Beitrag wäre sicherlich, degressiv runterzugehen.
In dem Sinne: Ja, es ist tatsächlich so – auch aus meiner Sicht –, dass mit dem Ankündigen des Auslaufens eine Antragsflut losgetreten wurde, die jede haushalterische Planung Makulatur werden ließ.
Nachfrage?
Jawohl, eine ganz kurze Nachfrage, auch noch einmal mit dem Blick nach vorne: Können Sie uns – vielleicht mit dem Blick auf das, was im Kabinett und im Rahmen des Koalitionsvertrages abgesprochen ist – vielleicht erste Ansichten dazu geben, wie das Design eines zukünftigen Förderprogramms aussehen kann, dass Dinge wie graue Energie usw. beim Bauen mit berücksichtigt werden? Damit vielleicht auch schon mal inhaltlich eine Perspektive gezeigt werden kann.
Die Logik sollte sein – da Geld ein knappes Gut ist –, dass die Mittel so eingesetzt werden, dass sie größtmögliche CO2-Minderungseffekte haben. Die größten Effekte, die man erzielen kann, sind tatsächlich bei der Energieerzeugung selbst, also Austausch von fossilen Brennstoffen. Das hat auch viel mit der geopolitischen Debatte zu tun, die wir im Moment haben. Man hat aber auch hohe Gewinne, wenn man den Gebäudealtbestand saniert, und da ist es durchaus logisch, KfW 55 weiter zu fördern. Also, das wäre ein Eckpunkt. Dazu kommt die soziale Frage, also der Ausbau von Wohnungen mit sozial und preislich gebundenen Mieten. Das sollte ebenfalls weiter gefördert werden.
Die Logik aus all dem, was ich sage, ist: Wenn es eine Überförderung des KfW-55-Standards gibt, dann ist das offensichtlich der Standard im Neubau. Das sollte dann auch entsprechend eine Verankerung finden.
Vielen Dank. – Herr Dr. Kaufmann, denken Sie bitte an Ihre Maske. – Dann kommen wir zum nächsten angemeldeten Fragesteller: Hannes Walter, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir haben gerade im Wirtschaftsausschuss den Jahreswirtschaftsbericht besprochen. Dort nimmt Wasserstoff einen großen und wichtigen Teil ein. Es gibt die Idee eines Sofortprogramms zur Reduzierung der CO2-Verursachung.
Meine Frage, gerade im Hinblick auf die deutsche Wasserstoffindustrie, bezieht sich darauf: Können sich die Unternehmen vor Ort, in der Lausitz etwa, darauf verlassen, dass die Bundesregierung weiter unterstützend dabei ist?
Was die Unterstützung der Strukturwandelregionen Lausitz, Nordrhein-Westfalen angeht: Selbstverständlich. Die Programme beim Kohleausstieg – wenn das gemeint ist – sind, was den Anteil des Bundes angeht, auch schon weit belegt und müssen dann realisiert werden. Diese Realisierung müsste gegebenenfalls noch beschleunigt werden, wenn ein vorzeitiger Kohleausstieg, wie er angestrebt und hoffentlich auch umsetzbar ist, passiert.
Ich möchte noch anmerken, dass viele von den Programmen, die dort jetzt gemacht werden, den akademischen Bereich adressieren. Ich finde, wir müssen sehr viel Konzentration und Arbeit aufbringen, damit auch Menschen mit Blue-Collar-Jobs, also Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben, dort Beschäftigung und Anstellung finden. Insofern ist der industrielle Hochlauf immer Teil dieser Strategie.
Was Wasserstoff selbst angeht – also die Produktion von Wasserstoff über Elektrolyseure, nicht den Import von Wasserstoff –, macht es natürlich Sinn, ihn vor allem da zu produzieren, wo der erneuerbare Strom anfällt. Sonst würde man ja Trassen durch Deutschland bauen, um Wasserstoff zu produzieren. Es macht schon eher Sinn, den Wasserstoff direkt da zu produzieren, wo die Energie ist, und den Trassenausbau zu entlasten.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage. – Dann hat Herr Pellmann, Fraktion Die Linke, eine Frage zum Thema.
Frau Präsidentin! Herr Minister, Sie haben mir jetzt das Stichwort „Strukturwandel“ mitgegeben, und ich habe Ihren Ausführungen und auch dem Koalitionsvertrag entnehmen können, dass der Kohleausstieg bis 2030 erfolgen soll; zumindest ist es so geplant.
Was planen Sie – das ist die konkrete Frage in diesem Zusammenhang, Herr Minister – zusätzlich, damit der Strukturwandel in gleichem Maße bis 2030 bewältigt wird und insbesondere die notwendigen Arbeitsplätze bis dahin geschaffen werden? Wir haben gerade von der Region in der Lausitz gehört. In Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gibt es mehrere ähnlich gelagerte Situationen. Wie sehen Sie das?
Ich komme auf meine vorherige Antwort zurück. Die 40 Milliarden Euro, die verabredet wurden, stehen zur Verfügung. Das ist eine Menge Geld. Sie werden anteilig vom Bundesprogramm belegt. Da ist die Programmierung sehr weit fortgeschritten.
Die Länderprogramme sind ebenfalls gut dabei. Es gibt aus meiner Sicht zwei Punkte zu bedenken: Sollte – und das ist das erklärte Ziel dieser Regierung – der Kohleausstieg früher möglich sein, dann müssen diese Programme eben auch in den betroffenen Regionen schneller realisiert werden. Zweitens muss man darauf achten, dass man nicht nur – das ist gewollt und gewünscht, und das ist ja auch gut – Behörden, Forschungseinrichtungen und akademische Institutionen da hinbringt, sondern tatsächlich auch industrielle Wertschöpfung in diesen Regionen hält. Das ist ein Fokus, der vielleicht noch nicht genug berücksichtigt wird. Also: Arbeitsplatz ist nicht gleich Arbeitsplatz. Leute, die dort Beschäftigung haben, sollten möglichst auch ein Angebot in ihrem Branchenumfeld bekommen.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Herr Minister, vielen Dank für die Auskunft. – Wir haben Ihrem Ministerium auch eine schriftliche Frage gestellt, in der es insbesondere um den Abruf dieser Strukturmittel ging. 500 Millionen Euro stehen da zur Verfügung, 5 Millionen Euro sind nur abgerufen worden. Wir als Linke finden, das ist genau das falsche Zeichen für diese Region. Was konkret tun Sie mit Ihrem Ministerium bzw. auch der Rest der Bundesregierung, damit es dort zu einem deutlich schnelleren Abfluss und Abrufen der Mittel kommt?
Ich habe mir vorgenommen, die Kollegen und, wenn sie wollen, auch die jeweiligen Ministerpräsidenten zu besuchen – ich habe das als Landesminister in Schleswig-Holstein immer sehr geschätzt –, und werde dann sicherlich als Nächstes auch nach Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen fahren, um dort mit den Kabinettskollegen zu überlegen, was man noch verbessern kann. Im Wesentlichen stellt der Bund ja die Gelder bereit, und die Länder verplanen sie. Das respektiere ich auch voll. Wenn es aber Möglichkeiten von weiterer Unterstützung gibt, dann sollen die identifiziert und gefunden werden. Bei allem Ehrgeiz, Klimapolitik und Wirtschaftspolitik zusammenzubringen: Wir dürfen nicht nur abstrakt denken. Wir müssen immer genau sehen, was in den Regionen als Wandelprozess passiert, und sind zwingend darauf angewiesen, dass der gesellschaftliche Konsens gewahrt bleibt.
Und der nächste Fragesteller ist Leif-Erik Holm, AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir können unsere Diskussion aus dem Ausschuss auch nahtlos fortsetzen. Allerdings habe ich jetzt aus aktuellem Anlass noch ein anderes Thema, das heute durch die Presse geistert: Die MV Werften und ebenso die Lloyd-Werft in Bremerhaven sind ja insolvent gegangen, jetzt auch der Mutterkonzern Genting. Heute nun steht in der Presse, dass das Forderungsausfallrisiko des Bundes noch mal deutlich höher liegt, als ursprünglich gedacht. In der letzten Sitzungswoche habe ich Ihr Ministerium dazu ja in der Ausschusssitzung gefragt. Da hieß es noch, es wären etwa 100 Millionen Euro, die da auf Bundesseite im Feuer stünden. Nun ist die Rede von mehr als 900 Milliarden Euro. Das hat uns deutlich überrascht, muss ich sagen. Und da würde ich schon gerne wissen, wie das jetzt zustande kommt.
900 Millionen Euro – bei 900 Milliarden wären wir alle pleite.
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Es gibt tatsächlich die ausgegebenen Gelder von knapp 100 Millionen Euro, wenn ich das richtig im Kopf habe, und es gibt die Hermesbürgschaften. Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds sind nicht abgerufen worden. Sie sind daran gebunden, dass die Insolvenzverwaltung ein Geschäftsmodell findet. Davon gehe ich aus. Die Insolvenz ist ja – hoffentlich – nicht das Ende des Werftenbaus an den beiden Standorten, sondern die Chance für einen Neuanfang. Und die gesamte Kraft von Politikerinnen und Politikern des Wirtschaftsministeriums von Mecklenburg-Vorpommern wie des Bundes richtet sich darauf, das zu ermöglichen. Dann ist das Ausfallrisiko – ich hatte das ja auch im Haushaltsausschuss schon genau so erläutert – gebannt durch eine wirtschaftliche Tätigkeit der Werft am Standort und vielleicht auch den Weiterbau der „Global One“.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Ja, die Frage bleibt natürlich stehen: Woher kommt die Diskrepanz in den Berechnungen des Ausfallsrisikos um den Faktor zehn? Das ist ja schon enorm. Im Hintergrund soll es ja wohl darum gehen, dass auch andere Schiffe betroffen sind, also nicht die „Global One“ allein, sondern auch fünf Vorgängerschiffe, die vorfinanziert wurden, die auch lange Zeit schon ausgeliefert sind, aber von Genting offensichtlich nicht bezahlt wurden, weswegen wir da immer noch mit den Exportkreditgarantien und Hermesbürgschaften im Feuer stehen. Die Frage ist: Hat das Ministerium nicht darauf Einfluss genommen, dass Genting hier auch rechtzeitig seine Rechnungen begleicht und wir dieses Risiko nicht mehr haben?
Das Ministerium hat, als der nächste Antrag kam, versucht, einen Weg zu finden, die Beschäftigung und die Struktur des Werftenbaus an den Küsten in Deutschland zu halten, und war bereit, enorme Schritte zu gehen. Als die Genting-Gesellschaft aber – immer klarer – nicht mehr in der Lage war, ihren Anteil zu stemmen, haben wir dann die Entscheidung getroffen, es nicht zu tun. Der Staat kann nicht ein insolventes Unternehmen fördern; das ist ja offensichtlich. Trotzdem gibt es politisch die Aufgabe, für Beschäftigung zu sorgen.
Etwas anderes sind die Hermesbürgschaften; darauf spielen Sie an. Es sind Bürgschaften, und wenn die Bürgschaften ausfallen, dann ist das Geld futsch. Da sind wir aber bei Weitem noch nicht. Interessant und tatsächlich richtig ist, dass die Hermesbürgschaften in einem sehr großen Umfang Schifffahrt und – in einem großen Anteil dieses großen Umfangs – Kreuzschifffahrt finanzieren. Das hat mich auch gewundert. Da ich aus Schleswig-Holstein komme und wir schon mal schlechte Erfahrungen mit einer Bank mit einem Klumpenrisiko im Schiffbau gemacht hatten, war ich überrascht, dass das so war. Insofern ist es tatsächlich so: Wenn die Kreuzschifffahrt, gebürgt durch die Hermesbürgschaften, in schweres Wasser gerät, dann gibt es ein Risiko.
Herr Minister, Sie sprachen eben gerade von einem Neuanfang in Bezug auf das Geschäftsmodell der Werften. Welche konkreten Schritte unternehmen Ihr Haus und die Bundesregierung zur Förderung dieses Neuanfangs?
Die Werften selbst sind – ich komme ja aus einem Küstenstandort und habe in meinem Wahlkreis eine Werft, die auch immer wieder durch raues Wasser geht – Teil eines globalen Strukturwandels, der die industrielle Fertigung immer stärker von Europa und auch aus Deutschland abgezogen hat. Ich erzähle an dieser Stelle nur Allgemeinwissen.
Wenn man etwas halten will oder zurückbringen will, dann gilt das Gleiche, was für alle Branchen gilt: Man muss Innovation und die Zukunft gestalten. Im Wettlauf mit den Billiglohnländern werden wir nicht konkurrieren können. Das heißt, wie auch in der restlichen Grundstoffindustrie ist meine Strategie, die Werften am Standort zu halten, die Bereiche, die noch nicht marktgängig sind, hier zu installieren. Das ist ein Schiffbau, der CO2-Emissionen reduziert; es ist die Verwertung von Schiffen, es ist die Förderung von Antriebstechniken, die noch nicht Standard sind.
Ob die Werften das können – Werften sind hochspezialisierte Gebilde; man kann nicht sagen: „Schiff ist Schiff, mach mal“, sondern das ist hochdifferenziert –, wird zu bereden sein. Die Gespräche dafür werden bald beginnen.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Vielen Dank, nein.
Die nächste Fragestellerin ist Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, Sie haben von Ihrem Vorgänger ja nicht nur die KfW-Entscheidung geerbt, die zu einem Run auf das Programm mit bitteren Konsequenzen geführt hat, sondern auch eine noch sehr hohe Abhängigkeit von den fossilen Energien, weshalb wir zurzeit große Schwierigkeiten mit den Energiepreisen haben. Die Gaspreise sind hochgegangen. Wir brauchen ja eine strukturelle Antwort. Ich freue mich sehr, dass Sie auch schon einige Entscheidungen für kurzfristige Entlastungen getroffen haben und an weiteren Dingen arbeiten. Aber wir brauchen auch eine strukturelle Entlastung, nämlich eine geringere Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern, also einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien. Da haben Sie letzte Woche einerseits schon ein Programm vorgelegt und andererseits auch schon erste Gespräche geführt, insbesondere zum Ausbau der Windenergie an Land, die definitiv ein wichtiger Teil des Ausbaus der erneuerbaren Energien sein muss.
Da würde ich Sie gerne fragen, wie Ihre Erfahrungen aus den Gesprächen waren und wie Sie planen weiter vorzugehen, um den Ausbau der Windenergie an Land voranzubringen, und ob Sie da vielleicht sogar schon einen konkreten Zeitplan haben.
Ich hatte bisher Gelegenheit, mit Repräsentanten zweier Bundesländer, also einerseits dem Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Wirtschaftssenator und andererseits mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und dem Wirtschaftsminister Aiwanger zu sprechen. Hamburg, denkt man, hat da wenig Assets im Feuer; aber das stimmt nicht. Auch Hamburg will die Produktion seiner Standorte auf erneuerbare Energien ausrichten. Das ist insofern lehrreich, dass der Hunger der Wirtschaft nach erneuerbaren Energien zu einem Standortfaktor werden wird. Mein Eindruck ist, dass das im bayerischen Wirtschaftsministerium genauso gesehen wird. Es ist also nicht nur eine Belastung, sondern auch eine wirtschaftliche Chance, und wir werden das mit der EEG-Reform deutlich unterstützen, um den Unternehmen günstigen Zugang zu Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu ermöglichen. Der bayerische Ministerpräsident, scheint mir, denkt darüber nach, ob dieser Zusammenhang auch für ihn gilt.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Ja, herzlichen Dank, sehr gerne. – Dann würde ich gerne noch einmal den anderen Bereich der Windenergie ansprechen, den Offshorebereich. Auch da muss ja noch weiter beschleunigt werden; die Planungszeiten sind aber sehr lang, die Planungsvorläufe sind sehr lang. Was planen Sie da, um auch beim Offshoreausbau noch zusätzliche Erneuerbare zu bekommen?
Wir konnten durch Neuzuschneidung der Offshoregebiete schon in diesen Wochen Potenzialflächen für 3 Gigawatt realisieren – das ist eine Menge –, die den kurzfristigen Wiederanlauf der Offshorewindkraft gewährleisten können. Insgesamt haben wir für die nächsten Jahre, die Dekade bis 2030, genug Flächen, um die anvisierten Ziele zu erreichen.
Wir sollten aber nicht den Fehler machen, zu sagen: Dann ruhen wir uns aus. In den Jahren 2030 bis 2040 soll dann der Hochlauf auf 70 Gigawatt erfolgen, und das machen dann Nachfolgerregierungen. – Ich bin mit den Kolleginnen – das ist vor allem die Kollegin Geywitz, die für die Raumordnung zuständig ist, auch für diejenige auf See – in guten Gesprächen, damit wir in dieser Legislaturperiode auch die notwendigen Kulissen zu mehr finden.
Gibt es jetzt weitere Fragen aus anderen Fraktionen zu diesem Themenbereich? – Das sehe ich nicht.
Dann fahren wir fort mit dem nächsten angemeldeten Redner und Fragestellenden; das ist Pascal Meiser, Fraktion Die Linke.
Herr Minister Dr. Habeck, wir wissen, dass die anhaltende Pandemie und auch die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung im Moment insbesondere die Veranstaltungswirtschaft, die Gastronomie und den Einzelhandel besonders hart treffen. Meine Frage an Sie ist: Beabsichtigen Sie, in diesem Zusammenhang auch noch einmal die bestehenden Überbrückungshilfen nachzubessern?
Wir haben ja die Situation, dass nur solche Unternehmen anspruchsberechtigt sind, die eine Umsatzeinbuße von mindestens 30 Prozent zum Vergleichszeitraum vorweisen können, und dass gleichzeitig die Maßnahmen, die wir jetzt haben – 2 G und Ähnliches –, dazu führen, dass viele Unternehmen Umsatzeinbußen von 20 bis 25 Prozent zu verzeichnen haben und dass das für viele auf Dauer nicht aus eigenen Mitteln auszugleichen ist. Deswegen an Sie die Frage: Beabsichtigen Sie, hier auch die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen zu ändern und gegebenenfalls dann mit der Europäischen Kommission den beihilferechtlichen Rahmen noch mal nachzubessern? Wir als Linke halten das für dringend geboten.
Vielen Dank für die Frage. – Die Logik der Überbrückungshilfen ist insgesamt, dass sie immer wieder angepasst werden. Wir sind in einem dynamischen Geschehen, und da, wo es etwas besser gemacht werden kann, soll es besser gemacht werden. Das ist auch jetzt hier passiert, und das hilft hoffentlich den betroffenen Branchen. Erst einmal ist mit der Überbrückungshilfe IV die Möglichkeit eingeführt worden, die zusätzlichen Kosten wegen der Kontrolle von Impfausweisen abzurechnen. Wenn man zum Beispiel jemanden einstellt, der an der Tür sitzt und guckt, ob man sein Handy und den Impfausweis dabei hat, dann ist das förderfähig; das übernimmt sozusagen der Staat.
Für das Problem, das Sie angesprochen haben, gibt es ebenfalls eine Lösung. Unternehmen, die nachweisen, dass sich der Geschäftsbetrieb nicht mehr lohnt, fallen voll unter die Überbrückungshilfe IV. Sie müssen das dem prüfenden Dritten erklären. Er muss das analysieren, sodass man nicht einfach sagen kann: Ich hab keine Lust, ich mach mal nichts, ich will gerne Überbrückungshilfen. – Aber es ist sehr, sehr weich formuliert.
Ich würde es gerne bei dieser 30-Prozent-Regel insgesamt belassen; aber das ist eine Öffnung, die auch das freiwillige Schließen förderfähig macht, wenn man nachweist, dass die Kosten oder der Aufwand zu hoch sind.
Sie haben auch die Möglichkeit einer Nachfrage.
Also, wenn ich das jetzt richtig verstehe, ist das eine indirekte Aufforderung Ihrerseits an Unternehmen, die Umsatzeinbußen im Bereich von 20 bis 25 Prozent haben, lieber komplett dichtzumachen, wenn es sich sonst nicht trägt, als das Unternehmen mit einem Umsatz von dann vielleicht eben 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum weiterzuführen.
Das halte ich für eine äußerst interessante Aussage eines Wirtschaftsministers und würde Sie bitten, doch noch mal zu klären, ob Sie nicht doch etwas für diesen Bereich – der Handelsverband und andere sind ja genau an dem Punkt dran und fordern eine bessere Förderung der betroffenen Unternehmen – tun wollen.
Meine zweite Frage: Wir haben die Situation, dass bei der Überbrückungshilfe IV – initiiert von Ihrem Vorgänger, aber auch durch Druck des Bundesrechnungshofs – der Anteil der erstattungsfähigen Kosten von 100 auf 90 Prozent gesenkt wurde. Planen Sie, das beizubehalten – auch das ist ja ein Riesenproblem für die betroffenen Unternehmen –, oder wie gehen Sie da weiter vor, um diese Unternehmen nicht im Regen stehen zu lassen?
Die Absenkung auf 90 Prozent, wie gesagt, ist vom Bundesrechnungshof so gewollt und gefordert worden. Deswegen haben wir uns dem dann gefügt und angeschlossen.
Und nein, Sie haben mich falsch verstanden, dass das eine Aufforderung zum Schließen wäre, ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass bei den abrechenbaren Kosten ein Weg gefunden wurde, Unterstützung hinsichtlich der Zusatzkosten zu ermöglichen. Gleichzeitig stellen die weiteren Fördermaßnahmen, die ja auch da sind, wenn man Umbaumaßnahmen vornimmt, eine gute Möglichkeit dar, zum Beispiel den Restaurantbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Umsatzeinbußen, die dann, wenn die Umsätze nicht realisiert werden können, entstehen, sind ebenfalls ausgleichfähig. Insofern ist da das System in sich ganz gut aufgestellt.
Ich habe eine nächste Fragestellerin zu dem Thema: Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Die Frage schließt sich unmittelbar an. Es geht um die Überbrückungshilfe IV und die Unternehmen, die infolge der schlechten Auslastung freiwillig schließen. Sie haben gerade gesagt: Das Fördersystem bewährt sich. – Aber genau die entsprechenden Mittel sind befristet auf den 31. Januar 2022, also ein Programm, das ebenfalls in sieben oder sechs Tagen ausläuft.
Ich hatte versucht, im Wege einer schriftlichen Frage von Ihnen eine Antwort zu erhalten, ob und inwiefern dies verlängert wird. Sie blieb allerdings vage, mehr als vage: Es gab keine Antwort, jedenfalls keine belastbare. Die Frage ist: Wird dieses Programm auch für Betriebe, die freiwillig geschlossen haben, über den 31. Januar hinaus fortgesetzt?
Vielen Dank für die Frage. – Wenn das noch nicht bekannt ist, dann kann ich sagen: Ja, so wird es sein; für den Februar ist die gleiche Regelung gedacht. Wie wir im März dastehen, werden wir dann sehen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird man sie dafür ebenfalls verlängern. Sollte die Welle brechen und sollten wir wieder zu einem normaleren Leben zurückkehren können, dann ist sie vielleicht nicht mehr notwendig. Aber für den Februar – das ist ja eine sehr präzise Frage – kann ich sagen: Es gilt die gleiche Regelung wie im Januar.
Ich sehe keine weitere Frage mehr zu dem Thema. – Dann gehen wir weiter zum nächsten angemeldeten Fragesteller, zu Manfred Todtenhausen, FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, als Handwerker liegt mir natürlich der Bürokratieabbau sehr am Herzen. Von Bürokratie haben wir genug. Im Koalitionsvertrag haben unsere Parteien gemeinsam verabredet, dass sie ein neues Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg bringen wollen, welches Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie Verwaltung vom Bürokratieaufwand entlastet. Die FDP hat dazu in der letzten Legislatur viele Vorschläge gemacht. Meine Frage ist: Was denken Sie? Wie schnell ist es möglich, hier über die Klimathemen hinaus ein positives Signal des Bürokratieabbaus für Bürgerinnen und Bürger, für Handwerk, Handel und Mittelstand zu geben?
Wir wollen alle so wichtigen Gesetze in diesem Jahr verabschieden.
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Das war eine kurze Antwort. Vielen Dank.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage, Herr Todtenhausen.
Ja, die würde ich auch gerne nutzen. Ich bin fast noch in meiner ersten Minute, wenn das so schnell weitergeht. Ich hoffe, ich kriege hier eine bessere Antwort, eine längere Antwort.
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– Alles in Ordnung. Die Antwort war ja gut. Ich verlasse mich auch darauf, Herr Minister. Das war sehr konkret. Ich gucke dann auf das Datum.
Es ist den Betrieben natürlich unheimlich wichtig, wenn es um dieses Thema geht. Darum finde ich den sogenannten Praxischeck, über den wir ja reden, sehr interessant. Beabsichtigen Sie, hier in der betroffenen Wirtschaft gerade den Mittelstand systematisch einzubinden? Und gibt es schon von Ihnen konkrete Vorstellungen, wie man das machen kann?
Für mich und mein Haus kann ich das sehr gut beantworten. Für die Bundesregierung selbst gibt es einen Staatssekretärsausschuss, der diese Planungsideen, Beschleunigungsideen, Entbürokratisierungsideen systematisieren und sammeln soll, um dann das Gesetzesverfahren vorzubereiten.
Für das Wirtschaftsministerium gehen wir so vor, dass ich nicht einen Arbeitskreis von x Leuten gründe, die ihre Erfahrungen bündeln und dann vier Jahre daran arbeiten, einen Aktenordner vollzuschreiben, in dem drinsteht, wie man die Bürokratie reduziert, sondern es gibt ein Lernen an der Praxis. Das ist der klare Arbeitsauftrag: Immer dann, wenn Verfahren zu lange dauern, Fördergelder nicht abfließen, weil die Genehmigungen an irgendwelchen Dingen haken – das betrifft erneuerbare Energien, aber auch jede Form von Mittelstandsbetätigung –, ist das nach oben zu melden, und dann ist zu schauen, ob Gesetze nicht bei Wahrung der Schutzgüter pauschaler und einfacher gefasst werden können. So gehen wir vor. Wenn man das verallgemeinern kann: Aus konkreten Lösungen gewinnt man einen Beitrag, das Gesetz rundzumachen. Da bin ich im engen Gespräch mit den Verbänden. Die wissen das. Die sind aufgefordert, in Anschreiben solche Problemfälle zu melden. Das werden sie sicherlich tun, da habe ich keine Zweifel.
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Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? – Das sehe ich nicht. Dann ist der weitere angemeldete Fragesteller Dr. Thomas Gebhart, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Minister, um die Klimaschutzziele zu erreichen und gleichzeitig eine verlässliche Energieversorgung in diesem Land zu gewährleisten, werden wir innerhalb der nächsten Jahre zusätzliche Gaskraftwerke brauchen. So lange, bis diese mit Wasserstoff betrieben werden können, werden wir folgerichtig zusätzliche Mengen an Erdgas benötigen. Meine Frage an Sie, an die Bundesregierung lautet: Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um sicherzustellen, dass die notwendigen Gaskraftwerke rechtzeitig, und zwar in ausreichender Anzahl, zur Verfügung stehen werden? Und welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um sicherzustellen, dass die benötigten Mengen an Erdgas nach Deutschland geliefert werden?
Vielen Dank für diese Frage. Jetzt bedauere ich wirklich, dass ich nur eine Minute Zeit habe. Erlauben Sie mir, in der Kürze drei Ebenen zu unterscheiden.
Es ist richtig, was Sie gesagt haben. Wir brauchen eine Gaskraftwerkinfrastruktur. Die Betonung liegt aber auf Gaskraftwerke. Der Brennstoff selbst soll dann ja so schnell wie möglich ersetzt werden. Also, die Debatte, ob wir Gas brauchen oder nicht, ist eigentlich die falsche. Es geht um die Infrastruktur, genauso wie Sie es eingefordert haben.
Wie viel Gas wir brauchen, ist damit noch lange nicht gesagt, weil der Hochlauf der erneuerbaren Energien – inklusive der Sektorenkopplung – auch ein Gegengewicht schafft. Es kann sein, dass wir mehr Gas brauchen; es kann aber auch sein, dass wir, wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien gut sind, die benötigte Menge an Kilowattstunden in Teilen anders erzeugen.
Die dritte Frage ist natürlich zentral, nicht nur für die Energieversorgung, sondern für die geopolitische Situation in Deutschland. Wir brauchen eine höhere Unabhängigkeit von einem Lieferanten; wir werden also den Gaseinkauf diversifizieren und auch eigene Infrastrukturen dafür schaffen müssen. Wir werden dafür Sorge tragen müssen, dass die Speichermöglichkeiten, die wir haben, besser genutzt werden, als wir es in diesem Jahr erlebt haben. – Jetzt breche ich ab, weil es rot blinkt.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Gerne. – Ganz konkret war die Antwort leider nicht. Ich möchte noch eine Nachfrage stellen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in den nächsten Jahren erhebliche Mengen an Erdgas brauchen – nach allen Berechnungen, die vorliegen, brauchen wir vermutlich eher mehr Erdgas bei einem gleichzeitigen Ausbau der erneuerbaren Energien –: Aus welchen Ländern sollen denn diese Mengen an zusätzlichem Erdgas kommen,
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und welche Rolle wird insbesondere Russland nach Ihren Überlegungen dabei spielen?
Noch einmal, weil ich es eben nicht ausführen konnte: Die Frage, welche Kapazität wir aufbauen, wird sich über den Monitoringbericht zum Kohleausstieg klären. Der wird die Voraussetzungen, wann der Kohleausstieg unter welchen Bedingungen möglich ist, und auch die Orte und Kapazitäten der Gaskraftwerkinfrastruktur definieren. Das wird im Sommer der Fall sein; spätestens im August werden wir das wissen.
Die Diversifizierung ist marktgetrieben. Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir es bei allem Engagement des Staats mit Märkten zu tun haben. Wir können also den Kraftwerken nicht vorschreiben, wo sie einkaufen. Aber man kann natürlich politisch mit Rahmenverträgen unterstützen. Wenn man nicht über Russland geht, dann gibt es die theoretische Möglichkeit, uns aus Nordafrika mit einer Pipeline zu versorgen. Das ist ein etwas längerer Weg, und Frankreich müsste erlauben, dass man durch Frankreich baut.
Wenn das nicht der Fall ist, muss man LNG einkaufen. LNG setzt voraus, dass es eine Infrastruktur gibt. Die beiden Terminals, die Deutschland mal angedacht hat – Brunsbüttel und Stade –, sind bisher nicht privat finanzierbar. Dieser Frage werden wir uns jetzt energisch zuwenden. Wo dann das LNG herkommt, wird ebenfalls marktgetrieben sein. Man sollte da einkaufen, wo das LNG am günstigsten ist.
Frau von Storch, bitte ziehen Sie die Maske auch über die Nase. Das ist ein Mund-Nasen-Schutz.
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Für eine weitere Frage zu diesem Thema hat das Wort Timon Gremmels, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, daran anknüpfend möchte ich Sie fragen: Wie steht denn die Bundesregierung zur Einführung einer nationalen Gasreserve, um die halb leeren Gasspeicher – das ist Marktversagen –, die jetzt vorhanden sind, künftig wieder zu füllen? Ich habe mit Interesse gelesen, dass auch der RWE-Chef sich gestern dahin gehend geäußert hat, dass man eine solche Gasreserve bilden muss. Und auf welche Vorarbeiten in Ihrem Haus, von Ihrem Vorgänger Peter Altmaier, können Sie in dieser Frage zurückgreifen?
Die Tradition der deutschen Energiepolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte in diesem Bereich – nicht nur Peter Altmaier ist ein Vorgänger, sondern eine lange Reihe von Vorgängern gibt es dort zu verzeichnen – ist, dass man den Gasmarkt komplett liberalisiert. Es gibt also derzeit keine Möglichkeit, politisch in den Gasmarkt einzugreifen. Es gibt eine kleine Möglichkeit, die sogenannten Long Term Options zu ziehen; davon ist in diesem Winter Gebrauch gemacht worden. Das sind dann Anordnungen, im kleinen Bereich Käufe zu tätigen, um die Speicher zu füllen; aber das ist nur ein kleiner Bereich. Deswegen ist der Weg, den Sie genannt haben, ein denkbarer: Der Staat steigt ein und schafft eine nationale Gasreserve. Ein anderer ist der, der im europäischen Ausland in Teilen gegangen wird – Italien könnte ich nennen –: dass es eine Verpflichtung gibt, die Speicher mit einem bestimmten Volumen zu einem Zeitpunkt X voll zu haben.
Beide Wege haben Vor- und Nachteile. In jedem Fall sind es Markteingriffe, die dann auch die Frage nach Kompensationen oder Garantien aufwerfen. Insofern ist das ein komplexes Thema. Aber zum Winter nächsten Jahres muss das Thema gelöst werden. Wir dürfen nicht noch einmal in so eine Situation reinlaufen, wie wir sie jetzt erlebt haben. Das wäre wirklich fahrlässig.
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Ihre Nachfrage noch.
Herr Minister, könnten Sie noch mal – Sie haben es ja gerade angedeutet – ausführen, wie Ihr Haus aufgrund des Marktversagens, das zu halb vollen Gasspeichern geführt hat, nun eingreifen und zusätzlich Gas einkaufen musste? Können Sie dazu noch ein, zwei Ausführungen machen?
Das kann ich nur bedingt, weil die Märkte auf politische Äußerungen immer sensibel reagieren. Aber es gibt die kleine Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass die Versorgungssicherheit durch Extraeinkäufe gesichert wird: die sogenannten Long Term Options. Ansonsten sind die Möglichkeiten sehr begrenzt. Es gibt auch keine Vorarbeiten dazu, weil die politische Mengenlehre war, dass der Markt das regelt.
Man muss ehrlicherweise auch sagen – das sagen alle Lieferanten –, dass alle Aufträge bedient werden. Nur führt das trotzdem dazu, dass die Preise sehr hoch sind, dass wir keine Entlastungssignale geben können und dass natürlich die geopolitische Frage im Raum steht: Und was ist, wenn mal nicht bedient wird? Insofern gibt es da einen politischen Handlungsauftrag.
Danke.
Eine Nachfrage zu diesem Thema hat der Kollege Lenkert, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Herr Minister, ich hätte eine Nachfrage. Sie sagten vorhin, dass man Gaskraftwerke benötigt; das sehen wir genauso. Insbesondere für den Fall von relativ wenig Wind und wenig Sonne ist es natürlich sinnvoll, wenn die Stadtwerke gestärkt werden, die dann durch Kraft-Wärme-Kopplung sowohl Wärme als auch Ersatzstrom für die Städte und die Menschen bereitstellen. Leider ist die derzeitige KWK-Förderung nicht ausreichend zukunftssicher, und leider habe ich in Gesprächen erfahren, dass sehr viele Stadtwerke oder Regionalversorger entsprechende Kopplungen zurückfahren, weil die Wärme nicht in den vorhandenen Mengen abgefragt werden kann und gerade im Sommer diese Kraftwerke nicht als Ersatzkraftwerke zur Verfügung stehen.
Ist es nicht betriebswirtschaftlich unklug, dann stattdessen auf der grünen Wiese Ersatzkraftwerke zu bauen? Das heißt: Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die KWK und die Fernwärmenetze zu stärken und die Stadtwerke zu unterstützen?
Vielen Dank für die Frage. – Die Frage der KWK und der Fernwärmeversorgung ist einer der Gründe gewesen, warum wir uns als Bundesregierung noch einmal mit einer Stellungnahme zur Taxonomie geäußert haben. Das ist nicht präzise genug gesehen worden bei der Erarbeitung der Vorgaben der Europäischen Kommission. Aber ansonsten haben Sie recht in Bezug auf das beschriebene Hochlaufen von Gaskraftwerkinfrastrukturen, deren Volumen wir ja noch identifizieren müssen; den Monitoringbericht zum Kohleausstieg habe ich schon angesprochen. Aber es gibt natürlich auch ein Geschäftsmodell für Kraftwerke, die möglichst wenig laufen sollen. Das ist ein anderes Geschäftsmodell als das, was es im Moment gibt. Deswegen werden wir genau dafür ein Marktsegment schaffen müssen; das ist völlig richtig angemahnt.
Jetzt muss der erste Schritt erfolgen. Wir müssen die Kapazitäten erkennen, die Netzversorgung sicherstellen, und dann muss das Design für die Kraftwerksinfrastruktur so erfolgen, wie eben schon angedeutet. Wo die Kraftwerke stehen, das ist am Ende eine kommunale Entscheidung; das wird keine Bundesregierung jemals entscheiden können.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Herr Minister, im Netzentwicklungsplan 2021/2040, der aktuell verabschiedet worden ist, wird bereits darauf hingewiesen, dass es bei kritischen Wetterlagen eine Unterdeckung von etwa 40 Gigawatt Leistung geben wird; die soll durch Importe abgedeckt werden. Ist es in diesem Zusammenhang nicht dringend erforderlich, entsprechende Kapazitäten für Ersatzkraftwerke zu planen, insbesondere vielleicht auch dort – und da komme ich auf den Punkt Infrastruktur und graue CO2-Energie zu sprechen –, wo die Infrastruktur schon vorhanden ist? Also: Ist es nicht klüger, Stromtrassen und Gastrassen, die vorhanden und fertiggestellt sind, weiter zu nutzen, statt irgendwo etwas neu zu bauen, also die starke Windstromerzeugung in Sachsen-Anhalt und Brandenburg zu nutzen, um notwendige Kapazitäten beim Gas oder bei der Wasserstoffelektrolyse in den ehemaligen Braunkohlerevieren aufzubauen?
Volkswirtschaftlich nicht, jedenfalls nicht so, wie Sie es dargestellt haben; denn die Verwandlung von Strom in Wasserstoff geht immer einher mit hohen Wirkungsgradverlusten. Das heißt, den größten volkswirtschaftlichen Effekt erzielen wir, indem wir das edelste Produkt im Energiemarkt, nämlich Strom, möglichst auch edel verbrauchen und nicht in andere Sektoren überführen.
Dort, wo Überkapazitäten vorhanden sind, das Netz schon ausgereift ist, die Versorgungssicherheit – sofern Erneuerbare sie leisten – gewährleistet ist und man trotzdem noch Kapazitäten hat – den Bereich Offshore haben wir auf die Frage von Ingrid Nestle hin kurz angesprochen –, sollte es so sein; da haben Sie völlig recht. Die Elektrolyseure sollten an den Standorten stehen, wo die erneuerbaren Energien stark sind, und dann dort die Energie erzeugen. Sonst müsste man – ich habe es schon gesagt – die Stromnetze quer über die Republik spannen, um Strom in andere Energieträger umzuwandeln, was erkennbar keinen Sinn macht. Dann sollte lieber die Energieumwandlung bei gewährleisteter Versorgungssicherheit und voller Nutzung des Stromsystems an demselben Ort durchgeführt werden, um die Energie in der Form, in der sie da ist, an die Verbrauchszentren zu bringen.
Zu diesem Thema sehe ich keine weiteren Fragesteller mehr. – Doch: Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, der Bundeskanzler hat Anfang letzter Woche erstmals eingeräumt, dass es sich bei der Gaspipeline Nord Stream 2 um kein rein privatwirtschaftliches Projekt handelt. Was bedeutet das für den Umgang der Bundesregierung mit diesem Projekt, insbesondere vor dem Hintergrund der Aggression Russlands gegen die Ukraine und der großen Bedenken, die zum Beispiel baltische Regierungen und die polnische Regierung bei diesem Projekt haben? Gibt es da eine andere Linie?
Ich würde das gerne trennen. Die Genehmigung von Nord Stream 2 durch die Bundesnetzagentur ist – das wissen Sie – im Moment ausgesetzt, und sie wird nach den europäischen Vorgaben erfolgen, nach Recht und Gesetz. Also: Das Unbundling, die Trennung von Infrastruktur und Betrieb, muss nachgewiesen werden.
Parallel dazu – das hat natürlich damit auch etwas zu tun; aber es ist nicht ursächlich darauf zurückzuführen – müssen wir alle höchst besorgt sein über die Situation in der Ostukraine. Ich denke, es ist – ohne zu übertreiben, ohne Panik zu schüren – eine der brenzligsten Situationen, die wir geopolitisch seit vielen Jahren erleben. So heiß war der Konflikt noch nicht mal während des Kalten Krieges. Der Bundeskanzler hat ebenfalls gesagt: Sollte es zu einem Krieg kommen, einem Einmarsch Russlands in die Ukraine, sind alle Optionen denkbar.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Nein, brauche ich nicht.
Dann kommen wir zur nächsten angemeldeten Frage, vom Fragesteller Steffen Kotré.
Vielen Dank. – Herr Bundesminister Habeck, Sie haben in dankenswerter Offenheit bezüglich der Energiewende gesagt: Wir gehen da voll ins Risiko, und vielleicht gelingt’s. – Aber das sind doch eher Aussagen eines Spielers am Spieltisch, der mit Vermögen spielt, und in der Tat deutet vieles darauf hin, dass das so ist.
Sie zerstören auf der einen Seite Stromerzeugeranlagen. Wir wissen nicht, wie wir die Stromversorgung in den nächsten Jahren sicherstellen sollen. Alle Experten benennen diese Stromlücke. Ein Import ist nicht möglich, und auch Gaskraftwerke sind nicht in Sicht. Das heißt, die Stromlücke wird bestehen bleiben. Im Gasversorgungsektor torpedieren Sie Nord Stream 2. Auf der anderen Seite betteln Sie beim niederländischen Wirtschaftsminister darum, dass er uns Gas liefert. Das passt doch alles nicht zusammen.
Dann die Preissteigerung, gerade beim Gas. Das „Handelsblatt“ hat vor Jahren schon gesagt: Hätten wir Nord Stream 2 jetzt schon, hätten die Kunden 1 Milliarde bis 2 Milliarden Euro gespart. – Das heißt, Ihre Politik treibt die Preise in die Höhe, und so könnte man weitermachen. Die EEG-Umlage wird ja nicht abgeschafft; sie wird nur verlagert vom Stromkunden auf den Steuerzahler, was wieder das Gleiche ist. Das sind ja alles nur Nebelkerzen.
Deswegen: Wie geht das zusammen? Auf der einen Seite zerstören Sie die Erzeugeranlagen und verhindern, dass wir eine gesicherte Gasversorgung haben.
Stellen Sie bitte Ihre Frage.
Auf der anderen Seite bekleiden Sie ein Ministeramt und sind verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Herr Kotré!
Wie geht das zusammen?
Nun, so wie Sie es dargestellt haben, geht es gar nicht zusammen, weil das ein einziger Klumpen von sachlichen Aussagen ist, die teils falsch und teils widersprüchlich sind.
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Erlauben Sie mir, ganz kurz Folgendes zu antworten: Ich habe für mich gesagt, dass ich ins Risiko gehe. Die Pläne der Koalition zum Ausbau der Windkraft, die ich vorgestellt habe, sind absolut ehrgeizig, und jeder Minister, der sich der Umsetzung dieser Pläne verschreibt, geht ins Risiko. Ich habe nicht gesagt: Ich spiele mit dem Land oder mit der Energieversorgung. – Ganz im Gegenteil: Die Versorgungssicherheit, die Bezahlbarkeit von Strom, die industrielle Produktion, die Wertschöpfungsketten in diesem Land zu wahren, zu schützen und zu erhalten, ist immer das Erste, und danach wird sich auch die Politik ausrichten.
Das heißt auch, dass die Gasversorgung sicher sein muss. Sie ist im Moment auch sicher – wir haben das eben schon kurz andiskutiert –, nur zu einem immens hohen Preis. Und da ist das, was Sie als Widerspruch darstellen, tatsächlich die Lösung: Je stärker wir erneuerbare Energien ausbauen, desto stärker werden wir unabhängig von fossilen Rohstoffen, die wir alle importieren müssen, und desto stärker können wir auch geo- und sicherheitspolitisch agieren. Erneuerbare Energien schützen also nicht nur das Klima, sondern stärken auch die deutsche und europäische Souveränität in der Außenpolitik.
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Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Ihre Energiepolitik wurde ja schon mal von einer US-amerikanischen Zeitschrift als „weltdümmste Energiepolitik“ bezeichnet, und ich kann mich dem nur anschließen: aus zwei gesicherten Energieträgern gleichzeitig auszusteigen, ohne zu sagen, woher dann der Strom kommt. Ähnlich verhält es sich jetzt hier im Gasbereich. Russland wird immer dafür gescholten, dass es zu wenig Gas liefert. Das Gegenteil ist der Fall: Russland liefert, und gleichzeitig exportieren deutsche Unternehmen dieses Gas nach Osteuropa, vielleicht sogar in die Ukraine.
Wann tun Sie wirklich was Effektives, damit die Preise wieder sinken? Die CO2-Steuer: Wann fällt die endlich? Die Energiesteuer: Wann nehmen Sie die zurück? Oder die Mehrwertsteuer auf Energie: Wann wird sie abgeschafft? Ähnlich wie unsere Nachbarstaaten, die da sofort reagiert haben, was Sie leider unterlassen haben. Die Quittung kriegen wir: Wir werden demnächst soziale Härtefälle haben; die Deindustrialisierung hat im energieintensiven Bereich schon längst eingesetzt.
Herr Kotré, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Insofern die Frage: Wann tun Sie da was für die Bürger und Unternehmen?
Seit Amtsantritt arbeitet die Regierung für den Ausbau der Erneuerbaren und damit für die Entlastung der Unternehmen, um die Zukunftsfähigkeit der Branchen voranzutreiben.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Ihre Fragen nicht das Regierungsprogramm betreffen. Das heißt, was Sie fragen, geht in die falsche Richtung. Es geht nicht nur in die falsche Richtung, was die Regierungsarbeit angeht, sondern – erlauben Sie mir, das so deutlich zu sagen – dahinter steht ein Programm, das den Status quo bewahren will. Nie ist eine Volkswirtschaft reicher geworden, wenn sie nur den Status quo bewahren will.
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Wer nicht auf Innovation, auf Fortschritt und auf Veränderung setzt, der schadet der Prosperität in diesem Lande und in dem Sinne dem deutschen Volk.
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Danke, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben heute den Jahreswirtschaftsbericht mit dem schönen Untertitel „Für eine Sozial-ökologische Marktwirtschaft – Transformation innovativ gestalten“ vorgestellt. Transformation bringt nun meistens Bautätigkeit und, dem vorgelagert, Planungsaktivitäten mit sich. Ingrid Nestle hat eben das Beispiel erneuerbare Energien bzw. Ausbau der Windenergie angesprochen. Auch da behindern uns langwierige Planungsverfahren. Wie ist da die Planung der Bundesregierung, um diese Planungsverfahren zu beschleunigen, und gibt es dafür einen Zeitplan?
Vielen Dank für die Frage. – Der Zeitplan ist – wie sollte es anders sein? –, so schnell wie möglich alles in Gang zu bringen, das heißt – das habe ich auf die Frage von der FDP hin schon gesagt – in diesem Jahr. Wenn man sich jetzt nicht traut, auch die unangenehmen Debatten zu führen und die paar Knoten durchzuschlagen, dann wird man erwartbar zum Ende der Legislatur mit einem Wahltermin im Blick immer mehr an Kraft verlieren.
Sie haben recht: Die Bautätigkeiten und die Tätigkeiten in den Bereichen Verkehr und Infrastruktur in diesem Zusammenhang, sie alle sind zu bedenken. Ich schaue natürlich auf den Bereich, für den mein Ressort verantwortlich ist, aber die anderen Kollegen genauso. Das System – das habe ich schon gesagt – funktioniert so: Die Arbeitsgruppe der Staatssekretäre führt das zusammen, und dann müssen wir sehen, dass wir schnell zu Eckpunkten kommen und aus den Vorschlägen der einzelnen Ressorts schnell ein gutes Paket machen, um die Planungsbeschleunigung in diesem Jahr umzusetzen.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage. – Dann habe ich eine Nachfrage zum Thema von Tilman Kuban.
Frau Präsidentin, die Nachfrage bezieht sich eigentlich auf das vorherige Thema, an das ich noch mal anschließen möchte. – Sie haben eben gerade, Herr Minister Habeck, beim Thema der Energiepreise von Fortschrittstechnologien und Zukunftstechnologien gesprochen. Auch wir sind bereit, diesen Weg der Zukunftstechnologien mitzugehen, weil man Probleme von heute nicht mit Technologie von gestern löst; da sind wir, glaube ich, einer Meinung.
Nichtsdestotrotz finde ich das etwas zu wenig, wenn wir sehen, dass die Inflation in wesentlichem Maße von den steigenden Energiepreisen getrieben wird, dass heute viele Verbraucherinnen und Verbraucher, viele Unternehmerinnen und Unternehmer immens hohe Energiekosten haben, dass die Wohnpreise steigen, dass die Strompreise, auch der Industriestrompreis, deutlich ansteigen. Gerade im internationalen Vergleich liegt Deutschland hier ganz weit vorne. Daher, finde ich, ist diese Antwort etwas zu wenig.
Deswegen würde ich mir sehr wünschen, von Ihrer Seite aus noch mal zu hören, wie Sie meinen, der grünen Inflation – diese These wird ja von einigen Ökonomen vertreten – entgegenzuwirken, weil wir bis zur vollständigen Marktreife der erneuerbaren Energien eben noch 20 Jahre brauchen, und was Sie abgesehen vom Wegfall der EEG-Umlage dagegen tun wollen; denn wir sind uns, glaube ich, einig, dass dieser nur einen Teil des Preisanstiegs, den wir in den nächsten Jahren erleben werden, kompensieren kann und ihn nicht vollständig kompensieren wird. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Zum Ersten freue ich mich über das Bekenntnis, dass die Union bei den Klimaschutzzielen, die die letzte Regierung festgeschrieben hat, bleibt. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent bis 2030 ist ja von der Großen Koalition beschlossen und von der Ampelregierung nur bestätigt worden. Das bedeutet, auch wenn die Maßnahmen der letzten Legislaturperiode nicht mehr ausbuchstabiert werden konnten, natürlich einen Hochlauf der erneuerbaren Energien. Ich habe schon gesagt – das wissen wir alle –, dass die Amnesie manchmal eine politische Begleiterscheinung ist. Ich freue mich sehr, Herr Kuban, dass das in diesem Fall nicht so ist, und insofern hoffe ich auf eine gute, gedeihliche Zusammenarbeit bei der Erreichung dieses gemeinsam festgestellten Ziels.
Gleichwohl haben Sie recht: Die hohen Energiepreise sind eine extreme Herausforderung für viele private Haushalte, aber auch für die Industrie, und das Licht blinkt gelb. Neben der Abschaffung der EEG-Umlage nenne ich die faire Aufteilung der CO2-Bepreisung zwischen Mieter und Vermieter, die Erhöhung des Energiekostenzuschusses beim Wohngeld, ein neues Marktdesign für den Energiemarkt, damit Leute, die in dem Vertrauen, den Anbieter günstig gewechselt zu haben, nicht in die Grundversorgung zurückfallen und dann den dreifachen oder vierfachen Preis bezahlen müssen, wie wir es in diesem Winter erlebt haben, die bessere Nutzung von Eigenstrom sowohl im privaten Bereich wie auch im industriellen Bereich, um dann ein Entlastungspaket zu schnüren.
Was die Frage von Steuersenkungen und die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Strom oder der Stromsteuer angeht: Dagegen gibt es energiepolitisch überhaupt nichts zu sagen, aber haushaltspolitisch. Ich weise darauf hin, dass es die Union ist, die als Erste die Hand hebt und sagt: Aber bitte nicht den Haushalt überzeichnen! – Wir reden dort von gewaltigen Steuerausfällen.
Herr Minister, kommen Sie bitte zum Schluss.
Der Finanzminister muss – wie das ganze Kabinett – alles im Auge behalten.
Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage, Herr Kuban.
Nur eine sehr kurze Nachfrage: Welchen Finanzierungsbedarf sehen Sie, wenn man die Stromsteuer oder die Mehrwertsteuer um gewisse Punkte senken würde?
Sie meinen den Haushaltsbedarf?
Ja.
Ich meine, die Abschaffung der Stromsteuer schlägt – grob über den Daumen gepeilt – mit 10 Milliarden Euro zu Buche. Das weiß ich aber nicht genau; das müsste man noch mal genau nachschauen. Aber das ist die Zahl, die ich mir gemerkt habe. Und bei der Absenkung der Mehrwertsteuer müsste qualifiziert werden, über welche Absenkung wir reden. Aber es sind natürlich strukturelle Kosten, wenn ich darauf hinweisen darf. Beim Energie- und Klimafonds oder Klima- und Transformationsfonds, wie er jetzt heißt, geht es um investive Kosten. Obwohl ich vor dem Wahlkampf eine andere Position zur Schuldenbremse entwickelt habe, ging es immer nur um investive Kosten. Was die strukturellen Kosten angeht, habe ich es nie so gesehen, dass der Haushalt damit strukturell ins Minus gefahren würde.
Was ich also sehe, ist, dass man die investiven Kosten erhöhen sollte. Ansonsten haben wir eine Gesetzgebung, auf die Sie ja pochen, die dann eben auch funktionieren muss. Das gilt es auch zu bedenken, wenn die nächsten Coronakredite gewährt werden sollen.
Ich habe eine Nachfrage zum Thema von Dieter Janecek.
Sehr geehrter Herr Minister, anders als es Herr Kuban dargestellt hat, erleben wir ja gerade eine massive fossile Inflation. Das heißt, der Anstieg der Energiepreise wird getrieben durch die Spotmarktpreise von Gas und Öl weltweit. Darauf müssen wir reagieren.
Die Industrie wie auch die Wirtschaft haben es ja sehr begrüßt, dass Sie und die Regierung beim Thema Investitionen – 60 Milliarden Euro jetzt im Energie- und Klimafonds –, beim Thema Planungsbeschleunigung und auch beim Thema Fachkräfte vorangegangen sind, dass wir das anpacken und ein Stück weit einen Spurwechsel organisieren. Wie bewerten Sie es in dem Zusammenhang, dass die Union jetzt gegen das Thema Investitionen vorgeht und eine Klage angekündigt hat? Das widerspricht doch dem, was Herr Kuban gesagt hat.
Der Klima- und Transformationsfonds hat seinen ursächlichen Grund darin, dass es in der deutschen Wirtschaft nach jetzt über zwei Jahren Pandemiegeschehen eine Investitionslücke gibt, die bei einem unsicheren Marktumfeld nur geschlossen werden kann, wenn die öffentliche Hand ihren Beitrag dazu leistet. Das heißt, der Grund dafür, dass es diesen Fonds gibt, liegt unmittelbar in der Coronapandemie.
Wenn man fordert, dass Wachstum, Beschäftigung, Innovation, Wohlstand und Arbeitsplätze wieder eine sichere Bank sind, dann fordert man aus meiner Sicht unmittelbar in dieser krisenbehafteten Zeit, dass es eine öffentliche Unterstützung gibt; sonst würde man sagen: Macht das mal alles. – Der ursächliche Grund für diesen Fonds ist die Coronapandemie. Und wenn wir die Mittel nicht ausschütten würden, würden wir die Wirtschaft und all die Menschen, die investieren wollen, alleine lassen.
Deswegen rate ich dazu, noch mal darüber nachzudenken, was man da tut. Umgekehrt würde ich sagen, dass man, wenn man investiert – worin soll man als öffentliche Hand investieren, was soll man unterstützen? –, natürlich in die Zukunftsfelder investieren sollte. Wir wären ja Idioten, wenn wir die Vergangenheit, das, was wir loswerden wollen, nicht überwinden.
Herr Minister, denken Sie an die Redezeit, bitte.
Insofern hat das alles einen guten Grund.
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Die letzte Frage zu diesem Thema und generell in dieser Befragung der Bundesregierung stellt Stefan Rouenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gerade mehrfach davon gesprochen, dass wir von fossilen Energieträgern unabhängig werden müssen und dass wir den Hochlauf der erneuerbaren Energien voranbringen müssen.
Jetzt stellt es sich so dar, dass wir bei der Produktion von Windkraftanlagen, von Elektrofahrzeugen, von Photovoltaikanlagen in Deutschland und in der Europäischen Union in hohem Maße von Rohstoffimporten aus Drittländern abhängig sind, teilweise zu 100 Prozent. Einzelne Rohstoffe wie beispielsweise Magnesium importieren wir nur aus einem Land.
Da stellt sich für mich die Frage, was das für den Aufbau der Technologien heißt. Wir sehen auch in anderen Branchen eine hohe Abhängigkeit von entsprechenden Rohstoffen, von Seltenen Erden, von Lithium und vielem mehr. Das wird sich nicht alleine mit dem Ausbau der Kreislaufwirtschaft in den nächsten Jahren lösen lassen – weder kurzfristig noch mittelfristig.
Da steht natürlich die Frage nach Rohstoffpartnerschaften im Raum. Die Frage an Sie konkret: Beabsichtigen Sie, neue Rohstoffpartnerschaften auf den Weg zu bringen und, wenn ja, mit welchen Ländern und in welchen Rohstoffbereichen? – Danke schön.
Vielen Dank für diese Frage, die in eines der Kernfelder der wirtschafts- und industriepolitischen Problematik führt. Tatsächlich sind wir für den industriellen Hochlauf zu einem sehr hohen Prozentanteil auf Rohstoffe angewiesen, die wiederum zu einem sehr hohen Prozentanteil aus China kommen. Wenn man das diversifizieren will, ist festzustellen, dass es die Rohstoffe zwar auch in anderen Teilen der Welt gibt, aber häufig in einem unsicheren Investitionsumfeld.
Es gibt zwei Möglichkeiten – eine haben Sie genannt –: Die erste Möglichkeit, die ich sehe, ist – ich würde das Potenzial nicht unterschätzen – das Recycling, also die Wiederverwendung von Produkten, die wir schon haben. Das ist ein Zukunftsfeld von großer Bedeutung. Die zweite Möglichkeit ist, die Unternehmen, die in anderen Ländern mit einem unsicheren Investitionsumfeld fördern wollen, zu unterstützen.
Wir haben es bei der Wasserstoffproduktion so gemacht, dass wir eine Stiftung gegründet haben – H2Global –, die die Unternehmen, die selbst in der Lage sind, Partnerschaften zu schließen, mit einer gewissen Bürgschaftssicherheit versieht. Das kann ich mir auch bei der Rohstoffsicherung vorstellen.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage – bitte einer kurzen Nachfrage aufgrund der Zeit.
Kurze Nachfrage. Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass der Abbau der heimischen Rohstoffe erleichtert werden soll. Um welche Rohstoffe handelt es sich nach Auffassung der Koalition? – Danke schön.
Um die, die beantragt werden.
Ich weise noch mal darauf hin, dass soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass der Staat nicht alles regelt, sondern die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass die Unternehmen ihre Anträge stellen und diese schnell bearbeitet werden können. Ich werde der Letzte sein, der irgendeinem Industrieunternehmen vorschreibt, welche Rohstoffe dieses Unternehmen einzusetzen hat. Aber dort, wo wir die eigene Kapazität fördern können und wo das marktwirtschaftlich möglich ist, sollte es geprüft und dann auch ermöglicht werden.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh und dankbar, dass wir die Debatte zur Impfpflicht heute hier führen, hier im Parlament, wo diese Debatte hingehört, und ich bin mir sicher, dass der demokratische Teil dieses Hauses sie trotz aller Unterschiede sehr angemessen und respektvoll führen wird.
Man kann sich irgendetwas selber ausdenken, zusammenschwurbeln, dabei immer gegen „die da oben“ hetzen und den Leuten dummes Zeug erzählen.
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Das ist einfach und nutzt all denjenigen, die das Vertrauen in unsere demokratischen und wissenschaftlichen Institutionen zerstören wollen.
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Man kann sich aber auch, wie die allermeisten, die anstrengende Mühe machen, Verantwortung zu übernehmen, abzuwägen, zu diskutieren, immer wieder auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu reagieren,
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zu versuchen, Kompliziertes einfach zu machen, auch wenn uns das nicht immer gelingt. Dabei müssen wir die Sorgen und Ängste auf der einen Seite, aber eben auch die Erwartungen an konsequentes Handeln auf der anderen Seite sehr ernst nehmen. Deswegen sollte uns alle ein Anliegen einen, nämlich dass wir noch mal einen großen Anlauf machen, aufeinander zugehen und zum Impfen einladen, dass wir überzeugen, Sorgen ernst nehmen und Fragen beantworten.
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Denn es ist kein kleiner Schritt, wenn lange Zeit eine Impfpflicht ausgeschlossen wurde und diese dann doch eingeführt werden soll. Warum ich es trotzdem für notwendig halte, will ich kurz erläutern; denn in Wirklichkeit reden wir ja nicht über die Frage „Impfpflicht ja oder nein?“, sondern wir reden über Alternativen im Umgang mit der Pandemie. Und jede Entscheidung – auch die dagegen – hat Konsequenzen, zu denen man sich dann eben auch bekennen muss.
Welche Alternativen haben wir?
Erste Alternative: es laufen lassen. Das führt irgendwann zu einer Grundimmunität. Vorher führt es aber zu vielen Toten, Kranken und Long-Covid-Patienten. Es führt dazu, dass Menschen wegen Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr behandelt werden können, und zu unmenschlichen Anforderungen an diejenigen, die dort arbeiten. Wir haben uns aus guten Gründen bisher dagegen entschieden. Und auch Omikron ändert daran nichts.
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Die zweite Alternative, um das Virus im Griff zu halten, kennen wir nur allzu gut: Kontaktbeschränkungen, Zugangsbeschränkungen, all die Maßnahmen bis hin zum Lockdown. Es drohen also wieder ein Herbst und ein Winter wie dieses und letztes Jahr, nur dass es jetzt wirklich an uns selber liegt, das zu ändern, weil wir die Mittel in der Hand halten.
Somit komme ich zur dritten Alternative, einer sehr hohen Impfquote. Davon sind wir trotz aller Bemühungen noch sehr weit entfernt. Deswegen brauchen wir für den Weg aus der Pandemie eine allgemeine Impfpflicht.
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Die Impfstoffe, die wir haben, zählen mit zu den besten überhaupt. Bei inzwischen weltweit knapp 5 Milliarden Geimpften wissen wir das sehr gut. Nach dem Stand der Wissenschaft bieten drei Impfungen einen guten Schutz gegen schwere Verläufe und Tod – auch bei Varianten. Wir kommen damit zu einer Grundimmunisierung ähnlich wie bei der Grippe. Und viele haben diese auch schon.
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Wir wollen alle ab 18 einbeziehen, damit alle mit allen solidarisch sind: die mit mehr Kontakten mit denen, die ein größeres Risiko haben – und umgekehrt.
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Wir wollen eine Auswahlmöglichkeit für die Impfstoffe und Ausnahmen für die, die sich aus medizinischen, auch psychischen Gründen nicht impfen lassen können. Und wir wollen bei der Durchsetzung die Balance halten, zwar ernsthafte Durchsetzung mit Nachweispflicht und Bußgeldern – weil wir sonst das Ziel nicht erreichen –, aber wir wollen dabei die Verhältnismäßigkeit bewahren.
Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung und auch als weitere Einschränkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche, aber noch viele andere mehr treffen mit harten Folgen: psychischen Folgen, vergangenen Lebenschancen, finanziellen Problemen, Zukunftsängsten. Wir haben einen Weg aus der Pandemie – der heißt: Impfen.
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Damit wir wieder unbeschwert Freunde sehen, uns umarmen, Kunst und Kultur genießen, feiern, singen und tanzen können.
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Ich freue mich drauf.
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Nächster Redner: der Abgeordnete Tino Sorge aus der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesundheitsminister hat sich ja geweigert, einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten. Deshalb finde ich die Orientierungsdebatte auch vor dem Hintergrund sehr interessant, dass er uns vielleicht heute verraten wird, wie sein Vorschlag genau aussieht. Ich glaube, auch die 80 Millionen Menschen in Deutschland interessiert das. Insofern möchte ich zu Beginn meiner Rede kurz darauf hinweisen, dass es wirklich schade ist, dass bei diesem Thema, über das wir heute in einer Orientierungsdebatte diskutieren, keinerlei – ich sage jetzt mal – Richtung des Bundeskanzlers oder auch des Gesundheitsministers vorgegeben worden ist.
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Das erinnert mich so ein bisschen an ein Versteckspiel. Man spielt zusammen Verstecken und hofft, dass irgendjemand ein Konzept zur Impfpflicht vorlegt, wenn man nur lange genug darauf wartet.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich möchte in diesem Kontext jedenfalls darauf hinweisen, dass wir als Union diese Debatte sehr begrüßen. Aber wir hätten uns gewünscht, dass wir diese Debatte schon viel früher geführt hätten, nämlich vor Weihnachten, nachdem wir einen langen Fragenkatalog an das Bundeskanzleramt geschickt hatten. Wir hätten im Vorfeld dieser Debatte gern gewusst, wie bestimmte Fragen seitens der Bundesregierung einsortiert werden.
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Die Fragen – ja, das muss man sagen – sind zwar gestern beantwortet worden. Aber auf die 22 wichtigsten Fragen wurde in sage und schreibe zwölf Zeilen geantwortet.
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Insofern frage ich mich: Ist das der Anspruch der Bundesregierung? Ich hoffe, nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitskrise, in der wir uns befinden, hat historische Ausmaße. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns überlegen: Wie können wir aus dieser Pandemie herauskommen? Insofern ist es im Rahmen dieser Debatte ganz wichtig, voranzustellen, dass Impfen der Weg aus der Pandemie ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie eine Impfpflicht denn aussehen könnte, und nicht nur Plattitüden in den Raum stellen und sagen: „allgemeine Impfpflicht“, „keine Impfpflicht“, was auch immer. Wir müssen uns vielmehr darüber verständigen, wie wir die Impfpflicht ausgestalten können.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns auch die fachlichen Bedenken ernster nehmen. Wir hätten uns gewünscht, dass schon im Vorfeld der Debatte auf Fragen eingegangen worden wäre wie: Wie kann so eine Impfpflicht genau ausgestaltet werden?
Verfassungsrechtliche Fragen spielen dabei eine Rolle. Juristen sagen uns: Angesichts der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen ist es nicht so einfach, zu sagen: „Wir machen eine allgemeine Impfpflicht“, wenn nicht erklärt wird, wie denn diese Impfpflicht aussehen könnte. Die Mediziner sagen uns: Impfen schützt bei Corona. – Wir wissen aber mittlerweile, dass die Impfstoffe nach einer gewissen Zeit an Wirksamkeit verlieren. Das sind alles Punkte, die wir bereits im Vorfeld hätten diskutieren müssen. Das sind alles Fragen, die uns die Bürger jeden Tag stellen, und niemand, gerade bei den Bürgern, hat Lust, sich alle drei oder vier Monate boostern zu lassen. Boostern ohne Ende kann nicht die Option sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die pauschalen Lösungen fast immer die schlechtesten Lösungen sind. Deshalb sollten wir in der Debatte differenzieren. Es muss doch gerade darum gehen, neben der Frage des Ob einer Impfpflicht auch zu diskutieren, wie diese Impfpflicht aussehen könnte. Da sollten wir genauer hinschauen und überlegen: Wie könnte das denn geschehen? Zu der Frage hätte ich mir gewünscht, dass der Bundesgesundheitsminister nicht nur in Talkshows eine Meinung äußert und eine allgemeine Impfpflicht fordert, sondern dass er auch mal sagt, wie er sich das vorstellt. Geht es dabei um konkrete Gruppen? Wie ist das Risiko einzelner Gruppen zu bewerten?
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Wie ist die Variante Omikron vor dem Hintergrund der Hospitalisierungen zu bewerten? Auch zeitliche Komponenten wären zu konkretisieren.
Noch mal: Wir brauchen eine ordentliche Datengrundlage.
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Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in dieser Debatte doch auch darüber sprechen, wie wir diese Datengrundlage verbreitern könnten. Ist dafür beispielsweise ein Impfregister der richtige Weg? Das ist ein wichtiger Punkt, über den wir sprechen müssen. Bei der Diskussion über die Frage, wie wir die Datengrundlage verbessern können, müssen wir auch darüber sprechen, wie diese feinen Nuancierungen und Abstufungen im Rahmen der Impfpflicht ausgestaltet werden können.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht immer nur alles schlechtreden; denn zu dieser Debatte gehört auch, die positiven Dinge anzusprechen. Wir tun immer so, als hätten wir im Rahmen der Debatte, insbesondere im Hinblick auf eine Impfpflicht, überhaupt nichts geschafft. Wenn wir auf die Zahlen schauen, stellen wir fest: 84 Prozent der Erwachsenen sind mittlerweile vollständig geimpft. 90 Prozent der Senioren sind mittlerweile geimpft. Das sollten wir nicht kleinreden. Aber wir sollten immer darauf hinweisen, dass Impfen der Weg aus der Krise ist.
Zum Thema Datengrundlage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Fallzahlen und Krankenhausinzidenz sind als Indikatoren gut; sie müssen aber durch weitere Parameter ergänzt werden. Wir brauchen einen fortlaufenden Überblick über die Auslastung der normalstationären Kapazitäten: digital, regional, differenziert. Das DIVI-Register beispielsweise könnte dafür ein gutes Vorbild sein. Wir müssen aber auch präziser erfassen, wo Arztpraxen an Belastungsgrenzen geraten. Genauso wichtig ist der Überblick über die Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruktur.
Wir brauchen also ein präziseres Lagebild, wir brauchen aber auch in der Debatte weniger Aufgeregtheit. Wir müssen in der Debatte immer genau begründen, warum die Notwendigkeit für eine Impfpflicht in einzelnen Bereichen besteht. Denn Omikron – das sage ich wie viele andere auch – ist zwar eine dominante, aber auch eine mildere Variante. Deshalb werden wir, glaube ich, im Frühjahr einiges Althergebrachtes überdenken müssen und bei der Frage, welche Lösungen wir in den Blick nehmen, eher auf differenziertere statt pauschale setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach zwei Jahren Pandemie und erheblichen Grundrechtseingriffen, denke ich, sollten wir uns auch hier im Parlament im Rahmen der Debatte gegenseitig zugestehen, dass insbesondere im Hinblick auf die Impfpflicht ein breites Meinungsspektrum herrscht. Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass wir bei der Frage, wie wir diese Debatte führen, im Vorfeld zumindest einen Entwurf gehabt hätten, den man im parlamentarischen Verfahren hätte diskutieren können.
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Das ist leider nicht passiert. Jetzt kann man sagen: Das ist vergossene Milch. – Mein persönlicher Wunsch ist allerdings, dass unser Koordinatensystem auch bei diesen ganzen Debatten nicht dafür verloren geht, was der Staat tun sollte und was nicht. Auch die Prinzipien der Eigenverantwortung der Bürger und der Zurückhaltung des Staates sollten wir nicht vergessen. Insofern werden wir bei der Frage hier im Parlament wie üblich letztendlich einen Kompromiss finden.
Noch mal: Das beste Instrument, um aus der Pandemie herauszukommen, ist das Impfen. Aber solange kein Instrument mit absolutem Schutz zur Verfügung steht, wäre auch eine absolute Impfpflicht der falsche Weg. Dennoch geht es darum, dass wir als Union einen pragmatischen Ansatz finden: Differenzieren statt Aktionismus, Pragmatismus statt Panik. Das ist für die Akzeptanz unverzichtbar; denn eine Impfpflicht, die wir vor Ort umsetzen müssen und wollen, wird nur dann akzeptiert, wenn sie tatsächlich umgesetzt werden kann und nachvollziehbar ist.
Und nicht zuletzt: Wir sollten uns in der politischen Kultur und in der gesellschaftlichen Debatte die Tür zur Versöhnung offen halten. Lassen Sie uns das nicht vergessen.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie setzt uns alle unter Druck. Einsamkeit und seelische Belastungen nehmen zu, Kinder wollen endlich wieder unbeschwert lernen und ihre Freundinnen und Freunde treffen, Künstler/-innen warten darauf, wieder aufzutreten. Und die Menschen, die Tag und Nacht unsere Gesundheitsversorgung aufrechterhalten, wollen endlich mal wieder Pause machen.
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Uns eint, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir diese Pandemie endlich überwinden wollen. Impfen ist der Weg aus der Pandemie,
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Impfen ist der Schlüssel dafür, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, damit alle, die medizinische und pflegerische Hilfe brauchen, sie sicher bekommen.
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Dafür brauchen wir eine deutlich höhere Impfquote. Wir liegen im europäischen Vergleich gerade einmal im Mittelfeld. Wäre die Impfkampagne motivierender, aufsuchender gewesen – wie im schönen Bundesland Bremen –, dann müssten wir diese Debatte möglicherweise gar nicht führen.
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Jetzt aber stehen wir in der Verantwortung, die bestehenden Impflücken zu schließen.
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Ich halte darum die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 für richtig.
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Sich impfen lassen zu können, ist übrigens ein Privileg; wer kann, sollte es auch tun! Der Bundesverband der Organtransplantierten unterstützt die Impfpflicht ab 18; auch sie sind auf unsere Solidarität angewiesen.
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Eine Impfpflicht bedeutet eine doppelte Verpflichtung: eine Verpflichtung der Bürger/-innen, sich impfen zu lassen, und eine Verpflichtung des Staates, jeder Person ein geeignetes Impfangebot zur Verfügung zu stellen. So gehen Impfpflicht und Impfrecht Hand in Hand.
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Wenn die Impfpflicht ein Erfolg werden soll, dann heißt das nicht etwa weniger Kommunikation, sondern mehr Kommunikation: mehr zielgruppenspezifische Aufklärung, mehrsprachig, klar und verständlich.
Es geht auch unter den Bedingungen einer Impfpflicht immer um einen ermöglichenden Staat; das heißt, für Menschen, die besondere Sorge haben – wegen der Spritze, wegen der Impfung –, braucht es über die ärztliche Aufklärung hinausgehende Gesprächsangebote.
Macht es nun Sinn, eine Impfpflicht auf die über 50-Jährigen zu begrenzen? Ich meine, nein. Auch bei jüngeren Menschen gibt es schwere Verläufe. Long Covid ist ein zusätzliches Risiko.
Eine durchgemachte Infektion birgt nicht nur für alle Altersgruppen hohe Risiken, sie schützt auch nicht so effektiv vor weiteren Infektionen wie eine Impfung.
Und – das finde ich besonders relevant – wenn wir das Signal setzen würden: „Impfen ist vor allem für die über 50-Jährigen wichtig“, birgt das sogar die Gefahr, dass die Impfbereitschaft bei den Jüngeren abnimmt, und das wäre kontraproduktiv.
({8})
Es gibt die Befürchtung, dass eine Impfpflicht zu mehr gesellschaftlicher Spaltung führe. Ich gehe eher davon aus, dass eine klare und eindeutige staatliche Regel, die für alle gleichermaßen gilt, dabei hilft, eine gesellschaftliche Befriedung herbeizuführen.
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Denn sie hilft auch, innere Ambivalenzen zu überwinden, und diese Chance sollten wir nutzen.
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Je mehr Menschen im persönlichen Umfeld geimpft sind, desto höher ist auch die eigene Impfbereitschaft. Es muss die Regel werden, geimpft zu sein, und das erreichen wir durch eine allgemeine Impfpflicht.
Lassen Sie uns gemeinsam weiter im Austausch bleiben! Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Tino Chrupalla aus der AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Das Wetter der letzten Tage ist der heutigen Debatte zur Impfpflicht eigentlich angemessen: Es ist düster bestellt um unser Land.
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Als Abgeordnete dieses Hohen Hauses setzen wir uns nun seit mehr als zwei Jahren mit immer neuen Einschränkungen und Verboten auseinander. Werte Kollegen, wir alle erleben eine Zeit, in der eine deutsche Regierung wieder versucht, ihre autoritären Bestrebungen durch das Parlament zu bringen. Die proklamierte Einigkeit der Koalitionäre ist medial gestützt, über Differenzen wird kaum oder überhaupt nicht mehr diskutiert. Es wird vielmehr nur noch diffamiert. Es drängt sich mir förmlich das Bild einer Bundesregierung auf, die sich wie ein verwundetes Tier schon fast ängstlich zurückzieht und aggressiv um sich beißt, sobald jemand versucht, sich ihr argumentativ zu nähern. Im Ergebnis gibt es nur noch ein Richtig oder Falsch; es wird durchregiert.
Doch mit welchen Folgen, muss man sich fragen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Impfstoffe schon fast eine religiöse Stellung erhalten. Sie sollen das verbindende Element für alle Bürger sein, damit diese ein Teil der Gesellschaft sein dürfen. Wer nicht glaubt und von seinem Grundrecht auf Selbstbestimmung Gebrauch macht, ist automatisch ausgeschlossen. Beispiele hierfür erleben Sie alle tagtäglich, liebe Kollegen. Einmalig jedoch ist, dass erstmals Parlamentarier ihre Aufgaben nicht mehr uneingeschränkt wahrnehmen können.
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Zwei Beispiele kurz angeführt: Aus meiner Fraktion wurde dem Kollegen Joachim Wundrak die Teilnahme an einer Ausschusssitzung verwehrt. Eine weitaus größere Tragweite werden wir allerdings morgen erleben: Erstmals werden nicht alle Mitglieder des Deutschen Bundestages an der Gedenkveranstaltung des 27. Januar teilnehmen dürfen.
Der Grund in beiden Fällen: ein falscher, sogenannter fehlender Status. Die Begründungen sind vielfältig, jedoch weder politisch noch rechtlich noch medizinisch nachvollziehbar. Ich wiederhole noch einmal eindrücklich: Ein nichtgeimpfter Parlamentarier – gesund, getestet – darf morgen nicht den Bundestag betreten. Genau das – ich zitiere Armin Laschet von gestern Abend –, genau das ist „eine Schande“, was hier passiert.
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Nicht die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten gilt es zu verurteilen, sondern die Art, mit der die Regierenden versuchen, ihren Willen durchzusetzen, und die Arroganz, diesen nicht einmal mehr zur Diskussion zu stellen.
Der Umgang mit unserem Grundgesetz wird immer schamloser. Nachträglich wird der Status „Genesen“ durch eine staatliche Institution aberkannt. Herr Bundesgesundheitsminister, brauchen wir eigentlich Ihr Ministerium noch oder übernimmt das zukünftig komplett das RKI? Falls ja, dann können wir ja die freien Mittel in meine sächsische Heimatregion investieren. Durch Ihre vorzeitige Energiewende samt Deindustrialisierung können wird dort jeden Euro dringend gebrauchen.
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Meine Damen und Herren, diese politischen Schachzüge sind im höchsten Maß zu verurteilen. Unsere etablierten Strukturen werden ebenso nachhaltig geschwächt wie die Stellung des Parlaments. Genau das ist demokratiegefährdend, wovon Sie ja sonst immer so gerne reden. Werte Bundesregierung, geht es Ihnen eigentlich noch um unser Land oder um den bloßen Beweis, wer eigentlich die Machthaber sind?
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Gegen einige, die mit der Moralkeule durch unsere Gesellschaft gehen, wird nun auch wegen Untreue ermittelt. Das ist ein schwerwiegender Tatbestand, meine Damen und Herren. Und viel schlimmer: Frau Baerbock und Herr Habeck sind Bundesminister Ihres Kabinetts, Herr Scholz. Wie glaubwürdig, meinen Sie, sind diese Personalien für unsere Bürger überhaupt noch?
Sie sind ganz offensichtlich, über viele Politikfelder hinweg, in einem Schwarz-Weiß-Denk- und Handlungsschema gefangen. Sie haben vollkommen den Blick für Ihre eigentliche Aufgabe verloren,
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nämlich die, eine Vision für die Zukunft unseres Landes zu erzeugen. Die gibt es schlichtweg nicht. Wie, möchten Sie, soll Deutschland in 30 oder 70 Jahren aussehen? Wie sieht eigentlich überhaupt Ihre Corona-Exitstrategie aus? Sie ist schlichtweg nicht vorhanden, Herr Scholz. Alle Szenarien, die Sie unseren Bürgern skizzieren, zeigen, dass wir mit immer mehr Einschränkungen zu leben lernen müssen: das Ganze mit den erneuerbaren Energien, einem immer stärker werdenden Staat und voll digitalisiert natürlich. Wie man davon jedoch seine Miete oder die Stromrechnung bezahlen soll, daran hat niemand gedacht, und das ist Ihnen anscheinend auch völlig egal.
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Werte Bundesregierung, geben Sie den Bürgern endlich Antworten zu den Wirkungen und auch Nebenwirkungen der Impfung. Deren Wirksamkeit und Sicherheit werfen viele Fragen auf. Schaffen Sie endlich ein verlässliches und vor allem vertrauensvolles Klima!
Eine Impfpflicht jedenfalls lehnen wir sowohl für einzelne Berufsgruppen als auch allgemein vollständig ab.
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Die Alternative für Deutschland steht für Freiheit statt Spaltung.
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Vielen Dank.
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Nächster Redner: der Abgeordnete Dr. Marco Buschmann aus der FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zwei Bemerkungen vorneweg. Erstens. Wenn man merken wollte, dass die AfD zur Sache nichts beizutragen hat, dann hat man das jetzt gesehen. Ihre Rede hat nichts gezeigt außer wüsten Beschimpfungen
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und dem Fehlen von sachlichen Argumenten in der Debatte, Herr Chrupalla. Das war, glaube ich, ein Schuss in den Ofen.
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Zweitens. Ich möchte mich bedanken. Ich möchte mich als Abgeordneter bei den Fraktionen bedanken, dass sie dieses Debattenformat hier möglich gemacht haben; denn es ist der Sache angemessen. Es ist auch dem Parlament angemessen, denn wir merken ja: Überall – in den Freundeskreisen, in den Ortsverbänden der Parteien, in den Milieus, in den Vereinen – wird über diese Sache sehr leidenschaftlich, zum Teil auch sehr hitzig debattiert. Da gelten auch manch alte Regeln nicht. Deshalb ist es richtig und gut, dass dieses Verfahren dafür sorgt, dass jede Kollegin und jeder Kollege absolut frei von allen Sorgen seine Bedenken, seine Argumente hier vortragen kann. Das zeigt, dass das Gegenteil von dem richtig ist, was Sie behauptet haben, Herr Chrupalla: Es gilt eben nicht die Logik der Macht, sondern es gilt die Logik des Arguments und des frei gesprochenen Wortes, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wer aus einer schwierigen Frage der Ethik eine parteitaktische Frage der Macht machen möchte, beweist, dass er oder sie die Dimension der Frage nicht verstanden hat, Herr Chrupalla.
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Ich möchte ein paar Anmerkungen aus rechtlicher Sicht machen, wohlgemerkt nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern weil ich das Recht zu meinem Beruf gemacht habe und mich, seit ich hier im Parlament tätig bin, auch immer um Fragen des Rechts gekümmert habe. Wenn es um die Frage der Impfpflicht geht, höre ich immer wieder, dazu könne das Verfassungsrecht in Wahrheit keinen Beitrag leisten; denn Karlsruhe habe doch dem Gesetzgeber eine Carte blanche gegeben. Diesem Missverständnis möchte ich hier entgegentreten. Was Karlsruhe in der Entscheidung zur Bundesnotbremse gesagt hat, war, dass diese Frage so komplex, so schwierig, auch mit so vielen prognostischen Elementen, also letztendlich Spekulationen auf die Zukunft versehen ist, dass Richter ihre Beurteilung nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen können. Das heißt aber nicht, dass wir frei sind, sondern dass wir umso sorgfältiger über diese Frage ringen müssen, weil nach uns vermutlich keine andere Instanz mehr kommen wird. Auch deshalb ist dieses Verfahren der Sache angemessen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
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Der Beitrag des Verfassungsrechts zu dieser Debatte ist neben den medizinischen und ethischen Fragen enorm; denn unsere Verfassung verlangt von uns, dass wir das Ziel klar benennen. Da reicht es nicht, von einer Botschaft an die Geimpften oder Ungeimpften zu reden; dass die einen die guten oder die anderen die schlechten Bürger seien. Da reicht es auch nicht, zu sagen, dass es doch klug und besser wäre, wenn ein Mensch mit Diabetes sich impfen lassen würde; denn wenn es lediglich um den medizinischen Eigenschutz geht, reicht das nicht aus. Das wäre Paternalismus; das wird man im Lande Immanuel Kants noch sagen dürfen.
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Worum es gehen muss, ist der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems, die Verteidigung der Intensivstationen und auch der normalen Stationen vor Überlastung. Darum muss es gehen.
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Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, und zwar ernsthaft: Ist das auch mit milderen Mitteln möglich? Meine Bitte ist, dass wir uns zwei Fragen wirklich sehr ernsthaft vornehmen:
Erstens. Wenn der Coronaexpertenrat sagt, dass insbesondere die Gruppe der über 50-jährigen Ungeimpften hinsichtlich der Frage einer künftigen Überlastung der Intensivstationen die größte Sorge bereitet, müssen wir die mildere Alternative einer altersbezogenen, einer gestuften Impfpflicht sehr ernst nehmen.
Aber auch die Anhänger dieser gestuften Impfpflicht müssen sich ernsthaft diese zweite Frage stellen: Wenn wir die sehr vielversprechenden antiviralen Medikamente, die in den Studien eine extrem hohe Wirksamkeit zeigen, schnell und flächendeckend zur Verfügung stellen, ist dies nicht möglicherweise auch eine Perspektive und ein Beitrag, um unsere Intensivstationen und unsere Krankenhäuser vor Überlastung zu schützen?
Ich traue mir heute da noch keine abschließende Meinung zu. Aber wir müssen diese milderen Alternativen nach bestem Wissen und Gewissen prüfen, und darum möchte ich bitten in dieser Debatte.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
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Nächste Rednerin: die Abgeordnete Kathrin Vogler aus der Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zwei Jahren leiden die Menschen in diesem Land unter der Coronapandemie und auch unter den Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um dafür zu sorgen, dass Erkrankte und schwer Erkrankte noch in den Krankenhäusern behandelt werden können. Diese Maßnahmen – ob Kontaktbeschränkungen, 3 G, 2 G oder Quarantäneanordnung – greifen tief in die persönliche Freiheit ein. Angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante befürchten wir jetzt sogar, dass beispielsweise die Versorgung mit Strom und Wasser zusammenbrechen könnte. Das ist gemeint, wenn wir Politikerinnen und Politiker von kritischen Infrastrukturen reden.
Die Beschäftigten in den Krankenhäusern, die ja schon vor der Pandemie am Limit waren, riskieren heute täglich Leben und Gesundheit, um Leid zu vermindern und Leben zu retten. Selbst wenn in unserem Gesundheitswesen vor Corona alles in Ordnung gewesen wäre, wäre eine Durchseuchungsstrategie vollkommen unethisch.
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Denn der Staat ist verpflichtet, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aller Menschen zu schützen,
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auch der Kranken, der Schwachen und der Alten.
Was wir in der Gesellschaft erleben, ist eine zum Teil völlig verzerrte Risikowahrnehmung. Die Gefahr durch Covid-19 schwer zu erkranken, dauerhafte Gesundheitsschäden zu erleiden oder sogar zu sterben, wird massiv unterschätzt. Stattdessen fürchten sich noch viel zu viele vor den sehr sicheren und inzwischen milliardenfach erprobten Impfstoffen, die einen schweren Verlauf mit großer Wahrscheinlichkeit verhindern können. Und das kann ich Ihnen von der CDU/CSU und von der SPD leider nicht ersparen: Auch Ihre Politik der letzten zwei Jahre hat zu dieser Verunsicherung beigetragen. Immer wieder haben Sie Dinge versprochen, die sich dann in der Realität nicht halten ließen. Und immer wieder haben Sie Warnungen aus der Wissenschaft und Erfahrungen aus anderen Ländern ignoriert und mussten hinterher nachsteuern. Eine vorausschauende Politik war das nie; das merken wir zum Beispiel auch an den immer noch fehlenden Luftfiltern in Schulen und an den viel zu geringen Testkapazitäten.
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Bis heute hat es die Bundesregierung nicht geschafft, die Bevölkerung über den Nutzen der Impfung so aufzuklären, dass die Coronaleugner, die das Internet mit Desinformationen fluten, gegen eine Wand der Solidarität laufen – ja, Solidarität.
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Das ist ein viel missbrauchtes Wort; aber ohne Solidarität werden wir den Weg aus dieser Krise nicht finden.
Eine Impfpflicht, die ja ein Eingriff in das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist, kann da immer nur Ultima Ratio sein, also eine letzte Möglichkeit, wenn der Schutz der Gesundheit und die Wiedererlangung der Freiheiten anders nicht erreicht werden können. Aber dann – und davon bin ich überzeugt – kann eine Impfpflicht nicht nur verfassungsgemäß, sondern unter Umständen sogar zwingend geboten sein, um andere hohe Rechtsgüter zu schützen: das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die persönlichen Freiheiten und die Funktionsfähigkeit von Bildungseinrichtungen, Gesundheitswesen und öffentlicher Daseinsvorsorge. Das müssen wir wirklich sehr sorgsam besprechen. Ich sehe noch nicht, dass wir da am Ende der Diskussion sind.
Voraussetzung wäre aber auch, den Bürgerinnen und Bürgern eine solche Pflicht so leicht wie möglich zu machen. Dafür brauchen wir niedrigschwellige Impfangebote, aktive Einladungen und verständliche, zielgruppengerechte Informationen, wie das unsere Gesundheitssenatorin in Bremen wirklich vorbildlich gemacht hat.
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Sie entbindet die Politik nicht von der Verantwortung, unser Gesundheitswesen so zu gestalten, dass die dort Arbeitenden nicht täglich über ihr Limit gehen müssen – vor, während oder nach einer Pandemie.
Herr Scholz und Herr Lauterbach: Da müssen Sie liefern.
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Nächste Rednerin: die Abgeordnete Heike Baehrens aus der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nur einen einzigen Gegner in dieser Pandemie, und das ist das Virus. Ich bin froh, dass die allermeisten in diesem Haus und in unserem Land sich darin einig sind, und ich bin froh, dass wir jetzt diese intensive Debatte über den richtigen Weg führen, wie wir die Pandemie endlich überwinden können.
In den letzten Jahren haben wir uns sehr bemüht, jeweils situationsangepasst und maßvoll zu reagieren.
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Wir sind dabei zumeist mit weniger harten Einschränkungen als in den allermeisten Ländern ausgekommen, und trotzdem sind auch bei uns viele Maßnahmen mit erheblichen Belastungen, Folgeschäden und Problemen verbunden.
Mir geht es heute darum, dafür zu werben, dass wir uns angesichts einer ungewissen Zukunft konsequent für einen Weg der bewussten Vorsorge entscheiden.
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Aber wie kann Vorsorge in einer Zeit gelingen, in der sich der Wissensstand von Tag zu Tag erhöht und wir regelmäßig hinzulernen? Bei aller Unsicherheit und Ungenauigkeit der Vorhersage haben wir immerhin die Gewissheit, dass Impfen schützt. Und wir haben eben auch gelernt: Allein auf die Hoffnung zu setzen, dass die aktuelle Welle die letzte sein wird, ist keine gute Option.
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Erinnern wir uns an den ersten Pandemieherbst, erinnern wir uns an den zweiten: Immer wieder waren wir nicht ausreichend vorbereitet, immer wieder wurde Politik das Versäumen guter Vorsorge vorgeworfen. Einen dritten unkontrollierten Pandemieherbst darf es nicht geben.
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Weil die Zeit läuft und das Virus keine Rücksicht auf Unentschlossenheit, Skepsis oder gar Trotz nimmt,
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darum plädiere ich heute für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für alle Erwachsenen, beschränkt auf das SARS-CoV-2-Virus, zeitlich befristet und auf drei Impfdosen begrenzt, mit freier Impfstoffwahl, und selbstverständlich muss es medizinische Ausnahmen geben.
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Ja, wir hoffen alle darauf, dass wir nach der Omikron-Welle rasch in einen unbeschwerten Alltag ohne Freiheitseinschränkungen zurückkehren. Aber kein Experte kann uns heute sagen, dass die Pandemie mit Omikron weitgehend überstanden sein wird. Keiner gibt uns die Sicherheit, nicht von weiteren Virusvarianten überrascht zu werden. Diese Ungewissheit darf aber eben nicht zu Tatenlosigkeit führen. Wir können vorsorgen und damit vor die nächste Welle kommen. Dafür braucht es jetzt eine mutige Weichenstellung, und die wollen wir vornehmen.
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Von Politik wird in dieser Zeit zu Recht Orientierung erwartet, und diese müssen wir mit klaren Botschaften geben.
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Wir werden die Lasten der Pandemiefolgen gerechter verteilen und dürfen nicht weiter die immer Gleichen belasten. Das sind vor allem die Kinder und Jugendlichen, die selbst am wenigsten gefährdet und dennoch am meisten eingeschränkt waren, und es sind die Beschäftigten in der Pflege, die für uns unverzichtbare Arbeit leisten, die seit Beginn der Pandemie besonderer Gefährdung und Belastung ausgesetzt sind und die sich jetzt durch die notwendige einrichtungsbezogene Impfpflicht noch mehr als ewige und alleinige Lastenträger fühlen.
Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 sendet die klare Botschaft: Wir alle stehen in der Verantwortung füreinander, Gesunde für Kranke, Erwachsene für Kinder, Junge für Alte; wir alle gemeinsam stehen in der Verantwortung für die, die in unseren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ungemein belastet sind.
Lassen Sie uns gemeinsam den Gegner bezwingen, der unser aller Gesundheit bedroht. Lassen Sie uns dem Virus geschlossen die Stirn bieten.
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Ich lade Sie ein, für die allgemeine Impfpflicht zu stimmen.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land befindet sich mitten in einer schwierigen Phase der Pandemie. Die Zahl der Neuinfektionen überschreitet Tag für Tag neue Höchstwerte. Die Bundesregierung zögert und handelt nicht. Ganz klar ist: Impfen ist ein zentraler Baustein auf dem Weg aus der Pandemie, und die Steigerung der Impfquote muss unser aller Ziel sein. Ich bitte deshalb auch jeden und jede: Helfen Sie mit, lassen Sie sich impfen! Ich danke auch allen, die sich schon haben impfen lassen.
Noch viel lieber hätte ich heute nicht nur diesen Appell an Sie gerichtet, sondern auch über einen fundierten Gesetzentwurf der Bundesregierung debattiert.
({0})
Aber anstelle eines Regierungsentwurfes sind verschiedene Anträge von Abgeordneten der Ampelfraktionen mit unterschiedlichen Herangehensweisen angekündigt. Das führt bei den Menschen im Land zu Verunsicherungen.
({1})
Es zeichnet auch ein Bild von Planlosigkeit,
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und gerade das ist bei einem so wichtigen Thema desaströs. Die Regierung verweigert die Arbeit; sie legt keinen eigenen Entwurf vor. Bei den Pflegeberufen war das kein Problem: Da gab es einen Gesetzentwurf, und die Entscheidung war keine reine Gewissensfrage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ampel ist in der Frage der Impfpflicht führungs- und orientierungslos.
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Natürlich sind bei der Debatte über die Impfpflicht schwierige Fragen zu beantworten. Wir als Unionsfraktion haben deshalb schon vor vier Wochen mehr als 20 konkrete Fragen an die Regierung gestellt: Fragen zur Einordnung der Omikron-Variante, zum Pandemiemanagement, zu einem Impfregister.
Die Antwort kam gestern. Sie kam zu spät, und sie kam erst auf massiven Druck. Darüber hinaus aber lässt sie an vielen Stellen zu wünschen übrig. Auf viele Fragen gibt es schlicht gar keine Antwort. Man verweist auf öffentlich zugängliche Quellen und nimmt nicht mal ansatzweise eine eigene Einordnung vor:
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keine Positionierung zum Thema Impfpflicht, keine Antwort auf die Frage zu Vollzug und Kontrolle, keine Antwort auf die Frage bezüglich eines Impfregisters – das sind nur einige Beispiele. Stattdessen verweist man auf das Parlament und die Gruppenanträge.
Die angekündigte Hilfestellung für das Parlament können wir hierin nicht sehen. Was wir aber erleben, das ist Arbeitsverweigerung der Bundesregierung und eine Missachtung der Opposition.
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Für uns ist ganz klar: Die Bundesregierung ist nach wie vor in der Pflicht, einen praktikablen und verfassungskonformen Vorschlag vorzulegen, der zentrale Fragen beantwortet und die Expertise der Ministerien einbringt.
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Wie aber bewerten wir diese ernste Lage?
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Eine allgemeine Impfpflicht hilft uns kurzfristig in der aktuell dramatischen Situation nicht weiter. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, ist viel zu viel Zeit ungenutzt verstrichen.
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Aktuell bräuchte es vor allem mehr freiwillige Impfungen, und es bräuchte eine erfolgreiche Impfkampagne. Aber die Impfkampagne für die Booster- und Erstimpfungen stockt.
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Das von Bundeskanzler Scholz ausgegebene Ziel von 80 Prozent Erstimpfungen bis Ende Januar wird leider ganz klar verfehlt.
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Die Quote bei den Boosterimpfungen stagniert bei 50 Prozent, und auch das ausgegebene Ziel, zwischen Weihnachten und Ende Januar 30 Millionen Impfungen zu schaffen, wird ganz klar nicht erreicht. Wir liegen Stand heute bei knapp 15 Millionen Impfungen. Das ist bedauerlich, und das zeigt uns eines: Der Bundesgesundheitsminister ist mit seiner Impfkampagne hier ganz klar gefordert.
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Aus meiner Sicht steht aber auch fest: Wir müssen uns für den Ernstfall weiterer, möglicherweise gefährlicher Virusvarianten im Herbst wappnen. Denn den kann niemand ausschließen, auch wenn wir uns ihn alle nicht wünschen. Eine vollständige oder teilweise Impfpflicht kann ab einem bestimmten Zeitpunkt die Voraussetzung werden, sie kann notwendig sein, um eine Überforderung unseres Gesundheitssystems zu verhindern und den Individualschutz zu erhöhen.
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Das ist aber eine Frage von Daten und Fakten. Da stellen sich Fragen von Verhältnismäßigkeit und Umsetzbarkeit. Das sind Fragen, die die Regierung zu beantworten hat.
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Die Entscheidung darüber, die trifft das Parlament. Das ist eine politische Entscheidung.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, fest steht auch ganz klar: Wir brauchen ein Impfregister. Fachleute aus dem medizinischen, aus dem ethischen und aus dem rechtlichen Bereich raten dringend dazu, für diese Krise, aber auch für künftige Pandemiekrisen ein solches Register einzurichten. Denn es wäre mehr als hilfreich, wenn eine zuverlässige und sichere Datengrundlage über den Impfstatus unserer Bevölkerung Auskunft gibt. Ein Register kann uns bei der Ansprache und Information helfen. Es kann helfen, die Datenerhebung und ‑auswertung zu verbessern. Es kann Vorhersagen über die zu erwartende Belastung unseres Gesundheitssystems treffen und damit auch eine bessere Bewertung von nötigen oder nicht nötigen Maßnahmen ermöglichen. Denn am Ende ist eines klar: Eine bessere Datengrundlage ist das, was man braucht. Sie ist nicht ein Mehr an Belastung, sondern sie schützt gerade auch unser aller Freiheitsrechte. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die Einrichtung eines allgemeinen Impfregisters unverzüglich auf den Weg zu bringen.
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Sehr geehrte Damen und Herren in der Regierung, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Packen Sie endlich an! Wir brauchen Klartext und Klarheit bei Impfkampagne, Impfpflicht und Impfregister. Es gibt verdammt viel zu tun.
Danke schön.
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Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Paula Piechotta aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich begrüße Sie zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen: Liebe Frau Lindholz, ich möchte Sie nicht auffordern, ich möchte Sie einfach als Ärztin bitten, daran zu denken, dass es Themen und Debatten in diesem Haus gibt, die wichtiger als parteipolitische Profilierung sind. Darum bitte ich Sie. Es tut mir leid, dass ich damit hier so anfangen muss.
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Das Spannende an dieser Debatte ist doch, egal wer von uns sie in den letzten Wochen in diesem Haus und außerhalb dieses Hauses geführt hat: Es geht fast niemand in diese Debatte ohne seinen ganz persönlichen Rucksack an Emotionen, an Perspektiven, auch an Dingen, die ihn persönlich in den letzten 24 Monaten wundgescheuert haben. Anzuerkennen, dass vor allen Dingen auch diese verschiedenen Perspektiven mit darüber entscheiden werden, was am Ende hier mehrheitsfähig ist, gehört doch an der Stelle zu einer ehrlichen Debatte dazu.
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Schauen wir uns an, wie unterschiedlich diese Perspektiven sind. Heute wird zum Beispiel Herr Kubicki hier gleich noch reden. Ich hatte gerade das Vergnügen, neben ihm zu sitzen. Seine Perspektive ist eine ganz andere als meine. Er kommt aus Schleswig-Holstein, einem Bundesland mit einer vergleichsweise guten Impfquote, das immer ziemlich gut durch die Pandemie gekommen ist. Da verstehe ich es, dass man zu der Überzeugung kommen kann, dass es keine Impfpflicht braucht. Aber dann muss man sich auch die andere Perspektive anhören, und die kommt im Fall meiner Person aus Sachsen. Sie wissen das: Unser Bundesland hat die mit Abstand schlechteste Impfquote.
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Wir sind mit unseren knapp über 60 Prozent näher an der tschechischen Impfquote als am bundesdeutschen Durchschnitt. Wir haben pro Kopf die meisten Toten, kurz vor Sachsen-Anhalt und Thüringen. Und vor allen Dingen ist es so, dass diese niedrige Impfquote mit dazu geführt hat, dass wir in den letzten Monaten besonders langwierige und besonders tiefgreifende Maßnahmen bei uns hatten. Das muss mitberücksichtigt werden. Ich will nicht, dass wir hier am Ende die Debatte „Wie berücksichtigen wir vor allem die Bundesländer, die gerade die schlechteste Impfquote haben?“ führen; denn wir brauchen am Schluss dieses Prozesses eine Regelung, die für alle Bundesländer funktioniert.
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Hier sind schon Punkte angesprochen worden, die vor allen Dingen die Umsetzbarkeit betreffen. Ich möchte darauf hinweisen, dass es bei der Umsetzung der Regelung einen großen Unterschied macht, ob in einem Bundesland noch 40 Prozent Ungeimpfte oder nur 20 Prozent wohnen.
Ich spreche heute als eine Vertreterin der Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus, die vorschlagen, einen sogenannten Mittelweg zu gehen, obwohl ich mit dem Begriff nicht ganz glücklich bin. Dieser Mittelweg heißt: Wir machen eine Verpflichtung zur Impfung für Personen ab 50, für die besonders gefährdeten Gruppen; wir machen aber auch eine verpflichtende Impfberatung ab 18.
Es fällt mir natürlich nicht leicht, da zu sagen, dass das der beste Weg durch diese Krise und aus dieser Krise ist. Aber es ist auf jeden Fall so, dass wir hier versuchen, die gesellschaftlichen Nebenwirkungen, die dieses Medikament Impfpflicht auch haben kann, mitzudenken und zu minimieren.
Niemand kann Ihnen sagen – das kann ich jetzt nur noch anreißen –, ob wir tatsächlich diesen befriedenden Effekt in allen Bundesländern haben werden oder ob es nicht auch Radikalisierungstendenzen geben wird. Da reicht auch kein Glaube. Als Mensch, der in Sachsen lebt, kann ich nicht darauf vertrauen, dass es Befriedung geben wird; da muss ich mit einpreisen, dass es auch anders sein kann. Deswegen werbe ich für diesen anderen Weg.
Ich freue mich auf die nächsten Wochen mit Ihnen; denn das Schöne an dieser Debatte ist, dass es fast alle von uns eint, dass wir diese demokratische, gesundheitliche und soziale Zumutung, die diese Pandemie ist, endlich hinter uns bringen. Wir tragen fast alle in diesem Haus Verantwortung, egal ob hier oder in den Ländern. Deswegen freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: die Abgeordnete Dr. Alice Weidel aus der AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Unser Land steht an der Schwelle eines beispiellosen Sündenfalls. Die Absicht, eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus einzuführen, ist ein Anschlag auf die Freiheit und Menschenwürde und auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.
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Die Impfpflicht ist ein autoritärer Amoklauf gegen die Grundfesten unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung.
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Wenn der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elementarer Zivilisationsbruch.
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Es ist ein Trauerspiel, dass wir überhaupt darüber reden müssen. Für eine Coronaimpfpflicht, egal ob für alle oder für einzelne Bevölkerungsgruppen, gibt es keine Rechtfertigung, weder medizinisch noch ethisch noch juristisch.
Eine Impfpflicht gegen eine Krankheit, die für mehr als 99 Prozent der Menschen keine lebensgefährliche Bedrohung darstellt, mit einem Impfstoff, der weder vor Ansteckung noch vor der Weitergabe des Erregers zuverlässig schützt, ist absurd.
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Menschen zu einer Impfung zu nötigen und zu zwingen, ist deshalb eine unerhörte Grenzüberschreitung. Die Impfpflicht ist verfassungswidrig und unverhältnismäßig.
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Es gibt andere, vernünftige und zielführende Wege, um die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, zum Beispiel, indem die Gesundheitsminister im Bund und in den Ländern ihren Job machen und für anständige Arbeitsbedingungen, ordentliche Bezahlung und mehr Personal in den Kliniken sorgen.
Die Impfpflicht ist auch nicht durchführbar. Davor warnen die Kassenärzte, davor warnt der Beamtenbund, davor warnt der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Wie wollen Sie eigentlich Millionen von Bürgern, die sich nicht impfen lassen wollen, zu einer Impfung zwingen? Mit Bußgeldern und Erzwingungshaft? Wie stellen Sie sich das vor? Darum unser Rat an Sie: Hören Sie nicht nur auf die Pharmalobbyisten, sondern hören Sie auch auf die Praktiker in diesem Land!
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Aber Sie wissen ja auch, dass die Impfpflicht, der Impfzwang, falsch ist. Vor der Wahl haben Sie selbst noch ganz anders geredet, Herr Scholz und Herr Lindner. Die Impfpflicht ist nicht zuletzt vor allem eines: ein gigantischer Wählerbetrug, ein skandalöser Vertrauensbruch. Darüber reden wir hier.
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Sie klammern sich an die Impfpflicht, weil Sie sich komplett verrannt haben, verrannt in eine Politik der Bevormundung und Entrechtung. Zwei Jahre rigide Coronapolitik, gebaut auf falschen Zahlen, manipulierten Statistiken, widersprüchlichen Behauptungen, haben Ihre Glaubwürdigkeit gründlich ramponiert.
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Sie haben das Land mit lähmenden Regelwerken und einer kafkaesken Coronabürokratie überzogen, die die Bürger in die Verzweiflung treiben. Ihr Versuch, einen De-facto-Impfzwang über sinnlose und willkürliche 2‑G- und 3‑G-Regeln einzuführen, hat die Gesellschaft bereits tief gespalten.
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Vor allem Kinder und Jugendliche leiden unter der Zerstörung ihres sozialen Umfeldes, die diese Regelwerke ihnen aufzwingen.
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Diese Quälerei muss ein Ende haben.
Sie haben eine Behörde, das Robert-Koch-Institut, dazu ermächtigt, mit einseitigen Änderungen dieser Regeln, Millionen Menschen über Nacht und nach Belieben in ihren Rechten weiter zu beschneiden. Dass ausgerechnet im Bundestag Willkürentscheidungen wie die Einschränkung des Genesenenstatus nur abgeschwächt gelten sollen, empfinden die Bürger zu Recht als Hohn.
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Alle Menschen sind gleich, manche gleicher. – Damit haben Sie im Übrigen völlig unbeabsichtigt offenbart, was Sie wirklich von den Menschen da draußen halten.
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Und bereits jetzt ist abzusehen, dass die von Ihnen durchgedrückte Impfpflicht im Bereich von Medizin und Pflege Existenzen ruiniert, engagierte Fachkräfte mit Berufsverbot belegt und die Krise in diesem Sektor noch verschärft. Kommen Sie also heraus aus Ihrer Bunkermentalität! Machen Sie das Fenster auf! Schauen Sie nach Europa, was hier passiert!
In England fallen nach und nach alle Coronarestriktionen, nicht trotz, sondern wegen Omikron; das Gleiche in Dänemark. In Spanien will man das Virus künftig nur noch wie eine normale Grippe behandeln. In Tschechien wird die geplante Impfpflicht für Ältere und bestimmte Berufsgruppen wieder einkassiert; sie hat sich nämlich als Flop erwiesen.
Und hören Sie auf, die Bürger zu verunglimpfen, die in dieser großen Protestbewegung in der Geschichte unseres Landes ihre Stimme äußern. Nehmen Sie diese Stimmen ernst,
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und schaffen Sie endlich diese unsinnigen und diskriminierenden Regeln ab, und zwar vollständig und überall. Ersparen Sie uns die zum Scheitern verurteilte Impfpflicht für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen! Kippen Sie sie, bevor es zu spät ist! Darum bitten wir Sie.
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Wir müssen mit dem Virus leben. Freiheit und Eigenverantwortung sind der Schlüssel. Jeder muss für sich frei entscheiden können, ob er sich durch eine Impfung oder auf eine andere Art und Weise schützen möchte. Darum lassen Sie um Gottes willen die Hände von der Impfpflicht.
Ich bedanke mich.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Wolfgang Kubicki aus der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich bei meiner eigenen Fraktion und vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus dafür bedanken, dass wir trotz unterschiedlicher Auffassungen im Ergebnis eine sehr respektvolle und sehr faire Debatte haben führen können. Denn wir alle wissen, dass wir eigentlich nichts wissen und trotzdem unsere Bewertung anhand der Datenlage, die wir haben, vornehmen müssen, und die kann naturgemäß unterschiedlich ausfallen. Und da ich dem Beitrag des Kollegen Sorge sehr aufmerksam zugehört habe, ist mir klar geworden, dass die Orientierungsdebatte wirklich einen Sinn hat; denn die Union sucht ja noch nach Orientierung, und wir sind dabei, Ihnen zu helfen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine persönlichen Freedom Days waren die Tage meiner Coronaimpfungen. Ich habe mich bewusst für die Impfung und fürs Boostern entschieden, weil ich der festen Überzeugung war und bin, dass sie mich mit großer Wahrscheinlichkeit vor einem schweren Krankheitsverlauf und vor dem Tod durch Corona bewahren. Es war für mich persönlich ein enorm befreiendes Gefühl. Es ist ein großes Geschenk, dass dieser Impfstoff innerhalb so kurzer Zeit entwickelt wurde und dass ich mich außerdem frei entscheiden konnte, diesen Schritt zu gehen. Ich bin froh und dankbar, in einem Gemeinwesen leben zu können, in dem das möglich ist.
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Reden wir heute über die Impfpflicht, müssen wir gleichzeitig darüber sprechen, wie der Staat denjenigen gegenübertritt, die sich bisher gegen eine Impfung entschieden haben. Ich erinnere ausdrücklich daran, dass es noch nicht allzu lange her ist, dass es der ausdrückliche Wille der überwältigenden Mehrheit dieses Hauses war, den Bürgerinnen und Bürgern selbst die Freiheit zur Entscheidung zu überlassen.
Der Gedanke war grundlegend, dass der staatliche Eingriff ab einem bestimmten Zeitpunkt enden muss, wenn alle ein Impfangebot erhalten haben, und dann jeder das individuelle Lebensrisiko wieder selbst trägt. Setzt die Mehrheit des Hohen Hauses nun aber trotz aller anders lautenden Beteuerungen zuvor die allgemeine Impfpflicht um, hat das Auswirkungen auf das Menschenbild, das dieses Gemeinwesen aussendet. So mag der Tag der Impfung für all jene, die sich freiwillig hierzu entscheiden, der Freedom Day gewesen sein. Wie aber werden diejenigen den Tag nennen, an dem sie gegen ihren erklärten Willen geimpft wurden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist häufig zu hören, dass eine Impfung vernünftig ist und deshalb die staatliche Verpflichtung ein Gebot der gesellschaftlichen Notwendigkeit sei. Ich teile ausdrücklich die Auffassung, dass eine Impfung vernünftig ist. Trotzdem halte ich die Idee, der Staat lege für alle Bürgerinnen und Bürger fest, was vernünftig ist, zumindest für problematisch.
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Die individuellen Gründe, sich nicht impfen zu lassen, können vielfältig sein. Wir machen es uns viel zu einfach, wenn wir erklären, hauptsächlich Coronaleugner und Rechtsradikale entschieden sich gegen die Impfung. Das ist mitnichten so.
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Wir müssen respektieren, dass es durchaus bedenkenswerte psychologische oder religiöse Gründe gibt, eine Impfung für sich persönlich abzulehnen. Wer wären wir, wenn wir diese Gründe im Sinne des Allgemeinschutzes als nicht zulässig erachten würden, insbesondere nachdem wir mittlerweile wissen, dass der Fremdschutz durch eine Impfung kaum mehr gegeben ist.
Auch deshalb fällt es mir schwer, bei der Impfung von einem Akt der Solidarität zu sprechen, wie es viele tun. Weil die Impfung keine sterile Immunität liefert, dient sie zuallererst dem Selbstschutz. Wir tun gut daran, die Impfung nicht durch eine moralische Aufladung zu einer Solidaritätspflicht zu machen. Denn damit würden wir sie zwangsläufig politisieren
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und Menschen, die persönliche Gründe gegen eine Impfung anführen können, stigmatisieren und zu Parias der Gesellschaft machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kern geht es heute deshalb auch um den Minderheitenschutz, der durch eine Impfpflicht berührt wird. Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was man als vernünftig anzusehen hat und was man nach Mehrheitsmeinung tun muss, um solidarisch zu sein. Denn wenn die Minderheit von der Mehrheit in grundrechtssensiblen Fragen unter Rückgriff auf eine höhere Moral einfach überstimmt wird, dann können wir nur hoffen, dass wir nie in die Verlegenheit kommen werden, Teil einer Minderheit zu sein.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt gute Gründe für die Impfung, die für eine Impfpflicht überzeugen mich nicht. Weder droht ein Kollaps des Gesundheitssystems – bei massiv steigenden Infektionszahlen sinken die Behandlungszahlen auf den Intensivstationen –, noch kann eine Impfpflicht noch etwas zur Bewältigung der Omikron-Welle beitragen.
Einen massiven Grundrechtseingriff mit einer möglichen Mutante im Herbst, die wir noch nicht kennen, und einem Impfstoff, den wir noch nicht haben, zu begründen, sozusagen eine Impfpflicht auf Vorrat, halte ich auch aus rechtlicher Sicht für nicht vertretbar.
Vielen Dank.
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– Ich habe es noch gemerkt, Frau Präsidentin!
Sonst hätte ich Sie auch tadeln müssen.
Ich hätte auch das hingenommen, Frau Präsidentin.
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Übrigens: Auch für Sie gilt das Zeichen „Präsident“, wenn es aufleuchtet.
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Das werde ich mir merken.
Nächster Redner ist der Abgeordnete Matthias W. Birkwald aus der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 25 Jahren lasse ich mich jedes Jahr gegen Grippe impfen. Ich habe nahezu alle von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen erhalten; das sind weit über 20. Und ich bin selbstverständlich vollständig geimpft, und ich habe mich bewusst boostern lassen, obwohl ich seit sieben Monaten Schmerzen an der Einstichstelle nach der zweiten Impfung verspüre und obwohl mein Vater einen Tag nach seiner Impfung gegen Covid-19 verstorben ist – was offiziell keinen Zusammenhang mit der Impfung hatte, sich aber nach wie vor völlig anders anfühlt.
Ich habe also eine individuelle Risikoabwägung vorgenommen und mich im Anschluss für die Impfung entschieden. Ich halte diese freie Entscheidung für den richtigen Weg für alle erwachsenen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
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Eine Entscheidung für oder gegen eine Impfung gegen Covid-19 sollte immer selbstbestimmt und individuell nach der Aufklärung über persönliche Chancen und Risiken getroffen werden können.
Ich werbe dafür, die individuellen demokratischen Grundrechte der freien Persönlichkeitsentfaltung und der körperlichen Unversehrtheit der Bürgerinnen und Bürger unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaates keinesfalls durch eine Impfpflicht gegen Covid-19 einzuschränken.
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Ich werbe für einen rationalen und einen humanistischen Umgang mit der Coronapandemie. Ich bin nicht in jedem Fall gegen eine Impfpflicht. Bei der sinnvollen Masernimpfpflicht habe ich mich enthalten, weil Verstöße gegen die Impfpflicht mit 2 500 Euro sanktioniert werden. Diese Summe müssen Investmentbanker/-innen genauso zahlen wie Hartz-IV-Betroffene. Als Linker sage ich: Das ist zutiefst sozial ungerecht!
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Wir Linken stehen für die soziale Teilhabe aller Menschen. Wenn das Bußgeld aber beispielsweise wieder 2 500 Euro betrüge, dann könnten sich die Wohlhabenden von der Impfpflicht freikaufen; aber Paketboten, Kassiererinnen, Reinigungskräfte und Kellner könnten dies nicht tun.
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Nach gegenwärtigem Recht drohte ihnen nach mehrfacher Weigerung, Bußgelder zu zahlen, sogar eine Erzwingungshaft im Gefängnis. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu darf es auf gar keinen Fall kommen!
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Es geht auch um Glaubwürdigkeit. Bundeskanzlerin Merkel hatte seinerzeit eine allgemeine Impfpflicht kategorisch ausgeschlossen. Im Januar 2021 konnte man auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums lesen: Nein, es wird keine allgemeine Impfpflicht geben. – Ich stehe für eine glaubwürdige Politik. Ich habe dies meinen Wählerinnen und Wählern in Köln vor der Wahl versprochen und werde mich auch jetzt, nach der Wahl, bei meinem Abstimmungsverhalten daran erinnern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich komme zum Schluss –, bitte tun Sie dies auch; denn hier geht es um Vertrauensschutz. Aktuell heißt es ja, es werde keinen Impfzwang geben. Wer soll denn das noch glauben, wenn die Aussage, eine Impfpflicht sei ausgeschlossen, schon nach so kurzer Zeit nicht mehr das Papier wert wäre, auf dem sie gedruckt wurde? Nein, diese Impfpflicht ist eine autoritäre Illusion. Besser als diese Impfpflicht wäre es, die Menschen zu überzeugen.
Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner: der Abgeordnete Takis Mehmet Ali aus der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mit dem Inhaltlichen anfange, möchte ich noch eine Sache loswerden. Wer diese Debatte heute verfolgt, der wird feststellen, in was für einer lebhaften Demokratie wir sind und dass wir solch eine Debatte in einer Diktatur gar nicht führen würden, anders als einige Verschwörungstheoretiker und einige Demokratiefeinde in diesem Land behaupten, meine Damen und Herren.
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Ich möchte meine Aufmerksamkeit in meinem Redebeitrag den Einrichtungen der Eingliederungshilfe und den Menschen mit Behinderungen widmen. Wir haben ungefähr vor eineinhalb Monaten die partielle Impfpflicht eingeführt. Die wird bestimmte Konsequenzen mit sich bringen. Das spüren wir teilweise schon; das hört man auch in den Diskussionen mit der Freien Wohlfahrtspflege. Ich möchte aber klarstellen, dass nicht die partielle Impfpflicht das Problem ist, sondern insbesondere in der Eingliederungshilfe die seit 30, 40 Jahren ausbleibende Schaffung neuer Infrastrukturen. Wir haben teilweise eine Refinanzierungsstruktur in der Behindertenhilfe gehabt, die wirklich zu wünschen übrig lässt.
Ich habe Ihnen heute ein Rechenbeispiel mitgebracht, das die Situation in Baden-Württemberg verdeutlicht. Stellen Sie sich ein 24er-Wohnheim bei einem Personalschlüssel von 1 : 2,54 vor. Das bedeutet: 9,44 Vollzeitstellen. Die Landespersonalverordnung in Baden-Württemberg besagt, dass davon nur 50 Prozent Fachkräfte sein dürfen. Das bedeutet, dass ich 4,72 Fachkräfte und 4,72 Hilfskräfte habe, und die darf ich dann auf drei Wohngruppen verteilen. Bitte sehen Sie sich das an, meine Damen und Herren! Wenn davon ein, zwei Personen die Einrichtung verlassen, tut das den Einrichtungen weh.
Deshalb müssen wir uns die Frage stellen: Wohin wandert denn das Personal ab? Es wandert aktuell in die übrigen Hilfestrukturen, in die Jugendhilfe, in die Obdachlosenhilfe ab, dorthin, wo die Menschen momentan eine Arbeitsheimat finden können. Erschwerend kommt hinzu, dass in einem Wahlkreis wie meinem, Lörrach – Müllheim, an der Schweizer Grenze, die Kolleginnen und Kollegen sagen: Dann fahr ich halt mal zehn Minuten rüber und schaff a bissle in der Schweiz. – Das erschwert die Situation in den Einrichtungen zusätzlich. Aber wir können das Problem lösen, nämlich mit einer allgemeinen Impfpflicht, weil sich dann jeder in diesem Land, der in diesen Hilfestrukturen arbeiten möchte, verpflichten muss, seinen Beitrag zu leisten, meine Damen und Herren.
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Was vielleicht zusätzlich erschwerend dazukommt, ist der Umstand, dass die Einrichtungen und die Menschen mit Behinderungen oder ihre Angehörigen auch Sorgen haben, was passiert, wenn die Gesundheitsämter in den Einrichtungen ihren Ermessensspielraum ausüben. Wir haben in Baden-Württemberg beispielsweise 44 Stadt- und Landkreise, die zuständig sind. Dann macht das Gesundheitsamt in dem einen Landkreis das, und das Gesundheitsamt in dem anderen Landkreis entscheidet das. Das bringt Unsicherheiten. Auch hier können wir sagen: Wenn wir eine allgemeine Impfpflicht haben, werden wir die Probleme der partiellen Impfpflicht aufheben können und damit auch Sicherheit bei den Leistungserbringern, bei den Leistungsberechtigten und bei den Leistungsträgern schaffen, meine Damen und Herren.
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Zudem steuern wir gegebenenfalls auf eine Struktur hin, die ich selber „konkurrierendes Ordnungsrecht“ nenne. Wir werden auf der einen Seite die landesspezifischen Regelungen haben, wie beispielsweise die Heimgesetze, die die Einrichtungen dazu verpflichten, ihrer Pflicht zur Erbringung von Leistungen gegenüber Menschen mit Behinderungen nachzukommen. Wenn aber Personal ausfällt, weil Beschäftigte vielleicht krank werden, weil sie sich angesteckt haben, wird dies dazu führen, dass das restliche Personal mehr gefordert wird. Was passiert, wenn dann auf der anderen Seite das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden kann? Das heißt, ich habe auf der einen Seite das Heimgesetz, auf der anderen Seite das Arbeitszeitgesetz, zwei ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen, die miteinander konkurrieren. Die Einrichtungen und die Menschen mit Behinderungen wissen heute immer noch nicht, was dann die Konsequenz sein wird.
Auch hier können wir sagen: Wer Verantwortung für Menschen mit Behinderungen übernimmt, die in Einrichtungen leben oder die alleine leben, die Leistungen der Dienste in Anspruch nehmen, der wird auch weiterhin Leistungen für Menschen mit Behinderungen erbringen können. – Ach so, die Zeit ist schon vorbei.
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Ja, die ist schon länger vorbei. Das ist das Zeichen da vorne.
Das ist sehr, sehr ärgerlich. – Meine sehr geehrten Damen und Herren – ich appelliere auch an die Menschen, die in den Einrichtungen arbeiten –: Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschen mit Behinderungen da sein! Ich hätte Ihnen gern noch so viel Wichtiges erzählt; aber das mache ich ein andermal.
Vielen Dank fürs Zuhören.
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Nächster Redner: der Abgeordnete Sepp Müller aus der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Morgen vor zwei Jahren jährt sich zum zweiten Mal der erste positive Coronafall in Deutschland. Ich glaube, mittlerweile ist doch allen bewusst, dass es keine Gewissheit in der Ungewissheit gibt. Ja, auch wir hier im Hohen Haus hatten damals teilweise Annahmen, die sich im Nachgang als nicht richtig erwiesen haben. Ja, auch wir im Hohen Haus haben Fehler gemacht. Wir haben Entscheidungen getroffen, die wir vielleicht zwei Jahre später so nicht mehr getroffen hätten.
Nun – mit Blick auf die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz, unterstützt durch den Bundeskanzler Olaf Scholz – debattieren wir über die Einführung einer Impfpflicht. Dieser Beschluss ist im November letzten Jahres getroffen worden, angesichts einer hochtödlichen Variante, der Delta-Variante, die Anlass zur Annahme gab, dass nicht nur die Gesundheitsämter belastet sind, sondern dass vor allem unser Gesundheitssystem überlastet wird. Daraufhin ist zu Recht gesagt worden: Unsere Impflücke ist zu groß. Wir müssen diese Impflücke schließen. Haben wir schon alles im Vorfeld geklärt, um diese Impflücke schließen zu können? – Deswegen soll sich der Deutsche Bundestag mit der Impfpflicht beschäftigen: um diese Impflücke zu schließen.
Mittlerweile schreiben wir Ende Januar, und es ist eine andere Variante vorherrschend, die Omikron-Variante. Es gibt unterschiedliche Auffassungen zwischen Virologen. Zwei prominente Virologen, einer davon der Bundesgesundheitsminister, gehen davon aus, dass wir im Herbst eine rekombinierte Variante haben werden. Andere Virologen sagen, dass wir mit der Omikron-Variante in eine endemische Lage kommen werden. – Nichts ist gewiss in der Ungewissheit. Wie sollen wir verfahren? Deswegen ist es richtig, dass wir als Parlament hier diese Debatte führen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Argumente hören, die dafür und dagegen sprechen.
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Genauso richtig ist es aber, dass man in einer so kritischen Situation wie dieser, in der wir uns befinden, von einer Bundesregierung Führung erwarten kann.
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Genauso richtig und wichtig ist es, dass man von einer Bundesregierung in so einem Fall einen Vorschlag erwarten kann. Genauso richtig und wichtig ist es, dass man Fragen beantwortet.
Ich habe sehr aufmerksam zugehört, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen frage ich sowohl die Befürworter der Impfpflicht ab 18 Jahre aus der Ampelkoalition als auch die Befürworter der Impfpflicht ab 50 Jahre: Wie soll die Umsetzung erfolgen? Wollen wir wieder die Gesundheitsämter damit beschäftigen? Wie soll am Ende der Vollzug durchgesetzt werden? Mit Bußgeld, Beugehaft oder Zwangsimpfung? Ab wann soll die allgemeine Impfpflicht ab 18 oder 50 Jahren gelten?
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Ab welchem Alter ist geklärt. Aber ab welchem Zeitpunkt?
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Wie wollen wir diejenigen anschreiben und kontaktieren?
Unsere Datengrundlage ist schlecht. Mindestens 75,5 Prozent der Bevölkerung sind geimpft. – Angesichts der Zwischenrufe von Bündnis 90/Die Grünen freue ich mich, dass auch der baden-württembergische Ministerpräsident zu dem Entschluss gekommen ist, ein Impfregister einzuführen.
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Wir brauchen eine bessere Datengrundlage.
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Mit einer besseren Datengrundlage können wir viel dezidierter auf die Ungeimpften zugehen, mit ihnen sprechen, ihnen ihre Sorgen nehmen und durch ein individuelles Arztgespräch Überzeugungsarbeit leisten. Mit zukünftig neu zugelassenen Impfstoffen – einem Proteinimpfstoff, der in den nächsten Wochen geliefert wird, mit einem zusätzlichen Totimpfstoff, der kommen wird – können wir auch diese Personen erreichen und die Impflücke schließen.
Es muss auch die Frage erlaubt sein – eine Antwort auf unsere Kleine Anfrage dazu konnte die Bundesregierung nicht leisten; denn nichts ist gewiss in der Ungewissheit –: Wie wird die Impfung bei nächsten Varianten wirken? Jetzt gibt es den Vorschlag aus der Ampelkoalition, wonach ab 18 Jahren drei Impfungen für die nächsten zwei Jahre reichen. Wir wissen mittlerweile, dass die Impfung bei der Omikron-Variante gegen eine Einlieferung auf die Intensivstation hilft. Impfen ist eine Entlastung für unsere Pflegerinnen und Pfleger! Aber die Impfung hilft halt nicht gegen eine Ansteckung. Deswegen ist das Festhalten an drei Impfungen bei diesem Vorschlag schwierig. Wir machen der Bevölkerung wieder ein Versprechen, das wir wahrscheinlich, wenn der Virologe und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach recht damit hat, dass wir im Herbst eine rekombinierte Variante erwarten, nicht werden einhalten können.
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Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat den ärmsten Ländern der Welt wie Rumänien 5 Millionen zusätzliche Dosen weggenommen. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage steht, wir könnten 128 Millionen Dosen im ersten Quartal in Deutschland verimpfen. Wollen wir demnächst auch Hund und Katze impfen? Die rekombinierten Varianten, Herr Lauterbach – ich freue mich, dass Sie gleich auch noch reden werden, wie ich hoffe, als Bundesgesundheitsminister –, entstehen doch dort, wo die Impfquoten so niedrig sind.
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Warum stellen wir nicht die 128 Millionen Impfdosen, die wir bedauerlicherweise nicht alle im ersten Quartal verimpfen können, den ärmsten Ländern dieser Welt zur Verfügung, um dort die rekombinierten Varianten zu verhindern? Das ist doch unsere Aufgabe.
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Es ist gut, dass wir diese Debatte hier führen. Es ist gut, dass zwei Bundesländer mit CDU-Regierungsbeteiligung ein Impfregister führen mit dem Ziel, die Erstimpfquote nach oben zu bringen. Daran werden wir konstruktiv mitarbeiten.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Till Steffen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie begrüße ich auch ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Müller, ich kann Ihnen sagen, wo der Ort ist, wo Ihre guten Fragen beantwortet werden: dort, wo an den Gruppenanträgen gearbeitet wird. Das sage ich Ihnen als einer der sieben Initiatorinnen und Initiatoren für den Antrag zur Impfpflicht ab 18 Jahre. Auch diejenigen, die an der Impfpflicht ab 50 Jahre arbeiten, heißen Sie sehr herzlich willkommen.
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Melden Sie sich! Unsere Abgeordneten, die daran arbeiten, haben sich hier zu erkennen gegeben. Machen Sie mit!
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Die Frage ist doch: Wo stehen wir heute in einem Jahr? Werden wir mit einem Gefühl des Aufbruchs in das Jahr 2023 starten, weil wir wissen, dass dieses Jahr anders sein wird? Oder befinden wir uns in den gleichen Irrungen und Wirrungen der Pandemie wie heute? Das alles hängt maßgeblich von unseren Handlungen und politischen Entscheidungen in diesem Jahr ab. Die Wissenschaft ist auf unserer Seite.
162 Millionen verabreichte Impfdosen in Deutschland sind schon eine gewaltige Leistung. Aber das reicht nicht. Es reicht nicht für den endemischen Zustand der Pandemie, und es reicht nicht für eine Planbarkeit unseres Lebens. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind die letzten Jahre eine unwiederbringliche Zeit des Stillstands. Gerade ihnen müssen wir einen Aufbruch ermöglichen.
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Eine allgemeine Impfpflicht ist die Brücke, über die wir gehen müssen. Nachdem so viele bereits geimpfte Menschen ihren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie geleistet und mit ihrer Impfung abgestimmt haben, sind nun die anderen dran. Nur eine höhere Impfquote wird uns unsere Freiheit zurückgeben, die Freiheit, unser Leben zu gestalten und zu planen.
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Perikles sagte:
Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.
Hier brauchen wir den Mut, uns zu entscheiden für eine allgemeine Impfpflicht, für Freiheit von uns allen und für stabile Perspektiven.
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Es geht um eine millionenfach erprobte und sichere Impfung, und es geht um die Gesundheit von uns allen. Es ist klar, dass eine Impfpflicht kein geringer Eingriff in die Grundrechte ist. Aber es ist eine viel größere Zumutung, dass notwendige Operationen verschoben werden müssen, Menschen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall keine adäquate medizinische Behandlung bekommen
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oder gar an den mittelbaren Folgen eines überlasteten Gesundheitssystems sterben. Ein gut funktionierendes Gesundheitssystem basiert immer auf dem Prinzip der Solidarität. Jeder und jede muss seinen und ihren Beitrag leisten. Mit der allgemeinen Impfpflicht fordern wir diese Solidarität von allen ein.
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Natürlich braucht es Kontrollen. Genauso wie bei anderen Coronamaßnahmen muss auch die Impfpflicht kontrolliert werden. Die Durchsetzung der Impfpflicht ist ein großes Thema; richtige Fragen sind gestellt worden. Aber wir wissen doch, dass Bußgelder effektiv sind und funktionieren. Auch Tempolimits werden effektiv mit Bußgeldern durchgesetzt.
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Die Pandemie geht uns alle an, und nur gemeinsam kommen wir da wieder raus. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben hier die Verantwortung, dass wir in einem Jahr nicht wieder über neue Maßnahmen und Lockdowns diskutieren müssen, dass wir vor allem den jungen Generationen ihre Freiheit zurückgegeben haben und dass wir ein funktionierendes Gesundheitswesen haben. Ich möchte, dass wir hier in einem Jahr stehen und sagen: Gut, dass wir uns für die Impfpflicht entschieden haben.
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Ich bin überzeugt: Wir können diese Impfpflicht verfassungsgemäß ausgestalten. – Ich lade Sie nochmals alle sehr herzlich ein, an diesen gemeinsamen Initiativen in den verschiedenen Gruppen mitzuarbeiten.
Meinen ganz herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Jörg Schneider aus der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich mit den Impfnebenwirkungen beschäftigen, vor allen Dingen mit der Herzmuskelentzündung. Das Thema wird in regierungsfreundlichen Medien gern ein bisschen heruntergespielt. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland zum Beispiel schreibt dazu: Eine Herzmuskelentzündung gibt es beispielsweise auch nach einer Coronainfektion, und da ist sie sogar viermal so häufig wie nach einer Impfung.
Wer so argumentiert, macht direkt zwei Fehler. Der erste große Fehler ist: Corona kennt eigentlich keine Durchschnittswerte. Wir wissen: Eine Coronainfektion ist für ältere Menschen sehr gefährlich, für jüngere Männer hingegen kaum. Sie entwickeln nur selten Symptome und nur ganz selten schwere Symptome wie eine Herzmuskelentzündung. Wir wissen aber auch, dass die Nebenwirkung einer Herzmuskelentzündung insbesondere junge Männer besonders häufig trifft, 10- bis 20-mal so häufig wie den Durchschnitt. Wenn wir die Risiken von Impfung und Infektion miteinander vergleichen wollen, dann müssen wir Werte wie Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen miteinbeziehen. Eine so differenzierte Vorgehensweise ist nur möglich, solange die Impfentscheidung frei ist, meine Damen und Herren.
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Das RND macht einen zweiten Fehler. Es vergleicht das Risiko einer Impfung mit dem Risiko einer Infektion. Nur, wie sehen denn die Zahlen aus? Das RKI sagt: Bisher haben sich ungefähr 10 Prozent der Menschen in Deutschland mit Corona infiziert. Es gibt eine Dunkelziffer. Packen wir also noch einmal 10 Prozent obendrauf. Das sind 20 Prozent in zwei Jahren, 10 Prozent pro Jahr. Statistisch infiziert sich jeder einmal in zehn Jahren mit Corona. Und wie oft müssen wir geimpft werden? Wer den Empfehlungen der Regierung gefolgt ist, ist jetzt schon dreimal geimpft. Und die Impfstoffhersteller testen gerade an Omikron angepasste Impfstoffe. Sie sagen: Da brauchen wir eine weitere Dosis. – Na ja, wers glaubt! Aber glauben wir es mal. Dann sind es vier Dosen in gut einem Jahr – alle vier Monate eine Impfung. Und jetzt vergleichen wir: statistisch einmal in zehn Jahren das Risiko einer Infektion gegenüber 30 Impfungen in zehn Jahren. Das heißt, es ist grundfalsch, das Risiko einer Impfung mit dem Risiko einer Infektion zu vergleichen.
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Vielmehr müssen wir das Risiko einer Infektion mit dem 30-fachen Risiko der Impfung vergleichen. Dann sieht die Risikobewertung vollkommen anders aus, und dann kann die Antwort eigentlich nur lauten: Nein, es darf keine Impfpflicht geben.
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Erlauben Sie mir abschließend ein paar persönliche Worte. Ich bin vor drei Jahren an Krebs erkrankt. Das ist glimpflich verlaufen. Ich stehe in engmaschiger Nachsorge. Voriges Jahr stellte sich für mich dann natürlich auch die Frage: Lässt du dich jetzt impfen? – Ich habe mich informiert. Ich habe mich mit meinem behandelnden Arzt unterhalten und bin zu dem Entschluss gekommen: Jawohl, ich lasse mich impfen. – Aber ich möchte, dass alle Menschen in Deutschland diese Entscheidungsfindung so wie ich durchführen können, dass sie sich informieren und beraten lassen und dann frei eine Entscheidung treffen können, die sich für sie persönlich richtig und gut anfühlt, meine Damen und Herren.
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Ich bitte Sie: Lassen Sie den Menschen in Deutschland die Freiheit! Lassen Sie den Menschen in Deutschland das Recht, frei zu entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht!
Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Professor Dr. Andrew Ullmann aus der FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind in einer Situation, um die uns Generationen vor uns beneidet hätten. Wir haben einen wirksamen Impfstoff in einer Pandemie. Mit diesem Impfprivileg können wir schreckliche gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen abwehren.
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Die Entwicklung eines effektiven und sicheren Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 war eine Megaleistung unter anderem einer kleinen Firma aus Mainz. Ich würde sogar sagen: Die rasche Impfstoffentwicklung ist eine der größten Leistungen der Medizin in den letzten 100 Jahren.
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Trotzdem ist die heutige Diskussion zur Impfpflicht notwendig.
Unser gemeinsames Ziel muss die schnellstmögliche Rückkehr in den freiheitlichen Normalzustand sein, ohne dass dabei das Gesundheitssystem kollabiert. Hierbei stehen uns derzeit zwei Wege offen: zum einen die sogenannte natürliche Durchseuchung, ein durchaus gefährliches Unterfangen, zum anderen die wissenschaftlich erwiesene Immunität in weiten Teilen der Bevölkerung durch Impfungen.
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Als Arzt bin ich es gewöhnt, lösungsorientiert zum Wohle der Patientinnen und Patienten zu handeln. Deswegen schließe ich aus, das Virus gewähren zu lassen. Der menschliche und wirtschaftliche Schaden wäre unabsehbar.
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Es bleibt nur der Weg über die Impfungen. Das ist übrigens auch der Grundtenor der fachwissenschaftlichen Community. Hierbei ist uns aber wichtig, alles zu versuchen, um die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, sie mitzunehmen.
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Wir wollen den Menschen nur als Ultima Ratio zur Vernunft verpflichten. Zuvor halte ich es für unsere Pflicht, die Argumente darzulegen. Wir als staatliche Verantwortungsgemeinschaft müssen alles versuchen, um jenen relevanten Anteil an Impfskeptikern zu überzeugen. Wir haben die Vernunft und die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf unserer Seite. Deshalb schlagen wir ein verpflichtendes Aufklärungsgespräch vor. Es gibt eine große Anzahl an ungeimpften Menschen, die überzeugt werden können. Ein relevanter Teil der Bevölkerung fühlt sich immer noch unzureichend über die Covid-19-Impfung informiert. Diesen wollen wir in einem ersten Schritt erreichen. Ein verpflichtendes professionelles und persönliches Beratungsgespräch für alle ungeimpften Erwachsenen in Deutschland ist notwendig.
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Und ich möchte sagen, dass diese Menschen nicht nur die Pflicht haben, sich beraten zu lassen; diese Menschen haben auch ein Recht darauf, wertfreie und seriöse Informationen zu erhalten.
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Diese Maßnahme ist angemessen, verhältnismäßig und geeignet für das wichtige Ziel, mehr Menschen von der Impfung zu überzeugen und so die gesundheitliche Versorgung bundesweit zu gewährleisten.
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Sollten wir die notwendige Impfquote durch professionelle Aufklärung nicht erreichen, muss ein weiterer Schritt umgesetzt werden: eine altersabhängige Impfnachweispflicht, zum Beispiel ab 50 Jahren. Wenn die Krankenhausversorgung gefährdet ist, ist dieses Mittel angemessen und erforderlich. Eine Altersgrenze wird dabei nicht willkürlich gewählt. Eine Vorgehensweise mit einer wissenschaftlich belegten Altersgrenze wäre ein milderer staatlicher Eingriff als eine allgemeine Impfpflicht ab 5 oder 18 Jahren. Gleichwohl wäre er ausreichend effektiv.
Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt handeln, statt wieder einmal mit Freiheitseinschränkungen behandelt zu werden. Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich einladen, auf diesem interfraktionellen Weg mitzuarbeiten.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi aus der Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einigkeit im Haus – abgesehen von einer Fraktion – besteht ja darin, dass Impfungen gegen das Coronavirus sinnvoll sind, weil sie vor schweren Krankheitsverläufen und dem Tod wenigstens für eine bestimmte Zeit schützen. Auch das Infektionsrisiko wird verringert. Deshalb müssen wir der großen Mehrheit der Menschen, die sich impfen lassen und damit einen Beitrag leisten, das Gesundheitssystem zu entlasten und andere Menschen zu schützen, danken.
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Die Impfpflichtdebatte hält aber der Politik einen Spiegel vor und zeigt das Versagen der beiden Regierungen, der jetzigen und der letzten. Andere Länder wie Portugal, Spanien, Dänemark haben viele höhere Impfquoten ohne Pflicht. In Deutschland hingegen erlebten wir Desorganisation: zuerst fehlende Impfstoffe, dann zu wenig Impfstellen, heute nicht wirklich belastbare Zahlen – alles ein Trauerspiel. Hierzulande zeigt etwa Bremen mit einer linken Gesundheitssenatorin, dass man mit Aufklärung, direkter Ansprache aller Bevölkerungsteile und guter Organisation
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eine Zweifachimpfquote von 86,1 Prozent der Bevölkerung erreichen kann. Schade, dass nicht alle diesen Weg gegangen sind!
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Aus diesen und vielen anderen Gründen bin ich gegen eine allgemeine Impfpflicht. Zwang soll ja ausgeschlossen werden. Und ich muss Ihnen sagen: Körperliche Gewalt zur Impfung wäre so was von indiskutabel und grundgesetzwidrig. Das wäre so offensichtlich, dass der Bundespräsident das niemals unterschriebe.
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Auch die allgemeine Impfpflicht ist nur schwer mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen; dazu wurde schon gesprochen.
Außerdem haben wir real etwa 11 Millionen ungeimpfte Menschen über 18 Jahre. Wie viele Ordnungsämter bräuchten wir eigentlich, um das Ganze irgendwie zu bewerkstelligen? Staatliche Aufgaben können wir auch nicht einfach auf Unternehmen übertragen; das sieht das Recht nicht vor. Und eine Pflicht ohne Sanktionen ist keine Pflicht. Also geht es bei den Sanktionen doch letztlich wahrscheinlich nur um Geldbußen. Aber wer nicht zahlt oder nicht zahlen kann, kriegt stattdessen Ordnungshaft. Abgesehen von der sozialen Frage, auf die Matthias Birkwald zu Recht hingewiesen hat, ist es völlig undenkbar, dass wir Ungeimpfte auf irgendeinem Weg einsperren. Das erträgt und das verträgt unsere Gesellschaft nicht.
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Es führte zu einer Vertiefung der Spaltung der Gesellschaft und muss schon deshalb verhindert werden.
Weil Impfen wichtig ist, müssen wir einen anderen Weg gehen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung! Wenn die Hälfte der Ungeimpften bis zum Herbst geimpft wäre, wären wir ein großes Problem los. Das bedeutete pro Tag 25 000 Menschen. Und das soll uns nicht durch Aufklärung gelingen? Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
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Lassen Sie mich am Schluss Folgendes sagen: Statt einer Impfpflicht benötigen wir deutlich mehr Vertrauen; sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen. 23,4 Prozent Nichtwählende, 10,3 Prozent AfD-Wählende, und 8,7 Prozent wählten bewusst Parteien, die nicht in den Bundestag einziehen – sie alle, alle diese Gruppen, sind fertig mit der etablierten Politik, und zwar von der CSU bis einschließlich der Linken. Darüber müssen wir uns sehr viel mehr Gedanken machen. 37,5 Prozent der Bevölkerung vertrauen der etablierten Politik nicht mehr.
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5 bis 10 Prozent wären vielleicht normal. Aber 37,5 Prozent sind viel zu viele.
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Wir müssen uns wesentlich mehr Gedanken machen, wie man Vertrauen herstellen kann: durch eine allgemeinverständliche Sprache, durch die Angabe der wahren Beweggründe für Entscheidungen, durch die Überwindung des gesamten Lobbyismus und vor allem durch deutlich mehr Ehrlichkeit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es heute nicht vorrangig um die Entscheidung „Impfpflicht, ja oder nein?“. Mir geht es vielmehr darum, wie wir als Gesellschaft weitermachen wollen.
Ich habe Menschen getroffen, die sich leidenschaftlich für ihre Mitmenschen einsetzen, Test- und Impfzentren aufgebaut und betreut und Aufklärung betrieben haben. Ich habe natürlich Menschen kennengelernt, die skeptisch waren, die unsicher waren ob dieser neuen Situation, die wir so ja alle noch nie erlebt haben. Ich habe aber natürlich auch Menschen getroffen, die gegen die Existenz oder Gefahr des Coronavirus argumentiert haben. Und ich will ehrlich sein: Es war für mich teils unfassbar, zu sehen, wie bereitwillig Menschen glauben, dass das alles nur eine große Verschwörung ist, als seien die schweren Krankheitsverläufe und vielen Todesopfer nicht Beweis genug, dass Corona eine echte Gefahr für unser Leben ist.
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Aber eine Sache verbindet uns: Wir sind müde; wir alle wollen unser normales Leben zurück. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren – das ist so einfach wie wahr –, erreichen wir am ehesten durch einen kleinen Piks mit sehr großer Wirkung.
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Es ist – so sehe zumindest ich das im mittlerweile dritten Jahr der Pandemie – keine persönliche Entscheidung mehr, ob ich mich impfen lasse oder nicht.
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Es ist mittlerweile doch auch nicht mehr die Frage, ob ich mich mit dem Virus infiziere, sondern vielmehr wann. Ja, mit der Impfung sind wir nicht hundertprozentig vor einer Ansteckung geschützt. Aber mit der Impfung schützen wir uns vor schweren oder tödlichen Krankheitsverläufen. Mit der Impfung schützen wir auch unsere Mitmenschen und leisten zugleich einen großen Beitrag, unser Gesundheitswesen zu schützen. Das ist die Faktenlage, die auch wissenschaftlich untermauert ist.
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Die Impfstoffe sind mehrfach getestet und weltweit milliardenfach im Einsatz. Ich will nicht behaupten, dass Nebenwirkungen nicht auftreten können. Aber bitte hören wir doch endlich auf, einander weismachen zu wollen, dass die Impfung wahnsinnig gefährlich oder gar tödlich sei. Hunderte geimpfte Kolleginnen und Kollegen hier im Haus und Millionen Geimpfte in diesem Land sind der Gegenbeweis.
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Wenn hier im Hohen Haus Plakate mit der Aufschrift „Freiheit statt Spaltung“ hochgehalten werden – wir haben das heute wieder gehört –, dann frage ich mich doch allen Ernstes, wer es ist, der hier versucht, Spaltung zu betreiben. Sie sind es doch, die gezielt Falschinformationen streuen und mit falschen Zahlen um sich werfen.
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Sie sind es, die gezielt Angst schüren und Hetze verbreiten. Sie tragen Verantwortung für dieses Land, das Sie angeblich so sehr lieben. Werden Sie sich dieser endlich bewusst!
Ich komme aus Sachsen, einem Bundesland, das seit Beginn der Pandemie knapp 14 000 Todesopfer zu beklagen hat. Immer wieder gerät Sachsen in die Schlagzeilen, zuletzt, weil sogenannte Spaziergänger/-innen aufgerufen hatten, an der Uniklinik in Dresden aufzumarschieren. Ich möchte diesen Moment nutzen, um den Medizinstudentinnen und Medizinstudenten Danke zu sagen, die sich mutig vor ihre Klinik und ihre Patientinnen und Patienten gestellt haben. Danke, für mich seid ihr echte Heldinnen und Helden.
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Keine Demokratie lebt ohne die Debatte, und deshalb finde ich es richtig, dass wir heute hier zum ersten Mal über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht sprechen. Natürlich ist das keine einfache Entscheidung. Aber ich wünsche mir, dass am Ende dieser Debatte steht, dass wir als Gesellschaft gemeinsam an unseren Herausforderungen wachsen. Jetzt ist es an uns, werte Kolleginnen und Kollegen, für unser Land zu entscheiden, wie wir aus dieser Krise herauskommen wollen. Lassen Sie uns miteinander diskutieren, welchen Weg wir gemeinsam gehen müssen, um schnellstmöglich in ein normaleres Leben zurückzukehren. Dieses Hohe Haus ist genau der richtige Ort, um uns in dieser schwierigen Frage Orientierung zu geben und das Für und Wider abzuwägen. Also lassen Sie uns einander vertrauen. Lassen wir uns darauf vertrauen, dass einerseits der Staat seinen Teil tut und dass andererseits auch wir als Bürgerinnen und Bürger unseren Teil tun, indem wir uns impfen lassen. Die Impfung schützt und ist gelebte Solidarität, und das ist genau das, was dieses Land braucht: eine Solidaritätsspritze.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Professor Dr. Günter Krings aus der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Offene Bundestagsdebatten gelten ja gemeinhin als Sternstunden des Parlaments. Ob diese so eine wird, werden wir vielleicht in anderthalb Stunden wissen.
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Eines allerdings ist schon jetzt klar: Es ist eine dunkle Stunde der Bundesregierung,
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weil Sie hier und heute endgültig Ihre Unfähigkeit und Ihren Unwillen offenbaren, dem Parlament einen Vorschlag zum Thema Impfpflicht vorzulegen.
Mindestens zwei Dinge sind hierbei auffällig. Erstens hatten Sie offenbar kein Problem damit, die Impfpflicht für medizinisches und Pflegepersonal per Fraktionsantrag durchzusetzen. Alle weiteren möglichen Verpflichtungen halten Sie dann aber für derart sensibel, dass Sie der Meinung sind, sie seien Gewissensfragen. Sind also die Grundrechte von Ärzten und Pflegern weniger wert als die von anderen Menschen? Ich hoffe doch, nicht.
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Zweitens wurde bislang in diesem Haus immer aus seiner Mitte heraus entschieden, Gruppenanträge zu stellen, etwa zu einer bioethischen Frage. Die Ampel gibt nun erstmals regierungsamtlich vor, wo eine Gewissensentscheidung greift und wo Gruppenanträge zu schreiben sind. Das ist nicht sehr parlamentarisch, meine Damen und Herren.
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Festzuhalten ist jedenfalls, dass die heutige Debatte ganz offensichtlich deshalb „Orientierungsdebatte“ heißt, weil sich eine orientierungslose Bundesregierung hilfesuchend ans Parlament wendet.
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Meine Damen und Herren, wir als Union – das ist unser Selbstbewusstsein – helfen gerne. Das setzt aber voraus, dass Sie als Regierung uns das zur Verfügung stellen, worauf von Verfassungs wegen nur eine Regierung Zugriff hat, nämlich Informationen und Expertise aus Ministerien und Behörden.
Es ist wirklich unglaublich, wenn die Bundesregierung in einer hochkritischen Phase dieser Pandemie es in über einem Monat nicht schafft, dringende Fragen zu einer Impfpflicht zu beantworten, und dann, wie gestern, ausweichende Halbantworten versucht.
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Kein Wunder, dass die Bundesregierung zur Impfpflicht keine eigene Position bezieht, wenn sie für sich selbst offenbar gar keine Informationsgrundlage hat, um das tun zu können! Es reicht eben nicht, wenn der Bundeskanzler, wie letzte Woche hier geschehen, seine Privatmeinung zum Besten gibt.
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Wenn sich die Bundesregierung – und das ist jetzt eine eminent wichtige verfassungsrechtliche Frage – weigert, zu einer der zentralen Fragen in der größten Krise der Nachkriegszeit eine eigene Position zu beziehen, dann ist die Wertung „Flucht aus der Verantwortung“ noch das Freundlichste, was mir dazu einfällt, meine Damen und Herren.
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Wir weisen einer nach Orientierung suchenden Regierung gerne den Weg beim Thema Impfen. Ja, Impfungen – da sind wir uns hoffentlich größtenteils hier einig – sind der entscheidende Weg aus der Pandemie.
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Fakt ist aber, dass die Impfquote in Deutschland nach wie vor zu gering ist, um das Ziel dieses Weges zu erreichen.
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Folgerichtig hat sich die neue Bundesregierung im letzten Jahr ehrgeizige Ziele gesetzt: bis zum Jahresende 30 Millionen Boosterimpfungen, bis zum 7. Januar eine Quote von 80 Prozent bei den Erstimpfungen. Problem ist nur: Sie haben beide Ziele verfehlt.
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Boosterimpfungen: 25 Millionen; Erstimpfungen: Zieldatum einmal verschoben, jetzt wird es wohl zum zweiten Mal verschoben. Das ist Fakt. Fakten können wehtun; sie sind aber wahr.
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Angesichts dieses Scheiterns der Regierung
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liegt es doch nahe, an eine Impfpflicht zu denken. Das Ob, Wann und Wie einer solchen Impfpflicht muss aber wohlüberlegt sein. Es ist zwar nur ein kleiner Piks, den wir Menschen zumuten, aber es bleibt ein Grundrechtseingriff. Eine Impfpflicht muss also verfassungsrechtlich und politisch gut begründet sein. Und dabei sind insbesondere drei Punkte zu beachten:
Erstens. Welches Ziel verfolgen wir mit ihr? Unser Verfassungsgericht hat jedenfalls festgestellt, dass die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems so wichtig ist, dass der Gesetzgeber handeln darf und soll, um dessen Überlastung zu verhindern.
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Zweitens muss die Impfpflicht geeignet sein, um im weiteren Verlauf der Epidemie auch einen Unterschied zu machen. Hier brauchen wir also seriöse Prognosen über neue Mutationen und auch über die Fortentwicklung der Impfstoffe – nicht sicheres Wissen, aber jedenfalls seriöse Prognosen auf vernünftiger Daten- und Faktengrundlage.
Drittens setzt eine Impfpflicht voraus,
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dass sie administrierbar, durchsetzbar und notfalls auch sanktionierbar ist. Andernfalls wäre sie rechtlich schwer haltbar und würde gesellschaftlich wohl nicht akzeptiert werden.
Und das heißt ganz konkret: Die Bundesregierung muss ihre Blockadehaltung gegen den unverzüglichen Aufbau eines Impfregisters aufgeben. Überwinden Sie Ihre Registerphobie, krempeln Sie die Ärmel hoch, und bauen Sie dieses Register endlich auf!
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Nicht zuletzt wegen der Zögerlichkeit der letzten Wochen kommt für die aktuelle Omikron-Variante offensichtlich eine Impfpflicht zu spät. Aber natürlich ist nicht auszuschließen, dass wir mit weiteren Coronawellen zu tun haben. Gemeinsam haben wir doch hoffentlich in den letzten beiden Jahren eines gelernt: Nicht nur die aktuelle Situation ist täglich zu meistern, sondern wir brauchen eine vorausschauende und vorsorgende Politik. Deshalb brauchen wir jetzt aus meiner Sicht die Vorlage eines Vorratsgesetzes, das eine allgemeine Impfpflicht eben noch nicht unmittelbar einführen muss, das aber alle Regeln dazu schon einmal vorbereitet und mit dem wir dann eben für die weitere Entwicklung vorbereitet sind. Wir müssen besser vorbereitet sein, wir müssen vorausschauend arbeiten, meine Damen und Herren.
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In dem Falle kann man, sobald sich die Notwendigkeit und Geeignetheit abzeichnet, sehr schnell per Bundestagsbeschluss eine solche Pflicht scharf schalten.
Meine Damen und Herren, aus Vorsorgegründen müssen wir jetzt auch das eben genannte nationale Impfregister aufbauen, um mehr zur Impfsituation zu wissen – das hat noch nichts mit Impfpflicht zu tun –, um Menschen gezielt zum Impfen zu ermutigen – ja! –, aber auch, um auf die Durchsetzung von Impfpflichten jedenfalls vorbereitet zu sein.
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Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf: Finden Sie endlich Ihre Orientierung in dieser Coronakrise! Verlieren Sie keine Zeit mehr beim Aufbau eines Impfregisters!
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Bereiten Sie ein ordentliches Instrument vor! Und weichen Sie bei Fragen der Opposition nicht länger aus, sondern sorgen Sie endlich dafür, dass das gesamte Haus – auch Sie selber – die notwendige Informationsgrundlage hat!
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Ich grüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Debatte geht gleich weiter mit der Abgeordneten Ricarda Lang für Bündnis 90/Die Grünen, die ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hält.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich vor 12 oder 24 Monaten hier gestanden hätte, dann hätte ich gegen eine allgemeine Impfpflicht gesprochen.
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Auch heute noch wäre ich froh, wenn sie nicht notwendig wäre.
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Doch ich bin davon überzeugt, dass Politikerinnen bereit sein müssen, zu lernen und auf eine sich verändernde Realität zu reagieren. Und diese Realität zeigt uns doch, dass wir eine verdammt hohe Impfquote brauchen, um der Überlastung unseres Gesundheitssystems vorzubeugen und um zu verhindern, dass wir unkontrolliert von Welle zu Welle rutschen.
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Deshalb stehe ich heute hier und werbe dafür, dass wir das Hamsterrad dieser Pandemie verlassen und eine allgemeine Impfpflicht ab 18 auf den Weg bringen.
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Ja, das ist eine Frage der Freiheit, aber nicht nur eine abstrakte Abwägung zwischen Freiheit und Solidarität. Sondern es geht um die ganz konkrete Frage, welche Maßnahmen wir brauchen, um die größtmögliche Freiheit zu erreichen.
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Denn auf der einen Seite steht der Eingriff durch die Impfpflicht, doch auf der anderen Seite stehen die massiven Freiheitseinschränkungen durch die Maßnahmen, die immer wieder notwendig sind, von der Absage von Kulturveranstaltungen bis zur Schließung von Geschäften. Und diese Einschränkungen treffen uns alle, egal ob geimpft oder ungeimpft. Die allgemeine Impfpflicht hat damit eine positive Freiheitsbilanz. Die allgemeine Impfpflicht schützt unsere Freiheit.
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Doch dafür muss sie das langfristige Ziel haben, dass aus der Coronapandemie eine Endemie wird. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass weniger Maßnahmen notwendig sind. Dafür reicht aus meiner Sicht eine altersgestaffelte Impfpflicht nicht; dafür braucht es eine allgemeine Impfpflicht. Und ich finde, wenn wir eine Impfpflicht einführen, dann muss sie auch wirken.
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Damit schützen wir gerade auch die Freiheit derer, die in den letzten zwei Jahren die größten Lasten getragen haben – der Eltern, die jeden Tag darüber entscheiden, ob sie eher die psychische oder die körperliche Gesundheit ihrer Kinder schützen;
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der Frauen, die auf Teilzeit gewechselt sind und jetzt ein noch höheres Risiko der Altersarmut tragen; der Jugendlichen, die teilweise nicht ein Mal mit ihren Kolleginnen oder Kommilitoninnen zusammen an einem Tisch saßen, und der Kleinsten in unserer Gesellschaft, die doch überhaupt nicht verstehen, warum sie immer wieder in Quarantäne müssen. Und ja, das sind nicht die Lautesten, das sind nicht die, die gerade auf die Straße gehen. Und warum?
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Weil sie schlichtweg nicht die Kraft dazu haben, weil sie seit fast zwei Jahren auf dem Zahnfleisch gehen und weil sie immer wieder die Folgen von politischer Unentschiedenheit austragen mussten.
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Damit muss Schluss sein. Diese Menschen brauchen endlich eine Perspektive.
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An den rechten Rand dieses Saals: Sie können hier schreien und Sie können schimpfen, soviel Sie wollen – Sie werden damit nicht verhindern, dass die Demokratinnen und Demokraten des Deutschen Bundestages heute eine respektvolle und eine komplexe Debatte zum Wohle der Menschen in diesem Land führen.
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Denn dadurch zeigen wir, wozu dieses Parlament in der Lage ist.
Bei der Debatte um die Impfpflicht gibt es gute Argumente dafür und dagegen. Es gibt nicht einfach nur richtig und falsch, und es gibt nicht gut und böse.
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Doch Politik muss auch in einer komplexen Situation bereit sein, schwierige Entscheidungen zu treffen. Und ich will nicht, dass wir im Herbst wieder an der gleichen Stelle stehen und alles noch mal von vorne losgeht. So viele Menschen in diesem Land sind müde, und sie sind mürbe, und sie haben es verdient, dass wir endlich vorausschauend handeln. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam für diese Menschen eine allgemeine Impfpflicht ab 18 auf den Weg bringen!
Vielen, vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lang. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten es mit Argumenten versuchen und nicht mit gegenseitigen Beschimpfungen.
Jetzt bekommt das Wort der Abgeordnete Thomas Seitz für die AfD-Fraktion. Herr Seitz, ich möchte Sie nur darauf hinweisen – auf Ihren Wunsch und auf den Ihrer Fraktion hin –: Ab der zweiten Minute können Sie Ihre Redezeit auf der Anzeige sehen. – Bitte schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Als ungeimpfter Abgeordneter zweiter Klasse muss ich von der Besuchertribüne aus sprechen, morgen bei der Gedenkstunde ist mir die Anwesenheit gar verboten. Dieser parlamentarische Skandal ist jedoch nichts im Vergleich zu den Schikanen, denen alle als ungeimpft geltenden Bürger ausgesetzt sind. Aber zu glauben, von dieser Diskriminierung wegzukommen, indem man die Menschen zwingt, sich immer und immer wieder impfen zu lassen – denn darauf läuft es hinaus –, ist ein Irrweg; denn die Impfpflicht verstößt gegen das Grundgesetz.
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Ich verstehe durchaus, warum viele in diesem Haus für eine Impfpflicht sind. Denn sie brauchen die Impfpflicht, um vom Staatsversagen in der Coronakrise abzulenken,
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weil der Verlust der Glaubwürdigkeit droht, weil der Impfstoff schon verbindlich bestellt ist, sie brauchen sie, um diejenigen zu besänftigen, die sich schon haben impfen lassen, und vielleicht auch, um zu verhindern, dass es eine ausreichend große Kontrollgruppe in Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen der Impfstoffe gibt.
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In aller Kürze: Fünf Aspekte warum eine Impfpflicht verfassungswidrig ist.
Erstens. SARS-CoV-2 ist kein Killervirus. Es ist für Risikogruppen hochgradig gefährlich, aber gerade für junge und gesunde Menschen besteht kaum ein messbares Risiko. Corona ist mit einer Seuche wie den Pocken in nichts vergleichbar.
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Zweitens. Anders als bei Pocken oder Masern kann das Ziel der Ausrottung des Virus auf Bevölkerungsebene nicht erreicht werden. Weder Impfung noch Booster können verhindern, dass man das Virus verbreitet, an Covid-19 auch schwer erkrankt oder gar stirbt.
Drittens. Der Schutz vor schweren Krankheiten ist kein zulässiges Ziel einer Impfpflicht. Wenn der Staat den Kranken schon im Regelfall nicht zur Heilbehandlung zwingen kann, ist ein Zwang bei Gesunden zu rein präventiven Maßnahmen erst recht ausgeschlossen.
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Viertens. Die zur Verfügung stehenden Impfstoffe sind nicht hinreichend getestet und ihre Sicherheit nicht gewährleistet. Noch niemals gab es eine solche Häufung von gemeldeten Impfkomplikationen bis hin zu Todesfällen wie bei der Coronaimpfung. Für viele ist spätestens mit Omikron die Impfung so gefährlich wie das Virus; vielleicht sogar gefährlicher.
Fünftens. Es gibt keine Pandemie der Ungeimpften, sondern manipulierte Statistiken wie aus Hamburg oder Bayern.
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Die Belastung für Ärzte und Pfleger ist unglaublich hoch. Sie verdienen höchsten Respekt.
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Eine wirkliche Überlastung des Gesundheitssystems mit der Gefahr eines Zusammenbruchs wegen Corona war aber nie in Sichtweite. Es ist vielmehr schon seit mindestens 20 Jahren die Regel, dass vor allem Intensivstationen häufig am Anschlag arbeiten. Die Wahrheit ist: Während Bettenabbau immer noch finanziell gefördert wird, verschärft die besondere Impfpflicht die Personalsituation nochmals dramatisch.
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Ein letzter Satz. Zwang schafft kein Vertrauen, sondern zerstört es. Impfen muss freiwillig bleiben. Darum: Nein zur Impfpflicht! Freiheit statt Spaltung!
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Für die FDP-Fraktion erhält jetzt das Wort Katrin Helling-Plahr.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich setze mich für eine allgemeine Impfpflicht ein. Ich mache das gerade als Liberale, als Juristin nicht leichtfertig; denn natürlich sind Pflichtimpfungen Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und körperliche Selbstbestimmung. Aber, meine Damen und Herren, was ist die Alternative zur allgemeinen Impfpflicht? Professor Wißmann von der Universität Münster hat sehr treffend formuliert: Die Impfpflicht ist das mildere Mittel, als „den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen.“
Ich möchte nicht, dass unsere Kinder jeden Winter bangen müssen, ob und wie lange sie in Kita und Schule gehen können. Ich möchte nicht, dass meine Generation sich fortwährend Sorgen um die Gesundheit der Kinder und der oft vorerkrankten Eltern machen muss, und das, während sie zugleich um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten muss, weil die Leute zum Beispiel nicht in Gastronomie oder Einzelhandel gehen. Und da ist es am Ende auch egal, ob die Leute deshalb zu Hause bleiben, weil sie es staatlich verordnet bekommen oder weil sie es aus eigener Vernunft heraus tun. Ich möchte nicht, dass Krebskranke auf notwendige Behandlungen warten müssen. All diese Maßnahmen und Einschränkungen sind auch Grundrechtseingriffe.
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Unser Gesundheitssystem gerät an seine Grenzen, wenn eine große Coronawelle auf uns zurollt. Wir können uns auf den Kopf stellen: Das bekommen wir so schnell nicht gelöst. Dann bleibt – zugespitzt formuliert – die Wahl zwischen Impfen und Schließen. Ich finde, wir müssen Covid-19 zu einer beherrschbaren, zu einer handhabbaren Erkrankung machen, zu einer, die nicht mehr die gesamte Gesellschaft zum Stillstand bringt. Die Impfung ist der wirksamste Schutz gegen das Virus, egal in welcher Mutante. Auch bei Omikron verhindert eine dreifache Impfung schwere Verläufe, Hospitalisierungen, Aufenthalte auf Intensivstationen und Todesfälle.
Richtig ist, dass ältere Personen ein besonders hohes Risiko haben, an schweren Verläufen zu erkranken. Eine altersbezogene Impfpflicht ist dennoch keine Option; denn wer sich auf diese Gruppe beschränkt, läuft sehenden Auges in Abgrenzungsschwierigkeiten und Wertungswidersprüche.
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Was ist denn mit dem 40-jährigen Typ-2-Diabetiker? Was ist mit der 20-jährigen Schwangeren?
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Ihre Risiken sind genauso hoch wie oder gar höher als die rüstiger Rentner. Eine altersbezogene Impfpflicht ist natürlich auch nicht genauso wirksam wie eine allgemeine Impfpflicht. Und es gibt starke Stimmen in der Wissenschaft, die darauf hinweisen, dass eine Impfpflicht jenseits einer gewissen Altersschwelle bei den anderen Altersgruppen genau den gegenteiligen Effekt haben wird. Diese glauben dann, dass die ganze Frage sie nicht betreffe, sie sich nicht so dringend impfen lassen müssten; denn sie sind ja eben nicht von der Pflicht erfasst.
Richtig ist auch, dass wir keine Glaskugel haben. Es kann sein, dass wir die Impfpflicht früher oder später nicht mehr brauchen. Man kann sie auch nicht von heute auf morgen beschließen. Deswegen ist es selbstverständlich, dass wir fortwährend streng prüfen, ob eine Impfpflicht weiter angemessen ist und ob wir ein Gesetz von vornherein kurz befristen.
Meine Damen und Herren, nach alledem halte ich die allgemeine Impfpflicht in unserer Situation in der Abwägung für das kleinste Übel und eine Chance.
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Gestatten Sie mir mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen von der Union noch einen letzten Satz: Ich bin verdammt froh, dass ich einer Fraktion angehöre, in der ich ein Gewissen haben darf.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das mit dem Gewissen klären wir noch mal.
Als Nächstes erhält das Wort – von der Tribüne aus – der fraktionslose Abgeordnete Matthias Helferich; auch für zwei Minuten, und Ihre zwei Minuten werden auch sofort eingeblendet, sodass Sie Ihre Zeit sehen können. Bitte schön.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Tagen der Angst, der Ausgrenzung und der Spaltung darf wohl der Oberbürgermeister von Freital, Uwe Rumberg, als Vorbild im Umgang in einer freiheitlichen Gesellschaft angesehen werden. Mit folgenden Worten lud er die Impffreiheitsbefürworter und Skeptiker einer Impfpflicht zum Dialog in sein Rathaus ein:
Ich fordere alle Freitaler auf, allen freidenkenden Menschen alles friedliche Handeln und Leben zu lassen! In unserer freiheitlichen Gesellschaft darf niemand ausgegrenzt werden! Ich respektiere die, die sich impfen, genauso wie die, die sich nicht impfen lassen.
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Das Freiheitsverständnis dieses Mannes sollte Ihnen als Volksvertreter Vorbild sein.
Wozu nämlich Ihr Impfdruck führt, das zeigt die 13-jährige Yasmin aus Hagen. Die Schülerin möchte keinen Unterricht mehr mit ungeimpften Mitschülern besuchen und verbringt die Unterrichtsstunden lieber bei winterlichen Temperaturen an der freien Luft. Ihre Mainstream-Presse feiert Yasmin schon als Greta Thunberg der Impfpflichtbefürworter, doch leider ist dieses Mädchen letztlich nur Opfer Ihrer staatlich verordneten Angstpolitik.
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Wenn sich Ihr persönliches Freiheitsverständnis im Winterschlaf befindet, möge Ihnen das Grundgesetz helfen: Schon das Freiheitsprinzip unserer Verfassung gibt im Hinblick auf eine allgemeine Impfpflicht einen Abwägungsprozess vor. Der Einzelne ist für die Senkung allgemeiner Lebensrisiken nicht verantwortlich, und der Staat darf ihn nicht durch Freiheitseinschränkungen dafür in Anspruch nehmen. Der Staat mag, wenn er dies für richtig hält, durch Ausbau des Gesundheitssystems und andere eben nicht freiheitseinschränkende Maßnahmen die vorhandenen Gesundheitsrisiken, einschließlich derer durch SARS-CoV-2, minimieren. Aber Freiheitseinschränkungen zur Minimierung von Risiken, die unterhalb des Levels allgemein akzeptierter Lebensrisiken bleiben, sind immer unverhältnismäßig, wenn sie sich gegen Personen richten, die diese Risiken eben nicht verursachen. Es ist eine Perversion des Rechtsstaatsprinzips, alle Ungeimpften als Gefährder anzusehen und in ihre körperliche Integrität einzudringen, um Zwecke der Allgemeinheit zu verfolgen.
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Der Mensch, der Bürger des Grundgesetzes ist von Geburt an nur mit einem Impfstoff geimpft: Es ist das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.
Jeder einzelne Mensch entscheidet kraft seiner Autonomie, welchen Risiken er sich aussetzen wird. Und dafür werden wir kämpfen.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort Martina Stamm-Fibich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder, der klaren Verstandes ist, begreift, dass die Impfung Schlüssel für den erfolgreichen Kampf gegen die Pandemie ist und bleibt.
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Trotzdem ist die Impfquote immer noch deutlich zu niedrig. Wer sich nicht gegen Corona impfen lässt, der setzt seine eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer Menschen aufs Spiel.
Als Resultat der mangelnden Impfbereitschaft sind die Krankenhauskapazitäten erschöpft und vor allem die Beschäftigten vollkommen überlastet und nervlich nach zwei Jahren Pandemie auch vollkommen am Ende.
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Oft dauert es Stunden, bis Patientinnen und Patienten vom Rettungsdienst in eine Klinik eingeliefert werden können, Eingriffe werden verschoben, Therapien verzögert und die Diagnosestellung verlangsamt – mit schwerwiegenden Folgen für Tausende von Patientinnen und Patienten, die nicht an Corona erkrankt sind. – Vielleicht machen Sie sich das mal zu eigen.
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Eine Impfpflicht kann eine Lösung für dieses Problem sein, wenn sie allen verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügt und wenn sie entsprechend umsetzbar und – auch ganz wichtig – durchsetzbar ist. In diesem Zusammenhang war in den letzten Wochen häufig das Wort „Impfregister“ zu hören. Ich möchte diese Debatte zum Anlass nehmen, auch heute für die Einführung eines zentralen Impfregisters zu werben.
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Liebe Union, von Ihnen müssen wir uns das nicht anhören. Sie hatten acht Jahre Gelegenheit; wir hätten es schon lange haben können.
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- 2017 hat es Herr Spahn angekündigt; nur mal so.
Nur so ließe sich die Einhaltung der Impfpflicht in Deutschland sehr praktisch umsetzen. Nur so können wir abseits von Stichproben überhaupt auf die Menschen zugehen, die zögern oder die Impfung bisher kategorisch ablehnen. Ohne ein solches Register bleibt den Fälschern und Betrügern weiterhin Tür und Tor geöffnet.
Neben der praktischen Umsetzung einer möglichen Coronaimpfpflicht hätte ein solches Register noch zahlreiche weitere Vorteile. Wir sind aktuell nicht einmal in der Lage, unsere Impfquote korrekt und genau zu erfassen. Wir müssen uns bei der Evaluation von Impfstoffen auf Daten aus anderen Ländern verlassen. Das ist für mich persönlich ein Trauerspiel. Wir brauchen bessere Daten, wir brauchen ein zentrales Impfregister, wie es in Dänemark, in Schweden oder in Österreich bereits vorhanden ist.
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Selbst in Italien baut man jetzt so ein Register auf, weil es einfach so wertvolle Daten liefern kann. Auch Deutschland kann ein Modell umsetzen, schnell und vor allem unter Berücksichtigung des Datenschutzes. Bedenken Sie dabei auch: Genaue Informationen zur Impfung bedeuten, ein genaueres Bild hinsichtlich der Impfstoffe zu gewinnen, und das schafft absolute Transparenz. Davon profitieren wir alle; denn wir gewinnen hierdurch breite Erkenntnisse, die uns eine stärkere Kontrolle der Produzenten ermöglichen und unsere Abhängigkeit von Daten aus anderen Ländern reduzieren.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir es gemeinsam auch ohne eine Impfpflicht durch die Pandemie schaffen. In dieser Lage ist sie aber wohl unser letztes Mittel, um nicht in der nächsten Welle wieder vor einer unmöglichen Situation zu stehen, die erneut Einschränkungen des öffentlichen Lebens erforderlich macht – mit all den daraus resultierenden negativen Folgen.
Ohne die beschriebene Grundlage wird eine Impfpflicht schon beim Einladungsmanagement Probleme verursachen. Lassen Sie uns die Chance nicht versäumen, die Evaluation von Impfstoffen künftig unabhängig und schnell hier in Deutschland ohne Rückgriff auf fremde Datensätze durchführen zu können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Stamm-Fibich. – Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die unter der Delta-Variante begonnene Diskussion über eine Impfpflicht, muss, denke ich, unter Omikron neu bewertet werden, weil Omikron die Spielregeln verändert hat. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates hat vor einigen Wochen erklärt: Da das Virus seine Strategien ändert, dürfen wir auch unsere Meinung ändern, wie wir dem Virus begegnen.
Zu Beginn der Pandemie war ich der Meinung: Es gibt keine Impfpflicht in Deutschland; das haben wir den Menschen versprochen. – Unter Delta habe ich meine Meinung geändert und bin dazu übergegangen, für eine Impfpflicht zu werben. Omikron lässt mich diese Welt wesentlich differenzierter sehen: Geboostert ist man bei Omikron immer gut geschützt, auch vor schweren Verläufen. Trotzdem gibt es sehr schnell sehr viele Infektionen, vielleicht sogar so schnell, dass eine Impfpflicht nicht greifen wird. Zum Glück sind die Verläufe bei Omikron etwas milder, was sich auch darin zeigt, dass wir eine sehr niedrige Hospitalisierungsrate haben. Gleichzeitig haben wir erste Medikamente, die schwere Verläufe verhindern können. Wenn wir zudem die gegenwärtige Impf- und Boosterkampagne konsequent fortführen, dann sehe ich durchaus eine Chance, aus der Pandemie heraus in eine Phase der Endemie zu treten, die dann einen Weg zurück in die Normalität eröffnet.
Es gibt also sehr viel Grund zur Zuversicht. Für Omikron kommt die Impfpflicht in jedem Fall zu spät. Für die Endemie wäre sie vermutlich unnötig. Sollte es aber aus heutiger Sicht wider Erwarten zu einer Verschärfung der Situation kommen, dann sollte man anstelle einer allgemeinen Impfpflicht überlegen, die einrichtungsbezogenen Impfpflichten schrittweise zu erweitern, etwa auf Polizei- und Sicherheitskräfte, kritische Infrastruktur, Schulen, Kitas sowie vulnerable Altersgruppen.
Meine Damen und Herren, aktuell sehen wir die Probleme, die die Impfpflicht in der Pflege für uns bringt. Der Lackmustest wird sein, ob es hier konsequent Beschäftigungsverbote für Ungeimpfte in der Pflege ab dem 15. März geben wird oder ob auch hier Omikron die Welt verändert und uns zu anderen Entscheidungen bringt. Das sollte unsere Debatte in den nächsten Wochen und Monaten begleiten.
Die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht müssen erklären, für wen die Impfpflicht wie lange gelten soll. Wie wird sie umgesetzt, kontrolliert und ihre Nichteinhaltung geahndet? Und wie wird parallel dazu ein Impfregister aufgebaut? Denn ohne ein zentrales Impfregister ist nach meiner Überzeugung die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zum Scheitern verurteilt.
Wir haben derzeit große Schwierigkeiten, unsere Regeln, die wir beschließen, auch tatsächlich umzusetzen; das sieht man auch bei der Kontaktnachverfolgung durch den ÖGD. Und deshalb müssen wir den Blindflug im Datennebel beenden und dringend unsere Hausaufgaben machen und ein Impfregister in Verbindung mit einer weiteren Digitalisierung und Vernetzung unseres Gesundheitssystems auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel. – Als Nächstes folgt für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Kordula Schulz-Asche.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rüddel, ich möchte Ihnen ausdrücklich meinen Respekt aussprechen, auch wenn ich Ihre Meinung nicht teile. Dafür, dass Sie sich nicht an der offensichtlich von Ihrer Fraktion vorgegebenen Haltung beteiligten, auf die Regierung einzuschlagen, sondern Ihre eigene Meinung vertreten haben, möchte ich herzlich Danke sagen.
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Die Coronapandemie hat in den letzten zwei Jahren unser aller Leben verändert, unsere Freiheiten und die Kontakte zu Freunden und zu Angehörigen eingeschränkt, und wir wünschen uns alle, dass es endlich wieder ein Leben ohne Pandemie gibt. Dies ist nicht nur ein Wunsch hier bei uns, sondern ein Wunsch weltweit.
Glücklicherweise haben wir unerwartet schnell und mit verschiedenen Impfstoffen die Möglichkeit erhalten, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, besonders gefährdete Gruppen zu schützen – als Gesellschaft also auch solidarisch zu sein – und uns selbst zu schützen. Dieser Schutz ist umso höher, je höher die Impfquote ist. Deshalb wollen wir möglichst alle Menschen, für die die Ständige Impfkommission eine Impfung empfiehlt, auch impfen.
Warum brauchen wir eine hohe Impfquote? Zwei Drittel der Menschen, die bei uns wegen Corona auf den Intensivstationen liegen, sind ungeimpft. Das Personal auf diesen Stationen, das Personal in Krankenhäusern, das Personal in Einrichtungen der Behindertenhilfe, aber auch in Pflegeheimen: Alle stehen nicht nur erst seit Beginn dieser Pandemie unter einem enormen Arbeitsdruck, sondern sie setzen sich auch regelmäßig selber einem hohen Risiko aus. Deswegen sagen wir hier nicht nur Danke, sondern versuchen wir, auch diese Gruppen zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Pandemie zu überstehen.
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Auch die Menschen, mit denen sie arbeiten – ältere Menschen, kranke Menschen –, haben es verdient, dass wir für ihren Schutz sorgen. Sie haben Vorerkrankungen, sie sind oft in einem hohen Alter, sie leiden unter der Einsamkeit durch Isolation – manchmal aus Angst, infiziert zu werden. Deswegen haben wir doch als Gesellschaft hier eine Verpflichtung, gerade auch diese Gruppen vor Infektionen zu schützen – gerade auch vor Covid-19; denn wir wissen, wie gefährlich dies für ältere Menschen ist.
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Es gibt Menschen mit schweren Erkrankungen, die derzeit kaum Zugang zum Gesundheitssystem haben, weil ihre Behandlungen verschoben werden müssen, obwohl sie wirklich dringend eine Therapie bräuchten. Ich nenne hier nur Krebspatienten, aber eben auch Menschen, die schwere Unfälle erlitten haben. Für diese Menschen brauchen wir Kapazitäten auf den Intensivstationen, um vernünftige Arbeit im Gesundheitswesen leisten zu können.
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Deswegen setzen wir uns dafür ein, die Impfquote zu erhöhen – nicht nur um die Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden, sondern auch um das Leid dieser Menschen zu verringern, und zwar jedes einzelnen Menschen. Durch die Impfung ist es uns möglich, dies zu tun, und deswegen sollten wir diese Chance auch nutzen.
Natürlich ist eine wie auch immer geartete Impfpflicht – eine Verpflichtung zur Impfung – ein Eingriff in die Schutzrechte der Bürgerinnen und Bürger, und deswegen muss man sehr genau, sehr präzise und sehr sorgfältig prüfen, mit welchen Maßnahmen das Ziel, möglichst viele Menschen zu impfen, tatsächlich erreicht werden kann. Es muss ein mildes Mittel sein, und ich finde, dass wir mit dem Vorschlag – mit dem Antrag, der hier in der Erarbeitung ist –, der zwei Sachen vorsieht, auf einem guten Weg sind. Das Erste ist eine verpflichtende individuelle Impfberatung für alle, das Zweite ist eine Nachweispflicht für Menschen über 50 Jahren aufgrund ihres hohen Risikos.
Warum spreche ich nicht für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren? Weil ich die Bedenken von Teilen der Bevölkerung, die in der COSMO-Studie zusammengefasst und von den Leuten hier am rechten Rand immer verschärft werden, dass es nach wie vor erhebliche Informationsdefizite in Bezug auf Corona, die damit verbundenen Risiken und die Impfstoffe gibt, für ein großes Problem halte. Wir müssen hier tatsächlich zu einer guten Beratung kommen, um diese Menschen zu überzeugen, und wir brauchen endlich gute Kommunikationskampagnen für die allgemeine Bevölkerung und für einzelne Zielgruppen sowie aufsuchende Impfangebote. Wir können hier von anderen Ländern lernen – auch von der Hansestadt Bremen.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Das sollten wir tun, und in diesem Sinne bitte ich Sie alle: Arbeiten Sie an den verschiedenen Anträgen, die hier vorliegen, mit – am besten an dem, den ich gerade vorgestellt habe!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause vor den Bildschirmen! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, beginne ich mit einem Zitat:
Eine Impfpflicht macht bei SARS-CoV-2 so wenig Sinn wie bei Grippe. Wenn die Impfung gut wirkt, wird sie auch freiwillig gemacht. Dann keine Impfpflicht nötig. Wenn sie viele Nebenwirkungen hat oder nicht so gut wirkt, verbietet sich Impfpflicht. Daher nie sinnvoll.
Nun, das stammt von unserem Gesundheitsminister. Herr Lauterbach – er ist gerade nicht mehr an seinem Platz – und seine Kollegen haben uns noch im letzten Herbst versprochen
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– Verzeihung, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin; ich habe auf die Regierungsbank geguckt, Herr Lauterbach; es ist sehr schön, dass Sie da sind –, es werde keine Impfpflicht geben; das ist nun mal so. Das ist doch der klassische Fall eines gebrochenen Wahlversprechens!
Nein, sagen Sie, wir haben ja neue Erkenntnisse. Nun, die haben Sie eben gerade nicht. Es ist doch ein alter Hut, dass Sie die bisher erreichte Quote für nicht ausreichend halten. Mit Ihrer Politik treiben Sie unser Gesundheitssystem in den Ruin.
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Während eine Infektion mit Omikron meist harmlos verläuft, leidet das Gesundheitswesen an der bereits von Ihnen verordneten Impfpflicht. Kommen Sie doch einmal in der Wirklichkeit an! Die vielen Menschen in der Pflege und im Gesundheitswesen wollen sich nicht impfen lassen und werden ihrem Beruf spätestens Mitte März den Rücken kehren.
Schauen Sie doch einmal ins Ausland. In Dänemark, England und Irland werden sämtliche Maßnahmen aufgehoben, auch Spanien wird öffnen. Und Deutschland? Was ist nur mit uns los? Fast überall werden die Maßnahmen aufgehoben. Bei uns im Norden fragen die Leute sich schon: Hebbt de in Berlin egentlik Ratten op de Böhn?
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Herr Bundeskanzler, schön, dass Sie wieder da sind. Sie und Ihre Regierung haben mit medial unterstütztem Druck und falschem Freiheitsversprechen gerade den Schwächsten die Impfung aufgezwungen. Die Verweigerer werden ausgegrenzt. Menschen aus der breiten Mitte des Volkes, von Jung bis Alt, Arbeiter, Handwerker, Rentner: Alle werden von Ihnen als Verfassungsfeinde verleumdet, weil sie Freiheit statt Zwang fordern. Waren Sie mal auf einem Montagsspaziergang? Wohl nicht! Da sind Menschen für Demokratie und für Freiheit unterwegs, eine Freiheit, die Sie ihnen entziehen.
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Sie wollen angeblich viele vor einem schweren Krankheitsverlauf schützen. Aber dafür nehmen Sie sogar Todesfälle einiger billigend in Kauf. Warum liefert das RKI hierzu bis heute keine validen Zahlen? Warum gibt es in anderen Ländern detaillierte Statistiken zu den vielen Impfnebenwirkungen und hier, im Musterland Deutschland, nicht? Warum ist man hierzu nicht in der Lage? Warum kann man positive Tests nicht von Infektionen, warum nicht zwischen „mit“ oder „an Corona“ Verstorbene unterscheiden? Und lassen Sie endlich unsere Kinder aus Ihrem erbarmungslosen Griff und Ihrer täglich befeuerten Impfkampagne heraus. Damit treiben Sie Zwist in unsere Familien und bringen viele Jugendliche gegen ihre Eltern auf. Das wollen wir nicht.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben schon überzogen.
Frau Özoğuz, bei Herrn Mehmet Ali war Ihre Vorgängerin vorhin nicht so ungnädig; der hat auch seine erste Rede gehalten. Aber ich komme zum Schluss.
Herr Abgeordneter, ich diskutiere mit Ihnen jetzt nicht über die Redezeit und darüber, wann Sie reden und wann nicht. Kommen Sie bitte zum Schluss.
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Ja, ich komme zum Schluss. – Diese Politik wollen wir nicht, und die lehnen wir vehement ab.
Vielen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort für die FDP-Fraktion die Abgeordnete Linda Teuteberg.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Impfen ist eine Errungenschaft und ein Segen. Es ist ein Segen, dass in unserem Land allen Menschen, die sich impfen lassen wollen, so schnell ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht. Das ist auch ein Zeichen der Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens, in dem Wissenschaft und unternehmerische Betätigung viel Freiheit und Respekt bekommen. Zugleich ist auch die Selbstbestimmung erwachsener Menschen über Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit Kennzeichen dieses liberalen Gemeinwesens. Das schätzen auch viele geimpfte Bürgerinnen und Bürger.
„Trotz ist das Gegenteil von Unabhängigkeit“, hat Friedrich Nietzsche einmal gesagt. Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Diese wichtige Debatte über eine mögliche allgemeine Coronaimpfpflicht und das Impfen taugt weder dafür, sich selbstgefällig als Widerstandskämpfer zu stilisieren und wirkliche Diktaturen zu verharmlosen, noch taugt sie dafür, ein Exempel zu statuieren und es bestimmten Bevölkerungsgruppen mal zu zeigen und ein Signal zu setzen.
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Sowohl Impfangst als auch Wut darüber sind schlechte Ratgeber. Ich möchte gern ganz bewusst aufgreifen, was Frau Kollegin Baehrens gesagt hat, und es noch weiterführen:
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Zumutung und Gegner in dieser Pandemie ist das Virus. Es ist nicht der Mitmensch und nicht unser politisches System, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Meine Zweifel an einer allgemeinen Impfpflicht sind allerdings vorhanden, und sie sind eher noch gewachsen. Sie beruhen einerseits auf Zweifeln an der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit, andererseits auf Fragen der praktischen Umsetzung und Durchsetzbarkeit – die übrigens bei Lichte besehen auch die Verhältnismäßigkeit beeinflussen, weil sie bestimmen, wie wirksam eine Impfpflicht tatsächlich überhaupt sein kann – und auf der Frage des dadurch verursachten politischen Vertrauensschadens und gesellschaftlicher Verwerfungen. Die Nebenwirkungen, wie es eine Kollegin gerade auch schon ausgedrückt hat, einer allgemeinen Impfpflicht sind ziemlich ersichtlich. Ihr Nutzen ist immer fraglicher.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns, glaube ich, hier überhaupt nicht die guten Absichten absprechen, sondern über den Weg streiten. Es wäre auch die falsche Alternative, einer allgemeinen Impfpflicht Nichtstun entgegenzustellen.
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Ich habe hier nicht die Zeit, auf alles einzugehen. Ich nenne mal ein paar Anregungen: Politik aufgrund aktueller und aussagekräftiger Zahlen statt Politik mit Zahlen zu betreiben, die Testkapazitäten auszuweiten und als Teil vorausschauender Politik immer rechtzeitig vorzuhalten und vieles mehr, wären Ansätze.
Die Pandemie ist eine Prüfung – eine Prüfung für unsere Fähigkeit, auch mit der Ungewissheit und Komplexität der Situation und einer modernen Gesellschaft umzugehen. Eine Prüfung für unsere Fähigkeit und Bereitschaft zur Differenzierung und unsere Fähigkeit und Bereitschaft, nachvollziehbar damit umzugehen, was wir wissen und was wir nicht wissen. Lassen Sie uns trotz der kräfte- und nervenzehrenden Zumutung dieser Pandemie die Fassung bewahren und unsere Verfassung achten. Lassen Sie uns der Versuchung widerstehen, in einfache binäre Logiken von Schwarz und Weiß, Gut und Böse und manchem anderen zu verfallen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schick geworden, verächtlich über Freiheit und Grundrechte zu reden. Freiheitsgrundrechte und Verhältnismäßigkeit, die sind nicht vulgär, die sind nicht orthodox, die sind auch nicht formalistisch, die sind systemrelevant für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
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Einige Redebeiträge – auch meines Vorredners eben und manch andere – zeigen doch: Gerade in dieser Zeit dürfen wir die Grundrechte nicht mit den Vertretern des Abstrusen alleinlassen.
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Auch das ist ein Grund des Antrags, an dem ich mit anderen Kolleginnen und Kollegen arbeite. Bei so einem ernsten, schwierigen Thema wie einer allgemeinen Impfpflicht gegen Corona geht es nicht um Gesichtswahrung von Politikerinnen und Politikern im Hinblick auf Versprechen oder Ankündigungen. Es geht um etwas Grundsätzliches über den Tag hinaus: um die Wahrung des Gesichts unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Auf dass wir unser Land nach der Pandemie als offene Gesellschaft, als liberale Demokratie und als freiheitlichen Rechtsstaat wiedererkennen!
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Lassen Sie uns deshalb genau zeigen: Es gibt einen Unterschied zwischen einer entschlossenen, klugen Pandemiebekämpfung einerseits –
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
– und einer schleichenden Gewöhnung an ein Übermaß staatlicher Eingriffe andererseits.
Vielen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort der fraktionslose Abgeordnete Johannes Huber für zwei Minuten. Wir werden das Ende der Redezeit dann sofort einblenden. – Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Diejenigen, die einen allgemeinen Impfzwang einführen wollen, müssen vollständig beweisen, warum dies geeignet, erforderlich und angemessen sein soll. Sie behaupten, nur durch den Impfzwang lasse sich die Pandemie beenden und das normale Leben zurückgewinnen. Zur Wahrheit gehört aber, dass ein normales Leben seit zwei Jahren von den Bundes- und Landesregierungen durch überzogene Maßnahmen verhindert wird.
Alle von der EU eingekauften und von der Bundesregierung bestellten Covid-Impfstoffe sind an dem Ziel, die Pandemie zu beenden, krachend gescheitert. Weder können die Impfstoffe eine Infektion noch die Ansteckung anderer Personen verhindern. Das Bundesland Bremen mit der höchsten Impfquote hat paradoxerweise auch die höchste Hospitalisierungsrate. Damit ist Ihr Argument, die Impfstoffe würden vor einem schweren Verlauf schützen, eindeutig widerlegt.
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Es ist daher auf keinen Fall angemessen, die überragenden Grundrechte der Würde des Menschen und der körperlichen Unversehrtheit in Bezug auf die ungeeigneten Impfstoffe auszusetzen.
Die gute Nachricht: Angesichts der raschen Viruswandlungen in Richtung omikronartiger Varianten mit hoher Infektiosität bei geringerer Gefährlichkeit ist ein Impfzwang auch nicht erforderlich. Einen Zwang für Impfungen mit Impfstoffen, die immer schneller veralten, hätte sich auch Franz Kafka nicht grotesker ausdenken können. Da die in Deutschland verfügbaren Impfstoffe gegen die derzeitige Omikron-Variante nämlich wenig wirksam sind und ein Impfzwang die aktuelle Omikron-Welle zudem nicht mehr erreicht, schaffen Sie de facto ein Gesetz für neue Varianten und neue Impfstoffe. Mit anderen Worten: Sie beschließen einen Impfzwang für ein Virus, das man noch nicht kennt, und für einen Impfstoff, den man noch nicht hat,
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geschweige denn, dass man etwas über das zu erwartende Risiko-Nutzen-Verhältnis weiß, weil der neue Impfstoff noch gar nicht für den im Herbst erwarteten neuen Virus entwickelt worden sein kann.
Liebe Abgeordnete, so etwas ist nicht zustimmungsfähig, sondern verfassungswidrig.
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Ich bedanke mich daher herzlich bei allen, die sich für die freie Selbstbestimmung entscheiden.
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Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Helge Lindh.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Godesberger Programm findet sich im Kapitel „Grundwerte des Sozialismus“ die schöne Formulierung: „Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander.“ Ich glaube, wir müssen über den Zusammenhang von Freiheit und Gerechtigkeit reden. Und wir müssen über Demokratie und über Prävention reden. Ich empfehle, dass wir eine Art Reframing vornehmen, und das nicht, weil das so modisch ist, sondern weil es gesellschaftspolitisch geboten ist. Es geht hier nicht nur um individuelle Freiheit und um medizinische Maßnahmen, sondern es geht um deutlich mehr.
Ich beginne – weil ich über Demokratie reden möchte – mit den Anwürfen der Opposition. Besonders ärgerlich, aber auch amüsant finde ich immer die Volte, sich an Olaf Scholz zu wenden und den Satz zu zitieren: „Wer Führung bestellt, der bekommt sie“, und das zu kritisieren. Im Jahre 2022 stelle ich mir – und ich glaube, viele in diesem Plenum sehen das genauso – Führung so vor, dass ein Bundeskanzler das Parlament achtet und respektiert und seine Bevölkerung würdigt.
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Es ist besonders widersprüchlich, wenn Sie dann von autoritären Maßnahmen sprechen. Was denn nun, autoritär oder zu wenig Führung? Das zeigt, dass Sie viel zu bieten haben hinsichtlich Lamentieren, Lavieren, Kritisieren – Konkretisieren habe ich nicht erlebt, nicht gespürt.
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Das, was wir gerade brauchen – und dafür ist dies der richtige Ort –, ist aber die Debatte. Man achte auf die Ausführungen des Bundespräsidenten, der gerade solche Foren eröffnet hat; er eröffnete das mit den Worten „Impfpflicht bedeutet Debattenpflicht!“, also Debatte über die Impfpflicht. Genau das tun wir hier, und es ist richtig, dass wir das tun.
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Zum Zweiten wird immer darauf verwiesen – einige leiden da an Amnesie, vergessen, dass sie auch mal in der Regierung waren –, dass eine Impfpflicht ausgeschlossen worden sei. Das stimmt. Das ist ein ernsthafter Punkt, der Vertrauen kosten kann. Aber es ist schlicht unwahr und eine Lüge und nahezu schon verschwörungstheoretisch, irgendwie zu insinuieren, das sei eine bewusste Täuschung oder Lüge gewesen.
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Diese Aussage erfolgte unter konkreten Bedingungen. Und manche – ich erinnere mich genau – sagten auch, sie könnten sich zu dem Zeitpunkt nicht dafür entscheiden, nicht dazu verhalten, weil nicht allen ein Impfangebot gemacht werden kann.
Betrachten wir die Auffassung des Ethikrates als Analogie: Im November 2020 und auch noch im Februar 2021 schloss er eine Impfpflicht aus. Jetzt hat die Mehrheit ihre Positionierung geändert, und das auf eine sehr nachvollziehbare, gut begründete Weise.
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Heißt das, wir haben kein Vertrauen mehr in den Ethikrat? Nein, das heißt, dass man Entscheidungen überdenkt und korrigiert. In der freien Wirtschaft, in der Gesellschaft heißt das „Fehlerkultur“. Wollen wir alte Rituale pflegen, oder haben wir das Verständnis eines modernen Parlaments und einer modernen Regierung, die sich selbstkritisch betrachtet und daraus Schlussfolgerungen zieht? Ich empfehle Letzteres.
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Dann kommen wir zu dem Punkt der Freiheit. Es ist einfach ein vulgäres Verständnis von Freiheit, immer zu denken, Freiheit sei nur rein individuelle Unversehrtheit. Leider – das muss ich einmal kritisch sagen – sind es oft diejenigen, die sich besonders laut äußern und die dann auch Grenzen überschreiten auf Demos – nicht alle wohlgemerkt, aber einzelne –, die die Privilegien und Vorteile der Freiheit immer genossen haben, aber jetzt, wo Einschränkungen, etwa in Form einer Impfpflicht, sie selbst treffen, sehr laut werden. Sie vergessen dabei, dass die eigene Freiheit bei der Freiheit des anderen endet und dass die Gesellschaft die Bedingung unserer Freiheit ist.
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Wir sollten – und das ist mein Petitum – unsere Politik nicht angstgetrieben ausrichten an den Sorgen und der Kritik der Nichtgeimpften, sondern einmal einen Blick auf die Freiheit all derer werfen, die geimpft sind, derer, die freiwillig agiert haben, derer, die in Krankenhäusern arbeiten. Sie alle haben tatsächlich auch eine Freiheit, und dies ist die Mehrheit. Wer aufgrund von Corona im Krankenhaus ist, braucht für das Erfahren der Freiheit ein funktionierendes Gesundheitssystem.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.
Diese Freiheit sollte Maßgabe unseres Handelns sein. Auf dieser Basis, glaube ich, diskutieren wir mit Führung vernünftig und demokratisch.
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Vielen Dank. – Als Nächste erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Abgeordnete Nina Warken.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziemlich genau zwei Jahre leben wir jetzt in und mit der Pandemie. Über 9 Millionen Menschen in Deutschland – mindestens – haben sich infiziert, gut 160 000 Menschen hat die Krankheit so schwer getroffen, dass sie auf den Intensivstationen behandelt werden mussten. Auch aktuell sind es Hunderte, die ganz überwiegend dem Tod näher sind als dem Leben. Bis heute sind in Deutschland rund 117 000 Personen aufgrund von Covid‑19 verstorben,
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auch wenn die Realitätsverweigerer und Coronaleugner insbesondere von rechts außen das krakeelend und verharmlosend in Abrede stellen.
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In dieser Zeit hat der Staat Maßnahmen ergriffen und Regeln geschaffen, die in ganz erheblichem Maße Freiheitsrechte in einer Art und Weise einschränken, wie viele es für nicht möglich gehalten hätten. Alte und Junge haben darunter gelitten und leiden darunter. Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern, den Vereinen, den Unternehmen und den Verwaltungen im Sinne des Schutzes der Gesundheit sehr viel zugemutet, und wir muten ihnen weiterhin sehr viel zu.
Und dann, wie durch ein Wunder, inmitten der Scherben des ersten Lockdowns, öffnet sich eine Perspektive für unser Land und für die ganze Welt: Schneller als dies noch die größten Optimisten unter den Wissenschaftlern für möglich gehalten hätten, gibt es Impfstoffe, die nachweislich helfen, die die Wahrscheinlichkeit einer Infektion reduzieren und, wenn sie einen dann doch ereilt, den Verlauf ganz erheblich mildern. Einer dieser Impfstoffe wurde bei uns in Deutschland entwickelt. Man muss kein besonderer Patriot sein, um es für großartig zu halten, dass wir hiermit uns und anderen helfen können, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Seitdem liegt es an zwei Faktoren, ob wir diese Pandemie besiegen und wieder zur Normalität zurückkehren können oder eben nicht: erstens an der Frage, wie schnell Impfstoff hergestellt, beschafft und zu den Menschen gebracht werden kann, und zweitens an der Zahl der Menschen, die sich auch tatsächlich impfen lassen.
Aber offenkundig hat die neue Bundesregierung nichts aus dem letzten Winter gelernt. Sie läutet nicht etwa, damit alle es verstehen und sich endlich impfen lassen, laut die Alarmglocke, sondern trifft stattdessen die Feststellung, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht mehr gegeben sei, gibt sozusagen Entwarnung.
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Die Ampelparteien haben aus einem falsch verstandenen Freiheitsgedanken heraus, möglicherweise auch wegen fehlenden Mutes, das Ruder genau in die falsche Richtung gerissen, und es ist wertvolle Zeit ins Land gegangen.
Mit Omikron hat sich die Lage geändert; aber das bedeutet doch nicht, dass die Pandemie tatsächlich vorbei wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen. Im Gegenteil: Wir müssen vorbereitet sein auf den Herbst. Lassen Sie sich nicht wieder durch Unentschlossenheit treiben, sondern kommen Sie vor die Lage! Wir haben nach wie vor eine Impfquote, die nicht ausreichend ist; darüber gibt es ja unter den Vernünftigen in diesem Parlament keine abweichenden Auffassungen.
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Von daher rufe ich Ihnen zu: Handeln Sie endlich, bereiten Sie das Land vor! Einzelne Regierungsmitglieder haben sich für eine Impfpflicht ausgesprochen. Das reicht aber nicht. Legen Sie ein Gesetz vor, das regelt, wann eine Impfpflicht eingeführt werden soll, für wen sie gilt, welche Pflichtimpfungen darunter gefasst werden und wie Verstöße geahndet werden! Und sorgen Sie für die Möglichkeit einer Nachvollziehbarkeit der Impfungen anhand eines Impfregisters!
Wenn Sie all das nicht wollen, dann sagen Sie hier und heute, wie Sie sonst die Impfquote erhöhen und die Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden wollen.
Wir als Union bleiben dabei, Ihnen als konstruktive Opposition zur Seite zu stehen.
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Aber Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen und FDP, haben die Mehrheit hier im Bundestag, und Sie haben die Verantwortung.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Helge Limburg.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Warken, zu Ihrer Rede vielleicht nur eines: Wenn Sie und auch Ihre Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion im ersten Satz immer wieder betonen, dass Sie eine konstruktive Opposition sein wollen, im nächsten Moment dann aber klarmachen, dass Sie die Einladung zur inhaltlichen Mitarbeit an den Gruppenanträgen in jedem Einzelfall ausschlagen, Sie aber auch keinen eigenen Vorschlag vorlegen werden, dann fehlt mir ein bisschen der Glaube an den ersten Satz, Frau Warken.
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– Ich habe Ihnen sehr gut zugehört, Herr Müller.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute zu Recht oft genug betont worden: Impfen hilft; mit Impfen hilft man sich selbst und anderen. In der Tat halte ich es wie die ganz große Mehrheit in diesem Haus für sehr vernünftig, sich impfen zu lassen. Aber – darauf hat der Kollege Kubicki zu Recht hingewiesen – die Freiheitsgrundrechte unseres Grundgesetzes schützen auch die Unvernunft. Sie schützen gerade auch das individuelle Recht, etwas anderes zu machen als das, was sozial bzw. von der Mehrheit erwünscht ist; genau das ist das Wesen der Freiheits- und Minderheitenrechte.
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Eine allgemeine, mit Strafen bewehrte Pflicht, sich impfen zu lassen, wäre deshalb ein gewichtiger Eingriff in diese Grundrechte – die Pflicht, eine Substanz in seinen Körper aufzunehmen, ist natürlich ein Eingriff –, und sie müsste gut begründet sein.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass die allgemeine Impfpflicht als die eine große, reinigende Maßnahme wahrgenommen wird, die diese schrecklichen Jahre für unsere Gesellschaft endlich beendet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht, dass das so einfach ist und so einfach der Fall sein wird. Ich glaube, die Folgen und die Umsetzungsschwierigkeiten – das haben viele schon zu Recht betont – wären gewaltig.
Es ist auch nicht trivial, dass wir klar definieren, welches Ziel eigentlich verfolgt werden soll. Der Schutz der individuellen Gesundheit und die Tatsache, dass Impfen jeden Einzelnen schützt, reichen – aus meiner Sicht jedenfalls – nicht aus, weil – ich habe es eingangs gesagt – der freie demokratische Rechtsstaat eben nicht als paternalistischer Staat die Menschen quasi vor sich selber schützen darf.
Es bleibt der Schutz der Freiheitsrechte anderer; darauf sind die Kollegin Helling-Plahr und andere zu Recht eingegangen. Natürlich: Eine Überlastung des Gesundheitssystems schränkt andere in ihrer Freiheit ein. Natürlich: Die Situation in Kitas und Schulen mit immer wiederkehrender Quarantäne, mit Schließungen, Einschränkungen von Freizeitaktivitäten und Ähnlichem schränkt andere Freiheitsrechte ein. Insofern könnte die Alternative zu einer allgemeinen Impfpflicht nicht sein, einfach die bisherigen Maßnahmen weiterlaufen zu lassen.
Aber die Frage muss schon sein, ob eine Impfpflicht tatsächlich das mildeste Mittel ist, das wir gegenwärtig zur Verfügung haben. Wenn wir doch zum Beispiel wissen, dass einige Menschen ungeimpft sind, weil sie auf den Tot- oder Proteinimpfstoff warten, der jetzt gerade kommt: Warum konzentrieren wir uns dann nicht darauf, diesen ganz gezielt dort hinzubringen, wo die Impfquoten noch sehr niedrig sind, so ähnlich wie es Rheinland-Pfalz macht?
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Wenn wir wissen, dass es Menschen gibt, die große Ängste um ihre Gesundheit haben, etwa vor Venenthrombosen und Ähnlichem: Warum bieten wir dann nicht – auch wenn es exotisch klingt – eine sehr engmaschige medizinische Betreuung, gegebenenfalls stationär, nach einer Impfung an, um auch diesen Ängsten zu begegnen?
Und schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum versuchen wir es nicht zunächst mit einer allgemeinen Impfberatungspflicht, ohne dass bereits quasi der virtuelle Bußgeldbescheid über dem Gespräch hängt, also mit einer offenen, vertrauensvollen Impfberatung?
Das alles ist weiterhin mühevoll. Mein Dank gilt natürlich allen Beteiligten an der bisherigen Impfkampagne auf allen Ebenen – riesiger Dank und Anerkennung! Aber seien wir ehrlich: Eine allgemeine Impfpflicht wäre eben auch sehr, sehr mühevoll. Es ist zu Recht angesprochen worden, dass die Durchsetzung einer Impfpflicht, verbunden mit Bußgeldbescheiden – auf die dann Haft zwar ausdrücklich nicht folgen soll, aber der Bußgeldbescheid muss ja trotzdem auf andere Weise gegen den Willen der Betroffenen vollzogen werden –, auch sehr mühevoll ist.
Wir müssen bedenken, dass es Menschen gibt, die vielleicht keine klare Diagnose „Du darfst nicht geimpft werden“ haben, die aber unklare Diagnosen haben. Die müssten wir aus meiner Sicht auf jeden Fall von einer Impfpflicht ausnehmen. Im Zweifel muss der individuelle Gesundheitsschutz gelten.
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Manche Kampagnen gegen die Impfung – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin – arbeiten mit Unwahrheiten und Fake News. Aber die daraus entstehenden Ängste sind real, und wir sollten uns schon überlegen, ob uns nicht mildere Mittel einfallen, als diesen Ängsten mit Bußgeldbescheiden zu begegnen.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle aus der FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über eine Impfpflicht gegen das Coronavirus ist eine Demokratiefrage; denn unsere Gesellschaft ist in einer schwierigen Situation. Seit zwei Jahren kämpfen Gemeinwesen und Staat gegen das Virus, und seit zwei Jahren stellen wir an vielen Stellen fest, dass der Frust und die Enttäuschung in der Gesellschaft immer größer werden. Wir müssen hier anerkennen – das haben einige der Kolleginnen und Kollegen auch getan, und dafür danke ich ausdrücklich –, dass viel von diesem Frust und viel von dieser Enttäuschung auch mit der mangelhaften Kommunikation der Politik in den letzten zwei Jahren zusammenhängt.
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Wir haben Fehler gemacht. Wir haben nicht hinreichend über die eigenen Zweifel, über die eigenen Unzulänglichkeiten, über die eigenen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Coronabekämpfung gesprochen. Ich wünsche mir, dass die heutige Debatte einen Beitrag dazu leistet, dass wir auch die Entfremdung zwischen der Bevölkerung und den staatlichen Institutionen wieder ein Stück weit überwinden, meine Damen und Herren.
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Denn es ist ein Kernwert der Demokratie, dass die Institutionen der Demokratie auch zur Selbstkorrektur in der Lage sind.
Sosehr der Respekt vor denjenigen, die bei ihrer Meinung bleiben wollen, zur heutigen Debatte dazugehört, sosehr gehört auch der Respekt gegenüber denjenigen dazu, die ihre Meinung angesichts einer neuen Situation ändern wollen. Auch dafür bin ich dankbar, dass das hier heute möglich ist, meine Damen und Herren.
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Die Debatte über eine Impfpflicht ist aber nicht nur eine Demokratiefrage. Sie ist auch eine Freiheitsfrage, und ich rate dazu, diese Debatte auch anhand des Maßstabs der Freiheit zu führen. Was wir aber nicht zulassen dürfen, ist, dass permanent so getan wird, als sei die Impfung quasi die Fortsetzung der Freiheitsbeschränkungen der Pandemie. Die Impfung ist der Weg, um mit den Freiheitsbeschränkungen der Pandemie endlich Schluss zu machen.
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Die Diskussion über eine Impfpflicht ist eine komplizierte Angelegenheit, die anhand der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger gemessen und ausgestaltet werden muss. Deswegen kommt es sehr genau und sehr präzise auf die Verhältnismäßigkeit an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine allgemeine Impfpflicht verhältnismäßig ist, bevor wir nicht jedem die Gelegenheit gegeben haben, in einem verpflichtenden Beratungsgespräch mehr darüber zu erfahren, was ihn oder sie umtreibt. Deswegen muss der erste Schritt ein verpflichtendes Beratungsgespräch sein.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine Impfpflicht verhältnismäßig ist, bei der alle Menschen gleich behandelt werden. Natürlich macht es typischerweise einen Unterschied, wenn Menschen über 50 oder über 60 sind, als wenn sie jünger sind. Und natürlich ist der Gesetzgeber sogar dazu verpflichtet, zu typisieren, wenn er eine allgemeine abstrakte Entscheidung treffen soll. Das macht er an allen Stellen: Man kann auch nicht mit unter 40 Jahren als Bundespräsident kandidieren, weil man typischerweise davon ausgeht, dass man über 40 reifer ist und dieses Amt ausführen kann.
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Typisierungen sind dem Gesetzgeber immer anheimgestellt und sollten deswegen auch in dieser Frage eine Rolle spielen.
Deswegen wünsche ich mir einen Mittelweg zwischen der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht auf der einen Seite und der Verhinderung einer allgemeinen Impfpflicht auf der anderen Seite. Ich habe für beide Positionen Respekt. Ich glaube aber, dass wir uns in Vorbereitung auf den nächsten Winter Gedanken darüber machen müssen, wie wir die Impfquote noch einmal massiv steigern. Ich glaube, dass das politische Kapital, um von um die 70 auf um die 80 Prozent Impfquote zu gelangen, bei einer allgemeinen Impfpflicht zu hoch wäre. Ich glaube aber, dass eine Kombination aus Beratungspflicht und altersbezogener Impfpflicht verhältnismäßig wäre, und lade alle – auch aus der Union – ein, an diesem Modell mitzuarbeiten.
Herzlichen Dank.
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Jessica Rosenthal hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute schon öfter gehört: Morgen ist es zwei Jahre her, dass der erste Coronafall in Deutschland aufgetreten ist. Das sind 731 Tage, an denen wir jetzt in dieser Pandemie leben. Das spürt man hier, das spürt man auch an anderen Orten. Die Erschöpfung ist überall zu spüren. Das Distanzhalten, die Masken, die Maßnahmen: Das alles kostet uns extrem viel Kraft.
731 Tage Pandemie bedeuten für eine junge Studentin, dass sie in diesem Jahr ihren Bachelor beenden wird, ohne einmal einen pandemiefreien Unialltag erlebt zu haben. 731 Tage Pandemie heißen für ein Grundschulkind, dass es in die dritte Klasse gekommen ist, ohne einmal im Musikunterricht gesungen oder eine Lesenacht mitgemacht zu haben. 731 Tage Pandemie heißen für eine Auszubildende, für die Abschlussprüfung zu lernen, ohne all die Inhalte auch nur ansatzweise in der Praxis gemacht zu haben.
Diese großen Einschränkungen von Freiheit in Kauf zu nehmen, war für keine Entscheidungsträgerin jemals einfach. Das oberste Ziel ist, war und bleibt, die Allgemeinheit zu schützen, indem die kritische Infrastruktur am Laufen gehalten wird und vor allem das Gesundheitswesen nicht an seine Belastungsgrenzen kommt. Ich freue mich, dass wir uns in diesen Zielen, glaube ich, alle einig sind.
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Dabei hat dieses Parlament – und damit Sie alle – immer wieder die schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit getroffen. Sie haben abwägen müssen, ob der Preis für das eine zu hoch und für das andere tragbar ist. Ich möchte Sie alle bitten, diese Abwägung neu zu justieren; denn anders als vor 731 Tagen sind nicht länger Kontaktbeschränkungen, Schulschließungen oder Lockdowns Instrumente, um das Gesundheitswesen, aber auch vulnerable Gruppen zu schützen. Anders als vor zwei Jahren haben wir dank der Wissenschaft heute die Impfung zur Verfügung.
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Dabei ist glasklar, dass auch die Impfung kein Unverwundbarkeitstrunk ist. Aber die Impfung senkt das Infektionsrisiko, verringert das Risiko, auch andere zu infizieren, und sie verhindert schwere Verläufe und Todesfälle.
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Drei Impfungen schaffen eine Grundimmunisierung. Drei Impfungen sind ein geeignetes Mittel dafür, dass das Virus endemisch wird. Drei Impfungen machen nach allem, was wir heute wissen, möglich, dass wir mit Corona leben lernen. Dieses Parlament muss also alles Notwendige dafür tun, die Impfquote auf weit über 90 Prozent zu bringen.
Wie Sie alle – oder fast alle – es hier auch schon formuliert haben, hätte auch ich mir natürlich gewünscht, dass wir das alles freiwillig schaffen. Aber wir müssen uns eingestehen – davon bin ich überzeugt –, dass es nicht nur auf freiwilliger Ebene machbar sein wird, eine endemische Situation zu erreichen. Im Sinne der Mehrheit der Gesellschaft, im Sinne des Schutzes des Gesundheitswesens und im Sinne möglichst vieler Freiheiten, übrigens gerade auch für junge Menschen, brauchen wir daher eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren; denn nur, wenn möglichst viele – am besten alle – geimpft sind, können wir die Pandemie hinter uns lassen und einen Weg heraus finden.
Es ist daher aus meiner Sicht auch nicht der richtige Weg, eine Impfpflicht lediglich auf die über 50-Jährigen zu beziehen. Aus meiner Sicht ist diese Setzung zum einen willkürlich und schwer begründbar; zum anderen aber erreicht sie – das ist noch wichtiger – nicht das Ziel einer Grundimmunisierung aller.
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Aber erst diese Grundimmunisierung kann ein Schutz gegen weitere Mutationen sein und auch vulnerable Gruppen schützen, die es eben nicht nur bei den über 50-Jährigen gibt.
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Ich bitte Sie also alle, in dieser pandemischen Ausnahmesituation – damit sage ich auch noch mal ganz klar: mit Blick auf den kommenden Herbst und Winter; es geht nicht um diese Welle – dafür einzutreten, nicht länger vorrangig durch Kontaktbeschränkungen, das Aussetzen von Präsenzpflichten in der Schule oder durch Onlineseminare in Unis den Schutz der Allgemeinheit zu erreichen, sondern durch eine allgemeine Impfpflicht, die diejenigen zu ihrem Beitrag verpflichtet, die auch bis hierher nicht zu einer Impfung bereit sind. Da muss man einfach sagen: Das unsolidarische Verhalten derjenigen, die sich impfen lassen können, kostet die Mehrheit zu viel. Deshalb bitte ich Sie, die allgemeine Impfpflicht zu erwägen.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Volker Ullrich.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Impfungen gegen das Coronavirus haben unbestreitbar Leben gerettet und schwere Verläufe reduziert. Wir verdanken gesellschaftlich diesen Impfungen viel. Das muss Grundlage unserer Debatte sein.
Die Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht jedoch muss gut begründet sein und den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen, also geeignet, erforderlich und angemessen sein. Es sind viele Fragen offen, die zwingend zu beantworten sind.
Eine allgemeine Impfpflicht würde gegen die Omikron-Welle im Augenblick nichts mehr nutzen. Es sind Fragen offen, die zwingend beantwortet werden müssen. Wer eine Pflicht festlegt, muss sie zwingend konkretisieren: Wie soll eine Impfpflicht aussehen? Mit welchen Impfstoffen und in welchen Abständen gegen welche Varianten soll eine Impfpflicht verpflichtend sein?
Die Frage ist auch, ob das Ziel, also die Entlastung des Gesundheitswesens und der Übergang von einer Pandemie zu einer Endemie, tatsächlich durch die Impfungen erreicht werden kann, und dies vor dem Hintergrund, dass – auch mit dem Wissen, dass Solidarität und Freiheit wichtige Kategorien sind – der Fremdschutz im Augenblick nur sehr eingeschränkt möglich ist, weil Menschen, die sich impfen lassen, nach wie vor infektiös sein können und andere anstecken, auch wenn es abgemildert ist.
Diese Fragen müssen zwingend geklärt werden. Dazu brauchen wir die Datenbasis, und dazu muss auch die Bundesregierung ihren Teil beitragen.
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Es muss auch darüber gesprochen werden, welche Altersgruppen einer möglichen Impfpflicht unterworfen sein sollten. Gerade jüngere Menschen haben geringe Hospitalisierungsraten. Es wäre möglicherweise unverhältnismäßig, sie und diejenigen, die typischerweise sehr viel stärker von diesem Virus betroffen sind, gleichzubehandeln.
Eine mögliche Impfpflicht, meine Damen und Herren, muss auch umsetzbar und rechtsstaatlich durchsetzbar sein. Sie kann und darf keine reine Symbolik werden. Eine Impfpflicht als bloßer Appell wäre schwer zu rechtfertigen.
Klar, eine Impfpflicht ist kein Impfzwang. Aber es gibt in Deutschland kein Impfregister. Der Impfstatus eines jeden Einzelnen ist nicht bekannt. Das ist rechtsstaatlich nicht unerheblich, weil nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen der Staat in einem möglichen Bußgeldverfahren nachweisen muss, ob jemand nicht geimpft ist. Das gelingt aber wegen eines fehlenden Impfregisters nur sehr schwer. Ohne Register wird nur ein Verstoß gegen eine Impfnachweispflicht übrig bleiben. Aber ein fehlender Impfnachweis ist eben keine fehlende Impfung.
Deswegen: Vor dem Hintergrund grundsätzlicher rechtsstaatlicher Gesichtspunkte muss auch die Frage der Durchsetzbarkeit unbedingt gelöst werden, und das ist keine Frage des Gewissens, sondern eine Frage des Verwaltungsvollzugs und der Gerichtsbarkeit. Auch hier braucht es eine Haltung der Bundesregierung.
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Vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit müssen alle Fragen diskutiert werden. Wir müssen weiter für Impfungen werben, wir müssen die Impfkampagne nach vorne bringen, wir müssen die Kapazitäten im Gesundheitswesen ausbauen. Medikamentöse Therapien sind wichtig und können zu einer Änderung der Pandemielage führen. Und es muss auch weiter für Vertrauen geworben werden. Die Änderung des Genesenenstatus hat nicht Vertrauen herbeigeführt, sondern ein solches eher zerstört.
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Deshalb müssen wir uns gesamtgesellschaftlich viele Punkte überlegen, wie wir die Pandemie beenden können. Eine allgemeine Impfpflicht muss auf alle Fälle dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dafür sind noch viele Fragen zu klären. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen.
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Aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Stephanie Aeffner.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir führen Debatten, um Argumente abzuwägen, auszutauschen und verschiedene Aspekte einzubringen, und ich glaube, niemand hier in diesem Hause kann für sich in Anspruch nehmen, dass er alle Aspekte dieser Debatte jeweils erfasst hat.
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Deshalb sind Zuhören und Aufeinandereingehen so wichtig. Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, wäre es schön, wenn wir auch das hörten, was Sie sich denn wünschen, und nicht nur das, wovon Sie meinen, dass es an dem Verfahren nicht gut ist.
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Die Abwägung über die Impfpflicht ist keine leichte Entscheidung. Es wird immer wieder das Argument der Freiheitsrechte, das Recht auf körperliche Unversehrtheit angeführt. Wer aber redet eigentlich von dem Recht auf körperliche Unversehrtheit all der Menschen, die schwerwiegende Vorerkrankungen haben und deren Teilhaberechte in den letzten zwei Jahren so massiv eingeschränkt worden sind?
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Sie können jetzt sagen: Ja, ist vielleicht nicht so relevant, ist vielleicht nur eine kleine Gruppe. – Weit gefehlt! Es sind circa 25 bis 30 Prozent unserer Bevölkerung, die relevante Risikofaktoren haben; es ist also keine kleine Gruppe.
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Es geht nicht nur um Menschen über 65 – auch das ist schon eine besonders große Gruppe –, sondern beispielsweise um Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen, Diabetes oder Herzerkrankungen.
Es gibt noch eine Gruppe von Menschen, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, diejenigen mit sogenannter Immunsuppression, bei denen das Immunsystem entweder aufgrund einer Erkrankung oder aufgrund der Behandlung einer Erkrankung Infektionen nicht entsprechend bekämpfen kann. All diese Menschen sind darauf angewiesen, dass möglichst wenig an Virusherden in unserer Gesellschaft zirkuliert.
Besonders hart getroffen hat die Pandemie Familien mit Kindern mit schweren Vorerkrankungen und Behinderungen. Nicht nur diese Kinder sind betroffen, sondern auch ihre Geschwister und ihre Eltern. Viele von ihnen leben seit zwei Jahren in Isolation, besuchen nicht mehr die Schule, können nicht mehr teilhaben. Was ist mit deren Recht auf Teilhabe an Bildung?
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Was ist mit dem Recht der Kassiererin, die eine schwere chronische Lungenerkrankung hat und nicht in der Lage ist, acht Stunden mit Maske zu arbeiten, und gleichwohl auf besonderen Schutz angewiesen ist? Was sagen wir ihr denn, wenn Kolleginnen und Kollegen sich nicht impfen lassen? „Dann kannst du halt nicht mehr arbeiten gehen; dann hast du halt kein Recht mehr, deinen Lebensunterhalt zu verdienen“? Das sind die Fragen, auf die wir Antworten finden müssen.
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Alle, von denen ich gesprochen habe, sind darauf angewiesen, dass wir insgesamt hohe Impfquoten haben. Nur dann bleibt ihnen die Chance, eine Infektion für sich zu verhindern. Aktuell haben sie nur die Wahl, entweder ein Risiko einzugehen oder nicht teilzuhaben.
Es ist das Virus, was uns vieles wegnimmt, und wir diskutieren darüber, wie wir aus dieser Situation wieder herauskommen. Deshalb komme ich in der Abwägung zu dem Schluss, dass wir eine allgemeine Impfpflicht ab 18 brauchen.
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Denn eine Impfpflicht, die altersbezogen ist, löst genau das Problem nicht, dass wir nach wie vor Räume in unserer Gesellschaft haben, wo viele ungeimpfte Menschen sind. Dann kann sich jemand aus all diesen Gruppen, die ich dargestellt habe, in keinerlei Gruppe aufhalten, wo Menschen unter 50 sind, wo viele Ungeimpfte sich aufhalten. Das ist für mich die Abwägung. Denn Politik hat nicht nur die Aufgabe, Freiheit als absoluten Begriff zu verteidigen, sondern wir müssen unser Zusammenleben so gestalten, dass wir möglichst Teilhabe für alle Teile unserer Gesellschaft garantieren.
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Zu seiner ersten Rede kommt aus der SPD-Fraktion jetzt zu Wort Dr. Christos Pantazis.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger vor den Bildschirmen! Vorneweg: Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass ich meine erste Rede hier im Hohen Hause im Rahmen einer Orientierungsdebatte zur allgemeinen Impfpflicht würde halten dürfen. Diese hier und heute miteinander begonnene Debatte stellt für mich eine Sternstunde des Parlamentarismus über Parteigrenzen dar, und ich bin stolz, an dieser teilnehmen zu dürfen.
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Wie sicherlich viele von Ihnen war ich als Mediziner nach der Zulassung gut getesteter und sicherer Impfstoffe zunächst kein Anhänger einer allgemeinen Impfpflicht. Lange Zeit haben wir schließlich alle an die Eigenverantwortung, Vernunft und Solidarität unserer Bürgerinnen und Bürger appelliert, sich freiwillig impfen zu lassen, sodass wir das Ziel einer hohen Impfquote von 80 bis 90 Prozent erreichen würden. Genau diese stellt nämlich die Grundvoraussetzung dar, um die Pandemie zu überwinden und eine stabile Infektionslage zu erreichen. Nur dadurch werden wir unsere seit Beginn der Pandemie konsequent verfolgten Ziele, die Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems, die Vermeidung von wirtschaftlichen, sozialen sowie gesundheitlichen Langzeitfolgen wie dem Long Covid, erreichen. Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen: Trotz diverser Anstrengungen haben wir nach über einem Jahr des Impfstoffeinsatzes als Weg aus der Pandemie heraus unser Ziel einer ausreichenden Impfquote auf diesem Wege letztendlich nicht erreichen können.
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Auch wenn sich ein Großteil der Bevölkerung hat impfen lassen: Es bleibt eine signifikante, folgenschwere Impflücke in zweistelliger Millionenhöhe. Als Konsequenz sind wir weiterhin mit pandemischen Wellen konfrontiert, die durch das Risiko des Entstehens neuer gefährlicher Virusvarianten insbesondere im medizinischen Bereich zur wiederkehrenden Überlastung des Gesundheitssystems führen können.
Was meine ich genau damit? Unsere Intensivstationen sind mit ungeimpften Patienten überlastet.
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Das medizinische Personal ist nach der nunmehr vierten Welle ausgelaugt und pandemiemüde. Krankenhäuser müssen planbare Eingriffe auf ungewisse Zeit verschieben, häufig – das haben viele Rednerinnen und Redner vor mir auch schon angesprochen – mit gravierenden Folgen für unzählige Krebspatientinnen und ‑patienten. Die Sorge vor einer Triage ist insbesondere im operativen Bereich de facto bereits heute traurige Realität. Sprechen Sie doch mal mit Chefärztinnen und Chefärzten der Anästhesie darüber, welche Erfahrungen sie tagtäglich bei der Planung von Operationen erleben! Dort wird der Mangel verwaltet; es ist mittlerweile zu einer Bugwelle von Operationen gekommen, die von Tag zu Tag größer wird.
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Ganz zu schweigen von den enormen Belastungen durch eine ständige Wiederkehr von Kontaktbeschränkungen für das Funktionieren unseres Gemeinwesens, und hier insbesondere – meine Vorrednerin hat das gerade zu Recht angesprochen – für Kinder und Jugendliche, die seit vielen Monaten im Ausnahmezustand leben.
Wie eingangs gesagt: Ich war kein Anhänger einer Impfpflicht. Die Einsicht in die Notwendigkeit ist bei mir insbesondere im letzten Dreivierteljahr gewachsen. Ich habe quasi eine Lernkurve, wenn Sie es so bezeichnen wollen, vollzogen.
Ich fasse daher zusammen: Zur Eindämmung des Gesamtinfektionsgeschehens mit einer hohen Grundimmunität und einer Entlastung unseres Gesundheitssystems sowie zur Abwehr wirtschaftlicher, sozialer sowie gesundheitlicher Langzeitfolgen spreche ich mich hier und heute als Mediziner aus praktischen und ethischen Gründen nun für eine allgemeine, zeitlich begrenzte Impfpflicht ab 18 Jahren aus.
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Ich halte diese auch aus den eben genannten Gründen für erforderlich, angemessen und, ja, auch verhältnismäßig, um die Pandemie letztendlich zu überwinden und eine stabile Infektionslage zu erreichen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Aus der CDU/CSU-Fraktion kommt jetzt zu Wort der Kollege Carsten Müller.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie alle bekomme ich in diesen Tagen eine Vielzahl von Anrufen, Nachfragen, Zuschriften: Wie hältst du es eigentlich mit der allgemeinen Impfpflicht? – Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Die kann man nicht einfach mal so mit Ja oder Nein beantworten.
Ich sage: Ja, in einer deutlichen Tendenz bin ich eher dafür. Aber es kommt auf eine Reihe von Dingen an, die genannt worden sind: wie sie ausgestaltet wird, wen sie erfasst, wie sie sanktioniert wird, wie Sanktionen durchgesetzt werden, welche organisatorischen Maßnahmen dieser Staat ergreift.
Meine Damen und Herren, es gibt eine andere Frage, die auch gestellt wird – die ist deutlich leichter zu beantworten –: Wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung im Moment gerecht? Nein, sie wird es leider nicht. Ich will Ihnen das skizzieren. Vor dem Hintergrund welcher Situation diskutieren wir heute? Wir haben eine Ad-hoc-Kürzung der Wirksamkeit des Genesenenstatus auf drei Monate, einfach so. Merkwürdigerweise setzt sich dieselbe Bundesregierung, die das zu verantworten hat, auf europäischer Ebene jetzt im Moment für eine sechsmonatige Wirksamkeit des Genesenenstatus ein. Das nenne ich erst mal planlos. Das führt zu Irritationen.
Ich möchte bei der Gelegenheit übrigens auch das Präsidium bitten, insofern die Allgemeinverfügung, die für dieses Haus gilt, sehr kurzfristig anzupassen. Ich halte das für einen unerträglichen Zustand.
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Wir erleben eine ebenso überraschende Abwertung des Impfstoffs von Johnson & Johnson. Da sind Leute jetzt plötzlich nicht mehr vollständig geimpft, und die haben sich ausdrücklich nicht gewillkürt für Johnson & Johnson entscheiden können, sondern die haben das genommen, was da war. Das war dann in deren Fall Johnson & Johnson.
Meine Damen und Herren, was macht der Justizminister – er sitzt hier in der vorderen Reihe – in dieser Zeit? Er übt sich in regelmäßig unzutreffenden Prognosen über den Coronaverlauf. Eben kam die Frage: Was wünschen Sie sich denn eigentlich im Verfahren? – Ein Impfregister wünsche ich mir. Ich halte das für elementar wichtig; Volker Ullrich hat es Ihnen erklärt. Der Justizminister antwortete auf diese Frage: Ein Impfregister kommt eher nicht infrage, weil es zu lange dauert. – Da sieht man mal, welches Vertrauen ein FDP-Minister in die Digitalisierungskompetenz des ebenfalls von der FDP geführten zuständigen Ministeriums hat.
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Ich könnte das Verfehlen des Boosterziels aufzählen, oder ich könnte Ihnen das Durcheinander mit den Tests vorhalten.
Wir reden hier heute angeblich über eine Gewissensentscheidung. Nein, die ist es ja gerade nicht, und auch das ist heute schon gesagt worden. Sie haben die sektorale Impfpflicht, nämlich einrichtungs- und berufsbezogen, vor wenigen Wochen hier als Nicht-Gewissensentscheidung behandelt. Das ist genau derselbe Grundrechtseingriff. Und was hat sich geändert? Geändert hat sich, dass die Ampelkoalition ihre Mannschaft nicht an Bord hat. Sie haben keine Mehrheit. Deswegen versuchen Sie, sich jetzt etwas an den Rand zu drücken. Meine Damen und Herren, das funktioniert so nicht.
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Ich will auf einen letzten Punkt eingehen. Der Kollege Tino Sorge hat darauf hingewiesen, dass es sich der Gesundheitsminister denkbar einfach macht. Der Gesundheitsminister hat bei Twitter während dieser Debatte geschrieben, man dürfe das alles nicht parteipolitisch instrumentalisieren.
Sie, die Bundesregierung, haben eine große Chance verstreichen lassen. Die CDU/CSU-Fraktion hat einen detaillierten Fragenkatalog an die Bundesregierung gerichtet. Dieser Fragenkatalog umfasst einen Teil der Fragen, die sich jeder in dieser Debatte stellen muss, auch diejenigen, die Gruppenanträge verfassen. Deswegen wäre es ein Zeichen der überparteilichen Behandlung dieses schwierigen Themas gewesen, wenn Sie eine Antwort geliefert hätten, die Substanz gehabt hätte.
Ihre Antwort ist verfristet gekommen, und sie erfüllt noch nicht einmal minimale formale Anforderungen an Antworten; von Inhalten ist nichts zu lesen. Meine Damen und Herren, damit werden Sie als Bundesregierung der Herausforderung in dieser schwierigen Zeit nicht gerecht. Ich hätte eigentlich erwartet, dass auch andere Redner, auch aus den Ampelfraktionen, hier in diesem Punkt nachfassen würden. Denn die Antwort geht ja nicht nur ausschließlich an die Unionsfraktion, sondern an das Parlament, und als dieses diskutieren wir hier heute.
Vielen Dank.
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Aus der SPD-Fraktion spricht jetzt Sonja Eichwede.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Unser Parlament ist ein Ort von verantwortungsvollen Entscheidungen und Debatten, wie sie die demokratischen Fraktionen in diesem Haus hier heute führen. Es ist eine wichtige Debatte, die wir gerade im Parlament führen sollten; denn sie wird auch in der Gesellschaft intensiv geführt. Deshalb ist es richtig, sie hier im Hohen Hause, in der Herzkammer unserer Demokratie, zu führen und das auch gemeinsam zu tun; denn es handelt sich um eine ethische Frage.
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Die demokratischen Fraktionen eint das Ziel – ich denke, da darf ich auch für die CDU/CSU-Fraktion und für die Linke-Fraktion mit sprechen –, einen guten, nachhaltigen Weg aus dieser Pandemie zu finden, die Gesundheit, das Gesundheitssystem und die Daseinsvorsorge in unserem Land zu schützen. Denn insbesondere in der wichtigen Infrastruktur, in der Pflege, in der Medizin, wurde durch die ständigen Wellen in den letzten zwei Jahren Übermenschliches geleistet. Deshalb muss es doch jetzt unser Ziel sein, mit unserem Handeln vor die nächste Welle zu kommen, mit dem Vertrauen, das uns übertragen wurde.
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Es geht hierbei um eine erheblich höhere Impfquote, und es geht um eine Grundimmunisierung, die wir brauchen. Als Rechtspolitikerin möchte ich aber sagen, weil hier insbesondere auch von rechts bei einigen Wortbeiträgen die Verfassungsmäßigkeit angesprochen wurde: Eine allgemeine Impfpflicht kann verfassungsgemäß sein; das ist auch mehrmals so festgestellt worden.
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Aber natürlich kommt es darauf an, wie wir sie ausgestalten. Das ist bei jedem Gesetz so, und das ist auch wichtig und richtig in einem Rechtsstaat; denn in einem solchen leben wir selbstverständlich.
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Um es mit den Worten des Verfassungsrechtlers Professor Dr. Franz Mayer zu sagen – mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich –: „Hinter dem Verfassungsrecht kann man sich hier nicht verstecken.“
Hinsichtlich der Ausgestaltung einer Impfpflicht kommt es aber auf mehrere rechtliche Fragen an. Ich möchte dabei den Fokus auf zwei Punkte legen, nämlich auf die Zielsetzung der vorgeschlagenen Modelle und auf die Frage der Durchsetzung.
Eine Impfpflicht stellt natürlich einen Grundrechtseingriff zum Schutz anderer Grundrechte und Rechte mit Verfassungsrang dar. Sie darf nur aufgrund eines Gesetzes, welches ein legitimes Ziel verfolgt und in der Zweck-Mittel-Relation geeignet, erforderlich und angemessen ist, erfolgen; das lernt jeder Jurastudent im ersten Semester. Wichtig ist bei der Frage der Erforderlichkeit – das will ich zu einigen Debattenbeiträgen sagen –, dass es hier auf das Vorhandensein nicht nur eines milderen Mittels, sondern eines gleich geeigneten milderen Mittels ankommt.
Das betrachten wir wiederum bei der Zielsetzung; denn mit einer Impfpflicht für Personen über 50 hat man insbesondere den Schutz der vulnerablen Gruppen und die Intensivstationen im Blick. Ist das Ziel aber der Schutz des Gesundheitssystems und der öffentlichen Daseinsvorsorge in Gänze, wollen wir also vor die nächste Welle und auch in Schulen, Kitas, Kultur, Gastronomie und vielen weiteren Bereichen wieder in normales Fahrwasser kommen, ist eine allgemeine Impfpflicht für Personen ab 18 das aus unserer Sicht gebotene Mittel.
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Nur dieser Vorschlag bietet durch eine Steigerung der Impfquote die Chance, unser Gesundheitssystem nachhaltig zu stärken und aus dem Krisenmodus herauszubringen.
Neben der Pflicht bedarf es aber insbesondere auch weiterer Aufklärung. Wir müssen Ängste nehmen. Wir müssen den Legendenbildungen entgegenwirken; denn diese gibt es auch. Wir haben sichere, gute Impfstoffe.
Frau Kollegin.
Noch ein Punkt zur Durchsetzbarkeit. Hier ist ein Bußgeldverfahren, das auch ein rechtsstaatliches Verfahren ist, ein geeignetes Mittel.
Frau Kollegin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte ist wichtig für unseren Austausch.
Frau Kollegin!
Ich komme zum Ende; ich komme zum letzten Satz. – Das Thema ist zu wichtig, um es zu instrumentalisieren.
Frau Kollegin!
Daher bitte ich um einen guten weiteren Austausch.
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Dieses Licht da zeigt Ihnen an, wenn Sie schon über die Zeit sind.
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– Herr Kollege, diese unqualifizierte Bemerkung, worum auch immer sie ging, hilft uns in dieser Debatte aus meiner Sicht nicht weiter.
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Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Georg Kippels aus der CDU/CSU-Fraktion und gehe davon aus, dass auch auf der Tribüne alle ihre Maske tragen.
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Herr Kollege, bitte schön.
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Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast am Ende dieser dreistündigen Orientierungsdebatte geht es darum, ein gewisses Fazit zu ziehen. Wichtig für den heutigen Nachmittag ist die Feststellung, dass es ganz überwiegend einen Konsens gibt, dass das Impfen an sich erstrebenswert ist, dass es einen hohen Nutzen hat und dass wir uns alle darum bemühen sollten, einen großen Teil der Bevölkerung mit dieser Impfung zu versorgen.
Die zweite Erkenntnis des heutigen Nachmittags ist, dass es auch einen Entwicklungsprozess gibt; denn die Forderung der CDU/CSU-Fraktion zur Errichtung eines Impfregisters hat jedenfalls in der SPD-Fraktion schon Berücksichtigung gefunden. Frau Kollegin Stamm-Fibich hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen. Ich denke, es ist gerade auch in Ansehung der vierten Stellungnahme des Expertenrates eine absolut richtige und wichtige Erkenntnis, dass die wissenschaftliche Begleitung auf der Grundlage aktueller Daten eine zwingende Voraussetzung für die weitere Vorgehensweise ist.
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Aber wo stehen wir jetzt am Ende des zweiten und am Beginn des dritten Coronajahres? Ich denke an eine grundlegende Änderung der Strategie. In den letzten zwei Jahren waren wir darauf verwiesen, mit den herkömmlichen Erkenntnissen der Wissenschaft über Hygiene, Quarantäne, Isolation die Übertragung zu vermeiden und im Rahmen der Behandlung der Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung herbeizuführen mit dem, was die Pharmazie bis jetzt zu bieten hat.
Für die Zukunft gibt es jetzt eine fantastische Perspektive. Der heute häufig gelobte Impfstoff zeigt ganz offensichtlich Wirkung bei den Patientinnen und Patienten. Die Patientinnen und Patienten, die heute auf der Intensivstation liegen, sind nur noch zu einem Drittel geimpft und zu zwei Dritteln ungeimpft. Das spricht dafür, dass die schweren Verläufe durch die Impfung vermieden werden können. Also geht es darum, nunmehr dieses probate Mittel weiter anzuwenden.
Da kommen wir zu der Frage der Grundrechtskollision. Können wir zur Durchsetzung einer Impfpflicht die Individualinteressen dem Gemeinwohlinteresse unterordnen? Ich komme in der Tat zu der Erkenntnis: Ja, das müssen wir. – Denn wir haben auch in den vergangenen zwei Jahren ununterbrochen Grundrechtseinschränkungen vornehmen müssen, und zwar nicht nur mit Blick auf die Eingriffsintensität selbst, sondern auch in zeitlich-qualitativer Hinsicht.
Es kann auch dann zu einer Beendigungsnotwendigkeit kommen, wenn aufgrund eines anderen Mittels die dauerhafte Aufrechterhaltung eines vielleicht leichteren Grundrechtseingriffs ganz einfach nicht mehr vertretbar ist. Ich denke, da muss dann auch die angebliche Vernunft des Einzelnen, die ja im Prinzip aus Sicht der Gemeinschaft als unvernünftig eingestuft werden kann, untergeordnet werden, und es gibt dann auch im Rahmen der Grundrechtskollision die Verpflichtung des Staates, die Funktionstauglichkeit und Leistungsfähigkeit von Einrichtungen des Gemeinwohls – Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen, Senioreneinrichtungen – sicherzustellen und auch die dauerhafte Belastung derjenigen, die dort verantwortungsvoll ihre Arbeit versehen, aufzuheben.
Wir brauchen also hier und heute eine konsequente Entscheidung. Wir brauchen sie datenbasiert, um die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens weiter dauerhaft nachweisen zu können. Und wir brauchen selbstverständlich auch eine schnelle Reaktion. Insofern kann ich mich nur sehr schwer mit dem Vorschlag der vorgeschalteten Pflichtberatung auseinandersetzen; denn auch jetzt ist ja vor der Impfung eine Beratung verpflichtend. Das heißt, derjenige, der sich schon positiv mit dem Gedanken einer Impfung auseinandersetzt, hat jederzeit die Möglichkeit – gerade auch im direkten Kontext der Impfung –, diese Beratung wahrzunehmen.
Ich bin deshalb tendenziell dafür, dass wir uns mit einer zügigen, flächendeckenden Impfung in Begleitung eines Impfregisters beschäftigen. Das muss mit äußerster Priorität geschehen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Aus der SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Professor Dr. Lauterbach.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst einmal für die hervorragende Debatte bedanken, von der ich sehr profitiert habe und aus der ich viel mitgenommen habe. Ich hatte an dieser Stelle ja schon oft gesagt: Das ist keine Gelegenheit für Parteipolitik. – Von sehr wenigen Beiträgen abgesehen, haben wir die Gelegenheit heute genutzt, und dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.
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Ich möchte auch darauf hinweisen: Mein Haus bearbeitet alle Anträge. Wir unterstützen logistisch, in rechtlicher Hinsicht, in medizinischer Hinsicht. Auch die Anträge, die mir persönlich nicht gefallen, werden unterstützt. Das gilt ausdrücklich auch für Anträge, die vielleicht noch aus den Reihen der Union kommen werden.
({1})
Alles wird gleichermaßen unterstützt, und dafür stehe ich zur Verfügung.
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Wir kämpfen derzeit mit einer neuen Variante, mit der Omikron-Variante. Die Omikron-Variante befällt auch Geimpfte, und die Verläufe sind leichter. Vielleicht ist das die Alternative zur Impfung. Vielleicht brauchen wir die Impfpflicht gar nicht mehr;
({3})
vielleicht ist die Omikron-Variante der Weg aus der Pandemie heraus in die Endemie, ohne dass wir die Impfpflicht nötig hätten. Das ist leider nicht so.
({4})
Zum Ersten ist es bereits jetzt so, dass die Modelle des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass diejenigen, die nicht geimpft sind, von der Omikron-Variante bedroht sind und wir wahrscheinlich mit Belegungen der Intensivstationen mit bis zu 5 000 Menschen rechnen müssen. Zum Zweiten gibt es international so gut wie keinen Wissenschaftler, der mir bekannt wäre, der sagt, die Omikron-Variante wäre die letzte Variante, mit der wir zu rechnen haben.
({5})
Und zum Dritten ist es auch noch so, dass wir Varianten erwarten müssen, die sowohl die Escape-Mutationen der Omikron-Variante wie auch die Fitnessvariantenanteile der Delta-Variante enthalten, sodass wir sozusagen die Ansteckung mit der Omikron-Variante und den schweren Verlauf der Delta-Variante erleben könnten. Vor diesen sogenannten rekombinierten Varianten haben wir Angst. Wenn wir dies im Herbst sicher vermeiden wollen,
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dann ist der einzige Weg eine Impfpflicht, mit der wir uns alle gegenseitig schützen. Und damit müssen wir jetzt beginnen.
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Ich möchte auch ausdrücklich darauf hinweisen: Wir kommen nicht weiter, indem wir das Problem von uns wegschieben.
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Der Kollege Krings hat eben in seiner Rede gesagt – einiges davon teile ich, anderes nicht –: Wir können das doch erst mal abwarten; wir müssen so etwas wie einen Vorratsbeschluss haben. – Das ist medizinisch nicht machbar. Wir brauchen für die Umsetzung der Impfpflicht mindestens fünf bis sechs Monate. Das heißt, wenn wir die Impfpflicht jetzt beschließen und dann umsetzen, dann sind wir im Herbst gerüstet.
({9})
Wenn wir das Problem von uns wegschieben, dann wird das Problem mit voller Stärke zurückkommen. Das können wir den Kindern, den Pflegekräften, den Ärzten und den gefährdeten und belasteten Menschen, die wir nicht impfen können, nicht weiter zumuten. Wir müssen handeln!
({10})
Ich höre auch immer wieder, dass fälschlicherweise behauptet wird, die Impfpflicht stünde der Freiheit im Wege, sie stünde der Freiheit entgegen. Ich sage so viel: Die Freiheit gewinnen wir durch die Impfung zurück.
({11})
Es ist das Virus, das uns belagert. Hegel hat einmal gesagt – und er hatte in dieser Hinsicht recht –: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.“ Das ist der Punkt, an dem wir derzeit sind.
({12})
Wir werden nicht zurückkommen zu dem Leben, das wir geliebt und geschätzt haben, ohne dass wir jetzt den Spaten drehen, ohne dass wir uns gemeinsam entscheiden. Die dreifache Impfung ist der sichere Weg, diese Freiheit zurückzuerlangen.
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Dirk Wiese aus der SPD-Fraktion spricht jetzt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist angesprochen worden: Vor zwei Jahren erreichten uns die ersten Coronainfektionen. Wir haben reagiert, wir haben Entscheidungen getroffen. Sicherlich waren im Nachhinein nicht alle richtig. Man hätte einiges auch anders machen können; das ist gar keine Frage. Aber was haben wir alle aufgeatmet, als es geschafft worden war, Impfstoffe zu entwickeln! Was haben wir aufgeatmet, als plötzlich die Möglichkeit bestand, sich impfen zu lassen, sich schützen zu lassen vor schweren Verläufen!
Ich war in dieser Zeit immer der Auffassung: Jetzt ist der Impfstoff da; viele Bürgerinnen und Bürger werden diese Möglichkeit nutzen. – Ich war in den letzten Wochen und Monaten schon erschrocken, mit wie vielen – teilweise verdrehten – Argumenten gegen das Impfen angegangen worden ist. Das hat bei mir zu der Erkenntnis geführt – wir haben es gesehen –: Wir kommen nicht auf diese hohen Impfquoten, wie es sie in einigen anderen europäischen Ländern gibt. Wir führen sicherlich eine spezielle Debatte; das kann man aber auch für Österreich feststellen.
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Darum bin ich zu dem Entschluss gekommen – dieser Entschluss ist gereift, was gedauert hat –, dass es aus dieser Pandemie nur mit dem Impfen herausgeht und nur, wenn wir dies auch verpflichtend machen, um endlich aus diesem Kreislauf herauszukommen. Darum befürworte ich ausdrücklich eine allgemeine Impfpflicht.
({1})
Ich will auf einige Punkte eingehen, die heute angesprochen wurden. Professor UIlmann hat seinen Antrag zur Einführung einer Impfpflicht ab 50 angesprochen. Ich glaube – und das ist ein Argument, warum das für mich nicht trägt –, wir werden dadurch nicht ein so hohes Maß an Grundimmunisierung in der Bevölkerung erreichen, dass uns das durch den nächsten Herbst und Winter bringt. Darum glaube ich: Ja, es gibt gute Argumente dafür, es wird aber dem Gedanken des Schutzes, den wir damit für den Herbst erreichen wollen, nicht gerecht werden und uns wieder in die Situation bringen, über Maßnahmen nachdenken zu müssen. Darum kann ich dem an dieser Stelle nicht folgen.
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Ich will auch einen Satz zu Wolfgang Kubickis Antrag sagen, den ich auch in Teilen nachvollziehen kann. Da komme ich ein bisschen auf die Kollegin Stephanie Aeffner zu sprechen, die ganz klar gesagt hat: Freiheit bedeutet auch die Freiheit der vielen. – Es gibt viele in diesem Land, die in „Schattenfamilien“ leben. Ich habe bei WDR 5 einen Beitrag gehört, der mich sehr geprägt hat. Dort wurde berichtet, dass Familien monatelang nicht rauskommen, weil es in der Familie Risikokrankheiten gibt. Auch die haben den Anspruch auf Freiheit, auch die haben letztendlich den Anspruch, rauszukommen.
Darum finde ich es – gestatten Sie mir das, lieber Kollege Kubicki; nehmen Sie es nicht persönlich – doch ein bisschen anmaßend, zu sagen, dass nur derjenige vernünftig ist, der sozusagen den Freiheitsgedanken in Ihrem Sinne vertritt. Nein, auch wir, die für eine allgemeine Impfpflicht sind, wollen die Freiheit für die vielen letztendlich zurück. Wir wollen raus aus der Pandemie. Wir wollen wieder die Freiheit für die Wirtschaft; wir wollen die Freiheit für die Schausteller; wir wollen die Freiheit für diejenigen, die wieder was ermöglichen können; wir wollen die Freiheit auch zur Unvernunft. Aber dafür brauche ich letztendlich auch die Freiheit der vielen und nicht nur die eigene Perspektive, wonach man möglicherweise keine Risikokrankheiten an der einen oder anderen Stelle hat. Darum finde ich das zu kurz gesprungen.
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Von daher befürworte ich eine allgemeine Impfpflicht ab 18. Ich teile die Einschätzung der Expertinnen und Experten, dass drei Impfungen nach derzeitigem Stand genügend sind für eine ausreichende Grundimmunisierung. Weitere Boosterungen können freiwillig sein.
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Ich finde es wichtig, das zu befristen. Ich halte es auch für richtig, das Ganze bußgeldbewehrt zu machen, aber – das sage ich ausdrücklich – ohne Zwangsmaßnahmen. Sie müssen genau hinhören – Sie rufen ja immer dazwischen; Sie haben es nach einer langen Debatte vielleicht etwas schwieriger –: Wir wollen keine Zwangsmaßnahmen. Das Ganze soll bußgeldbewehrt sein.
Ich komme auf einen letzten Punkt zu sprechen. Herr Müller, Herr Kippels, Herr Rüddel, ich biete es Ihnen wirklich an – lehnen Sie sich jetzt nicht zwei Wochen wieder zurück, sagen Sie nicht: „Der Kanzler muss jetzt Führung zeigen“,
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und sagen Sie nicht wie im Sandkasten, Herr Sorge: „Der hat meine Frage nicht beantwortet“ –:
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Kommen Sie bei uns vorbei! Bringen Sie sich mit ein in die Diskussion!
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Ich lade Sie ein, noch diese Woche konkret mit uns in die Diskussion einzutreten. Ich lade Sie ein, mit dabei zu sein.
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Eins müssen Sie wissen: Wenn Sie ein Impfregister zur Bedingung machen, –
Herr Kollege.
– dann wird es die Impfpflicht im Herbst nicht geben.
Herr Kollege.
Und Sie widersprechen auch Ihren Ministerpräsidenten.
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Entschuldigung für die Verzögerung.
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Da war eine kleine Ansammlung von Verzögerungen bei Ihrer Fraktion, Herr Wiese. Deswegen muss ich jetzt etwas strenger sein.
Carmen Wegge aus der SPD-Fraktion hat jetzt das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich eins ganz am Anfang feststellen: Wir alle hier in diesem Hohen Hause tragen Verantwortung – Verantwortung für das Leben der Menschen in diesem Land. Deshalb bin ich für alle ansprechbar.
Wie viele hier in diesem Raum bekomme ich Hunderte von Mails, in denen ich darum gebeten werde, nicht für eine allgemeine Impfpflicht zu stimmen. Die Angst, die in diesen Mails mitschwingt, die nehme ich ernst. Der Hass, die Fehlinformationen und die Vergleiche mit der NS-Zeit sind aber schwer zu ertragen.
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Nein, das Grundgesetz ist nicht außer Kraft gesetzt. Nein, ein Entwurmungsmittel ist nicht geeignet, um effektiv gegen Corona zu kämpfen.
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Und nein, der Nürnberger Kodex ist nicht relevant für die aktuelle Situation.
Ich bin Juristin, und es gehört zu meinem Handwerk, zu verstehen, wie Grundrechte funktionieren und wie sie in Einklang miteinander gebracht werden können. Für mich steht außer Zweifel, dass eine allgemeine Impfpflicht verfassungskonform ausgestaltet werden kann.
Und wir brauchen eine Impfpflicht. Wir brauchen sie, weil sich viel zu wenig Menschen in diesem Land haben impfen lassen.
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Wir brauchen sie, damit die Pandemie eine Endemie wird. Wir brauchen sie, damit unser Gesundheitswesen die nächste Welle übersteht; sie ist schon prognostiziert. Und wir brauchen sie, damit die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen endlich und schnellstmöglich ein Ende finden.
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All das sind legitime Ziele, welche wir mit einer allgemeinen Impfpflicht verfolgen und auch erreichen können. Eine Impfpflicht ist eben ein geeignetes Mittel, um diese Ziele zu erreichen.
An dieser Stelle möchte ich auch denen erneut widersprechen, die sagen, dass eine Impfpflicht ein Impfzwang ist. Pflicht und Zwang sind im juristischen Sinne etwas ganz anderes.
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Niemand wird von der Polizei abgeholt werden, um zum Impfen gebracht zu werden. Kein Arzt wird gezwungen, Menschen gegen ihren Willen zu impfen. Ein solches Szenario wäre verfassungsrechtlich gar nicht möglich und wird in keiner Form angestrebt. Alle, die das behaupten, handeln unlauter.
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Ich möchte aber auch klar sagen, dass eine Impfpflicht aus meiner Perspektive nur dann geeignet ist, die Pandemie zu beenden, wenn es sich um eine Impfpflicht ab 18 Jahren handelt. Denn auch diese jungen Leute haben schwere Verläufe. Sie haben die meisten sozialen Kontakte und tragen erheblich zum Pandemiegeschehen bei. Eine hier diskutierte starre Grenze von 50 Jahren ist meines Wissens wissenschaftlich nicht zu begründen und erscheint mir deshalb willkürlich gewählt.
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Und was machen wir dann in einem halben Jahr, wenn wir herausfinden, dass die Impfpflicht ab 50 Jahren nicht hilft? Was machen wir dann?
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Deshalb stellt eine so ausgestaltete Impfpflicht für mich auch kein gleich geeignetes milderes Mittel dar.
Die allgemeine Impfpflicht ist erforderlich, um die Impflücke zu schließen, die wir schließen müssen. Sie bietet uns zudem die Chance, noch die Menschen zu erreichen, die sich noch nicht radikalisiert haben und Verschwörungsmythen noch nicht zum Opfer gefallen sind.
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Den Menschen, die unsicher sind, wird die Impfpflicht Halt bieten; denn wir übernehmen für sie mit unserer Entscheidung Verantwortung.
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Ja, es gibt Nebenwirkungen der Impfung. Aber die Gefahr einer schweren Nebenwirkung ist schwindend gering. Ja, es gibt Impfdurchbrüche.
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Aber die Verläufe sind wesentlich milder, die Chance, an Long Covid zu erkranken, ist geringer, und die Ansteckungsgefahr für andere ist reduziert.
Bei der angemessenen Ausgestaltung wird es für uns Juristinnen und Juristen spannend. Das ist die größte Herausforderung. Für mich ist klar: Sie muss zeitlich begrenzt sein, aber auch durchsetzbar. Gleichzeitig darf eine Durchsetzbarkeit nicht dazu führen, dass Gesundheitsdaten unrechtmäßig erhoben und verarbeitet werden. Und auch eine Beratungspflicht im ersten Schritt halte ich für sinnvoll. Das ist miteinander vereinbar. So ist es ja auch bei der Masernimpfpflicht. Das kann man an der Stelle mal sagen; es ist ja keine neue Idee.
Unsere Aufgabe muss es sein, eine verfassungskonforme Ausgestaltung einer Impfpflicht ab 18 Jahren zu realisieren. Davon bin ich überzeugt. Nehmen wir diese Herausforderung an! Lassen Sie uns die Pandemie beenden! Wir wissen, wie.
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.