Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/14/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanzpolitik wurde in den vergangenen Jahren durch die Coronapandemie bestimmt. Die Finanzpolitik wird auch gegenwärtig von der Pandemie geprägt. Die Aufgabe der kommenden vier Jahre wird es sein, aus dem finanzpolitischen Krisenmodus in den finanzpolitischen Gestaltungsmodus zu wechseln. ({0}) Erstens. Die Bundesregierung arbeitet daran, im Jahr 2023 zum Regelfall der Schuldenbremse des Grundgesetzes zurückzukehren. In den Folgejahren ist es mein Ziel, die deutsche Schuldenquote zu reduzieren. Es ist ein Gebot der Klugheit, nach einer Krise die fiskalische Handlungsfähigkeit des Staates für künftige Krisen zu stärken. ({1}) Noch länger werden wir die Folgen der Pandemie sehen. Deshalb reservieren wir im Klima- und Transformationsfonds mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2021 ungenutzte – ich sage: lediglich ungenutzte – Möglichkeiten des Vorjahres, um pandemiebedingt ausgefallene Investitionen nachzuholen und um Impulse zur wirtschaftlichen Belebung nach der Pandemie zu setzen. Dabei konzentrieren wir uns auf Wachstumstreiber wie den Klimaschutz. Für die regulären Vorhaben der Koalition soll aber 2023 indessen wieder die Schuldenbremse gelten. ({2}) Klima- und Transformationsfonds einerseits, Rückkehr zur Schuldenbremse andererseits: Damit verbinden wir Investitionen in die Zukunft mit der Disziplin bei Konsumausgaben in der Gegenwart. Dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts nach Generationengerechtigkeit werden wir so gerecht, und zwar gar in doppelter Weise. ({3}) Meine Damen und Herren, die verschiedentlich – auch aus der Union – ins Gespräch gebrachte Aufweichung der Schuldenbremse des Grundgesetzes lehnen wir ab. Das wäre eine Einladung, wie früher Verteilungspolitik zulasten der Zukunft zu betreiben. ({4}) Denn nicht alles Wünschenswerte kann sofort finanziert werden, nicht jedes Programm ist Fortschritt für Deutschland, Ausgaben müssen priorisiert werden. Es muss gelten, dass der Wohlstand erst erwirtschaftet wird, bevor er danach verteilt werden kann. ({5}) Meine Damen und Herren, dem sorgsamen Umgang mit Haushaltsmitteln fühle ich mich auch bereits jetzt verpflichtet. Das zeigt der vorläufige Kassenabschluss des Bundeshaushaltes 2021, den ich Ihnen, verehrte Abgeordnete, hiermit mitteilen will. Trotz des Nachtragshaushaltes müssen 24,8 Milliarden Euro weniger Schulden gemacht werden als von der Vorgängerregierung geplant. Damit wird die Nettokreditaufnahme reduziert. Wir tun also das, was nötig ist, aber es wird nicht ausgereizt, was möglich wäre. ({6}) Zweitens. Unsere Finanzpolitik sendet damit ein Signal über die deutschen Grenzen hinaus. Wir müssen die Erholung der Wirtschaft finanzieren, wir müssen die Pandemie überwinden, wir müssen Investitionen stärken. Aber die Bedeutung solider Staatsfinanzen im Zusammenhang mit der Inflation hat der neue Präsident der Deutschen Bundesbank gerade erst angesprochen. Deshalb werden wir bei allen Herausforderungen verbindliche Fiskalregeln respektieren und die Verschuldung begrenzen. Diese Haltung vertreten wir in Europa und auch im Rahmen unserer G‑7-Präsidentschaft. Wir werden also unseren Beitrag leisten, das einmalige Wiederaufbauinstrument „Next Generation EU“ zum Erfolg zu führen. Es kann und es muss neue Wachstumschancen eröffnen; denn es ist nicht auf Dauer angelegt. ({7}) In der europäischen Reformdebatte werden wir daneben über eine Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sprechen. Für Sinnvolles sind wir offen. Er hat sich aber aus Sicht der Bundesregierung mit seinen Fiskalregeln und seiner Flexibilität im Kern bewährt. Die Bundesregierung vertritt also, dass transparente Regeln und die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten unverzichtbare Voraussetzungen für Stabilität sind. ({8}) Drittens. Die Bundesregierung versteht Finanzpolitik als Ermöglichungspolitik: ({9}) Transformation, Technologie und Talentförderung erhalten im Haushalt Priorität; denn wir wollen ermöglichen, dass dieses Land Fortschritt wagt. ({10}) Es wird keine Steuererhöhungen geben; stattdessen arbeiten wir an Entlastungen, ({11}) so im steuerlichen Bereich, bei der EEG-Umlage, bei der Einführung des Bürgergeldes oder bei der privaten Eigentumsbildung. Denn wir wollen ermöglichen, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt, dass die Menschen in ihrem Leben wirtschaftlich vorankommen und dass der soziale Aufstieg für alle leichter gelingt. ({12}) Als ersten Schritt arbeitet mein Haus an einem neuen Coronasteuergesetz. Damit sollen die Verlängerung der Homeoffice-Pauschale, die Verlängerung der erweiterten Verlustverrechnung, längere Fristen für die Abgabe von Steuererklärungen, steuerfreie Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld und die Steuerbefreiung für den Pflegebonus von bis zu 3 000 Euro umgesetzt werden. Weitere Schritte werden im Laufe der Legislaturperiode folgen. ({13}) Ich habe übrigens aufgenommen, dass der Finanzminister von Baden-Württemberg jetzt verschiedentlich Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen ins Gespräch gebracht hat. Da sind wir jederzeit offen für Vorschläge. Allerdings halte ich es unverändert nicht für ratsam, die Entlastung der Bezieher kleiner Einkommen zu koppeln an eine Belastung des Mittelstands. Fach- und Führungskräfte sowie die Wirtschaft leisten bereits heute einen enormen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens, wofür sie Anerkennung verdient haben. ({14}) Ich nehme natürlich auch wahr, dass aus den Reihen der Union jetzt ganz aktuell Forderungen nach einer Unternehmensteuerreform geäußert werden. ({15}) In der Sache ist diese Debatte durchaus berechtigt. Aber wirklich: Sie hätten allen Ernstes Jahre Zeit gehabt, hier schon Schritte zu machen. ({16}) Viertens. Bei der Gestaltung des Finanzplatzes Deutschland sind Stabilität und Verbraucherschutz wichtige politische Ziele. Einem dritten und einem vierten wollen wir aber mehr Geltung verschaffen, nämlich Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft. ({17}) Die Bedingungen sind gut. Wenn wir schauen, wo das digitale Deutschland innovativ ist, dann stellen wir fest, dass das gerade die Finanzbranche ist: Fintechs, Insurtechs, Krypto, Venturecapital, Start-ups. Hier haben wir Potenzial. Auch die drei Säulen unseres privaten Bankwesens haben Perspektiven. Wir wollen also Anstrengungen unternehmen, um Deutschland zu einem der führenden Standorte zu machen. Der Finanzplatz Deutschland kann nicht nur Wachstum finanzieren, er soll auch selbst zu einem Wachstumsmotor werden. ({18}) Fünftens. Die Bundesregierung will die Steuererhebung fairer machen. Zum einen wollen wir die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler von lästigen Vorgängen so weit es geht entlasten, zum Beispiel durch die Möglichkeiten der Digitalisierung. Menschen sollen sich mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigen, aber nicht zu lange mit der Steuererklärung. ({19}) Meine Damen und Herren, zur Fairness gehört aber andererseits, dass die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht dadurch geschädigt werden, dass Steuerhinterzieher davonkommen. ({20}) Deshalb werde ich die Befähigungen zur Bekämpfung von Finanzkriminalität weiter ausbauen. Nicht Steuern erhöhen, sondern Steuerrecht durchsetzen: Darum geht es mir. ({21}) Wenn man uns also fragt, welchen Zielen sich die Finanzpolitik der neuen Bundesregierung verpflichtet fühlt, so ist die Antwort: Stabilität, Wachstum, Innovation und Fairness. Vielen Dank. ({22})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Lindner. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Lieber Herr Lindner, wir wünschen Ihnen im Amt alles Gute. Wir stehen vor großen Herausforderungen, finanzpolitisch und haushaltspolitisch, und deswegen hat dieses Land gute Arbeit, gerade im Finanzministerium, verdient. Sie haben einige Dinge angesprochen, und es stehen auch einige Punkte in Ihrem Koalitionsvertrag, die wir durchaus unterstützen, etwa die Vereinfachung des Steuersystems und die Digitalisierung der Prozesse. Sie wollen die Ausgaben des Bundes auf den Prüfstand stellen und Umschichtungspotenziale identifizieren. Sie wollen die Superabschreibungen auf Klimathemen ausdehnen. Wir hatten das schon für digitale Wirtschaftsgüter eingeführt. Das alles sind sinnvolle Punkte. Ich sage Ihnen sehr klar zu: Darüber können Sie mit der Union in den nächsten Jahren konstruktiv reden. Das werden wir konstruktiv begleiten. ({0}) Insgesamt aber muss man, wenn man Ihren Koalitionsvertrag studiert – Sie haben hier nur sehr zaghaft ein paar Punkte genannt –, feststellen: Steuerpolitisch beschränkt sich das auf Kleinteiliges. Eine steuerpolitische Agenda, ein steuerpolitisches Programm hat diese Bundesregierung leider nicht. ({1}) Tatsächlich ist Ihr Konzept Stillstand, und der zaghafte Hinweis auf den baden-württembergischen Finanzminister, der vielleicht das eine oder andere zu überlegen beginnt, ist ja ganz reizvoll und nett. Das schätzen wir auch, aber das ersetzt natürlich keine steuerpolitische Agenda, die Sie tatsächlich nicht haben. ({2}) Dann stellen Sie die ganze Sache aber etwas netter dar, indem Sie mit einem Interview in dieses Jahr starten, in dem Sie 30 Milliarden Euro Entlastung für Bürger und Unternehmen in diesem Land ankündigen. Wenn man sich das aber genauer ansieht, stellt man fest: Das ist nicht ganz so markig und nicht ganz so toll. Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen voll absetzbar gemacht werden. Das ist im Übrigen kein neues Projekt; schon die alte Regierung hatte das vorbereitet. Sie machen das auch nicht freiwillig; denn wir müssen das im Grunde machen, weil wir Hinweise des Bundesfinanzhofes dazu bekommen haben. Trotzdem ist die Maßnahme gut. Stichwort „EEG-Umlage“. Es ist richtig, dass Sie die komplett abbauen wollen. Aber ehrlicherweise muss man dazusagen: Die alte Regierung hat hier schon gehandelt, 40 Prozent der EEG-Umlage sind schon abgebaut. Das ist zum 1. Januar dieses Jahres bereits in Kraft getreten. Ebenso muss man ehrlicherweise sagen: So eine richtige Nettoentlastung ist das ja nicht, sondern dem stehen Belastungen gegenüber, nämlich die deutliche Anhebung des CO2-Preises. Für die meisten Leute wird sich das daher egalisieren, vielleicht sogar zu Mehrbelastungen führen. ({3}) Dritter Punkt, den Sie angesprochen haben: Sie wollen die Verlustverrechnung erweitern; demnächst kann man das für weitere zwei Jahre machen. Aber wenn die Unternehmer mal schauen, womit sie verrechnen können, dann sehen sie: Das sind die Pandemiejahre 2020 und 2021. In den beiden Jahren werden viele Unternehmer gar keine Gewinne gemacht haben. ({4}) Also, zu verrechnen wird es da effektiv nichts geben; eine Entlastung ist das nicht. ({5}) Sie haben eben gesagt, Steuererhöhungen schlössen Sie aus, Steuererhöhungen werde es nicht geben. Die gibt es de facto aber schon. Sie laufen schon munter an, nämlich durch die kalte Progression, durch die Preissteigerungen, die wir erfahren. Die Preissteigerung liegt jetzt, Stand Dezember 2021, bei 5,3 Prozent. Die EZB sagt für das laufende Jahr 3,2 Prozent voraus. Das frisst jede Lohnerhöhung auf. Die Lohnsteigerungen führen dazu, dass die Arbeitnehmer im Steuertarif höherwandern, dass sie höher besteuert werden. Andererseits verlieren sie durch die Inflation Kaufkraft. Das heißt, sie werden doppelt getroffen. Das ist ein brutaler Effekt. Gleichzeitig kommen noch die Steigerung des CO2-Preises, die Steigerung der Energiepreise und steigende Beiträge bei den Krankenversicherungen dazu. ({6}) Sie haben gerade den Bundesbankpräsidenten erwähnt; bei seiner Amtseinführung haben Sie gesagt: Niemand ist mehr auf stabile Preise angewiesen als Menschen mit einem kleinen Einkommen. Für sie können schon zahlenmäßig geringe Preissteigerungen den Unterschied zwischen einem vollen und einem leeren Kühlschrank am Monatsende ausmachen. – Genau darum geht es. Und ein guter Finanzminister würde jetzt gegensteuern. Die Bekämpfung der kalten Progression, das war doch Ihr Thema. Sie haben hier immer auch den Tarif auf Rädern gefordert, also den mit der Preisentwicklung mitlaufenden Tarif, der schleichende Steuererhöhungen verhindert. Jetzt sehen Sie tatenlos zu, wie die Einkommen der kleinen Leute von massiv steigenden Preisen aufgefressen werden. ({7}) Ich sage Ihnen: Steuerpolitisch ist das kein guter Start dieser Regierung. Haushaltspolitisch nehmen wir die Bekenntnisse zur Haushaltsdisziplin wahr – ich lobe ausdrücklich das Bekenntnis zum Stabilitätspakt in der EU –, aber wir nehmen auch das Bekenntnis zur Schuldenbremse wahr. Ab 2023 wollen Sie die wieder einhalten. Was Sie jetzt aber nicht so deutlich und nicht so laut sagen, ist, dass Sie bis dahin ganz massiv Schulden machen wollen. Sie wollen Schulden auf Vorrat machen. Sie sind dabei auch nicht ehrlich. Sie sagen: Wir brauchen das Geld, um die akute Notlage in der Pandemie zu bewältigen. – Tatsächlich wollen Sie die Mittel aber nicht zur Pandemiebewältigung einsetzen, sondern für ganz andere Zwecke und auch zu ganz anderer Zeit. ({8}) Der Nachtragshaushalt, den Sie jetzt vorgelegt haben, steht leider beispielhaft für diese Praxis. Dabei geht es nicht um eine verfassungsrechtliche Petitesse, sondern es geht darum, ob Ihr Bekenntnis zur Verfassungsregel der Schuldenbremse wirklich ehrlich gemeint ist. Der Bundesrechnungshof hat sich in der Anhörung zu Beginn dieser Woche sehr klar ausgedrückt: Der einzige Zweck dieses Nachtragshaushaltes sei eine Geldbeschaffung für künftige, nicht notlagenausgelöste Maßnahmen, also eine Kreditermächtigung auf Vorrat. Die vorgesehene Zuweisung weiterer 60 Milliarden Euro an den Fonds sei mit Wortlaut und Zweck der Schuldenregel unvereinbar. Klarer geht es leider – und ich sage bewusst „leider“ – nicht. Der Klimaschutz – da haben Sie völlig recht – ist ein Kernanliegen der Nachhaltigkeit. Aber auch verantwortlich geführte Haushalte sind ein ganz grundlegendes Anliegen und eine grundlegende Frage nachhaltiger Politik. Wir wollen – und das sollten auch Sie wollen – der jüngeren Generation nicht nur klimapolitisch ein gut bestelltes Feld hinterlassen, sondern auch finanziell noch die Freiräume und die Gestaltungsräume, die diese jüngeren Generationen beanspruchen dürfen. ({9}) Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Wir anerkennen die Größe der Herausforderung – denn die ist wirklich groß –, die Klimawende zu leisten und das Ganze haushalterisch vernünftig hinzukriegen. Trotzdem sage ich Ihnen vor dem Hintergrund der Verfassung und auch im Angesicht der Tatsache, dass auch die Einhaltung des Rechts eine Frage der Nachhaltigkeit ist: Ziehen Sie den Nachtragsetat, den Sie vorgelegt haben, bitte zurück, und legen Sie einen neuen Etat für dieses Jahr vor, mit ehrlichen und zutreffenden Zweckbestimmungen. Dann können Sie auch mit uns darüber konstruktiv ins Gespräch kommen. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen alles Gute und uns eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition. Herzlichen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Middelberg. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Schrodi, SPD-Fraktion. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Bundesfinanzminister Christian Lindner! Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrem neuen, wunderbaren Amt. Wir werden Sie als SPD-Bundestagsfraktion, als Finanzpolitiker in Ihrer Arbeit kollegial, beizeiten auch kritisch, aber immer konstruktiv begleiten und mit Ihnen zusammenarbeiten. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. ({0}) Sie haben hier einige finanz- und haushaltspolitische Punkte genannt, die in den nächsten vier Jahren wichtig sind. Ich möchte an drei Punkten festmachen, was uns wichtig ist. Erstens. Die Pandemie ist eine Krise, eine Gesundheitskrise, aber auch eine umfassende wirtschaftliche und soziale Krise, eine Notlage, die wir nicht nur mit Impfungen, sondern auch mit gezieltem und gleichzeitig großem finanziellen Einsatz bekämpfen müssen und auch werden. Bisher haben CDU/CSU dies aus volkswirtschaftlicher Vernunft und Pragmatismus mitgetragen. Jetzt in der Opposition soll das plötzlich falsch sein. Jetzt in der Opposition wollen Sie auf die Konjunkturbremse treten mit all den negativen Folgen: ausbleibende Investitionen, mögliche Firmenpleiten und der Verlust von Arbeitsplätzen. Das erinnert mich ein wenig an Bertolt Brechts Lied von der Tünche, in dem versucht wird, Risse in einem Gemäuer mit ein paar Farbklecksen zu übermalen. Aber ein Paar Farbeimer aus dem Baumarkt reichen in dieser Krise nicht aus, um konjunkturelle Risse zu kitten. Da müssen auch Ziegel und Stahlbeton, da müssen auch Halbleiter und schnelles Internet, da müssen auch Solaranlagen und Wärmepumpen dazukommen. Dafür werden wir sorgen; denn nichts zu tun oder nur Tünche zu verteilen, würde uns teuer zu stehen kommen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Oder wie es zuletzt auch der Ökonom Jens Südekum ausdrückte: Damit es nicht zum ökonomischen Long Covid kommt, müsse jetzt massiv investiert werden. Gleichzeitig ist diese Investitionsoffensive – das hat Herr Lindner richtig gesagt – ein wichtiger Impuls für die Modernisierung und Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Wir erzielen im Ergebnis das Gegenteil von wirtschaftlichem Long Covid: Wir stützen unsere Wirtschaft und machen sie zukunftsfähig. Wir erhalten alte und schaffen neue, hoffentlich auch tarifgebundene Arbeitsplätze, und wir erhalten damit auch die Steuereinnahmen von morgen. Das ist solide, zukunftsgerichtete und verfassungskonforme Wirtschafts- und Finanzpolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Eine steuerliche Maßnahme – das hat auch der Finanzminister schon gesagt –, mit der wir gezielt und schnell wirksam Unternehmen unterstützen wollen, ist die Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter mit umfangreichen Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, die jetzt in die Zukunft investieren. Wir haben aber auch die Kommunen im Blick; denn zwei Drittel aller Investitionen in den Kommunen werden auch von diesen getätigt. Sie brauchen also finanzielle Spielräume. Deshalb war es wichtig, dass wir jetzt miteinander vereinbart haben, sie von ihren Altschulden zu entlasten ({3}) und beispielsweise noch stärker am Steueraufkommen aus Windkraft- und Solaranlagen zu beteiligen, um damit die kommunale Finanzausstattung zu stärken. Das ist ein wichtiges Signal an die kommunale Ebene, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Und zuletzt ist zur Finanzierung der Transformation auch privates Kapital notwendig. Wir brauchen deshalb einen leistungsstarken europäischen Banken- und Kapitalmarkt. Wir wollen die Bankenunion vollenden und die Kapitalmarktunion vertiefen, dabei aber das für uns so wichtige Drei-Säulen-Modell aus privaten Geschäftsbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken erhalten und zukunftsfest machen. ({5}) Zweitens. Wir treten auch in unserem Bereich für mehr Respekt ein, für mehr Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Ja, Herr Lindner, mit dem Blick auf die Einkommensteuer haben wir uns noch auf keine Reform einigen können. Das heißt aber nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Im Gegenteil: Wir werden dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlastet werden. Das untermauert das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW in der „Süddeutschen Zeitung“. Dort steht – ich darf zitieren –: Am meisten dürften jene Menschen von der neuen Regierung haben, die am wenigsten haben, Bürger in Haushalten, die höchstens 20 000 Euro brutto im Jahr verdienen, also grob den aktuellen Mindestlohn bei Vollzeit. Diese finanziellen Entlastungen werden bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft reichen und so auch die Ungleichheit in Deutschland, so das ZEW, signifikant reduzieren. – Das ist ein wichtiges Signal. Wir wollen den sozialen Zusammenhalt in unserem Land stärken. ({6}) Zu dieser Entlastung tragen neben der Erhöhung des Mindestlohnes auch der Abbau der EEG-Umlage, verbesserte Abzugsmöglichkeiten bei den Rentenbeiträgen und die Erhöhung des Sparerpauschbetrages bei. Aber auch eine Reform der Kindergrundsicherung bzw. des steuerlichen Kinderfreibetrages gehört dazu; denn der hat bisher dazu geführt, dass die Bezieher von Spitzeneinkommen am meisten profitiert haben, nämlich durch eine bis zu 100 Euro höhere Förderung im Vergleich zu Kindergeldbezieherinnen und Kindergeldbeziehern. In Zukunft sollen Kinder aus Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen am stärksten unterstützt werden: Endlich, kann ich da auch bloß sagen. ({7}) Es geht aber auch um mehr Respekt für die große Mehrheit der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, Herr Bundesfinanzminister; das haben Sie zu Recht auch erwähnt. Wir werden deshalb Steuerhinterziehung und schädliche Steuergestaltungen mit aller Konsequenz verfolgen und unterbinden. ({8}) Deshalb ist es wichtig, dass wir uns nach der grenzüberschreitenden Anzeigepflicht auch auf eine nationale Anzeigepflicht für Steuergestaltungen einigen konnten. Und auch den Umsatzsteuerbetrug wollen wir bekämpfen, beispielsweise durch ein bundesweit einheitliches elektronisches Meldesystem, mit dem wir zugleich die Digitalisierung der Steuerkommunikation voranbringen wollen. ({9}) Über eines freue ich mich besonders: Für das vom vormaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz maßgeblich vorangetriebene Projekt der globalen Mindestbesteuerung liegt jetzt ein Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vor, der noch bis Sommer beschlossen und dann zügig in deutsches Recht umgesetzt werden soll. All das sind wesentliche Beiträge zu mehr Steuerehrlichkeit und fairen Wettbewerbsbedingungen. Und das ist gut so, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({10}) Drittens. Steuer- und Finanzpolitik ist keine trockene Materie. Sie ist täglich für Menschen spürbare Gesellschaftspolitik. In der Pandemie erleben wir gerade jeden Tag, wie wichtig Solidarität und sozialer Zusammenhalt sind. Viele Bürgerinnen und Bürger tragen mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit dazu bei. Dafür herzlichen Dank! Wir werden diese ehrenamtliche Arbeit auch in Zukunft unterstützen. Zu einer demokratischen Gesellschaft gehört aber auch eine starke Zivilgesellschaft, die sich für unterschiedlichste Belange engagiert, die Diskussionen führt und sich einsetzt. Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich hier an dieser Stelle in meiner Rede zum Jahressteuergesetz verdeutlicht und auch versprochen, dass wir im nächsten Jahr – damals habe ich gesagt, mit einem Kanzler Olaf Scholz und anderen Mehrheiten – ein rotes Päckchen der Gemeinnützigkeit mit mehr Rechtssicherheit für die Zivilgesellschaft unter den Weihnachtsbaum legen werden. Es ist nun ein rot-grün-gelbes Päckchen geworden, und es freut mich, dass wir damit klarstellen werden, dass sich in der Zivilgesellschaft gemeinnützige Organisationen natürlich auch in ihrem Rahmen politisch betätigen können, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. ({11}) Sie stärken unsere Demokratie, sie engagieren sich in und für unsere Demokratie. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({12}) Die Ampelkoalition hat sich viel vorgenommen, unser Land moderner, unser Land gerechter zu machen. Ich lade Sie alle – auch die Opposition – ein, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– sich an diesen großen Aufgaben zu beteiligen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, ein kleiner technischer Hinweis für die Kolleginnen und Kollegen auf der Tribüne: Da es bei Ihnen keine Redezeitenanzeige gibt, werde ich mich akustisch bemerkbar machen, wenn Ihre Redezeit zu Ende geht. Also, ein leichtes Klopfen, was Sie vernehmen, bedeutet: Kommen Sie bitte zum Schluss. Es wäre schön, das zu beachten. Sie können ja nichts dafür, dass Sie keine Uhr haben. Nächster Redner ist der Kollege Peter Boehringer, AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Guten Morgen von hier oben nach unten in den Plenarsaal! Minister Lindner, Sie haben eben die Leitlinien Ihrer Politik erläutert. Doch ist es wirklich Ihre eigene Politik? Haben Sie auch als FDP-Politiker gesprochen oder nur als Handlanger einer grün-roten Koalition, in der Sie eigentlich nur als Mehrheitsbeschaffer fungieren? ({0}) Von den FDP-Positionen vor der Wahl ist fast nichts übrig geblieben. Abschaffung des Soli? Leider nein. Entlastung bei der Einkommensteuer? Abgesagt. Einhaltung der Schuldenbremse? Nein, stattdessen lieber ein verfassungswidriger Nachtragshaushalt, übrigens zu 100 Prozent schuldenfinanziert. Das haben Sie eben ernsthaft als generationengerecht bezeichnet. Dann der Etikettenschwindel der ökosozialen Marktwirtschaft, hinter dem sich einfach nur Planwirtschaft unter dem Dogma der CO2-Ideologie verbirgt. Deutschland hat bereits heute die höchsten Strompreise der Welt. Eine CO2-Nullemission bedeutet eine weitgehende Deindustrialisierung Deutschlands mit verheerenden Folgen für Arbeitsplätze und Wohlstand. Auch die angeblichen Entlastungen sind Mogelpackungen. Die riesige EEG-Umlage etwa wird nur pro forma abgeschafft, um sie dann über den Umweg Haushalt bzw. Abgaben sofort wieder zu erheben. Was den Bürgern nach bürokratischer Umverteilung gegeben wird, wird ihnen hintenrum wieder genommen. ({1}) Freiheitlich-marktwirtschaftlich ist unter rot-gelb-grünem Klimadiktat bald gar nichts mehr: noch mehr Zwang zu Windrädern, noch mehr Wasserstoffutopien, eine faktische Pflicht zu E-Autos, ein Verbot von Ölheizungen. Deutschland ist zudem das einzige Land weltweit, das den Wahnsinn des gleichzeitigen Ausstiegs aus Kohle und Kernkraft betreibt. Während unsere Nachbarn den grünen Atomstrom mit moderner, risikofreier Technik ausbauen, schalten wir alles Bewährte ab. Die Ampel erfindet im Koalitionsvertrag stattdessen einfach mal eben neue Zukunftsmärkte am ideologischen Reißbrett. Wie immer in der Geschichte muss und wird solch planideologischer Machbarkeitswahn scheitern. ({2}) Die Aufgabe der privaten Marktwirtschaft wird riesige Kapitalmengen fehllenken sowie deutsche Unternehmen, Produktionskapazitäten und am Ende auch fähige Bürger außer Landes treiben. Aber damit nicht genug der Unfreiheit. Beim Thema Bürgerrechte sieht es nicht besser aus. Abschaffung der Zensur durch das NetzDG? Nicht in Sicht, ganz im Gegenteil. Nein zum Impfzwang? Plötzlich trägt die FDP diesen sogar mit. Bei Medizinern, Pflegern, Soldaten und Polizisten war das die allererste Tat der Ampel. Schämen Sie sich! ({3}) Dann noch die unsägliche 2‑G-Regel, die uns zwingt, hier von der Tribüne aus zu sprechen, die nicht Teil des Plenarsaals ist, nur weil wir wie Millionen von ebenfalls diskriminierten Menschen auf unserem Recht nach Artikel 2 Grundgesetz auf körperliche Unversehrtheit bestehen. ({4}) Wie sagte Guido Westerwelle in seiner Abschiedsrede 2011? „Die Freiheitsbedrohung in Deutschland … kommt leise daher“ und bürokratisch. So ist es, und sie kommt aus dem Inneren der FDP. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Boehringer. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verhandlungen im Bereich Finanzen waren nicht einfach; manche haben geunkt, wir würden uns darüber zerlegen. Aber ich und wir finden: Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Es ist solide, und es ist tragfähig; ({0}) denn wir sind unserem eigenen Anspruch gerecht geworden. Mit diesem Haushalt, mit diesen Leitlinien, die wir uns gegeben haben, werden wir das Jahrzehnt der Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung gestalten. Das ist das, was dieses Land ganz, ganz dringend braucht. ({1}) Fangen wir an mit der KfW. Wir wissen: Die KfW macht seit vielen Jahrzehnten einen ganz entscheidenden und wichtigen Job in Deutschland. Gerade auch in der Coronapandemie hat sie sehr vielen Unternehmen geholfen, durch die Krise zu kommen. Wir werden die KfW-Bank umbauen zur Transformationsbank für das Jahrzehnt des Klimaschutzes und der Digitalisierung. ({2}) Deutschland wird mit diesem Koalitionsvertrag – dazu haben wir uns bekannt – zum führenden Standort von Sustainable Finance ausgebaut. Zum Thema nachhaltiger Finanzmarkt: Wir haben ein gemeinsames Verständnis davon, dass das Thema Klima nicht nur ein überwölbendes Thema für Deutschland und die ganze Welt ist, sondern dass damit auch massive Finanzrisiken verbunden sind. Klimarisiken sind Finanzrisiken; das ist das Verständnis dieser Bundesregierung, und das ist gut so, meine Damen und Herren. ({3}) Das heißt, wir machen kluge und vorausschauende Finanzpolitik und Finanzmarktpolitik. Dazu passt leider nicht der von der Kommission vorgelegte delegierte Rechtsakt zur Taxonomie. Atom und Gas sind keine dunkelgrünen Technologien; sie haben in der Taxonomie eigentlich nichts zu suchen. Deswegen freue ich mich über das klare Nein dieser Bundesregierung zu Atom in der Taxonomie. ({4}) Aber damit nicht genug: Die Bundesregierung wird mit ihrem Programm zu Green Bonds weitermachen. Wir werden die eigenen Anlagen Paris-kompatibel machen, und auch die deutsche Exportfinanzierung wird auf den Prüfstand kommen, damit wir insgesamt international ausstrahlen: Wir sind Paris aligned, Paris-kompatibel mit all unseren finanziellen Instrumenten, meine Damen und Herren. ({5}) Wir werden den Energie- und Klimafonds umbauen zum Klima- und Transformationsfonds und die Rücklage erhöhen, um die Folgen der Pandemie und gleichzeitig die bestehenden Risiken für die Erholung der Wirtschaft damit abzufedern und uns allgemein zukunftsfähig zu machen, damit wir gut aus der Krise kommen und nicht in die nächste Krise reinstolpern. All das müssen wir verhindern. ({6}) Beim Thema „umweltschädliche Subventionen“ hätten wir Grünen uns mehr Mut gewünscht; aber auch dort wird es Schritte geben. 5 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen werden durch die Bundesregierung abgebaut. Wir werden die Lkw-Maut reformieren und auch die Plastikabgabe verursachergerecht in Deutschland einführen. Die EEG-Umlage werden wir abschaffen, um da die klaren Anreize zu setzen, dass erneuerbare Energie günstig wird, und die Lösung eines weiteren Problems, dass wir nämlich abhängig sind von fossiler Energie, ist ein zentraler Baustein dieser neuen Bundesregierung. ({7}) Ja, wir konnten uns nicht auf mehr Steuergerechtigkeit einigen, darauf, dass durch Steuermehreinnahmen von Gutverdienern wie uns Bundestagsabgeordneten oder auch anderen untere Einkommen entlastet werden, aber wir werden – auch das hat der Minister bereits gesagt – gemeinsam gegen Steuertricks und Steuerbetrug vorgehen. Das heißt, wir haben uns vorgenommen, eine internationale Vorreiterrolle in diesem Bereich einzunehmen. Wir unterstützen also die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung. Mit dieser Bundesregierung wird es zukünftig 15 Prozent Mindestbesteuerung für Unternehmen geben, und das ist gut so, meine Damen und Herren. ({8}) Aber damit nicht genug: Es wird eine Anzeigepflicht auch für nationale Steuergestaltungsmodelle geben. Wir werden dafür sorgen, dass große Immobilienkonzerne künftig Grunderwerbsteuer auch bei Share Deals zahlen müssen. Auch gegen den milliardenschweren Umsatzsteuerbetrug werden wir verstärkt vorgehen, insbesondere durch die Einführung eines E‑Rechnungssystems. ({9}) Gerade in diesen Tagen, wo es weiterhin vor Gericht Prozesse zu Cum-ex gibt und auch Untersuchungsausschüsse laufen, ist es noch mal wichtig, zu betonen, dass diese Bundesregierung konsequent Steuergutschriften aus Cum-ex- und Cum-cum-Geschäften zurückfordern und alles dafür tun wird, dass ähnliche, aktuell noch mögliche Geschäfte unterbunden werden. ({10}) Die Steueroasenliste soll regelmäßig aktualisiert, der automatische Informationsaustausch erweitert und die Quellenbesteuerung ausgeweitet werden. Ähnliche Dinge haben wir auch im Bereich der Geldwäsche vor. Auf das Thema der Bankenunion ist bereits mein Kollege Schrodi eingegangen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deswegen freue ich mich, ganz am Schluss noch mal zu sagen: Wir machen die notwendigen Entlastungen, aber wir werden auch dafür sorgen, dass wir die Vorschriften für Gemeinnützigkeit reformieren, damit tatsächlich politische Betätigung –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– in Deutschland von gemeinnützigen Organisationen rechtssicher wieder gemacht werden kann. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt. Danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Paus. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit erleben wir drei globale Krisen gleichzeitig: erstens die Coronapandemie, zweitens die Klimakrise, und beide Krisen verschärfen die dritte Krise: die Verteilungskrise. Die muss endlich überwunden werden, meine Damen und Herren. ({0}) Das Vermögen konzentriert sich immer stärker in den Händen einiger weniger Milliardäre, die die Welt unter sich aufgeteilt haben. In der Bundesrepublik besitzen die reichsten 10 Prozent zwei Drittel des gesamten Vermögens. 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Das ist zutiefst ungerecht und beschneidet Lebenschancen, meine Damen und Herren. ({1}) Mehr noch: Die extreme Ungleichheit ist eine große Gefahr für die Demokratie, für die gesellschaftliche Entwicklung, für den Fortschritt. Auch deshalb muss sie überwunden werden, meine Damen und Herren. ({2}) Die Lösung all dieser Krisen kostet viel Geld und Mut. Allein die zusätzlichen staatlichen Ausgaben für den Klimaschutz werden für den Zeitraum bis 2030 auf jährlich 46 Milliarden Euro geschätzt, sagt uns die Agora Energiewende. Ich sage Ihnen: Mit Schuldenbremse und Steuergeschenken an Reiche werden diese Krisen nicht zu lösen sein, meine Damen und Herren. ({3}) Wir wissen doch alle – oder sollten es wissen –: Das Verfallsdatum der neoliberalen Ideen war spätestens mit der Finanzkrise 2008 erreicht. Das darf nicht vergessen werden. Wir haben in den vergangenen Monaten die alte Regierung immer wieder gefragt: Wem sollen die Kosten der Krise aufgebürdet werden? – Wir haben keine Antwort erhalten. Auch diese Regierung hat die öffentliche Antwort auf diese Frage verweigert. Das nehmen wir nicht hin! ({4}) Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Es darf nicht sein, dass die Krisenkosten wieder bei den Armen und den Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen abgeladen werden, wie das schon bei den Kosten der Finanzkrise war. Das ist nicht zu akzeptieren! ({5}) Alle fragen sich, warum die FDP – der kleinste Koalitionspartner – die Koalitionsverhandlungen für sich entschieden hat. Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Sie wissen doch, welchen immensen Schaden die veralteten neoliberalen Ideologien in den letzten 20 Jahren angerichtet haben. Wir alle – natürlich auch die Grünen – wissen: Die Klimakrise kann mit Marktmechanismen nicht bewältigt werden. Dafür braucht es andere, meine Damen und Herren. ({6}) Das Resultat sehen wir schon jetzt an den Stromzählern. Was tun Sie denn gegen die Explosion der Energiepreise? Warum führen Sie nicht wieder Preiskontrollen ein? Wo ist das angekündigte Klimageld? Hier muss gehandelt werden! ({7}) Jeder, der es sehen will, sieht das Marktversagen an allen Ecken und Enden. Medikamentenmangel ist Marktversagen. ({8}) Hyperglobalisierung ist ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden. Die Pandemie hat uns allen gezeigt: Das Drahtseil kann reißen. Lieferketten zerbröseln. Und dann stehen wir ohne Medikamente und Schutzkleidung da. Warum, frage ich Sie, haben wir kein Netz und keinen doppelten Boden? Ich kann die Frage beantworten: Weil es im Kapitalismus um hohe Profite und niedrige Kosten geht. Sicherheit ist nur ein unliebsamer Kostenfaktor. Das darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren! ({9}) Eine verantwortungsvolle Regierung ist für die Sicherheit in einem Land zuständig. Soziale und gesundheitliche Sicherheit kostet nun einmal Geld. Denn Sicherheit wird nicht allein durch Polizei und Militär garantiert. Das ist altes Denken. ({10}) Meine Damen und Herren, viele führende Ökonomen fordern eine gerechte Verteilung von Vermögen in unserer Gesellschaft. Wir auch; denn es ist der richtige Weg. ({11}) Wir brauchen das Geld, um in eine sichere Zukunft zu investieren. Mit dem Nachtragshaushalt, Herr Lindner, haben Sie sich ein paar Buchungstricks ausgedacht. Aber das wird Ihnen auf lange Sicht nicht helfen. Sie müssen Farbe bekennen. Wer die Krisen bewältigen will, muss endlich eine mutige, gerechte Steuerreform durchsetzen. Wir als Linke fügen hinzu: Wir wollen eine einmalige Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionäre. Das würde 0,7 Prozent der Bevölkerung in unserem Land betreffen. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt, meine Damen und Herren. ({12}) Abschließend: Herr Lindner, Sie haben Ihre Ministerkollegen aufgerufen, sparsamer zu sein. Ich beginne gleich mit dem Vorschlag: Verzichten wir auf ein neues Wettrüsten! Wenn wir 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben, gefährden wir die Welt. ({13}) Wir müssen auf friedliche Koexistenz setzen. Das ist Fortschritt, und dafür stehen wir. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lötzsch. – Nun lauschen wir den Worten des Kollegen Christoph Meyer, FDP-Fraktion. ({0})

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in der Debatte eben wurde schon klar, dass die Koalition zu Beginn dieser Legislaturperiode vor erheblichen Herausforderungen steht. Wir müssen dieses Land durch die Pandemie bringen, und wir müssen das Land zukunftsfest und zukunftsfähig machen und aufholen, wo wir im letzten Jahrzehnt Chancen vertan haben. In diesem Zusammenhang, lieber Kollege Middelberg, finde ich die Begrifflichkeiten, die Sie hier gewählt haben mit „Ehrlichkeit“ und „Stillstand“, schon ein wenig merkwürdig. ({0}) Sie haben die EEG-Umlage angesprochen. Wer hat denn im letzten Jahrzehnt diese EEG-Umlage in der Form so lange bewahrt? Das waren doch Sie, das war eine CDU-geführte Koalition. Wer hat denn die – mittlerweile offensichtlich auch Ihrer Erkenntnis nach – verfassungswidrigen Rentenbesteuerungen so lange auf dieser Ebene gehalten? Das waren doch auch Sie! Auch dafür sind Sie verantwortlich. Sie beklagen hier einen CO2-Preis, den Ihre Koalition eingeführt hat. Wenn Sie also über Stillstand und Ehrlichkeit sprechen, sollten Sie sich erst mal selbst ehrlich machen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Union. Dann sind Sie vielleicht auch als seriöse Opposition ein Partner für uns. ({1}) Was jetzt zu tun ist, ist akute Krisenbekämpfung. Wir stellen Mittel zur Verfügung, die notwendig sind zur Bekämpfung der Coronakrise. Dieser zweite Nachtragshaushalt – das haben wir an diesem Mittwoch im Haushaltsausschuss noch mal sehr deutlich gemacht – stellt dem EKF, dem zukünftigen Transformationsfonds, zweckgebunden Mittel zur Verfügung. Sie sind zeitlich befristet: Kurz- und mittelfristig müssen sie verwendet werden. Was wir tun – anders als die Vorgängerregierung –, ist, dass wir uns auf einen Kreis von Ausgaben fokussieren und dass wir priorisieren. Wir gehen nicht mit der Gießkanne vor, wie es in der ersten Coronabekämpfungswelle geschehen ist, sondern die Mittel gehen konkret dahin, wo die Baustellen, die Sie diesem Land hinterlassen haben, am größten sind. ({2}) Wir verbinden das mit der Aktivierung von privatem Kapital für Investitionen. Die Stichworte „Investitionsprämie“ und „Superabschreibung“ sind bereits gefallen. So kommt die Wirtschaft wieder auf die Beine. Ich bin dankbar, dass wir in diesem Koalitionsvertrag auch die Kraft hatten, klar zu sagen, dass wir alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen müssen, gerade um zu priorisieren. Wenn wir ehrlich sind: Wir hatten dieses Problem der ausufernden Ausgaben auch schon vor Beginn der Coronapandemie. Auch damals hatten Sie schon nicht die Kraft – aufgrund der guten Einnahmesituation vielleicht auch nicht die Notwendigkeit gesehen –, sich die Ausgaben anzugucken. Das werden jetzt Christian Lindner und diese Koalition nachholen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition hat sich sehr viel vorgenommen. Ich glaube, wir sollten nicht in eine Aufrechnung eintreten, welcher Partner sich wie in diesem Koalitionsvertrag durchgesetzt hat.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Insgesamt ist dieser Koalitionsvertrag ein solides, ein gutes Dokument, auf dessen Basis wir die nächsten vier Jahre gemeinsam gestalten werden. Wenn man die Debatte der letzten zwei, drei Tage verfolgt, wird deutlich: Zentral ist, dass Christian Lindner Erfolg hat als Finanzminister, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Meyer, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– um die Spielräume für all die anderen guten Themen und Projekte, die wir miteinander vereinbart haben, zu schaffen. Hier freue ich mich auf die Zusammenarbeit. Hiermit nehmen wir Verantwortung für die Zukunft wahr. Dafür danke ich Ihnen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. – Vielleicht können die Haushaltspolitiker mal nachrechnen, was es bedeutet, wenn jeder seine Redezeit um eine Minute überzieht, und was am Ende des Tages dabei herauskommt. Das wäre doch eine gute Aufgabe. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Mit dem Titel „Steuerentlastungen in Höhe von mehr als 30 Milliarden Euro“ wurden wir dieses Jahr begrüßt. Und ja, alle Achtung: Ihre Marketingabteilung hat zehn von zehn Punkten verdient. Der Titel auf der Seite der größten Zeitung dieses Landes hat mit Sicherheit Eindruck gemacht, aber nur zwei Tage lang. Ich danke allen Fachjournalisten, die sich in den Tagen danach auf den Weg gemacht haben, diesen 30 Milliarden Euro hinterherzuspüren. Und völlig begründet titeln dann am nächsten Tag das „Handelsblatt“: „Lindners Taschenspielertrick“ oder die „Welt“: „Die Steuer-Schwindelei des Christian Lindner“. ({0}) Unterlegen wir die 30 Milliarden Euro mal kurz mit Zahlen. Mathias Middelberg hat auf die 5 Milliarden Euro für die Rentenbesteuerung schon hingewiesen. Daneben ist allein bei einer Inflation von 3 Prozent die Anhebung des Grundfreibetrags und des Kinderfreibetrags, die verfassungsrechtlich geboten sind, mit 23 Milliarden Euro für diese Legislaturperiode zu finanzieren. Das sind dann 28 Milliarden Euro. Zu Ihren 30 Milliarden fehlen noch 2 Milliarden; das, verteilt auf vier Jahre, heißt, dass sich Ihr gesamtes steuerpolitisches Konzept für diese Legislaturperiode im Rahmen von 500 Millionen Euro pro Jahr abspielt. ({1}) Sie haben in Ihrem Interview in der „Bild“-Zeitung – zu Recht – nicht näher ausgeführt, was Sie damit machen wollen. ({2}) Das haben Sie heute nachgeholt. Alleine die beiden Maßnahmen Homeoffice-Pauschale und Pflegepauschale bekommen Sie mit diesen 500 Millionen Euro nicht finanziert. So wichtig diese Maßnahmen für die Betroffenen sind: Wenn das das finanzpolitische Programm für diese Legislaturperiode ist, dann mache ich mir deutlich Sorgen. ({3}) Sie haben die Ausweitung des Verlustrücktrags angesprochen; das ist eine wichtige Maßnahme. Aber wenn ich dann lese, was in Ihrem Wahlprogramm noch alles versprochen wurde – die Abflachung des Mittelstandsbauchs, eine wichtige Maßnahme; Spitzensteuersatz nur für Spitzenverdiener, das würden wir sofort unterstützen; die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags, an der Sie ja den Koalitionsvertrag mit uns haben scheitern lassen –, dann stelle ich fest: All diese Maßnahmen haben es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. ({4}) Auch nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat es der Freibetrag für die Grunderwerbsteuer. Stattdessen schwurbelt Herr Dürr bei der Frage, welche Förderprogramme im Bundeshaushalt reduziert werden sollen, über das Baukindergeld. Da die Frist für das Baukindergeld aber längst abgelaufen ist, können Sie eine Einsparung nur erzielen, wenn Sie rückwirkend in die Fristen eingreifen. Ich kann Ihnen schon jetzt den Widerstand unserer Fraktion ankündigen. Das ist mit uns nicht zu machen. Lassen Sie die Finger vom Baukindergeld! ({5}) Den zweiten Hinweis, wo Sie Geld aus dem Bundeshaushalt hernehmen wollen, gibt Herr Dürr im gleichen Interview: Man sollte doch endlich mal die Personalkosten der aufgeblähten Bundesregierungsverwaltung reduzieren. ({6}) Sie haben in der Kommunikation einen Fehler gemacht: Sie haben die 324 zusätzlichen Stellen, die Sie für Ihre Regierung geschaffen haben, zwei Tage vor diesem Interview öffentlich gemacht, sodass bei ntv und den Zeitungen der Einsparungsvorschlag von Herrn Dürr genau neben der Ausweitung der Personalstellen steht, und ehrlich gesagt: Das kommt ein bisschen blöd. ({7}) Sie haben ein Corona-Steuerhilfegesetz angekündigt. Ich habe Ihnen schon gesagt: Bei den 30 Milliarden Euro haben Sie dafür überhaupt keinen Spielraum. Aber Sie können ja auch Dinge tun, die nicht so teuer sind. Sie hätten die Abgabefristen für Steuerberater verlängern können; das kündigen Sie jetzt für Ihr Corona-Steuerhilfegesetz an. Wenn ich mal hochrechne, wie lange eine Gesetzgebung braucht, dann komme ich auf drei Monate Minimum. Dann ist die alte Frist schon fast abgelaufen; das können Sie sich dann auch sparen. ({8}) Sie haben gestern die reguläre Frist für eine Stellungnahme zur EU-Taxonomie ablaufen lassen. Sie hätten uns heute sagen können, wie Sie auf Dauer verhindern wollen, dass demnächst EU-Fördermittel in Atomkraftwerke fließen. Die Kollegen von den Grünen haben Sie darauf hingewiesen. Nichts haben Sie in Ihrer Rede dazu gesagt. Sie haben sich sehr oberflächlich zur Vollendung der Bankenunion bekannt. Auch das steht in diesem Sommer an. Ich wüsste sehr gerne, wie Sie die Unterlegung von Staatsanleihen mit Eigenkapital in der EU durchsetzen wollen. Allein der Satz „Wir vollenden die Bankenunion“ ist ziemlich oberflächlich für einen Minister in dieser Legislaturperiode. ({9}) Ich bin sehr gespannt, ob Sie unsere Einladung in den Finanzausschuss annehmen. Das müsste sehr bald passieren; denn dieses Thema ist uns wichtig. Wir wollen die Einlagen der Sparer gesichert haben, und da ist eine Risikoreduzierung in den Bankenbilanzen auf jeden Fall erforderlich. Kindergrundsicherung. Meine Kollegin Lisa Paus weiß, dass ich das für ein gutes Projekt halte. ({10}) Aber eine Kindergrundsicherung, wo Sie bei finanzschwächeren Eltern Geld drauflegen wollen, geht nur mit Haushaltsgeld. In den 30 Milliarden Euro, die Sie erwähnt haben, ist dafür aber kein einziger Euro übrig. Das heißt, Sie können finanziell Schwache nur dann begünstigen, wenn Sie Besserverdienenden etwas wegnehmen. Und auch das entspricht nicht unserer Vorstellung von Familienförderung. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({11}) Letzte Zahl: kalte Progression. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet, dass die kalte Progression bis 2025 30 Milliarden Euro ausmacht. Hoppla, da sind die 30 Milliarden wieder! Sie haben sich einfach vertan. Sie meinten nicht Entlastung, sondern Belastung.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich freue mich sehr auf die Diskussion. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Tillmann. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dennis Rohde, SPD-Fraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage, in der wir diese Debatte führen, ist nicht vergleichbar mit der Debattenlage zu Beginn der letzten oder gar der vorletzten Legislaturperiode. Hatten wir zu diesen Zeitpunkten immer ein starkes Wirtschaftswachstum, große Steuereinnahmen, keine Krise, hatten wir eine Situation, in der wir investieren konnten in die äußere, in die innere und in die soziale Sicherheit dieses Staates, stellt sich die Situation heute anders dar. Aber ich will deutlich machen, dass das, was wir auch in den letzten acht Jahren gemacht haben, nämlich insbesondere die soziale Sicherheit in diesem Staat, die sozialen Netze zu stärken, der Grundstein dafür ist, dass wir heute als Gesellschaft geschlossen in dieser Krise dastehen, mit einigen wenigen Ausnahmen. Ich glaube, das ist auch ein Verdienst der Politik der letzten acht Jahre. ({0}) Da setzen wir heute an, mit großen Vorsorgetiteln, indem wir eine zentrale Botschaft aussenden, vielleicht die zentralste Botschaft der Haushaltspolitik dieser Legislaturperiode in der Pandemie: Wir werden, ob bei Gesundheitsfragen oder bei Wirtschaftsfragen, keinen in diesem Land zurücklassen. Es wird nicht am Geld scheitern. Wir werden den Menschen auch durch die weiteren Wochen und Monate dieser Krise helfen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir wollen – wir diskutieren in der nächsten Sitzungswoche noch mal den Nachtragshaushalt – nicht nur kurzfristig wirksame Maßnahmen ergreifen, sondern wir wollen diese Krise langfristig, dauerhaft, nachhaltig beenden. Wir wollen die Transformation dieses Landes hin zur CO2-Neutralität anschieben. Das ist auch einer der Schwerpunkte der Haushaltspolitik in dieser Legislaturperiode. ({2}) Wir haben uns vorgenommen, 2023 wieder die verfassungsgemäße Schuldenbremse einzuhalten. Wir wollen 2023 nicht noch einmal eine außergewöhnliche Notsituation feststellen. Ich will deutlich machen: Das ist nicht allein eine finanz- oder haushaltspolitische Zielstellung, das ist ein gesellschaftspolitisches Ziel; denn das bedeutet, dass wir uns nicht mehr in einer außergewöhnlichen Notsituation befinden, das bedeutet, dass die Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften, nicht mehr nachhaltig eingeschränkt ist. Ich finde, das sollte unser aller Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich habe gerade gesagt: Wir werden große Investitionspakete schnüren, um diese Krise nachhaltig zu beenden. Das ist uns Sozialdemokraten auch besonders wichtig. Wir haben im Wahlkampf immer gesagt: Wenn wir jetzt anfangen, gegen diese Krise anzusparen, machen wir es noch schlimmer. Dieser Staat braucht Handlungsmöglichkeiten. Keine neuen Schulden zu machen, an der Einnahmesituation nichts zu verändern, hätte dazu geführt, dass es zu der wahrscheinlich größten Streichung im Bundeshaushalt aller Zeiten gekommen wäre. Und das hätte den wirtschaftlichen Aufschwung in diesem Land abgedrosselt. Dagegen haben wir uns immer gewehrt. Dieser Koalitionsvertrag ist ein Bekenntnis zu Investitionen und zum nachhaltigen Wachstum, und das begrüßen wir sehr. ({4}) Wir haben in den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag nicht nur an die Bundesebene gedacht; denn wir wissen ja: Das Gros der staatlichen Investitionen kommt nicht vom Bund, nicht von den Ländern, sondern das Gros der staatlichen Investitionen findet auf der kommunalen Ebene statt. Wir haben Kommunen, die so überschuldet sind – übrigens meistens unverschuldet, weil sie einen erheblichen Strukturwandel zu schultern hatten –, dass sie keine Möglichkeit mehr haben, zu investieren. Das ist eine große Investitions- und Nachhaltigkeitsbremse. Deshalb haben wir uns vorgenommen, eine Altschuldenregel für diese Kommunen auf den Weg zu bringen. Ich appelliere an die Bundesländer, die massiv betroffen sind, insbesondere auch an NRW: Gehen Sie den Weg dieser Bundesregierung mit! Er gibt Kommunen Handlungsmöglichkeiten und stärkt diesen Staat. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rohde.

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Die Redezeit ist zu Ende; ja, so ist das. ({0}) Herr Kollege Rohde, bei uns kam aber auch irgendwie an, dass die Rede zu Ende ist; also thematisch war sie jedenfalls zu Ende. ({1}) Nächster Redner ist der Kollege Kay Gottschalk, AfD-Fraktion. ({2})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Na ja, inhaltlich war die Rede auch ziemlich am Ende. – Aber lassen Sie mich eingangs sagen – das habe ich von Herrn Kahrs gelernt; man darf ja gesellschaftspolitisch reden –: Was für ein trauriges, mittelmäßiges Sittengemälde geben Sie hier in dieser Debatte ab! Angefangen mit der CDU: 16 Jahre Regierungsverantwortung mit der SPD! Und von den Linken will ich hier gar nicht sprechen an dieser Stelle, meine Damen und Herren. Herr Lindner, was Sie hier verkündet haben, ist nichts anderes als der Fünfjahresplan einer ökologisch-sozialistischen Planwirtschaft. Das hatten wir schon mal in der DDR, und das ist an die Wand gefahren, meine Damen und Herren. ({0}) Ich hatte eigentlich gehofft, dass diese Ampel wenigstens einige Trümmer der 16 Jahre währenden Ära Merkel, sozusagen der Trümmerfrau Merkel, beiseiteräumt. Damit wird man allerdings den Trümmerfrauen Deutschlands nicht gerecht; denn sie haben dieses Land aufgebaut. Sie, Frau Merkel, haben dieses Land – das sieht man heute – wirklich demontiert und filetiert. Herr Scholz, Ihre SPD hat im zurückliegenden Wahlkampf auf Plakaten mit „Respekt für dich“ geworben. Wo ist eigentlich der Respekt, Herr Bundeskanzler und Herr Lindner, für die Millionen von Ungeimpften in diesem Land? Sie wollen nicht von Spaltung sprechen. Sitzen Sie vielleicht schon im Kanzlerbunker, Herr Scholz? Nehmen Sie die Realität, nehmen Sie das, was da draußen los ist, noch zur Kenntnis? Nein, ich glaube, nicht. Genauso ist es mit Ihrer Finanz-, Wirtschafts- und Steuerpolitik, Herr Lindner. Sie verraten alle Grundsätze der liberalen Partei, die die FDP einmal war. Kommen wir aber zu einigen Inhalten. Sie sprachen in Ihrer Rede davon, dass der Stabilitätspakt im Kern funktioniert habe. Meine Damen und Herren, wir haben 16 Jahre unentwegten Rechtsbruch der Vorgängerregierung erlebt. Und Sie schaffen es nach einem Monat Regierungszeit, mit Ihrem Nachtragshaushalt, mit 60 Milliarden Euro, die Sie umwidmen, einen Rechtsbruch zu begehen. ({1}) Angefangen hat es mit der rechtswidrigen Eurorettungspolitik. Und Sie beklagen die Inflation? Ja, die EZB kann nicht reagieren, weil sie die Dolce-Vita-Staaten des Südens finanzieren muss. Wenn sie nämlich jetzt Zinserhöhungen vornehmen würde, was würde dann mit den Staatshaushalten Italiens, Frankreichs, Portugals oder Spaniens passieren? Und Sie sagen: Im Kern hat es funktioniert. – Italien hat mittlerweile eine Staatsschuldenquote von 144 Prozent, Frankreich von 115 Prozent, nach oben galoppierend. Die Vorgabe war mal 60 Prozent. Wo funktioniert denn da der Stabilitätspakt im Kern, Herr Lindner? Wovon träumen Sie? ({2}) Was Sie hier abliefern, ist Rechtsbruch, Rechtsbruch, Rechtsbruch, aber kein Aufbruch, Herr Lindner. Wahrlich nicht! Sie sprachen, meine Damen und Herren, davon, dass Sie das Gespenst der Inflation vertreiben wollen. Nein, Sie haben es alle zusammen hier auf den Plan gerufen. Was bedeuten galoppierende Inflation, niedrige Zinsen oder Negativzinsen? Sie sind nichts anderes als die nackte Enteignung von Sparern, Rentnern – der Kollege von der CDU hat vergessen, sie zu erwähnen – und Geringverdienern. Dafür sind Sie alle, von der CDU angefangen bis zu den Grünen und der SPD, verantwortlich. Sie saßen 16 Jahre in der Regierung. Sie waschen sich nicht mit einem Monat Opposition und klugen, teilweise aber auch mittelmäßigen Sprüchen frei. Sie tragen genauso Verantwortung für das, was wir in diesem Lande gerade erleben. ({3}) Ich möchte aber auch sagen: Sie haben einfach nur kopiert, was wir als Antrag unserer Fraktion eingebracht haben; Sie haben es erwähnt. Die AfD-Fraktion wird Ihre Ehrlichkeit messen, liebe Kollegen von der CDU. Wir werden den „Tarif auf Rädern“ ein zweites Mal ins Plenum einbringen, um unabhängig vom Gutdünken und von der Gnade unseres Finanzministers Lindner und anderer Politiker die Menschen mittels des „Tarifs auf Rädern“ zu entlasten. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie sind herzlich eingeladen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, auch Sie müssen zum Schluss kommen.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– dann Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und zu zeigen, ob Sie bei guten Anträgen, ({0}) die auch vom Bund der Steuerzahler kommen, mitgehen. Lassen Sie endlich Ihre hier aufgeführte Ablehnung von guten Anträgen unserer Fraktion beiseite!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Gottschalk, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir werden Sie an Ihren Taten messen und nicht an Ihren Worten. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Gottschalk, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es wäre doch eine soziale Maßnahme, Herr Lindner – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen. Sie sind nun von meiner Gnade abhängig, aber die hat ein Ende. Sie müssen zum Schluss kommen. Sie haben jetzt noch einen Satz.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das weiß ich. Dann komme ich zum Schluss. – Ich wünsche diesem Land viel, viel Glück mit dieser Regierung. Unser Land wird es brauchen; denn das, was Sie hier heute abgeliefert haben, ist kein guter Ausblick, meine Damen und Herren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gottschalk. – Nur fürs Protokoll: Das waren 44 Sekunden über die Redezeit. ({0}) – Herr Gottschalk, ich will das gar nicht mit Ihnen diskutieren. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Sie die Redezeit deutlich überschritten haben. Wenn das jeder Redner machen würde, unabhängig von Ihnen, dann haben wir heute noch eine Nachtsitzung. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Beck, Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Lieber Herr Bundesminister Lindner, schon in Ihrer Antrittsrede haben Sie Ihr Haus, das BMF, als Ermöglichungsministerium bezeichnet. Das gefällt mir wirklich sehr gut; denn genau so sehe ich es: Geld und Finanzen, das sind Mittel zur Gestaltung. ({0}) Was wir als Ampel gestalten wollen, ist klar: eine Zukunft raus aus dem fossilen Zeitalter in ein neues Zeitalter der Erneuerbaren, einen Aufbruch in einen neuen industriellen Wohlstand, mehr Frieden und Zusammenhalt in Deutschland, Europa und weltweit. Was mir mit meiner Rede heute ein besonderes Anliegen ist: Lassen Sie uns auch im Rahmen des neuen Vorschlags der EU-Kommission zur Taxonomie für nachhaltige Investments für diese, für unsere positive Zukunft einsetzen! ({1}) Denn dort werden absurderweise die alten Energieformen Atom und übergangsweise auch Gas als „nachhaltig“ gelabelt, als wären sie Teil der positiven Zukunft, die wir gestalten wollen. Ich bin heilfroh, dass Deutschland klar gegen Atom ist, und das aus drei Gründen, die hier wohl noch einmal genannt werden müssen: Erstens: physische Unsicherheit. Tschernobyl! Fukushima! Selbst in Frankreich mussten im Dezember 2021 vier Reaktoren der modernsten Generation aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden. Zweitens: Generationengerechtigkeit. Wollen wir den radioaktiven Müll für Jahrtausende den kommenden Generationen aufbürden? Drittens. Unwirtschaftlich ist Atomenergie auch. Sie ist deutlich teurer als Erneuerbare, selbst ohne die Kosten für Atommüll einzuberechnen. Dass kein privater Versicherer voll in Haftung gehen will, zeigt – ich zitiere Sie, Herr Lindner –, „dass es sich nicht um eine nachhaltig verantwortbare Energiequelle handeln kann“. ({2}) Und bezüglich der Taxonomie: Es ist absurd, den Kapitalmärkten jetzt sagen zu wollen, dass Atom, dieses Fossil aus der Vergangenheit, die Zukunft unserer Gesellschaft mitgestalten soll. Die Lust auf grüne Investments ist enorm. Ich bringe 14 Jahre Praxiserfahrung in Wirtschaft und Finanzen mit. Da draußen sind laut Bloomberg Intelligence geschätzt 53 Billionen Dollar – das ist mehr als ein Drittel des gesamten privaten Anlagevermögens –, die bis 2025 in Nachhaltigkeit investiert werden wollen. Doch sie wollen wirklich grüne Investments und kein Greenwashing. Diverse große Kapitalmarktakteure und Kapitalmarktakteurinnen, darunter auch deutsche Unternehmen wie Allianz oder Munich Re, haben daher in mehreren offenen Briefen die EU-Kommission aufgefordert: Verwässert uns die grüne Taxonomie nicht! Denn Kapitalmarktakteure können Risiken berechnen, und Atom und Fossile sind nicht die Zukunft. ({3}) Die Zukunftsrendite liegt in den Erneuerbaren. Einfache und klare Regeln will der Kapitalmarkt, keine Hintertüren und Verwässerungen. Auch für Kleinanleger/-innen wäre ein solches nur vermeintlich grünes Siegel einfach eine Täuschung. Was neben einem guten grünen Label bisher eher gefehlt hat, ist ein ausreichender Umfang an zukunftsfähigen Investitionsprojekten. Die gute Nachricht: Das ändern wir jetzt mit dem von Robert Habeck vorgelegten Klimaschutz-Sofortprogramm. Das ist ein Startschuss für Tausende wirklich grüne Industrieprojekte, die sich über nachhaltige Investments sehr freuen werden. ({4}) Ich möchte mit einer Einladung enden. Wir als Ampel möchten Deutschland bei Sustainable Finance zum führenden Standort machen. Lassen Sie uns den eigentlich sehr guten Marktmechanismus Taxonomie retten und gemeinsam zum Erfolg machen! Selbst das französische staatliche Label „Greenfin“ schließt Atomenergie aus. Also lassen Sie unseren Führungsanspruch zur Realität werden! Deutschland, diese Regierung, wir haben doch Gewicht in Europa. Daher möchte ich Sie bitten, das ganze Gewicht Deutschlands in Europa einzubringen. Lassen Sie es uns versuchen! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hause – und ich gucke Sie alle an –: Sprechen Sie mit Ihren Abgeordnetenkolleginnen und ‑kollegen im EU-Parlament, um dort ausreichend Stimmen gegen den Kommissionsvorschlag zu organisieren! ({5}) Liebe Minister/-innen, bitte nutzen Sie Ihre Minister/-innenrunden mit Ihren EU-Kollegen, um vielleicht doch noch weitere Staaten zu einem Nein zu bewegen! Das Finanzministerium ist Ermöglichungsministerium, und wir können Ermöglichungsland und ‑regierung sein. Lassen Sie es uns wagen! Herzlichen Dank. ({6})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei einer Generalaussprache zu den Bereichen Haushalt und Finanzen dürfen die Belange der Kommunen und die finanziellen Auswirkungen auf die Kommunen natürlich nicht fehlen. Ehrlicherweise spielten die Kommunen in der bisherigen Debatte genau ein Mal eine Rolle; der Kollege Schrodi hat es einmal erwähnt. ({0}) – Der Kollege Schrodi hat es ziemlich ausführlich erwähnt, ({1}) wenngleich ich die Interpretation etwas anderes vornehmen würde. ({2}) Die Ziele im Koalitionsvertrag lese ich wohl. Sie streben leistungsfähige Kommunen mit einem hohen Maß an Entscheidungsfreiheit an. Dadurch werden natürlich viele Chancen, Hoffnungen und Erwartungen geweckt. Aber ehrlicherweise ist keine einzige dieser Maßnahmen finanziell hinterlegt, und das macht mir natürlich große Sorgen. Die Kommunen müssen finanziell leistungsfähig sein, und sie sollen möglichst selbstständig sein. Ich glaube, bei all den Herausforderungen, die vor uns liegen, kann man sagen, dass diese ganzen Maßnahmen nur mit den Kommunen umgesetzt werden können oder gar nicht. Meine große Sorge ist es, dass Anspruch und Wirklichkeit hier weit auseinandergehen werden. Denn schon jetzt sind finanzielle Mehrbelastungen erkennbar, die auf die Kommunen zukommen. Sie sind auch gar nicht mehr zu diskutieren. Als Beispiel möchte ich die finanzielle Mehrbelastung bei der Integration von Flüchtlingen oder bei der weiter auszubauenden Kinderbetreuung nennen. Ich werde wenige Beispiele nennen, um anzuführen, wo meine Sorge vielleicht verstärkt wird, dass die Kommunen eher geschwächt denn gestärkt werden, wenn das Koalitionsprogramm so umgesetzt wird. Erstens. Förderprogramme sollen fortgesetzt, wenn nicht sogar ausgeweitet werden. Das hört sich erst einmal gut an. Aber am Ende ist es ein süßes Gift für die Kommunen; denn die Schere zwischen strukturstarken und strukturschwachen Kommunen wird sich eher vergrößern denn verkleinern. Warum? Arme Kommunen können die Kofinanzierung bei den Förderprogrammen, die initialisiert werden, zum Teil gar nicht mehr stemmen. Vor allen Dingen haben sie noch nicht einmal die Kapazitäten, weder zeitlich noch personell, um solche zusätzlichen Programme zu stemmen. Insbesondere wirken Förderprogramme immer nur befristet und nicht strukturell. Deswegen würde ich mir sehr wünschen, Herr Finanzminister, wenn Sie die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen dadurch stärken, dass wir endlich eine strukturelle Diskussion darüber führen, wie wir die Lasten gerecht verteilen. Dazu gehören aber Bund, Länder und Kommunen an einen Tisch; denn wir dürfen nie vergessen, dass für die auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen zuvörderst die Länder verantwortlich sind. ({3}) Hier würde ich mir eine federführende Rolle durch Sie wünschen. Das werde ich noch mehrmals anmerken. Ich werde in Zukunft sicherlich daran erinnern. Zweitens. Die Koalition plant eine enge Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das hört sich gut an, aber hier drohen nichts anderes als weitere Vorgaben des Bundes in Bereichen, für die der Bund gar nicht zuständig ist. Das ist aus meiner Sicht Misstrauen gegenüber den Kommunen und die teilweise Abkehr von der Subsidiarität und der Vielfalt, die unser Land erst stark gemacht haben. Deshalb: Schaffen Sie klare Zuständigkeiten und damit die Entscheidungsfreiheit bei den Kommunen, und drehen Sie nicht durch Mischzuständigkeiten Ergebnisse früherer Föderalismusreformen zurück! ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Berghegger, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte gerne fortsetzen. Drittens. Sie verabschieden sich von dem eigenen Ziel der Konnexität, bevor die eigentliche Arbeit beginnt; denn Sie wollen laut Koalitionsvertrag, dass bei neuen Aufgaben, die der Bund auf andere Ebenen übertragen will, stärker auf die Ausgewogenheit der Finanzierung geachtet wird. Damit wird ehrlicherweise eine finanziell fragwürdige Arbeit fortgesetzt; denn wir haben schon in der letzten Legislaturperiode Gesetze aus SPD-geführten Häusern gehabt, wo Anspruch und Wirklichkeit in der Kostenkalkulation deutlich auseinandergegangen sind. So waren zum Beispiel beim Angehörigen-Entlastungsgesetz die Belastungen in der Praxis am Ende viel höher als vorher kalkuliert. Und der Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter musste sogar im Vermittlungsausschussverfahren nachgebessert werden. Achten Sie in Zukunft bitte auf den Unterschied zwischen Theorie und Praxis! Das wohlformulierte Ziel höre ich schon. Ich sehe nur große Sorgen und Risiken für die Zukunft. Deshalb: Wenn wir Sie auf dem richtigen Weg begleiten sollen, dann kommen Sie auf uns zu. Wir werden Sie konstruktiv begleiten. Vielen Dank fürs freundliche Zuhören. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Berghegger. – Herr Kollege Schrodi, nun kommt eine erste Rede, und dann kommen noch zwei weitere erste Reden aus der SPD-Fraktion. Kleinen Moment, Frau Kollegin. Bei uns gilt der Grundsatz: Ich rufe auf, und dann kommen Sie. ({0}) Nächste Rednerin mit ihrer ersten Rede ist die Kollegin Dagmar Andres, SPD-Fraktion. ({1})

Dagmar Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005009, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte vielmals um Entschuldigung. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! ({0}) Sehr geehrter Herr Bundesminister der Finanzen! Ihnen, Herr Minister Lindner, gratuliere ich herzlich zum neuen Amt, und ich danke Ihnen für den ausführlichen Ausblick auf unser gemeinsames Arbeitsprogramm der nächsten Jahre. Ich freue mich ganz besonders darüber, dass auch das ursozialdemokratische Thema Steuern aktiv angepackt wird. Dazu wurde schon viel gesagt. Einige Punkte möchte ich gerne vertiefen. Auch wenn „Steuern“ im ersten Moment nicht immer besonders sexy klingt, muss man sagen, dass Steuern etwas Positives sind. Sie verteilen die Kosten unserer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht auf alle. Negativ, also etwas Schlechtes, sind Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und aggressive Steuergestaltung. Deshalb freue ich mich, dass wir im Koalitionsvertrag Übereinstimmung darin erzielen konnten, dass wir einen Dreiklang umsetzen wollen: Steuerentlastungen für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, Steuerersparnis für Unternehmen durch Investitionen und Kampf nicht nur gegen den sowieso schon illegalen Steuerbetrug und die Steuerhinterziehung, sondern auch gegen die bisher noch legale, aber nicht legitime Steuergestaltung. Das, liebe CDU, ist absolut nicht kleinteilig. ({1}) So sichern wir Steuereinnahmen, Steuergerechtigkeit und einen soliden Haushalt. Im Einzelnen. Erstens: steuerliche Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen. Die Rentenversicherungsbeiträge werden wir schon früher als ursprünglich geplant vollständig steuerfrei stellen. Wir werden den steuerpflichtigen Teil der Renteneinkünfte, anders als bisher, jährlich nur um einen halben Prozentpunkt steigern. Daraus folgt, dass die vollständige Besteuerung der Rente eben nicht schon ab 2040, sondern erst ab 2060 anfällt. Wir werden die Geltendmachung der Homeoffice-Pauschale für Arbeitnehmer/-innen verlängern, den Ausbildungsfreibetrag erhöhen und die Familienbesteuerung weiterentwickeln. Zum Thema „kalte Progression“, liebe CDU, das immer gerne als Argument für Steuersenkungen angeführt wird, schauen Sie sich doch bitte einmal die letzten 30 Jahre an. Die kalte Progression wurde durch Tarifsenkungen mehr als kompensiert. ({2}) Zweitens: Steuerersparnis für Unternehmen durch Investitionen. Wir wollen, dass die 2020er-Jahre das Jahrzehnt starker Zukunftsinvestitionen werden. Wer in die Zukunft investieren will, der muss in der Gegenwart vorfinanzieren. Wir wollen, dass Unternehmen insbesondere in Klimaschutz und Digitalisierung investieren, also Superabschreibungen. Oder eben verkürzt: Wenn Unternehmen in Digitalisierung und/oder Klimaschutz investieren, werden sie Steuern sparen. Außerdem werden wir die Möglichkeit der erweiterten Verlustverrechnung verlängern und den möglichen Verlustrücktrag auf die zwei vorangegangenen Veranlagungszeiträume ausweiten. Liebe CDU, auch dadurch sparen die Unternehmen Steuern, wenn sie Gewinne erzielt haben; die werden Ihre Kritik nicht gut finden. ({3}) Drittens: Vermeidung von Steuergestaltung und Steuerbetrug. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich den allseits bekannten NoWaBo zitieren: „Briefkastenfirmen haben nur eine Berechtigung, wenn sie Briefkästen herstellen.“ ({4}) Deutschland wird eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung von aggressiver Steuergestaltung übernehmen. Die von Olaf Scholz auf den Weg gebrachte globale Mindestbesteuerung für Großunternehmen werden wir zügig umsetzen. Wir werden die Betrugsanfälligkeit bei der Mehrwertsteuer bekämpfen, sowohl durch eine Registrierkassenpflicht als auch durch ein bundesweites elektronisches Meldesystem für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen; zack, schon können abgeführte Umsatzsteuer und verrechnete Vorsteuer nicht mehr voneinander abweichen. Wir werden die Geldwäsche bekämpfen, und zwar durch grundsätzliche Ausweitung des Informationsaustauschs und dadurch, dass Immobilien nicht mehr bar bezahlt werden können. Brötchen beim Bäcker um die Ecke werden zunehmend digital bezahlt, während Immobilien für mehrere Millionen Euro bisher immer noch mit dem Bargeld aus dem Köfferchen bezahlt werden können. Das ist nicht korrekt. Wer sein Geld auf ehrliche Art und Weise verdient und korrekt versteuert und wer auch korrekte Grunderwerbsteuer zahlen will, der hat kein Problem damit, beim Immobilienerwerb zukünftig den Kaufpreis eben nicht bar zu zahlen. ({5}) Ich komme zum Ende. Mein Fazit: Da ich ein großer Fan von Steuergerechtigkeit bin, bin ich ebenfalls ein Fan unseres Koalitionsvertrages, mit dem wir mehr Fortschritt und mehr Gerechtigkeit wagen. Ich freue mich sehr auf die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen im Finanzausschuss. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Andres. – Nächster Redner ist der Kollege Albrecht Glaser, AfD-Fraktion. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr Fortschritt soll es im Lande geben. Was ist das, und wie soll das gehen? ({0}) Die Koalition will einen europäischen Staat und damit die Auflösung der nationalstaatlichen Demokratien. Hier, in diesem Reichstag, wird dann ein Regierungspräsidium eingerichtet, das die Politik einer Oligarchie in Brüssel exekutiert; zum Thema Taxonomie haben Sie ja einen kleinen Vorgeschmack gegeben. Zu Finanzen, Staatsschulden und Währung gibt es im Vertrag nicht einmal einen Unterabschnitt. „What ever it takes“ ist offensichtlich der Schwerpunkt der Koalition, zu Deutsch: Geld spielt keine Rolle. Schon die Finanzkrise 2008 war eine Staatsschuldenkrise. Mit 2 Billionen Euro wurde der Gesamtstaat, mit 1 Billion Euro davon der Bund, verschuldet – die höchsten Schulden seit der Staatsgründung. Der Bund hat seitdem nichts getilgt. Die Coronakrise ist der Anlass, in den Jahren 2020 bis 2022 den vorhandenen Schuldenstand um 470 Milliarden Euro, also um fast 50 Prozent, zu erhöhen. Dazu kommen noch 94 Milliarden Euro als Tilgungslast vorwiegend für Schulden anderer EU-Staaten. Das ist ein manifester Verstoß gegen die EU-Verträge. Die Extremverschuldung wird begleitet von der höchsten Inflation seit 1990 und einer kaputten Gemeinschaftswährung, die nicht einmal ein Schatten der D‑Mark ist. Das EZB-Gebäude ist deshalb so groß, damit man die über 4 Billionen angekauften Staatsanleihen auch aufbewahren kann – ebenfalls ein manifester Verstoß gegen die EU-Verträge. ({1}) Die Bürger in Deutschland werden durch die Inflation jährlich um 150 Milliarden Euro enteignet – über ein paar steuerliche Kleinigkeiten zum Thema Steuerentlastung oder Steuerbelastung muss man gar nicht reden –, mit Folgen für die Alterssicherung und alles, was dranhängt. Dafür werden ihnen Steine statt Brot angepriesen: 48 Prozent Eckrente, keine Beitragserhöhung und keine Altersgrenzenerhöhung beim Renteneintritt. Wer ein bisschen was von Renten versteht, weiß, dass das Voodoo-Land ist. ({2}) Apropos Voodoo-Land: Afghanistan ist überall. Die medialen Lobpreisungen des Euro durch den neuen Finanzminister hören sich an wie die Schilderungen des früheren Außenministers über Afghanistan kurz vor dessen Zusammenbruch. ({3}) Der Finanzminister spricht von einem „bahnbrechenden Aufbaufonds für Europa". Dass die jährliche deutsche Beitragsleistung an die EU von derzeit unter 30 Milliarden Euro sehr zeitnah, in den nächsten Jahren, auf über 60 Milliarden Euro steigen wird, erwähnt er nicht. Und zudem: Die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses der EU spricht von der hohen Wahrscheinlichkeit der Fehlleitung der Aufbaumittel, von manipulierten Vergaben und von einer fehlenden Kontrollmöglichkeit der EU. Die Koalition – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – hat keine Verbindung zur Wirklichkeit, oder sie täuscht die Öffentlichkeit ganz bewusst über die fatale Lage dieses Landes. Der gierige Griff nach öffentlichen Ämtern ist keine Grundlage, um die nächsten vier Jahre politisch zu überleben. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Glaser. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen Schwurbeleien möchte ich zur Sachpolitik zurückkommen. ({0}) – Herr Gottschalk, Sie sind nicht mehr dran; Sie hatten Ihre Zeit. Herr Minister Lindner, ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen und Ihrem Haus. Dass das schon sehr gut funktioniert, zeigen die Beratungen zum Nachtragshaushalt. Ich freue mich auf das, was in der Zukunft noch kommen wird. Wir als Ampel haben einen großen Auftrag in der Haushalts- und Finanzpolitik. Wir wollen nicht weniger, als die großen Veränderungen dieser Zeit anzugehen, und das sind die ökologische, aber auch die soziale und digitale Transformation unserer Gesellschaft und unserer Volkswirtschaft. Und ich sage ganz bewusst, dass wir damit jetzt anfangen müssen. Es geht um einen Startschuss. Weil in den letzten Jahren so viel Zeit verplempert wurde, weil so viel nicht passiert ist, müssen wir jetzt endlich loslegen mit dieser neuen Regierung. ({1}) Wie viel Zeit wir verloren haben, das hat die Eröffnungsbilanz zum Klimaschutz von Robert Habeck in dieser Woche noch mal sehr eindrücklich gezeigt. Dabei geht es ja um nichts Abstraktes. Beim Klimaschutz und bei der Einhaltung unserer Klimaziele geht es um die zentrale Rettung unserer Lebensgrundlagen als Menschen; es geht um die zukünftigen Freiheitsrechte der nachfolgenden Generationen. Deswegen freue ich mich, dass nach Jahren der Arbeitsverweigerung die neue Bundesregierung jetzt mit einem sehr klaren Startprogramm, mit einem neuen Klimaschutzsofortprogramm loslegt und diese Aufgabe kraftvoll anpackt. ({2}) Dafür brauchen wir natürlich eine Haushalts- und Finanzpolitik, die das möglich macht. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung sehr deutlich aufgezeigt, dass die 20er-Jahre ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen sein sollen und dass wir dafür alle Möglichkeiten nutzen werden, die uns im Haushalt gegeben sind. Wir werden in den kommenden Haushaltsberatungen einen sehr klaren Schwerpunkt auf Zukunftsinvestitionen legen. ({3}) Gleichzeitig – darauf haben der Minister und auch Dennis Rohde hingewiesen – werden wir mit den ökonomischen, sozialen und gesundheitspolitischen Folgen der Pandemie massiv zu kämpfen haben. Gerade für die Bewältigung der ökonomischen Folgen ist es notwendig, dass wir auf öffentliche Investitionen setzen. Das ist quasi der nachhaltige und starke Elektromotor, um aus dieser Krise herauszukommen. Wir denken die Bewältigung der Pandemie und die Klimakrise zusammen. Das haben wir mit diesem Nachtragshaushalt schon sehr deutlich gemacht. ({4}) Ich wundere mich doch etwas über die Kritik der Union an diesem Nachtragshaushalt; denn alle ernstzunehmenden ökonomischen Sachverständigen in der Anhörung am Montag haben noch mal sehr deutlich gemacht, dass die Pandemie massive ökonomische Einschnitte in unsere Volkswirtschaft hatte und in den nächsten Jahren noch haben wird. Professor Jens Südekum hat darauf hingewiesen, dass wir durch die Pandemie ein ökonomisches Long Covid haben werden; Kollege Schrodi hat das erwähnt. Gleichzeitig ist in der Anhörung sehr deutlich geworden, dass der Nachtragshaushalt dabei hilft, diese ökonomischen Schäden abzufedern und zu beseitigen. Wir wollen dieses ökonomische Long Covid mit öffentlichen Investitionen bewältigen. Öffentliche und private Investitionen sind sozusagen das Impfen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Deswegen sagen wir sehr klar: Wir wollen eine Investitionsspritze für unsere Volkswirtschaft, um diese Pandemie auch ökonomisch nachhaltig zu überwinden. ({5}) Übrigens ist auch internationaler Standard, dass man das macht. In Italien, in Spanien, in den USA, in Kanada, in Großbritannien, in Südkorea, überall verbinden große Industriestaaten die Überwindung der ökonomischen Folgen der Pandemie mit Klimaschutz und Transformation. ({6}) Ich wundere mich schon, dass das von der Union jetzt so massiv infrage gestellt wird. Was Sie im Kern wollen, ist, Deutschland wirtschaftspolitisch und finanzpolitisch international zu isolieren. Das werden wir nicht zulassen. Wir werden klarmachen, was unser Weg ist: wirtschaftliche Erholung und Klimaschutz zusammendenken. ({7}) Wir müssen natürlich auch darüber reden, wie wir in Europa nachhaltig aus der Pandemie kommen. „Next Generation EU“ ist ein sehr zentraler Baustein und ein wichtiges Instrument gewesen, um diese Pandemie zu überwinden und gleichzeitig ökonomisch und digital in den nächsten Jahren in die Zukunft zu investieren. Wir haben im Koalitionsvertrag aber auch gesagt, dass wir bei der Frage der europäischen digitalen Netze, bei der Frage der Schieneninfrastruktur, bei der Frage von Forschung und Entwicklung, beim Klimaschutz in diesem nächsten Jahrzehnt natürlich weitergehen müssen. Wir brauchen eine europäische Investitionsoffensive. Die wollen wir gemeinsam mit den europäischen Partnern angehen, und dafür werden wir in der Bundesregierung und im Parlament die Initiative ergreifen. ({8}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch aus der demokratischen Opposition, ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit im Haushaltsausschuss. In den kommenden Haushaltsberatungen werden wir viel zu tun haben. Lassen Sie es uns angehen! Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kindler. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Florian Oßner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, man könnte Bundesfinanzminister Christian Lindner schon ein wenig als den Lucky Luke der deutschen Politik bezeichnen, als den Mann, der schneller umfällt als sein eigener Schatten. ({0}) Kaum in Regierungsverantwortung, hat sein Versprechen für solide Finanzen gerade einmal fünf Tage gehalten. Das dürfte ein Negativrekord sein. Heute habe ich Ihrer Rede entnommen und gelernt, dass Sie jetzt auch noch gegen eine Unternehmensteuerreform sind. Also, da frage ich mich schon: Wo ist der Markenkern der FDP verblieben? ({1}) Schon der erste Nachtragshaushalt der Ampelkoalition belastet nachfolgende Generationen immens, und doch wird bei dieser Bundesregierung – meine Vorredner haben es fast unisono gemacht – viel von Nachhaltigkeit gesprochen. Das, was Sie hier machen, ist alles andere, aber wirklich auch alles andere als nachhaltig mit Blick auf die Zukunft unseres Landes. Was macht es auch für einen Sinn, rückwirkend für das letzte Jahr zusätzliche Schulden zu machen, mit der Begründung, man wolle kurzfristige wirtschaftliche Impulse setzen, um der Pandemie entgegenzuwirken? Das ist jetzt für das Jahr 2021 zu spät. Das Ganze ergäbe nur Sinn, falls man das Geld für zahlreiche zukünftige Ausgabewünsche bunkern wollte. So macht man aber viel Vertrauen in die Fiskalpolitik kaputt, welches 16 Jahre Unionsregierung mühsam aufgebaut hat. ({2}) Es geht ausschließlich darum, die Schuldenbremse auszuhebeln, und das wäre glatt verfassungswidrig. ({3}) Die Anhörung mit Fachexperten und Bundesrechnungshof am Montag war bezeichnend. Dem Bundestag wurde sogar empfohlen, den Haushalt abzulehnen; ich denke, eine wirklich einmalige Situation.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Oßner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke, FDP-Fraktion?

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja natürlich, sehr gerne.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das verlängert auch die Redezeit.

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Fricke, Sie haben das Wort.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Oßner, das sind hier sehr komplexe Vorgänge. Ihr Ministerpräsident hat es bereits vorgemacht und uns gezeigt, dass die Landesgruppe der CSU und deren Abgeordnete mit komplexen Gesetzgebungsvorgängen so ihre Schwierigkeiten haben. Deswegen möchte ich da doch noch einmal nachfragen. ({0}) Kann ich Ihre Äußerungen zum Nachtragshaushalt so deuten, dass Sie der Meinung sind, dass die Bundesrepublik Deutschland sich in diesem Jahr nicht mehr in einer Notsituation befindet?

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Fricke, erst einmal herzlichen Dank für die Frage. Ich lasse jetzt den ein Stück weit arroganten Teil zu Beginn ohne Wertung weg. ({0}) Ich denke, jeder hat seine Blickweise auf den Haushalt. Aber nein, das widerspricht sich in keiner Weise. Wenn Sie sagen, dass in 2022 die Pandemie nach wie vor besteht, dann können Sie in dem Haushalt 2022 die veranschlagten Ausgaben verbuchen und nicht rückwirkend in 2021. ({1}) Das ist der Buchungstrick, den wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({2}) Der Haushaltsentwurf 2022 würde, wie bereits gesagt, ausreichend Möglichkeit bieten, die im Koalitionsvertrag angekündigten Klimaschutzprojekte in Richtung der Grünen einzubringen. Das wäre, meine lieben Ampelkoalitionäre, ehrliche Finanz- und Haushaltspolitik. Erlauben Sie mir, zu den Bereichen Digitales und Verkehr auch noch ein paar Takte zu sagen, weil es mir wirklich am Herzen liegt. Die links-gelbe Koalition bremst Projekte aus, wo sie beschleunigen müsste, siehe Straßenbaumoratorium, sie heizt Preise an, wo sie dämpfen müsste, siehe Energiepreise, und sie vernichtet Anreize da, wo sie welche setzen sollte, siehe alternative Kraftstoffe wie E‑Fuels bzw. Wasserstoff. Für mich ist das ein absolutes Desaster für den Mobilitätsstandort Deutschland. ({3}) Zum Breitband- und Mobilfunkausbau verliert die sogenannte Fortschrittskoalition nur wenige Worte. Der flächendeckende Glasfaserausbau wird ausgebremst – zum Leidwesen vieler Bürger, die auf schnelles Internet angewiesen sind. Wiederum zeigt sich, dass vor allem der ländliche Raum der große Verlierer Ihrer Politik ist. Bitte vergessen Sie mir nicht über die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung, liebe neue links-gelbe Regierung! ({4}) Die Rekordinflation macht das Leben in Deutschland immer teurer. Gleichzeitig fressen Niedrigzinsen das Ersparte vieler Bürger auf. Wer 60 Milliarden Euro mit fraglicher Verfassungsmäßigkeit bunkern kann, sollte auch in der Lage sein, zügig eine Steuertarifanpassung auf den Weg zu bringen. Die Union hatte in den vergangenen Jahren stets die Vermeidung von heimlichen Steuererhöhungen – Stichwort „kalte Progression“ – gegen die SPD durchgesetzt. Unter der Ampel droht diese Politik der Entlastung nun völlig unter die Räder zu kommen. Es werden zwar Steuererleichterungen versprochen, welche am Ende jedoch keine sind, weil von der Vorgängerregierung schon längst beschlossen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident. ({0}) Früher hieß es immer: Die Roten können nicht mit Geld umgehen – das gilt wohl nun für alle in der rot-grün-gelben Koalition. Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Oßner. – Ebenfalls zu ihrer ersten Parlamentsrede erhält nun die Kollegin Wiebke Papenbrock, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Wiebke Papenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin neu im Deutschen Bundestag und bin im Haushaltsausschuss zuständig für das Auswärtige Amt. Weil es zu meinem heutigen Thema passt und ich darauf gleich noch einmal zurückkommen werde: Ich habe ein Auslandsjahr in Neuseeland verbracht. Warum erzähle ich das? Weil ich dank eines Arbeitsvisums selbst davon profitiert habe, dass Deutschland Abkommen trifft, die es uns ermöglichen, andere Länder und Kulturen besser oder überhaupt erst kennenzulernen, und das ist keine Selbstverständlichkeit. Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, den internationalen Austausch weiter zu fördern. Aber werfen wir zunächst einen kurzen Blick zurück. Die frühere Bundesregierung hat in den internationalen Beziehungen viel auf den Weg gebracht und viel investiert. In der Vergangenheit wurden zum Beispiel die Goethe-Institute gestärkt. Davon gibt es weltweit 158 in 98 Ländern. Ihre Aufgabe ist es, das Bild Deutschlands und die deutsche Kultur im Ausland zu repräsentieren ({0}) und die deutsche Sprache zu pflegen. Die Institute exportieren im besten Fall Dialog und Meinungsfreiheit in Länder, in denen beides keine Selbstverständlichkeit ist. ({1}) 70 Millionen Euro haben die Goethe-Institute und die deutschen Auslandsschulen mit dem Nachtragshaushalt 2020 jeweils zusätzlich erhalten, um pandemiebedingte Einbußen aufzufangen. Was möchte nun diese Bundesregierung erreichen? Dass die Welt sich ändert und Spannungen zunehmen, sehen wir ganz deutlich an den Grenzen Europas und sehen es natürlich an den vielen Krisenherden in der Welt, an der Flüchtlingskrise in Belarus, an den humanitären Krisen und an den Bürgerkriegen in Jemen, im Sudan und in Äthiopien, und das sind längst nicht alle. Hier wollen, hier müssen wir den Zugang zu humanitärer Hilfe verbessern, und wir müssen auch den Helferinnen und Helfern vor Ort mehr Schutz zukommen lassen. ({2}) Schon jetzt macht die humanitäre Hilfe im Etat des Auswärtigen Amtes ein Drittel aus. Diese Hilfe ist überlebenswichtig für Millionen Menschen. ({3}) Deshalb werden wir die Mittel für die humanitäre Hilfe erhöhen, zum Beispiel für Afghanistan. Die Entwicklung des Landes hat uns alle im letzten Jahr stark berührt. Um hier eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, werden wir die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen finanziell und personell unterstützen. ({4}) Für unsere gemeinsamen außenpolitischen Ziele ist eine Kooperation mit unseren Partnern in der Welt enorm wichtig. Es gibt auch andere Beispiele. So ist und bleibt Großbritannien auch nach dem Brexit einer unserer engsten Partner außerhalb der EU. ({5}) Auch diese Zusammenarbeit wollen wir weiter pflegen und intensivieren. Insgesamt wollen wir solche Programme ausbauen, die unterschiedliche Gesellschaften, Kulturen und Menschen zusammenbringen. Hier denke ich zum Beispiel an die Bildungspolitik. Zu ihr gehören auch die deutschen Schulen im Ausland. Dieses Netz soll ausgebaut werden. Wir wollen das Interesse an unserem Land bei jungen Menschen stärken. Wir wollen, dass sie gerne in unsere Schulen kommen und Lust haben, unsere Sprache und unsere Kultur kennenzulernen. ({6}) Hier komme ich auf den Beginn meiner Rede zurück. Wir wollen die persönliche Begegnung und den persönlichen Austausch von Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen stärken, damit viele so eine schöne und bereichernde Erfahrung machen können, wie ich sie mit Anfang 20 in Neuseeland machen durfte, und auch damit Deutschland seiner Verantwortung für Frieden, für die Wahrung der Menschenrechte und für die Bekämpfung von Krieg und Armut in der Welt nachkommt. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Papenbrock. – Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung wird dazu aufgefordert, bei der Aufstellung der Bundeshaushalte 2019 ff. den Bundeszuschuss zum Energie- und Klimafonds, EKF, bis 2021 so weit wie möglich abzubauen. Diese Mittel aus dem Sondervermögen EKF sollen wieder aus Gründen der Haushaltsklarheit in die Ressorthaushalte rückstrukturiert werden. ({0}) Das ist ein Antrag der FDP aus dem Jahr 2018. Kaum ist Christian Lindner Finanzminister, macht er genau das Gegenteil von dem, was er vorher gefordert hat. ({1}) Er befüllt nämlich genau dieses Sondervermögen mit 60 Milliarden Euro für rot-gelb-grüne Wahlgeschenke unter Umgehung der Schuldenbremse und zulasten der nächsten Generation. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich lese nur einen Satz aus dem Gutachten des Bundesrechnungshofes vom 6. Januar 2022 zu Ihrem Nachtragshaushalt vor: Der Bundesrechnungshof hält den Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushalts – Sie wollen diesen in der nächsten Sitzungswoche beschließen – 2021 für verfassungsrechtlich zweifelhaft. So etwas bringen Sie unter dem Thema Haushaltsklarheit ein. Letztlich wird das überprüft werden müssen. Anders gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Finanzpolitik mit Christian Lindner, das ist ein bisschen wie Hütchenspielen. Am Anfang wird ein satter Gewinn in Aussicht gestellt, dann wird getrickst, dann wird geschoben, und am Ende haben alle weniger Geld in der Tasche. ({2}) Im Bereich Steuern, liebe Kolleginnen und Kollegen, schreibt die „WirtschaftsWoche“ am 2. Januar 2022: „Christian Lindner erlebt sein Rendezvous mit der Realität.“ Bei keiner Partei klaffen Wahlversprechen und Koalitionsvertrag in dieser Weise auseinander. ({3}) Was ist von Ihren Forderungen geblieben? Vollständiger Abbau des Soli: nichts davon im Koalitionsvertrag umgesetzt. Mittelstandsbauch, kalte Progression abschaffen, Tarif auf Rädern: nichts davon im Koalitionsvertrag umgesetzt. Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen: nichts davon im Koalitionsvertrag umgesetzt. Steuerentlastung für Familien und eine moderne Unternehmensbesteuerung – heute haben Sie es noch einmal abgelehnt –: nichts davon im Koalitionsvertrag umgesetzt. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Einzige, was umgesetzt wurde, sind Sie hier im Parlament. Wenn man übrigens von hier vorne schaut, weiß man auch, warum: weil Sie nach links gezogen sind. Sie haben damit genau das widergespiegelt, was Ihre aktuelle politische Haltung ist. ({5}) Die FDP hat immer gesagt: Wir wollen nicht nur als Steuersenkungspartei wahrgenommen werden. – Ich kann Sie beruhigen. Mit Christian Lindner wird Ihnen das garantiert nicht mehr passieren. ({6}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Das Schöne an ersten Reden ist ja: Man wird mit warmem Applaus empfangen, man wird während der Rede nicht unterbrochen, und das Präsidium ist sehr großzügig mit der Redezeit. Von diesem Recht kann jetzt der Kollege Dr. Thorsten Rudolph, SPD-Fraktion, bei seiner ersten Rede Gebrauch machen. ({0})

Dr. Thorsten Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005194, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, mit einem Zitat beginnen: „Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir jemals in der Menschheit gestanden haben.“ Das hat Friedrich Merz gesagt. Eine richtige Erkenntnis, immerhin. Aber so groß diese Herausforderung, völlig unbestritten, auch ist, sage ich trotzdem: Wenn es nur der Klimawandel wäre! Denn wir müssen zugleich auch die rasante Digitalisierung und die notwendige Transformation unserer Wirtschaft bewältigen, eine Herausforderung, die von der Größenordnung her nicht zu Unrecht mit der industriellen Revolution verglichen wird. Wir müssen als drittes Megathema mit dem demografischen Wandel umgehen. Die schon jetzt an allen Ecken und Enden in Deutschland fehlenden Fachkräfte sind nur die ersten Vorboten davon, was uns da erwartet. Damit nicht genug! Diese dreifache Herausforderung aus Klimawende, Digitalisierung und demografischer Entwicklung stellt sich in einem deutlich raueren internationalen Umfeld. Deutschland und Europa müssen sich in einem nicht selten rücksichtslosen Wettbewerb mit China und den USA behaupten. Um es mit einem Bild zu sagen: Wir stehen am Ostseestrand und hoffen, dass sich die Coronawolken endlich verziehen; aber wir wissen schon, dass sich da etwas zusammenbraut. Was sich da zusammenbraut, sieht aus wie der perfekte Sturm. Die gute Nachricht: Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP nimmt diese dreifache Herausforderung an und arbeitet mit Hochdruck und mit großer Ernsthaftigkeit daran, dass wir unser Land so schnell wie möglich wetterfest machen. Endlich! ({0}) Genau deshalb wollen wir und werden wir die 2020er-Jahre – Kollege Kindler hat es auch gesagt – zu einem Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen machen: in Klimaschutz, in Digitalisierung, in Bildung, in Forschung und in die Infrastruktur. Währenddessen stehen CDU und CSU – aller Erkenntnis zum Trotz – daneben und erklären der deutschen Öffentlichkeit fortwährend, was aus ihrer Sicht alles nicht geht. Vorschläge, wie wir diese dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen finanzieren wollen: Fehlanzeige. ({1}) Verantwortung für Deutschland, meine Damen und Herren, sieht anders aus. Das betrifft im Übrigen auch die Diskussion, ob der Bundestag 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen an den Klimafonds übertragen darf. Es ist unstreitig, dass der Staat in einer solchen außergewöhnlichen Notsituation Impfstoff kaufen, Krankenhäuser finanzieren und Unternehmen helfen können muss. Es ist ebenfalls unstreitig, dass der Staat allgemeine konjunkturstützende Maßnahmen ergreifen kann, zum Beispiel durch eine temporäre Mehrwertsteuersenkung, wie wir sie gemacht haben. Jetzt geht es, rechtlich gesehen, um eine weit weniger weitreichende Maßnahme. Statt ganz allgemein die Konjunktur zu stützen, sollen die Mittel ausschließlich investiv eingesetzt werden und dann auch nur für solche Investitionen, die zukunftsgerichtet die Transformation unserer Wirtschaft und die Klimawende beschleunigen. Ökonomisch sinnvoll ist das ohnehin, gerade weil die wirtschaftliche Entwicklung so fragil ist und weil wir aufgrund der Pandemieentwicklung auch jederzeit mit Rückschlägen rechnen müssen. Daran ändert im Übrigen sowohl rechtlich als auch ökonomisch nichts, dass diese Mittel nicht sofort abfließen. Investitionen haben immer einen Vorlauf. Aber die Unternehmen reagieren eben immer sofort und passen ihre Planungen an, weiten ihre Kapazitäten aus und stellen Mitarbeiter/-innen ein. Das hat eben eine unmittelbar konjunkturstützende und stabilisierende Wirkung. ({2}) Das, meine Damen und Herren, brauchen wir in Anbetracht der aktuellen Unsicherheit. Das ist eine verantwortungsvolle Politik. Wir machen diese Politik, und dann sitzen wir auch bald wieder bei Sonnenschein am Ostseestrand. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Rudolph. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.

Cem Özdemir (Minister:in)

Politiker ID: 11002746

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Sonntag hat sich die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ fast zwei Seiten Platz genommen, um sich mit der Situation von Landwirtinnen und Landwirten in der Bundesrepublik Deutschland zu beschäftigen. Ich kann allen nur die Lektüre dieses Artikels ans Herz legen. Der Titel lautet: „Der Landwirt am Limit“. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Er berichtet von dem enormen Druck, dem Landwirte ausgeliefert sind, ökonomisch, physisch, aber vor allem auch psychisch: harte Arbeit, Sorgen ums Einkommen, sogar Anfeindungen statt Anerkennung. Meine Damen und Herren, es geht hier um die Menschen, die dafür sorgen, dass wir täglich unser Essen auf dem Tisch haben. Da darf man gerne auch einmal Danke dafür sagen. ({0}) Unsere Landwirtschaft geht uns alle an. Wir alle, jede und jeder Einzelne von uns profitiert von der großartigen Leistung, die auf unseren Höfen erbracht wird. Wir alle leben im wahrsten Sinne des Wortes davon. Da wir alle betroffen sind, wird es dann schnell auch einmal persönlich, emotional und nicht selten auch holzschnittartig; ich hab das als Reaktion auf die ersten Äußerungen schon mitbekommen. Ich freue mich auf die Debatte; denn wenn wir sie ernsthaft führen, dann trägt sie vielleicht auch dazu bei, uns die Leistungen der Landwirtschaft ins Bewusstsein zu rufen. Wir müssen weiterkommen. Dazu wäre es gut, wenn wir die Aufregungsökonomie einfach einmal hinter uns ließen. ({1}) Einfach nur mit dem Edding durch den Supermarkt gehen, die Preise auf den Schildern durchstreichen und höhere Preise dranschreiben, das wird nicht die Lösung sein. ({2}) Aber ich will auch klar sagen: Es ist nicht in Ordnung und es ist vor allem auch nicht alternativlos, wenn die Landwirtin und der Landwirt von dem Euro, den der Kunde im Laden für das Schweinefleisch ausgibt, gerade einmal 22 Cent bekommt, meine Damen und Herren. Das ist einfach eine Sauerei. Das kann man ändern, das muss man ändern, und diese Koalition wird das ändern. ({3}) Ich bin nicht bereit, ein ausbeuterisches System einfach weiter hinzunehmen, das auf Kosten der Menschen geht, das auf Kosten der Tiere geht, das auf Kosten der Umwelt geht und das auf Kosten des Klimas geht. ({4}) Worum geht es? Man kann es vielleicht in drei Punkten zusammenfassen: Erstens geht es darum, dass alle hochwertige und bezahlbare Lebensmittel bekommen. Zweitens geht es darum, dass die Landwirte Wertschätzung erfahren. Aber Wertschätzung alleine reicht nicht, um davon zu leben, sie brauchen auch Wertschöpfung. Beides gehört zusammen. Dann geht es schließlich drittens darum, dass wir dabei Klima, Umwelt, Artenvielfalt schonen und die Tiere artgerecht behandeln. Ich will alle diese drei Enden des Zieldreiecks zusammenbringen. Das ist ein riesiges gesellschaftliches Ziel; aber wir haben auch etwas davon. Dort, wo es Landwirte gibt, dort gibt es auch gesellschaftlichen Zusammenhalt. In einer Landschaft, wo es keine Landwirte mehr gibt, da zerfällt auch der gesellschaftliche Zusammenhalt. Da geht die Dorfkultur kaputt, wenn es keinen Metzger mehr gibt, wenn es keinen Bäcker mehr gibt, wenn nicht vor Ort geschlachtet wird. Dann haben wir auch Probleme, dass Radikalisierung stattfindet. ({5}) Ich habe gesagt: Wer Tiere nutzt, hat auch die Pflicht, sie bestmöglich zu schützen. Was haben wir gemacht? Statt dass wir Ställe für die Tiere bauen, haben wir die Tiere an den Stall angepasst, um noch den allerletzten Effizienzgewinn herauszuholen. Ställe sind aber keine Abstellflächen. ({6}) Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Landwirte bei dem Umbau der Nutztierhaltung zu unterstützen – das können sie nicht alleine –, noch in diesem Jahr durch die Einführung einer transparenten und verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung. Es ist Zeit genug dafür. ({7}) Aber wenn es dem Tier besser geht, dann müssen das halt auch der Bauer und die Bäuerin im Portemonnaie spüren. Dazu werden wir uns die gesamte Wertschöpfungskette entlang der Lebensmittelkette anschauen. Wir wollen die Asymmetrien zulasten der Erzeuger endlich beenden. Dazu müssen wir uns ehrlich machen. Landwirtschaftspolitik muss natürlich sozial sein, aber sie ersetzt doch nicht Sozialpolitik, meine Damen, meine Herren. ({8}) Ich habe mir die Reaktionen angeschaut; wir werden es in der Debatte nachher möglicherweise hören. Ich halte nichts davon, die Gruppen gegeneinander auszuspielen. ({9}) Unsere Koalition hat sich vorgenommen, gute Sozialpolitik zu machen und gute Landwirtschaftspolitik. Da steht kein „oder“ dazwischen, sondern ein „und“. ({10}) Ernährungspolitik ist auch soziale Politik. Ich sage das auch als Arbeiterkind. Wir wollen nicht akzeptieren, wenn Menschen mit geringem Einkommen ein statistisch deutlich gesteigertes Risiko haben, chronisch zu erkranken. Das kostet auch Lebenschancen. Man kann es auch positiv wenden: Es hat etwas mit Wertschätzung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun, wenn sie gutes Essen in der Kantine bekommen und wenn das Wertvollste, was wir haben, unsere Kinder, in der Mensa in der Schule gesundes Essen, möglichst regional angebaut, bekommen. Daran spart man nicht. ({11}) Ich bin stolz darauf, dass mein Haus, das Landwirtschaftsministerium, gleichzeitig auch das Ernährungsministerium ist. Gesunde Ernährung ist die Grundlage für unser aller Wohlbefinden. Deshalb wollen wir umgehend eine Ernährungsstrategie erarbeiten. Das Ziel ist: weniger Zucker, weniger Fette, weniger Salz in unseren Produkten. Wir wollen auch die skandalöse Lebensmittelverschwendung endlich effektiv reduzieren. Wir wollen regionales ökologisches Essen in der Gemeinschaftsverpflegung stärken. Landwirtschaft und Forstwirtschaft stehen auch im Fokus, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht. Sie sind Opfer extremer Trockenheit, von Wetterkapriolen, wenn die Jahreszeiten nicht mehr dann stattfinden, wenn sie stattfinden sollen; aber sie sind auch Treiber der Klimakrise durch Futtermittelimporte aus den Tropen, eine steigende Intensivierung und den Einsatz von energieintensiv produzierten Pestiziden und Mineraldüngern. Ich will, dass sie künftig Teil der Lösung sind, indem wir endlich beginnen, die Potenziale der Kohlenstoffspeicherung zu heben: Schutz der Moore, gezielter Humusaufbau, klimaresilienter Waldumbau, Neu- und Wiederbewaldung, Stärkung regionaler Kreisläufe. All das steht in dem Koalitionsvertrag, und den wollen wir abarbeiten. ({12}) Wir haben uns auch darauf verständigt, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 zu erreichen, und zwar nicht nur in der Fläche, sondern auch im Supermarktregal. Auch dafür werden wir eine Strategie vorlegen. Es ist richtig, dass der ökologische Landbau unser agrarisches Leitbild bleibt: weniger Pestizide, weniger Dünger und mehr Natur. ({13}) Dazu gehört, dass wir in dieser Legislaturperiode ein Konzept vorlegen werden, wie wir die GAP zu einer besseren Honorierung von Leistungen für Klima, für Umwelt und Gesellschaft weiterentwickeln. Mir geht es darum, die Selbstbestimmung der Landwirte zu stärken. Dazu bekommen die Bäuerinnen und Bauern endlich Planungssicherheit. Die fehlte bislang. Wenn wir gerade dabei sind: Die Bäuerinnen und Bauern haben es auch verdient, dass sie hier und da ein bisschen vor den falschen Freunden in der Politik geschützt werden, ({14}) die sie vermeintlich vor den Brüsseler Vorgaben schützen, wie man es jetzt an der Nitratbelastung im Grundwasser sehen kann. Diese Koalition hat sich darauf verständigt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit das laufende Vertragsverletzungsverfahren beendet wird. ({15}) Wir wollen das Klima und die Artenvielfalt schützen. Das gilt bei uns im Land; aber ich wäre ein schlechter Minister, wenn ich vergessen würde, dass das auch den Rest der Welt betrifft. Wir rechnen falsch, wenn wir Klimaschutz bei uns einfordern, aber nicht schauen, was in der Vorproduktion passiert. Genau deshalb bin ich dankbar dafür, dass in der Koalitionsvereinbarung auch die entwaldungsfreien Lieferketten stehen. Es gehört dazu, dass wir auch hier einen guten Job machen. ({16}) Meine Damen, meine Herren, wir haben uns in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen, große Räder zu drehen. Zum Glück müssen wir das Rad nicht neu erfinden; ich kann auf großartige Arbeit zurückgreifen. Denken Sie an die Zukunftskommission Landwirtschaft, denken Sie an das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung; die haben tolle Ideen entwickelt. ({17}) Was bislang aber fehlte – jetzt ist es an der Zeit –, Herr Kollege, ist, dass die tollen Ideen endlich umgesetzt werden. Es gibt kein Erkenntnisproblem, es gibt ein Anwendungsproblem. Genau das zu lösen, habe ich mir vorgenommen. ({18}) Meine Damen, meine Herren, ich biete Ihnen an, dass wir eng zusammenarbeiten. Die Themen, die wir uns vorgenommen haben, geht man nicht mit 51 Prozent gegen 49 Prozent an. Lassen Sie uns zusammenarbeiten, zum Wohle von allen! Herzlichen Dank. ({19})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Özdemir. – Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger, CDU/CSU-Fraktion, der jetzt die Präsidentin begrüßen darf. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir, zu Ihrem Amtsantritt wünsche ich Ihnen seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und auch persönlich alles Gute. Wir werden Sie stets begleiten als wachsame, als kritische Opposition, aber auch als politische Kraft, die gute und richtige Vorschläge unterstützt. ({0}) Vorschläge haben Sie in den zurückliegenden fünf Wochen seit Ihrer Ernennung wirklich schon etliche gemacht. Der Abdruck des Gepäckträgers Ihres Fahrrads war wahrscheinlich noch auf der Ernennungsurkunde des Bundespräsidenten zu erkennen, schon haben Sie sich den nächsten Titel in der Bundesregierung verdient, nämlich den des Ankündigungsministers. Höhere Preise für Lebensmittel, damit politisch verordnete Speisepläne, staatliche Vorgaben für den Zucker- oder Salzgehalt von Lebensmitteln, keine Strafen fürs Containern: Dieser Bundesminister verspricht wie noch keiner vor ihm. ({1}) Die Ernennung zum Bundeslandwirtschaftsminister kam für Sie wahrscheinlich auch etwas überraschend; denn ansonsten hätten Sie dafür sorgen können, dass sich diese vielen schönen Ankündigungen im Koalitionsvertrag wiederfinden. Grundlage der Politik der Bundesregierung sind diese ganzen Vorhaben und Ankündigungen laut Koalitionsvertrag nicht. Im Koalitionsvertrag steht jedenfalls sehr wenig dazu. ({2}) Vielleicht wollen ja die Redner von SPD und FDP gleich noch erläutern, wie sie sich zu den einzelnen Vorschlägen stellen. Leider muss ich Ihnen ohnehin sagen: Auch wenn Sie so tun, als ob mit Ihnen alles ganz neu würde, werden auch Sie die natürlichen und wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Erfordernisse nicht neu erfinden können. ({3}) Auch unter einem Bundesminister Özdemir wird die Henne das Ei legen. Auch unter einem Bundesminister Özdemir wird es hoffentlich so etwas wie persönlichen Geschmack und freie Konsumentenentscheidung geben; das ist im Übrigen auch gut so, meine Damen und Herren. Auch unter einem Bundesminister Özdemir bewegen wir uns im EU-Rechtsrahmen und auf dem EU-Binnenmarkt sowie im internationalen Handel und auf globalen Märkten mit harter Konkurrenz und enormem Preisdruck. Auch unter einem Bundesminister Özdemir sollten die Ernährungssicherung für alle mit möglichst fairen Preisen und die Einkommenssicherung unserer Landwirte ganz wesentliche Hauptaugenmerke der Agrarpolitik sein. ({4}) Mit Verlaub, Herr Minister, diese zentralen Erkenntnisse kommen mir bei den Botschaften, die Sie bislang ausgesendet haben, viel zu kurz. Viele Verbraucher werden mit steigenden Lebensmittelpreisen belastet und sorgen sich, dass sich diese Spirale so weiterdreht, mal ganz abgesehen von den Lasten durch die allgemeine Teuerungsrate und die Entwicklung der Energiepreise. Das sind Sorgen, die auch Familien haben, die auch Menschen mit mittleren Einkommen haben. All diese Menschen spielen in Ihren Interviews und in Ihren Reden – so auch heute – zuverlässig keine Rolle. ({5}) Herr Minister Özdemir, Sie sagen, gerade der Preis für Fleisch müsse die ökologische Wahrheit wiedergeben. Das hört sich gut an. Ich frage Sie aber: Was soll das konkret heißen? Wie hoch muss denn aus Ihrer Sicht der Preis für ein Schnitzel, für eine Currywurst, für das Kilogramm Hackfleisch sein? ({6}) Mit Ihren Ankündigungen zu höheren Lebensmittelpreisen erreichen Sie nur eines: Sie sorgen für Verunsicherung. ({7}) Damit wir uns richtig verstehen: Auch wir wollen qualitativ hochwertige Lebensmittel, die unseren Landwirten ein gutes Einkommen sichern. Wir wollen Lebensmittel, die in Deutschland produziert werden und nicht irgendwo im Ausland, wo oft deutlich geringere Auflagen für Tierhaltung, Umwelt und Klimaschutz bestehen. Wir wollen eine Stärkung der regionalen Erzeugung, dadurch neue Wertschätzung und Wertschöpfung in unseren ländlichen Räumen. ({8}) Und wir wollen Lebensmittel, die sich alle leisten können, nicht nur die grüne Wählerschaft, meine Damen und Herren. ({9}) Das alles zu gewährleisten, Herr Bundesminister, und nicht nur so zu tun, als ob die Lebensmittel in Deutschland allesamt zu Ramschpreisen über die Ladentheke gingen, ist Ihre Aufgabe; denn so ist es nun wirklich nicht. Sie haben sich selbst als obersten Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte bezeichnet. Diesen Ruf müssen Sie sich erst noch verdienen. Einiges, was im Koalitionsvertrag steht, passt gar nicht dazu. Auch Ihren Hinweis – gestatten Sie mir diese Anmerkung –, Landwirte sollten den Wandel in der Landwirtschaft mit Cannabisanbau gestalten, finde ich schon reichlich zynisch. ({10}) Überhaupt passt die Begeisterung für die Legalisierung einer schädlichen Droge nicht ganz dazu, dass Sie andererseits den Menschen zum Schutz ihrer Gesundheit vorschreiben wollen, wie viel Zucker oder Fett sie über Lebensmittel überhaupt noch zu sich nehmen dürfen. ({11}) Doch zurück zu den Themen, die die Landwirtschaft wirklich bewegen! Von einem Anwalt einer modernen Landwirtschaft erwarte ich auch Mut vor den eigenen Parteifreunden. Sie nehmen am Agrarkongress des Bundesumweltministeriums in der kommenden Woche teil, und ich hoffe, dass die Anliegen der Landwirtschaft nicht komplett grüner Umweltpolitik untergeordnet werden. Vom obersten Anwalt der Landwirte erwarte ich jedenfalls, dass er auch dort klare Worte im Interesse der Landwirtschaft findet. Überzeugen Sie Ihre Parteifreundin, die Bundesumweltministerin Frau Lemke, doch bitte davon, dass der abstrakte Ruf nach weniger Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft so lange unglaubwürdig ist, wie Alternativen dazu nicht vorangebracht werden. Es ist sehr bedauerlich, dass diese Bundesregierung beim Thema „neue Züchtungsmethoden“ offensichtlich positions- und sprachlos ist. Dabei geht es um neue Pflanzensorten, die zum Beispiel dem Klimawandel besser standhalten können. ({12}) Deshalb meine Bitte an Sie: Hören Sie nicht auf die grünen Befindlichkeiten um sich herum! Lassen Sie die großen Chancen, die diese Technologien versprechen, nicht ungenutzt liegen! ({13}) Es ist wichtig, dass ein großer Teil unserer Lebensmittel auch in unserem Land produziert wird. Mit Ihrer Politik laufen wir Gefahr, dass wir immer mehr von Importen abhängig werden. Auch deswegen, um die Erzeuger hierzulande zu unterstützen, müssen Sie moderne Technologien in den Blick nehmen. Herr Minister, wir haben Ihre Ankündigungen vernommen. Wir sind nun gespannt auf Ihre Taten. Überzeugen Sie uns, vor allem aber die Landwirte in unserem Land mit einer Politik, die die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft und des Verbrauchers vertritt, der sich qualitativ hochwertige, aber eben auch bezahlbare Lebensmittel wünscht, mit einer Politik, die Umwelt-, Natur-, und Klimaschutz zu einem guten Ausgleich bringt, ganz ohne Schwarz-Weiß-Malerei, grüne Vereinfachungen und Spaltung. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Matthias Miersch das Wort. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Özdemir, im Namen der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich Ihnen ganz herzlich zu Ihrer Aufgabe gratulieren und Ihnen versichern, dass zumindest mir, mit Ausnahme des baden-württembergischen Slangs, diese Rede wirklich so gut gefallen hat, ({0}) dass wir, glaube ich, sagen können: Sie haben unsere Unterstützung bei jedem hier aufgezeigten Vorhaben. ({1}) Herr Kollege Bilger, ich habe Sie in den letzten Jahren nicht als landwirtschaftspolitischen Experten wahrgenommen; das müssen Sie auch nicht sein. ({2}) Es ist aber schon eine Anmaßung, dann einen Minister, der wenige Tage im Amt ist, als Ankündigungsminister zu bezeichnen, wo doch Mitglieder Ihrer Fraktion jahrelang diesen Ministerposten bekleidet und außer Hochglanz nichts geliefert haben. ({3}) – Nein, Herr Stegemann, das müssen Sie sich jetzt gefallen lassen. Ihre Fraktion ist durchtränkt mit altem Denken, mit Funktionärsdenken, und die Landwirte in diesem Land haben längst verstanden, dass damit die Zukunft nicht zu gestalten ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Das, was Sie über Jahre hier gepredigt haben – und es kam ja auch wieder zwischen den Zeilen: gegen den Markt, gegen die Globalisierung könne man nichts tun –, führt in die Sackgasse. Wir muten an dieser Stelle den Landwirten in Deutschland tatsächlich viel zu, weil wir andere Standards haben wollen. ({5}) Wenn Sie sagen, der Markt müsse das regeln, dann passiert genau das, was wir in der deutschen Landwirtschaft über Jahre beobachten konnten: Die Höfe sterben, und sie werden gerade nicht unterstützt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Miersch, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Springer?

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, die Kollegen sind ja jetzt gleich dran; die können dann darauf erwidern. Das ist die Debattenkultur, die ich da pflege. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will schon sagen, dass Herr Özdemir an einer Stelle die für mich jedenfalls entscheidendste Frage gestellt hat, als er die Bedeutung des Zukunftsfelds Landwirtschaft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt gestellt hat. Wir erleben in den großen Bereichen der Klima-, Corona-, aber auch Landwirtschaftspolitik eine zunehmende Polarisierung dieser Gesellschaft. Daraus ergeben sich keine nachhaltigen Konzepte. Die Sozialdemokratie hat sich gegründet, weil wir gesehen haben, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Deswegen sind die Vorarbeiten der Zukunftskommission Landwirtschaft, in der nicht die Betonköpfe saßen, sondern Menschen, die Empathie gegenüber der anderen Haltung eingenommen und dann Handlungsempfehlungen aufgeschrieben haben, so wertvoll für unsere jetzt anstehende vierjährige Arbeit. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass sowohl die Empfehlungen der Borchert-Kommission, die an einigen Stellen noch konkretisiert werden müssen, als auch die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft gute Grundlagen sind. Ich will mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion noch mal ausdrücklich bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor uns liegen vier sicherlich sehr anstrengende Jahre; denn all die Konzepte, die hier vorgetragen werden, verdienen es natürlich, bei der Umsetzung sehr genau gewichtet zu werden. Ich will, weil ich Susanne Mittag nicht vorgreifen will, einen Punkt nennen: das Tierschutzlabel. Wir haben es in der Großen Koalition dreieinhalb Jahre lang nicht geschafft, dazu einen Kompromiss zu finden. Ich glaube, dass es ein ganz wichtiges Element ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht vom Markt deklarierte Labels vorgesetzt bekommen, sondern der Staat der Allgemeinheit tatsächlich einen Überblick über die Nachhaltigkeit gibt und die Verbraucherinnen und Verbraucher dann entscheiden können. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Landwirte unterstützt werden müssen, wenn sie umstellen. Die Debatte in der Großen Koalition war dreieinhalb Jahre davon geprägt: Mehr Geld ins System, und dann wird das alles schon. – So funktioniert es nicht. Wir haben wissenschaftliche Expertise, die aufzeigt, dass das System an sich krank ist, und deswegen müssen wir an vielen Stellen auch systematisch eine Neuerung angehen, damit Böden geschützt werden, damit Tiere geschützt werden und damit die Landwirte, die jeden Tag arbeiten, tatsächlich auch das verdienen, was sie verdienen sollen. ({1}) Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen – da bin ich mir sicher –, werden wir eine Riesenchance heben, die auch gesellschaftspolitisch gar nicht gering zu schätzen ist und im Übrigen mit der Energiepolitik ganz eng zusammenhängt. Es geht dabei auch um die Stärkung der ländlichen Räume. Die ländlichen Räume mit der Wertschöpfung der Zukunft zu verbinden, ist, glaube ich, ein ganz wichtiger gesellschaftspolitischer Schlüssel. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Springer das Wort.

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Dr. Miersch, Sie haben Ihre Rede damit begonnen, sich mit der Aussage an den Landwirtschaftsminister zu wenden, dass er für jedes Vorhaben die volle Unterstützung habe. Nun, eines seiner Vorhaben ist, sich für höhere Lebensmittelpreise einzusetzen – und das angesichts einer Inflationsentwicklung in Deutschland, die für viele Menschen sehr beunruhigend ist. Die Inflation liegt inzwischen bei 5,3 Prozent; die Lebensmittelpreise sind um 6 Prozent gestiegen. Wir haben in Deutschland 7 Millionen Menschen, die Sozialleistungen beantragen müssen, wir haben 13,4 Millionen Menschen, die von Armut bedroht sind, jeder Fünfte arbeitet im Niedriglohnsektor. Da ist das Budget auf Kante genäht; da ist gar kein Geld mehr für weitere Ausgaben, insbesondere deshalb nicht, weil aufgrund der grünen Ideologie und, zugegeben, auch anderer Effekte der Diesel inzwischen unbezahlbar ist. ({0}) Jetzt meine Frage an Sie – es ist eine ganz einfache Ja/Nein-Frage –: Sind Sie auch für höhere Lebensmittelpreise, obwohl Ihr Kanzler mit dem Thema „Soziale Gerechtigkeit“ in den Wahlkampf gezogen ist? Danke schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Möchten Sie erwidern? – Dann haben Sie das Wort.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich weiß nicht, wo Sie eben gesessen haben. Gucken Sie sich die Rede des Landwirtschaftsministers noch mal an! Er hat explizit darauf hingewiesen, dass höhere Preise nicht automatisch auch höhere Vergütungen für die Landwirte bedeuten, und das ist ebenso unsere Meinung. Wenn wir den Landwirten tatsächlich ein Einkommen garantieren wollen, womit gut gewirtschaftet werden kann, werden wir uns das System und die Wertschöpfungskette angucken müssen. Der Bundeslandwirtschaftsminister hat darauf hingewiesen, wie viel von einem Euro bei dem Landwirt landet. Das ist die gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Fragestellung, der wir uns widmen müssen. Und ja, ich sage Ihnen auch: Bei dem, was wir teilweise auch in Supermärkten erleben, ist es nicht mit einer pauschalen Ja/Nein-Frage getan; denn die Lebensmittelpreise haben sehr unterschiedliche Höhen. Die Preise, die am Ende teilweise an den Ladentheken gezahlt werden, haben mit fairem Handel und mit Wettbewerb so wenig zu tun wie mit einer guten Antwort auf die soziale Frage. Letztlich brauchen wir andere Steuerungen, um auf der einen Seite eine gute Sozialpolitik zu machen und auf der anderen Seite Tiere, Landwirte und auch Natur zu schützen. Das, was Sie hier malen, ist ein Schwarz-Weiß-Bild. Das entspricht Ihrer Parteipolitik, die Sie ja überall vertreten; aber damit werden Sie keine Zukunft gestalten können. Insofern: Lassen Sie uns die nächsten vier Jahre ruhig weiter über diese Frage streiten. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Herr Minister! – Der quatscht schon wieder. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss heute ja leider von der Tribüne aus zu Ihnen reden, da sich die Bundesregierung dazu entschieden hat, ({1}) die Spaltung zwischen Geimpften und ungeimpften Gesunden, wie ich einer bin, verstärkt weiterzubetreiben. Aber diese Art von gesellschaftlicher Ausgrenzung kennen wir ja leider auch in der Landwirtschaft. Seit vorgestern sind wir mittendrin in der neuesten professionellen Schmutzkampagne gegen die moderne Landwirtschaft, losgetreten natürlich, wie immer, von den Grünen durch die Veröffentlichung des Pestizidatlas ihrer politischen Stiftung. Dieses Dokument bedient ideologische Vorurteile und dient ausschließlich der Desinformation. Die enthaltenen Zahlen und Daten würden einer wissenschaftlichen Studie oder Überprüfung nicht standhalten. Aber um Fakten geht es den Grünen ja überhaupt nicht. Das ist wie beim Klimawandel oder bei der Coronakrise; auch dabei geht es Ihnen nur um Stimmungsmache. Und in diesem Fall trifft es halt die heimische Landwirtschaft. ({2}) Es wundert einen nicht, dass die grüne Umweltministerin – liebe Landwirte, es tut mir leid, Umwelt und Landwirtschaft sind in grüner Hand – diese Fake News sofort begrüßt hat. Besonders skandalös ist, dass mittlerweile staatliche Behörden, wie das Umweltbundesamt, an solchen unwissenschaftlichen Stimmungsmachen beteiligt sind. ({3}) Herr Özdemir, bei Ihrem Amtsantritt haben Sie lautstark betont, dass Sie der oberste Anwalt der deutschen Bauern sein wollen. Da nehmen wir Sie grundsätzlich beim Wort; aber dann muss ich Sie auch auffordern, dass Sie sich scharf von der Schmutzkampagne Ihrer eigenen Partei distanzieren und sich schützend vor die deutsche Landwirtschaft stellen. ({4}) Eines muss uns allen hier klar sein: Im 21. Jahrhundert ist eine Landwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch – wir sind nicht diejenigen, die irgendwo den Spalt reintreiben; wir brauchen alle –, ohne Einsatz von Pflanzenschutzschutzmitteln undenkbar. ({5}) Denn nur dank Pflanzenschutzmitteln haben wir Ernte- und somit auch Ernährungssicherheit. Ein Verzicht oder Verbot würde die Versorgung mit heimischen und regionalen Lebensmitteln massiv gefährden. Sie müssten den Menschen dann selbst erklären, was das für ein Land wie Deutschland bedeutet, das ja heute schon Nettoimporteur von Lebensmitteln ist. Für eine bauernfeindliche Stimmungsmache wie diese tragen Sie die Mitverantwortung. Immer weniger Bauern wollen überhaupt noch Bauern bleiben. Junge Hofnachfolger überlegen sich angesichts solcher fehlender Wertschätzung, ob sie nicht einfach einen anderen Job wahrnehmen, bei dem sie 30 Tage Urlaub haben und vernünftiges Geld verdienen. Da sollten eigentlich – so wie ich jetzt die Vorredner gehört habe, egal ob von der SPD oder von der Union – die Alarmglocken bei allen schellen. Hinzu kommt auch der immense wirtschaftliche Druck – Sie haben das angesprochen: sie sollen mehr verdienen –, der auf bäuerlichen Betrieben lastet. Jedes Jahr schließen 10 000 Bauernhöfe. Lob und gute Worte, wie jetzt gerade von Ihnen, werden daran nichts ändern. Sie werden daran gemessen werden, ob Sie die Regeln noch weiter verschärfen und somit das Höfesterben vorantreiben. Wenn Sie das Höfesterben vorantreiben, dann werden auch die ländlichen Regionen, die Sie so hoch gelobt haben, sterben. Ich komme aus einer ländlichen Region. Wir haben noch sehr viele Landwirte, aber die sind nicht glücklich mit Ihnen als Minister. Wir als AfD werden auf jeden Fall auch in dieser Legislaturperiode fest an der Seite der deutschen Bauern stehen und uns für gute und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen in der deutschen Landwirtschaft einsetzen; denn Heimat braucht Bauern. Umweltschutz, Landwirtschaft und Tierschutz sind nur mit der AfD möglich. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Während der Kollege Dr. Gero Hocker für die FDP-Fraktion seinen Weg zum Redepult findet und gleich auch das Wort hat, bitte ich alle, zu überprüfen, ob ihnen im Eifer der Debatte gegebenenfalls die Maske von der Nase gerutscht ist, und das zu korrigieren. – Danke. – Sie haben das Wort. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister hat in den vergangenen Tagen und Wochen eine ganz zentrale und existenzielle Frage aufgeworfen, nämlich die Frage, was uns Lebensmittel wert sind. Damit einher geht auch die Frage, was uns die Arbeit derjenigen wert ist, die diese Lebensmittel erzeugen. Natürlich ist der Preis ein zentrales Signal bei dieser Bewertung, aber eben auch nur eines. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass gegenwärtig nur gut die Hälfte der in Deutschland geernteten und produzierten Lebensmittel konsumiert wird, weil der Verbraucher Lebensmittel häufig genug als nicht verbrauchswürdig erachtet, wenn sie bestimmten Normen nicht entsprechen oder in seiner Wahrnehmung unansehnlich sind. Wenn Lebensmittel deswegen nie den Weg in die Regale des Einzelhandels finden, zeigt sich auch daran die Wertschätzung Lebensmitteln gegenüber. ({0}) Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Wir müssen uns da alle ein Stück weit auch selber mit in die Pflicht nehmen. Ich habe den Eindruck, dass in den Jahrzehnten der Überflussgesellschaft viele tatsächlich die Fähigkeit verloren haben, sich bei der Frage, ob ein Lebensmittel noch genießbar ist, auf ihre eigenen Sinne zu verlassen. Allzu häufig werden, wenn sich das Mindesthaltbarkeitsdatum am Horizont auch nur abzeichnet, der ungeöffnete Joghurtbecher und die nicht angebrochene Butter einfach weggeworfen. Meine Damen und Herren, auch das ist eine Frage von Wertschätzung Lebensmitteln gegenüber, die noch genießbar wären. Deswegen müssen wir auch diese Frage umfänglicher beantworten. ({1}) Die Landwirtschaft muss gegenwärtig so viele Herausforderungen erfüllen, die von der Gesellschaft an sie herangetragen werden, wie noch nie zuvor. Trotzdem gelingt es den Landwirten in Deutschland, auf immer weniger Fläche, die ihnen zur Verfügung steht, immer hochwertigere und auch immer mehr Lebensmittel zu erzeugen. Das ist quasi die erfolgreiche Quadratur des Kreises. Man muss das, wenn wir über Wertschätzung diskutieren, hier auch mal so deutlich sagen: Wenn trotz explodierender Bevölkerungszahlen auf diesem Planeten relativ gesehen immer weniger Menschen in der Welt Hunger leiden müssen, dann ist das auch ein Erfolg der modernen Landwirtschaft. So etwas funktioniert nur durch Effizienz und vor allem durch technischen Fortschritt. Es gehört auch zur Wertschätzung, das an dieser Stelle so deutlich zu artikulieren. ({2}) Ich werde häufig gefragt, welches Lebensmittelsiegel aus der Perspektive von Nachhaltigkeit und Tierschutz denn das beste wäre. Meine Antwort ist eigentlich immer die gleiche: Wer gleichzeitig hohe Tierwohlstandards honorieren, Lebensmittel mit geringen CO2-Emissionen konsumieren und etwas für Biodiversität und Nachhaltigkeit tun möchte, der möge bitte vor allem darauf achten, dass die Lebensmittel aus heimischen Gefilden stammen. Wir müssen uns mal ehrlich machen: Sie werden weltweit kaum ein Land finden, das derart hohe Standards für die Tierhaltung und die Lebensmittelproduktion definiert. Deswegen muss es unser aller Aufgabe sein, in die politische Kommunikation einzupflegen, dass der Konsum von in unserem Land erzeugten Lebensmitteln diese Quadratur des Kreises möglich macht. Wir müssen da ehrlicherweise auch den Verbraucher endlich in die Pflicht nehmen; denn es kann nicht sein, dass er immer höhere Standards fordert, dann aber, wenn es zum Schwur kommt, nämlich an der Ladentheke, nicht bereit ist, diese hohen Anforderungen, diese hohen Standards durch einen angemessenen Preis zu honorieren. Auch das ist eine Frage von Wertschätzung. ({3}) Ich gebe gerne zu: Natürlich ist nicht immer für jeden erkennbar, woher die Vorprodukte stammen. Deswegen ist es richtig, dass diese Koalition – das ist übrigens sehr ambitioniert; das haben andere innerhalb von vier Jahren nicht hinbekommen – bereits im Jahr 2022 eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung einführen und das auch europäisch und international ausrollen will. Wir wollen es eben nicht hinnehmen, dass sich der Verbraucher immer wieder doch aus der Verantwortung stiehlt und behauptet, er könne ja nicht nachvollziehen, woher das Lebensmittel stammt. ({4}) Das ist ein großer Schritt auch in Richtung zu mehr Wettbewerbsfähigkeit für Landwirte in Deutschland; denn der Verbraucher wird eben auch in die Pflicht genommen, seinen Worten Taten folgen zu lassen. ({5}) – Ich verstehe fast mein eigenes Wort nicht mehr. Meine Damen und Herren, Landwirte sind vor allem Unternehmer. Sie brauchen keine Almosen, sie brauchen keine Bauernmilliarden. Was sie aber vor allem nicht brauchen, sind nationale Alleingänge, wie das zum Beispiel beim Insektenschutz in den vergangenen vier Jahren allzu häufig der Fall gewesen ist. Sie sind Unternehmer, und deswegen brauchen sie von der Politik vor allem verlässliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie ihre unternehmerischen Entscheidungen, ihre Investitionsentscheidungen verlässlich treffen können. Landwirte brauchen aber eben auch einen Verbraucher, der wahrhaftig ist und seinen Anforderungen Taten folgen lässt. Meine Damen und Herren – das sage ich den Landwirten im ganzen Land und den Menschen in den ländlichen Räumen –, diese Haltung hat meine Fraktion in den vergangenen vier Jahren in diesem Hohen Hause vertreten, und ich kann Ihnen versichern: Sie können sich darauf verlassen, dass wir diese Haltung auch in den kommenden vier Jahren in diesem Hohen Hause vertreten werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu ihrer ersten Rede im 20. Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Ina Latendorf für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern – wie ein Demograf der Universität Greifswald immer sagt: dem ländlichsten aller Räume. Die Stärkung der ländlichen Räume ist ein wesentlicher Bestandteil der Politik meiner Fraktion. Da geht es auch um Daseinsvorsorge, um Infrastruktur, um Mobilität und um gute Lebensbedingungen für alle. Hier muss sich endlich mehr bewegen. ({0}) Die Landwirtschaft ist ein wichtiger, prägender Teil im ländlichen Raum, der verbinden kann, und ein wichtiger Wirtschaftszweig. Daher bedarf die Landwirtschaftspolitik unserer allergrößten Aufmerksamkeit. Aber schauen wir genauer hin. Die Landwirtschaft ist im Umbruch. Große Herausforderungen stehen an: Artenschutz, Klimawandel, artgerechte Tierhaltung, Seuchen – ASP gerade. Dies geht nicht reibungslos. Die Politik der Bundesregierung: natürlich bisher mehr Plan als Tun. Mit dem Blick der sozialen Opposition auf die Pläne der Ampel findet man wenig zu den zentralen Anforderungen an eine zeitgemäße und sozial gerechte Agrarpolitik. In der Rede des Ministers kamen dazu zwar einige Punkte vor, aber, wie gesagt, nicht im Koalitionsvertrag. Ich hätte da mehr erwartet, was verbrieft ist. Ich vermisse völlig Aussagen zur sozialen Absicherung der Landwirtinnen und Landwirte. Ich frage mich manchmal, ob die SPD überhaupt am Verhandlungstisch saß. ({1}) Sie hätten gerade die Erhöhung der Einkommen in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft festschreiben müssen. Ich hätte eine konkrete Forderung zu sozialversicherungspflichtigen Arbeits- und Ausbildungsplätzen und zur Tarifbindung erwartet und ebenso eine Aussage zu den meist völlig unterbezahlten Saisonarbeitern. ({2}) Auch die konkrete Einbeziehung der Landwirte und Landwirtinnen in politische Entscheidungen fehlt mir. Nichts ist zu finden von einer Stärkung ihrer Beteiligung an der Steuerung der Marktprozesse. ({3}) Und ich hätte auch eine Aussage zu einem erleichterten Zugang zu Grund und Boden für die regionale Landwirtschaft erwartet, zum Beispiel durch eine Bodenpreisbremse, um Spekulationen zu verhindern. ({4}) Kurzum: Wir brauchen eine Nachsteuerung bei der Ausrichtung der Agrarpolitik. Ich bin gespannt, was von der Rede des Ministers am Ende übrig bleibt. Wir brauchen regionale Wirtschaftskreisläufe mit nachvollziehbaren, fairen Lieferketten. Aktuell haben wir einen weitgehend unregulierten Welthandel mit einem Preis- und Standardunterbietungswettbewerb, der ökologisch verheerend und noch dazu unzuverlässig ist und unseren Markt kaputt macht. ({5}) Auch in der Ernährungspolitik hätten wir von der Bundesregierung eine soziale Schwerpunktsetzung erwartet, zum Beispiel eine kostenfreie Schul- und Kitaverpflegung als eine wichtige Maßnahme für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. ({6}) Auch gesunde Ernährung muss gelernt werden, und wenn, dann dort. Die enormen Preissteigerungen insbesondere bei den Grundnahrungsmitteln, bei Obst und Gemüse müssen aufhören. Niemand, der auf soziale Leistungen angewiesen ist, kommt in der Bioabteilung sehr weit. Da haben die Sozialverbände recht. ({7}) Also bedarf es einer wesentlichen Erhöhung der Kaufkraft für sozial Benachteiligte, damit gesunde Ernährung überhaupt möglich wird. Und was muss nun folgen? Der Preisdruck der Lebensmittelkonzerne auf die Produzentinnen und Produzenten muss endlich aufhören. Anzufangen wäre aus meiner Sicht bei den Billiglockangeboten mit Lebensmitteln, die voll auf die Erzeuger durchgedrückt werden, denn sonst fliegen sie aus der Listung. Ich bitte Sie: Lachsbraten für 4,44 Euro pro Kilo – wer soll dafür produzieren? Und davon kommt ja nur ein geringer Teil an. ({8}) Solche Preise bedeuten eine Geringschätzung für die Waren und damit auch für die Arbeit der Landwirte. Was wir aber brauchen, ist eine bewusste Wertschätzung landwirtschaftlicher Produkte. ({9}) Weder vom Markt gedrückte Ramschpreise noch pauschale Preissteigerungen, die nicht beim Erzeuger ankommen, helfen uns weiter. Sehr geehrte Damen und Herren, Die Linke fordert die Bundesregierung auf, für unsere Landwirtinnen und Landwirte unbedingt nachzubessern. Wir fordern einen Umbau der Agrarpolitik hin zu regionalen Wirtschaftskreisläufen, die Abkehr von der Exportorientierung und der Profitmaximierung für internationale Konzerne. Schluss mit dem Ausverkauf von Grund und Boden! Die Bodenpreisbremse muss kommen. ({10}) Die BVVG-Flächen, also die Bundesflächen, müssen unverzüglich und aus meiner Sicht kostenfrei in Länderhand gegeben werden, damit diese dann der regionalen Wirtschaft zugutekommen können. Für eine flächengebundene Tierhaltung, für die es eines Umbaus bedarf, muss die Landwirtschaft gefördert werden. Das geht nicht von alleine. ({11}) Naturschutz durch die Landwirtschaft muss ebenso honoriert werden. Da werden die Landwirte zurzeit sehr allein gelassen. Gerade erst gestern hat der Bauernverband wegen der steigenden Preise für Dünger und Energie um Hilfe gerufen. Und wenn die Landwirtinnen und Landwirte wieder mit Traktoren in Berlin einfahren und für eine Transformation in der Agrarpolitik streiten, dann sagen wir Linken: Recht haben sie! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu ihrer ersten Rede im 20. Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Zoe Mayer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Zoe Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Das ist eine hitzige Debatte heute – und mal ehrlich: Das ist auch gut so. Nach 16 Jahren landwirtschaftspolitischem Stillstand ist es wirklich mal dringend notwendig, dass wir uns über Veränderungen unterhalten. Und bei Veränderungen gehören hitzige Debatten nun einmal dazu. ({0}) Wir reden heute dank unseres Ministers auch mal über das Thema Lebensmittelpreise. Ich danke Cem Özdemir an dieser Stelle wirklich sehr dafür, dieses Thema klar und offen zu benennen. Um auf die Reden meiner Vorrednerinnen und Vorredner einzugehen: Natürlich ist es ein gigantisches Problem, wenn die Lebensmittelpreise in Deutschland schneller steigen als die Einkommen. Aber da müssen wir doch zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden: Steigende Lebensmittelpreise sind nicht schuld daran, dass unsere Tariflöhne in Deutschland kaum erhöht werden. Die Lösung für dieses Problem sind ganz sicher nicht Ramschpreise für Lebensmittel, sondern die Lösung ist eine anständige Sozial- und Arbeitspolitik. ({1}) Die Lösung ist ein höherer Mindestlohn. Die Lösung sind gute Renten. ({2}) Die Lösung ist die Kindergrundsicherung und noch vieles mehr. Genau das wird unsere Regierung auf den Weg bringen; denn nur so schaffen wir es, dass wir Soziales, Ökologisches und Tierschutz zusammendenken und eben nicht mehr gegeneinander ausspielen. ({3}) Was wir ganz sicher nicht machen werden, ist, die Debatte um faire Lebensmittelpreise weiter zu verschleppen. Das sind wir nämlich insbesondere den Landwirtinnen und Landwirten in Deutschland dringend schuldig, die sich kaum über Wasser halten können in dem aktuellen System. Das Geld, das für landwirtschaftliche Erzeugnisse aktuell erworben wird, reicht kaum, um die Kosten zu decken. Das reicht nicht für eine gute Existenzsicherung. Und das reicht schon dreimal nicht, um die Bedingungen für die Millionen von Tieren, die in unserem wirklich prekären System der deutschen Massentierhaltung leben und sterben müssen, zu verbessern. Damit muss Schluss sein! ({4}) Klar, wir brauchen Geld für das, was wir planen. Die Finanzierung für die höheren Standards beim Fleisch soll getragen werden durch alle, die Fleisch konsumieren möchten. Wir unterstützen die Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Transparenz durch die verbindliche Einführung der Tierhaltungskennzeichnung. Das ist ein längst überfälliger Schritt. ({5}) Zur Ehrlichkeit gehört auch dazu: Wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen und wenn wir den Tierschutz in Deutschland ernst nehmen, dann müssen wir auch wegkommen von diesen enormen Zahlen in der Tierhaltung. Für all die, die die Tötung von Tieren für ihren Konsum nicht mehr unterstützen möchten oder die ihren Konsum reduzieren möchten, müssen wir auch gute Angebote schaffen. Das heißt: pflanzliche Ernährung unterstützen, vegetarische und vegane Angebote unterstützen, und zwar flächendeckend. Nur so schaffen wir echte Wahlfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürger, die tierleidfreie, nachhaltige und klimaschonende Ernährung wollen. Ich freue mich sehr auf all das, was unsere Regierung hier in den nächsten Jahren auf den Weg bringt. Das ist Veränderung! Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Albert Stegemann das Wort. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Normalerweise debattieren wir im Januar aus Anlass der Internationalen Grünen Woche über Ernährung und Landwirtschaft. Leider hat uns Corona auch hier einen Strich durch die Rechnung gemacht. Deshalb ist es gut, dass Sie, Herr Bundesminister, heute hier im Deutschen Bundestag Ihre erste agrarpolitische Rede gleich zu Jahresbeginn halten. Ich wünsche Ihnen zunächst eine glückliche Hand in Ihrer Amtsführung, persönlich alles Gute und Gottes Segen. ({0}) Es gibt die gute Tradition, dass sich eine neue Opposition mindestens 100 Tage mit Kritik an der Regierungsarbeit zurückhalten sollte. Leider kann ich mich heute an diese Regel nicht halten. ({1}) Zu groß ist die Verantwortung, die wir als Parlamentarier haben, um Sie in konstruktiver Weise auf wichtige Kurskorrekturen hinzuweisen. Denn leider, Herr Minister, hat die neue Bundesregierung gleich in ihren ersten Wochen einen Fehlstart hingelegt. Da ist zum Beispiel das unwürdige Agieren im Management der Coronapandemie: erst das Auslaufenlassen der epidemischen Lage, dann wieder Beschränkungen. Bei uns in Emlichheim in Niedersachsen, im Land der Kartoffelknolle, sagt man dazu: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln. Ich will nun aber beim Thema Landwirtschaft konkreter werden. Auch hier haben Sie sich als neuer Minister schon mehrfach vergaloppiert. Ich nenne erstens das schon vieldiskutierte Beispiel der Lebensmittelpreise. Ja, wir wollen auch, dass unsere Landwirte für ihre hochwertigen Lebensmittel fair entlohnt werden. Ich glaube, das hat man gerade vernommen: Da gibt es hier im Plenarsaal sicherlich keinen, der das ernsthaft anders sieht. Aber wenn Sie, Herr Minister, den vielen Bauern in Deutschland die Hoffnung machen, dass Sie die Preise für landwirtschaftliche Produkte erhöhen wollen, dann müssen Sie nicht nur den edlen Wunsch äußern, dann müssen Sie auch erklären, wie Sie das konkret umsetzen wollen. Landläufig heißt es bekanntermaßen: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. – Was aber machen Sie in Sachen Angebot und Nachfrage? Auf der Angebotsseite, also auf der Seite der Bauernfamilien, deutet alles auf weitere Kostensteigerungen hin. So unterstützen Sie zum Beispiel auch Ihre Kollegin Frau Lemke, die beim Pflanzenschutz nur nach mehr Bürokratie und nach neuem Ordnungsrecht ruft. Von Technologieoffenheit bei neuen Pflanzenschutzmitteln, bei neuen Wirkstoffen oder bei neuen Züchtungstechnologien keine Spur! Auf der Nachfrageseite, also auf der Seite der Verbraucher, wollen Sie sicherlich viele neue Akzente setzen – das haben wir ja gerade auch noch mal gehört –, aber gewiss zum Beispiel den Fleischkonsum nicht ankurbeln. Also, wenn Sie das Einkommen unserer Landwirte verbessern wollen, dann sorgen Sie für Wettbewerbsfähigkeit und für neue Absatzregeln. Bisher sehe und höre ich nur das Gegenteil. ({2}) Wer versucht, die Gesetze der Marktwirtschaft in offenen Märkten, wie wir sie haben, auszublenden, der läuft einer Fata Morgana hinterher; denn je mehr Sie sich eben der vermeintlichen Oase mit staatlichen Mindestpreisen nähern, desto mehr werden Sie hoffentlich auch erkennen, dass das einfach nur eine Illusion der Planwirtschaft ist. Hören Sie auf, diesem Phantom nachzulaufen! Gehen Sie stattdessen einen Weg, der zum Ziel führt. Einer Ihrer Vorgänger im Amt, Jochen Borchert, hat doch mit seiner Expertenkommission einen gangbaren Weg aufgezeigt. Doch gerade zur Borchert-Kommission gibt Ihr Koalitionsvertrag gar nichts her, gar nichts, keine Silbe. An dieser Stelle, Herr Miersch, will ich noch mal auf das zurückkommen, was Sie gesagt haben. Sie haben sich ja beschwert, dass in der letzten Regierung hier nicht genügend passiert ist. Ich will noch mal darauf hinweisen, dass es Sie – auch Sie persönlich – waren, die beim Label die kritischsten Fragen gestellt haben, was die EU-Konformität angeht. Und Sie haben die Frage gestellt, ob es hier zu einer Notifizierung kommen kann. ({3}) Wir wollten die Vorschläge der Borchert-Kommission umsetzen. Wer hat denn gemauert beim Baurecht, beim Immissionsrecht, bei der TA Luft, bei der großen Immissionsrichtlinie? ({4}) Das waren Sie. Was Sie hier veranstaltet haben, das war heuchlerisch – Entschuldigung, eigentlich wollte ich heute höflich bleiben. Aber an der Stelle muss ich Ihnen das ganz deutlich mit auf Weg geben: ({5}) So können Sie sich hier nicht aufführen. Es ist an Ihnen gescheitert, nicht an uns. Deswegen bitte ich Sie noch mal, Herr Minister, bei aller Offenheit – Sie haben ja auch Hinweise darauf gegeben –: Setzen Sie die Ideen der Borchert-Kommission um. Wir werden Sie dabei konstruktiv begleiten. Wir alle erleben hier immer wieder, dass häufig ein sehr falsches Bild der Landwirtschaft vermittelt wird. Viele Fehlinformationen fallen halt nur deshalb auf fruchtbaren Boden, weil das Wissen über moderne Landwirtschaft auf dem Rückzug ist. Deshalb brauchen wir auch ein Agrarmarketing, das einen hohen Informationswert hat. Faktisch findet heute keine verständliche Verbraucherkommunikation mehr statt. Dabei haben die Bürger natürlich ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Landwirtschaft in Deutschland tatsächlich und wirklich praktiziert wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der FDP-Fraktion?

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das können wir gerne am Ende auflösen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nein, das Wort erteile ich. Und ich sage auch gleich: Ich lasse mir nicht von den Rednern – –

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen, und dann kann der Kollege gerne intervenieren. Um wieder zurück zum Agrarmarketing zu kommen und um hier auch einen ganz konkreten, vernünftigen, konstruktiven Vorschlag zu machen: Wir werden schon in der nächsten Sitzungswoche seitens der Union hierzu einen Antrag auf den Weg bringen. Ich empfehle Ihnen, sich diesen Antrag genau anzuschauen und auch hier konstruktiv in die Beratung zu gehen. ({0}) Es gibt aber auch weitere Gründe, die auf einen Fehlstart der neuen Bundesregierung hindeuten. Da gibt es halt ganz schlichte handwerkliche Fehler. Dazu zählt zum Beispiel die nicht fristgerechte Einreichung des GAP-Strategieplans zum 1. Januar. Als Entschuldigung wird von Ihnen angeführt, dass es Verzögerungen beim Trilog gab. ({1}) Diese Verzögerungen haben aber alle EU-Mitgliedstaaten betroffen. Und trotzdem haben fast alle EU-Mitgliedstaaten pünktlich geliefert, Deutschland nicht. ({2}) Also, unsere Landwirte brauchen dringend Planungssicherheit bei der GAP und keine Entschuldigungen und weiteren Verzögerungen. Kümmern Sie sich darum, Herr Minister, und machen Sie die Gemeinsame Agrarpolitik zu Ihrer Chefsache. Das Ding ist einfach viel zu wichtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist ein starker Agrarstandort. Nirgendwo auf der Welt gibt es so gesunde, sichere und hochwertige Lebensmittel wie bei uns. Die Landwirtschaft dient eben nicht nur den Zielen des Umwelt- und des Klimaschutzes, wie es uns der Ampelkoalitionsvertrag weismachen will. Herr Bundesminister, wenn ich mir Ihren Terminplan für diese Woche so ansehe, dann stelle ich fest, dass Sie aber genau nach dieser Maxime handeln: erst einmal mit den Umweltverbänden reden und dann mit den Landwirten. So beginnt bestimmt kein neues Miteinander, um Landwirtschaft und Gesellschaft zusammenzuführen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Stegemann, Sie können weitersprechen, tun das aber auf Kosten Ihres Kollegen.

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unsere Landwirtinnen und Landwirte arbeiten hart für unser tägliches Brot. Sie leisten wichtige Beiträge zum Erhalt unserer vielfältigen Kulturlandschaft und sind bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber im ländlichen Raum. Deshalb verdienen unsere Bauernfamilien Respekt, Perspektiven und Planungssicherheit. Wir wollen Sie in Zukunft kritisch dabei begleiten, dass sie auch ein würdiges BMEL mit einem würdigen Bundesminister bekommen. Dazu noch einmal alles Gute für die Zukunft! Vielen Dank fürs Zuhören. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Susanne Mittag das Wort. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir, erst mal auch von uns herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede im Bundestag als Minister für Ernährung und Landwirtschaft – sie hat mir sehr gut gefallen – und besonderen Glückwunsch von den Mitgliedern des entsprechenden Ausschusses und natürlich auch von mir! An Sie sind große Erwartungen gerichtet. Wir sind optimistisch, dass der lähmende und für viele Landwirte inzwischen existenzbedrohende Zustand in dem Bereich absehbar abzuwenden ist. In den letzten acht, aber besonders in den letzten vier Jahren wurden schon in Koalitionsverträgen vereinbarte Themen einfach nicht entschieden, vertagt oder unter dem Mantel der freiwilligen Vereinbarung verwässert oder entwertet. Drohende Vertragsverletzungsverfahren wurden mit einem Mindestmaß an Zugeständnissen ruhiggestellt, und einiges kommt gerade – es ist erwähnt worden – wieder zurück. Oder es gab erst konkrete gesetzliche und einigermaßen ausreichende Regelungen, nachdem höchstrichterlich darüber entschieden wurde, dass das Landwirtschaftsministerium endlich umzusetzen hat. Alles in allem eine sehr unterdurchschnittliche Bilanz, auch wenn das eben etwas anders dargestellt worden ist! Und da ich nun weiß, wie sich derartige Arbeitsweisen ankündigen, bin ich umso optimistischer, dass dies in Zukunft nicht mehr so sein wird. Sie müssen als Minister für Ernährung und Landwirtschaft daher leider nicht nur jede Menge Restanten aufarbeiten, sondern auch eine Fülle von Themen, die jetzt dazukommen, und alles möglichst zeitnah und mit ersten Ergebnisse im ersten Jahr. Das ist ein Riesenpaket. Dabei wollen wir Sie gerne mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterstützen. Wir als SPD-Fraktion haben wirklich lange genug darauf gewartet, dass da endlich was passiert. ({0}) Ich möchte hier noch mal ganz besonders das Tierwohllabel mit seiner gesamten Bandbreite an Erfordernissen erwähnen; das ist ja schon dargestellt worden. Um noch mal auf Herrn Stegemann einzugehen: Es war bislang unvollständig, es wurde blockiert, und es sollte nur freiwillig sein. Also, wir haben noch nicht mal ansatzweise eine Umsetzung vorgenommen. Darauf haben wir immer wieder gepocht: Wenn, dann wird nur ein vollständiges Label verabschiedet, und nicht ein Dreiviertel-Schweine-Label. Das hatten wir öfter schon als Thema hier im Bundestag. ({1}) Natürlich ist die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft – Nerven bewahren! – viel umfassender. Dazu wird meine Kollegin Isabel Mackensen-Geis gleich noch einiges sagen. Und auch zu dem bislang völlig unterschätzten Bereich Ernährung, auf den Sie ja schon eingegangen sind, wird meine Kollegin Peggy Schierenbeck in wenigen Minuten noch etwas sagen. Der Tierschutz – das möchte ich noch mal als bisherige Tierschutzbeauftragte erwähnen – hat aber ebenfalls einen enormen Aufholbedarf, sei es im Bereich des völlig unregulierten, anonymisierten Onlinehandels, sei es bei Heimtieren oder Exoten, bei Qualzucht, Lebendtiertransporten, Zirkustierhaltung, Tierversuchen oder nicht kurativen Eingriffen; wir können die Liste beliebig fortsetzen. Da ist nichts passiert. ({2}) Entscheidungen wird es auch darüber geben, wie wir die Transformation und die Digitalisierung in der Landwirtschaft vorantreiben. Wie kann wo Energie eingespart werden, bei Wärme, Kälte, Lüftung, und möglichst überall regenerative und besonders in der Landwirtschaft selbsterzeugte Energie eingesetzt werden? Wie können Energieerzeugung und landwirtschaftliche Produktion und Biodiversität vernetzt werden, statt immer diese Entweder-oder-Debatte zu führen? Die nicht unbedingt negativen Auswirkungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, des Lieferkettengesetzes und der Preisgestaltung durch steigende Kosten für CO2-Zertifikate für deutsche Produkte in Konkurrenz mit ausländischen Produkten müssen vorausschauend angegangen werden. Und welche Auswirkungen haben denn der Green Deal, die GAP, derzeit laufende Verhandlungen und absehbare europarechtliche Regelungen auf Ernährung und Landwirtschaft? Hier muss auch agiert werden und darf nicht immer nur kurz vor Fristende reagiert werden. ({3}) Wie kann in diesem Bereich gesunde Ernährung gekennzeichnet, erkannt, vermittelt und gefördert werden? Und immer wieder die entscheidende Frage: Wo kommt es wirklich her, und was ist wirklich drin? Wir vernetzen uns mit anderen Ressorts wie Arbeit und Soziales bei den Saisonarbeitskräften, mit Gesundheit bei Ernährung, mit Bauen bei Stallbau und Brandschutz, mit Umwelt bei Emissionen und mit Innen bei Katastrophenschutz – auch Tiere sind bei Katastrophen zu retten –, um nur einige zu nennen. Es ist also jede Menge Handlungsbedarf vorhanden, und das nicht zu knapp. Es stehen viel Arbeit, Debatte, Austausch und Entscheidungen an. Aber davor ist uns nicht bange. Ich freue mich drauf. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im 20. Deutschen Bundestag hat nun der Abgeordnete Frank Rinck für die AfD-Fraktion das Wort. ({0})

Frank Rinck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005189, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die Landwirtschaft steckt in einer der schlimmsten Krisen aller Zeiten: nicht kostendeckende Preise, stark verteuerte Pachten, Bauern-Bashing, überhöhte Düngepreise und viel zu viel Bürokratie. Als Landwirt kann ich Ihnen sagen: Ich könnte den ganzen weiteren Nachmittag noch andere Dinge aufzählen. Zur Sache. Die neue Bundesregierung und federführend der Kanzler hat in der Amtseinführung von der großen Transformation gesprochen. Ich für meinen Teil kann da nur hoffen, dass am Ende dieser großen Transformation nicht das Ende unserer heimischen Landwirtschaft steht. Als im letzten Jahr die globalen Lieferketten wegen des Coronavirus zum Erliegen kamen, haben wir, verehrte Kollegen, gesehen, wie empfindlich unsere Lieferketten und unsere Wirtschaft weltweit sind. Ich will mir an dieser Stelle auch gar nicht ausmalen, was in diesem Land passieren würde, wenn es in den Läden statt an Klopapier an Lebensmitteln fehlen würde. Das bitte ich Sie alle mal zu bedenken. ({0}) Aus diesem Grund kann ich Sie nur ermahnen, die Landwirte zu unterstützen, ihre Betriebe zu stärken und ihnen eine vernünftige wirtschaftliche Perspektive zu bieten, um die Versorgung unserer Bevölkerung in Deutschland sicherzustellen. Kehren Sie ab vom Importwahn, und kommen Sie zurück zum Standard „made in Germany“, gerade bei den Lebensmitteln! Wir werden Ihnen gern dabei helfen, Standards zu schaffen, die dafür sorgen, dass unsere Landwirte, unsere Bauern hier in Deutschland gut zurechtkommen, dass sie qualitativ hochwertige und regionale Lebensmittel erzeugen können, ohne dabei an den Rand des Ruins gedrängt zu werden. Vernünftige, pflanzengerechte Düngung und ein angemessener Pflanzenschutz wären notwendige Bausteine genau dafür, genauso wie Planungssicherheit und Garantien für diese Landwirte, dass sich die Investitionen von heute auch morgen noch lohnen. Dann muss ich eins sagen: Wir haben vorhin einige Beiträge hinsichtlich der Schweinehalter und der Preise gehört. Meine Damen und Herren, leider haben wir nichts zur Afrikanischen Schweinepest gehört, die sich hier immer weiter ausbreitet. Nichtsdestotrotz gibt es nur sporadische Maßnahmen gegen diese Ausbreitung; das bedroht die Schweinehalter in ganz Deutschland. Aber gut, so viel dazu. Noch einmal zu den Weidetierhaltern: Wir hörten davon, dass wir die Ställe schöner machen wollen. Aber beginnen wir doch erst mal damit, unsere Weidetiere zu schützen, zu schützen vor Raubtieren wie den Wölfen! Am besten erleichtern wir die Beweislast bei Rissvorfällen oder kehren sie komplett um, damit auch diese Weidetierhalter eine Zukunft haben, die Sie hier ja scheinbar gar nicht berücksichtigen wollten. ({1}) Ideologie war noch nie ein guter Ratgeber, ({2}) und sie ist es auch gerade beim Thema Wolf nicht. Das Thema Artenvielfalt haben wir hier auch heute gehört. Es ist natürlich sehr interessant, dass wir Raubtiere hier züchten, die im Anschluss dann unsere Nutztiere auffressen. – Frau Präsidentin, ich habe die Zeit im Blick; ich bin auch gleich fertig. Zu guter Letzt noch ein paar Worte zu dem, was hier bisher von der Regierung entschieden wurde und eigentlich auch absolut negativ für die deutschen Landwirte war: die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes. Der wurde von 10,7 auf 9,5 Prozent gesenkt. Das war ein absoluter Schlag für die pauschalierenden landwirtschaftlichen Betriebe. Dieser Beschluss kostet die Landwirte in diesem Jahr 90 Millionen Euro, die sich die Bundesregierung schnell mal selber eingesteckt hat. Vielen Dank dafür an die Regierung, auch von mir als Landwirt! Ein letzter Satz – dann bin ich fertig –: Herr Minister Özdemir, wir werden Sie an Ihren Taten messen. Schaffen Sie bessere Zukunftsperspektiven! Wir werden Sie dabei natürlich unterstützen. Ein schlaues, altes Sprichwort vom Lande sagt: Lebt der Bauer, lebt das Land. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Karlheinz Busen das Wort. ({0})

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, auch von meiner Seite: Gute Zusammenarbeit! Das eine kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Stolz können wir sein auf unseren Wald. Er ist unser wichtigstes Mittel gegen den Klimawandel. ({0}) Es gibt keine größere CO2-Senke in unserem Land; er speichert ungefähr 126 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Damit ist die Forstwirtschaft der einzige Wirtschaftszweig, der CO2 bindet und nicht emittiert. ({1}) Außerdem ist der Wald unser wichtigster Rohstofflieferant beim nachhaltigen Bauen mit Holz, was allen Ampelkoalitionsfraktionen wichtig ist. ({2}) Daher bedarf es natürlich einer guten Waldbewirtschaftung. Die zahlreichen Leistungen, die unsere Waldbesitzer erbringen, honorieren wir. Der klimarobuste Waldumbau hat also hohe Priorität. Von den 11 Millionen Hektar Wald müssen ungefähr 3 Millionen Hektar umgebaut werden, und dafür braucht es gute Rahmenbedingungen. Was wir nicht brauchen, sind großflächige Stilllegungen von bewirtschafteten Waldflächen. Stilllegung bedeutet Stillstand, und den darf es beim Klimaschutz auch nicht geben. ({3}) Wir müssen natürlich auch nicht heimische Baumarten einsetzen, um uns gegen die Folgen des Klimawandels zu rüsten. Das hat sich auch bewährt, weil der Waldumbau nicht erst heute oder morgen beginnt; den Waldumbau betreiben wir schon seit 30 Jahren. Nicht nur im Privatwald brauchen wir Erneuerung; besondere Standards streben wir auch für die Wälder an, die unmittelbar in Bundesbesitz sind. Bundeswaldflächen, die direkt vom Bund genutzt werden, also die nicht verpachtet sind, sollen nach den FSC-Standards bewirtschaftet werden. Nur wenn der Waldumbau gelingt, bietet der Wald auch langfristig eine gute Heimat für unsere Wildtiere. Die Jagd ist gelebter Natur- und Artenschutz. Gesunde Wildbestände sind dabei das Ziel, und das funktioniert auch, wenn der Wildtierbestand ideologiefrei reguliert wird. Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter im ländlichen Raum mehr als der Umgang mit den Wölfen. Die letzte Bundesregierung hat uns beim Wolf immer wieder schöngerechnete Zahlen vorgelegt. ({4}) Da wollen wir jetzt genau hinschauen. Wir werden die Zahl der in Deutschland lebenden Wölfe realitätsgetreu abbilden. ({5}) Dafür brauchen wir natürlich unsere Revierinhaber, die sich am besten in den Revieren auskennen. Das wichtigste Signal an alle Weidetierhalter im Land: Diese Bundesregierung wird den Ländern ein regional differenziertes Bestandsmanagement ermöglichen. ({6}) Liebe Kollegen der Union, jetzt fordern auch Sie den Abschuss des Wolfes. Der hätte längst erfolgen können. In meiner Heimat in NRW, wo es größte Probleme mit den Wölfen gibt, ist ausgerechnet eine CDU-Ministerin am Werke, die leider noch keine Lösung gefunden hat. Ich muss sagen, als Ampel: Wir schaffen das! ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Artur Auernhammer. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während der Koalitionsverhandlungen wurde viel spekuliert: ({0}) Gibt es überhaupt noch ein eigenständiges Bundeslandwirtschafsministerium? – Das ist schon mal gut gelaufen; denn dieses Haus ist wichtig für unser Land. Entscheidend ist aber auch, was daraus gemacht wird. Es wurde auch viel darüber spekuliert, wer Minister wird: Wird es die geschätzte Kollegin Lemke? Wird es der Landwirtschaftsminister der Herzen, Anton Hofreiter? – Nein, die Wahl fiel auf Cem Özdemir. Herr Bundesminister, meine Gratulation zu diesem sehr wichtigen Amt für unser Land. Denn es geht in erster Linie darum, unsere eigene Bevölkerung mit heimischen Produkten, mit Lebensmitteln zu ernähren. Das ist die wichtigste Aufgabe unserer heimischen Landwirtschaft. ({1}) Das muss in diesem Haus auch entsprechend honoriert werden. Wir stehen aktuell vor ganz großen Herausforderungen. Da haben Sie keine 100 Tage mehr, um abzuwarten, da müssen wir handeln. Die aktuelle Coronawelle mit Omikron ist nicht nur eine Belastung für die Gesundheitssysteme. Wir brauchen auch Antworten für unsere Lebensmittelbetriebe, damit diese auch im Falle eines Ausbruchs weiterarbeiten können. Da müssen wir Rahmenbedingungen setzen, damit am Ende des Tages die Lebensmittelregale nicht leer bleiben. Eine ganz große Herausforderung ist die Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest. Unsere Schweineerzeuger machen zurzeit eine ganz bittere Zeit durch. Hier müssen wir mit den Ländern zusammenarbeiten. Hier brauchen wir Lösungen, hier müssen die Absatzwege wieder besser werden. Und ja, Ihre Worte hören sich zu Beginn einer Legislaturperiode gut an. Wir werden Sie aber in den nächsten Jahren an Ihren Taten messen. Bei der Konstellation dieser Ampelkoalition wird es sehr interessant. Bei den Ausführungen der FDP-Kollegen frage ich mich: Sind die seit der Bundestagswahl in eine andere Partei gewechselt? ({2}) Welche Worte haben wir von diesen Kollegen vor der Bundestagswahl gehört! Welche Nachrichten wurden in den sozialen Netzwerken verbreitet! Und dann haben Sie in den Koalitionsverhandlungen die Bauern und ihre Interessen fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Sie hatten keinerlei Interesse an diesen Ministerien. Sie hatten keinerlei Interesse am Umweltministerium. Sie haben keinerlei Interesse an den Bauernfamilien. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir darüber diskutieren, dass wir höhere Lebensmittelpreise brauchen, sage ich: Wir brauchen in erster Linie bessere Erzeugerpreise, eine bessere Wertschöpfung und auch bessere Wertschätzung für die Arbeit unserer Bauernfamilien. Ein Punkt hat mich geärgert; das sage ich ganz offen. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Es gab eine Initiative, gerade die kleinbäuerlichen Betriebe, die Betriebe, die weniger Flächenausstattung haben, stärker zu fördern mit den Mitteln der sogenannten Kappung und Degression. Gerade die Landwirtschaftsminister der Grünen haben aber in der Agrarministerkonferenz eine stärkere Degression verhindert. Daran sieht man, wie man sich in der Realität verhält. Wir müssen auch ein großes Augenmerk auf die Betriebe der kleinbäuerlichen Strukturen legen, die ebenfalls einen großen Beitrag zur Artenvielfalt und zur Biodiversität leisten. Herr Minister, beraten Sie Ihre Länderkollegen Ihrer Partei entsprechend! Ich glaube, das ist zielführend. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wurde schon der Themenkomplex Wald erwähnt; darüber bin ich sehr dankbar. Wenn wir Klimaschutz aktiv betreiben wollen, brauchen wir einen aktiven Wald. Wir müssen diesen Wald aber auch nutzen. Wir müssen ihn nicht nur schützen, wir müssen ihn auch nutzen. Deshalb brauchen wir eine weitere Intensivierung des Holzbaus. Wir brauchen keine ideologische Stilllegung der Wälder, sondern einen weiteren klimagerechten Umbau unserer Wälder. Ich darf noch mal zum Thema Tierhaltung zurückkommen. Es ist vieles gesagt worden. Ich hoffe, dass die Umsetzung der Empfehlungen der sogenannten Borchert-Kommission, die im Koalitionsvertrag ja nicht berücksichtigt worden sind, ({4}) dann in Ihrer Arbeit berücksichtigt wird. Es ist ein guter, zielführender Ansatz, der es wert ist, über ihn nachzudenken und ihn umzusetzen. Dazu gehört auch eine Herkunftskennzeichnung. Wie wichtig eine Herkunftskennzeichnung ist, sehen wir zum Beispiel gerade beim Wein mit der Novelle des Weingesetzes. Der Verbraucher schaut auf die Herkunft seiner Produkte. Deshalb bitte ich darum, eine konsequente Herkunftskennzeichnung im Lebensmittelbereich einzuführen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade zur Tierhaltung steht etwas im Koalitionsvertrag, was mich umtreibt: das Thema „Anbindehaltung bei Milchkühen“. – Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, dass ich diesen Satz noch sage. – Das können wir nur lösen, wenn wir zusammen mit den Bauernfamilien nach Lösungen suchen, statt mit Verboten zu kommen. Denn hier geht es wirklich um bäuerliche Existenzen, hier geht es um klein- und mittelbäuerliche Betriebe. Da brauchen wir Antworten. Dabei werden wir Sie kritisch begleiten und notfalls auch kritisieren. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Isabel Mackensen-Geis für die SPD-Fraktion. ({0})

Isabel Mackensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004949, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Cem Özdemir! Allem voran nutze ich die Gelegenheit, Ihnen herzlich zu Ihrem neuen Amt als Landwirtschaftsminister zu gratulieren. Sie stehen vor großen Herausforderungen; denn unsere Land- und Forstwirtschaft ist mit drei großen Krisen konfrontiert: der Klimakrise, der Biodiversitätskrise und der sozialen Krise auf den Bauernhöfen. Bei der Klimakrise ist die Landwirtschaft wie kein anderer Wirtschaftsbereich so direkt von den veränderten Klimabedingungen betroffen. Als Rheinland-Pfälzerin denke ich mit Schrecken an die Starkregenfälle und das anschließende Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen vom letzten Jahr zurück. Das verdeutlicht die Dynamik. Durch Maßnahmen wie den Humusaufbau, vielfältige Fruchtfolgen oder auch das Anlegen von Agroforstsystemen können unsere landwirtschaftlichen Betriebe widerstandsfähiger gegenüber Wetterextremen werden. Das ist aktiver Klimaschutz; denn wenn unsere Böden große Wassermassen speichern können, sind sie vor Erosion geschützt. ({0}) Gerade unser Wald kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten; denn er ist unser Klimaschützer Nummer eins. Aber auch im deutschen Wald werden die Folgen des Klimawandels sichtbar. Für unsere kommunalen und privaten Waldbesitzer/-innen habe ich eine klare Botschaft: Wir werden Sie bei dem gezielten Waldumbau zu artenreichen und klimaresilienten Wäldern unterstützen und den Umbau mit der vielseitigen Nutzung von heimischem Holz als nachhaltigem Rohstoff mit einer Holzbauinitiative verknüpfen. Wir bekennen uns zur nachhaltigen Forstwirtschaft. ({1}) Wie wollen wir sie unterstützen? Wir werden zukünftig die Ökosystemleistungen des Waldes honorieren. Es soll ein Modell vom Bundesforstministerium und Bundesumweltministerium entwickelt werden. Für diese Honorierung stehen bereits im Bundeshaushalt 2022  200 Millionen Euro zur Verfügung. Die zweite Krise ist die Biodiversitätskrise. Der Rückgang der biologischen Vielfalt ist dramatisch und hat bereits jetzt ein Ausmaß erreicht, das die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Existenzgrundlagen von uns Menschen gefährdet. Gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten können wir den Verlust der Artenvielfalt stoppen und die Biodiversität in der Agrarlandschaft wieder stärken. Wir wollen die kooperativen Ansätze ausbauen und durch gezielte agrar- und umweltpolitische Fördermaßnahmen Anreize schaffen. Der Ökolandbau ist hierbei ein wichtiger Baustein und ein entscheidendes Werkzeug. Wir wollen 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 erreichen. Das ist ambitioniert; denn es bedeutet: Wir brauchen jedes Jahr 12 Prozent mehr Biofläche. Das ist nur möglich, wenn wir die Voraussetzung für ein gleichgewichtiges Wachstum von Angebot und Nachfrage schaffen. Hierfür wollen wir die Bundesmittel für das Bundesprogramm Ökologischer Landbau im neuen Haushalt erhöhen und einen stärkeren Schwerpunkt auf die Agrarforschung legen. Wir werden die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau um die gesamte Biowertschöpfungskette erweitern. Die dritte Krise ist die soziale Krise. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft setzt sich weiter fort. So ist die Anzahl der Betriebe in den vergangenen Jahrzehnten enorm zurückgegangen. Ein Strukturwandel von 2 Prozent bedeutet, dass sich nach 25 Jahren die Anzahl der Betriebe halbiert. Wir müssen schnell handeln, um diese Entwicklung zu stoppen! Derzeit leiten Frauen etwa 11 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe, und jede dritte Arbeitskraft auf den Betrieben ist eine Frau – Tendenz steigend. Denn es stehen gut ausgebildete junge Frauen in den Startlöchern, um demnächst die Hofnachfolgen anzutreten. Wir haben starke Frauen in der Landjugend und bei den Landfrauen, die durch ihr ehrenamtliches Engagement die ländlichen Räume lebendig machen. Die Landwirtschaft wird, die Landwirtschaft ist weiblich. ({2}) Und wenn ich mir die neue Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion anschaue, dann sehe ich geballte Frauenpower, ({3}) leider im Gegensatz zur rechten Seite des Parlaments. Da besteht noch etwas Nachholbedarf, was den Frauenanteil angeht. Auch der Weinbau ist weiblich. In der Vergangenheit war die Weinbaubranche in fester Männerhand. Doch heutzutage sind die Frauen auf dem Vormarsch. Der Weinbau ist mir als Pfälzer Mädel eine Herzensangelegenheit, und deshalb freue ich mich sehr, dass ich weiterhin für die Weinbaupolitik innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion verantwortlich bin und auch dem Parlamentarischen Weinforum weiter angehören darf. Sehr geehrte Damen und Herren, Landwirtschaft und Umweltschutz sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat gezeigt, wie solche vermeintlichen Gegensätze überwunden werden können und wozu die nächste Generation fähig ist. Denn es waren die Vorsitzenden der Landjugend und der BUNDjugend, die eine gemeinsame Zukunftsvision für die Landwirtschaft entworfen haben. Sie haben uns gezeigt, wie wichtig der gemeinsame Dialog und der Austausch unterschiedlicher Perspektiven sind. Das wollen wir fortführen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu ihrer ersten Rede im 20. Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Peggy Schierenbeck für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Peggy Schierenbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005206, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Özdemir! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es erfüllt mich mit großer Freude, heute hier mit meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag über das wichtige Thema Ernährungsstrategie sprechen zu dürfen. Es wird Zeit, dass wir etwas tun. Das haben wir heute schon gehört, und das haben wir sehr oft gehört. Darum wird es Zeit, dass wir endlich handeln. Wenn es um eine gesunde und nachhaltige Ernährung geht, werden die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland bisher viel zu wenig unterstützt. Andere Länder sind da wesentlich weiter. So haben die Briten verbindliche Salzreduktionsziele. Dadurch hat sich seit 2005 das Bevölkerungsrisiko für Schlaganfälle und Herzerkrankungen um 40 Prozent reduziert. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: um 40 Prozent reduziert! Ein Sieg für die Gesundheit, eine Entlastung für das Gesundheitssystem – mit einer verpflichtenden Salzreduktion im Gesetz. So einfach kann das sein. ({0}) Mit einer Zuckersteuer bzw. einer Abgabe für die Hersteller wurde in England der Zuckergehalt in Süßigkeiten reduziert. Finnland, Frankreich, Spanien, Italien und Österreich haben feste Zucker-, Fett- und Salzreduktionsziele. Beschränkungen für an Kinder gerichtete Werbung für Süßwaren, Limonaden und Knabbereien gibt es bereits in Dänemark, Frankreich, Spanien, Norwegen, Schweden und Slowenien. Wir haben damals das Jodsalz mit einer passenden Kampagne eingeführt. Damit konnte man dem in der Bevölkerung festgestellten Jodmangel erfolgreich entgegenwirken. Oder denken Sie an die gesüßten Tees, die früher Babys gegeben wurden, und daran, dass daraufhin die ersten Zähne, bevor sie überhaupt den Weg durchs Zahnfleisch gefunden haben, oft schon geschädigt waren und gezogen werden mussten. Heute ist das unvorstellbar. Mit der Entwicklung einer umfassenden Ernährungsstrategie, für die ich hier heute spreche und die wir auch im Koalitionsvertrag beschlossen haben – darüber bin ich sehr froh –, wollen wir das ändern und die Verbraucherinnen und Verbraucher unterstützen und schützen. Entsprechend den Empfehlungen aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz aus dem Jahr 2020 muss Ziel dieser Strategie sein, entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung über Verarbeitung und Handel bis hin zum Essen unsere Gesundheit zu schützen, soziale Mindeststandards einzuhalten, unsere Umwelt und unser Klima zu schützen und das Tierwohl zu erhöhen. ({1}) Diese Strategie muss in enger Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium, dem Umweltministerium, aber auch dem Arbeits- und Sozialministerium erarbeitet werden. Eine ausgewogene Ernährung für alle ist die Basis für Gesundheit und Chancengleichheit und damit auch eine soziale Frage, insbesondere bei Kindern; denn gesunde Kinder haben einen besseren Start ins Leben. Schluss mit zu süßen Limonaden, Schluss mit zu fettigen und salzigen Knabbereien, Schluss mit Werbung für ungesunde Produkte, die sich direkt an Kinder richtet! Eine nachhaltige und ausgewogene Verpflegung in Kitas und Schulen ist die wirksamste Maßnahme gegen Ernährungsarmut und ernährungsbedingte Krankheiten. Wir brauchen eine bessere Kennzeichnung, damit Verbraucherinnen und Verbraucher auf den ersten Blick erkennen können, welches Produkt gesünder ist. Auf Initiative der SPD gibt es seit 2020 den Nutri-Score, der zum Erfolgsmodell geworden ist und dem sich erfreulicherweise immer mehr Unternehmen freiwillig anschließen. Doch leider ist er eben freiwillig. Eine verpflichtende Einführung kann nur über die EU erfolgen. Dafür setzen wir uns ein. ({2}) Und wir brauchen eine bessere Kennzeichnung auch für Nachhaltigkeit. Schluss mit dem Labeldschungel und undurchsichtigen Kriterien. Wir wollen die Ernährungspolitik aktiv gestalten, eine gesunde und nachhaltige Ernährungsweise erleichtern und das Politikfeld Ernährung insgesamt aufwerten. Wir wollen eine Ernährungspolitik, die Ernährung, Gesundheit, Umwelt und Soziales zusammendenkt. Mit dem Wissen, das wir heute haben, nicht zu handeln, halte ich für grob fahrlässig. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Sicherheit in Europa – nicht nur in Europa, aber auch hier – steht aktuell vor großen Herausforderungen. Das informelle Treffen der EU-Verteidigungsministerinnen und -Verteidigungsminister, das die französische Ratspräsidentschaft gestern ausgerichtet hat, war ein sehr gutes Format, um diese Herausforderungen zu beraten. Sie können sich vorstellen: Ein ganz zentrales Thema stand natürlich auf der Tagesordnung, nämlich Russland und die Ukraine. Ich sage ganz deutlich: Der russische Aufmarsch an der ukrainischen Grenze verstößt gegen alle Regeln des friedlichen Miteinanders. ({0}) Und jeder russische Angriff auf die Ukraine wird Konsequenzen nach sich ziehen. Denn der Konflikt bedroht den Frieden in Europa, und daher müssen wir Europäer uns auch aktiv einbringen. Und das tun wir auch, im NATO-Russland-Rat, der endlich nach über zwei Jahren wieder stattgefunden hat, in der OSZE. Überall, wo Gespräche geführt werden, haben wir Europäer eine starke Stimme, und das ist auch gut und richtig so. ({1}) Es war die Woche der Gespräche. Und es werden weitere Gespräche folgen; denn klar ist: Wir müssen alle – alle! – Mittel ausschöpfen, um diesen Konflikt zu entschärfen. Gleichzeitig haben wir Europäer zusammen mit den amerikanischen Freunden aber auch deutlich gemacht: Das Völkerrecht muss gewahrt werden. Die staatliche Souveränität unserer östlichen Nachbarn ist unantastbar, und Russland hat kein Vetorecht, wenn es um Bündnisfragen geht, und kann uns hier auch nicht erpressen. ({2}) Diese roten Linien müssen klar sein in all den Gesprächen, die jetzt anstehen. Niemand hat erwartet, dass diese Gespräche mit der russischen Seite einfach werden oder dass ein, zwei Gespräche ausreichend sind und der Konflikt dann entschärft ist. Nein, diese Woche hat gezeigt, wie schwer es wird. Aber zwischen diesen roten Linien, die ich beschrieben habe, und einer militärischen Auseinandersetzung ist viel Spielraum, den wir intensiv ausschöpfen müssen, und das ist unsere Verantwortung und auch unsere Herausforderung. ({3}) Die russische Aggression verdeutlicht einmal mehr: Wir, in Europa und der NATO, müssen ganz eng beieinanderstehen. In der kommenden Woche treffe ich mich hier in Berlin mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, und natürlich werden wir auch intensiv über die russische Aggression beraten. Meine Damen und Herren, ganz bewusst bin ich für meinen ersten Truppenbesuch im Ausland nach Litauen gereist, zu unserem Kontingent der NATO. Ich war beeindruckt von der hohen Einsatzbereitschaft unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort, und ich habe mich auch bei ihnen bedankt; denn jede und jeder von ihnen steht für eine wirksame Abschreckung dort vor Ort. ({4}) Und sie alle machen damit eines sehr deutlich: Die Sicherheit unserer Verbündeten ist unsere Sicherheit – auch und gerade in Mittel- und Osteuropa. ({5}) Die Bedrohung durch Russland ist das eine. Vor uns liegt aber eine ganze Reihe von globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Bei alldem gilt: Deutschland steht zu seiner Verantwortung für den Frieden in Europa und in der Welt. Und das beweisen wir auch immer wieder. Denken Sie nur an unser Engagement im Kampf gegen den IS und zur Stabilisierung des Irak! Über das Mandat wird heute Nachmittag hier im Bundestag beraten. Unsere Bundeswehr leistet hier an der Seite unserer Partner und Verbündeten einen ganz wichtigen Beitrag. Vergangenes Wochenende war ich in Jordanien und im Irak. Ich habe mit unseren Soldatinnen und Soldaten dort gesprochen und mir ein Bild über die Umstände vor Ort gemacht. Ich kann Ihnen eins sagen: Dieser Einsatz ist entbehrungsreich, ja; aber er ist auch gefährlich. Noch kurz vor meinem Besuch sind wieder einmal Raketen auf der Al-Asad Air Base eingeschlagen. Aber unsere Soldatinnen und Soldaten hatten Schutzmaßnahmen ergriffen, und Gott sei Dank – Gott sei Dank! – sind alle wohlauf. ({6}) Meine Damen und Herren, wir schulden es unseren Frauen und Männern, dass wir ihren hohen persönlichen Einsatz, der sich da wieder gezeigt hat, klug und besonnen abwägen. Daher müssen wir und daher werden wir auch jeden Auslandseinsatz genau evaluieren, selbstverständlich immer im engen und ehrlichen Austausch mit unseren Partnern und Verbündeten. Aber es geht darum, Ziele und Instrumente zu prüfen und gegebenenfalls auch anzupassen. Was wollen wir erreichen? Wie ist unser militärischer Beitrag in politische und zivile Maßnahmen eingebettet? Und auch: Haben wir eine Exit-Strategie? Mir ist sehr bewusst, dass diese Evaluierung ein hochpolitischer Vorgang ist. Er betrifft die ganze Bundesregierung, unsere Bündnisse und unsere Rolle als sicherheitspolitischer Partner in der Welt. Wir dürfen Einsätze aber nicht auf das Militärische verengen. Ein Einsatz ist immer auch eine politische Maßnahme. Das ist die wichtigste Lehre aus Afghanistan: Jeder Einsatz steht und fällt politisch. Das hat auch mit der politischen Lage im Einsatzland zu tun und ganz konkret mit der Frage: Wen unterstützen wir eigentlich, wen bilden wir aus, und ist dies mit unseren Zielen und Werten dann auch vereinbar? Ich sage es ganz konkret: In Mali fordert die internationale Gemeinschaft zu Recht eine Rückkehr zu Demokratie und Wahlen, und das nicht erst in fünf Jahren, wie von dort angekündigt. ({7}) Mali muss schnell Neuwahlen ansetzen. Alles andere ist inakzeptabel. Zudem ist es ein schwerer Fehler, dass in Mali von Russland unterstützte Söldner im Einsatz sind, Söldner, die dafür bekannt sind, Menschenrechte zu verletzen, zu morden, zu foltern und andere Staaten zu destabilisieren. Für unseren Einsatz vor Ort gilt deshalb: Wenn sich in Mali nichts ändert, kann es ein einfaches Weiter-so dort nicht geben. Das muss allen Beteiligten sehr bewusst sein. ({8}) Meine Damen und Herren, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, die Verteidigung unseres Landes und seiner Verbündeten, der Einsatz für Frieden und Freiheit in Europa und der Welt im Dienste unserer demokratischen, offenen und vielfältigen Gesellschaft: Das ist die Aufgabe unserer Bundeswehr. Für diese große Aufgabe werden und müssen wir sie auch entsprechend ausstatten. Unsere Soldatinnen und Soldaten riskieren ihr Leben für unser Gemeinwesen. Umso mehr müssen sie dann auch darauf vertrauen können, dass wir sie bestmöglich ausrüsten. Daher teile ich die Meinung des Bundeskanzlers: Unsere Ausgaben für die Verteidigung müssen weiter steigen. ({9}) Wir brauchen dieses Geld, um unsere Truppe mit dem nötigen Material zu versorgen. Da geht es von den ganz kleinen Projekten bis zu den großen multinationalen Vorhaben, von Betriebsstoffen über Ersatzteile und persönliche Bekleidung bis hin zu einsatzbereiten Flugzeugen, Schiffen oder Panzern. Aber es geht nicht nur ums Geld. Wir müssen auch das Beste herausholen aus dem, was wir schon haben. Hier gab und gibt es immer noch zu viele Missstände. Hubschrauber, die nicht fliegen, Gewehre, die nicht treffen, haben zu oft für Gespött gesorgt. Daher werde ich – ich weiß, das ist ein ganz dickes Brett, das zu bohren ist – das Beschaffungswesen gründlich modernisieren. ({10}) Bei dieser Modernisierung geht es um eine flexiblere Haushaltsführung. Es geht um das Vergaberecht, das wir verändern müssen. Es geht um mehr Effizienz, auch digitale Effizienz. Mir ist auch klar, dass wir uns die Strukturen der Beschaffung genau ansehen müssen. Ich weiß: Das ist eine große Herausforderung. Aber mein Spruch ist immer: Wenn es einfach wäre, würden es andere machen. Meine Damen und Herren, ich habe unsere Truppe nun schon einige Male besucht, zu Hause und im Einsatz, viele Gespräche geführt mit unseren Frauen und Männern in Uniform und in Zivil, und ich kann Ihnen sagen: Wir haben eine hochmotivierte Truppe, auf die sich unsere Bürgerinnen und Bürger zu Recht verlassen können. Das zeigt sich immer dann, wenn es darauf ankommt, beispielsweise im vergangenen Sommer bei der Fluthilfe und jetzt einmal mehr in der Pandemie. Seit bald zwei Jahren sind unsere Soldatinnen und Soldaten hier im Einsatz gegen das gefährliche Virus, auch unsere Reservistinnen und Reservisten: in Impfzentren, Testzentren und in Pflegeheimen. Sie helfen in den Gesundheitsämtern, beim Krankentransport oder bei der internationalen Coronahilfe. Sie tun das oft unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen; denn auch sie werden, ähnlich wie die Polizei, beleidigt, bepöbelt, und das belastet sehr. Deswegen möchte ich an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten, die in dieser Pandemie den Menschen in unserem Land zur Seite stehen, sehr ausdrücklich und von Herzen danken. ({11}) Aber ich sage auch sehr deutlich: Danke zu sagen allein reicht nicht. Wir werden deshalb genau prüfen, ob wir die Anrechnungsregelungen von Zulagen, so wie sie für die Polizei angedacht sind, auch für die Soldatinnen und Soldaten umsetzen können. Ich denke, das wäre ein richtiges und wichtiges Signal. ({12}) Aber auch persönlich handeln die Soldatinnen und Soldaten hoch verantwortlich. Über 90 Prozent haben sich impfen lassen, also deutlich mehr, als die Impfquote durchschnittlich hergibt. Diesen verantwortlichen, diesen solidarischen Geist unserer Truppe gilt es zu bewahren. Wir müssen ihn gegen diejenigen verteidigen, die unsere Werte nicht teilen: gegen die Hetzer, gegen die menschenverachtenden Verschwörungsgeschichten, gegen den rechtsextremistischen Hass. ({13}) Lassen Sie mich hier sehr deutlich sagen: Es gilt null Toleranz gegenüber jeder Form von Extremismus. Wegschauen und eine falsch verstandene Kameradschaft darf es nicht geben. ({14}) Wir werden Extremisten konsequent verfolgen und sehr schnell aus der Bundeswehr entfernen, auch durch eine Reform der soldatenrechtlichen Vorschriften, die jetzt sehr schnell kommen wird. Denn zu einer starken Bundeswehr gehört eines ganz sicher: dass man mit beiden Beinen fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht und dass man die Werte lebt, für die man kämpft. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, ich möchte eins vorwegnehmen: Viele Stellen, die Sie genannt haben, teile ich und teilt meine Fraktion, und das gilt vor allem für die letzten Sätze und den letzten Part, den Sie zur Bekämpfung des Extremismus auch in der Truppe benannt haben. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Diese Einzelfälle müssen ganz entschlossen angegangen werden. Da können Sie sich auch auf unsere Unterstützung verlassen. ({0}) Sehr geehrte Frau Bundesministerin, im Sommer wollten Sie sich ja noch aus der Politik zurückziehen und Ihren wohlverdienten Ruhestand genießen. Umso mehr freue ich mich, dass ich Ihnen nunmehr für Ihre neue Amtszeit allzeit eine glückliche Hand und Gottes Segen wünschen kann. Das tue ich aus vollem Herzen; denn Sie sind nun Bundesministerin der Verteidigung und damit die Dienstherrin eines ganz besonderen Hauses mit ganz besonderen Menschen, die bereit sind, nicht nur ihrem Beruf mit außergewöhnlichem Pflichtbewusstsein nachzugehen, sondern für die Sicherheit Deutschlands und seiner Bevölkerung sowie für die Sicherheit von Deutschlands Bündnispartnern besondere Entbehrungen hinzunehmen und im Zweifel Leib und Leben zu riskieren. Aber niemand kann erwarten, dass Sie als Politikerin, die in ihrer langen Karriere bisher wenig Erfahrung in diesem Themenfeld gesammelt hat, nach wenigen Tagen bereits jeden Dienstgrad aufzählen oder gar alle Untiefen der Verteidigungspolitik kennen können. ({1}) Aber Sie sind jetzt trotzdem die IBuK, die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt. Das erfordert die tausendprozentige Bereitschaft, sich mit voller Energie und Einsatzkraft in das für Sie neue Thema zu stürzen, so wie es auch Ihren beiden Vorgängerinnen sehr gut gelungen ist. Manchmal kann ein Start auch ein bisschen holprig sein. So berichten sowohl Mitarbeiter Ihres Hauses als auch die Medien von einer eher kühlen Übernahme des Ressorts. Auch gab es bis heute weder am ersten Dienstsitz in Bonn noch in Ihrem hier in Berlin eine Mitarbeiterversammlung. Das ist schon eher ungewöhnlich – aber egal. Dies spielt keine Rolle mehr, wenn man seine Formulierungen dennoch klug wählt und die richtigen Ziele beschreibt. Da war Ihre Rede heute hier schon ein Fortschritt im Gegensatz zu einem anderen Fall, nämlich Ihrem prominenten Interview in der „Bild am Sonntag“. Dort haben Sie, Frau Ministerin, unzähligen Soldatinnen und Soldaten auf die Füße getreten. Das zeigt sich nicht nur in zahlreichen Briefen, sondern auch in Kopien von Eingaben an die Wehrbeauftragte, von denen ich Kenntnis habe. Frau Ministerin, noch einmal: Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie bereits jetzt vollumfänglich Kenntnis über Laufbahngruppen oder die Personalentwicklung haben. Aber wie kommen Sie dazu, bereits jetzt davon zu sprechen, dass Frauen ausgebremst werden oder die Männer die Topjobs unter sich ausmachen? ({2}) Wo und wie haben Sie die gläserne Decke identifiziert, an die Soldatinnen stoßen? Sie wollen, dass es noch in Ihrer ersten Amtszeit zu einer ersten Frau General außerhalb des Sanitätsdienstes kommt. Wissen Sie, dass es hierzu bereits jetzt schon eine Frau Oberst geben müsste, damit dies in dieser Legislatur überhaupt möglich ist? ({3}) Ich möchte Ihnen mal drei Dinge sagen: Erstens. Zum Begriff „Job“: Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere, und deshalb passt der Begriff „Job“ schon gar nicht. Zweitens. Da Frauen erst seit dem Jahr 2000 den aktiven Militärdienst in der Bundeswehr ausüben können, ist es überhaupt nicht möglich, dass Frauen bereits heute Oberst sind, und deshalb gibt es auch keine außerhalb des Sanitätsdienstes. ({4}) Drittens. Regierung und Parlament haben in den letzten Jahren alles darangesetzt, dass es verschiedene Förderprogramme für Soldatinnen in der Bundeswehr gibt und dass eventuelle Karrierenachteile, beispielsweise aufgrund von Elternzeit, ausgeglichen werden. Ich möchte deswegen festhalten: Es gibt keine gläserne Decke, und wer das behauptet, der schadet der Bundeswehr und irritiert vor allem die Frauen und Männer des Personalmanagements. Außerdem wird damit den Soldaten hier ein ehrenrühriges und kaum kameradschaftliches Verhalten unterstellt, und das weise ich ausdrücklich zurück. ({5}) Frau Ministerin, weder im Koalitionsvertrag noch in der heutigen Rede ist eine klare Marschrichtung in der Verteidigungspolitik deutlich gemacht worden. Wo ist die im Koalitionsvertrag beschriebene Bestandsaufnahme? Da sind einige Ihrer Kabinettskollegen deutlich weiter. Mir scheint, die haben sich über den Jahreswechsel intensiv in ihre neuen Aufgaben eingearbeitet. Frau Ministerin, als Fachpolitiker wissen wir, dass die Bundeswehr weiter modernisiert werden muss. Generalinspekteur General Zorn sowie ihre Vorgängerin Kramp-Karrenbauer hatten in den letzten zwölf Monaten gerade auch mit Blick auf den Strategischen Kompass der EU, abgeleitet aus der gemeinsamen Bedrohungsanalyse, aufgezeigt, wo die Lücken zwischen Auftrag und Verteidigungshaushalt sind. ({6}) Wie wollen Sie damit umgehen? Die Untersuchungen und Anpassungsoptionen liegen alle auf dem Tisch. Wann entscheiden Sie? Wie geht es mit dem Haushalt weiter? Da kann man sagen: Ja, das ist eine Binse; natürlich muss er steigen. – Aber sehr geehrte Damen und Herren, mit Blick auf den Koalitionsvertrag stelle ich fest: Statt klarer Bekenntnisse zu unseren Bündnisverpflichtungen wird das 2‑Prozent-Ziel der NATO heimlich kassiert. ({7}) Unter dem Deckmantel eines 3‑Prozent-Ziels – 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen für das gesamte internationale Engagement ausgegeben werden – ({8}) wird in Wahrheit die Kürzung der Ausgaben für die Bundeswehr vorbereitet. Damit ist die dringend notwendige und geplante Vollausstattung der Truppe gefährdet. Das werden wir Ihnen von der Regierungskoalition, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht durchgehen lassen. ({9}) Frau Ministerin, die CDU/CSU-Fraktion hat sich schon immer ganz besonders für die Sicherheitspolitik und für unsere Bundeswehr eingesetzt. Deshalb erlauben wir uns, noch ein paar konkrete Forderungen an Sie zu richten: ({10}) Leiten Sie die sofortige Nachfolgebeschaffung des Tornados ein! Die Fakten liegen alle auf dem Tisch. Riskieren Sie durch Verzögerungen nicht höhere Ausgaben, unnötige Fähigkeitslücken und den Vertrauensverlust bei unseren Partnern! ({11}) Halten Sie an der nuklearen Teilhabe fest! Sie ist und bleibt fundamentaler Bestandteil der NATO und ist ein zentraler Beitrag Deutschlands für die Sicherheit Europas. Entscheiden Sie schnell über den dringend benötigten schweren Transporthubschrauber! ({12}) Sie haben beschrieben, unter welchen Voraussetzungen unsere Soldatinnen und Soldaten in Mali Dienst leisten. ({13}) Sorgen Sie dafür, dass unsere Kräfte in der Sahelzone schnellstens durch bewaffnete Drohnen geschützt werden, und stellen Sie sicher, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode die Führungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft einer Heeresdivision nicht nur per PowerPoint, sondern real verfügbar haben! Wir haben das – zuletzt hat es der frühere Außenminister Maas – international zugesichert. Wir brauchen voll ausgestattete, führungsfähige und aus sich heraus einsatzfähige Landstreitkräfte. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Bundesministerin, wie ernst die sicherheitspolitische Lage ist, zeigt die Situation an der ukrainischen Grenze, und ich bin dankbar, dass Sie diese nicht nur erwähnt, sondern auch vollumfänglich dargestellt haben; wir teilen das. Diese Realitäten zeigen, dass es im Zweifel notwendig ist, einem zu allen Mitteln entschlossenen Herausforderer ebenso entschlossen entgegenzutreten. Nur das wird ihn erfolgreich aufhalten. Deshalb brauchen wir eine starke Bundeswehr, eine starke NATO und ein starkes freies Europa, das zusammenhält. Abschließend möchte ich allen unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr zurufen: Danke für Ihren Dienst und Gottes Segen für Ihr zukünftiges Schaffen. Herzlichen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Während das Pult hier vorbereitet wird – ich bedanke mich übrigens herzlich dafür, dass das inzwischen in dieser Weise läuft –, ({0}) gestatte ich mir den Hinweis, dass die Allgemeinverfügung der Präsidentin eindeutig ist: Die Maske kann am Redepult abgenommen werden, die amtierenden Präsidentinnen und Präsidenten tragen keine Maske, und natürlich kann man zur Kurzintervention am Mikrofon zur besseren Verständlichkeit die Maske abnehmen. Die Allgemeinverfügung beinhaltet nicht das Abnehmen der Maske für Zwischenrufe. Ich bitte Sie, darauf zu achten. Nun hat aber die Kollegin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({1})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit, Frieden und internationale Zusammenarbeit sind leider keine Selbstverständlichkeiten. Sie müssen gelebt, erarbeitet und in Krisenzeiten auch immer wieder beschützt werden. Wenn Autokraten mit Menschenrechtsverletzungen und militärischer Aggression und in Erpressungsmanövern ihre geopolitischen Machtinteressen durchdrücken wollen, wie wir es gerade durch die Kremlführung in der Ukraine sehen, dann ist das weder in unserem Interesse, noch dürfen wir uns das bieten lassen. ({0}) Es bedeutet, unsere Gesellschaften vor gezielter Spaltung zu schützen, unsere bisherigen Bündnisse zu stärken und neue Allianzen zu schmieden. Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik in einer hochvernetzten Welt bedeutet aber auch vor allem ein kluges Zusammenspiel von Diplomatie, Entwicklung und Verteidigung. Wer zum Beispiel Waffenlieferungen an Autokraten oder Aggressoren genehmigt, stellt Geschäftemacherei über die glaubwürdige Botschaft für die Einhaltung internationalen Rechts und trägt am Ende zu Instabilität und im schlimmsten Fall zu Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen bei. Deshalb ist eine strengere und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik mit einem Gesetz, wie wir sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, ein aktiver und starker Beitrag zu mehr Sicherheit. ({1}) Und gerade weil die Zeitfenster für nukleare Abrüstung so selten und so wertvoll sind, wäre es fatal, sie verstreichen zu lassen. Deshalb braucht es gerade in schwierigen Zeiten und immer in enger Abstimmung und in Solidarität mit unseren Partnern eine Offensive für Rüstungskontrolle und auch den Beobachterstatus beim Atomwaffenverbotsvertrag und weitere Abrüstungsinitiativen, wie wir sie miteinander vereinbart haben. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil Kohärenz in der Sicherheitspolitik so wichtig ist, Herr Kollege Hahn, war ich doch schon sehr verwundert über Ihre Rede. Ich weiß nicht, was Sie mit dem Wort „Marschrichtung“ meinen. Wenn ich an die letzten Jahre hier zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an mehrere Ministerinnen und Minister aus Ihrer Partei, die einfach mal international vorgeprescht sind, ohne sich mit den anderen Ressorts, ohne sich mit dem Koalitionspartner abzustimmen. Frau Ministerin, ich möchte mich bei Ihnen herzlich bedanken. In diesen wenigen, aber sicherheitspolitisch doch sehr unruhigen Wochen haben wir eine andere Kultur der Zusammenarbeit erlebt. Ich glaube, das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Sicherheitspolitik erfolgreich sein kann. ({3}) Und dafür braucht es auch nicht dieses altväterliche Mansplaining, das wir hier gerade von der Union gesehen haben. ({4}) Und: Ja, mit der Ampel wird einiges mehr anders – und ich würde auch sagen: besser – in der deutschen Sicherheitspolitik. Es ist doch ein Novum, dass ein Untersuchungsausschuss nicht von der Opposition eingefordert wird, sondern dass sich die Parteien im Rahmen der Sondierungsgespräche auf die Einrichtung eines solchen zur Aufklärung der Ereignisse rund um den Abzug aus Afghanistan verständigt haben. Das ist eine andere politische Kultur, die sich Verantwortung und Realität stellt, nicht um abzurechnen, sondern um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sie in der Zukunft nicht zu wiederholen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 16 Jahren Union im Verteidigungsministerium blicken wir auch zurück auf 16 Jahre mit vielen Skandalen, viel PR-Spektakel, einer unrealistischen Trendwende nach der nächsten. Viele Probleme sind einfach verschleppt und vertagt worden. Sie haben sich verschärft. Damit muss nun endlich Schluss sein. So skizzieren wir zum Beispiel in unserem Koalitionsvertrag mit nur ganz wenigen Worten eine sehr grundlegende Umkehr bei den Beschaffungsentscheidungen: weg von einer Politik, die sich vor allem an den Wahlkreiswünschen von Unionsabgeordneten und an den Interessen der Rüstungsindustrie orientiert, ({6}) sondern den Bedarf der Bundeswehr und den verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeld in den Mittelpunkt stellt. Das ist so was von überfällig, meine Damen und Herren. Wir wollen aber auch die persönliche und materielle Ausstattung, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, die Führungskultur, die Fürsorge und all das, was auch hier liegen geblieben ist, zusammen angehen – im Sinne der so vielen engagierten Menschen bei der Bundeswehr, die ihren Dienst mit einer so hohen Einsatzbereitschaft und beeindruckenden Überzeugungen unter schwierigen Bedingungen leisten. ({7}) Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und es ist auch nicht nur Ausdruck von Dankbarkeit und Wertschätzung, sondern es ist auch ganz entscheidend für die Frage, wer sich mit welcher Motivation für diese schwierige Aufgabe entscheidet. Denn zu Recht stellt unsere Gesellschaft sehr hohe Anforderungen an all diejenigen, die im Auftrag unseres Staates das Gewaltmonopol ausüben und die Zugang zu militärischer Ausbildung und zu Waffen haben. Es gibt in der Bundeswehr nicht nur eine sehr hohe Impfquote, sondern die Soldatinnen und Soldaten leisten auch schon lange Beeindruckendes bei der Bewältigung der Pandemie. Aber die Fälle von radikalen Verschwörungsideologen beschädigen gerade die tolle Arbeit so vieler Menschen aus der Bundeswehr und auch das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden. Und das sind keine kleinen Einzelfälle, wie auch die Enthüllungen der letzten Jahre rund um rechtsextremistische Fälle deutlich zeigen. Alle Verächter unseres Staates in unseren Sicherheitsbehörden sind ein eklatantes Sicherheitsrisiko. Frau Ministerin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das in dieser Klarheit heute hier angesprochen haben. ({8}) Wir müssen mit großer Wachsamkeit noch genauer hinschauen, lückenlos aufklären und gerade die Verbindung zwischen Rechtsextremismus und Antisemitismus, zwischen Reichsbürgern und Verschwörungsideologen im Blick haben und bei den erkannten Fällen noch viel entschlossener, schneller und härter handeln. Auch dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflichtet; denn wer unseren Staat ablehnt, kann und darf nicht in seinen Diensten stehen. ({9}) Meine Damen und Herren, gemeinsam haben wir uns viel vorgenommen, und wir wollen aus der Mitte Europas heraus und gemeinsam mit unseren vielen Partnern, mit Kooperation, mit Klarheit und Konsequenz für Frieden, Sicherheit und Menschenrechte eintreten und dabei deutlich machen: –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Brugger, Sie müssen zum Schluss kommen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– Eine Politik der Werte ist auch eine Politik der Stärke. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Sie haben einen gesunden Abgeordneten, der täglich seinen Coronatest macht und nachweist, dass er negativ ist, aus dem Plenarsaal verwiesen und verbannt. Sie haben die Macht dazu. ({0}) Aber ob das klug ist, wird sich schnell erweisen. Der vor fast 160 Jahren ermordete US-Präsident Abraham Lincoln sagte: „Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.“ ({1}) Sehr geehrte Präsidentschaft, laden Sie bitte möglichst schnell zu einer interfraktionellen Besprechung ein, ({2}) die geeignet ist, eine Lösung zu finden, die diesem Haus die Würde und den Respekt zurückverleiht, die es vor den Augen der Bürger in unserem Land dringend benötigt. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Abgeordneter Lucassen, ich habe die Uhr angehalten; das heißt, von Ihrer verbleibenden Redezeit wird jetzt nichts weggehen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihnen nicht das Recht zusteht, die amtierende Präsidentin in ihrer Amtsführung in der laufenden Sitzung zu kritisieren und ihr Handeln zu bewerten. ({0}) Im Wiederholungsfall behalte ich mir vor, einen entsprechenden Ordnungsruf zu erteilen und die vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Für alle, die noch nicht so lange unter uns sind: Sollte es – und das kann vorkommen – berechtigte Kritik am Handeln von amtierenden Präsidentinnen und Präsidenten geben, dann gibt es einen Ort und ein Gremium, in dem das geklärt wird: Das ist der Ältestenrat des Deutschen Bundestages, in dem alle Fraktionen vertreten sind. Sollte es zu fehlerhaften Einschätzungen oder anderen Dingen gekommen sein, dann wird dies selbstverständlich auch öffentlich nachvollziehbar kritisiert. Herr Lucassen, Sie haben jetzt das Wort zu Ihrem Redebeitrag namens der AfD-Fraktion.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Lambrecht, nehmen Sie es einem klassischen Verteidigungspolitiker wie mir nicht übel, wenn die Erwartungen an Ihre Amtsführung nicht sehr groß sind. Das hat zwei Gründe: Zum einen erklärten Sie selbst noch im November 2020 Ihren Ausstieg aus der Politik, Stichwort „Glaubwürdigkeit“. Zum anderen haben wir in den vergangenen acht Jahren viel Erfahrung mit fachfremden Verteidigungsministerinnen machen können. Dass wir da voreingenommen sind, ist menschlich. Aber: Sollte es doch anders als erwartet kommen und Sie schaffen es, die Bundeswehr voranzubringen, so wie Sie es heute auch schon angedeutet haben, werde ich meine Voreingenommenheit an dieser Stelle als Fehler zugeben. ({0}) Im Übrigen – das sei an dieser Stelle auch gesagt – haben Ihre männlichen Amtsvorgänger ebenfalls versagt. Weder also ein Mann als BMVg-Chef ist Garant für solide Verteidigungspolitik, und schon gar nicht war es die CDU. ({1}) Die Aufgaben, die vor Ihnen liegen, sind immens. Es sind im Großen und Ganzen die gleichen geblieben wie bei Ihren Vorgängerinnen. Exemplarisch will ich nennen: Erstens: die großen Beschaffungsvorhaben. Elementare Waffensysteme brauchen dringend Nachfolger: Tornado, schwerer Transporthubschrauber. Ganze Fähigkeitslücken müssen geschlossen werden: Taktisches Luftverteidigungssystem, bewaffnete Drohnen. Zweitens. Die Personalgewinnung der Bundeswehr muss zukunftsfähig gemacht werden. In den Fachblättern wird seit Wochen über eine weitere Verkleinerung der Bundeswehr gemunkelt. Das wäre eine fatale Entscheidung für die Sicherheit Deutschlands. Der ehrliche Grund für diese Planspiele ist folgender: Seit Aussetzung der Wehrpflicht vor zehn Jahren ist es zu keinem Zeitpunkt gelungen, ausreichend Personal für die Bundeswehr zu gewinnen. Es wäre ein fataler Irrweg, über eine Reduktion der Truppenstärke nachzudenken. Das wäre ein Offenbarungseid. ({2}) Drittens. Unterziehen Sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr einer ernsthaften Prüfung. Tun Sie das, was alle Bundesregierungen immer sagten, und ziehen Sie die Lehren aus dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz. Die deutschen Kontingente in Mali und im Irak tragen eben nicht zur Stabilisierung bei. In Mali wird am laufenden Band geputscht, im Irak beschießen sich die Volksgruppen mit Raketen – und mittendrin unsere Bundeswehr, mit unklarem Auftrag und ohne Strategie. Im besten Fall schaffen es unsere Soldaten – Sie haben es vorhin selbst gesagt –, keine Verluste zu erleiden. Das ist aber zu wenig. ({3}) Frau Ministerin, um wirklich erfolgreich an die Großbaustellen der Bundeswehr herangehen zu können, müssten Sie aber das tun, was seit 1990 keiner Regierung gelungen ist: Sie müssten eine Etage höher gehen und die Daseinsfrage für die Bundeswehr endlich belastbar beantworten. Wozu wollen wir deutsche Streitkräfte haben? Eine ganz einfache Frage mit einer extrem schwierigen Antwort. Vielleicht hilft die folgende Herangehensweise: Stellen Sie sich vor, Deutschland hätte keine Bundeswehr. Für welchen Zweck würden Sie sie aufstellen? Um sie nach Mali oder in den Irak zu senden? Wohl kaum! Um sie in Gesundheitsämtern oder bei Aufräumarbeiten nach einer Naturkatastrophe einzusetzen? Sicherlich nicht! Gehen Sie diese Liste weiter durch, und Sie kommen am Ende zwangsläufig bei der einzig vertretbaren Aufgabe für deutsche Streitkräfte an: die Daseinsvorsorge für die Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, so wie es im Grundgesetz steht. Aber: Die wirkliche Schwierigkeit besteht darin, zu definieren, was die Bundeswehr dazu benötigt. Um diese Frage seriös zu beantworten, braucht man eine ehrliche Bedrohungsanalyse – nicht nur für heute, sondern für die nächsten 10 bis 20 Jahre. Man muss die Verlässlichkeit von Bündnissen abschätzen, und man muss den deutschen Anspruch in Europa und in der Welt definieren. Wenn dies alles steht, dann fallen auch die Antworten auf alle anderen Fragen der Verteidigungspolitik leichter: Wie viele Soldaten brauchen wir? Wie viele Panzer, Schiffe, Drohnen brauchen wir? Und welchen Ansprüchen müssen unsere Soldaten genügen? Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, eine Veranstaltungsreihe unter Führung des BMVg zu initiieren als Startschuss zur Beantwortung dieser wichtigen Frage: Wozu brauchen wir Streitkräfte? Und wenn Sie heute erwähnt haben, dass Sie das Beschaffungswesen grundsätzlich und gründlich erneuern wollen, dann empfehle ich Ihnen, da anzufangen, wo wir alle den Abholpunkt haben, beim Grundgesetz, und sich zu überlegen, ob die Trennung von §§ 87a und 87b noch zeitgemäß ist. ({4}) Frau Ministerin Lambrecht, für mich haben Sie den wichtigsten Posten im Bundeskabinett inne. Sie sind verantwortlich für die Daseinsvorsorge unseres Landes, käme es einmal zum Äußersten. Auch hier im Saal, aber auch in der Gesellschaft täten alle gut daran, sich dieses wieder mehr bewusst zu machen, damit die Vorbereitung auf das Schlimmste gelingt und dieses in Gottes Namen nie eintreten möge. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind die Fortschrittskoalition, auch im Bereich Verteidigung. ({0}) Wir packen jetzt das an, was die Kolleginnen und Kollegen von der Union 16 Jahre lang liegen gelassen haben, weil es ihnen 16 Jahre lang zu heiß war. ({1}) Deswegen, Herr Hahn, fand ich Ihre Diffamierungsversuche gerade von hier vorne auch völlig deplatziert. ({2}) Sie hatten 16 Jahre lang Zeit. Unsere Arbeit beginnt jetzt, und wir machen sie auch. ({3}) Ich möchte mich auf drei Fortschrittsthemen konzentrieren: Erstens: Deutschlands Rolle in der Welt. Wir stehen mit dieser Koalition zu unseren Verpflichtungen in den internationalen Organisationen, in denen wir Mitglied sind: in den Vereinten Nationen, in der Europäischen Union, aber eben auch unter den 30 NATO-Staaten. Die Verträge, die diese Republik dort unterschrieben hat, die werden wir auch einhalten, und zwar gegenüber allen unseren Partnern; das heißt auch gegenüber unseren Partnern in Osteuropa. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist völlig verständlich, wenn man sich beispielsweise mal die baltischen Staaten anguckt, dass sie mit großer Sorge und Angst auf die russisch-ukrainische Grenze schauen, wenn das Regime Putin dort über 130 000 Mann in voller Ausstattung zusammenzieht. Wenn man sich die baltische Geschichte vergegenwärtigt, dann weiß man, dass sie sich zu Recht Sorgen machen und einen Anspruch haben, dass die größte Volkswirtschaft Europas, das einwohnerstärkste Land in der Mitte Europas, ihr Bündnispartner, dass also wir unsere Verpflichtungen in der NATO erfüllen. Diese Koalition sagt: Wir werden diese Verpflichtungen zu hundert Prozent erfüllen. ({5}) Zweitens: Ausrüstung. Wir wollen, dass diese Bundeswehr im 21. Jahrhundert ankommt. Dazu gehört zuallererst die persönliche Ausrüstung der 185 000 Soldatinnen und Soldaten. Das sind häufig einfache Dinge: Das ist ein Helm, in den man Kommunikationsgeräte integrieren kann, das ist eine Schutzweste, mit der man sich auch noch bewegen kann, und das sind auch Hosen und Stiefel, die zeitgemäß sind – um mal bei den einfachen Dingen anzufangen. Das muss im Einsatz in ausreichender Zahl vorhanden sein, beispielsweise auch in Mali bei 40 Grad im Schatten, und das muss aber auch zu Hause im Training, in der Übung und im Grunddienst vorhanden sein; daran werden wir jetzt arbeiten. Wir müssen die Hürden im Beschaffungswesen abschaffen; wir müssen die Prozesse schneller machen. Das ist die erste Aufgabe. Dann können wir uns auch des dritten Punktes annehmen, und das sind die Großprojekte – die Großprojekte, die über Jahre verschleppt worden sind; der schwere Transporthubschrauber wurde hier schon erwähnt. Ich bin aber auch sehr dankbar, dass die Ministerin jetzt auch in den ersten Wochen schon auf die Koalitionsfraktionen zugekommen ist, mit dem Bundeskanzler das Gespräch gesucht hat, um beispielsweise den museumsreifen Tornado endlich einer Nachfolge zuzuführen, damit wir auch hier die Bundeswehr im 21. Jahrhundert verankern. ({6}) Wir haben im Koalitionsvertrag dafür auch die nötige Grundlage gelegt. Denn im Koalitionsvertrag steht: Wir investieren 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in vernetzte Sicherheit, Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Verteidigung – aus einem Guss. Das ermöglicht uns, den Investitionsstau, den Sie nach 16 Jahren hinterlassen haben, endlich aufzulösen. Das packen wir jetzt an. ({7}) Ich möchte mich zum Schluss bedanken. Ich möchte mich bedanken zum einen bei den Genossinnen und Genossen. Sie haben es ermöglicht, dass wir jetzt auch bewaffnete Drohnen beschaffen. Ich weiß: Das war für Sie kein leichter Weg; der war steinig und schwer. Aber Sie sind ihn gegangen, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Das war überfällig, und das ist wichtig zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. ({8}) Ich möchte mich auch bedanken bei den Freundinnen und Freunden von den Grünen. Dank ihnen können wir jetzt auch die Nachfolge des Tornados in dieser Koalition angehen und damit dafür sorgen, dass Deutschland alle seine Verpflichtungen in der NATO erfüllt, inklusive der nuklearen Teilhabe mit neuen Kampfjets. Das ist sehr wichtig, und dafür möchte ich mich bei ihnen bedanken. ({9}) Last, but not least möchte ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Union bedanken. Sie haben nämlich etwas sehr Wichtiges vollbracht: Sie haben die Stühle freigemacht, damit wir Ihren Investitionsstau jetzt aufarbeiten können, damit wir Ihren Scherbenhaufen wieder zusammenfegen können. ({10}) Dafür bedanke ich mich und für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Faber. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie herzlich am Freitagmittag. Als Nächster in dieser Debatte erhält das Wort für Die Linke der Kollege Ali Al-Dailami. ({0})

Ali Al-Dailami (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss sagen: Es ist schon erstaunlich und besorgniserregend zugleich, wie die Bundesregierung in den letzten Wochen in zentralen Fragen der Verteidigungs- und Außenpolitik aufgetreten ist. Da verkündet die Verteidigungsministerin – hallo! –, sie wolle Putin nun ins Visier nehmen. Die Außenministerin wiederum verwebt die Frage von Nord Stream 2 mit dem Ukraine-Russland-Konflikt und plädiert für eine härtere Gangart, woraufhin dann der Bundeskanzler um die Ecke kommen muss, um beides wieder einzukassieren. Danach reiben Sie sich verwundert die Augen, weil Russland und die USA nun zum Glück direkt miteinander reden, und verlangen, dass man über Ihren Kopf nichts entscheiden darf und soll. Ich sage Ihnen zum einen: Wer so uneinheitlich und widersprüchlich agiert, der braucht sich doch nicht ernsthaft darüber zu wundern, dass er nicht als erster Gesprächspartner infrage kommt, und zum anderen offenbart das doch nur die machtpolitischen Realitäten, nämlich dass die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik in den entscheidenden Fragen den geopolitischen Interessen der USA untergeordnet ist. Damit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Herren. ({0}) Sie haben auch dem Druck der USA innerhalb der NATO nachgegeben und wollen nun die Rüstungsausgaben weiter steigern. Um eben das zu verschleiern – bisher jedenfalls –, sind Sie dem Rat des bisherigen Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz gefolgt und haben nach dem Motto „Tricksen, Täuschen, Tarnen“ die Ausgaben für Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie einfach mal so zusammengelegt. Heute haben Sie zum ersten Mal, Frau Verteidigungsministerin, dankenswerterweise offen ausgesprochen, dass Sie aufrüsten wollen, und Sie haben sogar die Unterstützung der AfD. Ich kann Ihnen versichern: Wir werden weiterhin die einzige Fraktion in diesem Hause sein, die konsequent für Abrüstung streiten wird, meine Damen und Herren. ({1}) Frau Verteidigungsministerin, aus der Presse und eben nicht im dafür zuständigen Verteidigungsausschuss durften wir erfahren, dass Sie sich in einer Unterredung mit dem Bundeskanzler darauf verständigt haben, die Bewaffnung der Bundeswehrdrohnen voranzutreiben. Wie das mit der im Koalitionsvertrag erwähnten weltweiten Friedensförderung zusammenpassen soll, ist genauso schleierhaft wie der Widerspruch zu der Tatsache, dass Sie sich in der Vergangenheit eigentlich immer gegen eine solche Form der Bewaffnung ausgesprochen haben. Bereits jetzt sind Tausende zivile Opfer die Folge der bisherigen völkerrechtswidrigen Drohnenmorde der USA. Diese zivilen Opfer sind wiederum mit die Grundlage für den Hass auf jene, die diese Waffen einsetzen, und mit das beste Rekrutierungsinstrument für terroristische Gruppen, also völlig kontraproduktiv. ({2}) Die hohe Anzahl der zivilen Opfer liegt darin begründet, dass der Einsatz der Drohnen eben nicht so zielgenau und sicher ist, wie immer wieder behauptet wird, aber auch darin, dass die Hemmschwellen beim Einsatz solcher Waffen deutlich gesenkt werden. ({3}) Dieser Völkerrechtsbruch und die zivilen Opfer wären ohne die Satelliten-Relaisstation im rheinland-pfälzischen Ramstein so nicht möglich. ({4}) Deshalb: Kommen Sie zur Besinnung! Beenden Sie diesen Völkerrechtsbruch! ({5}) Schließen Sie die Drohnenmordzentrale in Ramstein! Und lassen Sie die Finger von bewaffneten Drohnen, meine Damen und Herren! ({6}) – Ja, Frau Strack-Zimmermann, es ist anstrengend, zuzuhören. – Zuallerletzt: Sie begründen immer wieder die Aufrüstung mit dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Ich sage Ihnen: Der beste Schutz der Soldatinnen und Soldaten ist es, sie erst gar nicht in irrsinnige und zum Scheitern verurteilte Auslandseinsätze zu entsenden, wie derzeit in Mali, wo wir für eine Putschregierung Sicherheitskräfte ausbilden, und wie 20 Jahre zuvor in Afghanistan. Kehren Sie zum Grundgesetz zurück! Beenden Sie die Auslandseinsätze! ({7}) Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Dailami. – Es folgt für die SPD-Fraktion der Kollege Wolfgang Hellmich. ({0})

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für unerträglich, aus den Kreisen der Fraktion Die Linke die Begriffe „Kriegstreiber“ und „Rüstungslobbyisten“ in Richtung Sozialdemokraten zu hören. ({0}) Dieses Maß an Unverschämtheit, das Sie sich anmaßen, weise ich ganz deutlich zurück. Es zerstört jede Form, irgendwo parlamentarisch zusammenarbeiten zu können. ({1}) Frau Ministerin, ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Ihr schneller Besuch in Litauen, in Jordanien und im Irak und der Besuch Ihrer Staatssekretärin in Mali haben eindrucksvoll unterstrichen, dass Ihnen die Soldatinnen und Soldaten, ihr Einsatz und ihre Leistung für unser Land dort, wohin wir sie entsenden, sehr am Herzen liegen. Frau Ministerin, ich möchte mich auch für die Einladung an die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses bedanken – das steht Ihnen persönlich wahrscheinlich eher zu; aber mir fällt es gerade ein –, Sie nach Jordanien und in den Irak zu belgeiten, hat dies doch deutlich gemacht, dass Sie auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Parlament und besonders mit dem Verteidigungsausschuss setzen. ({2}) Vor dem Hintergrund der Bundeswehr als Parlamentsarmee ist das mehr als eine Geste. In den vergangenen Jahren hätte ich mir dies gelegentlich auch mal von anderen gewünscht. ({3}) An dieser Stelle möchte ich auf den Kollegen Hahn eingehen. Das steht zwar nicht auf meinem Zettel, aber er fordert es heraus; das ist auch gut so. ({4}) Die Bilanz, die Sie nach 16 Jahren CDU-Verantwortung ({5}) für das Ministerium gezogen haben, ist mehr als blamabel. Das stimmt. ({6}) Wenn ich mir das letzte Jahr anschaue: Als wir uns in der Koalition auch politisch auseinandergesetzt haben, mussten und durften wir ein Jahr lang einen Wahlkampf der CDU/CSU zulasten der Bundeswehr erleben. Das ist genauso blamabel. ({7}) Erinnern Sie sich an die Gespräche über den Haushalt, in denen wir davor gewarnt haben, einfach mal alles ohne Priorisierung durchzuschieben, ({8}) wohl wissend, dass das politisch und finanziell gar nicht unterlegbar ist. Sie haben es trotzdem getan, vielmehr Ihre Ministerin. Das war ein gravierender politischer Fehler, der zulasten der Truppe gegangen ist, ({9}) und das finde ich ebenso blamabel. ({10}) Sehr geehrte Damen und Herren, das klare und unmissverständliche Bekenntnis zu den Bündnisverpflichtungen in der NATO ist von unseren Partnernationen als Versprechen wahrgenommen worden, für ihre Sicherheit ohne Einschränkung einzustehen. Das Versprechen werden wir einlösen, so wie sie ihr Versprechen einlösen, für unsere Sicherheit einzustehen. Diese notwendige Geschlossenheit ist die Voraussetzung dafür, dass man auch mit Russland Gespräche führen kann. Der NATO-Russland-Rat hat eindrücklich bewiesen, dass diese Geschlossenheit da ist, und die Handlungsfähigkeit der NATO mehr denn je unter Beweis gestellt. Unsere Partner in der NATO erwarten von uns, dass wir dort die Rolle übernehmen, sie aktiv zu unterstützen; das tun wir. Wenn wir über Ausbildung, Ausrüstung, Interoperabilitäten, Kohärenz der Systeme, Lastenteilung und Fähigkeitsentwicklung sprechen – das sind nur einige Stichworte, die auch für die anzustrebende europäische Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie gelten –, dann gilt das genauso für die NATO. Um dies alles tun zu können, brauchen wir hochmotivierte Soldatinnen und Soldaten, die stolz sind, ihren Job und ihre Arbeit tun zu können, ({11}) und auch Zivilbeschäftigte, an die wir genauso zu denken haben. Deshalb finde ich es gut und sehr bemerkenswert – und unterstütze das ausdrücklich –, dass ich hier heute und gestern gute Formulierungen und Vorschläge zur Ruhegehaltsfähigkeit von Zulagen gehört habe. Ich glaube, das sind wichtige Maßnahmen, um durch die soziale Ausgestaltung des Soldatenberufes und – das sage ich ausdrücklich dazu – der zivilen Beschäftigten die Attraktivität des Soldatenberufes und die Attraktivität des Engagements der Bundeswehr zu unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Machen wir uns ans Werk! Es gibt viele Dinge, die zu tun sind, und sie dulden keinen Aufschub. Vielen Dank. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Hellmich. – Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Kerstin Vieregge. ({0})

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir hier im Parlament über die deutsche Verteidigungspolitik und die Bundeswehr reden, geht es vorrangig um die Fragen des Verteidigungshaushaltes, der Auslandseinsätze oder um große Rüstungsvorhaben. Jedoch stehen wir unserer Parlamentsarmee gegenüber in der Pflicht, auch die sozialen Rahmenbedingungen der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Beschäftigten der Bundeswehr auf höchster Ebene zu behandeln. Gerade Verteidigungspolitik hat eine soziale Dimension, die keinesfalls vernachlässigt werden darf. Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag in dieser Dimension einige Ziele gesetzt. Dazu zählt, den Personalkörper demografiefest zu machen, die Attraktivität des Dienstes zu erhöhen, den Übergang von Soldaten auf Zeit in die freie Wirtschaft zu verbessern, das politische Bildungsangebot zeitgemäßer zu gestalten und auszubauen sowie die Betreuung und Fürsorge von Soldaten vor, während und nach den Einsätzen zu erweitern. Diese Ziele der Regierung sind begrüßenswert, und ich wünsche der Regierung und der Verteidigungsministerin, Frau Lambrecht, bei deren Umsetzung viel Erfolg. Ich bin mir sicher, dass es den Kollegen aus den Regierungsparteien recht wäre, wenn ich meine Rede jetzt beenden würde. ({0}) Aber den Gefallen kann ich Ihnen leider nicht tun; ({1}) denn wir Lipper sind von Natur aus immer kritisch und haben auch was zu meckern. Seit dem personellen Tiefstand vom Juni 2016 ist der Personalbestand der Bundeswehr kontinuierlich angewachsen, liegt aber dennoch unter der angestrebten Personalstärke von 203 000. Nichtsdestotrotz gilt es festzuhalten, dass die Trendwende Personal einen beachtlichen Erfolg darstellt. Vor dem Hintergrund des Megatrends des demografischen Wandels wird das umso klarer. Diese nicht aufzuhaltende Entwicklung ist bereits jetzt eine strategische Herausforderung. Geeignetes Personal zu gewinnen, ist unerlässlich, qualifiziertes Personal zu halten aber genauso. Somit muss auch die Personalretention im selben Atemzug genannt und adressiert werden. Des Weiteren ist die Absicht der Regierungskoalition, den Übergang von Soldaten auf Zeit in die freie Wirtschaft zu verbessern, gut. Aber es ist genauso wichtig, den Binnenarbeitsmarkt der Bundeswehr zu stärken. Der ausscheidende Soldat auf Zeit, der mit der Arbeitsweise der Truppe und der Wehrverwaltung vertraut ist, ist auch in Zivil eine Bereicherung für die Bundeswehr. ({2}) Dabei sollte auch nicht vergessen werden, dass im öffentlichen Dienst ebenfalls Personalmangel herrscht. In den nächsten zehn Jahren wird knapp ein Viertel der im öffentlichen Dienst Beschäftigten das Pensionsalter erreichen. Hier muss gehandelt werden, da ein leistungsfähiger öffentlicher Dienst, genau wie der der Bundeswehr, einen Grundpfeiler unseres Staates konstituiert. Um neues Personal zu gewinnen und qualifiziertes Personal zu halten, wurden in der Vergangenheit viele Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber in die Tat umgesetzt. Die Arbeitsbedingungen wurden verbessert, die Besoldung angepasst und die soziale Absicherung der Angestellten ausgeweitet. Dadurch hat sie enorm an Attraktivität dazugewonnen. Natürlich wollen wir auch das kostenlose Bahnfahren in Uniform nicht unerwähnt lassen. Dennoch gibt es weiterhin viel zu tun. Der Dienst in einer Pendlerarmee und die damit verbundenen ständigen berufsbedingten Ortswechsel stellen eine enorme Herausforderung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dar. Dort, wo es möglich ist, muss das flexible, mobile Arbeiten ausgeweitet werden, auch nach der Pandemie, und bei der Personalplanung verstärkt auf heimatnahe Verwendung geachtet werden. Wenn heimatnahe Verwendung nicht ermöglicht werden kann, dann muss sichergestellt werden, dass die finanziellen Mehraufwendungen schnellstmöglich ausgeglichen werden. Ebenfalls muss die Ausstattung in den Kasernen und auch die Infrastruktur der Bundeswehr modernisiert und verbessert werden. Eine zeitgemäße Ausstattung ist unerlässlich. Die Absicht, auch hier das Tempo zu erhöhen, ist gern gesehen. Zusammenfassend: Die von der Regierung gesetzte Marschrichtung ist in Ordnung. Dabei gilt es aber zu betonen, dass diese größtenteils lediglich die Fortsetzung eines bereits eingeschlagenen Weges darstellt. Überrascht hat mich Ihre Aussage zu den höheren Finanzmitteln; denn Maßnahmen zur Erreichung dieser eben genannten Ziele haben ein Preisschild, und ohne die Hinterlegung der erforderlichen Finanzmittel verbleiben nur Worthülsen. Lippenbekenntnisse bringen uns und auch die Truppe nicht voran. Angesichts des gekürzten Verteidigungshaushaltes im Finanzplan bis 2025 habe ich momentan noch erhebliche Bedenken, dass es möglich sein wird, die soziale Dimension der Verteidigungspolitik zu stärken und zeitgleich die Bundeswehr strukturell und materiell vollumfänglich hinsichtlich ihrer Aufgabenwahrnehmung zu befähigen, um somit unsere Zusagen an unsere Verbündeten einzuhalten. Wir alle, nicht nur die Regierungsparteien, wollen eine bestmöglich ausgestatte Bundeswehr. Wir als Union sind aber davon überzeugt, dass bestmöglich ausgestattet mit den zu erwartenden Finanzmitteln nicht gut genug sein wird. Frau Ministerin, das Jahr ist noch jung.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin? Sie haben Ihre Zeit schon weit überschritten.

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also zögern Sie nicht, uns nach den vielen, vielen guten Ankündigungen, die wir heute gehört haben, auch mit Taten zu überraschen. Die Truppe hat es verdient. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch mal der Hinweis. Wir geben immer mal ein paar Sekunden dazu, wenn wir das Gefühl haben, Sie kommen zum Schluss. Aber wenn Sie dann immer wieder neu ansetzen, dann muss man Sie einfach unterbrechen. Ich möchte ja gerne, dass Sie Ihren Schlusssatz schön machen können, aber dann reagieren Sie bitte auf unser Signal. Als Nächstes erhält nun das Wort zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag die Abgeordnete Sara Nanni für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Ja, die Bundesregierung hat sich auch sicherheitspolitisch viel vorgenommen. Wissen Sie, worauf ich mich besonders freue? Wir werden Auslandseinsätze in Zukunft regelmäßig und ressortübergreifend evaluieren. ({0}) Seien wir mal ganz ehrlich: Das müsste eigentlich selbstverständlich sein. Wenn wir als Deutscher Bundestag die Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz schicken, dann müssen wir nicht nur vorher genau wissen, was der Auftrag ist, was die Ziele sind und wie die Aussichten auf Erfolg aussehen, sondern wir sollten auch immer – auch mit externer Expertise – fragen, ob der Auftrag denn erfüllt wird, welche Ziele nicht oder noch nicht erreicht wurden und vor allem, warum, auch wenn es wehtut. ({1}) Das werden wir jetzt auch genauso machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind wir den Soldatinnen und Soldaten schuldig. Wir sind es aber auch den Menschen in den Einsatzgebieten schuldig, die Hoffnung in unseren Einsatz, in unser Engagement legen oder gelegt haben – wie unsere Partner/-innen in Afghanistan, die über 20 Jahre an unserer Seite eingestanden sind für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Die internationalen Truppen sind abgezogen. Die Taliban haben die Macht übernommen, aber diese Menschen streiten weiter vor Ort und im Exil für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. ({2}) Auch die Bundesregierung und das Parlament bleiben dran. Unsere Außenministerin hat den Aktionsplan für Afghanistan ins Leben gerufen, eine ihrer ersten Amtshandlungen. Und die Innenministerin hat mit der Aussicht auf bessere Bleibemöglichkeiten und Teilhabe ein klares Zeichen gesetzt: Wir vergessen euch nicht. ({3}) Wir werden auch hier im Parlament mit einem Untersuchungsausschuss die Evakuierungsmission des Sommers untersuchen. ({4}) Es wird eine Enquete-Kommission zum Afghanistan-Einsatz geben, wo alle zu Wort kommen müssen, ({5}) die Bundeswehr, die Berater/-innen aus den zivilen Missionen, die Entwicklungspartner/-innen vor Ort, die Zivilgesellschaft in Afghanistan und in Deutschland. Auch hier ist die Botschaft: Wir vergessen euch nicht. ({6}) Und ja, Herr Kollege, das reicht nicht. Der Bundestag kann selbst nicht alle Aufarbeitungsarbeit machen. Eine kleine Anregung an alle, die zivilgesellschaftlich auch mit dem Thema befasst sind: Wir sind als Parlament ansprechbar, wenn Sie da auch in die Aufarbeitung gehen wollen. Ich glaube, das ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr war im letzten und im vorletzten Jahr sehr sichtbar, so sichtbar wie lange nicht, ja, auch wegen der Bilder aus Kabul, aber auch wegen der Bilder vom Hochwasser und aus den Impfzentren. Allen Soldatinnen und Soldaten, die sich deshalb die eine oder andere Extra- oder Nachtschicht um die Ohren gehauen haben, herzlichen Dank! ({8}) Sie haben wichtige Arbeit geleistet und leisten sie weiter. Aber für uns als Parlament muss auch klar sein: Wenn schon heute die Zahl der Naturkatastrophen zunimmt, muss in erster Linie der zivile Katastrophenschutz gestärkt werden. Denn Kernaufgabe der Bundeswehr bleibt die äußere Sicherheit. ({9}) Kernaufgabe der Bundeswehr ist also die äußere Sicherheit. Dazu gehört, dass Aufgaben und Fähigkeiten zusammenpassen – das ist eine Binse –, wobei ich dazusagen möchte, dass man sowohl bei den Aufgaben als auch bei den Fähigkeiten ansetzen kann, um sie besser zueinanderzubringen. Eine kleine Anmerkung sei mir erlaubt, Frau Ministerin: Über die Frage, ob und, wenn ja, in welchem Umfang und für welche Linien mehr Geld ausgegeben wird, entscheiden wir in guter Zusammenarbeit mit Ihrem Haus, aber trotzdem letztendlich mit der Mehrheit hier im Parlament. ({10}) Eins will ich auch klar sagen: Die Bundeswehr selbst kann nur einen Beitrag zur äußeren Sicherheit leisten. Es ist eine Binse, dass sich Konflikte mit militärischen Mitteln nicht lösen lassen. ({11}) Deswegen ist für uns als Ampelkoalition die europäische Abstimmung so wichtig; Sie haben es selbst erwähnt. Deswegen arbeiten wir auch daran, die Kohärenz zwischen den Häusern zu verbessern, und wir werden auch in Rüstungskontrolle und zivile Krisenprävention mehr investieren. ({12}) Was ich in den letzten Wochen durch den Kontakt, den ich zur Truppe gesucht habe, erlebt habe, ist, dass die Angehörigen der Bundeswehr oft am besten wissen: Ohne eine zivile und politische Gesamtstrategie nutzt auch ein guter Fähigkeitslückenschließungsplan herzlich wenig. Ohne eine kohärente Strategie ist alles nichts. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie alle herzlich ein: Bringen Sie sich konstruktiv in die Debatte um eine kohärente Außen- und Sicherheitspolitik ein! Es gibt dabei viel zu gewinnen. Danke schön. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin Nanni. – Als nächste Rednerin in dieser Debatte erhält das Wort für die FDP-Fraktion die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland liegt im Herzen Europas und ist, wie Johannes Rau es anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes gesagt hat, „von Freunden umzingelt“. Damit zog er seine persönlichen Lehren aus dem 8. Mai 1945. Das war eine Aussage, welche die meisten Menschen als beruhigend empfanden. Sie waren beruhigt und beglückt darüber, dass sie nicht mit aggressiven Grenznachbarn zu rechnen hatten. So wurden Frieden und Sicherheit zu einer puren Selbstverständlichkeit. Gesprochen wurde in Deutschland über die militärischen Aufgaben der Bundeswehr in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht. Wir sprechen jetzt über den tollen Einsatz wegen Corona, aber eben nicht über das Militärische, für das die Bundeswehr originär da ist. Im Gegenteil: Nach 16 Jahren Befehls- und Kommandogewalt bei der CDU wurde die Bundeswehr heruntergespart, verschwanden Standorte, wurde Personal mit viel Know-how frühzeitig in den Ruhestand geschickt. ({0}) – Lieber Kollege Hahn, das ist jetzt nicht persönlich an Sie gerichtet, aber wer so viel Mist hinterlässt, muss sich nicht auch noch draufsetzen und laut krähen. ({1}) Meine Damen und Herren, das Jahr 2014 lehrte uns, dass seitens Russlands Grenzen wieder infrage gestellt werden, als Nachbarn brutalst angegriffen und Gebiete annektiert wurden. Deswegen von hier aus – ich bin froh, dass die Ministerin das so deutlich angesprochen hat –: Herr Putin, auch heute und jetzt ist die europäische Sicherheitsstruktur nicht verhandelbar, und jedes Land entscheidet selbst, welche Kooperationen es sucht. ({2}) Es wird, meine Damen und Herren, deswegen Zeit, über äußere Sicherheit im Deutschen Bundestag regelmäßig und grundsätzlich zu debattieren, auch um den Menschen in Deutschland offen, ehrlich, ungeschminkt und direkt klarzumachen, warum es uns im wahrsten Sinn des Wortes sehr viel wert sein muss, eine starke Bundeswehr zu haben. Das schlägt sich unter anderem auch im Etat nieder. Die Aussage des verstorbenen SPD-Verteidigungsministers Peter Struck war unmissverständlich, und sie war richtig: Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch in anderen Ländern verteidigt. – Wer den internationalen Terrorismus nicht bekämpft, meine Damen und Herren, der wird nicht nur den vielen Millionen Menschen ihre Heimat nehmen, sondern er wird auch erleben, dass der Terror vor unserer Haustür aufschlägt. An Die Linke gerichtet sage ich: Schauen Sie hin, was dort mit Frauen passiert. Sie spitzen immer den Mund, und wenn gepfiffen werden soll, ziehen Sie sich zurück. ({3}) Schauen Sie sich das an! Daran werden Sie, lieber Kollege – besonders Sie! –, gemessen werden. ({4}) Wer glaubt, dass es Sicherheit zum Nulltarif gibt, meine Damen und Herren, der verkennt die Realität und verschließt die Augen davor, dass wir immer wehrhaft sein müssen, und das müssen die anderen auch wissen. Dazu bedarf es einer einsatzbereiten Bundeswehr und – ja – der gesellschaftlichen Wertschätzung für unsere Soldatinnen und Soldaten, die am langen Ende für unsere Freiheit ihr Leben einsetzen. Es ist eben keine Wertschätzung, wenn man nicht die beste technische Ausstattung und das beste Know-how beschafft. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr wird uns alleine aber nie schützen können. Sie kann in Krisengebieten einen Moment für Ruhe sorgen. Am Ende aber bedarf es der Diplomatie und der Entwicklungszusammenarbeit, um Frieden zu ermöglichen. Deswegen gehört auch eine Analyse der Gründe dazu, weswegen Konflikte entstehen, und diesem Anspruch werden wir gerecht werden. Meine Damen und Herren, dazu brauchen wir eine enge, vernetzte Zusammenarbeit, auch und besonders zwischen den Ministerien. Frau Ministerin Lambrecht, auch ich danke Ihnen für die Einbindung des Parlamentes; Kollege Hellmich hat es gerade gesagt. Ich bitte auch die Ministerinnen Frau Baerbock und Frau Schulze um ihre Mitwirkung. Es ist Zeit, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen. Ich danke Ihnen. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Nunmehr hat das Wort für die SPD-Fraktion zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag Kevin Leiser. ({0})

Kevin Leiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Unsere Fortschrittsregierung macht auch in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ihrem Namen alle Ehre. Wir schaffen Fortschritt für die Demokratie, Fortschritt für die Europäische Gemeinschaft und Fortschritt für die deutsche Sicherheit. ({0}) Auf internationaler Ebene bekennen wir uns zu unseren Bündnispartnern. Wir wollen sowohl in der NATO als auch in der EU weiterhin als verlässlicher und ernstzunehmender Partner agieren; Ministerin Lambrecht hat dies bereits eindrücklich geschildert. Da mein Kollege Wolfgang Hellmich bereits auf die NATO eingegangen ist, werde ich mich auf die EU fokussieren. Die Regierungskoalition handelt im europäischen Selbstverständnis, eingebettet in das historische Friedens- und Freiheitsprojekt der Europäischen Union. Denn die Umbrüche des 21. Jahrhunderts lassen sich nicht allein national bewältigen, auch wenn die AfD das noch immer nicht begreifen will. ({1}) Als EU werden wir uns künftig entschlossener als starker und eigenständiger Akteur im Systemkonflikt zwischen freiheitlichen Demokratien und totalitären Regimen positionieren. Uns vereinen die Prinzipien des Völkerrechts, der Menschenrechte und der europäischen Friedensordnung. Sie sind uns Auftrag, Orientierung und gemeinsame Wertebasis. So schaffen wir Fortschritt für die Demokratie. ({2}) Innerhalb der EU liegt die Herausforderung darin, unterschiedliche Interessen zu einer gemeinsamen Position zusammenzubringen. Wir können als europäische Staatengemeinschaft nur dann ein Garant von Sicherheit sein, wenn wir auch kohärent agieren. Wir werden die Arbeiten am Strategischen Kompass konstruktiv mitgestalten. In einer europäischen Sicherheitsstruktur ist es zu begrüßen, dass wir als EU gemeinsame Handlungsleitlinien formulieren. So schaffen wir Fortschritt für die Europäische Gemeinschaft. ({3}) Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Sie besteht aus Menschen, für deren Bedürfnisse, Arbeitsbedingungen und Sicherheit wir im Deutschen Bundestag die Verantwortung tragen. Die Sicherheit in Deutschland hängt von einer gut aufgestellten Bundeswehr ab. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, was dabei zu tun ist: Die Ausrüstung der Bundeswehr muss auf den Prüfstand gestellt und modernisiert werden. Gleichzeitig werden wir die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeberin verbessern. Auch dies hat Ministerin Lambrecht bereits geschildert. Die Anzahl von Cyberangriffen gegen Deutschland und unsere Verbündeten in NATO und EU steigt. Dem treten wir mit einer ehrgeizigen Cybersicherheitspolitik entgegen. Der Schutz vor Cyberangriffen ist elementarer Bestandteil der Sicherheit unserer Gesellschaft. ({4}) Ich bin neu im Deutschen Bundestag und neu im Verteidigungsausschuss. In den bisherigen Gremiensitzungen und Gesprächsrunden ist mir die hohe Einsatzbereitschaft, die Leistungsstärke und Motivation der Angehörigen unserer Bundeswehr positiv aufgefallen. ({5}) Dieser Eindruck gibt mir zusätzlichen Antrieb, unserer politischen Verantwortung gegenüber den Streitkräften gerecht zu werden. Die Angehörigen der Bundeswehr riskieren ihre Sicherheit für die unseres Landes. Es liegt in unserer Verantwortung, alles dafür zu tun, damit die Armee ihrer Arbeit sicher, effektiv und effizient nachkommen kann. Mit einer verbesserten Ausstattung der Bundeswehr, einer ehrgeizigen Cybersicherheitspolitik und einem vertrauensvollen Austausch mit den Angehörigen der Bundeswehr schaffen wir Fortschritt für die Sicherheit in Deutschland. ({6}) Die Ausführungen der Union waren leider geprägt von Selbstgerechtigkeit und Vergesslichkeit. Die 4,9‑Prozent-Partei Die Linke tut sich immer noch schwer, adäquat mit den Realitäten der internationalen Ebene umzugehen. ({7}) Im Gegensatz dazu schafft die Fortschrittsregierung Fortschritt für die Demokratie, Fortschritt für die Europäische Gemeinschaft und Fortschritt für die Sicherheit in Deutschland. Ich freue mich auf die Umsetzung dieser Ziele zusammen mit allen staatstragenden Fraktionen dieses Hauses und unserer Ministerin Christine Lambrecht – für eine starke Bundeswehr, die strategische Souveränität Europas sowie eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Bündnispartnern. Vielen Dank an meine Verteidiger in der SPD-Fraktion. Ihr seid klasse! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Leiser. – Als letzter Redner zu diesem Themenbereich erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jens Lehmann. ({0})

Jens Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem neuen Amt und wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg für die anstehende Arbeit. Zunächst einmal möchte ich jedoch den Bundeswehrsoldaten für ihren Dienst an unserem Land danken. Ich danke allen Soldaten auch für die großartige Unterstützung bei der Bewältigung der Coronapandemie und nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer. Ohne die engagierte Arbeit der Soldaten wäre sicher so manches Gesundheitsamt zusammengebrochen, und ohne das beherzte Anpacken der Soldaten hätte die schnelle Beseitigung der ersten Flutschäden vermutlich wesentlich länger gedauert. ({0}) Ich möchte den Soldaten aber auch für ihre Gelassenheit danken. Anders kann man wohl solche Prioritätensetzungen wie zum Beispiel die Umbenennung der Einmannpackung in „Einpersonenpackung“ nicht einordnen. Angesichts der verteidigungspolitischen Themen, die vor uns liegen, sollten wir, sollte aber auch die Bundeswehr den Fokus auf dringendere Themen legen. Denn es gilt beispielsweise angesichts der anhaltenden Spannungen mit Russland und der Situation entlang der ukrainischen Grenze, die Bundeswehr zu ertüchtigen, ihrer Kernaufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung gerecht zu werden. Dazu braucht es eine gute finanzielle Ausstattung. Werte Frau Ministerin, dank Ihrer beiden Vorgängerinnen verzeichnet der Einzelplan 14 seit Jahren eine steigende Finanzlinie. Beide mussten allerdings hart mit dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz verhandeln. Schauen wir uns aber den von Olaf Scholz erarbeiteten Eckwertebeschluss zum Finanzplan bis 2025 an, sehen wir – anders als Sie, Frau Ministerin – langfristig eine fallende Finanzlinie. Das im Wahlkampf von Olaf Scholz überstrapazierte Wort „Respekt“ finde ich mit Blick auf die Bundeswehr hier leider nicht wieder. Frau Ministerin, für die Truppe ist nicht der neue Name eines Ausrüstungsartikels entscheidend, sondern dass die Ausrüstung vorhanden ist und funktioniert. Deshalb mein Appell: Stehen Sie zu Ihrem Wort von eben, sorgen Sie dafür, dass die Bundeswehr mit ausreichenden Mitteln versorgt wird, um dringend benötigte Ausrüstung zu beschaffen. ({1}) Wir wollten beispielsweise die Beschaffung von bewaffneten Drohnen schon in den vergangenen Legislaturperioden, ({2}) aber die SPD als Koalitionspartner in der Regierungsverantwortung verweigerte unseren Soldaten in den letzten acht Jahren den Schutz durch dieses System. Entschuldigen Sie meine Skepsis, aber angesichts des jüngst publik gewordenen Videos Ihres Ministerkollegen Lindner zur Situation von Ungeimpften fällt es mir jetzt schon schwer, an die Einhaltung von Wahlversprechen oder Koalitionsvereinbarungen der Ampel zu glauben. ({3}) Deshalb fordere ich Sie auf, deshalb fordern wir als Unionsfraktion Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass die Bundeswehr bewaffnete Drohnen erhält, sorgen Sie dafür, dass die Bundeswehr einen neuen schweren Transporthubschrauber erhält – um hier nur zwei Beispiele zu nennen. Kurz gesagt: Sorgen Sie dafür, dass die Truppe alles an Material und Ausstattung erhält, was sie zur Auftragserfüllung benötigt. ({4}) Meine Damen und Herren, der Truppe werden große Aufgaben übertragen. Dazu wurde jetzt von vielen Rednern vieles gesagt. Ich möchte als Sprecher des Beirats „Spitzensportförderung der Bundeswehr“ gerne daran erinnern: Die Bundeswehr ist der größte Sportförderer in Deutschland. Die gezielte Förderung von Sportlern durch die Bundeswehr ist einzigartig. Regelmäßig holen Sportsoldaten die Hälfte aller olympischen Medaillen nach Hause. Auch dank der Unionsfraktion sind mittlerweile 850 Stellen in 15 Sportfördergruppen mit Sportsoldaten besetzt, von denen viele in drei Wochen bei den Olympischen Winterspielen in Peking an den Start gehen werden. Drücken wir ihnen also die Daumen für diese anspruchsvolle sportliche Mission! ({5}) An Sie, werte Frau Ministerin, appelliere ich erneut: Stärken Sie auch unseren Sportlern den Rücken; setzen Sie sich weiterhin für eine starke Spitzensportförderung der Bundeswehr ein. Sehr geehrte Damen und Herren, vor uns liegen große Herausforderungen. Wir müssen die Bundeswehr ertüchtigen, ihren Kernauftrag zu erfüllen. Wir müssen Antworten auf die Situation in der Ukraine finden. Wir müssen die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes weiter vorantreiben; denn kaum ein Einsatz hat vom ersten bis zum letzten Tag in Deutschland politisch, militärisch und gesellschaftlich so viel verändert. Das sind wir der Gesellschaft, das sind wir vor allen Dingen den Soldaten und ihren Angehörigen schuldig. Es liegt nun an Ihnen, in der Verantwortung der neuen Bundesregierung, dies umzusetzen. Wir als Unionsfraktion möchten unseren Teil dazu beitragen. Deshalb nehmen wir Ihre Aussagen aus dem Koalitionsvertrag genau ins Visier und werden Sie daran messen. Danke. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Lehmann. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider hat ja das Jahr 2022 begonnen wie das letzte Jahr: mit Warnungen vor Virusvarianten, mit erschreckenden Infektionszahlen, mit Krisenmeldungen. Nach wie vor geißelt die Covid-19-Pandemie die Menschen rund um den Globus. Mehr als 300 Millionen Infektionen wurden bisher gezählt. 5,5 Millionen Menschen sind an oder mit dem Virus gestorben. Unsere Hoffnungen für die Zukunft werden auf die Probe gestellt, so hat es UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Neujahrsansprache gesagt. Was wir jetzt brauchen, ist Zuversicht, ist Solidarität. Ja, es kann uns zuversichtlich stimmen, dass es jetzt Impfstoffe gibt, inzwischen auch in größeren Mengen. Weltweit sind schon fast 9,5 Milliarden Dosen verimpft worden. Das ist erst einmal ein Erfolg. Aber viel stärker noch als im letzten Jahr ist unsere Solidarität gefragt, national wie international; denn niemand ist sicher, bevor nicht alle sicher sind. Gerade für die ärmeren Länder ist die Pandemie zu einer Polypandemie geworden mit gesundheitlichen, aber auch mit wirtschaftlichen, mit sozialen Folgen. Für alles, was wir uns vorgenommen haben, um die Lebenssituation der Menschen bis 2030 besser zu machen, bedeutet diese Pandemie einen herben Rückschlag. Nehmen wir zum Beispiel den afrikanischen Kontinent. Dort mussten wir 2020 die erste Rezession in 25 Jahren erleben mit dramatischen Folgen für Bildung, für Gesundheitsversorgung und eben auch für die Gleichberechtigung. Den meisten Entwicklungsländern fehlen die Strukturen und die finanziellen Mittel, um auf diese Pandemiefolgen reagieren zu können. Insgesamt muss man leider sagen: Vieles Schlechte, was wir auf der Welt bekämpfen, ist durch die Pandemie noch schlechter geworden. Und vieles Gute, wofür wir uns in der Zusammenarbeit mit unseren Partnerländern einsetzen, wird gebremst und erfährt Rückschritte. Deshalb ist es so wichtig, dass wir alles dafür tun, die Pandemie weltweit zu bekämpfen. In Afrika wurde selbst das nach unten korrigierte Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO, bis Jahresende 10 Prozent – 10 Prozent! – der Menschen zu impfen, verfehlt. Es ist noch ein weiter Weg bis zu einer globalen Impfgerechtigkeit. Ich werde mich in unserer deutschen G‑7-Präsidentschaft dafür einsetzen, das Engagement der wichtigsten Industrienationen für die Entwicklungsländer zu erhöhen. Noch in diesem Monat werde ich in Genf mit unseren Partnern schauen, wie wir die Unterstützung ausbauen können. Die Impfinitiative Covax benötigt nicht nur Impfdosen, sondern eben auch Unterstützung bei der Logistik, beim Kühltransport, bei Spritzen, bei Handschuhen. Es muss auch mehr Informations- und Aufklärungskampagnen geben; denn Impfskeptiker gibt es leider in vielen Ländern. Es geht also neben dem Impfstoff auch um die gesamte Infrastruktur des Behandelns und des Testens. Rund 17 Milliarden US-Dollar beträgt die Finanzierungslücke für die globale Coronainitiative ACT‑A. Deutschland wird seinen Beitrag leisten, und ich setze mich dafür ein, ihn gemeinsam mit anderen wirtschaftsstarken Ländern noch zu steigern. Alle müssen mithelfen, die Pandemie auch in den Entwicklungsländern zu besiegen. Aber auch andere Krisen machen nicht halt: im Jemen, in Afghanistan, in der Ukraine, in Myanmar. Klimawandel und Biodiversitätsverlust sind auf dem Vormarsch, und die Maßnahmen dagegen reichen bislang nicht aus. Deshalb war es so wichtig, dass die Bundesregierung sich klar zu einer starken, internationalen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit bekannt hat. Ich kann da an das anknüpfen, was schon Heidemarie Wieczorek-Zeul vor über 20 Jahren auf den Weg gebracht hat: Entwicklungszusammenarbeit ist immer mehr auch globale Strukturpolitik. Deutsche Entwicklungspolitik ist wichtiger Treiber für die Gestaltung der globalen Entwicklung. Lassen Sie mich kurz skizzieren, was ich als Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorhabe: Im Koalitionsvertrag steht, dass wir eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens und 0,2 Prozent davon für die ärmsten Länder erreichen wollen. Das ist ein ganz starkes Signal an unsere Partner. ({0}) – Ja, genau. – Wir werden unser Engagement für eine gerechte und nachhaltige Globalisierung ausbauen. Dazu gehört ein Lieferkettengesetz, auch auf der EU-Ebene, und die Initiative für entwaldungsfreie Lieferketten. ({1}) Die Schlüsselbereiche sind Ernährung, Trinkwasser und erneuerbare Energien. „One Health“ – also die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt – wird für die Arbeit des BMZ ein Schwerpunkt sein; denn nur so wird es gelingen, besser gegen künftige Pandemien gerüstet zu sein. Afrika ist eine Schwerpunktregion der deutschen Entwicklungspolitik. Aber wir wollen auch verstärkt mit anderen Regionen zusammenarbeiten, ohne die wir unsere gemeinsamen Ziele der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens nicht erreichen werden. Die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung sind die Richtschnur für die deutsche Entwicklungspolitik. Die Zivilgesellschaften und die kirchlichen Entwicklungsorganisationen sind wichtige Partner. Auf diesem Weg in eine zukunftssichere Welt ist mir eines besonders wichtig: Es muss gerecht zugehen. Wir brauchen einen Rahmen, bei dem die notwendige Transformation nicht zu neuen Ungerechtigkeiten führt, sondern zu einer Kooperation auf Augenhöhe und zu Respekt. Wir müssen Deutschlands Stärke und Ansehen in der Welt nicht nur in der unmittelbaren, bilateralen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern als verlässliche Partner einsetzen. Ich will das auch stärker mit der multilateralen Arbeit verbinden und so unsere Wirkungskraft erhöhen. Gestern habe ich mich mit der EU-Kommissarin Jutta Urpilainen getroffen, um mit ihr über eine Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit in der EU und mit den Mitgliedstaaten zu sprechen. Das Gleiche will ich in einer Kooperation im Kreis der G 7 und G 20 und natürlich auch in den verschiedenen UN-Institutionen vorantreiben. Entwicklungspolitik – das wissen wir hier alle im Parlament – ist auf Geld angewiesen. Aber Geld alleine reicht nicht. Wir brauchen auch die politischen Hebel in der Weltgemeinschaft, um die Zukunft für die Menschen in der Welt besser zu machen. Machen wir 2022 auch in der Entwicklungspolitik zum Jahr des Aufbruchs, mit Solidarität und Respekt, mit Partnerschaft und sozialer Gerechtigkeit. Denn nur so wird es uns gelingen, die globale Krise unserer Zeit zu meistern. Herzlichen Dank. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze. – Ihr folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hermann Gröhe. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin, wenn wir im Deutschen Bundestag über wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, über unseren Beitrag gegen bittere Armut in der Welt, für mehr Gerechtigkeit, für die Bewahrung der Schöpfung diskutieren, dann gibt es in diesem Parlament zunächst einen bemerkenswert breiten Konsens an Gemeinsamkeiten; denn bis auf den nationalistischen Rand sind wir uns einig, dass unser Land international Verantwortung übernehmen muss, in einer Weise, die unserem Selbstverständnis und unserer wirtschaftlichen Stärke entspricht. Ja, wir streiten über die Fragen: Wie sieht die wirksamste Form von Entwicklungszusammenarbeit aus? Welche diplomatischen Instrumente können welche Erfolge erzielen? Welche Rolle muss die Bundeswehr bei der Durchsetzung des Völkerrechts, bei der Bekämpfung von Terrorismus übernehmen? Das sind wichtige Fragen; aber wir bekennen uns eben zu unserer internationalen Verantwortung. Deswegen haben in den letzten Jahren nahezu alle Fraktionen für die Verstärkung unserer entwicklungspolitischen Anstrengungen gestritten, für das Ziel, das wir übrigens zweimal erreicht haben: 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden, ein Ziel, das so lange unerreichbar erschien. Auch eint uns das Bekenntnis zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen. Auf diesem starken Fundament können wir leidenschaftlich um konkrete Politik ringen. Dieses Fundament war eine starke Unterstützung für die überaus erfolgreiche Arbeit von Gerd Müller. Deswegen, verehrte Frau Ministerin, verstehe ich Ihre unangebrachte Kritik zwischen den Jahren weiß Gott nicht. Das BMZ ist gut aufgestellt dank der Arbeit Ihres Vorgängers. ({0}) Deswegen noch einmal die Ausgangsbilanz: Als der letzte sozialdemokratische Kanzler sein Amt antrat, betrug der Etat des Entwicklungsministeriums knapp 4 Milliarden Euro, sieben Jahre später knapp 3,9 Milliarden Euro – wahrlich eher peinlich. In der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde der Etat verdreifacht und in den letzten Jahren in der Verantwortung von Gerd Müller verdoppelt. Liebe Frau Schulze, nehmen Sie sich also ein Beispiel an Gerd Müller, dann stimmt die Richtung. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg. ({1}) Für die unzureichende Finanzplanung, die Gerd Müller hier in diesem Hause kritisiert hat, trägt der damalige Finanzminister Olaf Scholz die Verantwortung. Sie betrifft übrigens auch – und das steht in einem bemerkenswerten Spannungsverhältnis zur Bedeutung internationaler Verantwortung – das Auswärtige Amt – ich weiß nicht, ob Sie Heiko Maas dafür verantwortlich machen; das erfordert weniger Mut, als das bei Olaf Scholz abzuladen – oder auch das Verteidigungsministerium. Das muss dringend korrigiert werden; dann stehen wir an Ihrer Seite. ({2}) Natürlich geht es nicht nur darum, mehr Geld auszugeben. Es geht darum, dieses Geld sinnvoll gestalterisch einzusetzen. Das ist geschehen, und dafür stehen wir ein. Ich nenne beispielsweise den Kampf gegen den Hunger: Über 800 Millionen Menschen leiden an bitterem Hunger, 2 Milliarden Menschen an Mangelernährung. Für Ernährungssicherung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung gibt die Bundesrepublik Deutschland jährlich 2 Milliarden Euro aus. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Anstrengungen nach den bitteren Folgen der Pandemie für die Ernährungssicherheit und die Ernährung so vieler Menschen verstärkt fortgesetzt werden müssen. Ich nenne als zweites Beispiel die internationale Klimafinanzierung. Von 2014 auf 2020 wurde sie von 2 Milliarden Euro auf 5 Milliarden Euro gesteigert. Zu 85 Prozent trägt der Etat des Entwicklungsministeriums dazu bei. Als weiteres Beispiel nenne ich die Artenvielfalt. 2020 wurden 800 Millionen Euro in diesem Bereich aufgewendet. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt Schutzgebiete allein in einer Fläche, die sechsmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland selbst. Weltweit einmalig war das Programm, das aufgelegt wurde zur Linderung der Folgen der Pandemie, mit 4,7 Milliarden Euro. Ich danke ausdrücklich den Entwicklungshilfeorganisationen, aber auch dem BMZ für die Flexibilität, aus Maßnahmen, deren Umsetzung die Pandemie nicht mehr zuließ, Maßnahmen zu machen, die der Linderung der Pandemiefolgen gedient haben. Das war ein großartiges Beispiel für die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft, unseren Partnerländern und von der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Wenn 500 Millionen Euro dazu aufgewendet werden, in Südafrika, Ghana und im Senegal eine Impfstoffproduktion aufzubauen, dann trägt das genau zu der Impfgerechtigkeit bei, von der Sie zu Recht gesprochen haben. Im Koalitionsvertrag bekennen Sie sich zur Stärkung multilateraler Anstrengungen. Es ist sinnvoll, immer wieder zu prüfen, was wir gemeinsam besser tun können. Ob dazu allerdings der Aufbau sozialer Sicherheitssysteme der richtige Bereich ist, werden wir zu diskutieren haben, weil gerade dort häufig die deutsche Erfahrung mit Sozialpartnerschaft, mit Mitbestimmung, mit sozialen Sicherungssystemen gefragt ist. Wir werden das zu erörtern haben. In einem anderen Punkt, der wesentlich lebt von multilateralen Anstrengungen, bleibt der Koalitionsvertrag merkwürdig dünn, ohne ehrgeizige Ziele: Das ist der Bereich der globalen Gesundheit. Da werden Sie der bisherigen Führungsrolle Deutschlands nicht gerecht. Ich bin froh, dass Sie da heute in Ihrer Rede nachgelegt haben. Aber wenn Sie sich den Text der Koalitionsvereinbarungen ansehen, dann finden Sie dort kein Bekenntnis etwa zum Einsatz für eine internationale Übereinkunft zur Pandemievorsorge. Da wird der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mit keinem Wort erwähnt, obwohl in wenigen Monaten die Wiederauffüllungskonferenz ansteht, obwohl dies eines der wichtigsten Instrumente der globalen Gesundheitsförderung ist. In der laufenden Förderperiode gibt Deutschland als viertgrößter Geber 1 Milliarde Euro. Sie erwähnen diese Arbeit überhaupt nicht. ({4}) Diskutieren Sie mal mit Heidemarie Wieczorek-Zeul, die sich bis heute bewundernswert für den globalen Fonds einsetzt, ob sie diese Verschwiegenheit nicht eher peinlich findet. Ich stelle auch bei der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft im Bereich Entwicklung eine merkwürdige Leerstelle bei Ihnen fest. Hier muss deutlich nachgelegt werden; denn nachhaltige Investitionen und faire Handelsbeziehungen sind eine wesentliche Grundlage dafür, dass sich unsere Partner gut entwickeln können. Uns als Unionsfraktion treibt die globale Verantwortung unseres Landes als Herzensanliegen um, weil es ethisch geboten ist und weil es den Interessen unseres Landes dient. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Es folgt nunmehr für Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Deborah Düring mit ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin Schulze! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Beginn der Pandemie stehen wir hier und diskutieren über Impfstoffgerechtigkeit, und, ehrlich gesagt, sind wir immer noch meilenweit davon entfernt. Eine gerechte Verteilung von Impfstoffen, der Zugang zu Medikamenten und Technologietransfer sind nicht nur eine Frage der Solidarität und der globalen Verantwortung, sondern sie sind schlichtweg einer der entscheidenden Faktoren in der Pandemiebekämpfung. ({0}) Globale Krisen können wir nur global bekämpfen, ganz egal, ob es die Coronapandemie oder die Klima- und Biodiversitätskrise ist. Wir dürfen uns nicht im nationalstaatlichen Klein-Klein verlieren. Wie die Bundesministerin gerade schon erwähnte: Entwicklungspolitik ist vor allem Strukturpolitik. Und genau deswegen müssen wir die globalen Herausforderungen auch in der Bundesregierung gemeinsam über die Ressorts hinweg angehen. Das bedeutet, dass wir uns für faire Arbeitsbedingungen und existenzsichernde Löhne weltweit einsetzen. ({1}) Das bedeutet, dass wir aufhören, hochgiftige Pestizide in den Globalen Süden zu exportieren, die hier bereits verboten sind. ({2}) Und das bedeutet vor allen Dingen, dass wir uns konsequent für Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten wie indigenen Gemeinschaften einsetzen und internationale Abkommen wie die ILO-Konvention 169 umsetzen und einhalten. ({3}) Eine der größten Herausforderungen im Globalen Süden ist, dass die Zahl der an Hunger leidenden Menschen wieder zunimmt. Die Ursachen dafür liegen vor allen Dingen in der ungleichen Ressourcenverteilung, in bewaffneten Konflikten, den Auswirkungen der Coronapandemie und der Klimakrise. Sie haben es gerade schon erwähnt: Es ist richtig, dass das BMZ in den letzten Jahren genau diese Themen zum Schwerpunkt gemacht hat. Aber es wurde verpasst, an die Strukturen heranzugehen, die zu Hunger und Mangelernährung führen. ({4}) Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Landrechte gestärkt werden, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern endlich faire Preise für ihre Produkte bekommen ({5}) und dass Saatgut frei getauscht werden kann. Wir müssen Agrarökologie mit all ihren sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen in den Mittelpunkt dieses Themenschwerpunktes stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für globale Gerechtigkeit zu kämpfen, bedeutet vor allem, dass wir Verantwortung übernehmen – Verantwortung für die koloniale Geschichte Deutschlands, Verantwortung dafür, dass koloniale Strukturen bis heute wirken, ({6}) Verantwortung dafür, diese kolonialen Kontinuitäten endlich aufzubrechen! ({7}) Anhaltende Auswirkungen des Kolonialismus sind vor allem die globalen Abhängigkeiten und Ungleichheitsstrukturen. Diese Ungleichheitsstrukturen finden wir zum Beispiel im internationalen Wirtschaftssystem. 132 Länder des Globalen Südens sind hoch verschuldet. Wir haben weltweit eine dramatische Schuldenspirale vor uns. Da reicht auch kein mittelfristiges Schuldenmoratorium mehr. Und genau deswegen bin ich sehr dankbar dafür, dass wir endlich ein Staateninsolvenzverfahren voranbringen. Das ist ein Quantensprung in der Debatte um Entschuldung und dringend notwendig! ({8}) Wir haben uns nicht nur einen dekolonialen Handlungsrahmen, sondern auch eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik zum Ziel gesetzt. ({9}) Geschlechtergerechtigkeit muss integraler Bestandteil unserer Entwicklungspolitik sein. Ich freue mich, mit Ihnen, Ministerin Schulze, die politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe von Frauen und LGBTIQ-Personen gemeinsam voranzutreiben und für einen intersektionalen feministischen Aufbruch gemeinsam zu kämpfen! ({10}) Enden möchte ich bei dem Stichwort „Generationengerechtigkeit“. Ich durfte ein Jahr in der indigenen Gemeinschaft der Brörán in Costa Rica leben und lernen. ({11}) Ein Ansatz, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist, dass der Ältestenrat immer, wenn er eine Entscheidung trifft, darüber nachdenkt, welche Konsequenzen diese Entscheidung für die sieben Generationen nach ihnen hat. Ich wünsche uns allen, dass wir uns und die zukünftigen Generationen nicht nur im Hinterkopf, sondern immer präsent vor uns haben, wenn wir gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen. Vielen Dank. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Es folgt der Abgeordnete Markus Frohnmaier für die AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich glaube, wir müssen der Legendenbildung bei der Union an der Stelle mal kurz entgegenwirken. Es ist schon richtig, dass Minister Müller den Etat der deutschen Entwicklungspolitik verdoppelt hat. Aber davon wurden eben auch Projekte bezahlt wie: gendersensible Männerarbeit in Nicaragua, Millionen für LED-Lampen in marokkanischen Moscheen, oder es wurden Miniaturgärten in Afghanistan gefördert. Die Taliban wird’s freuen. Das wurde mit diesem Etat unter anderem bezahlt. Es gab 84 Partner in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, deren Zahl sich mittlerweile reduziert hat; aber von diesen 84 galten über 70 als hochgradig korrupt. Und der Höhepunkt des Wirkens dieses CSU-Ministers war sicherlich die sogenannte Schwarzbrot-Affäre. Da hat sich ein deutscher Minister mit einer Regierungsmaschine Schwarzbrot nach Afrika einfliegen lassen. Die „Bild“-Zeitung titelte damals: „Minister Schamlos und seine Hilfe zur Selbsthilfe“. Meine Damen und Herren, ich finde es sehr gut, dass dieses Kapitel zu Ende ist. ({0}) Kommen wir zur Ministerin. In Ihrer ersten Pressemitteilung ließen Sie verlautbaren: Mir geht es gerade nicht um eine chauvinistische Sicht auf Flucht und Migration. – Damit meinen Sie, dass Sie Migration in Zukunft nicht mehr steuern, reduzieren oder gar verhindern wollen. Während Bürger bei jedem Restaurantbesuch mittlerweile Ausweispapiere vorzeigen müssen, will dieses links-gelbe Bündnis die Kontrolle über Staatsgrenzen nicht. Im Gegenteil: Man findet es chauvinistisch. ({1}) Wir halten die Kontrolle von Staatsgrenzen hingegen für überlebensnotwendig. Souveräne Staaten haben Grenzen, ({2}) und wer Grenzen abschaffen will, der entstaatlicht einen Staat, der hasst seine Heimat. ({3}) Bei jedem Auslandsbesuch, bei jeder Reise wird so gerne über den Stellenwert von Demokratie und Einbeziehung der Opposition gesprochen. ({4}) Mit der Einbeziehung der Opposition in Deutschland ist es immer so eine Sache: Man lässt sich nicht gerne durch die Opposition kontrollieren. Darum verwehrt man der AfD auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit bis heute den Ausschussvorsitz. Auf dem AfD-Ausschussvorsitz hat sich jetzt ein FDP-Politiker breitgemacht, Herr Hoffmann, der letzte Legislatur noch zinsvergünstigte Kredite für China ganz großartig fand. Und, Herr Hoffmann: In Peking wird geklatscht, da mache ich mir keine Sorgen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Gerne.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, vielen Dank. ({0}) Er hat meinen Namen erwähnt, und das gibt mir das Recht, auf die Vorwürfe zu antworten. Es liegt schlicht daran, dass von der AfD in dem Ausschuss ein Kandidat aufgestellt worden ist, der demokratisch nicht gewählt worden ist. ({1})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Lieber Herr Hoffmann, Sie wissen ganz genau, dass die Ausschussvorsitzenden benannt werden.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Hoffmann, Sie müssten dabei noch stehen bleiben, bitte.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das geht aber jetzt bitte nicht von meiner Redezeit ab. Die lief gerade noch. Herr Hoffmann, Sie wissen, dass Ausschussvorsitzende benannt werden müssen, und Sie sind dem nicht nachgekommen. Sie haben mit dieser über 60 Jahre alten Tradition gebrochen. ({0}) Sie tricksen und schummeln, und Sie versuchen hier, die AfD herauszuhalten. ({1}) Aber ich will noch die Zeit nutzen und zur Kollegin der Grünen kommen. Ich freue mich ja auf die Zusammenarbeit, Deborah „Debbie“ Düring. – Wenn Frau Düring nicht gerade koloniale Kontinuität beklagt – das haben wir ja gerade schon gehört –, dann wird über feministische Entwicklungspolitik gesprochen und die Dekolonisierung des öffentlichen Raums gefordert. ({2}) Außerdem gibt es ein klares Bekenntnis zur Antifa. Dem Klimapass von Claudia Roth stehen Sie sehr gewogen gegenüber. Sie nannten das eine Superidee: 200 Millionen sogenannte Klimaflüchtlinge umsiedeln – alles kein Problem! ({3}) Meine Damen und Herren, wir können also an der Stelle mal mitnehmen: Das links-gelbe Bündnis steht für Schuld, Umverteilung und Massenmigration. Es gibt nur noch eine Partei hier in diesem Hause, die sich dem entgegenstellt: Das ist die AfD. ({4}) Wir wollen die Fragmentierungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit beenden: ein Ministerium, eine Durchführungsorganisation und ein Evaluierungsinstitut. Wir sagen ganz klar Nein zu Genderquatsch und Almosen. Wer 35 Jahre und länger in Staaten tätig ist, der hilft nicht, der schafft Abhängigkeiten, meine Damen und Herren. Wir brauchen wieder Selbstverantwortlichkeit und gemeinsame Interessen. Und ja, es gibt auch deutsche Interessen. Wir werden sie formulieren, wir sind bereit dazu, halten sie hoch. Wir freuen uns auf diese Legislatur. Und ich kann Ihnen versprechen: Wir werden Ihnen ganz genau auf die Finger schauen. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Sie müssen übrigens nicht ganz so laut reden. Das Mikrofon überträgt es schon. ({0}) Wir sind hier eben wirklich zusammengezuckt. Als Nächster erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollegen Till Mansmann. ({1})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesministerin Schulze! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Mehr als siebeneinhalb Milliarden Menschen wohnen inzwischen auf unserem Planeten, und während wir die Unterschiede, ja bisweilen die Spaltung unserer eigenen, im globalen Maßstab eher kleinen Gesellschaft diskutieren, verlieren wir oft die großen Unterschiede zwischen den Menschen weltweit aus dem Blick. Es ist gut, dass wir nicht alle gleich sind. Es gibt ganz wunderbare Unterschiede, aber es gibt auch ganz schreckliche Unterschiede in der ökonomischen Lage, in den Rechten, die Menschen wahrnehmen können, und das definiert im Kern die große Verantwortung, die die Entwicklungszusammenarbeit heute ausmacht. ({0}) Walter Scheel, ein großer Liberaler, hat im Jahr 1961 als erster deutscher Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Grundstein für viele heute noch funktionale Entwicklungsmechanismen gelegt. Seit Walter Scheel hat sich etwas aber ganz grundsätzlich geändert, was auch unsere Vorstellung von Entwicklungspolitik ändern muss: Das erste Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es eine gemeinsame große Herausforderung, die nicht einfach nur im Maßstab der einfachen Zusammenarbeit einzelner Nationen bewältigt werden kann, und das ist der Kampf gegen den Klimawandel, und das bedeutet den globalen Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Aus dem Begriffspaar der mehr oder weniger entwickelten Staaten, wobei die westliche Welt als mehr und der Globale Süden als weniger entwickelt angesehen werden, entsteht leicht der Fehlschluss, dass sich die weniger entwickelten Staaten einfach in Richtung der mehr entwickelten Staaten verändern müssten. Das ist nur teilweise richtig. Gerade beim Umbau der globalen Energiewirtschaft müssen wir neue Lösungen denken, sodass wir uns alle gemeinsam in eine neue Richtung entwickeln können. Dabei müssen wir uns gerade bei der Energie auch in Deutschland ehrlich machen. Unser Land, das derzeit 70 Prozent oder mehr des Primärenergiebedarfs importieren muss, wird auch in einigen Jahrzehnten nicht einfach aus regenerativen Quellen energieautark sein. ({1}) Und anders herum: Gerade die Länder des Globalen Südens, wo die Sonne viel scheint, müssen wir als energiereiche Länder, reich eben an erneuerbaren Energien, betrachten. Genau das müssen wir als Stärke sehen, als Chance, eine große, nachhaltige Win-win-Wirtschaft global zu etablieren. Ich glaube, das ist auch das, was Ministerin Schulze als globale Strukturpolitik angesprochen und auch die Kollegin Düring von den Grünen bekräftigt hat. Eine zentrale Rolle – auch das hat unsere neue Ampelregierung gleich von der ersten Stunde an erkannt – wird dabei der Wasserstoff als Energieträger einnehmen. Staatsminister Carsten Schneider aus dem Bundeskanzleramt hat gestern bei seiner Rede hier an dieser Stelle Wasserstoff als „Game Changer“ ausdrücklich genannt. Unsere neue Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat ebenfalls gestern in ihrer Rede neue Technologien der Zukunft angesprochen und hat gefordert, dass wir – Zitat aus ihrer Rede – „Brücken zwischen den Disziplinen bauen.“ Als erstes Beispiel für all das hat die Forschungsministerin eine neue Wasserstofftechnologie genannt. Das Ziel muss natürlich sein, dass am Ende in Deutschland nur noch wirklich Grüner Wasserstoff zum Einsatz kommt, immer dann, wenn die schwankenden Energiequellen aus Wind und Sonne gerade nicht liefern können. Es bietet sich jetzt die historische Chance, Länder aus dem Globalen Süden in eine gemeinsame, nachhaltige Wertschöpfungskette einzubinden, in der mehr nachhaltiger Wohlstand entstehen kann, als jede staatliche Budgethilfe oder ODA-Quote je leisten kann. Wir drei Fraktionen der Ampelkoalition sind für die Verantwortung in Deutschland, in Europa und in der Welt bestens geeignet. Mit großer Professionalität haben wir in kurzer Zeit Brücken zwischen uns gebaut und ein gemeinsames Erneuerungsprojekt gestartet. In genau diesem Geist werden wir auch die verschiedenen Felder, die Ministerien, besser als bisher vernetzen, um der großen interdisziplinären Aufgabe gerecht werden zu können. Die globale Energiewende und damit die Erreichung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung werden nur gelingen, wenn wir nicht einfach nur bis zur Hauswand des Forschungsministeriums, des Wirtschaftsministeriums, des Umweltministeriums oder eben auch des Entwicklungsministeriums schauen, sondern in größeren Zusammenhängen denken und handeln. Aber in diesem Umfeld ist der Entwicklungszusammenarbeit eine immer größere Verantwortung zugewachsen. ({2}) Frau Ministerin Schulze, liebe Kollegen aller kooperationsbereiten Fraktionen – wir haben ja heute gehört, dass nicht alle diesen Grundkonsens mittragen, aber die kooperationsbereiten Oppositionsfraktionen laden wir dazu gerne ein –, die große Verantwortung für die globale Wirtschaft, für die globalen Menschenrechte, für die globale Gesundheit nehmen wir in der Entwicklungszusammenarbeit jetzt gerne gemeinsam an. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes erhält das Wort für Die Linke Cornelia Möhring. ({0})

Cornelia Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004111, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Ministerin! Ich möchte die erste Rede zu diesem Themenbereich nutzen, Sie persönlich und auch im Namen meiner Fraktion zum neuen Amt zu beglückwünschen. Das ist tatsächlich ein sehr gewaltiges Aufgabengebiet: Bekämpfung von Hunger und Armut, Schutz des Klimas, faire, menschenrechtskonforme Arbeitsbedingungen, existenzsichernde Löhne, globale Gesundheit, reproduktive Gerechtigkeit, um nur ein paar der Themen zu nennen. Wir sind uns einig, dass die weltweiten Krisen und Konflikte, die Klimakatastrophe und die Pandemie das alles erschweren, aber zugleich Lösungen umso dringlicher machen. ({0}) Die Dringlichkeit zeigt sich auch in der wachsenden sozialen Ungleichheit: Die acht reichsten Menschen auf der Welt besitzen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, also acht Menschen, die mehr besitzen als 4 Milliarden. Im Jahr 2020 litten fast 1 Milliarde Menschen an Hunger; mehr als 2 Milliarden Menschen leben von weniger als 2 Dollar am Tag. Ich wähle bewusst diesen Vergleich, weil sich darin die wesentlichen Ursachen der Ungleichheit zeigen, nämlich die ungerechte Verteilung von Eigentum und Vermögen und von Eigentum an Grund und Boden; Profite gehen vor Bedürfnisbefriedigung der riesengroßen Mehrheit der Menschen. So entstehen soziale Ungleichheit und Armut; ein Teufelskreis beginnt, der natürlich durch die Vielfachkrisen verschärft wird. Genau das muss sich doch umkehren! Hier sehe ich aber leider deutlich zu wenig Initiativen im Koalitionsvertrag. Gerechte Handelsbeziehungen, die Trockenlegung von Steueroasen und Steuergerechtigkeit sind notwendige Schritte für mehr globale Gerechtigkeit; aber auch internationale Konzerne wie Ikea, Bayer, BASF, Textilunternehmen wie Zara und viele weitere müssen einfach stärker an der Entwicklung der Länder beteiligt werden, von deren Ausbeutung sie doch massiv profitieren. ({1}) Durch Steuervermeidung und Steuerflucht gehen gerade den Ländern, die so dringend die Mittel für ihre Entwicklungsfinanzierung brauchen, Zigmillionen oder sogar Milliarden verloren, oft übrigens mehr, als sie an Entwicklungsgeldern erhalten. Auch deshalb wäre eine Unterfinanzierung im entwicklungspolitischen Bereich nicht hinnehmbar. Also, falls Sie da tatsächlich nachverhandeln müssen, Frau Ministerin, werden Sie unsere volle Unterstützung haben. ({2}) Wir Linke wollen aber nicht nur mehr, wir wollen anders finanzieren. Denn Entwicklungspolitik muss als solidarische Zusammenarbeit auf Augenhöhe verstanden werden. Sie muss konsequent an den Menschenrechten und den Bedürfnissen der Menschen in den ärmeren Ländern orientiert sein, und zwar nicht als verlängerter Arm der Wirtschaft, sondern, im Gegenteil, als Instrument der globalen, gerechten Umverteilung. ({3}) Es gäbe jetzt zu vielen Themen in diesem Feld etwas zu sagen. Das geht leider nicht; deswegen abschließend noch etwas zur akutesten Aufgabe, der Impfgerechtigkeit. Das Menschenrecht auf Gesundheit darf weder vom Goodwill der Pharmaunternehmen oder von privaten Stiftungen abhängen noch davon, ob reiche Staaten noch ein paar Impfdosen übrig haben. Ein Recht muss umfassend eingelöst werden. Medikamente, Impfstoffe, Medizingeräte müssen dem Markt entzogen werden, weil sonst die Gefahr viel zu groß ist, dass sie als Gelddruckmaschinen missbraucht werden. Gestern hat die Parlamentarische Staatssekretärin aus dem Gesundheitsministerium, die Kollegin Heike Baehrens, doch gesagt, wie es ist: Unternehmen wie Pfizer und Moderna verdienen derzeit pro Sekunde 1 000 Dollar – Sie können das ja mal hochrechnen: in der Stunde unserer Debatte sind das übrigens schon 3,6 Millionen –, und trotzdem sind Impfstoffe noch nicht gerecht in aller Welt verteilt. Die Alternative ist der Aufbau und die Nutzung regionaler Produktionsstätten für die regionale Verteilung. ({4}) Frau Ministerin Schulze, damit Impfdosen weltweit in die Oberarme kommen, müssen dafür die Patente ausgesetzt und muss ein umfassender Technologietransfer verwirklicht werden. Ich bedanke mich. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste in dieser Debatte erhält das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Sanae Abdi. ({0})

Sanae Abdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme unserer Ministerin zu: Geld alleine reicht nicht. Aber wir wissen auch: Ohne Moos nix los. Oder wie Erhard Eppler sagte: Geld hat einen Gegenwert. Es entscheidet „über Hunger oder nicht Hunger“. Die Entwicklungszusammenarbeit steht vor gewaltigen Aufgaben. Durch die Pandemie erleben wir große Rückschritte in der Bekämpfung des weltweiten Hungers und der Armut. Dies fordert unsere internationale Solidarität mehr denn je. Daher macht mir eins Sorgen: Kurz- bis mittelfristig steuern wir auf eine unzureichende Finanzausstattung bei der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung zu. Erst vor Kurzem haben wir unter unserem ehemaligen Finanzminister Olaf Scholz die ODA-Quote von 0,7 Prozent erreicht. Ganz klar: Dabei muss es bleiben! Wir müssen die bilaterale und die multilaterale Entwicklungspolitik solide finanzieren und unsere internationalen Verpflichtungen einhalten; so steht es auch in unserem Koalitionsvertrag. Die derzeitigen Prognosen für den Bundeshaushalt 2022 und der kommenden Jahre lassen aber nichts Gutes erahnen. Ich zähle daher auf unseren neuen Finanzminister, dass auch er die notwendigen Mittel bereitstellt, damit die ODA-Quote so gehalten wird. ({0}) – Mindestens. – Ich will hier aber nicht nur über die notwendige Finanzausstattung sprechen, sondern auch darüber, was wir mit diesem Geld erreichen wollen. Wirkungsvolle Entwicklungspolitik fängt hier bei uns in Deutschland an. ({1}) Wir müssen hier bei uns grundlegende Strukturen ändern, um den Ländern des Globalen Südens eine faire Chance auf Entwicklung zu geben, um den Menschen solide Perspektiven in ihren Heimatländern zu eröffnen. Daher freut es mich wirklich sehr, dass wir in der vergangenen Legislaturperiode noch ein Herzensprojekt der SPD beschließen konnten: das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. ({2}) Das Gesetz sagt ganz klar: Alle Menschen haben ein Recht auf gute Arbeit, auf angemessene Arbeitsbedingungen, darauf, sich gewerkschaftlich zu organisieren, auf einen existenzsichernden Lohn, der zu einem Leben in Würde reicht. Da wollen wir hin. Ob das Gesetz dazu ausreichend beiträgt, werden wir bis spätestens Ende 2026 überprüfen. Ich möchte schon hier versprechen, dass wir dort für Nachschärfungen eintreten, wo diese erforderlich sein werden. ({3}) Genauso braucht es auch ein starkes EU-Lieferkettengesetz, das nicht hinter unserem nationalen Gesetz zurückfällt. Ich erwarte von der Europäischen Kommission, dass sie uns jetzt zügig einen Entwurf vorlegt, und von der Bundesregierung, dass sie sich für dieses Vorhaben bei den verantwortlichen europäischen Stellen einsetzt. ({4}) Darüber hinaus müssen wir über unsere besondere Verantwortung als Industrieland sprechen. Wir sind nicht nur gefragt, unsere eigenen Klimaziele zu erreichen. Wir müssen auch Entwicklungs- und Schwellenländer beim Aufbau erneuerbarer Energien und bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen. Die Entwicklungszusammenarbeit spielt eine zentrale Rolle, um Klimagerechtigkeit zu fördern. ({5}) Wir Industrienationen stoßen am meisten Treibhausgase aus, während Länder im Globalen Süden besonders unter den Folgen in Form von Dürren, Unwettern oder Überschwemmungen leiden. Dafür braucht es keine großen mathematischen Berechnungen. Das ist schlicht und einfach nicht gerecht. ({6}) Das Klima, der Ausbau erneuerbarer Energien, die nachhaltige Mobilität und der Erhalt der Biodiversität müssen eine neue Priorität in der Entwicklungspolitik erhalten. Gleichzeitig dürfen wir deswegen nicht andere Themen vergessen oder dahinter zurückstellen. Die Pandemie hat eins geschafft: Sie führt uns erneut die Fragilität und Armut in vielen Ländern des Globalen Südens vor Augen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie sind immens, insbesondere für Frauen und Mädchen. In den allermeisten dieser Länder gibt es keine funktionierende Arbeitslosen- oder Krankenversicherung. Dabei sind soziale Sicherungssysteme immer noch die beste Versicherung gegen drohende Armut. ({7}) Wir fordern daher ganz klar, solche Systeme intensiv zu fördern. Wir haben einen Kanzler, für den die ODA-Quote kein Fremdwort ist. Wir haben eine klimaerfahrene Ministerin, die auch ein starkes Bewusstsein für die breiten Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit mitbringt. Und wir haben in der Koalition versierte Entwicklungspolitiker/-innen. Das sind doch die besten Voraussetzungen, um gemeinsam die Welt für viele Menschen in unseren Partnerländern – insbesondere den schwächsten darunter – ein Stückchen gerechter zu machen. Vielen Dank. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Das war mal eine Punktlandung; das ist auch immer schön. – Es folgt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Stefinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Ihnen und Ihren Staatssekretären darf auch ich alles Gute für Ihr neues Amt wünschen – alles Gute auch für uns, für unser Land, vor allem aber auch für unsere Partnerländer in der Welt. Ich darf gleich zu Beginn sagen, dass ich mich sehr freue, dass Sie das Amt des Religionsbeauftragten wieder besetzt haben; ein Amt, um das die Union in der letzten Wahlperiode gekämpft hat und das in der letzten Wahlperiode mit Markus Grübel hervorragend besetzt war. Auch dem Nachfolger von Markus Grübel alles Gute und Gottes Segen für sein Wirken! Denn wir erleben ja weltweit, wie viele Menschen aufgrund ihrer Religionszughörigkeit verfolgt sind. Deshalb finde ich es wichtig, dass dieses Amt auch weiterhin besteht. ({0}) Sehr schade finde ich – das darf ich schon sagen; vor allem, nachdem Sie in Ihrer Rede Afrika erwähnt haben und ausgeführt haben, wie wichtig Ihnen die Zusammenarbeit mit Afrika ist –, dass, wie man hört, das Amt des Afrikabeauftragten nicht mehr besetzt werden soll. Die Wirkung, die von diesem Signal ausgeht, finde ich persönlich äußerst schwierig, insbesondere für unsere Partnerländer in Afrika. Denn hier könnte durchaus der Eindruck entstehen, dass sich die neue Ampelregierung zwar einen massiven Stellenaufwuchs genehmigt, aber für Afrika dann doch keine Stelle mehr übrig war. Deshalb sollten Sie und insbesondere der Bundeskanzler darüber noch mal nachdenken. Frau Ministerin, Sie finden – es ist schon angeklungen – ein gut aufgestelltes Haus, ein gut aufgestelltes Ministerium vor mit sehr viel Kompetenz und Sachverstand bei den Mitarbeitern. Sie finden vor allem auch ein Haus vor mit sehr guten Kontakten und einem großen Vertrauen unserer Partnerländer. Bei allem Eifer, alles neu machen zu wollen, möchte ich Sie dennoch bitten, dass Sie bei den Besetzungen im Haus Kompetenz vor Parteibuch stellen. ({1}) In den letzten Jahren haben wir bzw. hat Gerd Müller viele wichtige Themen vorangebracht, insbesondere bei den globalen Zukunftsfragen Digitalisierung, Klima-, Umwelt-, Energie- und Industriepolitik. Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie die Entwicklungspolitik nur dann erfolgreich gestalten können, wenn Sie auch die Privatwirtschaft mit einbeziehen. Sie finden einen Marshallplan mit Afrika vor, der eine zentrale Rolle spielt, im Übrigen auch beim Thema „Arbeitsplätze und Armutsbekämpfung“. Und wir haben in der letzten Wahlperiode den Wirtschaftsinvestitionsfonds aufgelegt. Ich habe vermisst, dass Sie etwas zur Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ sagen; vielleicht kommt das noch. Sie haben die Pandemie angesprochen. Auch einige Vorredner haben die Pandemie angesprochen. Ja, es ist richtig: Die Pandemie hat gesundheitliche Auswirkungen, aber auch ökonomische und damit auch humanitäre Auswirkungen. Impfen ist wichtig; das ist vollkommen klar. Aber diese Pandemie und ihre Auswirkungen führen aktuell zur Fragilität von vielen Staaten. Konflikte, zum Teil auch eigentlich überwunden geglaubte Konflikte, brechen wieder auf. Deshalb besteht durchaus die Gefahr, dass Länder kollabieren könnten. Deswegen bitte ich Sie ausdrücklich: Setzen Sie einen Schwerpunkt auf Krisen- und Konfliktprävention, und stärken Sie vor allem – aktuell, um schnell zu helfen – die Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“, um die unmittelbare Not zu lindern. ({2}) Ich möchte Sie auch dringend bitten, dass Sie die kommunale Zusammenarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit nicht vergessen. Unsere Kommunen sind die Experten bei uns im Land beim Thema „kommunale Daseinsvorsorge“: bei Wasser, Abwasser, Abfallmanagement. Hier gibt es ein großes Engagement und Know-how, das wir nutzen sollten und können für die Entwicklungszusammenarbeit. Bitte stärken Sie auch die berufliche Ausbildung. Von unseren Forschungskooperationen profitieren auch wir. Das hat die jetzige Krise, die Pandemie, gezeigt, und das werden auch weitere Krisen zeigen. Frau Ministerin, insgesamt haben Sie – das darf ich sagen – ein sehr tolles Ressort. Ich hoffe sehr, dass Sie aus diesem Ressort auch etwas machen. Die Fußstapfen, die Gerd Müller hinterlassen hat, sind sehr groß und auch sehr tief. Wir werden genau beobachten, ob Sie diese ausfüllen können. Wir wünschen Ihnen hierfür auf jeden Fall alles Gute. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank, Herr Abgeordneter. – Jetzt folgt für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Jan-Niclas Gesenhues für seine erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Dr. Jan Niclas Gesenhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Entwicklungspolitik schlägt einen neuen, zukunftsfähigeren Weg ein. Das hat die Rede der Ministerin sehr deutlich gemacht – an der Stelle noch mal herzlichen Glückwunsch zum Amt –; das haben auch die Reden der Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen hier schon sehr deutlich gemacht. Ich kann nur sagen: Gehen wir konsequent diesen Weg! Es ist nun an der Zeit, die zahlreichen globalen Herausforderungen endlich wirksam anzupacken. Um das zu tun, hat die neue Regierung zugesagt, ihre Politik insgesamt viel stärker an den globalen Entwicklungszielen und auch am Pariser Klimaabkommen auszurichten. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Denn es darf nicht damit weitergehen, dass die zarten Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit immer wieder kaputt gemacht werden durch eine völlig gegenläufige Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Handelspolitik. ({0}) Meine Damen und Herren, zu einer global gerechten Politik gehört erst recht in diesem Jahrzehnt, den Kampf gegen die ökologische Krise ins Zentrum der Entwicklungspolitik zu rücken. Damit meine ich neben dem Klimaschutz besonders den Einsatz gegen den Verlust von Arten- und Ökosystemen weltweit und den Einsatz gegen die Biodiversitätskrise als die zweite große ökologische Krise. Es geht hier um nichts weniger als um das sensible weltumspannende Netz der Arten- und Ökosysteme, das uns erhält. Es geht um die globale Versorgung mit Lebensmitteln, Baustoffen, Arznei, sauberem Wasser und vielem mehr für Millionen von Menschen. ({1}) Deswegen, meine Damen und Herren, ist es gut und wichtig, dass die Bundesregierung den Schutz von Klima und Biodiversität zu wichtigen Schwerpunkten der Entwicklungszusammenarbeit und auch der Regierungspolitik insgesamt macht. ({2}) Meine Damen und Herren, um diese Politik für Umwelt und Gerechtigkeit international umzusetzen, braucht es wirksame und vor allem auch bedarfsorientierte globale Partnerschaften. Ich habe in den letzten Jahren beruflich Partnerschaftsprojekte mit aufgebaut, unter anderem in Südafrika, Mosambik und Jordanien. Diese Arbeit hat mir immer wieder gezeigt: Gegenseitiger Austausch, gemeinsame Projekte – das ist der Kitt internationaler Zusammenarbeit. Aber dieser Kitt hat in Coronazeiten massiv gelitten. Wir müssen deswegen zusehen, dass wir globale Partnerschaften wieder ertüchtigen, aber sie effektiver und kohärenter aufstellen. Denn es sind genau diese Partnerschaften, die der Schlüssel sind für Armutsbekämpfung, Sicherheit und Klimaschutz. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner folgt für die AfD-Fraktion der Kollege Dietmar Friedhoff. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Werte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1975 schrieb Udo Jürgens das Lied „Ein ehrenwertes Haus“. Es beschreibt eine Geschichte, die doch irgendwie mit diesem ehrenwerten Haus zu vergleichen ist. Es geht darum: Ein Ehepaar, welches in wilder Ehe lebt, soll aus der Wohnung herausgeworfen werden, wobei die Restbewohner doch ganz augenscheinlich ihre eigene moralische Verwerflichkeit aus den Augen verloren haben. ({0}) Liest man sich das Koalitionspapier für den Bereich Entwicklung durch, und zwar ganz genau, fällt auf, dass man Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit exportieren möchte. Nimmt man neue Presseberichte aus den Entwicklungsländern zur Kenntnis – beklagt doch gerade Ihr Ministerium immer wieder die Verletzung der Oppositionsrechte, die Beschneidung der Freiheits-, Meinungs- und Menschenrechte –, dann liest man, dass gerade aus dem Sudan berichtet wird, dass dort friedliche Demonstranten, die für diese Werte einstehen, massiv drangsaliert werden. Und was machen Sie, Frau Ministerin? Sie heben den Finger, mahnen und fordern mehr Rechte ein. Nun haben es die Mitglieder der regierungsbildenden Ampelkoalition in enger Absprache mit den Linken und den verlorenen ex-konservativen CDU-Politikern wahrhaftig geschafft, Deutschland auf eine Stufe mit so manchem fragilen Entwicklungsland zu stellen. ({1}) Begründung: Das durch die Verfassung bestehende Recht auf Schutz von Minderheiten und der Opposition wird ausgehebelt durch die Ablehnung der AfD-Ausschussvorsitzenden, die Nichtwahl unseres Bundestagsvizepräsidenten und unserer Kandidaten für diverse Gremien und durch das Bekämpfen, Stigmatisieren und Drangsalieren friedlicher Spaziergänger auf der Straße. Das ist ein maximaler Schaden an unserem Parlament, unserer Demokratie und unserer Verfassung. – Wer und was, Frau Entwicklungsministerin, gibt Ihnen jetzt das Recht, anderen Menschen, Regierungen und Völkern zu erklären, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit funktionieren? ({2}) Das ganze Koalitionspapier, gerade in Bezug auf eine Entwicklungspolitik auf Augenhöhe, haben Sie damit selber moralisch entzaubert. Oder vielleicht ist es ja gerade deswegen auf Augenhöhe. Sicher ist jedoch eines: Es ist des Pudels Kern und einer der Gründe, warum Entwicklungspolitik seit 60 Jahren eben nicht funktioniert. Leider, Frau Ministerin, habe ich nichts gelesen über die wirkliche Herausforderung der Zukunft. Die wirkliche Herausforderung sind 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050. Aus dieser Zahl muss sich jedes zielorientierte Handeln ableiten. Das tut es aber nicht; denn es findet ja nicht statt. Afrikas Staaten sind so fragil wie nie. Und eine Bitte: Bitte verschonen Sie Afrika mit einer Energiewende made in Germany, und tun Sie bitte alles, damit die Lieferketten wieder zum Laufen kommen, bevor wir über Lieferkettengesetze sprechen. Die Lieferketten in Afrika liegen am Boden und verursachen gerade 150 Millionen zusätzliche Tote durch Hunger und Armut.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Abgeordneter, Sie sehen die Uhr und mein Zeichen?

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ich komme zum Ende.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Einen letzten Satz bitte.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, stellen Sie sich den Realitäten, sonst machen wir vier Jahre Bayern München: Das Stadion in Regenbogenfarben erstrahlen lassen, aber Katar als Sponsor. Falsche Moral ist eben auf Dauer keine Moral. Danke schön. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächster in dieser Debatte erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Christoph Hoffmann. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Schulze, ich möchte Ihnen ganz herzlich zu Ihrem neuen Amt gratulieren. Ich wünsche Ihnen Erfolg. Seien Sie sich der Unterstützung und der Ideen der Freien Demokraten gewiss. ({0}) Die FDP hat in der letzten Periode versucht, die multilateralen Ansätze zu stärken. Jetzt, in der Ampelkoalition, gelingt es tatsächlich, die multilateralen Ansätze voranzubringen. Das ist gut so. Herzlichen Dank dafür, Frau Ministerin. Wir verlassen das länderspezifische Klein-Klein, das von Gerd Müller oft spontan in intransparenten Sonderprogrammen ausgelebt worden ist. Das hat nun ein Ende. Lieber Herr Gröhe, Ihr Minister hat das oft gemacht, ohne Absprache in der Regierung, in Europa und schon gar nicht mit den Partnerländern. Wenn Sie noch eine schöne Anekdote hören wollen, dann nenne ich die Impfaktion im Senegal. Er versprach, die Impfproduktion im Senegal beim Institut Pasteur in Dakar aufzubauen, und hat spontan 20 Millionen Euro zugesagt. Wissen Sie, wie viel von diesen 20 Millionen Euro bis heute geflossen ist? Genau null. Und das war im Juni. So kann es nicht sein. Was wir versprechen, müssen wir auch durchführen, und wir müssen es so durchführen, dass es auch funktioniert. Man kann nicht irgendeine Überschrift in den Raum stellen und kein Fundament darunter bauen. ({1}) Die Ampel packt jetzt die großen Brocken an, die da sind Hunger, Armut und die Klimakatastrophe. Hier anzusetzen, ist für Milliarden Menschen ganz wichtig, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die bewaffneten Konflikte, die Klimakrise und eine faire wirtschaftliche Zusammenarbeit also sind die großen Brocken, die wir anpacken wollen. Bewaffnete Konflikte bleiben der große Treiber für Hunger, Armut und Verzweiflung. Das sehen wir nicht nur in Mali, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik oder Myanmar. Halten wir fest, Herr Gröhe: Frau Merkel hat es abgelehnt, nach Kamerun zu reisen, einer ehemaligen deutschen Kolonie, um im dortigen Konflikt zu vermitteln. Dazu gab es Chancen. Die neue Bundesregierung wird es anders machen. Sie wird selbstbewusst und schnell Initiativen zur Friedenssicherung vorantreiben und die Krisenprävention stärken. Die Bundesrepublik kann ihren guten Ruf, den sie in Afrika hat, gut einsetzen für friedenssichernde Maßnahmen. Das gelingt, indem wir vor Ort sind und vermehrt in Aussöhnungsprozesse, Transparenz und Rechenschaftspflichten investieren und die entsprechenden Programme in der Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig unterfüttern. Das gab es bisher nicht; das ist ein echter Fortschritt. ({2}) Auch beim Thema Klimaschutz geht mehr als bisher. In den vergangenen vier Jahren habe ich oft angemahnt, weltweit mehr für den Wald zu tun. Das teilen viele Experten und internationale Organisationen. Aber auch diese Apelle sind beim vorherigen Minister Müller auf taube Ohren gestoßen. The Great Green Wall, ein Projekt der Afrikanischen Union und das größte Projekt der Menschheit, wurde von Ex-Minister Müller nicht unterstützt. Der Bayer mutierte hier zum Schwaben; er sagte: Mir gebet nix. – Das ist unwürdig. Um auf den im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten 1,5-Grad-Pfad zu kommen, brauchen wir Negativemissionen. Nichts ist günstiger und einfacher, als das mit der solarbetriebenen Maschine Baum zu machen. Wir brauchen mehr Wälder, um Negativemissionen zu generieren. Bäume wachsen in den feuchten Tropfen halt fünfmal so schnell wie bei uns. Deshalb lohnt es sich, hier im Globalen Süden einen Schwerpunkt zu setzen. Das können wir realisieren, indem wir die 350 Millionen Hektar an Aufforstungsflächen, die in der Bonn Challenge zusammengekommen sind, zumindest in Teilen restaurieren. So können wir enorme Klimaeffekte erreichen und für die Biodiversität sehr viel tun; darum geht es. Das können wir, und das machen wir hier mit der Ampel. ({3}) Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich darauf, mit Ihnen diese großen Aufgaben anzupacken. An uns soll es nicht liegen. Wir starten durch. Jetzt ist Aufbruch! ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als Nächste erhält das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Nadja Sthamer zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Nadja Sthamer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bundesministerin Schulze! Wir haben uns im Koalitionsvertrag zu einem Aufbruch und einer Neuordnung der Prioritäten in der Entwicklungszusammenarbeit verpflichtet. Unsere Projekte werden wertebasiert und auf Augenhöhe mit unseren Partnerinnen und Partnern vor Ort umgesetzt. Das an dieser Stelle einmal festzuhalten, ist mir persönlich besonders wichtig. Um eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit zu entfalten, muss diese mit unseren europäischen und internationalen Partnerinnen und Partnern abgestimmt sein. Als wichtiger Referenzpunkt dient uns dafür die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, in der die Nachhaltigkeitsziele formuliert sind. Daran werden wir unser entwicklungspolitisches Handeln ausrichten. Ich bin sehr froh, dass wir mit Svenja Schulze eine Frau an der Spitze des BMZ haben, die auf dem internationalen Parkett unwahrscheinlich erfahren ist, eine Frau, die sich der Notwendigkeit und der Chancen einer modernen Entwicklungszusammenarbeit bewusst ist. ({0}) An dieser Stelle will ich auf die Herausforderungen des menschengemachten Klimawandels für den Globalen Süden eingehen. Laut einem Bericht der Weltorganisation für Meteorologie waren 91 Prozent der Todesopfer durch Naturkatastrophen in den letzten 50 Jahren in den Entwicklungsländern zu beklagen. Das finde ich wirklich krass, und das macht eines deutlich: Wir müssen jetzt handeln. – Das hat auch Sanae Abdi hier deutlich gemacht. Wir müssen zusammen mit unseren Partnerländern Projekte für mehr Klimaschutz vorantreiben, Klimafolgenanpassungen unterstützen und zusätzlich den Aufbau von Frühwarnsystemen für Naturkatastrophen fördern. Das rettet im Ernstfall Menschenleben. ({1}) Was mir persönlich besonders am Herzen liegt, ist eine zielgerichtete Entwicklungszusammenarbeit, die die Lebenssituation von Frauen und Kindern global verbessert. Viel zu viele Kinder, insbesondere Mädchen, können ihr Recht auf Bildung nicht wahrnehmen. Ich will, dass wir mit gezielten Projekten Ungerechtigkeiten bei Bildungschancen bekämpfen. Kinder verdienen eine echte Chance auf Zukunft. Das ist schlicht ihr Recht. ({2}) Durch die gegenwärtige Pandemie rutschen aufgrund fehlender sozialer und finanzieller Absicherung weltweit mehr und mehr Familien in unvorstellbare Armut. Die Folge ist laut UNICEF ein dramatischer Anstieg der Kinderarbeit. Bereits jetzt müssen schätzungsweise 9 Millionen Mädchen und Jungen mehr Kinderarbeit leisten, statt die Schule zu besuchen. Diesen Kreislauf aus Armut müssen wir mit einem wirksamen Verbot von Kinderarbeit entlang der Lieferketten sowie mit umfassenden Investitionen in Bildung unbedingt durchbrechen. Ich möchte mich außerdem für eine Gleichstellung der Geschlechter starkmachen. Es zeigt sich, dass nach wie vor fast 70 Prozent der ärmsten Menschen der Welt weiblich sind. An vielen Orten der Welt können Frauen eben nicht selbstbestimmt leben und sich nicht verwirklichen, weil sie in patriarchalen Strukturen unterdrückt werden. Über Entwicklungsprojekte können wir hier gezielt Einfluss nehmen und der Diskriminierung von Millionen von Frauen und anderen Gruppen entgegentreten. Mit den Betroffenen zu sprechen statt über sie zu sprechen, ist mir dabei besonders wichtig. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufbruch wagen, Veränderungen anstoßen, Haltung zeigen! Stellen wir doch bitte den Globus des 19. Jahrhunderts endlich ins Museum, und fangen wir an, eine Entwicklungszusammenarbeit mit neuen Prämissen und Reformen auf Augenhöhe zu gestalten. Ich bin überzeugt, dass wir hier sehr viel Gutes bewegen können, und wir werden das auch tun. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Volkmar Klein. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern war in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen – ich zitiere –: Über die Zusammenarbeit mit den Ländern in Afrika, Lateinamerika und in Asien scheinen sich SPD, Grüne und FDP bislang nicht allzu viele Gedanken gemacht zu haben. Zumindest hinterlässt ihr Koalitionsvertrag diesen Eindruck. Spärlich und nichtssagend wird die Entwicklungspolitik darin auf zweieinhalb Seiten abgehandelt. Es fehlt eine grundsätzliche Idee. Das war vor vier Jahren anders … Das ist etwas, was nicht wir als Union sagen, sondern der allgemeine Befund, der in der „Frankfurter Rundschau“ wiedergegeben war. Deswegen war die Erwartung, dass heute konkretisiert, nachgearbeitet wird, natürlich ziemlich groß. Ich muss sagen: Der Eindruck hat sich tatsächlich korrigiert. SPD, Grüne und FDP haben sich sehr wohl viele Gedanken gemacht, allerdings offensichtlich nicht gemeinsam. Es ist schwer, für eine gemeinsame Meinungsbildung innerhalb einer Koalition zu sorgen; da haben wir ja Erfahrung. Das muss man aber tun – gut gemeinter Rat an die neuen Koalitionäre –; denn sonst wird es nicht gelingen, auch nur annähernd an die Erfolge von Gerd Müller anknüpfen zu können, im Übrigen auch in Bereichen, wo das jetzt in Abrede gestellt wurde. Gerade Deutschland hat Covax und die Gesundheitsfragen nach vorne gebracht. Gerade Deutschland hat die Biodiversität weltweit nach vorne gebracht. Ich denke da nur an den auf deutsche Initiative ins Amt gekommenen Fazilitator der Kongobeckenwaldpartnerschaft, unseren ehemaligen Kollegen Christian Ruck. Der Blick in den Koalitionsvertrag ist an anderer Stelle wiederum ganz interessant und auch überraschend. ({0}) Wir haben ja eben vom Kollegen Hoffmann gehört, wie wichtig Konfliktbewältigung ist. „Vernetzte Sicherheit“ hieß unser Konzept. Von den Grünen war dazu eher komplette Ablehnung zu hören. Jetzt können wir aber im Koalitionsvertrag lesen: Wir werden uns weiterhin in der Sahelregion engagieren, um eine Ausbreitung der Instabilität zu verhindern. Das ist doch schon mal gut. Ich hätte mir allerdings ein paar mehr Details gewünscht. Wenn beispielsweise in Burkina Faso gegenwärtig 1 000 Schulen geschlossen sind, weil die islamistischen Terroristen nicht wollen, dass dort auch Mädchen unterrichtet werden, dann ist Entwicklung in diesem Land mangels Bildung eben nicht möglich. Also: Wir brauchen so etwas wie vernetzte Sicherheit. Wir würden gern mehr Details wissen, wie Sie sich das vorstellen. Es war früher auch ständig Kritik an den Reformpartnerschaften von Gerd Müller zu hören. Jetzt steht im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition: Wir leisten insbesondere dort Unterstützung, wo eine Reformagenda für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit verfolgt wird. Das ist in etwa die Übersetzung unserer bisherigen Reformpartnerschaften. Ein paar mehr Unterlegungen und Details dazu wären gut. Es ist ja richtig, dass entscheidend für den Entwicklungserfolg die jeweiligen Länder selbst sind und wir ihnen deswegen besondere Unterstützung geben müssen. Das ist richtig festgehalten im Koalitionsvertrag. Aber im Detail wird es schwierig, weil wir ja auch humanitär helfen wollen, und zwar auch dort, wo es keine gute Regierungsführung gibt. Oft ist ja gerade wegen fehlender guter Regierungsführung humanitäre Hilfe überhaupt erst nötig. Das muss man nur alles ein bisschen weiter herunterdeklinieren. Eine gute Hilfe ist, sich anzugucken, wie wir es von Deutschland aus in der Vergangenheit gemacht haben. Das hat auch etwas mit multilateralem Engagement zu tun. Beispielsweise bekommt das World Food Programme 1 Milliarde Euro aus Deutschland. Wir sind der zweitgrößte Geber beim World Food Programme. ({1}) Damit geht es auch schon ums Geld. Ein Finanztableau haben wir bis jetzt noch nicht gesehen – muss ja auch nicht; die Haushaltsberatungen stehen ja noch bevor. Aber auch dort liegt die Latte hoch. Zwischenzeitlich wurde kritisiert, in der mittelfristigen Finanzplanung sei gar nichts eingestellt. Okay, das ist aber auch der völlig unverbindliche Zukunftsplan des Bundesfinanzministers für die weiteren Ausgaben. Wir reden über die mittelfristige Finanzplanung des früheren Finanzministers Scholz. Man kann das gerne kritisieren; das hat der frühere Entwicklungsminister auch immer gemacht. Aber das ist die Kompetenz des Finanzministers. Bitte jetzt aufpassen, dass das in Zukunft besser wird. Ich glaube, dass auch dort die Messlatte hoch liegt. Wir wünschen, dass im Bereich der Entwicklungspolitik Erfolge erzielt werden, weil uns, auch ausweislich der alten Haushalte, dieses Thema extrem wichtig ist. Da ändern wir als CDU/CSU nicht unsere Meinung. Das ist ein ethisches Gebot, eine christliche Verpflichtung, und das ist auch in unserem deutschen Interesse. Deswegen wünschen wir für diesen Bereich viel Erfolg. Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, Ihren Staatssekretären und dem ganzen Haus viel Erfolg, Gottes Segen und gutes Durchsetzungsvermögen in dieser Bundesregierung. Sie werden die CDU/CSU als kritische Beobachter an Ihrer Seite haben, aber als wohlwollende kritische Beobachter. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nunmehr erhält das Wort als letzte Rednerin zu diesem Themenbereich und in dieser Debatte für Bündnis 90/Die Grünen – und das ist ihre erste Rede im Deutschen Bundestag – Kathrin Henneberger. ({0})

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Klimakrise macht gnadenlos in vielen Regionen der Erde bereits Fortschritt gegen Hunger zunichte, schürt gewalttätige Konflikte, raubt Menschen ihre Existenzgrundlage, zwingt sie zur Flucht. Wenn das Ziel, wenn unser Ziel ist, eine klimagerechte Welt aufzubauen, dann können wir das nur mit dem Wissen und der Perspektive der Menschen, die besonders jetzt schon die grausame Realität der Klimakrise spüren und unter der kolonialen Ausbeutung der letzten Jahrhunderte leiden. Aktuell fehlen diese Stimmen aber immer da, wo über unser aller Zukunft entschieden wird. Das merken wir besonders auf den UN-Klimakonferenzen, wenn beispielsweise die Forderung nach ausreichender Finanzierung für Loss and Damage nicht unterstützt wird, nicht angehört wird. Das darf nicht mehr passieren. ({0}) Unterstützen müssen wir auch Institutionen wie die Indigene Plattform oder den Gender Action Plan, damit auch in der Klimapolitik auf allen Ebenen Geschlechtergerechtigkeit gelebt wird. Eine lebendige und eine vielfältige Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivistinnen und ‑aktivisten, Gesellschaften, die bereits Suffizienz leben – sie sind die Akteurinnen und Akteure des Wandels für eine globale Klimagerechtigkeit, und sie sind unsere Verbündeten in den nächsten vier Jahren. ({1}) Globale Gerechtigkeit beginnt dort, wo Ausbeutung von Mensch und Natur endet. Ganz konkret: Wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte nicht bedeuten, dass wir Steinkohle importieren aus Regionen, wo die Tagebaue dazu führen, dass Dörfer zwangsumgesiedelt werden, dass Menschenrechte verletzt werden, dass Umweltaktivistinnen und ‑aktivisten tödliche Repressionen drohen, so wie in Sibirien und Kolumbien. Diese Steinkohle hat in Deutschland nichts verloren. ({2}) Die Verantwortung für Lieferketten, die koloniale Ausbeutung nicht weiterführen, die Klimagerechtigkeit respektieren, die liegt bei uns. Wirtschaftliche Zusammenarbeit darf auch nicht bedeuten, dass deutsche Firmen Technologien liefern, damit beispielsweise in der Nähe der Sundarbans in Bangladesch Kohlekraftwerke gebaut werden, gegen den Willen der dortigen Bevölkerung. ({3}) Eine Politik der Zusammenarbeit, die sich primär danach richtet, den Bedürfnissen des industriellen Nordens gegenüber gehorsam zu sein, das ist eine rassistische Politik. Der Gegensatz ist eine klimagerechte, die eine lebenswerte Zukunft aller Menschen im Fokus hat – und danach wird sich unsere Politik in den nächsten vier Jahren richten. Vielen Dank. ({4})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zustimmung des Bundestages zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist nie eine Selbstverständlichkeit. Es ist als hohes Gut aus der deutschen Geschichte erwachsen, dass wir in Deutschland eine Parlamentsarmee haben, und das ist uns allen immer bewusst. Das gilt auch für das Mandat zur Teilnahme der Bundeswehr am internationalen Militäreinsatz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ und zur Stabilisierung des Iraks. Ausgangspunkt dieses Einsatzes war das furchtbare Wüten der IS-Terrororganisation in Irak und Syrien ab Sommer 2014. IS-Terroristen eroberten damals ganze Landstriche, große Städte wie Sindschar oder Mosul. Dort terrorisierten sie die Zivilbevölkerung, ganz besonders die Gruppe der Jesiden. Männer und selbst minderjährige Jungen wurden erschossen, Frauen verschleppt, viele versklavt und vergewaltigt – einige von ihnen sind immer noch nicht zurück – und Kinder als Sklaven oder Kindersoldaten missbraucht. Das unterstreicht, wie wichtig der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ für die internationale Sicherheit ist. Wie es der VN-Sicherheitsrat in seinen Resolutionen deutlich gemacht hat, ist er es auch für die Menschen im Irak selbst und für die Stabilität in der Region. Gleichzeitig ist es kein Geheimnis, dass meine Fraktion und auch ich persönlich dem Anti-IS-Mandat des Bundestages 2015 und in den Jahren danach nicht zugestimmt haben. Grund dafür war nicht unsere Ablehnung der Ziele des Einsatzes, sondern unsere Bedenken zu seiner damaligen rechtlichen Basis. Die neue Bundesregierung hat das Mandat nun überarbeitet. Ich danke vor allen Dingen der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht für die vertrauensvolle Zusammenarbeit dabei, und ich werbe, sehr verehrte Damen und Herren, für Ihre Zustimmung zu diesem nun deutlich überarbeiteten Mandat. ({0}) Erstens wird der Einsatz jetzt auf den Irak fokussiert. Syrien als Einsatzgebiet haben wir gestrichen. Das ist eine deutliche Änderung. ({1}) Mit dem erneuten und deutlichen Wunsch der irakischen Regierung nach einer Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr steht der neue Mandatstext auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage. Daneben ist der Bundeswehreinsatz von den einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und Artikel 51 der Charta gedeckt. Zweitens sieht dieses Mandat – und ja, das ist neu – eine umfassende und inklusive Evaluation des Einsatzes in dem kommenden Mandatszeitraum vor. Damit setzen wir erstmalig die Vereinbarung unseres Koalitionsvertrages um, alle Bundeswehrauslandseinsätze zu evaluieren. ({2}) Wir verlängern das Mandat bis zum 31. Oktober 2022 und kehren damit zum ursprünglichen Turnus einer Mandatsverlängerung im Herbst zurück. Drittens – das ist wichtig – braucht der Irak weiterhin unseren zivilen und militärischen Beistand. Wir sehen dort einerseits nicht zuletzt auch dank internationaler Unterstützung positive Entwicklungen. Die Wahlen im vergangenen Oktober waren die sichersten und freiesten in der Geschichte des Landes. Die Fortschritte der irakischen Sicherheitskräfte haben es erlaubt, die internationale Militärpräsenz weiterzuentwickeln. Die Mission der internationalen Anti-IS-Koalition und der amerikanische Militäreinsatz werden von einem Kampfeinsatz zu einer Beratungs- und Unterstützungsmission umgebaut. Andererseits – das sage ich auch sehr deutlich – ist klar: Trotz dieser Erfolge steht der Irak weiterhin vor großen Herausforderungen. Das haben die tragischen Anschläge der vergangenen Nacht in Bagdad noch einmal unterstrichen. Einige Akteure versuchen, die Regierungsbildung mit Raketenangriffen auf diplomatische Vertretungen und Anschläge auf Parteibüros zum Entgleisen zu bringen. Auch wenn der IS seit 2017 kein Gelände mehr im Irak beherrscht, bleibt er eine Gefahr. Wo der irakische Staat oder die Autonome Region Kurdistan die Sicherheitsverantwortung nicht wahrnehmen, handeln Terroristen aus dem Untergrund und sind zu komplexeren Anschlägen in der Lage. Dieser terroristischen Bedrohung müssen wir weiter entgegentreten. Dreh- und Angelpunkt ist dabei unser vernetzter Ansatz. ({3}) Unser Bundeswehreinsatz bleibt eingebettet in ein starkes ziviles Engagement. Seit 2013 hat Deutschland im Irak fast 3 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe, Stabilisierung und Entwicklungszusammenarbeit investiert. Meine Damen, meine Herren, um dieses zivile Engagement abzusichern, braucht es weiterhin auch militärische Mittel. Deshalb wäre die Verlängerung des vorliegenden Mandates ein wichtiges Signal an unsere Partnerinnen und Partner im Irak, an unsere alliierten Freunde, dass Deutschland auch unter der neuen Bundesregierung ein verlässlicher Bündnispartner bleibt, und vor allen Dingen an die Kinder, an die Männer und an die Frauen, die nach 2014 im Irak so fürchterlich unter der Terrorherrschaft des IS gelitten haben. Ich bitte um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Hardt. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist das erste Mandat, das die neue Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorlegt. Deswegen möchte ich vorab für meine Fraktion, für die CDU/CSU-Fraktion, sagen: Sie dürfen sich darauf verlassen, dass wir zu diesen wichtigen Entscheidungen, die auch für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und für die Menschen in den Einsatzgebieten von besonderer Wichtigkeit sind, unsere konstruktiv-kritische, wohlwollende Haltung bewahren und dass wir nicht in Opposition zu diesen Anträgen verfallen. Ich möchte an dieser Stelle schon ein wenig süffisant anmerken, dass vermutlich ich und auch meine Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion ihr Abstimmungsverhalten zu dem Irak-Mandat für die Bundeswehr diesmal nicht ändern müssen – anders als die Bundesministerin des Auswärtigen. Ich möchte zu dem Irak-Mandat folgende grundlegenden Anmerkungen machen: Eine der bindenden Klammern der allermeisten Auslandeinsätze der Bundeswehr ist der Kampf gegen den internationalen Terrorismus; denn wir wissen, dass die globale Lage es eben nicht zulässt, dass wir uns vor solchen Entwicklungen wegducken, sondern dass wir sie beherzt angehen müssen, weil sonst der Terrorismus früher oder später auch uns unmittelbar bedroht; Ministerin Lambrecht war im Irak und hat es im Grunde auch so formuliert. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Die Sicherheit Deutschlands wird eben auch an Euphrat und Tigris verteidigt, mit den geeigneten Mitteln, die wir dafür haben. ({0}) Es ist gut, dass wir die irakische Regierung auf ihren Wunsch hin weiter bei der Ausbildung von Sicherheitskräften unterstützen. Es ist gut, dass wir in der Allianz gegen den IS in der Mission Counter Daesh zusammenstehen. Was im Übrigen auch gut ist – wenn ich das an dieser Stelle zu den Kollegen der SPD sagen darf –: Wir hatten am Anfang, als wir diesen Einsatz begonnen haben, Probleme damit, in der Großen Koalition zu vereinbaren, dass deutsche Kräfte auch im Rahmen des NATO-Einsatzes eingesetzt werden dürfen. Das haben wir Gott sei Dank überwinden können. Es ist auch gut, dass in dem jetzigen Mandatstext dieser Bezug auf die NATO Mission Iraq vorhanden ist; das sehe ich als positives Zeichen. Wenn ich den Mandatstext, der mir erst seit, man kann fast sagen: wenigen Stunden vorliegt – es ist erst in dieser Woche zu diesem Text gekommen –, stelle ich schon fest, dass er doch sehr weitgehend mit dem übereinstimmt, was wir bisher haben. Sie haben in der Überschrift „Syrien“ gestrichen. Das ist natürlich mehr als Symbolik zu verstehen, weil wir seit Frühjahr 2020 keine Luftaufklärung deutscher Tornados mehr über Syrien haben; also de facto hat der Einsatz nicht syrisches Staatsgebiet umfasst. Ich finde allerdings, das ist ein Makel. Diese künstliche Begrenzung nur auf den Irak birgt eine Gefahr in sich, die wir in den Mandatstexten immer betonen, nämlich dass der IS grenzüberschreitend und regionenüberschreitend arbeitet. Wir sehen schon, dass durch die Situation im Nordosten Syriens eine Gefahr besteht, dass der IS-Terrorismus, den wir im Irak gemeinsam erfolgreich massiv zurückgedrängt, wenn nicht gar vertrieben haben, dort, ohne dass wir dahin schauen würden, eine entsprechende Wiedererstarkung erfährt und dass er eines Tages in den Irak zurückfluten könnte, je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln. ({1}) Wir haben diese Begrenzung bereits im alten Mandat für künstlich und falsch gehalten und tun das auch jetzt im neuen Mandat. Deswegen plädieren wir dafür, einen größeren, umfassenderen, mutigeren Ansatz zu fassen. Im Nordosten Syriens gibt es keine politische Herrschaft außer die des IS, und deswegen ist es legitim, sich gegen eine solche Bedrohung an der Seite Iraks zu wehren. Ich würde mir wünschen, dass wir die Luftaufklärung wiederaufnehmen. Im Übrigen ist es so, dass, nachdem wir dort unsere Einflüge von al-Asrak eingestellt haben, nicht so ohne Weiteres andere Partner diese Aufgabe übernommen haben, weil nämlich die deutschen Fähigkeiten, dies zu tun, doch ein Stück weit eine Kern- und Schlüsselfähigkeit innerhalb der NATO sind und deswegen nicht so ohne Weiteres unverzichtbar.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Strack-Zimmermann?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Frau Kollegin Strack-Zimmermann.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie mir erlauben, eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie sagten gerade, dass Sie das Mandat dahin gehend verändern wollen. Darf ich Sie daran erinnern, dass es die CDU/CSU war, die initiiert hat, dass die Tornados aus Jordanien abgezogen worden sind mit der Maßgabe, dass am 1. April 2020 die Italiener dieses Mandat übernehmen, was nie passiert ist? Deswegen überrascht mich Ihre Einlassung, dass Sie das ganz anders machen würden. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, dass die Kollegen der Sozialdemokratie mir zustimmen werden, dass wir damals hart um dieses Mandat und auch um diese Veränderung gerungen haben. In meiner Fraktion sahen wir keine Notwendigkeit, diese Änderungen vorzunehmen, weil wir eben die Sorge hatten, dass es dann zu einem Wegfall dieser Fähigkeit kommt. Ich komme bis zum heutigen Tage und auch mit Blick auf das neue Mandat zu dem Schluss, dass es besser wäre, wenn die deutsche Bundeswehr diese Fähigkeit der Allianz gegen Daesh zur Verfügung stellen und auch Luftaufklärung in diesem Bereich Syriens durchführen würde. Das ist leider in der Großen Koalition so nicht möglich gewesen. Es ist offensichtlich in diesem Mandatstext auch nicht möglich. Aber wenn ich ihn zu schreiben hätte, würde ich es hineinschreiben. ({0}) Ich möchte die letzten Sekunden nutzen, um deutlich zu machen, dass wir jetzt ein toughes Programm vor uns haben. Wir werden in der nächsten Sitzungswoche das Mandat in den Ausschüssen beraten müssen, und es wird dann bereits in der nächsten Sitzungswoche verabschiedet werden müssen, weil wir sonst den 31. Januar verpassen. Ich erinnere mich daran, dass wir einen ziemlich harten Kampf mit unseren sozialdemokratischen Kollegen hatten, ob wir das Mandat tatsächlich bis zum 31. Januar laufen lassen; die SPD wollte es etwas früher beenden. Ich bin froh, dass es gelungen ist, es bis dahin auszudehnen, sodass wir jetzt immerhin doch die Fristen wahren können. Ich sage eine konstruktive Mitberatung seitens der CDU/CSU zu und hoffe auf eine gute Debatte in der nächsten Sitzungswoche. Danke schön. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Für die Bundesregierung erhält nunmehr die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht das Wort. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Deswegen ist es auch richtig und wichtig, dass wir diese Mandate jedes Mal hier auch ausführlich und intensiv diskutieren. Das heute ist der Einstieg in das sogenannte Irak-Mandat, und es ist wichtig, dass alle Fragen auch hier im Parlament diskutiert werden. Das ist mir ein großes Anliegen. Ich war 23 Jahre Bundestagsabgeordnete. Deswegen kann ich auch richtig gut nachvollziehen, dass das eingefordert wird. ({0}) Damit ich dann als Verteidigungsministerin auch die entsprechenden Antworten und eine Einschätzung der aktuellen Lage geben kann, habe ich am letzten Wochenende eine Einsatzreise nach Jordanien, in den Irak und auch in die Autonome Region Kurdistan, nach Erbil, unternommen. Mir war es wichtig, mir vor Ort ein Bild darüber zu machen: Was leisten denn unsere Soldatinnen und Soldaten? Was machen sie ganz konkret? Denn manchmal habe ich den Eindruck, es ist gar nicht bekannt, was wirklich geleistet wird, was wirklich unsere Aufgabe dort vor Ort ist und wie das auch dort in der Region, in Jordanien, im Irak, in Kurdistan, ankommt. Ich kann Ihnen sagen, alle diese Gespräche haben eins ergeben: Unsere Frauen und Männer dort leisten eine tolle Arbeit, hoch anerkannt und hoch erwünscht. ({1}) In allen Gesprächen wurde deutlich: Unsere Partner, unsere Verbündeten bauen auf uns, und unsere Truppe überzeugt durch ihr Engagement und auch ihr Können. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt auch diese Verlängerung hier beschließen; zu der Evaluierung komme ich gleich. Denn – wie Frau Kollegin Außenministerin schon gesagt hat –: Der IS ist noch lange nicht besiegt. Er ist zurückgedrängt, es gab gute Entwicklungen, und es konnte Gutes erreicht werden; aber er ist noch lange nicht besiegt. Er herrscht zwar nicht mehr über große Gebiete im Irak und in Syrien, auch durch unser Engagement der Bundesregierung; aber der IS ist immer noch da, und er sorgt mit seinem Willen, mit seinen Mitteln, mit seinen Möglichkeiten vor Ort, in der Region für Terror. Deswegen ist es richtig, dass wir uns dagegen weiterhin einbringen. ({2}) Wenn man mit den Menschen im Irak spricht, dann merkt man: Die Angst vor diesem Terror ist allgegenwärtig. Sie wissen ganz genau, dass der IS jederzeit wieder zuschlagen kann: auf einem belebten Markt oder auch auf einem Kontrollpunkt der Polizei, egal wo. Dieser Terror – es ist schon angesprochen worden – reicht eben auch bis nach Europa; wir sind davor nicht sicher. Das ist keine auf die Region begrenzte Gefahr, sondern das betrifft auch uns; es ist wichtig, das wahrzunehmen. Deswegen ist es nicht nur im Interesse des Iraks, nicht nur im Interesse von Jordanien, nicht nur im Interesse der Region, wenn wir uns dort engagieren, sondern auch in unserem Interesse. Unsere militärische Unterstützung werden wir dabei auf zwei Säulen aufbauen. Einmal stärken wir mit der NATO-Mission im Irak die irakischen Streitkräfte, sodass sie dann irgendwann auch selbst in der Lage sind, operative Einsätze eigenständig durchführen zu können. Aber wir kämpfen und beraten eben auch im Kampf gegen den IS. Die irakische Regierung – ich habe mit dem Herrn Premier gesprochen – hat ausdrücklich und wiederholt den Wunsch geäußert, dass wir unser Engagement fortsetzen; ich habe auch mit meinem irakischen Amtskollegen gesprochen. Überall dort gab es diese ausdrückliche Bitte. Was machen wir dort? Allein unser hochmodernes Tankflugzeug A400M hat in den vergangenen 15 Monaten über 200 Betankungsflüge durchgeführt und dadurch insbesondere unsere französischen – – ({3}) – Nein! ({4}) – Also, sorry, in diesen 15 Monaten nicht. Aber wir können die Zahl sicherlich miteinander klären. Ich bin mir sicher, dass, wenn mir meine ganz toll aufgestellten Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium so eine Zahl da hineinschreiben, die dann auch stimmt. ({5}) Egal wie die Zahl jetzt auch lautet: Auf jeden Fall haben wir einen unglaublichen Beitrag dazu geleistet, dass, wie gesagt, die französischen Kollegen und auch die USA dadurch direkt unterstützt werden konnten. Aber nicht nur das ist ein guter Beitrag. Auch dass beispielsweise unsere Sanitäterinnen und Sanitäter in Erbil fest in internationale Strukturen integriert sind, ist ein ganz wichtiger Baustein. Sie waren es nämlich, die Kameradinnen und Kameraden aller Koalitionsnationen, die dort in einen Drohnenangriff geraten sind, im Camp versorgt haben – ein ganz wichtiger Beitrag, den wir da leisten. Wir haben viel erreicht, und deswegen ist es wichtig, dass wir da auch weiterhin unterstützend tätig sind. Und ja, dieses Mandat ist jetzt verändert. Es ist eben kein Weiter-so; es ist eben kein „Wir machen jetzt einfach ein Jahr weiter mit dem, was wir bisher geleistet haben“. Es ist schon beschrieben worden: Das Einsatzgebiet ist eingeschränkt worden; Syrien ist jetzt nicht mehr enthalten. Das hat etwas damit zu tun, dass wir seit 2020 dort überhaupt nicht mehr aktiv waren. Wenn das so ist, dann, finde ich, gehört es zur Transparenz und zur Ehrlichkeit dazu, dass man das auch klar benennt, und das ist jetzt mit diesem Mandat der Fall. Und ja, wir verlängern jetzt bis Ende Oktober dieses Jahres; damit kommen wir wieder in den vorherigen Rhythmus zurück. Das gibt uns jetzt Zeit, noch einmal genau zu hinterfragen, ob das, was wir da leisten, in die richtige Richtung geht, oder ob wir besser, noch besser werden können. Wir mussten beispielsweise Ausbildungsmissionen coronabedingt zurückfahren. Es ist eine Frage, ob wir da nicht wieder ins Engagement hineingehen. Auch das muss in der Zeit, die wir jetzt zur Verfügung haben, diskutiert werden. Wir haben die Zeit, und, ich finde, wir sollten uns die Zeit auch nehmen. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz klar: Das Engagement wird hoch geschätzt. Es wird darum gebeten, dass wir weitermachen, um die Region zu stabilisieren, aber auch um zu helfen, dass der Irak irgendwann eigenständig diese Leistungen erbringen kann. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung dieses hoch anerkannten Engagements dort vor Ort in der Region – für die Sicherheit der Region, aber eben auch für unsere Sicherheit. Vielen Dank. ({6})

Joachim Wundrak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005264, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Ich danke für das Wort und für die freundliche Einführung. – Frau Ministerin Baerbock! Frau Ministerin Lambrecht! Meine Damen und Herren! Wir alle in diesem Haus stimmen wohl zu, dass Entscheidungen zum Einsatz von bewaffneten Streitkräften der besonderen Sorgfalt bedürfen, dies nicht nur zum Schutz der eingesetzten Soldaten, sondern auch, um Verfassung und Völkerrecht nicht zu verletzen. Wie schon gehört, übernahm 2014 der IS die Kontrolle über große Gebiete im Irak und in Syrien. Deutschland unterstützt seit Anfang 2015 den Kampf gegen den IS durch Ausbildung und Ausrüstung von irakischen Streitkräften. Nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015 entschied sich Deutschland, die Internationale Allianz gegen den IS auch durch den Einsatz von Militärflugzeugen zu unterstützen. Wie einige hier im Haus erinnere ich mich noch an die heißen Diskussionen um die völkerrechtliche Bewertung, da Kampfflugzeuge über Syrien natürlich ohne Einladung der syrischen Regierung eingesetzt wurden. Die AfD-Fraktion hat vorausgegangene Anträge daher aus völkerrechtlichen Bedenken abgelehnt. Aber auch die Fraktion der Grünen – wir haben es schon gehört – stimmte gegen diese Einsätze und ging in ihrer Kritik sogar noch deutlich weiter. Ihr heutiger Staatssekretär, Frau Ministerin Baerbock, bezeichnete das vorige Mandat als rechtswidrig. Ich weiß zwar nicht, ob auch er vom Völkerrecht kommt, ({0}) aber er kritisierte, dass man aus der Resolution der Vereinten Nationen nicht klar und eindeutig herauslesen könne, dass ein Gewalteinsatz in Syrien gerechtfertigt sei. Der Einsatz entspreche auch nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes. Es ist in der Tat der einzige Auslandseinsatz der Bundeswehr in einer Koalition, der nicht im Rahmen der EU, NATO oder Vereinten Nationen stattfindet. Der „Islamische Staat“ kontrolliert, anders als in 2015, inzwischen keine Gebiete mehr im Irak und in Syrien. Die Verletzung des syrischen Luftraums ist heute daher noch schwerer zu rechtfertigen als damals. Die Ministerinnen bitten in ihrem Antrag heute dennoch um Zustimmung, dass die Bundeswehr Lufteinsätze anderer Staaten über Syrien weiterhin unterstützen kann. Dies soll laut ihres Antrags durch Luftbetankung, Luftraumüberwachung, Aufklärung und Weitergabe gewonnener Informationen geschehen. Der Unmut, der sich hierüber in Ihrer Fraktion und in der SPD regt, ist nachvollziehbar. Dagegen ist der Auftrag zur Ausbildung irakischer Streitkräfte, ebenfalls in Ihrem Antrag enthalten, prinzipiell sinnvoll und zustimmungsfähig. Wir begrüßen auch die Absicht der von uns wiederholt geforderten fortlaufenden Evaluierung der Einsätze. Sie sollten diese beiden völkerrechtlich völlig unterschiedlich begründeten Einsätze – auf der einen Seite Ausbildung, auf der anderen Seite Kampf gegen den IS mit bewaffneten Mitteln – nicht in einem Antrag und zu einem Mandat verknüpfen. Sie sollten dem Parlament die Möglichkeit geben, über zwei getrennte Mandate zu beraten, wie es auch die FDP einst eingefordert hat. Dies würde auch vielen Parlamentariern in Ihrer Fraktion und in der SPD eine Brücke bauen – einer SPD, die wohl heute schon den Ausstieg aus dem Mandat in neun Monaten plant. Um es kurz zu machen: Die AfD-Fraktion kann Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als Nächster erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Alexander Müller. ({0})

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der „Islamische Staat“ ist weiter aktiv und betreibt seine hinterhältigen Anschläge. Dazu betreibt er ein internationales Netzwerk mit Wirkung bis nach Afghanistan und nach Afrika und ist der Haupttreiber einer Fluchtwelle nach Europa. Zum Thema Syrien. Lieber Kollege Hardt, ich verstehe Ihre Schmerzen. Wir wissen, dass die damalige Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer öffentlich darüber nachgedacht hat, Bundeswehrsoldaten im Norden Syriens einzusetzen. Wir wollen das aber nicht, und deswegen ist es konsequent, das Gebiet Syriens da herauszunehmen. ({0}) Der irakische Nachbar Iran wirkt zusätzlich destabilisierend in der Region, unterstützt dort überall Krieg und Terror. Ob es der islamische Dschihad ist, die Huthi-Rebellen im Jemen oder die Hisbollah, sie alle werden vom Iran beliefert und unterstützt. Wenn es der frischgewählten irakischen Regierung, die übrigens eine multiethnische und eine inklusive Regierung ist, gelingt, die Demokratie zu stabilisieren, dann ist das ein Fortschritt für Frieden im arabischen Raum. Das ist das Ziel mit diesem Mandat. Irak ist ein Vielvölkerstaat, ist keine klassische Nation, sondern besteht aus Arabern und Kurden, aus Sunniten, Schiiten, Christen, Jesiden. Das Zusammenwachsen als Nation, das Bilden einer Gemeinschaft, also ein Nation Building, ist dort noch lange nicht fertig. Wir haben ein großes Interesse am Erfolg dieses Prozesses, am Erfolg eines stabilen und friedlichen Irak. Die USA haben seit Kurzem keine Truppen mit Kampfauftrag mehr im Land. Auch das ist ein wichtiges Zeichen des Fortschritts und der Stabilisierung. Die Bundeswehr ist auf Bitten der irakischen Regierung vor Ort, im Verbund mit vielen anderen Truppenstellern aus der ganzen Welt. Damit erfüllen wir auch die Aufforderung des UN-Sicherheitsrats zur Mitarbeit an der Eindämmung des IS. ({1}) Wir entsenden keine Kampftruppen, sondern wir unterstützen die internationale Anti-IS-Koalition durch Luftbetankung, durch Lufttransport und Aufklärung. Wir beraten aber auch die irakischen Sicherheitskräfte vor Ort. Als Freie Demokraten war es uns bei der letzten Mandatsverlängerung im Herbst 2020 besonders wichtig, einen Entschließungsantrag einzubringen. Dessen wichtigste Punkte sind jetzt endlich umgesetzt worden. Wir stellen sicher, dass wir keine PMF-Angehörigen mehr ausbilden. Wir haben einen klaren Fokus auf die Zivil-Militärische Zusammenarbeit und den vernetzten Ansatz. Außerdem wollen wir eine Bündniszusammenarbeit und keine bilateralen Abmachungen. Und ganz wichtig: Endlich haben wir auch eine Auswertung, die Evaluierung des Einsatzes, und das ist wirklich etwas Neues und ist uns sehr wichtig. ({2}) Wir als Regierungskoalition haben miteinander vereinbart, unsere Auslandseinsätze regelmäßig und systematisch zu evaluieren; das wird auch für diesen Einsatz gelten. Wir wollen die Erfahrungen aus dem Einsatz auswerten, und wir wollen wissen, was gut funktioniert hat, wo und wie wir unsere Ziele erreichen und wo nicht. Das wollen wir im vernetzten Ansatz auswerten. Das heißt, auch diplomatische Erfolge gehören dazu. Dazu gehören auch Fortschritte der Entwicklungszusammenarbeit. Das müssen wir bewerten. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass Sicherheit und Stabilität überhaupt erst einmal die Voraussetzungen für Entwicklungshilfe sind. Das heißt, wer Schulen und Brunnen bauen will, wer dort Krankenhäuser und Landwirtschaft errichten will, der muss zuallererst für Sicherheit und Stabilität sorgen. Entscheidend sind also nicht militärische Erfolge, entscheidend ist, ob wir den Menschen im Irak mehr Frieden, mehr Stabilität und Hoffnung auf eine bessere Zukunft bringen können. ({3}) Daran müssen sich unsere Einsätze messen. Das ist auch das Ziel dieses Mandats. Ich danke allen unseren Soldatinnen und Soldaten, die an dieser Vision mitarbeiten, und werbe auch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Zustimmung. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als Nächste folgt in dieser Debatte für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sevim Dağdelen. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verlängerung dieses Bundeswehreinsatzes im Irak durch die Bundesregierung zeigt deutlich die Doppelbödigkeit deutscher Außenpolitik, insbesondere der Grünen. Da helfen auch die ganzen kuriosen Rechtfertigungen nicht, man sei da nicht umgefallen; denn natürlich sind Sie hier umgefallen, und das schneller, als manch einer gedacht hätte. In der Opposition haben Sie diesen Einsatz noch abgelehnt. Die Situation vor Ort sei viel zu gefährlich, der Einsatz unverantwortlich, das Mandat rechtswidrig und ohne völkerrechtliche Grundlage. Das ist jetzt alles anders? Das ist lächerlich, meine Damen und Herren. ({0}) Tagtäglich gibt es Raketenangriffe auf ausländische Militärbasen im Irak. Deshalb ist es skandalös, dass Sie das Leben deutscher Soldaten derart leichtfertig aufs Spiel setzen. ({1}) Was die völkerrechtliche Argumentation angeht, ist schon bemerkenswert, wie heruntergekommen Ihre Standards jetzt sind. Ihnen reicht jetzt die Einladung einer geschäftsführenden Regierung auf Abruf im Irak, ohne parlamentarische Mehrheit, als völkerrechtliche Legitimation, ({2}) die auch noch gegen den ausdrücklichen Beschluss des irakischen Parlaments handelt – ein ausdrücklicher Beschluss des irakischen Parlaments, von dem Sie noch letztes Jahr lobenswert berichtet haben. Das ist doch grotesk, meine Damen und Herren. ({3}) Wer in der Opposition das eine sagt, aber in der Regierung dann das Gegenteil macht, der begeht nicht nur eine Wählertäuschung, sondern beschädigt auch die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt. ({4}) Das gilt auch im Hinblick auf Julian Assange. Der Journalist hat Kriegsverbrechen der US-Armee im Irak öffentlich gemacht und soll dafür in den USA lebendig begraben werden. Sie, Frau Baerbock, haben dies in der Opposition noch kritisiert. Wenn es Ihnen tatsächlich um die Menschen im Irak und um die Menschenrechte ginge, würden Sie dieses Schweigen zu Julian Assange beenden. Das sind wir auch den Angehörigen der irakischen Journalisten schuldig, die damals kaltblütig aus einem US-Apache-Hubschrauber heraus ermordet wurden. Diese Verbrechen sind bis heute ungesühnt geblieben. Handeln Sie jetzt, erheben Sie Ihre Stimme für die Freiheit von Julian Assange! ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin Dağdelen. – Als letzter Redner in dieser Debatte folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Reinhard Brandl. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Grünenfraktion, liebe Außenministerin, herzlich willkommen in der Realität! Über Jahre hinweg haben Sie von diesem Pult aus wohlfeil begründet, warum der Einsatz der Bundeswehr im Irak „schlicht unverantwortlich“ ist – Zitat Annalena Baerbock. Noch im Jahr 2020 haben Sie einen Antrag gestellt, die Bundeswehr sofort aus dem Irak abzuziehen. Heute haben Sie zum Teil gut begründet, warum es sinnvoll ist, dass wir als Land auch weiterhin einen Beitrag zur Stabilisierung des Iraks leisten und mit der Bundeswehr weiterhin im Land bleiben. Das begrüße ich ausdrücklich. Aber, meine verehrten Damen Ministerinnen, was Ihnen heute auch gelungen ist: Sie haben es geschafft, innerhalb von 30 Minuten aller Welt die Scheinheiligkeit der Außen- und Sicherheitspolitik der Ampel vorzuführen. ({0}) – Herr Trittin, vielen Dank für den Hinweis; ich weise das aber von mir und möchte mich mit der Frau Dağdelen nicht gemeinmachen. ({1}) Was Sie gemacht haben: Sie haben die entscheidende Änderung des Mandats damit begründet, dass Syrien nicht mehr Teil des Einsatzgebietes ist. Im Mandatstext selber haben Sie aber natürlich beschrieben, dass die Bedrohung durch den IS nicht begrenzt ist auf den Irak, sondern dass sie den Irak, Syrien und die ganze Region betrifft. Sie wissen selbst, dass dort die Grenzen fließend sind und dass natürlich, wenn alle so handeln würden, wenn sich alle nur auf einen bestimmten Bereich konzentrieren würden, ganz einfach Ausweichräume entstehen würden. Sie haben das Mandat nicht aufgrund der Lage vor Ort geändert, sondern aufgrund der Lage im Fraktionsraum der Grünen hier oben. ({2}) Die Bundeswehr ist jeden Tag mit A400M zu Betankungsflügen unterwegs. Ich zitiere aus den letzten UdPs: im Jahr 2021 bis einschließlich 13. Dezember 625 Einsatzflüge mit knapp 2 700 Flugstunden und 2 740 Luftbetankungsvorgängen. – Wissen Sie, was das jetzt praktisch bedeutet? Die Bundeswehrsoldaten fliegen die Betankungsflugzeuge, die amerikanischen und französischen Jets fliegen die Einsätze. Die Bundesministerin der Verteidigung hat sich dafür heute explizit bedankt. Das heißt, die fliegen in Syrien einen Einsatz. Um zu tanken, müssen sie aber in den Luftraum des Iraks oder nach Jordanien zurück. Das ist doch Ihre Außenpolitik: Sie sind froh, dass andere diesen Einsatz machen, warten aber selbst lieber vor der Tür, um sich ja nicht in irgendeiner Form die Finger schmutzig zu machen. ({3}) Das ist die Scheinheiligkeit, die ich verurteile, und das ist auch peinlich für unsere Soldatinnen und Soldaten. Ich würde Sie bitten, bei einer zukünftigen Erneuerung des Mandats auch Syrien wieder mit in den Operationsraum zu nehmen. Das ist sinnvoll, und damit wird auch unser Beitrag vor Ort deutlich glaubwürdiger. ({4}) Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache.