Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich heute erneut mit dem Thema beschäftigt, das uns eben auch schon bewegt hat, nämlich das Thema der Coronapandemie.
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Entschuldigung, Herr Kanzler, jetzt unterbreche ich Sie; denn Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD-Fraktion, wissen, dass das eine politische Aktion ist, die wir in diesem Hause nicht dulden. Insofern bitte ich Sie, jetzt sofort die Plakate herunterzunehmen, sonst muss ich Sie des Saales verweisen, und ich behalte mir auch vor, im Zweifel ein entsprechendes Ordnungsgeld für die ganze Fraktion zu verhängen.
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Bitte jetzt ziemlich zügig, übrigens auch oben auf der Tribüne, und zwar alle! Denn sonst werden Sie wirklich des Saales verwiesen.
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– Ja, das meine ich ernst.
Ich erwarte auch, dass die Plakate nicht zwischendurch immer wieder hochgehalten werden; das sage ich auch ganz deutlich. Ansonsten werden Sie, wie gesagt, vom Sitzungsbetrieb heute ausgeschlossen. So sind die Regeln.
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Jetzt, Herr Bundeskanzler, bitte ich Sie, noch mal anzusetzen, sodass wir mit der Befragung des Bundeskanzlers beginnen können.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Corona – ich habe es schon gesagt – ist das Thema, das uns alle in diesen Tagen umtreibt. Die Bundesregierung hat sich heute erneut damit beschäftigt und deshalb die Coronaschutzverordnung auf den Weg gebracht. Das ist allerdings nur eine Teilentscheidung im Rahmen vieler, vieler weiterer Entscheidungen, die wir in der letzten Zeit getroffen haben und die hier in diesem Haus, aber auch in Zusammenkünften der Länder und der Bundesregierung im November, im Dezember und auch noch Anfang Januar vorbereitet worden sind.
Wir haben dabei Entscheidungen vorbereitet, die dazu geführt haben, dass Deutschland den Weg durch die Pandemie mit großer Klarheit weitergeht. Dazu gehören sehr weitreichende Kontaktbeschränkungen, weitreichender als in fast allen anderen Ländern der Europäischen Union. Das gilt insbesondere, wenn man sie in der Zusammenschau betrachtet. Wir haben Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich – nicht mehr als zehn Personen –, und dort, wo die Beteiligten nicht geschützt sind, ist es so, dass nur zwei weitere hinzukommen können. Wir haben Kontaktbeschränkungen im Bereich von Zusammenkünften mit 2 G und 2 G Plus. Wir haben jetzt neu beschlossen, dass 2 G Plus auch für den Besuch von Restaurants gelten soll. Wir haben Kontaktbeschränkungen, die die Größe von Veranstaltungen betreffen.
Das sind sehr weitreichende Maßnahmen. Sie haben aber auch den gewünschten Effekt. Denn das Infektionsgeschehen, das mit der neuen Omikron-Variante verbunden ist, ist in Deutschland bisher in ganz anderer Weise als anderswo verzeichnet worden. Und das ist auch auf die klaren, weitreichenden Maßnahmen, die wir hier festgelegt haben, zurückzuführen.
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Darüber hinaus haben wir in Deutschland entschieden, dass wir neben dem Impfen auch das Boostern in einem Umfang und einem Ausmaß vorantreiben, wie es in anderen Ländern der Europäischen Union nicht gleichermaßen geschieht. Wir haben es geschafft, bis Weihnachten 30 Millionen solcher Boosterimpfungen zustande zu bringen. Das war unser gemeinsames Ziel.
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Und wir arbeiten jetzt daran, weiter solche Impfungen und Boosterungen zu organisieren. Wenn es uns gelingt, wieder auf das Niveau von vor Weihnachten zu kommen – das ist mein Ehrgeiz, wenn die Ferien jetzt überall in Deutschland zu Ende sind – und in den vielen Impfzentren und durch die Impfmöglichkeiten in den Arztpraxen über 1 Million Impfungen pro Tag zustande zu bringen, dann werden wir es dadurch schaffen, einen weiteren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie zu leisten.
Trotzdem ist eines klar – und das wissen wir sehr genau –: Wir werden auch das Infektionsgeschehen sehen, das wir in anderen Ländern haben, mit mehr Infektionen wegen der Omikron-Variante. Es ist heute schon erwähnt worden: Wir haben zuletzt etwa 80 000 Infektionen verzeichnet. Und deshalb müssen wir davon ausgehen, dass höhere Zahlen, wie wir sie anderswo sehen, auch hierzulande zu verzeichnen sein werden. Das ist ein Grund, genau diesen Weg weiter zu beschreiten. Und das ist ein Grund – das will ich an dieser Stelle auch sagen –, warum ich mich dafür einsetze – unterstützt von vielen anderen im politischen Raum, wie ich das gesehen habe, auch von den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder –, dass wir in Deutschland eine Impfpflicht einführen. Ich bin sehr dankbar, dass diese Debatte hier im Deutschen Bundestag nun, wo er wieder zusammentritt, auch beginnt. Ich hoffe, dass es eine zügige, gute Beratung mit einem entsprechenden Ergebnis geben wird. Ich jedenfalls halte sie für notwendig und werde mich aktiv dafür einsetzen.
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Wir entscheiden mit allem, was wir entscheiden, nicht nur über uns und nicht nur für uns allein. Denn die Tatsache, dass in Deutschland nicht so viele geimpft sind, wie wir am Anfang der Impfkampagne gehofft haben, als wir noch darum gerungen haben, dass möglichst viele eine Impfung überhaupt bekommen können, die Tatsache, dass wir mit der Impfquote nicht hoch genug gekommen sind, hat Konsequenzen – Konsequenzen, mit denen die Maßnahmen zusammenhängen, die ich eben beschrieben habe. Aber auch Konsequenzen, die zum Beispiel bedeuten, dass wir Mittel dafür bereitgestellt haben, dass Krankenhäuser Operationen verschieben können, damit genügend Betten für Coronainfizierte zur Verfügung stehen.
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Deshalb gibt es nicht die Entscheidung, wo jemand sagt: Mich betrifft das nicht. Ich entscheide für mich. Ich impfe mich nicht, und das hat keine Konsequenzen für andere. Doch. Für unser ganzes Land, für die eigenen Freunde, für die Nachbarn hat die Tatsache, dass man jemanden anstecken könnte, eine Konsequenz. Zum Beispiel die vielen Mittel, die wir für die Krankenhäuser aufwenden, damit sie Platz für die Infizierten haben. Zum Beispiel, dass andere erdulden müssen, dass ihre Operationen später stattfinden, weil wir Platz für Coronainfizierte gemacht haben. Es gibt keine Entscheidung, die man nur für sich alleine trifft, und deshalb ist die Impfpflicht auch richtig.
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Heute finden erstmals seit langer Zeit wieder Gespräche im NATO-Russland-Rat statt. Gestern haben Gespräche zwischen den USA und Russland stattgefunden. Es wird Gespräche im Rahmen der OSZE geben. Und wir sorgen aktiv dafür, dass es wieder Möglichkeiten gibt, das Gesprächsformat, das Normandie-Format, zwischen den Ländern, die das auf den Weg gebracht haben, zu beleben, um die Krise in der Ukraine zu überwinden.
Das ist eine ernste Bedrohung der Sicherheit in Europa. Der Truppenaufmarsch entlang der ukrainischen Grenze muss uns Sorge machen, und er macht mir persönlich auch sehr, sehr große Sorgen. Es ist etwas passiert mit der Annexion der Krim, nämlich dass eine eroberte Sicherheit – eine, die wir miteinander in Europa politisch erobert haben, dass Sicherheit nur gemeinsam erreicht werden kann – verloren gegangen ist. Denn eine Grundkonstante gehörte immer dazu: Die gemeinsame Erklärung, dass Grenzen in Europa nicht mehr verschoben werden, dass die territoriale Integrität der Staaten ungefährdet bleibt. Wir müssen zu dieser Situation wieder zurückkehren. Das werden wir tun, eingebettet in die Europäische Union und in die NATO. Zusammen mit unseren amerikanischen Verbündeten werden wir klar dafür sorgen, dass diese Dialogformate alle wieder dafür genutzt werden, dass wir den notwendigen Fortschritt für Sicherheit in Europa erreichen.
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Letzte Bemerkung. Die Debatte in dieser Woche über die vielen Vorhaben, die die neue Regierung hat, und den Plan, den sie dafür hat, dass dieses ein erfolgreiches Jahrzehnt wird, in dem wir die Zukunftsaufgaben unseres Landes anpacken, ist eine gute Debatte. Ich freue mich über all die Diskussionen, die wir darüber führen. Denn das ist ja nicht nur eine Angelegenheit der Regierung, der Ministerinnen und Minister, die hier ihre und unsere gemeinsamen Pläne für unsere Zukunft und für dieses Jahrzehnt vorstellen. Es ist eine Angelegenheit des ganzen Hauses und unserer ganzen Republik. Deshalb ist es eine gute Woche für ein Signal des Aufbruchs.
Schönen Dank.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben jetzt in Ihren Ausführungen noch einmal erwähnt, dass die Impfpflicht aus Ihrer Sicht ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der Pandemie ist. Sie haben das auch begründet – diese Meinung kann man teilen oder auch nicht –; aber wenn der Bundeskanzler in der größten Krise unserer Zeit sagt: „Das ist der Weg aus der Krise“, dann müssen der Bundeskanzler und seine Regierung doch einen Gesetzgebungsvorschlag dafür unterbreiten, wie man das ethisch richtig und verfassungsrechtlich korrekt machen kann.
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Und wenn Sie nicht die Kraft dazu haben, einen solchen Gesetzgebungsvorschlag hier in den Deutschen Bundestag einzubringen, wo wir ihn selbstverständlich diskutieren und darüber entscheiden und Abgeordnete auch so entscheiden, wie sie es für richtig halten, dann müssen Sie doch wenigstens die Fragen, die aus diesem Parlament gestellt werden, um ein solches Thema beurteilen zu können, beantworten. Das haben Sie beispielsweise für unsere Fraktion nicht gemacht. Wir haben Ihnen vor Weihnachten zahlreiche Fragen gestellt, die für uns essenziell sind, um dieses Thema zu bearbeiten.
Deswegen möchte ich Ihnen die Frage stellen: Was muss in unserem Land passieren, damit Sie bereit sind, in einer so entscheidenden Frage die Fragen der Opposition und des Parlaments zu beantworten?
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Schönen Dank für Ihre Frage und für die Gelegenheit, noch mal zu wiederholen, was im Übrigen allseits bekannt ist an Positionen der Bundesregierung und auch des Bundeskanzlers zu diesem Thema. Ich habe eben schon gesagt: Ich halte eine Impfpflicht für erforderlich. Als ich das im November das erste Mal gesagt habe und damit der Debatte in Deutschland auch eine Richtung gegeben habe, die vorher nicht zu erkennen war, habe ich von vornherein zum Ausdruck gebracht, dass ich es richtig fand, in einer so grundsätzlichen Angelegenheit besser auf Basis von Anträgen aus diesem Haus zu entscheiden, ohne Regierung und Opposition und Fraktionszwänge,
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sondern als eine Entscheidung, die die Abgeordneten ganz bewusst in dieser Frage anders treffen.
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Selbstverständlich ist es so, dass die Bundesregierung für diese Anträge alle Hilfe bereitstellt, und selbstverständlich ist es so, dass der Abgeordnete Olaf Scholz auch eine ganz klare Meinung zu dem Thema hat, wie das ausfallen soll. Deshalb will ich, ohne der Debatte, die hier von Ihnen allen geführt wird, vorzugreifen, auch sehr klar sagen, was ich für richtig halte: Ich glaube, es sollte um alle Erwachsenen gehen. Ich persönlich glaube, dass das auch möglichst unbürokratisch und schlank geschehen sollte, dass man keine großen Strukturen etablieren muss, um das zu machen – das geht auch bei anderen Dingen –, aber dass es notwendig ist. Denn ich wiederhole, was ich eben gesagt habe: Mit der Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, trifft man nicht nur eine Entscheidung für sich, sondern für 80 Millionen andere.
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Das merken wir angesichts der Coronapandemie und des Infektionsgeschehens ganz genau. Deshalb wäre es gut, wenn neben den vielen entschlossenen und entschiedenen Maßnahmen, die wir in Deutschland ergriffen haben, diese Maßnahme als zusätzliche am Horizont fest geregelt ist, damit alle Bürgerinnen und Bürger sich daran orientieren können.
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Herr Frei, Sie haben die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen.
Gerne. Dann mache ich davon Gebrauch. – Herr Bundeskanzler, Sie haben ja auch der bisherigen Bundesregierung angehört. Wir haben im Dezember hier im Deutschen Bundestag eine berufsbezogene Impfpflicht für Covid-19 beschlossen. Können Sie mir erklären, wo der Unterschied zwischen der Einbringung eines Gesetzesvorschlags der Bundesregierung damals und einer Gewissensentscheidung heute liegt?
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Als jemand, der diesem Parlament schon mehrere Legislaturperioden angehört hat und auch eine ganz tolle Aufgabe in diesem Rahmen hatte, nämlich als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer einer dieser Fraktionen, will ich ausdrücklich sagen: Mir ist wichtig, dass jede einzelne Entscheidung eine ist, bei der jeder Abgeordnete für sich selber entscheidet, ob er dem Komment folgen will, dass man dem Mehrheitsvotum seiner Fraktion folgt, oder ob er es in diesem Fall anders sehen will. Man muss sich das immer nur genau überlegen; das habe ich den Abgeordneten, die anders abstimmen wollten als die Fraktion, auch erläutert. Denn auch dann trifft man eine Entscheidung nicht nur für sich, sondern muss sie auch allen anderen erläutern.
Es gibt aber Fragen, bei denen wir uns darüber verständigt haben – auch in diesem Parlament –, dass sie von so grundlegender Bedeutung sind, dass es der Sache dient, wenn man einen anderen Weg geht, also keinen Vorschlag vonseiten der Regierung macht, sondern Vorschläge aus diesem Hause kommen, über die dann abgestimmt wird. Und dies ist einer dieser Fälle, die ja gar nicht so selten sind, die aber alle, wenn wir diesen Weg gegangen sind, immer zur Befriedung der politischen Diskussion beigetragen haben. Deshalb ist mein Beitrag dazu, erstens ganz vorneweg gesagt zu haben: „Ich bin dafür“, als die meisten noch nicht dafür waren, und zweitens den Weg zu öffnen für diese offene Debatte.
Was Ihre konkrete Frage betrifft: Was ist der Unterschied? Eine berufsbezogene Impfpflicht ist von ganz anderer Dimension als eine, die alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, zumindest alle Erwachsenen, sofort trifft. Man merkt ja auch an der aufgeregten Debatte, worum es geht. Es geht um etwas, zu dem niemand sagt: Das beobachte ich im Fernsehen; dazu habe ich auch eine Meinung. – Wenn wir eine Impfpflicht festsetzen, dann betrifft das jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger. Dann geht es um unsere Körper. Deshalb ist es genau ein solcher Fall, wo man diesen Weg gehen sollte. Es ist der richtige Weg für demokratische Leadership.
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Vielen Dank.
Normalerweise ist es so, dass Nachfragen auch aus anderen Fraktionen gestellt werden können. Ich will im Moment – das will ich ganz offen sagen – davon absehen, weil ich sowieso schon sehr viele Anmeldungen habe. Ich glaube, es wird auch dadurch sehr lebendig, dass möglichst viele Fragestellerinnen und Fragesteller drankommen.
Ich möchte alle, auch den Herrn Bundeskanzler, bitten, auf den berühmten roten Balken zu achten. Die Redezeiten sollten sowohl von den Fragestellerinnen und Fragestellern als auch von Ihnen nach Möglichkeit eingehalten werden, damit möglichst viele Abgeordnete zu Wort kommen können.
Die nächste Frage stellt für die SPD-Fraktion Bernd Westphal.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, mit Beginn des Jahres hat Deutschland die G-7-Präsidentschaft übernommen. Mich interessiert, welche Schwerpunkte Sie aufseiten der Bundesregierung formuliert haben, und vor allen Dingen, welche Schwerpunkte Sie in Bezug auf die Transformation der Wirtschaft für die G-7-Staaten einbringen wollen.
Schönen Dank für die Frage. – In der Tat, die G-7-Präsidentschaft ist in dieser Zeit mit einer ganz großen Herausforderung verbunden. Wir haben uns eine sehr klare Agenda vorgenommen, die wir im Gespräch mit den anderen demokratischen Industriestaaten verfolgen wollen, mit denen wir uns dort versammeln; denn das ist ja das, was uns als Zusammenkunft auszeichnet.
Es geht vor allem darum, dass wir die große gesellschaftliche Veränderung zustande bringen, die mit der Bekämpfung des Klimawandels verbunden ist. Deshalb werden wir all die industriellen Prozesse und die Entscheidungen, die damit verbunden sind, zum großen Thema dieser Debatte machen. Dazu gehört auch die Diskussion über einen Klimaklub, wie ich ihn genannt habe und wie wir ihn nennen wollen, mit dem wir erreichen wollen, dass diejenigen, die miteinander kooperieren wollen, das auch tun können. Wir werden in unseren Ländern ganz unterschiedliche Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Sie alle werden auch Herausforderungen für die Industrie mit sich bringen. Man muss sich verabreden, dass man einander nicht bekämpft, sondern in die gleiche Richtung marschiert.
Es gibt weitere große Fragepunkte, die ich wegen der kurzen Zeit für die Antwort hier nur skizzieren will. Es geht um die Frage, wie wir weiterhin Corona bekämpfen können als große gemeinschaftliche Aufgabe in der Welt; denn wir werden das nicht nur in einem einzelnen Land tun können. Es geht um Infrastrukturentwicklung, und es geht natürlich auch insgesamt um all die fortschrittlichen Dinge, die wir in der Welt auf den Weg bringen müssen – also viele, viele Themen.
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Vielen Dank. – Herr Westphal, Sie haben die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das nehme ich gerne wahr. – Gleichzeitig haben unsere französischen Freunde ab Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Sehen Sie in dieser Verbindung auch Synergien und vielleicht gemeinsame Dinge, die man in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Gang bringen kann?
Es ist sehr gut, dass Frankreich gleichzeitig mit uns diese Präsidentschaft übernommen hat, weil wir dann eng kooperieren können. Das haben wir uns auch fest vorgenommen bei den Gesprächen, die wir Ende letzten Jahres schon miteinander führen konnten. Wir werden insbesondere das schon angesprochene Thema des Klimawandels sowohl in der EU wie auch weltweit besprechen müssen. Europa plant zum Beispiel einen Grenzausgleichsmechanismus, um seine Industrie zu schützen, wenn hier in Europa weitgehende Maßnahmen ergriffen werden, um den Klimawandel aufzuhalten. Und dann ist es natürlich richtig, dass man das in die von mir schon skizzierte internationale Kooperation, einen Klimaklub, einbindet, damit nicht ein Streit gewissermaßen um Zölle stattfindet, sondern eine gemeinsame Anstrengung zum Aufhalten des Klimawandels vorgenommen werden wird.
Die Themen, die wir ansonsten haben, sind natürlich auch mit der Pandemie verbunden: Wie kriegen wir die Wirtschaft der Länder weiter vorangebracht? Wir haben mit dem europäischen Wiederaufbauprogramm eine Grundlage gelegt, und die wollen wir jetzt auch für die Zukunft so entwickeln, dass die Länder auch nach der Krise weiter vorankommen und wachsen können.
Vielen Dank. – Als nächster Fragesteller für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla.
Vielen Dank. – Herr Bundeskanzler, die Coronamaßnahmen, aber auch Corona an sich verschleiern den Blick vor den wirklichen Problemen. Das hat man in Ihren Ausführungen zu Anfang auch deutlich wahrgenommen.
Wir stehen in Deutschland vor massiven Problemen, Herausforderungen und Veränderungen, die unsere Bürger wirklich umtreiben. Neben den unverhältnismäßigen Freiheitsbeschränkungen treiben die Bürger natürlich auch steigende Verbraucherpreise, explodierende Energiekosten und eine massiv ansteigende Inflation um. Der Sektor Energieversorgung ist ein prominentes Beispiel. Die Abschaffung der EEG-Umlage wird durch die Erhöhung der CO2-Steuer aufgezehrt. Die Politik kann dafür sorgen, den Strom für die breite Masse der Gesellschaft bezahlbar zu halten.
Weitere Beispiele für eine Entlastung der normalen Bürger liefern unsere europäischen Nachbarn. Polen zum Beispiel senkt die Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe, aber auch auf Verbrauchsgegenstände. Deshalb meine Frage: Mit welchen politischen Maßnahmen werden Sie der Inflation entgegenwirken, die mittlerweile auch im EU-Raum wirklich ausufernd ist, und wie sieht eigentlich Ihre Exit-Strategie aus der Coronazeit aus? Wann, Herr Bundeskanzler, kann die Wirtschaft, können die Bürger in diesem Land wieder frei atmen?
Schönen Dank für Ihre Frage. – Ich will die letzte zuerst beantworten, über die wir eben schon gesprochen haben. Ich glaube, dass die Strategie, die wir hierzulande verfolgen, genau die richtige ist: Kontaktbeschränkungen festzusetzen, insbesondere für diejenigen, die bisher nicht den Weg zu einer Impfung gefunden haben; aber auch insgesamt dafür zu sorgen, dass das Infektionsgeschehen nicht so explodiert, wie es ohne die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, explodieren würde, und gleichzeitig alle aufzurufen, sich impfen zu lassen, sowie diejenigen, die schon einen Impfschutz haben, aufzurufen, sich eine dritte Impfung zu holen. Das alles trägt dazu bei, dass wir mit der Pandemie besser umgehen können.
Wir haben schon in den letzten Jahren der Pandemie, aber jetzt immer noch sehr umfassende Wirtschaftshilfen auf den Weg gebracht, um Arbeitsplätze und Wirtschaft zu retten: von der Kurzarbeit angefangen bis hin zu den Möglichkeiten, die wir für jedes einzelne Unternehmen auf den Weg gebracht haben.
Was die Frage betrifft, wie wir mit den Energiepreisen umgehen wollen: Ganz klar, da gibt es ein globales Problem. Die Preise steigen überall in der Welt. Die Energie wird teurer, wenn man sie auf den internationalen Märkten einkaufen will, und deshalb ist es notwendig, dass man etwas macht. Eine der Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, haben Sie schon skizziert, aber ein bisschen kleingemacht: Wir wollen spätestens Anfang nächsten Jahres die EEG-Umlage abschaffen, und das ist genau das Vorhaben, das dazu beiträgt, dass jede Familie um 300 Euro jährlich entlastet wird, das aber gleichzeitig dazu beiträgt, dass viele mittelständische Unternehmen auch eine Entlastung bekommen.
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Herr Chrupalla, Sie haben die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen.
Mir geht es nicht nur um die Unternehmen, sondern es geht natürlich auch allgemein um die Bürger, die jeden Monat ihre Stromrechnung bezahlen müssen. Sie haben schon einen Ausweg angedeutet, aber es gibt ja mehrere Auswege aus dieser auch finanziellen Krise, was die Energiepreise angeht. Da muss man sich bloß mal in Europa umschauen. Die Kernenergie wurde mittlerweile auch von der EU als nachhaltig eingestuft, und rund um Deutschland werden aktuell neue Kernkraftwerke gebaut. Wie wollen Sie nun Deutschland gerade in diesem Bereich, in Forschung und Entwicklung, wieder an die Weltspitze führen? Oder gibt es hier wieder einen Sonderweg in Deutschland?
Die Nutzung der Kernenergie ist nicht nachhaltig, um das sehr klar zu sagen, und sie ist auch wirtschaftlich nicht sinnvoll.
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Es sind erhebliche Investitionen notwendig, um mit neuen Kernkraftwerken gewissermaßen dafür zu sorgen, dass die Stromversorgung in den Ländern gewährleistet ist. Wir wissen, dass auch diese Anlagen nicht ständig laufen. Wir hören immer die Berichte über ausfallende Kernkraftwerke, gar nicht wegen Sicherheitsproblemen, sondern weil sie aus den verschiedensten Gründen nicht liefern können.
Das ist ein teurer Weg, bei dem viele Dinge noch ungeklärt sind, zum Beispiel die Entsorgungsfrage und unverändert die Sicherheitsfrage. Alle statistischen Berechnungen, die einem einige Leute vorhalten, dass das Ganze nicht gefährlich sei, sind in dem Augenblick obsolet, wenn doch einmal etwas bei einem Atomkraftwerk passiert und man in der Nähe wohnt. Die Nähe umfasst dabei aber einen ziemlich großen Radius; das muss man dazusagen. Weil das eine solche Gefahr ist, hat sich Deutschland entschieden, aus der Nutzung der Atomkraft auszusteigen, und das ist richtig.
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Wir haben einen anderen Weg eingeschlagen, nämlich dass wir die erneuerbaren Energien nutzen und sie ausbauen wollen. Und genau das machen wir. Wir werden die Planungsverfahren und die Genehmigungsverfahren so beschleunigen, dass wir es schaffen, aus erneuerbaren Energien – aus Windkraft auf hoher See, Windkraft an Land, aus Solarenergie, aus Biomasse – die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen. Das ist eine Energieversorgung, die uns international unabhängig macht, die dem Klima dient und die am Ende die billigste Lösung sein wird, was unserer Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil verschafft, wenn wir das Ziel erreicht haben.
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Und das beginnt jetzt in diesem Jahr mit dieser Regierung.
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Vielen Dank. – Ich erinnere noch einmal an den roten Balken. Nächste Frage: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Katrin Uhlig.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, Sie haben die Klimakrise und den Ausbau der erneuerbaren Energien gerade schon angesprochen. Minister Habeck hat gestern die aktuelle Klimabilanz vorgestellt. Das Ergebnis war für mich, dass wir dringend ambitionierte Maßnahmen umsetzen müssen, um die Klimaziele einhalten zu können. Deshalb wäre meine Frage: Welchen Stellenwert hat der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien in dieser Legislaturperiode für Sie und die Regierung?
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Schönen Dank. – Es ist ganz klar: Wir brauchen mehr Strom. Darüber habe ich mich mit vielen in den letzten vier Jahren immer wieder gestritten, aber nicht alle überzeugen können, außer kurz vor Ende dieser Zeit. Und deshalb wiederhole ich noch mal: Wir werden schon im Jahre 2030 mehr Strom brauchen, als wir heute nutzen. Es geht nach allen Berechnungen nicht um eine Größenordnung von 600 Terawattstunden, sondern von knapp 800 Terawattstunden – vielleicht etwas weniger, aber in dieser Größenordnung.
Deshalb ist unsere Aufgabe so zu beschreiben: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir bei der Stromerzeugung Ersatz schaffen für die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke sowie für den zusätzlichen Bedarf, den wir haben. Das alles muss mit dem großen Ausbau der erneuerbaren Energien verbunden sein. Darum hat die Regierung sich entschlossen, das jetzt sofort auf den Weg zu bringen und sich den Schneid nicht abkaufen zu lassen. Wir wollen in diesem Jahr das machen, was notwendig ist, damit das Tempo über die ganzen 10 Jahre und die nächsten 25 Jahre bis 2045 eingehalten werden kann.
Ich bitte das Parlament, uns dabei zu helfen; denn den Schneid dürfen nicht nur wir uns nicht abkaufen lassen, sondern auch das Parlament nicht. Jetzt müssen wir es machen!
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Sie haben die Möglichkeit für eine Nachfrage.
Vielen Dank. – Welche Bedeutung hat denn für Sie der Ausbau der erneuerbaren Energien in Bezug auf den Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland?
Es ist ganz klar: klimaneutrales Wirtschaften, was alle Länder der Welt in den verschiedenen internationalen Konferenzen für sich als Zielperspektive formuliert haben, unterschiedlich schnell, aber doch alles bis zur Mitte dieses Jahrhunderts zu erledigen. Klimaneutrales Wirtschaften wird nur gelingen, wenn wir sehr viel mehr Strom einsetzen können als heute, und deshalb ist das Wachstum in der kurzen Zeit bis zum Ende dieses Jahrzehnts so wichtig.
Das wird sich bis zum Jahre 2045, wenn wir klimaneutral wirtschaften wollen, noch einmal erheblich ausweiten; da geht es im Vergleich zu heute um die doppelte Menge Strom, vielleicht die dreifache Menge. Denn wenn die Stahlindustrie, die Chemieindustrie, die Zementindustrie, der Maschinenbau alle klimaneutral wirtschaften wollen, dann heißt das zuallererst, dass sie für ihre Produktionsprozesse Strom einsetzen, der dann aus erneuerbaren Quellen stammen muss.
Gleichzeitig brauchen wir sowohl für die Energieerzeugung wie auch für die industriellen Prozesse in einem ganz anderen Ausmaß als heute Wasserstoff, und auch das werden wir entsprechend auf den Weg bringen müssen. Es geht also um Industriepolitik, um den industriellen Wohlstand und die globale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Ich bin überzeugt: Der Weg, den wir einschlagen, wird dies stärken.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt für die Fraktion Die Linke Frau Ferschl.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Neujahrsansprache gesagt – ich zitiere –: „Eine ordentliche Bezahlung ist auch eine Frage des Respekts.“ Deswegen wollen Sie auch den Mindestlohn erhöhen. Uns freut, dass Sie da unseren Vorschlag aufgreifen. Wir unterstützen das.
Allerdings ist ja, damit man von seinem Verdienst leben kann, nicht nur die Höhe des Stundenlohns entscheidend, sondern auch das Stundenvolumen, also der Arbeitsumfang. Das gilt für die soziale Absicherung und auch für die spätere Rente. Jetzt hat Ihre Koalition im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass Sie eine Ausweitung der Minijobs planen. Das ist genau die Beschäftigungsform, bei der man eben kein ausreichendes Einkommen hat, bei der man keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und auch keinen Anspruch auf eine eigenständige Rente hat. Ich frage Sie: Was hat denn eigentlich diese Ausweitung mit dem Respekt zu tun, von dem Sie immer reden?
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Schönen Dank für Ihre Frage, auch für die Gelegenheit, noch mal darauf zu verweisen, dass es in der Tat eines der ganz großen Reformvorhaben dieser Regierung ist, dafür zu sorgen, dass der Mindestlohn, für den ich mich sehr früh eingesetzt habe – auch schon, als das keineswegs bei allen auch in Ihrer Partei bereits eine Mehrheitsmeinung war –,
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in Deutschland eine Mehrheit findet. Ausdrücklich habe ich mich dafür eingesetzt, dass er kommt, und jetzt, dass er noch mal auf eine Höhe angehoben wird, die dann für die regelmäßigen Anpassungen eine bessere Basis ist als das heutige Niveau.
Das ist der Grund, warum das stattfinden wird. Es wird für knapp 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eine Gehaltserhöhung mit sich bringen. Das ist genau der Weg, den wir hierzulande gehen müssen. Es geht um viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die nicht genug verdienen. Das wird sich ändern.
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Was die Frage der Minijobs betrifft: Die wollen wir nicht ausweiten; das haben Sie falsch gesagt. Wir erhöhen die Grenze, bis zu der es möglich ist, nach den Regeln des Minijobs die sozialversicherungsrechtliche Abwicklung und die steuerrechtliche Abwicklung vorzunehmen. Das ist nämlich das, was sich mit einem Minijob verbindet. Und dort haben wir eine klare Regelung getroffen, die sich nämlich auch sehr mit der Erhöhung des Mindestlohns verbindet. Wenn man das umrechnet, dann sind das etwa zehn Stunden die Woche, die bei 12 Euro Mindestlohn herauskommen. Das ist eine Grenze, von der wir glauben, dass man sagen kann: Darunter kann man das vertreten; darüber soll es dann sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein.
Und damit die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung noch attraktiver wird, werden wir die Midijobgrenze, wo also der Arbeitnehmer nicht den vollen Beitrag zur Sozialversicherung zahlen muss, aber den vollen Schutz bekommt, noch mal ausweiten.
Das sind also zwei Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Männer und Frauen, die wenig Geld verdienen, ein besseres Einkommen haben. Und dann werden wir dafür sorgen, dass möglichst viele gute sozialversicherungspflichtige Jobs in Deutschland entstehen. Das ist das Wachstum, um das wir uns bemühen.
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Vielen Dank. Wie gesagt, der rote Balken ist ein Signal. – Sie dürfen noch eine Nachfrage stellen, Frau Ferschl.
Vielen Dank. – Herr Bundeskanzler, sehen Sie es mir wirklich nach; aber das ist Augenwischerei. In dem Moment, wo man die Verdienstgrenze beim Minijob dynamisiert, weiten Sie natürlich die Minijobregelung aus und kreieren dadurch eine Ausweitung dieser prekären Beschäftigungsform.
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Sie haben letztendlich gesagt oder im Koalitionsvertrag steht, dass man verhindern will, dass reguläre Beschäftigung durch Minijobs ersetzt werden soll. Aber genau das ist doch schon passiert. Ungefähr eine halbe Million sozialversicherungspflichtige Jobs sind in Minijobs umgewandelt worden. Und ich frage Sie noch mal: Wie wollen Sie das verhindern, wenn Sie jetzt die Minijobregelung ausweiten?
Zunächst mal widerspreche ich Ihnen, was die Beobachtung der letzten Jahre betrifft. Als der allgemeine gesetzliche Mindestlohn eingeführt wurde, sind sehr viele, die bis dahin im Rahmen des Minijobs tätig waren, in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hinübergewachsen.
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Deshalb stimmt nicht, was Sie so sagen. Man muss manchmal einfach eine Statistik angucken und kein Flugblatt. Das ist dann, glaube ich, die bessere Form, sich zu informieren.
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Aber unabhängig von dieser Frage ist, glaube ich, das Wichtigste, was wir tun müssen, dafür zu sorgen, dass viele gut bezahlte Jobs entstehen. Und das ist gerade in der jetzigen Situation besonders erfolgversprechend; denn wir merken ja auch am Ende der Coronapandemie, wo wir uns irgendwie allmählich hoffentlich hinbewegen – trotz der dramatischen Situation, die wir jetzt noch haben –, dass viele ihre Jobs verlassen haben, weil sie bessere gefunden haben. Deshalb ist es eine große Chance, dass wir in Branchen, in denen bisher wenig bezahlt wurde, jetzt bessere Jobs bekommen, auch tarifvertraglich abgesicherte und auch welche mit mehr Arbeitszeit. Genau das ist unser Programm.
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Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: für die FDP-Fraktion Bernd Reuther.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, auch ich möchte eine Frage zum Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland stellen. Die Sperrung der Autobahn A 45 im Sauerland in Nordrhein-Westfalen aufgrund eines maroden Brückenbauwerks hat massive Auswirkungen negativer Art auf den Verkehr in Nordrhein-Westfalen, aber auch in unserem ganzen Land auf dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung. Besonders betroffen im negativen Sinne sind natürlich die Menschen vor Ort im Sauerland, aber auch die vielen mittelständischen Unternehmen. Daher möchte ich Sie, Herr Bundeskanzler, fragen: Mit welcher Priorisierung werden Sie, wird die Bundesregierung den Abriss und den Neubau dieses Brückenbauwerks angehen, damit der Verkehr auf dieser wichtigen Autobahn wieder fließen kann?
Schönen Dank auch für diese Frage zu einem ganz konkreten Fall. – Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns in der Regierung darüber schon sorgfältig unterhalten haben. Verkehrsminister Wissing hat mir darüber berichtet und auch gesagt, wie er dort konkret vorgehen will, was den Abriss und eine möglichst beschleunigte Neubauplanung betrifft, damit das auch alles gelingen kann. Ich bin sicher – und das gehört ja zu den Vorhaben, die die Bundesregierung hat –, dass wir das alles nur schaffen werden, wenn wir die vielen Gesetze, die wir zur Planungsbeschleunigung durchsetzen wollen, auch auf den Weg bringen können; denn das wird dann für dieses konkrete, aber auch für viele andere Vorhaben helfen.
Außerdem kann ich Ihnen sagen, dass Minister Wissing entschlossen ist, dafür zu sorgen, dass sämtliche entsprechende Ingenieurbauwerke der Bundesautobahnen einmal durchgesehen und überprüft werden, damit wir zumindest die Lage richtig verstehen und dann die richtigen Konsequenzen daraus ziehen können.
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Sie haben die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen.
Vielen Dank. – Herr Bundeskanzler, eine kurze Nachfrage. Die maroden Brücken sind das eine. Gelten diese Vorhaben auch für andere Verkehrsträger? Ich denke da an die Schieneninfrastruktur, aber genauso an marode Schleusen. Ich könnte die Liste noch weiterführen.
Wir müssen eine Bestandsaufnahme auf den Weg bringen. Das ist das, was sich der Minister vorgenommen hat, aber als Ergebnis unserer gemeinsamen Beratungen auch bei der Bildung der Regierung. Wir werden die Bestandsaufnahme vornehmen, aber dann sofort tatkräftig darangehen, das, was zu reparieren geht, auch zu reparieren. Das geht alles nicht von einem Tag auf den anderen. Aber man muss besser mal richtig anfangen und richtig loslegen, damit das auch funktioniert. Und das ist sein Vorhaben, das er sich fest vorgenommen hat.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt für die CDU/CSU-Fraktion Professor Dr. Günter Krings.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, Sie haben eben hier Ihre persönliche Meinung zum Thema Impfpflicht geäußert, und ich will auf dieses Thema, weil es das ist, das uns am meisten beschäftigt, zurückkommen. Ich glaube, wir haben hier als Bundestag den Anspruch, auch die Meinung des Verfassungsorgans Bundesregierung dargestellt zu bekommen. Wie stellen Sie sich eine solche Impfpflicht vor?
Selbst wenn Sie, was ich kritisch sehe, sagen, es muss am Ende eine freie Abstimmung im Bundestag sein – eigentlich sind alle Abstimmungen frei –, erwarte ich, dass die Bundesregierung konkrete Vorbereitungen getroffen hat, dass Sie im Kabinett diskutieren, welche Altersgruppen hier in Betracht kommen, wie Sie es ausgestalten wollen, wie Sie es administrieren wollen. Das ist eine eminent exekutive Aufgabe, und ich möchte diese Informationen von Ihnen heute hier haben.
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Schönen Dank für die erneute Nachfrage. – Ich habe Ihnen bereits berichtet, dass die Bundesregierung – und das sind dann auf alle Fälle die Minister Lauterbach und Buschmann, die sich darum kümmern, dass das Parlament bei seinen eigenen Vorschlägen gut beraten wird – sich selbstverständlich über diese Dinge unterhält. Die meisten oder viele von uns sind ja auch Abgeordnete und werden auf den Entscheidungsprozess hier Einfluss nehmen.
Ich glaube, dass es, wenn man sagt, das ist eine so wichtige Frage, richtig ist, dass man hier den Weg geht, den wir mehrfach in der Geschichte der Bundesrepublik, auch der letzten Jahre, gegangen sind, nämlich bei so essenziellen Fragen zu sagen: „Das ist eine Entscheidung, die ohne Fraktionszwang im Parlament getroffen werden soll“, aber trotzdem natürlich nicht meinungslos zu werden, und meine Meinung habe ich Sie ja bereits erkennen lassen: Ich glaube, dass es richtig wäre, sie an alle Volljährigen, alle über 18-Jährigen, zu richten, und ich glaube, dass es richtig wäre, eine möglichst unbürokratische Lösung zu finden, die sich nicht bis in die letzte Verästelung ausdenkt, wie man das alles macht, und das so organisiert, dass klar ist: Hier ist eine Pflicht. Es gehört doch auch zu unserer Art als Bürgerinnen und Bürger, dass wir uns an Regeln halten, auch wenn sie nicht jeder gleich einsieht. Man sagt sich: Wenn das jetzt alle gemacht haben, dann mache ich das eben auch. – Das ist so ein Fall.
Herr Krings, Sie können eine Nachfrage stellen.
Das tue ich gerne. – Ich will schon darauf hinweisen, dass es zwar interessant ist, welche Meinung Sie als Privatperson, als Politiker oder Abgeordneter haben, Sie aber hier in der Regierungsbefragung das Verfassungsorgan Bundesregierung vertreten. So ist es in der Geschäftsordnung unseres Bundestages vorgesehen.
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Ich frage deshalb noch einmal auch in diesem Zusammenhang: Welche Haltung hat die Bundesregierung? Und vor allem: Wie begründen Sie als Bundesregierung denn, dass Sie eine Masernimpfpflicht hier eben nicht in einer offenen gruppenantragsbestimmten Abstimmung einführen – da waren Sie auch beteiligt – und dass Sie auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht so eingeführt haben? Ich bringe es mal auf den Punkt: Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ging es beispielsweise um Pflegekräfte. Sind deren Grundrechte in der Abwägung weniger relevant als die Grundrechte anderer Bundesbürger?
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Die Grundrechte jedes Einzelnen sind relevant, und das will ich ausdrücklich als meine Haltung hier zum Ausdruck bringen. Ich finde, so was kann man nicht statistisch abwägen nach dem Motto: Wenn so und so viel betroffen sind, ist es wichtiger, weil es mehr sind, und in anderen Fällen ist es weniger wichtig. – Aber es geht hier um eine Haltung, die ich schon richtig finde. In einer solchen Angelegenheit entscheiden wir am Ende über alle in Deutschland und nehmen eine Kurskorrektur vor.
Ich habe das jetzt nicht genau in Erinnerung, aber bis vor Kurzem haben wahrscheinlich auch Sie wie fast 90 Prozent aller Mitglieder der früheren Regierungskoalition auf eine hohe Impfquote durch Überzeugung gesetzt. Diese Kurskorrektur wird deshalb vorgenommen, weil das ganze Land gelernt hat, dass etwas nicht gelungen ist, auf das wir so sehr gesetzt haben und auf das wir gehofft haben, nämlich dass wir eine ausreichend hohe Impfquote allein durch Überzeugung erreichen. Wir gehen daher den Weg, den ich hier vorgeschlagen habe. Ich habe ihn im November bereits von vornherein skizziert. Ich bin dafür, das zu machen. Ich finde, das sollte eine Entscheidung sein, die dadurch zustande kommt, dass über Anträge aus dem Deutschen Bundestag abgestimmt wird, weil das der Sache angemessen ist.
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Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulrike Bahr.
Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, die Unterstützung von Kindern und Familien in Deutschland ist sehr vielfältig, und auch wenn in den vergangenen Jahren die SPD-geführten Ministerien wie das Finanzministerium viele Verbesserungen auf den Weg gebracht haben, so kommen die Unterstützungen doch nicht immer dort an, wo sie besonders gebraucht werden.
Deswegen geht meine Frage dahin: Wie will die Bundesregierung dafür sorgen, dass die finanzielle Unterstützung von Familien einfacher zugänglich wird und kein Kind in Armut aufwachsen muss?
Schönen Dank für Ihre Frage. – Sie sprechen darin von einem ganz zentralen Vorhaben der Regierung, das sich die sie tragenden Parteien gemeinsam vorgenommen haben und das wir als Regierung auch unbedingt umsetzen wollen, nämlich dass wir dafür sorgen wollen, dass die ganz verschiedenen und teilweise nur schwer zugänglichen Leistungen in einer Kindergrundsicherung gebündelt werden. Das wird das größte Reformvorhaben, das man in diesem Bereich zustande bringt. Es geht um eine einfache, unbürokratische, bürgerinnen- und bürgernahe Regelung, die wir erreichen wollen und die vor allem denen nützt, um die es geht: den Kindern und den Familien.
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Das Ziel, das wir damit erreichen wollen, ist, dass wir Kinderarmut überwinden und dass wir einen Teil des Grundsicherungsregimes, das wir ansonsten haben – dieser Teil ist mit Arbeitslosigkeit der Eltern verknüpft –, verändern, sodass wir diese Familien einfach unterstützen.
Wir haben uns vorgenommen, weil das ja ein großes, umfassendes Reformvorhaben ist, dass wir nicht bis zur Umsetzung warten und alle auf die spätere Zeit vertrösten, sondern dass wir vorher einen Sofortzuschlag auf den Weg bringen, der diese Entlastung jetzt erst mal für die Kinder unmittelbar möglich macht.
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Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Sehr gerne. – Herr Bundeskanzler, ich beziehe mich noch mal auf das Letzte, was Sie gesagt haben: Ja, aber so eine grundlegende Reform ist sicherlich nicht von heute auf morgen umzusetzen, geschweige denn auch zu bewerkstelligen. – Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Familien, die mehr Unterstützung brauchen, diese auch bis zur tatsächlichen Einführung der Reform erhalten?
Schönen Dank noch mal für die Nachfrage; sie gibt mir die Gelegenheit, das noch mal zu unterstreichen, was ich eben gesagt habe. – Wir wollen einen Sofortzuschlag auf den Weg bringen, der dazu beiträgt, dass man schon etwas tun kann, bevor die große Reform gelungen ist. Das ist genau das Vorhaben.
Danke sehr.
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Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Martin Sichert.
Herr Bundeskanzler, das Paul-Ehrlich-Institut berichtet regelmäßig über Fälle schwerer Nebenwirkungen und Todesfälle nach den Coronaimpfungen. Ihre Bundesregierung sagt, dass pro einer gewissen Anzahl von Impfungen ein Fall einer schweren Nebenwirkung auftritt. Meine Frage an Sie wäre: Sind Sie sich dessen bewusst, und haben Sie eine grobe Ahnung, unter wie vielen Fällen laut Ihrer Bundesregierung ein Fall einer schweren Nebenwirkung auftritt bzw. wie viele Fälle schwerer Nebenwirkungen das Paul-Ehrlich-Institut jetzt grob gemeldet hat?
Schönen Dank für Ihre Frage, aber nicht für die Intention, die dahintersteckt – das will ich ausdrücklich dazusagen –;
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denn Sie verwirren die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
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Das Einzige, was daran gut ist, ist, dass Sie damit keinen Erfolg haben; denn unser Land ist nicht gespalten, sondern hält zusammen.
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Deshalb auch diese Bemerkung: Es sind jetzt Milliarden Bürgerinnen und Bürger der ganzen Welt geimpft worden, Milliarden Menschen. Auch in diesem Lande sind es Zigmillionen; es ist die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist etwas, das sehr gut gegangen ist. Darum teile ich Ihre komische Diskussion nicht.
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Ich glaube, das Beste, was man tun kann, ist, sich impfen zu lassen. Es schützt die Gesundheit. Es schützt auch die Gesundheit von vielen, die zum Beispiel Vorbelastungen haben, die auf vielfältige Weise besonders gefährdet sind, wenn sie infiziert werden. Ich glaube, dass das etwas ganz Schlimmes ist und dass viele, die die Entscheidung, sich impfen zu lassen, nicht getroffen haben und dann um ihre Gesundheit und manchmal um ihr Leben ringen müssen, das sicher bedauern. Es wäre besser, wir würden dadurch, dass wir eine andere, offene Debatte über die Vorteile des Impfens führen, vermeiden, dass so viele in diese Lage kommen.
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Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Ich halte also fest, dass Sie Fakten für Verwirrung halten und die exakten Zahlen anscheinend nicht kennen. Ich nenne sie Ihnen gerne: Es gab bis Ende November 26 196 Fälle schwerer Nebenwirkungen laut Paul-Ehrlich-Institut, und Ihre Bundesregierung sagt, dass pro 5 000 Geimpften eine schwere Nebenwirkung wie eine Herzmuskelentzündung auftritt.
Sie haben sich Ende Dezember in einer Pressekonferenz hingestellt und öffentlich verkündet – ich zitiere –:
Fast 60 Millionen Deutsche sind inzwischen vollständig geimpft, ohne dass wir von schweren Nebenwirkungen … erfahren hätten.
Jetzt wüsste ich gerne von Ihnen: Warum behaupten Sie etwas eindeutig Falsches, anstatt sich vorher zu informieren? Glauben Sie nicht, dass die Menschen in diesem Land bei einem so sensiblen Thema wie der Impfpflicht einen offenen und ehrlichen Umgang der Regierung mit den Fakten verdient hätten und dass sie es verdient hätten, dass man die Fakten nicht als Verwirrung ansieht, sondern als Grundlage der Politik?
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Einen offenen und ehrlichen Umgang mit den Fakten wünsche ich vor allem Ihnen.
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Er würde auch helfen. Es gehört ja zu den Bestandteilen des Sophismus, dass man Fakten erzählt und behauptet, sie bedeuten das Gegenteil. Sie haben aber das Faktum genannt: 60 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind doppelt geimpft. Es ist gut gegangen, es hat ihnen genützt.
Natürlich weiß jeder, dass es auch Nebenwirkungen geben kann; darüber ist immer informiert worden. Wir haben eine Ständige Impfkommission, die sich damit beschäftigt und die ganz, ganz vorsichtige Entscheidungen trifft, manchmal viel vorsichtiger, als man das überall sonst in der Welt tut. Wenn die dann genau das Vorgehen, das wir jetzt gewählt haben, unterstützt, dann kann man sicher sein: Es ist das Richtige. Deshalb: Halten Sie sich an die Fakten! Verwirren Sie nicht die Bürger! Schützen Sie die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger!
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Die nächste Frage stellt der Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Der Wirtschafts- und Klimaminister hat gestern in einer Pressekonferenz deutlich gemacht, was alles an Veränderungen notwendig ist, um die notwendigen Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig haben wir mit der Digitalisierung, der demografischen Entwicklung weitere sogenannte Megatrends – um nur die wichtigsten zu nennen.
Für all diese Prozesse ist Weiterbildung ein ganz zentraler Faktor. Deswegen hat das für uns Grüne eine ganz zentrale Priorität; denn wir brauchen für die sozial-ökologische Transformation eine regelrechte Weiterbildungsrepublik. Dabei wird die Bundesagentur für Arbeit eine ganz wichtige Rolle spielen. Deswegen würde mich interessieren, welche Priorität Sie als Bundeskanzler dem Thema Weiterbildung beimessen. Insbesondere würde mich interessieren, ob und wann wir Veränderungen bei der Arbeitslosenversicherung oder beim SGB III insgesamt sehen werden. Maßnahmen wie das Weiterbildungsgeld wären ja schon relativ zeitnah umsetzbar.
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Schönen Dank für diese Frage. – Gestatten Sie mir vor der Antwort eine kleine Vorbemerkung. Nicht auf jedes Problem in unserem Leben ist Bildung die Antwort. Die Tatsache, dass das etwas zu sehr betont worden ist, hat auch den Blick darauf verstellt, dass es manchmal „nur“ um ordentliche Löhne geht. Wenn also jemand schlecht bezahlt wird und zu den heutigen Mindestlohnbedingungen arbeiten muss, wird ihm die Mindestlohnerhöhung bzw. ein besserer Lohn insgesamt helfen. Da müssen wir ihm nicht sagen: „Mach erst mal eine Weiterbildung“, sondern das kriegen wir auf diese Weise hin, weil es eben auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat, die wir in unserer Gesellschaft brauchen.
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Ansonsten stimme ich Ihnen vollständig in dem zu, was Sie in Ihrer Frage haben anklingen lassen: Bildung und Weiterbildung sind von zentraler Bedeutung, und wir müssen diese Möglichkeiten schaffen. Die Bundesagentur für Arbeit kann dabei als Weiterbildungsagentur eine ganz große Rolle spielen. Das ist das Vorhaben, das die Regierung jetzt auch auf den Weg bringen will und an dem sie ganz intensiv arbeitet. Wie das geht? Wir brauchen Anstrengungen der Unternehmen, auch unterstützt von den Betriebsräten, wir brauchen Anstrengungen, die von der Bundesagentur auf den Weg gebracht werden, damit wir es schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger für die veränderten Lebensverhältnisse ausreichend qualifiziert werden. Niemand muss sich davor fürchten, dass die Welt sich ändert. Es wird für ihn und sie auch in der künftigen Welt einen guten Platz geben.
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Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen Dank für Ihre Antwort. – Ich würde gern konkret nachfragen: Heißt das, das wird prioritär von der Bundesregierung angegangen und man könnte mit Veränderungen auch schon in diesem Jahr rechnen? Und bezieht das auch das sogenannte SGB II, also das Arbeitslosengeld II oder demnächst Bürgergeld, mit ein? Dort ist ja auch ein Weiterbildungsgeld geplant.
Diese Reform wird von der Regierung mit größter Priorität angegangen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales wird seinen Beitrag dazu leisten; auch die übrigen Mitglieder der Bundesregierung, die sich mit Bildungsfragen beschäftigen, sind dran. Es wird eine große Gemeinschaftsleistung.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Pascal Meiser.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, wir alle wissen, dass es die Beschäftigten in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sind, die wohl die größte Last in der aktuellen Pandemie tragen, und ich denke, wir sind uns einig, dass ihnen allen unser Dank und Respekt gebührt. Das muss sich natürlich auch materiell niederschlagen. Deswegen begrüßen wir als Linke ausdrücklich, dass sich im Koalitionsvertrag unsere langjährige Forderung nach einem Pflegebonus wiederfindet.
Aber der Teufel steckt natürlich im Detail. Die entscheidende Frage wird sein: Wer bekommt diesen Pflegebonus, und wer bekommt ihn nicht? Nun hat Ihr Gesundheitsminister, Herr Lauterbach, kürzlich öffentlich vorgeschlagen, dass der Pflegebonus nur dem sehr kleinen Kreis derjenigen, die, beispielsweise auf Coronastationen, unmittelbar mit Coronapatientinnen und ‑patienten zu tun haben, gewährt werden soll. Meine Frage an Sie ist: Teilen Sie diese Einschätzung, dass nur ein so kleiner Kreis diesen Pflegebonus bekommen soll? Und falls nicht: Was ist Ihr Vorschlag als Bundeskanzler, wer in den Genuss des Pflegebonus kommen soll und wer nicht?
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Schönen Dank. – Ich begrüße, dass Sie die Vorgehensweise der Bundesregierung begrüßen.
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– Na ja, aber wenn Sie es sagen, muss es ja auch festgehalten werden. – Also: Schönen Dank dafür.
Ich würde gerne dazusagen: Wir haben uns fest vorgenommen, in der aktuellen Situation etwas zu tun, was das Thema Pflegebonus betrifft. Der Gesundheitsminister arbeitet daran. Das macht er nicht alleine, sondern er spricht mit vielen: mit Gewerkschaften, mit denjenigen, die im Pflegebereich tätig sind, mit den Einrichtungen und all denjenigen, die Verantwortung haben, um eine möglichst passgenaue Lösung zu entwickeln. Die wird zum Ende dieses Monats vorliegen und vorgeschlagen werden, und dann werden wir darüber konkret diskutieren.
Es gibt viele Gerechtigkeitsfragen, die da gleichzeitig beantwortet werden müssen. Deshalb ist es, glaube ich, auch richtig, dass der Bundestag sich entschlossen hat, das nicht vor Weihnachten in einem Schritt nebenbei zu machen, sondern die sorgfältige Beratung zusammen mit der Regierung zu organisieren. Die Folge davon ist, dass dieser Vorschlag vorliegen wird, und dann werden wir ihn uns gemeinsam ansehen können. Es wird also besser werden für die Pflegekräfte.
Sie haben das Wort zu Ihrer Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, jetzt haben Sie meine Frage nicht beantwortet, nämlich die Frage, wer aus Ihrer Sicht in den Genuss dieses Pflegebonus kommen sollte. Im Koalitionsvertrag steht: die Beschäftigten in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. – Ihr Gesundheitsminister hat etwas anderes vorgeschlagen. Deswegen noch mal die Nachfrage, was Sie in diesem Prozess – Sie entscheiden das nicht alleine –, was Sie da für eine Position vertreten.
Wir haben – Sie haben gerade indirekt darauf verwiesen – vor Weihnachten eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen, die weit über die Coronastationen hinausgeht – sie umfasst Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, selbst Arztpraxen usw. usf. –, und damit hier schon festgestellt, dass ein weiter Personenkreis in dieser Pandemie einer besonderen Belastung, einem besonderen Risiko, einer besonderen Verantwortung unterliegt. Finden Sie nicht auch, dass all diese Menschen in dieser Pandemie dann auch in den Genuss des Pflegebonus kommen sollten?
Schönen Dank für Ihre Frage und auch noch mal für das Engagement. – Ich habe schon geschildert: Wir sind dabei, sorgfältig die Frage abzuwägen, wie wir eine möglichst gerechte, gute Lösung finden können. Die wird im Laufe dieses Monats vom Bundesminister für Gesundheit vorgestellt werden.
Ich will ergänzen: Ich glaube, dass wir im Pflegebereich nicht bei dieser Einmalaktion bleiben dürfen, sondern dass wir insgesamt dazu kommen müssen, bessere Regelungen zu treffen, was zum Beispiel die Personalbemessung betrifft, was die Finanzierung von Pflegeeinrichtungen und auch von Krankenhäusern betrifft, was die Frage betrifft, wie wir sicherstellen können, dass es für alle gemeinsam eine Perspektive gibt, dass viele junge Leute sich für einen Beruf in diesem Bereich entscheiden. Wir wissen, dass dort viele Beschäftigte gebraucht werden, die nicht nur ihre Arbeitszeit zur Verfügung stellen, sondern mit ganzem Herzen dabei sind, und dann müssen wir sie auch entsprechend respektvoll behandeln und entsprechend gute Arbeitsbedingungen organisieren. Genau das werden wir machen.
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Herr Bundeskanzler, liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die nächste Fragerunde gehen, sei mir der Hinweis gestattet: Wir haben noch 13 Minuten für die Befragung. Ich bitte sowohl die Fragesteller als auch Sie, Herr Bundeskanzler, auf die verabredete Zeit zu achten, damit alle hier noch zum Zuge kommen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Sepp Müller.
Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler, Impfung schützt, Impfung rettet Leben, und vor allem der Booster wird das Gesundheitssystem entlasten. Sie haben am 18. November versprochen, dass 30 Millionen Boosterimpfungen bis Weihnachten verabreicht werden. Dieses Ziel – das wissen Sie – konnte nicht erreicht werden; es waren 30 Millionen Impfungen insgesamt. Sie hatten vorhin bei Ihren einführenden Worten gesagt, dass es 30 Millionen Boosterimpfungen waren. Ich gebe Ihnen gleich noch die Möglichkeit, das zu korrigieren.
Meine Frage bezieht sich auf Ihre Aussage vom 7. Januar nach der Ministerpräsidentenkonferenz, bis Ende Januar weitere 30 Millionen Impfungen, vor allem Boosterimpfungen, verabreichen zu wollen. In Ihren Ausführungen sprachen Sie von ab jetzt täglich 1 Million Impfungen. Wie wollen Sie das Ziel von weiteren 30 Millionen Impfungen bis Ende Januar erreichen?
Schönen Dank für die Frage und damit für die Gelegenheit, noch mal auf die Bedeutung der Boosterimpfung hinzuweisen. Es ist in der Tat etwas ganz Besonderes, dass wir das in Deutschland so machen, und ich bin unverändert sehr stolz auf das, was uns bis Weihnachten gelungen ist.
Ich will dazusagen, dass es jetzt eine große Anstrengung braucht. Wir haben trotz der vielen Aktionen, die wir unternommen haben, über die Weihnachtsfeiertage einen Rückgang bei den Impfungen gesehen. Immerhin ist die Zahl nicht ganz runtergegangen; wir haben noch einen ordentlichen Impffortschritt in dieser Zeit erreicht.
Wir haben jetzt allmählich zwar wieder höhere Impfzahlen, aber nicht in der Größenordnung, die wir uns gemeinsam vorstellen. Ein bisschen wird das damit zu tun haben, dass in verschiedenen Ländern, auch solchen, die sehr bevölkerungsreich sind, die Ferien noch nicht zu Ende waren und es jetzt erst wieder so richtig losgeht.
Aber es ist natürlich trotzdem so, dass wir uns nicht ausruhen dürfen und uns auch nicht mit Erklärungen gewissermaßen zufriedengeben dürfen, sondern die Anstrengungen verstärken müssen; denn das macht einen Unterschied. Was wir gewährleisten können, haben wir gewährleistet. Es gibt viele, viele neue Impfzentren. Die Ärztinnen und Ärzte stehen bereit. Sie sind auch finanziell gut ausgestattet, um das durchführen zu können. Und wir haben genügend Impfstoff dafür besorgt.
Wir sollten jetzt alle gemeinsam für das Impfen werben. Wir werden auch noch viele weitere Aktionen unternehmen, um das Ziel zu erreichen, dass sich möglichst viele in dieser kurzen Zeit impfen lassen. Denn es macht einen Unterschied, ob man sich erst im März impfen lässt oder man es jetzt schon tut, wenn man es jetzt schon kann. Das ist etwas, was wir allen nur nahelegen können.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Diese Möglichkeit werde ich nutzen, Frau Präsidentin. – Das war jetzt keine Antwort auf meine Frage, Herr Bundeskanzler, wie Sie 30 Millionen Impfungen bis Ende Januar erreichen wollen. Sie haben uns an der Seite, wenn Sie dem Parlament Maßnahmen vorschlagen; das kann ich für die Unionsfraktion zusagen. Dann schlagen Sie bitte auch welche vor.
Ihr Bundesgesundheitsminister hat in einer Äußerung kürzlich kundgetan, dass gegen die Omikron-Wand, die auf uns zuläuft, die 2‑G-Plus-Regelungen nicht ausreichen werden. Was plant die Bundesregierung, was plant Bundeskanzler Olaf Scholz für weitere Maßnahmen, um der Omikron-Wand zu begegnen?
Neben den Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, ist das weitere Boostern, über das wir gerade sprechen – also die dritte Impfung, die Auffrischungsimpfung –, das zentrale Instrument, das wir haben.
Im Übrigen versuche ich gerade, mitzuhelfen, dass die Entscheidung bzw. Verständigung – muss man ja korrekt sagen –, die wir im Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder erzielt haben, auch überall umgesetzt wird. Ich erinnere an das Thema „2 G Plus“. Das ist eine der Regelungen, die wir dort für die Restaurants vereinbart haben. Ich sehe noch Zweifel in einzelnen Bundesländern. Es wäre schön, wenn wir gemeinsam – so wie Sie das angeboten haben – dafür werben könnten, dass auch in diesen Bundesländern, wo das noch nicht so gesehen wird, alle beim Thema „2 G Plus“ mitmachen.
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Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Ann-Veruschka Jurisch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Die Ampelpartner haben sich eine neue Migrationspolitik vorgenommen, die auf der einen Seite die irreguläre Migration reduzieren will und auf der anderen Seite reguläre Migration ermöglichen und verstärken möchte. Ein ganz wichtiger Aspekt dabei ist die Arbeitskräfteeinwanderung.
Wir haben in Deutschland einen großen Fachkräftemangel: in der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie, in ganz verschiedenen Bereichen. Das werden wir allein aus dem Inland heraus nicht beheben können. Experten gehen davon aus, dass wir zwischen 400 000 und 500 000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt im Jahr benötigen werden. Deswegen meine Frage an Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler: Welche Maßnahmen planen Sie, um mehr Menschen in den deutschen Arbeitsmarkt hineinzuholen? – Vielen herzlichen Dank.
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Schönen Dank für die Frage. – Der Aufschwung und die wirtschaftliche Stärke der letzten Jahre können überhaupt nur vor dem Hintergrund der Zuwanderung verstanden werden, die wir in den letzten Jahren verzeichnet haben. Es ist ein Teil des wirtschaftlichen Erfolgs der letzten Jahre, dass das möglich gewesen ist. Es hat auch viele Herausforderungen, vor denen wir andernfalls gestanden hätten, erleichtert.
Der Zuwachs an Beschäftigung – an sozialversicherungspflichtig Tätigen, an Erwerbstätigen; da geht es ja um viele Millionen Menschen – hat dazu beigetragen, dass Deutschland seine wirtschaftliche Kraft erhalten konnte und trotz der demografischen Entwicklung, die wir ansonsten zu verzeichnen gehabt hätten, in der Lage war, seine Arbeitspakete zu bewältigen. Das wird auch für die Zukunft noch dringend der Fall sein; deshalb stellen Sie Ihre Frage völlig zu Recht.
Der Arbeitsminister wird zusammen mit den anderen Ressorts – Innenministerium, Wirtschaftsministerium – dazu beitragen, jetzt ein Konzept zu entwickeln, mit dem wir die einzelnen Maßnahmen umsetzen, die erforderlich sind, damit wir auch außerhalb der EU nach qualifizierten Fachkräften suchen können und diese auch eine Perspektive in Deutschland haben.
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Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen herzlichen Dank. – Welche Rolle lassen Sie in dem Zusammenhang kanadischen Modellen mit Punkten und einer Chancenkarte zukommen? Ist das ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang auch relevant ist? – Vielen Dank.
Schönen Dank für diese konkrete Nachfrage. – Genau das gehört zu den Dingen, die wir sehr sorgfältig erwogen haben. Wir haben die große Möglichkeit, Fachkräfte in Deutschland einzusetzen aus dem Arbeitsmarkt der Europäischen Union. Das wird unterschätzt; aber die mehr als 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger und die etwas über 200 Millionen Erwerbstätigen dort sind natürlich eine Ressource, die uns unverändert zur Verfügung steht. Sie wird in Deutschland auch genutzt, wie wir wissen, und sie trägt dazu bei, dass wir unseren Zusammenhalt und unsere wirtschaftliche Kraft erhalten können.
Darüber hinaus wollen wir die Regelungen für die Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten – von außerhalb der Europäischen Union – verbessern. Sie sind heute schon sehr fortschrittlich und wären, wenn wir eine englischsprachige Nation wären, auch weltweit bekannt. Aber das gehört, glaube ich, auch zu den Aufgaben: dafür zu sorgen, dass diese Regelungen nicht nur verbessert, angepasst und präzisiert werden, sondern auch bekannt gemacht werden.
Es gibt eine ziemlich gute Möglichkeit für Zuwanderung nach Deutschland, wenn man einen Arbeitsvertrag erhält oder in Aussicht hat. Daneben wollen wir eine weitere Möglichkeit schaffen für Talente, für qualifizierte Männer und Frauen, die wir in Deutschland gut gebrauchen können, die zwar noch keinen Arbeitsvertrag haben, aber diese Möglichkeit nutzen können, wenn sie einen Zutritt bekommen. Das zum kanadischen Punktesystem; es soll also unser heutiges System nicht ersetzen, sondern verbessern.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Ralf Stegner.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben vorhin in Ihren einleitenden Bemerkungen Ihre Besorgnis ausgedrückt über die Verhältnisse an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Mich würde interessieren, welche Bemühungen die Bundesregierung unternommen hat, um zur Deeskalation und zur Sicherung von Frieden und Sicherheit in Europa beizutragen.
Ich habe bereits eingangs darauf verwiesen, dass wir uns dort in einer ganz schwierigen Lage befinden. Es geht immer darum, dass wir die territoriale Integrität aller Staaten Europas verteidigen. Deshalb sind wir sofort in die Gespräche eingestiegen mit all unseren Verbündeten in der Europäischen Union und im Rahmen der NATO sowie mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben auch die Gesprächsformate genutzt, die uns zum Beispiel in Richtung Russland zur Verfügung stehen. Wir haben uns mit der ukrainischen Regierung unterhalten. Der französische Präsident und ich haben uns in Brüssel zusammen mit Herrn Präsident Selenskyj getroffen und die ganz schwierige Lage konkret besprochen.
Ein Ausfluss dieser Dinge – nicht nur unserer Bemühungen, sondern auch der Bemühungen vieler anderer außerhalb Deutschlands – ist, dass das nun ein wenig in Gang gekommen ist. Ich habe es geschildert: Es gibt jetzt vier Gesprächsebenen, und das ist ein guter Fortschritt.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Kann man daraus schließen, Herr Bundeskanzler, dass es auch in den nächsten Wochen Gespräche sowohl mit der russischen als auch der ukrainischen Seite gibt? Welche Formate bevorzugt die Bundesregierung? Geht es da auch um das Verständnis von gemeinsamer Sicherheit, um darüber hinaus zu vermeiden, dass solche Eskalationen in der Zukunft wieder stattfinden?
Bis jetzt hat es Gespräche gegeben, die unmittelbar zwischen Vertretern unserer Regierung, der russischen Regierung und der ukrainischen Regierung stattfinden. Es wird auch weiter so sein, dass wir solche Gespräche führen. Ein ganz wichtiges Ziel ist, dass wir neben den Formaten, die jetzt überall stattfinden – dem strategischen Sicherheitsdialog zwischen den USA und Russland in der Schweiz, dem NATO-Russland-Treffen, das gerade stattfindet, den OSZE-Formaten –, auch in das Normandie-Format gehen, um die Möglichkeit zu schaffen, die einmal festgelegten Beschlüsse jetzt auch umzusetzen, um den notwendigen Fortschritt zu erreichen.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller aus der AfD-Fraktion.
Danke, Frau Präsidentin, für das Wort. – Herr Kanzler, ich würde gerne bei meinem Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla ansetzen: „steigende Energiepreise“, „Preisexplosionen bei den Leuten“. Dazu ein paar Zahlen: 230 000 Stromsperren hatten wir im Jahr 2020; das betrifft Leute, die sich diese Energie nicht mehr leisten können. Die Gaspreise sind in den letzten zwölf Monaten um 50 Prozent gestiegen. Über die Spritpreise reden wir besser gar nicht an dieser Stelle. Die Leute können sich weder eine warme Wohnung noch den Weg zur Arbeit leisten.
Ich muss sagen, dass mir Ihre Antwort – 300 Euro Entlastung durch die Abschaffung der EEG-Umlage – nicht gefällt; denn Sie nehmen den Leuten vorher ja wesentlich mehr Geld weg durch Steuern, durch Abgaben, durch weitere politische Maßnahmen. Es ist die Regierung, die hier unter anderem der große Preistreiber ist.
Wir hatten im Haushaltsausschuss öffentliche Anhörungen zum Nachtragshaushalt 2021. Die Experten haben diesen Haushaltsentwurf nahezu zerlegt. Die Verfassungsexperten sagen: Das ist verfassungswidrig; das können Sie im Rahmen unseres Grundgesetzes eigentlich gar nicht machen. – Die Ökonomen sagen, dass es die Krise in Deutschland noch verschärfen wird, weitere Preissteigerungen zu haben, dass es wirtschaftlich sogar nachteilig ist. Und der Bundesrechnungshof, die neutrale Instanz, die prüft, sagt: Ziehen Sie diesen Entwurf zurück! – Deswegen meine Frage: Schließen Sie sich der Empfehlung des Bundesrechnungshofes an, und werden Sie diesen Nachtragshaushaltsentwurf zurückziehen?
Der Bundesfinanzminister hat einen sehr guten Nachtragshaushalt vorgelegt; er hat ihn sehr sorgfältig vorbereitet. Es geht darum, dass wir sicherstellen, dass wir nicht nur die akute Krise bekämpfen, sondern dass wir aus dieser Situation rauskommen und dass dieser Weg auch in den nächsten Jahren ordentlich weitergeht. Das hat also unmittelbar zu tun mit der Frage: Wie gehen wir mit dieser Krise um, und wie kommen wir aus ihr wieder heraus?
Dafür ergreifen wir sehr entscheidende Maßnahmen. Wie überall in der Welt gehören dazu natürlich auch bei uns ganz besonders Maßnahmen, die dazu geeignet sind, den Klimawandel aufzuhalten und uns technologisch und industriell so zu modernisieren, dass wir gute Arbeitsplätze und gutes Wachstum auch in der Zukunft haben.
Selbstverständlich ist es eine große Herausforderung, dass die Energiepreise weltweit steigen; das hat auch Auswirkungen hierzulande. Das ist auch die wichtigste Ursache für die steigenden Preise. Die Gaspreise stammen von außerhalb; sie werden überall steigen. Das Gleiche gilt für andere Ressourcen, die jetzt genutzt werden müssen. Das ist ein weiteres gutes Argument dafür, dass wir unseren Weg gehen, nämlich uns unabhängig von solchen globalen Märkten zu machen, indem wir die Nutzung von erneuerbaren Energien – Windkraft auf hoher See, an Land und Solarenergie – vorantreiben. Das ist zum Beispiel ein Weg, uns von solchen globalen Marktschwankungen unabhängig zu machen und damit auch unser Land zu schützen; denn im Hinblick auf das künftige Wachstum der Welt werden alle diese Ressourcen nutzen wollen.
Was wir hierzulande machen, habe ich schon gesagt: Wir erleichtern beim Einkommen. Wir helfen den Bürgerinnen und Bürgern bei ihrem Familieneinkommen durch die Abschaffung der EEG-Umlage. Und ich habe auch schon gesagt, dass wir uns fest vorgenommen haben, eine ganz konkrete Situation zu adressieren, zum Beispiel mit einem Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, den wir jetzt auf den Weg gebracht haben, und unmittelbar zu helfen.
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Ich bitte, jetzt bei der Nachfrage und bei der Antwort exakt in der Zeit zu bleiben; dann haben Sie noch das Recht, die Nachfrage zu stellen.
Ja, sehr gerne, Frau Präsidentin. – Also, so einfach will ich Sie nicht aus der Verantwortung lassen, Herr Scholz. Es sind nicht nur die globalen Preise, die zu einem Preisanstieg bei Gas und Elektrizität führen. Das sind auch die politischen Maßnahmen dieser Bundesregierung in den letzten Jahren und auch die kommenden Maßnahmen. Es ist nicht nur der Nachtragshaushalt, der dafür sorgen wird, dass wieder alles teurer wird. Das sind auch der Kohleausstieg, der Ausstieg aus der Kernenergie, das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das sind extrem viele Maßnahmen, die diese Bundesregierung erlassen hat und weiter trägt, die alles teurer machen. Sie tragen eine Verantwortung dafür, dass sich die Menschen ein normales Leben eben nicht mehr leisten können. Wissen Sie das?
Nein, das ist eine falsche Information, die Sie in Ihre Frage gepackt haben.
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Deshalb will ich Ihnen auch gerne mit ein paar Fakten konkret helfen. Es wird uns unverändert so gehen, dass wir, wenn wir auf fossile Ressourcen oder die Nuklearenergie zurückgreifen, erhebliche Preissteigerungen beobachten werden. Und der beste Weg, den wir einschlagen können, um uns unabhängig zu machen von solchen Herausforderungen, ist, dass wir das tun, was gleichzeitig dem Klima nutzt, nämlich ein klimaneutrales Industrieland zu werden. Ich bin sicher, dass Deutschland im Ergebnis, am Ende dieses Prozesses und auch währenddessen, relativ schnell spüren wird, dass uns das global sogar wettbewerbsfähiger macht, weil die Energieproduktion in Deutschland, gestützt auf erneuerbare Energien, im internationalen Wettbewerb am Ende die preiswertere sein wird.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist mir eine große Ehre, dass ich heute zum ersten Mal im Deutschen Bundestag reden darf.
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Wir wollen mehr Fortschritt wagen. Fortschritt braucht Sicherheit. Nur so werden wir den notwendigen Rückhalt für Veränderungen haben. Wir sind ein starkes Land. Die überwältigende Mehrheit in unserem Land steht hinter unserer Demokratie und ihren Institutionen. Die überwältigende Mehrheit verhält sich in der Pandemie solidarisch und rücksichtsvoll, und dieser überwältigenden Mehrheit möchte ich heute im Namen der Bundesregierung ausdrücklich meinen Dank aussprechen.
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Aber zur Wahrheit gehört auch: Die Pandemie zeigt Risse in unserer Gesellschaft: Protest, Erschöpfung, Wut. Aber unsere Gesellschaft ist nicht gespalten, und wir lassen uns auch nicht spalten. Wir sind ein Land und halten zusammen.
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Wer Wissenschaftlerinnen, Journalisten, Polizistinnen oder Politiker attackiert oder einschüchtert, der führt keine Diskussionen mehr. Wir sehen hier keine „Spaziergänge“, sondern organisierte Aktionen, an vielen Orten gleichzeitig – immer wieder mit Gewalt, immer wieder mit massenhaften Verstößen gegen Coronaregeln. Rechtsextremisten gewinnen leider zunehmend regional an Einfluss. Sie kämpfen nicht gegen Corona; sie kämpfen gegen unsere Demokratie, meine Damen und Herren.
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Ich möchte sehr klar sagen: Wir lassen uns das nicht bieten. Unsere Demokratie ist wehrhaft. Bei Gewalt muss der Rechtsstaat hart durchgreifen. Die Täterinnen und Täter müssen mit konsequenter Strafverfolgung rechnen.
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Den Polizistinnen und Polizisten, die gerade jetzt für uns alle den Kopf hinhalten, danke ich sehr herzlich. Sie haben unsere große Unterstützung. Ich weiß, wie schwer ihr Job in diesen Tagen ist. Ich habe mir davon am Montagabend während der Proteste im Lagezentrum der Polizei in Dresden selbst ein Bild gemacht.
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Allen, die protestieren, weil die Impfung sie umtreibt, sage ich: Natürlich gehört Protest zur Demokratie. Natürlich hören wir zu. Aber lassen Sie sich nicht von Extremisten vor den Karren spannen! Grenzen Sie sich ab von Hass und Gewalt!
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Wir stellen uns Menschenverachtung und gefährlichen Verschwörungsideologien klar entgegen. Das gilt bei Coronademonstrationen, und das gilt überall sonst, auch und gerade im Netz, bei Telegram genauso wie auf anderen Plattformen. Es darf keinen Zweifel daran geben: Wir werden dafür sorgen, dass Hetzer identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden.
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Meine Damen und Herren, Sicherheit ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wir wollen ein Land sein, in dem alle Menschen frei und ohne Angst leben, ganz gleich in welchem Viertel sie leben, wen sie lieben, woran sie glauben oder woher ihre Familien einmal kamen. Wir haben alle extremistischen Bedrohungen im Blick: den Islamismus, den Rechtsextremismus und den Linksextremismus. Aber die größte Gefahr für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus.
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Deshalb hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus für mich auch besondere Priorität, meine Damen und Herren.
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Eines möchte ich gleich zu Beginn sagen: Es ist unser aller Pflicht, für den Schutz von Jüdinnen und Juden zu sorgen. Die Hetze, die viele dieser Tage in unserem Land noch erleben müssen, ist eine Schande für unser Land.
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Meine Damen und Herren, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der antisemitische Anschlag in Halle, die rassistischen Morde in Hanau – diese entsetzlichen Verbrechen lassen mich nicht los. Die jahrelange Auseinandersetzung mit dem Terror des NSU hat mich persönlich sehr geprägt. Deshalb sage ich auch heute hier im Deutschen Bundestag: Der Staat ist den Opfern weitere Antworten schuldig. Die Aufarbeitung muss weitergehen, und wir werden sie vorantreiben.
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Serpil Temiz Unvar hat in Hanau ihren Sohn Ferhat verloren. Was sie gesagt hat, ist eine Mahnung an uns alle – ich zitiere –: Unsere Kinder dürfen nicht umsonst gestorben sein. Ihr Tod muss das Ende rassistischer Angriffe sein. – Ich kann Ihnen, liebe Frau Unvar, und allen Familien der Opfer von Hanau sagen: Wir werden Ihre Kinder nie vergessen, und wir werden alles tun, um die Menschen, die in unserem Land bedroht und angegriffen werden, besser zu schützen. Deshalb, meine Damen und Herren, werde ich als Bundesinnenministerin bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen.
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Wir werden alles daransetzen, Radikalisierung zu stoppen, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die zweite Seite sind Engagement, politische Bildung und ganz viel Prävention. Für beides werde ich mich gleichermaßen einsetzen.
Wir werden demokratische Initiativen verlässlich unterstützen. Gemeinsam mit Familienministerin Anne Spiegel möchte ich mit dem Demokratiefördergesetz dafür so schnell wie möglich eine neue Grundlage schaffen.
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Meine Damen und Herren, wir werden unsere Polizei- und Sicherheitsbehörden stärken. Wir werden für Respekt für ihre harte Arbeit und für gute Ausbildung und faire Arbeitsbedingungen sorgen, zum Beispiel mit einer schnellen Einführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage.
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Wir werden besser als früher aus Fehlern lernen. Und wir werden die Balance von Freiheit und Sicherheit wahren. Sicherheit bedeutet Schutz vor Extremismus, und Sicherheit bedeutet Schutz vor Kriminalität.
Drei Prioritäten möchte ich nennen: Wir werden die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität, von Clankriminalität und Cyberkriminalität verstärken. Wir werden alles unternehmen, um Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen und die Täter und ihre Netzwerke zu verfolgen. Und wir werden die Gewalt gegen Frauen bekämpfen und auch die strukturellen Ursachen dafür angehen, meine Damen und Herren.
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Ich bin auch Ministerin für Heimat. Heimat sind alle Menschen, egal wo sie herkommen. Heimat ist, wo ich mich nicht groß erklären muss. Heimat ist, was zum Beispiel in Sportvereinen jeden Tag an Integration gelebt wird. Ich werde all denen den Rücken stärken, die sich für uns alle einsetzen. Das sind kommunalpolitisch Aktive. Das sind Freiwillige und Ehrenamtliche. Das sind Engagierte in Kirchen und Religionsgemeinschaften. Das sind Feuerwehrleute und THW-Helfer/-innen.
Wie alle diese Menschen unsere Gesellschaft zusammenhalten, haben wir auch nach der furchtbaren Flutkatastrophe im letzten Sommer gesehen. Die Folgen des Klimawandels treffen uns hier und heute. Daraus müssen wir jetzt Konsequenzen auch für einen starken Bevölkerungsschutz ziehen. Auch das wird eine der wichtigen Aufgaben der neuen Regierung sein.
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Sehr geehrte Abgeordnete, wir sind stolz darauf, dass wir ein vielfältiges Einwanderungsland sind, und wir sagen das auch endlich deutlich.
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Jetzt wollen wir ein besseres Integrationsland werden. Uns geht es um Bildungschancen und Arbeit von Anfang an. Wir schaffen ein modernes Einwanderungsrecht, auch und gerade um Arbeitskräfte zu gewinnen, die wir dringend brauchen.
Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung für geflüchtete Menschen. Wir ermöglichen legale Fluchtwege, damit das Sterben im Mittelmeer endlich ein Ende hat.
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Wir sorgen für zügige Asylverfahren und gute Perspektiven für Menschen, die gut integriert sind. Wir sorgen aber auch – das sage ich deutlich – für konsequente Rückführungen, insbesondere von Straftätern. Die Ampelkoalition steht für einen neuen Geist und ein neues Handeln in der Migrationspolitik. Legen wir damit los!
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Neue Kräfte setzen wir auch in der Digitalpolitik frei. Wir wollen eine digitale Verwaltung, die aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger gedacht ist. Mit einem Digitalcheck werden wir Gesetze darauf abklopfen, ob sie das Leben einfacher und digitaler machen. Als Bundesinnenministerium wollen wir Vorreiter und Antreiber für den digitalen Staat sein.
Wir haben uns viel vorgenommen. Fortschritt braucht Sicherheit. Dafür setze ich auf eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen allen Demokratinnen und Demokraten. So werden wir das Vertrauen in unsere Demokratie stärken und für unsere offene Gesellschaft werben und sie gegen ihre Feinde verteidigen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Frau Bundesministerin, wenn Sie mögen, können Sie noch einen Moment hier verweilen; denn der Kollege Dr. André Hahn hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Sehr geehrte Frau Ministerin! Zu Ihren Ausführungen zum Thema wird dann meine Fraktionskollegin Martina Renner sprechen. – Ich möchte auf etwas eingehen, zu dem Sie gar nichts gesagt haben. Einmal ist das Wort „Sportverein“ gefallen. Sie sind auch Sportministerin.
In wenigen Tagen beginnen die Olympischen und die Paralympischen Spiele. Die Vereine haben erhebliche Schwierigkeiten mit den Coronamaßnahmen und den Einschränkungen, die damit verbunden sind. Ganze Ligen in verschiedenen Sportarten brechen ihre Saisons ab, können die Meisterschaften nicht mehr fortsetzen. Es gibt Einnahmeausfälle, weil keine oder weniger Zuschauer zugelassen sind usw.
Ich hätte schon erwartet, dass Sie als Sportministerin in Ihrer Rede auf dieses Thema wenigstens mit einigen Bemerkungen eingehen. Deshalb ist es für mich wichtig, von Ihnen zu erfahren: Wie wollen Sie den Vereinen und Sportverbänden in dieser schwierigen Situation ganz konkret helfen? Es wird auch erwartet, dass Sie dazu Stellung beziehen.
Wenn Sie mögen, können Sie das jetzt tun.
Das mache ich sehr gerne. Damit gewinne ich die notwendige Zeit, um auch zu dem natürlich wichtigen Bereich Sport etwas zu sagen.
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Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich diesem wichtigen Thema gerne sehr viel Raum eingeräumt.
Ich vermutete fast eine Absprache.
Ich möchte Ihnen gern zurufen: Das habe ich natürlich im Blick, insbesondere die Sportligen, die darauf angewiesen sind, dass sie Zuschauerinnen und Zuschauer haben, wie es im Basketball, im Handball oder im Volleyball der Fall ist. Sie brauchen jetzt unsere Unterstützung, und diese werden sie von der Bundesregierung erhalten, meine Damen und Herren. Wir stehen hinter dem Sport als Ganzes.
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Aber es ist nicht nur der Profisport; es sind auch die vielen Ehrenamtlichen, die im Sport unterwegs sind und dieser Tage unsere Unterstützung benötigen. Deswegen werden wir auch dort sehr stark unterstützen.
Wenn Sie mir schon die Gelegenheit geben, etwas zum Sport zu sagen, dann will ich auch von dieser Stelle noch einmal wiederholen, dass ich persönlich nicht zu den Olympischen Spielen in Peking reisen werde.
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Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, Sie sind die erste Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums. Dazu gratuliere ich Ihnen über die Parteigrenzen hinweg, und ich wünsche Ihnen auch viel Erfolg.
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Sie übernehmen dieses wichtige Amt in unruhigen Zeiten. Der Rechtsextremismus ist derzeit eine zentrale Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland; das hat auch Ihr Vorgänger Horst Seehofer immer wieder betont. Sie setzen das jetzt fort. Der Mord an Walter Lübcke, die Morde in Halle und auch in Hanau haben gezeigt, wie gefährlich der Rechtsterrorismus ist. Eines steht fest: Sie haben uns im Kampf gegen den Rechtsextremismus fest an Ihrer Seite. Aber für uns als Union ist es wichtig, dass der Kampf gegen jede Form von Extremismus entschlossen geführt wird.
Wir haben in der letzten Wahlperiode viele Tausend neue Stellen bei der Bundespolizei, beim Bundeskriminalamt und beim Verfassungsschutz geschaffen, damit Extremisten und Kriminelle auf breiter Front bekämpft werden. Personal alleine aber reicht nicht aus; denn unsere Behörden brauchen auch moderne Befugnisse, um im digitalen Zeitalter erfolgreich ermitteln zu können. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht hierzu aber rein gar nichts,
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und auch in Ihrer Rede haben Sie hierzu heute nichts gesagt. Der Koalitionsvertrag ist an dieser Stelle eher vom Misstrauen gegenüber unseren Sicherheitsbehörden geprägt.
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Ich stelle mir die Frage, wie der Verfassungsschutz seine Rolle als Frühwarnsystem unserer Demokratie erfüllen und extremistische Netzwerke aufklären soll, wenn Sie ihm genau diese Instrumente verweigern.
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Die Ampel will nämlich sinnvolle Befugnisse wie die Quellen-TKÜ und die Onlinedurchsuchung für den Verfassungsschutz und die Bundespolizei entweder einschränken oder weiterhin vollständig verhindern.
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Man muss sich mal vorstellen: Festnetztelefone dürfen in besonderen Fällen abgehört werden. Aber wenn der Extremist Whatsapp nutzt, dann soll der Verfassungsschutz außen vor bleiben.
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Das ist und bleibt realitätsfern. Ein entschlossener Kampf gegen Extremisten und Schwerkriminelle sieht in unserer digitalen Welt beileibe anders aus.
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Rechtsextremismus ist nicht die einzige Bedrohung für unser Land. Der Generalbundesanwalt führt aktuell weit über 500 Verfahren mit Bezug auf islamistischen Terrorismus. IS-Rückkehrer bilden ein massives Risiko, genau wie Verschwörungstheoretiker, die auf Coronademonstrationen mit absurden Erzählungen versuchen unseren Staat zu delegitimieren. Auch linksextremistische Gewalt und Angriffe auf Polizisten nehmen massiv zu. Unser Rechtsstaat muss nach allen Seiten hin wehrhaft und wachsam bleiben. Hier bitte ich Sie, Frau Bundesinnenministerin, das nicht nur in Worten anzukündigen, sondern auch in Taten umzusetzen.
Sie haben ausgeführt, Sie wollen den Extremismus mit einem Demokratiefördergesetz bekämpfen und die Zivilgesellschaft noch mehr fördern. Ja, das ist nicht grundsätzlich falsch. Aber Sie sollten auch genau prüfen, wen Sie da fördern. Wir haben als Union immer gesagt: Extremismus darf man nicht mit Extremisten bekämpfen, und linke Gewalttäter der Antifa sind sicher keine Hilfe gegen Rechtsextremismus.
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Wir haben schon in der letzten Wahlperiode die Wiedereinführung der Demokratieklausel gefordert. Das hat Ihre Fraktion abgelehnt. Aber ein Bekenntnis zur Demokratie und zum Rechtsstaat ist gerade bei der politischen Bildung, bei der Sie heute angedeutet haben, dass sie Ihnen wichtig ist, extrem wichtig und auch bei der Extremismusprävention sicherlich nicht zu viel verlangt.
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Nachdem ich heute in einem Interview lesen konnte, dass Sie der Auffassung sind, dass im Bereich Extremismusbekämpfung zu wenig geschehen sei, will ich Ihnen nur kurz zurufen, dass das Kabinett der Vorgängerregierung bereits Ende 2020 zum Thema „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ 89 Maßnahmen beschlossen und umgesetzt hat und den Einsatz von 1 Milliarde Euro für die Jahre 2021 bis 2024 als Sondermilliarde beschlossen hat. Ich empfehle Ihnen, sich genau anzuschauen, was schon alles auf den Weg gebracht worden ist, bevor Sie neue Maßnahmen vorantreiben.
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Das Waffenrecht wollen Sie anfassen, haben Sie heute gesagt. Es ist korrekt: Waffen gehören nicht in die Hand von Extremisten. – Ich will Ihnen aber nur sagen: Wir haben hier bereits sehr viel gemacht. Wir müssen schon aufpassen, dass wir ein Waffenrecht mit Augenmaß behalten
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und nicht die vielen Millionen redlichen Jäger und Schützen in Deutschland unter Generalverdacht stellen.
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Deshalb brauchen wir Augenmaß und keinen Aktionismus für die linke Galerie; auch da werden wir genau aufpassen.
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Ein letzter Punkt, den ich noch ansprechen will, ist die Steuerung und Begrenzung von Migration – eine der großen Aufgaben in der Innenpolitik. Die Union hat die Asylmigration deutlich begrenzt und gleichzeitig ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz umgesetzt.
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Ich will nur sagen: Das gilt im Übrigen für Talente mit und ohne Arbeitsvertrag; nur weil wir vorhin von Herrn Scholz gehört haben, das wäre nicht so. Ich empfehle Ihnen, erst mal die tatsächlichen Barrieren abzuschaffen, bevor Sie das Gesetz ändern, und dafür zu sorgen, dass wir mehr Fachkräfte aus Europa holen – da gibt es teilweise immer noch eine Jugendarbeitslosigkeit von 30 Prozent –, bevor wir wieder anfangen, die ganze Welt einzuladen.
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Deutschland ist nach wie vor Hauptzielland für irreguläre Migration. Bei uns steigen die Zahlen wieder. An den EU-Außengrenzen gehen sie wieder zurück. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie sagen: Es darf keinen deutschen Alleingang geben. – Wenn ich dann aber Frau Baerbock höre, die uns sagt, wir hätten Italien alleine gelassen und jetzt müsste Deutschland wieder vorangehen, dann muss ich schon sagen: Ich frage mich ehrlich, wo Ihr Kompass ist. Und zu behaupten, Horst Seehofer und die vormalige Bundesregierung hätten Italien allein gelassen: Tut mir leid, das hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun.
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Abschließend will ich noch darauf hinweisen, dass aktuell über 400 000 Personen in Deutschland mit Asylbezug offiziell arbeitslos gemeldet sind. Es ist schon ein großes Thema, dass wir nicht Asyl- und Arbeitsmigration miteinander vermischen. Genau das haben Sie aber vor. Sie wollen den Spurwechsel einführen.
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Eine solche Migrationspolitik schadet unserer Gesellschaft. Es spaltet unsere Gesellschaft. Was Sie damit wagen, ist kein Fortschritt, sondern Chaos, und davor kann ich nur warnen.
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Vielen Dank.
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Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Lamya Kaddor für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich – ich bin auch ein wenig nervös –, heute erstmals vor diesem Hohen Haus, dem Deutschen Bundestag, reden zu dürfen. Mein Weg war nicht immer frei von Steinen. Sicherlich bin ich kampferprobt, wenn es um den Einsatz gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit und für eine starke, vielfältige Gesellschaft geht. Dafür werde ich mich immer einsetzen.
Ich stehe hier als Deutsche und als Tochter syrischer Einwanderer, deren Eltern es nie für möglich gehalten hätten, ihr Kind an dieser Stelle sprechen zu hören. Das, was für viele von Ihnen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, vielleicht selbstverständlich ist, nämlich aus der Perspektive einer Mehrheit zu sprechen und Ihren eigenen Platz in dieser Gesellschaft einzunehmen, stellt sich für mich als etwas größere Herausforderung dar. Ich musste wie viele andere hier im Saal diesen Platz in dieser Gesellschaft erst einmal finden. Und ich muss ihn bis heute übrigens regelmäßig verteidigen – gegen Menschenfeinde und Demokratiehasser. Doch das Ergebnis ist offensichtlich: Mein Platz ist nun hier.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zahl der neu gemeldeten Covid-19-Fälle in Europa hat sich Angaben zufolge innerhalb von zwei Wochen mehr als verdoppelt. Wie in einem Brennglas zeigt uns das Virus, zeigt uns diese Pandemie die gesellschaftlichen Herausforderungen und stellt uns vor eine Zerreißprobe. Wir Grüne sind als Teil der Regierungsfraktionen angetreten, diese gesellschaftlichen Herausforderungen endlich anzugehen, und die Aufgaben, die vor uns liegen, sind gewaltig.
Es ist festzuhalten: Unsere Demokratie ist stark und lebendig. Die Demokratinnen und Demokraten in diesem Land sind weit mehr als die Nichtdemokratinnen und ‑demokraten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unser aller Verpflichtung, unsere Verfassung zu hüten und uns deutlich gegen Menschenfeinde jeglicher Couleur zu positionieren.
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Denn gleichzeitig wird unsere Demokratie bedroht. Sie steht aus unterschiedlichen ideologischen Richtungen unter Beschuss, ganz besonders von rechten Netzwerken oder Bewegungen wie den Identitären und nicht zuletzt von Querdenkern. Wenn aber die organisatorischen Strukturen hinter einer Vielzahl von unangemeldeten Demonstrationen, verbrämt als angebliche Spaziergänge, von rechten Netzwerken betrieben werden, vor allen Dingen über Telegram, und wenn in diesen Chats seit Mitte November mehr als 250 Tötungsaufrufe gefunden werden, die sich gegen Politiker/-innen, Wissenschaftler/-innen, Ärztinnen und Ärzte, Journalistinnen und Journalisten wenden, dann gefährdet das die innere Sicherheit und die Unversehrtheit von Menschen in diesem Land, dann müssen wir durch diese Unterwanderung sogenannter Spaziergänger durch rechtsextreme Netzwerke davon ausgehen, dass es zu schweren staatsgefährdenden Taten kommen kann.
Damit ich hier aber nicht falsch verstanden werde: Menschen, die sich gegen die Impfpflicht oder gegen die Coronamaßnahmen aussprechen wollen, sollen das unbedingt tun dürfen. Die Verantwortung aber, mit wem man – und nicht nur sinnbildlich – untergehakt auf Demos mitläuft, trägt jede Einzelne, jeder Einzelne selbst.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Freiheit und Sicherheit sind fundamentale Werte, für die diese Koalition gleichermaßen einsteht. Sicherheitsbehörden schützen den Rechtsstaat. Aber der Staat muss auch seine Bediensteten schützen, und das gilt gerade auch für die Polizistinnen und Polizisten, die bei den mehr als 1 000 Protestaktionen gegen staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie am Montag insgesamt verletzt wurden. Ich möchte den Verletzten in den Reihen der Polizei von hier aus gute Besserung wünschen und mich für ihren Einsatz bedanken.
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Aber Dank allein reicht nicht aus. Daher haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Polizei besser ausgestattet wird. Das ist längst überfällig und wurde von der Vorgängerregierung vernachlässigt. Das gehen wir jetzt an, und – liebe Frau Bundesinnenministerin Faeser, da bin ich zuversichtlich – es wird uns gelingen. Wenn sich Sicherheitsbehörden einer zunehmenden Gewaltbereitschaft ausgesetzt sehen, ist es unsere Aufgabe, sie zum Wohle aller zu stärken. Aber auch in den Reihen der Sicherheitsbehörden gibt es verfassungsfeindliche Tendenzen, die wir mit aller Härte angehen werden.
Als Wissenschaftlerin, die sich auch mit dem Thema „islamistischer Terrorismus“ befasst, muss ich darüber hinaus feststellen: Ohne Nachrichtendienste wäre eine Bekämpfung undenkbar. Aber die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste muss besser werden. Wir schaffen deshalb eine überfällige gesetzliche Regelung für den Einsatz von V‑Personen aller Sicherheitsbehörden.
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Es braucht auch eine Gesamtstrategie, die auf Prävention, Deradikalisierung und effektiver Gefahrenabwehr basiert, und zwar genauso auf den rechten Terror wie in Kassel oder in Hanau bezogen wie auf den islamistischen Terror am Breitscheidplatz.
Was wir aber auch endlich brauchen, ist eine staatliche Etikette im Umgang mit Opfern von Gewalt und nationalen Katastrophen. Diese Menschen fühlen sich von uns alleingelassen – und das viel zu lange schon. Daher führen wir für den 11. März einen nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt ein.
Als innenpolitische Sprecherin bin ich auch für Religionspolitik zuständig. Ich bin froh, in einem Land zu leben, das so vielen Religionen eine Heimat ist. Es ist unsere historische Verantwortung, dabei sicherzustellen, dass sich gerade Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher fühlen können. Gegen alle Formen von Antisemitismus werden wir jüdische Einrichtungen stärker beschützen – und auch Jüdinnen und Juden persönlich. Antisemitischem Hass und antisemitischer Hetze im Netz treten wir entschiedener entgegen. Dass Coronaverharmloser oder gar ‑leugner Vergleiche mit dem Leid der Opfer des NS-Regimes ziehen, dürfen wir nicht länger hinnehmen.
Und – viele werden es gar nicht wissen – der Islam gehört schon ganz lange zu Deutschland, und zwar seit dem 18. Jahrhundert. Es ist daher überfällig, dass wir Ausbildungsprogramme für Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten ausbauen. Auch das packen wir jetzt an. Und hierbei – das liegt mir sehr am Herzen – werden wir den Dialog mit progressiven islamischen Gemeinden intensivieren und diese in die Prozesse einbinden.
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Es ist nicht hinnehmbar, wenn, wie an Silvester in Iserlohn, Gräber geschändet werden, egal ob diese muslimisch, jüdisch, christlich oder buddhistisch sind.
Wir als Koalition stehen für Aufbruch und Wandel. Lassen Sie uns diesen Aufbruch und Wandel gemeinsam mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, für ein besseres Land und eine bessere, stärkere Gesellschaft gestalten. Denn ein altes chinesisches Sprichwort lautet: Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gottfried Curio für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Koalitionsvertrag – das aberwitzige Völkerwanderungsprogramm des Global Compact for Migration jetzt als deutsche Gesetze –: barrierefreier Zugang für Schatzsuchende aus aller Welt und mit Turbo in die Wahlkabine; die Macher wollen ja auch was davon haben. Das kostet bisher schon 50 Milliarden Euro jährlich und funktioniert nicht. Aber Herr Lindner, der lieber falsch regiert als gar nicht, der hat’s ja. Die Druckerpresse für das wertlose Brüsseler Betrugsgeld soll Tag und Nacht weiterrattern. Die rasende deutsche Schuldenuhr dreht bereits durch: lebenslange Schuldhaft für unsere Kinder und Enkel, aber Hauptsache, man schüttet Fake-Milliarden über bankrotte EU-Staaten aus.
Die Ampel will also den Paradigmenwechsel: Um illegale Migration zu verhindern, müsse man legale Wege schaffen. Man würde wohl als Antwort auf Ladendiebstahl die Ware gleich mit dem Schild „Zum Mitnehmen“ aufstellen. Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber, die den Staat mit behaupteter Schutzbedürftigkeit betrogen haben, werden nicht nur seit 2015 geduldet; vielmehr sollen sie jetzt als sogenannte Integrierte Bleiberecht kriegen, Ausländer bis 27 ohnehin, Staatsbürgerschaft schon nach drei Jahren; schließlich stehen auch mal wieder Wahlen an. Dafür: Senkung der Sprachanforderung und Mehrfachstaatsbürgerschaften; damit auch wirklich alle links wählen können.
Wer seine Identität verschleiern will, gibt einfach eine versichernd an. Versuchen Sie das mal bei Ihrem Impfpass! Mehr Mittelmeerschlepperei, mehr Umsiedlung nach Deutschland, mehr Afghanen – 25 000 weitere –: von Afghanistan nach Absurdistan ist es anscheinend gar nicht so weit.
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Alle Wirtschaftsmigranten und Asyltouristen weltweit sollen über zig sichere Staaten nach Deutschland kommen und hier versorgt werden. Da wird klar, wer die 400 000 neuen Wohnungen jährlich beziehen soll. Da trifft sich der grüne Einwanderungslobbyist mit dem gelben Wirtschaftslohndrückerlobbyisten; der deutsche Mieter und Arbeitnehmer saß offenbar nicht am Koalitionstisch. Ein schleichender Abbau der Demokratie soll es möglich machen.
Man tut nichts gegen – ja, befeuert – die Verbreitung von Hass und Hetze gegen Andersdenkende durch Regierungsfernsehen und Kartellparteien, aber die Innenministerin will gegen Telegram vorgehen. Wir sagen: Wer Meinungsfreiheit und plurale Diskussion will, der beauftragt nicht Netzzensur.
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Wer, wie die fünf undemokratischen Fraktionen der Altparteien, seine Mehrheit dazu missbraucht, einer Minderheitskraft die eigens vorgesehene Repräsentanz in Präsidium und Ausschüssen zu nehmen, der hat der Idee der repräsentativen Vertretung des deutschen Volkes im Bundestag, der repräsentativen Demokratie überhaupt, den Krieg erklärt.
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Wer, wie die CDU Sachsen, das Demonstrationsgrundrecht mit einer Beschränkung der Teilnehmerzahl auf zehn Personen faktisch aufheben will – im Freien; im Grunde genommen mit völlig fadenscheinigen Coronagründen –, der zeigt, dass er sich sein politisches Überleben nur noch durch eine Aufhebung der Oppositionsgrundrechte vorstellen kann. Das scheint bei der Innenministerin mit ihrer faktenbefreiten Diffamierung von regierungskritischen, friedlichen Spaziergängern ganz ähnlich zu sein.
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Wer 2 G statt 3 G auferlegt, also negativ Getesteten, Gesunden, grundlos ihre Rechte verwehrt, hat Gesundheitsargumente als vorgeschobene Lügen selbst entlarvt und betreibt nur noch die Schikanierung von Ungeimpften zur Errichtung eines panikgepufferten Totalitarismus. Wer die Gehirne der Wähler durch Cannabisfreigabe vernebeln will,
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wer, um gefügiges Dahindämmern zu befördern, an einem Opiumkrieg gegen die eigenen Bürger arbeitet, der will dann auch ein Kinderwahlrecht organisieren für die freitäglichen Schulschwänzerhorden, die nicht mehr zu Selbstdenkern ausgebildet, sondern zu Propagandaschreiern zugerichtet werden sollen.
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Merkel ist weg, das System Merkel regiert. Eine gigantische Enteignung des deutschen Staatsvolks auf allen Ebenen: Grundrechte, Souveränität, Staatsgrenzen, Finanzen, Kultur. Das ist sie dann wohl, die gepriesene Kontinuität der Regierung: dass früher Merkel Gröhe die Deutschlandfahne entreißt und angewidert in die Ecke schmeißt, heute Habeck Vaterlandsliebe zum Kotzen findet. Nicht überraschend ist er, der mit Deutschland nichts anzufangen weiß, mit seinem Morgenthau-Plan der kompletten Deindustrialisierung Deutschlands die fleischgewordene Abrissbirne unseres Wohlstands.
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Wir fordern: Illegale zurückweisen! Anreize abstellen! Endlich abschieben! Sozialstaat für unsere Bürger statt Asylmissbrauchsparadies! Humanität heißt nicht, ganze Völkerscharen über den Globus zu treiben und die Wandernden wie die Aufnehmenden zu entheimaten. Wir brauchen keine Werbeaktion für Massenimmigration, kein Aufbauprogramm für Clanbildung, keinen Ausverkauf deutscher Bürgerrechte in aller Welt. Wir wollen unser Land, unsere Lebensweise und unsere Verfassungsordnung bewahren.
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Aber mit einem Zustrom zu Staatsgebiet und Wahlkabine will die Ampel ein eigenes Wahlvolk rekrutieren, auch mittels einer Kultur, die die Rechte von Frauen und anderen Religionen nicht akzeptiert. Wir sagen: Wehret den Anfängen!
Im letzten Jahr gab es – Stand Herbst – Gefährder: islamistische gut 550, rechtsextremistische gut 70; neu eingeleitete Terrorverfahren: islamistische 210, rechtsextreme 5. Ja, ist denn ein politisches Fake-Narrativ von größter rechtsextremer Bedrohung wichtiger als der Schutz der Bevölkerung vor wirklichen Gefährdern? Wir plädieren für einen ideologiebefreiten Rundumblick. Es geht um die Sicherheit der Bürger.
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Meine Damen und Herren, drei von vier Wählern wollen die SPD nicht, 75 Prozent. 85 Prozent wollen diese Grünen nicht. Komplize bei der Pervertierung des parlamentarischen Systems ist die FDP.
({9})
Schon Loriot wusste, „liberal“ heißt im liberalen Sinne nicht nur „liberal“. Offenbar heißt es manchmal auch einfach „machtgeil“. Schluss mit dieser Koalition der Verlierer,
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Schluss mit mehr religiösem Mobbing und Kopftuchterror gegen Mädchen an den Schulen bei weniger Leistung, Schluss mit mehr deutschem Geld für ausländische Ansprüche bei weniger Stimmrecht in der EU, Schluss mit weniger Demokratie in Deutschland bei Umwandlung von einer freien Nation zu einem willfährigen Hebel totaler Globalisierung bei totaler Ausbeutung für Fremdinteressen!
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Meine Damen und Herren, ein SPD-Politiker warnte – ich darf zitieren –: Wir haben uns mit dem Zustand von Menschen aus völlig anderen kulturellen Welten übernommen, 7 Millionen Ausländer in Deutschland sind eine fehlerhafte Entwicklung. Und – Zitat –: Wir müssen eine Zuwanderung aus fremden Kulturen unterbinden, Zuwanderung von Menschen aus Anatolien und Schwarzafrika schafft nur ein zusätzliches Problem. – Vernünftige Einstellungen. Diese SPD heute steht für das Gegenteil. Helmut Schmidt,
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er – Helmut Schmidt! – wäre heute in der AfD, meine Damen und Herren.
({13})
Das Wort hat der Kollege Konstantin Kuhle für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Nancy Faeser, ich wünsche Ihnen im Namen der Fraktion der Freien Demokraten alles Gute und viel Erfolg für die wichtige Aufgabe als Bundesinnenministerin. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie sind ja nicht nur für die innere Sicherheit verantwortlich, sondern auch für eine ganze Reihe an Themen, die hier angesprochen worden sind. Dazu gehört auch das Thema „gesellschaftlicher Zusammenhalt“.
Es ist genau dieser gesellschaftliche Zusammenhalt, der momentan in unserem Land besonders auf die Probe gestellt wird, und das liegt an der Coronapandemie. Wir sind jetzt bei knapp zwei Jahren, in denen Staat und Gesellschaft sich im Wesentlichen um die Bekämpfung der Pandemie kümmern. Wir alle erleben und erfahren das, wenn wir mit Menschen in unseren Wahlkreisen sprechen: Die Menschen sind der Pandemie müde, die Menschen sind der Maßnahmen gegen die Pandemie müde, das führt zu Verdruss, und das führt zu einer großen Enttäuschung. – Wir, alle demokratischen Kräfte in diesem Haus, müssen es hinbekommen und wir müssen dafür stehen, dass diejenigen, die diesen Verdruss und diese Enttäuschung für ihre extremistische Agenda nutzen wollen, damit keinen Erfolg haben können, meine Damen und Herren.
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Denn wer Journalisten angreift, wer Wissenschaftler angreift, wer Kommunalpolitiker angreift, wer ehrenamtliche Helfer im Impfzentrum angreift, der macht nicht von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch, sondern begeht Straftaten. Und diese Straftaten müssen hart bestraft werden.
Deswegen steht diese neue Koalition bei ihrer Arbeit an der Seite der Sicherheitsbehörden. Sie wird die wichtige und gute Arbeit der Sicherheitsbehörden um neue Schwerpunkte ergänzen.
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Dazu gehört die Demokratieförderung, und dazu gehört die Extremismusprävention; denn beides ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Ich bin Ihnen, liebe Frau Bundesinnenministerin, auch dankbar, dass Sie mit Blick auf den Koalitionsvertrag ganz klargemacht haben: Diese Ampelkoalition grenzt sich ab, und sie bekämpft alle Formen des gewaltbereiten Extremismus, angefangen beim Rechtsextremismus als besondere Herausforderung über den Islamismus – die besondere Bedrohung durch ihn dürfen wir nicht vernachlässigen – bis zum Linksextremismus und den Verschwörungsideologien, die wir momentan allerorts beobachten können.
Meine Damen und Herren, ich will die heutige Debatte aber auch nutzen, um dem ehemaligen Bundesinnenminister Seehofer für seine Arbeit zu danken.
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Ich weiß gar nicht, ob er uns heute zuschaut. Es gab ja zwischen der FDP und Horst Seehofer durchaus auch mal unterschiedliche Meinungen. Fest steht: Wir wünschen ihm alles Gute für den wohlverdienten Ruhestand.
Wenn ich mir aber die Beiträge der Union in der heutigen Debatte anschaue, muss ich sagen: Es ist ganz gut, dass die Union nach 16 Jahren nicht mehr die Verantwortung für die Innenpolitik auf Bundesebene trägt.
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Das sieht man an keinem Thema so sehr wie an der Migrationspolitik. Was da an Vorschlägen kommt, ist doch in Wahrheit eine Einwanderungspolitik aus dem letzten Jahrtausend. Eine Migrationspolitik im Sinne und im Interesse unseres Landes – weniger irreguläre Migration und mehr reguläre Migration – war und ist offenbar mit der Union nicht möglich.
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In puncto irreguläre Migration liegt das daran, dass Sie die EU-Ratspräsidentschaft nicht genutzt haben, um beim gemeinsamen europäischen Asylsystem voranzukommen, und das liegt daran, dass Sie die Länder eben nicht unterstützen bei der Rückführung von Straftätern und Gefährdern. Sie müssen sich ja nur anschauen – ich weiß gar nicht, warum Sie den Kopf schütteln –, welches Land bei der Rückführung von Straftätern und Gefährdern in Deutschland am erfolgreichsten ist. Das ist Nordrhein-Westfalen. Sie sollten den Regierungseintritt der FDP auf Bundesebene eigentlich beklatschen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
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wenn Ihnen die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern am Herzen liegt; denn da machen wir das.
Bei der regulären Migration werden wir durch ein Einwanderungsgesetz mit Punktesystem endlich dazu beitragen, dass es zum nötigen Paradigmenwechsel in Deutschland kommt und dass wir mit der Lebenslüge der Union, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist, Schluss machen.
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Deutschland ist ein Einwanderungsland, und bei der Ausgestaltung Deutschlands als Einwanderungsland machen wir auch vor dem Staatsangehörigkeitsrecht nicht halt.
Meine Damen und Herren, eine letzte kurze Bemerkung: Wenn unsere Sicherheitsbehörden und der Staat die Bürgerinnen und Bürger verteidigen und beschützen vor Kriminalität, vor Gewalt, vor Extremismus, dann schützen sie unsere Rechtsordnung. Zu dieser Rechtsordnung gehört der Schutz von Leib, Leben und Eigentum. Zu dieser Rechtsordnung gehört aber auch das Recht auf Privatsphäre, auf Vertraulichkeit der Kommunikation, auf informationelle Selbstbestimmung. Auch hier wird die neue Koalition einen Paradigmenwechsel einleiten, weil uns die bürgerlichen Freiheitsrechte besonders am Herzen liegen. Deswegen kommt die Überwachungsgesamtrechnung, deswegen kommt der Periodische Sicherheitsbericht, deswegen kommt die Freiheitskommission. Deswegen ist diese Koalition der Sicherheit verpflichtet, aber sie dient der Freiheit.
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In diesem Sinne freue ich mich auf viele innen- und rechtspolitische Debatten in der neuen Amtsperiode und wünsche Ihnen viel Erfolg, liebe Frau Bundesinnenministerin.
Danke.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Martina Renner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin, liebe Petra! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir vernehmen tatsächlich neue Töne aus dem Innenministerium, auch heute, insbesondere zum Kampf gegen rechts. In der Vergangenheit wurden rechte Netzwerke und rechter Terror verdrängt, verharmlost und verkannt. Bei Ihnen im Koalitionsvertrag heißt es jetzt: „Rechtsextremismus ist derzeit die größte Bedrohung unserer Demokratie.“
({0})
Frau Innenministerin Faeser, Sie haben es heute hier ja auch wiederholt. Ich nehme Sie wirklich sehr gerne beim Wort an diesem Punkt.
Beim Wort nehmen, das muss heißen: Wir erwarten von der Bundesregierung, dass endlich nicht nur geredet wird, sondern auch wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um rechte Gewalt und rechten Terror zu stoppen. Das heißt: Entwaffnen Sie die rechte Szene,
({1})
verhaften Sie untergetauchte Neonazis, schmeißen Sie Rassisten und Antisemiten aus dem Polizeidienst.
({2})
Das muss schnell passieren. Und nehmen Sie Abschied vom Extremismusbegriff, der nur vernebelt und die Geheimdienste legitimiert.
({3})
Aber das Allerwichtigste: Hören Sie – ich darf bei Ihnen sagen: hören Sie auch weiterhin – den bedrohten Menschen zu. Die Opferperspektive, sie fehlte bisher im Innenministerium.
({4})
Eine weitere Last aus dem Seehofer-Ministerium ist, dass auf Sicherheitsbedrohungen immer mit dem Ruf nach mehr Technik, nach mehr Überwachung und nach mehr Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechte reagiert wurde. Ihr Koalitionsvertrag klingt da schon anders. Entscheidend wird jedoch sein, ob Sie tatsächlich so gefährliche Tools wie die Spionagesoftware Pegasus den Behörden aus der Hand nehmen. Beenden Sie die diskriminierenden anlasslosen Kontrollen der Bundespolizei, sorgen Sie dafür, dass polizeiliche Datenbanken sicher sind und Menschen nicht grundlos in ihnen gespeichert werden, und binden Sie den eigenen Datenschutzbeauftragten mit seinen Bedenken auch in Ihre Arbeit ein.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, genau an diesem Punkt muss man es, glaube ich, noch mal sagen: Der letzte Innenminister hat Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen.
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– Das ist keine Unverschämtheit, das ist Ergebnis seiner Politik gewesen. – Und er hat seine Zustimmung zur Aufnahme von Geflüchteten durch die Bundesländer verweigert, obwohl diese dazu bereit waren.
Sie wollen das Leid an den Außengrenzen stoppen; das steht im Koalitionsvertrag. Wenn Sie es ernst meinen, dann handeln Sie jetzt, und zwar sofort.
({7})
An den Außengrenzen wird jeden Tag gestorben; das ist also kein Thema, was wir in einem halben Jahr behandeln sollten. Setzen Sie sich jetzt für sichere Fluchtwege ein! Stoppen Sie die illegale Praxis und die Militarisierung von Frontex. Und erteilen Sie den Ländern das Einvernehmen, wenn diese Landesaufnahmeprogramme für Schutzsuchende vorlegen.
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Das sage ich Ihnen auch als Thüringerin: Wir wollen aus Thüringen hier ein Signal aus dem Innenministerium sehen.
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Wenn Sie, und das glaube ich, wirklich besser sein wollen als Ihr Vorgänger, dann hören Sie auf das, was Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Engagierte Ihnen sagen, und hören Sie vielleicht manchmal ein bisschen weniger auf die Spitzenbeamten, die Sie von Herrn Seehofer übernommen haben. Belassen Sie es nicht bei den schönen, oft auch richtigen Ansagen – werden Sie konkret!
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dirk Wiese für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie in Ihrer Rede sehr klar gesagt haben, dass wir uns als Ampelkoalition jeder Form des Extremismus in unserem Land klar entgegenstellen. Wir haben das im Koalitionsvertrag deutlich niedergeschrieben:
Wir stellen uns allen verfassungsfeindlichen, gewaltbereiten Bestrebungen und Verschwörungsideologien … entgegen.
Das sage ich auch nach draußen: Hier ist kein Platz für Extremismus in diesem Land.
({0})
Ich begrüße es auch ausdrücklich, dass Sie sehr klar gesagt haben, dass der Rechtsextremismus aktuell die größte Gefährdung für dieses Land ist. Ich bin dankbar, dass Sie im Kampf gegen rechts einen kurzfristigen Aktionsplan vorlegen. Ich möchte hinzufügen, dass ich es ausdrücklich begrüße, dass Sie klar gesagt haben, dass das Demokratiefördergesetz eines der Hauptanliegen dieser Bundesregierung ist. Dieses Demokratiefördergesetz – ich will das noch einmal sagen – ist entscheidend; denn die Demokratie wird angegriffen, von unterschiedlichen Seiten, sie wird infrage gestellt. Dabei gibt es so viele Akteure in diesem Land, die jeden Tag für die Demokratie streiten, die sich für die Demokratie einsetzen.
({1})
Diese Initiativen, dieses Engagement gilt es zu stärken.
Ich will noch eines deutlich sagen: Ich bin dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer zu Dank verpflichtet; denn wir hatten in der letzten Bundesregierung eine Einigung für ein Demokratiefördergesetz erreicht. Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollten das noch verabschieden. Es war die Fraktion der CDU/CSU, Frau Lindholz, die im Kampf gegen rechts an dieser Stelle versagt hat, und es ist Amnesie, wenn Sie sich daran nicht mehr erinnern können.
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Ich begrüße es auch ausdrücklich, dass wir gegen Telegram vorankommen wollen.
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Denn es kann nicht sein, dass dort ungehindert Morddrohungen geschrieben und Bedrohungen ausgesprochen werden; das kann nicht sein!
Ich finde es auch absolut richtig, dass wir uns im Koalitionsvertrag klar dazu bekannt haben, Verfassungsfeinde leichter aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, wer nach 17 Uhr die freiheitlich-demokratische Grundordnung angreift, der kann nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt sein; das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich.
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Mein Dank gilt den vielen Polizistinnen und Polizisten, die unterwegs sind, die, wie man sagt, in der aktuellen Situation kaum aus den Stiefeln rauskommen. Ich glaube, wir müssen den Ansatz wagen, gerade für die Bundespolizei ein modernes Bundespolizeigesetz – die letzte Reform war aus dem Jahr 1994 – auf den Weg zu bringen. Dazu haben wir uns bekannt; das ist eine Anerkennung der Arbeit der Bundespolizei. Entscheidend für die Anerkennung der Arbeit der Bundespolizei ist die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage. Wir werden das als Ampelkoalition gemeinsam voranbringen.
Lassen Sie mich ausführen, dass beim Thema der inneren Sicherheit der Blick nicht einseitig auf Repression gerichtet sein kann. Genauso wichtig ist es, immer wieder zu fragen: Warum kommt es letztendlich zu Kriminalität, warum kommt es zu Sicherheitsverstößen, was sind die Ursachen dafür? Wir werden in dieser Ampelkoalition einen Schwerpunkt darauf setzen, die Prävention zu stärken, dass sich Kriminalität, dass sich Extremismus gar nicht erst entwickelt. Es ist, glaube ich, entscheidend, den Präventionsgedanken zu stärken. Wie Tony Blair einmal gesagt hat: „Law and order is a Labour issue.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Abschluss einen weiteren wichtigen Bereich, für den das Bundesinnenministerium zuständig ist, hervorheben, und das ist der gesamte Bereich des Sports. Ich bin etwas überrascht, dass meine Vorrednerin für die Fraktion Die Linke, Frau Renner, zum Sport kein Wort verloren hat; das ist für mich etwas überraschend bei der Schwerpunktsetzung. Ich will sehr deutlich ausführen: Der Sport ist wichtig. Der Sport, gerade auch der Spitzensport, verdient unsere Unterstützung. Es ist gut, dass sich der DOSB neu aufgestellt hat. Es ist gut, dass wir die Unterstützung für den Sport – auch im Rahmen der Coronahilfen – verlängern. Es ist richtig, dass wir uns als Ampelkoalition dafür ausgesprochen haben, die Sportstätten, die Sportinfrastruktur, die Schwimmbäder in den Kommunen, in den Kreisen zu ertüchtigen. Da wird Integration gelebt: in den Sportvereinen; da ist gelebtes Ehrenamt. Das wollen wir als Ampelkoalition gemeinsam mit der Bundesinnenministerin auf den Weg bringen.
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Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen, das dem einen oder anderen Vorredner vielleicht Anstoß zum Nachdenken gibt. Helmut Schmidt hat einen wichtigen Satz gesagt:
Wer die Vergangenheit nicht studiert, wird ihre Irrtümer wiederholen.
Das gilt hier im Plenum, besonders aber auf der Tribüne.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Alexander Throm das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Faeser, ich wünsche Ihnen bei Ihrer schwierigen, verantwortungsvollen Aufgabe zunächst alles Gute, Erfolg und auch das notwendige Glück im Interesse unseres Landes.
Frau Ministerin, Sie haben am Anfang, bei Ihrer Ernennung gesagt: „Sicherheit ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit.“ Diesen Satz kann ich voll und ganz unterstreichen. Nur leider findet sich von diesem Satz in Ihrem Koalitionsvertrag relativ wenig. Deutschland braucht Fachkräftezuwanderung, ja, es lässt aber aufhorchen, dass Sie im Koalitionsvertrag allgemein von „Arbeitskräfteeinwanderung“ sprechen. Dazu passt, dass Sie die Hürden für die Anerkennung von Berufsabschlüssen senken wollen. Das ist nichts anderes als ein Senken der Qualifikation. Sie wollen die Gleichwertigkeit der Berufsabschlüsse, wie sie im Fachkräfteeinwanderungsgesetz steht, schleifen. Das ist nicht sozial, weil es unfairen Wettbewerb um die Arbeitsplätze bedeutet und weil geringere Qualifikation ein höheres Risiko für die Einwanderung in die Sozialsysteme bedeutet.
({0})
Bei Fachkräften geht es um die Menschen, die wir brauchen, die unsere Wirtschaft braucht. Bei Flucht und Asyl geht es um Menschen, die uns, die unseren Schutz brauchen. Diese Unterscheidung ist keine Banalität – es ist die entscheidende, vielleicht sogar die einzige Weichenstellung, die wir tatsächlich für die Steuerung und die Begrenzung illegaler Migration haben. Genau dieses Steuerungsinstrument wollen Sie von der Ampel aufgeben, indem Sie einen allgemeinen Spurwechsel einführen. Zusammen mit anderen Vorhaben – Ausweitung des Familiennachzugs, Ausweitung der Asylbewerber- und Gesundheitsleistungen, vieles andere – schaffen Sie weitere Anreize, nach Deutschland zu kommen, insbesondere im Rahmen der Sekundärmigration. Wir sind schon heute das Land in der gesamten westlichen Welt, das bezogen auf seine Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Sie verstärken dies noch, und das bedeutet mehr soziale Spannungen und weniger soziale Gerechtigkeit.
({1})
Sie schreiben im Koalitionsvertrag, Ihr Ziel sei ein „Paradigmenwechsel“ hin zu einem „modernen Einwanderungsland“. Mich stört dabei keineswegs der Begriff „Einwanderungsland“. Ja, das sind wir faktisch, und bei den Fachkräften wollen wir das auch.
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– Nein, das ist kein Wandel. – Aber was nicht passt, ist das Attribut „modern“, Herr Kollege Kuhle; denn Sie haben den Anschluss verpasst. Alle anderen europäischen Länder rennen nämlich in eine andere Richtung,
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als Sie von der Ampel es vorhaben.
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Der dänische Innenminister, ein Sozialdemokrat,
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sagt: Offene Grenzen und sozialer Wohlfahrtsstaat passen nicht zusammen.
Die Länder Europas, egal welcher Couleur – Schweden, Österreich, Frankreich, Dänemark –, alle haben seit 2015 ihre Migrationsgesetzgebung restriktiver ausgestaltet.
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Sie wollen einen Paradigmenwechsel zurück in die Vergangenheit. Das bedeutet einen Rückschritt, nicht das, was unsere Vorstellungen waren, was die die Politik der letzten Jahre war, Herr Kollege Kuhle.
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Sie führen das auch in ganz anderen Bereichen fort, beispielsweise im Bereich der Personen mit ungeklärter Identität. Da sind Sie bereit, Ihrer Ideologie sogar Sicherheitsinteressen unterzuordnen, indem Sie beispielsweise den Personen, die auch ihren Pass weggeworfen haben oder deren Identität sonst wie nicht geklärt ist, die Möglichkeit geben, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben. Ich glaube, hier sind viele Anwälte. Frau Ministerin, wir beide sind Rechtsanwälte, und ich denke, wir wissen um die begrenzte Beweiskraft einer eidesstattlichen Erklärung. Deswegen ist dieses Vorhaben in Ihrem Koalitionsvertrag bestenfalls naiv, aber eher eine Realitätsverweigerung.
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Das ist nicht nur unsozial, das ist gefährlich.
Sie schreiben dann zur inneren Sicherheit: „Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt.“ Danke! Ja, so ist es. Wir nehmen dies als Kompliment an. Wir haben die letzten Jahre die Verantwortung für die Sicherheit in Deutschland maßgeblich getragen. Und wir haben alles dafür getan, um die Sicherheitsbehörden ausreichend mit Personal auszustatten und ansonsten gut zu versorgen, eben auch mit rechtlichen Befugnissen. Wir haben bei unseren Koalitionspartnern gebohrt, zuletzt der SPD einige Maßnahmen abgerungen. In dieser Koalition bohrt niemand mehr, in dieser Koalition wird nicht gerungen; alle sind sich einig. Der ganze Koalitionsvertrag trieft geradezu vor Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden, den Polizistinnen und Polizisten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es gibt mehr Kontrolle – ja! –, nur nicht bei den Kriminellen und bei den Tätern, sondern bei unserer Polizei: Polizeibeauftragte, Kennzeichnung, mehr Datenschutz, mehr Restriktionen, weniger Vertrauen.
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Das ist ein Koalitionsvertrag, der nicht das Vertrauen gegenüber den Polizistinnen und Polizisten ausspricht.
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Im Gegenteil: Sie legen der Polizei Fesseln an,
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und das ist nicht sicher.
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Frau Ministerin, Sicherheit ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber es ist auch ein Grundbedürfnis aller Menschen. Sie sind dafür verantwortlich. Deswegen meine Bitte: Hören Sie auf Ihr Haus, hören Sie auf Ihre Fachleute in den einzelnen Behörden! Forderungen nach mehr Befugnissen bei der inneren Sicherheit kommen dort von den Menschen, die sich darum Sorgen machen. Ihnen wünsche ich, dass Sie den Mut haben, die Fesseln, die Ihnen der Koalitionsvertrag anlegt, abzulösen.
Herzlichen Dank.
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Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Marcel Emmerich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in den letzten Monaten verstärkt, dass versucht wird, unseren Staat, seine Institutionen und unsere Gesellschaft zu spalten und zu verhöhnen, mit Verschwörungsmythen, antidemokratischen und antiwissenschaftlichen Parolen, die verbreitet werden. Ich möchte jetzt die Gelegenheit nutzen, ein Signal der Solidarität an all diejenigen da draußen auszusenden, die direkt davon betroffen sind. Es gibt nämlich ganz viele Menschen, die sich tagtäglich einsetzen: Ärztinnen, Wissenschaftler/-innen, Journalistinnen, viele Kommunalpolitiker/-innen, die sich jeden Tag für unser Gemeinwohl einsetzen und von diesen Angriffen betroffen sind.
Das ist mir ganz wichtig; denn in meinem Wahlkreis, in Ulm, ist der Dekan Ernst-Wilhelm Gohl davon betroffen. Er hat in seiner Kirche eine Impfaktion durchführen lassen und wird seitdem mit Drohbriefen überfrachtet. Sie alle hier in den Reihen kennen auch solche Beispiele, beispielsweise von Landrätinnen oder anderen engagierten Personen. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir als Parlament hier auch Verantwortung übernehmen und ein Signal aussenden. Diese Menschen verdienen unsere Unterstützung, unseren Respekt und unsere Anerkennung für ihre Arbeit. Vielen Dank für ihr Engagement, vielen Dank für ihren Einsatz!
({0})
Frau Ministerin, ich muss sagen: Ihre Worte hier am Redepult waren wirklich sehr wohltuend,
({1})
wirklich wie in einer richtig neuen Zeit. Das kannte man von Ihrem Vorgänger so nicht, und das zeigt einfach, dass wir hier in Zukunft eine andere Innenpolitik haben werden. Ich will mich auch bedanken, dass Sie das noch mal so stark hervorgehoben haben, was wir in der Koalition beim Thema Rechtsextremismus vereinbart haben, dass Sie auch gesagt haben, dass es für uns eine besondere Priorität hat. Das Demokratiefördergesetz, die weitere Aufarbeitung der offenen Fragen des NSU-Komplexes und der von Ihnen angekündigte Aktionsplan gegen Rechtsextremismus sind Punkte, bei denen Sie die volle Unterstützung meiner Fraktion haben. Wir freuen uns auf die Mitarbeit bei diesen Themen.
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Mit einem klaren Kompass für Freiheit, Sicherheit und den demokratischen Rechtsstaat gestalten wir dieses Land also neu. Wir werden nicht alle Probleme auf einmal lösen; aber wir gehen weg von fortwährenden, impulsiven Rufen nach weiteren Gesetzesverschärfungen und stehen stattdessen für eine vorausschauende, evidenzbasierte und vor allem grundrechtsorientierte Innenpolitik ein.
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Dazu gehört der periodische Sicherheitsbericht, dazu gehört eine Überwachungsgesamtrechnung. Wir lassen von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ab, und wir schränken die Quellen-TKÜ ein.
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Damit stärken wir im Übrigen auch die IT-Sicherheit in diesem Land. Angesichts vieler weiterer Datenlecks ist das auch wirklich sehr wichtig.
Für die Sicherheit in unserem Land sorgen jeden Tag über 300 000 Polizistinnen und Polizisten. Vielen Dank für ihre Arbeit! Wir statten sie besser mit Sachmitteln aus, wir stehen an ihrer Seite und sorgen dafür, dass sie mehr Kolleginnen und Kollegen an ihrer Seite haben.
Mit der Einführung einer unabhängigen Polizeibeauftragten schaffen wir mehr Bürger/-innennähe und eine Anlaufstelle innerhalb der Polizei. Wir stellen außerdem den Bevölkerungsschutz in Zukunft neu auf, und wir sorgen für mehr Mitbestimmung, Bürger/-innenbeteiligung und Transparenz. Das ist auch ein neuer Politikansatz, ein neuer Politikstil.
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Meine Damen und Herren, wir haben schon heute vernommen, was wir bei den Fragen von Migration, Asyl und Flüchtlingspolitik in den nächsten Jahren aus der Opposition – von der rechten Seite – zu hören bekommen: vor allem Angstmacherei bei der Frage der Geflüchteten oder wenn es um Migrantinnen geht. Wir machen hier auch einen Aufbruch, einen Neuanfang. Statt Ausgrenzung und Abschottung stellen wir endlich wieder Menschlichkeit und Mitgefühl in den Vordergrund, für eine vielfältige Gesellschaft. Das heißt, wir kommen weg von Kettenduldungen. Stattdessen kommen wir hin zu echten Perspektiven und zu einem ganz klaren Ja zur Seenotrettung. Dazu stehen wir auf europäischer Ebene.
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Deutschland ist natürlich ein Einwanderungsland. Wer anderes sagt, liegt vollkommen falsch. Das muss sich jetzt aber auch endlich in den gesetzlichen Rahmenbedingungen widerspiegeln, und dafür sorgen wir. Mit einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht ermöglichen wir – mehr als 20 Jahre nach der unsäglichen Doppelpasskampagne – mit der Mehrstaatlichkeit endlich die Einbürgerung für alle.
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Mit einem Punktesystem schaffen wir ein modernes und gerechtes Einwanderungsgesetz. Unsere Politik ist klar: Egal welche Sprache jemand spricht, wie jemand aussieht, wo jemand herkommt oder welches Geschlecht jemand hat – jede und jeder hat das Recht, sicher, in Freiheit und Würde und ohne Angst zu leben.
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Daran konstruktiv mitzuarbeiten, dazu laden wir alle demokratischen Fraktionen ein. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit, vor allem im Ausschuss. Ich setze mich dafür ein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Manuel Höferlin das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit der Fortschrittskoalition stehen wir in Deutschland vor einer Wende in der Politik. Das hat, liebe Frau Bundesministerin Faeser, Ihre Rede auch gezeigt, finde ich. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen und Ihrem Haus.
In diesem Bündnis steht nicht umsonst Freiheit ganz vorne, übrigens auch in der Bezeichnung des Koalitionsvertrags. Nirgendwo wird so deutlich wie in der Innenpolitik, dass diese Wende so nötig ist. In den letzten Jahren ist die Innenpolitik aus dem Gleichgewicht geraten. Zu lange wurde zwischen Freiheit und Sicherheit einseitig abgewogen, viel zu häufig zulasten der Freiheit. Damit ist jetzt Schluss.
({0})
Dabei gilt hier die Weisheit: Freiheit ist nicht alles; aber ohne Freiheit ist alles nichts.
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Die Ziele der Innenpolitik sind immer Freiheit und Sicherheit, aber nicht wie bei der Union, wie man auch an dem Reinrufen gleich wieder merkt, Sicherheit vor den Menschen und gegen die Menschen,
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sondern wie mit der Fortschrittskoalition Sicherheit für die Menschen und mit den Menschen, meine Damen und Herren.
({3})
Wo in den letzten Jahren ein Freiheits- und Grundrechtseingriff nach dem anderen veranlasst wurde, setzt die Fortschrittskoalition eine Freiheitskommission ein. Wo in den letzten Jahren ein Überwachungsgesetz nach dem anderen erlassen wurde, wird die Fortschrittskoalition eine Überwachungsgesamtrechnung vornehmen und die Bürgerrechte analog wie digital wieder achten.
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Wo Sicherheitslücken für staatliches Spitzeln offen gehalten wurden, etabliert die Fortschrittskoalition echtes Schwachstellenmanagement, um Sicherheitslücken zu schließen.
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Wo vertrauliche Kommunikation ein Dorn im Auge war, schafft die Freiheitskoalition ein Recht auf Verschlüsselung.
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Wo IT-Sicherheit fahrlässig untergraben wurde, sorgt die Fortschrittskoalition für eine Stärkung, indem wieder rechtssicher Schwachstellen aufgespürt werden können, ohne dass man sich strafbar macht. Wo keine sinnvolle Idee mit dem Umgang von Daten entstand, wird die Fortschrittskoalition die Potenziale von Daten heben, beispielsweise durch Datendrehscheiben, und wir werden auch den Datenschutz besser organisieren.
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Dort, wo zu wenige Polizistinnen und Polizisten den notwendigen Datenabgleich im Dienst hilfsweise mit ihren privaten Mobilfunkgeräten vornehmen mussten, sorgt die Fortschrittskoalition für anständige Ausrüstung und mehr Personal. Dort, wo ein „Wir schaffen das“ zum Konzept erhoben wurde, bringt die Fortschrittskoalition die Migrations- und Integrationspolitik auf die Höhe der Zeit eines modernen Einwanderungslandes. Und dort, wo Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen wurden, stärkt die Fortschrittskoalition das Parlament als Ort der Debatte und der Gesetzgebung, meine Damen und Herren.
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Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen: Wir respektieren und schätzen ausdrücklich die Arbeit einer konstruktiven Opposition. Und, liebe Freunde der Union, lassen Sie mich für unsere Fraktion, aber möglicherweise auch für die gesamte Koalition zusagen: Wir werden Sie genauso fair behandeln, wie Sie dies in den letzten Jahren mit uns getan haben. Das ist eine Zusage.
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Meine Ausführungen zeigen deutlich, meine Damen und Herren: Wir brauchen mehr Fortschritt und Freiheit. Wir wollen das wagen.
({10})
Auch in der Innenpolitik ist das dringend notwendig. Deshalb sorgen wir dafür, dass die Innenpolitik endlich im 21. Jahrhundert ankommt und nicht verbleibt, wo Sie sie hinterlassen haben, dass wieder Lust am Fortschritt statt Angst vor der eigenen Courage geschieht, dass den Menschen auch in der Innenpolitik wieder gedient wird, und zwar in ihrer Freiheit und ihrer Sicherheit gleichermaßen. Das ist unser Auftrag. Dem sind wir verpflichtet, und diesen Auftrag werden wir erfüllen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mein Wahlkreis Euskirchen – Rhein-Erft II ist von der jüngsten Flutkatastrophe besonders schwer betroffen. Alle Akteure des Katastrophenschutzes, namentlich die Mitarbeiter der Kommunen, die Feuerwehren, die Hilfsorganisationen, das THW, aber auch Bundeswehr und Landespolizei sowie Bundespolizei haben hier einen wirklich tollen Job gemacht. Hinzu kommt das Engagement der vielen Spontanhelfenden aus nah und fern. Vielen Dank für ihren Einsatz!
({0})
So beeindruckend der Einsatz aber war, so deutlich sind hier, aber auch im gesamten Verlauf der Pandemie die Strukturen unseres Bevölkerungsschutzes zutage getreten. Hier müssen deutliche Verbesserungen vollzogen werden. Der Bevölkerungsschutz liegt nicht in einer Hand. Der Bund ist für den Schutz der Bevölkerung vor Kriegsgefahren zuständig, den sogenannten Zivilschutz, und die Länder und ihre Kommunen tragen die Hauptverantwortung für den Katastrophenschutz.
In der Praxis führt dies bei Großschadenslagen, insbesondere bei länderübergreifenden Krisen, zu mitunter kraftraubenden Parallelstrukturen, trägen Informationsflüssen und Mehrstimmigkeit. Deshalb ist nicht die Frage, ob die Strukturen verändert werden müssen, sondern wie. Ein wichtiger Schritt ist die Einrichtung des Gemeinsamen Kompetenzzentrums beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, BBK. Bund und Länder sind sich einig: Dies soll ein zentraler Dreh- und Angelpunkt werden, auch für die Bereitstellung eines jederzeit verfügbaren 360-Grad-Lagebildes.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, die Voraussetzungen für dieses Gemeinsame Kompetenzzentrum möglichst schnell zu schaffen. Die Qualität des Bevölkerungsschutzes darf jedenfalls nicht an den gesetzlichen Strukturen oder Zuständigkeiten scheitern.
({1})
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle noch weitere Ausführungen zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes machen; aber ich bearbeite seit Jahren die Themen Asyl und Migration. Deshalb zunächst: Herr Curio, um mal in Ihren Worten zu bleiben:
({2})
Sie sind ein kommunikativer Messerstecher und Terrorist. Ich weiß nicht, ob Sie merken, dass das, was Sie hier ins Land streuen, ein vergiftetes Klima produziert. Sie sind Brandstifter für das, was andere nachher mit Messern und Pistolen ausführen. Das ist das Schlimme an Ihrem Beitrag.
({3})
Um noch zwei Sätze zu dem zu sagen, was hier zu Asyl und Migration gesagt wurde: Der humanitäre Ansatz ist ja richtig, Frau Bundesinnenministerin, aber wir hatten 2015 Erfahrungen gemacht. Deutschland darf jetzt nicht den Fehler machen, große Pull-Effekte zu erzeugen. Es geht nicht nur um 1 Million Menschen, die zu uns kommen wollen. Es geht um viele Millionen Menschen auf dieser Welt, die kommen würden. Schaffen Sie keine Pull-Effekte! Machen Sie nicht den Fehler, dass sich die Situation von 2015 noch verschärft wiederholt!
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Der richtige Weg ist: Vollendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, Prüfung an den Außengrenzen, Screening, die Leute erfassen, im Einzelfall korrekt vorgehen. Das wollte ich Ihnen mit auf den Weg geben. Der humanitäre Ansatz, die Herzensangelegenheit, ist angekommen. Aber Sie haben auch Verantwortung für dieses Land und für die Menschen. Wenn Sie hier falsch handeln, dann geben Sie der AfD, dann geben Sie den Rechtsradikalen Nahrung, und das müssen wir vermeiden.
Herr Kollege.
Das ist zusätzliches Gift für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Vielen Dank.
({0})
Zum einen, Kollege Seif, haben Sie jetzt begonnen, auf Kosten Ihres noch folgenden Kollegen zu sprechen. Zum anderen bitte ich Sie, sich zu mäßigen, wenn es um die Bezeichnung oder Charakterisierung anderer Abgeordneter geht, das heißt, sich einer parlamentarischen Ausdrucksweise zu befleißigen.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Stefan Seidler.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Moin moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, Sie haben erklärt, dass Sie den Kampf gegen den Rechtsextremismus und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt Ihrer Arbeit stellen möchten. Das begrüße ich und sage: Wir müssen uns Rechtsextremismus gegenüber wehren.
({0})
Aber wissen Sie, was ich derzeit in meiner Heimat erlebe, ist, dass rechte Kräfte versuchen, regionale Traditionen in Deutschland für sich zu vereinnahmen, Kulturgruppen und Volksgruppen zu umgarnen und auf diese Art und Weise die Vielfalt einzuschränken. Und doch ist es ja gerade diese Vielfalt dieser verschiedenen Kulturen und Minderheiten, die auch unser Land und unsere Heimat ausmachen. Extremismus gedeiht dort, wo keiner sich kümmert und Strukturschwäche und Hoffnungslosigkeit sich breitmachen. Daher müssen wir besonders die Peripherie und die ländlichen Räume stärken. Dies sind oft Gebiete, in denen gerade nationale Minderheiten und Volksgruppen heimisch sind.
Deshalb meine klare Aufforderung an Sie und an das gesamte Parlament: Lassen Sie uns die Rechte und die Positionen von heimischen Minderheiten im Grundgesetz verankern, so wie es bereits in vielen Landesverfassungen der Fall ist! Sorgen Sie dafür, dass die kulturellen Einrichtungen und die Schulen der nationalen Minderheiten und der Volksgruppen dauerhaft finanziert und besser gefördert werden und nicht auf sich allein gestellt sind! Denn der Kampf für den gesellschaftlichen Zusammenhalt muss zwingend auch unsere Minderheiten hier im Lande mit einschließen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich Ihnen, liebe Frau Bundesinnenministerin Faeser, für Ihre eminent wichtige und auch anspruchsvolle Aufgabe alles erdenklich Gute, ein glückliches Händchen und auch Gottes Segen wünschen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich fand es – Kollege Dr. Hahn hat schon darauf hingewiesen – bemerkenswert, dass Sie, Frau Faeser, in Ihren Ausführungen einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen Bewegungen in unserem Land – dem Sport – kaum eine Silbe gewidmet haben. Mit Verlaub, da reicht es auch nicht, nur zu erwähnen, dass man nicht zu den Olympischen Winterspielen reisen wird.
Der Sport ist mit über 90 000 Vereinen in Deutschland einer der wichtigsten Schätze, die wir haben, eine der wichtigsten – wenn nicht sogar die wichtigste – gesellschaftlichen Bewegungen. Wir haben über 27 Millionen Mitgliedschaften in den über 90 000 Sportvereinen. 8 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger engagieren sich tagtäglich ehrenamtlich im Sport. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Ich finde es nicht nur bemerkenswert, dass Sie, Frau Bundesministerin, dem Sport hier keine Erwähnung schenken, sondern dass auch im Koalitionsvertrag von 177 Seiten gerade mal eine Seite auf den Sport entfällt.
({0})
Wenn ich mir diese Seite durchlese, dann muss ich, mit Verlaub, sagen, dass diese Ausführungen sehr vage, unambitiös und nichtssagend sind.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf dieser einen Seite werden keine Ausführungen dazu gemacht, wie wir dem wichtigen Thema „Stärkung des Ehrenamtes“ mehr Bedeutung beimessen wollen, was wir unternehmen wollen, um ehrenamtliches Engagement im Sport zu erleichtern, wie wir insbesondere die über 90 000 Sportvereine in der Coronapandemie unterstützen und wie wir sie dann im Neustart auch wieder antreiben und unterstützen wollen. All diese Ausführungen fehlen. Es wird keine Ausführung vorgenommen zum Thema des Behindertensportes.
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Ebenso bei einem weiteren ganz wichtigen Thema: der Inklusion von Menschen mit Behinderung durch und im Sport. Auch dem Thema „Gesundheitsprävention, gesundheitliche Vorsorge durch den Sport und im Sport“ wird keine Silbe im Koalitionsvertrag gewidmet. Das ist aus meiner Sicht wirklich sehr, sehr mau, sehr dünne Soße.
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Vielmehr tauchen nur Allgemeinplätze auf, die nichtssagend sind. Auch dem Thema „Stärkung des Leistungssportes“ wird keine Bemerkung geschenkt. Es wird nicht darauf hingewiesen, was wir tun müssen, um Deutschland gerade auch im Sommersport wieder zu einer der erfolgreichsten Sportnationen zu machen.
Kollege Mayer, ich habe die Redezeit angehalten. Ich muss nur identifizieren, wer Ihnen eine Zwischenfrage stellen möchte. – Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ich lasse sie sehr gerne zu.
Vielen Dank, Herr Kollege Mayer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Vor dem Hintergrund, dass Sie sich gerade echauffiert haben, in unserem Koalitionsvertrag würde nur eine Seite dem Sport gewidmet: Hätten Sie die Güte, dem Plenum zu erklären, wie viele Seiten im Koalitionsvertrag 2017, wo ja Ihr Parteifreund Herr Seehofer für den Sport zuständig war, sich mit dem Sport beschäftigt haben?
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Ich danke Ihnen sehr herzlich für diese Frage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, noch einmal etwas ausführlicher darauf hinzuweisen, dass die letzte Legislaturperiode für den Sport eine der erfolgreichsten – wenn nicht sogar die erfolgreichste – Legislaturperioden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland war.
({0})
Da ist für mich gar nicht so entscheidend, wie viele Seiten im letzten Koalitionsvertrag der Sport umfasst hat.
({1})
Wissen Sie, was wir geschafft haben? Wir haben die Mittel für die Spitzensportförderung in den letzten vier Jahren verdoppelt. Ich bin gespannt: Auf dieser einen Seite des neuen Koalitionsvertrages steht überhaupt nichts dazu, welcher Mittelaufwuchs für den Spitzensport angedacht und angestrebt wird.
Wissen Sie, was wir erreicht haben? Wir haben eine Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen ins Werk gesetzt. Im neuen Koalitionsvertrag findet sich kein einziger Satz, keine einzige Aussage dazu, wie Sie mit dieser Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen, die wir in den letzten vier Jahren gemeinsam mit den Ländern und dem DOSB erarbeitet haben, weiter umgehen wollen.
({2})
– Ich würde Sie schon bitten, noch weiter stehen zu bleiben.
({3})
Ihre Frage, für die ich wirklich unglaublich dankbar bin, gibt mir die Gelegenheit, noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, was wir alles in der letzten Legislaturperiode gemacht haben.
Herr Kollege Wiese hat das Programm „Coronahilfen Profisport“ angesprochen. Was er geflissentlich übergangen und nicht erwähnt hat, ist, dass dieses Programm „Coronahilfen Profisport“ ausschließlich auf Initiative dieser Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, ins Werk gesetzt wurde.
({4})
Sich jetzt mit den Lorbeeren zu schmücken, die auf die CDU/CSU-Fraktion zurückgehen, halte ich schon, mit Verlaub, für etwas feige und zweifelhaft.
({5})
– Bitte? Wollen Sie mir eine Frage stellen?
Es geht nicht, dass aus der Koalition noch Hinweise gegeben werden, wie diese Rede jetzt noch ergänzt werden kann. Ich lasse auch keine zweite Zwischenfrage oder ‑bemerkung zu, weil es sonst zu einer Verdopplung der Redezeit kommt.
Ich hätte dem Kollegen Wiese gern noch eine Zwischenfrage zu einem sehr wichtigen Thema gestattet, nämlich der Stärkung des Ehrenamts.
So, jetzt läuft die Zeit weiter.
Wir sind die Fraktion des Ehrenamts, die sich für ehrenamtliches Engagement einsetzt.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was sich wiederum auf dieser einen Seite zum Sport findet, ist eine sehr nebulöse, eine sehr ominöse Aussage zur Gründung einer unabhängigen Instanz zur Mittelvergabe. Dazu habe ich eine konkrete Nachfrage, meine sehr verehrten Damen und Herren und sehr verehrte Frau Ministerin. Wir müssen da unheimlich aufpassen, weil die Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur Mittelvergabe in der Sportförderung natürlich bedeuten könnte, dass sowohl das Bundesinnenministerium als auch der Haushaltsgesetzgeber hier in ihren Möglichkeiten ausgeknockt werden, herausgenommen werden. Ich bin der festen Überzeugung: Der Deutsche Bundestag als Haushaltsgesetzgeber darf sich dies nicht gefallen lassen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin selbst sehr sportbegeistert; Herr Wiese hat darauf hingewiesen.
({2})
Wenn man sich mal ansieht: Der Weltrekord im Hochsprung der Männer liegt momentan bei 2,45 Meter. Ich würde erwarten, dass eine ambitiöse Regierung sich das Ziel setzt, über 2,45 Meter zu springen. Das, was hier jetzt im Koalitionsvertrag steht, und das, was wir heute von der neuen Bundessportministerin gehört haben, das reicht, mit Verlaub, gerade mal, um die Hürdenhöhe bei den Männern – das ist 1,06 Meter – zu überspringen. Für mehr reicht das, was im Koalitionsvertrag zur Sportpolitik steht, mit Sicherheit nicht.
({3})
Kollege Mayer, Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.
Wir werden dem aber auf jeden Fall Rechnung tragen. Sie können sich sicher sein: Zu all den Themen, die ich genannt habe – Integration, Inklusion, Stärkung des Kinder- und Jugendsports –, werden wir entsprechende Vorschläge machen und entsprechende Impulse geben.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.
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Frau Präsidentin! Frau Bundesinnenministerin! Meine Damen und Herren! „Die Menschen in dieser Republik haben zu Recht den Anspruch, dass wir für ihre innere Sicherheit sorgen“, erklärten Sie, Frau Bundesinnenministerin, jüngst in einem Interview.
Wenn die Bürger unseres Landes diesen Anspruch auf Sicherheit haben, frage ich mich, warum Sie ihnen diesen Anspruch verwehren. Warum konnte der 23‑jährige afghanische Drogendealer Zubyr S. in meinem Wahlkreis, der Dortmunder Nordstadt, wo übrigens die armen Menschen leben, zunächst eine 11‑Jährige und sodann, aus der Untersuchungshaft entlassen, eine 13‑Jährige brutal vergewaltigen? Haben diese Mädchen keinen Anspruch auf innere Sicherheit in unserem Land? Folgt man Ihrem Abstimmungsverhalten im Hessischen Landtag, wird dieser afghanische Kinderschänder in Deutschland verbleiben dürfen. Sie stimmten ja bereits für einen Abschiebestopp für Afghanistan.
Was können zum Beispiel die Bürger des Dortmunder Stadtteils Scharnhorst – auch dort leben arme Menschen –, die in der Halloween-Nacht von 200 Jugendlichen terrorisiert wurden, von Ihnen erwarten? Die jungen Iraker, Syrer, Libanesen und – sie dürfen ja nicht fehlen – Afghanen randalierten, zerstörten Geschäfte und beschossen die Polizei mit Pyrotechnik. Haben die Menschen in Scharnhorst keinen Anspruch auf innere Sicherheit?
Die Flutopfer in NRW – übrigens auch arme Menschen – wurden nicht nur durch das Wasser geschädigt; nein, sie wurden auch Opfer von Plündereien. Es gab mehr als 140 Tatverdächtige, fast 90 Prozent davon Ausländer oder Personen mit Migrationshintergrund aus 24 Ländern, unter ihnen Rumänen, Türken, Syrer, Iraker, Kongolesen, Libanesen und natürlich Afghanen. Haben die Flutopfer in Nordrhein-Westfalen keinen Anspruch auf innere Sicherheit?
Nein, Sie werden laut Ihrer Agenda nichts für diese Menschen tun; denn Sie haben bereits erklärt, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Gesellschaft sei. Und Rechtsextremist ist inzwischen jeder, der „Volk“ sagt oder spazieren geht.
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Was auf uns zukommt, ist klar: Der Verfassungsschutz wird weiter instrumentalisiert, die demokratische Opposition drangsaliert, und friedliche Spaziergänger werden kriminalisiert.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Doch den Bürgern unseres Landes, mit und ohne Migrationshintergrund, sei versichert: Wir werden darauf achtgeben, dass Ihrem Anspruch auf innere Sicherheit in diesem Land entsprochen wird.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesinnenministerin! Frau Bundesinnenministerin – eine schöne Bezeichnung; endlich eine Innenministerin in Deutschland. Mit dem Wechsel von der unionsgeführten Großen Koalition hin zu einer SPD-geführten Koalition auf Augenhöhe mit den Liberalen und den Grünen leitet sich in diesem Land tatsächlich ein Paradigmenwechsel ein. Und es ist gut, dass wir zu Beginn dieser Orientierungsdebatten gleich mit dem Bereich der Innenpolitik beginnen, um Orientierung zu geben.
Wir sind angetreten, dieses Land zu modernisieren, aber auch entlang eines modernen Gesellschaftsbildes zu liberalisieren. Das ist lange überfällig, und dies wird diese drei Koalitionspartner auf Augenhöhe verbinden. Wir erleben allerdings auch, dass in manchen Dingen kein Bruch, sondern etwas Kontinuität gesucht wird.
Die Union erleidet einen Phantomschmerz angesichts der vergangenen Regierungsverantwortung und tut jetzt so, als ob sie mit all dem, was in den 16 Jahren, in denen sie Verantwortung getragen hat, geschehen ist, nichts zu tun habe. Sie suchen sich das mal eben aus. Sie tragen aber auch Verantwortung für etwas, das für eine Erschütterung des Vertrauens in unsere Institutionen gesorgt hat, indem Sie Sparrunden vorgenommen haben, um Personal einzusparen. Der handlungsfähige Staat ist aber Grundvoraussetzung dafür, dass das gelingt, was vorangestellt wird. Und das ist der Dreiklang von Freiheit, Sicherheit und – da darf ich ergänzen, liebe FDP – Rechtsstaatlichkeit.
Freiheit hat als Voraussetzung die Sicherheit. Nur wer sich sicher fühlt in diesem Land, wird auch seine und ihre Freiheiten ausleben. Und darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, tarieren wir das Ganze neu aus. Ja, die Sicherheitsarchitektur wird überarbeitet und evaluiert; „Überwachungsgesamtrechnung“ ist hier das Stichwort. Aber alle Bürgerinnen und Bürger, die Demokratinnen und Demokraten in diesem Land, können sich sicher sein: Wer dieses Land und diese Demokratie, die erfolgreichste Republik, jeden Tag verteidigt, ob in Vereinen oder Initiativen, oder auch dafür sorgt, dass man den Raum nicht den Rechtsextremen überlässt, die versuchen, auf der Straße etwas mit Gewalt durchzusetzen, was nicht eine Spaltung der Gesellschaft ist, sondern eine Verächtlichmachung unserer Demokratie, der soll wissen: Wir sorgen dafür, dass dieser Rechtsstaat Sie schützen wird!
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Dazu gehört auch, anders auszutarieren. Viele Millionen Menschen entscheiden sich jeden Tag aufs Neue für diese Demokratie. Sie sind es, die dieses Land zusammenhalten, ob die Ärztinnen und Ärzte in den Impfzentren oder die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. Wir werden endlich Dinge anpacken, die viel zu lange liegen geblieben sind. Dazu gehört beispielsweise das moderne Aufstellen des Bevölkerungsschutzes. Liebe Union, auch da haben Sie die Verantwortung dafür getragen, dass nichts vorangekommen ist. Sie haben blockiert. Wir werden jetzt den Bevölkerungsschutz voranbringen.
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Wenn es um die Chancen im Cyberraum geht, gilt es, Demokratinnen und Demokraten im Netz vor Angriffen, Hass und Hetze schützen. Wir werden dafür sorgen, dass auch dort die Freiheit geschützt wird und gleichzeitig die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt werden, Straftaten zu verfolgen. Das muss in einem demokratischen Rechtsstaat zusammenkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir werden mit Investitionen vorgehen, aber auch mit der Anpassung von Gesetzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir das eine oder andere Gesetz – das ist fest vereinbart; es geht nicht nur um die Freiheitskommission – anpacken. Dabei gibt es aber immer eine klare Orientierung. Manche hier im Haus sind auf der Suche nach Orientierung.
Wir brauchen aber auch eine starke demokratische Opposition, die daran mitwirkt. Dazu hier die herzliche Einladung! Ich möchte da an Herrn Höferlin anknüpfen: Das ist eine Einladung zu einem anderen Miteinander in diesem Haus. Das Parlament wird eine sehr zentrale Rolle einnehmen. Dazu laden wir die demokratischen Kräfte ein. Wie es nicht geht, haben wir bei den Hetzern und Spaltern gesehen, die hier im Haus versucht haben, alles auseinanderzutreiben. Dieses Land ist ein starkes Land, es ist ein sicheres Land. Unsere Demokratie wird diese Bewährungsprobe mit Bravour bestehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege Hartmann. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie sehr herzlich und darf damit auch diese Debatte beschließen, weil keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.
Wir kommen nun zum Themenbereich Recht. Für die Aussprache zu diesem Themenbereich ist eine Dauer von 67 Minuten vorgesehen.
Ich bitte Sie, zügig die Plätze zu wechseln. – Die Debatte wird eröffnet von Dr. Marco Buschmann für die Bundesregierung.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ so heißt es im Lied der Deutschen. Unsere Hymne besingt, wie eng Freiheit und Recht miteinander verwoben sind. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Das Bundesministerium der Justiz wird immer das Ministerium des Rechtsstaats sein, und es wird immer das Ministerium der Freiheit sein.
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Ich sage das in einer Zeit des Zweifels, eines Zweifels auch am Wert der Freiheit. Die einen sorgen sich, ob wir je unsere alte Freiheit ohne all die Beschränkungen, die in der Pandemie leider notwendig sind, vollständig zurückerhalten, und andere wiederum zweifeln an der Freiheit, weil sie meinen, dass die Freiheit des Einzelnen dem gesellschaftlichen Fortschritt im Wege stehe, in der Pandemie, beim Klimaschutz. Sie wünschen sich eine neue Normalität mit weniger Freiheit. Meine Antwort auf diese Zweifel lautet: Es darf keine neue Normalität ohne Freiheit geben. Wenn es Beschränkungen gibt, die heute nötig, aber morgen unbegründet sind, dann müssen sie in Zukunft fallen. Dieses Versprechen möchte ich hier abgeben.
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Die Freiheit des Einzelnen steht auch nicht im Widerspruch zum gesellschaftlichen Fortschritt, sondern macht ihn oft erst möglich. Die Pandemie hat es doch gezeigt: Die besten Impfstoffe der Welt sind unter Bedingungen der Freiheit von Forschung, Wissenschaft und Unternehmertum entstanden. Freiheit und Fortschritt gehören untrennbar zusammen, meine Damen und Herren.
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Freiheit ist aber nicht Anarchie. Das Zusammenleben von Menschen braucht Regeln. Freiheitlich sind diese Regeln dann, wenn sie die Herausforderungen des Miteinanders lösen und dem einzelnen Menschen die Räume der Privatheit und auch der Selbstentfaltung lassen. Freiheit ist nicht Abwesenheit von Recht; das Recht eröffnet oft überhaupt erst Möglichkeiten zur Freiheit. Dafür aber muss es durchgesetzt werden. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle nicht nur bei den vielen Beamtinnen und Beamten auf den Straßen bedanken, die dies gewährleisten, sondern auch bei den Richterinnen und Richtern, die in den letzten Wochen manch komische Häme über sich haben ergehen lassen müssen. Wir danken ihnen für ihren wertvollen Dienst!
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Das sind die Prinzipien, die die Rechtspolitik der neuen Bundesregierung leiten werden. Was das konkret bedeutet, kann ich angesichts meiner kurzen Redezeit natürlich nur anreißen. Ich möchte ein paar Beispiele herausgreifen:
Wir werden die Bürgerrechte stärken und so für eine neue Balance von Sicherheit und Freiheit sorgen.
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Das gilt beispielhaft für die Vorratsdatenspeicherung, einen millionenfachen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Wir haben hier heute eine absurde Situation: Die Vorratsdatenspeicherung steht formal im Gesetz, Gerichte haben sie aber gestoppt. Sie findet kaum Anwendung, weil die Bundesnetzagentur sie nicht durchsetzt. Die Vorratsdatenspeicherung trägt also kaum etwas zur Sicherheit bei. Diese absurde Situation werden wir politisch beenden. Die Vorratsdatenspeicherung wird gestrichen. Stattdessen geben wir den Ermittlungsbehörden das Quick-Freeze-Instrument in die Hand. Das heißt, wenn es einen Anlass gibt, also den Verdacht eines schweren Verbrechens, dann ordnet ein Richter die Speicherung von Telekommunikationsdaten an, und Ermittler können sie dann auswerten. Das ist rechtsstaatlich sauber und grundrechtsschonend. Das bedeutet Fortschritt für Freiheit und Sicherheit zugleich, meine Damen und Herren.
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Ein weiteres Feld, das ich benennen möchte, ist die Gesellschaftspolitik. Da kann ich an die Ausführungen des Kollegen Hartmann anknüpfen. Wir leben in einer Gesellschaft, die älter ist. Wir leben in einer Gesellschaft, die mobiler ist. Eltern und erwachsene Kinder leben häufig weit voneinander entfernt. In dieser Situation stehen sich Menschen auch außerhalb klassischer Familienbeziehungen bei: Ältere Menschen bilden Wohngemeinschaften, weil sie nicht ins Heim wollen. Alleinerziehende helfen sich bei der Kindererziehung, weil sie berufstätig bleiben wollen. – Diese Menschen leben Verantwortung füreinander. Sie wollen aber nicht Tisch und Bett teilen, sondern vielleicht nur den Tisch. Sie wollen eine andere Art der Wahlverwandtschaft als die Ehe oder die Adoption. Diesen Menschen werden wir mit dem neuen Institut der Verantwortungsgemeinschaft ein Stück rechtliche Sicherheit und Vereinfachung ihres Lebens ermöglichen. Das nimmt niemandem etwas weg, sondern macht es vielen etwas leichter.
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Meine Damen und Herren, wir werden auch das Strafrecht auf den Prüfstand stellen. Eines ist für mich heute schon klar: Wenn sich Frauen in einer schwierigen Lebenssituation sachliche Information aus dem Internet besorgen – so ist die Lebenswirklichkeit heute –, dann werden wir sachliche Information von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch nicht weiter unter Strafe stellen. § 219a wird fallen, meine Damen und Herren.
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Ich habe über Freiheit gesprochen, auch über Recht; es fehlt noch die Einigkeit zur Trias unserer Hymne. Einigkeit wird es hier im Haus nicht immer geben, und das ist auch gut so. Dies ist das Haus von Rede und Gegenrede. Und trotzdem würde ich mich sehr freuen, wenn auf dem Gebiet der Rechtspolitik vielleicht hin und wieder auch mal Mehrheiten zustande kommen, die nah an Einigkeit reichen. Dafür möchte ich die Hand reichen. Ich stehe für sachliche Debatten immer zur Verfügung.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
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Ganz herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesjustizminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen, lieber Herr Buschmann, heute zunächst einmal ganz herzlich zur Übernahme Ihres Amtes gratulieren. Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand bei Ihren Aufgaben.
Das, was das ganze Land seit Wochen und Monaten umtreibt, ist die Pandemiebewältigung und hier die Frage der Impfpflicht, aber von Ihnen als mit dafür zuständigem Justizminister ist hier heute nichts dazu zu hören. Das ist, ehrlich gesagt, enttäuschend, auch wenn Sie auf Ihre geringe Redezeit verweisen. Andere Schwerpunktsetzungen, die Sie heute vorgenommen haben, zum Beispiel die Verantwortungsgemeinschaft oder auch die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung, kann ich so nicht nachvollziehen. Ich kann viele Ihrer Inhalte so nicht teilen und komme später noch darauf zurück.
Unser Land befindet sich aber mitten in einer Pandemie. Wir haben heute bei den Neuinfektionen erstmals das Erreichen der Schallgrenze von 80 000 pro Tag erleben müssen; der höchste zuvor gemessene Wert lag hier bei 65 000. Die epidemische Lage ist also noch nicht vorbei. Wir sind mittendrin, und Sie spielen auf Zeit.
Ihr Haus ist zum Beispiel mit federführend verantwortlich für die Frage der Einführung oder auch Nichteinführung, des Ob und Wie eines Impfregisters. Fachleute aus dem medizinischen, ethischen und rechtlichen Bereich sagen ganz klar, dass wir sowohl für diese Krise als auch für künftige Krisen ein solches Register bräuchten, und selbst der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung sagt, dass das möglich ist. Ihr Hinweis ist, dass das Jahre dauern würde; das, muss ich sagen, genügt mir an dieser Stelle nicht. Ich weiß auch nicht, warum man da nicht schneller sein kann, gerade wenn man doch vorhandene Daten nutzen kann und auf der anderen Seite genau weiß, dass uns der Coronavirus noch Jahre beschäftigen wird. Kein Wort von Ihnen dazu!
Ebenfalls auf Zeit spielt die Bundesregierung bei der Impfpflicht. Bundeskanzler Scholz hatte im November und Dezember eine Orientierungsdebatte für die erste Sitzungswoche angekündigt; das hat er nicht umgesetzt. Er hat sich für die Einführung einer Impfpflicht zum März ausgesprochen; das sieht eher schlecht aus. Immerhin haben wir heute in der Regierungsbefragung gehört, was er sich als Abgeordneter vorstellt: alle ab 18.
Und jetzt zur Rechtspolitik: keine großen Strukturen, alles auf niedrigerem Niveau. Herr Buschmann, zum ersten Punkt – alle ab 18 – habe ich zumindest gemäß der Presse anderes von Ihnen vernommen. Aber zumindest beim zweiten Punkt, den großen Strukturen, sind Sie, nachdem Sie vorhin von Freiheit, aber auch von der Durchsetzung des Rechts gesprochen haben, mit mir sicher einer Meinung: Wenn man dieses Instrumentarium einführt, dann muss man auch den Anspruch haben, es durchzusetzen. Und da bin ich gespannt, welche Vorschläge von Ihrem Haus kommen.
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Fakt ist, dass die Bundesregierung in dieser Frage überhaupt keine einheitliche Linie hat. Sie legt keinen Gesetzentwurf vor. Stattdessen flüchtet sie sich in Gruppenanträge des Parlamentes und erklärt die Frage zur reinen Gewissensfrage. Vor dieser Debatte heute habe ich mich gefragt: Wo ist eigentlich der Unterschied zur Masernimpfpflicht, die wir 2020 eingeführt haben?
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Und wo ist eigentlich der Unterschied zu der Teilimpfpflicht bei Pflegeberufen, die Sie mit dem Gesetz ganz zügig eingeführt haben? Die Antwort haben wir heute ja vernommen. Herr Scholz ist der Auffassung: Es geht jetzt, bei der erweiterten Frage der Impfpflicht, um den Körper. – Ging es um den vorher nicht?
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Doch, um den geht es immer. – Die Richtung ändert sich. – Ja, aber die Richtung hat sich auch bei den Pflegeberufen geändert. – Außerdem seien mehr Menschen betroffen. Sorry, aber auch bei der Masernimpfpflicht sind sehr viele Menschen betroffen.
Tatsache ist – die Antwort haben wir hier heute ganz klar bekommen –: Sie sind sich nicht einig. Sie wissen nicht, was Sie machen sollen. Sie haben keinen Plan. Deswegen flüchten Sie sich in Gruppenanträge und erklären das zur reinen Gewissensfrage. Aber das ist eine politische Frage. Sie sind verdammt noch mal in der Pflicht, hier einen Plan vorzulegen, Entscheidungsgrundlagen zu liefern, zu regieren und Verantwortung zu übernehmen. Tun Sie das endlich!
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Wenn wir schon beim Regieren sind: Lieber Herr Buschmann, wann sorgen Sie eigentlich endlich für die Rechtssicherheit für Apotheker? Apothekerinnen und Apotheker wissen nicht, was sie mit gefälschten Impfausweisen machen sollen. Wenn sie dies anzeigen, laufen sie am Ende noch Gefahr, ein rechtliches Problem zu bekommen. Wir haben Ende November einen Vorschlag dazu vorgelegt. Sie haben ihn abgelehnt und bis jetzt keinen eigenen Vorschlag vorgelegt. Regierungshandeln sieht anders aus. Da müssen Sie schneller werden.
Stattdessen forcieren Sie Gesetzesänderungen, die bzw. deren Eilbedürftigkeit ich nicht nachvollziehen kann. Ich will Ihnen drei nennen – der Kollege Krings wird noch auf Weiteres eingehen –: Erstens. Sie wollen das Gesetz zur Wiederaufnahme kassieren. Zweitens. Sie wollen die Vorratsdatenspeicherung abschaffen; das haben Sie heute erwähnt. Drittens. Sie wollen eine, wie Sie es nennen, historische Reform im Familienrecht auf den Weg bringen. Zu den drei Punkten sage ich Ihnen Folgendes:
Erstens. Ihre erste Amtshandlung soll es also sein, das Gesetz zur Wiederaufnahme überprüfen zu lassen. Mit diesem Gesetz, das kurz vor Neujahr verkündet wurde, können in absoluten Extremfällen von Mord und Völkermord Verfahren neu aufgerollt werden, wenn nachträgliche Beweise deutlich für die Täterschaft eines zuvor Freigesprochenen sprechen. Gerade für Hinterbliebene von Opfern bei Mord und Völkermord ist das ein Signal der Gerechtigkeit. Verfassungsexperten haben das Gesetz geprüft, die SPD hat es mitgetragen, der Bundespräsident hat es ausgefertigt und damit als verfassungsgemäß befunden, und Ihr vorrangigstes Anliegen ist es, das möglicherweise wieder abzuschaffen. Das, Herr Buschmann, kann ich nicht nachvollziehen.
Zweitens. Ganz spannend waren Ihre Ausführungen zur Vorratsdatenspeicherung. Vielleicht unterhalten Sie sich mal mit Ermittlern im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Für die Ermittler wäre die Vorratsdatenspeicherung eines der zentralen Mittel im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Tausende Fälle von Kindesmissbrauch können nicht verfolgt werden, weil Daten gelöscht sind. Allein im Jahr 2017 betraf das 8 400 Hinweise. Dieses Instrument wollen Sie abschaffen. Ich frage Sie ganz klar: Ist Ihnen der Kampf gegen Kindesmissbrauch nicht wichtig genug? Geht Ihnen Datenschutz vor Kampf gegen Kindesmissbrauch?
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– Dann legen Sie etwas Verfassungsgemäßes vor! Darauf lasse ich mich jetzt nicht ein.
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Drittens. Die angekündigte Familienrechtsreform haben Sie, lieber Herr Buschmann, als vermutlich größte familienrechtliche Reform der letzten Jahrzehnte bezeichnet. Sie und die gesamte Ampelkoalition suggerieren hier gegenüber der Bevölkerung einen riesigen Handlungsbedarf.
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Ich sehe da als Fachanwältin für Familienrecht weder Handlungsbedarf noch Reformstau und schon gar keinen historischen Handlungsbedarf. Was Sie mit der sogenannten Verantwortungsgemeinschaft wollen, weiß man, wenn man den FDP-Antrag dazu aus der letzten Wahlperiode genau liest: Das soll so etwas sein wie eheähnliche Privilegien, aber ohne eheähnliche Bindung, für zwei oder mehr Menschen – die Anzahl ist nach oben unbegrenzt –, die sich in irgendeiner Weise verbunden fühlen, damit man – das wurde als Beispiel genannt – Auskünfte im Krankheitsfall bekommt oder im Todesfall der Mietvertrag übernommen werden kann; das geht bis hin zu Themen wie Unterhalts- und Zugewinnausgleichsansprüche. Ersteres kann man schon jetzt regeln. Das Zweite sehe ich für eine eheähnliche Bindung in einer Verantwortungsgemeinschaft von Personen, die kein enges, persönliches Näheverhältnis haben, schon als sehr kritisch an. Und im Ganzen sehe ich darin überhaupt keinen Mehrwert für unsere Gesellschaft. Viel gravierender ist das eigentliche Ziel, das Sie im Blick haben – sagen Sie es doch deutlich; man muss ja nur den Koalitionsvertrag lesen, in dem Ehe und Familie quasi gar nicht auftauchen –: Sie schwächen mit einem solchen Institut Ehe und Familie, die Keimzelle unserer Gesellschaft.
Ihre Pläne dazu gehen noch weiter. Ich nenne ein weiteres Beispiel: Sie wollen mehr als zwei Elternteile im Abstammungs- und Sorgerecht zulassen. Ich sage Ihnen auch aus meiner praktischen Tätigkeit ganz ehrlich: Wenn sich Eltern trennen, reichen schon die Streitereien bei zweien. Wir brauchen nicht noch mehr Personen, die sich über das Sorge- und Umgangsrecht oder auch den Unterhalt streiten. Das Ganze braucht wirklich kein Mensch.
Zu guter Letzt lässt sich eines festhalten: Ihre angekündigte historische Familienrechtsreform – ich empfehle jedem, mal genau in das Programm der Ampel zu gucken – ist keine Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel, sondern eine rein ideologisch motivierte Umerziehung unserer Gesellschaft.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, schwächt die Institution von Ehe und Familie und steht nicht im Einklang mit unserer Verfassung.
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Die Union wird da ein Auge drauf haben; das kann ich Ihnen versprechen.
Am Ende eines: Kümmern Sie sich um die drängenden Probleme in unserem Land – das ist aktuell die Pandemie –, und verschonen Sie uns mit gesellschaftspolitischen Experimenten!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Dirk Wiese.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Bundesminister der Justiz, Herr Dr. Buschmann, ich glaube – das haben Sie ja auch in Ihrer Rede ausgeführt –, dass dieser Ampelkoalitionsvertrag gerade in der Rechtspolitik Fortschritt möglich macht.
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Es ist unser gemeinsames Ziel, diesen Fortschritt, der sich im Koalitionsvertrag wiederfindet, gemeinsam voranzubringen. Sie haben das angesprochen, Sie haben es betont und sich an alle demokratischen Kräfte in diesem Haus gerichtet, das gemeinsam in einigen Punkten in dieser Legislaturperiode möglich zu machen. „Gemeinsam“ heißt aber nicht, dass man die möglicherweise in diesem Jahr ausfallende Rede am politischen Aschermittwoch im Bierzelt schon heute hält.
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Ich glaube, das ist dieser Debatte sicherlich nicht angemessen. Das zeigt ehrlich – vielleicht hier ein Rückblick auf die letzte Legislaturperiode, bei dem ich der früheren Bundesjustizministerin Christine Lambrecht noch mal Danke sagen will –, dass es gut ist, dass der beschwerliche Rucksack des Rückschritts, der bei einigen rechtspolitischen Themen sicherlich da war, uns jetzt nicht mehr in die Quere kommt.
Wir haben einiges in dieser Legislaturperiode vor. Ich will aber auch sagen, dass wir schon einiges vorangebracht haben. Wir haben eine nicht einfache Debatte zum Infektionsschutzgesetz gehabt. Das war nicht leicht; das war schwierig. Aber – das will ich noch mal sagen – dieser Instrumentenkasten, den wir als Ampel mit dem Infektionsschutzgesetz auf den Weg gebracht haben, war richtig; er hat gewirkt. Und es war richtig, die wesentlichen Entscheidungen in dieser Pandemie in den Deutschen Bundestag zurückzuholen; dazu stehe ich auch.
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Das war eine gute Reform. Das war nicht einfach; aber in dem Punkt haben wir gezeigt, dass die Zusammenarbeit hervorragend funktioniert.
Und ja, wir werden uns als Deutscher Bundestag der Debatte über eine Impfpflicht auf Basis von Gruppenanträgen stellen, zunächst in einer Orientierungsdebatte und dann im fortlaufenden Prozess. Das sind letztendlich keine Fragen, die man von heute auf morgen klären kann. Darum, glaube ich, ist es wichtig – das haben wir auch gesagt –, in dieser Debatte Gründlichkeit walten zu lassen. Wir wollen eine gründliche Debatte; wir wollen eine breite gesellschaftliche Diskussion hierüber möglich machen. Ich will das auch gerne an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU richten. Wir laden Sie ein, sich konstruktiv in die Erstellung der Gruppenanträge einzubringen. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Diskussion.
Ich war in den letzten Tagen etwas irritiert. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz fiel die Entscheidung der Ministerpräsidenten für eine allgemeine Impfpflicht 16 : 0 aus. Im Gegensatz zu Ihnen waren Ihre Ministerpräsidenten sehr klar an dieser Stelle. Ich habe gestern Morgen vernommen, dass ein Antrag aus Ihren Reihen im ersten Ticker angekündigt worden ist; der wurde mittags wieder eingefangen. Von Friedrich Merz habe ich noch gar keine Stellungnahme dazu vernommen. Ich kann nur eines sagen: Sortieren Sie sich!
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Kommen Sie in der Opposition an, aber bringen Sie sich in die Erarbeitung von Gruppenanträgen konstruktiv ein! Alles andere ist der Debatte nicht würdig.
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Ich begrüße ausdrücklich, dass es mit diesem Koalitionsvertrag, gerade auch mit der angekündigten Familienrechtsreform, im Bereich der Gesellschaftspolitik endlich dazu kommt, dass gesellschaftliche Vielfalt in diesem Land anerkannt wird,
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dass sich gesellschaftliche Vielfalt endlich kodifiziert in Recht und Gesetz wiederfindet. Da haben wir einiges auf der Tagesordnung: die Mitmutterschaft, die Reform des Transsexuellengesetzes, die Streichung des § 219a, aber auch die Verantwortungsgemeinschaft. Und ich finde es, Frau Lindholz, herablassend, wie Sie darauf reagiert haben.
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Dass Menschen in diesem Land füreinander Verantwortung übernehmen, auch wenn sie sich nicht vor den Traualter begeben – das kann sein, etwa weil sie im Alter in einer Senioren-WG zusammenleben und gesellschaftliche und auch rechtliche Verantwortung übernehmen wollen –, so herablassend herabzuwürdigen, wie Sie das machen, wird der gesellschaftlichen Vielfalt in unserem Land nicht gerecht. Das sage ich hier und heute in der Debatte sehr deutlich.
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Ich halte es auch für wichtig, dass wir den Pakt für den Rechtsstaat fortsetzen. Wir müssen die Justiz weiter stärken. Wenn wir diese Woche hören, dass fast 150 000 Ermittlungen pro Jahr im Bereich „Hass und Hetze“ auf uns zukommen werden, dann müssen wir die Justizbehörden stärken. Wir müssen die Justiz auch digital für die kommenden Jahre vorbereiten. Ein im Bereich der Justiz handlungsfähiger Staat ist entscheidend. Da, glaube ich, haben wir die richtigen Schlüsse gezogen, mit dem Pakt für den Rechtsstaat 2.0 fortzusetzen, was wir auf den Weg gebracht haben. Hier werden wir ansetzen.
Des Weiteren stelle ich, wenn ich den Kollegen Till Steffen und den Kollegen Konstantin Kuhle sehe, fest: Auch im Bereich der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung haben wir einiges voranzubringen. Wir haben das bereits sehr konstruktiv in den Koalitionsverhandlungen diskutiert und niedergeschrieben; das war ein sehr guter Prozess. Auch hier werden wir einiges voranbringen, gerade was den Bereich der Infrastruktur angeht. Hier ist einiges möglich, und da spielt, glaube ich, auch die Rechtspolitik eine wichtige Rolle.
Das wird ebenso sein im Bereich des Mieterschutzes. Auch hier ist, glaube ich, einiges zu tun. Wir haben einiges im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, um gewissen Sorgen und Nöten gerade auch aufgrund der steigenden Mieten gerecht zu werden.
Ich will deutlich sagen und komme damit zum Abschluss, dass ein weiterer wichtiger Punkt im Koalitionsvertrag für uns sehr bedeutsam ist – das ist etwas, was, glaube ich, auch der gesellschaftlichen Realität Rechnung trägt –: Wir müssen im Jahr 2022 endlich die Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben.
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Es kann aus meiner Sicht nicht sein, dass die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz bisher immer gescheitert ist, dass es nicht vorangegangen ist. Auch hier der Appell an die Kolleginnen und Kollegen auch der CDU/CSU: Springen Sie hier über Ihren Schatten! Sehen Sie es ein: Kinder haben auch Rechte in diesem Land. Kinderrechte im Grundgesetz sind ein wichtiges Zeichen. Das wollen wir gemeinsam voranbringen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wiese. – Für die AfD-Fraktion hat jetzt der Kollege Thomas Seitz für vier Minuten das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Eine Justizdebatte muss primär die Frage nach der Freiheit stellen, ganz besonders, wenn das Ministerium einer selbsternannten liberalen, viel von Freiheit schwadronierenden Partei untersteht, die sich in Wahrheit aber längst durch und durch dem Staat, also dem kältesten aller kalten Ungeheuer, verschrieben hat. Auch in einem Rechtsstaat geht die größte Bedrohung der Freiheit der Bürger immer vom Staat aus, damit auch vom Justizminister.
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Die „Freiheitsthemen“ der letzten Wochen waren die Versammlungsfreiheit, die Diskriminierung Ungeimpfter und Impfpflichten.
Versammlungsfreiheit ist immer Minderheitenschutz; denn die Mehrheit kann ihre Anliegen auch ohne Versammlungsfreiheit artikulieren. Aber wie ist es um die Versammlungsfreiheit bestellt, wenn eine Abgeordnete der Grünen wie Saskia Weishaupt auf Twitter ernsthaft den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray gegen friedliche Abweichler von der öffentlichen Doktrin fordert? Und warum hat der Justizminister sich nicht von dieser Äußerung distanziert und die Kollegin zum Rücktritt vom Mandat aufgefordert?
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Die Bürger, die aktuell ihren Protest gegen Impfpflichten kundtun, können dies nicht ohne Angst vor Repressalien tun. In Baden-Württemberg zum Beispiel werden Allgemeinverfügungen erlassen, die über Wochen alle „Spaziergänge“ pauschal verbieten und kriminalisieren. Ein Blick ins Gesetz zeigt die Problematik: Die Untersagung von Versammlungen ist nach Beendigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, also seit November 2021, nach dem IfSG ausgeschlossen. Diese generellen Vorabverbote mit Androhung unmittelbaren Zwangs sind evident unverhältnismäßig. Vor allem aber ist offensichtlich, dass friedliche Spaziergänger keine Gefahr für unseren Rechtsstaat darstellen. Selbst wenn ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorliegt, wäre die Auflösung eines friedlichen Spaziergangs unverhältnismäßig, vor allem, weil im Freien gerade keine relevante Ansteckungsgefahr besteht.
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Ich sage es ganz deutlich: Diese Spaziergänger verteidigen den Rechtsstaat, und ihre Kriminalisierung ist Unrecht!
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Diese Bürger verteidigen den Rechtsstaat gegen eine Regierung, der das Grundgesetz – die rote Linie für jedes staatliche Handeln, nach ausdrücklicher Ansage des Kanzlers – egal ist, und gegen einen Justizminister, der vor allem herumlaviert, weil er eigentlich gerne eine Impfpflicht einführen würde, aber vor den Konsequenzen des Bruchs eines zentralen Wahlversprechens zurückschreckt. Solange nicht zwangsgeimpft werden kann, ist das Mittel der Wahl die Diskriminierung aller, die sich nicht oder eben kein zweites, drittes, viertes oder wievieltes Mal impfen lassen wollen.
Die gestern erlassenen faschistoiden Maßnahmen der Präsidentin,
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mit denen Abgeordnetenrechte in einer seit Langem nicht mehr gekannten Weise beschränkt werden, sind eine Schande.
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, bei unserer parlamentarischen Sprache zu bleiben. Ich glaube, dass Sie nicht so geschichtsvergessen sind, dass Sie die Maßnahmen, die wir heute ergreifen, mit einer sehr dunklen Zeit dieses Landes vergleichen.
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Ich sprach von „faschistoid“ und habe nichts verglichen.
Aber ich als Abgeordneter habe es trotzdem relativ einfach im Vergleich zu den normalen Menschen, die gesellschaftlich geächtet und vom sozialen Leben ausgeschlossen werden, im Vergleich zu jungen Menschen, deren Studium oder Berufsausbildung faktisch unmöglich gemacht wird, im Vergleich zu Arbeitnehmern im Gesundheits- oder Pflegesektor, die trotz des bestehenden Personalmangels durch die verabschiedete besondere Impfpflicht aktuell in Scharen aus ihrem Beruf gedrängt werden.
Schon vor Wochen hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz, nach dem Grundgesetz der Träger der Richtlinienkompetenz, auf eine Impfpflicht für alle festgelegt und ihre Einführung für Ende Februar, Anfang März angekündigt. So einfach, wie gedacht, läuft es aber nicht. Denn zu offensichtlich ist, dass eine Impfpflicht – –
Kommen Sie bitte langsam zum Schluss.
Ich bitte um Nachsicht; ich habe hier keine Uhr.
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Aber Ihre Redezeit ist jetzt abgelaufen, und das sage ich Ihnen gerade. Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Einen letzten Satz!
Ja. – Zu offensichtlich ist es, dass eine Impfpflicht unverhältnismäßig und verfassungswidrig ist. Scheitert die Impfpflicht, scheitert Olaf Scholz. Aber kommt die Impfpflicht, scheitert der Justizminister, jedenfalls dann, wenn er sein Amt als Vertreter der Freiheit versteht und nicht als Erfüllungsknecht.
Vielen Dank.
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Das war der Abgeordnete Seitz. – Jetzt bekommt das Wort zu seiner ersten Rede der Abgeordnete Helge Limburg von Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Seitz, der einzige Beitrag zur Rechtspolitik, den ich in Ihrer Rede erkannt habe, war der, dass Sie eine Parallele aufgezeigt haben zwischen einem Gerichtssaal und dem Plenarsaal, nämlich die, dass jede noch so abseitige Meinung irgendwie vorgetragen werden darf, aber gleichzeitig diejenigen, die versuchen, mangelnde inhaltliche Substanz durch Lautstärke und Frechheit zu ersetzen, am Ende eben nicht recht bekommen.
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Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Dingen, die unser solidarisches Zusammenleben sichern – der Justizminister hat es gleich eingangs gesagt –, gehört natürlich auch das Recht. Es gehört zum Fundament unserer freiheitlichen Demokratie. Eine Demokratie ohne Rechtsstaat ist wenig wert. Beides gehört zusammen.
In öffentlichen Debatten ist immer wieder einmal von der vollen Härte des Rechtsstaates die Rede. Die ist sicherlich auch manchmal notwendig. Aber der Begriff des Rechtsstaates entstand ursprünglich in Abgrenzung zu absoluten Monarchien und ähnlichen Regierungsformen. Das Recht begrenzt gerade die Macht des Staates, in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen.
Deshalb wird es auch ein Zeichen der Stärke des Rechtsstaates sein, wenn diese Ampelkoalition endlich die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Überwachungsgesamtrechnung vornehmen wird; der Justizminister, Kollege Emmerich und andere haben es schon angesprochen. Die zahlreichen Eingriffe, die die Sicherheitsgesetze in den vergangenen Jahren ermöglicht haben, werden dann endlich auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt werden,
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und die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, Frau Lindholz, wird dann nicht nur formalrechtlich, sondern auch tatsächlich der Vergangenheit angehören und durch grundrechtsschonende Verfahren wie Quick Freeze ersetzt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stärkt auch den Rechtsstaat, wenn wir das Strafrecht von Ballast befreien und auf seinen Kern begrenzen. Im Strafrecht stehen in der Regel der Täter und die Tat im Mittelpunkt. Trotz Verbesserungen in den letzten Jahren gibt es aber vor allem im Bereich der Unterstützung der Opfer weiterhin Verbesserungsbedarf. Diese Ampelkoalition wird Lücken im Opferentschädigungsrecht endlich schließen. An dieser Stelle möchte ich gerne dem Kollegen Pascal Kober ganz herzlich zu seiner neuen Aufgabe als Beauftragter für Opferschutz gratulieren. Ich wünsche Ihnen eine gute Hand, Herr Kollege!
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Besonders schlimm ist es – das haben Sie zu Recht angesprochen –, wenn Kinder Opfer von Straftaten werden. Diese Koalition wird den Kampf gegen Kindesmissbrauch verstärken durch Verfahren wie Quick Freeze, durch eine verbesserte Zusammenarbeit der Behörden und vor allem auch dadurch, dass wir sicherstellen werden, dass die Justiz an allen Stellen kindgerecht und sensibel agiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, „Schuld, die nicht vergeht“ lautet der Titel des lesenswerten Buches von Kurt Schrimm, dem früheren Leiter der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. Weil diese Schuld nie vergeht – es laufen noch NS-Verfahren –, werden wir im Einvernehmen mit allen Landesjustizministerinnen und ‑ministern die Zentrale Stelle zu einer Dokumentationsstelle umwandeln.
Die AfD und ihr Umfeld haben ausdrücklich erklärt, auf die Wehrmacht stolz sein zu wollen. Wir – da weiß ich die Union und Die Linke mit eingeschlossen – sind stolz auf die Arbeit der Juristinnen und Juristen, die es sich seit über 70 Jahren zur Aufgabe gemacht haben, die NS-Verbrechen juristisch zu ahnden, Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Auf diese Juristen wollen wir stolz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das Recht als Fundament unserer freiheitlichen Demokratie ist jedoch ebenso wenig statisch, wie es unsere Gesellschaft ist. Dort, wo Gesetze und Verordnungen nicht mehr angemessen sind, nicht mehr den Realitäten des menschlichen Zusammenlebens entsprechen, liebe Kollegin Lindholz, müssen wir sie anpassen. Das gilt, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, insbesondere im Familienrecht.
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Es hat in den letzten Jahren bereits bedeutende Änderungen gegeben, Frau Lindholz, etwa die Einführung der Ehe für alle – also für alle, die wollen, natürlich –,
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aber wichtige Dinge sind leider liegen geblieben, die diese Ampelkoalition nun entschlossen angehen wird.
Da ist in der Tat die Verantwortungsgemeinschaft. Es ist doch letztlich im Interesse von uns allen, im Interesse der Gesellschaft, wenn Menschen erklären: Wir wollen füreinander einstehen, wir wollen Verantwortung füreinander übernehmen,
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und wir wollen das auch rechtlich festlegen.
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Es ist doch im Interesse der Gesellschaft und stärkt Familien auch und gerade im Sinne des Grundgesetzes, wenn wir auch Patchworkfamilien rechtlich besser absichern, rechtlich besserstellen.
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Das Beste ist doch: All das nimmt wirklich niemandem etwas. Herr Buschmann, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das betont haben. Frau Lindholz, wovor haben Sie denn eigentlich Angst?
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Sie haben in Ihren Ausführungen nicht an einer Stelle darlegen können, wem eigentlich Schaden dadurch zugefügt werden könnte, dass wir als Fortschrittskoalition die Möglichkeiten im Familienrecht erweitern wollen.
Wir werden ebenfalls das Abstammungsrecht reformieren. Was für die rechtliche Vaterschaft gilt, muss auch für die rechtliche Mutterschaft gelten. Wer bei Geburt verheiratet ist, der muss rechtlich als Eltern gelten. Sie wissen, dass dazu ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht liegt. Gute Rechtspolitik wartet nicht immer auf Karlsruhe, wie es in der Vergangenheit viel zu oft der Fall war. Gute Rechtspolitik handelt!
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Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Rechtsstaat ist keine rein nationale Angelegenheit. Deshalb ist es ein zentrales Anliegen der Koalition, die europäische Zusammenarbeit im justiziellen Bereich zu stärken sowie Eurojust und die Europäische Staatsanwaltschaft stärker zu unterstützen. Wir wollen den Whistleblower-Schutz – eine EU-Richtlinie, die eigentlich Sie schon hätten umgesetzt haben müssen – endlich in deutsches Recht umsetzen. Wir werden den kollektiven Rechtsschutz ausbauen. Menschen müssen sich leichter als bislang zusammenschließen können, um gemeinsam ihre individuellen Rechte geltend zu machen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Alles auf Neustart – Rechtspolitik in der 20. Legislaturperiode“ war gestern der Titel einer Veranstaltung beim Deutschen Anwaltsverein, wo auch viele von uns waren. Ich finde, er ist sehr passend für die Vorhaben in der Rechtspolitik. Wie Sie sehen, gibt es in diesem Bereich sehr viel zu tun. Ich freue mich auf die Debatten im Rechtsausschuss und auf die rechtspolitischen Debatten hier im Plenum.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. – Als nächste Rednerin erhält für die Linke-Fraktion Amira Mohamed Ali das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Buschmann, Sie haben sich unter anderem vorgenommen, das Strafrecht auf seine Wirksamkeit zu überprüfen und systematisch zu überarbeiten. Das ist sehr sinnvoll; denn einige Paragrafen sind wirklich nicht mehr zeitgemäß.
Aber hier braucht es Taten statt bloßer Ankündigungen. Wir sehen aber leider, zum Beispiel bei der versprochenen Cannabislegalisierung, dass es an ebendiesen Taten fehlt; denn sie liegt auf Eis.
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Die Begründung ist: Die Bekämpfung der Coronapandemie hat jetzt Vorrang. – Aber gerade wegen der Coronapandemie wäre es doch jetzt besonders wichtig, die Behörden von unnötigen Verfahren und Ermittlungen – wie der Verfolgung von Cannabiskonsumenten – zu befreien. Darum: Handeln Sie hier!
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Die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden würden außerdem erheblich entlastet durch die Streichung eines zutiefst ungerechten und absolut überflüssigen Straftatbestandes, nämlich dem Fahren ohne Fahrschein in öffentlichen Verkehrsmitteln.
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Weil das in der Debatte immer wieder vermischt wird, noch einmal zur Klarstellung: Selbstverständlich soll das Fahren ohne Fahrschein nicht erlaubt werden; das ist Quatsch. Ich darf zum Beispiel auch nicht auf dem Parkplatz von meinem Nachbarn parken. Aber wenn ich das trotzdem mache, mache ich mich damit nicht strafbar. Aktuell ist es so, dass Menschen allen Ernstes im Gefängnis landen, wenn sie sich keinen Fahrschein und danach die Geldstrafe nicht leisten können. Das ist doch vollkommen unverhältnismäßig, Kolleginnen und Kollegen.
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Außerdem ist das zutiefst sozial ungerecht. Wer landet denn im Gefängnis? Diejenigen, die sich einfach kein Ticket gekauft haben, weil sie das vergessen haben oder das einfach nicht wollten? Natürlich nicht. Im Gefängnis landet ein Obdachloser, ein anderer armer Mensch, der einfach kein Geld für einen Fahrschein hatte. Die können sich nämlich erst recht nicht die Geldstrafe leisten, und dann landen sie per Ersatzfreiheitsstrafe im Knast. Klassenjustiz kann man das nennen.
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Für uns Linke ist ganz klar: Wir müssen Armut bekämpfen, statt arme Menschen zu kriminalisieren.
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Diese Klassenjustiz ist übrigens nicht nur ungerecht, sie ist auch teuer. Das hat das Portal FragDenStaat.de gemeinsam mit dem „ZDF Magazin Royale“ recherchiert. Jeder Tag, den jemand für Fahren ohne Fahrschein im Gefängnis sitzt, kostet den Steuerzahler bis zu 188 Euro. Darum: Beenden Sie endlich diesen Irrsinn, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Der nächste Punkt. Sie wollen die Justiz gemeinsam mit den Ländern ertüchtigen. Das klingt gut. Aber ein paar schicke Digitalisierungsprojekte allein werden das Problem der heillos überlasteten Justiz- und Ermittlungsbehörden nicht lösen. Den Ländern fehlt hier schlicht Personal. Und ja, für Personal sind die Länder zuständig; aber auch hier kann der Bund wichtige Weichen stellen, um die Länder zu entlasten, zum Beispiel beim Thema Geldwäsche. Wir wissen: Hier kommen die Behörden schon lange nicht mehr hinterher. Darum ist Deutschland inzwischen ein regelrechtes Geldwäscheparadies für Kriminelle aller Art geworden.
Die Geldwäsche geschieht dabei zum größten Teil über Immobiliengeschäfte. Um das zu verhindern, brauchen wir endlich ein Immobilienregister, damit es eben nicht mehr geht, dass Briefkastenfirmen, bei denen am Ende keiner mehr weiß, wer eigentlich dahintersteckt, ihr Geld in Immobiliengeschäften reinwaschen können. Außerdem muss es verboten werden, dass Immobilien in bar bezahlt werden können.
Die SPD war in der Vergangenheit immer dagegen und hat stattdessen auf Strafverschärfung gesetzt, was aber erkennbar keine Entlastung für die Behörden bringt. Ja, wie denn auch? Kolleginnen und Kollegen, hier ist ein Kurswechsel überfällig!
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Abschließend: Wir finden es wirklich sehr gut, dass Sie § 219a endlich aus dem Strafgesetzbuch streichen wollen, der es Ärztinnen und Ärzten verbietet, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Aber: Bitte setzen Sie das auch wirklich um!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Mohamed Ali. – Für die FDP-Fraktion erhält als Nächstes das Wort Katrin Helling-Plahr.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Sie haben nicht nur heute, sondern auch mit Ihrem Wirken in den ersten Wochen der Amtszeit eines unmissverständlich deutlich gemacht: Die Zeit für Veränderungen ist gekommen!
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In der Ampelkoalition werden Bürgerrechte wieder großgeschrieben. Wir stellen nicht alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht, wir verschärfen nicht einfach blind, sondern wir schauen sehr genau hin, welche Maßnahmen überhaupt effektiv und tatsächlich notwendig sind.
Und wir bleiben grundrechtsschonend. Deshalb erklären wir zum Beispiel der verfassungswidrigen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine endgültige Absage. Stattdessen schaffen wir mit dem Quick-Freeze-Verfahren ein wirksames Instrument, Frau Kollegin Lindholz,
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gerade auch im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern. Sie tönen hier, haben aber überhaupt nichts zuwege gebracht. Wir kümmern uns jetzt!
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Das, worüber Sie sich hier mokieren, nennt sich zeitgemäße Familienpolitik. Ich weiß nicht, wie oft ich hier in der vergangenen Wahlperiode gestanden habe und gerade im Familienrecht den ewigen Stillstand kritisiert habe. Mit dem Ende der Regierungszeit der Union gelingt es nun endlich, die Fesseln der Rückwärtsgewandtheit abzulegen.
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Liebe Kollegen von der Union, gehen Sie einmal raus und machen Sie die Augen auf! Sie klammern sich an gestern. Die Gesellschaft ist längst weiter. Freunde übernehmen im Alter Verantwortung füreinander, kümmern sich und wollen füreinander einstehen.
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Unter anderem hilft ihnen das neue Rechtsinstitut der Verantwortungsgemeinschaft, und niemandem wird etwas genommen.
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Kinder werden in lesbische Ehen hineingeboren, und beide Frauen möchten mit Einverständnis des Vaters rechtlich eine Elternstellung übernehmen. Das Kind wird von vornherein in rechtssichere Verhältnisse geboren. Wo ist das Problem?
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Väter übernehmen immer mehr Erziehungsverantwortung für ihre Kinder. Kinder brauchen beide Eltern; das muss unser Familienrecht auch spiegeln. Ich freue mich deshalb wahnsinnig auf die größte Familienrechtsreform der letzten Jahrzehnte, die der Minister angekündigt hat; denn sie wird vielen Menschen tatsächlich in ihrer Lebensrealität helfen.
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Aber auch sonst tun wir, was lange überfällig ist: Ich bin unfassbar dankbar, dass der unsägliche § 219a Strafgesetzbuch nun ersatzlos gestrichen wird und der Minister dieses Projekt auch schon angegangen ist. Insofern: Seien Sie von der Linksfraktion unbesorgt! – Es ist unerträglich, dass sich Ärzte, die sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren, auch im Netz, im Jahr 2022 immer noch dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt sehen.
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Frauen in solchen Extremsituationen brauchen die Möglichkeit, sich umfassend informieren zu können. Also, liebe Oppositionsfraktionen: Weniger nach hinten blicken, mehr Fortschritt wagen, die Stagnation ist vorbei. Hier weht jetzt frischer Wind.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Dr. Günter Krings.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal meine herzlichen Glückwünsche an den Bundesjustizminister! Sie haben eines der schönsten Ressorts der Bundesregierung, und man hat es einem klugen Rechtspolitiker anvertraut. Aber – die Pointe, mit der haben Sie gerechnet – auch ein kluger Kopf in einem wichtigen Ressort garantiert noch nicht zwingend eine kluge Politik.
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In diesem Sinne freue ich mich auf kritisch-konstruktive Debatten in den nächsten Jahren.
Die ersten Blinksignale der Ampel zeigen, dass es schon heute mehr Anlass für Kritik gibt, als es selbst meine gar nicht so kurze Redezeit zulässt. Im Titel des Koalitionsvertrags ist von Fortschritt, Freiheit, Gerechtigkeit die Rede. In der Rechtspolitik der Ampel sehen wir bislang aber weder Fortschritt noch Gerechtigkeit, sondern vor allem den Versuch eines gesellschaftlichen Umbaus aufgrund eines aus meiner Sicht falschen Freiheitsverständnisses. Wir sehen einen leichtfertigen Umgang mit unserem Grundgesetz, auch aufgrund unausgegorener Änderungsvorschläge. In Artikel 3 Absatz 3 soll der Begriff „Rasse“ ersetzt werden. Das mag ein gut gemeintes Vorhaben sein; aber wir wissen: Das Gegenteil von gut gemeint ist häufig gut. Die implizite – nicht gewollte – Unterstellung, die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes oder andere Autoren aktueller Rechtstexte hätten einem rassistischen Denken angehangen, ist jedenfalls absurd.
Dann schlagen Sie die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz vor. Hier schwebt Ihnen in der Ampel offenbar etwas ganz anderes vor als der Vorschlag, auf den sich die Große Koalition in der letzten Wahlperiode bereits geeinigt hatte; denn sonst hätten Sie von FDP und Grünen dem zustimmen können. Der damalige Vorschlag hatte den Charme, dass er Elternrechte nicht verkürzt; denn wir meinen, dass in aller Regel Kinderinteressen am besten mit und nicht gegen ihre Eltern durchgesetzt werden können.
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Die Ampelregierung plant hingegen einen Angriff auf das Erziehungsrecht der Eltern. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz den sehnlichen Wunsch hat, die – ich zitiere – „Lufthoheit über den Kinderbetten“ zu erringen, wissen wir schon seit 2002. Dass bei diesem Eindringen des Staates in die Familie aber auch Liberale mitmachen, ist für mich in der Tat eine neue Erkenntnis.
Meine Damen und Herren, was mich an dieser Debatte aber am meisten ärgert, ist, dass Sie sich den Schutz von Kindern in der Gesellschaft richtigerweise auf die Fahnen schreiben, aber dann an den eigentlichen Problemen der Kinder vorbeimarschieren. Nicht im Grundgesetz gibt es etwas für die Kinder zu tun, sondern vor allem im Gesetzesrecht. Jahr für Jahr gibt es Tausende Fälle von Kinderpornografie – Frau Kollegin Lindholz hat darauf hingewiesen –, die nicht aufgeklärt werden können, weil Verbindungsdaten nicht gespeichert wurden; 2020 waren es alleine 2 600 Fälle. Den Kindern, die drohen Opfer solcher grässlicher Straftaten zu werden, helfen keine Kinderrechte im Grundgesetz, sondern nur konsequente Strafgesetze.
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Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Selbstverständlich, Kollege Höferlin, ich habe zwar schon eine lange Redezeit, aber eine Frage können wir machen.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Krings, da Sie noch einmal auf die Vorratsdatenspeicherung zu sprechen kommen und da Sie als Union 16 Jahre lang die Regierung gestellt haben, frage ich Sie einfach: Warum haben Sie es in diesen 16 Jahren nicht geschafft, eine verfassungsgemäße und verfassungsfeste Version einer Vorratsdatenspeicherung ins Gesetzblatt zu schreiben? Und sind Sie nicht auch der Meinung, dass den Kindern und den Kinderrechten viel mehr geholfen ist, wenn die Fortschrittskoalition mit Quick Freeze jetzt einen verfassungsgemäßen Vorschlag auf den Weg bringt, statt – wie von Ihnen 16 Jahre praktiziert – eine Lösung vorzuschlagen und ins Gesetzblatt zu schreiben, die kurz darauf von allen Gerichten – von einfachen Gerichten bis zum Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof – als verfassungswidrig erachtet wird? Was ist denn da die bessere Lösung?
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Vielen Dank Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage, die mir noch einmal Gelegenheit gibt, einiges etwas ausführlicher klarzustellen. Ich sage zunächst: Es gibt hier noch anhängige Verfahren, europarechtlich, verfassungsrechtlich. Insofern würde ich immer sehr vorsichtig sein mit einer Voreiligkeit, dass wir generell keine verfassungskonforme Lösung auf dieser Basis finden. – Erster Punkt.
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Zweiter Punkt: Quick Freeze. Das muss man sich so vorstellen: Sie kommen heute Abend nach Hause, stellen sicher, dass Ihre Tiefkühltruhe besonders scharfgestellt und heruntergekühlt ist, wenn aber nichts drin ist, dann bringt Ihnen das gar nichts, und dann werden Sie auch nicht satt. Das ist bei den Daten genauso: Wenn Sie keine Daten haben, weil Sie erst auf den Anlass warten und dann aber ermitteln müssen, bringt Ihnen Quick Freeze leider gar nichts. Das mag verfassungskonform sein; aber es ist vollkommen unwirksam.
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In den 16 Jahren haben wir auch vier Jahre gemeinsam regiert, mit einer FDP-Justizministerin.
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Der letzte Unions-Justizminister ist deutlich länger her. Wir haben damals gemeinsam an Lösungen gearbeitet, auch Kompromisse gefunden. Ich nenne Ihnen einen ganz konkreten Punkt – der ist aber nicht anlassbezogen, sondern anlasslos –, was man nach Ansicht der meisten Verfassungsrechtler machen könnte: die IP‑Adressen länger speicherbar und auch länger zuordenbar zu machen. Damit würden Sie schon eine ganze Menge dieser grauseligen kinderpornografischen Fälle aufklären.
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Aber das geht nicht durch anlassbezogene Datenspeicherung, sondern Sie brauchen da die Anlasslosigkeit.
Wenn Sie diesen Weg gehen, haben wir vielleicht eine Chance, uns zu verständigen. Aber bitte seien Sie hier auch dafür offen, dass wir manche Dinge anlasslos speichern müssen, sonst helfen wir den Kindern, den Opfern dieser furchtbaren Verbrechen nicht. Lasst uns gemeinsam etwas für die Sache erreichen. Das ist meine herzliche Bitte.
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Abgesehen von dem Thema Datenspeicherung, sage ich Ihnen: In unserem Wahlprogramm stehen ganz konkrete Vorschläge und Forderungen, etwa wenn es um die konsequente Anwendung von Strafgesetzen geht. Die elektronische Fußfessel könnte auch stärker für die Täter von Sexualdelikten nutzbar gemacht werden; dieses Instrument könnte den Richtern gegeben werden. Wir haben gesagt: Wer Kinder missbraucht hat, darf nicht nur für ein paar Jahre ins Strafregister eingetragen werden, sondern der muss lebenslang ins Strafregister eingetragen werden, selbst wenn er von einem Ende des Landes ans andere Ende umzieht. Er darf nie mehr an Kinder herankommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dazu gibt es im Ampelkoalitionsvertrag leider keine entsprechenden Passagen. Ich habe es eben gesagt: Mit einer nur noch anlassbezogenen Datenspeicherung kommen wir an die Täter nicht heran.
Aber damit nicht genug: Sie fordern sogar ein pauschales Recht auf Anonymität – jetzt kommt’s – im Internet wie in der realen Welt. Also ist jetzt die Frage, wann wir denn Kfz-Kennzeichen in Deutschland abschaffen; das entspräche auch der Logik dieses Vorschlages. Unausgegoren ist noch das Freundlichste, was ich leider dazu sagen muss.
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Der von mir kritisierte leichtfertige Umgang mit dem Grundgesetz macht auch vor Änderungen des einfachen Gesetzesrechts nicht halt. Als erste Tat der Ampel in der Rechtspolitik wurde vom Justizminister die Abschaffung des Werbeverbots – § 219a – bei Schwangerschaftsabbrüchen angekündigt. Hier wurde betont: Die ersatzlose Streichung dieses Paragrafen ist der Plan. Ernsthaft? Ist das die erste Priorität in diesen Zeiten? Mir würden hier stattdessen einige andere Maßnahmen in der Rechtspolitik einfallen: Umsetzung der Triage-Entscheidung des Verfassungsgerichts oder ein Regierungsentwurf – wohlgemerkt: Regierungsentwurf – über eine Impfpflicht, Umfang einer Impfpflicht. Zurzeit wird diese Frage in Gruppenanträge geschoben, um zu camouflieren, dass es hier offenbar keine Mehrheit in der Regierungsmehrheit gibt. Leichtfertig und gefährlich an der Abschaffung des Werbeverbots ist aber, dass damit in ein wirklich sehr fein austariertes System eingegriffen wird, in dem der Schutz des ungeborenen Kindes immer mit dem Freiheitsschutz der Mutter zusammengedacht werden muss. Das ist durch den ersten Artikel unserer Verfassung vorgegeben und wurde in einer schwierigen politischen Konsensfindung entwickelt.
Ich sage das in großer Ernsthaftigkeit, aber auch Ruhe: Einer Politik, die diesen Konsens aufkündigt und Werbung im Zusammenhang mit der Tötung menschlichen Lebens zulässt, können wir Christdemokraten und Christsoziale unsere Hand nicht reichen.
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Wir haben nach schwierigen Debatten in der Großen Koalition 2019 hier eine Lösung gefunden, dass der Zugang zu Informationen deutlich erleichtert wird. Wer jetzt mehr will als den Zugang zu Informationen, der will Werbung, und das ist etwas anderes, dem wir nicht beitreten können.
Für die Ampel ist das anscheinend auch nur der erste Schritt. Wenn ich in den Koalitionsvertrag schaue, lese ich: Eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung soll offenbar prüfen, ob der Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch gänzlich herausgenommen soll. Damit würde das Gesamtgefüge des Lebensschutzes endgültig zerstört und – ich finde, ohne Not – ein gesellschaftlicher Streit eröffnet. Diesen Streit haben wir in Deutschland, anders als in vielen unserer Nachbarländer, jahrzehntelang glücklicherweise vermeiden können. Ich bitte Sie daher wirklich inständig: Betreiben Sie hier nicht mutwillig die Spaltung unseres Landes.
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Meine Damen und Herren, die Schwerpunktsetzung der Ampel im Bereich des Strafrechts ist aber insgesamt fatal. Antworten auf die Probleme, auch auf die aktuellen Probleme, etwa mit Telegram, mit der Clankriminalität oder im Bereich von Zuhälterei und Prostitution fehlen.
Eine einzige Strafschärfung enthält der Koalitionsvertrag: Die Ampelkoalition möchte Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht überführen und das Strafmaß hier erhöhen. Dafür mag es gute Gründe geben, auch wenn das Strafmaß hier keineswegs so gering ist, wie manche denken. Aber bitte passen Sie auf, dass Angriffe auf Tiere durch unser Strafrecht am Ende nicht strenger bestraft werden als Angriffe auf Menschen!
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Mit Priorität – das Stichwort fiel bereits in der Debatte zur Innenpolitik und auch in dieser Debatte – wollen Sie eine Überwachungsgesamtrechnung auf den Weg bringen. Heißt das etwa ganz konkret – das muss ja irgendwie mal konkret gemacht werden –, dass, wenn Vizekanzler Habeck mehr Kontrollbefugnisse gegenüber Umweltsündern durchsetzt, Innenministerin Faeser zum Ausgleich eine Vorschrift zur Terrorbekämpfung streichen muss, um diese Gesamtrechnung nicht aus der Balance zu bringen? Ich hoffe doch wohl, nicht.
Egal was Sie sich hier ausdenken, meine Sorge ist: Am Ende bleibt es Ausdruck eines Misstrauens gegenüber unseren Ermittlungsbehörden. Wir als Union wollen unseren Behörden und Gerichten demgegenüber zunächst einmal mit Respekt und Vertrauen begegnen.
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Ich will mit einer grundsätzlichen Bemerkung schließen. Ich weiß aus eigener parlamentarischer Erfahrung: Nach landläufiger Auslegung ist das Justizministerium für die Freiheit und das Innenministerium für die Sicherheit zuständig. Als jemand, der seit fast zwei Jahrzehnten Innen- und Rechtspolitik im Bundestag betreibt, empfehle ich der neuen Regierung, diesem staatspolitischen Kurzschluss nicht zu verfallen.
Die Rechtspolitik und natürlich auch ein Justizminister sind dem Freiheits- wie dem Sicherheitsversprechen unseres Staates gleichermaßen verpflichtet. Freiheit ist das höchste Ziel des Rechtsstaates. Aber Freiheit bleibt eben nackte Theorie oder vielleicht ein Luxusgut für wenige, wenn sie nicht auf der stabilen Basis der Sicherheit steht. Wer nicht sicher sein kann, dass er eine Reise überlebt, wird lieber zu Hause bleiben. Wer jederzeit damit rechnen muss, dass man ihm sein Hab und Gut abnimmt, wird vielleicht gar kein Eigentum mehr erwerben. Deshalb brauchen wir eine konsequente Verbrechensbekämpfung mit zeitgemäßen Ermittlungsmethoden.
Wer an verantwortlicher Stelle in der Innen- und der Rechtspolitik steht, darf sich dem nicht verweigern; denn wer die Sicherheit nicht ernst nimmt, verspielt auch die Freiheit. Deshalb bleibt die Rechtspolitik der Union eine Politik der Freiheit auf dem festen Fundament der Sicherheit.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Krings. – Für ihre erste Rede im Deutschen Bundestag erhält nun das Wort die Kollegin Sonja Eichwede von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Bundesminister Buschmann, herzlich gratulieren. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Amtszeit und freue mich auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion auf eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit.
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Ich freue mich, heute meine erste Rede in diesem Hohen Hause gerade zu diesem wichtigen Thema zu halten und die rechtspolitischen Vorhaben, die wir in unserem Koalitionsvertag festgehalten haben, besprechen und beleuchten zu dürfen.
Unsere Rechtspolitik wird geprägt sein von fortschrittlichem Denken, von Tatendrang und von Aufbruch.
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Gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der FDP werden wir Problemfelder anpacken, in denen das Recht der heute gelebten Wirklichkeit in unserem Lande hinterherhinkt. Dabei muss natürlich auch, wie heute schon oft erwähnt, auf das Familienrecht und die Familienrechtsreform eingegangen werden. Insbesondere diese Debatte und die hier ausgetauschten Ansichten zeigen, warum die progressiven Kräfte in diesem Land die Bundestagswahl gewonnen haben
({2})
und dass es eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel in unserem Land gab.
Wir müssen die vielfältigen Lebensmodelle des 21. Jahrhunderts auch in unser Rechtssystem mit einbeziehen und darin verankern. Wir wollen die rechtliche Situation von getrennt Erziehenden verbessern, die Mit-Mutterschaft ermöglichen und die heute häufig genannte Verantwortungsgemeinschaft einführen und umsetzen.
({3})
Auch die Abschaffung des § 219a StGB spielt da mit hinein; denn Frauenärztinnen und Frauenärzten muss es ermöglicht werden, hierzu umfassend aufzuklären. Darum geht es doch!
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Es geht dabei nicht um Werbung, sondern um Aufklärung. Das ist tatsächlich ein Anliegen, für das schon die Generation meiner Mutter gekämpft hat. Von daher ist es nun wirklich Zeit, dass das jetzt schnell in Angriff genommen wird.
({5})
Wir werden stärker gegen Diskriminierung vorgehen und hierzu auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Schutzlücken schließen.
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Außerdem ist es ein Anliegen der Rechtspolitik, sich gerade auch mit konkreten Fragen zu befassen, die die breite Masse der Bevölkerung beschäftigen. Sehr wichtig für uns als SPD ist es dabei, alle Menschen in unserem Land im Blick zu haben und ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen. Deswegen sind wir auch sehr, sehr stark daran interessiert, den Mieterschutz zu stärken, für den wir uns insbesondere einsetzen werden; denn Wohnen darf kein Luxus sein.
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In diesen Bereich fällt auch die Umsetzung der Hinweisgeber-Richtlinie; denn diejenigen müssen geschützt werden, die strukturelle Missstände und Straftaten aufdecken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden die Bürgerrechte stärken; es wurde angesprochen. Dazu gehört, dass das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit immer wieder ausbalanciert wird und dass beides nicht gegeneinander ausgespielt wird, sondern die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Überwachungsgesamtrechnung nun auch tatsächlich in Angriff genommen wird. Das ist nicht nur eine Idee der neuen Koalition, sondern tatsächlich auch eine Forderung unseres höchsten Gerichtes gewesen.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, als junger Richterin ist es mir aber auch besonders wichtig, die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates in den Blick zu nehmen und eben entsprechend in diesen Rechtsstaat zu investieren. Das wollen wir mit einer Fortführung des Pakts für den Rechtsstaat machen. Diesen werden wir, was wiederum dringend notwendig ist, um einen Digitalpakt für die Justiz ergänzen.
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Denn wer recht hat, muss in unserem Land auch Recht bekommen.
Ich kann Ihnen versichern, dass bei den Gerichten sehr hart daran gearbeitet wird, dass die vielen Akten auf Hochtouren bearbeitet werden und der Beschleunigungsgrundsatz ernst genommen wird. Man muss das aber eben auch mit mehr Personal unterlegen: in der Richterschaft, in der Staatsanwaltschaft, bei den Geschäftsstellen und beim IT-Personal; denn wir brauchen eine digitale Justiz. Die Richter suchen in „Gürteltieren“, während der Rest des Landes „Strg + f“ benutzt. Das kann keine Realität im 21. Jahrhundert sein.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bandbreite der angesprochenen Themen lässt den Aufbruch, vor dem wir stehen, erahnen. Wir haben uns viel vorgenommen, aber wir haben einen noch größeren Tatendrang. Packen wir es an! Bringen wir in dem neuen progressiven Bündnis unseren Rechtsstaat voran! Ich freue mich darauf und auf die konstruktiven Diskussionen in diesem Haus.
Vielen lieben Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Eichwede. – Für die AfD-Fraktion erhält jetzt das Wort Fabian Jacobi, für drei Minuten.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Justizminister hat vor drei Tagen erst den Satz geschrieben:
Wem es an Respekt vor dem Parlament fehlt, dem fehlt es offenbar auch an Respekt vor dem Volk.
Ich habe heute das zweifelhafte Vergnügen, zum ersten und absehbar nicht zum letzten Mal als Abgeordneter eine Rede an das Parlament, aber nicht im Parlament zu halten.
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Dass ich schon früher hier oben saß, war noch meine freie Entscheidung, ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die Sie mit Ihren Maßnahmen ausgrenzen, entrechten und erniedrigen.
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Nunmehr ist mir die Entscheidung abgenommen. Ich darf als Abgeordneter das Parlament nicht mehr betreten.
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Die Abgeordneten des Bundestages vertreten das ganze Volk, jedenfalls dem Anspruch der Verfassung nach. Durch die Spaltung des Parlaments, seine demonstrativ sichtbar gemachte Teilung in Reine und Unreine,
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negieren Sie den Anspruch der Verfassung an das Parlament. Hier fehlt es dem Bundestag selbst – jedenfalls seiner agierenden Mehrheit – an Respekt vor dem Parlament und damit, dem Sinnspruch des Herrn Ministers zufolge, an Respekt vor dem Volk. Ein übles Omen für die neue Zeit, welche diese neue Regierung ja einzuleiten gedenkt!
Was ist nun für die kommende neue Zeit aus dem Ressort des Herrn Ministers zu erwarten? Der Blick in den Vertrag, den Sie geschlossen haben, zeigt vieles, das wir als Opposition sehr kritisch begleiten werden, einiges wenige, über das man immerhin reden könnte, und dann sind da die Dinge, die auf keinen Fall Realität werden dürfen.
Mehrheiten kommen und gehen, und Gesetze, die Sie beschließen, können später, wenn wir vor den Ruinen stehen, die diese Regierung hinterlassen wird, auch wieder geändert werden. Wirklich gefährlich wird es, wenn Sie anfangen, die Verfassung im Sinne Ihrer Ideologie zu verändern. Es gab zwei Pläne zur Änderung des Grundgesetzes, die schon in der vergangenen Legislaturperiode im Rechtsausschuss behandelt wurden, glücklicherweise nicht zum Abschluss kamen, nun aber wiederum verfolgt werden:
Das ist zum einen das Hineinschreiben von sogenannten Kinderrechten in das Grundgesetz. Dass ausgerechnet jetzt, nachdem der Urheber des drohenden Spruches von der staatlichen Lufthoheit über Kinderbetten zum Kanzler geworden ist, dabei etwas anderes herauskommen könnte als ein Einfallstor für staatliche Übergriffigkeit gegenüber den Familien, kann man getrost ausschließen.
Das Zweite ist der Plan, aus dem Grundgesetz das Verbot der Rassendiskriminierung zu streichen. Ersetzt werden soll es bekanntlich durch eine Vorschrift über Diskriminierung aus rassistischen Gründen. Wenn man nun weiß, dass nach der Ideologie der jetzt herrschenden Parteien Rassismus etwas ist, das sich ausschließlich gegen Menschen mit bestimmten Hautfarben richten kann, gegen Menschen mit anderen Hautfarben aber nie, dann ist damit klar, worauf das hinausläuft: Menschenrechte nach Hautfarbe. Auch das ist mit uns nicht zu machen.
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Das werden übrigens die Punkte sein, mit denen die CDU, die ja nach den Aussagen mancher den Weg der Rehabilitierung gehen und wieder eine bürgerliche Partei werden möchte, ihre Prüfsteine finden wird. Gegen AfD und CDU/CSU ist eine Änderung des Grundgesetzes jedenfalls nicht möglich. Wir werden sehen, wie die andere Oppositionsfraktion sich verhält.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Ich möchte feststellen, dass sich dieses Parlament so flexibel zeigt, dass Sie Ihre Rede sehr klar und deutlich hier halten konnten, und zwar in einer Form, in der Sie nicht alle anderen Abgeordneten, die hier sind, gefährden, obwohl das vermeidbar wäre.
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– Nein, ich führe keine Diskussion mit Ihnen darüber.
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Als Nächstes erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Canan Bayram.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 16 Jahre Strafverschärfungen und Aushöhlung der Beschuldigtenrechte haben ein Ende; damit ist jetzt Schluss. Jetzt ist Zeit für evidenzbasierte Kriminalpolitik und Rechtsstaatlichkeit.
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Ich bin, ehrlich gesagt, sehr froh, Herr Buschmann, dass Sie das in Ihren Interviews, die Sie über den Jahreswechsel gegeben haben, schon deutlich gemacht haben. Denn unsere Verfassung macht klar: Das Strafrecht soll und muss Ultima Ratio sein. Wir werden insoweit, wie Sie es befürchtet haben, Frau Lindholz, liberalisieren, wir werden legalisieren, wir werden entkriminalisieren, und, ehrlich gesagt, freue ich mich auch schon darauf.
({1})
Es kann doch nicht sein, dass Menschen ins Gefängnis kommen, weil sie sich kein U-Bahn-Ticket leisten können – Frau Mohamed Ali hat es hier schon gesagt und freut sich ebenfalls darauf, Herr Buschmann, dass wir das zusammen ändern wollen –; das ist ungerecht, damit machen wir Schluss.
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Ebenso ungerecht ist es, Menschen dafür zu bestrafen, dass sie Lebensmittel aus dem Müll retten. Nein, das sind für mich Helden. Die will ich feiern und nicht bestrafen.
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Klar ist für uns auch, dass endlich die Strafbarkeit der sogenannten Werbung für den Schwangerschaftsabbruch nach § 219a des Strafgesetzbuchs zu streichen ist. Die Information darüber, dass Abbrüche in einer Praxis angeboten werden, ist keine Werbung, sondern Teil der medizinischen Versorgung, und die wollen wir gewährleistet haben.
({4})
Der völlig absurden Praxis der strafrechtlichen Verfolgung von Ärztinnen und Ärzten werden wir ein Ende setzen.
Wir konzentrieren uns vielmehr auf die wirklich erforderliche Bekämpfung von Kriminalität, sei es auf die Geldwäschebekämpfung mit der Einziehung von illegalen Vermögenswerten oder auf die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität durch höhere Transparenz, insbesondere im Bereich der Immobilienwirtschaft. Das ist das, wofür wir uns einsetzen wollen.
({5})
Weil Organisierte Kriminalität immer häufiger grenzüberschreitend stattfindet, verbessern wir auch die justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union mit einer starken Europäischen Staatsanwaltschaft und einer klaren Gesetzeslage zur Ausstellung des Europäischen Haftbefehls. Für die effektive Strafverfolgung geben wir den Behörden die finanziellen und technischen Möglichkeiten und Mittel an die Hand, indem wir den Pakt für den Rechtsstaat verlängern – die Kollegin hat das vorhin auch schon gesagt – und um einen Digitalpakt für die Justiz erweitern.
({6})
Dazu wollen wir die Strafprozesse reformieren. Wir wollen sie effizienter machen und gleichzeitig die Beschuldigtenrechte durch die Aufzeichnung von Vernehmungen und der Hauptverhandlungen stärken.
Ich kann hier meinem Vorgänger als direkt gewähltem Abgeordneten in Friedrichshain-Kreuzberg einen Gruß schicken. Lieber Hans-Christian Ströbele, wir stehen kurz davor: Wir geben bald das Hanf frei. – Das ist das, wofür wir hier auch stehen.
({7})
Wir wollen, dass die Menschen dafür nicht mehr kriminalisiert werden; denn dieses Verbot macht gar keinen Sinn. Wir wollen stattdessen dafür sorgen, dass nur Erwachsene an diesen wertvollen Stoff herankommen
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und dieser dann auch in einer Qualität geliefert wird, die niemandem schadet. Regulierung und Aufklärung statt Repression: Das ist das, was sich diese Koalition vorgenommen hat.
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Weil das in meinem Wahlkreis Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg -Prenzlauer Berg Ost viele Menschen beschäftigt – sie wollen Sicherheit; das haben Sie mehrfach gesagt, Herr Kuhle –: Die Menschen haben Angst vor Verdrängung aus ihren Kiezen, sie haben Angst davor, ihre Wohnung zu verlieren. Sie dürfen nicht frei von Schutz sein. Wir müssen gesetzlich dafür sorgen, dass die Menschen geschützt werden, sodass sie in ihren Wohnungen bleiben können.
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Wir brauchen einen Mietenstopp, wir brauchen mietrechtliche Bestimmungen, durch die die Menschen in ihren Wohnungen bleiben können. Wir brauchen ein kommunales Vorkaufsrecht, damit der Staat die Mieter/-innen schützen kann. Ich biete Ihnen natürlich meinen wunderschönen Gesetzentwurf zum Schutz der Gewerbemieter/-innen an; denn auch die Gewerbemieter/-innen sind bedroht von Verdrängung und brauchen Ihren Schutz.
Lassen Sie uns Freiheit und Solidarität gemeinsam denken! In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram. – Als Nächstes erhält das Wort für seine erste Rede im Bundestag der Kollege Macit Karaahmetoğlu für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hetze und Drohungen im Internet sind noch immer allgegenwärtig, auch wenn die vorherige Justizministerin in den letzten Jahren viele Verbesserungen bewirken konnte. Insbesondere das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität war hier ein wirklich großer Wurf. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Aber auch das möchte ich an dieser Stelle klarstellen: Die Anonymität im Netz werden wir hierbei nicht antasten.
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Die Regierungskoalition hat sich vorgenommen, mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt rechtliche Hürden für Opfer, zum Beispiel bei Auskunftsrechten, weiter abzubauen. Wir wollen zudem bessere Beratungsangebote aufsetzen, es braucht rechtliche Rahmenbedingungen für elektronische Wege der Anzeigenerstattung, und auch richterlich angeordnete Account-Sperren müssen möglich sein. Es ist gut, dass wir diese Punkte im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Es ist im Sinne aller Betroffenen, dass wir hier zügig und mutig vorangehen.
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Wir stehen aber auch vor Herausforderungen, bei denen die Gesetze alleine nicht weiterhelfen; die Radikalisierung innerhalb der Querdenker- und Impfgegnerszene im virtuellen Raum macht dies tagesaktuell deutlich. Nach Recherche der „Tagesschau“ gab es alleine im November und Dezember letzten Jahres über 250 Morddrohungen in öffentlich zugänglichen Gruppen des Messengers Telegram; man kann sich also leicht ausmalen, welche Dimension an vergifteten Gewaltfantasien sich in den geschlossenen Gruppen verbirgt.
Oft geht es nicht nur um rechtliche Grundlagen, sondern um Rechtsdurchsetzung. Telegram zum Beispiel hat seinen Sitz in Dubai und ignoriert konsequent gesetzliche Vorgaben Deutschlands. Wir brauchen also neue Ansätze, um dieser gefährlichen Schieflage Herr zu werden, auch auf europäischer Ebene und im Gespräch zum Beispiel mit App-Store-Anbietern.
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Bei Gewalt im Netz geht es vor allem um Straftaten, die von Männern gegenüber Frauen begangen werden. Die vorangegangene Bundesregierung hat hier längst überfällige Schritte unternommen und beispielsweise das heimliche Fotografieren unter den Rock oder in die Bluse unter Strafe gestellt. Auch die Neufassung des § 201a StGB war eine wichtige Anpassung.
Die Gesetzeslage wird der Schwere vieler Persönlichkeitsrechtsverletzungen, vor allem im Bereich der sexuellen Intimsphäre, aber noch immer nicht gerecht. Die Strafandrohung steht hier in keinem Verhältnis zu den Folgen der Taten. Insbesondere in der digitalen Öffentlichkeit von Internet und sozialen Medien richten solche Übergriffe in die Intimsphäre einen unfassbar großen psychischen und sozialen Schaden bei den Opfern an. In vielen Fällen ist der Schaden vergleichbar mit dem Schaden bei Sexualdelikten. Um insbesondere die sexuelle Intimsphäre besser zu schützen, benötigen wir auch hier eine entsprechende Anpassung des Strafrechts. Hierfür werbe ich um Unterstützung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte – es ist ebenfalls eine erste Rede im Deutschen Bundestag – erhält nun Carmen Wegge für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in den letzten Minuten viel über Aufbruch und viel darüber gehört, dass wir unser Land nun auch rechtspolitisch endlich im 21. Jahrhundert ankommen lassen. Daher möchte ich meine Zeit darauf verwenden, über unseren Mut zu sprechen, unseren Mut, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten nicht nur zu benennen, sondern sie auch zu überwinden,
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unseren Mut, sich den Feindinnen und Feinden der Demokratie entschlossen in den Weg zu stellen.
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Wir haben diesen Mut, und das möchte ich Ihnen an zwei ganz konkreten rechtspolitischen Vorhaben in der nächsten Legislatur aufzeigen.
Wenn wir über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten sprechen, dann müssen wir auch über die strukturelle Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft reden, darüber, dass sie in vielen Fällen immer noch nicht selbst über ihre Körper bestimmen können und ihnen das Gesetz in einer der schwersten Situationen ihres Lebens im Wege steht. Aufgrund der Ausführungen der Opposition ist es, glaube ich, notwendig, dass ich hier noch einmal umfassend darauf eingehe.
Jedes Jahr werden in Deutschland bis zu 100 000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen; das sind bis zu 100 000 Situationen, in denen Frauen eine schwere Entscheidung treffen und auf der Suche nach Ärztinnen und Ärzten sind, die ihnen zur Seite stehen. In dem Bundesland, in dem ich wohne, in Bayern, gibt es laut Bundesärztekammer einige Städte und sogar Regionen, in denen Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr möglich sind. In Niederbayern, in der Oberpfalz und auch in größeren Städten wie Augsburg, Regensburg, Würzburg oder Ingolstadt gibt es offiziell keine einzige Klinik, die Schwangerschaftsabbrüche anbietet. In einem Freistaat mit mehr als 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern übernimmt ein Arzt knapp ein Drittel aller Schwangerschaftsabbrüche. Das ist vollkommen absurd!
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Jetzt könnte man sich natürlich fragen: Wie kann das sein? Woran liegt das?
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Das liegt daran, dass wir eine Regelung in unserem Strafgesetzbuch haben, die es sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützern und radikalen Abtreibungsgegnerinnen und ‑gegnern ermöglicht, regelrecht Jagd auf Ärztinnen und Ärzte zu machen,
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die Abbrüche durchführen, sei es durch Drohbriefe oder eben durch Anzeigen, weil sie allein dadurch Werbung machen könnten, dass sie den Abbruch in ihrem Leistungsprofil aufführen.
Die Folge ist eben doch, werter Kollege, dass immer mehr Ärztinnen und Ärzte sich aus diesem Bereich zurückziehen, sich auf die Durchführung von Abtreibungen ausschließlich bei ihren eigenen Patientinnen beschränken und diese dann eben nicht mehr generell anbieten. All das erschwert also nicht nur die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten, sondern geht insbesondere auf Kosten von uns Frauen, und das ist ein unhaltbarer Zustand.
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Deshalb sind wir mutig. Wir enttabuisieren Schwangerschaftsabbrüche. Wir stärken das reproduktive Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir streichen § 219a aus dem Strafgesetzbuch – endlich!
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Und wissen Sie, was noch mutig ist? Wir halten unser rechtes Auge furchtlos geöffnet. Wir lassen uns nicht einschüchtern von Menschen, die mit Fackeln vor unseren Haustüren stehen, und wir lassen uns auch nicht einschüchtern von Menschen, die in Telegram-Kanälen zum Mord an Politikerinnen und Politikern aufrufen. Wir lassen uns nicht einschüchtern, sondern wir sehen, hören und handeln entsprechend.
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Und auch wenn einige das zu vergessen scheinen: Soziale Plattformen und der digitale Raum sind keine rechtsfreien Räume. Mit dem Digitalen Gewaltschutzgesetz – mein Kollege hat es angesprochen – werden wir genau dem entgegenwirken. Wir werden denen, die Hass und Hetze im Netz verbreiten, zeigen, zu was ein Rechtsstaat fähig ist.
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Diesen Mut, den haben wir. Der zieht sich durch all unsere rechtspolitischen Vorhaben in dieser Legislatur. Das ist eine Handschrift, die Sie in den nächsten Jahren von uns und insbesondere von der SPD erwarten dürfen. Ich kann nur sagen: Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Wegge. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie, die Plätze zügig zu wechseln, damit wir gleich weitermachen können. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch bitte Ihre Plätze ein; das kann eigentlich nicht so kompliziert sein.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ihnen allen erst mal ein schönes und vor allen Dingen friedliches neues Jahr, auch wenn es außenpolitisch leider sehr eisig gestartet ist.
Seit Wochen lässt Russland an der Grenze zur Ukraine Truppen aufmarschieren. Auf diese Provokation haben wir als Bundesregierung gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern deutlich reagiert. Die Souveränität der Ukraine und die Unverrückbarkeit der Grenzen in Europa sind für uns nicht verhandelbar.
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Eine neue militärische Aggression gegen die Ukraine hat für Russland einen hohen Preis. Zugleich gilt: Trotz dieses unglaublich besorgniserregenden russischen Agierens gibt es nur eine Lösung, und die heißt Diplomatie, um die aktuellen Spannungen zu lösen.
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Es ist daher wichtig und richtig, dass diese Woche in verschiedenen Foren Gespräche geführt werden, im Strategischen Dialog zwischen den USA und Russland, im NATO-Russland-Rat, in der OSZE. Und Frankreich und Deutschland arbeiten eng zusammen, um neue Verhandlungen im Normandie-Format wieder aufzunehmen. Denn klar ist: Es gibt keine Entscheidung über die Sicherheit in Europa ohne Europa.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Situation spiegelt die Welt wider, in der europäische Außenpolitik sich neu bewähren muss: eine Welt mit wachsenden geopolitischen Spannungen, in der es zwar zum Glück keine Blockkonfrontationen mehr gibt, aber einen Wettbewerb zwischen autoritären Kräften und liberalen Demokratien, eine Welt, in der uns Wirtschaft und Technologie immer enger vernetzen, was aber eben nicht automatisch zur Stärkung von Demokratie und vor allen Dingen nicht automatisch zur Stärkung von Menschenrechten führt, und zugleich eine Welt, in der wir all die globalen Herausforderungen nur gemeinsam angehen können. Ich bin davon überzeugt, dass wir in einer solchen Welt auf Grundlage einer klaren Wertevorstellung die Interessen Deutschlands und Europas in der Welt vertreten.
Ja, ich unterstreiche hier noch einmal sehr deutlich: Werte und Interessen sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille.
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Wenn wir es anderen Akteuren ermöglichen, sich in unserem eigenen europäischen Binnenmarkt nicht an Regeln und Standards halten zu müssen, hat die europäische Wirtschaft einen schweren Wettbewerbsnachteil. Daher gilt für mich heute umso mehr: Diplomatie ist ein zentraler Pfeiler von Außenpolitik. Aber es geht eben auch um praktisches und vor allen Dingen kohärentes Handeln auf allen Politikfeldern, von Handel über Gesundheit bis zu einer gemeinsamen weltweiten, internationalen Sozialpolitik. Deshalb ist der Grundsatz dieser Ampelkoalition eine kohärente Außenpolitik, in der einzelne Politikfelder und vor allen Dingen die unterschiedlichen Ministerien nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten, weil wir nur so den großen globalen Herausforderungen gerecht werden können.
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Was das konkret bedeutet, will ich anhand weniger Themen hier kurz beschreiben, weil sie den Auftakt des Handelns meines Hauses prägen, auch wenn ich in den letzten vier Wochen die meiste Zeit natürlich mit den aktuellen Krisen – und das sind nicht wenige – verbracht habe.
Zuallererst gilt: Deutschland kann im Herzen Europas nicht ohne die gemeinsame Europäische Union. Unsere Union müssen wir gemeinsam nach innen stärken, damit sie nach außen glaubhaft und vor allen Dingen resilienter auftreten kann. Als starke Wirtschaftsnationen in Europa und vor allen Dingen als gemeinsame europäische Werteunion muss unser Anspruch als Europäerinnen und Europäer sein – und das wird auch das Leitmotiv unserer deutschen G‑7-Präsidentschaft sein –, deutlich zu machen, wofür wir stehen, und nicht nur, wogegen wir sind. Wir stehen als Europäerinnen und Europäer für eine regelbasierte internationale Ordnung, und vor allen Dingen stehen wir für ein vorausschauendes, präventives Handeln.
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Ja, wir wissen, „there is no glory in prevention“; aber je später wir handeln, desto teurer wird es. Das wird nirgendwo offensichtlicher als in der Klimakrise: Jedes Zehntel Grad weniger an Erderwärmung ist ein Beitrag zur menschlichen Sicherheit. Extreme Hitze, Trockenheit oder steigende Meeresspiegel können Regionen unbewohnbar machen. Indonesien plant deshalb bereits den Umzug seiner Hauptstadt. Deswegen machen wir als neue Regierung Klimaaußenpolitik jetzt zur Priorität.
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Das Auswärtige Amt wird Deutschland nicht nur in den internationalen Klimaverhandlungen entscheidend mitprägen und führen, sondern das Auswärtige Amt wird – das ist unser kohärenter Ansatz in dieser neuen Bundesregierung – gemeinsam mit dem Wirtschafts- und Klimaministerium, mit dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit dem Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz verstärkt Klima- und Energiepartnerschaften ausbauen.
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Und wir gehen die sicherheitspolitische Frage unserer Zeit, den Klimaschutz, gemeinsam mit unseren Partnern in der Welt an, und zwar auch hier präventiv. Das Gute ist – das ist die riesengroße Chance, die wir in einer vernetzten Welt haben –, dass wir dank neuer Technologien eigentlich bereits 20 Prozent der Katastrophen vorhersehen könnten, wenn wir zusammenarbeiten würden, wenn wir unsere Instrumente gemeinsam nutzen würden. Wettervorhersagen erlauben es uns heute zum Beispiel, schon Tage bevor ein Zyklon auf eine Küste trifft, Menschen, aber eben auch Hab und Gut zu evakuieren. Präventive humanitäre Hilfe kann Notlagen verhindern oder abschwächen und Ressourcen sparen. Das müssen wir gemeinsam nutzen.
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Uns ist es daher ein zentrales Anliegen, dieses Prinzip des vorausschauenden Multilateralismus im Rahmen der G 7 weiter auszubauen und darüber hinaus gemeinsam strategisch zu investieren; denn die Milliardeninvestitionen anderer in Technologien innerhalb Europas, aber auch außerhalb Europas – sei es in Halbleitertechnik, in Medizintechnik oder in große Energieprojekte – sind nicht immer automatisch nur Wohltätigkeiten, sondern sie folgen auch einem geostrategischen Kalkül. Wir haben das auf deutliche Art und Weise bei der globalen Impfstoffverteilung gesehen. Ich sage klar und deutlich: Wir müssen hier auch als Europäerinnen und Europäer besser werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag formuliert – das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit –, eine Politik auf Höhe der gesellschaftlichen Realität zu machen. Das gilt auch in der Außenpolitik. Daher folgen wir dem Beispiel Kanadas und Schwedens und setzen eine Strategie für eine feministische Außenpolitik auf.
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Ja, ich weiß, manchen hier fällt es schwer, den Begriff auszusprechen, aber eigentlich ist es ganz simpel: Es geht um Repräsentanz, es geht um Rechte, und es geht um Ressourcen. Denn wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht gleichberechtigt beteiligt, repräsentiert oder bezahlt ist, sind Demokratien nicht vollkommen. Zum anderen erleben wir weltweit, dass der Abbau der Rechte von Mädchen und Frauen ein Gradmesser für das Erstarken von autoritären Kräften ist.
Das gilt in ganz besonderer, in furchtbarster Art und Weise für Afghanistan. Deswegen war eine meiner ersten Maßnahmen, einen Aktionsplan für Afghanistan aufzulegen. Wir erleben dieser Tage eine absolute humanitäre Katastrophe. Deswegen müssen wir alles dafür tun, die humanitäre Hilfe zu verstärken. Ja, wir müssen auch – das haben wir gemeinsam hier mit vielen angeregt und als Koalition beschlossen – die Evakuierung aus Afghanistan und den Bundeswehreinsatz aufarbeiten und evaluieren. Aber ich sage ganz klar und deutlich an dieser Stelle: Die Innenministerin und ich als Außenministerin arbeiten vor allen Dingen mit Hochdruck daran, ein neues humanitäres Aufnahmeprogramm auf den Weg zu bringen, um jetzt dafür zu sorgen, die besonders Schutzbedürftigen zusätzlich – und das sind Frauen und Mädchen – aus Afghanistan herauszubringen.
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Das sind dicke Bretter. Dafür braucht es Zusammenarbeit. Dafür reicht eine Bundesregierung nicht, sondern dafür es braucht die Zusammenarbeit hier in diesem Hohen Hause mit Ihnen als Opposition, mit Ihnen als sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages.
Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit und danke Ihnen für die gemeinsame Arbeit in den nächsten Jahren.
Herzlichen Dank.
({12})
Herzlichen Dank der Bundesaußenministerin. – Als nächster Redner folgt für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Johann Wadephul.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, weil es die erste Gelegenheit ist, mit Ihnen gemeinsam hier zu debattieren, zunächst einen Glückwunsch zu den Antrittsbesuchen in Paris, Brüssel, auch in Warschau – das war sehr wichtig –, zu dem Besuch in Washington und bei anderen internationalen Gremien. Sie haben den richtigen Ton getroffen.
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Sie haben sich klar für eine enge und verlässliche transatlantische Partnerschaft ausgesprochen, sich zur Verantwortung Deutschlands in der NATO bekannt und in Europa die ersten wichtigen Zeichen gesetzt. Auch der Koalitionsvertrag – das habe ich an anderer Stelle bereits gesagt – ist von einem erfreulichen Maß an Realismus und Pragmatismus geprägt, jedenfalls in Worten.
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In diesem Sinne, Frau Außenministerin, biete ich Ihnen ausdrücklich die Zusammenarbeit mit der CDU/CSU-Fraktion an. Ich glaube, es ist wichtig, dass die demokratische Mitte dieses Hauses bei den wichtigen europäischen und internationalen Vorhaben und Herausforderungen zusammenarbeitet; die CDU/CSU ist dazu bereit.
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Gleichwohl zeigen sich das wahre Ambitionsniveau und die konkrete Politik im Handeln: The proof of the pudding is in the eating. Der Koalitionsvertrag ist in diesem Sinne viel-versprechend, im wahrsten Sinne des Wortes, und es zeigen sich auch erste Bruchlinien in der Ampelkoalition. Vielstimmigkeit ist aber genau das, was wir jetzt nicht brauchen; Sie haben selber von Kohärenz und von Realitätssinn gesprochen. Deswegen zu einigen Punkten ein paar Anmerkungen:
Stichwort „Russland“: Da versteigt sich der Generalsekretär der größten Regierungsfraktion zu der Aussage, im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine werde ein internationaler Konflikt herbeigeredet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser internationale Konflikt ist durch einen immensen Truppenaufmarsch an der Grenze der Ukraine von Putin herbeibefohlen und nicht von uns herbeigeredet worden – demselben Putin, der schon die Krim annektiert hat, der die Souveränität der Ukraine im Osten ständig verletzt. Das war bisher die einhellige Meinung in Europa. Was ist dazu die Meinung der Ampelkoalition? Was ist die außenpolitische Position? Waffenlieferungen à la Habeck oder Geschichtsklitterung à la Kühnert?
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Dazu erwarten wir Ihre Antworten.
Stichwort „China“: Sie haben sich zur Menschenrechtslage auch in Xinjiang klar geäußert, das auch problematisiert. Hier erwarten wir eine kohärente Position der gesamten Bundesregierung.
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Es ist nicht damit getan, dass zwei Ministerinnen – so lobenswert das im Ergebnis auch ist – sagen, dass sie nicht zu den Olympischen Spielen fahren. Wahrlich europäisch ist nur, wenn man das auf europäischer Ebene abstimmt und das gemeinsam mit den Partnerländern in Europa macht und nicht ein Teilkabinett eine singuläre Teilentscheidung trifft.
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Also, da können Sie deutlich besser werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Stichwort „Europa“: Sie haben sich Größtes vorgenommen, die Vereinigten Staaten von Europa – kleiner geht es nicht! –, um dann gleich beim Thema Taxonomie einen strikt nationalstaatlichen Kurs zu fahren.
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Liebe Ampelkoalitionäre, auch an der Stelle müssen Sie besser werden! – Ja, das tut Ihnen weh, liebe Grüne. Aber das ist nationalstaatlich gedacht, das ist nicht europäisch-staatlich gedacht.
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Da müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen, dass die klare Mehrheit in Europa das anders sieht.
Und um die EU und ihre Handlungsfähigkeit steht es schlecht. Die wichtigsten Verhandlungen über die Zukunft der EU, über Europa werden derzeit in Genf geführt, von Russen und Amerikanern. Europäer sitzen noch nicht einmal am Katzentisch. Was tun Sie denn dafür, dass wir dabei sind? Was sind denn Ihre Vorschläge, die dazu führen, dass wir dabei sind? Selbst Ralf Fücks, ein Grüner, hat dazu Vorschläge gemacht, was man von Russland an der Stelle alles erwarten könnte: die Krim wieder freigeben; die Ukraine in Ruhe lassen; aufhören mit Mordanschlägen auf Oppositionelle aus Russland usw. usf.
An der Stelle denke ich oft an Bruno Moravetz, der immer gefragt hat: Wo ist Jochen Behle? Ich frage mich: Wo ist Olaf Scholz? Wann fängt er endlich an, auch außenpolitisch? Wann fängt diese Bundesregierung endlich an – auch außenpolitisch –, Europa hier wieder voranzutreiben – natürlich gemeinsam mit Frankreich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen?
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Diplomatie ist wichtig; das haben Sie gesagt. Aber Wolfgang Ischinger hat darauf hingewiesen, dass wir an der richtigen Stelle auch militärische Fähigkeiten brauchen. Wie steht es darum? Da setzen Sie einen besonderen Akzent im Koalitionsvertrag: Wir sollen bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags einen Beobachterstatus haben.
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– Ja, das ist Ihre große Forderung gewesen. – Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand findet Atomwaffen gut. Nur, sie tragen zu unserer Sicherheit bei in Europa. Mit Ihrer Haltung begeben Sie sich auf eine vermeintlich moralisch bessere Position, während Amerikaner und Briten und Franzosen sozusagen die Schmuddelarbeit machen dürfen. Nein, so ist es nicht.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Das sind unsere Partner. Wer wahrlich europäisch denkt und im Bündnis denkt, der stellt unsere Bündnispartner nicht in ein schlechtes Licht, sondern leistet einen eigenen Verteidigungsbeitrag und würdigt, was andere für unseren Frieden und unsere Freiheit leisten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wadephul. – Für die SPD-Fraktion erhält nunmehr das Wort der Kollege Dr. Nils Schmid.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein persönliches Highlight in den Koalitionsverhandlungen war der Moment, als wir über Friedenspolitik geredet haben. Da kam ganz spontan von den Grünen: „Ja, klar, kennen wir“, und auch aus den Reihen der FDP hieß es: „Das haben wir doch schon immer so gemacht“; Erinnerung an die sozial-liberale Koalition, Entspannungspolitik, Bemühungen um Ausgleich und Frieden in Europa, Bemühungen um Abrüstung. Auch in Fragen von Krieg und Frieden haben die drei Parteien der Ampel in der deutschen Geschichte wichtige Wegmarken gesetzt: das Nein von Rot-Grün unter Schröder zum Irakkrieg und die maßgeblich auf Herrn Westerwelle zurückzuführende Enthaltung der damaligen Regierung bei der Libyen-Intervention. Das zeigt: Die gemeinsame Basis dieser Regierungskoalition ist der Einsatz für Frieden, sind Bewahrung, Förderung und, wenn notwendig, auch Wiederherstellung von Frieden, und das auf Grundlage der festen Verankerung im Atlantischen Bündnis und in der EU.
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Es geht uns in der Tat auch um konkrete Fortschritte bei der Abrüstung. Deshalb habe ich auch gar nichts dagegen, hat auch diese Bundesregierung gar nichts dagegen, dass die USA und Russland endlich wieder einen Dialog über strategische Stabilität führen, über die Wiederinkraftsetzung von Rüstungskontrollverträgen oder über die Begrenzung von atomarer Rüstung, sei es der INF-Vertrag in Europa, sei es der Vertrag zur Verringerung strategischer Atomwaffen.
Es ist gut, dass diese Regierung sich aufmacht, den Atomwaffenverbotsvertrag politisch zu begleiten durch Einnahme eines Beobachterstatus. Ich muss sagen, Herr Wadephul: Der Widerstand, den Sie aus den Reihen der Union gegenüber diesem Schritt formuliert haben, erinnert mich an die Auseinandersetzung vor etwa 50 Jahren, als es darum ging, ob die Bundesrepublik Deutschland dem Nichtverbreitungsvertrag beitreten soll.
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Es war damals, Ende der 60er-Jahre, auch die Frage: Kriegen wir das hin mit der CDU/CSU? Die CDU/CSU hat es blockiert. Die Regierung Brandt hat es dann hinbekommen, auch ohne die Partner vor den Kopf zu stoßen. Genau das Gleiche wollen wir auch beim Atomwaffenverbotsvertrag: über den Beobachterstatus die Verbannung von Atomwaffen aus dieser Welt vorantreiben.
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Schließlich wollen wir uns auch selber in die Pflicht nehmen durch die Erarbeitung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes, mit dem wir endlich auf gesetzlicher Grundlage eine restriktive Waffenexportpolitik in Deutschland durchsetzen wollen.
Sie haben vollkommen recht – die Ministerin hat es angesprochen, der Kollege Wadephul auch –: Der Frieden in Europa ist bedroht; er ist bedroht durch die Aggression Russlands, aktuell durch den Truppenaufmarsch Russlands in der Nachbarschaft der Ukraine. Es ist richtig, dass sowohl aus der Bundesregierung als auch aus den Reihen der Koalitionsfraktionen darauf hingewirkt wird, dass wir jetzt Diplomatie und Deeskalation betreiben, im N4‑Format, um die konkreten Fortschritte beim Waffenstillstand, bei der Entflechtung der Streitkräfte im Konfliktgebiet voranzubringen, und bei der OSZE, um ihre Mission im Donbass zu unterstützen und weitergehende Schritte zur Frage der Stationierung konventioneller Streitkräfte in Europa zu machen.
Genauso klar ist – auch das hat Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung noch einmal betont –: Eine Aggression Russlands wird Sanktionen nach sich ziehen. Alle Optionen liegen auf dem Tisch: verschiedene Sanktionen wie persönliche Sanktionen und sektorale Sanktionen, die auch den Energiesektor betreffen können. Alles ist mit den Europäern und unseren Partnern in den USA abgestimmt.
Genau in diesem Sinne können wir durch Geschlossenheit dann die russische Aggression zurückdrängen und hoffentlich – denn das muss ja das Ziel sein – das Waffenstillstandsabkommen von Minsk auch endlich umsetzen. Das ist unsere Linie, und die werden wir mit großer Geschlossenheit vorantreiben.
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Olaf Scholz hat im Wahlkampf festgehalten: Die Europäische Union liegt in unserem wichtigsten nationalen Interesse. – Deshalb haben wir uns sehr viel vorgenommen zur Stärkung der europäischen Souveränität, zusammen vor allem mit dem wichtigsten Partner innerhalb der EU, mit Frankreich. „Souveränität“ heißt: Handlungsfähigkeit Europas nach innen wie nach außen. Da geht es um Diplomatie. Es geht auch um militärische Fähigkeiten. Aber vor allem geht es darum, kraftvoll in Innovationen, in neue Technologien, in zukunftsfähige Arbeitsplätze zu investieren, neue Technologien in Europa zu beheimaten, Handelspolitik fair und gerecht zu gestalten, die internationale Währungs- und Finanzpolitik mit einem starken Euro zu gestalten. Diese europäische Souveränität ist die Voraussetzung dafür, dass in dem vielbeschworenen Systemwettbewerb zwischen Demokratien und autoritären Systemen die Europäer, die Demokratien die Oberhand behalten können. Es geht darum, dass wir konkret unseren Bürgerinnen und Bürgern und auch der Welt beweisen, dass eine Demokratie in der Lage ist, für Prosperität, Gleichheit und Gerechtigkeit und auch für Innovation zu sorgen, dass wir es vielleicht sogar besser hinbekommen als autoritäre Systeme.
Der Systemwettbewerb wird nicht über die Anzahl der Raketen gewonnen. Er wird gewonnen über die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft im internationalen Vergleich. Da können wir nur vorankommen und gewinnen, wenn die Europäische Union geschlossen die europäische Souveränität ausbaut.
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Deshalb ist das Starren auf China zwar richtig; denn es ist eine Herausforderung. Aber die Frage richtet sich immer an uns selbst: Kriegen wir es selber hin? Kriegen wir es als demokratisch verfasste Gesellschaften hin, dass wir auch in Zukunft einen hohen Lebensstandard und eine gerechte Gesellschaft organisiert bekommen? Deshalb ist mit Blick auf China die europäische Souveränität so wichtig wie die europäische Indopazifik-Strategie, wie die konkreten Schritte, die wir vor Ort gehen wollen.
Ich will zum Schluss mit Blick auf China eines sagen: Was ich mit großer Sorge betrachte, ist der Rüstungswettlauf in der Region selbst, in Ostasien. Ich glaube, bei aller Notwendigkeit, robust dagegenzuhalten, wird es entscheidend darauf ankommen, den Gedanken der kollektiven Sicherheit auch stärker nach Ostasien zu bringen. Das gehört für mich zu einer klugen Indopazifik-Strategie dazu.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes erhält für die AfD-Fraktion Petr Bystron das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Noch haben wir keinen Krieg vom Zaun gebrochen; das hat ein grüner Kollege zu mir gesagt auf die Frage: Wie ist das jetzt so, nach 20 Jahren wieder in der Regierung zu sein? – Ja, in der Tat, es war der grüne Außenminister Fischer, der damals in den 90er-Jahren deutsche Soldaten in den ersten Kriegseinsatz seit 1945 geschickt hat. Dabei sind die Grünen damals auf dem Ticket der Friedensbewegung in den Bundestag reingekommen. Das zeigt, dass die Grünen damals wie heute innenpolitische Heuchler und außenpolitische Kriegstreiber waren.
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Beides, die Heuchelei und die Kriegstreiberei, bestätigen auch schon die ersten öffentlichen Ausführungen von Ministerin Baerbock.
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Schauen Sie mal, Sie haben angeblich Sorgen um die Einhaltung der Menschenrechte. Vor noch nicht einmal zwei Tagen haben Sie gesagt: In Kasachstan wurden das Internet und die sozialen Medien eingeschränkt. – Dabei werden hier in Deutschland freie Medien zensiert, wird die Arbeit von freien Journalisten behindert, werden Kanäle freier Medien abgeschaltet und der Opposition sogar gelöscht. Ausländischen Fernsehsendern wird keine Sendelizenz erteilt. Und neueste Nachricht: Telegram soll abgeschaltet werden, nur weil sich die Opposition darin verabredet. Dazu kein Wort! Menschenrechte spielen da keine Rolle.
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Aber wenn in Kasachstan für zwei Stunden das Internet abgeschaltet wird, oh, dann sind die Menschenrechte in Gefahr. Wer soll Ihnen das bitte schön abkaufen?
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Das Gleiche gilt für die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Kasachstan. Aber dass hier in Deutschland jeden Tag Zigtausende Menschen gegen Ihre Regierung demonstrieren wollen und deren Versammlungsfreiheit behindert wird, dazu kein Wort von Ihnen!
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Liebe Kollegen von der FDP, gerade Sie, Graf Lambsdorff, und von der SPD, ich muss Sie fragen: Wie konnten Sie das zulassen, wirklich? Die deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit war immer von großen Staatsmännern geprägt, und es war nach den zwei verlorenen Kriegen eine Außenpolitik, die auf Frieden ausgelegt war, angefangen mit Stresemann, der 1926 die Wiederaufnahme in den Völkerbund bewirkt hat,
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gekrönt durch Hans-Dietrich Genscher und die Wiedervereinigung, dazwischen Walter Scheel mit der Aufnahme in die Vereinten Nationen und Willy Brandt mit der Versöhnung mit dem Osten, Frieden mit der Sowjetunion trotz der Gräuel des Zweiten Weltkrieges.
Diese Politik wurde auch honoriert. Deutschland wurde in die Weltgemeinschaft wieder aufgenommen, und die beiden Politiker Stresemann und Brandt haben den Friedensnobelpreis bekommen. Auf der anderen Seite haben Sie die Tradition der Grünen mit dem ersten Kriegseinsatz seit 1945.
Herr Schmid, das ist Geschichtsklitterung, was Sie hier gerade betrieben haben.
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Sie haben versucht, die Grünen in die sozial-liberale außenpolitische Tradition einzugemeinden.
Also, was waren die ersten Eckpunkte der Außenministerin Baerbock? Das größte Land der Welt, Russland – sofort Konfrontation! Wichtigstes deutsch-russisches Projekt, Nord Stream 2 – verhindern! 70 Prozent der Energie zur Deckung unseres Bedarfs müssen wir importieren. Russland ist mit Abstand der wichtigste Lieferant, und Sie gehen in die Konfrontation mit diesem Land. Das geht so nicht!
({7})
Das Gleiche gilt für China, das bevölkerungsreichste Land der Welt. Sie legen sich gleich mit China an, kritisieren das Land wegen des Umgangs mit den Uiguren, wollen die Olympischen Spiele boykottieren. Welche Hybris! „VW ohne China ‚nicht mehr vorstellbarʼ“ schreibt das „manager magazin“. Vier von zehn deutschen Autos gehen in den Export nach China. Wessen Interessen vertreten Sie, Frau Baerbock? Die der deutschen Bevölkerung und der deutschen Industrie sind es nicht!
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Zeit ist zu Ende; deswegen die letzten zwei Sätze.
Nein, ein Satz bitte nur noch.
({0})
Sie haben echt überzogen.
Herr Dr. Wadephul, Sie haben vorhin den Kanzler in die Pflicht genommen. Ich finde, da haben Sie recht. Der Bundeskanzler muss sich jetzt entscheiden, in wessen Tradition die deutsche Außenpolitik stehen soll: in der der großen Versöhner und Diplomaten Scheel und Genscher –
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter!
– und der Friedensnobelpreisträger Stresemann und Brandt –
Kommen Sie bitte zum Schluss!
– oder des Straßenschlägers, Steinewerfers und Kriegstreibers Fischer. Das ist hier die Frage.
Danke schön.
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Setzen Sie bitte die Maske auf, Herr Abgeordneter. – Sie haben wirklich hart überzogen. Wir müssen gleich mal sehen, wie wir damit umgehen.
({0})
Als Nächstes in dieser Debatte erhält der Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion das Wort.
({1})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist merkwürdig, zwischen der AfD und Gregor Gysi zu reden. Das ist, wie zwischen den Chefredakteuren von Russia Today und der „Komsomolskaja Prawda“ zu reden.
({0})
Es ist eine etwas originelle Situation. Deswegen wollen wir mal damit starten, zu sagen, dass gute Politik mit dem Betrachten der Realität beginnt.
({1})
An der Grenze zur Ukraine zieht die russische Regierung 100 000 Soldaten, schweres Gerät und Luftfahrzeuge zusammen. In Genf treffen sich Russland und die USA zu Gesprächen. Es geht um Sicherheitsgarantien, Truppenbewegungen; es geht um Kurz- und Mittelstreckenraketen. Kurz: Es geht um Europas Sicherheit.
In Kasachstan lässt ein autoritärer Herrscher auf Demonstranten schießen. In Belarus missbraucht ein Diktator zynisch die Lebensträume zahlreicher Menschen für einen Angriff auf die Europäische Union. In Mali unterstützen Wagner-Söldner und jetzt auch russische Soldaten die Militärregierung, während diese Wahlen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt. Das ist alles sehr real.
Wer also in diesen Tagen die Realität betrachtet und genug Erfahrung mitbringt, fühlt sich an die Jahre des Kalten Krieges erinnert: globale Spannungen, teilweise harte Systemrivalität, Stellvertreterkonflikte, aber glücklicherweise keine große militärische Auseinandersetzung, kein heißer Krieg.
Dabei ist die internationale Lage heute sogar unübersichtlicher als zu Zeiten der Blockkonfrontation. Die Weltgemeinschaft, unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften sind vernetzter als in den 70er- und 80er-Jahren, aber gerade deshalb auch verwundbarer. Das macht die Lage eher noch schwieriger. Zu alten und bekannten Gefahren treten neue Risiken wie hybride Kriegsführung, Hyperschallwaffen und Terrorismus. Auch der Klimawandel hat eine sicherheitspolitische Dimension. Der Aufstieg Chinas fordert die freiheitlichen Demokratien heraus. Gleichzeitig geraten die Werte der Aufklärung – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat – weltweit unter Druck, auch bei uns in Europa.
Wir erleben nicht einfach eine Wiederholung bekannter historischer Prozesse. Frau Baerbock hat es gesagt: Wir gehen nicht in einen neuen Kalten Krieg. Nicht ein Großkonflikt wird in den nächsten Jahren prägend sein, sondern mehrere. Bekannte Strukturen der Weltordnung zerfallen dabei. Gültige Normen werden missachtet. Das Recht des Stärkeren tritt immer häufiger an die Stelle der Stärke des Rechts. Dieser Wandel fordert Deutschland massiv heraus. Wir müssen Außenpolitik neu denken, teilweise auch in Kategorien, die uns gesellschaftlich mitunter schwerfallen, wie Geopolitik, Abschreckung, Resilienz.
Die Zielsetzung dieser Koalition ist klar: Wir wollen eine werteorientierte Außenpolitik; aber wir haben im Koalitionsvertrag auch für die schwierigen Fragen wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Und ja, Johann Wadephul, auch in den nuklearen Fragen ist der Koalitionsvertrag eindeutig und bündnistreu. Wir haben das in der letzten Debatte bereits herausgearbeitet.
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Im Herbst werden wir eine nationale Sicherheitsstrategie vorlegen: eine Gesamtstrategie, die unsere Werte und Interessen, unsere Ziele und Prioritäten ausbuchstabiert und transparent macht. Das wird die Bundesregierung fordern, aber auch uns hier im Deutschen Bundestag; denn dem Parlament kommt in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu, meine Damen und Herren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kernbegriffe des Koalitionsvertrages sind „strategische Souveränität“ und „strategische Solidarität“. Mit Blick auf die Gespräche in Genf scherzte „Politico“ diese Woche: Die Verhandlungen zwischen den USA und Russland seien die wahre Konferenz zur Zukunft Europas. Eine Konferenz ohne die EU entscheidet über wichtigste Weichenstellungen in Europa. Die wirkliche europäische Zukunftskonferenz von EU-Institutionen und Mitgliedstaaten wird mit diesem Wortspiel abgewertet. Das werden wir nicht zulassen; das kann ich Ihnen versichern. Denn, an die Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU: Der europapolitische Ehrgeiz der Ampel ist definitiv größer als der der GroKo. Wir haben keine Angst vor mehr Europa. Im Gegenteil: Die Ereignisse dieser Woche zeigen doch dem Letzten, wie wichtig es ist, die europäische Souveränität strategisch zu stärken.
Wir wollen und müssen weniger abhängig, weniger verwundbar werden: in der äußeren Sicherheit, aber auch bei Energieversorgung, Rohstoffimporten und digitaler Technologie, meine Damen und Herren.
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Die Koalition hat sich auch das Ziel gesetzt, das Transatlantische Bündnis zu erneuern. Wir wollen mehr Westen wagen. Wir unterstützen Initiativen wie die Allianz der Demokratien. Wir werden die Beziehungen zu unseren freiheitlichen Wertepartnern weltweit ausbauen und vertiefen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.
Jawohl. – Gerade im Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten wollen wir Solidarität mit unseren demokratischen Partnern üben. Das heißt für uns zum Beispiel: Staaten wie Australien, Litauen – –
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.
Ich bin dabei.
Ich merke das aber nicht so richtig. Das muss ein Schlusssatz werden.
Jawohl.
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Für uns heißt strategische Solidarität, unseren Partnern weltweit beizustehen, wenn sie von Ländern wie China unter Druck gesetzt werden, oder wie ganz konkret im Moment der Ukraine, wenn der Druck von Russland ausgeht.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Abgeordneter.
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Aus den Reihen der SPD-Fraktion soll der Abgeordnete Bystron als Faschist bezeichnet worden sein. Wir werden dies prüfen, und deshalb behalte ich mir dafür einen Ordnungsruf vor.
Wir fahren in der Debatte fort. Für Die Linke erhält jetzt das Wort Dr. Gregor Gysi.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie, Frau Außenministerin, haben eine wertebasierte und deutlich hörbare Außenpolitik angekündigt.
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Dazu habe ich eine Frage. Julian Assange sitzt jetzt seit mehr als 1 000 Tagen in Isolationshaft in Großbritannien. Im Wahlkampf waren Sie deutlich hörbar dafür, seine Auslieferung zu verhindern und seine Freilassung zu erreichen; denn er deckte Kriegsverbrechen der USA auf. Aber nicht die Kriegsverbrecher sollen zur Verantwortung gezogen werden, sondern er soll in den USA verurteilt werden.
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Nun gab es das erste Urteil, das die Auslieferung ablehnte. Als Sie Ministerin wurden, kam das zweite Urteil, das die Auslieferung anordnete. Sie haben nichts dazu gesagt. Sehen Sie, das führt dazu, dass Politikerinnen und Politiker immer unglaubwürdiger werden. Sie hatten vor dem Eintritt in das Ministeramt eine Meinung. Vielleicht haben Sie sie jetzt auch noch; aber Sie äußern sie nicht mehr. Genau das geht nicht, wenn man eine wertebasierte Außenpolitik machen will.
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Ich bin auch für gute Beziehungen zu den USA und zu Großbritannien; aber Duckmäusertum hilft dabei nicht weiter.
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Im Koalitionsvertrag steht, dass es ein Ziel ist, bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr zu bekommen. Ich kann davor nur warnen. Der US-Drohnenkrieg forderte Tausende zivile Opfer, wie die „New York Times“ jetzt enthüllt hat. Glauben Sie eine Sekunde daran, mit bewaffneten Drohnen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte durchsetzen zu können?
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Es ist eine reine Angriffswaffe, und das steht im Widerspruch zum Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes.
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Jetzt komme ich zu Russland. Auch uns stört der massive Aufmarsch der Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Aber wir dürfen eins nie vergessen, Graf Lambsdorff: Nicht die Sowjetunion hat Deutschland im Zweiten Weltkrieg überfallen, sondern Deutschland hat die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg überfallen. Das kostete dieses Land 27 Millionen Opfer.
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1962 gab es die Kuba-Krise. Bei dieser Kuba-Krise war zwischen der Sowjetunion und Kuba vereinbart worden, dass sowjetische Raketen unter sowjetischer Kontrolle auf Kuba aufgestellt werden. Als die Schiffe unterwegs waren, rief Kennedy Chruschtschow an und sagte, das könne er nicht zulassen. Er müsse die Schiffe beschießen, weil das die Sicherheit der USA gefährde, und dann gebe es einen dritten Weltkrieg. Daraufhin hat Chruschtschow glücklicherweise die Schiffe umdrehen lassen. Dafür haben die USA Raketen aus der Türkei abgezogen.
Auch heute wäre das so. Stellen Sie sich doch mal vor, drei souveräne Staaten, Russland, Mexiko und Kuba, vereinbarten, dass russische Soldaten auf Kuba und in Mexiko mit russischen Waffen stationiert würden. Niemals würden die USA das hinnehmen und die NATO auch nicht. Warum billigten und billigen Sie den USA einen Sicherheitsabstand zu, aber Russland nicht? Das ist nicht nachvollziehbar.
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Was die Ukraine betrifft: Russland verletzt Minsk II, aber die Ukraine auch. Warum erwähnen Sie immer nur das eine und nie das andere?
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Und noch was: Es gab ein Axiom in der NATO, dass kein Staat aufgenommen wird, der in einem Territorialkonflikt ist. Die Ukraine ist in einem Territorialkonflikt. Das kann ganz schnell zum Bündnisfall führen.
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Die Europäische Union ist aber etwas anderes. Damit kann man auch ihre Sicherheit erhöhen.
Putin ist heute zweifellos negativer als früher. Aber 2001 hat er hier im Bundestag gesprochen und die Zusammenarbeit auf allen Gebieten angeboten, und der Westen war zu arrogant, darauf einzugehen. Das ist der Punkt.
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Sie haben sich auch zur Friedenspolitik bekannt, Frau Außenministerin; das finde ich völlig richtig. Aber dann muss endlich und sofort die Bundeswehr aus Mali abgezogen werden. Wir haben die Offiziere ausgebildet, die dort Putsche begehen. Die Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, ECOWAS, schließen die Grenzen zu Mali, ziehen ihre Botschafter ab, und wir bilden weiter aus. Das geht einfach nicht.
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Und letztlich: Wir brauchen eine gute Beziehung zu den USA, zu Russland und zu China. Dazu muss man Vertrauen herstellen. Wir haben zu allen drei Staaten keine guten Beziehungen, und das geht nicht. Wir brauchen diesbezüglich, so wie Biden es gesagt hat, endlich wieder das Völkerrecht und die Diplomatie.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Gregor, du solltest wissen, dass Russland nicht die Sowjetunion ist.
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Die Sowjetunion hat die Schlussakte von Helsinki unterschrieben. Der damalige Generalsekretär Gorbatschow hat selber den Grundsatz, dass jedes Land frei ist, sein Bündnis zu wählen, unterschrieben, und da lobe ich mir die Sowjetunion gegenüber der Politik von Russland unter Putin.
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Zweite Bemerkung: Ja, wir müssen Europas Souveränität stärken. Das ist das Motto, unter das Emmanuel Macron in Frankreich seine Präsidentschaft gestellt hat. Aber dann müssen wir uns auch eigenständig bewegen können. Es ist eine richtige Überlegung von Macron, zu sagen: Lasst uns Initiativen ergreifen, dass dieses Europa nicht mehr von Kurz- und Mittelstreckenraketen nuklearen Charakters bedroht ist. Darüber müssen wir in Verhandlung treten.
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Das ist europäische Eigenständigkeit. Ich kann überhaupt nichts Schlimmes daran erkennen, werter Kollege Wadephul, wenn Deutschland gerade in diesem Bemühen um nukleare Abrüstung als zweiter Mitgliedstaat der NATO neben Norwegen – da kommt übrigens der NATO-Generalsekretär her –
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Mitglied des Atomwaffenverbotsvertrages mit Beobachterstatus wird, und Sie werden erleben, dass diese Koalition genau das auf den Weg bringt.
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Ich wäre an Ihrer Stelle sehr, sehr vorsichtig, in der Frage China die Ministerin zu kritisieren. Sie sind für eine Kanzlerin verantwortlich, die einen 16 Jahre langen Sonderweg Deutschlands gegenüber China zu verantworten hat,
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bei dem immer und regelmäßig die Frage der Wirtschaftsinteressen anders gewichtet wurde als die der Werte.
Und wie wir mit der neuen Regierung mit dieser Frage umgehen, das können Sie an einem kleinen Beispiel sehen. Als Herr Tokajew erklärt hat, er erteile einen Schießbefehl auf Demonstranten und andere, da war es diese Bundesregierung, die umgehend jede Form von Rüstungsexporten abgestellt hat. Sie haben jahrelang an Saudi-Arabien, an die Täter des Jemen-Krieges und zuletzt, auf den letzten Drücker, an Ägypten Waffen geliefert. Das ist eben der Unterschied. Deswegen wollen wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz in diesem Lande durchsetzen.
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Letzte Bemerkung: Guter Europäer wird man nicht dadurch, dass man immer in der Mehrheit ist. Zu einem guten Europäer gehört, dass man auch mal eine bittere Niederlage erleidet, wie wir sie als Bundesregierung in der Frage der Taxonomie erlitten haben. Das werden wir wahrscheinlich nicht aufhalten können. Aber ich finde auf der anderen Seite auch, Sie sollten der Realität ins Auge sehen. Das wird übrigens nichts daran ändern: Beim Klimaschutz wird am Ende niemand auf Atomkraft setzen, weil das zu teuer ist. Im letzten Jahr sind 250 Gigawatt erneuerbare Kapazität weltweit ans Netz gegangen, aber nur 0,5 Gigawatt – 0,5! – nukleare. Das hat damit zu tun, dass die Kilowattstunde Strom aus erneuerbaren Energien für 2 bis 3 Cent produziert werden kann, während sie aus Atomkraft für 20 bis 30 Cent produziert werden kann.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Und das ist der Grund, warum diese Bundesregierung sich dafür einsetzen wird, dass die G 7 eine klare Initiative zum Ausbau erneuerbarer Energien in der Welt – und übrigens auch in Bayern – ergreifen.
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Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit bitte ich die Rednerinnen und Redner, auf ihre Redezeit zu achten. Wir waren bis jetzt sehr kulant, aber ich bitte in Anbetracht der Zeit und mit Blick darauf, was noch alles in der Debatte vor uns liegt, darauf zu achten. Vielen Dank.
Ich erteile der Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU, das Wort.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Außenministerin, auch von meiner Seite noch mal allseits eine glückliche Hand für große Aufgaben! Kolleginnen und Kollegen! Von Klima bis China, wenn Sie mir diese Formulierung erlauben, von Geldwertstabilität über wirtschaftliche Prosperität bis zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik: Nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern werden wir im globalen Wettbewerb bestehen. Europa braucht ein starkes Deutschland; aber um das zu sein, brauchen wir als größtes Land ein funktionierendes Europa, und ich glaube, darüber sind sich hier im Haus zumindest die allermeisten einig.
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Basis hierfür bilden klare Regeln, die Achtung selbstgegebenen Rechts. Unser Ziel muss es doch sein, das Vertrauen und damit die Akzeptanz der Menschen in die handelnden Institutionen zu erhalten. Frau Ministerin, Sie haben das Wort „regelbasiert“ genutzt, mehrfach. Ich habe mich darüber gefreut. Wir werden Sie daran messen.
Dies ist im Übrigen auch untrennbar mit dem Handeln in unserem eigenen Land verbunden. Nur zwei Beispiele: Wenn wir eine Stärkung gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik wollen, dann müssen wir doch auch im eigenen Land bereit sein, Mittel bereitzustellen und damit Verantwortung zu übernehmen. Das hat etwas mit der Stärkung auch der europäischen Souveränität zu tun. Sind Sie – wie wir – alle dazu bereit? In der Vergangenheit jedenfalls war dies nicht immer der Fall.
Wenn wir Geldwertstabilität – Herr Schmid, Sie nannten den Begriff „starker Euro“ zu Recht – wollen und die Inflation aktuell vielen von uns zu Recht Sorgenfalten auf die Stirn treibt, dann muss uns doch auch der weitere Umgang mit Themen wie dem Stabilitäts- und Wachstumspakt beschäftigen. Sind Sie sicher, dass hier in Teilen der Ampel in diesen Tagen die richtigen Signale gesendet werden?
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Ich erinnere daran: Erst vor Kurzem haben auch wir den Weg frei gemacht, hier in diesem Hause, zu einem gemeinsamen Wiederaufbau innerhalb der EU nach der Coronakrise. Es wurden Mittel in historischer Dimension zur Verfügung gestellt, mit dabei ein Paradigmenwechsel: die Aufnahme von Schulden durch die Europäische Union. Die Spielregeln dafür waren glasklar. Wenn Sie dabei bleiben, die damaligen Bedingungen einzuhalten, auch in dieser Koalition, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. Wenn Sie jedoch in diesen Tagen parallel eine Diskussion beginnen, die zu einer Neuregelung oder gar Aufweichung der Stabilitätskriterien im Grundsatz geradezu auffordert, also in einer Zeit, in welcher der beschriebene Prozess gerade erst seinen Anfang genommen hat, dann endet diese Diskussion in maximaler Irritation und Verunsicherung. Dann müssen Sie ebenso klar sagen, wo Sie damit hinwollen.
Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine guten oder schlechten Schulden, je nach politischen Schwerpunkten oder Wetterlagen. Die Basis für stabiles Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und damit verbunden soziale Sicherheit liegt immer in einer nachhaltigen Finanzpolitik, ob in Berlin oder in Brüssel. Sie bildet die Grundlage für die Einzelthemen, die es unstreitig zu benennen gilt und die auch erwähnt wurden. Am Ende hat es auch ganz viel mit Generationengerechtigkeit zu tun.
Ein weiteres Thema. Sie wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages am Geschehen in Europa stärken. Hier haben Sie uns an Ihrer Seite. Gleichzeitig liebäugeln Sie in Ihrem Koalitionsvertrag mit einem föderalen Bundesstaat Europa. Kolleginnen und Kollegen, dann müssen Sie aber auch klar benennen, an welchen weiteren Stellen Sie nationale Souveränität aufgeben wollen. Oder besser gefragt: Wo lassen Sie diese Souveränität bei anderen bereits heute eigentlich nicht mehr zu? Das Beispiel wurde doch schon genannt: der Entwurf der EU-Kommission zur Taxonomie, sprich: dem Nachhaltigkeitssiegel für Energieformen. Ich sage das jetzt ohne Bewertung; aber lösen wir die großen Herausforderungen, vor denen Europa in seiner Vielfalt steht – historisch in Teilen völlig unterschiedlich gewachsen –, mit nationalstaatlicher Ideologie oder auch allzumal mit der Macht des Möglichen? Wie ist bei diesem konkreten Thema Ihr Beitrag für einen Zusammenhalt der Gemeinschaft, und wie geht es weiter?
Alles in allem haben wir die Frage zu beantworten: Welche Rolle muss dieser Kontinent in Zukunft spielen, um Wohlstand und Sicherheit für seine Menschen in den Mitgliedstaaten auch weiterhin zu gewährleisten in einer Welt, die sich gerade neu sortiert? In Ihrem Koalitionsvertrag sehen wir viele wohlfeile Worte. Es wird umso spannender sein, zu sehen, wie Sie sie konkret mit Leben erfüllen. Allein die vergangenen Tage jedenfalls lassen für uns manche Zweifel aufkommen, wenn es um die Substanz geht. Wo es möglich ist, bieten wir Zusammenarbeit an. Aber alles andere werden wir kritisch hinterfragen.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, liebe Kollegin Lips, das ist ein gutes Angebot zur Zusammenarbeit. Und ja, Sie können sicher sein, dass dieser Bundeskanzler Europa kann. Ebenso wie Willy Brandt als Außenminister, ebenso wie Helmut Schmidt als Finanz- und Wirtschaftsminister kommt er in dieses Amt, nachdem er im Europäischen Rat schon gezeigt hat, was Europa für ihn bedeutet. Sie haben zu Recht auf den Wiederaufbaufonds hingewiesen. Olaf Scholz kann Europa. Deshalb können wir auch in dieser Koalition, auch mit dieser Außenministerin Europa voranbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sagen wir es auch mal ganz klar: Dieser Koalitionsvertrag ist das integrationsfreundlichste Dokument, das wir seit vielen, vielen Jahren in diesem Hause beschlossen haben, weil es darauf setzt, dass wir als Teil dieser Gemeinschaft in unserem ureigensten Interesse Politik machen auf einem Kontinent, der auch in Zukunft prägend sein soll und der sich in dieser Welt selbst behauptet.
Hier ist die Frage gestellt worden, wo wir hinwollen. Natürlich ist immer auch der Weg das Ziel, aber tatsächlich wollen wir in Richtung eines europäischen Bundesstaates, einem föderalen Staat. Die Konferenz zur Zukunft Europas ist so wichtig, weil wir in Diskussionen mit Abgeordneten aus anderen Ländern, aber vor allen Dingen auch mit den Bürgerinnen und Bürgern klarstellen wollen: Das wichtigste nationale Interesse ist nicht mehr die Souveränität, sondern das wichtigste nationale Interesse ist die europäische Einigung.
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Was bedeutet das in der Praxis? Als erstmals für den Reichstag eine Wahl anstand, im Jahre 1866, stand im Programm meiner Partei der Satz, dass man unter deutscher Einheit auch versteht, zu einem solidarischen europäischen Staat zu kommen. Das wollen wir heute genauso. Stellen wir uns doch mal vor, wo wir heute in Europa stünden, wenn wir 1866 diesen Weg beschritten hätten statt der Kriege und der Weltkriege. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass wir das gemeinsame Europa in diesem Parlament zusammen mit den Fraktionen – außer der AfD – voranbringen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europäisierung ist immer Demokratisierung, und Demokratisierung ist vor allem Parlamentarisierung. Die SPD steht dabei in einer besonderen Verpflichtung. Schon 1964 hat der Abgeordnete Karl Mommer im Bundestag den Gesetzentwurf für die Direktwahl des Europäischen Parlaments eingebracht. Leider sind wir damals noch an CDU/CSU und FDP gescheitert. Es hat 16 Jahre und zweier sozialdemokratischer Kanzler in Europa bedurft, bis wir das dann durchgesetzt hatten. Gott sei Dank!
Bei der Europapolitik wird daher auch wichtig sein, dass dieser Deutsche Bundestag sich weiterhin als Partner und als Interessenvertreter des Europäischen Parlaments versteht, nach dem Prinzip „Miteinander arbeiten und voneinander lernen“. Das hat ganz praktische Konsequenzen für uns, über die wir reden sollten. Ich bin wirklich gespannt, ob das über die Koalition hinaus auch breitere Zustimmung findet.
Erstens. Wir brauchen eine bessere Öffentlichkeit. Dazu gehört die Öffentlichkeit in Ausschusssitzungen. Wir sollten im Europaausschuss damit anfangen. Wir haben mit Toni Hofreiter jetzt einen guten Vorsitzenden gewählt. Wir sollten auf diese Weise deutlich machen, dass das insgesamt dazugehören sollte und dass umgekehrt nichtöffentliche Sitzungen die Ausnahme bilden sollten. So funktioniert die Regel auch im Europäischen Parlament, inklusive der Anhörungen, die dort zum Beispiel mit Bankpräsidenten, Kommissaren und den Regierungsmitgliedern stattfinden. Das machen wir ohnehin.
An dieser Stelle sollten wir stolz darauf sein, was bereits gelungen ist, damals auf Initiative von Abgeordneten der FDP und der SPD:
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dass nämlich der Deutsche Bundestag als einziges nationales Parlament in Europa vor der Investitur der Kommission 2009 und 2014 den von deutscher Seite als Kommissar vorgeschlagenen Kandidaten Günther Oettinger, CDU, in einer öffentlichen Debatte angehört hat. Günther Oettinger hat das übrigens gut gemacht. Damit haben wir gezeigt, dass der Deutsche Bundestag eine besondere europapolitische Verpflichtung hat.
Zweitens. Auch das war eine mutige Entscheidung: Das Europäische Parlament ist vom Bundesverfassungsgericht mit einer Fünf-zu-drei-Mehrheit als minderwertiges Parlament bezeichnet worden – deshalb haben wir unter anderem keine Sperrklausel –, und zwar gegen die Meinung aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die in Karlsruhe mit dabei waren. Seien wir doch offen; schreiben wir doch in unsere Verfassung: Bei Wahlen sind Sperrklauseln bis maximal 5 Prozent möglich. Wir bekommen das im Europäischen Parlament dann auch hin, plus transnationaler Listen. Wir haben es im Koalitionsvertrag stehen.
Ein dritter Punkt. Wollen wir doch mal ganz ehrlich sein: 2014 waren wir gut, aber 2019 haben wir versagt. Wir müssen bei der nächsten Europawahl garantieren, dass die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten, wenn sie die Mehrheit haben, hinterher tatsächlich Kommissionspräsidentin oder Kommissionspräsident werden. Wenn wir das so machen wie beim letzten Mal, ist das genau so, als hätte die CDU/CSU mit Armin Laschet als Kanzlerkandidat einen Wahlkampf geführt und hinterher gesagt: Eigentlich wollten wir lieber Söder.
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Das geht beim nächsten Mal bitte schön nicht.
Noch ein letzter Punkt. Auch das gehört dazu: Es kann doch nicht sein, dass allein der Bundestag und die Vertreter der Länder den Bundespräsidenten wählen und wir überhaupt nicht realisieren, dass es inzwischen 96 deutsche Europaabgeordnete gibt. Es sind aber lediglich zwei, drei Europaabgeordnete, die den Bundespräsidenten mitwählen. Auch das sollten wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Schäfer.
Das sollte immer in einem gemeinsamen Geist geschehen, wonach nicht das nationale Interesse am wichtigsten ist, sondern dass wir als Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Norbert Kleinwächter, AfD-Fraktion. Er wird von der Tribüne aus sprechen. – Herr Kleinwächter, Sie haben drei Minuten Redezeit. Wir geben Ihnen ein Zeichen, kurz bevor die Redezeit vorbei ist, weil Sie dort oben keine Uhr sehen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“ Mit diesen Worten begann ganz bewusst Robert Schuman, der große Visionär Europas und der europäischen Zusammenarbeit, 1950 seine berühmte Erklärung. Ich darf gleich eins vorausschicken: Schöpferische Anstrengungen im Koalitionsvertrag kann man Ihnen nun wirklich nicht bescheinigen. Alles, was Sie gemacht haben, war, die Ideen von Emmanuel Macron zu kopieren.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ein Präsident seine eigenen Bürger als Non-Citoyen, als Nichtbürger, bezeichnet, weil sie einfach nicht so spuren, wie er sich das einbildet, und wenn er sagt, er möchte sie „emmerder jusqu’au bout“, also bis zum Ende aufreiben, dann ist dieser Mann ein Non-Président! Der ist kein Vorbild für Europa,
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sondern der ist genau die Bedrohung für Europa, von der Robert Schuman geschrieben hat und von der er sprach und die wir auch verhindern müssen.
Eine Hoffnung, die ich an dieser Stelle ausdrücken darf, ist, dass die Franzosen, wenn sie im April wählen dürfen, diesem Mann genauso wie Ihren völlig bizarren Ideen einer Reform der Europäischen Union ein endgültiges Ende bereiten.
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Denn das, was Sie wollen, ist völlig irrsinnig. Frau Baerbock sprach von einer weltweiten Sozialpolitik. Die Leute merken doch schon, dass es ihnen schlecht geht wegen der Inflation, dass sie draufzahlen, dass sie an Geldwert verlieren, dass sie oft ihre Jobs verlieren. Es geht schon in die falsche Richtung, und Sie wollen noch einen draufpacken mit einem Staat EU, wo die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes grundsätzlich dem nationalen Recht vorgeht. Dann ist es völliger Mumpitz, was wir hier beschließen; wenn die EU was sagt, dann ist das Gesetz. Wir wollen das nicht!
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Sie wollen auch keine Parlamentarier mehr im EP. Sie wollen Funktionäre dorthin wählen lassen, über Listen, die die Parteien irgendwie in Brüssel zusammenzimmern, und dann können die Leute noch eine Liste ankreuzen. Ja, Listenwahlen, das kennen wir von Einheitslisten aus einem gewissen Teil Deutschlands. Das brauchen wir nicht wieder – danke, haben wir gehabt!
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Aber das Schlimmste ist: Sie wollen kein Europa der Menschen. Sie wollen gar keine europäische Zusammenarbeit. Sie setzen auf eine Europäische Union der Institutionen, die hart durchgreifen und hart durchregieren. Und deswegen denken Sie in Ihrem Koalitionsvertrag immer nur an Institutionen, die bestrafen, wie der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Wenn irgendwo in der Europäischen Union dann noch ein zartes Pflänzchen der Souveränität oder des Bewusstseins über Traditionen oder vielleicht auch Religion wächst, das vielleicht nicht Ihren sehr engen Vorstellungen entspricht, dann kommt die Haube des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus und wird diese zarte Blume ausmerzen.
Meine Damen und Herren, der langjährige Begleiter von Robert Schuman, Jean Monnet, schrieb: „Nichts ist möglich ohne die Menschen, nichts dauerhaft ohne Institutionen.“ Und er meinte damit, dass wir eine europäische Einigung, eine europäische Verständigung, vor allem aber die Menschen brauchen, und ja, dann sekundär auch die Institutionen.
Herr Kleinwächter, Ihre Redezeit ist vorbei.
Sie setzen auf starke Institutionen und schwache Menschen. Wir setzen auf starke Menschen und Institutionen, die es zwar braucht und die funktionieren sollten, aber so gering wie möglich.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Bijan Djir-Sarai von der FDP-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die außenpolitische Debatte des heutigen Tages kommt zu einem richtigen Zeitpunkt. Ich bin sehr froh, dass diese Debatte heute stattfindet. Noch hat uns die Coronapandemie sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa im Griff. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass wir zurzeit in erster Linie mit unseren eigenen Problemen und Herausforderungen beschäftigt sind.
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Welt, in der wir leben, sich dramatisch verändert, und wir sollten uns in Deutschland und Europa mit diesen Veränderungen intensiv beschäftigen. Das, was beispielsweise China heute macht – in Asien, im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika –, hat unmittelbar Einfluss auf unsere Interessen in der Welt. Die politischen Entwicklungen, ob in Afghanistan, Syrien oder Libyen, beeinflussen auch die Innenpolitik in unserem Land. Flucht, Vertreibung und Fluchtursachenbekämpfung sind dabei zentrale Themen.
Unsere Antwort auf die großen Veränderungen dieser Welt kann aus meiner Sicht nur lauten: mehr Europa. Denn Europa ist unsere Zukunft und unsere einzige Möglichkeit, auf die Herausforderungen der Zeit Einfluss zu nehmen, meine Damen und Herren.
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Daher sollten wir alles dafür tun, damit wir endlich eine gemeinsame und handlungsfähige europäische Außen- und Sicherheitspolitik schaffen können – nicht nur in der Theorie für große Reden, sondern auch in der Praxis.
Ich will es an dieser Stelle auch deutlich sagen: Ich finde es nicht gut, wenn über die Sicherheitsarchitektur in Europa gesprochen wird und Europa nicht am Tisch sitzt. Man darf sich aber auch nicht wundern; denn schließlich hat sich Europa in den letzten Jahren auch in der Außenpolitik unter Wert verkauft und kleingemacht, und wer sich kleinmacht, wird auch dementsprechend behandelt.
Wir müssen in den nächsten Jahren noch stärker als zuvor unsere Interessen in der Welt artikulieren und gleichzeitig deutlich machen, dass wir für unsere Werte stehen – für Werte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Bürgerrechte.
Es heißt, deutsche Außenpolitik soll werteorientiert und interessengeleitet sein. Noch nie war diese Formulierung so wichtig und so richtig; denn es ist kein Oder, es ist ein Und.
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Und ich sehe keinen Widerspruch zwischen einer werteorientierten und einer interessengeleiteten Außenpolitik.
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Allerdings dürfen wir einen Fehler nicht machen: Wir dürfen eine werteorientierte Außenpolitik nicht mit einer moralisierenden Außenpolitik verwechseln. Diesen Fehler dürfen wir nicht machen.
Wir können nicht zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen in China schweigen. Wir können nicht schweigen, wenn Oppositionelle in Russland unterdrückt werden. Wir können nicht schweigen, wenn radikal-islamistische Taliban in Afghanistan mit Steinzeitmethoden die Menschen tyrannisieren. Wir können nicht schweigen, wenn Frauen im Iran systematisch vom Regime diskriminiert und unterdrückt werden. Wir müssen uns für diese Menschen einsetzen. Das sind wir denen schuldig, deren Freiheit tagtäglich von Diktatoren und Autokraten infrage gestellt wird.
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Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hatte außerordentlich schwierige Rahmenbedingungen bei ihrem Start. Nicht nur die Coronapandemie, sondern auch die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze und ebenso das Verhalten Russlands an der ukrainischen Grenze waren vom ersten Tag an eine große Herausforderung.
Frau Ministerin Baerbock, ich wünsche Ihnen alles Gute. Ihr Erfolg ist wichtig für uns, ist wichtig für unser Land. Sie sind erst seit Kurzem im Amt. Aber die Art und Weise, wie Sie dieses Amt mit Leben gefüllt haben, ist aus meiner Sicht jetzt schon überzeugend.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand und bin gespannt, wie Sie diese kohärente Außenpolitik über Ministeriumsgrenzen hinweg umsetzen werden. Die Worte „kohärente Außenpolitik“ haben Sie in Ihrer Rede oft wiederholt. Es ist gut, dass wir darüber reden, weil bisher ja nicht wirklich klar war, ob diese Bundesregierung eine Außenpolitik hat. Ich zweifle immer noch daran; denn bisher war ja in zentralen Fragen eher ein großes Durcheinander von Einzelmeinungen zu vernehmen. Ganz konkret sichtbar war das bei Nord Stream 2.
Frau Ministerin, Sie sind fleißig unterwegs,
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Sie zeigen die großen Themen auf: die Klimakrise international lösen, den Blick auf neue Technologien richten – sehr, sehr wichtig –, Unterstützung von Frauen, Multilateralismus stärken, Widerstandsfähigkeit der Demokratien erhöhen und den Zusammenhalt Europas fördern. Das sind wichtige Überschriften, ohne Zweifel; aber das ist noch keine Politik.
Wir wollen wissen, wie Sie konkret dahin kommen. Wir leben schließlich in keiner grünen Traumwelt, sondern erfahren gerade in diesen Tagen, dass wir mit knallharten Machtfragen und hybriden Bedrohungen konfrontiert sind. Da ist Wehrhaftigkeit, da sind klare Positionen, da ist Stärke und da ist vor allem eine einheitliche Stimme unserer Regierung gefragt und keine Koch-und-Kellner-Diskussion, meine Damen und Herren. Und: Wir müssen am Tisch sitzen, wenn über unsere Sicherheit verhandelt wird.
Ich bin froh, dass der Bundeskanzler in der Fragestunde vorhin seine große Sorge über die russischen Bewegungen, über den russischen Aufmarsch an der ukrainischen Grenze zum Ausdruck gebracht hat. Aber insgesamt waren seine Aussagen auch viel zu unklar und vage. Es fehlt mir wirklich eine Vorstellung davon, wie diese Bundesregierung konkret zur Entspannung mit Russland beitragen will.
Überhaupt muss die SPD ihr Russland-Problem endlich in den Griff kriegen. Denn es geht nicht, dass der Generalsekretär der größten Regierungspartei sagt, das sei ja alles nicht so tragisch in der Ukraine und man solle da jetzt keinen Konflikt herbeireden – Klammer auf: wo keiner ist, meint er wahrscheinlich; Klammer zu. Das ist ein seltsamer Informationsstand, meine Damen und Herren; denn diese Aussage verhöhnt die vielen Menschen, die dem Konflikt im Osten der Ukraine in den letzten Jahren bereits zum Opfer gefallen sind. Ich meine, Kollege Kühnert sollte diese Aussage zurücknehmen und sich bei den Menschen in der Ostukraine für diese Entgleisung entschuldigen.
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Außenpolitik taugt nicht für die ersten Gehversuche des neuen Generalsekretärs.
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Meine Kolleginnen und Kollegen, verehrte Frau Ministerin, mir ist abschließend noch ein Punkt wichtig. Paris, Warschau, Washington, Rom, das ist alles sehr wichtig und richtig. Aber bitte vergessen Sie unsere kleineren Nachbarn nicht. Der Zusammenhalt Europas funktioniert nur, wenn alle mit dabei sind. Jetzt im Januar sind es 25 Jahre seit der Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung, eines so wichtigen Dokuments, mit dem die schwierige gemeinsame Geschichte des letzten Jahrhunderts überwunden wurde. Das wäre ein guter Anlass, unseren kleineren Nachbarn zu zeigen: Ja, wir sehen euch; ja, ihr seid auch unsere Partner auf Augenhöhe.
Meine Damen und Herren, die neue Regierung ist jetzt einen Monat im Amt. Es ist an der Zeit, dass sie geeint Deutschlands politisches und wirtschaftliches Gewicht einsetzt und unsere übergeordneten Ziele entschieden verfolgt. Das sind Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in Deutschland und Europa. Packen Sie es an! Dann sind wir auch an Ihrer Seite.
Herzlichen Dank.
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Zu ihrer ersten Rede erteile ich das Wort Derya Türk-Nachbaur, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ So lautet Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Menschenrechte sind für die einen zum Glück so selbstverständlich, dass sie sich in ihrem Alltag gar nicht damit auseinandersetzen müssen, für manche anderen vielleicht ein bisschen abstrakt. Für eine zunehmende Anzahl von Menschen hat allerdings der Schutz ihrer Menschenrechte durch Staaten wie Deutschland eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Durch unseren Einsatz zum Schutz der Menschenrechte auf internationaler Ebene werden vielen Menschen erst die Chancen auf bürgerliche und politische Freiheit und soziale und kulturelle Teilhabe gewährt. Aus der bequemen Perspektive eines mitteleuropäischen Staates ist es vielleicht kaum vorstellbar, dass weltweit mancherorts unter anderem das Recht auf Leben, das Recht auf ein würdevolles Sein in Freiheit oder das Verbot von Folter eben nicht gelten und die Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht garantiert sind.
Ja, ich spreche von der wirklich rechtswidrigen Unterdrückung der Meinungsfreiheit und nicht von dem, was die angeblich Recht verteidigenden, sich der Demokratie Bedienenden, aber „Diktatur“ schreienden Leerdenker meinen.
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Diese Leute pervertieren den Begriff der Meinungsfreiheit und begreifen nicht, dass ihnen genau diese gewährt wird, während sie „Diktatur!“ und „Lügenpresse!“ schreien, sogar eine Bundesministerin im Hohen Haus der Heuchelei bezichtigen, ohne dafür Konsequenzen befürchten zu müssen. Viele können sich gar nicht vorstellen, dass es noch viel vulnerablere Gruppen gibt als sie. Das sind etwa Frauen, Mädchen oder Angehörige der LGBTIQ-Community, die besonders unter der Verletzung ihrer Menschenrechte leiden, da sie dieser oft fast schutzlos ausgesetzt sind.
Zum Schutz der Frauen und Mädchen werden wir uns für die verstärkte Um- und Durchsetzung der Istanbul-Konvention einsetzen. Trotz der existierenden Regelungen und Maßnahmen gegen geschlechtsbezogene Gewalt besteht in Deutschland noch erheblicher Handlungsbedarf bei der vollständigen Umsetzung der Konvention. Ich bin sehr froh, dass diese Ampelkoalition fest entschlossen ist, die erforderlichen Maßnahmen so schnell wie möglich umzusetzen.
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Neben der Ratifizierung weiterer Artikel der Menschenrechtskonvention werden wir uns ebenso um die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum Sozialpakt der Vereinten Nationen kümmern. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Ausschuss für Arbeit und Soziales, hier ist jetzt auch Ihr Einsatz gefragt. Ich glaube, Sie müssen dieses Jahr in dem Punkt ein bisschen aktiv werden.
Apropos Arbeit. Arbeit darf nicht krank machen. Vor allem aber dürfen Menschen aufgrund ihrer Arbeit erst recht nicht verfolgt oder gar getötet werden. Wenn die Endstation bei der Ausübung des Berufes zum Beispiel im Einsatz für eine freie und unabhängige Presse das Gefängnis ist, liegt es in unserer Verantwortung, die Stimme zu erheben, einzuschreiten, wenn Aktivistinnen sowie Menschenrechtsanwältinnen bedroht, verfolgt und eingesperrt werden. Deswegen wollen wir uns verpflichten, diese Menschen und ihre Arbeit in ganz besonderer Weise zu stärken und sie auch bei grenzüberschreitender Verfolgung zu schützen.
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Das umfasst auch die Gewährleistung einer unbürokratischen Aufnahme von hochgefährdeten Menschen und die langfristige Ausgestaltung verschiedener Förder- und Schutzprogramme. Wir werden einen Fonds zum Ausgleich der finanziellen Schäden für im Ausland inhaftierte Deutsche einrichten. Das ist ein ganz wichtiger Meilenstein, der auf unsere Initiative hin im Koalitionsvertrag fest einzementiert worden ist. Darüber bin ich sehr glücklich.
Außerdem muss auf allen Ebenen eine ressortübergreifende Koordination konsequent umgesetzt werden, da nur so eine effektive Bekämpfung beispielsweise des Menschenhandels stattfinden kann.
Menschenrechtsverletzungen finden jedoch nicht nur in den Ländern statt, über die täglich in der Presse zu lesen ist; nein, sie finden auch in den Staaten statt, die sich selbst als rechtsstaatlich bezeichnen und mit denen wir auf vielerlei Ebenen partnerschaftlich verbunden sind. Menschenrechtsverletzungen finden übrigens auch hier in Deutschland statt, auch wenn das hier im Haus nicht unbedingt jeder gerne hört. Überall dort, wo sie begangen werden, müssen sie aufgedeckt und geahndet werden. Dazu gehört dann auch, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung von Organisationen wie etwa des Deutschen Instituts für Menschenrechte oder der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter.
Darüber hinaus ist es nicht hinnehmbar, dass eine überstaatliche Institution wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Recht spricht und dessen Urteile einfach im Nichts verpuffen, ohne dass die Mitgliedsländer sich zu deren Umsetzung gezwungen sähen. Auch in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit werden wir massiv darauf drängen und uns politisch dafür starkmachen, dass diese Urteile ernst genommen und umgesetzt werden.
Weiter zum Thema Recht. Die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen muss weltweit beendet und die Opfer müssen besser geschützt werden.
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Deshalb engagieren wir uns für die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs und der Ad-hoc-Tribunale der Vereinten Nationen, und wir werden uns für eine Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts einsetzen.
Sie sehen: Es gibt viel zu tun. Und Sie hören: Wir haben einen Plan. Wir alle hier – ich korrigiere: leider nicht wir alle, doch die allermeisten von uns – haben uns der Demokratie verschrieben.
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Daher werden wir gemeinsam dafür sorgen, dass – wie es sich in einer Demokratie gehört – der Schutz der Schwächsten auch bedeutet, dass ihnen die gleichen Chancen eingeräumt werden wie den Stärksten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der letzte Redner in dieser Debatte ist Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Bundesregierung ist auch angetreten mit dem Anspruch, unsere verfassungsmäßigen Grundwerte und die Menschenrechte aktiv zu vertreten, national wie international. Dazu wünschen wir Ihnen, liebe Frau Ministerin Baerbock, und der ganzen Bundesregierung nicht nur allen Erfolg, sondern wir erwarten das auch; denn die Menschenrechte zählen zu unserer Staatsräson, und in Fragen der Staatsräson darf es keine faulen Kompromisse geben.
Die Bundesregierung darf übrigens auch nicht mit zwei Gesichtern reden. Es kann nicht sein, dass die Außenministerin die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt und dass der Bundeskanzler beim Thema China oder bei anderen Themen offen oder im Hintergrund diese menschenrechtsorientierte Außenpolitik einkassiert. Die Bundesregierung darf gerade in diesem Feld nicht von Beginn an ihre Glaubwürdigkeit verlieren.
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Deutschland muss erkennbar bleiben, und die Mitglieder der Bundesregierung dürfen nicht zu leeren Gesichtern beim Thema Menschenrechte werden. Die Geltung und die Verteidigung der universellen Menschenrechte sind deshalb von so strategischer Bedeutung, weil wir in einer globalen Auseinandersetzung um nichts weniger als Demokratie und Diktatur stehen.
Seit vielen Jahren haben sowohl Russland als auch China die Diktatur der Oligarchie und die Diktatur der Partei gegen die Menschen und ihre Rechte umgesetzt. Die Menschen sind immer weniger frei und in ihren Rechten immer mehr unterdrückt, und zudem exportieren weitere Länder ihr autoritäres und aggressives Konzept.
Die entscheidende politische Auseinandersetzung unserer Zeit ist die – da haben Sie, Frau Ministerin, recht – zwischen liberaler Demokratie und autoritärer Diktatur. Wir haben es mit nicht nur wirtschaftlich wichtigen Herausforderern zu tun, sondern auch mit einem Herausforderer, wie es ihn in der Geschichte so noch nie gab, nämlich China. Deshalb ist es von strategischer Bedeutung, sich mit China und der Lage der Menschenrechte in China ernsthaft zu befassen. Im Inneren zeigt die brutale Unterdrückung der Uiguren, die von internationalen Völkerrechtlern sogar als Genozid bewertet wird, den Kern dieses Regimes. Es ist ein Regime, das kein Problem damit hat, Hunderte Millionen Menschen zu unterdrücken und über 1 Million Menschen unter brutalen Bedingungen zu internieren.
Das nationalistische und diktatorische Regime in China ist die größte Bedrohung der liberalen Weltordnung seit dem Ende der Sowjetunion. Wir müssen uns dieser Gefahr hier stellen, bevor es zu spät ist. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es überhaupt nicht unerheblich, wie sich Deutschland gegenüber China verhält. Das konkrete Verhalten Deutschlands wird entscheidend zur Verteidigung oder zur Niederlage der Menschenrechte weltweit beitragen. Denn wir sind, lieber Kollege Schmid – und da darf man sich nicht nur hinter Europa verstecken, sondern man muss es zur Kenntnis nehmen –, das politisch und wirtschaftlich wichtigste Land in der EU, dem noch immer größten Wirtschaftsraum, den China als Absatzmarkt dringend braucht.
Wenn wir nur über Menschenrechte reden und sie zeitgleich verkaufen, dann werden wir diese globale Auseinandersetzung verlieren. Wer sich mit China und dem Regime befasst, der weiß, dass die kommunistische Führung sehr aggressiv und sehr langfristig denkt und agiert. Die Schwächen des Westens sind dort sehr wohl bekannt und auch seine Unentschlossenheit, die eher verachtet als verstanden wird. Wir leben also nicht nur akut mit Blick auf Russland, die Ukraine und andere Krisen in einer schwierigen Zeit. Schon heute entscheiden wir maßgeblich über die Zukunft der freiheitlichen Demokratien, weltweit.
Der neuen Bundesregierung wünschen wir für diese wirklich überragende Aufgabe eine glückliche Hand. Den Ankündigungen müssen dann auch wirksame Taten folgen, und wir sollten gemeinsam alles dafür tun, dass Menschenrechte und Demokratie am Ende dieser Wahlperiode stärker dastehen und nicht schwächer.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Bundesregierung hat ihre Arbeit aufgenommen, ein halbes Jahr nachdem das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil gefällt hatte. Darin hatte es der damaligen Regierungskoalition bescheinigt, dass sie die Lasten unserer heutigen Lebens- und Produktionsweise auf jüngere und kommende Generationen verschiebt und dass damit die existenziellen Freiheitsrechte dieser Generationen verletzt werden. Die neue Bundesregierung ist angetreten, das zu ändern. Sie tritt an als Fortschrittsbündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
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Für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz beginnt damit ein neues Kapitel. Fünf Kernaufgaben will ich hier beschreiben, die dieses Kapitel prägen werden.
Erstens. Das Artenaussterben ist die zweite große ökologische Krise neben der Klimakrise. Sie muss und sie wird jetzt stärker ins Zentrum der Politik rücken; denn es geht um unsere Lebensgrundlagen: um Wasser, Luft zum Atmen, Lebensmittel. Wer beim Naturschutz alleine an Zauneidechsen und Laubfrösche denkt, hat das Problem immer noch nicht begriffen.
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Bis zu 1 Million Arten – bis zu 1 Million Arten! – sind innerhalb der nächsten Jahrzehnte vom Aussterben bedroht, sagt uns die Wissenschaft. Diese Arten werden fehlen, und zwar in allererster Linie uns. Fruchtbare Äcker gibt es nicht ohne biologische Vielfalt, Sauerstoff nicht ohne das intakte Ökosystem Meer. Pflanzen brauchen Bestäuber, Hochwasserschutz braucht Auen, Klimaschutz braucht Moore und alte Wälder, und zwar hier und weltweit. Es geht deshalb jetzt darum, nach Jahrzehnten der Naturzerstörung ein Zeitalter der Renaturierung einzuläuten. Es geht darum, den Moorschutz zu stärken, die biologische Vielfalt, den Wasserhaushalt.
Meeresschutz ist Klimaschutz. Die neue Bundesregierung wird eine Offensive für den Meeresschutz starten, global durch neue Schutzzonen, hierzulande durch ein besseres Management der Schutzgebiete und eine verbindliche Meeresstrategie.
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Wir brauchen eine Agrarwende, die den Verbraucherschutz, Natur- und Tierschutz und die Wirtschaftsgrundlage für Landwirtinnen und Landwirte neu verbindet, die Pestizide und Nitrateinträge in die Ökosysteme reduziert – am besten, was den Eintrag in Naturschutzgebiete anbetrifft, sehr schnell gegen null.
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Zweitens. In diesem neuen Kapitel wird der Verbraucherschutz zur zweiten wichtigen Säule neben dem Umweltschutz. Beide verstärken sich gegenseitig, beide verbessern den Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Wenn ein Fernseher oder eine Waschmaschine entsorgt werden muss, nur weil ein Einzelteil kaputt, aber nicht austauschbar ist, kostet das Verbraucher sinnlos Geld und verschwendet Rohstoffe, ebenso wenn ein Handy nicht mehr richtig genutzt werden kann, nur weil kein vernünftiges Update mehr zur Verfügung steht. Die Bundesregierung plant ein Recht auf Reparatur, und sie wird Anreize dafür schaffen, langlebige Produkte herzustellen.
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Hersteller von IT-Geräten will ich verpflichten, Updates und Ersatzteile zur Verfügung zu stellen, mindestens für die übliche Nutzungsdauer eines Produkts.
Drittens: Kreislaufwirtschaft. Die enge Verknüpfung von Umwelt- und Verbraucherschutz zeigt sich auch bei der dritten Kernaufgabe, dem Ressourcenschutz durch Kreislaufwirtschaft. Plastiktüten und Einwegteller aus Plastik werden bald Geschichte sein. Das ist ein guter, aber nur ein erster Schritt. Das Problembewusstsein wächst, aber gleichzeitig wachsen noch immer die Plastikberge.
Deshalb geht es in Deutschland darum, einerseits Plastikmüll zu reduzieren und andererseits den Rest in hoher Qualität zu recyceln. Erst dann entsteht ein Kreislauf. Ich werde auf europäischer Ebene für höhere Recyclingquoten, für einen verbindlichen Anteil von Rezyklat in Verpackungen und für einheitliche Standards für recyceltes Plastik eintreten und dies vorantreiben.
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International müssen wir endlich zu einem wirksamen Abkommen zur Reduktion von Plastikmüll kommen, bevor in den Weltmeeren noch mehr davon schwimmt.
Und: Niemand braucht Mikroplastik in Gesichts- oder Zahncremes – eigentlich eine alte Diskussion, die längst hätte erledigt sein können. Ich will, dass wir europaweit Mikroplastik in Kosmetika und Waschmitteln endlich ausschließen – wenn es nicht anders geht, durch ein Verbot.
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Viertens: Atomausstieg. Die vierte Kernaufgabe des Ministeriums wird der Abschluss des Atomausstiegs sein.
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Die Entscheidung zum Ausstieg wurde und wird von einer übergroßen Mehrheit in unserem Land getragen. Die Argumente sind zahlreich: vom Uranbergbau über die Risiken im Betrieb bis zu ungeklärten Haftungsfragen. Die Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Sie wird nicht ausreichend versichert, sie ist extrem teuer, und sie kommt nicht ohne staatliche Garantien aus. Daran ändern auch die Märchen und Mythen über neue Reaktoren nichts.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Was Ihre Außenpolitiker eben gerade zur Taxonomie erzählt haben, war mehr als scheinheilig. Es ist Bundeskanzlerin Merkel gewesen, die diese Debatte so lange hat laufen lassen. Deutschland wird seine Position jetzt natürlich klarmachen. Wenn der EU-Binnenmarktkommissar ankündigt, dass 550 Milliarden Euro für die Atomkraft in Europa bei gleichzeitig sinkendem Anteil an der Stromerzeugung notwendig sein werden, dann muss Deutschland diese Diskussion offensiv führen, damit öffentliche Gelder nicht in diese Technologie fließen.
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Wir werden das tun und trotzdem das deutsch-französische Verhältnis pflegen und die französische EU-Ratspräsidentschaft unterstützen.
Die fünfte Kernaufgabe: Klimaschutz. Im neuen Kapitel der Umweltpolitik ist diese Aufgabe endlich da angekommen, wo sie hingehört: Überall – in der Wirtschaft, im Verkehr, im Bauressort, in der Landwirtschaft – wird Klimaschutz in Zukunft verortet sein. Natürlich bleibt auch das Umweltministerium Klimaschutzministerium. Das BMUV verantwortet den natürlichen Klimaschutz. Mit einem Aktionsprogramm werde ich naturnahe Wälder und Moore stärken; kanalisierte Flüsse und Bäche und ihre Auen sollen renaturiert werden – Ökosysteme, die Kohlenstoff speichern und gleichzeitig vor dem nächsten Hochwasser schützen.
Die letzten Jahre haben gezeigt, mit welcher Wucht die Klimakrise auch in Deutschland zuschlägt. Wir werden deshalb gemeinsam mit Ländern und Kommunen bessere Vorsorge gegen Klimaschäden treffen, sei es durch Starkregenmanagement, Schutz vor Dürre und Hitze, Renaturierung, mehr Grün in Städten und auf Dächern, eine vorausschauende Stadt- und Regionalplanung.
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Deshalb werde ich die Förderprogramme des Bundesumweltministeriums verstärken, um die kommunalen Anpassungsstrategien zu unterstützen. Ich werde ein Programm auf den Weg bringen, um unter anderem die Wasserversorgung und unsere Gewässer besser auf die Folgen der Klimakrise vorzubereiten. Und wir werden ein Klimaanpassungsgesetz vorlegen und eine Anpassungsstrategie erarbeiten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, acht Minuten sind knapp; es passt nicht alles in diese Rede.
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Lassen Sie bitte die Ministerin zum Ende kommen.
Dann haben Sie offensichtlich beim Rest nicht zugehört, Herr Kollege. Aber das tut mir dann für Sie und Ihre Fraktion leid, vielleicht auch für den Natur- und Klimaschutz.
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– Ja, ja. – Wir werden mit einer aktiven Umwelt- und Verbraucherpolitik für mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sorgen. Alle Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen, die diese Ziele teilen, lade ich als Ministerin gerne zur Zusammenarbeit und Mitarbeit ein. Darauf freue ich mich.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Steffen Bilger, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Lemke, zu Ihrem Amtsantritt wünsche ich Ihnen seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch ganz persönlich alles Gute. – Wir werden eine kritische Opposition sein, aber auch eine Opposition, die Sie dann unterstützt, wenn von der Regierung sinnvolle Vorschläge kommen.
Auch in der Umwelt- und Verbraucherpolitik haben wir als Unionsparteien klare Maßstäbe, was „sinnvolle“ Politik ist. Um den bestmöglichen Nutzen für Mensch, Umwelt und Natur zu erzielen, muss sie ineinandergreifen und möglichst aus einem Guss sein. Sie muss unideologisch an die Dinge herangehen. Sie muss technologieoffen und innovativ sein. Und sie muss integrieren, Kompromiss und Ausgleich suchen und darf keinesfalls spalten.
Leider habe ich aber nach dem Studium des Koalitionsvertrags und den wenigen Tagen Ihrer Amtszeit die Befürchtung, dass Ihre Politik diesem Anspruch nicht gerecht wird. Lassen Sie mich das an einigen Punkten verdeutlichen.
Zunächst müssen wir über das sprechen, was Sie etwas verschämt in Ihrer Rede angesprochen haben, Frau Bundesministerin, nämlich die weitgehende Herauslösung des Klimaschutzes aus dem Bundesumweltministerium. Das entkernt Ihr Haus; denn der Klimaschutz ist das umweltpolitische Querschnittsthema.
Die Verschiebung ins Bundeswirtschaftsministerium ist einzig grüner Machtarithmetik geschuldet. Statt der erforderlichen Bündelung steht sogar eine weitere Fragmentierung zu befürchten. Wenn Herr Habeck Klimapolitik macht, dann muss natürlich auch Frau Baerbock Klimapolitik machen dürfen. Deshalb findet sich die Zuständigkeit für internationale Klimapolitik und die UN-Klimakonferenzen nun im Auswärtigen Amt.
Damit zerschlagen Sie willkürlich gewachsene und bewährte Strukturen. Das schadet deutschen Interessen, und es schadet dem internationalen Klimaschutz. Wir beobachten wahrlich die Verzwergung eines einstmals stolzen Hauses – und das letztendlich nur aufgrund grüner Befindlichkeiten.
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Beim Blick in den Koalitionsvertrag ist festzustellen, dass sich zumindest in den Ankündigungen beim Thema Planungsbeschleunigung etwas tut. Da sind wir uns einig: Wir brauchen in Deutschland eine echte Planungsbeschleunigung.
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Aber nicht nur für den Klimaschutz, nicht nur für die Energiewende, sondern für die gesamte Infrastruktur.
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Und im Verkehrsbereich nicht nur für die Schiene,
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sondern auch für die Wasserstraße und für die Straße; denn moderne Verkehrswege entlasten die Menschen von Lärm und schlechter Luft. Ich bin gespannt auf Ihr diesbezügliches Engagement, Frau Lemke.
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Hier werden Sie auch auf europäischer Ebene gefordert sein. Ich muss ehrlich sagen: Meine bisherige Erfahrung mit dem Bundesumweltministerium war immer nur, dass Ihr Haus Steine in den Weg gelegt hat, blockiert und in Brüssel hintertrieben hat, wenn es um Planungsbeschleunigung ging. Das muss ein Ende haben. Wir werden sehr genau beobachten, ob Sie in Brüssel so agieren, wie Sie es in Berlin in den Koalitionsvertrag geschrieben haben.
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Ich bin auch gespannt auf die Auseinandersetzung mit den Naturschutzverbänden, wenn diese Bundesregierung für die Energiewende beim Artenschutz stärker den Fokus auf die Populationsstärke denn auf den Schutz des einzelnen Tiers legen will. Das macht grundsätzlich Sinn. Nur würde ich mir dann auch wünschen, dass dieses Umdenken nicht an der nächsten Windkraftanlage endet. Beispiel Wolf: Für einen wirksamen Schutz der Weidetierhaltung und auch des Menschen vor dem Wolf wäre dieser Populationsansatz genau der richtige Weg.
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Vernünftig und unideologisch muss sich Deutschland auf europäischer Ebene einbringen, Stichwort „Taxonomie“. Auch ich sehe in der Kernenergie und in Gas keine nachhaltigen Formen der Energieversorgung. Aber die Bundesregierung darf nicht den Rest Europas gegen unser Land aufbringen. Klimaschutz in Europa ist eine gemeinsame Aufgabe. Aber die Wege zur Zielerreichung können unterschiedliche sein; diese sollten Sie nicht anderen vorschreiben wollen.
Frau Bundesministerin, mit dem Umwelt- und Verbraucherschutz verantworten Sie Themenbereiche, die tief in das alltägliche Leben der Menschen in Deutschland eingreifen. Umso wichtiger ist es, dass Sie ein verbindender, kooperativer Ansatz leitet. Wenn ich mir die Diskussion innerhalb Ihrer Koalition in den letzten Tagen anschaue – Kritik von der FDP zu Ihren Vorschlägen zu elektrischen Zahnbürsten und dem Einsatz von Pestiziden –, weiß ich nicht, ob in der Koalition wirklich so ein kooperativer Ansatz festzustellen ist.
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Aber noch mal: Ein verbindender, kooperativer Ansatz ist wichtig.
Sie und Ihr Kollege Özdemir werden beim Erhalt der Biodiversität nicht vorankommen, wenn Sie wieder und wieder das viel zu einfache Feindbild einer profitmaximierenden und umweltvergessenen Landwirtschaft zeichnen.
Sie untergraben die Akzeptanz des Umweltschutzes auch, wenn Sie in Brüssel stillschweigen, wenn von Ihren Parteifreunden im Europaparlament realitätsfremde Grenzwerte beschlossen werden sollen, die der individuellen Mobilität den Boden entziehen, und einmal mehr diejenigen im Stich gelassen werden, die auf ihr Auto angewiesen sind und sich halt keinen Neuwagen leisten können.
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Damit, meine Damen und Herren, sind wir bei der sozialen Dimension Ihrer Politik. Sie schaden dem Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz, wenn Sie unterschlagen, dass steigende Energiepreise enormen sozialen Sprengstoff bergen. Dazu haben Sie in Ihrer Rede gar nichts gesagt. Als Verbraucherschutzministerin sind Sie gefordert, auf den sozialen Ausgleich zu achten. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Ihrer Regierung noch nicht bewusst ist, wie groß die Auswirkungen Ihrer Politik auf den Geldbeutel der Verbraucher sein werden.
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Mein Fazit: Es ist überaus gefährlich, wenn das Bundesumwelt- und jetzt ja auch Verbraucherschutzministerium durch ideologische, nicht innovative Ansätze und Aktionismus vom Verlust der zentralen Zuständigkeit für den Klimaschutz ablenken will. Wir werden auf jeden Fall streng aufpassen, dass dies nicht zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und letztendlich der Umwelt wegen mangelnder Akzeptanz Ihrer Politik geschieht.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Carsten Träger, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke, vielen Dank für Ihre engagierte Rede, für die kraftvollen Linien, die Sie in dem Bild der Umweltpolitik gezeichnet haben, die wir in den nächsten vier Jahren gemeinsam gestalten wollen. Wir freuen uns auf diese Zusammenarbeit. Endlich geht’s los!
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Wir unterstützen ausdrücklich die Idee vom sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft sowie von der Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, auch wenn es mit großen Herausforderungen verbunden ist, die wir nicht übersehen wollen: für die Menschen, für den Naturschutz, für die Landwirtschaft, für Industrie und Mittelstand – letztlich für jede und jeden von uns.
Aber wir sagen Ja zu einem ambitionierten Klimaschutz. Wir wollen bis 2045 klimaneutral werden. Wir wollen bis 2030 80 Prozent unseres Stromverbrauchs regenerativ decken. Dazu gehen wir konsequent den Weg des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
Und weil es vorhin angesprochen wurden: Wir sagen Nein zu einem Weiter-so bei der Atomenergie. – Wie kraftvoll die AfD ihr Argument vertritt, sieht man ja an der regen Beteiligung an dieser Debatte: Gerade mal vier Abgeordnete sind da;
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aber immerhin.
Wir wollen, dass die erneuerbaren Energien in Zukunft die tragende Säule zur Deckung unseres Strombedarfs sind. Da muss auch mein Heimatland Bayern mit Blick auf die Windkraft weiter springen. Wir wollen, dass die 10H-Regel perspektivisch fällt.
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Für uns Sozialdemokraten ist aber auch klar, dass wir diesen Weg der Transformation gemeinsam mit den Menschen gehen wollen und müssen. Wir sehen große, echte Chancen für Wirtschaft, Arbeit und Wohlstand, wenn Deutschland an der Spitze der Entwicklung steht. Aber über die großen Ziele am Horizont darf man eben nicht die kurze Wegstrecke übersehen, die wir unmittelbar vor den Füßen haben; denn sonst werden wir stolpern.
Frau Ministerin, wir reichen Ihnen gerne die Hand, dass das nicht passiert. Sie können sich in der Zusammenarbeit darauf verlassen, dass wir das Soziale im Blick haben werden. Darauf können sich die Menschen in Deutschland verlassen.
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Lieber Kollege Bilger, auch wenn die zentrale Zuständigkeit für den Klimaschutz innerhalb der Bundesregierung und des Parlaments in ein Nachbarressort gewandert ist, so ist Klimaschutz doch eine umfassende Aufgabe für alle Politikfelder und steht für uns Umweltschützer selbstverständlich ganz vorn. Das ist keine Verzwergung, sondern es ist ein Tribut an die gewachsene Bedeutung von Klimaschutz, die eben viel mehr umfasst als nur das Umweltressort.
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Gerade der neue Bereich des natürlichen Klimaschutzes bringt uns in die Verantwortung, die natürlichen Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel, Moore, Wälder, Feuchtgebiete, aber auch Seegraswiesen, zu aktivieren, zu schützen und zu stärken. Und das wollen wir gemeinsam gerne tun.
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Gleichzeitig müssen wir die zweite große Krise dieses Planeten, das globale Artensterben, bekämpfen und überwinden. Es ist wahr: Wir haben bereits große Erfolge im Naturschutz erreicht, aber dennoch ist die Lage insgesamt genauso bedrohlich wie beim Klimawandel. Aber es ist noch nicht zu spät.
Deshalb bin ich froh, liebe Frau Lemke, dass Sie auf dieses Thema einen Schwerpunkt setzen wollen, genauso wie es Ihre Amtsvorgängerin Svenja Schulze mit der Verabschiedung des Insektenschutzgesetzes übrigens auch getan hat. Das war eine schwere Geburt. Dafür nachträglich noch mal herzlichen Dank an Svenja Schulze. Wir Sozialdemokraten stehen für den Kampf gegen das Artensterben gerne zur Verfügung. Wir wollen da gerne weiter gemeinsam voranschreiten.
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Auch müssen wir uns damit beschäftigen, wie wir die Menschen vor den Folgen des Klimawandels schützen, der bereits begonnen hat und der auch in Deutschland zu spüren ist. Die Ereignisse dieses Sommers in Rheinland-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern haben uns das wieder mal schmerzlich vor Augen geführt.
Natürlich gab es auch schon vorher Ansätze und Bemühungen, beim Hochwasserschutz zum Beispiel, aber es gab bisher keine zentrale Steuerung für die Vorsorge. Nun wird es einen klaren Rechtsrahmen geben; Sie haben es genannt. Es wird eine Klimaanpassungsstrategie geben. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt und sind dankbar, dass es uns gemeinsam gelungen ist, ein Klimaanpassungsgesetz zu schaffen: für die Hitzevorsorge, für die Gesundheitsvorsorge, für Wasserinfrastruktur und vieles mehr.
Nicht umsonst haben wir viel Lob von den Umweltverbänden für all das bekommen, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Ich habe leider keine Zeit mehr, um auf das weite Feld Verbraucherschutz einzugehen. Aber ich sage mal: Es gibt viel zu tun. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein werden. Packen wir es an!
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Andreas Bleck, AfD-Fraktion.
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Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Kollege Träger, ich bin überhaupt nicht verwundert, vor allem, weil ich weiß, dass Sie wider besseres Wissen sprechen. Sie wissen ganz genau, dass Ihre undemokratischen Maßnahmen dazu führen, dass nicht alle AfD-Abgeordneten teilnehmen können, die gerne teilnehmen würden.
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In der Europäischen Union ist die Bundesregierung wieder einmal der Geisterfahrer. Sie lehnt die Aufnahme der Kernenergie in die Taxonomie ab, und das, obwohl sie sowohl CO2-arm als auch grundlastfähig ist. Sie ist also die Antwort auf die Frage, wie man Klimaschutz und Versorgungssicherheit in Einklang bringen kann.
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Da die Grünen das Problem der erneuerbaren Energien bei der Versorgungssicherheit nicht verstehen und sich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Poesie im Deutschen Bundestag wünscht, versuche ich, dieses Problem in einfacher Sprache poetisch am Beispiel der Windkraft mit Wilhelm Busch zu erklären:
Aus der Mühle schaut der Müller, Der so gerne mahlen will. Stiller wird der Wind und stiller, Und die Mühle stehet still.
So gehts immer, wie ich finde, Rief der Müller voller Zorn. Hat man Korn, so fehlts am Winde. Hat man Wind, so fehlt das Korn.
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Ja, werte Kolleginnen und Kollegen, im Unterschied zum 21. Jahrhundert wusste man im 19. Jahrhundert, dass auf die Windkraft nicht ohne Weiteres Verlass ist.
In Deutschland interessiert sich die Bundesregierung zwar für Klimatreiber, nicht aber für Preistreiber. Die Folge: 4 Prozent Inflation und explodierende Strom- und Gaspreise. Mit der EEG-Umlage und der CO2-Abgabe werden die Bürger gnadenlos abkassiert. Die Regierungen von Polen und Tschechien wollen ihre Bürger mit einer Aufhebung oder Senkung der Mehrwert- bzw. Umsatzsteuer auf Strom und Gas entlasten. Und die Bundesregierung? Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sinniert währenddessen über höhere Lebensmittelpreise. Herzlichen Glückwunsch! Ihre Politik gegen die globale Erwärmung ist eine Politik der sozialen Kälte.
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Darüber hinaus positioniert sich die Bundesregierung im Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Artenschutz völlig einseitig. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll im öffentlichen Interesse sein und der öffentlichen Sicherheit dienen. Habeck nennt das: die Energiewende mit Artenschutz versöhnen. Er verwechselt offenbar „versöhnen“ und „versündigen“.
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Fakt ist: Windkraftanlagen töten jährlich Hunderttausende Vögel und Fledermäuse. Eine Fläche, die etwa dreimal so groß wie das Saarland ist, wollen Sie mit Windkraftanlagen verspargeln. Damit opfern insbesondere die grünen Klimaapostel den Artenschutz auf dem Altar der Energiewende.
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Und Widerspruch aus dem Bundesumweltministerium gibt es nicht.
Die Pläne der Bundesregierung zum Ausbau der erneuerbaren Energien sind gefährlich. Windkraftanlagen sollen näher an Häuser gebaut werden. Dadurch werden Bewohner durch Infraschall stärker gesundheitlich belastet. Windkraftanlagen sollen auch näher an Drehfunkfeuer gebaut werden. Dadurch werden die Signale zur Orientierung von Flugzeugen stärker gestört.
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Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, ignorieren das öffentliche Interesse. Sie sind ein Sicherheitsrisiko.
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Es ist unfassbar, mit welcher Dreistigkeit Sie die Wirklichkeit verdrehen.
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Doch die größte Enttäuschung der Ampelkoalition – von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet – ist tatsächlich die FDP. Früher forderte sie unter anderem die Abschaffung der EEG-Umlage, ein Verbot des Baus von Windkraftanlagen in Wäldern und eine technologieoffene Förderung. Das hat sie ja mit gutem Grund gefordert. Heute ist davon aber nichts mehr übrig.
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Für die FDP waren diese Forderungen bei der Bildung der Ampelkoalition Verhandlungsmasse, die man jeweils für vier Ministersitze und Ministerwagen bereitwillig aufgegeben hat.
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Damit nimmt sich die Ampelkoalition tatsächlich eine Ampel zum Vorbild: Bei einer Ampel sieht man häufig Rot und Grün, und bei Gelb hält sowieso niemand.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin ist Judith Skudelny von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Normalerweise halte ich mich damit zurück, mich hier mit manchen Parteien auseinanderzusetzen. Aber, sehr geehrter Herr Kollege, wessen Partei selber in Teilen vom Verfassungsschutz überwacht wird, sollte sich dezidiert zurückhalten, andere ein „Sicherheitsrisiko“ zu nennen.
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Meine Damen und Herren, was in Baden-Württemberg an der tradierten Anhänglichkeit eines Ministerpräsidenten an der CDU gescheitert ist, ist uns hier im Bund gelungen. Wir haben es geschafft, ein sozial-ökologisches Bündnis der Erneuerung zu schmieden. Das freut mich persönlich, das freut unsere Koalition, und das wird Deutschland voranbringen.
({1})
Wir haben uns als Ampel auch im Umwelt- und Verbraucherschutz viele wichtige Themen auf den Zettel geschrieben. In meiner kurzen Redezeit werde ich mich auf drei Themen, die mir, die uns am Herzen liegen, konzentrieren.
In Zeiten des Bevölkerungswachstums und in Zeiten des Klimawandels ist der Erhalt der Artenvielfalt eine der dringendsten und vornehmsten Aufgaben, die wir in der Umweltpolitik haben. Die Resilienz, die Krisenfestigkeit unserer Natur, ist ein wichtiges Ziel, das wir in dieser Legislaturperiode erreichen müssen.
({2})
Hierzu haben wir im Koalitionsvertrag ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt, und wir haben es auch finanziell unterlegt. Damit werden wir einen Umschwung in der Artenkrise erreichen, was vielen Regierungen vor uns nicht gelungen ist.
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Wichtig sind die Anpassungsstrategien aber nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschen. Die grausamen Überschwemmungen im Sommer letzten Jahres haben gezeigt, dass Natur und Mensch durchaus vor den gleichen Herausforderungen stehen. Deswegen bin ich froh und stolz, dass wir in unserem Umweltkapitel einen ganz großen Bereich der Klimaanpassung gewidmet haben und kurz- und langfristige Maßnahmen auf den Weg bringen werden. Damit versuchen wir nicht nur, den Klimawandel aufzuhalten, sondern auch mit den schon eingetretenen Folgen des Klimawandels im Wege der Vorsorge umzugehen, sodass wir Mensch und Natur auch künftig schützen können.
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Aber nicht alles, was für den Menschen gut ist, ist für die Natur richtig. Gerade im Bereich der erneuerbaren Energien sehen wir, dass punktuelle Eingriffe in die Natur notwendig sein können bzw. müssen, um die langfristigen Ziele des Klimaschutzes zu erreichen. Die Balance zu finden und zu halten, wird die gemeinsame Aufgabe des Klimaschutzministeriums und des Umweltministeriums sein.
Im Koalitionsvertrag haben wir ein Artenschutzprogramm hinterlegt, das diesen Ausgleich auch für die Artenvielfalt in Deutschland möglich machen soll. Ich bin der Überzeugung, dass diese Regierung es schaffen wird, das bisherige Spannungsfeld aufzulösen und bei beiden Themen gemeinsam voranzuschreiten.
Eines der wichtigen Themen für mich – das macht mich auch besonders stolz – ist das Thema Kreislaufwirtschaft. Zum ersten Mal wird die Kreislaufwirtschaft wirklich sehr ausgiebig im Koalitionsvertrag erwähnt; das wird sich im Handeln der Ministerin zeigen. Es freut mich, dass Kreislaufwirtschaft nicht nur ein wichtiger Baustein beim Klimaschutz, sondern auch ein Garant für eine umweltschonende und sichere Rohstoffversorgung in Deutschland sein wird.
Viele Krisen und politische Auseinandersetzungen in der Welt bis hin zur aktuellen Coronakrise haben gezeigt, wie abhängig die Gesellschaft, wie abhängig die Wirtschaft von einer sicheren Rohstoffversorgung ist. Alle Rohstoffe, die in Deutschland und Europa zurückgewonnen und recycelt werden können, sichern unsere Wirtschaft ab und fördern Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig. Die Schließung der Kreisläufe ist eines der wichtigsten Ziele, wir werden das gemeinsam erreichen.
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Mich freut besonders, dass sich die Koalition offen zeigt für neue Technologien und Methoden. Mit dem chemischen Recycling eröffnen wir neue Wege. Mit neuen Technologien das Klima schützen, Kreisläufe schließen, Rohstoffe sichern – das ist liberaler Umweltschutz im besten Sinne. Und es freut mich, dass wir uns in dieser Koalition dazu verpflichtet haben.
({6})
Unsere gemeinsamen Ziele in der Koalition werden flankiert und begleitet von einer Planungsbeschleunigung, die wir brauchen, um unsere Ziele auch umzusetzen. Wir werden es gemeinsam schaffen.
Meine Damen und Herren, diese Koalition ist nicht Liebe auf den ersten Blick.
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Sie ist gewachsenes Vertrauen, sie hat gemeinsame Ziele, und sie hat den Willen zum gemeinsamen Handeln. Das wird unsere Ehe auf Zeit nicht nur zum Erfolg bringen, sondern vielleicht auch in die Verlängerung. Frau Ministerin, auf unsere Unterstützung können Sie sich verlassen.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die neue Ampelregierung startet mit besten Vorsätzen für die Umwelt. Ich hoffe, dass diese Vorsätze eine größere Haltbarkeit haben als die Vorsätze zum neuen Jahr.
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Die Linke fordert seit vielen Jahren für technische Produkte garantierte Nutzungszeiten und Reparierbarkeit. Zwei Jahre Gewährleistung sind nicht genug.
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Als Techniker weiß ich: Man kann so herstellen, dass Waschmaschinen zehn Jahre halten, Heimelektronik sechs Jahre funktioniert. Auch Computer schaffen mit verpflichtenden Upgrades für Hard- und Software diese sechs Jahre, und mit einem Wechselakku sind drei Jahre für Smartphones kein Wunder.
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Dass solche garantierten Nutzungszeiten wirksam werden, fordert Die Linke. Das spart teure Neukäufe und schont die Umwelt.
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Liebe Bürgerinnen und Bürger, Sie sollen bewusst leben, sollen umweltbewusst einkaufen – zum Schutz Ihrer Gesundheit, zum Schutz der Umwelt. Die Industrie schiebt die Verantwortung gern auf Verbraucherinnen und Verbraucher.
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Das hat einen Haken: Ökologische Produkte sind oft teurer; viele können sie sich nicht leisten. Deshalb fordert Die Linke höhere Löhne, höhere Renten und Sozialleistungen, damit sich jeder gesunde Produkte kaufen kann.
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Jeder Produzent, jede Händlerin muss Verantwortung dafür übernehmen, dass ihre Produkte auch die Sozial- und Umweltstandards einhalten. Selbstverpflichtung und Appelle reichen bei Weitem nicht aus. Es braucht strenge gesetzliche Vorgaben.
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Die Hersteller müssen für Schäden haften, die ihre Produkte verursachen, auch im Abwasser. Arzneimittelreste und Mikroplastik schädigen unsere Flüsse. Sie können von nachgerüsteten Kläranlagen entfernt werden. Aber die Abwassergebühren würden sich verdoppeln – unbezahlbar für viele Mieterinnen und Mieter, für Menschen mit niedrigen Einkommen! Deshalb fordern wir, dass Hersteller, die wasserschädliche Produkte herstellen, die Kosten für die Nachrüstung der Klärwerke übernehmen müssen. So geht sozial gerechte, umweltschonende Produktverantwortung.
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Kolleginnen und Kollegen, es gibt viele Umweltschäden, die entschlossenes Handeln erfordern. Zum Schutz des Ostseedorsches fordern wir beispielsweise die Einrichtung von Totalschutzzonen, ein Verbot der Schleppnetzfischerei und selbstverständlich eine Entschädigung der Fischereibetriebe für die entgangenen Einnahmen.
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Wir unterstützen die Ministerin beim Verzicht auf den Ausbau von Elbe und Oder. Das Geld ist sinnvoller in die Renaturierung der Flüsse und den Rückbau von Querbauwerken eingesetzt. Das freut den Lachs, den Aal, die Forelle, den Flussfischer und die Anglerin.
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Altmunition aus zwei Weltkriegen gefährdet Menschen und Wälder. Wir fordern, dass der Bund sich endlich an der Beseitigung dieser Altmunition beteiligt, egal ob sie aus deutschen oder alliierten Beständen stammt.
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Und unsere Wälder? Sie leiden unter dem Temperaturanstieg und den Dürren wie 2018, 2019 und 2020, unter Stürmen und Schädlingsbefall. Staatliche, kommunale, aber auch private Waldbesitzer schaffen den notwendigen Waldumbau ohne Hilfe nicht schnell genug. Deswegen ist ein Waldrettungsprogramm mit Geldern für Grundlagenforschung unerlässlich, damit wir wissen, welche Baumarten in welchen Gebieten zukünftig überleben. Wir brauchen Gelder für mehr Baumschulen, damit ausreichend Setzlinge für den Waldumbau bereitstehen, und wir brauchen Gelder für mehr Forstarbeiterinnen und Waldarbeiter mit guten Löhnen.
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Frau Ministerin, bei der Umsetzung solcher Punkte haben Sie unsere Unterstützung.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, Die Linke steht für konsequente Friedenspolitik. Kriege sind eine humanitäre Katastrophe, aber eben auch die sinnloseste Umweltzerstörung.
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Deswegen ist unser Nein zu Auslandseinsätzen und zu einem Verbot von Rüstungsexporten auch Umweltschutz.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Stefan Wenzel, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir eine Ministerin im Umweltministerium haben, die wirklich mit Herzblut an diese großen Aufgaben herangeht. Sie, Frau Ministerin, haben zu Beginn auf zwei zentrale Herausforderungen verwiesen: den Klimaschutz und den Artenschutz. Beide auf Augenhöhe zu behandeln, das ist die Dimension des Problems, vor dem wir stehen. Fehlen die Insekten, dann fehlen auch bald die Vögel, dann fehlen auch bald die Fische, und dann zerreißt auch die Nahrungskette, von der wir leben.
Die Ozeane, meine Damen und Herren, sind gigantische CO2– und Wärmesenken. Aber das hat Grenzen. Es birgt große Gefahren, wenn die Versauerung und die Erwärmung Lebewesen im Meer bedrohen. Wir wissen, wie viele Milliarden Menschen auf der Erde sich von Meeresfrüchten ernähren.
Die Böden sind in ihrer Bedeutung unterschätzt, auch in Bezug auf Insekten und Bodenlebewesen. Klimaschutz ist auch Artenschutz.
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Das ist ein ganz wichtiger Satz. Das werden wir in den Debatten der nächsten Monate noch erleben.
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zu den Punkten machen, die die Ministerin angesprochen hat. Zum Verbraucherschutz: Der Verbraucherschutz schützt den Einzelnen in der ganzen Bandbreite – von Medizin bis zur digitalen Dienstleistung – vor schlechten und minderwertigen Produkten. Er schafft faire und transparente Preise und dient am Ende auch Mittelstand und Handwerk, weil hier Märkte entstehen, die transparent sind. Ich freue mich auf diese neue Herausforderung.
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Lassen Sie mich etwas zur Taxonomie sagen – auch da haben Sie deutliche Worte gefunden –: Wir brauchen keinen Orwell’schen Neusprech für Alttechnologien, keine Irreführung von Sparkassenkunden und von Investoren, die ihr Geld gut anlegen wollen. Die Haftungsfrage ist nur einer von mehreren Punkten, die dem „Do no significant harm“-Kriterium der Agenda 2030 der Vereinten Nationen widersprechen. Aber sie zeigt auf einen Blick, dass keine Versicherung der Welt heute die Risiken in die Bücher nehmen wollte, die durch Atomkraftwerke entstehen. Wir wollen hier vor allen Dingen keine neuen Wettbewerbsverzerrungen in einer solch gigantischen Größenordnung.
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Öffentliches Geld, meine Damen und Herren, muss dort investiert werden, wo es maximal von Nutzen ist. Wer etwas kaputt macht, der muss auch zahlen oder die Finger davon lassen. Das nennt man „Verursacherprinzip“.
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Ernst nehmen müssen wir auch die Gefahr von waffenfähigem Material, wenn das über die ganze Welt verbreitet wird. Einige denken offenbar, dass man kleine Schnelle Brüter in vielen Ländern der Erde verkaufen könnte. Das ist ein Irrweg, der neue Abhängigkeiten schafft.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin. – Das Bundesverfassungsgericht hat uns im März eine wunderbare Vorlage gemacht. Das Urteil ist eine gute Grundlage, um die Freiheit künftiger Generationen auf der Basis einer sozialökologischen Transformation zu sichern.
Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Björn Simon, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es war der 29. Juli 2021. An diesem Tag hatte die Weltbevölkerung bereits alle nachhaltig nutzbaren Ressourcen für das gesamte vergangene Jahr verbraucht. Wir alle kennen diesen sogenannten Erdüberlastungstag. Die weltweite Nachfrage an Ressourcen übersteigt das Angebot, welches unsere Erde selbst erneuern kann, bereits seit Jahrzehnten. Wir müssen und wir wollen diesen weltweit vorherrschenden Problemen weiterhin entschlossen entgegentreten. Deswegen nimmt die Kreislaufwirtschaft spätestens seit ihrer Aufnahme in die nationale Gesetzgebung durch die Union mit Umweltminister Klaus Töpfer im Jahre 1994 eine zentrale Rolle in unserer Umweltpolitik ein.
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Der effiziente Einsatz von Ressourcen und das Schließen von Stoffkreisläufen ist jedoch nicht nur ein geeignetes Mittel, um der Ressourcenknappheit entgegenzutreten. Vielmehr ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ein wesentlicher Bestandteil des Klimaschutzes in Deutschland, leistet einen wesentlichen Beitrag für eine prosperierende Wirtschaft, schafft Arbeitsplätze und sichert den Wohlstand in unserem Land.
Wir können in Deutschland auf eine erfolgreiche Politik in den vergangenen Jahren zurückblicken und müssen uns mit unseren Erfolgen im internationalen Vergleich nicht verstecken. Wenn ich dann vonseiten der SPD am heutigen Tag in diesem Plenum höre, dass es jetzt endlich losgeht, dann möchte ich doch an den 8. Dezember 2021 erinnern: Bis zu dem Tag nämlich hat die SPD die Vorgängerin der heutigen Umweltministerin gestellt.
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Deutschland nimmt mit einer hervorragend entwickelten Kreislaufwirtschaft weltweit schon heute eine Vorreiterrolle ein. In kaum einem anderen Land werden an die 100 Prozent aller Abfälle flächendeckend erfasst. Es existieren in Deutschland rund 15 500 Entsorgungsanlagen. Zum Vergleich: Die Zahl der Gemeinden in Deutschland liegt bei knapp 11 000; davon sind 2 054 Städte. Das heißt, jede Stadt verfügt im Schnitt über siebeneinhalb Anlagen. Beim Hausmüll wurden zuletzt 64 Prozent einem Recycling zugeführt. 79 Prozent des gesamten Abfalls wurden verwertet. Bereits 14 Prozent der für die Wirtschaft notwendigen Rohstoffe wurden aus Abfällen gewonnen. Entsorgungstechnologien made in Germany sind ein Exportschlager, und wir wollen, dass das so bleibt. 25 Prozent des Weltmarktes für Entsorgungstechnik stammen aus Deutschland.
In der vergangenen Legislaturperiode haben wir mit einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen und Novellen die Kreislaufwirtschaft in Deutschland maßgeblich weiterentwickelt. Dazu gehören beispielsweise das Kreislaufwirtschaftsgesetz, das Elektro- und Elektronikgerätegesetz, das Verpackungsgesetz, die Einwegkunststoffverbotsverordnung, die Klärschlammverordnung, die Gewerbeabfallverordnung oder die Ersatzbaustoffverordnung. Mit diesen Gesetzen und Verordnungen haben wir als Union in den vergangenen Legislaturperioden wichtige Impulse gesetzt.
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Wir haben anspruchsvolle, aber vor allem auch wirksame Vorgaben für die Rückgewinnung von Rohstoffen und die Schließung von Stoffkreisläufen verabschiedet und eingesetzt. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie diesen erfolgreichen Weg in den kommenden Jahren fortführen wollen, haben Sie uns an Ihrer Seite. Der politische Rahmen für die Kreislaufwirtschaft muss künftig weiterhin gestärkt werden, und das innovationsfreundliche Klima, das wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben und das uns zum Exportweltmeister in Sachen Entsorgungs- und Recyclingtechniken gemacht hat, muss zwingend erhalten bleiben. Das chemische Recycling steht hier an einem wichtigen Punkt und spielt eine überaus wichtige Rolle.
In diesem Zusammenhang fordern wir die neue Bundesregierung und die Ampelkoalition auf, auch zukünftige Entscheidungen im Bereich der Kreislaufwirtschaft wie auch in der gesamten Umweltpolitik immer faktenbasiert zu treffen. Eine rein von Ideologie gesteuerte Politik ist hier fehl am Platz. Nur so kann eine konsistente, nachhaltige und vor allem ökologisch sinnvolle Politik ausgestaltet werden. Darauf werden wir in der Union auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk lenken –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– und die Arbeit sowohl der Bundesregierung als auch im parlamentarischen Verfahren kritisch, aber vor allem konstruktiv begleiten.
Vielen Dank.
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Zu ihrer ersten Rede erteile ich das Wort Dr. Franziska Kersten, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich im Herbst 1989 in Leipzig anfing, Veterinärmedizin zu studieren, hatte ich nicht den Gedanken, dass mir irgendwann die Chance gegeben wird, hier als Bundestagsabgeordnete zu sprechen. Es ist mir eine große Ehre und eine große Freude, hier meine erste Rede halten zu dürfen.
Mit der Wiedervereinigung stießen nicht nur ganz unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen aufeinander, sondern auch völlig unterschiedliche Strukturen in Landwirtschaft und Umwelt. Gerade die Nutzung der Flächen wird jetzt zunehmend Gegenstand der Diskussionen und führt zu Flächenkonkurrenzen. Da ist zunächst die Landwirtschaft, die idealerweise auf gesunden Böden hochwertige Lebensmittel erzeugt. Durch ökonomische Zwänge ist hier leider einiges in Schieflage geraten.
Aber auch Umwelt- und Naturschutz sind zu beachten. Durch die Ausweisung unterschiedlichster Schutzgebiete soll eine vielfältige Flora und Fauna erhalten und wieder aufgebaut werden. Den Gewässerschutz und die Luftreinhaltung nehmen wir ernst. Selbstverständlich werden auch für das drängendste Problem Flächen benötigt: für den Klimaschutz, und zwar für die Renaturierung von Mooren als Kohlenstoffsenken und den Ausbau erneuerbarer Energien.
Laut einer aktuellen Studie können 3,6 Prozent der Flächen Deutschlands ohne größere Konflikte mit dem Naturschutz für Windkraft zur Verfügung gestellt werden. Wie schaffen wir es nun, die unterschiedlichen Interessen in einen Ausgleich zu bringen, der allen gerecht wird, um diesmal wirklich blühende Landschaften und Generationengerechtigkeit zu schaffen? Die SPD ist angetreten, diese Konflikte zu lösen, und damit beginnen wir jetzt und nicht erst in drei Jahren.
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Mein bisheriges Berufsleben habe ich in der Exekutive verbracht. In den vergangenen Jahren war ich Vizepräsidentin im Umweltbundesamt und Referatsleiterin im Umweltministerium; schönen Gruß an Herrn Bilger. Es ist mir im Rahmen meiner Tätigkeit immer wieder deutlich geworden: Um die drängenden Probleme im Umwelt- und Klimaschutz dauerhaft lösen zu können, brauchen wir ein effizientes Zusammenwirken von Politik und Verwaltung und müssen dabei alle Beteiligten rechtzeitig einbinden.
Wir werden den natürlichen Klimaschutz deutlich stärken. Das steht nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern wird uns auch gelingen, wenn wir die Synergien zwischen Natur- und Klimaschutz intensiver nutzen. Renaturierungsprogramme müssen ausgebaut werden. Wir wollen auch eine bessere Kooperation der unterschiedlichen Flächennutzer. Ein Beispiel für eine effiziente Flächennutzung ist die Agri-Photovoltaik. Besonders bei kleinteiligen Flächen kann auf diese Weise landwirtschaftliche Nutzung mit der Erzeugung erneuerbarer Energien in Einklang gebracht werden. Hier wollen wir sehr stark vorankommen.
Wir werden auch den Wald klimaresistent gestalten und weiterentwickeln und seine Leistung für Klimaschutz und Biodiversität angemessen honorieren. Hierzu müssen wir die Nachhaltigkeitsstrategien verbindlicher gestalten. Konkretes Regierungshandeln ist gefragt.
Auch die parlamentarischen Beteiligungsrechte müssen gestärkt werden. Entscheidend für den Erfolg unserer Anstrengung wird eine enge Zusammenarbeit zwischen den Ressorts sein. Hier sind wir auf einem guten Weg. Aber – wie gestern unser Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte –: Wir müssen schneller werden.
Notwendig ist auch eine enge Abstimmung der unterschiedlichen Verwaltungsebenen, und auch externen Sachverstand sollten wir nutzen, um unser Ziel des nachhaltigen Interessenausgleichs zu erreichen; ich denke an die exzellent aufgestellte Wissenschaft in unserem Land.
In vier Jahren wollen wir zu einer klaren Struktur bei der Flächennutzung kommen, die die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel zu angemessenen Preisen, die Förderung der Biodiversität, den Schutz von Boden, Wasser und Luft sowie die Erzeugung erneuerbarer Energien als entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz gleichzeitig ermöglicht.
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Meine Enkeltochter ist jetzt sieben Monate alt. Wenn sie mich in 20 Jahren fragt: „Was habt ihr getan, um eine lebenswerte Welt zu erhalten?“, dann will ich sagen: „Wir haben es angepackt, und zwar gemeinsam.“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile das Wort Thomas Ehrhorn, AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer! Meine Damen und Herren der Regierungsparteien! Nie zuvor ist der geplante und willentlich herbeigeführte Niedergang einer Industrienation in so blumigen Worten beschrieben worden wie in dem vorliegenden Koalitionsvertrag. Sie sprechen von Transformation, von Innovation und von Dekarbonisierung, tatsächlich ist es aber ein Manifest der Planwirtschaft und der direkte Weg in die Deindustrialisierung.
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Sie begründen das mit der scheinbar notwendigen Rettung des Weltklimas, von dem Sie anscheinend glauben, Sie könnten es direkt von der Regierungsbank hier in Berlin aus maßgeblich beeinflussen, aber genau das können Sie eben leider nicht.
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Am Ende Ihres umwelt- und klimapolitischen Amoklaufs wird deshalb nur eines stehen: Industriestandort Deutschland geschwächt, Automobilindustrie ruiniert, Arbeitslosigkeit auf Höchststand, merklicher Wohlstandsverlust für alle und Zerstörung großer Teile unserer Naturlandschaft.
Schon jetzt haben wir etwa 30 000 Windkraftanlagen, und Sie wollen diese Zahl nun also vervierfachen. Was das für das Landschaftsbild unserer Naturlandschaften, für Insekten, für den Artenschutz zum Teil gefährdeter Greifvögel bedeutet, das kann sich wohl jeder ausmalen. Das gigantische Recyclingproblem ausgedienter Rotorblätter? Komplett ungelöst. Früher wollten die Grünen die Umwelt vor den Menschen retten. Mein Eindruck ist: Heute müssen wir die Umwelt vor den Grünen retten.
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Dies alles sind die Folgen einer von jeder Realität befreiten Debatte. Sie befassen sich damit, wie wir den jährlichen CO2-Ausstoß deutscher Automobile in kürzester Zeit um 60 Megatonnen verringern können – das sind sieben Eintausendstel der chinesischen Jahresemission –, und dafür sind Sie bereit, die weltweit beste, sauberste und ausgereifteste Motorentechnologie abzuwickeln. Transformation heißt in diesem Falle: Demontage unserer wichtigsten Schlüsselindustrie.
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Diese Transformation soll wegführen von privater Mobilität, wegführen von privatem Eigentum und wegführen von der Freiheit des Einzelnen. Sie erzeugt die höchsten Energiepreise in ganz Europa, wodurch Menschen sich Strom oder eine warme Wohnung einfach nicht mehr leisten können. Und wie soll dieses Problem gelöst werden? Na klar, durch Erhöhen der Transferleistungen. Das heißt: Die Zeche dafür zahlen die, die sie immer zahlen, nämlich die Mittelschicht, die arbeitenden Menschen.
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Ja, meine Damen und Herren, die Marxisten von gestern wollten eine Umverteilung von Reich zu Arm. Über diesen Punkt sind Sie längst hinaus. Sie verteilen inzwischen vorwiegend um von denen, die arbeiten, zu denen, die nicht arbeiten. Aber es gibt Hoffnung; denn sozialistische Träume und Utopien enden in der Regel dann, wenn das Geld ausgegeben ist, welches andere verdient haben.
Vielen Dank.
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Herr Ehrhorn, Sie haben im Rahmen Ihrer Rede in Bezug auf die Umweltpolitik das Wort „Amoklauf“ in den Mund genommen. Das ist nicht unser Wortgebrauch hier im Hohen Hause. Ich bitte Sie, in Zukunft darauf zu verzichten.
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Ich erteile das Wort zu seiner ersten Rede Herrn Muhanad Al-Halak, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine große Ehre für mich, heute hier zu stehen, nicht nur, weil ich als Abgeordneter meine erste Rede halten darf, sondern auch, weil ich stolz bin, Bürger eines Landes zu sein, das vor 20 Jahren einen Jungen aus dem Irak so herzlich aufgenommen hat, eines Landes, das mich begleitet und mir unabhängig von der Herkunft alle Chancen geboten hat, eines Landes, das heute meine Heimat ist.
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Ich bin stolz, als Mitbürger und als Mitglied dieses Hohen Hauses heute zu Ihnen zu sprechen, und zwar für eine Koalition, die die Menschen, egal welcher Herkunft, in den Mittelpunkt stellt, für eine Koalition, die endlich nicht mehr nur die Komfortzone verwaltet, sondern die auch den Mut und die Vision vor Augen hat, soziale Marktwirtschaft, Nachhaltigkeit und Freiheit zusammenzudenken.
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Für den Verbraucherschutz heißt das: klare und verständliche Regeln für Wirtschaft und Konsumenten, Nachhaltigkeit als Design Challenge für Dienstleistungen und Produkte, Freiheit für Markt und mündige Bürger. Denn wir brauchen nicht immer nur neue Regeln. Was wir brauchen, sind klare Regeln, die auch tatsächlich durchgesetzt werden.
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Und diese klaren Regeln müssen Innovationssicherheit für Unternehmen genauso wie Sicherheit und Schutz für Verbraucher bedeuten. Aber hier mangelt es bislang; denn: Wo kein Kläger, da kein Richter. Das, meine Damen und Herren, darf hier nicht länger sein.
Deswegen werden wir dafür sorgen, dass Verbraucher in Zukunft möglichst automatisch entschädigt werden, wenn es beim Flug oder bei der Bahn zu Verspätungen kommt. Deswegen werden wir auch die Bundesbehörden stärken, die für die Kontrolle und die Verfolgung von Verstößen zuständig sind. Wenn wir dann noch die Abläufe in den Behörden digitalisieren und vereinfachen, dann haben wir eine bessere, zuverlässigere und zukunftsfestere Infrastruktur im Verbraucherschutz; und das kommt allen zugute, meine Damen und Herren.
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Das gilt auch für die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit, Zusammenhalt und individuelle Freiheit sind keine Gegner. Sie sind unser gemeinsamer Auftrag und voller Chancen. Deswegen packen wir es auch hier an. Wir wollen ein Recht auf Reparatur einführen, damit wertvolle Rohstoffe nicht weggeschmissen, sondern wiederbenutzt werden.
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Wir wollen höchstmögliche Nachhaltigkeit als Design Challenge für Produkte. So wird Nachhaltigkeit gefördert und die Innovationskraft der Wirtschaft entfesselt.
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Vor allem aber wollen wir auch die Bürgerinnen und Bürger stärken. Deswegen bauen wir die Verbraucherbildung aus. Wir stärken die Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest; denn unabhängige und niedrigschwellige Informationen sind unverzichtbar für freie Kundenentscheidungen. Das, meine Damen und Herren, ist zukunftsfeste Politik. Das ist der Dreiklang aus klaren Regeln, Nachhaltigkeit und individueller Freiheit, für den diese Regierung steht.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Meine Eltern sind damals aus einem Staat geflohen, der weder die Würde noch das Leben seiner Bürger geschützt hat, und die Verbraucher schon gar nicht. In den nächsten vier Jahren hier als Mitglied des Deutschen Bundestages etwas zurückzugeben, erfüllt mich mit Demut und Dank. In einer Gesellschaft zu leben, in der wir mit Worten streiten, erfüllt mich mit Stolz, es ist unser ungeheures Glück.
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In diesem Sinne freue ich mich auf den Streit in der Sache und auf die gute Zusammenarbeit zwischen Mitbürgern.
Vielen, vielen Dank.
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Das war eine Punktlandung in der Redezeit. – Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums gehört seit dieser Wahlperiode auch der Verbraucherschutz. Das ist neu und eine beachtliche und herausfordernde Aufgabe, für die ich ganz besonders Ihnen, Frau Ministerin, viel Erfolg und gutes Gelingen wünsche.
Der Verbraucherschutz betrifft die Menschen in ihrem alltäglichen Leben. Deswegen ist es wichtig, dass es hier Regeln gibt, die die Menschen in ihrem alltäglichen Leben begleiten. Diese Regeln müssen vom Bundestag sachgerecht getroffen werden. Vor dem Hintergrund muss sichergestellt sein, dass die Kooperation mit dem Bundesjustizministerium funktioniert. Ihnen obliegt nach der Geschäftsverteilung der Bundesregierung der Verbraucherrechtsschutz und dessen rechtliche Durchsetzung. Dazu braucht man aber auch die Instrumente von BGB und ZPO. Die dafür zuständigen Abteilungen sind im Bundesjustizministerium angesiedelt. Es ist wichtig, dass diese Zusammenarbeit klappt, weil große Aufgaben auf uns warten, nicht nur das Recht auf Reparatur, sondern auch die Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage zu einer Sammelklage, damit Verbraucherinnen oder Verbraucher von diesem Recht profitieren.
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Ein Thema, das die Menschen im Augenblick umtreibt, ist natürlich die Steigerung der Energiepreise. Das hat zum einen eine soziale Dimension, aber auch eine rechtliche. Die Akzeptanz der Energiewende wird nur gelingen, wenn Energiekosten, wenn Heizkosten, wenn Stromkosten bezahlbar bleiben. Deswegen brauchen Menschen mit geringem Einkommen einen entsprechenden Zuschuss. Der muss schnell und in einem richtigen Umfang auf den Weg gebracht werden. Aber wir brauchen bei dem Thema auch mehr Regulierung. Es kann nämlich nicht sein, dass manche Strom- oder Gaskunden erst durch das Schreiben des Grundversorgers erfahren, dass ihr Vertrag gekündigt worden ist. Es kann nicht sein, dass mit dem Hinweis auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage Gas- und Stromverträge plötzlich gekündigt werden, nur weil sich das Gasunternehmen verkalkuliert hat. Verträge sind einzuhalten, und unredliches Verhalten von Gas- und Strombetreibern muss regulatorisch angegangen werden. Das ist im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher.
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Wir müssen auch über Verbraucherverträge sprechen. Wir haben in der letzten Wahlperiode mit dem Gesetz für faire Verbraucherverträge den Kündigungsbutton vorangebracht. Das ist eine gute Einrichtung. Wir müssen das fortentwickeln, hin auch zu einem Widerrufsbutton im Internet. Verträge müssen so gekündigt und widerrufen werden können, wie sie geschlossen werden. Das ist eine Frage der Fairness im Bereich der Verbraucherverträge.
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Ich freue mich auch über die erfrischenden, ehrlichen und uns stolz machenden Einlassungen des neuen Kollegen Al-Halak, nicht nur in Bezug auf unser Land, sondern auch auf etwas, was gar nicht im Koalitionsvertrag steht, was er aber trotzdem gefordert hat, nämlich die automatische Erstattung von Bahn- und Flugtickets. Wir haben das in der letzten Wahlperiode angemahnt. Lassen Sie uns gemeinsam hier einen echten Fortschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher erzielen. Wer ein Zugticket oder ein Flugticket mit der Kreditkarte bezahlt, der kann auch erwarten, dass er bei Verspätungen das Geld automatisch aufs Konto zurücküberwiesen bekommt, meine Damen und Herren.
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Eine letzte große Frage wird bleiben, nämlich die nach der Regulierung von Plattformen. Algorithmen bestimmen Einkaufsverhalten und schleichen sich praktisch in jeden Winkel des Lebens. Wir brauchen mehr Transparenz und Regulierung bei Algorithmen. Es muss klar sein, nach welchen Methoden Websites aufgebaut sind und den Verbraucherinnen und Verbrauchern Dinge angezeigt werden. Hier brauchen wir einen Gesamtkontext, um dieses Thema anzugehen. Es geht darum, dass der Verbraucherschutz die Menschen schützt und dass die Lebenswelten von Klein bis Groß adressiert werden, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– weil der Schutz des Einzelnen auch der Schutz der Lebensumgebung für alle ist.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Jakob Blankenburg, SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Ministerin! Meine Damen und Herren! Als Erstes geht mein Glückwunsch zur Ernennung an Sie, liebe Frau Ministerin Lemke. Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand, Geduld, vor allen Dingen auch viel Freude bei der Amtsausübung, und ich versichere Ihnen, dass wir als SPD ein zuverlässiger, aber vor allen Dingen auch ein fairer Koalitionspartner sind.
Gemeinsam haben wir, SPD und Grüne, schon einmal etwas Großes in der Umweltpolitik bewirkt. Unter Gerhard Schröder und dem damaligen Umweltminister Jürgen Trittin haben wir 2000 den Atomausstieg beschlossen. Wir hätten heute einiges weniger an Atommüll, wenn die Nachfolgeregierungen das damals auch so beibehalten hätten.
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Ich habe neulich einen in diesem Zusammenhang sehr passenden Vergleich gelesen: Mit der Lagerung des Atommülls ist es ein bisschen so wie nach einer Party. Wenn aufgeräumt werden soll, dann machen sich die meisten aus dem Staub, die Rechnung will auch keiner zahlen. Zurück bleiben ein schaler Geschmack und ein brummender Kopf. – Ähnlich verhält es sich mit der Atomkraft: Wenn zum 31. Dezember dieses Jahres das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet wird, dann bleiben insgesamt rund 1 900 Behälter mit hochradioaktivem Müll zurück. 27 000 Kubikmeter Abfall müssen dann sicher endgelagert werden.
Einige Ewiggestrige wollen genau so weitermachen. Im Gegensatz zu anderen Ländern und auch anderen Parteien verschwenden wir aber keine Zeit mit Überlegungen zum Wiedereinstieg in die Atomenergie, was ja auch eine breite Mehrheit der Bevölkerung nicht will,
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und das ist auch gut so;
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denn jeder Cent, der in den Ausbau der Atomenergie fließt, fehlt beim Ausbau der erneuerbaren Energien, und sie sind es, die wir brauchen.
Statt Debatten von gestern weiterzuführen, beschäftigen wir uns heute mit der wichtigen Zukunftsfrage, wie wir radioaktive Abfälle sicher beseitigen. Dazu ist in den vergangenen Legislaturperioden schon viel Vorarbeit geleistet worden. Ich denke hier an die Einsetzung der Endlagerkommission und die umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit und der Wissenschaft. Das war für Deutschland ein völlig neues Verfahren. Es lief zwar nicht alles rund, aber unterm Strich hat es sich bewährt.
Mit dem Standortauswahlverfahren betreten wir neues Terrain. Der gesetzliche Rahmen bietet uns stabile Leitplanken, um uns sicher zu orientieren. Bis 2031 soll ein Endlagerstandort gefunden werden, bis 2050 soll ein Endlager in Deutschland betriebsbereit sein. Aber dieser Prozess wird sicher nicht frei von Konflikten sein. Manchen wird das Verfahren zu lange dauern, andere werden sich darüber ärgern, dass, aus ihrer Sicht, die Gesetze nicht immer so wirksam angewendet werden, wie es möglich scheint. Je weiter die Endlagersuche voranschreitet, desto emotionaler werden die Debatten geführt und desto größer wird auch der Druck auf die Politik werden. Ich denke hier zum Beispiel an die regionalen Verwaltungen und die Kommunalpolitiker/-innen, die sich mit vielen berechtigten Fragen, Erwartungen und Forderungen aus der Bevölkerung konfrontiert sehen werden. Und trotzdem, wenn das Verfahren angenommen wird, können wir eine neue Stufe der Transparenz und Partizipation in einem für uns so wichtigen Verfahren erklimmen. Unser Ziel ist es, Ergebnisse zu erreichen, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. So sieht es auch das Gesetz vor; das werden wir auch umsetzen.
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Welche Folgen fehlende gesellschaftliche Akzeptanz haben kann, das weiß ich aus eigener Erfahrung. In meinem Wahlkreis Lüchow-Dannenberg liegt der Salzstock Gorleben. Diese Standortauswahl Ende der 1970er-Jahre wurde von weiten Teilen der Bevölkerung nicht als legitim anerkannt. Viele Bürger/-innen fühlten sich völlig zu Recht übergangen, ohnmächtig, hilflos. Aus vielen persönlichen Gesprächen weiß ich, dass diese Wut auf „die da oben“ bei vielen in Frustration umgeschlagen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so darf Politik nicht sein, und so soll sie auch nicht mehr sein. Wir haben dazugelernt. Mit dem Standortauswahlverfahren sind wir auf einem guten Weg, eine dauerhafte und sichere Lösung zu finden, die von einer breiten Öffentlichkeit getragen wird.
Meine Damen und Herren, wenn im Jahr 2050 ein atomares Endlager in Betrieb geht, werde ich 53 Jahre alt sein. Wie wird unsere Welt dann aussehen? Was werden wir unseren Kindern und Enkeln dann über unsere Art zu leben sagen, vor allen Dingen in Bezug auf Atomkraft, aber auch auf alles, was den Klimaschutz betrifft? Werden sie stolz auf uns sein, weil wir unser Herzblut, unsere Energie und unser geballtes Know-how in die Transformation unserer Wirtschaft gesteckt haben, weil wir Umweltschutz nicht nur auf unseren Fahnen stehen haben, sondern weil das unser Leitprinzip geworden ist und weil wir all das nicht als Einschränkung und Wachstumshindernis sehen – wie wir es heute von einigen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus hören mussten –, sondern als Grundlage für eine zukunftsfähige, starke und solidarische Gesellschaft?
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Liebe Frau Bundesministerin Lemke, ich glaube fest daran, dass unsere Koalition den Mut und die Kraft hat, diese Ziele zu erreichen. Ich freue mich auf die ersten Impulse aus Ihrem Haus und auf die Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem Amt und wünsche Ihnen viel Erfolg im Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz.
Den Kompetenzverlust beim Thema Klimaschutz haben Sie mit Würde getragen. Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich kann es nicht verstehen, warum in dieser Regierung die Umweltpolitik nicht mit der Energie- und Klimapolitik zusammengeführt wurde; das wäre aus meiner Sicht das Superministerium gewesen, auf dem die Grünen hätten bestehen müssen, meine Damen und Herren.
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Immerhin: Klimaanpassung und der natürliche Klimaschutz, zum Beispiel die Wälder und die Moore, sind weiterhin im Umweltministerium angesiedelt. Ich warne an dieser Stelle aber davor, im Kampf gegen den Klimawandel ausschließlich auf die natürlichen Senken zu setzen; denn ohne die technischen Senken werden wir unsere ambitionierten Klimaziele nämlich nicht erreichen.
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Ich sage ganz bewusst „unsere Klimaziele“; denn die Klimaziele haben Sie ‑entgegen den vollmundigen Ankündigungen im Wahlkampf – nicht nach oben gesetzt. Das heißt, wir waren schon mit ziemlich viel Ambition unterwegs; das ist doch die Wahrheit, meine Damen und Herren.
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Ebenfalls geblieben ist Ihnen das Thema Klimaanpassung. Wir müssen uns auf die Folgen des Klimawandels besser vorbereiten. Ich freue mich, dass auch Sie das erkannt haben und unsere Forderung nach einem Klimaanpassungsgesetz, das wir auch in unserem Wahlprogramm gefordert haben, aufgenommen haben und dies jetzt vorschlagen.
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Frau Ministerin, ich wünsche Ihnen, dass Sie bei den im Umweltministerium verbliebenen Themen durchsetzungsstark agieren und von der Großzügigkeit, die Sie Herrn Habeck gegenüber entgegengebracht haben, vielleicht auch ein bisschen zurückbekommen.
Man muss feststellen, dass der Start für solche Hoffnungen wenig Anlass gibt. Ich meine ganz konkret die – vorsichtig gesagt – überraschenden Aussagen des Klimaministeriums zum Aufweichen des Artenschutzes zugunsten des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
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Das wurde von den Umweltverbänden heftig kritisiert; diese verweisen darauf, dass wir für den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien eher Planungsbeschleunigung, mehr Personal für die Verfahren und eine bessere Bürgerbeteiligung brauchen. Frau Ministerin, wenn Sie hier heute den Verlust von Arten als die zweite große Krise darstellen, dann aber sehr schnell einem Aufweichen des Artenschutzes zustimmen, dann stimmt etwas nicht.
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Meine Damen und Herren, wesentlicher Schlüssel moderner Umweltpolitik ist das Kooperationsprinzip; es besagt, dass Umweltpolitik am besten funktioniert, wenn Lösungen in Zusammenarbeit mit den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen gefunden werden. Allzu hoch stand dieses Prinzip bei SPD und Grünen in der Vergangenheit bislang nicht im Kurs – im Umweltministerium war eher umweltpolitisches Durchregieren angesagt. Ergebnis war aber nicht immer mehr Umweltschutz, sondern eher verschärfte Konflikte und neue gesellschaftliche Gräben, zum Beispiel auch mit der Landwirtschaft. Umweltpolitik mit den Bürgern, nicht gegen sie, darin liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen und vor allem akzeptierten Umweltpolitik.
Kooperative Modelle gibt es zum Beispiel auch zum Erhalt der Biodiversität.
Auch beim Wolf gibt es bei vielen Betroffenen die Bereitschaft, mitzuwirken. Aber man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Warum soll es in Deutschland nicht möglich sein, in bestimmten Regionen ein aktives Bestandsmanagement beim Wolf durchzuführen? In anderen EU-Staaten geht das doch auch. Nehmen Sie sich dieses Themas endlich an, und lassen Sie die Menschen auf dem Land nicht allein, Frau Ministerin!
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Ein Fehlstart für die Grünen ist auch die Diskussion über die Taxonomievorschläge der EU-Kommission. Während Sie, Frau Ministerin, die Einstufung von Erdgas als Übergangsaktivität im Rahmen der Taxonomie für fragwürdig und nicht notwendig halten, sehen das Ihre Koalitionspartner ganz anders. Meine Damen und Herren, raus aus der Kernenergie, raus aus der Kohle, weg vom Gas kann sicher nicht für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichzeitig funktionieren – auch nicht für Deutschland als energieintensives Land, das auf Stromimporte angewiesen ist. Ja, beim Ausbau der erneuerbaren Energien und beim Wasserstoff gibt es große Chancen; aber wir brauchen für die Energieversorgung Sicherheit, auch den Energiebinnenmarkt und auch Gas als Übergangstechnologie. Die Bedingungen müssen so sein, dass die Privatwirtschaft da investiert. Die Menschen und die Unternehmen ächzen aber heute schon unter den hohen Energiepreisen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wenn das so weitergeht, sind in vielen Betrieben bald die Öfen aus und die Arbeitsplätze weg. Da braucht es dringend Antworten, meine Damen und Herren, und darauf bin ich gespannt.
Danke schön.
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Der letzte Redner in dieser Debatte ist Daniel Schneider, mit seiner ersten Rede heute hier im Parlament; Herr Schneider kommt von der SPD-Fraktion. -Sie haben das Wort.
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Moin! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, vielen Dank für Ihren Ausblick zum Umwelt- und zum Meeresschutz und auch für Ihren bisherigen Einsatz! Da wollen wir künftig alle gemeinsam mit anpacken. Denn wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Heimat, einen intakten Planeten hinterlassen wollen, dann ist der Schutz der Meere von herausragender Bedeutung – weltweit, versteht sich.
In meiner Heimat, in Cuxhaven an der Nordseeküste, am Weltschifffahrtsweg Elbe – tatsächlich der Ort auf der ganzen Welt mit den meisten Schiffspassagen – ist für uns Menschen das Meer ein wichtiger Bestandteil des Alltags, teils auch Existenzgrundlage – ob im Tourismus, in der Fischerei oder in anderen maritimen Wirtschaftszweigen.
Doch Meere sind zunächst einmal Quelle und auch Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Ohne lebendige Meere gibt es auch kein Leben an Land. Daher verstehen wir Meeresschutz als einen zentralen Baustein im Kampf gegen das Artensterben.
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Meere sind auch – das haben wir heute schon gehört – gewaltige CO2-Speicher. Also auch im Kampf gegen die Klimakrise bieten uns die Meere größte Chancen, die wir etwa durch ein Aufbauprogramm für Seegraswiesen und Algenwälder nutzen wollen. Wir können die Klimakrise überhaupt nicht bewältigen, wenn wir es nicht schaffen, unsere Meere ordentlich zu schützen.
Natürlich spielt beim Meeresschutz auch die Überfischung der Meere, die ich hier nicht ganz unerwähnt lassen will, eine Rolle. Über nachhaltige Fischerei und die Errichtung zusätzlicher Meeresschutzgebiete haben wir heute schon etwas gehört; das ist gut.
Aber kommen wir zu einem anderen Problem, nämlich der Verschmutzung der Meere – ein alter Hut aus Plastik. Wir alle kennen die Bilder der gigantischen Müllinseln; die größte ihrer Art schwimmt im Nordpazifik, angetrieben durch Winde und Strömungen, und erstreckt sich mittlerweile wohl weit über eine Fläche von 1,5 Millionen Quadratkilometern hinaus. Zum Vergleich: Das ist mehr als viermal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Die Bewältigung dieser Misere bleibt weiterhin eine globale Menschheitsaufgabe.
Eine andere fatale Art von Müll liegt direkt vor unseren Küsten: mindestens 1,6 Millionen Tonnen alter Munition aus Kriegszeiten. Die muss da raus, meine Damen und Herren, und zwar schnell. Denn aufgrund von Korrosion stellen diese Altlasten eine erhebliche Gefahr für das marine Ökosystem und auch für uns Menschen dar. Man stelle sich vor, das würde auf unsere Teller gelangen. Das ist weder lecker, noch ist es gesund.
Wir reden hier nicht nur über konventionellen Sprengstoff – TNT, Fliegerbomben, Torpedosprengköpfe –, sondern auch über chemische Kampfmittel. Wir stehen da unter großem Zeitdruck – ich sagte es – bei der systematischen Räumung und fachgerechten Entsorgung. Die ersten Schadstoffe treten bereits aus. Klar ist auch: Das wird teuer, und da müssen wir die betroffenen Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aber auch Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern unterstützen.
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Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist auch beschlossene Sache. Da ist es konsequent, dass wir der weiteren Erschließung von Öl- oder Erdgasfeldern in Nord- und Ostsee einen Riegel vorschieben. Das Risiko weiterer Umweltverschmutzung ist einfach zu groß.
Zu meiner Heimat gehört auch das Wattenmeer. Das ist nicht ohne Grund UNESCO-Weltnaturerbe geworden, und es ist uns eine Herzensangelegenheit, diesen einzigartigen Naturraum auch wirklich zu schützen. So beschäftigen wir uns an der Küste auch mit maritimer Sicherheit. Dabei denken wir auch über mögliche Begrenzungen von Schiffsgrößen nach. Die größten Frachter unserer Welt können ja mittlerweile weit mehr als 20 000 Container transportieren – teilweise wissen wir gar nicht, was da drin ist – und haben eine Länge von 400 Metern. Was da ein einziges Havarieereignis vor unseren Küsten anrichten würde, das wollen wir uns gar nicht vorstellen, aber darüber werden wir reden müssen.
In Vorfreude auf den harmonischen Dreiklang zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten sehnen wir uns an der Küste nach der Nationalen Hafenstrategie, die wir schon an einigen Stellen angesprochen haben, und auch nach neuen länderübergreifenden Kooperationen.
Ich freue mich sehr auf eine zukunftsorientierte Zusammenarbeit mit Ihnen allen hier in diesem Haus. Es war mir im Übrigen auch eine große Ehre, hier diese Rede zu halten. Ach ja, genau: Und ich freue mich sehr über entsprechende Offensiven zum Meeresschutz. Packen wir es an!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und später einen schönen Feierabend.
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Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.