Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung muß ich wiederum eines schweren Unglücks gedenken,
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das 14 Menschenleben gefordert hat. Am Sonntag, dem 26. Juni, ereignete sich im Laufe des Vormittags auf der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen-Horst bei Schießarbeiten in einem Flöz in 840 m Tiefe eine Explosion, bei der 14 Bergleute getötet wurden. Trotz sofort eingeleiteter Bergungsarbeiten konnte keiner der Bergleute mehr gerettet werden.
Der Deutsche Bundestag gedenkt dieser Opfer, die in Ausübung ihrer Arbeit ihr Leben gelassen haben, und spricht ihren Hinterbliebenen sowie der Zeche Nordstern die aufrichtigste Anteilnahme aus. - Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe zu Geburtstagen Glückwünsche auszusprechen, und zwar der verehrten Frau Kollegin Dr. Lüders.
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Nachdem es sich um die Alterspräsidentin des Hohen Hauses handelt, besteht kein Grund, ihr gesegnetes Alter von 77 Jahren zu verschweigen.
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Im Vergleich hierzu ist das Alter der Frau Kollegin Dr. Brökelschen, der ich zur Vollendung des 65. Lebensjahres gratulieren darf, geradezu jugendlich.
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Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 24. Juni 1955 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Zweites Gesetz zur Änderung des Zweiten Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte ({4}) in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts;
Gesetz über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1955/56 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft ({5});
Gesetz über das Abkommen zwischen des bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 4. Oktober 1954 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Erbschaftsteuern;
Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 4. Oktober 1954 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern;
Gesetz über das deutsch-schweizerische Protokoll vom 16. November 1954 über die Verlängerung des deutschen Zollzugeständnisses für Gießereierzeugnisse.
In seiner gleichen Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, hinsichtlich des Personalvertretungsgesetzes und des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts ({6}) zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Die Gründe sind aus den Drucksachen 1495 und 1496 ersichtlich.
Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den einzigen Punkt der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften ({7}) ({8}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Ratifizierung der Pariser Verträge haben die gesetzgebenden Körperschaften ihre grundsätzliche Zustimmung zur Aufstellung von Streitkräften gegeben. Der Bundestag hat am 27. Mai 1955 durch die Ablehnung des Antrags der Opposition, diese Durchführung zeitlich hinauszuschieben, jene frühere Entscheidung bekräftigt. Der Bundesrat hat in seinem Beschluß vom 10. Juni 1955 erklärt, daß er mit der Bundesregierung der Auffassung sei, daß die Realisierung der Pariser Verträge ohne Aufschub in Angriff genommen werden muß. Die Bundesregierung ihrerseits ist entschlossen, die ihr aus den Verträgen erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen.
Es bedarf zur Durchführung der Verträge vieler Gesetze, deren Behandlung und Beratung Zeit erfordern. Die Bundesregierung wird die entsprechenden Vorlagen so bald wie möglich einbringen. Das heute vorgelegte Freiwilligengesetz soll diese Gesetzgebung nur einleiten und für einen eng begrenzten Zeitraum eine Übergangsregelung schaf({0})
fen, die es der Bundesregierung ermöglicht, mit den ersten Maßnahmen der Auswahl und Ausbildung der Freiwilligen zu beginnen. Es wird so auch Zeit gewonnen für eine ausgereifte parlamentarische Behandlung der weiteren Gesetze. Gleichzeitig werden Verzögerungen vermieden, die das Vertrauen in unseren Willen zur gemeinsamen Verteidigung und die Bereitschaft des Auslandes zur Leistung der angebotenen Hilfe bei der Ausbildung der ersten Kader gefährden würden.
Wir stehen vor einer neuen und schweren Aufgabe. Wir müssen Streitkräfte aus dem Nichts heraus neu aufbauen, ohne jede Anknüpfung an bestehende Truppeneinheiten. Wir bauen sie zudem in einem Staat auf, der an einer kaum bewältigten Vergangenheit zu tragen hat, in einer jungen Demokratie, die um ihr Ansehen oft noch im eigenen Volk zu ringen hat.
Diese Lage bringt viele Schwierigkeiten; sie gibt uns aber auch neue Möglichkeiten. Sie erleichtert uns die Einordnung der Streitkräfte in unseren demokratischen Staat. Wir wollen Streitkräfte in der Demokratie, die sich dem Vorrang der Politik fügen. Sie sollen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit achten, die staatsbürgerlichen Grundrechte und Grundpflichten ernst nehmen und die Würde des Menschen anerkennen. Sie sollen bereit sein zur Verteidigung gegen jeden, der den Frieden bricht.
Nach diesen Grundsätzen wird die Bundesregierung die zukünftigen Streitkräfte als einen Teil der Exekutive aufbauen. Die Armee darf kein Staat im Staate sein. Die zivile Leitung muß den Vorrang der Politik sichern. Die parlamentarische Kontrolle soll stärker durchgeführt werden, als das früher in Deutschland der Fall war. Der Soldat soll von allen Aufgaben frei bleiben, die auch von zivilen Bediensteten durchgeführt werden können.
Der Soldat darf aber in der Vorstellung des Staatsbürgers nicht als notwendiges Übel gelten. Sicher ist es ein notwendiges Übel, daß sich die Völker in unserer unvollkommenen Welt gegen mögliche Angriffe schützen müssen. Das gibt aber nicht das Recht, den Soldaten als ein Übel zu betrachten. Eine solche Einstellung zum Soldaten führt nur zu einer Absonderung der Streitkräfte. Dadurch würde gerade das verhindert, was wir erreichen wollen, nämlich der Einbau der Streitkräfte in die Gemeinschaft. Diese Einfügung in die Gemeinschaft kann nur gelingen, wenn alle Teile unseres Volkes, vor allem die politischen Kräfte, dieses Ziel bejahen und zur Mitarbeit bereit sind.
Die Bundesregierung hat seit langem ihr besonderes Augenmerk auf die Gestaltung des inneren Gefüges der neuen Streitkräfte gerichtet. Sie hat es sich hierbei zur Richtschnur gemacht, die Freiheit des Staatsbürgers im militärischen Bereich nicht mehr einzuengen, als es die soldatische Aufgabe unbedingt verlangt. Sie hat ihre Vorschläge eingehend mit dem Bundestagsausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit besprochen und weitgehende Übereinstimmung erzielt. Sie hat ferner ihre Überlegungen mit zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und mit Organisationen aller Art erörtert und dabei fruchtbare Anregungen erhalten. Sie erklärt mit Nachdruck, daß sie an den erarbeiteten Grundsätzen festhalten und diese in den verschiedenen noch vorzulegenden Gesetzen zum Ausdruck bringen wird.
Die Bundesregierung wendet sich mit Ernst an die deutsche Jugend. Nach allem, was wir erlebt haben, ist es verständlich, daß unsere Jugend dem Wehrdienst mit Zurückhaltung gegenübersteht. Wir sehen darin nicht nur etwas Negatives. Die politischen Führungskräfte haben hier die verantwortungsvolle Aufgabe, die jungen Menschen von der Notwendigkeit des Wehrdienstes zu überzeugen. Die Jugend wird sich - dessen ist die Bundesregierung gewiß - dieser Aufgabe nicht entziehen, denn es hat sich stets gezeigt, daß diese Jugend in aller Nüchternheit und Zuverlässigkeit sich immer für Aufgaben bereit gefunden hat, deren Sinn sie erkannt hat.
Für den Geist der neuen Streitkräfte wird es entscheidend sein, Offiziere und Unteroffiziere zu finden, die für ihre verantwortungsvolle Aufgabe in menschlicher und fachlicher Hinsicht geeignet sind. Die Bundesregierung wird daher der Personalauswahl ihre besondere Aufmerksamkeit schenken. In die Spitzenstellen der Streitkräfte dürfen nur Persönlichkeiten gelangen, die mit innerer Überzeugung unsere demokratische Grundordnung bejahen und für die Aufgabe der Menschenführung aufgeschlossen sind. Sind diese Männer aber einmal gefunden und ausgewählt, dann verdienen sie bei aller demokratischen Wachsamkeit unser Vertrauen.
Es gab in Deutschland eine Zeit, da galt der Soldat als der erste Mann im Staat. Nach dem Zusammenbruch schlug diese übersteigerte Auffassung in eine ungerechte Abwertung und Herabsetzung um. Die Bundesregierung weiß um die Nöte der ehemaligen Soldaten. Sie weiß, daß die Mehrzahl von ihnen sich ordentlich und tapfer durch das Leben geschlagen und sich nicht in radikalistischen Strömungen verloren hat. Der deutsche Soldat hat tapfer, treu und gehorsam seine Pflicht getan.
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Er durfte dabei glauben, sie für das Vaterland zu erfüllen. Er wurde mißbraucht durch eine verbrecherische Staatsführung, und darin liegt seine Tragik.
In der Lösung der Kriegsverurteiltenfrage sind erhebliche Fortschritte gemacht worden. Die Bundesregierung wird in ihren ständigen Bemühungen nicht nachlassen und hofft in absehbarer Zeit auf die Durchführung weiterer wirksamer Maßnahmen, die dieses unselige Kapitel unter den Kriegsfolgen zu einem Abschluß zu bringen geeignet sind.
Die Sicherung der Freiheit und Unabhängigkeit eines Volkes ist zu allen Zeiten und in allen Ländern der Erde eine lebenswichtige, staatspolitische Notwendigkeit gewesen. Soldaten, deren Aufgabe es ist, die Gemeinschaft zu schützen, tragen ihren Wert und ihre Würde in sich. Je mehr sie dieser Gemeinschaft verbunden sind, desto weniger werden die Soldaten sich besser dünken als ihre Mitbürger. Sie sind aber auch gewiß nicht weniger wert! Die Soldaten haben bei pflichtgemäßer Erfüllung ihres Berufes, der genau so ehrenwert und notwendig ist wie andere Berufe, Anspruch darauf, in gleicher Weise geachtet zu werden. Dann wird es für sie um so leichter zur Selbstverständlichkeit werden, daß sie Gehorsam und Treue nicht nur ihren militärischen Vorgesetzten, sondern auch den zivilen Repräsentanten des Staates schulden, den zu schützen sie übernommen haben.
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Der Darlegung der Grundzüge der Wehrverfassung und Wehrpolitik mögen einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt werden, wobei unter Wehrverfassung die Gesamtheit der für die Errichtung, die Führung und die Unterhaltung der Truppen erforderlichen Dienststellen und Einrichtungen sowie ihrer Befugnisse verstanden wird.
Aus dem Willen der Bundesregierung, die Streitkräfte nach rechtsstaatlichen Grundsätzen aufzustellen, ergibt sich die Notwendigkeit, mehr Gebiete der gesetzlichen Regelung zuzuführen, als dies früher in Deutschland der Fall war.
Die für das Gesamtgefüge bedeutungsvollen Vorschriften über Einstellung und Entlassung der Berufssoldaten, über Disziplinarstrafen und das Disziplinarverfahren, über das Recht der Soldaten zur Beschwerde waren früher in militärrechtlichen Bestimmungen niedergelegt, welche als Verordnungen des Wehrministers ohne die Zustimmung der parlamentarischen Körperschaften erlassen wurden. Wenn nun diese Gebiete in Zukunft durch Gesetz geregelt werden, so bedeutet das, daß die Wehrgesetzgebung sehr viel umfangreicher sein wird als früher und sich auf die verschiedensten Gesetze verteilt. Teile dieser Wehrverfassung, wie insbesondere die Stärke und allgemeine Gliederung der zukünftigen Streitkräfte, aber auch die Befugnisse zu ihrer Inspektion und Unterstellung im Ernstfall sind im übrigen bereits durch die Annahme der Pariser Verträge geregelt.
Die zahlreichen Gesetze, die zusammen die Wehrverfassung ausmachen, können nur nacheinander den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt werden. Bei dieser Lage hat die Bundesregierung volles Verständnis dafür, wenn der Bundesrat in der Entschließung vom 10. Juni 1955 den Wunsch zum Ausdruck gebracht hat, die zukünftige Wehrverfassung und Wehrpolitik in ihren Grundzügen schon jetzt kennenzulernen. Diesem Wunsch will die Bundesregierung mit den nachfolgenden Darlegungen nachkommen.
Wenn sich einerseits aus den bisherigen Darlegungen ergibt, daß für den endgültigen Aufbau der Streitkräfte eine große Zahl von Gesetzen nötig ist, so ist die Bundesregierung andererseits der Auffassung, daß es einer formellen Ergänzung des Grundgesetzes für die Aufstellung der Streitkräfte aus rechtlichen Gründen nicht bedarf.
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Gemäß der Koalitionsvereinbarung vom 26. Februar 1954 sollen jedoch folgende Tatbestände verfassungsrechtlich geregelt werden: Oberbefehl, landsmannschaftliche Gliederung, Wehrverwaltung.
Es wird ferner erforderlich sein, sich mit den Problemen eines Notstandes, hervorgerufen durch einen Angriff oder einen drohenden Angriff auf die Bundesrepublik, auseinanderzusetzen. Die in diesem Zusammenhang zu behandelnden Fragen gehen jedoch weit über den Rahmen der Wehrverfassung hinaus und berühren alle Bereiche der Verfassung. Sie können nur durch eine Ergänzung des Grundgesetzes geregelt werden. Bis zu dieser Ergänzung bleibt es bei den Vorbehaltsrechten gemäß Art. 5 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten.
Das Gesetzgebungsrecht für die Verteidigung ist im Grundgesetz ausdrücklich geregelt. Das Recht zur Aufstellung militärischer Verbände entnimmt der Bund unmittelbar aus dem Grundgesetz. Die Bundesregierung hält insoweit an der von ihr seit Jahren vertretenen Auffassung fest, daß die Aufstellung von Streitkräften ebenso wie ihre Unterhaltung eine natürliche Bundesangelegenheit darstellen. Sie weiß sich darin einig mit allen politischen Richtungen und Parteien; denn soweit diese überhaupt die Errichtung von Streitkräften bejahen, sind sie der Auffassung, daß die Streitkräfte Streitkräfte des Bundes sein sollen.
Neben den militärischen Verbänden werden Behörden und Verwaltungsstellen für die verschiedensten Tätigkeiten einzurichten sein. Ungeachtet der Frage, ob es für die Errichtung dieser Stellen zwingend der gesetzlichen Regelung bedarf, wird die Bundesregierung durch Vorlage eines besonderen Organisationsgesetzes den Aufbau dieser Verwaltungsstellen der Entscheidung der parlamentarischen Körperschaften unterwerfen.
Zu den Grundzügen der Wehrverfassung folgendes:
Politische Kontrolle und Spitzenbefugnisse. Die Verteidigung ist eine Hoheitsaufgabe des Staates. Für sie gelten die Zuständigkeitsregeln des Grundgesetzes.
Die Streitkräfte sind ein Teil der Exekutive.
Dem Bundespräsidenten fallen nach den Grundsätzen der Verfassung diejenigen Aufgaben zu, die ihm entweder als Staatsoberhaupt schon der Natur nach zustehen oder die ihm durch die Gesetzgebung zugewiesen werden. Zu den Aufgaben, die ihm durch einfaches Gesetz zugewiesen werden können, gehört das Ernennungsrecht, das Recht zur Bestimmung der Dienstgradbezeichnungen und der Uniform. Ferner steht ihm das Begnadigungsrecht für den Bund auch gegenüber den Soldaten zu. Darüber hinaus stehen dem Bundespräsidenten gegenüber den Streitkräften die Ehrenrechte des Staatsoberhauptes zu.
Weil die Streitkräfte ein Teil der Exekutive sind, unterstehen sie der dem Parlament verantwortlichen Bundesregierung und damit der Kontrolle des Parlaments. In der Bundesregierung wird der Bundeskanzler seine Befugnis zur Bestimmung der Richtlinien der Politik auch auf dem Gebiet der Verteidigung ausüben. Innerhalb dieser Richtlinien leitet der Bundesminister für Verteidigung selbständig unter eigener Verantwortung seinen Geschäftsbereich; ihm sind also die Streitkräfte unterstellt. Damit ist er Vorgesetzter sämtlicher Angehörigen der Streitkräfte. Er hat gegenüber sämtlichen militärischen und zivilen Dienststellen seines Geschäftsbereichs unmittelbare Weisungsbefugnis.
Im Gesamtaufbau dieser Zuständigkeitsregelung ist zu beachten, daß durch das Vertragswerk über die Einordnung der Bundesrepublik in die westlichen Paktsysteme den Organen dieser Systeme eine Reihe von Befugnissen eingeräumt worden ist, durch die die bereits erwähnte Aufgabenverteilung überlagert wird. So ist z. B. die NATO für die strategische Gesamtplanung der Verteidigung der Gebiete ihrer Bündnispartner - und somit auch der Bundesrepublik - zuständig. Daraus ergeben sich für die NATO gewisse Rechte, u. a. bei der Dislozierung und Stationierung der Streitkräfte, sowie Inspektionsbefugnisse auf den Gebieten der Ausbildung und der Versorgungseinrichtungen. Abgesehen davon, daß die Bundesrepublik politisch und
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militärisch in den zuständigen Organen der NATO sowie in den Ausschüssen und Stäben maßgeblich vertreten sein wird, können alle derartigen Maßnahmen jedoch nur im Einvernehmen mit der Bundesregierung wirksam werden.
Zur Stärke und Gliederung der Streitkräfte. Durch die Ratifizierung der Pariser Verträge ist die Bundesrepublik bereits Bindungen über die Stärke und die allgemeine Gliederung der Streitkräfte eingegangen. Das Protokoll II über die Streitkräfte der Westeuropäischen Union trifft in Artikel 1 Bestimmungen dahin, daß die Land- und Luftstreitkräfte nach Gesamtzahl und Anzahl der Verbände die Höchstgrenzen nicht überschreiten dürfen, wie sie in dem Sonderabkommen zum EVG-Vertrag festgelegt sind. Ähnlich sind in Artikel 2 dieses Protokolls für die Stärke der Marinestreitkräfte durch Bezugnahme auf das genannte Sonderabkommen und durch die Bezeichnung der Aufgaben Grenzen gezogen. Schließlich ist in Artikel 5 vorgesehen, daß Stärke und Bewaffnung der Streitkräfte der bodenständigen Verteidigung in einem besonderen Abkommen festgelegt werden.
Sind in diesem Protokoll nur die Höchststärken angesprochen, so hat die Bundesregierung darüber hinaus in der Anlage Nr. 5 zur Londoner Schlußakte zugestimmt, einen Verteidigungsbeitrag zu leisten, der nach seinem Umfang und seiner allgemeinen Beschaffenheit dem für die EVG festgesetzten Beitrag entspricht.
Durch die Ratifizierung des Pariser Vertragswerks ist so bereits vom Parlament eine sehr weitgehende Entscheidung über die Stärke und die allgemeine Gliederung der aufzustellenden Streitkräfte getroffen worden. Es sind aber noch weitere Entscheidungen nötig, die die Gliederung der Streitkräfte im einzelnen und das Tempo der Aufstellung betreffen. Diese Entscheidungen wird das Parlament bei den jährlichen Haushaltsberatungen zu treffen haben.
Was die Gliederung der Streitkräfte im einzelnen angeht, so wird ihr die nachfolgende Planung zugrunde liegen, wobei die angegebenen Stärken nur die zu erreichenden Höchstzahlen bezeichnen.
Die Streitkräfte setzen sich zusammen aus Heer, Luftwaffe, Marine, der bodenständigen Verteidigung und einer militärischen Territorial-Organisation.
Das Heer gliedert sich in 12 Divisionen. Dazu treten die erforderlichen Führungsstäbe, Unterstützungs- und Versorgungstruppen. Die Stärke soll 370 000 Mann betragen.
Die Luftwaffe verfügt in den fliegenden Verbänden und der dazugehörigen Bodenorganisation in der geplanten Stärke von insgesamt etwa 70 000 Mann über 1 326 Frontflugzeuge. Ihre Zusammensetzung dient schwerpunktmäßig der Freihaltung des Luftraumes. Darüber hinaus werden weitere Einheiten für Führung, Fernmelde- und Bodenorganisation der NATO aufgestellt werden müssen.
Die Marine-Planung sieht bei einer Gesamtstärke von etwa 20 000 Mann nur leichte Seestreitkräfte vor.
Aufgabe der bodenständigen Verteidigung wird es sein, den Schutz der Kraftquellen des Volkes hinter der eigentlichen Front gegen militärische Angriffe aller Art durch territorial gebundene und regional gegliederte Einheiten zu gewährleisten. Ihr Schwerpunkt liegt bei der aktiven Luftverteidigung. Umfang und Gliederung dieser bodenständigen Verteidigung werden gemäß dem bereits erwähnten Artikel 5 des Protokolls II der Pariser Verträge noch in der Westeuropäischen Union zu beraten sein. Im Frieden sind lediglich schwache Kader geplant, die erst im Ernstfall zu vollen Einheiten aufgefüllt werden.
Die militärische Territorialorganisation gliedert sich in 6 Militärbereiche, deren Grenzen in Anlehnung an die Ländergrenzen festgelegt und damit dem bundesstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik gerecht werden. Ihre weitere Untergliederung führt herunter bis zur Standort-Ebene. Die militärische Territorialorganisation entlastet die Streitkräfte von allen solchen militärischen Aufgaben, die ortsgebunden sind und deshalb von der jederzeit beweglichen Truppe nicht erfüllt werden können. Zu diesen Aufgaben gehören z. B. vorbereitende militärische Arbeiten für die Mobilisierung, Fragen der militärischen Sicherheit, die Bodenorganisation der Luftwaffe, die Regelung des Standortdienstes. Von der militärischen Territorialorganisation ist aber die Verteidigungsverwaltung zu unterscheiden, von der noch zu reden sein wird.
Berücksichtigung landsmannschaftlicher Gesichtspunkte. Die Bundesregierung wird bestrebt sein, bei der Aufstellung der Streitkräfte ihrer Gliederung nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen und die Verbände entsprechend ihrem landsmannschaftlichen Charakter in den betreffenden Ländern zu stationieren. Dabei wird es nicht zu vermeiden sein, daß technisches Fachpersonal, wenn es in einem Lande nicht in genügender Zahl zur Verfügung steht, aus einem anderen Lande herangezogen wird. Auch müssen bei der Dislozierung und Stationierung strategische Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die sich aus der Planung der militärischen Stäbe der NATO ergeben.
Die Bundesregierung wird sich mit den Landesregierungen ins Benehmen setzen, bevor sie Garnisonen einrichtet oder bestehende Garnisonen aufhebt, und im Rahmen der ihr selbst gezogenen Grenzen den Wünschen der Länder Rechnung tragen. Dasselbe gilt für die Anlage von Flugplätzen und für den Bau von sonstigen Verteidigungsanlagen.
Um eine enge und reibungslose Verbindung zwischen dem Bund und den Landesregierungen auf allen Gebieten der Landesverteidigung sicherzustellen, ist die Bundesregierung bereit, auf Wunsch eines Landes dort für diese Zusammenarbeit besondere Bevollmächtigte zu bestellen.
Nun zur Wehrpflicht. Die Aufstellung der Streitkräfte wird in der vertraglich vorgesehenen Stärke nur möglich sein, wenn die Bundesrepublik die allgemeine Wehrpflicht wieder einführt. Das wird allerdings erst erforderlich werden, wenn das benötigte Stammpersonal wieder herangebildet ist. Dieses Stammpersonal soll auf der Grundlage freiwilliger Meldungen eingestellt werden.
Die allgemeine Wehrpflicht für Männer und die Heranziehung des einzelnen Wehrpflichtigen zum Wehrdienst wird umfassend gesetzlich zu regeln sein. Dabei werden insbesondere die Dauer der Wehrpflicht und des aktiven Wehrdienstes, die Wehrdienstausnahmen und das Verfahren vom Gesetzgeber im einzelnen bestimmt werden müssen.
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Es ist beabsichtigt, die Wehrpflicht im Frieden vom 18. bis zum 45. Lebensjahr zu erstrecken. Bei Offizieren und Unteroffizieren ist an eine Verlängerung dieses Zeitraumes gedacht.
Die Wehrpflicht wird dem einzelnen Wehrpflichtigen vor allem die Verpflichtung auferlegen, den Grundwehrdienst und Wehrübungen zu leisten. Der Grundwehrdienst, zu dem der Wehrpflichtige in der Regel mit 20 Jahren einberufen werden soll, wird 18 Monate dauern. Während der Dauer der Wehrpflicht sollen Wehrübungen für begrenzte Zeit gefordert werden. Im Ernstfall wird die Pflicht, Wehrdienst zu leisten, unbefristet sein müssen.
Wehrdienstausnahmen - insbesondere aus gesundheitlichen, persönlichen und Ausbildungsgründen - werden gesetzlich klar umrissen werden. Das gleiche gilt für das Recht der Kriegsdienstverweigerung. Die Bestimmung des Art. 4 des Grundgesetzes, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf, ist dabei die unverrückbare Grundlage.
Die bei der Verwirklichung der 'allgemeinen Wehrpflicht auftauchenden neuen Verwaltungsaufgaben, ,die Erfassung und Musterung der Wehrpflichtigen, ihre Einberufung und die Wehrüberwachung sollen nicht von den Streitkräften wahrgenommen, sondern zivilen Verwaltungsstellen vorbehalten werden. Dabei werden im Rahmen einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern die Aufgaben der Erfassung der Wehrpflichtigen von den Ländern durchzuführen sein. Dazu gehören vor allem die namentliche Feststellung der zum Wehrdienst heranstehenden Jahrgänge und die laufende Führung der entsprechenden Personalunterlagen sowie die Vorprüfung dieses Personenkreises durch Ausscheiden von Wehrpflichtigen, die von vornherein nicht für den Wehrdienst in Betracht kommen.
Die Musterung, bei der die Entscheidung über die Verfügbarkeit des einzelnen Wehrpflichtigen getroffen werden muß, soll auf Ortsebene durch Ausschüsse unter Zuziehung ehrenamtlicher Beisitzer erfolgen.
Die verwaltungsmäßige Durchführung der Musterung soll ebenso wie die Einberufung und die Wehrüberwachung einer besonderen zivilen Behördenorganisation, den Wehrersatzbehörden, übertragen werden. Die Gliederung dieser Wehrersatzbehörden soll sich nach den Grenzen und Bezirken der Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung richten. Die Wehrersatzbehörden werden organisatorisch sowohl von der Truppe als auch von der Wehrverwaltung getrennt sein. Trotzdem bestehen zwischen ihnen und den Streitkräften viele Verbindungen, die infolge der Gemeinsamkeit der Aufgabe zu einer Fülle laufender wechselseitiger Kontakte führen. Ihr Zusammenspiel verlangt Weisungsmöglichkeiten, die durch die Ausführung in landeseigener Verwaltung nicht gewährleistet sind. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die notwendige Einheitlichkeit der Durchführung des Wehrersatzwesens, insbesondere in Fragen der Zurückstellung, nur durch eine bundeseigene Verwaltung sichergestellt werden kann.
Zur Rechtsstellung der Soldaten. Die Streitkräfte werden sich aus Soldaten, die auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht dienen, und aus solchen, die auf Grund freiwilliger Verpflichtung als Soldaten auf Zeit oder als Berufssoldaten dienen, zusammensetzen.
Die Rechtsstellung aller Soldaten wird in einem einheitlichen Gesetz, dem Soldatengesetz, das die Bundesregierung dem Bundesrat zugeleitet hat, zu behandeln sein. Leitgedanke dieses Gesetzes, das erstmalig die Rechtsstellung der Soldaten umfassend gesetzlich regeln will, ist die Verbundenheit aller Soldaten durch die Gleichartigkeit ihres Pflichtenkreises. Die Grundpflichten des Soldaten, treu zu dienen, gehorsam und tapfer zu sein und Kameradschaft zu üben, treffen den Soldaten, der auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet, in gleicher Weise wie den Soldaten 'auf Zeit und den Berufssoldaten.
Für die Ausgestaltung der Rechte und vor allem der Pflichten des Soldaten sind die für den Staatsdiener im Beamtenrecht entwickelten Grundsätze weitgehend zu berücksichtigen. Eine einfache Übernahme aller für Beamte geltenden Grundsätze ist allerdings auf die Dauer nicht möglich; sie verbietet sich wiegen der Verschiedenheit der Aufgaben des Beamten und des Soldaten.
Es ist das besondere Anliegen des Entwurfs eines Soldatengesetzes, die Pflichten der Soldaten, die Beschränkungen, denen sie bei der Ausübung der allgemeinen staatsbürgerlichen Befugnisse notwendig unterworfen sind, und ihre Rechte gesetzlich klar zu umreißen. Dadurch soll die Grenze der an die Soldaten zu stellenden Anforderungen so bestimmt werden, wie es die rechtsstaatliche Ordnung verlangt.
Dabei wird besonders die Befehlsgewalt ausdrücklich an Gesetz und Recht gebunden. Dem verbrecherischen Befehl soll durch das Gesetz selbst die bindende Kraft abgesprochen werden.
Die Besoldung und Versorgung der Soldaten werden ebenfalls besonderer gesetzlicher Regelung bedürfen. Dabei werden ,die für den öffentlichen Dienst geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze und Maßstäbe richtungweisend sein. Allerdings wird den besonderen Bedingungen des militärischen Dienstes und dem abweichenden Laufbahnablauf Rechnung getragen werden müssen. Es wird zwar die Versorgung der ausscheidenden Berufssoldaten derjenigen der ausscheidenden Beamten entsprechen können; für die Versorgung der nur für begrenzte Zeit dienenden Soldaten auf Zeit müssen jedoch andere Wege gegangen werden. Für ihre Versorgung sind vorgesehen die Gewährung von Abfindungen und Übergangsgebührnissen, berufliche Förderungsmaßnahmen sowie die Unterbringung bei Behörden ides Bundes und der Länder.
Zur Besetzung der Spitzenstellen. Der Charakter der neuen Streitkräfte wird nicht nur durch die Gesetze bestimmt werden, sondern ebenso durch die Persönlichkeiten, die in die führenden Stellungen zu berufen sein werden. Von ihnen wird es abhängen, ob ein fortschrittlicher Geist die neuen Verbände beherrscht. Die Bundesregierung kennt die Bedeutung, die der Auswahl dieser Persönlichkeiten zukommt, und ist um ihre sorgfältige Auswahl bemüht.
Die Bundesregierung wird auf Grund ihrer Organisationsgewalt einen Personalausschuß bilden. Dieser Ausschuß wird sich aus angesehenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und solchen ehemaligen Berufsoffizieren zusammensetzen, die
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selbst für eine aktive Wiederverwendung in leitender Position nicht in Frage kommen.
Der Personalausschuß soll bei der Übernahme ehemaliger Offziere in die Streitkräfte mitwirken, indem er die für Spitzenstellungen vom Oberst an aufwärts vorgesehenen Bewerber auf ihre charakterliche und politische Eignung prüft. Die Art und Weise der Durchführung dieser Aufgabe wird dem Ausschuß selbst überlassen bleiben; er wird sich eine eigene Geschäftsordnung geben und seinen Vorsitzenden selbst wählen.
Der Sicherheitsausschuß des Bundestages hat über die Fragen dieses Personalausschusses bereits öfter beraten. Die Bundesregierung ist bereit, die Zusammensetzung und die Aufgaben dieses Ausschusses in enger Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsausschuß des Bundestages festzulegen. Sie wird keinen Bewerber gegen das Votum des Personalausschusses dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorschlagen und bei den Vorschlägen den Gesichtspunkten des Art. 36 des Grundgesetzes Rechnung tragen. Eine gesetzliche Errichtung des Ausschusses hält die Bundesregierung nicht für nötig.
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Die Bundesregierung wird der Arbeit des Personalausschusses nicht vorgreifen. So kann eindeutig erklärt werden, daß niemandem, auch nicht einem der im Bundesverteidigungsministerium tätigen ehemaligen Soldaten eine Zusage für eine endgültige Übernahme oder eine bestimmte Verwendung gegeben worden ist.
Aus dem gleichen Grunde werden die Personen, die für die Besetzung der Spitzenstellungen in den ersten Verbänden oder die endgültige Besetzung in den militärischen Organen der NATO in Frage kommen, erst dann bestimmt werden, wenn der Personalausschuß seine Arbeit aufgenommen und entsprechende Bewerber begutachtet haben wird. Die Begutachtung dieser Bewerber wird von dem Ausschuß vordringlich vorzunehmen sein.
Disziplin und Beschwerde. Die Handhabung der Disziplinargewalt und das Recht des Soldaten zur Beschwerde sollen durch eine Disziplinarordnung und eine Beschwerdeordnung gesetzlich geregelt werden. Die Disziplinarordnung wird neben Strafen für Disziplinarvergehen förmliche Anerkennungen für besondere Leistungen vorsehen. Die Disziplinarstrafen sollen für alle Soldaten ohne Rücksicht auf den Dienstgrad gleich sein. Über Beschwerden gegen Disziplinarstrafen sollen letztlich Disziplinargerichte entscheiden, die den für Beamte bestehenden Disziplinargerichten entsprechen. Sie werden in ihrer Zuständigkeit der Gliederung der Streitkräfte folgen. Als Vorsitzende sind unabhängige Richter ziviler Rechtsstellung, als Beisitzer Soldaten in Aussicht genommen. Bei der Verhängung von Arreststrafen wird in jedem Fall ein Richter mitwirken. Disziplinarstrafen, die in die Rechtsstellung des Soldaten eingreifen, wie Entfernung aus dem Dienst, Dienstgradherabsetzung usw., sollen in weitgehender Anlehnung an das Beamtenrecht einem disziplinargerichtlichen Verfahren vorbehalten bleiben, das die Möglichkeit der Berufung an eine zweite Instanz vorsieht. Die Disziplinargerichte sollen auch im Beschwerdeverfahren angerufen werden können, wenn der Soldat durch seine militärischen Vorgesetzten oder durch pflichtwidriges Verhalten von Kameraden in seinen Rechten verletzt ist.
Die Verteidigungsverwaltung. Die Landesverteidigung umfaßt nicht nur eigentliche militärische Aufgaben, sondern auch in engem Zusammenhang mit ihnen Verwaltungsfunktionen, die sich auf die Lieferung der persönlichen und sachlichen Mittel für die Aufstellung, Ergänzung, Unterhaltung und Verwendung der Streitkräfte und der ihnen dienenden Einrichtungen beziehen. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere die Versorgungsaufgaben mit dem Beschaffungs-, Lager- und Instandsetzungswesen, die Verwaltung des Zivilpersonals, das Besoldungs-, Haushalts- und Kassenwesen, die Liegenschafts- und Unterkunftsverwaltung sowie die Fiskusvertretung.
Während die rein militärischen Aufgaben im Interesse der Schlagkraft der Streitkräfte nach dem Befehlsprinzip durchgeführt werden müssen, sind die Verwaltungsaufgaben von speziell ausgebildetem Zivilpersonal nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen zu bewältigen. Infolgedessen werden die Aufgaben der Kommandogewalt und der Verwaltung so zu verteilen und gegeneinander abzugrenzen sein, daß eine klare Trennung der spezifisch militärischen Funktionen von der allgemeinen Verwaltungstätigkeit erzielt wird. Nur dann wird die Grundsatzforderung zu erfüllen sein, daß der Soldat sich voll seinen soldatischen Aufgaben widmet und die Verwaltungsaufgaben durch Fachleute mit entsprechender Vorbildung wahrgenommen werden.
Die zivile Verwaltungsorganisation ist hiernach von den eigentlichen Streitkräften zu unterscheiden, hängt aber so eng mit ihnen zusammen, daß die Truppe bei ihrer Herausnahme aus der Verteidigungsorganisation nicht lebens- und funktionsfähig wäre. Sie läßt sich auch innerhalb der Verteidigungsorganisation sehr wohl zivil aufbauen und unter dem einheitlichen Dach des Bundesverteidigungsministeriums in Übereinstimmung mit den Interessen der Truppe nach den erwähnten Grundsätzen steuern. Mithin wird für die Streitkräfte eine besondere Verteidigungsverwaltung des Bundes als rein zivile Verwaltung zu errichten sein. Ihr Personal wird einen zivilen Status haben. Mischformen in der Rechtsstellung, wie sie bei der früheren Wehrmacht in dem Wehrmachtbeamten gegeben waren, sollen nicht wiederkommen. Unmittelbar bei der Truppe anfallende Verwaltungsaufgaben werden, im Rahmen des militärisch Möglichen, ebenfalls von zivilem Verwaltungspersonal erledigt, das von der Verteidigungsverwaltung zur Truppe abgeordnet wird.
Es ist beabsichtigt, unter dem Verteidigungsministerium in der Mittelinstanz den Wehrbereichskommandos, die rein militärische Aufgaben wahrzunehmen haben, zivile Wehrbereichsverwaltungen gleichrangig an die Seite zu stellen. In der Orts-Instanz sollen nach dem gleichen Prinzip zivile Standortverwaltungen tätig werden.
Dabei ist eine Reihe von Vereinfachungen vorgesehen. Es ist nicht beabsichtigt, für die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine jeweils eine besondere Verteidigungsverwaltung einzurichten, wie dies früher der Fall war; vielmehr sollen alle Teilstreitkräfte von der gleichen Verwaltungsorganisation gemeinsam betreut werden.
Weiterhin werden die Aufgabenbereiche der Verteidigungsverwaltung gegenüber der Vergangenheit weitgehend beschränkt. Nur diejenigen Aufgaben werden in die Zuständigkeit der geplan({8})
ten zivilen Verwaltungsorganisation fallen, die mit den Streitkräften unlösbar eng verflochen sind und der Steuerung durch das Verteidigungsministerium bedürfen. Aufgaben, die ohne Gefährdung der Schlagkraft der Streitkräfte von bereits vorhandenen Verwaltungsbehörden anderer Ressorts durchgeführt werden können, sollen daher der neuen Organisation nicht übertragen werden. Infolgedessen ist z. B. auch die Errichtung einer eigenen Bauverwaltung nicht mehr vorgesehen.
Ein Wort zum Beschaffungswesen. Die Bundesregierung wird alle Maßnahmen treffen, um die Beschaffung des Bedarfs der Streitkräfte in den Gesamtzusammenhang der allgemeinen Wirtschaftsordnung einzugliedern. Dias Beschaffungswesen soll dem rein militärischen Bereich entzogen und zivilen Stellen übertragen werden. Es ist beabsichtigt, eine besondere obere Bundesbehörde für diesen Zweck zu errichten. Bereits im Herbst des vergangenen Jahres hat das Verteidigungsressort mit den Bundesministern für Wirtschaft, für Wohnungsbau und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vereinbarungen über das Beschaffungswesen getroffen. Hiernach ist die
eigentliche Durchführung der Beschaffung Sache
des Verteidigungsressorts - eine Regelung, die für jeden öffentlichen Auftraggeber gilt -; alle Maßnahmen wirtschaftspolitischer Art sind aber dem Bundesministerium für Wirtschaft vorbehalten. Die Bundesregierung legt auf diese Regelung deshalb besonderen Wert, weil ihr hierdurch gewährleistet zu sein scheint, daß die für die Streitkräfte durchzuführenden Beschaffungen sich in die von ihr vertretene Politik der sozialen Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs einfügen und daß keine Einschränkungen des zivilen Bedarfs einschließlich des Exports erforderlich werden. Nur so können Einbrüche in das Preisgefüge und Störungen des Marktablaufs verhindert werden. Um diesen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, ist beabsichtigt, den Bedarf der Streitkräfte unter Beachtung des Prinzips des freien Wettbewerbs, also grundsätzlich durch öffentliche Ausschreibung zu vergeben.
Den berechtigten Interessen der Länder wird durch eine kürzlich getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Ländern, die deren Mitwirkung bei der Deckung des Bedarfs der Streitkräfte regelt, Rechnung getragen. Um auch bei dieser Zusammenarbeit zwischen dem Beschaffungsamt und den Ländern die Beachtung der von der Bundesregierung vertretenen Gesichtspunkte im Einzelfall sicherzustellen, wird das Bundesministerium für Wirtschaft einen besonderen Beauftragten zu dem Beschaffungsamt entsenden.
Die Strafgerichtsbarkeit. Im öffentlichen Bewußtsein lebt, zumal nach einer militärischen Niederlage, die Vorstellung, daß das Militärstrafrecht ausschließlich dazu bestimmt sei, dem militärischen Befehl strafrechtlichen Nachdruck zu verleihen. Dabei wird übersehen, daß das Militärstrafrecht auch den Untergebenen vor Machtmißbrauch seiner Vorgesetzten schützt. Die Bestimmungen über Mißbrauch der Befehlsgewalt nehmen darin einen breiten und bedeutungsvollen Raum ein. Daher ist ein besonderes Gesetz über Wehrstrafrecht unentbehrlich. Es werden hierbei die wesentlichen militärischen Straftatbestände zusammengefaßt werden, bei deren Festsetzung neue rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Erkenntnisse Berücksichtigung finden sollen.
Die Wehrstrafgerichtsbarkeit wird zunächst durch die ordentlichen Strafgerichte auszuüben sein. Das bedingt Abänderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes. Auch die Strafprozeßordnung wird in einigen Punkten zu ergänzen sein, damit das Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden kann. Dabei wird darauf geachtet werden, daß die Rechte des Angeklagten nicht verkürzt werden.
Mit solchen Regelungen wird man in der Anfangszeit auskommen. Es kann dahingestellt bleiben, ob man sich zu einer eigenen Militärgerichtsbarkeit des Bundes, für die mancherlei Gründe sprechen, später entschließen wird. Dazu müßte das Grundgesetz ergänzt werden. Auch in diesem Falle würde eine Militärgerichtsbarkeit mit Eingliederung in militärische Stäbe, in der einem militärischen Gerichtsherrn maßgebender Einfluß zustand, nicht wiederkehren. Vielmehr würden unabhängige zivile Berufsrichter in den Gerichten vorsitzen.
Zur Durchführung der aufgeführten Grundsätze wird die Bundesregierung den parlamentarischen Körperschaften die nachfolgenden Gesetzentwürfe in Kürze zur Beschlußfassung zuleiten: a) ein Soldatengesetz, das die Rechtsstellung der Soldaten regeln soll; b) ein Besoldungsgesetz; c) ein Versorgungsgesetz; d) ein Organisationsgesetz für Verwaltungseinrichtungen; e) eine Disziplinarordnung; f) eine Beschwerdeordnung.
Diese Gesetze sind bereits während der Aufstellung der Kader erwünscht. Folgende Gesetze werden erst in einem späteren Zeitpunkt der Aufstellung benötigt: a) ein Wehrpflichtgesetz; b) ein Wehrstrafgesetzbuch; c) eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes; d) eine Änderung der Strafprozeßordnung.
Soweit die Darlegung der Grundsätze der Wehrverfassung und der Wehrpolitik und des sich daraus ergebenden Gesetzgebungsprogramms der Bundesregierung.
Aus dem Gesetzgebungsprogramm wird die Bedeutung des Freiwilligengesetzes ersichtlich. Es ist eine große Zahl von Gesetzen einzubringen, deren Verabschiedung lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Bundesregierung glaubt es nicht verantworten zu können, daß sie diese Zeit ungenutzt verstreichen läßt. Sie hat sich deshalb entschlossen, dem Hohen Haus das Freiwilligengesetz vorzulegen. Es handelt sich dabei lediglich um ein Einleitungsgesetz, das nur für eine befristete Übergangszeit Geltung haben soll.
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Bis zum 31. März 1956, dem vorgesehenen Datum des Außerkrafttretens des Gesetzes, werden für militärische Zwecke etwa 6000 Personen benötigt. Für diese soll das Freiwilligengesetz die gesetzlichen Grundlagen schaffen.
Die Freiwilligen sind im wesentlichen dafür bestimmt, die Übernahme der amerikanischen Außenhilfe und die Aufstellung der bodenständigen militärischen Einrichtungen vorzubereiten, an den ersten Lehrgängen teilzunehmen, das Verteidigungsministerium so weit zu verstärken, wie es für die Durchführung seiner Vorbereitungsarbeiten unerläßlich ist, das erste Personal für internationale Stäbe und Lehrgänge zu entsenden.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Freiwilligengesetz in der Form des Entwurfs durchführbar ist. Bei der eng begrenzten Zahl der Ein({10})
berufungen lassen sich die notwendigen Verwaltungsmaßnahmen vom Bundesministerium für Verteidigung erledigen, ohne daß eine durchorganisierte Verteidigungsverwaltung eingerichtet zu werden braucht. Wie sich aus der beabsichtigten Verwendung der Freiwilligen ergibt, bedarf es für sie keiner besonderen Behörde. Die Entscheidung über den Aufbau der Wehrverwaltung wird durch dieses Gesetz also nicht vorweggenommen. Die Bundesregierung vermag daher nicht einzusehen, aus welchen verfassungsrechtlichen Gründen der Bundesrat eine Zustimmung zu der vorgesehenen Rechtsverordnung für nötig hält.
Der Entwurf selbst beschränkt sich darauf, den Personalstatus der ersten Freiwilligen vorübergehend festzulegen. Mehr will er nicht, und mehr braucht er auch nicht zu bestimmen. Als Weg dafür bot sich für eine Übergangszeit das Beamtenrecht an. Es erscheint deshalb geeignet, weil es Rechtsstellung, Rechte und Pflichten, Besoldung und Versorgung auf dem Gebiet des öffentlichen Dienstrechtes regelt.
Die Bundesregierung teilt die Bedenken des Bundesrats nicht, für eine Übergangszeit das Beamtenrecht, wie es der Entwurf vorsieht, sinngemäß auf den Soldaten anzuwenden. Die Besonderheiten seines Berufes sind bei Darlegung seiner Pflichten im § 1 des Entwurfs im wesentlichen berücksichtigt. Andere Besonderheiten, wie diejenige des soldatischen Gehorsams, müssen im endgültigen Soldatengesetz geregelt werden. Während der kurz bemessenen Übergangszeit kann praktisch im täglichen Dienst darauf verzichtet werden; die Gehorsamspflicht des Beamten ist ausreichend.
Ich möchte nun einigen Mißverständnissen hinsichtlich der Vorlage begegnen, die sich daraus ergeben haben, daß die Vorschriften über den Beamten auf Probe angewendet werden sollen. Der Beamte auf Probe ist hinsichtlich der Beendigung seines Dienstverhältnisses nicht schlechter gestellt als der Angestellte im öffentlichen Dienst. Bei Dienstunfall hat er die vollen beamtenmäßigen
Ansprüche auf Ruhegehalt, Hinterbliebenenversorgung und Unfallfürsorge. Der Gesetzentwurf läßt durchaus die Möglichkeit offen, daß nach einer Bewährungszeit, die für Eignungsübungen auf 4 Monate begrenzt ist, auch unter der Geltung dieses Gesetzes die Soldaten bei ihrer Übernahme in eine Rechtsstellung eingewiesen werden, die derjenigen eines Beamten auf Lebenszeit entspricht.
Wie es vom Bundesrat gewünscht und gefordert wurde, sind die Grundsätze der Wehrverfassung und der Wehrpolitik umfassend dargelegt worden. Es war im übrigen das Anliegen der Bundesregierung, auch diesem Hohen Hause in diesen Fragen die Klarheit zu vermitteln, die am Beginn der zu bewältigenden Aufgaben vonnöten ist.
Die Bundesregierung ist sich der Schwierigkeiten und der\ Bedeutung der vor ihr stehenden Aufgaben bewußt. Sie hätte den Weg, der jetzt beschritten wird, die Aufstellung von Streitkräften, gern vermieden, wenn sich eine andere Möglichkeit gezeigt hätte.
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Sie glaubt aber, nur so den Gefahren unserer Lage begegnen und den Frieden sichern zu können.
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Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus bei dieser schweren Aufgabe um seine Mitwirkung und um seine Unterstützung.
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Das Haus hat die Erklärung der Bundesregierung entgegengenommen. Nach den Vereinbarungen im Ältestenrat soll die Aussprache am morgigen Tage erfolgen.
Ich berufe die nächste, die 93. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 28. Juni 1955, um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.