Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses zum Geburtstag dem Herrn Abgeordneten Dr. Brönner aussprechen.
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Mit dem Einverständnis aller Fraktionen wird die heutige Tagesordnung erweitert um den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Wahl eines vom Bundestag zu entsendenden Mitgliedes des Ausschusses nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes, d. h. des Vermittlungsausschusses, in dem für den längere Zeit erkrankten Abgeordneten Onnen als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß der Abgeordnete Dr. Schneider ({1}) vorgeschlagen wird.
Schließlich hat der Haushaltsausschuß gebeten, in Anbetracht der vor dem Abschluß stehenden Verhandlungen über den Haushalt im Verlaufe des heutigen Nachmittags eine Sitzung abhalten zu dürfen. - Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seinen Sitzungen am 6. und 20. Mai 1955 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Konvention vom 5. April 1946 der Internationalen Überfischungskonferenz;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über gesetzliche Handelsklassen für Erzeugnisse der Landwirtschaft und Fischerei;
Gesetz über weitere Ergänzungen und Änderungen des D-Markbilanzgesetzes sowie über Ergänzungen des Altbanken-Bilanz-Gesetzes ({2}) ;
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Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin ({4}).
Der Bundesrat hat weiterhin in seiner Sitzung am 20. Mai 1955 beschlossen, hinsichtlich des Bannmeilengesetzes und des Gesetzes über den Verkehr mit Fischen und Fischwaren ({5}) zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Die Begründungen hierzu sind als Drucksachen 1405 und 1406 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 4. Mai 1955 die Kleine Anfrage 162 der Abgeordneten Hörauf, Dr. Kreyssig, Kurlbaum, Müller ({6}) und Genossen betreffend Versorgung mit Braunkohlenbriketts - Drucksache 1278 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1384 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 14. Mai 1955 die Kleine Anfrage 170 der Abgeordneten Schmücker, Oetzel, Wieninger und Genossen betreffend Verdingungsordnung für Bauleistungen Teile A und B ({7}) - VOB - Drucksache 1320 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1397 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat im Anschluß an seine Antwort auf die Kleine Anfrage 168 der Fraktion der SPD betreffend Empfehlungen des Bundestages wegen der unzulänglichen Einstellung von Schwerbeschädigten bei den Bundesdienststellen - Drucksachen 1309, 1347 - eine Übersicht über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den einzelnen Bundesdienststellen nach dem Stand vom 1. April 1955 vorgelegt, die als zu Drucksache 1347 vervielfältigt worden ist.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat den von ihr eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes - Drucksache 868 - zurückgezogen, da ihm bereits materiell entsprochen worden ist.
Wir kommen zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen ({8}) über den Antrag der Fraktion der FDP und den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP betreffend Plenarsitzung in Berlin - Drucksachen 1396, 1270, Umdrucke 349, 362).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Blachstein. Ich frage ihn, ob er das Wort nehmen will.
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- Herr Abgeordneter Blachstein als Berichterstatter!
Blachstein ({10}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen hat sich mit der Drucksache 1270 und dem Umdruck 349*) befaßt und legt Ihnen heute auf der Drucksache 1396 drei Vorschläge zur Beschlußfassung vor, zu denen ich noch einige Sätze der Erläuterung sagen möchte.
Es bestand im Ausschuß Einmütigkeit darüber, daß der Deutsche Bundestag an den Feiern zum 17. Juni in Berlin teilnehmen sollte. Meinungsverschiedenheiten bestanden darüber, wie diese Beteiligung erfolgen sollte, ob durch eine Delegation des Deutschen Bundestages 'zu den Feiern ides Berliner Senats am 17. Juni oder durch eine Plenarsitzung an diesem Tage in Berlin. Die Mehrheit des Ausschusses ist zu der Überzeugung gekommen, daß es zweckmäßig und richtig ist, an der Feier des Berliner Senats am 17. Juni in Berlin mit einer repräsentativen Delegation des Deutschen Bundestages beteiligt zu sein. Wir hatten erfahren, daß die Bundesregierung auch in diesem Jahre in diesem Saale eine Feier zum 17. Juni durchführen wird und daß auch in den Ländern und Gemeinden in der Bundesrepublik vielerorts Veranstaltungen zum 17. Juni begangen werden. Der Vorschlag in der Drucksache 1396 unter 1 wurde im Ausschuß bei einigen Stimmenthaltungen gebilligt und wird Ihnen vom Ausschuß zur Annahme empfohlen.
*) Siehe Anlage 2 zur 81. Sitzung.
Einmütigkeit bestand im Ausschuß auch darüber, daß es wünschenswert wäre, daß der ganze Bundestag im Rahmen der Arbeit dieses Jahres zu einer Arbeitstagung in Berlin zusammentritt. Sie finden darum unter Punkt 2 als Beschlußvorschlag, dem Bundestagspräsidenten gegenüber der Erwartung Ausdruck zu geben, er möge im Rahmen des Arbeitsplanes des Bundestages für das Jahr 1955 eine Arbeitstagung in Berlin vorbereiten.
Schließlich stand nach dem Umdruck 349, den wir zu behandeln hatten, die Frage einer „Stiftung 17. Juni" zur Lösung an. Sie finden unter Punkt 3 den Beschlußvorschlag, daß der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen beauftragt werden soll, im Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzentwurfs über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlin ({11}) in Gewahrsam genommen wurden, und mandere Hilfsmaßnahmen für diesen Personenkreis Vorschläge vorzulegen, durch die Personen, die zu den Opfern des 17. Juni gehören, aber von dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht erfaßt werden, in die Hilfsmaßnahmen einbezogen werden können. Es war die gemeinsame Auffassung des Ausschusses, daß die Beratungen über den genannten Gesetzentwurf im Ausschuß beschleunigt geführt werden sollten, um zu einer gesetzlichen Lösung für diesen Personenkreis zu kommen und die Hilfe nicht zu einer karitativen Sache zu machen, sondern zu einem gesetzlichen Anspruch werden zu lassen. Es wurde die Meinung vertreten, daß die bisherigen Vorschläge einer gesetzlichen Regelung nicht ausreichen werden, da sie nur einen Teil der Ansprüche betreffen, und daß weitere gesetzliche Maßnahmen vorbereitet werden müssen, um nun, fast zwei Jahre nach diem 17. Juni 1953, den Menschen, die ihre Freiheit geopfert haben, auch jenen, die vor dem 17. Juni den Terrormaßnahmen der sowjetischen Besatzungszone zum Opfer gefallen sind, Hilfe angedeihen zu lassen. Sie haben moralisch und politisch ein Recht darauf, vom Bundestag eine gesetzliche Regelung ihrer Ansprüche 'zu fordern.
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Eine Sekunde, Herr Abgeordneter! - Ich bitte, die Türen zu schließen. Wir befinden uns hier in der Sitzung. - Fahren Sie fort!
Es wird dann zu prüfen sein, wie neben der gesetzlichen Regelung der Ansprüche der Opfer des Terrorregimes in der sowjetischen Besatzungszone eventuell durch eine Stiftung jene Härtefälle und besonderen Notzustände gelindert und beseitigt werden können, die auch mit der besten gesetzlichen Regelung nicht zu erfassen sind und deren Milderung eine Verpflichtung der Allgemeinheit in der Bundesrepublik und des Gesetzgebers, des Bundestages, ist.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen die Annahme des Antrags Drucksache 1396.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben den Aus({0})
schußbericht gehört. Dem Antrag meiner Fraktion, eine Feier des Bundestages am 17. Juni, dem Tage der Einheit, in Berlin durchzuführen, sind in der Zwischenzeit verschiedene Anträge entgegengestellt worden. Auch der Ausschußbericht hat neue Anträge gebracht. Der Inhalt - und vielleicht auch die bei manchen unausgesprochenen Motive - sind uns allen bekannt. Unser Antrag, den wir heute als Änderungsantrag*) wiederholen, hat unseres Erachtens den tiefen politischen Sinn, durch unsere persönliche Anwesenheit vor aller Welt die große symbolische Bedeutung des 17. Juni nicht nur für Berlin und die Ostzone, sondern für ganz Deutschland und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus sichtbar zu machen. Es handelt sich für uns also nicht um irgendeinen Tag für die Anwesenheit des Bundestages in Berlin, sondern um diesen ganz speziellen Tag des Mutes und der Opferbereitschaft im Kampf für unser aller oberstes Anliegen: die Einheit Deutschlands, ein Anliegen, das gerade in diesen Tagen und Wochen noch eine ganz besonders erhöhte Bedeutung bekommen hat.
Die Kosten der Tagung - bei Durchführung unseres Antrags - sind unseres Erachtens mit dem politischen und ideellen Wert dieser symbolischen Handlung wertmäßig nicht zu vergleichen. Man hat sie ja leider auch gegenüber dem Antrag des Herrn Bundestagspräsidenten, für eine ganze Sitzungswoche des Bundestages nach Berlin zu gehen, aufgerechnet.
Weitere Ausführungen erscheinen mir zu der Angelegenheit überflüssig. Die Entscheidung liegt bei dem Hohen Hause. Ich bitte namens meiner Fraktion, den Ausschußantrag abzulehnen und unseren Änderungsantrag anzunehmen. Berlin und die Ostzone werden ganz sicher von dem Resultat der Abstimmung entsprechende Kenntnis nehmen.
({1})
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Lemmer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Äußerung der von mir hochverehrten Kollegin Dr. Maria-Elisabeth Lüders zwingt mich, eine ganz knappe Berner-kung zu machen. Ich glaube, der Hinweis darauf, daß die Berliner und unsere Mitbürger in der Sowjetzone davon Kenntnis nehmen werden, welche Haltung wir zu dem Antrag der FDP, eine Sondersitzung des Bundestags zum 17. Juni in Berlin zu veranstalten, einnehmen, ist nicht ganz angebracht. In erster Linie werden die so angesprochenen Landsleute auf unsere Bemühungen blicken, über die Politik der Mächte, die am Vorabend großer Ereignisse steht, zur Wiedervereinigung unseres Landes zu kommen.
({0})
Meine politischen Freunde sind der Ansicht - und ich bin überzeugt, daß die Berliner und die Bewohner der Zone uns verstehen werden -, daß es mit dem Blick auf diese großen politischen Auseinandersetzungen um die Lösung der deutschen Frage nicht angebracht ist, durch Demonstrationen das Klima, das wir brauchen, um zum Erfolg zu kommen, zu stören.
({1}) *) Siehe Anlage 2.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich nehme an, Frau Abgeordnete Dr. Lüders, daß die Begründung des Änderungsantrags Umdruck 362*) mit Ihren Darlegungen erfolgt ist. Ich lasse deshalb zunächst über den Änderungsantrag auf Umdruck 362 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 362 ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer dem Antrag des Ausschusses in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen eine Stimme ist dieser Antrag angenommen.
({0})
- Ich habe die Abstimmung bereits geschlossen; ich bedaure deshalb, darüber nicht weiter abstimmen lassen zu können.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf. Es ist der Vorschlag gemacht, den von mir angekündigten Antrag der Fraktion der FDP hier einzuschieben:
Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Wahl eines vom Bundestag zu entsendenden Mitgliedes des Ausschusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes ({1}) ({2}).
Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 1415 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Antrag Drucksache 1415 angenommen.
Ich rufe Punkt 2 der gedruckten Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Änderungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung und zur Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes ({3}) ({4});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({5}) ({6}).
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Wird zur Berichterstattung das Wort gewünscht? - Der Herr Abgeordnete Prof. Preller hat als Berichterstatter das Wort.
Dr. Preller ({8}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Schriftliche Bericht liegt Ihnen vor**). Ich habe nicht die Absicht, Ihnen sehr ausführliche Einzelheiten aus dem Bericht bekanntzugeben. Ich möchte den Bericht nur in einigen Punkten bekräftigen und einige Ergänzungen geben.
Der Entwurf über das sogenannte Kassenarztrecht, der von den Regierungsparteien eingebracht
*) Siehe Anlage 2. **) Siehe Anlage 12.
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ist, baut auf den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Ärzten und Krankenkassen auf, die seinerzeit im Winter 1931/32 zustande gekommen sind und von dem damaligen Reichsarbeitsminister verbindlich gemacht worden waren. Das Kernstück der damaligen Vereinbarungen war zum einen die Vermehrung der Ärztezahl durch die Herabsetzung der sogenannten Verhältniszahl. Dafür wurde die ärztliche Einzelvergütung durch ein Gesamtpauschale abgelöst, dessen Verteilung den Kassenärztlichen Vereinigungen sozusagen in eigene Regie gegeben wurde. Diese Grundkonzeption ist auch in dem jetzigen Entwurf der Regierungsparteien enthalten. Im Ausschuß ist dabei - wie ja unterdessen bekanntgeworden ist - die sogenannte Verhältniszahl, d. h. die Zahl der Versicherten, auf die jeweils ein Arzt kommt, von 1 : 600 auf 1 : 500 herabgesetzt worden.
Ich möchte ergänzend zum Schriftlichen Bericht dazu noch bemerken, daß die in meinem Bericht angegebene Zahl von rund 3700 Ärzten, die vermutlich durch die Herabsetzung der Verhältniszahl neu zugelassen werden könnten, sich noch um die Zahl jener Ärzte vermindern wird, die nach dem § 368 a Abs. 1 letzter Satz RVO nunmehr auf die Verhältniszahl anzurechnen sind. Das sind die Ärzte, die als Heimkehrer usw. jetzt in der Bundesrepublik selbstverständlich ihre Zulassung haben und haben müssen. Die letztgenannte Gruppe wird sich etwa auf 1500 Ärzte belaufen, so daß die Zahl derjenigen Ärzte, die auf Grund des Entwurfs neu zuzulassen sind, sich in der Größenordnung von rund 2000 bewegen wird.
Ich möchte noch einmal betonen, daß der Ausschuß sich mit dem Für und Wider einer Herabsetzung der Verhältniszahl ganz besonders und eingehend auseinandergesetzt hat. Wenn der Ausschuß schließlich die Zahl 1:500 als Verhältniszahl gewählt hat, so glaubte er dies verantworten zu können in der Hoffnung, daß damit einer sehr leidigen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit, die offensichtlich auch stark von Interessentenstandpunkten beeinflußt worden ist, ein Ende bereitet werden kann.
Ein anderer mit der Grundkonzeption des Entwurfs zusammenhängender Punkt betrifft die Honorierung der Kassenärzte. Auch hier sind bekanntlich die Meinungen in den Ärztekreisen selbst geteilt. Dem sehr stürmischen Verlangen gewisser Kreise von Ärzten auf möglichst uneingeschränkte Einführung der Honorierung der Einzelleistung an Stelle des jetzigen Pauschalsystems stehen Stimmen auch im ärztlichen Lager gegenüber, die die Leistungsfähigkeit der Krankenkassen mit der Forderung nach besserer Bezahlung ,der Ärzte konfrontieren und in dem Pauschale das geeignete Mittel des notwendigen Ausgleichs sehen.
Der Ausschuß wollte aber die Möglichkeit nicht verbauen, daß die Einzelleistungshonorierung aus-geprobt wird. Dabei war sich der Ausschuß völlig im klaren darüber, daß die Einzelleistungshonorierung praktisch eine Abkehr von einem der vorhin genannten tragenden Grundsätze des Kompromisses von 1931/32 bedeutet. In § 368 m wurde deshalb vom Ausschuß ein neuer Abs. 5 eingefügt, der eine Verfahrensänderung vorsieht, wenn Einzelleistungshonorierung eingeführt wird.
Diese Änderungen betreffen insbesondere den Nachweis und das Recht auf Prüfung der ärztlichen Leistungen durch die Krankenkassen. Wer Einzelleistungshonorierung will, muß sich darüber im klaren sein, daß diese Form der ärztlichen Vergütung notwendigerweise verschärfte Kontrollrechte des Geldgebers, also der Krankenkassen, nach sich zieht, wie wir das z. B. heute schon bei verschiedenen Ersatzkassen kennen.
Entscheidend für das Funktionieren der hier gewählten ärztlichen Versorgung ist schließlich das Schlichtungswesen. Die in der Öffentlichkeit diskutierte Streitfrage war und ist die sogenannte Zwangsschlichtung, d. h. die Festsetzung des Vertragsinhaltes durch ein gemeinsames Organ der Selbstverwaltung, also durch ein gemeinsames Schiedsamt. Auch im Ausschuß hat diese Frage eine Rolle gespielt. Man könnte geneigt sein, eine Parallele zwischen der Schlichtung in Lohn- und Gehaltsfragen, wo ja zur Zeit eine Zwangsschlichtung nicht vorhanden ist und von den Sozialpartnern beiderseits offensichtlich abgelehnt wird, und der hier vorgesehenen Zwangsschlichtung für die Arzthonorierung zu ziehen. Eine sehr große Mehrheit des Ausschusses lehnte jedoch eine solche Parallele ab. So bleibt es bei den Bestimmungen des jetzigen § 368 g Abs. 1.
Der entscheidende Punkt in dieser Materie war aber jene Stelle in § 368 f Abs. 3, die eine Zwangsschlichtung auch für die eben behandelte Art der Honorierung der Ärzte vorsieht. Der Entwurf hatte hier eine Art Vetorecht - praktisch der Krankenkassen - gegen einen verbindlichen Schiedsspruch in Sachen der Einzelhonorierung - nur darum handelt es sich faktisch - vorgesehen. Der Ausschuß hat diesen Satz schließlich gestrichen, so daß nunmehr die Einführung der Einzelleistungshonorierung durch verbindlichen Schiedsspruch möglich ist.
Endlich noch ein Wort zur Altersversorgung der Ärzte. Hier handelt es sich um drei Fragen. Einmal handelt es sich darum, ob eine solche Regelung überhaupt in das Kassenarztrecht gehört. Darüber besteht bekanntlich in der Öffentlichkeit und auch unter den Ärzten nicht volle Einmütigkeit. Da das Kassenarztrecht jedoch die überwältigende Mehrheit ,der praktizierenden Ärzte umfaßt - nach der Herabsetzung der Verhältniszahl mehr denn je -, hat der Ausschuß die Hereinnahme der Bestimmungen über die Altersversorgung der Kassenärzte und auch ihre Verbindung mit anderen Versorgungseinrichtungen, z. B. mit solchen von Nichtkassenärzten, bejaht. Zum anderen war und ist die sogenannte Zwangsversicherung eines freien Berufes insbesondere vom verfassungsrechtlichen Standpunkt aus bekanntlich nicht unumstritten. Hier folgte der Ausschuß der Vorlage und früheren Entwürfen des Bundesarbeitsministeriums, die eine solche Zwangsversicherung als Möglichkeit vorsahen. Endlich fällte der Ausschuß die Entscheidung, daß für eine solche Versorgung die versicherungsmathematische Grundlegung nicht gesetzlich vorzusehen sei.
Da ich an dem, was ich nun endlich noch auszuführen habe, bekanntlich persönlich stark beteiligt bin, will ich nur mit einem Wort die Sonderentschließung streifen, in der der Ausschuß - und zwar einstimmig - die Bedeutung ,der Gesundheitsvorsorge für das gesamte Gesundheitswesen und auch für die Krankenversicherung hervorhebt.
Ich möchte diesen kurzen mündlichen Bericht nicht abschließen, ohne zu erwähnen, daß die bei diesem Gesetz anerkanntermaßen besonders schwierige Berichterstattung mir in der vorgelegten Form nicht möglich gewesen wäre ohne die
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tatkräftige und stets hilfsbereite Mitwirkung des zuständigen Referenten des Bundesarbeitsministeriums, dem ich hiermit auch an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte.
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Leider muß ich anfügen, daß es mir trotzdem nicht gelungen ist, ganz reibungslos zu arbeiten. Es ist doch noch ein Fehler in den Bericht hineingekommen, und ich bitte den Herrn Präsidenten, ihn zu vermerken. In § 368 m Abs. 4 muß es im vorletzten Satz heißen:
Für das Verfahren finden die §§ 84 Abs. 1, 85
Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes Anwendung.
Es muß also hier statt Abs. 2 Abs. 3 heißen.
Außerdem darf ich noch erwähnen, daß sich auf Seite 3 meines Berichts ein Schreibfehler eingeschlichen hat. Ich habe dort die Zahlen der Zahnärzte angegeben. Die letzte Zahl für die Zahnärzte heißt nicht 1728, sondern muß 1778 heißen.
Meine Damen und Herren! Das Gesetz hat zweifellos eine besondere Bedeutung. Das hat nicht nur die lebhafte Diskussion in den Fachkreisen bewiesen, sondern das führte auch - wie ich wohl auch von dieser Stelle aus sagen darf - leider zu recht unqualifizierten Darlegungen in ganz bestimmten Zeitschriften und ähnlichen Organen,
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mit denen sich der Ausschuß beschäftigt hat und von denen er sich distanziert hat.
In einer Zusammenarbeit - und das darf ich abschließend noch betonen -, die bei aller Gegensätzlichkeit der Auffassungen von einer politisch sehr erfreulichen Atmosphäre der Achtung und des gegenseitigen demokratischen Verstehens getragen war, hat der Ausschuß diese Fassung erarbeitet, die er hiermit vorlegt in der Hoffnung, damit in einer schwierigen Materie eine gewisse Befriedung zu erreichen.
Der Ausschuß bittet Sie durch mich um die Annahme des Entwurfs in der Fassung des Ausschusses.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Das Haus hat von den Berichtigungen, die er vorgetragen hat, Kenntnis genommen.
Ich eröffne die Beratung. Ich rufe auf Art. 1 § 368, § 368 a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Schmücker, Majonica und Genossen auf Umdruck 359 *) vor. Ich frage, ob zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht wird. - Herr Kollege Schmücker!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß es nicht ganz ungefährlich ist, wenn man zu einer Vorlage, die so intensiv - wie es auch der Herr Berichterstatter gesagt hat - beraten worden ist, als an den Ausschußsitzungen nicht beteiligter Abgeordneter einen Änderungsantrag stellt; aber ich darf vielleicht darauf verweisen, daß ich schon bei früherer Gelegenheit die völlig freie Arztwahl hier vertreten habe. Das soll auch unser Anliegen bei dem vorliegenden Antrag sein, mit dem wir eine
*) Siehe Anlage 5. Verminderung der Zahlen in § 368 a wünschen. An sich wäre es vielleicht stilreiner gewesen, wenn Kollegen wie Dr. Dresbach oder Dr. Böhm oder der Herr Bundeswirtschaftsminister selber hier gesprochen hätten. Ich wundere mich überhaupt, daß die Verteidiger der freien Berufswahl und der freien Berufsausübung - ich meine damit alle, in der Presse und auch in der Politik - hier so schweigsam gewesen sind. Denn das, was hier vorgesehen ist, ist nicht nur eine Bedürfnisprüfung, sondern eine Zulassung. Über die Zulassung wird nicht von einem Gremium, einer Vertretung, die aus 'allgemeinen freien Wahlen hervorgegangen oder der Öffentlichkeit verantwortlich ist, entschieden, sondern von Vertretern ganz bestimmter Interessen. Ich meine, daß dieses System nicht in unsere Zeit paßt.
Dabei bin ich mir natürlich klar, daß die Belange der Krankenkassen, auch die der zugelassenen Ärzte gewahrt werden müssen. Aber ich meine, es müssen a 11 e Interessen gewahrt werden. Man sagt uns, daß durch 'unseren Antrag die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kassen geschwächt würden. Darauf möchte ich erwidern, daß das in keiner Weise nachgewiesen ist; Fachleute aller Richtungen - und ich erkenne deren Urteil 'durchaus an - widersprechen sich in ihren Meinungen. Ich bin der Auffassung, daß man es denen nicht so bequem machen sollte, die um die Wirtschaftlichkeit der Kassen bangen.
Die zugelassenen Ärzte, die auch betroffen werden - das wollen wir auch nicht bestreiten -, schlagen ihrerseits vor, die Zahl weiter zu ermäßigen. Ich meine, wenn diejenigen, die fraglos einen wirtschaftlichen Nachteil haben, schon bereit sind, eine Zulassungsziffer von 450 vorzuschlagen, dann sollte man diesem Vorschlag folgen.
Im großen ganzen möchte ich sagen, daß ich das gesamte System für falsch halte, weil hier nicht nur eine Bedürfnisprüfung, sondern ein Zulassungssystem gesetzlich festgelegt wird. Wer einen Antrag stellt, wird von Gruppen zugelassen, denen er schon mit der Antragstellung eine gewisse Konkurrenz ist. Wir wissen, daß wir dieses System nicht einfach aus den Angeln heben können; wir meinen aber, daß man mit der Ermäßigung des Satzes auf die schon von dem Ärztetag vorgeschlagene Ziffer in der Auswirkung unserem Ziele nahe kommt. Wir wollen dabei nicht verhehlen, daß das, was der Ausschuß beschlossen hat, bereits einen wesentlichen Fortschritt gegenüber den früheren Verhältnissen darstellt.
Ich möchte Sie bitten, vor allem im Interesse der jüngeren Ärzte, die heute so schwer eine Möglichkeit finden, sich in ihrem Beruf zu 'bewähren, unserem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Begründung des Änderungsantrags Umdruck 359 gehört.
Ehe ich die Beratung dazu eröffne, komme ich zur Beratung und Abstimmung über Art. 1 Ziffer 1 und über § 368 aus Ziffer 2. Ich war davon ausgegangen, daß die Paragraphen 368 und 368 a und der Art. 1 Ziffern 1 und 2 in der Abstimmung miteinander verbunden werden könnten. Aber ich sehe, daß noch ein Änderungsantrag Umdruck 358 Ziffer 1 zu § 368 a vorliegt. Lassen Sie uns deshalb so vorgehen, daß wir zunächst über Art. 1 Ziffer 1 und über § 368 der Ziffer 2 die Beratung er({0})
öffnen. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Art. 1 Ziffer 1 und dem § 368 aus Ziffer 2 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist einstimmig angenommen.
Nun eröffne ich die Aussprache zu dem Änderungsantrag Umdruck 359, der von dem Herrn Abgeordneten Schmücker begründet worden ist. Wird dazu das Wort gewünscht? Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß ich der Begründung, die mein Fraktionsfreund Kollege Schmükker dem Antrag gegeben hat, widersprechen muß, und zwar speziell mit Bezug auf die Verhältniszahl als solche.
Ich will mich nicht in eine Diskussion über das Prinzip der Zulassung einlassen; darum geht es in dem Antrag ja auch nicht. Ich möchte das Hohe Haus bitten, es bei dem von Herrn Schmücker selbst anerkannten erheblichen Fortschritt, der durch die Ausschußvorlage erzielt wird, zu belassen. Wir dürfen bei der Erörterung der Dinge nicht außer acht lassen, daß zwei im Grunde gleichberechtigte Partner eine sehr wichtige Aufgabe miteinander durchzuführen haben; und wie von Ärzteseite die Forderung erhoben worden ist, die Zahl auf 450 bzw. 800 zu senken, so ist von den Verbänden der Krankenkassen mit Entschiedenheit verlangt worden, es in ihrem wirtschaftlichen und finanziellen Interesse bei der ursprünglichen VorLage, also bei der Verhältniszahl von 600, zu belassen.
Die Diskussion darüber geht genau so wie über die Gesamtvorlage seit Jahr und Tag. Sie können sich vorstellen, daß im Sozialpolitischen Ausschuß - der Herr Berichterstatter hat darauf besonders hingewiesen - gerade auch diese Frage sehr eingehend hin und her erörtert worden ist. Wir haben vorhin gehört, daß, wenn dieses Gesetz wirksam wird, rund 2000 oder etwas mehr Ärzte neu zur Kassenbehandlung zugelassen werden können. Meine verehrten Damen und Herren, daß das für die Krankenkassen etwa keine finanziellen Auswirkungen hätte, wird wohl niemand behaupten wollen. Im übrigen darf man hinzufügen, daß man nicht allein über die gesetzliche Krankenversicherung durch das Kassenarztrecht das Problem der Notlage der jungen Ärzte lösen kann. So ist die Frage nicht zu regeln. Dafür muß schon nach anderen, konstruktiven Lösungen gesucht werden.
Ich möchte mit Nachdruck unterstreichen, daß durch den Mittelweg, den wir in dieser Ausschußvorlage zu gehen versuchen, in der Tat ein erheblicher Fortschritt in der Zulassung von Ärzten erreicht wird. Diese Mittellinie, daß wir die Forderungen und Wünsche weder des einen noch des anderen in vollem Umfange erfüllen, können wir vor allen Beteiligten, auch vor der Öffentlichkeit draußen, vertreten. Ich möchte Sie deshalb bitten, es bei der Ausschußvorlage zu belassen und den Antrag Schmücker und Genossen abzulehnen.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Schmücker, Majonica und Genossen auf Umdruck 359 *) und bitte diejenigen, die ihm zustimmen wollen, um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, versuchen wir es mit dem Erheben von den Plätzen. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 359 zustimmen will, den bitte ich, sich von 'dem Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 359 ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 368 a Abs. 1, - Abs. 2, - Abs. 3, - Abs. 4, - Abs. 4 a, - Abs. 4 b, - Abs. 4 c. - Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung über den aufgerufenen § 368 a Abs. 1 bis 4 c. Wer diesen Bestimmungen in der vorliegenden Form zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 368 a Abs. 5. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 358**) Ziffer 1 vor. Ich frage, ob zu diesem Änderungsantrag der Abgeordneten Etzenbach, Kunze ({0}), Höfler, Dr. Willeke und Genossen das Wort gewünscht wird. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in dem Änderungsantrag vorgeschlagene Regelung will die Regierungsvorlage Drucksache 87 vom 24. November 1953 wiederherstellen. Sie entspricht einem meines Erachtens berechtigten Anliegen der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der kommunalen Spitzenverbände als Krankenhausträger, der karitativen Krankenhausträger und schließlich auch der Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände.
Diese Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände hat in einem Schreiben an die Mitglieder des Hohen Hauses vom 15. Juni 1954 zu der anstehenden Frage eingehend Stellung genommen, und zwar im Sinne meines Antrages. Die Ortskrankenkassenvereinigung meint sogar, daß die Inanspruchnahme der Krankenhausärzte und der Ärzte der Universitätspolikliniken nicht dadurch erschwert werden dürfe, daß sie nur durch Überweisung von Kassenärzten tätig werden könnten. Es liegt im dringenden Interesse der Versicherten - das ist die Auffassung der Krankenkassenverbände -, daß die leitenden Krankenhausärzte, -chefärzte und -fachärzte auch für den Kassenpatienten zur Verfügung stehen. Sie sind daher auf Antrag an der kassenärztlichen Versorgung zu beteiligen, d. h. sie können dann tätig werden, wenn ein Kassenarzt in freier Entscheidung eine Einschaltung des Krankenhausarztes für nötig hält. Es ist nicht einzusehen, weshalb sie hierfür noch besonders zugelassen werden müssen, es sei denn, daß man beabsichtigt, auf diesem Umwege einen mitbestimmenden Einfluß auf die Berufung der Chefärzte und Abteilungsärzte zu gewinnen, wie das ja bisher schon über die Zulassungsbestimmungen der Länder in nicht wenigen Fällen versucht worden und tatsächlich geschehen ist.
Die Möglichkeit, Krankenhausärzte in dieser Weise heranzuziehen, ist überall in den Ländern des westlichen Kulturkreises gegeben, weil man anerkannt hat, daß, wie der jetzige Leiter der Gesundheitsabteilung im Bundesministerium des
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4.
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Innern es bezeichnet hat, das Krankenhaus personalmäßig und einrichtungsmäßig die medizinisch qualifizierteste Stelle für eine gezielte Ambulanz ist. Es läge nicht im Interesse der Versicherten, würde man in Deutschland diese Entwicklung dadurch hemmen, daß die Entscheidung über die Beteiligung der Krankenhausärzte den Zulassungsausschüssen überlassen bliebe, die darüber schon auf Grund ihrer Zusammenstellung unter ganz bestimmten Gesichtspunkten urteilen. In der Beteiligung, die nur auf Grund einer Überweisung eines Kassenarztes erfolgt, kann auch keine Benachteiligung oder gar eine Konkurrenz für die Kassenärzte gesehen werden.
Ich darf deshalb das Hohe Haus bitten, dem Änderungsantrag auf Umdruck 358 zuzustimmen.
Sie haben die Begründung des Änderungsantrags Umdruck 353 Ziffer 1 gehört. Ich eröffne dazu die Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Erwiderung auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Etzenbach darf ich darauf hinweisen, daß das Kassenarztrecht die ärztliche Versorgung der Versicherten den frei praktizierenden Ärzten überträgt. Es heißt in § 368 Abs. 1, wie Sie nachlesen können:
Ärzte, Zahnärzte und Krankenkassen wirken zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen zusammen.
Und in § 368 a Abs. 1 heißt es: es werden Zulassungsausschüsse gebildet, die paritätisch von den Krankenkassen und den Ärzten besetzt werden, „um eine ausreichende ärztliche Versorgung und die freie Wahl unter einer genügenden Zahl von Ärzten zu gewährleisten". Das bedeutet also, daß wir die Zulassung der frei praktizierenden Ärzte einer Prüfung durch den Zulassungsausschuß überlassen. Wir würden ungleiches Recht schaffen, wenn wir von vornherein alle Chefärzte von Krankenhäusern ohne diese Vorschaltung des Zulassungsausschusses an der Kassenarzttätigkeit beteiligten.
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- Auf Überweisung, natürlich, Herr Kunze. Ich bin mir darüber im klaren, welcher Unterschied zwischen einer Zulassung und einer Beteiligung besteht. Aber bitte, bedenken Sie auch: die leitenden Chefärzte stehen in einer anderen wirtschaftlichen Situation; sie sind in ihrer Existenz wesentlich gesicherter als die frei praktizierenden Kassenärzte.
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- Sie sagen, es geht nicht um die Ärzte, es geht um die Versicherten. Selbstverständlich geht es um die Versicherten. Es ist doch Aufgabe der Zulassungsausschüsse, im Interesse der Versicherten zu prüfen, ob ein Bedürfnis nach weiterer Beteiligung der Krankenhausärzte besteht oder nicht. Sie haben einen anderen Gedanken, Herr Kollege Kunze. Sie denken an die Krankenhäuser. Nun, wir kennen die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser zu gut. Aber es kann nicht Aufgabe dieses
Gesetzentwurfs sein, diese Misere der Krankenhäuser zu beseitigen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bitte Sie - im Namen meiner Fraktion -, den Änderungsantrag abzulehnen, und begründe das wie folgt. Die Ausschußfassung hat die Tendenz des Gesetzentwurfs an sich übernommen, nämlich die ausreichende ärztliche Versorgung zu gewährleisten. Eine Zulassung oder Beteiligung der leitenden Krankenhausärzte aus ihrer Position heraus erscheint auch uns, selbst bei der Einschränkung, daß sie nur auf Überweisungsschein zu beteiligen sind, als ein Unrecht und eine Rechtsungleichheit. Man möge auch in diesem Zusammenhang nicht das Wohl der Versicherten strapazieren, wenn es in Wirklichkeit um die Erschließung neuer Einnahmequellen für die Krankenhäuser geht.
({0})
Die Erfahrung lehrt uns, daß die Behandlung zumindest in den großen Häusern sowieso durch die Assistenten und nicht durch die Herren Chefärzte erfolgt.
Im übrigen sehe ich in der Tendenz des Antrags und in seiner Begründung fast so etwas wie eine Deklassierung der in der freien Praxis tätigen Ärzte. Es ist doch nicht so, daß etwa nur die Fähigen in den Krankenhäusern und die weniger Fähigen in der freien Praxis tätig wären und aus diesen Gründen die Betreuung der Kranken in den Krankenhäusern gesicherter wäre. Außerdem möge man auch nicht immer wieder die Notwendigkeit der hausärztlichen Tätigkeit betonen und auf diese Weise gerade dem Berufsstand der frei praktizierenden Ärzte erneut Schwierigkeiten bereiten.
Ich beantrage noch einmal, diesen Änderungsantrag abzulehnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Es gäbe ein triftiges Argument für den Antrag Etzenbach; das wäre das Argument, daß eine solche Regelung den Versicherten und den Kranken zugute käme. Davon ist gar keine Rede. Die Chefärzte unserer Krankenhäuser sind mit der Betreuung ihrer stationär aufgenommenen Patienten beschäftigt; sie haben als Chefärzte die Leitung und die hygienische Überwachung ihres Krankenhauses und haben eine im Sinne unserer Sozialversicherung sehr wichtige Funktion, nämlich die Gutachtertätigkeit. Jeder, der im Augenblick in die deutsche Sozialversicherung 'Einblick gewinnt, kann feststellen, daß die Aufgabe der Gutachtertätigkeit aus Zeitmangel gar nicht erfüllt werden kann, daß eine Fülle von Gutachten auf sich warten läßt und eine große Anzahl von Verfahren gerade deshalb noch anhängig ist. Wie soll man also nun von einem solchen Personenkreis die Zeit zur eingehenden Beschäftigung mit kranken Menschen erwarten?
({0})
Meine Damen und Herren, die Gründe für den Antrag Etzenbach und Kunze sind völlig anderer Art. Dieser Antrag hat doch eine Vorgeschichte von vielen Jahren, und als man zum erstenmal in Deutschland davon sprach, da wurde ganz ohne jede Scham das Ambulatoriumsrecht für sämtliche Krankenhäuser in Deutschland verlangt. Es dreht sich hier - das hat Herr Kollege Reichstein ganz ausgezeichnet gesagt - um eine Forderung der Krankenhausbesitzer auf wirtschaftliche Unterstützung. Das ist eine sachlich begründete Forderung, denn wir sind uns alle darüber klar, daß unsere Krankenanstalten, und zwar insbesondere die karitativen Anstalten, wegen ihrer enormen Bedeutung in der Gesundheitspolitik eines Volkes saniert werden müssen.
({1})
Darüber besteht kein Zweifel; aber doch nicht auf Kosten der deutschen Krankenversicherungen und erst recht nicht auf Kosten des Gesamtpauschales, um das die Ärzteschaft seit Jahren verzweifelt ringt, und erst recht nicht auf Kosten eines solchen Rechtsbruches!
Herr Kollege Schmücker hat sehr deutliche Worte darüber gesagt, daß in Deutschland eine Entwicklung zustande kam, die zur Bedürfnisprüfung bei den Kassenärzten geführt hat. Alle deutschen Ärzte müssen sich dieser Bedürfnisprüfung unterziehen; sie werden also gewählt, sie sind Erkorene. Nach dem Vorschlag Etzenbach aber sollen etwa 3000 Ärzte in Deutschland geborene Kassenärzte sein, ausgerechnet in einem Augenblick, in dem wir uns mit größter Mühe dazu durchgerungen haben, die Verhältniszahl von 600 auf 500 zu senken. 2000 Kassenärzte haben Sie neu zugelassen, und nun wollen Sie trotz aller Argumente, daß das wirtschaftlich nicht tragbar gewesen sei, noch 3000 zulassen, nämlich die angestellten oder im Beamtenverhältnis stehenden Chefärzte?
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Antrag Etzenbach abzulehnen.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Umdruck 358 Ziffer 1*). Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, bei dieser Besetzung des Hauses ist das Ergebnis nicht klar zu erkennen. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die große Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 358 Ziffer 1 ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 368 a Abs. 5 in der vorliegenden Fassung des Ausschusses. Wer diesem § 368 a Abs. 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen wenige Stimmen ist § 368 a Abs. 5 angenommen.
Ich rufe auf § 368 b Absätze 1, 2, 3, 4, 4 a, 5, 6 und 7, also den ganzen § 368 b. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung. Wer
*) Siehe Anlage 4. dem § 368 b in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen eine Stimme angenommen.
Wir kommen zu § 368 c. Soweit ich sehe, sind hierzu keine Änderungsanträge gestellt, ich brauche deshalb die einzelnen Absätze nicht aufzurufen. Wer dem § 368 c in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich komme zu § 368 d. Auch hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Ich eröffne die Beratung. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung und komme zur Abstimmung. Wer dem § 368 d in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Paragraph ist gegen eine Stimme angenommen.
Ich rufe auf § 368 e. Auch hier keine Änderungsanträge. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort
gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe
die Beratung und komme zur Abstimmung. Wer dem § 368 e in der Fassung des Anschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Auch § 368 e ist gegen eine Stimme angenommen.
Ich rufe auf § 368 f, und zwar zunächst Abs. 1. Ich eröffne dazu die Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über § 368 f Abs. 1. Wer diesem Absatz in der Auschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Abs. 2 des § 368 f auf. Hierzu liegt auf Umdruck 351*) unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich frage: Wird zur Begründung 'des Änderungsantrages das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der sozialdemokratischen Fraktion den Änderungsantrag Umdruck 351*) begründen. Wir beantragen, in § 368 f Abs. 2 Nr. 2 nach Satz 3 folgenden Satz einzufügen:
Bei angemessener Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Krankenkasse soll unter Berücksichtigung des Ausgangszeitraumes eine Einschränkung von Leistungen oder eine Erhöhung des Beitragssatzes aus Anlaß der Festsetzung der Höhe der Gesamtvergütung vermieden werden.
Ich darf zur Begründung dieses Antrages folgendes sagen.
§ 368 f behandelt die von den Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung zu zahlende Gesamtvergütung für die kassenärztliche Versorgung. Die Höhe dieser Gesamtvergütung wird nach der vorliegenden Fassung von drei Tatbeständen bestimmt: erstens der Zahl der Versicherten, zweitens dem durchschnittlichen Jahresbedarf eines Versicherten an kassenärztlichen Leistungen, und drittens soll die wirtschaftliche Lage der Krankenkasse berücksichtigt werden. Nun, an dieser Errechnung und an der Regelung der Vergütung, d. h. an einer vernünftigen, gütlichen Regelung sind *) Siehe Anlage 3.
({0})
natürlich in erster Linie die Kassenärzte und auch die Krankenkassen interessiert. Aber ich meine, an diesen Fragen ist im gleichen Ausmaß auch der Versicherte interessiert. Ich betone, daß der Versicherte an einem gerechten Honorar interessiert ist, um dadurch ein Höchstmaß an ärztlicher Betreuung zu bekommen.
Der gegen Krankheit Versicherte hat jedoch auch an den Regel-, Mehr-, Sach- und Barleistungen seiner Kasse ein berechtigtes Interesse, und wenn in § 368 f Abs. 2 die wirtschaftliche Lage der Krankenkasse in dem Sinne angesprochen ist, daß sie bei der Entschädigung angemessen zu berücksichtigen ist, dann erscheint uns diese Formulierung zu unbestimmt. Schon die Regelleistungen sind doch erheblich eingeschränkt. Ich erinnere nur daran, daß der zum Krankfeiern Gezwungene erst vom dritten Tage an Krankengeld beziehen kann. Deshalb ist er neben diesen eingeschränkten Regelleistungen natürlich in starkem Ausmaß auch an den Mehrleistungen interessiert, als da sind Genesendenfürsorge, Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten, Beihilfen bei Krankenhauskosten für Familienangehörige, zu den Kosten für Zahnersatz usw. Diese Mehrleistungen sind doch gesetzlich erlaubt, sofern sie durch Satzung der Vertreterversammlung beschlossen worden sind und sich im gesetzlichem Rahmen bewegen. Wollen wir den Versicherten diese Mehrleistungen erhalten, dann müssen wir diesem Absatz eine entsprechende Formulierung geben. Der Begriff der angemessenen wirtschaftlichen Lage der Krankenkasse ist nicht weitgehend genug. Er behebt unsere Sorge nicht, und ich glaube, einen Abbau dieser Mehrleistungen würde zu sozialen Spannungen führen, die wir alle nicht wollen.
({1})
Noch etwas anderes, meine Damen und Herren. Wir haben hier das Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung verabschiedet; es ist heute in Kraft. Zu den Aufgaben dieser Selbstverwaltung gehört es u. a., den Umfang der Mehrleistungen in der Satzung festzulegen. Wollen Sie die Funktionsmöglichkeiten dieser Selbstverwaltungsorgane nicht einschränken oder sogar aufheben, dann, meinen wir, sollten wir diesen Selbstverwaltungsorganen die Möglichkeit geben, im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Krankenkasse auch diese Mehrleistungen festzulegen.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß folgendes sagen. Die Bundesregierung hat in ihrem Bulletin vom 13. Mai 1955 das Ausmaß der Krankenversicherung behandelt und dabei betont, daß von der sozialen Krankenversicherung 17,03 Millionen Menschen erfaßt werden, dazu die 6 Millionen Rentner. Mit den Familienangehörigen ergibt das immerhin, daß im Bundesgebiet über 37 Millionen Menschen von der sozialen Krankenversicherung betreut werden. Das sind nach Auffassung der Regierung rund 77 %, die der Krankenversicherung unterliegen. Um diesem großen Teil der westdeutschen Bevölkerung nicht nur die Regel-, sondern auch die Mehrleistungen zu erhalten, sollten wir dem § 368 f gemäß unserem Änderungsantrag Umdruck 351 die von uns beantragten Zusätze geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Moerchel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dann e b o m hat den Änderungsantrag seiner Fraktion zur Frage der Honorierung der ärztlichen Leistungen sehr ausführlich begründet, und ich danke ihm sehr, daß er mir damit gewissermaßen die Stichworte für die Antwort gegeben hat. Er sprach von den Regelleistungen und von den Mehroder Kannleistungen, die die Reichsversicherungsordnung vorsieht. Zu den Regelleistungen gehört aber die ärztliche Behandlung, und wir können nicht einsehen, daß man wegen der Mehrleistungen oder freiwilligen Leistungen, die nach der Reichsversicherungsordnung möglich sind, die Pflichtleistungen, d. h. die ärztliche Behandlung, in irgendeiner Weise beschränkt oder beeinträchtigt. Es liegt doch im Interesse der Versicherten, daß eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Krankenversicherung in einer Weise erledigt wird, die dem Versicherten wiederum zugute kommt.
Deshalb erscheint mir die Argumentation sehr eigenartig, man solle keine Möglichkeit geben, diese Pflichtleistungen, diese ärztlichen vollbrachten Handlungen besser honorieren zu müssen, ohne dabei die freiwilligen Leistungen - Sie nannten sie selbst, Herr Kollege Dannebom: Genesendenfürsorge, vorbeugende Gesundheitspflege und was dazugehört; wir werden ja darüber nachher noch sprechen -, diese Mehrleistungen und die Beiträge abzuändern. Auch wir sind der Auffassung, daß die freiwilligen Leistungen in keiner Weise beeinträchtigt werden dürfen, aber nicht auf Kosten derjenigen, die die Pflichtleistungen erbringen und, Herr Kollege Dannebom, seit 1945 in selbstloser Weise und ohne in der Öffentlichkeit oder sonstwo Spektakel zu machen, erfüllt haben.
Ich weiß durchaus, daß wir mit der Honorierung der ärztlichen Leistungen vielleicht das heißeste Eisen dieses Gesetzes überhaupt anpacken. Wir haben im Ausschuß wiederholt über die Frage gesprochen, ob diese Leistungen nach einem Einzelleistungstarif oder pauschaliert bezahlt werden sollen. Wir haben darüber ganz ausführlich gesprochen. Ich möchte die Debatte im Sozialpolitischen Ausschuß hier nicht wiederholen, aber, Herr Kollege Dannebom, für die Honorierung können doch nur die vollbrachten Leistungen, berechnet nach einem Gebührentarif, gültig sein. Wir können doch nicht erklären, daß wir zwar die Gültigkeit anerkennen, daß wir auch die Leistungen ideell hoch werten, daß wir aber nicht bereit sind, diese Leistungen so zu honorieren, ohne andere, die in der sozialen Krankenversicherung ursprünglich nicht vorgesehen waren, einzuschränken. Deshalb haben wir einen Kompromiß gewählt, der sich von der ursprünglichen Absicht dadurch unterscheidet, daß er die sich widersprechenden Voraussetzungen in eine vernünftige Form bringt. Er sieht vor. daß wir bei der Berechnung der Pauschalvergütung für die Ärzte die vollbrachte ärztliche Leistung in einem Ausgangszeitraum, der von den Vertragsparteien bestimmt wird, zugrunde legen. Herr Kollege Dannebom, das kann doch nur recht und billig sein. Wir können doch nicht sagen, daß wir die Leistung, die die Ärzte vollbringen, erst dann anständig honorieren können, wenn wir die anderen Aufgaben, die in den Bestimmungen über die Kann-Leistungen umrissen sind, voll erfüllt haben. Deshalb können wir Ihrem Antrag,
({0})
wonach es möglich ist, das augenblickliche ärztliche Honorar einfach einzufrieren, nicht stattgeben. Ich bitte das Hohe Haus, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
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Wird noch das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Moerchel sind einige Bemerkungen notwendig. Jeder in diesem Hause, der dem Gesetzentwurf zustimmt, wird sich darüber klar sein, daß das Ausmaß des ärztlichen Honorars steigen wird. Die sozialdemokratische Fraktion bejaht das im Grundsatz, aber das Haus muß sich, wenn es eine Entscheidung trifft, die die Ausgaben für die ärztliche Behandlung erhöht, darüber klar sein: aus welchen Leistungen und aus welchen Beiträgen soll die Erhöhung des ärztlichen Honorars bestritten werden? Das ist die entscheidende Frage. Hierin unterscheiden wir uns von dem, was Herr Dr. Moerchel gesagt hat. Herr Dr. Moerchel, Sie haben zwar den Grundsatz vertreten, die Mehrleistungen sollten nicht angetastet werden; aber praktisch wollen Sie im Gesetz nicht festlegen, daß eine solche Einschränkung der Mehrleistungen verhindert wird!
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Herr Kollege Dr. Moerchel, Sie wissen, daß diese Mehrleistungen nicht nur den Bereich der Genesendenfürsorge, die sehr wichtig ist, berühren, sondern daß die Mehrleistungen gesundheitspolitisch entscheidende Leistungen sind. Beispielsweise kann die zeitliche Begrenzung der Krankenhauspflege, die in der Reichsversicherungsordnung für die Versicherten vorgesehen ist, in i Wege der sogenannten Mehrleistungen erweitert werden. Nach dem Gesetz ist sogar die gesamte Gewährung von Krankenhauspflege für Familienangehörige eine Mehrleistung. Wollen wir es übernehmen, diesen gesundheitspolitisch wichtigen Bereich etwa anzutasten?
({1})
- Aber wir müssen uns doch in einem Augenblick, in dem wir ein Gesetz beschließen, über die möglichen Auswirkungen im klaren sein! Meine Fraktion nimmt es in Kauf und bejaht es sogar, daß das Ausmaß des ärztlichen Honorars im gesamten erhöht wird. Durch unseren Antrag wollen wir keineswegs, Herr Dr. Moerchel, „das Arzthonorar für alle Zukunft einfrieren lassen", sondern wir gehen nach unserem Antrag von dem Ausgangszeitraum, der zwischen den Parteien vereinbart werden soll, aus und sagen, daß der Status, den die Parteien vereinbaren, gewährleistet sein soll. Wir sind der Auffassung, daß es sich dabei um ein dringendes Anliegen der Versicherten handelt. Deshalb bitten wir, unserem Antrag zuzustimmen, weil sonst dieses Gesetz kein Sicherheitsventil für die Versicherten enthält und die Leistungen nicht gewährleistet.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Arndgen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Professor Schellenberg hat soeben von einem Sicherheitsventil für die Versicherten gesprochen. Wir sind der Auffassung, daß dieses Sicherheitsventil für die Versicherten schon in der jetzigen Fassung des § 368 f enthalten ist, und zwar in der Ziffer 2 des Abs. 2. Es heißt dort ausdrücklich:
Für die Ermittlung des Jahresbedarfs
- Kopfpauschale sind die in einem von den Vertragsparteien zu vereinbarenden Zeitraum ({1}) ausgeführten ärztlichen Leistungen zugrunde zu legen. Die wirtschaftliche Lage der Krankenkasse und die seit der letzten Festsetzung des Kopfpauschales eingetretene Veränderung der Grundlohnsumme sind angemessen zu berücksichtigen.
Wenn man hier noch daran denkt, daß wir die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung eingeführt haben, dann wird offenbar, daß_ diese Bestimmung des § 368 f Abs. 2 Ziffer 2 genügt, um das zu erreichen, was der Kollege Dannebom mit seinem Antrag gewollt hat. Daher ist dieser Antrag überflüssig.
Herr Dr. Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, nur eine Bemerkung! Das Sicherheitsventil ist formal da, denn in § 368 f Abs. 2 Ziffer 2 steht „wirtschaftliche Lage der Krankenkasse". Worum es hier geht, ist, festzulegen, ob „wirtschaftliche Lage der Krankenkasse" nur heißt: Sicherung der Regelleistungen, oder auch: Sicherung der Mehrleistungen im Interesse der Versicherten.
({0})
Nunmehr wird offenbar das Wort nicht mehr gewünscht. Wir können damit zur Abstimmung kommen über den Änderungsantrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Umdruck 351*) Ziffer 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wird das Wort zum Antrag Umdruck 351 Ziffer 2 gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den sozialdemokratischen Änderungsantrag Umdruck 351 Ziffer 2 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den § 368 f in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; er ist angenommen.
Ich rufe auf § 368 g. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 368 g 1 mit dem Änderungsantrag Umdruck 367**) Ziffer 1. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Auf Begründung und Diskussion wird verzichtet.
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 7.
({0})
Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Böhm ({1}) und Genossen, Umdruck 367 Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den § 368 g 1 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den § 368 h, dazu den Änderungsantrag Umdruck 367 Ziffer 2. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Böhm ({2})!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Änderungsantrag auf Umdruck 367 sieht vor, daß der § 368 h so abgeändert wird, daß an die Stelle der bisher vorgesehenen Zwangsschlichtung ein Schlichtungsverfahren tritt, das zwar ebenfalls zu einem Schiedsspruch gelangt, aber mit der Maßgabe, daß dieser Schiedsspruch bindende Wirkung unter den Parteien nur dann hat, wenn die Parteien entweder vor der Fällung des Schiedsspruchs die Annahme desselben vereinbart haben oder wenn beide Parteien nach Verkündung des Schiedsspruchs seine Annahme erklären. Das bedeutet, daß, wenn bei dem vorgeschlagenen Verfahren eine Einigung nicht zustande kommt, und auch der Schiedsspruch von beiden Parteien nicht angenommen wird, ein vertragsloser Zustand eintritt. Nach dem Ausschußvorschlag würde in diesem Fall ein solcher vertragsloser Zustand nicht eintreten können, weil nämlich dann das Landesschiedsamt seinerseits einen Schiedsspruch erläßt, der die Rechtswirkung eines Vertrages hat. Eine ähnliche Regelung gab es früher bei dem Schlichtungsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Tarifvertrag nicht einigen konnten und wenn dann die staatliche Zwangsschlichtung angerufen und ein Schiedsspruch für verbindlich erklärt wurde.
Der Grund, warum die Mitunterzeichner dieses Antrages und ich beantragen, von diesem Zwangsschlichtungsverfahren abzugehen, ist der gleiche, der auch im Bereich ides Arbeitsrechtes infolge der Erfahrungen, die wir während der Weimarer Zeit mit der Zwangsschlichtung gemacht haben, zu allgemeiner Skepsis gegen diese Einrichtung geführt hat. Es ist eine Wahrnehmung, die immer wieder zu machen war: Wenn die Möglichkeit besteht, daß im Falle von Meinungsverschiedenheiten eine dritte Instanz eine Lösung zwangsweise durchsetzt, so trägt das erfahrungsgemäß nicht zur Verständigungsbereitschaft der beiden Partner bei. Vielmehr entsteht dann folgende Situation. Dann stellt sowohl die eine wie die andere Seite sehr scharfe und einseitige Forderungen und schiebt die Verantwortung für die Entscheidung auf die Schlichtungsinstanz ab.
Das ist nun schon der Natur der Sache nach eine Verfälschung des Gedankens der Selbstverwaltung, eine Verfälschung allerdings, der wir heute in zunehmendem Maße und auf immer mehr Gebieten zu erliegen drohen. Man kann beinahe sagen: wenn man heute den kleinen Moritz formulieren ließe, was er unter Selbstverwaltung versteht, so würde er sagen: Selbstverwaltung ist, wenn ein Dritter entscheidet.
({0})
Zu dieser Lösung sollten wir schon deswegen nicht i kommen, weil dadurch auch die Schlichtungsinstanz selbst in eine sehr peinliche Lage versetzt wird. Sie hat nun in dem sozialen Kräftegeschiebe zu entscheiden und steht in dem Kreuzfeuer einander bekämpfender Armeen.
Hier ist der Gedanke dieses Antrags - ein Gedanke, der von einer großen Reihe von Ärzten des Hartmann-Bundes ebenfalls befürwortet wird -: Riskieren wir die Gefahr des vertragslosen Zustandes? Dieser vertragslose Zustand ist insbesondere für die Ärzte selber in so hohem Grade riskant, daß ein denkbar großer faktischer Zwang zur Einigung vorliegt. Das ist dann aber eine Einigung, die tatsächlich nur auf ,dem übereinstimmenden Willen beider nach einem längeren Ringen und Abwägen der Argumente beruht.
Unsere Rechtsordnung kennt ja auch sonst auf verschiedenen Gebieten die Regelung, daß in dem Fall, daß sich zwei nicht einigen können, eben ein vertragsloser oder ein ergebnisloser Zustand eintritt. In vielen Fällen hat man die Erfahrung gemacht, daß das eine ausgezeichnete Lösung ist, z. B. bei dem Recht unserer Offenen Handelsgesellschaft. Wenn sich eine Offene Handelsgesellschaft aus zwei Gesellschaftern zusammensetzt, dann müssen sich die beiden auch einigen, oder es kann nichts zustande kommen. Die Erfahrung des Lebens zeigt, daß das eine gute Lösung auf diesem Gebiete ist.
Nun ist nur noch zu fragen - und das ist die Hauptfrage, die uns beschäftigt -: Welche Gefahren haben wir zu gewärtigen, wenn wir es übernehmen, hier einen vertragslosen Zustand zu empfehlen? Welche Gefahr laufen wir bei einem solchen vertragslosen Zustand? Welche Situation kann aus dem vertragslosen Zustand - das ist die erste Frage - für die kassenärztliche Versorgung, d. h. für die Allgemeinheit, entstehen?
Nun, im Falle eines vertragslosen Zustandes sitzen die Kassen am längeren Arm des Hebels und brauchen nicht zu befürchten, daß die kassenärztliche Versorgung gefährdet ist, und zwar aus drei Gründen nicht: Erstens einmal sitzen die Kassen normalerweise und in bezug auf ihr soziales Machtgewicht gegenüber den Ärzten am längeren Arm des Hebels. Zweitens ist den Kassen eine Selbsthilfemöglichkeit durch das Gesetz eingeräumt, und zwar durch die §§ 370 ff. der Reichsversicherungsordnung, die sogenannten Mißbrauchsparagraphen, die sehr weitgehende Selbsthilfemaßnahmen der Kassen zur Sicherung der kassenärztlichen Versorgung vorsehen.
Das dritte Moment, das die Lage der Kassen auf Kosten der Lage der Ärzte in einem vertragslosen Zustand bestimmt, ist, daß die Ärzte nicht streiken können. Sie können nicht streiken, und sie werden nicht streiken. Das ist ihnen zwar nicht durch Gesetz verboten; aber es ist selbstverständlich: wenn die Ärzte irgendwann versuchen sollten, zu streiken, so würden sie die geschlossene öffentliche Meinung des Landes gegen sich haben. Es müßte dann schon sein, daß den Ärzten Ungebührliches zugemutet wird, eine Situation, mit der wir hier nicht zu rechnen brauchen. Also: die Ärzte können nicht streiken, die Krankenkassen haben Selbsthilfemöglichkeiten und die Selbsthilfemöglichkeiten der Ärzte sind begrenzt.
Als ich zum erstenmal den mir außerordentlich sympathischen und aus dem Herzen gesprochenen Vorschlag der Ärzte zu hören bekam, war meine
({1})
erste Frage: Sind sich die antragstellenden Ärzte darüber klar, daß sie bei dieser Lösung, die sie hier vorschlagen, materiell vielleicht etwas schlechter fahren werden, als wenn sie in die Zwangsschlichtung einwilligten? Ich habe dann die Frage mit den betreffenden Kreisen eingehend durchgesprochen. Dabei hat sich folgendes herausgestellt. Die Ärzte, die sich gegen die Zwangsschlichtung aussprechen, sind sich vollständig klar darüber, daß sie die Gefahr laufen, daß die Kassen von dem ihnen nach dem Mißbrauchsparagraphen zustehenden Recht Gebrauch machen und daß infolgedessen dann die endgültige Einigung für die Ärzte unter einem Druck erfolgt und für sie schlechter aussieht, als wenn man das Zwangsschlichtungsverfahren in Gang gebracht hätte. Trotzdem ziehen die Ärzte diese Lösung vor, weil sie der Meinung sind, daß eine freie Einigung, wenn auch unter dem Druck der Situation, durchgängig dem Gedanken der Selbstverwaltung und insbesondere dem Gedanken entspreche, daß die Ärzte ein freier Berufsstand sind und ein freier Berufsstand bleiben wollen, auch wenn sie in das System der krankenkassenärztlichen Versorgung eingegliedert, d. h. also de facto sehr weitgehend verbeamtet sind, wenn ich einmal so sagen darf. Aber dieser Wille, ihre Selbstverwaltungsfreiheit selbst unter Gefahr zu behaupten, hat für mein Empfinden etwas ungemein Imposantes.
Schließlich kommt noch folgendes hinzu. Ein vertragsloser Zustand, bei dem die Kassen in so hohem Grade gesichert und die Ärzte in so hohem Grade ungesichert sind, kann unter Umständen das eine oder andere Mal auch den Ärzten zugute kommen, nämlich dann, wenn die Forderungen der Ärzte so überzeugend sind, daß sie die Billigung der allgemeinen Meinung finden. Dann kann allerdings aus einem Vergleich, der unter diesen Bedingungen zustande kommt, für die Ärzte eine wesentlich billigere Lösung herauskommen als bei einer Zwangsschlichtung, bei der schließlich immer in Kampfsituationen nach taktischen Gesichtspunkten abgewogen werden wird. Es ist meines Erachtens in so hohem Grade begrüßenswert, daß viele Mitglieder eines Berufsstandes bereit sind, um ihrer Freiheit und Selbständigkeit willen selbst ein Risiko zu laufen, daß ich das Hohe Haus dringend bitten möchte, diesen Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Dr. Böhm hat dargelegt, daß man sich auch bei der hier behandelten Sache davor hüten sollte, durch irgendeine Zwangsschlichtung den Anfang einer neuen Epoche zu machen. Ich möchte dem Herrn Professor folgendes sagen. Wenn es im Wirtschaftsleben bei einer Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu Kampfmaßnahmen kommt, so werden die unmittelbar Beteiligten davon betroffen. Hier handelt es sich doch um etwas ganz anderes. Wenn es zu einem vertragslosen Zustand zwischen den Kassen und den Ärzteverbänden kommt, dann ist der Kranke derjenige, der die Schwierigkeiten tragen muß, die sich aus den Kampfmaßnahmen ergeben.
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Wir haben die Aufgabe, die kranken Menschen auf
jeden Fall davor zu schützen, daß auf ihrem Buckel
Streitigkeiten ausgetragen werden. Schlichtung oder Zwangsschlichtung zwischen Tarifvertragsparteien im Wirtschaftsleben ist also etwas ganz anderes und hat eine andere Auswirkung, als wenn man hier die Gefahr eines vertragslosen Zustandes zuläßt, in der Hoffnung vielleicht, daß die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten die eine oder die andere Seite zum Nachgeben bringen werden. Wer einen vertragslosen Zustand will, der will auch Druckmittel anwenden. Herr Professor Böhm, es ist nicht so, daß wir noch keine Ärztestreiks gehabt haben. Ich erinnere Sie an das Jahr 1913 und an den Ärztestreik im Jahre 1923. Ich habe vor einiger Zeit, als eine Vertretung der Ärzte bei mir war, gesagt: Ganz so unschuldig ist der Arzt als Einzelmensch auch nicht, wie er im allgemeinen hingestellt wird. Ich weiß, daß sich damals - im Jahre 1923 - ein Arzt vor der Entbindung die Trauringe der Eheleute als Sicherheit hat geben lassen.
({1})
- Selbstverständlich ist das ein Einzelfall, aber für den Menschen, den es trifft, und zwar in dem Moment, wo er sich in Gefahr für Leib und Leben befindet, ist das mehr als unangenehm.
Darüber hinaus, Herr Professor Böhm, haben wir diese gesetzliche Regelung seit dem Jahre 1931. Wir haben in der ganzen Zeit, als dieses Gesetz angewandt wurde - das war bis zum Jahre 1945 -, nicht einen einzigen Fall festzustellen, wo die Beteiligten mit der getroffenen Entscheidung, die ja die allerletzte Möglichkeit ist, nicht zufrieden waren. Deshalb sollte man diese Angelegenheit aus der allgemeinen Schau, in der Schlichtungsverfahren usw. betrachtet werden, herausnehmen. Hier handelt es sich um den Notstand des Kranken; er muß letzten Endes dagegen gesichert sein, daß Organisationen auf seinem Rücken Streitigkeiten austragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Ich bin ein wenig schockiert durch die Bemerkungen des Herrn Bundesarbeitsministers. Während der Ausschußberatungen sind derartige, sensationelle Anekdoten nicht erzählt worden. Weder die Verpfändung von Trauringen noch der Bau von Marmorpalästen der Krankenkassen haben bei unseren Beratungen eine Rolle gespielt, weil das keine Argumente zur Sache, sondern Skandalaffären sind.
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Der Herr Arbeitsminister hätte diesen Ton nicht hereinzubringen brauchen.
({1})
Nun, meine Damen und Herren, eine andere Frage: das Problem der Freiheit und das Problem des vertragslosen Zustandes: Herr Kollege Professor Böhm hat für viele Zuhörer in diesem Hause sehr eindringlich geschildert, wie schwach und erbärmlich der Vertragspartner „Kassenärzte" ist. Ich habe mich gewundert, ich habe nach jedem Satz erwartet, daß er seinen Antrag zurückzog. Das ist aber merkwürdigerweise nicht geschehen.
({2})
Es ist eine Konsequenz, bei der nicht jeder ohne
weiteres mitziehen kann, daß ein vertragsloser Zu({3})
stand praktisch aussichtslos sei oder wenig Chancen habe und daß es trotzdem sehr imposant wäre, wenn man diesen vertraglosen Zustand forderte. Meine Damen und Herren, es war eine köstliche Sache, als man in diesem Deutschland, das langsam im Einschlafen war, wieder feststellen konnte, daß Tausende und aber Tausende von Leuten sich über den Begriff Freiheit unterhalten und bereit sind, sich dafür in der Öffentlichkeit auch einmal anschießen zu lassen. Allen Respekt vor meinen Kollegen, die das getan haben! Aber die zwei Partner, auf die man hier die Maßstäbe von Unternehmern und Gewerkschaften anwenden soll, sind unerhört verschieden voneinander. Die Krankenkassen und Krankenkassenverbände Deutschlands, ob Körperschaften öffentlichen Rechts oder nicht, alle miteinander, Betriebs-, Innungs-, Landkrankenkassen, Ersatz-, Ortskrankenkassen, sind in ihrer Position gegenüber der Ärzteschaft das größte Frühstückskartell, das es in Deutschland je gegeben hat. Ausgerechnet Herr Professor Böhm, in dessen Sprachschatz die Worte Monopol und Kartell jederzeit greifbar sind wie bei uns das Taschentuch, hat in seiner Rede über dieses Monopol kein Wort verloren.
Die vertraglosen Zustände, die bei ernsthaften und großen Auseinandersetzungen in Deutschland zu beobachten waren - dazu gehört insbesondere der vertragslose Zustand des Jahres 1923 -, gingen für die Ärzteschaft schlecht aus; sie muß t en gegenüber diesem starken Partner schlecht ausgehen. Die Freiheit, von der hier gesprochen wird, ist die Freiheit, die der Goldfisch im Hechtteich hat. Diese Bestimmung über die Zwangsschlichtung ist der Kern eines Freiheitsschutz gesetzes,
({4})
) aber nicht eines Gesetzes, das die Freiheit entzieht. Schwache Gruppen - das haben wir in der Wirtschafts- und politischen Geschichte des letzten Jahrhunderts gelernt - müssen starke Verbände bilden. Je kleiner die Verbände sind, desto eher bedürfen sie des Schutzes durch den Staat, erst recht dann, wenn sie aus geistig Arbeitenden bestehen.
Ich bitte Sie, den Antrag Böhm abzulehnen.
({5})
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Umdruck 367 *), Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Böhm ({0}) und Genossen, Ziffer 2. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem § 368 h in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 368 i und § 368 k. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den beiden aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den § 3681, dazu die Umdrucke 364 **) Ziffer 1 und 364 Ziffer 2. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Ruf!
*) Siehe Anlage 7. **) Siehe Anlage 6.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abs. 5 des aufgerufenen § 3681 gehört zu den Bestimmungen des Kassenarztrechts, die besonders stark umstritten sind. Nicht nur die Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände, auch zahlreiche Ärzte - ich betone: zahlreiche Ärzte - haben uns gebeten, diese Bestimmung zu streichen. Ich glaube, wir haben allen Grund, jetzt noch im Plenum ernsthaft zu prüfen, ob wir bei den hier vorgeschlagenen Bestimmungen wirklich auf dem richtigen Weg sind, ob wir nicht Gefahr laufen, damit einen Weg zu beschreiten, der letzten Endes nicht nur für die Kassenärzte, sondern für alle freien Berufe, ja überhaupt für unsere ganze Wirtschafts- und Sozialordnung nachteilige Folgen mit sich bringen kann.
Zunächst wird meines Erachtens mit Recht darauf hingewiesen, daß die Altersversorgung der Kassenärzte nicht in diesen § 368 der Reichsversicherungsordnung gehört. § 368 regelt die Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen. Die bereits bestehenden und jetzt durch dieses Gesetz wieder verankerten Kassenärztlichen Vereinigungen haben die Aufgabe, die kassenärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten und nicht die Altersversorgung der Kassenärzte. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind Hilfsorgane der Sozialversicherung und nicht etwa berufsständische Organisationen, die in erster Linie für den Berufsstand selber sorgen sollen. Wir würden den Charakter, den Sinn und den Zweck dieser Kassenärztlichen Vereinigungen nicht unwesentlich ändern, wenn wir sie nun zusätzlich mit dieser nicht unbeträchtlichen wirtschaftlichen Aufgabe betrauten. Die Kassenärzte selber - das wollen wir doch nicht übersehen - kämen in ein anderes, wesentlich stärkeres Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer KV, falls die KV die Verwaltung der Altersversorgung - was nach diesem Entwurf immerhin möglich ist - in eigene Regie übernehmen sollte.
Doch diese Einwände mögen mehr oder weniger formeller Natur sein. Entscheidend ist nach Ansicht der Antragsteller, für die ich spreche, daß es nicht vertretbar ist, die Versorgung im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabes zu regeln und für die Deckung der Versorgungsverpflichtungen von vornherein, ständig und ausschließlich Mittel der Krankenkassen einzubringen. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir eine ganze Reihe von Gutachten von Verfassungsrechtlern bekommen haben. - Ich will auf die verfassungsrechtliche Seite dieser Probleme nicht eingehen. - In einem dieser Gutachten, dem von Professor Scheuner, habe ich jedoch einen ganz beachtlichen Gesichtspunkt gefunden, den ich Ihnen vortragen möchte. Er schreibt in seinem Gutachten zur Altersversorgung der Kassenärzte mit Recht, daß bei dem vorauszusehenden versicherungsrechtlichen Ungenügen des Umlageverfahrens, an das offenbar gedacht ist und das nach diesem Entwurf möglich ist, die Kassenärztlichen Vereinigungen, anstatt den Kassenärzten eine gesicherte Einnahme zu bieten, sich gezwungen sehen, in wachsendem Maße diese Einnahmen zugunsten der Altersversorgung zu kürzen. Das würde sich wiederum ungünstig auf die ärztliche Versorgung der Versicherten auswirken. Auf keinen Fall, meine Damen und Herren, würden dadurch die Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen entspannt. Man müßte im Gegenteil damit rechnen, daß das Verhältnis Ärzte-Krankenkassen noch mehr belastet wird.
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Der eine oder andere von Ihnen mag mir nun entgegenhalten, daß der vorliegende Entwurf die Regelung der Altersversorgung den Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen überläßt, daß also deren Vertreterversammlungen in eigener Zuständigkeit nach dem Mehrheitsprinzip beschließen können, ob sie von der Möglichkeit des gesetzlichen Zwanges Gebrauch machen wollen oder nicht. Das ist richtig. Für uns als Gesetzgeber aber besteht die ernste Frage, ob wir überhaupt diesen Organisationen das Instrument des Zwanges für diesen Zweck in die Hand geben dürfen. In letzter Zeit ist wiederholt auf den Artikel von Hans Baumgarten in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" „Kollektivismus auf Hintertreppen" im Zusammenhang mit dem Kassenarztrecht hingewiesen worden. Vieles von dem, was Hans Baumgarten meines Erachtens mit Recht am Kassenarztrecht beanstandet hat, können wir - wir haben es soeben bei der Zwangsschlichtung erlebt - bei der gegenwärtigen Organisation der sozialen Krankenversicherung leider nicht bereinigen. Das ist einer Reform der sozialen Krankenversicherung vorbehalten. Aber bei diesem Abs. 5 des § 3681 haben wir es noch in der Hand, dem Kollektivismus auch noch die Hintertüren zu versperren und zu verriegeln. Hier können wir dafür sorgen, daß ein Berufsstand auf einem wichtigen Gebiet seine Freiheit behält und daß er nicht in weitere kollektive Bindungen und noch mehr in Kollektivismus hineingerät, als er leider schon drinsteckt.
Es gehört zum Wesen der freien Berufe, daß sie für die wirtschaftliche Gestaltung ihres Lebens und ihres Schicksals selber die Verantwortung tragen und tragen wollen. Wir reden so viel von Selbsthilfe, von der Hilfe zur Selbsthilfe, von der Selbstverantwortung des einzelnen. Aber es hat doch wenig Sinn, von Selbsthilfe des einzelnen und von seiner Verantwortung zu reden, wenn wir als Gesetzgeber ihm gleichzeitig die Möglichkeit zu dieser Selbsthilfe beschränken oder nehmen und ihn in ein Zwangsversorgungssystem hineinzwängen.
Ich hatte in letzter Zeit wiederholt Gelegenheit, von Ärzten zu hören, daß sie selber sehr großen Wert darauf legen, nach ihrer Art, nach ihren individuellen Bedürfnissen für ihr Alter und für ihre Familie sorgen zu dürfen. Ich meine, wir sollten als verantwortliche Gesetzgeber dieses Denken ermutigen, stärken und fördern. Nur so können wir dem so verhängnisvollen Rentenstreben, das wir heute alle miteinander beklagen müssen, entgegenwirken.
Es ist überhaupt an der Zeit, daß wir die Grundsätze, die sich in unserer Wirtschaftspolitik bewährt haben, so weit wie möglich auch in unserer Sozialpolitik anwenden. Ich sage: so weit wie möglich! Dazu gehören nun einmal die private Initiative und die Selbstverantwortung des einzelnen. Dazu gehört ferner der Grundsatz: So viel Freiheit wie möglich und nur so viel Zwang, wie unbedingt notwendig ist. So gesehen ist es uns als Gesetzgeber nicht 'erlaubt, in die Dispositionen des einzelnen über sein Eigentum und sein Einkommen noch mehr einzugreifen oder noch mehr Eingriffe zuzulassen, als es ohnehin heute leider schon der Fall ist.
Meine Damen und Herren, das klingt sehr liberal. Aber schließlich ist Liberalismus keine Schande,
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Speziell meine Freunde von der Koalition möchte ich daran erinnern, daß wir unter anderem - ich sage: unter anderem - vor zwei Jahren den Wahlkampf mit den Leitsätzen eines Erhard geführt und gewonnen haben, d. h. mit dem Versprechen einer Abkehr von der Tendenz zum allgemeinen Wohlfahrtsstaat. Mit diesen Leitsätzen, mit diesen Gedankengängen, mit diesem Auftrag, den wir von unseren Wählern bekommen haben, sollten wir Ernst machen. Hier haben wir eine Gelegenheit!
Nun besteht kein Zweifel darüber, daß gerade bei den freien Berufen im Verhältnis zu anderen Bevälkerungsgruppen durch Krieg und Inflation ein besonderer Notstand eingetreten ist, der vor allem die alten Berufsangehörigen sehr hart trifft. Ich habe wahrhaftig noch einen ungetrübten Blick für die soziale Wirklichkeit von heute. Diese Menschen haben ihr Leben lang gearbeitet und gespart und sehen sich jetzt des Ersparten beraubt. Die freien Berufe, die ausschließlich von ihren persönlichen Leistungen leben, konnten nicht - wie z. B. andere selbständige Gewerbetreibende - durch laufende Abschreibung gewisse Kapitalwerte erhalten. Der Kopf des freiberuflich Schaffenden nützt sich zwar ab, aber er läßt sich leider steuerlich nicht abschreiben.
Wenn nun also die Notlage vieler alter Kassenärzte nicht zu bestreiten isst, so ist dennoch zu überlegen, ob es richtig ist, die an sich selbstverständliche Sorge für diese sogenannte alte Last mit der Altersversorgung aller Jahrgänge des Berufsstandes zu verkoppeln und zu verbinden.
Das Honorarverteilungsverfahren, das nach Abs. 5 der Ausschußvorlage möglich ist, verkoppelt zwei Aufgaben, die man nach der Auffassung wirklich 'ernstzunehmender Experten streng voneinander trennen sollte. Es dürfte auch für die Kassenärzteschaft möglich sein, Mittel und Wege zu finden, um für ihre Alten und ihre Hinterbliebenen zu sorgen, und ich habe keinen Zweifel, daß das auch geschehen wird und bereits geschieht. Andere Berufsstände sind in dieser Beziehung schon längst mit gutem Beispiel vorangegangen.
({2})
Ich halte es aber für verkehrt, wenn man wegen eines Notstandes, der zwar unbestreitbar vorhanden, ,aber immerhin begrenzt und vorübergehend ist, im jetzigen Augenblick Versorgungseinrichtungen schafft, die für die Dauer bestimmt sind.
Meine Damen und Herren, wer mich kennt, der weiß, daß ich mich mit besonderer Vorliebe für die selbständigen Existenzen eines mittleren Standes einsetze. Aber gerade deswegen fühle ich mich verpflichtet, für eine Streichung dieses Abs. 5 zu sprechen, da hier für einen freien Stand, für den Stand der Kassenärzte, die Gefahr besteht, ein weiteres Stück seiner Selbständigkeit zu verlieren. Ich trete für diese Streichung ein, wail ich weiß, daß ich dabei die Unterstützung und die Zustimmung vieler Kassenärzte habe, und zwar nicht nur der jüngeren Jahrgänge. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: streichen Sie diesen Abs. 5. Es erleidet dadurch kein einziges schutzwürdiges Interesse irgendwelchen_- Schaden; im Gegenteil, Sie tun 'dadurch den Ärzten und letzten Endes auch den Versicherten einem Dienst.
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem Umdruck 364*) finden Sie unter Ziffer 2 einen weiteren Antrag. Dieser Antrag wird gestellt für den Fall, daß Ziffer 1 nicht angenommen wird. Herr Kollege Ruf hat die Ziffer 1 eingehend begründet. Ich trete seiner Begründung in vollem Umfange bei und möchte an das Hohe Haus gleichfalls die Aufforderung richten, den Abs. 5 des § 3681 zu streichen. Falls sich aber das Hohe Haus nicht entschließen könnte, der Streichung zuzustimmen, muß ich pflichtgemäß doch auf etwas aufmerksam machen.
So, wie dieser Abs. 5 in § 3681 lautet, steckt er voller Widersprüche. Sie wissen - ich darf es in Erinnerung bringen -, daß in der Regierungsvorlage, in der gleichfalls die Altersversorgung der Ärzte angeschnitten war, ausdrücklich davon die Rede war, daß die etwa zu gründende Versorgungseinrichtung auf versicherungsmathematischen Grundlagen aufgebaut werden sollte. Die Worte „versicherungsmathematische Grundlagen" sind bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß herausgestrichen worden. Das ist sogar schriftlich in dem Bericht des Herrn Berichterstatters Abgeordneten Dr. Preller in Drucksache 1313 niedergelegt worden. Auf Seite 7 dieser Drucksache können Sie lesen, daß das Bundeswirtschaftsministerium den Rat gegeben hat, man solle diese Versorgungseinrichtung auf versicherungsmathematischer Basis errichten, daß aber die Mitglieder des Ausschusses diesen Rat abgelehnt haben. Was heißt das? Das heißt, daß nicht eine versicherungsmathematische Methode zugrunde gelegt wird, sondern daß diese Versorgungseinrichtung rein auf dem Umlageverfahren aufgebaut werden soll.
({0})
Denn etwas anderes gibt es nicht. Man hat nur die Alternative: entweder eine versicherungsmathematische Berechnung - ({1})
- Die ist abgelehnt worden. Dann gibt es nur das andere; das ist das Umlageverfahren. Da muß ich doch darauf aufmerksam machen, daß das Umlageverfahren außerordentlich gefährlich ist. Ich könnte hierzu meine Zustimmung unter keinen Umständen geben.
Wenn Sie nun in dem Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Preller weiterlesen, dann finden Sie noch etwas, was zu Widersprüchen Anlaß gibt. Im Ausschuß ist nämlich die Frage gestellt worden, ob eine solche Versorgungseinrichtung der Beaufsichtigung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen unterliege. Diese Frage hat das Arbeitsministerium mit Ja beantwortet. Wenn das aber der Fall ist, dann muß eine versicherungstechnische Grundlage für den Aufbau dieser Kasse gewählt werden, dieselbe Grundlage, die jedoch im Obersatz vom Ausschuß abgelehnt wird. Hier ist also, glaube ich, bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß ein Mißverständnis entstanden. Ich bitte Sie deshalb, gegebenenfalls dem Eventualantrag zuzustimmen, den Sie auf Umdruck 364 finden. Dieser Eventualantrag ist wortwörtlich dem Regierungsentwurf entnommen, bringt also praktisch nichts Neues.
*) Siehe Anlage 6.
Weshalb habe ich so große Bedenken dagegen, daß man das vom Sozialpolitischen Ausschuß in Aussicht genommene Umlageverfahren anwendet?
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- Herr Kollege, ich würde Ihnen raten, daß Sie Ihre Bedenken gleichfalls an dieser Stelle vorbringen.
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Ich werde zunächst einmal meinen Standpunkt vorbringen. Das Umlageverfahren hat die Eigenschaft, daß es keinerlei Rücklagen kennt. Bei jedem anderen Verfahren, sowohl bei dem Anwartschaftsdeckungsverfahren wie auch bei dem Kapitaldekkungsverfahren, werden Rücklagen gemacht. Beim reinen Umlageverfahren hingegen, das keine versicherungsmathematische Methode ist, werden solche Rücklagen vermieden. Die ganze Versorgung lebt sozusagen von der Hand in den Mund. Sie ist praktisch nichts anderes wie eine Kaufkraftverlagerung von denjenigen, die noch aktiv sind, hinüber zu denjenigen, die nicht mehr aktiv sind, also zu den Hinterbliebenen und Invaliden. In dem Augenblick, wo in dem Zahlenverhältnis zwischen den Kaufkraftübertragenden und denjenigen, die diese Kaufkraftübertragung annehmen, eine ungünstige Verschiebung eintritt, entstehen Schwierigkeiten.
Störend ist schon, daß die Beiträge, die von den Aktiven aufgewendet werden müssen, von Jahr zu Jahr wechseln. In Wirklichkeit haben sie aber auf die Dauer steigende Tendenz. Dadurch entstehen dann die Schwierigkeiten, die man in den letzten hundert Jahren, seitdem es eine Versicherungsmathematik und eine Versicherungspraxis gibt, mehrfach erfahren hat. Das ganze System kann dann nicht mehr aufrechterhalten werden, weil den zahlenden Mitgliedern die Beiträge zu hoch werden. Dann müssen die Versicherungsleistungen herabgesetzt werden. Dann sind wieder die Empfänger der Renten bzw. die Hinterbliebenen mit den auszuzahlenden Versicherungssummen unzufrieden, und dann entsteht ein Wanken in der ganzen Versorgungseinrichtung, das schließlich unabwendbar zum Zusammenbruch führen muß.
Die Gefahr ist deshalb hier sehr groß, weil der Begriff des Kassenarztes durchaus wandelbar ist. Man weiß ja auch nicht, wie viele Kassenärzte es in 20, 30, 40 Jahren geben wird, ob wir bis dahin nicht eine ganz andere Art der Betreuung der kranken Mitglieder haben werden. Eine Umlage-kasse kann man streng genommen nur dann durchführen, wenn absolute Gewähr dafür besteht, daß ein bestimmter Personenkreis laufend, und zwar für alle Zukunft, den gleichen Zuwachs hat. Das können Sie selbstverständlich hier niemals und bei keiner irdischen Einrichtung voraussetzen. Infolgedessen wird sich jeder vernünftige und kluge Mann der Erfahrungen und der Kenntnisse bedienen, die die Versicherungstechnik in den letzten hundert Jahren gesammelt hat. Es ist unverantwortlich, jetzt wieder zu Verfahren zurückzukehren, die man vor hundert Jahren probiert hat und die in den letzten hundert Jahren mehrfach gescheitert sind.
Darüber hinaus besteht noch ein anderes sehr großes Bedenken, das ich hier aufzeigen muß. Es ist durchaus möglich, daß ein Arzt, der Mitglied einer Kassenärztlichen Vereinigung ist, eines Tages die Lust verliert, als Krankenkassenarzt seine Praxis weiter auszuüben. Dieser Mann verliert mit
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dem Austritt jeglichen Anspruch auf Versorgung, und wenn er 30 oder 40 Jahre regelmäßig seine Beiträge gezahlt hat, sind diese restlos verloren. Es ist genau so, als wenn er niemals etwas in die Kasse eingezahlt hätte. Was ist die Folge davon? Wenn jemand eine Zeitlang in diese Kasse eingezahlt hat, ist er ihr mit Haut und Haaren verhaftet. Er wird ein, ich möchte fast sagen, willenloses Instrument dieser Vereinigung; denn er kann unter keinen Umständen mehr austreten, ohne jegliche Möglichkeit einer Altersversorgung zu verlieren. Deswegen bin ich auch hier für die Verteidigung der Freiheit, von der der Herr Vorredner gesprochen hat. Wir dürfen solche Einrichtungen, die praktisch nichts anderes sind als eine Knebelung der Mitglieder, niemals zulassen. Wir müssen hier die Freiheit der Persönlichkeit unterstützen. Wenn Sie dagegen ein versicherungstechnisches Verfahren angewendet haben, kann ein Arzt jederzeit austreten, und er erhält dann die versicherungstechnische Rücklage, mit deren Hilfe er jederzeit bei irgendeiner anderen Versichertengemeinschaft seine Altersversorgung fortsetzen kann. Das ist eine gerechte Angelegenheit. Da wird niemandem etwas gegeben, niemandem etwas genommen. Das ist ein in sich ausgeglichenes System. Ich bitte Sie daher, meinem Rate zu folgen; es ist ein Rat auf Grund von Erfahrungen. die ich mir in vielen Jahren durch ein sehr eingehendes Studium dieser Fragen erworben habe.
Ich möchte zunächst noch einmal bitten, dem Antrag des Herrn Kollegen Ruf, den Abs. 5 völlig zu streichen, beizutreten. Sollte er abgelehnt werden, bitte ich Sie dringend - und das ist meine letzte Warnung aus meiner Verantwortung heraus -, den Alternativantrag, wie er mit Umdruck 364 Ziffer 2 gestellt ist, anzunehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann den Begründungen des Herrn Kollegen Ruf und des Herrn Kollegen Geiger nicht folgen. Ich will auf .das Rechtsproblem nicht näher eingehen. Es ist zumindest für das Land Bayern eine res iudicata. Über die Vereinbarkeit mit den Kriterien eines freien Berufs und der Festlegung dieser Bestimmung im Gesetz ist hier schon viel gesprochen worden. Ich glaube, man sollte diese Dinge etwas nüchterner betrachten. Tatsache ist doch, daß den Kassenärzten die Pflicht zur Behandlung der Versicherten gegen ein geringeres Entgelt als in der Privattätigkeit auferlegt wird. Fast 80 % der Bevölkerung sind sozialversichert. Es besteht daher zwangsläufig eine verringerte Möglichkeit zur Kapitalbildung und damit auch eine verringerte Möglichkeit, eine ausreichende Altersversorgung aus eigenen Kräften zu schaffen. Im übrigen, Herr Kollege Ruf, wird das, was auf Grund der Möglichkeiten, die das Gesetz schafft, gemacht wird, zweifellos nicht über den Charakter einer Zusatzversicherung hinausgehen. Es wird also dem eigenen freien Ermessen und dem eigenen freien Suchen nach ausreichender Sicherung dadurch zweifellos keine Grenze gesetzt. Im übrigen soll hier einmal dem Teil der jüngeren Kollegen, die glauben, gegen diese Bestimmung Einwendungen haben zu müssen, doch gesagt erden, sie möchten nicht vergessen, daß sie auch einmal älter werden. Es ist notwendig, insbesondere den älteren erst einmal zu helfen. Ob das eine Einrichtung für die Dauer ist, mag dahingestellt bleiben. Daraus erklärt sich z. T. auch das Wegfallen der Worte „nach versicherungsmathematischen Grundsätzen".
Das Gesetz gibt im übrigen - das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden - ja nicht die Auflage, eine bestimmte Versicherungsform zu schaffen. Es gibt die Erlaubnis, unter allen Möglichkeiten der Versicherung die geeignetste auszuwählen und auch bereits bestehende Einrichtungen gebührend zu berücksichtigen.
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Die Befürchtung, die auch geäußert wurde, es könnte dann - da ja die Satzungen den Mitgliedern zur Bewilligung vorgelegt werden müssen - zur Majorisierung einer großen Minderheit kommen, teile ich nicht, und zwar deshalb nicht, weil sicher die Aufsichtsbehörde Bedenken hätte, einer solchen Regelung zuzustimmen. Zum anderen haben wir immer noch in der dritten Lesung die Möglichkeit, ein zusätzliches Ventil einzubauen, um der Befürchtung, daß bei Schaffung dieser Altersversorgung große Minderheiten majorisiert werden könnten, einen Riegel vorzuschieben.
Ich bitte Sie aus diesen Gründen, zugleich auch im Namen meiner Fraktion, diesen Antrag abzulehnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde betrachten die Frage der ärztlichen Altersversorgung unter dem Gesichtspunkt der Versicherten. Wie ist die Lage? Der Altersaufbau der Kassenärzte ist außerordentlich ungünstig. Viele behandelnde Ärzte haben durch Krieg und Kriegsfolgen ihr früher erarbeitetes Vermögen verloren und sind heute trotz hohen Alters einfach gezwungen, weiterhin Kassenärzte zu sein. Meine politischen Freunde sind der Meinung, daß das nicht unbedingt der Qualität der kassenärztlichen Versorgung dient. Wir sind deshalb der Auffassung, daß es im Interesse der Versicherten notwendig ist, in bezug auf den Altersaufbau der Kassenärzte eine Verjüngung zu ermöglichen. Eine solche Vorschrift, wie sie in § 3681 Abs. 5 vorgesehen ist, schafft die Möglichkeit, daß ältere Ärzte sich von der Kassenpraxis zurückziehen und die Leistungen der Altersversorgung in Anspruch nehmen.
Nun wurde von Herrn Kollegen Geiger darauf hingewiesen, daß es unbedingt erforderlich sei
- Kollege Geiger hat an unser Gefühl appelliert
({0})
- und an den Verstand! -, versicherungsmathematische Grundsätze anzuwenden. Herr Kollege Geiger, in Ihren Ausführungen gehen Sie meiner Überzeugung nach von einer falschen Voraussetzung aus. Sie gehen von der Voraussetzung aus, das Wagnis, das Risiko der Altersversorgung müsse allein von der Gruppe der Kassenärzte getragen werden, von einem zahlenmäßig nicht besonders großen Personenkreis, dessen Altersaufbau nicht sehr günstig sei.
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Das Risiko wird finanziell von der Gesamtheit aller Krankenversicherten getragen, von 18 Millionen Versicherten, die durch ihre Beiträge zur Krankenversicherung das kassenärztliche Honorar sicherstellen. Aus diesem kassenärztlichen Honorar wird dann unter Umständen ein bestimmter Satz im Rahmen der Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigung für die Altersversorgung abgezweigt. Insofern ist es nach Auffassung meiner politischen Freunde nicht notwendig, diese Altersversorgung wie ein Versicherungsunternehmen aufzuziehen; dies deshalb nicht, weil durch Gesetz, nämlich durch die Bestimmungen über die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung, die laufende Bereitstellung der Mittel gewährleistet ist. Meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß die Vorschrift des § 368 1 Abs. 5 dem Interesse auch der jüngeren Ärzte dient, die nämlich dadurch, daß die älteren die Leistungen der Altersversorgung erhalten, eine Möglichkeit zur schnelleren Kassenzulassung erhalten. Dies dient aber auch dem Interesse der Versicherten, auf das es uns in dieser Hinsicht entscheidend ankommt.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Der sehr verehrliche Herr Kollege Ruf hat uns vorhin mahnend beschworen und hat gesagt, wir sollten doch nicht durch diese Altersversorgung endgültig die deutsche Ärzteschaft und hinterher alle möglichen anderen freien Berufe in den Zwangskollektivismus hineinführen. Ach, die historische Wahrheit ist ganz anders. Der größte Teil aller deutschen Ärzte - ich glaube, im wesentlichen nur mit der Ausnahme von Berlin - ist auf Grund von Versicherungseinrichtungen der Ärztekammern, die hauptsächlich nach 1923 von den deutschen Ländern und von demokratischen Parlamenten begründet wurden, zwangsversichert gewesen, - ich auch. Herr Kollege Geiger weiß ganz genau, daß auch in seinem Land Bayern ,eine solche Gemeinschaftsanstalt, Bayern-Österreich, existiert, die allerdings einige Jahre später entstanden ist. Also darum dreht ,es sich ganz bestimmt nicht, daß man nun neu und erstmalig „versklavt", „verkammert" und „zwangsversichert" wird. Davon kann gar keine Rede sein. Wenn der Herr Baumgarten das in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben hat, dann kommt mir das komisch vor. Im dieser Artikelserie stand auch eine Bemerkung über die Ärztevertreter im Deutschen Bundestag, denen man vorwarf, daß sie als Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung keine unabhängig denkenden und abstimmenden Männer im Deutschen Bundestag seien.
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Wenn ich nicht im Parlament wäre, würde ich aus der alten Frankfurter Umgangssprache, die der Herr Baumgarten kennt, sehr präzise Ausdrücke zu seiner Charakterisierung finden.
Nun, was das Problem der Versicherung angeht! Ich denke nicht daran, eine Attacke gegen die deutschen Lebensversicherungen zu reiten. Sie haben mir ja erst kürzlich einen großen Gefallen getan. Kennen Sie den?
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Der leider viel zu früh verstorbene Arthur Schopenhauer. Und diese Karte hat als Aufdruck folgenden Stempel: „Allianz- und Stuttgarter Lebensversicherungsbank Aktiengesellschaft". Darauf steht ein ganz vorzügliches Zitat:
Man soll einen gewissen Aufwand von Mühe, Zeit, Unbequemlichkeit, Weitläufigkeit, Geld oder Entbehrung nicht scheuen, um der Möglichkeit eines Unglücks die Türe zu verschließen. Die deutlichste Exemplifikation dieser Regel ist die Asssekuranzprämie.
Ich bitte um Verzeihung, daß ich nicht vorher um die Erlaubnis zur Verlesung nachgesucht habe.
Wird Ihnen nachträglich gegeben.
Danke schön!
Also diese Werbungsaktion der deutschen Lebensversicherungsgesellschaften ist ausgezeichnet; ich kann jedem von Ihnen empfehlen, sobald wie möglich eine solche Assekuranz abzuschließen. Aber die Verträge, die dieLebensversicherungsgesellschaften vor dem Jahre 1954 und vor 1933 mit den deutschen Ärztekammern abgeschlossen haben, waren doch gar keine reinen Kapitaldeckungsversicherungen. Sie waren eine Kombination von Risikoversicherung mit Kapitaldeckungsversicherung. Das, was die deutschen Lebensversicherungen in den letzten Jahren, in denen das Gespräch über dieses Gesetz und den § 368 f schon angelaufen war, angeboten haben, ist ebenfalls weit von den alten Grundsätzen abgewichen. Die Dinge wandeln sich im Laufe der Zeit. Im Arbeitsministerium ist man der Ansicht, man könne Altersversorgungen auch so machen, daß sie ein wenig von den Bestimmungen des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherungen abweichen. Deshalb sind sie doch keine Umlageversicherungen !
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Die Rentenversicherungen der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung sind auch keine Umlageversicherungen, Herr Kollege Geiger! Es hat sich herausgestellt, daß es wohl eine Reihe von Lösungen gibt und daß vielleicht eine der problematischsten die reine Kapitaldeckungsversicherung ist.
Man hat bei diesem Gespräch eine Anstalt der deutschen Ärzte angegriffen, die der Herr Kollege Biel in lobenswerter Weise mit allem Einsatz einer großen Liebe zu seinem Berufsstand in Südwürttemberg zustande gebracht hat. Gerade dieser Anstalt hat man nachgesagt, sie arbeite nach dem Umlageverfahren. Sie versichert 800 Ärzte, und die Kapitaldeckung hat sie allein damit bewiesen, daß sie mit ihren Kapitalien bis jetzt 200 Arzthäuser gebaut hat. Also die Behauptung, die Urnlageversicherung liege in der Absicht der Leute, die Ihnen diese Vorlage eingebracht haben, stimmt nicht, Herr Kollege Geiger.
Iim übrigen bin ich der Überzeugung, daß die meisten deutschen Kassenärztlichen Vereinigungen sehr gern einen brauchbaren und preiswerten Vertrag, den eine unserer vorzüglichen deutschen Lebensversicherungsgesellschaften vorlegt, annehmen werden. Aber dieser Vertrag wird für die Ärzteschaft viel, viel günstiger sein, wenn Sie die Regierungsvorlage annehmen. Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen Sie den Antrag der im übrigen sehr verehrten Kollegen Ruf usw. zu diesem Punkt ab!
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zu den Herren Vorrednern einiges sagen, weil hier offenbar verschiedene Auffassungen bestehen, die darauf beruhen, daß Begriffe verwendet wurden, deren Inhalt nicht ganz klar ist.
Herr Kollege Schellenberg, Sie meinen, daß man mit einer versicherungstechnisch richtig aufgebauten Altersversorgung nicht das Problem der Bestandsverjüngung lösen könne. Man könne nach Ihrer Meinung nicht erreichen, daß man die Alten durch entsprechende Renten sicherstelle und sie dadurch veranlasse, den ärztlichen Beruf aufzugeben und auf diese Weise den Jungen Platz zu machen. Sie meinen, das gehe nur mit dem System, das Ihnen hier vorschwebt, für das Sie selbst gar keine Bezeichnung gegeben haben, das aber nichts anderes sein kann als das Umlageverfahren, weil ja das versicherungstechnische Verfahren abgelehnt wird. Etwas Drittes gibt es ja nicht, meine Damen und Herren!
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Jedes System, das nicht Umlageverfahren ist, ist ein versicherungstechnisches System, und davon spreche ich. Wenn Sie das Umlageverfahren ablehnen, dann sind wir ja der gleichen Meinung. Aber dann müssen Sie den Ausschußbericht zu diesem Gesetz ändern. Hier steht es schwarz auf weiß, daß Sie die versicherungsmathematische Grundlage ablehnen, und darüber, was hier schwarz auf weiß steht, müssen wir uns unterhalten. Denn das geht einmal in die Geschichte des Bundestages ein, und darauf wird man immer zurückgreifen. Entschuldigen Sie diese Abschweifung! Ich muß auf das Thema zurückkommen.
Herr Kollege Schellenberg, jeder Versicherungsmathematiker kann Ihnen verschiedene Systeme versicherungstechnisch entwickeln, wie Sie das Problem lösen können, von dem Sie gesprochen haben. Warum nehmen Sie es denn nicht an? Nehmen Sie doch die versicherungstechnische Lösung an, die doch wirklich allen die Sicherheit gibt, daß auf die Dauer ihre Altersversorgung auf besten Füßen steht.
Etwas anderes, Kollege Schellenberg. Sie haben gesagt, die Versorgung ginge gar nicht auf Kosten der Ärzte, sondern auf Kosten der Krankenversicherten. Herr Kollege Schellenberg, darüber wollen wir am besten gar nicht streiten. Letzten Endes geht es doch, ob Sie das so oder so buchen, auf Kosten der Ärzte. Es ist ja übrigens auch in dem Gesetzentwurf so vorgesehen, daß die Ärzte eine Abrechnung bekommen sollen, in der genau drinsteht, was ihnen für diese Altersversorgung abgezogen worden ist. Wir müssen uns schon darauf einigen, Herr Kollege Schellenberg, daß die Beiträge auf Kosten der Ärzte gehen. Wenn nämlich die Krankenkasse sonst noch irgendwelche Reserven hat, dann gehören sie letzten Endes entweder den Krankenversicherten, die zuviel gezahlt haben, oder denjenigen, die die Dienste leisten, und das sind die Ärzte, Apotheker, Hebammen usw.
Herr Kollege Hammer, ich kann Ihnen auch nur das eine sagen: Wenn Sie der Meinung sind, daß das Verfahren, das Ihnen hier vorschwebt, kein Umlageverfahren ist, dann meinen Sie dasselbe wie ich, dann ist es ein versicherungstechnisches Verfahren,
({1})
und dann, Herr Kollege Hammer, müssen Sie auch dafür eintreten, daß wenigstens dieser Teil des Ausschußberichtes richtiggestellt und wieder die alte Gesetzesfassung, wie sie von der Bundesregierung vorgeschlagen wurde, hergestellt wird, in der nämlich ausdrücklich gesagt wird, daß ein versicherungstechnisches Verfahren zugrunde gelegt werden soll.
({2}) - Sie haben doch selbst davon gesprochen!
Es geht offenbar etwas durcheinander, Herr Kollege Hammer. Sie haben auch von Kapitalversicherung gesprochen. Ich glaube, es sollte da „Kapitaldeckungsverfahren" heißen, nicht wahr? Sie sehen also, man müßte sich bei diesen Dingen wirklich einmal ganz grundsätzlich über die Begriffe klarwerden, damit man sich versteht.
Ich glaube, die Erwiderung, die ich gegeben habe, hat wenigstens das eine geklärt, daß offenbar niemand von Ihnen ein Umlageverfahren haben will. Infolgedessen wollen Sie dasselbe haben, was ich vorgeschlagen habe, nämlich ein versicherungstechnisches Verfahren. Wenn das der Fall ist, meine Damen und Herren, dann nehmen wir das doch in das Gesetz hinein, was früher in dem Regierungsvorschlag stand, und nehmen wir keine Änderung vor, die letzten Endes nur eine Verwirrung erzeugen kann!
Ich bitte Sie deshalb nochmals, falls Sie Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 364 nicht annehmen sollten, wenigstens Ziffer 2 anzunehmen. Dann besteht absolute Klarheit in der Versorgung der Ärzte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dinge sind schon so weit ausdiskutiert, daß ich nur noch wenige Bemerkungen dazu zu machen habe, die aber doch grundsätzlicher Art sind. Ob man die Vorschriften für eine Versorgungseinrichtung einer berufsständischen Gruppe, um die es sich letzten Endes dann handeln wird, in dieses Gesetz hineinnimmt oder nicht, ist eine Frage, die vorweg zu klären ist. Wenn also der Antrag gestellt ist, den Abs. 5 in § 368 1 zu streichen, würde das zwar bedeuten, daß wir 'uns später bei einem anderen Gesetz erneut mit derselben Angelegenheit zu befassen haben. Darüber kann man aber durchaus verschiedener Meinung sein. Ich bin auch der Auffassung, daß es durchaus denkbar wäre, bei einer anderen Gelegenheit, in einem anderen berufsständischen Gesetz diese Dinge zu klären. Das ist aber lediglich eine mehr technische, äußere Frage.
Die andere Frage, auf die es jetzt ankommt, ist, ob nun eine solche Versorgungseinrichtung für die Ärzte geschaffen werden soll oder nicht. Dazu läßt sich aus der praktischen Erfahrung heraus eine Menge sagen. Es ist ja nicht so, daß nun etwa eine Versorgungseinrichtung auf koliektiver Grundlage - darum dreht es sich hier doch - nur für die Ärzte angestrebt wird. Solche Einrichtungen bestehen ja doch in Deutschland schon seit Jahrzehnten, vielleicht sogar seit einem längeren Zeitraum, in einem sehr großen Umfang. Wie Herr Hammer
({0})
richtig gesagt hat, gibt es solche Einrichtungen auch bei den Ärzten schon seit Jahrzehnten. Ich selber habe in den vergangenen 30 Jahren Gelegenheit gehabt, mit ärztlichen Verrechnungsstellen, die solche Einrichtungen geschaffen haben, derartige Verträge überall in Deutschland abzuschließen, und kenne aus diesem Grunde die Sorgen. Sie kamen alle daher, daß diese Stellen - so wie jetzt beabsichtigt - auf der Grundlage einer selbständigen, isolierten Einrichtung gegründet worden sind, ausgehend von der sozialpolitischen Idee, daß eben einer Gruppe von Ärzten - gewöhnlich waren es natürlich die älteren - durch eine Aktion des gesamten Berufsstandes geholfen werden sollte. Es hat sich dann aber regelmäßig gezeigt, daß - und das hat der Herr Kollege Geiger schon sehr richtig ausgeführt - diese Dinge eben nur eine verhältnismäßig kurze Dauer haben können, weil eben der Nachwuchs nicht gesichert und nicht in dem Umfang vorhanden ist, um nachher eine gleichmäßige Beitragshöhe zu garantieren, wie sie im Grunde erforderlich ist. Deshalb ist eine Einrichtung, wie sie hier vorgesehen ist, in der Tat nur zu begrüßen, wenn sie sich die Erfahrungen zunutze macht, die wir hier erworben haben. Ich möchte also meinen, daß das Verlangen nach einer versicherungstechnischen Grundlage, das hier gestellt wird, seine volle Berechtigung hat. Wir haben von Herrn Hammer gehört, daß er das keineswegs bestreitet, sondern daß er durchaus bereit ist, diese Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, ohne die man die Verantwortung für die Errichtung einer solchen Versorgungseinrichtung gar nicht übernehmen kann.
Wenn das der Fall ist, läßt der Wortlaut dieses Abs. 5 allerdings eine Reihe von Auslegungen zu und sagt sogar vielleicht wesentlich mehr, als man im ersten Augenblick annehmen möchte. Ich kann mir sogar vorstellen, daß auch eine Regelung - worauf Herr Hammer so großen Wert legte - durchführbar ist, bei der das Aufkommen auf dem Wege eines Honorarverteilungsmaßstabs aufgebracht wird; denn wir haben sie ja doch schon gehabt. Versicherungstechnisch wird lediglich nach dem Grundsatz: Leistung gleich Gegenleistung eine Gesamtprämie errechnet, sei es durch einen besonderen Versicherungsmathematiker, der von dieser Einrichtung nur zu diesem Zweck angestellt wird, sei es auf dem Wege eines Rückdeckungsvertrags bei einem unserer großen Versicherungsunternehmen, die eben dann - und das ist das Entscheidende - nicht wie ein Sachverständiger nur mit ihrer Sachkenntnis haften, sondern mit ,den gesamten Garantiemitteln, die natürlich ein isoliertes Unternehmen dieser Art nicht zur Verfügung stellen kann. Aus diesem Grunde, möchte ich meinen, ist es zu empfehlen, diese Bestimmungen dahin zu ergänzen, wie das im Umdruck 364 vorgesehen ist. Wir sollten die Forderung auf Beachtung versicherungstechnischer Grundsätze annehmen, und zwar im Interesse der Ärzte, aus gar keinem anderen Grunde. Das heißt in keiner Weise, daß vielleicht irgendwie Interessen einer Versicherungsgesellschaft damit verbunden sind; davon kann gar keine Rede sein. Es kann sich genau so um ein isoliertes Unternehmen handeln; dann ist allerdings nicht die Garantie vorhanden, die die Fonds der deutschen Versicherungsgesellschaften in einem solchen Fall zu bieten vermögen.
Natürlich lassen sich von den verschiedenen Interessenstandpunkten aus noch eine Reihe von
Gesichtspunkten anführen. Es ist ganz klar, daß bei einer solchen Einrichtung auf alle Fälle die anfänglich vorhandenen Mitglieder zunächst einmal nicht für sich, sondern für die anderen bezahlen, nämlich für die älteren. Auf das Argument, Herr Kollege Schellenberg, daß die Versicherten die Prämien bezahlen, möchte ich im Ernst nicht eingehen. Ich halte es für eine charmante Darstellung, die Ihnen immer sehr liegt. Sonst könnte jeder Ladenbesitzer sagen, nicht ich zahle meine Prämie, sondern meine Kunden, und jeder Hotelbesitzer, meine Gäste zahlen, nicht ich. Alle diese Dinge sind ganz begreiflich und bedürfen einer weiteren Erläuterung in diesem Zusammenhang nicht.
Worauf es für das Haus ankommt, das ist, zu entscheiden, ob eine Versorgungseinrichtung geschaffen werden kann. Ich meine allerdings, es sollte dabei bleiben, daß es heißt: „Die kassenärztlichen Vereinigungen können durch Satzungsmaßnahmen solche Einrichtungen treffen" und nicht wie es hier im Umdruck 364 heißt: Sie sollen solche Einrichtungen schaffen. Hier muß man es der Organisation und den Mitgliedern überlassen, ob und in welchem Umfange sie von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen wollen. Man darf doch nicht vergessen, daß es auch unter den Ärzten eine große Zahl - vielleicht die Mehrzahl - gibt, die schon bisher Verpflichtungen auf dem Wege einer Individualversicherung eingegangen sind und nun in große Schwierigkeiten kämen, wenn sie durch ein Abzugsverfahren weitere Einbußen neben den Prämien erlitten, die sie schon auf Grund ihres Versorgungsvertrages zu tragen haben. Der Arzt wird natürlich sagen: Lieber zahle ich von meinem 40. Lebensjahr an für mich und habe eine Gewähr, eine wesentlich höhere Leistung auf Grund meines Individualvertrages zu bekommen, als wenn ich hier einer Einrichtung beitrete, bei der auch die 70 Jahre alten und noch älteren Mitglieder, und zwar sofort, versorgt werden müssen. Meist ist es ja so gewesen., daß in diesen Fällen wenigstens eine sogenannte Einmalprämie, d. h. ein gewisses, schon vorher angesammeltes Kapital zur Verfügung stand, womit die Hereinnahme dieser ältesten Mitglieder natürlich erleichtert wurde. Ob und in welchem Umfang das hier der Fall ist, kann nicht entschieden werden; es bedarf dazu einer besonderen Untersuchung in jedem einzelnen Fall.
Bei dieser Situation möchte ich also glauben, daß wir in keinem Fall einen Zwang, einen Druck auf die Organisationen ausüben können. Aber die Möglichkeit dazu, eine solche Einrichtung zu schaffen, wenn die Mitglieder in ihrer Mehrheit dafür stimmen, wird man ihnen nicht verwehren können, um so weniger, als es nicht nur Tausende, sondern Zehntausende von Vereinigungen in Deutschland gibt, die auf dem Kollektivversicherungswege solche Einrichtungen geschaffen haben, wenn auch nicht immer in Form einer Rente, sondern in den meisten Fällen in Form einer Kapitalversicherung oder, wie es noch häufiger ist, in Form einer Kleinlebensversicherung, einer Sterbeversicherung.
Was also gemacht werden soll, ist aus dem Abs. 5 des § 368 nicht ohne weiteres zu ersehen, sondern hängt davon ab, welche Beschlüsse die einzelne Organisation dann fassen wird. Worauf wir aber Wert legen sollten, das ist in der Tat die Einräumung eines Rechtsanspruchs - das ist das entscheidende Wort -, also nicht lediglich eine Illusion, ein Ver({1})
sprechen, eine Hoffnung, sondern die Einräumung eines Rechtsanspruchs, was dann allerdings bedeutet, daß die Einrichtung automatisch dem Bundesaufsichtsamt für das Privatversicherungswesen unterstellt wird und daß dann ohne weiteres versicherungstechnische Grundsätze zur Geltung kommen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte erklären, daß eine Anzahl meiner politischen Freunde aus der sozialdemokratischen Fraktion wegen schwerwiegender Bedenken gegen die Einführung einer Zwangsversorgung für einen Teil der Ärzte für die vorgelegten Anträge auf Beseitigung dieser Einrichtung zu stimmen wünschen.
Die Bedenken sind erstens einmal verfassungsrechtlicher Natur dahingehend, daß es nach unseren Verfassungsgrundsätzen kaum zulässig sein dürfte, eine solche Zwangsversicherung innerhalb eines freien Vertragsverhältnisses einzuführen. Soweit hier eine Erweiterung der Sozialversicherung beabsichtigt sein sollte - denn nur dorthin gehören alle Zwangsversicherungen -, dürfte es kaum angebracht sein, sie für einen Teil der Ärzte, nämlich für die Kassenärzte, auf einer Grundlage, die als Beitragsgrundlage bestimmt ungeeignet ist, nämlich auf der des Kassenhonorars, so ganz nebenbei im fünften Absatz eines Paragraphen einführen zu wollen.
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- Im zehnten Absatz, danke schön!
Zum zweiten gehen unsere Bedenken dahin, daß nicht nur die Einführung einer derartigen Zwangsversicherung dem Wesen eines freien Berufes durchaus widersprechen dürfte - hierüber hat, wenn ich recht unterrichtet bin, in den letzten Tagen der Herr Bundeswirtschaftsminister in einer Rede in seiner markanten Art einige recht passende Worte gefunden -, sondern daß die bisherigen Erfahrungen mit derartigen Versicherungseinrichtungen, insbesondere solchen, die von versicherungstechnischen Grundsätzen abweichen, außerordentlich schlecht sind. Es ist darauf hingewiesen worden, daß das schon des öfteren und an diesen und jenen Stellen so gewesen sei. Die Erfahrungen sind so schlecht, daß man nur sagen kann: vestigia terrent, man möge endlich einmal die Hand davon lassen.
Zum dritten und letzten gehen unsere Bedenken dahin, daß es nicht Aufgabe der Beiträge zu den Krankenkassen sein kann, zusätzlich aus Mitteln der Kassen eine Teilaltersversorgung für die Kassenärzte aufzubauen; denn die Dinge werden - man mag es drehen und wenden, wie man will - auf die Kassen und auf die Versicherten zukommen. In der Abrechnung zwischen den Kassen und den. Ärzten wird immer nur das gezählt werden, was der Arzt zur freien Verfügung bekommt, und nicht das, was ihm zwangsweise einbehalten wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer dieser Debatte über diesen sicherlich wichtigen Gegenstand folgt, der könnte beinahe den Eindruck haben, daß wir heute und hier an dieser Stelle eine Altersversorgung 'der Ärzte r schüfen.
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Das ist aber doch beileibe nicht der Fall. Auch alle die Gefahren und Schwierigkeiten, die von den verschiedenen Rednern gegen die Ausschußfassung angeführt werden, sind heute und hier nach meiner Überzeugung nichtangebracht. Wir reden sonst immer bei jeder Gelegenheit so sehr viel und gern von den Funktionen und den Zuständigkeiten der Selbstverwaltung der betreffenden Berufsstände usw. Aber hier, wo der Gesetzgeber nichts anderes tut, als den Kassenärztlichen Vereinigungen in einer Kann-Vorschrift die Möglichkeit, die Ermächtigung zu geben, durch Satzung solche Alterseinrichtungen zu schaffen, da schreien wir zetermordio. Was der Herr Kollege Ruf vorhin ausgeführt hat - ich will darauf im 'einzelnen nicht mehr eingehen - und auch was der Herr Bundeswirtschaftsminister zu diesem Thema gesagt hat, geht ja an den tatsächlichen Gegebenheiten nicht unwesentlich vorbei. Weil es eben so ist, daß wir es hier nur mit einer Kann-Bestimmung zu tun haben, und wirr auf diesen Punkt in der dritten Lesung noch einmal zurückkommen, möchte ich das Hohe Haus bitten, der Ausschußvorlage zuzustimmen. Erst dann sind alle diese Überlegungen am Platze, wenn diese Dinge von den zuständigen Versammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen zu entscheiden sind, wenn diese ihre diesbezüglichen Satzungsvorschriften treffen oder wenn sie darüber befinden, ob sie eine 'irgendwie geartete Kollektivabmachung mit der privaten Versicherung treffen wollen, oder wenn sie etwas anderes tun; aber heute nicht.
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Deshalb möchte ich Sie nach einmal bitten: Stimmen Sie der Ausschußvorlage zu, die gar nichts anderes beinhaltet als eine Vollmacht, eine Ermächtigung an die Kassenärztlichen Vereinigungen, wenn sie es für richtig halten, in ihren Satzungen demnächst derartige Vorschriften zu treffen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung zu den versicherungstechnischen Grundsätzen. Die versicherungstechnischen Grundsätze, die Sie in Ihrem Eventualantrag fordern, sollen doch sicherstellen, daß der letzte Berechtigte dann, wenn kein Zugang an jungen Versicherten mehr vorhanden ist, noch seine Leistung der Altersversorgung erhält.
({0})
Dieser Zugang - darin unterscheiden wir uns - von jungen Ärzten ist aber durch die Grundsätze, die wir mit diesem Gesetz beschließen, durch die Errichtung der Kassenärztlichen Vereinigung und durch die soziale Krankenversicherung ad infinitum gewährleistet. Deshalb bedarf es nicht dieser versicherungstechnischen Grundsätze.
Noch ein Wort zu meinem Fraktionskollegen Seuffert. Herr Kollege Seuffert hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Gewährleistung der Altersversorgung könne keine Aufgabe der Krankenversicherung sein. Aufgabe der Krankenversicherung ist es aber, sicherzustellen, daß für die kassenärztliche Versorgung Ärzte in einer gesun({1})
den Altersmischung zur Verfügung stehen. Diesen gesunden Altersaufbau der Ärzte sichern wir, indem wir eine Altersversorgung für die älteren Ärzte gewährleisten.
({2})
Meine Damen und Herren, die Liste der Versicherungsexperten dieses Hohen Hauses scheint erschöpft zu sein. Ich darf dann zur Abstimmung kommen über den Änderungsantrag der Abgeordneten Ruf, Dr. Böhm ({0}), Geiger ({1}) und Genossen auf Umdruck 364*) Ziffer 1, nach dem in § 3681 der Abs. 5 gestrichen werden soll. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme nun zur Abstimmung über den Eventualantrag auf dem gleichen Umdruck 364, Ziffer 2. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme dann zur Abstimmung über den § 3681 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 368 m, dazu den Umdruck 358**) Ziffer 2. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Etzenbach!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz in der vorliegenden Ausschußfassung macht die Inanspruchnahme der Üniversitäts-Polikliniken ausschließlich von dem Vertragswillen der Kassenärztlichen Vereinigung abhängig. Die Tatsache, daß zur Zeit eine Reihe von Universitäts-Polikliniken in vertragslosem Zustand mit den Kassenärztlichen Vereinigungen stehen, beweist, daß eine solche Regelung unmöglich ist. Ein andauernder vertragsloser Zustand gefährdet, wie der Deutsche Fakultätentag in einem Bericht vom 24. Februar 1955 ausführt, die Lehr- und Forschungstätigkeit der Polikliniken in höchstem Grade. Er bedeutet, falls keine Abhilfe gefunden wird, für sie eine tödliche Bedrohung. Die Polikliniken sind nicht in der Lage, ihre Aufgabe in Lehre und in Ausbildung der jüngeren Ärzte zu erfüllen, wenn ihnen letztlich nur noch die Betreuung der Fürsorgeempfänger und eines an sich zahlenmäßig kleinen Kreises von sogenannten Selbstzahlern übrigbleibt.
Ich bitte Sie daher, dem Änderungsantrag Umdruck 358 Ziffer 2 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, diesen Antrag abzulehnen. Es geht nicht darum, den Universitäts-
Polikliniken die Vorstellung von Erkrankten möglich zu machen. Die Universitäts-Polikliniken haben als Lehr- und Forschungsstätten diese Vorstellung nötig, um ihre Studenten in der Erkennung menschlicher Erkrankungen auszubilden.
*) Siehe Anlage 6. **) Siehe Anlage 4.
Daran hat es nie gefehlt. Dieses Menschenmaterial - man verzeihe mir den häßlichen Ausdruck - hat den Universitäts-Polikliniken immer zur Verfügung gestanden. Auch hier dreht es sich wieder um eine Kostenfrage. In der deutschen Krankenversicherung herrschen ganz bestimmte Vorstellungen von dem Ausmaß des Notwendigen und Zweckmäßigen in der Behandlung des Kranken. Das Ziel der Behandlung und der Umgang mit kranken Menschen in den Universitäts-Polikliniken sind besonderer Art. Dort wird nicht nach der Methode gesucht, mit der man am zweckmäßigsten und preiswertesten zum Ziel kommt, sondern dort wird der Kranke „demonstriert". Das ist nun einmal die Aufgabe einer solchen Klinik. Dort wird unterrichtet und dargestellt und deshalb auch wiederholt und noch einmal wiederholt. Es geht nicht an, dafür Vergütungen zu verlangen, zudem Vergütungen, die der Sache nach der Herr Kultusminister zu leisten hat, der ja die Kolleggelder für die Ausbildung seiner Studenten einkassiert.
Meine Damen und Herren, die Forderung, daß die Sachleistungen, die von den Universitätskliniken ausgeführt werden, nach festen Sätzen vergütet werden sollen, empfindet die deutsche Kassenärzteschaft einfach als eine brutale Infamie. Die Pauschalabrechnung hat bekanntlich dazu geführt, daß die Kassenärzte das wirtschaftliche Risiko der Morbidität zu tragen haben. Sind viele Leute krank, bekommen sie wenig Geld; sind wenig Leute krank, bekommen sie etwas mehr. Ausgerechnet die Universitäts-Polikliniken sollen aber Anspruch darauf haben, besser bezahlt zu werden als die Kassenärzte, und die Garantie eines Fixums erhalten!
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hubert.
Meine Damen und Herren! Ich habe zu diesem Antrag eine etwas andere Einstellung als Herr Kollege Hammer. Ich bin der Meinung, daß die Formulierung, wie wir sie in der Ausschußvorlage vor uns liegen haben, nicht genügt, den Unterricht an den Universitäten in der richtigen Weise zu gewährleisten. Hier ist nur von Verträgen die Rede, die mit den Universitäten geschlossen werden sollen. Solche Verträge gibt es auch heute schon. Aber diese Verträge sind sehr unterschiedlich. Es gibt Verträge, die den Polikliniken durchaus die Gewähr geben, daß genügend Patienten in diese Kliniken kommen. Es gibt andererseits Verträge - es gibt sogar vertragslose Zustände -, die die Zahl der Kranken, die in die Poliklinik kommen dürfen, etwa auf 20 000 im Jahr oder eine ähnliche Zahl beschränken. Es gibt Verträge, die einen so starken Überweisungszwang ausüben, daß in die Polikliniken kaum noch sogenannte Erstbehandlungsfälle kommen; daß nur noch Patienten hinkommen, die eigentlich schon über den praktischen Arzt hinausgewachsen sind. Es ist aber, glaube ich, gerade im Interesse der Ausbildung unserer Ärzte wichtig, daß in den Universitäts-Polikliniken auch die kleinen Leiden, die Anfangsleiden untersucht und behandelt werden können.
Selbstverständlich ist die Behandlung und Untersuchung in den Polikliniken eine etwas andere, als wir sie in den Krankenhäusern haben. Aus diesem
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Grunde habe ich ein gewisses Bedenken gegen die zweite Hälfte des Antrags der Kollegen Etzenbach und Kunze, wonach die Vergütung für die Sachleistungen der Polikliniken zu den Vergütungen, die für die Krankenhäuser gezahlt werden, in Beziehung gesetzt wird. Hier hat der Kollege Hammer recht, in den Universitäts-Polikliniken werden natürlich auch manche Untersuchungen durchgeführt, die nicht nur der Heilbehandlung, sondern eben auch der Forschung dienen und die infolgedessen auf eine andere Weise honoriert werden müssen. Wir haben aber in diesen Verträgen da, wo sie gut sind, solche Sonderregelungen, die auf die besondere Art der Behandlung in den Polikliniken Rücksicht nehmen. Die Polikliniken müssen ja auch eine ausreichende Anzahl von Patienten haben, um Beobachtungen über Mißerfolge und Erfolge von Behandlungsweisen durchführen zu können. Das gilt heute gerade für die Behandlung der Rentner, an denen die Abnutzungserscheinungen, die uns so viele Sorgen machen, besonders studiert werden können. Auch deren ausreichende Versorgung in Polikliniken muß gewährleistet sein.
Ich bin daher der Meinung, daß der Gesetzgeber, der doch Richtlinien für die Verträge geben sollte, die Regelung nicht so offenlassen darf, wie es in der Ausschußfassung steht. Da wir aber gegen die Verknüpfung der Vergütung mit der Vergütung für die Krankenhäuser gewisse Bedenken haben, behalte ich mir vor, in der dritten Lesung zu diesem Paragraphen einen Änderungsantrag zu stellen.
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Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 2 des Umdrucks 358, Änderungsantrag der Abgeordneten Etzenbach, Kunze ({0}), Höfler, Dr. Willeke und Genossen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich darf die Abstimmung wiederholen und die Damen und Herren, die dem Antrag zustimmen, bitten, sich von den Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 368 m in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der § 368 m ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 368 n, 368 o und 368 p. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; die Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 3. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich lasse noch einmal abstimmen über Art. 1 als Ganzes. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. 2, - Art. 3, - Art. 4, - Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. - Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Herr Abgeordneter Dr. Preller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben in der zweiten Lesung dieses Gesetzes die Wiederholung dessen erlebt, was schon im Ausschuß vor sich gegangen ist: daß wir diesmal nicht so sehr fraktionsmäßig, sondern nach ganz bestimmten Gesichtspunkten innerhalb der Fraktionen verschieden abgestimmt haben. Ich halte das für eine sehr schöne und demokratische Sache und möchte es deshalb ganz besonders erwähnen. Ich erwähne es aber auch deshalb, weil die Stellungnahme, die ich nun für meine Fraktion in der dritten Lesung vorzutragen habe, selbstverständlich unter diesem Tatbestand steht, daß, wie auch in den anderen Fraktionen, bei uns nicht völlige Einmütigkeit in Einzelheiten besteht. Das heißt, wir haben bei aller grundsätzlichen Zustimmmung zu diesem Gesetz doch einige Vorbehalte zu machen, teilweise solche, die bereits in der zweiten Lesung vorgebracht worden sind, teilweise andere, die ich hier kurz erwähne.
Das eine, was, glaube ich, nunmehr herausgehoben werden muß, ist, daß dieses Kassenarztgesetz keinesfalls etwa als ein echter Beginn der Sozialreform, die wir alle gern haben möchten, bezeichnet werden kann. Ich erwähne dies, weil Herr Ministerialdirektor Eckert vom Bundesarbeitsministerium, der ja unterdessen in den verdienten Ruhestand getreten ist, bei einer früheren Gelegenheit einmal ausgeführt hat, daß dieses Kassenarztgesetz und das Rentnerkrankenversicherungsgesetz die Anfänge - die Grundsteine, wie er damals sagte - der kommenden Sozialreform sein würden. Nun, wie bei der Rentnerkrankenversicherung, so scheint uns das auch für dieses Gesetz nicht zuzutreffen. Wenn an eine Reform der Krankenversicherung und des Gesundheitswesens gedacht werden kann, so ist zwar das Kassenarztrecht dafür sehr wichtig; aber wir können es, glaube ich, in der Form, wie es hier vorgelegt wird, kaum als einen Eckstein dieser Reform bezeichnen. Ein Eckstein würde vielmehr in einer Verbesserung für die Versicherten im Rahmen des Krankenversicherungs- und des Gesundheitswesens zu liegen haben. Dabei würde es erforderlich sein, daß das gesamte Gesundheits- und Heilwesen endlich nicht, wie bisher in der Reichsversicherungsordnung, allein auf den Begriff der Krankheit abgestellt wird, sondern positiv auf den Begriff der Gesundheit.
Die Frage einer echten Reform würde also nicht wie bisher lauten: Wo bist du krank? sondern: Wie kannst du gesund bleiben? In diesem Rahmen hat natürlich die Tätigkeit der frei praktizierenden Ärzte eine außerordentliche Bedeutung. Aber gerade davon ist in der vorliegenden Vorlage kaum die Rede. Einmal, im § 368 p, werden den Landesausschüssen auch gewisse vorbeugende Regelungen ans Herz gelegt. Aber das, was noch die Begründung zu der ersten Regierungsvorlage im 1. Bundestag ausgeführt hat, nämlich daß zu den obersten Grundsätzen der Neuregelung des Kassenarztrechts auch die besondere Beachtung der vorbeugenden Gesundheitspflege gehören solle, ist in diesem Entwurf praktisch. unter den Tisch gefallen. Ich habe also festzustellen, daß wir hier keine echte
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Reform der Krankenversicherung vor uns haben, sondern ein Teilgebiet wird aus Zwang und Notwendigkeit geregelt.
Auf der anderen Seite habe ich immerhin meine persönliche Genugtuung darüber auszusprechen, daß auf Grund jenes Vorschlages zur Vorbeugung, der in der Öffentlichkeit unter meinem Namen diskutiert wird, diese Frage im Ausschuß unter einstimmiger Annahme einer Entschließung besprochen worden ist, die ganz allgemein die Bedeutung der Gesundheitsvorsorge für die Arbeit der Bundesregierung und für die kommende Sozialreform hervorhebt. Ich darf wohl hoffen, daß diese Entschließung im Plenum die gleiche einstimmige Annahme wie im Ausschuß findet.
Ich habe betont, daß über diese Angelegenheiten in der Vorlage praktisch nicht gesprochen worden ist. In dieser Vorlage kam und kommt es nur darauf an, die Rechtsgrundlage im Verhältnis zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen zu regeln. Wir müssen, wie die zweite Lesung deutlich gezeigt hat, zu einer Kompromißlösung zwischen verschiedenen Interessenstandpunkten kommen. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich - daß ist in der zweiten Lesung mehrfach betont worden - in erster Linie von dem Interesse der Versicherten leiten lassen. Wir glauben, daß das Interesse der Versicherten darin besteht, ihnen erstens möglichst viele und gute Ärzte zur Verfügung zu stellen, zweitens den Heilungsprozeß nach bester medizinischer Erkenntnis sich vollziehen zu lassen, drittens aber - darauf kommt es ebenfalls an - erhöhte und überhöhte Kosten zu vermeiden. Hierzu darf ich in der dritten Lesung noch einmal ganz klar herausstellen, was wir vorhin schon besprochen haben: es darf nicht dahin kommen, daß etwa eine Erhöhung der Beiträge oder eine Verminderung der Mehrleistungen in Betracht gezogen werden muß, um die Honorierung der Ärzte mit diesen Mitteln zu gewährleisten. Ich weiß mich hier mit den Damen und Herren aus den anderen Fraktionen dem Grundzug nach einig; ich glaube aber, daß die Akzentuierung dieses Standpunktes in den Fraktionen etwas verschieden ist. Es handelt sich - das muß ich noch einmal hervorheben - darum, daß diese Mehrleistungen die Krankenhauspflege, die Haushaltshilfe, das Heilverfahren, die Genesendenfürsorge und vor allem im Grundzug die wesentlichen Leistungen für die Familienangehörigen umfassen. Zwischen diesen wichtigen Mehrleistungen auf der einen Seite und dem zweifellos ebenso berechtigten Verlangen der Ärzte nach einer ausreichenden Honorierung auf der anderen Seite einen Ausgleich zu schaffen, ist das Problem. Weder darf die Regelung der Heilungskosten sich auf dem Rücken der Kassenärzte vollziehen, noch darf die Bezahlung der Ärzte zu Lasten der sonstigen Heilmaßnahmen - ich sage gar nicht allein der Versicherten - erfolgen. Uns kommt es darauf an, als, ich möchte sagen, ehrliche Makler diesen Ausgleich zwischen zweifellos verschiedenartigen Interessen herbeizuführen.
Die Prinzipien, die ich eben genannt habe und die die gesamte SPD-Fraktion geleitet haben, haben nun dazu geführt, daß wir in der Fraktion, und zwar unter Zurückstellung mancher Bedenken, die hier vorliegen, uns dazu verstanden haben, einmal der Herabsetzung der Verhältniszahl auf 1 : 500 Versicherten zuzustimmen und zweitens uns als Fraktion für die Zwangsschlichtung zu entscheiden. Die Abstimmung vorhin hat gezeigt, daß in diesem Punkte innerhalb unserer Fraktion nicht völlige Einmütigkeit herrscht. Sie werden gesehen haben, daß ich den schon im Ausschuß vertretenen Standpunkt auch hier in der Abstimmung wieder eingenommen habe aus Gründen, die ich für mich selbst und für eine Anzahl von Freunden aus der Fraktion dahin präzisieren möchte, daß wir nach wie vor Bedenken haben, eine Zwangsschlichtung dort durchzuführen, wo wir nach unserer persönlichen Auffassung mit einem elastischeren System einer Schiedsvereinbarung durchkommen könnten. Sie wissen, daß die Gruppe, um die es sich hier handelt, Bedenken hat aus der Erfahrung der Weimarer Zeit mit jenem anderen System der Zwangsschlichtung und der Verbindlicherklärung, die uns damals im Arbeitsrecht zu sehr unschönen Zuständen geführt hat.
Grundlage unserer Entscheidung als Fraktion war drittens, daß wir die Einzelleistungshonorierung zwar als ein Experiment ansehen, daß wir aber die Möglichkeit bieten wollten, dieses Experiment eben einmal durchzuführen, obwohl wir uns darüber völlig im klaren waren, daß damit das grundlegende System der Vorlage durchbrochen wird. Wir werden die Auswirkungen dieser Experimente abwarten müssen. Insbesondere müssen wir - das möchte ich wiederum für meine Fraktion betonen - mit Sorgsamkeit beobachten, ob nicht doch die Befürchtungen der Krankenkassen zutreffen, daß mit dem System der Einzelleistungshonorierung und mit der Herabsetzung der Verhältniszahl eine Erhöhung der Gesamtkosten und hier besonders natürlich auch der Arztkosten verbunden ist, die für die Krankenkassen als Ganzes und damit für die Versicherten vielleicht doch nicht tragbar sind. Wir möchten - das betone ich - das Ergebnis abwarten, aber wir möchten gerade in dieser dritten Lesung auch die Bedenken, die hier vorliegen, nicht verschweigen, sondern klar herausstellen. Über diese und andere das Ärztewesen als Gesamtes berührenden Fragen wird mein Kollege Bärsch voraussichtlich noch einiges sagen wollen.
Nur noch ein Wort zu der Unruhe, die in der gesamten Öffentlichkeit - oder sagen wir besser: in einer interessierten Öffentlichkeit - im Zusammenhang mit dieser Vorlage eingetreten ist. Daß Verhandlungen, die sich praktisch mit dem Schicksal von 80 % der gesamten Bevölkerung beschäftigen und die die weitaus überwiegende Zahl aller Ärzte, zum mindesten aller frei praktizierenden Ärzte, betreffen, eine breitere Öffentlichkeit interessieren, halte ich für sehr gut. Wir sollten darauf sehen, daß wir nicht nur in unserem Kreise von 500 Abgeordneten im Parlament diese Dinge behandeln, sondern mit Aufmerksamkeit verfolgen, was im vorparlamentarischen Raum geschieht. Das ist meines Erachtens beste Demokratie, und insofern ist die Aufmerksamkeit, die gerade dieses Gesetz draußen gefunden hat, nicht nur nicht zu beklagen, sondern zu begrüßen. Aber auch hier gibt es ein Aber, und das halte ich nun wirklich für beklagenswert: nicht etwa, daß die Öffentlichkeit interessiert worden ist, sondern die Art, in der diese „Interessierung" verschiedentlich vorgenommen worden ist.
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Was hier nach dem Schneeballsystem von bestimmter und uns durchaus bekannter Seite praktiziert und organisiert worden ist - in der Form, daß wir mit rund 2000 Telegrammen überschüttet wor({2})
den sind -, das wird, wie ich weiß, nicht nur von meiner Fraktion, sondern auch von den anderen Fraktionen und ebenso von der überwiegenden Zahl der Ärzte in dieser Form nicht gebilligt.
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Ich glaube, sagen zu können, daß das Gegenteil von dem bewirkt wurde, was vielleicht beabsichtigt worden war, denn es handelte sich offenbar um eine Übertreibung.
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Ich möchte auch anführen, daß in einer Pressekonferenz gesagt worden ist, den 31 000 Kassenärzten stünden rund 37 000 Angestellte der Krankenversicherung, der Krankenkassen gegenüber. Ich weiß nicht, ob die Zahl von 37 000 Angestellten stimmt; aber zufällig steht sie in ;einer bestimmten Relation zu der von meinem Kollegen Dannebom in der zweiten Lesung genannten Zahl von rund 37 Millionen Versicherten und ihren Familienangehörigen, die von der sozialen Krankenversicherung erfaßt wenden. Meine Damen und Herren, das heißt doch, daß auf je 1000 Versicherte 1 Krankenkassenangestellter kommt! Das ist die richtige Relation und nicht jene, die dort für die Ärzte genannt worden ist. Ich glaube, wir müssen die Ärzte vor solchen falschen Behauptungen in Schutz nehmen.
Ähnliches ist noch zu Romanen und Theaterstücken zu sagen, die wir im Zusammenhang mit diesem Gesetz erlebt haben. Ihre demagogischen Absichten sind so offenbar, daß ich nicht anstehe, zu sagen, es handelt sich um eine Art von Volksverdummung, die hier betrieben worden ist. Ich glaube, wir können uns freuen, daß sich auch die Ärzteschaft gegen solche Machenschaften gewendet hat. Wir müssen die Ärzte vor solchen Machenschaften in Schutz nehmen. Schließlich handelt es sich doch darum, rob und wie die Gesundheit der deutschen Bevölkerung erhalten und ihre beste Heilung bei Erkrankung erreicht werden kann. Das ist das Problem, um das es geht; aber Überschriften nach Art von Kriminalschmökern -„Weil du arm bist, mußt du eher sterben" - dienen mehr der Volksvergiftung als der Volksaufklärung.
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Wir warten noch auf die Erklärung des Herrn Bundesarbeitsministers, der uns eine Aufklärung über die vermutlich recht dunklen Hintergründe dieser Angelegenheit geben wollte; der Autor konnte ja angeblich auch anders. Ich freue mich, feststellen zu können, daß nicht nur das Parlament, sondern auch weite Kreise der Ärzteschaft solche Methoden ablehnen, und zwar gerade solche, die sehr ernstzunehmende Sorgen um die Entwicklung des Arztberufs haben. Diesen ernsthaften Sorgen steht die sozialdemokratische Fraktion mit einem ebenso ernsthaften Willen zur Hilfe für einen wichtigen Beruf gegenüber.
Aber wir müssen uns noch einmal klarmachen, worum es eigentlich geht: darum nämlich, daß durch die Bismarcksche Sozialversicherung oder, wenn Sie wollen, durch die Bismarcksche Konzeption der Sozialversicherung eine innere Verknüpfung zwischen der Tätigkeit großer Teile der Ärzteschaft und den Krankenkassen vorgenommen worden ist und daß wir diese Verknüpfung in keiner Weise außer acht lassen können. Was der Kassenarzt medizinisch veranlaßt, ist von der Krankenkasse zu bezahlen. Diese Zahlungen gehen, wie wir alle wissen, letzten Endes aus der Tasche der Versicherten. Wir hatten als Gesetzgeber bei diesem Gesetz, ich stehe nicht an, zu sagen: im Grunde die unlösbare Quadratur des Kreises zu lösen, wenn wir diese beiden zweifellos verschiedenartigen Interessen in irgendeiner Weise zusammenfügen sollten. Das Gesetz konnte und kann auf keinen Fall allen drei ibeteiligten Seiten, den Ärzten, den Kassen und den Versicherten- ich unterscheide auch zwischen Kassen und Versicherten -, eine volle Befriedigung geben. Alle drei beteiligten Gruppen sollten nach unserer Auffassung zunächst einmal ehrlich und ohne Übertreibungen 'den Versuch machen, sich auf der Grundlage dieses Kompromisses einzurichten. Das darf ich insbesondere auch zur ärztlichen Seite sagen. Manches Kompromiß ist nämlich im Grunde zweifellos zugunsten der Ärzte gegangen. Dieses Bemühen sollte anerkannt werden und nicht durch jene vorhin 'apostrophierten überspitzten Forderungen etwa nach dem Motto: ,,Je mehr du forderst, desto mehr bekommst du", praktisch sabotiert werden.
In ;diesem Zusammenhang möchte ich noch etwas zur Altersversorgung sagen. Sie haben vorhin gespürt, daß nicht nur in Ihrer Fraktion, sondern auch in unserer sehr verschiedenartige Auffassungen zu idiese Frage vorhanden sind und daß insbesondere nicht nur sachliche, sondern auch verfassungsrechtliche Bedenken zu überwinden waren. Ich möchte hierzu aber noch ein Weiteres sagen. Es war für die sozialdemokratische Fraktion zu überlegen, ob überhaupt für einen wenn auch noch so beträchtlichen Teil der frei praktizierenden Ärzte eine gesonderte Altersversorgung eingeführt werden sollte, ob es - und hier weiß ich nicht, ob der Kopfnicker mir jetzt noch zustimmen wird - richtig und für die Beteiligten gut ist, nach dem Gesichtspunkt eines Standes einen Teil der Selbständigen gesondert zu erfassen.
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Es handelt sich hier nicht um Standesinteressen, sondern es handelt sich um sehr beachtliche Versorgungsinteressen von alt gewordenen Selbständigen.
({7})
Diese sind zu regeln, und das halten wir allerdings für durchaus geboten, und zwar, wie mein Kollege Schellenberg ausgeführt hat, nicht nur um jener Ärzte, sondern zugleich auch um der Versicherten willen. Das ist aber ein Anliegen der Allgemeinheit, nachdem ja die Frage der Altersversicherung oder -versorgung nicht nur bei den Ärzten akut ist, sondern, wie wir kürzlich gesehen haben, ebenso bei den Rechtsanwälten, bei den Handwerkern, bei den Bauern und bei einer großen Zahl anderer Gruppen von Selbständigen, bei denen diese Frage: Was geschieht mit uns, wenn wir alt sind?, nachdem wir Erfahrungen mit der Inflation gemacht haben, heute eine bedeutende Rolle spielt.
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Wir hätten es deshalb von unserem Standpunkt aus lieber gesehen, wenn diese Frage zusammenhängend für die gesamten Selbständigen außerhalb von Spezialgesetzen in Angriff genommen worden wäre.
Wir hatten aber umgekehrt keine Veranlassung, uns nun hier gegen die Vorlage zu wenden, insbe({9})
sondere deshalb, weil ja der Text dieses fraglichen Absatzes Verbindungen der ärztlichen Altersversorgungseinrichtungen zu anderen Systemen der Altersversorgung durchaus ermöglicht und insofern also auch einem weiter gefaßten System der Altersversorgung der Selbständigen nicht im Wege steht.
Meine Damen und Herren, ich habe nur versucht, für meine Fraktion zusammenfassend auszuführen, wie sie trotz, wie Sie gesehen haben, mancher Bedenken, die bei uns aus verschiedenen Gründen zum Vorschein gekommen sind, zu diesem Gesetzentwurf steht. Ich darf wiederholen: Uns kommt es darauf an, daß die Versicherten die bestmögliche Versorgung im Krankheitsfalle erhalten. Ihre ärztliche Versorgung ist das Motiv, von dem wir uns bei Betrachtung dieses Gesetzes haben leiten lassen, und um der Versicherten willen wird die Mehrheit meiner Fraktion diesem Gesetz auch zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Moerchel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie dadurch enttäuschen, daß ich nicht so viel Zeit in Anspruch nehme wie unser verehrter Kollege Preller.
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Vielmehr will ich mich hier vor der dritten Lesung auf die wichtigsten Punkte und die grundsätzlichen Fragen beschränken.
Bei diesem Gesetz handelt es sich, vorab gesagt,
nicht um einen Teil der Sozialreform. Es ist falsch, zu sagen, daß man dieses Gesetz zurückstellen soll, bis man an die Beratung einer Sozialreform herangeht. Seit 1945, also vor zehn Jahren, haben sich die Verhältnisse in den Beziehungen zwischen den Ärzten und den Krankenkassen so entwickelt, daß nunmehr ein gewisser Abschluß sichtbar ist, daß es nun einer gesetzlichen Regelung bedarf, um den Arbeitsfrieden unter den Vertragspartnern und auf der anderen Seite die Versorgung des großen Kreises der Versicherten für die Zukunft - nicht für die Ewigkeit - sicherzustellen. Ich darf also feststellen, daß mit diesem Gesetz einer Reform der Sozialversicherung nicht vorgegriffen wird.
Wir haben uns allerdings in diesem Zusammenhang mit Reformvorschlägen und -plänen zu befassen. Herr Kollege Professor Preller hat in anschaulicher Weise sowohl im Ausschuß als in der Öffentlichkeit und hier nunmehr noch einmal von solchen Reformplänen gesprochen. Ich darf hier gleich anschließen und auf diese Pläne und Reformgedanken zu sprechen kommen. Ziel einer Reform muß doch sein, die Leistungen zu verbessern und auf der andern Seite die Verantwortung aller Beteiligten, also auch des Versichertenkreises, zu stärken und diese Selbstverantwortung in irgendeiner Form - ({1})
- Ich will mich durch den. Zwischenruf nicht aus dem Konzept bringen lassen.
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Herr Professor Schellenberg, wir haben uns ja mit
der Rentnerkrankenversicherung wiederholt beschäftigt. Wir können uns gerne anderenorts mit dieser Frage 'beschäftigen, und wir werden es auch tun. Wir wollen aber nicht verhehlen, daß diese Stärkung der Selbstverantwortung auch des Versichertenkreises notwendig ist.
Sie wissen, daß sich die Beziehung zwischen den Ärzten und Krankenkassen auf den § 368 der Reichsversicherungsordnung gründet. Wenn all die Forderungen berücksichtigt werden sollen, die an uns von allen Seiten herangetragen worden sind, dann müßte man sich um die Reform anderer Paragraphen der Reichsversicherungsordnung kümmern, möglicherweise z. B. um eine Reform des § 182, der §§ 165, 176 und 178. Aber das wird ja anderenorts besprochen werden. Ich sage das deshalb, damit man nicht Verbindungen zwischen Themen schafft, die zwangsläufig bei der Regelung der Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen nichts zu suchen haben.
Wesentlich ist, bei dieser Gelegenheit festzustellen, daß es nach 1945 möglich gewesen ist, die Versorgung dieser großen Zahl von Versicherten sicherzustellen, und zwar war dies möglich infolge der einsichtsvollen Haltung beider Vertragspartner, infolge der Einstellung der gesamten deutschen Ärzteschaft, die unter den Bedingungen damals gearbeitet hat, die uns bekanntgemacht worden sind und die wir alle sattsam kennen. Wir dürfen nicht vergessen, daß es die Krankenkassen gewesen sind, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Versuch unternommen haben, keinen Krieg ausbrechen zu lassen, der sich zu einem Nachteil der Versicherten und unserer Patienten auswirken müßte. Ich darf am Schluß meiner Ausführungen darauf noch kurz zu sprechen kommen.
Nun hat Professor Preller von all den Interessen der Versicherten gesprochen. Er hat uns seinen Plan dargelegt und dabei ein wesentliches Problem berührt, das in der Einzelbetrachtung dieses Gesetzes eine zentrale Rolle gespielt hat. Sie haben gesagt, daß man sich bei der Verhältniszahl - also bei der Zahl der Ärzte, die für die soziale Krankenversicherung tätig sind - zu überlegen hat, ob man nicht eine große Zahl oder alle Ärzte zulassen könnte, um sie mit einer Aufgabe zu betrauen, wie sie Ihren Wünschen bezüglich einer Krankheiten vorbeugenden Gesundheitspflege entspricht. Ich habe Ihnen bei Gelegenheit zu diesem Punkt gesagt, daß die Mehrzahl der deutschen Ärzte seit eh und je diese Aufgaben der Vorbeugung übernommen und durchgeführt hat, ohne daß sie dazu eines Auftrags des Staates oder von irgendwoher bedurft hätte.
Dies sind vielleicht Angelpunkte in der Problematik der Honorierung, der Verhältniszahl und überhaupt der Stellung des deutschen Arztes in der Gesellschaft oder in Zusammenhang mit der sozialen Krankenversicherung. Wenn wir also die Frage der Honorierung in einer Weise lösen, die den ärztlichen Leistungen entspricht, dann können wir auf die Lösung der Frage der Zulassung im Prinzip verzichten. Es handelt sich daher in diesem Zusammenhang um eine Frage der Honorierung und nicht um eine Frage der Bedürfnisprüfung oder um andere damit zusammenhängende Komplexe.
Ich meine also, da wir es mit ganz festen Aufgabengebieten zu tun haben, müssen wir uns mit den Gegebenheiten abfinden und müssen den beiden vorhandenen Monopolen, dem Monopol der
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Versicherung und dem der Behandlung, die Spielregeln zeigen, nach denen sie sich zu richten haben. Damit haben wir eine wesentliche Frage schon angeschnitten, nämlich die Frage, ob es möglich ist, durch ein Schieds- oder Schlichtungsverfahren, wie es in dem Antrag von Professor Böhm vorgesehen ist, eine Lösung zu finden. Ich darf hier kurz darauf hinweisen, daß jede Überlegung in dieser Richtung darauf hinausläuft, zum Einzelarztvertrag zurückzukehren, d. h. die Zeitgeschichte um 40 Jahre zurückzudrehen. Wenn man nämlich die Vertragsfreiheit fordert, dann muß man gerechterweise diese Vertragsfreiheit allen Partnern zubilligen. Es ist aber nicht möglich, die Zeitgeschichte zurückzudrehen. In jedem Falle steht aber die Konsequenz der §§ 370 und 372 vor uns, die es den Krankenkassen erlaubt, bei Nichtzustandekommen eines Vertrages oder für den Fall, daß die eine Seite den Vertrag nicht einhält, besondere Maßnahmen zu beschließen. Da sich hier eine Nebenmöglichkeit der Behandlung auftut, müssen wir uns zu einer Regelung bekennen, wie sie 'im Gesetz vorgesehen ist. Es handelt sich hierbei nicht etwa um die Vergewaltigung eines freien Berufes es handelt sich nicht um die Einführung neuer Maßnahmen, sondern es handelt sich lediglich darum, den Modus, wie er bis 1945 bestanden hat, in einer Weise zu ändern, die einer freiheitlichen Regelung dieser Materie am besten entgegenkommt.
Wir dürfen außerdem bei der Betrachtung dieses Problemes nicht vergessen, daß es in Deutschland einen gewaltigen Ärzteüberschuß gibt und daß wir uns mit diesen Kollegen zu beschäftigen haben. Ich bin allerdings der Auffassung, daß das Kassenarztrecht nicht der Platz ist, um über die Ausbildungsmöglichkeiten oder die Frage des ärztlichen Nachwuchses zu diskutieren,
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sondern ich bin der Meinung, daß man die Frage des ärztlichen Nachwuchses in einem europäischen oder weltweiten Sinne zu regeln hat. Erlauben Sie mir den kleinen Seitenblick: Für den Fall, daß wir den andern Teil unseres Vaterlandes wiederbekommen, werden wir genug Kollegen als Ärzte benötigen, um dort die Aufgaben dieses Berufs erfüllen zu können.
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Wir haben gar keinen Grund, uns Sorgen zu machen, daß es auf diese Weise zu einem ärztlichen Proletariat komme.
Ich habe damit die wesentlichen Punkte der Verhältniszahl und der Honorierung besprochen. Ich darf noch einmal auf die Bezahlungssysteme eingehen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die anständigste und gerechteste Bezahlung die Bezahlung nach Einzelleistung ist. Es ist allerdings gar keine Frage, daß wir uns mit einer Einzelleistungsbezahlung auf ein Gebiet begeben, bei dem wir zwangsläufig und, wie ich meine, geradlinig zu einer Staatsgesundheitsversorgung kommen, und zwar deshalb, weil die soziale Krankenversicherung nicht das Geld hat, um aus ihren Mitteln die dafür zweifellos notwendigen Beträge aufzubringen. Herr Kollege Preller, hier ist bereits die Brücke zu Ihren Ideen. Hier haben wir anzusetzen und uns bei Gelegenheit Gedanken darüber zu machen. Sie haben leider die Antwort darauf nicht gegeben, woher das Geld für diese Arbeit kommt, die in der Reichsversicherungsordnung nicht vorgeschrieben ist, eine Arbeit, die wir gemeinhin als vorbeugende Gesundheitspflege bezeichnen und die der praktische Arzt immer im Vorbeigehen mitmacht, mitmachen muß und immer mitmachen wird und die er nicht auf dem Krankenschein mit Strichen, oder was weiß ich, welchen Zeichen, vermerkt.
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- Herr Professor Preller, das Haus ist Ihnen dankbar dafür, daß über diese Frage gesprochen wird. Sie haben ja den Sozialpolitischen Ausschuß dazu bewogen, Ihrer Entschließung zuzustimmen. Ich bin sicher, daß auch dieses Hohe Haus in der dritten Lesung Ihrer Entschließung zustimmen wird. Sie besagt doch, daß sich Bundesregierung und Bundestag Gedanken darüber zu machen haben, in welcher Art und Weise man eine vorbeugende Gesundheitspflege verwirklichen kann. Man darf nicht erwarten, daß sie nunmehr das Heil über die Ärzte- oder Patientenwelt bringen wird. Die vorbeugende Gesundheitspflege ist eine alte Idee und wird eine Selbstverständlichkeit bei der Ärzteschaft bleiben.
Ich habe den Ausführungen zu diesen Problemen nur noch wenig hinzuzufügen. Ich möchte zum Schluß nicht verhehlen, daß wir den beiden Vertragspartnern, der Ärzteschaft sowohl als auch den Krankenkassen, Dank dafür schuldig sind, daß beide in vernünftiger Einsicht in die gegebenen Verhältnisse und in der Erkenntnis, daß es nur gemeinsam möglich ist, die Probleme zu lösen, bis heute dem Versicherten gedient haben. Ich bitte deshalb dem Kassenarztrecht in der vorliegenden Fassung zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({0}).
Meine Damen und Herren! Im Rahmen der losen Arbeitsgemeinschaft der Koalitionsparteien hat die Fraktion der Deutschen Partei den Gesetzentwurf Drucksache 528 mit unterzeichnet und eingereicht. Nunmehr haben wir als betont konservative Gruppe das Ergebnis der Ausschußberatungen daraufhin zu prüfen, ob es vom konservativen Standpunkt aus angenommen und unterschrieben werden kann. Ich bin froh, mitteilen zu können, daß die Deutsche Partei im jetzigen Zeitpunkt die Lösung der einzelnen Probleme, wie sie der Ausschuß gefunden hat, akzeptieren kann. Ich betone ausdrücklich: im jetzigen Zeitpunkt.
Wir werten die Gesetzesvorlage, wie sie nunmehr vorliegt und wie wir ihr zustimmen werden, selbstverständlich anders als beispielsweise die Fraktion der SPD. Herr Professor Preller hat in seinen Ausführungen zur dritten Lesung als Experiment bezeichnet, daß nunmehr auch Verträge zwischen den beiden Partnern, den Krankenkassen und den Ärzten, abgeschlossen werden können, welche die Einzelhonorierung der ärztlichen Leistung vorsehen; er hat gewissermaßen einen Vorbehalt ausgesprochen, weil ein gewisses Risiko darin liegen könne. Die Aufnahme gerade dieser Bestimmung aber ist einer der wesentlichen Gründe dafür, daß wir der gesamten Gesetzesvorlage zustimmen; denn wir sehen darin die Aufforderung an die beiden Beteiligten, von dieser Möglichkeit der Einzelhonorierung ärztlicher Leistungen möglichst regen Gebrauch zu machen. Ver(Becker ({0})
träge regionaler Art, die diese Einzelhonorierung vorsehen, sollten vor allen Dingen in bezug auf zahnärztliche Leistungen abgeschlossen werden.
Vielleicht darf ich einmal darauf hinweisen, daß selbst in England, im Lande des nationalen Gesundheitsdienstes, zahnärztliche Leistungen selbstverständlich als Einzelleistungen honoriert werden. Ich sehe nicht ein, warum hier in Deutschland ein besonders großes Risiko darin liegen sollte, wenn wir uns diesem System wieder mehr annähern.
Wenn sich jedoch die Hoffnungen, die wir in dieses Gesetz gerade in dieser Hinsicht setzen, in den nächsten Jahren nicht erfüllen sollten, wenn sich also herausstellen sollte, daß sich die Kassen nicht bereit finden, wenigstens in einzelnen Fällen diese Art Verträge abzuschließen, werden wir, das betone ich ausdrücklich, eine neue Novelle vorbereiten.
Auch in anderer Beziehung scheint uns dieser neue Gesetzentwurf gegenüber den bisher bestehenden Verhältnissen eine wesentliche Auflockerung zu bedeuten. Allein die Möglichkeit, daß doch eine immerhin erhebliche Anzahl von Ärzten zur Kassenpraxis neu zugelassen werden kann,, wird zweifelsfrei zur Entspannung der Lage beitragen.
Nicht einverstanden sind wir mit einer Einzelbestimmung, nämlich mit dem Paragraphen, der sich mit der Vollmacht für die kassenärztlichen Landes- und Bundesvereinigungen befaßt, eine Altersversorgung einzurichten. Ich kann nicht einsehen, daß etwa 51 % der Mitglieder der Versammlung der kassenärztlichen Landesvereinigung gegen die anderen 49 % der Mitglieder sollen bestimmen können, daß eine solche Einrichtung der Altersvorsorge zusätzlich geschaffen wird. Selbstverständlich werden auch die Entschlüsse bei uns im Bundestag nach den Mehrheitsverhältnissen gefaßt. Aber wir haben doch das System der zwei Kammern, haben neben dem Bundestag den Bundesrat, wir haben die sorgsame Prüfung der einzelnen Gesetze. Zweifelsfrei bedeutet eine solche zusätzliche Altersversorgung für den Teil der Ärzte, für den er gedacht ist, eine völlige Neuordnung innerhalb ihrer Berufs- und Versorgungsverhältnisse. Es scheint mir darum etwas ungerechtfertigt, daß hier die einfache Mehrheit genügen sollte. Ich freue mich, daß inzwischen für die dritte Lesung ein Antrag eingebracht worden ist - er wird von uns unterstützt -, nach dem diese einfache Mehrheit durch eine Zweidrittelmehrheit ersetzt werden soll.
Ein Wort möchte ich noch zum Schlichtungsverfahren sagen. Auch in der heutigen Debatte ist wieder so oft das Wort Zwangsschlichtung gefallen. Letzten Endes ist jeder Bürger eines Landes, wenn er Rechtsstreitigkeiten hat, gehalten, sich einer Instanz zu unterwerfen. Ob man das Wort Zwangsschlichtung in diesem Falle unbedingt betonen soll, möchte ich in Frage stellen. Zumindest haben wir nach dieser Ausschußvorlage nicht die staatliche Zwangsschlichtung. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Ich sehe in dieser Lösung, die der Gesundheitsausschuß und unser Ausschuß gefunden haben, eine produktive Leistung. Zwar wird eine Schlichtung festgelegt, aber es ist doch eine Form gefunden worden, die letzten Endes den beiden beteiligten Partnern die Möglichkeit gibt, selbst die oberste Schlichtungsinstanz und den Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses zu bestimmen. Das ist etwas ganz anderes als eine staatliche Zwangsschlichtung, die wir auf anderen Gebieten und in anderen Zeiten gehabt haben. Ich glaube, daß diese
Art des Schlichtungswesens von allen Beteiligten angenommen werden könnte.
Ganz entschieden muß auch ich mich gegen die Methode des moralischen Drucks wenden, der während der Vorbereitungszeit und in den langen Wochen und Monaten der Beratung des Gesetzentwurfs auf die Abgeordneten von verschiedenen Seiten ausgeübt worden ist. Wenn diese Methode der massenhaften Telegrammsendungen nach ostzonalem Muster weiterhin geübt wird, dann ist es gar keine Frage, daß dadurch dem einzelnen Abgeordneten die Prüfung begründeter Eingaben und die Darlegung begründeter Sachverhalte nicht mehr möglich ist. Man muß sich von hier aus immer wieder entschieden gegen diese Methode der Suggestivbeeinflussung wenden. Man muß sich überhaupt wundern, daß es in Deutschland noch immer Kreise und Gruppen gibt, die glauben, daß sich Abgeordnete von dieser Art der Suggestivbeeinflussung und des moralischen Drucks beeindrucken lassen. Dagegen müssen wir uns wenden.
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Zum Abschluß möchte ich noch auf einen Gedanken hinweisen, den Herr Dr. Moerchel schon hat anklingen lassen. Das Problem des Ärztenachwuchses und überhaupt des Arztberufes ist mit diesem Gesetz nicht zu lösen. Ganz richtig ist auch bei der Debatte heute gesagt worden: auch das Problem des Ärzteüberschusses ist ein rein politisches Problem. Herr Professor Preller sagte vorhin, es sei begrüßenswert, daß die Öffentlichkeit mit reger Beteiligung an der Vorbereitung des Gesetzes mitgewirkt habe. Man möchte manchmal hoffen, daß diejenigen Kreise - seien es die Kassen, seien es die Ärzte, aber ich sage es hier nur als Beispiel -, die bei den Spezialgesetzen, an denen sie interessiert sind, sich öffentlich so regen und ihr Interesse so sehr bekunden, ihre Aufmerksamkeit etwas mehr als bisher auch den allgemeinpolitischen Anliegen zuwenden; denn die vielen Spezialprobleme, vor denen wir stehen, und gerade das Arztproblem lassen sich selbstverständlich erst in der Stunde der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes lösen. Wenn wir dieses Gesetz, von dem wir hoffen, daß es eine große Mehrheit erlangen wird, wenn es nicht sogar einstimmig angenommen werden sollte, in diesem Bundestag verabschiedet haben, so dürfen wir erwarten, daß es eines Tages, wenn wir die ganze Materie in gesamtdeutscher Sicht neu regeln müssen, eine gute Arbeitsgrundlage abgeben wird und wir dann für unser gesamtes Vaterland eine Lösung finden ähnlich der, wie sie sich uns im Augenblick darstellt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Freien Demokraten gedenken nicht etwa an der Tatsache vorbeizublicken, daß die deutsche Krankenversicherung die beiden schweren Weltkriege überstanden hat, daß in einer Zusammenarbeit zwischen Kassen und Ärzten unglaubliche Leistungen zum Segen der deutschen Bevölkerung vollbracht worden sind. Wir vergessen auch nicht Einzelheiten. Wir vergessen auch nicht, daß die Kassenärzteschaft allein diesen letzten Weltkrieg gar nicht überstanden hätte, wenn nicht das Pauschalsystem gewesen wäre. Wir verkennen auch nicht, daß die Zusammenarbeit der Organisationsführer, der vielgeschmähten Funk({0})
tionäre auf beiden Seiten doch sehr viel Glückliches gebracht hat.
Es ist aber unmöglich, daß wir Freien Demokraten mit diesen Feststellungen die Beratung dieser Gesetzesvorlage unsererseits abschließen. Wir sind als die Erben unserer liberalen Ahnen verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß das Gesamtbild der deutschen Sozialversicherung uns höchst unerquicklich vorkommt. Wir wissen, was alles uns nicht behagt. Darf ich erinnern an die Zwangsmitgliedschaft bei einzelnen Kassentypen, an die Unmöglichkeit des Kassenwechsels? Darf ich daran erinnern, daß mit dem Jahre 1911 die letzte genossenschaftliche, freiwillig gegründete Kasse durch die Reichsversicherungsordnung ausgelöscht worden ist? Darf ich daran erinnern, daß seit vielen Jahren, seit Jahrzehnten meine Freunde immer wieder versuchen, bei einer unbegründeten Ausweitung der Versicherungsgrenze den Fuß zwischen die Tür zu stellen? Nun, bei einer Reihe von Gesetzesvorlagen werden wir darüber zu reden haben. Gestatten Sie mir jetzt,
aus den Paragraphen dieses Gesetzentwurfs nur
einen herauszugreifen, den § 368 h.
Sie haben vorhin in der Debatte um den Antrag des Kollegen Ruf die Schilderung dieses erstaunlichen Phänomens erlebt, daß im Gefolge der Krankenversicherung in Deutschland ein Machtkomplex entstanden ist, ein Herrschaftsbereich, von dem die Kassenärzteschaft abhängig ist, so wie unter einer alten preußischen Verdingungsordnung die dienende Landbevölkerung abhängig gewesen ist. Das ist die Kehrseite der Entwicklung der deutschen Krankenversicherung. Arznei, Wunden verbinden, Heilen, Gesunderhalten! Keiner von uns wird das vergessen. Aber in dem System lag der Drang zur politischen Macht! Wir sollten heute nicht vergessen, gerade jetzt nicht, wenn wir das Problem des § 368 h sehen: Die Bismarcksche Krankenversicherung ist nicht ohne Zufall gleichzeitig mit der Sozialistengesetzgebung entstanden. Ein so kluger Mann wie Hugo Preuß hat darauf hingewiesen, daß das Vorbild Bismarcks dabei wohl die Überlegungen Napoleons III. gewesen sind. Dieser Fluch, daß die Macht als Folge des Wohltuns immer weiter in unsere privaten Bereiche einbricht, muß gesehen werden, und er muß einmal von dem deutschen Volk genommen werden.
Meine Damen und Herren! Darauf zu warten, daß die deutsche Krankenversicherung so reformiert wird, daß der alte Arzt in seiner uralten Stellung wiederkommt, daß es nur den Kranken und den Arzt gibt, nur diese beiden, ist nicht möglich. So schnell geht diese Reform der Krankenversicherung nicht, das kann nicht sein. Aber es wäre eine ungeheure Zumutung für die Ärzteschaft, ihr zu sagen: Du hast zu warten, bis diese glückliche Stunde kommt, und inzwischen dein Joch zu tragen. Das wäre Zynismus. Das wäre nach den Worten der Schrift gehandelt wie der Mann, der seinem Kind einen Stein statt eines Brotes, eine Schlange für einen Fisch gibt.
Hier verlangt die Verantwortung des Gesetzgebers, daß ohne Rücksicht auf das Tempo der Sozialreform jetzt, sogleich, das Notwendige getan wird, und das ist dieses Gesetz. Nach unserer Auffassung nicht eine endgültige und entscheidende Sache! Ein Leck, das abgedichtet wird in einem Schiff, das nicht mehr seetüchtig war! Hoffen wir, daß wir alle noch den Stapellauf eines neuen und stattlichen erleben, einer deutschen Krankenversicherung, die es Versicherten und Ärzten gestattet, sich in voller Freiheit im deutschen Vaterlande zu bewegen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zusammenbruch im Jahre 1945 führte auch zum Zusammenbruch der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Folge war ungleiches Recht in den einzelnen Ländern, die Folge waren ungleiche Verhältnisse in den einzelnen Ländern, auch auf dem Gebiet der kassenärztlichen Versorgung und der kassenärztlichen Zulassung. Ich erinnere an die wesentlich stärkere Besetzung mit Ärzten in den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern. Mit dem Gesetz, das heute zur letzten und endgültigen Beratung vor uns liegt, wird bundeseinheitliches Recht geschaffen. Schon deshalb begrüßen wir dieses Gesetz.
Im übrigen werden - darauf sei hier in aller Form hingewiesen - Bestimmungen in den Sondergesetzen - Bundesvertriebenengesetz, Heimkehrergesetz -, die die Ärzte betreffen, durch dieses Gesetz nicht berührt.
Durch die Fassung des Paragraphen über die Verhältniszahl: in der Regel ein Arzt auf 500 Einwohner, haben wir ein Regulativ für die ausreichende Berücksichtigung der verschiedenen soziologischen Verhältnisse in den einzelnen Gebieten geschaffen. Die Neuzulassungen, die das Gesetz für einen großen Teil jüngerer Ärzte bringen wird, begrüßen wir ganz besonders.
Bei den drei Gruppen: Versicherung, Kassenärzte und Patienten ist es nicht möglich, ein Gesetz zu schaffen, das alle Partner in der gleichen Weise und gleich vollkommen befriedigt. Es war aber in den langen, sehr eingehenden und sehr sachlichen Ausschußberatungen allen Gruppen, die begründet Gedanken zu dieser Frage äußern konnten, ausreichend Gelegenheit gegeben, ihren Standpunkt klarzumachen. Trotzdem haben wir auch jetzt wieder einen Versuch erlebt, das Parlament bei der Verabschiedung eines Gesetzes durch massives Vorbringen von Gruppeninteressen zu beeinflussen.
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Der Bundestag hat schon wiederholt deutlich gezeigt, daß er sich nicht als Ständeparlament fühlt und nicht als Willensvollstrecker von Gruppeninteressen.
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Er wird, davon bin ich überzeugt, auch in dieser Frage über diese Art von Versuchen hinweggehen. Es war in den Ausschußberatungen möglich - und es ist geschehen -, alle Gesichtspunkte genügend und tief genug zu erörtern. Bei den Ausschußberatungen war das gemeinsame Bemühen und Mühen nach Gerechtigkeit die Waage, auf der die einzelnen Argumente gewogen wurden.
Aus diesen Gründen empfehle ich Ihnen, meine Damen und Herren, die Annahme dieses Gesetzes.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bärsch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz war ein sehr umstrit({0})
tenes Gesetz. Es wird hoffentlich bald ein nicht mehr umstrittenes oder wenigstens nicht mehr s o umstrittenes Gesetz sein, wenn es verabschiedet worden ist, in die Wirklichkeit übertragen wird und auch denjenigen, die ihm heute alles Mögliche angedichtet haben - nur nicht das, was damit beabsichtigt ist -, zeigen wird, daß es im Grunde ein durchaus gesunder Kompromiß unter den gegebenen Verhältnissen und Möglichkeiten ist. Es ist vieles von allen möglichen Seiten über dieses Gesetz gesagt worden, und ich habe gerade heute vormittag noch ein Telegramm bekommen, in dem z. B. von diesem Gesetz als einem „diffamierenden Ausnahmegesetz gegen die Kassenärzte",
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von einer „kalten Sozialisierung eines jahrhundertelang freien Berufes" und von einer „Pauschalabfindung ärztlicher Leistung mit Konkursquoten" gesprochen wird. Das, was hier von der einen Seite in der Sicht völliger Unkenntnis über das Gesetz gesagt worden ist, ist auch von der anderen Seite angeklungen, wenn bei jeder Erörterung über jeden Anderungsantrag immer wieder der stereotype Einwand kam: „Das ist unmöglich, das führt zum Zusammenbruch der deutschen Krankenversicherung."
Ich glaube, daß im Ausschuß eine gute Arbeit geleistet worden ist und daß der Ausschuß einen Kompromiß gefunden hat, der in Anbetracht der gegebenen Verhältnisse und Notwendigkeiten im Interesse des Versicherten für beide Seiten tragbar und zumutbar erscheint. Meine Damen und Herren, diejenigen, die in solcher Form, wie es geschehen ist, gegen das Gesetz polemisieren, übersehen den Tatbestand, daß die Regelung der vertraglichen Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen praktisch notwendig und vorbestimmt ist durch den § 182 der Reichsversicherungsordnung, der nun einmal die ärztliche Leistung als eine Sachleistung stipuliert und damit für 80 % der Gesamtbevölkerung, für deren ärztliche Versorgung aus dem natürlichen bilateralen Verhältnis Arzt-Patient ein Dreiecksverhältnis ArztKasse-Patient macht, das zwar aus gewissen, aus verständlichen Gründen damals unvermeidlich war und wohl auch heute noch bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich sein wird, das aber zwangsläufig gewisse Schwächen und Gefahren in sich barg: daß nämlich derjenige, der die Leistung empfängt, der Patient, lediglich ein Interesse an der maximalen Leistung hat, weil ja für ihn die Leistung, die er empfängt, unabhängig von dem ist, was er aufzubringen hat - denn sein Beitrag ist begrenzt -, und daß derjenige, der die Leistung gewährt, ein Interesse daran hat, eine möglichst große Leistung zu gewähren, weil eben davon sein Einkommen abhängt, und daß, wenn man hier nicht Regulative schafft, diese Dynamik praktisch zwangsläufig zu einer beständigen Gefährdung, Belastung und eventuell sogar Zerstörung der sozialen Krankenversicherung führen müßte.
Nun, meine Damen und Herren, worum ging es in diesem Gesetz, und was sind die entscheidenden Momente? Einmal muß man sich ja darüber klar sein, daß durch die Tatsache der Gewährung der ärztlichen Leistung als Sachleistung eine vertragliche Regelung der Beziehung zwischen Ärzten und Krankenkassen unvermeidlich ist. Und da ist doch dieses Gesetz im Grunde nichts anderes als die Fortsetzung, und zwar die konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, die von dem ursprünglichen Einzelvertrag mit einer sehr unwürdigen Situation des Arztes über den Kollektivvertrag nunmehr dazu geführt hat, daß kraft Gesetzes eine solche Regelung zwischen zwei gleichberechtigten Vertragspartnern erfolgt.
Lassen Sie mich nun noch einige Worte zu den entscheidenden Punkten sagen. Der eine wichtige Punkt ist die Verhältniszahl, bisher 1 : 600, in Zukunft 1 : 500. Ich glaube, daß wir bei der Verhältniszahl im Ausschuß nicht immer den richtigen Standort gehabt haben, wenn wir sie nämlich ausschließlich in der Perspektive gesehen haben, daß mehr Ärzte mehr Kosten bedeuten und deshalb die Anzahl der Mehrzulassungen ausschließlich von der Kostenfrage abhängig gemacht werden muß. Ich meine, daß die Festlegung der Verhältniszahl unter dem Gesichtswinkel erfolgen muß, wieviel Ärzte für eine ausreichende oder, besser gesagt, gute Versorgung der versicherten Bevölkerung notwendig sind. Ich habe, wenn auch schweren Herzens, der Herabsetzung auf 1 : 500 zugestimmt, weil ich sehen mußte, daß das das Äußerste dessen war, was in der gegebenen Lage erreichbar schien. Aber ich muß an dieser Stelle doch eines offen gestehen. Ich bin der Überzeugung, daß die Herabsetzung auf 1 : 500 unter Einbeziehung aller bisher durch Sondergesetze außerhalb der Anrechnung auf die Verhältniszahl Zugelassenen nicht ausreichend sein wird, um eine gute ärztliche Versorgung der versicherten Bevölkerung sicherzustellen. Es handelt sich bei diesen 2000 Ärzten, die zusätzlich zugelassen werden, etwa um 7 % der gesamten Kassenärzteschaft bei einer seit 1932 - und seitdem haben wir praktisch ein Verhältnis von 1 : 600 - um etwa 100 % gestiegenen Morbidität.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch etwas anders sagen. Wir dürfen uns doch nicht an nur formale Vorstellungen klammern und meinen, die ärztliche Versorgung der versicherten Bevölkerung sei ausreichend, wenn der Versicherte, der krank ist oder sich krank fühlt, sich einen Krankenschein holen kann, zu einem Arzt geht und dann behandelt wird. Ich bin der Meinung: ausreichend und gut ist die Versorgung erst dann, wenn der Versicherte von einem Arzt behandelt wird, der nicht überlastet ist, sondern genügend Zeit hat, ihn in einer Weise zu behandeln, die der besonderen Verantwortung und Sorgfalt dieses Berufes entspricht. Solange also der heutige Kassenarzt noch in zehn- bis zwölfstündiger Arbeitszeit - ich möchte das hier deutlich aussprechen - mehr oder weniger gezwungen ist, den einzelnen Patienten in 5 bis 10 Minuten „abzufertigen", kann ich diese Behandlung der sozialversicherten Patienten nicht als ausreichend und gut ansehen. Ich erblicke gerade deshalb in ,dem Gesetz einen Fortschritt, weil es uns zwar nicht von heute auf morgen - unter Gefährdung der sozialen Krankenversicherung -, aber auf längere Sicht die Möglichkeit gibt, die jetzigen Verhältnisse zu überwinden und zu jenerärztlichen Versorgung der Versicherten zu kommen, die wir alle miteinander im Auge haben.
Ich darf bei dieser Gelegenheit vielleicht noch einen weiteren Punkt berühren. Die Tatsache, daß heute etwa 80 % der Bevölkerung von der Sozialversicherung erfaßt sind, bedeutet, daß das Einkommen und der Lebensstandard des Arztes durch die Einnahmen aus der Kassenpraxis bestimmt werden. Das bedeutet also, daß diejenigen Ärzte, die nicht zur Kassenpraxis zugelassen werden, weil ja die Bedürfnisfrage gestellt wird -ein gar nicht so
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unbedeutendes Problem -, in der Regel nicht oder kaum existieren können. Ich meine, ein verantwortungsbewußter Gesetzgeber kann es auf die Dauer nicht gestatten, daß auf der einen Seite die Zulassung zur Berufsausübung von dem Bedürfnis abhängig gemacht wird und auf der andern Seite der Nachwuchs für diesen Beruf in keiner Weise reguliert wird. Diese Situation muß zwangsläufig dazu führen, daß wir in einem Beruf, der eine sehr lange Ausbildung erfordert, eine größere Anzahl von Menschen haben, die, nachdem sie ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben, daran gehindert werden, beruflich tätig zu sein. Das könnte zu einer gefährlichen Belastung unserer gesellschaftlichen Ordnung führen, die wir nicht wollen können. Deshalb haben wir Veranlassung, uns mit dieser Frage in der Zukunft einmal eingehender zu !beschäftigen.
Was das Honorarsystem anlangt, so geht es um die Frage, wie und in welchem Maße die ärztliche Leistung honoriert werden soll. Lassen Sie mich da auch eines ganz offen sagen. Es ist selbstverständlich, daß auf der einen Seite die ärztlichen Honorarwüsche nicht in den Himmel wachsen können, sondern daß sie dem sozialen Status derjenigen Menschen, die dafür die Mittel aufzubringen haben, angepaßt sein müssen. Auf der andern Seite muß aber mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß die Honorierung der kassenärztlichen Praxis und der einzelnen Leistungen in dieser Praxis so beschaffen sein muß, daß die Ärzte in einer vertretbaren Arbeitszeit - und ich sehe nicht ein, daß die Ärzte unbedingt zwölf Stunen in aller Zukunft arbeiten sollen, wenn wir der Überzeugung sind, daß acht Stunden im Interesse der Gesunderhaltung der Bevölkerung notwendig sind - und unter der Bedingung, daß sie dem einzelnen Patienten die notwendige Sorgfalt in der Behandlung angedeihen lassen können, ein ausreichendes Einkommen erzielen, das ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und der Verantwortung ihres Berufes entspricht. Mit dem Hinweis darauf, daß das heutige Durchschnittseinkommen des Kassenarztes ausreichend sei, weil er davon einigermaßen leben könne - wobei man die Tatsache völlig außer acht läßt, daß er dafür heute zehn bis zwölf Stunden pro Tag arbeiten muß und wesentlich mehr Patienten behandeln muß, als er eigentlich behandeln könnte -, mit diesem Hinweis allein ist es nicht getan.
Ich will, weil vieles schon gesagt worden ist, die Dinge nicht mehr weiter vertiefen. Ich will mich auch nicht mehr - das ist schon geschehen - mit der Frage der obligatorischen Schlichtung befassen, die hier oft als Zwangsschlichtung bezeichnet worden ist, die aber, wenn wir es genau anschauen und die Tatsache berücksichtigen, daß der Staat dabei völlig ausgeschaltet worden ist, nicht mehr den Charakter einer Zwangsschlichtung im eigentlichen Sinne hat.
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Hier ist zumindest das Äußerste unternommen worden, um dieser obligatorischen Schlichtung den Charakter einer staatlichen Zwangsschlichtung zu nehmen. Aber eines möchte ich festgestellt haben: Wenn wir uns schließlich in der überwiegenden Mehrheit für eine solche obligatorische Schlichtung und für die Vermeidung von vertraglosen Zuständen entschieden haben, dann nicht, um die Ärzte zu versklaven, sie des Charakters ihrer freien Berufstätigkeit zu entkleiden, sondern
umgekehrt, um gerade den Ärzten die Freiheit ihrer Berufstätigkeit und ihrer Berufsausübung zu sichern, weil es eben für den anderen Fall des vertraglosen Zustands durchaus offen ist, ob in einer solchen Auseinandersetzung der freie Arztberuf gesichert werden kann. Diesen freien Arztberuf wollen wir alle sicherstellen, weil wir der Überzeugung sind, daß der freie und unabhängige Arzt ebenso wie der freie Rechtsanwalt wichtige Elemente unserer freiheitlichen Lebensordnung sind.
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Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir wirklich ein Herzensbedürfnis, allen denjenigen Damen und Herren, die an ,dem Zustandekommen dieses Gesetzes mitgearbeitet haben, meinen herzlichsten Dank abzustatten. Es gibt vielleicht keinen, der mehr als ich in den letzten Jahren sich mit den Beteiligten beschäftigen mußte, weil sie alle im Jahre 1945 keine Grundlagen mehr hatten. Wir hatten bei uns einen weit übersetzten Ärztestand. Die Ursachen, die dazu geführt haben, kennen wir ja alle. In jedem Arzt, der nicht als Kassenarzt zugelassen werden konnte, hatten wir ein menschliches Schicksal vor uns. Das ist ein Tatbestand, der gar nicht bestritten werden kann. Manche Schwierigkeiten, die sich in diesen Jahren gezeigt haben, haben dazu geführt, daß man die soziale Krankenversicherung angegriffen hat und sie dafür haftbar machen wollte, daß sich aus einem verlorenen Krieg Zustände ergeben hatten, die den einzelnen trafen.
Ich glaube, gerade im Interesse unserer sozialen Krankenversicherung auch in diesem Hause einmal einige Zahlen nennen zu dürfen. Wir haben im Jahre 1931 in dem Gebiet der jetzigen Bundesrepublik bei den Krankenkassen 'Einnahmen von insgesamt 1,7 Milliarden Mark gehabt und haben davon den Ärzten 383 Millionen Mark, das waren 23 % der Einnahmen, zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1950 betrug der Gesamtetat der sozialen Krankenversicherung 2 Milliarden DM. Die Ärzte haben damals 411 Millionen DM bekommen, das waren 20,6 %. An diesen Dingen haben sich ja alle die Schwierigkeiten immer wieder entzündet. Seitens der Ärzte wurde gesagt: Früher hatten wir 23 % der Einnahmen der Krankenkassen für die ärztliche Behandlung, und nun sind es bloß noch 20 %! Woher war es denn gekommen? Die damals so eminent niedrig liegenden Löhne ließen eine derart hohe Beitragseinnahme gar nicht zu, daß man die weit überhöhten Preise, beispielsweise der Arzneikosten, bezahlen konnten. Hier waren die Ärzte wirklich in Rückstand gekommen. Als sich dann vor zwei Jahren die Vertreter der organisierten Ärzte wieder an mich wandten, habe ich den Vorsitzenden des Verbandes der Ortskrankenkassen, Herrn Glock, zu mir gebeten. Ich habe ihm gesagt, man solle doch durch eine freie Vereinbarung das frühere Prozentverhältnis wieder herstellen. Ich muß schon sagen, ich bin auch diesen Organisationsvertretern nur dankbar dafür, daß es dank der Zusammenarbeit gelungen ist, im Jahre 1953 bei einem Gesamtetat von 3,1 Milliarden DM den Ärzten 650 Millionen DM, das sind beinahe 25 % der gesamten Einnahmen der Krankenkassen, Izu geben. In diesen Zahlen sind nicht die Beträge
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enthalten, die wir an die Zahnärzte zahlen. Sie sind mit 155 Millionen DM oder 5 % der gesamten Beitragseinnahmen auszuweisen. Sie sehen also, daß 30 % der gesamten Beiträge der Pflichtversicherten direkt an die behandelnden Ärzte und Zahnärzte geleitet werden.
Heute haben 'wir nun das Gesetz so weit. Ich kann verstehen, daß es bei den widerstrebenden Interessen der Beteiligten allerlei Schwierigkeiten gegeben hat. Ich habe mich aber sehr gefreut, wenn meine Herren, die im Auschuß mitgearbeitet haben, mir immer wieder mitteilen konnten: Die Sache geht gut vorwärts, und die Leute sind in diesem Fall mal nicht parteipolitisch gebunden, sondern sie sind alle ernstlich bei der Sache und haben sich keine Marschrouten geben lassen. Ich glaube, wenn wir unsere ganze soziale Gesetzgebung in der Zukunft in einem derartigen Milieu führen, werden wir in der Lage sein, etwas Gutes auf die Beine zu stellen.
Also nochmals recht herzlichen Dank an alle Beteiligten in diesem Hohen Hause! Wir wollen hoffen, daß sich dieses Gesetz zum Nutzen und Vortail aller Beteiligten auswirken wird.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung. Es sind nur zwei Änderungsanträge eingereicht. Der eine bezieht sich auf § 3681. Sie finden die Bezugsstelle auf Seite 28 der Drucksache 1313. Der Antrag hat noch keine Umdrucksnummer. Muß ich ihn verlesen? - Bitte, Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag konnte nicht mehr in Umdruck gegeben werden. Ich darf nur wenige Worte dazu sagen. Er bringt eine Neufassung des Abs. 5 in § 3681, allerdings nur mit einer Hinzufügung. Ich kann mich auf die Debatte bei der zweiten Lesung beziehen, wo unter anderem auch eingewendet worden ist, daß unter Umständen eine sehr kleine Mehrheit einer solchen Versammlung von nur etwa 51 % die übrige sehr große Minderheit durch einen derartigen Beschluß vergewaltigen könnte. Um einem solchen Einwand zu begegnen, hat die Fraktion der CDU/CSU mit Unterstützung von Abgeordneten aller Fraktionen zur dritten Lesung beantragt *), zu sagen:
Die Kassenärzlichen Vereinigungen können durch Satzung mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen Maßnahmen beschließen, die eine ausreichende Versorgung . . . gewährleisten.
Also eingefügt werden sollen nur die Worte „mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen Maßnahmen beschließen", damit die Schwierigkeit, auf die vorhin hingewiesen worden ist, ausgeräumt wird. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung des Antrags gehört. Meldet sich jemand zum Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir über den Änderungsantrag ab. Wer mit diesem Änderungsantrag
*) Umdruck 369. einverstanden ist, der gebe das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den § 3681 in ,der neuen Fassung. Wer für die Annahme ist, der gebe das Handzeichen. - Das ist die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Wir kommen nunmehr zu idem anderen Änderungsantrag, der zu § 368 m angekündigt ist. Bezugsstelle ist Seite 29 bei Abs. 3. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Satz des § 368 m Abs. 2 lautet:
Die Kassenärzlichen Vereinigungen schließen mit den Universitäten Verträge über die Vergütung für Behandlung von Versicherten in den Polikliniken.
Ich bitte Sie nun, an diesen Satz folgenden Zusatz *) anzuschließen:
Diese Verträge müssen den Universitätspolikliniken die Untersuchung und Behandlung von Versicherten in idem für die Durchführung ihrer Lehr- und Forschungsaufgaben benötigten Umfang gewährleisten.
Ich möchte mich nicht wiederholen hinsichtlich dessen, was ich schon in der zweiten Lesung zu der Notwendigkeit gesagt habe, daß wir hier in diesem Gesetz Richtlinien für die Art dieser Verträge mit den Universitätskliniken geben. Dieser von mir beantragte Zusatz vermeidet die Verknüpfung mit der Vergütung 'für die Krankenhäuser, wie sie in dem abgelehnten Antrag des Kollegen Etzenbach und der 'anderen Kollegen vorgesehen war. Ich hoffe sehr, daß wir zu einer einheitlichen Meinung über diesen Zusatzantrag kommen. Ich glaube, es ist notwendig, daß die Verträge einheitlich überall so geschlossen werden, daß die Universitätskliniken gerade hinsichtlich der Ausbildung, und zwar der bestmöglichen Ausbildung der Ärzte ihren Aufgaben voll gerecht werden können. Ich bitte Sie daher um die Annahme dieses Antrages.
({0})
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Abstimmung. Wer für diesen Änderungsantrag ist, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen angenommen. Ich darf annehmen, daß das Haus dem so veränderten § 368 m zustimmt.
Weitere Anträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige wenige Stimmen sowie bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich habe noch über die Entschließung nach Ziffer 2 des Ausschußantrages abstimmen zu lassen. Wer für die Annahme dieser Entschließung ist, der möge die Hand erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ich stelle die Annahme fest. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
*) Umdruck 370.
({0})
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit ({1});
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Juli 1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes ({2});
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 98 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 1. Juli 1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen ({3});
d) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit ({4}).
Diese vier Buchstaben sollen gemeinsam begründet und gemeinsam beraten werden. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Richter.
Richter ({5}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion des Bundestags hat Ihnen Gesetzentwürfe zur Ratifikation der Übereinkommen Nr. 29, Nr. 87, Nr. 98 und Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation unterbreitet. Bevor ich zu den einzelnen Übereinkommen Stellung nehme, bitte ich Sie, mir einige allgemeine Ausführungen zu gestatten.
Bekanntlich ist Deutschland seit dem Jahre 1951 wieder Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation. Wir wurden damals mit großer Mehrheit in die Internationale Arbeitsorganisation aufgenommen. Seitdem ist Deutschland ebenso wie alle anderen Mitgliedstaaten berechtigt, an der Schaffung von internationalen Übereinkommen und Empfehlungen mitzuwirken.
Deutschland hat seit 1951 insgesamt zehn Übereinkommen ratifiziert. Dies ist reichlich wenig, selbst wenn man die 17 bis 1933 ratifizierten Übereinkommen hinzuzählt; denn bis jetzt wurden insgesamt 103 Übereinkommen von der Internationalen Arbeitskonferenz beschlossen.
({6})
Meine Damen und Herren, der Redner ist kaum zu verstehen. Ich bitte, sich doch in den Wandelgängen zu unterhalten.
Richter ({0}), Antragsteller: Es besteht also in Deutschland ein großer Nachholbedarf.
Von uns allen wurde damals die Aufnahme Deutschlands in die Internationale Arbeitsorganisation mit großer Freude begrüßt. Die Mitgliedschaft brachte und bringt uns aber nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Es ist nicht damit getan, daß wir zu der großen alljährlich stattfindenden Internationalen Arbeitskonferenz fahren, daß dort unser Bundesarbeitsminister eine verbindliche Rede hält, daß ich als Arbeitnehmerdelegierter an der einen oder anderen Frage zur Wahrung der Arbeitnehmerinteressen Kritik übe, während der Arbeitgeberdelegierte von seinem Standpunkt aus Stellung bezieht. Es genügt auch nicht, daß wir intensiv in den Ausschüssen mitarbeiten. All das verschaffte uns in Genf zwar einen guten Start und Anerkennung. Die Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation wollen aber wissen, was wir im eigenen Land getan oder, besser gesagt, was wir unterlassen haben. Die Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation stellen fest, welche Staaten die Übereinkommen ratifiziert haben und welche Staaten nicht und aus welchen Gründen die Ratifizierung unterlassen wurde.
Es ist sicherlich bedauerlich, wenn die Weltöffentlichkeit immer wieder feststellen muß, daß grundlegende Übereinkommen von Deutschland noch nicht ratifiziert wurden, obwohl dies in anderen Staaten seit langem geschehen ist.
All diese Ausführungen erlaubte ich mir, um Sie, meine Damen und Herren, von der Wichtigkeit der Ratifikation bedeutsamer internationaler Übereinkommen zu überzeugen.
Nun gestatte ich mir einige Darlegungen zu den Übereinkommen selbst, die die Initiativgesetzentwürfe der SPD betreffen. Das Übereinkommen Nr. 29 wurde von der Bundesregierung dem Bundesrat mit Bundesratsdrucksache Nr. 477/53 zur Ratifikation empfohlen. Der Bundesrat hat in seiner 116. Sitzung am 27. November 1953 gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes beschlossen, keine Bedenken gegen den Entwurf des Ratifizierungsgesetzes zu erheben. Die Bundesregierung hat trotz des zustimmenden Beschlusses des Bundesrates dem Bundestag den Gesetzentwurf nicht zugeleitet. Von dem Vertreter eines Landes wurden nämlich Bedenken dahingehend geäußert, ob die in einem Land der Bundesrepublik gebräuchliche Form von Arbeits- und Dienstleistungen Strafgefangener bei Außenarbeiten sich mit den Bestimmungen des Übereinkommens vereinbaren läßt.
In dem Übereinkommen Nr. 29 über Zwangsoder Pflichtarbeit verpflichten sich die Mitglieder der Internationaen Arbeitsorganisation, die das Übereinkommen ratifizieren, Zwangs- oder Pflichtarbeit in jeder Form möglichst bald zu beseitigen. Unter Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Übereinkommens wird jede Art von Arbeit oder Dienstleistung verstanden, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Nach Auskunft des Internationalen Arbeitsamtes werden in den meisten europäischen Staaten Strafgefangene an Privatunternehmungen für Arbeiten nicht zur Verfügung gestellt.
Das Übereinkommen Nr. 29 wurde bis jetzt von 31 Staaten ratifiziert. Die Durchführung des Übereinkommens in der Bundesrepublik ist möglich, da die deutsche Gesetzgebung bereits in vollem Umfang mit dem Übereinkommen in Einklang steht. Nach unserer Auffassung ist es aber dringend erforderlich, gerade dieses Übereinkommen zu ratifizieren.
Es sei deshalb noch bemerkt, daß sich die nächstjährige Internationale Arbeitskonferenz erneut mit der Frage der Zwangsarbeit auseinandersetzen
({1})
wird; denn die sich immer mehr und mehr verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen Ost und West haben vor allem das Zwangsarbeitsthema zum Gegenstand. Es wäre deshalb höchst bedauerlich, wenn die Bundesrepublik dadurch, daß sie das Übereinkommen nicht ratifiziert, selbst auf die rechtlich und moralisch wirkungsvollste Grundlage verzichtet, auf der sie an der Seite der freien Staaten gegen die kommunistische Zwangsarbeit kämpfen könnte.
Das Übereinkommen Nr. 87, das der zweite Initiativgesetzentwurf betrifft, wurde bisher von folgenden 17 Staaten ratifiziert: Belgien, Burma, Cuba, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Island, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Philippinen, Schweden und Uruguay.
Wenn die Bundesregierung Bedenken hat, so ist dies politisch bedauerlich, weil sie in einem Bericht, den sie am 2. Oktober 1952 an das Internationale Arbeitsamt erstattete und in dem sie die innerdeutsche Rechtslage in bezug auf die Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 87 darlegte, darauf hinwies, daß Änderungen der innerdeutschen Gesetzgebung und der Praxis zum Zwecke der Verwirklichung der Bestimmungen des Übereinkommens nicht geboten erscheinen und daß das Übereinkommen in seinem vollen Umfang durch die Vorschriften des Art. 9 des Grundgesetzes erfüllt werde. Nach Art. 8 Abs. 1 des Übereinkommens haben sich auch die Arbeitnehmerorganisationen an die Gesetze zu halten; insoweit gestattet auch das Übereinkommen jederzeit staatliche Maßnahmen gegen bestimmte gesetzwidrige Betätigungen von Gewerkschaften. Verfassungswidrige Betätigungen von Gewerkschaften sind auch nach Art. 8 des Übereinkommens nicht statthaft. Im übrigen ist die deutsche Gewerkschaftsbewegung nach unserer Auffassung selbst stark genug, sich gegen kommunistische und faschistische Einmischungen zu schützen.
Grundsätzlich entsprechen die Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 87 dem Inhalt des Art. 9 unseres Grundgesetzes, da auch die in Abs. 2 des Art. 9 vorgesehenen Einschränkungen, daß Vereinigungen, deren Zweck oder deren Tätigkeit den Gesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind, in Art. 8 Abs. 1 des Übereinkommens berücksichtigt sind.
Da es gerade die Abschaffung der Koalitionsfreiheit im Jahre 1933 war, die zu einem Austritt des Deutschen Reichs aus der Internationalen Arbeitsorganisation geführt hat, ist es für die Stellung der Bundesrepublik in der Welt von außerordentlicher Bedeutung, durch die Ratifikation des Übereinkommens den Nachweis zu erbringen, daß die Koalitionsfreiheit in Deutschland entsprechend den international anerkannten Grundsätzen gewährleistet ist.
Das Übereinkommen Nr. 98 ist als Ergänzung zu dem Übereinkommen Nr. 87 anzusehen. Während das Übereinkommen Nr. 87 die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gegen willkürliche Eingriffe des Staates schützen will, behandelt das Übereinkommen Nr. 98 den Schutz der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gegen Maßnahmen des sozialen Gegenspielers. Das Übereinkommen wurde bisher von 18 Staaten ratifiziert.
Die Ratifizierung des Übereinkommens ist dringend erforderlich, da es klar umrissene und international anerkannte Prinzipien der gegenseitigen Unabhängigkeit der Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen enthält. Die Durchführung der Grundsätze des Übereinkommens ist durch Art. 9 des Grundgesetzes gesichert, der die Vereinigungsfreiheit unter besonderen Schutz stellt. Der Schutz der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers, insbesondere des Rechts der Koalitionsfreiheit und der ungehinderten gewerkschaftlichen Betätigung ist auch durch das Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952 gesichert. Das gleiche gilt für die Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers, die insbesondere in § 51 ides Betriebsverfassungsgesetzes dadurch gewährleistet wird, daß Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen haben, daß jede unterschiedliche Behandlung von Personen, auch wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung, unterbleibt.
Es sei hierzu bemerkt, daß die Staaten, die das Übereinkommen nicht ratifiziert haben, einen Bericht über den Stand der Gesetzgebung und Praxis in bezug auf das Übereinkommen an 'das Internationale Arbeitsamt zu erstatten haben, in dem sie nach Art. 19 der Verfassung dieses Amtes auch die Nichtratifizierung zu begründen haben.
Ich darf nun zu dem Gesetzentwurf über die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 einige Ausführungen machen. Die Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation hat im Juni 1951 das Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit angenommen. Das Übereinkommen wurde bisher von 9 Staaten ratifiziert.
Die Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation, die das Übereinkommen Nr. 100 ratifizieren, verpflichten sich damit, entsprechend den in ihrem Lande bestehenden Verfahren zur Lohnfestsetzung die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit auf alle Arbeitnehmer zu fördern und, soweit es mit diesen Verfahren vereinbar ist, sicherzustellen. Zur Durchführung des Übereinkommens hat die Regierung mit den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zusammenzuarbeiten.
Die innerdeutsche Rechtsgrundlage für die Ratifikation ist der Ihnen allen bekannte Art. 3 des Grundgesetzes. Hiernach bindet der Lohngleich-heitsgrundsatz auch die Tarifvertragsparteien als unmittelbar geltendes Recht, wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 15. Januar 1955 festgestellt hat. Darin sind Leitsätze aufgestellt, die ich dem Hohen Hause unterbreiten möchte, da sie von grundsätzlicher Bedeutung für die Behandlung dieser Angelegenheit sind.
Der erste Leitsatz lautet: Die Verfassungssätze, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind - Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes - und daß niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf - Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes -, sind geltende, echte Rechtsnormen und keine bloßen Programmsätze.
Zweitens: Der Gleichberechtigungsgrundsatz und das Benachteiligungsverbot umfassen auch den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit.
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Drittens: Der Lohngleichheitsgrundsatz bindet als Grundrecht nicht nur die staatliche Gewalt, sondern auch die Tarifvertragsparteien.
Viertens: Eine Tarifklausel, die generell und schematisch weiblichen Arbeitskräften bei gleicher Arbeit nur einen bestimmten Hundertsatz der tariflichen Löhne als Mindestlohn zubilligt, verstößt gegen den Lohngleichheitsgrundsatz und ist nichtig.
Fünftens: Der Grundsatz der Lohngleichheit schließt es aus, daß die .Arbeit der Frau mit Rücksicht auf die zu ihren Gunsten erlassenen Schutznormen geringer entlohnt wird.
Sechstens: Nur solche Lohndifferenzierungen sind zulässig, die auch bei Männern vorgenommen werden, wenn und soweit es sich um Arbeiten handelt, die in gleicher Weise für Männer und Frauen tariflich vorgesehen sind.
Das innerdeutsche Recht geht somit, wie Sie sehen, meine Damen und Herren, über die nur als Mindestgrundsätze anzusehenden Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 100 hinaus, da in dem Bereich, in dem das Übereinkommen einkommen nur eine „Förderung" verlangt, in der Bundesrepublik eine „Sicherstellung" gegeben ist. Das Übereinkommen ist somit zweifelsfrei zur Ratifikation geeignet.
Die vier Übereinkommen behandeln nicht, wie Sie selbst, meine Damen und Herren, feststellen konnten, dein materiellen Inhalt von bestimmten Arbeitsrechtsgebieten, sondern stellen zu einigen wichtigen Fragen Grundsätze von allgemeiner Gültigkeit auf.
Lassen Sie mich noch darauf hinweisen, daß die Beratende Versammlung des Europarates in ihrer Empfehlung Nr. 47 vom 18. September 1953 die Regierungen der Mitgliedstaaten zur Ratifikation der Übereinkommen Nrn. 81, 87, 88, 94, 97, 98 und 102 aufgefordert hat. Die deutschen Vertreter im Europarat haben der Entschließung zugestimmt.
Die Ratifikation von Übereinkommen, die eine derart weitgehende internationale Anerkennung gefunden haben, kann unseres Erachtens nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Das war und ist der alleinige Grund, der die SPD-Fraktion veranlaßte, die Ratifikationsgesetzentwürfe dem Hohen Hause zu unterbreiten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich die Anträge auf Ratifikation der Übereinkommen hinreichend begründet habe. Ich bitte Sie um Überweisung an iden Ausschuß für Arbeit.
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Die Anträge sind eingebracht und begründet. - Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Richter sehr dankbar für die ausführliche Darstellung des Inhalts der vier Abkommen, die hier vorgelegt worden sind. Nur soll man sich bei der Ratifizierung der Übereinkommen klar darüber sein, daß man entweder die gesetzlichen Grundlagen für die Übereinkommen schon besitzen oder sie in kurzer Zeit zu schaffen in der Lage sein muß. Anderenfalls haben diese Ratifizierungen keinen Sinn. Es gibt eine Unzahl von Ratifikationsurkunden, die in Genf hinterlegt sind, die nur auf dem Papier stehen. Ich könnte Ihnen da die verschiedensten Beispiele nennen.
Wenn man über die Dinge spricht, muß man sich auch über die Größenordnung einigermaßen im klaren sein. Wir haben bisher von der Internationalen Arbeitsorganisation 103 Übereinkommen bekommen. Davon haben wir in Deutschland 27 ratifiziert. Sie werden sagen, das ist eine verhältnismäßig geringe Zahl. Aber ich will Ihnen zeigen, daß es andere europäische Staaten gibt, die nicht derartige Zeiten der Unordnung durchzumachen hatten wie wir und die noch unter uns liegen, Dänemark beispielsweise mit 22 - die Niederlande haben 42 -, Luxemburg, das in Wirklichkeit am allerehesten in der Lage ist, durch eine sehr einfache Gesetzgebung diese Dinge zu verwirklichen, mit 28, Schweden mit 35 von 103 Übereinkommen, die vorgelegen haben. Damit will ich aber gar nichts entschuldigen.
Bei solchen Gesetzesvorlagen haben wir uns, wie ich vorhin schon sagte, immer von dem Gedanken leiten lassen: es muß dann bei uns auch alles in Ordnung sein oder in kurzer Zeit in Ordnung gebracht werden. Ich selbst - Herr Kollege Richter hat es dankenswerterweise vorgetragen-habe ein Ratifizierungsgesetz zum Übereinkommen Nr. 29 zweimal im Kabinett durchgebracht. Das erstemal konnte es unglücklicherweise, nachdem es bereits dem Hohen Hause zugeleitet war, nicht mehr verabschiedet werden, und das zweitemal ist eben etwas eingetreten, was der Kollege Richter entweder nicht weiß oder nicht richtig verstanden hat. Wir hatten die Frage zu prüfen - sie wurde im Bundesrat aufgeworfen -, ob der Strafvollzug bei uns, der ja bei den Ländern und nicht beim Bunde liegt, mit diesem Übereinkommen in Einklang zu bringen ist. Es haben die verschiedensten Verhandlungen mit den Länderjustizministern stattgefunden, um eine Änderung des Strafvollzugs bei uns herbeizuführen, und zwar auf einer einheitlichen Linie. Das ist leider nicht geglückt, und nur deshalb, Herr Kollege Richter, stehen wir heute vor der Tatsache, daß ein Ratifizierungsgesetz für dieses meines Erachtens unbedingt notwendige Übereinkommen dem Hohen Hause noch nicht vorliegt.
Dann haben Sie die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 87 und in Verbindung damit mit vollem Recht die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 98 beantragt. Hier stehen wir auch, zumindest im Arbeitsministerium, auf dem Standpunkt, daß bei uns die Voraussetzungen für die Ratifizierung der beiden Übereinkommen restlos gegeben sind. Deshalb haben wir die Ratifizierung auch betrieben. Aber nun führen wir zur Zeit in Karlsruhe einen Prozeß gegen die Kommunistische Partei und ihre Hilfsorganisationen. Der Herr Kollege Richter hat vorhin gesagt, die deutschen Gewerkschaften seien stark genug, sich gegen kommunistische Gewerkschaften zu wehren. Derartige Ratifizierungen werden ja nicht nur für den gegebenen Zeitpunkt, sondern für die Zukunft vorgenommen. Ich will gern hoffen, daß, wenn der Prozeß in Karlsruhe beendet ist, auch die Bundesregierung zu diesen Fragen ja sagen kann. Ich persönlich habe 'das allergrößte Interesse daran. Bei dem freiesten Tarifvertragsrecht der ganzen Welt und bei der Koalitionsfreiheit, die bei uns im Grundgesetz verankert ist, sollte man eigentlich meinen, es könnte gar keine Widerstände geben. Aber hier ist die Freiheit aller derartiger Organisationen gesichert
({0})
und ich weiß nicht, was geschehen soll, wenn dann irgendwelche Tarnorganisationen aufgemacht werden.
Viel größere Schwierigkeiten, Herr Kollege Richter und meine sehr verehrten Damen und Herren, macht mir die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100. Hier ist nicht davon die Rede, daß gleiche Arbeit gleichbezahlt werden soll, sondern hier heißt es „gleichwertige Arbeit". Wer entscheidet nun, welche Arbeiten gleichwertig sind? Ich habe immer noch die Hoffnung, daß die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Arbeitsleben und vor allen Dingen in der Lohnfestsetzung durch die Tarifvertragsparteien, nämlich die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, durchgeführt wird. Wir haben uns doch die größte Mühe gegeben, Herr Kollege Richter, gerade mit den Vertretern der Sozialpartnerin meinem Haus Verhandlungen darüber zu führen, wie wir diese Dinge bei uns in eine Ordnung bringen können, daß nachher auch wirklich die Voraussetzungen für die Ratifizierung des Übereinkommens gegeben sind. Herr Kollege Richter, ich weiß nicht, ob es Ihnen von Ihren Kollegen nicht gesagt worden ist: Gerade auch auf diesem Gebiet haben wir 'doch bei den Gewerkschaften die größten Schwierigkeiten gehabt.
({1})
- Bei den Arbeitgebern und bei den Gewerkschaften! Aber lassen wir das jetzt einmal! Es ist jedenfalls nicht zu einer Übereinkunft oder einer gemeinschaftlichen Auffassung über diese Dinge gekommen. Erst in 'der allerletzten Zeit haben sich die Sozialpartner bereit gefunden, eine gemeinschaftliche Kommission bei mir im Hause zu bilden, die in Verbindung mit meiner Arbeitsrechtsabteilung versucht, die Grundlagen 'dafür zu schaffen.
Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in Wirklichkeit nicht der böse Wille der Bundesregierung und in diesem Falle ganz bestimmt nicht der böse Wille des Arbeitsministeriums; in einem Staat wie in unserem, wo die Gewalten geteilt sind, wo nicht alle Zuständigkeiten bei der Bundesregierung, sondern sehr vieles bei den Länderregierungen liegt, ergeben sich Schwierigkeiten. Wir finden das auch in Amerika. Ich habe es beispielsweise für direkt unmöglich gehalten, daß die Amerikaner das Übereinkommen Nr. 29 über die Zwangsarbeit nicht ratifiziert haben. Ich bin in Mehlem beim Hohen Kommissar gewesen und habe ihn gefragt: Ist es denn nicht möglich, daß ich von Ihrer Heimatregierung eine Mitteilung darüber 'bekomme, weshalb Amerika, dieses freie Land, das ganz bestimmt keine Zwangsarbeit kennt, dieses Übereinkommen nicht ratifiziert hat? Ja, wurde mir erwidert, die Zuständigkeit für diese Dinge liegt in den USA bei den einzelnen Staaten, und die achten sorgsam darauf, daß keine ihrer Zuständigkeiten an die Zentralregierung geht! Genau dasselbe haben wir in diesem Falle auch .beim Strafvollzug.
Wir wollen also hoffen, daß es durch eine gemeinschaftliche Arbeit in den Ausschüssen gelingt, die Dinge so weit zu bringen, daß wir recht bald zu einer beruhigenden und zufriedenstellenden Lösung dieser Fragen kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage der vier Ratifizierungsgesetze möchte ich zum Anlaß nehmen, namens meiner Freunde erneut die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit auch im Bereich der Sozialpolitik und des Arbeitsrechts auszusprechen. Wir halten diese Zusammenarbeit für unerläßlich.
Ich darf daran erinnern, daß wir ja erst seit einer kurzen Zeitspanne wieder zur Internationalen Arbeitsorganisation gehören. Der Herr Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen, daß wir immerhin 27 Abkommen bereits ratifiziert haben. Sicher, wir haben zu prüfen, was von den übrigen Abkommen auch bei uns noch ohne größere Komplikationen ratifiziert werden kann.
Es ist nicht unbekannt, daß in diesen vier Abkommen einige Probleme stecken, die dazu geführt haben, daß man sich auch innerhalb der Ressorts noch nicht einigen konnte. Wir müssen im Ausschuß hören, um welche Details es sich handelt. Ich möchte heute zu den einzelnen Vorlagen nicht Stellung nehmen, sondern nur sagen: wir wollen uns im Ausschuß ernsthaft bemühen, zu prüfen, ob eine baldige Ratifizierung der genannten Abkommen möglich ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Doch! Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Lassen Sie mich einige wenige Sätze zu den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers sagen, die er hier zu dem Übereinkommen Nr. 100 gemacht hat.
Herr Arbeitsminister, Sie haben schon bei früherer Gelegenheit in diesem Hause erklärt, daß die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 100 vielleicht erst dann zu geschehen habe, wenn die Tarifparteien die Lohngleichheit geregelt und in den Tarifverträgen festgelegt hätten. Ich darf Sie vielleicht darauf hinweisen: Gerade bei den Verhandlungen in Genf - wenigstens besagt das das Ab-schlußprotokoll jener Ausschußsitzung - war ganz klar herausgestellt, daß die zustimmenden Mitgliedstaaten die Verpflichtung übernehmen, die Lösung des ganzen Problems der gleichen Entlohnung für gleiche und gleichwertige Arbeit zu f ö r der n. Ich möchte namens der fünfeinhalb Millionen berufstätiger Frauen, also der in abhängigem Arbeitsverhältnis stehenden Frauen, hier ganz klar und eindeutig sagen: sie erwarten, daß die Bundesregierung mit der Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 100 vorausgeht und damit die Bemühungen der Tarifpartner unterstützt, dieses Problem für die berufstätigen Frauen leichter und schneller zu lösen. Frankreich und Belgien haben dieses Übereinkommen bereits vor einigen Jahren, Österreich hat es im vorigen Jahr ratifiziert. Der belgische Arbeitsminister hat am 16. 11. 1953, als er den Nationalen Arbeitsrat in Belgien von der Ratifikation in Kenntnis setzte, festgestellt, daß Belgien durch die Ratifizierung feierlich die Anerkennung des Lohngleichheitsgrundsatzes bekräftigt hat, die sich für jeden Mitgliedstaat, der in der Internationalen Arbeitsorganisation diesem Übereinkommen zugestimmt hat, aus der Verfassung des Internationalen Arbeitsamtes und aus der Erklärung von Philadelphia über die Menschenrechte ergibt. Belgien und die anderen
({0})
bereits genannten Länder haben damit die Bereitwilligkeit zur Lohngleichheit anerkannt. Nicht mehr und nicht weniger, Herr Arbeitsminister, verlangen auch die deutschen Frauen. Ich möchte das Hohe Haus dringend bitten, daß es in den Beratungen im Ausschuß auf diese Wünsche der erwerbstätigen Frauen Rücksicht nimmt und daß endlich auch die Bundesrepublik dieses Übereinkommen ratifiziert.
({1})
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen und schließe die erste Beratung. Es ist der Antrag gestellt, die vier Einzelvorlagen den zuständigen Ausschüssen zu überweisen. Ich schlage vor, die Gesetzentwürfe unter Punkt 3 a und Punkt 3 b der Tagesordnung dem Ausschuß für Arbeit als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatendem Ausschuß, die beiden anderen Teilvorlagen nur dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft im Land Berlin ({0}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({1}) ({2}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Königswarter. Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung?
({3})
- Das Haus ist damit einverstanden, daß ohne mündliche Berichterstattung beraten wird.
Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf § 1, - § 2, - § 3, - § 4. Wer diesen Bestimmungen in der Ausschußfassung zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 5 ist ein Änderungsantrag angekündigt. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Klingelhöfer.
Herr Präsident! Ich habe die Ehre, meine Damen und Herren, den Antrag meiner Fraktion zu begründen. Ich würde nur wünschen, daß dieser Antrag nicht als Antrag meiner Fraktion, sondern als ein Wunsch des ganzen Hauses betrachtet würde und daß ich als Sprecher aus Berlin einem Wunsche des ganzen Hauses Ausdruck gäbe, obwohl ich der Sprecher von Berlin bin. Der Antrag liegt Ihnen in Umdruck 363 vor. An der Vorlage ist nicht nur die Überschrift zu ändern, entsprechend dem Bericht des Berichterstatters und dem Bericht des Ausschusses.
Meine Damen und Herren, bei dem Antrag der Fraktion der SPD handelt es sich - und darum wünschte ich, daß er als Antrag des ganzen Hauses aufgenommen werden möge - um die Gutmachung eines Versäumnisses. Sie werden sich daran erinnern, daß dieses Haus am 6. Mai 1954 einstimmig eine Entschließung angenommen hat,
*) Siehe Anlage 13. die genau dem Ausdruck gibt, was meine Fraktion in diesem Antrage verlangt. Es heißt in der Entschließung unter dem Buchstaben c, daß die Bundesregierung ein Gesetz vorlegen möge, nach dem die Steuerfreibeträge um 20 °/o erhöht werden. Das war ein Beschluß des ganzen Hauses. Auch der Ausschuß für Finanzen und Steuern hatte bei seiner ersten Lesung einen Beschluß in dieser Richtung gefaßt; das war notwendig geworden, weil in der Regierungsvorlage dem Wunsch des Hauses nicht Rechnung getragen worden war. Leider ist dieser Beschluß in dem Bericht, der Ihnen vorliegt, nicht wiedergegeben. In der letzten Ausschußberatung führte die Kontroverse, ob die Bundesratsempfehlung oder der Regierungsentwurf durchgeführt werden solle, dazu, daß dieser Beschluß nicht aufrechterhalten worden ist.
Unser Antrag muß auch deshalb angenommen werden, weil er dem Steuersystem gerecht wird. Wenn eine Lohnsteuerpräferenz vorgesehen wird, dann ist es nicht möglich, daß man den Steuerfreibetrag im Gesetz ausläßt. Das widerspricht dem Grundsatz der Steuergleichheit. Die Erhöhung der Steuerfreibeträge gehört ebenso zur Einkommen- und Körperschaftsteuersystematik wie die Senkung von Tarifen. Ich bin der Auffassung, daß die Regierung es auch aus systematischen Rücksichten nicht unterlassen dürfte, die Steuerfreibeträge zu erhöhen.
Dies ist auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit notwendig. Präferenzen gelten gleichmäßig und nehmen auf unterschiedliche Einkünfte keine Rücksicht. Die höchsten Einkünfte werden bei einem prozentualen Abschlag ebenso wie die kleinsten berücksichtigt. Nun handelt es sich aber gerade bei unserem Antrag um die Einkünfte der Erwerbstätigen mit den niedrigsten Einkünften und der Rentner, d. h. um Einkünfte bis zu 3600 DM jährlich, und darüber hinaus soll die notwendige Abflachung bis zu Einkünften von 4800 DM jährlich durchgeführt werden.
Ich will Ihnen einige Beispiele geben, damit Sie sehen, worum es sich handelt. Ohne Freibetrag würde bei einem Einkommen von 2400 DM jährlich in Klasse I die Senkung monatlich 90 Pf betragen; mit Steuerfreibetrag auch nicht viel mehr, aber immerhin 2,30 DM. Bei 3600 DM kämen wir ohne Freibetrag monatlich zu einer Senkung von 3,60 DM, mit Freibetrag jedoch zu einer solchen von 5,50 DM. Wer wie diese Kreise mit den niedrigsten Einkünften, Lohnempfänger und Rentner, den Pfennig umdrehen muß, der weiß sehr wohl den Unterschied zwischen 90 Pf und 2,30 DM im Monat und zwischen 3,60 DM und 5,50 DM im Monat zu schätzen. Wenn auf der andern Seite bei einem Einkommen von 20 000 DM die Ermäßigung bei der 20%igen Senkung 989 DM jährlich beträgt - und ich muß sagen, daß diese Präferenz auch bei den hohen Einkommen unter Aufbaugesichtspunkten für Berlin notwendig ist -, dann darf man die kleinsten Einkünfte nicht diskriminieren. Außerdem muß man eines wissen, was spezifisch Berlin betrifft. Alle Einkünfte von Lohn- und Gehaltsempfängern in Berlin sind nämlich ohnehin diskriminiert. Es ist nun einmal so, daß wir in Berlin eine geringere Gewinnkraft der neugeschaffenen Unternehmungen haben als in der Bundesrepublik und zugleich eine abnorme Arbeitslosenzahl, die heute noch 17 % der Erwerbstätigen ausmacht. Diese beiden Faktoren, eine sehr viel niedrigere Gewinnkraft als in der Bundesrepublik und die hohe Arbeitslosigkeit, wir({0})
ken sich sozial aus und drücken auf die Löhne und Gehälter. Auch hier ganz wenige Beispiele. Es wird bei gleicher Leistung - das bitte ich Sie zu beachten, und niemand wird bezweifeln, daß in der Berliner Elektroindustrie und in der übrigen Industrie die gleiche Leistung verlangt wird wie etwa in Hamburg - in Berlin von einem Metallarbeiter ein durchschnittlicher Bruttostundenverdienst von 167 Pfennig erreicht; in Hamburg dagegen beträgt der durchschnittliche Bruttostundenverdienst 189 Pfennig. Das hat sich bis heute nicht geändert. Um den durchschnittlichen Bruttowochenverdienst eines Metallarbeiters ist es noch schlechter bestellt, und zwar deshalb, weil die Arbeitszeiten in Berlin auch infolge größerer Arbeitslosigkeit kürzer sind als in Hamburg und im ganzen Bundesgebiet. Der durchschnittliche Bruttowochenverdienst eines Metallarbeiters in Berlin beträgt 77 DM; er beträgt in Hamburg 93 DM. Bei den kaufmännischen Angestellten sind die Dinge noch bitterer. Wir haben in Berlin Unterschiede gegenüber Hamburg in der gleichen Tarifklasse bis zu 20 und 24 %.
Ich habe schon von der Wichtigkeit der leitenden Angestellten für die Aufbaupolitik in Berlin gesprochen. Diese Kategorie ist die treibende Kraft in einer erfolgreichen Aufbaupolitik. Bei der Gruppe der leitenden Angestellten auf der Ebene unter den Vorstandsmitgliedern und bei den Vorstandsmitgliedern selbst ist das Verhältnis der Gehälter in Berlin zu denen im Bundesgebiet bei vergleichbaren Unternehmungen 2 : 3. Das gilt für Banken, das gilt ebenso für Industrieunternehmungen. Es ist gar kein Zweifel darüber, daß in dieser Beziehung nicht nur bei den gelernten Facharbeitern, sondern auch bei den leitenden Angestellten ein echtes Handicap für den Wiederaufbau der Berliner Wirtschaft vorliegt.
Nun möchte ich, daß auch der Herr Bundesfinanzminister nicht böse über diesen Antrag ist und daß er keinen Einspruch erhebt. Ich weiß nicht, ob er den Einspruch unterlassen wird; sein Pflichtbewußtsein veranlaßt ihn vielleicht dazu, trotz seiner Liebe zu Berlin. - Er nickt mit dem Kopf. Ich muß es hinnehmen, daß der Herr Bundesfinanzminister, der den Säckel zu bewachen hat, seine Pflicht erfüllt, auch dann, wenn sein Herz etwa kontra ist. Aber ich muß dem Herrn Bundesfinanzminister noch folgendes sagen.
Der Herr Bundesfinanzminister möge nicht übersehen, daß dieser Antrag außerordentlich bescheiden ist. Ich hatte im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen festgestellt, daß nicht die Bereitschaft bestand, das zu akzeptieren, was der Bundestag am 6. Mai 1954 einstimmig der Bundesregierung zu empfehlen beschlossen hatte. Der Bundestag hatte beschlossen, gleichviel um welche Steuerstufen es sich handelt, den Steuerfreibetrag um 20 % zu erhöhen. Wir haben uns zurückgehalten, weil wir wissen, daß die generelle Erhöhung des Steuerfreibetrags eine beträchtliche Summe ausmacht, etwa 18 bis 20 Millionen Mark. Ich weiß nicht nur um die Sorgen des Herrn Bundesfinanzministers um seinen diesjährigen Etat, sondern ich weiß auch, daß die Summe von 18 bis 20 Millionen Mark in dem Projekt, das man für Berlin durchführen will, Schwierigkeiten wegen der Verteilung der erforderlichen Maßnahmen auf die einzelnen Gruppen bereiten würde. Bei diesem Antrag handelt es sich nicht um 18 bis 20 Millionen Mark, sondern höchstens um einen Betrag zwischen 3 und 4 Millionen Mark. Das ist eine Summe, die ohne Ausdehnung des für Berlin Erforderlichen vertragen werden kann.
Herr Bundesfinanzminister, geben Sie sich bitte wirklich einen Ruck! Seien Sie nicht nur gerecht, entsprechen Sie auch der Systemgerechtigkeit dieses Projektes, der steuerlichen Systemgerechtigkeit! Tragen Sie Rechnung dem Wunsche dieses Hauses, der einstimmig zum Ausdruck gekommen ist, der jedoch in unserem Antrage nicht wieder aufgenommen worden ist; denn wir verlangen nur 1/6 der Summe, die der Beschluß des Hauses erfordert haben würde. Tragen Sie bitte, Herr Bundesfinanzminister, diesem bescheidenen Wunsche Rechnung!
Ich darf schließen. Mein Wunsch ist - ich habe ihn zu Anfang schon ausgesprochen -, dieser Antrag möge als ein Anliegen des ganzen Hauses empfunden und einstimmig angenommen werden. Das ganze Haus möge - was zu sagen ja bei den Nichtantragstellern beliebt ist - dem Satz entsprechend handeln: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk". Fassen Sie einen einstimmigen Beschluß! Ich glaube, Sie dienen damit nicht nur der Durchführung Ihres eigenen Beschlusses, Sie dienen der Gerechtigkeit und dem Ansehen dieses Hauses.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Einspruch, den Herr Kollege Klingelhöfer erwartet, muß ich gegen diese Pläne leider schon einlegen, und zwar aus folgender Erwägung heraus. Der Antrag, der soeben hier begründet wurde, sieht vor, daß für die Arbeitnehmer besondere Freibeträge eingeführt werden sollen, und zwar 180 DM für Arbeitnehmer mit Einkommen bis 3600 DM im Kalenderjahr, 120 DM, wenn das Einkommen zwischen 3600 und 4200 DM liegt, und 60 DM, wenn das Einkommen zwischen 4200 und 4800 DM liegt. Bei der Begründung wurde darauf Bezug genommen, der Bundestag habe am 6. Mai 1954 beschlossen, die Steuerfreibeträge um 20 v. H. zu erhöhen. Das ist richtig, aber der Beschluß ist vor der Steuerreform gefaßt worden, d. h. bevor die steuerlichen Leistungen ohnehin schon gesenkt worden sind. Wenn sich die Präferenzen jetzt auf diese Freibeträge nicht erstrekken, dann müßte man dabei immerhin beachten, daß eine Vergünstigung ja bereits durch die Steuerreform gegeben worden ist.
Auch der soziale Gehalt des Antrages läßt zu wünschen übrig. Gerade diejenigen, die ein Einkommen haben, das der Steuer überhaupt nicht unterliegt, werden durch diesen Antrag nicht betroffen und profitieren von diesem Antrag daher nichts. Ferner ist der Antrag auch außerordentlich einseitig, weil er nur auf die Arbeitnehmer abgestellt ist, also nur auf Personen, die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit haben. Es gibt aber auch zahllose Einkommensbezieher, die Einkünfte haben aus selbständiger Tätigkeit, aus Grundbesitz, aus Kapitalrenten oder aus Gewerbebetrieb, wie etwa die Handwerker, die Kleingewerbetreibenden usw. All diese Personen würden durch diesen Antrag nicht begünstigt. Aber auch bei den Arbeitnehmarn selbst würde die Auswirkung unterschiedlich
({0})
sein, je nachdem, ob die Arbeitnehmer - sofern sie verheiratet sind - mit dem Ehegatten zusammen veranlagt werden oder ob sie getrennt veranlagt werden. Werden sie zusammen veranlagt, dann würde der Freibetrag doppelt gewährt werden, werden sie getrennt veranlagt, nur einmal. Es kann auch vorkommen, daß jemand neben dem Arbeitseinkommen noch ein anderes Einkommen, etwa aus Vermietung und Verpachtung hat. Auch in solchen Fällen würde diese Vergünstigung nicht zum Zuge kommen, obwohl auch das gesamte Einkommen durchaus unter diesen Grenzen bleiben kann.
Auch hinsichtlich der Belastung des Haushaltsplans sind die Auswirkungen keineswegs so geringfügig, wie hier gesagt wurde. Es handelt sich tatsächlich um einen Betrag, der etwas über 10 Millionen DM liegt. Um eine. Deckung zu finden, müßten wir das Notopfer nochmals um etwa 1 % erhöhen.
Wir halten demzufolge diesen Antrag für nicht
geeignet und bitten, ihn Gelegenheit G
Ich darf bei dieser Gelegenheit mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einen Antrag redaktioneller Art stellen. Ich möchte zunächst darauf aufmerksam machen, daß die Überschrift dieses Gesetzes sprachlich vielleicht zu ändern wäre. Es heißt: „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes . . ., ferner des Körperschaftsteuergesetzes . . . sowie des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe ,Notopfer Berlin' . . .". Ich möchte beantragen, das Wort „ferner" zu streichen und statt „sowie" „und" zu schreiben. Das ist eine einfache redaktionelle Änderung.
Weiterhin ist bei der Ausarbeitung des Gesetzes offenbar übersehen worden, daß in den Paragraphen, bei denen Beschlüsse des Ausschusses gefaßt worden sind, immer von „Berlin ({1})" gesprochen ist, während in den Paragraphen, in denen es bei der Regierungsfassung verblieben ist, steht: „Land Berlin". Um eine Einheitlichkeit herbeizuführen, wird beantragt, in den §§ 1 bis 9 statt „Land Berlin" einheitlich „Berlin ({2})" zu schreiben. Das entspricht der im Einkommensteuerrecht üblichen Gepflogenheit.
Schließlich ist noch zu den Sätzen etwas zu sagen, die am Schluß der beiden Tabellen stehen, die als Anlagen beigefügt worden sind. Dort ist gesagt, daß für jede 100 DM Einkommen über rund 25 000 DM Jahreseinkommen noch weitere 4,0875 DM, d. h. 4 Mark und 83/4 Pfennig erhoben werden sollen. Hier möchte ich vorschlagen, diese Zahl der besseren Rechnung wegen auf 4 Mark und 9 Pfennig aufzurunden. Ich möchte darauf aufmerksam machen: in der Tabelle selbst sind die Beträge ordnungsgemäß mit 9 % errechnet, und aus 9 % Erhöhung auf 3,75 DM ergab sich diese Zahl mit vier Stellen hinter dem Komma. Die vorgeschlagene Aufrundung macht bei einem Mehreinkommen von 10 000 DM ganze 25 Pfennig mehr aus, die dafür erhoben werden. Dafür haben wir aber eine wesentlich einfachere Berechnungsmethode. Dementsprechend müßte auch in § 7 Ziffer 4 statt 4,0875 gesetzt werden 4,09 DM.
Ich beantrage also namens meiner politischen Freunde, den Änderungsantrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei auf Umdruck 363 abzulehnen und die redaktionellen Änderungen, wie ich sie vorgetragen habe, noch zu genehmigen. Ich darf dem Herrn Präsidenten den handschriftlichen Antrag überreichen.
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Das Wort hat der Abordnete Klingelhöfer.
Ich werde Sie nicht lange aufhalten, meine Damen und Herren. Ich weiß sehr wohl, daß ein später Abend nicht die geeignete Zeit ist, lange Ausführungen zu machen. Aber der Herr Kollege von der CDU hat mich doch überrascht. Warum kapituliert denn eine so mächtige Partei in diesem Hause vor ihrem eigenen Beschluß? Zum übrigen wurde darauf hingewiesen, daß bei der Steuerreform bereits eine Steuersenkung vorgenommen worden ist. Das dürfte dem Hause ohnehin bekannt sein. Aber eis dürfte dem Hause auch bekannt sein, daß diese Steuerreform für ganz Deutschland gegolten hat und daß es sich hier nicht um etwas handelt, was nun etwa für Berlin besonders durchgeführt worden wäre.
Zum zweiten ist es richtig, was der Herr Kollege gesagt hat, daß es sich hier um einen besonderen Steuerfreibetrag für die unselbständig Tätigen handelt. Ichglaube, dieses Haus weiß, daß ich mich um die selbständig Tätigen sehr wohl und sehr ernsthaft bekümmere; und ich habe mir das sehr wohl überlegt. Aber ,das Haus weiß auch, daß bei den Lohnempfängern Idas vorliegt, was der Herr Bundesfinanzminister einmal das „gläserne Portemonnaie" genannt hat, durch das jeder hindurchsehen kann, und daß nun 'einmal bei den Selbständigen in der Tat alles das, was der Lohnempfänger nicht absetzen kann, von Gesetzes wegen abgezogen werden darf und daß die Dinge dort in der Tat anders zu beurteilen sind als bei den Lohnempfängern.
Drittens. Ich weiß es nicht, ob der Herr Bundesfinanzminister meinem Herrn Kollegen von der CDU gesagt hat, daß es 10 Millionen DM sind. Vielleicht, - ,aber wir wissen ja auch: der Herr Bundesfinanzminister greift ganz gerne - verzeihen Sie, auch das ist seine Pflicht - etwas höher, als es unbedingt sein muß. Er hat vielleicht Gelegenheit, sich mit meinem Landesfinanzamt in Berlin auseinanderzusetzen. Dort habe ich mir ausrechnen lassen, was die Sache kostet, und nur deshalb habe ich diese Zahlen vorgebracht, nicht um die Dinge zu bagatellisieren oder zu verniedlichen. Immerhin, Herr Bundesfinanzminister, immerhin, Hohes Haus, ich habe dem Herrn Bundesfinanzminister doch durch die Bescheidenheit meiner Fraktion, wenn er recht hat, 15, 14, 13, 12 Millionen erspart. Wollen Sie das nicht honorieren, Herr Bundesfinanzminister? Wollen Sie das nicht honorieren, meine Damen und Herren?
Wird das Wort noch gewünscht? - Bitte, Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine Feststellung: Der Herr Vorredner hat eingangs seiner Ausführungen erwähnt - in seiner ersten Rede -, daß ein Vorteil seines Antrags darin liege, daß das haushaltswirtschaftliche Risiko nicht so groß sei. Es handele sich nicht um 18 Millionen, sondern etwa um den sechsten Teil. Es wird seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, daß der Herr Kollege Lindrath schon bemerkt hat, daß hier ein Irrtum vorliegt, daß der Ausfall, den dieser Antrag
({0})
bringen würde, nicht 3 Millionen, sondern nach den Erhebungen, die wir in Berlin vorgenommen haben, annähernd 10 Millionen DM betragen würde. Wenn der Herr Vorredner also gemeint hat, sein Antrag empfehle sich ,deshalb zur Annahme, weil der Ausfall so gering sei, so muß ich leider feststellen, daß diese Empfehlung jeder sachlichen Grundlage entbehrt.
Im übrigen möchte ich feststellen, daß die Bedenken, die gegen die Inkongruenz des Antrags bezüglich !der Ehegattenbesteuerung im Falle von Einkünften neben den Lohneinkünften vorgetragen worden sind, vollkommen zutreffen und allein schon deshalb den Antrag meiner Überzeugung nach urivollziehbar machen.
Jetzt wird das Wort wohl wirklich nicht mehr gewünscht, so daß ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 363*) kommen kann. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, da sich das Präsidium nicht einig ist, möchte ich die Frage anders klären. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Vorstand ist sich nicht einig. Wir müssen auszählen. Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen. Ich bitte die Schriftführer, sich an die Plätze zu begeben.
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Ich bitte die Damen und Herren, den Saal beschleunigt zu verlassen. Die Abgeordneten aus Berlin dürfen, obwohl der Antrag Berlin betrifft, im Saale bleiben. Ich bitte, die Türen zu schließen. Ich stelle fest, daß nur noch Berliner Abgeordnete im Saale sind.
Ich bitte, die Türen zu öffnen. Die Abstimmung beginnt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 363 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, durch die Ja-Türe zu gehen, wer ihn abzulehnen wünscht, durch die Nein-Türe, die übrigen durch die Enthalten-Türe.
({1})
Ich bitte die Türen zu schließen; die Abstimmung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich darf das Ergebnis der Abstimmung bekanntgeben. Es haben mit Ja 108 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 191 Mitglieder; enthalten hat sich niemand. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme damit zur Abstimmung über den § 5 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der § 5 ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 6, - 7, - 8, - 9, - 10 und 11 in der Ausschußfassung. Das Wort wird nichtgewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Einleitung und Überschrift und hierzu den Antrag des Abgeordneten Dr. Lindrath, in der Überschrift das Wort „ferner" zu streichen und das Wort „sowie" durch das Wort „und" zu ersetzen. Wer diesem Antrag des Abgeordneten Dr.
*) Siehe Anlage 8. Lindrath zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich darf ferner festhalten - ich sollte dies schon im Auftrag des Herrn Berichterstatters tun, der auf mündliche Berichterstattung verzichtet hat -, daß überall dort, wo die Worte „Land Berlin" stehen, diese durch die Worte „Berlin ({2})" ersetzt werden. Ich stelle fest, daß das Hohe Haus damit einverstanden ist.
Ferner hat der Abgeordnete Dr. Lindrath beantragt, in § 7 Ziffer 4 statt „4,0875" die Zahl „4,09" zu setzen. Ich nehme an, daß Sie mit dieser Berichtigung einverstanden sind. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; einstimmig beschlossen.
Herr Dr. Lindrath hat außerdem beantragt, am Schluß der Anlagen 1 und 2 statt der Zahl „4,0875" die Zahl „4,09" zu setzen. Es erhebt sich kein Widerspruch; auch dies ist einstimmig beschlossen.
Damit stehen wir am Ende der zweiten Beratung. Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Änderungsanträge liegen nicht vor. Damit entfällt eine Einzelberatung.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Sitz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß das Gesetz einstimmig angenommen ist.
({3})
- Entschuldigen Sie, war das eine Gegenstimme?
({4})
- Ich stelle fest, daß das Gesetz einstimmig - bei einer Enthaltung - angenommen wurde.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Ausschußantrag auf Seite 2 der Drucksache 1390, Ziffern 2 und 3. Ich darf über beide Ziffern gemeinsam abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zündwarensteuergesetzes ({5});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({6}) ({7}).
({8});
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({9}) über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP betreffend Zündwarensteuer ({10}).
Das Wort als Berichterstatterin zu beidem hat Frau Abgeordnete Beyer.
Frau Beyer ({11}) ({12}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Aus
({13})
den Ihnen vorliegenden Drucksachen 1130 und 1131 ist zu entnehmen, daß sich der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen am 3. Dezember 1954 mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zündwarensteuergesetzes - Drucksache 822 -, eingebracht von der Fraktion der SPD, sowie dem Antrag Drucksache 917, eingebracht von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE und DP, befaßt hat. Das Ziel beider Vorlagen war und ist, eine Herabsetzung der Zündwarensteuer herbeizuführen.
Zur Sache selbst ist zu sagen, daß im Jahre 1946 durch das Kontrollratsgesetz Nr. 28 die Steuer für 100 Streichhölzer von 1 Pfennig auf 10 Pfennig heraufgesetzt wurde. Damit stieg der Preis z. B. für eine Dose Haushaltware bei einem Inhalt von 60 Stück von 3 Pfennig auf 10 Pfennig für den Verbraucher. Etwa zur gleichen Zeit trat durch eine Qualitätsverschlechterung des Holzes eine Verringerung des Inhaltes der Dosen um 20 % ein, so daß für weniger und schlechtere Ware der mehr als dreifache Preis gezahlt werden mußte. Noch heute unterliegen wir den gleichen Bedingungen.
Wenn im Jahre 1946 diese Maßnahme in Anbetracht der damaligen wirtschafts- und finanzpolitischen Verhältnisse unter besonderer Berücksichtigung der auf Ländern und Gemeinden lastenden sozialen Aufgaben ihre Berechtigung hatte, so gilt es heute zu berücksichtigen, daß durch diese Bedingungen die Maschinen der Zündholzfabriken zu 60 % nicht ausgenutzt sind und ein Beschäftigungsrückgang gegenüber der Vorkriegszeit von zirka 40 % zu verzeichnen ist. Hinzu kommt, daß auf den Beschäftigten der Zündholzfabriken laufend die Angst vor Kurzarbeit lastet.
Die Umsatzstatistiken weisen nach, daß der durchschnittliche Verbrauch an Zündhölzern pro Kopf der Bevölkerung in der Bundesrepublik gegenüber der Vorkriegszeit um 38 % zurückgegangen ist. Der Verbrauch lag 1936/38 bei zirka 154 Hölzern pro Kopf der Bevölkerung, 1951/53 bei zirka 97 Hölzern pro Kopf der Bevölkerung und 1953 nur noch bei 95 Hölzern pro Kopf der Bevölkerung.
Der Einwand, daß in der Zwischenzeit auch Verbrauchswandlungen eingetreten sind, wird in fast allen übrigen Ländern widerlegt. Sonst z. B. in den USA der Jahresverbrauch pro Kopf der Bevölkerung von 1938 bis 1952 noch angestiegen. Der Anstieg ist zwar gering, beweist aber, daß trotz hohem Stand der technischen Entwicklung kein Verbrauchsrückgang einzutreten braucht. Allerdings muß hinzugefügt werden: bei einer Steuer von noch nicht einmal einem Pfennig für 100 Streichhölzer.
Berücksichtigung fand aber bei unserer Urteilsbildung vor allem die Tatsache, daß durch diese hohe steuerliche Belastung die Landbevölkerung und die Einkommensgruppen betroffen werden, die auf Grund ihres Einkommens auch heute noch auf die modernen technischen Hilfsmittel verzichten müssen. So weit der materielle Inhalt der Vorlagen.
Am 3. Dezember vergangenen Jahres hatten wir die Beratungen zur großen Steuerreform gerade abgeschlossen, und obwohl von allen Mitgliedern des Finanzausschusses einschließlich der Herren Vertreter des Finanzministeriums unter Berücksichtigung des zuvor Dargelegten die Notwendigkeit der Steuersenkung anerkannt wurde, machte
Herr Ministerialdirektor Dr. Schillinger auf den noch nicht vorhandenen Überblick über die finanziellen Auswirkungen infolge der Steuerreform aufmerksam und bat unter Hinweis auf die haushaltmäßige Auswirkung, den Termin noch um einige Monate hinauszuschieben.
Auf Grund dieser Darlegungen entschied sich damals der Ausschuß in seiner Mehrheit für die Ablehnung des Gesetzentwurfs der SPD laut Drucksache 822 und nahm gleichzeitig mit Mehrheit den Antrag der Koalitionsparteien laut Drucksache 917 an, in dem in Abs. 2 die Bundesregierung ersucht wird, dem Bundestag mit Aufhebung des Besatzungsstatuts, spätestens jedoch mit Wirksamkeit vom 1. April 1955 ein Gesetz vorzulegen, durch das die frühere steuerliche Belastung auf dem Gebiet der Zündwaren wiederhergestellt wird.
Inzwischen sind weitere fünf Monate vergangen, und der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen befaßte sich in seiner Sitzung vom 4. Mai 1955 außerhalb der Tagesordnung noch einmal mit der Frage der Zündwarensteuer, zumal der im Antrag festgelegte Termin vom 1. April 1955 bereits verstrichen war. Nach eingehender Aussprache kam der Ausschuß zu dem Beschluß, die Anträge Drucksachen 1130 und 1131 nunmehr abzulehnen und für die Annahme des Gesetzentwurfs der SPD laut Drucksache 822 einzutreten mit der Maßgabe, daß der § 4 des Entwurfs wie folgt geändert wird:
Dieses Gesetz tritt am 1. 10. 1955 in Kraft.
Ein entsprechender Änderungsantrag liegt uns mit Umdruck 361*) vor.
Ich darf das Haus bitten, sich der letzten Entscheidung des Ausschusses anzuschließen und dem Antrag Drucksache 822 mit der Änderung laut Umdruck 361 die Zustimmung zu geben.
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Ich stelle damit fest, daß der Ausschußantrag Drucksache 1130, der die Ablehnung empfiehlt, überholt ist.
Meine Damen und Herren, wir treten gleich in die Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache 1130 ein. Im Fall der Annahme würde ja eine Beratung der weiteren Drucksachen entfallen. Ich rufe auf zur Beratung Art. 1, - 2, - 3. - Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, ich muß es genauer feststellen lassen. Wer den Artikeln 1, 2 und 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; die Artikel sind abgelehnt.
({0})
Ich rufe auf zu Art. 4 - ich muß formell vorgehen - den Antrag der SPD, Umdruck 361, der den Termin betrifft. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Art. 4 in der ursprünglichen Fassung des Antrags. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; abgelehnt.
*) Siehe Anlage 9.
({1})
Ich muß noch abstimmen lassen über Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist in allen Punkten abgelehnt.
Wir kommen damit zum Mündlichen Bericht auf Drucksache 1131. Eine weitere Begründung ist ja nicht notwendig. Der Änderungsantrag der FDP auf Umdruck 365*) ist zurückgezogen. Es liegt aber noch der Umdruck 368**) der CDU/CSU, FDP und DP vor.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP haben Ihnen einen Änderungsantrag zu dem Antrag Drucksache 917 vorgelegt. Obwohl der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen den Antrag Drucksache 917 zur Annahme empfohlen hatte, war der Änderungsantrag nötig, weil der letzte Absatz des Antrags Drucksache 917 durch Zeitablauf überholt war. Dort war gesagt worden, die Bundesregierung werde ersucht, dem Bundestag mit Aufhebung des Besatzungsstatuts, spätestens jedoch mit Wirksamkeit vom 1. April 1955 ein Gesetz vorzulegen. Das ist naturgemäß jetzt nicht mehr möglich. Wir mußten demzufolge den letzten Absatz ändern und schlagen Ihnen daher vor, zu sagen:
Die Bundesregierung wird ersucht, im Entwurf des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1956 im Einzelplan 60 eine Senkung der Zündwarensteuer in Rechnung zu stellten, durch die die frühere steuerliche Belastung der Zündwaren wiederhergestellt wird.
Wir sind, glaube ich, in diesem Hause alle der gleichen Meinung, daß es sich bei der Zündwarensteuer um eine Steuer handelt, die außerordentlich erhöht worden war. Sie ist seinerzeit durch die Vorschriften der Militärregierung verzehnfacht worden. Deswegen hat das Hohe Haus wiederholt den Wunsch geäußert, die Zündwarensteuer möge endlich wieder herabgesetzt werden. Es hat auch allenthalben Neigung dazu bestanden. Die Schwierigkeit lag immer bei der Deckungsfrage. Im Augenblick geht es dabei nicht allein um die Frage der Senkung der Zündwarensteuer, sondern zunächst um eine ausgesprochene Haushaltsangelegenheit. Der Haushaltsausgleich ist sehr schwer zu vollziehen. Nur wenn wir eine 10%ige Streichung - außer bei den Personalausgaben und den Ausgaben, zu denen wir rechtlich verpflichtet sind - vornehmen und hierdurch einen Betrag von 340 Millionen DM einsparen, wird ein Ausgleich möglich sein.
Es lagen mehrere Anträge vor, jetzt die Zündwarensteuer zu senken. Daneben sollten auch noch Aufwendungen nach dem Gesetz über die Kriegsgefangenenentschädigung gemacht werden, und es war und ist auch beabsichtigt, Invalidenrente für Witwen zu zahlen, die vor dem 1. Juni 1949 Witwe geworden sind. Die Durchführung all dieser Anträge zusammen würde insgesamt 270 Millionen DM gekostet haben. Man mußte hier also nach der Dringlichkeit entscheiden.
Am dringlichsten schien uns der Antrag auf Zahlung der Invalidenrente an die Witwen zu sein.
*) Siehe Anlage 10. **) Siehe Anlage 11.
Wir halben uns entschlossen, ihn vorwegzunehmen. Dieser Antrag ist nicht nur sozial dringlicher; er ist auch älter als die Bestrebungen, die Zündwarensteuer zu senken. Die gleichen Parteien, die Ihnen diesen Änderungsantrag vorschlagen, haben deshalb einen Antrag vorbereitet, durch den die Zahlung der Witwenrente aus der Invalidenversicherung gewährleistet werden soll.
Außerdem war für unsere Entscheidung noch maßgeblich, daß die Zündwarensteuer wirtschaftlich keine überragende Bedeutung hat und daß die Senkung der Kosten für Zündhölzer etwas eigenartig anmutet in einem Augenblick, in dem die Kohlenpreise anziehen.
({0})
Wenn man den Preis der Zündhölzer auf 5 Pf pro Schachtel senkt, bedeutet das für den einzelnen Verbraucher, wenn er sparsam ist, und nur 20 Schachteln im Jahr verbraucht, eine ganze Mark Einsparung.
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- Eine Mark ist immer viel wert; es sind immer hundert Pfennige!
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- Das beachten wir auch! - Es kommt lediglich darauf an, daß der volkswirtschaftliche Nutzen in keinem Verhältnis zu dem Erfolge steht, der erzielt werden würde. Für die Zündwarenindustrie könnte mit einer stärkeren Arbeitsbelebung gerechnet werden. Aber diese mit 50 Millionen DM zu erkaufen, schien etwas teuer zu sein.
In Abwägung der Dringlichkeit und der Bedeutung der vorliegenden Anträge, denen wir nicht allen gerecht 'werden konnten, haben wir uns daher entschlossen, die Frage der Zündwarensteuer noch etwas zurückzustellen, und bitten deshalb um Annahme der Entschließung, die Bundesregierung zu ersuchen, im Haushaltsplan für das kommende Jahr die Senkung der Zündwarensteuer mit einzuplanen und mit in Rechnung zu stellen.
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Das Wort hat Frau Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Dr. Lindrath veranlassen mich, hierzu noch einige Bemerkungen zu machen. Er erklärte, daß die Zündhölzer keine große Bedeutung für den Verbraucher hätten, vor allem nicht im Hinblick auf die Belastung, die ihm durch die hohe Steuer entstehe. Ich möchte hier einmal klar herausstellen, daß wir heute pro Dose Streichhölzer 10 Pfennig bezahlen bei 20 % geringerem Inhalt gegenüber 1946. In diesen 10 Pfennig sind 6,1 Pfennig fiskalische Belastung enthalten und nur 2,2 Pfennig Herstellungskosten. An dieser Gegenüberstellung sollen wir erkennen, wie hoch die Belastung für den einzelnen Verbraucher ist. Mit der Steuersenkung wäre es möglich, eine Verbilligung der Haushaltsware um 5 Pfennig herbeizuführen, so daß in Zukunft der letzte Verbraucher für eine Dose nur noch 5 Pfennig zu zahlen hätte. Ich habe bereits in dem Be({0})
richt darauf hingewiesen, welche Gründe iden Ausschuß veranlaßten, den Beschluß aus dem Dezember vergangenen Jahres wieder zurückzuziehen und dem Entwurf der SPD laut Drucksache 822 zuzustimmen. Das geschah vor allem im Hinblick auf die starke Belastung des Verbrauchers und im Hinblick darauf, daß von dieser Steuer in erster Linie die 'unteren Einkommensschichten und die Landbevölkerung betroffen werden.
Wir können davon ausgehen, daß mit der Senkung der Zündwarensteuer eine Erhöhung des Verbrauchs eintritt. An den Umsatzzahlen des Auslandes können wir erkennen, daß dort, wo keine oder nur eine geringe Zündwarensteuer erhoben wird, Verbrauchserhöhungen von 10 bis 30 % zwischen 1938 und 1952 eingetreten sind. Nehmen wir nur einmal Österreich. Da handelt es sich um ein Land, das bezüglich des Verbrauchs sehr ähnliche Gewohnheiten aufweist und deshalb hier als Vergleich dienen kann. Wir können feststellen, daß in Österreich vom Jahre 1938 bis zum Jahre 1948 eine Steigerung des Verbrauchs von 99 auf 124 pro Kopf der Bevölkerung eingetreten ist; und nun ist man dazu übergegangen, die Zündwarensteuer vom 1. April ab gänzlich zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, die Auseinandersetzung über die Zündwarensteuer geht nun bereits seit Monaten. Hier wird, glaube ich, wieder einmal sichtbar, daß sich das Parlament selbst des Entscheidungsrechts beraubt. Vor kurzem hat in der außenpolitischen Debatte der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein erklärt: Wir alle hoffen - mit Hinweis auf Frankreich - und arbeiten dafür, daß das Hohe Haus auch ein starkes Parlament werden möge. Wir sollten uns in solchen Auseinandersetzungen einmal unserer Aufgabe bewußt werden und damit auch der Bevölkerung den Beweis erbringen, daß wir den Einwänden, die nun seit Jahren von seiten des Finanzministeriums erhoben werden, nicht Rechnung tragen. Der Finanzminister hat bereits vor etwa zwei Jahren erklärt, er sehe die Notwendigkeit der Senkung der Zündwarensteuer ein. Mithin mußte er sich ja in dieser Zeit auf diese Etatskürzungen einstellen, und man kann nicht heute wiederum erklären: Wir wollen die Mittel erst für das kommende Jahr bereitstellen.
Unter ,diesen Gesichtspunkten möchte ich glauben, daß wir jetzt doch endgültig einmal aus diesen Auseinandersetzungen herauskommen müssen. Wir bitten - wenn nun auch der Antrag ,der SPD nichtangenommen wurde, obwohl der Ausschuß sich nach langer Überlegung dazu bereit fand, ihn nunmehr einzubringen -, daß das Hohe Haus sich bereit findet, mindestens ab 1. Januar 1956 zur Senkung der Zündwarensteuer zu kommen und den Antrag entsprechend abzuändern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg der Zündwarensteuer seit 1945 gleicht schon einer kleinen Tragödie, wenn nicht einer Tragikomödie. Man kann von verschiedenen Gesichtspunkten aus an dieses Problem herangehen. Daß die Zündwarensteuer eine unsoziale Abgabe ist, daran kann nicht der mindeste Zweifel bestehen, und darüber waren sich alle
Herren sowohl im Finanzausschuß wie auch auf seiten der Ministerien einig. Ich habe noch keinen Beamten der Zollverwaltung gesehen, der diese unsoziale Eigenschaft der Zündwarensteuer bestritten hätte. Ich habe noch niemanden gesehen, der ernstlich für die Aufrechterhaltung des verzehnfachten Satzes der Zündwarensteuer eingetreten wäre. Die Zündwarensteuer ist nicht nur unsozial, sie ist geradezu der Prototyp der allerdings kleinen, aber typisch unsozialen Abgabe, die den kleinen Verbraucher und die Hausfrau in erster Linie trifft.
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Nicht umsonst haben gerade die Referenten auch der Länderministerien im Troeger-Gutachten, das ja sonst durchaus nicht unfiskalisch eingestellt ist, die Aufhebung der Zündwarensteuer verlangt. Und wenn der Staat Österreich nunmehr ab 1. April 1955 die Zündwarensteuer zum Wegfall gebracht hat, so sollte man sich das durchaus zum Beispiel nehmen. Der Staat Österreich hat auch nichts zu verschenken; aber er weiß sehr gut, daß man mit unsozialen Steuern keine Steuerpolitik treiben kann.
Die Zündwarensteuer ist aber nicht nur unsozial; sie ist auch steuerpolitisch nicht zu rechtfertigen, weil bei allen Verbrauchsteuern, mit denen ein Industriezweig belastet wird, auch der Konkurrenzwirtschaftszweig belastet wird, und das ist bei der Zündwarensteuer nicht der Fall. Wir haben die Zündwarensteuer ja auch in anderen Ländern teilweise mit sehr geringen Sätzen - die hohen Sätze haben wir allein -; wir haben aber z. B. in England, in Belgien und in Holland daneben eine Besteuerung der Feuerzeuge; das ist ja die Konkurrenz der Zündwarenindustrie. In anderen Gebieten haben wir eine Besteuerung der Zündsteine. Es ist nicht etwa so, daß wir in der Bundesrepublik nicht damit fertig werden könnten, Feuerzeugsteuer oder Zündsteinsteuer zu erheben, sondern wir haben bis zum Jahre 1923 eine Besteuerung der Feuerzeuge gehabt. Diese ist damals - ich darf den Herrn Bundesfinanzminister hier an die Erklärung seines Namensvetters, des damaligen Staatssekretärs im Reichswirtschaftsministerium Dr. Schäffer erinnern - ausschließlich deshalb aufgehoben worden, weil das Feuerzeug im Jahre 1923 nach übereinstimmender Meinung des Reichstags kein Konkurrenzobjekt für das Zündholz war; nur aus diesem Grunde! Inzwischen aber hat sich infolge der Verzehnfachung der Abgabe ein ganz anderer Zustand entwickelt. Ich bin also der Meinung, daß auch steuerpolitisch die Zündwarensteuer nicht gerechtfertigt werden kann.
Die Verzehnfachung der Zündwarensteuer hat dazu geführt - das hat die Frau Kollegin eben mit vollem Recht ausgeführt -, daß die Zündwarenindustrie der einzige Wirtschaftszweig ist, bei dem wir es nach dem Kriege und insbesondere seit 1948 mit einem ständigen Rückgang der Produktion zu tun haben, im Gegensatz zu anderen Ländern. Die Produktion ist von 1938 bis 1954 um 40 % zurückgegangen, während z. B. in Österreich - auch das ist schon erwähnt worden - die Produktion der Zündwaren um 30 % gestiegen ist. Dieser Zustand kann meines Erachtens durch nichts gerechtfertigt werden, auch nicht durch haushaltspolitische Überlegungen.
Zu den haushaltspolitischen Überlegungen möchte ich noch folgendes sagen. Es tritt nicht ein
4534 2. Deut: eher Bundestag ({1})
Ausfall von 50 Millionen ein, sondern allenfalls ein solcher von 40 Millionen, weil ja durch die Senkung der Zündwarensteuer die Gewinne aus dem Zündwarenmonopol für den Bund steigen würden, trotz der nur um ein geringes Maß erhöhten Abführung aus dem Zündwarenmonopol an Schweden. Es gibt also überhaupt keinen Grund, weshalb die Zündwarensteuer immer noch aufrechterhalten werden soll.
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Wenn man schon von Steuermoral spricht und vielfach gesprochen hat, so bin ich der Meinung, daß der Steuermoral des Staatsbürgers die Steuermoral des Gesetzgebers entspricht. Beide entsprechen sich durchaus. Ist die eine schlecht, ist auch die andere schlecht. Eine Steuer, die unsozial ist und steuerpolitisch auch im übrigen nicht zu rechtfertigen ist, können wir auch hier in diesem Hause nicht verteidigen, und es ist meines Erachtens ein schlechtes Werk des Gesetzgebers, an dieser Zündwarensteuer immer und immer wieder festzuhalten, obwohl seit Jahren die Senkung versprochen wird, obwohl sie diesmal für den 1. April 1955 bereits, man kann doch wohl sagen: beschlossen war. Dieser einstimmige Beschluß des Finanzausschusses war dem Herrn Bundesfinanzminister ja schließlich bekannt. Die Verschiebung auf den 1. April 1956 bedeutet unter Umständen nichts anderes als eine Verschiebung ad Calendas graecas. Deswegen können wir dem vorliegenden Antrag, den der verehrte Kollege Dr. Lindrath hier begründet hat, zu unserm Bedauern nicht zustimmen. Wir wiederholen vielmehr den Appell, der eben von seiten der SPD an Sie gerichtet worden ist, und müssen uns Schritte in dieser Richtung vorbehalten.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Schäffer,- Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur in der Hoffnung, daß wir in den nächsten Monaten in eine ruhige Erörterung des Themas Feuerzeugsteuer und Zündwarensteuer eintreten können, dazu einige Vorbemerkungen machen. Die Frage der Aufhebung der Zündwarensteuer und eines möglichen Ersatzes der Zündwarensteuer durch eine Feuerzeugsteuer oder Feuersteinsteuer
({0})
Ich sage jetzt so: Die Frage der Aufhebung der Zündwarensteuer und eines Ersatzes für den Ausfall durch eine - ({1})
- Lassen Sie mich doch den Satz einmal aussprechen!
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Da wissen Sie doch erst, was ich meine.
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Die Frage eines Ersatzes dieser Steuer durch eine
Feuerzeugsteuer oder Feuersteinsteuer hat in
meinem Hause schon eine große Rolle gespielt. Wir
haben diese Frage nach allen Seiten schon vor Jahren durchdacht, weil selbstverständlich die Zündwarenindustrie, die mit uns gesprochen hat, uns gleich darauf hinwies: Ihr könnt ja einen Ersatz durch Einführung einer Feuerzeug- oder Feuersteinsteuer schaffen.
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Die Erhebungen hatten folgendes Ergebnis in Kürze gehabt: Einführung einer Feuersteinsteuer scheitert daran, daß der Feuerstein ein ausgezeichnetes Schmuggelobjekt ist und die Überwachung wahrscheinlich unmöglich ist. So weit Nr. 1.
Nr. 2! Die Erfahrungen mit der Feuerzeugsteuer schrecken. Nach dem, was ich von den damaligen Erhebungen in Erinnerung habe, ist die Feuerzeugsteuer seinerzeit aufgehoben worden, weil die Kosten der Verwaltung höher waren als das Erträgnis. Es ist ja ein großer Unterschied, ob ich wie bei der Zündwarenindustrie einige wenige Hersteller zu überwachen habe oder ob, wie im Jahre 1923, die Möglichkeit besteht, daß jeder geschickte Monteur in der Lage ist, mit ein paar Patronen und einem Blechbehälter ein Feuerzeug zu konstruieren und infolgedessen einen steuerpflichtigen Gegenstand herzustellen. Diese Erhebungen haben dazu geführt, daß das Thema Feuerzeug- und Feuersteinsteuer von uns als unfruchtbares Steuerobjekt abgeschrieben worden ist.
Nun zu der Frage Zündwarensteuer! Herr Kollege, es ist ganz selbstverständlich, daß ich es gern hätte, wenn die Zündwarensteuer in der durch die Militärregierung geschaffenen Form aufgehoben werden könnte. Darüber braucht man nicht zu reden.
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Daß die Zündwarensteuer mit ihrer Verdoppelung zu einer, ich will einmal sagen: Verteuerung des einzelnen Steuerobjektes, also des Zündholzes, geführt hat, ist unbestreitbar und ist selbstverständlich auch sozial unerwünscht. Aber eines darf ich doch sagen: man muß doch an die Größenordnungen denken!
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Wenn ich die gesamte Belastung pro Kopf der Bevölkerung ausrechne, macht es im Jahre 1 Mark und 18 Pfennig.
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Minima non curat, möchte ich fast sagen. Daß diese Belastung des Verbrauchs ein Wallen der Verbraucherseele zur Folge hätte, kann man wirklich nicht behaupten.
Die andere Frage ist die, ob die Zündwarensteuer in der Form, in der sie besteht, der Zündwarenindustrie gefährlich ist und infolgedessen zu einem Rückgang eines produktiven Wirtschaftszweiges führen wird. Meine Damen und Herren, dann müssen wir mit nüchternen Zahlen denken. Wir hatten in Friedenszeiten - ich sage: in Friedenszeiten, in Zeiten, wo also die Steuer nicht da war, wo man aber auch ganz andere Lebensgewohnheiten und ganz andere technische Möglichkeiten hatte - einen Verbrauch von 1800 Stück pro Kopf. Wir haben heute einen Durchschnittsverbrauch von 1200 Stück pro Kopf. Das hängt damit zusammen, daß sich genau so wie bei anderen Erscheinungen heute, ich möchte sagen, bei Rauch({8})
tabak, Schnupftabak etc., die Lebensgewohnheiten ändern, auch in der Küche und auch bei der Hausfrau. Es gibt keine Küche und keine Hausfrau mehr, für die das Zündholz die Rolle spielt wie früher. Der Gasanzünder und alle diese technischen Apparaturen haben das Zündholz verdrängt.
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Keine Steuerermäßigung kann diese wirtschaftliche Entwicklung mehr rückläufig machen.
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- Moment!
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- Bitte?
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- Nein! Das ist die Feststellung einer Tatsache, die niemand bestreiten kann. Das Höchstmögliche - jetzt komme ich auf Ihre Zahlen über den Ausfall -, wenn überhaupt keine Steuer bestünde - das muß mir doch jeder zugeben -, ist bei diesem Strom der Lebensgewohnheiten, der gegen uns geht, eine Erreichung des Konsums, wie er ungefähr in den besten Friedenszeiten war. Das wäre also die Steigerung von 1200 Stück auf 1800 Stück. Damit würde aber der Ausfall, der seinerzeit im Ausschuß berechnet worden ist, nachzuweisen sein.
Das Erträgnis des Zündwarenmonopols ist 3 Millionen DM. Wenn der Ertrag wirklich die alte Friedensverbrauchsquote erreichen würde, würde er vielleicht 3 1/2 Millionen DM erreichen. Das Zündwarenmonopol spielt diese Rolle nicht. Ich nehme an, die Senkung der Zündwarensteuer würde eine Steigerung des Konsums um 50 % bewirken; gesenkt ist doch zunächst um 90 %, also von 62 Millionen auf 6,2 Millionen DM. Wenn Sie die 50 % zuschlagen, haben Sie einen Ausfall von ungefähr 50 Millionen DM.
Ich habe das nur erwähnt, damit nicht der Vorwurf kommt, das Bundesfinanzministerium habe die Probleme nicht zu würdigen und nicht einen Ausweg aus der Lage zu erreichen versucht. Wenn ich den Ausweg hätte finden können, wenn ich das Problem heute lösen könnte, die sozialen Forderungen, die in diesem Hause heute schon von Mund zu Mund gehen, zu befriedigen, die Deckung dafür zu beschaffen und auf die Zündwarensteuer trotzdem zu verzichten, hätte ich das gern getan. Wenn ich weiter die Möglichkeit gehabt hätte, an Stelle der Zündwarensteuer eine von der Zündwarenindustrie geforderte und angeregte andere Steuer zu setzen, hätte ich das gern getan.
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- Bei mir schon!
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- Ich weiß doch, was ich mit den Herren besprochen habe!
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- Lieber Herr Kollege Seuffert, ich spreche mit Ihnen und ich spreche mit den Verbänden, die zu mir kommen.
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Ich muß doch mit beiden sprechen, und ich habe Ihnen noch nie eine Auskunft verweigert. Ich spreche augenblicklich auch mit Ihnen.
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- Ja! - Also ich stelle fest: der gute Wille würde bestehen, aber ich muß die technischen Möglichkeiten und den Zeitpunkt sehen, und ich muß die Möglichkeit haben, die Aufgabe zu erfüllen, gerade das, was im heutigen Haushalt auf uns zukommt, leisten zu können. Ich hoffe, daß wir im nächsten Haushaltsjahr vielleicht Möglichkeiten haben, dem Antrag und der Entschließung zu entsprechen.
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Wir fahren in der Rednerliste fort. Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der unsoziale Charakter der Steuern, um die es sich hier handelt, ist heute schon genügend gekennzeichnet worden. Daß es sich für den Finanzminister um keine übermäßig entscheidende Größe handelt, wissen wir alle. Ohne die sachliche Debatte zu vertiefen, möchte ich sagen: daß der Bundesfinanzminister bei seiner einseitig fiskalischen Einstellung durch Rückgang seiner Einkünfte aus der Zündwarensteuer und dem Zündholzmonopol demnächst ein schlechtes Geschäft machen wird, ist, glaube ich, auch sicher.
Aber ich möchte ein Wort zu der Verhandlungsweise des Herrn Bundesfinanzministers sagen. Dieses Haus war sich nun ungefähr ein halbes dutzendmal einig in der Abschaffung der Zündwarensteuer, sei es in der Form von einstimmigen Ausschußbeschlüssen, sei es in der Form von unterschriebenen Anträgen sämtlicher Fraktionen. Immer wieder sind diese Anträge und diese Einigungen hintertrieben worden, und zwar nicht in offenen Verhandlungen! Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie sich heute hier hinstellen und sagen: Na, vielleicht werden wir in den nächsten Monaten in Ruhe einmal über die Probleme reden können!, - warum haben Sie das in den vielen Verhandlungen der Fraktionen, die die Anträge unterschrieben haben, und der Ausschüsse, die Beschlüsse gefaßt haben, niemals getan?
({0})
Diese Politik des Herrn Bundesfinanzministers neben dem Parlament ist eine Angelegenheit, über die wir sehr ernst und sehr deutlich vielleicht nächstens noch einmal reden müssen,
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wenn das richtig ist, Herr Bundesfinanzminister, was in der Presse über Ihre sogenannte Einigung mit den Ländern über die Steuerverwaltungskosten steht.
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Ich glaube, Herr Kollege Dresbach, das ist im Sinne einer sauberen demokratischen Verhandlungsführung in diesem Parlament ein Omelett, das einigen Lärm wert ist.
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- Aber auch hier diese Behandlung des Parlaments!
Nachdem Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit, insbesondere von der CDU/CSU, nun wohl ein halbes dutzendmal Unterschriften und Zusagen in bezug auf die Zündholzsteuer zurückgezogen haben, nachdem Sie sich nun nicht einmal mehr trauen, eine Entschließung einzubringen, es möge ein Gesetz vorgelegt werden, nachdem Ihnen das fertige Gesetz, von dem nie jemand bestritten hat, daß das Gesetz so und nicht anders aussehen muß - es handelt sich nur um den Zeitpunkt des Inkrafttretens -, soeben vorgelegen hat und Sie es abgelehnt haben, nachdem Sie also nun nicht einmal mehr den Antrag stellen, die Regierung möge zu irgendeinem Zeitpunkt ein Gesetz vorlegen, sondern nur einen Antrag fertigbringen, es möge eine Haushaltsposition in Erwägung gezogen werden - womit j a die Zündwarensteuer noch nicht gesenkt wäre -, können wir uns nun wirklich nicht mehr mit derartigen Anträgen ernsthaft befassen. Wir enthalten uns zu den Anträgen der Stimme.
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Das Wort hat der Abgeordnete Eickhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat uns soeben klargemacht, daß er es an und für sich begrüßen würde, wenn die Zündwarensteuer fiele. Er hat auch erklärt, daß in seinem Hause Überlegungen über den Weg angestellt worden seien. Er hat ferner erklärt, daß nach anderen Dekkungsmöglichkeiten gesucht worden sei. Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie vielleicht glauben, daß dieses Haus sich bereit finden würde, eine Feuerzeugsteuer oder eine Feuersteinsteuer einzuführen, dann dürften Sie sich irren.
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Es ist schon so, wie hier von verschiedenen Seiten gesagt worden ist: Seit Jahren hat das Bundesfinanzministerium sich mit der Frage der Zündwarensteuer beschäftigen müssen, denn immer wieder sind aus diesem Hause Anträge gekommen, um diese wirklich ungerechtfertigt hohe Steuer zu senken. Alle Fraktionen sind einverstanden gewesen, daß endlich am 1. April dieses Jahres die Senkung vorgenommen werden sollte. Der Termin ist vergangen. Der Haushaltsplan für dieses Jahr ist noch nicht verabschiedet. Sicherlich anerkennen wir, daß dieser Betrag für den Haushalt eine gewisse Rolle spielt. Aber wenn trotz allem durch den Antrag der SPD und durch die Anträge, die auch heute wieder von der Koalition und einmal von der FDP eingebracht worden sind, ganz klargestellt wird, daß das ganze Haus der
Überzeugung ist, diese Steuer solle spätestens am 1. April 1956 fallen, dann muß ich sagen: hier genügen eigentlich auch von der Koalition aus nicht mehr irgendwelche Anträge: „Die Regierung wird ersucht, eine Vorlage zu machen", sondern dann sollte man, wie die SPD es getan hat, schon mit einer Gesetzesvorlage kommen. Vorhin hat der Bundesfinanzminister erklärt, daß vielleicht zum 1. April nächsten Jahres eine Möglichkeit bestehe. Meine Damen und Herren, dann nutzt es wirklich nichts, daß wir irgendwelche Anträge einbringen. Ich wäre dafür gewesen, und das ganze Haus sollte eigentlich so konsequent sein, der Vorlage der SPD über ein neues Zündwarensteuergesetz zuzustimmen.
Es ist bereits abgelehnt, Herr Abgeordneter.
Das weiß ich wohl; allerdings mit der Änderung des Termins des Inkrafttretens. Darüber hätte eine Verständigung erzielt werden können. Man hätte da sagen können: „1. April 1956". Ich hoffe, daß das wahr wird, was Kollege Eckhardt gesagt hat: Wir werden vielleicht einen Weg finden, und ich glaube auch, wir finden im Hause die nötigen Unterschriften, so daß wir schon sehr bald wieder ein Gesetz genau wie den SPD-Entwurf einbringen können, allerdings mit dem Termin des 1. April 1956.
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Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP auf Umdruck 368.*) Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 917 in der soeben veränderten Form. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
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Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 83. Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Donnerstag, den 26. Mai 1955, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.