Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich in die Tagesordnung eintrete, gebe ich dem Haus bekannt, daß ich zum Zwecke der Abhaltung von Fraktionssitzungen die Sitzung von 10 Uhr bis 10 Uhr 45 unterbrechen werde.
Ich möchte weiter noch folgendes sagen. Am letzten Sitzungstag wollten wir uns ein Urteil darüber bilden, welche von den Lautsprecheranlagen von den Damen und Herren des Hauses als die bessere angesehen wird. Das war damals nicht durchzuführen, weil vormittags die eine Anlage eingeschaltet war und nachmittags die andere Anlage eingeschaltet werden sollte. Aber da das ganze Programm der Sitzung sich vormittags abwickelte, konnte damals die technische Wirkung der anderen Anlage nicht ausprobiert werden. Deshalb wollen wir das heute durchführen. Heute morgen ist also die eine Anlage eingeschaltet, und heute nachmittag wird die andere Anlage eingeschaltet. Die Damen und Herren des Hauses werden gebeten, heute abend oder morgen im Laufe des Tages auf kleinen Zetteln, die das Büro einsammelt, ihr Urteil darüber abzugeben, welche der Übertragungsanlagen nach ihrer Meinung die bessere ist.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 30. April 1955 entsprechend einem Beschluß des Bundestages am 18. Juni 1954 über die Aufbauhilfe für die Stadt Kehl berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1371 vervielfältigt.
Nun trete ich in die Tagesordnung ein und fahre gemäß dem Beschluß des Hauses von gestern abend
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mit der Abwicklung der gestern nicht erledigten Tagesordnungspunkte fort. Ich rufe Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion des GB/BHE und Genossen betreffend Anleihen der Lastenausgleichsbank zugunsten des Ausgleichsfonds ({1}).
Zur Begründung dieser Großen Anfrage gebe ich dem Abgeordneten Dr. Kather das Wort.
Dr. Kather ({2}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage geht auf einen Vorgang zurück, der sich während der dritten Lesung des Lastenausgleichsgesetzes, und zwar am 15. Mai 1952, in diesem Hause abgespielt hat. Damals ist eine Vereinbarung mit der Bundesregierung, den Koalitionsparteien und den Vertriebenenabgeordneten der Regierungskoalition einschließlich der Abgeordneten des BHE zustande gekommen. Es ging um die produktive Eingliederung der Geschädigten. Wir hatten damals die Forderung erhoben, daß zumindest für die ersten Jahre sichergestellt werde, daß pro Jahr eine Milliarde DM für Eingliederungszwecke zur Verfügung stehen sollte. Um dieser Forderung einigermaßen gerecht zu werden, kam man zu folgendem Kompromiß. Es sollten für die Jahre 1952, 1953 und 1954 je 350 Millionen DM vorfinanziert werden. Von dem Betrag sollten je 150 Millionen DM durch Erstreckung der Vergünstigungen des § 7 d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes auf Darlehen, welche dem Lastenausgleichsfonds gewährt werden, und je 200 Millionen DM durch Anleihen der Lastenausgleichsbank in diesen drei Jahren aufgebracht werden. Diese Anleihe sollte 5%ig sein und an der Steuerbegünstigung teilhaben. Das waren dreimal 350 Millionen DM, also zusammen 1050 Millionen für diese drei Jahre. Die Vereinbarung fand ihren Niederschlag in der Entschließung Drucksache 3373. Es wurden dann auch die Bedingungen, die ich eben erwähnt habe, in diese Entschließung aufgenommen. Die Bundesregierung gab durch den Mund des Herrn Vizekanzlers eine Erklärung ab, und welche Bedeutung man der Sache beimaß, ging daraus hervor, daß das Bedauern des Herrn Bundeskanzlers ausgedrückt wurde, daß er diese Erklärung nicht persönlich abgeben konnte. Herr Blücher sagte damals:
Daher erkläre ich im Namen der Bundesregierung, daß sie die ihr nach der Entschließung
zufallenden Maßnahmen mit aller Kraft durchführen und mit aller Beschleunigung notwendig werdende Vorlagen einbringen wird. Herr von Brentano gab die Erklärung für die Koalitionsparteien ab, und ich sprach für die Vertriebenenabgeordneten der Koalition.
Von einer Verpflichtung der ganzen Bundesregierung wird ohne weiteres auch das Bundesfinanzministerium betroffen und umschlossen. Immerhin möchte ich feststellen, daß der Herr Bundesfinanzminister selber an diesen Verhandlungen teilgenommen hat und daß ich auch im Plenum noch einmal diese ausdrückliche Zustimmung des Herrn Bundesfinanzministers in seiner Gegenwart - und ohne bei ihm Widerspruch zu finden - vorgetragen habe. Wir hatten also die Zustimmung der Bundesregierung einschließlich des Bundesfinanzministers, der Regierungsparteien und des Bundestages selbst, dessen Mehrheit dieser Entschließung zugestimmt hat, also alle Garantien, die eigentlich nur denkbar sind.
Wir als die Vertreter der Vertriebenen haben eine große Gegenleistung erbracht. Wir haben damals, wenn auch mit schweren Bedenken, der Regelung des Lastenausgleichsgesetzes mit diesem und anderen Kompromissen zugestimmt. Wir haben damit, wie gerade auch der Herr Bundeskanzler wiederholt anerkannt hat, einen sehr wesentlichen Beitrag zum inneren Frieden geleistet. Viele werden sich noch der Angriffe erinnern, die aus diesem Anlaß gegen mich gerichtet wurden. Ich will dahingestellt sein lassen, ob sie richtig und begründet waren oder nicht, aber eines möchte ich doch herausheben: daß es uns, die wir damals diesem Kompromiß zustimmten, absolut ernst war mit dieser Vereinbarung und daß es uns auch heute noch ernst damit ist. Ich glaube, daß ich mit dieser Erklärung bei meinen damaligen Mitstreitern keinen Widerspruch finden werde.
Der Sinn der heutigen Anfrage ist, von der Regierung Auskunft zu erbitten, weshalb diese Zusagen bis heute nicht in vollem Umfange erfüllt worden sind; und die zweite Frage: wann und auf welche Weise die Bundesregierung ihren Verpflichtungen nachzukommen gedenkt. Es handelt sich
insgesamt 1 Milliarde und 50 Millionen, die bis zum 31. Dezember 1954 vorfinanziert werden sollten. Heute haben wir den 5. Mai 1955, und es sind bisher insgesamt 565 Millionen DM vorfinanziert. An der vereinbarten Summe fehlen mithin noch 485 Millionen DM. Mit Bedauern stelle ich fest, daß die Bundesregierung eine so feierlich gegebene Zusage zum großen Teil verspätet und zu fast 50 °/o noch gar nicht erfüllt hat. Das ist ein sehr betrüblicher Tatbestand. Die versprochene Entfaltung „aller Kraft" und die zugesagte „Beschleunigung" sind ausgeblieben.
Man kann sich nicht auf Unvermögen berufen und der sozialen Aufrüstung diese Beträge entziehen in einem Zeitpunkt, in dem man entschlossen und längst bereit ist, ganz andere Beträge in die militärische Aufrüstung zu stecken. Der Verzug besteht nicht erst seit Ende 1954. Die erste Anleihe war vereinbarungsgemäß 1952 aufzulegen; sie ist erst im Jahre 1954 gekommen. Über 7 f - diese Ziffer bekam diese Steuervergünstigung - sind statt 450 nur 363 Millionen DM aufgekommen, weil alle Vorlagen verspätet eingebracht worden sind. Es fehlen also an diesem Teil 87 Millionen DM. Diese Summe ist für uns deshalb besonders interessant, weil damit keine Unkosten verbunden sind. Ich frage die Bundesregierung, ob sie bereit ist, diesen Betrag dem Fonds auf andere Weise zuzuführen. Ihre Verpflichtung ist insoweit unbestreitbar.
Wie gesagt, ist bisher nur eine Anleihe aufgelegt worden. Weshalb nicht die beiden Anleihen für 1953 und 1954? Man hat sich berufen und vermutlich wird man sich auch heute berufen auf die Flüssigkeit des Fonds. Diese Berufung geht deshalb fehl, weil die Flüssigkeit, die zeitweise bestanden hat, von der Regierung selbst zu vertreten ist. Sie ging zum erheblichen Teil darauf zurück, daß die Leistungen nicht in entsprechender Weise abgeflossen sind. Hier rächte sich der jahrelange Widerstand, den gerade das Bundesfinanzministerium, auch in diesem Hause, dem Feststellungsgesetz entgegengesetzt hat.
Wir haben vor einigen Monaten hier die Große Anfrage über das verzögerte Feststellungsverfahren behandelt. Das bisherige Ergebnis war nach der einmütigen Meinung des Hauses als geradezu
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katastrophal anzusprechen. Es hat sich heute nicht viel daran geändert. Die Ursache wurde damals klai durch die Erklärung des Herrn Staatssekretärs Dr. Hartmann, der uns sagte, man könne doch nicht für ein einzelnes Gesetz nun noch einen besonderen Referenten einstellen, von dem man nachher nicht wisse, wohin man mit ihm solle. Das sagte man uns bei einer Angelegenheit, in der immerhin 71/2 Millionen Antragsteller aufgetreten sind und von der man also ohne Irrtum sagen kann, daß etwa 20 Millionen Menschen dahinterstehen.
Die Flüssigkeit des Fonds besteht aber schon geraume Zeit nicht mehr. Schon im Sommer 1954, Ende Juni, hat der Herr Präsident des Bundesausgleichsamts das festgestellt, und die Bundesregierung hat seitdem kostbare Zeit verstreichen lassen, ohne irgendwelche Maßnahmen zu treffen. Das Bundesausgleichsamt hatte schon für 1954 beide Anleihen voll verplant, meines Wissens mit Zustimmung des Herrn Bundesfinanzministers. Sie sind trotzdem nicht aufgelegt worden.
Wenn es trotzdem zu keiner Katastrophe in der Lage des Fonds gekommen ist, dann waren zwei Gründe dafür ausschlaggebend: erstens ein großer Kassenbestand am Anfang des Jahres und zweitens ein schlechter Abfluß der Mittel wegen verzögerter Durchführung. Beide Voraussetzungen fehlen entweder ganz oder zum erheblichen Teil für das Jahr 1955. Ein Kassenbestand ist nicht da, sondern ein Minus, und wir hoffen doch, daß inzwischen die Leistungen etwas stärker abfließen werden.
Der liquide Kassenbestand betrug am 31. März 1954 885 Millionen DM. Die gleiche Zahl für den 31. März 1955 heißt minus 173 Millionen DM, - also eine Differenz von über 1 Milliarde. Die an sich schon gegebenen Schwierigkeiten konnten nur durch die Inanspruchnahme des Kreditplafonds überwunden werden.
Bei gleichbleibenden Leistungen fehlt also für das laufende Jahr etwa 1 Milliarde DM. Die Leistungen werden etwa gleichbleiben. Was beim Währungsausgleich entfällt, wird hoffentlich bei der Kriegsschadenrente wieder verbraucht werden. Der Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt hat vor drei Tagen eine Vorfinanzierung von 400 Millionen DM - das sind diese beiden Anleihen - plus 500 Millionen DM gefordert. Das sind zusammen 900 Millionen DM. Das ist fraglos eine finanzpolitisch und politisch schwierige Situation. Vor dieser schwierigen Situation würden wir nicht stehen, wenn diese beiden Anleihen termingemäß in den Jahren 1953 und 1954 aufgelegt worden wären. Dann brauchten wir einen entsprechend geringeren Betrag. Die 900 Millionen DM reichen aber nicht aus. Es fehlen 200 Millionen DM. Es muß also eine Vorfinanzierung in Höhe von 400 plus 700 Millionen DM erfolgen.
Diese von mir genannten Zahlen gelten aber nur, wenn die Mehraufwendungen für die von uns verabschiedete Lastenausgleichsnovelle in Höhe von schätzungsweise 450 Millionen DM durch neues Aufkommen gedeckt und nicht etwa dem Fonds aufgebürdet werden. Die Situation des Fonds wird verzweifelt, wenn im Vermittlungsausschuß erhebliche Abstriche gemacht werden. Wir verfolgen diese Entwicklung mit großer Besorgnis.
Wir haben uns neulich damit einverstanden erklärt, die Lastenausgleichsnovelle in zweiter und dritter Lesung ohne Debatte zu verabschieden. Ich glaube, es ging hier um eine Absprache, wenn nicht mit dem ganzen Haus, so doch ganz bestimmt unter den Regierungsparteien. Es wäre wenig erwünscht, ja, völlig untragbar, wenn von denselben Parteien, die mit uns diese Abrede getroffen haben, das gemeinsam erzielte Kompromiß im Vermittlungsausschuß zu Fall gebracht würde. Dabei ist es gleichgültig, ob das nun von der Länderebene - man denke an die Haltung von Nordrhein-Westfalen - herkommt oder nicht. Aber es wäre natürlich noch schlimmer, wenn es etwa von den Vertretern des Bundestages selbst kommen sollte. Eine solche Entwicklung würde derartige Vereinbarungen in Zukunft natürlich völlig unmöglich machen. Ich habe hier mit allem Nachdruck den ernsten Wunsch vorzutragen, daß sich alle Beteiligten im Vermittlungsausschuß mit aller Kraft dafür einsetzen, daß die Regelung, die wir hier beschlossen haben, auch dort zum Kompromiß erhoben wird.
Für beide Anleihen war damals, im Jahre 1952 - es ist auch in der Drucksache nachzulesen -, vom Herrn Bundesfinanzminister persönlich Steuerbegünstigung zugesagt. Diese Steuerbegünstigung war bis zum Ende des Jahres 1954 möglich. Heute und für die Zukunft ist sie nicht mehr möglich. Wir werden also höhere Zinsen als 5 % geben müssen, 6 1/2 % oder mehr. Für diese Mehrkosten haftet die Bundesregierung, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, der eigentlich nicht ganz paßt, aus ihrem Verzuge. Ich frage die Bundesregierung, ob sie bereit ist, diese Mehrkosten auf den Haushalt zu übernehmen. Ich kann darauf hinweisen, daß der Beirat und der Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt bereits eine entsprechende Stellungnahme abgegeben haben.
Niemand kann leugnen, daß die von mir aufgezeigte Entwicklung als höchst unerfreulich zu bezeichnen ist und daß sie sich auf einem innenpolitisch ungewöhnlich wichtigen Gebiet abgespielt hat. Das geht wesentlich darauf zurück, daß weitere wichtige Voraussetzungen aus der damaligen Absprache unbeachtet geblieben sind. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was ich am 15. Mai 1952 von dieser Stelle aus gesagt habe, und zwar die Schlußsätze der Erklärung, die ich damals für die Vertriebenen-Abgeordneten der Koalition und des BHE abgab:
Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß das Gesetz trotz aller Mängel in der neuen Fassung der Sicherung des sozialen Friedens dienen wird. Die Erreichung dieses Erfolges wird wesentlich auch davon abhängen, wie und in welchem Geiste das Gesetz durchgeführt wird.
Hier, meine Damen und Herren, ist die Quelle aller Fehlleistungen zu suchen. Über dem Lastenausgleich und seiner Durchführung, auch auf der Verteilerseite, schwebt der Geist des Herrn Steuerministers und seines Hauses. Wenn man die Durchführung des Feststellungsgesetzes ausgerechnet dem Hause überträgt, das dem Gesetz den größten Widerstand entgegengestellt hat, dann ist damit die erste und sicherste Voraussetzung für den Mißerfolg geschaffen worden. Die Ausgabeseite ist maßgeblich für die produktive Eingliederung aller Geschädigten, und ich kann nicht oft genug sagen: Das ist keine Aufgabe für das Finanz- oder Steuerministerium. Es würde selbst bei gutem Willen aus seiner Struktur heraus mit dieser Aufgabe überfordert.
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Aber wir haben nicht nur den Tatbestand, daß die Zuständigkeit trotz aller entgegenstehenden Abreden immer noch bei dem Herrn Bundesfinanzminister liegt. Wir brauchen nur einen Blick auf das Bundesausgleichsamt und seine personelle Besetzung zu werfen, um zu sehen, daß hier die ursprüngliche Selbstverständlichkeit, daß der Erste und Zweite Präsident des Hauptamtes für Soforthilfe aus der Reihe der Vertriebenen genommen wurden, längst aufgegeben ist und man dort Persönlichkeiten, denen diese Dinge besonders am Herzen liegen aus ihrem Schicksal heraus, eben nicht mehr zu finden vermag.
Diese Entwicklung ist jetzt - und, meine Damen und Herren, dazu haben Sie wesentlich beigetragen - auch auf ,die Lastenausgleichsbank übertragen worden. Wir stehen heute vor der Tatsache, daß das Präsidium des Verwaltungsrats ausschließlich mit Bürokraten besetzt ist. Es ist so weit gegangen, daß „notwendigerweise" sogar ein Ministerialdirigent aus ,dem Innenministerium stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats sein muß. Was das Innenministerium ,da nun unbedingt für sachliche Notwendigkeiten zu vertreten hat, das ist mir nicht klargeworden. Man ist aber darüber hinweggegangen, daß zum mindesten die Geschädigtenverbände mit Persönlichkeiten an dieser Stelle vertreten sein müßten. Man ist den Weg der hundertprozentigen Bürokratisierung gegangen. Das ist eine Angelegenheit, der wir uns über alle Parteischranken hinweg entgegenstellen sollten.
Für unser Ja, das wir damals gesagt haben, war auch Voraussetzung, daß die Geschädigtenverbände weitgehend in die Mitarbeit und in die Mitverantwortung eingeschaltet werden sollten. Schon meine bisherigen Ausführungen haben Ihnen gezeigt, daß man genau den entgegengesetzten Weg gegangen ist. Die Bürokratie ist auf allen Seiten im Vormarsch.
Vor drei Tagen hat sich im Kontrollausschuß etwas abgespielt, was in diesem Zusammenhang auch noch angesprochen werden muß. Es wurden im Kontrollausschuß drei Mitglieder des Aufsichtsrats der Deutschen Pfandbriefanstalt gewählt. Vereinbarungsgemäß war Voraussetzung, daß sie Mitglieder des Kontrollausschusses oder des Beirates, außerdem aber Vertreter der Geschädigtenorganisationen sein sollten. Ich stelle fest: Die Wahl hat zu dem Erfolg geführt, daß in diesem Dreimänner-Kollegium nicht nur nicht die größte Vertriebenenorganisation, der BvD, sondern daß überhaupt keine einzige überparteiliche Vertriebenenorganisation vertreten ist. Meine Damen und Herren, das ist eine Entwicklung, die gegen die demokratischen Grundsätze geht! Vielleicht wird man sich zurückziehen und sagen: Es genügt, wenn der Betreffende Mitglied ist. Aber ich glaube, ich brauche diesem Hause doch nicht klarzumachen, daß man eine Mitwirkung der Geschädigtenverbände nicht in der Weise herbeiführen kann, daß man den Herrn Meier oder den Herrn Müller, der irgendwo mal Mitglied geworden ist, ohne Wissen der Organisation hier in diese Verantwortung einbaut.
Diese Entwicklung ist innenpolitisch in hohem Maße unerwünscht, sie kann nur zu unheilvollen Folgen führen. Der kommunistischen Infiltration, die in immer steigendem Maße und auch mit immer steigendem Kostenaufwand betrieben wird, haben sich gerade diese Verbände entgegengesetzt, und es ist in hohem Maße politisch unklug, wenn die Regierung oder Stellen ähnlicher Art alles tun, um Einfluß und Bedeutung dieser Verbände zu verkleinern und zurückzudrängen.
Man mag die Dinge nach der rein sachlichen Seite, hinsichtlich der Lage des Fonds oder hinsichtlich der Behandlung der Geschädigten und ihrer Verbände, betrachten, wie man will: es ist in jedem Falle festzustellen, daß der Weg in eine unglückliche Richtung geht und daß er zu unheilvollen Folgen führt. Man liebt es ja, Leute, die die Dinge einmal etwas ansprechen und bei Namen nennen, mit irgendwelchen schmückenden Beiworten zu bezeichnen. Sie sind links eingestellt - wobei man sich nicht schämt, diesen veralteten Begriff zu gebrauchen -, oder sie sind radikal oder sie sind ungemäßigt oder sonst etwas. Meine Damen und Herren, damit wird man allen diesen Dingen nicht gerecht. Ist es heute wirklich so weit, daß man in der Bundesrepublik als radikal verschrien wird, wenn man die Dinge beim Namen nennt und wenn man die Entwicklung nicht in eine Richtung gehen lassen will, die wirklich auf die Dauer den inneren Frieden gefährden muß?
Ich muß zu meinem Bedauern erklären, daß ich die Hauptursache für diese Entwicklung darin erblicke, daß die Zuständigkeit für die Verteilerseite des Lastenausgleichs eben bei einem Ministerium ist, in das sie nicht gehört. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit die Forderung erheben, daß sie endlich dem Bundesvertriebenenministerium übertragen wird. Es hat gar keinen Sinn gehabt, dem Herrn Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte die Sorge für die Kriegsgeschädigten noch hinzuzugeben, wenn man ihm gleichzeitig den Einfluß auf die Verteilung der Mittel vorenthält. Ich bin auch der Meinung: man muß bei der Besetzung von Stellen in Homburg darauf achten, daß Leute genommen werden, denen die einmalige Aufgabe, die dort zu erfüllen ist, aus ihrer Vergangenheit und aus ihrem Schicksal heraus eine Herzenssache ist.
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Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung habe ich die Große Anfrage des GB/BHE, Drucksache 1168, zu beantworten. Ich muß mich auf den Gegenstand der Großen Anfrage beschränken.
Die drei Anleihen der Lastenausgleichsbank für die Jahre 1952, 1953 und 1954 sind im Wirtschafts- und Finanzplan des Ausgleichsfonds für die Jahre 1952, 1953 und 1954 mit je 200 Millionen DM in die Einnahmen eingesetzt worden. Damit standen die Erträge zur Verplanung für Ausgleichsleistungen an Geschädigte zur Verfügung. Die entsprechenden Ausgleichsleistungen sind den Geschädigten daher auch schon seit langer Zeit zugeteilt. Irgendwelche Stockungen hinsichtlich der Auszahlung der Ausgleichsleistungen an die Geschädigten im Hinblick auf den Auflegungszeitpunkt der Anleihen haben sich nicht ergeben. Der Ausgleichsfonds konnte die Beträge durch Inanspruchnahme seiner Kassenreserven bereitstellen. In letzter Zeit hat er vom Bund hierfür eine Liquiditätshilfe von 300 Millionen DM erhalten.
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Es war von Anfang an klar, daß hinsichtlich des Zeitpunktes der Auflegung dieser Anleihen die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt und auch die Kassenlage des Ausgleichsfonds zu berücksichtigen sind. Der Ausgleichsfonds war bis vor kurzer Zeit wegen der beschränkten Leistungsmöglichkeiten der Ausgleichsbehörden einerseits, aber auch wegen der unerwartet hohen Einnahmen des Ausgleichsfonds andererseits so flüssig, daß dies vielfach die Kritik der Öffentlichkeit hervorgerufen hat. Eine verfrühte Auflegung der Anleihen hätte unter diesen Umständen nur bedeutet, daß die Kritik wegen der hohen Kassenbestände des Ausgleichsfonds sich weiter verstärkt hätte,
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daß der Ausgleichsfonds die Zinsdifferenz von 2 bis 3 % zwischen den Anleihezinsen und den ihm für seine Kassenbestände gewährten Habenzinsen zu tragen gehabt hätte und daß die Anleihen im Hinblick auf die fortlaufende Stabilisierung des Kapitalmarktes unter zu ungünstigen Bedingungen, insbesondere hinsichtlich der Laufzeit, hätten aufgelegt werden müssen.
Die Interessen des Ausgleichfonds sowie auch die Interessen des Kapitalmarktes sprachen daher dafür, der Auflegung der Anleihen erst näherzutreten, wenn die Erlöse kassenmäßig benötigt werden. Für die Geschädigten konnten sich hieraus nicht Nachteile, sondern nur Vorteile ergeben.
Die Bundesregierung hat sich trotz dieser Gesichtspunkte entschlossen, die erste Tranche noch im Jahre 1953 aufzulegen, um im Hinblick auf § 3 Nr. 4 de Einkommensteuergesetzes die wegen der erforderlichen Genehmigung durch den nur bis Ende 1953 bestehenden Kapitalverkehrsausschuß mögliche Steuerbefreiung der Zinsen noch wirksam werden zu lassen. Sie hat dabei in Kauf genommen, daß der Anleiheerlös vom Ausgleichsfonds fast ein Jahr verzinst werden mußte, ehe er für die Geschädigten verwendet werden konnte.
Seit Ende des Jahres 1954 haben sich die Kassenbestände des Ausgleichsfonds rasch verringert. Eine Auflegung der Anleihe um die Jahreswende 1954/55 oder in den ersten Monaten des Jahres 1955 war aber unzweckmäßig, weil wegen des Außerkrafttretens des Kapitalmarktförderungsgesetzes in dieser Zeit die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt sehr unübersichtlich waren und auch derzeit noch sind. Der Ausgleichsfonds würde, wenn er in dieser Übergangszeit eine Anleihe auflegen würde, auch mit Sicherheit zu ungünstige Bedingungen gewähren müssen.
Unter diesen Umständen erschien es gesamtwirtschaftlich richtiger und auch für den Ausgleichsfonds günstiger, die Erträge der Anleihe in dem erforderlichen Umfang vorläufig vorwegzunehmen und dem Ausgleichsfonds anderweitig zuzuführen.
Der Bund hat deswegen mit Zustimmung des Haushaltsausschusses aus seinen Kassenmitteln dem Ausgleichsfonds eine vorläufige Liquiditätshilfe von 300 Millionen DM gewährt. Erforderlichenfalls können wegen des Restbetrags auch Mittel des Geldmarktes in Anspruch genommen werden.
Zur Frage, zu welchem Zeitpunkt die Anleihen nunmehr aufgelegt werden, wird die Bundesregierung demnächst abschließend Stellung nehmen. In
Aussicht genommen ist ein Zeitpunkt im Herbst dieses Jahres.
Zeitpunkt und Umfang der Gewährung von Ausgleichsleistungen an die Geschädigten werden durch die Frage, in welcher technischen Form der Betrag von zweimal 200 Millionen DM dem Ausgleichsfonds zur Verfügung gestellt wird, überhaupt nicht berührt.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage auf Drucksache 1168 durch den Herrn Bundesfinanzminister gehört. Ich frage das Haus: Wird eine Debatte gewünscht?
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- 30 Anwesende müssen diese Debatte wünschen. Stimmt die SPD-Fraktion zu? - Gut. Ich eröffne die Aussprache. Ich bitte um Wortmeldungen. - Das Wort hat der Abgeordnete Ohlig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Kather hat bei der Begründung dieser Großen Anfrage der BHE-Fraktion richtig auf den Entschließungsantrag Drucksache 3373 hingewiesen, der bei der dritten Lesung im Jahre 1952 von den Koalitionsparteien eingebracht wurde. In diesem Antrag wurde die Frage der Vorfinanzierung angesprochen. Wir haben damals durch den Sprecher unserer Fraktion, den Kollegen Seuffert, schon unsere Besorgnis geäußert, daß die dort gemachten Versprechungen höchstwahrscheinlich schwer zu realisieren sein würden. Ich will die Ausführungen des Kollegen Seuffert von damals nicht wiederholen. Wer sich aber dafür interessiert, den würde ich bitten, die Protokolle der Sitzungen im Mai 1952 nachzulesen. Neben anderen Vorfinanzierungsmitteln wurde damals versprochen, in den drei Jahren je 200 Millionen DM Anleihen aufzulegen, insgesamt also 600 Millionen DM. Die Bundesregierung hat sich durch den Herrn Vizekanzler Blücher hinter diese Entschließung gestellt und das offizielle Versprechen abgegeben, die dort angedeuteten Zusagen auch durchzuführen. Leider hat die Bundesregierung bis jetzt von diesem damals feierlich abgegebenen Versprechen nur einen Teil erfüllt.
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Unsere Fraktion will die Frage des Lastenausgleiches und seiner Finanzierung unter völlig sachlichen Gesichtspunkten hier erörtern. Es mag richtig sein, daß in den ersten zwei Jahren besondere Gründe vorlagen, eine solche Anleihe nicht in der vorgesehenen Höhe von 600 Millionen DM sofort aufzulegen, weil in den ersten beiden Jahren die Kassenmittel des Ausgleichsfonds so hoch waren, daß eine solche Anleihe finanzpolitisch vielleicht nicht gut gewesen wäre.
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Aber die Ursachen lagen in der Verzögerung des Erlasses bestimmter Rechtsverordnungen,
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die die Bundesregierung beschleunigt hätte herausgeben müssen. Die Kassenmittel des Ausgleichsfonds erreichten teilweise eine Höhe, die das Mißfallen aller Geschädigten erweckt hat. Diese warteten auf Ausgleichsleistungen, die aber wegen des zu späten Erlasses von Rechtsverordnungen nicht schnell genug abfließen konnten.
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Um nun wenigstens die Dinge, die schnell erledigt werden konnten, abzuwickeln, sind, wie wir hier gerechterweise zugeben müssen, in diesen Jahren einige Ausgleichsleistungen weit höher dotiert worden, als ursprünglich vorgesehen war. Ich erinnere an die Ausgleichsleistungen des sogenannten Ostsparergesetzes, des Währungsgesetzes. Zur Erfüllung der Leistungen aus diesem Gesetz wurden in den zurückliegenden Jahren rund 770 Millionen ausgegeben, weil die Auszahlung dieser Entschädigungsleistungen verhältnismäßig schnell und einfach vonstatten gehen konnte.
Auch für die Hausratshilfe hat man, wie gesagt werden muß, in den letzten Jahren auf dem Wege einer stark vorangetriebenen Vorfinanzierung weit höhere Mittel zur Verfügung gestellt ,als es an und für sich im ursprünglichen Verteilungsplan vorgesehen war. Die Hausrathilfemittel erreichten eine Höhe von 'insgesamt 2190 Millionen D-Mark. Diese beiden Maßnahmen führten dazu, daß der angestaute Kassenbestand des Ausgleichsfonds in den letzten Monaten schnell ;abfloß.
Wir stellten außerdem fest, daß erfreulicherweise ein sehr starkes Interesse an den sogenannten Aufbaudarlehen zur wirtschaftlichen Eingliederung vorhanden war. Für diese Maßnahme wurden bis jetzt insgesamt 3987 Millionen ausgegeben.
Meine Damen und Herren, diese absolut erfreulichen Leistungen des Ausgleichsfonds sind aber nicht durch echte, von der Bundesregierung zugesagte Vorfinanzierungsmittel ermöglicht worden, sondern im Grunde genommen durch sogenannte Vorgriffe und Vorverplanungen des Lastenausgleichsfonds; sie sollten im Laufe der nächsten Jahre irgendwie durch Vorfinanzierungsmittel abgedeckt werden. Die Reste aus den Vorverplanungen, mit denen sich der Ausgleichsfonds über ,die Zeit hinweggeholfen hat, erreichten am 31. März 1955 eine Höhe von 1055 Millionen D-Mark. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Beträge, die bewilligt sind, also aller Wahrscheinlichkeit nach im kommenden Wirtschafts- und Finanzjahr ausgegeben werden müssen. Bis jetzt konnten wir einen solchen Betrag sozusagen vor uns herschieben. Die Schwierigkeit für den Ausgleichsfonds besteht heute darin, daß der größte Teil dieser Vorverplanungsmittel im kommenden Etatsjahr wirklich gezahlt werden muß. Deshalb ist das Problem der Vorfinanzierung jetzt von besonderer Bedeutung.
Der jetzt veröffentlichte Finanz- und Wirtschaftsplan des Ausgleichsfonds hat in den Geschädigtenkreisen eine gewisse Beunruhigung hervorgerufen, weil darin erhebliche Kürzungen der Aufbaudarlehen und der Hausrathilfe vorgesehen sind. Ich möchte hier im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir mit der Durchführung der für dieses Jahr angedeuteten Kürzungen keineswegs einverstanden sind. Es müssen nun Mittel und Wege für die Vorfinanzierung gefunden werden, um nachzuholen, was in den zurückliegenden Jahren nicht in Angriff genommen worden ist; ,dabei will ich nicht untersuchen, aus welchen Gründen es nicht geschehen ist. Deshalb müssen gerade die Mittel für Aufbaudarlehen zur wirtschaftlichen Eingliederung und für die Hausrathilfe unter allen Umständen eine erträgliche Höhe erreichen. Die vorgesehenen Beträge erscheinen uns untragbar.
Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen. Nur auf einen Umstand möchte ich hinweisen, 'der in der Öffentlichkeit oft mißverstanden wird und zu einer ungerechten Betrachtungsweise führt. Man hört oft, daß die Hausrathilfe im Grunde genommen, ich will nicht sagen, eine überflüssige oder gar Luxusangelegenheit sei, aber daß man hier doch etwas vorsichtiger sein solle. Ich möchte daran erinnern, daß sich von 8 Millionen Feststellungsanträgen allein 6 Millionen auf Hausratsverluste beziehen. Daraus ist ersichtlich, daß die Hausrathilfe und die Hausratentschädigung für 'den größten Teil der Geschädigten überhaupt die einzige Entschädigungsleistung aus dem Ausgleichsfonds ist. Von einer übermäßigen Luxusdotierung kann man überhaupt nicht reden; denn die Unterlagen des Ausgleichsfonds lassen ganz deutlich erkennen, daß der Durchschnittsbetrag bei denjenigen, die bis jetzt die erste Rate bekommen haben, bei 410 DM liegt. Bei denjenigen, die die zweite Rate bekommen haben, liegt der Durchschnittsbetrag sogar nur bei 397 DM. Sie sehen also, es ist wichtig, hier im Parlament einmal 'darauf hinzuweisen, daß die Vorstellungen von einer luxuriösen Ausstattung der Hausrathilfe absolut unberechtigt sind. Man muß die große Zahl der Empfangsberechtigten mit einplanen, um zu einem 'einigermaßen gerechten Bild zu kommen.
Ich möchte hier gleich erwähnen, daß uns die Vorfinanzierung für die Auszahlung der Hausrathilfe auch deshalb so dringend erscheint, weil wir heute auf diesem Gebiet noch einen Bedarf von rund 3 700 Millionen DM haben. Wenn es bei den vorgesehenen 370 Millionen DM in dem .diesjährigen Finanz- und Wirtschaftsplan bleibt, brauchten wir allein für die Ableistung der Hausrathilfe noch ungefähr 10 Jahre. Ich kann mir nicht vorstellen - das sage ich als Angehöriger der Oppositionspartei -, daß das Hohe Haus und auch eine Bundesregierung einen so langen Zeitraum für erträglich halten können.
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Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um gerade diese Hilfe in einem viel kürzeren Zeitraum abzuwickeln.
Aber etwas ist bedenklich, und deshalb möchten wir ein sehr ernstes und auch sehr kritisches Wort an den Herrn Bundesfinanzminister richten und ihn bitten, zumindest hier in diesem Hause eine Erklärung abzugeben - ich weiß nicht, ob er das heute tun kann -, daß er bereit und willens ist, ,alle Wege der Vorfinanzierung auszuschöpfen. Ich möchte unsere Bedenken hier vortragen. Vor mir liegt ein Schreiben der Bank deutscher Länder vom 18. April, in dem folgendes mitgeteilt wird:
Mit ernster Sorge beobachten wir die anhaltende expansive Ausgabenentwicklung des Ausgleichsfonds mit der Tendenz, seine Ausgaben weit über die zu erwartenden Einnahmen hinaus zu steigern, obwohl die Einnahmeentwicklung des Fonds in den letzten Jahren erheblich günstiger verlaufen ist, als es bei der Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1952 vorgesehen war.
Warum lese ich diesen Satz vor? Weil mir die erste Feststellung einfach nicht richtig erscheint! Die sogenannte Ausgabensteigerung ides Lastenausgleichsfonds ist doch in Grunde genommen nur dadurch entstanden, daß die vorgesehene Vorfinanzierung nicht erfolgt ist. Man kann dem Ausgleichsfonds jetzt doch nicht einen Vorwurf daraus machen, daß er sich sozusagen selber durch die Mittel der Vorfinanzierungen und der Vorverplanun({6})
gen geholfen hat. Alle diese Vorverplanungen und alle diese Vorgriffe auf die kommenden Jahre sind auch vom Herrn Bundesfinanzminister gebilligt worden; denn jeder Finanz- und Wirtschaftsplan der zurückliegenden Jahre ist im Einvernehmen mit der Bundesregierung aufgestellt worden.
Es war also bekannt, daß das Bundesausgleichsamt auf diesem Wege die Lücke, die durch den Mangel an Vorfinanzierungen entstanden ist, überbrücken wollte. Weil es aus einer solchen Notlage heraus diesen Weg beschritten hat, nun dem Ausgleichsamt hier den Vorwurf zu machen, es habe weit über seine Verhältnisse hinaus eine Ausgabenwirtschaft betrieben, halte ich zumindest für unfair. Einen solchen Vorwurf kann man nicht machen.
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- Ja, das kommt noch.
Meine Damen und Herren, aber noch ein zweites, viel bedenklicheres Argument möchte ich hier in aller Öffentlichkeit anprangern. Im § 7 des Lastenausgleichsgesetzes steht, daß die Bundesregierung ermächtigt werden soll, bis zu 5 Milliarden DM Geld- und Kreditmittel zur Vorfinanzierung des Lastenausgleichs zu besorgen. Wir alle haben damals diesem Paragraphen zugestimmt, weil wir wußten, daß in 'den ersten Jahren der Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes weit höhere Mittel notwendig sein würden, als durch die Einnahmen hereinkommen würden. Es war also der Wille des ganzen Hauses, auf dem Wege des Kredits zumindest in den ersten Jahren die dringendsten Bedürfnisse der Geschädigten zu befriedigen. Das war nicht umstritten, das war allgemeine Auffassung dieses Hauses, weil wir in den ersten Jahren die wirtschaftliche Eingliederung der Geschädigten vorantreiben wollten.
Außerordentlich bedenklich ist es aber - ich möchte im Namen meiner Fraktion diese Haltung zurückweisen -, wenn die Bank deutscher Länder jetzt folgendes schreibt:
Die deutsche Volkswirtschaft bedarf zur Zeit weder in der Verbrauchersphäre, noch im Bereich der Investitionen zusätzlicher Antriebskräfte
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unter Zuhilfenahme kurzfristiger Geldmarktverschuldung. Weit eher ist es an der Zeit, Dämpfungsmaßnahmen ins Auge zu fassen, so z. B. in 'der Beschränkung der öffentlichen Investitionsausgaben. Die defizitäre Ausgabenpolitik des Ausgleichsfonds steht im Widerspruch zu dieser Notwendigkeit und bedarf unter anderem deshalb einer sofortigen Revision.
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Meine Damen und Herren! Das mag vom rein kredit- und finanzpolitischen Standpunkt aus vielleicht irgendwie zu vertreten sein. Aber hier haben wir die Interessen der Geschädigten zu vertreten. Es ist doch eine Binsenwahrheit, daß das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder an Zehntausenden von Geschädigten noch spurlos vorübergegangen ist.
({10}) Das kann doch nicht geleugnet werden. Diese Stellungnahme der Bank deutscher Länder läßt zumindest den bedenklichen Schluß zu, daß man sich von der Verpflichtung, die in § 7 des LAG enthalten ist, heute lossprechen möchte. Wir wissen selbstverständlich - ich will das hier nur andeuten und keine Polemik in bezug auf die politische Gesamtkonzeption der Bundesregierung hier entfachen -, daß in der nächsten Zeit andere Anforderungen an den Geld- und Kapitalmarkt herantreten werden. Das muß durch die Gesamtpolitik der Bundesregierung vertreten werden. Was wir nicht möchten - und das spreche ich in aller Deutlichkeit aus -, ist, daß diese anderen Verpflichtungen, die aus einer anderen politischen Grundkonzeption heraus notwendig werden, allein und ausschließlich auf Kosten des Lastenausgleichs gehen.
({11})
Der Lastenausgleich kann nicht dauernd diesen anderen Notwendigkeiten untergeordnet werden. Was wir zumindest wünschten, wäre, daß diese Forderungen und Bedürfnisse gleichwertig neben den anderen Dingen stehen. Deshalb erscheint uns diese Stellungnahme der Bank deutscher Länder im Interesse des Lastenausgleichs einfach untragbar. Unter gar keinen Umständen ist meine Fraktion bereit, diese Einstellung zu billigen.
Wir wissen selbstverständlich, daß die Frage der Vorfinanzierung, daß Anleihen in die sogenannte Organisationsgewalt der Bundesregierung gehören. Wir möchten hier nur ganz deutlich aussprechen, daß unter allen Umständen weitere Möglichkeiten gesucht werden müssen, um Vorfinanzierungsmittel für den Lastenausgleich bereitzustellen.
Lassn Sie mich noch ein Argument widerlegen. Es wird gesagt, die Vorfinanzierungsmittel dürften nur produktiven Zwecken dienen. Von den reichlich 9 Milliarden DM, die der Lastenausgleich in den letzten Jahren ausgegeben hat, sind zwei Drittel in den Sektor der sogenannten produktiven Leistungen geflossen, wobei ich ganz deutlich aussprechen möchte, daß man die Unterhaltshilfe nicht als rein konsumtive Ausgabe ansehen darf. Denn unsere moderne Wirtschaft beruht nun einmal auf den Säulen der Erzeugung und des Verbrauchs. Große Wirtschaftskeise, vor allen Dingen die in den Mittelschichten, würden eine erhebliche Einbuße in ihrer Wirtschaftskraft erlitten haben, wenn nicht die lbescheidene Unterhaltshilfe einen Teil der Geschädigten überhaupt erst in die Lage versetzt hätte, eine gewisse Kaufkraft zu besitzen.
({12})
Deshalb ist die Anspielung auf die konsumtive Leistung immer eine sehr zweischneidige Sache. Man sollte sie im richtigen Zusammenhang sehen.
Zum Schluß darf ich mir folgende Bemerkung erlauben: Sie wissen genau, meine Damen und Herren, daß es in diesem Hohen Hause sehr große Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung der produktiven Leistungen gibt. Es gibt sicher sehr ernstzunehmende Kreise, die der Meinung sind, daß die vorgesehenen Rüstungsausgaben nicht gerade zu den produktiven Ausgaben gehören.
({13})
Was wir möchten, ist, daß der Lastenausgleich als ein dringendes soziales Problem von allen Seiten so gewürdigt wird, wie er es im Interesse der sozialen Befriedung unseres Volkes verdient.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
({0})
- Wenn wir den Punkt jetzt nicht abschließen können, dann möchte ich auch keine Wortmeldung mehr entgegennehmen; denn es ist jetzt einige Minuten vor 10 Uhr. Ich unterbreche, wie angekündigt, die Sitzung bis 10 Uhr 45. Wir fahren dann in der Beratung dieses Punktes fort.
({1})
Die Sitzung wird um 10 Uhr 48 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder aufgenommen. In der Reihe der Redner zu Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung erteile ich dem Abgeordneten Kuntscher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage des BHE, zu der heute Stellung zu nehmen ist, behandelt eine sehr ernste Frage: die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs, mit anderen Worten die Frage, wie wir in den kommenden Jahren die zügige Abwicklung des Lastenausgleichs sicherstellen können. Es geht nicht allein um die Auseinandersetzung, ob die Zusicherung der Regierung vom Mai 1952, im Laufe von drei Jahren dem Lastenausgleichsfonds Vorfinanzierungsmittel in Höhe von 1050 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, erfült wurde, sondem es geht darum, wie wir diese Vorfinanzierung in den kommenden Jahren durchführen können. Wenn wir uns das Gesamtaufkommen des Lastenausgleichs in den letzten zweieinhalb Jahren vergegenwärtigen, so wird klar, daß diese 1050 Millionen DM eigentlich kein so entscheidendes Kriterium darstellen, wie es von dem Begründer der Großen Anfrage hingestellt wurde. Tatsächlich wurden in diesen zweieinhalb Jahren 565 Millionen DM auf Grund der in der Erklärung vorgesehenen Titel vorfinanziert und weitere 300 Millionen durch Kassenkredite des Bundesfinanzministeriums als Vorfinanzierung bereitgestellt. Das sind also zusammen 865 Millionen; die Differenz beträgt also nur 185 Millionen. Wenn wir diese 185 Millionen zu den Gesamtleistungen ab 1. September 1952, wo der Lastenausgleich in Kraft getreten ist, bis zum Ablauf des Rechnungsjahrs 1954 in Beziehung setzen, so beläuft sich das Aufkommen in diesen zweieinhalb Jahren auf 9061 Millionen, und weitere 185 Millionen Vorfinanzierungsmittel fehlen.
Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, daß jede Vorfinanzierung, also ,auf gut deutsch ausgedrückt eine Darlehensaufnahme oder eine Verschuldung des Lastenausgleichsfonds, auch Kosten verursacht. Diese bescheidenen Vorfinanzierungsmittel von 565 Millionen erfordern bereits im Wirtschaftsjahr 1955 64 Millionen an Tilgungsraten und an Verzinsung. Hätten wir also auch die beiden Tranchen, die in der Erklärung vom Mai 1952 zugesagt waren, in den Jahren 1953 und 1954 aufgenommen, so hätte sich natürlich die Position für Tilgung und Verzinsung im Wirtschaftsplan für das kommende Jahr wesentlich erhöht.
Am Anfang des Wirtschaftsjahrs 1954, also am 1. April 1954, ging der Lastenausgleichsfonds noch mit 885 Millionen flüssiger Mittel in das neue
Haushaltsjahr. Wer an diesen Dingen interessiert ist und sich seit Jahren über die Abwicklung des ganzen Problems Lastenausgleich Gedanken macht, weiß, was in der Öffentlichkeit und in einem großen Teil der Presse über die Anhäufung von flüssigen Geldern beim Lastenausgleichsfonds gesprochen und geschrieben wurde. Man weiß auch, welch scharfe Kritik in Vertriebenenkreisen daran geübt wurde, daß zeitweise 1 Milliarde flüssiger Gelder vorhanden waren, während die Menschen draußen auf die ihnen gesetzlich zustehenden bescheidenen Zuwendungen aus dem Lastenausgleich warteten.
({0})
- Wer hier die Verantwortung trägt? Auch das will ich Ihnen sagen, ganz nüchtern: nicht allein die fehlenden Rechtsverordnungen, die zur Durchführung unbedingt notwendig sind und über die wir uns in diesem Raume nicht einmal, sondern schon mehrere Male auseinandergesetzt halben,
({1})
auch der langsame und zögernde organisatorische Aufbau bei unseren Kreisausgleichsstellen und bei den Landesausgleichsstellen war mit ein Hindernis, daß diese Mittel nicht in dem Maße abfließen konnten, wie wir es alle miteinander gern gewollt hätten.
({2})
Am 1. April 1955, also am Beginn des neuen Haushaltsjahrs, waren die 885 Millionen DM flüssiger Mittel, die wohl verplant waren, abgeflossen, und es zeigte sich, daß noch ein Kassendefizit von 173 Millionen DM vorhanden war. Somit ergibt sich die unbestreitbare Tatsache, daß im kommenden Jahr 1 Milliarde DM weniger an flüssigen Mitteln zur Verplanung bereit stehen, und darin liegt die große Sorge.
Der Herr Bundesfinanzminister hat heute zugesagt, daß, wie im Wirtschaftsplan des Lastenausgleichsamts bereits vorgesehen, die zweite und dritte Tranche, diese 400 Millionen DM der Lastenausgleichsbankanleihe, aufgelegt und zur Verfügung stehen werden. Ferner werden 500 Millionen DM kurzfristiger Kassenkredite, also zusammen 900 Millionen DM, bereitstehen. Damit wäre diese Anfrage an und für sich günstig beantwortet.
Aber da sind noch einige andere Angelegenheiten, die in diesem Zusammenhang heute wohl erörtert werden müssen; denn mit den 900 Millionen DM ist dem Lastenausgleich im kommenden Wirtschaftsjahr noch nicht geholfen. Auch diese Frage ist ja noch davon abhängig, wie die endgültigen Beschlüsse des Vermittlungsausschusses ausfallen werden, die da zum vierten Änderungsgesetz zum LAG gefaßt werden müssen. Aber wichtig bleibt, daß auch für die kommenden Jahre eine klare Vorfinanzierung des Lastenausgleichsfonds unerläßlich ist.
Zu der geplanten Vorfinanzierung für das Jahr
1955 hat aber die Bank deutscher Länder bereits
sehr starke Bedenken geäußert. Kollege Ohlig hat
bereits das Schreiben der Bank deutscher Länder
vom 18. April 1955 an den Bundesfinanzminister
angezogen. In diesem Schreiben heißt es einleitend:
In Ihrem Schreiben vom 30. März 1955 an den
Herrn Präsidenten des Bundesausgleichsamts,
das uns abschriftlich zur Kenntnis gekommen
({3})
ist, erklären Sie, daß keine Bedenken bestehen, wenn der Herr Präsident des Bundesausgleichsamts bei der Aufstellung des Wirtschafts- und Finanzplanes für das Rechnungsjahr 1955 davon ausgeht, daß ihm Kreditmittel in der Höhe von insgesamt 900 Millionen DM zur Verfügung stehen werden, und zwar neben dem Ertrag der zweiten und dritten Tranche der Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von 400 Millionen DM und durch die Aufnahme kurzfristiger Schulden in Höhe von 500 Millionen DM.
Die Bank deutscher Länder fährt in ihrem Schreiben fort:
Die Ausgaben der letzten Jahre für Hausrathilfe, Aufbaudarlehen, Währungsausgleich usw. haben das vom Gesetzgeber in Aussicht genommene Maß weit überschritten.
Das ist das Bedauerliche, und ich fürchte, wir werden auch in der Zukunft bei der Erstellung einer klaren Vorfinanzierung mit der Bank deutscher Länder die größten Schwierigkeiten haben. Das Allerbedauerlichste in diesem Schreiben, das wirklich ein Dokument für uns Vertriebene bedeutet und das wir nicht so leicht vergessen werden, ist, daß die Bank bei allen ihren Erwägungen ausschließlich von kaufmännisch-bankmäßigen, oder sagen wir, währungspolitischen Gesichtspunkten ausgeht. Da müssen wir denn doch sagen, daß der Sinn des Lastenausgleichs ein ganz anderer ist. Denn die soziale Hypothek, die das Vertriebenenproblem in sich birgt, ist nicht allein mit währungspolitischen und bankmäßigen Maßstäben zu messen und auf diese Art und Weise zu liquidieren, aus der Welt zu schaffen oder in Ordnung zu bringen. Dazu gehören ganz andere Dinge, z. B. die zügige Fortführung der wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen in alle Zweige unseres Wirtschaftslebens. Dazu gehört noch immer die Beseitigung des herrschenden Wohnraummangels, der natürlich gerade in den Vertriebenensektor - und wenn wir uns die Umsiedlung überlegen, noch um so stärker - mit hineinspielt und dort am drückendsten ist. Dazu gehört auch die Erfüllung der sozialen Verpflichtungen. Wenn ich von einer klaren Vorfinanzierung spreche, so denke ich an die Menschen, die, heute alt und arbeitsunfähig, echte Ansprüche aus dem Lastenausgleich haben und die natürlich nicht jahre- und jahrzehntelang darauf warten können, daß ihnen ein bescheidener Anteil ihrer Ansprüche erfüllt wird.
Aber noch ein zweites bedrückt uns bei der Erörterung dieser Frage. Lassen Sie mich diese Sorge ganz offen aussprechen. Es ist die wachsende Meinung gewisser Kreise, die Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge gehe ihrem Abschluß entgegen; aus diesem Grunde solle das Aufkommen für den Lastenausgleichsfonds auf die drei Hauptabgaben zurückgeschraubt werden; die Zuschüsse, die aus den von den öffentlichen Haushalten übernommenen Fürsorgelasten heute noch fließen, sollen abgebaut werden. Endlich soll uns, was für uns das Allerwichtigste ist und auch jetzt bei der Novelle zum Lastenausgleichsgesetz der umstrittenste Punkt ist, jeder Anteil an dem wachsenden Volksvermögen, also an der Vermögensteuer, als Zuschuß für den Lastenausgleich genommen werden. Die Punkte in der Vierten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz, deretwegen der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen hat, bewegen sich alle in der Richtung der großen
Sorge, daß dort immer mehr die Meinung Platz greift, die Eingliederung sei abgeschlossen und der Lastenausgleich habe nur noch gewisse am Rande liegende soziale Verpflichtungen zu erfüllen. Die Entscheidung im Vermittlungsausschuß ist noch nicht gefallen. Aber das, was wir bereits wissen, was als Vorentscheidung anzusehen ist, hat in den Reihen der Vertriebenen eine berechtigte große Erregung hervorgerufen.
({4})
Es wäre unerträglich, wenn die beweglichen Ausgaben im Wirtschafts- und Finanzplan des Bundesausgleichsamtes, die zur Finanzierung einer glatten Durchführung unbedingt notwendig sind, wegen der Minderung der Zuschüsse gekürzt würden. Dies würde sich besonders bitter auf die Hausrathilfe auswirken, über die ja vorhin schon gesprochen wurde. Die Hausrathilfe soll nach den Plänen der Fachleute binnen fünf Jahren in vollem Umfang erfüllt werden. Heute sind noch Beträge von 3,7 Milliarden DM zur vollständigen Honorierung der Hausrathilfe notwendig; das bedeutet rund 700 bis 800 Millionen DM in einem Jahr.
Überlegen Sie bitte: Wenn wir nach dem heutigen Wirtschafts- und Finanzplan des Bundesausgleichsamts durch die Kürzung der Zuschüsse auf der einen Seite und durch die vom Bundestag beschlossene Erhöhung der sozialen Leistungen aus dem Lastenausgleich auf der anderen Seite bei der Abzahlung der Hausrathilfe auf eine Jahressumme zurückfallen müßten, die sich zwischen 350 und 400 Millionen DM bewegt, dann hätten wir im Jahre 1957/58, in dem die Hausrathilfe erfüllt sein soll, also 14 Jahre nach der Vertreibung, noch einen Hausrathilferückstand von 1,6 Milliarden DM.
Überlegen Sie bei dieser Rechnung auch noch ein Zweites! Wie war die Kaufkraft für die Empfänger von Hausrathilfe im Jahre 1952 - auch wenn der Betrag noch so bescheiden war -, und wie wird die Kaufkraft im Jahre 1957, im Jahre 1958, im Jahre 1959 oder 1960 - wenn wir die Leistungen hinausziehen müssen - sein?
Diese Dinge sind so ernst, daß man sich wirklich eingehend mit ihnen beschäftigen muß. Wir müssen eine klare Vorfinanzierung nicht nur für ein Jahr, sondern für eine Reihe von Jahren sicherstellen. Wir müssen zweitens an den Vermittlungsausschuß, vor allem an die Vertreter des Bundesrats, noch einmal das dringende Ersuchen richten, unserem Anliegen Rechnung zu tragen. Denn wir verlangen nichts, was uns nicht nach dem Gesetze und dem Grundgedanken der ersten Fassung des Gesetzes zusteht. Wir verlangen ja nur einen bescheidenen Anteil an dem Vermögenszuwachs, der sich seit dem Jahre 1948 vollzogen hat. Wir beanspruchen lediglich einen Teil der ständig steigenden Vermögensteuer für den Lastenausgleich.
Um hier Zahlen zu nennen und Ihnen ein Bild zu geben: Als der Lastenausgleich in seiner Geburtsstunde stand, als er im Mai 1952 beschlossen wurde, ist man bei der Berechnung der Finanzierung von einem Aufkommen an Vermögensteuer von 130 Millionen DM jährlich ausgegangen. Dieses Aufkommen vom Jahre 1952 wird sich im kommenden Jahr auf 700 Millionen DM erhöhen, und von dieser Erhöhung wollen wir auch für die Zukunft einen bescheidenen Anteil für den Lastenausgleich sicherstellen.
({5})
({6})
Das ist nichts anderes als eine ganz gerechte Forderung: Von dem vergrößerten Kuchen wollen wir ein vergrößertes Stückchen haben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas sagen, was nicht nur nach Kritik aussieht, sondern was auch das Positive des Erreichten beleuchtet Am 1. September 1952 ist das Lastenausgleichsgesetz in Kraft getreten. Denjenigen, die sich damals aus ihrer Verpflichtung heraus sehr stark mit dem Lastenausgleich beschäftigten, schwebte vor, daß neben den sozialen und sonstigen Leistungen, die im Gesetz festgelegt sind, jährlich mindestens 1 Milliarde DM für produktive Eingliederungszwecke vorhanden ist.
Wie sind die Dinge gelaufen? In dem ersten Rumpfrechnungsjahr 1. September 1952 bis 31. März 1953, also innerhalb von sieben Monaten, konnten für die produktive Eingliederung 806 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Im Jahre 1953 waren es 1328 Millionen, im Jahre 1954 1853 Millionen DM.
({7})
- Einschließlich Wohnraumhilfe! Das ist doch eine produktive Leistung, denn hier werden Werte geschaffen.
({8})
Im Jahre 1955 werden uns nach dem vorläufigen Wirtschaftsplan für diese produktiven Leistungen 1429 Millionen DM zur Verfügung stehen, zu denen dann noch Verplanungsreste aus dem vorhergehenden Jahr in Höhe von 865 Millionen DM hinzuzurechnen sind. Allerdings sind in dem vorläufigen Wirtschaftsplan zum Ende des Rechnungsjahrs wiederum Verplanungsreste von 419 Millionen DM enthalten, die in das Jahr 1956 übertragen werden sollen.
Im großen und ganzen wollen und müssen wir also anerkennen, daß das Aufkommen für den Lastenausgleich wesentlich günstiger gelaufen ist, als die Väter des Gesetzes und auch als das Finanzministerium mit seinen Fachleuten es im Jahre 1952 in ihren Berechnungen zugrunde gelegt hatten.
({9})
Auch diese Binsenwahrheit und dieses Ergebnis, das heute nicht mehr mit fiktiven Zahlen, sondern mit den tatsächlichen Leistungen belegt wird, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Damit möchte ich nicht sagen, daß ein Übersoll erfüllt ist. Ich möchte aber diese Tatsache doch zur Steuer der Wahrheit festgestellt haben.
Ich kann allerdings, Herr Kollege Kather, mit Ihren Gedankengängen nicht konform gehen, wenn Sie meinen, daß uns die Sorgen um die Aufkommensseite im Lastenausgleich genommen wären, wenn eine Verlagerung der Dienstaufsicht vor sich gehen würde.
({10})
Die Größe und die Höhe der Verteilerseite hängt nicht von der Dienstaufsicht ab, sondern es kommt auf die Aufbringerseite an. Die Verteilerseite kann nur mit dem wirtschaften, was auf der Aufbringerseite zur Verfügung gestellt wird. Wenn wir die
Aufbringerseite in Ordnung bringen wollen, brauchen wir den Finanzminister und das Finanzministerium, brauchen wir die Länderfinanzminister und brauchen wir auch die Bank deutscher Länder.
({11})
- Ach, Herr Dr. Kather, „Dann müßte der Finanzminister auch Verteidigungsminister werden", ({12})
ich glaube, in diesem Zusammenhang ist dieser Zwischenruf wirklich nicht allzu geistreich.
({13})
Richtig ist aber das eine: Wir haben darüber zu wachen und dafür zu sorgen, daß unsere beweglichen Positionen im Wirtschafts- und Finanzplan nicht absinken, daß die Hausrathilfe so schnell wie möglich zur Abstattung kommt und daß die Mittel für die Eingliederung nicht geschmälert werden. Und das, meine Damen und Herren, ist trotz aller Ihrer negativen Kritik nur möglich, wenn wir uns zusammensetzen und alle miteinander, Parlament und Bürokratie, für mehrere Jahre einen klaren Vorfinanzierungsplan erstellen
({14})
und wenn wir zweitens auch so viel Einfluß auf die Ländervertretungen ausüben - und hier appelliere ich an alle Parteien, die positiv oder negativ heute Stellung genommen haben, auf ihre Vertreter und Minister in den Ländern einzuwirken -, daß die jetzt bei den Entscheidungen im Vermittlungsausschuß auch Verständnis haben, damit uns nicht von dieser Seite her die Mittel gekürzt werden, die wir für den Lastenausgleich benötigen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister sich die Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion doch etwas leicht gemacht hat. Es ist richtig, daß die Anfrage sich in der Formulierung auf die noch ausstehenden Tranchen der Lastenausgleichsanleihe bezogen, die vor Jahren ein Versprechen, eine Zusage im Rahmen des Kompromisses gewesen sind, den damals die Regierungsparteien bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes f anden. Es ist aber doch unmöglich, das Gesamtproblem der Vorfinanzierung nun allein in solch einem engbegrenzten Teilausschnitt sehen zu wollen, wie es der Herr Bundesfinanzminister in seiner Antwort getan hat.
({0})
Mit dem Ansprechen des Begriffs der „Vorfinanzierung" war dem Herrn Bundesminister ohne weiteres die Aufgabe gestellt, die Bitte vorgelegt, sich einmal im Grundsatz zu dieser Frage zu äußern. Dieser Bitte ist der Herr Bundesfinanzminister mit großer Eleganz, aber restlos ausgewichen.
Wir müssen doch die Frage der Vorfinanzierung so sehen: Als das Lastenausgleichsgesetz zustande kam, waren sich alle, die politisch verantwortlich
({1})
an diesem Gesetz mitzuwirken hatten, darüber im klaren, daß etwas Sinnvolles aus dem Gesetz nur dann herauskommen könne, wenn es in großem Maße gelänge, die über Jahrzehnte sich ausdehnende Wirksamkeit dieses Gesetzes in die ersten Jahre komprimiert vorzuziehen. Wenn das nicht die Meinung gewesen wäre, dann wäre es ja völlig sinnlos gewesen, im § 7 des Lastenausgleichsgesetzes eine Kreditermächtigung in Höhe von 5 Milliarden, wenn ich nicht irre,
({2})
festzulegen. Wem war diese Ermächtigung erteilt? Dem Herrn Bundesfinanzminister als demjenigen, der die politische Verantwortung für die Durchführung dieses Gesetzes zu tragen hatte. Ich meine, es ist reichlich billig, wenn uns der Herr Bundesfinanzminister heute hier erklärt: „Bisher ist ja noch kein Malheur passiert!" In den letzten Jahren haben ja die glücklichen Umstände des nicht schnellen Abwickelns, also des Nichtfunktionierens des ganzen Apparates auf der einen Seite und die ungenügenden oder zu geringen Schätzungen des Aufkommens auf der anderen Seite, die Dinge leidlich laufen lassen. Dabei wird aber doch das eine vergessen: daß eine planvolle Eingliederung mit ganz anderer Intensität und ganz anderen Folgerungen in den letzten 3, 4 Jahren hätte erfolgen können, wenn diese gesetzliche Verpflichtung vom Herrn Bundesfinanzminister einmal wenigstens ernstlich angepackt, wenn auch nicht erfüllt worden wäre. Ich habe leider den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister die Dinge auch heute nicht in diesem großen Sachzusammenhang zu sehen gewillt ist.
Zum Thema Bank deutscher Länder kann man eigentlich nur mit Erschütterung sprechen. Ich weiß nicht, inwieweit die Verpflichtung besteht, gutachtliche Äußerungen dieser Herren zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaube, eine gewisse Zuständigkeit ist da wohl gegeben. Wir können leider nicht mit einer Handbewegung über diese sogenannte gutachtliche Äußerung hinweggehen. Es ist aber für die Millionen Menschen, für die es hier um eine Leistung geht, auf die sie seit Jahren maßvoll und diszipliniert warten, unerträglich, wenn ein so hohes Gremium der wirtschaftspolitischen Führung überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, daß hier unter wirtschaftspolitischer Betrachtung unter allen Umständen auch die Berücksichtigung dieser sozialen Hypothek zu verstehen ist. Die Herren verfehlen ihre Verpflichtung, wenn sie ihre wirtschaftspolitischen Führungsaufgaben so eng zu betrachten pflegen.
({3})
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, daß die Hausratsentschädigung, ich glaube, im Jahre der Bundestagswahl, sehr reichlich floß, daß bestimmte Sparten der Wirtschaft nicht genug bekamen und noch eine Spritze durch Steigerung des Konsums haben wollten, um ihre Umsätze zu erhöhen. Da war die Ausschüttung des Lastenausgleichs eine sehr willkommene Angelegenheit.
Wir sollten uns, glaube ich, bei politischer Betrachtung mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß die gesetzlich vorgeschriebenen und nach dem Geiste des Gesetzes notwendigen Leistungen irgendwie durch wirtschaftspolitische Betrachtungen der Art, wie sie die Bank deutscher Länder angestellt hat, gehemmt werden. Die Dinge liegen vielmehr so: dies ist die soziale Hypothek, mit der wir als einem Faktum rechnen müssen. Alle wirtschaftspolitischen Überlegungen haben von dieser Tatsache auszugehen; wenn sie sie nicht richtig sehen, dann verfehlen sie ihre Aufgabe.
Ich habe manches, was Herr Kuntscher hier sagte, mit großer Befriedigung aufgenommen. Er wird es mir aber vielleicht nicht übelnehmen, wenn ich mir zur Klarstellung die Frage erlaube, ob er die Ehre hatte, für seine Fraktion insgesamt zu sprechen, oder ob er das aus seinem eigenen guten Herzen sagte, das wir bei Wahrung der Vertriebenenangelegenheiten öfter erlebt haben. Das wäre nämlich deshalb interessant, weil wir gerne wissen möchten - und auch das, Herr Bundesfinanzminister, gehörte zweifellos zu der Anfrage und mußte beantwortet werden -, wie die stärkste Regierungsfraktion zu der außerordentlich besorgniserregenden Situation im Vermittlungsausschuß steht, zumal Sie heute erklärten, daß Ihre Fraktion oder Sie persönlich Wert darauf legten, daß dem Fonds der Anteil an der Vermögensteuer unter allen Umständen erhalten bleibt, weil dies der einzige Posten auf der Einnahmeseite ist, der in etwa die Möglichkeit eröffnet, in Anbetracht des sich verbessernden Gesamtstandes der Wirtschaft das sich inzwischen gebildete Vermögen mit einem bescheidenen Anteil auch zur Abdeckung dieser Ausgleichsverpflichtungen heranzuziehen. Sie wissen ja, Herr Kuntscher, wie die Dinge im Vermittlungsausschuß stehen. Ich möchte mit allem Nachdruck und mit großem Ernst auf folgendes hinweisen. Die Öffentlichkeit wird, wenn - was hoffentlich nicht eintreten wird - der Vermittlungsausschuß auf die Initiative des Bundesrats zu viel geringeren Deckungen des Mehraufwandes durch die so einmütig beschlossene vierte Novelle kommen sollte, mit Recht den politischen Parteien, die an dieser Arbeit und Aufgabe beteiligt sind, den Vorwurf machen: Im Bundestag habt ihr so getan, als ob ihr mit allem, was ihr an politischer Kraft habt, dafür eintreten wolltet, und außerhalb dieses Saales über Länderregierungen und im Vermittlungsausschuß -- unsere Herren Vertreter vom Bundestag - scheint das nicht mehr gelten zu sollen.
({4})
- Jawohl, gar kein Zweifel! Aber bitte: Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich gerne die Sache dadurch unter Dach und Fach gebracht haben möchte, daß die stärkste Partei der Regierung, die ja doch eine ganz andere Macht und Einflußmöglichkeit hat als meine kleine Gruppe von 27, heute den Betroffenen und den Wartenden ganz klipp und klar das sagt, was Herr Kunze für die Fraktion bei der ersten Lesung gesagt hat
- wir haben ihm von dieser Stelle aus Beifall gespendet - und was heute Herr Kuntscher gesagt hat: das ist ein Wort, das die Christlich-Demokratische Union in all ihren Gliedern vom Haupt bis zum letzten hier der Öffentlichkeit kundtut, und danach werden wir uns richten.
({5})
- Herr Kollege, ich beneide Sie um die Einmütigkeit der Auffassung in dieser Frage. Ich erkläre ja, daß wir Herrn Kunze im Unterschied zu Herrn Kuntscher nie als einen - ich muß mein Urteil
({6})
sehr vorsichtig formulieren - besonders wohlwollenden Betrachter unserer Ansprüche auf dem
Gebiet des Lastenausgleichs angesehen haben.
Wenn beide Seiten das so einmütig und unmißverständlich erklärt haben, dann kann ich Ihnen
eigentlich zu dieser geschlossenen Auffassung in
Ihrer Fraktion nur Glück wünschen. In dieser Frage
sind wir auch geschlossen. Ich möchte es nicht
gern erleben, daß das, was hier im Plenum der
Öffentlichkeit gesagt worden ist, in den Länderregierungen - und da dürfen wir in Parenthese
Nordrhein-Westfalen mit besonderem Unterstreichen nennen; denn es ist nun einmal das finanzkräftigste Land in dem Kranz der Länder - ({7})
- Ich gebe Ihnen völlig recht: auch andere Länder, auch Flüchtlingsländer!
({8})
- Ganz klar, ich will mich an alle richten, aber besonders müßten wir uns mit unserer Bitte eigentlich an die Damen und Herren aus unserem Plenum richten, die im Vermittlungsausschuß, wenn ich die Konstruktion richtig verstehe, nach Möglichkeit den geschlossenen Willen des Bundestages zur Geltung bringen sollen. Sie sind doch von dieser Verpflichtung nicht etwa in dem Augenblick völlig befreit, in dem sie die Schwelle zum Vermittlungsausschuß übertreten. Ich möchte jedenfalls doch sehr herzlich bitten, sich die einfach nicht übersehbaren Folgen zu überlegen, wenn es dahin kommen sollte, daß die von Ihnen so einmütig und deshalb auch als notwendig anerkannten Verbesserungen des Lastenausgleichs, wobei für die lange fällig gewesene Erhöhung der Unterhaltshilfe allein 250 Millionen DM benötigt werden, auch nur zum Teil von den Betroffenen auf Kosten nicht nur der produktiven Hilfen, sondern auch der sozialen Hilfen - das hat Herr Kuntscher sehr eindringlich geschildert - bezahlt werden sollen. Das kann nicht ohne ernste Rückwirkungen bleiben. Angesichts der Situation, in der sich die deutsche Bundesrepublik gegenwärtig befindet und in der sie voraussichtlich in den nächsten Wochen und Monaten stehen wird, können wir es uns auf einem Gebiet der inneren Politik, das leidlich befriedet zu sein schien, weil Versprechungen und Gesetzesworte dem Sinn nach verstanden wurden, nicht leisten, diese Versprechungen mit solchen Manipulationen wie jetzt das Verfahren über den Vermittlungsausschuß wieder zu zerschlagen. Denn wenn auch nur die Hälfte der notwendigen Summe von einigen 200 Millionen DM auf dem Lastenausgleichsfonds hängenbleibt - Herr Kuntscher, Sie werden mir recht geben -, dann sind Ihre Ausführungen über die ganzen Planungen schon nicht mehr richtig.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und möchte nur noch an eines erinnern. Mir ist sehr lebhaft eine ausgezeichnete Rede in Erinnerung geblieben, die der Herr Bundeswirtschaftsminister gelegentlich der Beratung der Pariser Verträge hier an dieser Stelle gehalten hat, in der er die deutsche wirtschaftliche Situation und die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in seiner bekannten überzeugenden Art so optimistisch darstellte, daß er sich zu der Formulierung für berechtigt hielt, die großen Ausgaben auf Grund der Pariser Verträge, an denen auch wir mitgewirkt und die wir gewollt haben, sollten unter gar keinen Umständen etwa zu einer Verminderung der sozialen Leistungen führen. Wenn das Wort gilt - und es sind ja erst einige wenige Wochen vergangen, und deswegen kann das Ministerwort nicht etwa wegen veränderter Umstände zurückgenommen werden -, dann, glaube ich, ist unsere Forderung auf Mehrleistungen im Lastenausgleichsgesetz, die lediglich den inzwischen abgesunkenen Standard wieder anheben sollen, also insonderheit die Erhöhung der Unterhaltshilfe, durch dieses Ministerwort gedeckt. Das heißt: der Fonds muß die Mittel bekommen, um die Dinge erfüllen zu können; denn sonst geht es unter Beanspruchung des Niveaus und des Standards.
Nun noch ein letzter Gedanke. Herr Bundesfinanzminister, es ist Ihnen doch seit mindestens sechs Monaten, vielleicht sogar seit der ersten Lesung des Lastenausgleichsgesetzes bekannt, daß auf die öffentliche Hand, d. h. auf Bund und Länder insgesamt gesehen, diese Mehranforderung von rund 450 Millionen DM zukommt. Denn in der ersten Lesung bereits hat auch der Entwurf der CDU/CSU zur Deckung - bei einzelnen Abweichungen, aber im Prinzip genau dasselbe - als Ihren unumstößlichen Willen hier der Öffentlichkeit kundgetan, daß dem Fonds eine volle Dekkung für die Mehrausgaben gegeben wird. Woher sollte sie kommen? Entweder vom Bund oder von den Ländern! Ich begreife nicht, warum man diese unbestreitbare Tatsache, die einmal bei der Erörterung der großen Frage der Steuersenkung, die ja ein Volumen von 3 Milliarden DM umfaßt, zum andern aber auch bei dem monatelangen Tauziehen über die Verteilung der Steuerquellen zwischen Bund und Ländern bekannt war, nicht rechtzeitig als ein zu lösendes Problem in die Beratung mit hineingenommen hat. Dann würden wir heute nicht vor dieser schwierigen Frage stehen. Ich möchte Sie sehr herzlich bitten, Herr Bundesfinanzminister, vielleicht doch noch einmal zu überlegen, ob Sie es mit dieser von uns allen als sehr dürftig empfundenen Antwort wirklich bewenden lassen wollen oder ob Sie nicht vielmehr aus Ihrer gesetzlichen Verpflichtung, den § 7 und die Grundgedanken des Gesetzes durchzuführen, bei dieser Gelegenheit dem Plenum und der Öffentlichkeit etwas Genaueres von Ihren Gedanken und Absichten mitteilen wollen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Miller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich dazu auch von der Seite der Sowjetzonenflüchtlinge einige Worte sagen. Die Präambel des Lastenausgleichsgesetzes sagt, daß die Kriegsfolgen von allen Schichten getragen werden sollen; und man wind nicht abstreiten können, daß es auch eine Folge des Krieges ist, wenn Menschen aus der Zone fliehen müssen. Ich glaube aber, Sie einmal bitten zu müssen, sich in die Lage der Sowjetzonenflüchtlinge zu versetzen, wenn diese Menschen heute diese Debatte mit anhören oder später lesen.
Es gibt im Bundesgebiet ca. 8,5 Millionen Vertriebene und ca. 2,5 Millionen seit 1945 aus Mitteldeutschland Zugewanderte. Nehmen wir die Zahl der eigentlichen Flüchtlinge, so kommen wir auf rund 1,5 Millionen, also immerhin ungefähr 15 % der Heimatvertriebenen. In der Ausschöpfung des Lastenausgleichsgesetzes sind aber die Sowjetzonenflüchtlinge nur mit einem viel geringeren
({0})
Anteil von etwa 1 % beteiligt. Ich darf kurz erwähnen, daß von den ca. 15 Milliarden DM, die nach den Veröffentlichungen bisher insgesamt aus dem Lastenausgleichsgesetz geflossen sind, auf Zahlungen aus dem Härtefonds an die Sowjetzonenflüchtlinge bisher ca. 136 Millionen DM entfallen sind.
({1})
- Der Zuruf mag richtig sein. Ich wollte Ihnen aber bloß einmal aufzeigen, daß hier ein Verhältnis vorliegt, das die Sowjetzonenflüchtlinge von sich aus einfach nicht verstehen werden. Ich glaube mich deshalb auch dem Wunsche anschließen zu müssen, daß sowohl die Finanzierung wie auch die Vorfinanzierung immer gewährleistet sind. Denn auf den Härtefonds werden infolge der Fluchtgründe, die ja immer wieder auftauchen, immer von neuem größere Aufgaben zukommen. Damit ergibt sich zwangsläufig, daß der Härtefonds vom Herrn Bundesfinanzminister in irgendeiner Weise zusätzlich zu den Mitteln aus dem Lastenausgleichsfonds aufgefüllt werden muß, damit die berechtigten Forderungen der Sowjetzonenflüchtlinge in etwa realisiert werden können.
({2})
Hier habe ich die herzliche Bitte an den Herrn Bundesfinanzminister, daran zu denken, daß diese Menschen genau wie die Vertriebenen Anspruch darauf haben, daß sie eingegliedert werden, daß sie auch eine Hausratentschädigung bekommen, soweit ihre Notlage das verlangt. Ich muß im Namen der Sowjetzonenflüchtlinge dringend bitten, daß sowohl die Finanzierung wie die Vorfinanzierung in einem Ausmaß durchgeführt werden, das das Leiden dieser armen Menschen in etwa lindert.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Eine ganz kurze Erklärung! Ich möchte dem Herrn Kollegen Dr. Gille sagen, daß ich der bestellte Sprecher der Fraktion in dieser Angelegenheit gewesen bin. Andererseits werden und müssen unsere Bemühungen natürlich darauf hinauslaufen, in der Gesamtheit eine Vorfinanzierung auf klare und längere Sicht sicherzustellen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung. Damit ist der Punkt auch erledigt.
Ich rufe auf Punkt 11 der gestrigen Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({0}) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Abgabenfreie Einfuhr von Tabakwaren im Reiseverkehr ({1}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Peters.
({2})
- Es liegt ein ausführlicher schriftlicher Bericht *) vor. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, den Sie auf der Rückseite der Drucksache 1073 finden und der da lautet:
Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag - Drucksache 217 - abzulehnen.
Wer diesem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Nachträgliche Mitteilung an den Bundestag von der Bestellung eines Erbbaurechts an reichseigenen Grundstücken des ehemaligen Artillerie-Arsenals und des ehemaligen Scheibenhofs in Kiel-Friedrichsort ({3}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage dem Haus die Überweisung dieser Drucksache an den Haushaltsausschuß vor. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Punkt 13:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Veräußerung von reichseigenen Grundstücken des ehemaligen Truppenübungsplatzes Harksheide, Kreis Stormarn ({4}) ({5}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schlage Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 14:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen Leweck-Kaserne in OldenburgKreyenbrück an die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft ({6}) ({7}).
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 15:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Veräußerung von Teilflächen der ehemaligen Lüttich-Kaserne in Göttingen, Geismarlandstraße 33, an die Gothaer Lebensversicherung a. G. und die Gothaer Allgemeine Versicherung AG ({8}).
Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schlage Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
*) Siehe Anlage 2.
({9}) Punkt 16:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Veräußerung der Halle 15 nebst einer Teilfläche des ehemaligen Heereszeugamtes in Wiesbaden-Kastel an die Firma Elster & Co. in Wiesbaden-Kastel ({10}).
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 17:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({11}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Veräußerung des reichseigenen Grundstücks in Münster, Aegidiikaserne, im Wege des Tausches an die Stadt Münster ({12}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Gülich.
({13})
- Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ausschußantrag, den Sie auf Drucksache 1323 vorliegen haben. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 18:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({14}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an reichseigenen Grundstücken der ehemaligen Munitionsanstalt Mölln, Kreis Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein ({15}).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob mündliche Berichterstattung gewünscht wird.
({16})
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter Abgeordneten Dr. Gülich.
Dr. Gülich ({17}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil es sich hierbei um einige Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die bundestagsaktenkundig gemacht werden sollen, bitte ich, ein paar kurze Bemerkungen machen zu dürfen.
Die Muna in Mölln liegt in einem über 200 ha großen Waldgelände, welches 1935 enteignet wurde. Wie bei solchen Munas üblich, waren eingeerdete und überwaldete Bunker zur Munitionsherstellung und -abpackung erbaut worden. Nach dem Zusammenbruch gelang es 1948 nach langwierigen Verhandlungen, die Muna gegen die Verpflichtung freizubekommen, die Bunker zu entmilitarisieren und zu enterden. Das ist geschehen. Eine neue Industrie und Wohnstadt entstand.
Dann ist der interessante Versuch gemacht worden, aus den Munitionsbunkern Wohnhäuser zu machen. In jeden Bunker wurden vier schöne Wohnungen eingebaut, die damit wesentlich billiger hergestellt werden konnten als sonst Häuser und Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau.
Nun bemüht sich die Industrie- und Wohngelände GmbH in Mölln seit vier Jahren um die Bestellung des Erbbaurechtes, weil sie auf die 41 Munitionsbunker mit 164 Wohnungen noch weitere 41 mal 4 Wohnungen aufstocken will, was an zwei Bunkern bereits probeweise und erfolgreich vorgenommen worden ist. Sie braucht die Bestellung des Erbbaurechtes ausschließlich, um den Kredit für diese 164 Wohnungen, der seit Jahren bereitsteht, in Anspruch nehmen zu können.
Das Bundesfinanzministerium ging bei der Bewertung der Bunker - bei einem 1949 festgestellten Einheitswert von 113 160 DM - von einem Gegenwartswert von 565 200 DM aus, wofür die Gesellschaft - gegenüber einem bisherigen Pachtzins von 5280 DM - jetzt einen Erbbauzins und Grundsteuer von jährlich 19 614 DM bezahlen muß. Da aber der höhere Pachtzins nicht auf die alten Wohnungen umgelegt werden kann, ergibt sieh die frappierende Tatsache, daß die neuen Wohnungen im ersten Stock mit monatlich 7,50 DM mehr belastet werden als die alten Wohnungen im Erdgeschoß. Die Industrie- und Wohngelände GmbH hat aber, weil ihr der Betrag für die Kredite seit Jahren zur Verfügung steht, trotz dieser zunächst unlösbaren Schwierigkeiten den Erbbauvertrag mit dem Bundesfinanzministerium abgeschlossen.
Im Haushaltsausschuß wurde dabei erörtert, daß hier ein Problem in der Bewertung von Grundvermögen vorliegt, das zweckmäßigerweise bei dem demnächst wohl das Kabinett passierenden neuen Bewertungsgesetz behandelt wird. Denn der Baukostenindex vom Jahre 1954 kann unmöglich für Bauten zugrunde gelegt werden, die 20 Jahre vorher zu ganz anderen, nämlich militärischen Zwecken errichtet worden sind.
Die Erörterungen, die der Haushaltsausschuß über ,die vorliegenden Probleme angestellt hat, hindern ihn aber nicht - um die Sache nicht zu verzögern -, das Haus jetzt zu bitten, dem Antrag, der auf Drucksache 1160 im einzelnen dargestellt worden ist, gemäß Drucksache 1324 die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1324 zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat, die mir gerade heraufgereicht wird, bin ich genötigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sitzung erneut, und zwar zunächst bis 12 Uhr 45 zu unterbrechen. Ich teile mit, daß im Ältestenrat vereinbart worden ist, daß alle Fraktionen sofort Fraktionssitzungen abhalten werden.
Ich unterbreche also die Sitzung zunächst bis 12 Uhr 45.
({0})
Die Sitzung wird um 13 Uhr 48 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe dem Hause bekanntzugeben, daß der Herr Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland mir ein Schreiben übergeben hat, das ich dem Haus im Wortlaut zur Kenntnis gebe:
An den
Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn
Sehr geehrter Herr Präsident!
Namens der Bundesregierung mache ich
Ihnen, Herr Präsident, und damit dem Deutschen Bundestag folgende Mitteilung.
Die Vertreter der Französischen Republik und ides Vereinigten Königreichs haben um 12 Uhr die Urkunden über die Ratifizierung des Deutschlandvertrags und des Truppenstationierungsvertrags hinterlegt. Da die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland die Hinterlegung schon vorher vorgenommen hatten, sind die Verträge in Kraft getreten. Das Besatzungsregime ist damit beendet. Die Bundesrepublik Deutschland ist souverän.
Mit vorzüglicher Hochachtung
({0}) Adenauer
({1})
Das Wort zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Heinrich von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben dem Deutschen Bundestag bekanntgegeben, daß die Ratifizierungsurkunden des gesamten Vertragswerks von London und Paris heute hinterlegt worden sind. Die Verträge sind damit in Kraft getreten.
Niemand von uns wird sich dem tiefen Eindruck entziehen können, den diese Mitteilung auslöst, und ich stehe nicht an, zu erklären, daß meine politischen Freunde und ich selbst auf das tiefste bewegt sind. Der heutige Tag weckt Erinnerungen an die zurückliegende Zeit. Er erinnert an die Jahre, in denen eine unselige Führung das Ansehen und die Achtung des deutschen Volkes verspielte. Er erinnert an den beispiellosen Zusammenbruch des Jahres 1945, der jede staatliche, wirtschaftliche und soziale Ordnung zerstörte und von dem viele befürchteten, daß er auch die geistige und sittliche Ordnung in seinen Strudel ziehen und vernichten würde. Er erinnert uns an zerstörte Wohnungen und leere Arbeitsplätze, zwischen denen Millionen von Menschen herumirrten, die Haus, Hof und Existenz verloren hatten und von denen viele auch ihre Heimat hatten aufgeben müssen. Er erinnert uns an die Zerreißung unseres Vaterlandes, die bis zur Stunde noch andauert und die es Millionen von deutschen Menschen unmöglich macht, ihre Anstrengungen mit den unseren zu vereinen und an dem Wiederaufbau des gesamten Deutschlands mitzuwirken. Er erinnert uns aber auch an die mutigen Bemühungen des deutschen Volkes, sich aus diesem Chaos zu befreien und dem deutschen Volke eine neue, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung zu geben. In den Teilen unseres Vaterlandes, in denen die Besatzungsmächte die freie Entfaltung der aufbauenden Kräfte unseres deutschen Volkes ermöglichten, ist eine solche neue Ordnung geschaffen worden, die ihren äußeren und sichtbaren Ausdruck in dem Entstehen und in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gefunden hat.
Mit dem heutigen Tage wird der Bundesrepublik Deutschland die souveräne Stellung eines freien und gleichberechtigten Staates zurückgegeben. Damit erlangen wir Rechte. Aber diesen Rechten steht auch die schwere Verantwortung gegenüber, die das deutsche Volk in der Bundesrepublik an diesem Tage auf sich nimmt. Diese Verantwortung wiegt um so schwerer, als wir sie auch tragen müssen für diejenigen, die noch von uns getrennt sind.
Unsere politische Arbeit wird weitergehen. Sie wird unbeirrbar dem gleichen Ziele gelten wie seither: ein freies, wiedervereintes deutsches Volk in Frieden einzugliedern in die Gemeinschaft der freien Völker der Welt. Wir werden unsere Bemühungen vereinigen mit allen denen, die mit uns an die Freiheit glauben und das Recht des Menschen achten. Wir werden alles daransetzen, das Vertrauen zu erhalten und zu stärken, das die freie Welt uns entgegengebracht hat und das einen so sichtbaren Ausdruck in den Verträgen findet.
Ich möchte hier an dieser Stelle und zu dieser Stunde den Regierungen und ihren Vertretern danken, die sich in den Verträgen mit uns zusammengeschlossen haben, und ihnen versichern, daß für das neue Deutschland Verträge nicht politische Instrumente bedeuten, sondern daß wir uns der sittlichen Verpflichtung bewußt sind, die wir auch in diesen Verträgen übernommen haben.
({0})
Und Ihnen, verehrter Herr Bundeskanzler, möchte ich den tiefen Dank Ihrer Fraktion aussprechen. Seit nahezu sechs Jahren stehen Sie an der Spitze der Regierung der jungen deutschen Bundesrepublik. Unbeirrbar haben Sie daran gearbeitet, dem deutschen Volk das Vertrauen wieder zu verschaffen, das es verloren hatte, ihm Freundschaften zu vermitteln, um es aus seiner Isolierung zu befreien, und Partner zu gewinnen, die mit uns zusammen auch die obersten Ziele unserer Politik verfolgen werden.
Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß unter Ihrer Führung, Herr Bundeskanzler, dem ganzen deutschen Volk das zurückgegeben wird, was heute durch die Verträge der Bundesrepublik anvertraut wird.
({1})
Mit diesem Dank, verehrter Herr Bundeskanzler, verbinde ich die Versicherung aufrichtiger Mitarbeit auch für die schweren Aufgaben, die noch vor Ihnen, die noch vor uns allen liegen.
({2})
Das Wort zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben:
Für das deutsche Volk bietet die Ablösung des bisherigen Besatzungsrechts im Geltungsbereich des Grundgesetzes keinen Anlaß zum Feiern. Die der Bundesrepublik mit den Pariser Verträgen zuerkannte politische Bewegungsfreiheit ist schwerwiegend eingeschränkt durch die Verpflichtungen zur Leistung eines militärischen Beitrags im Rahmen des Nordatlantikpakts und durch in Vertragsrecht umgewandeltes bisheriges Besatzungsrecht. Deutschland ist nach wie vor gespalten. Von der Souveränität Deutschlands kann erst die Rede sein, wenn Deutschland in Freiheit wiedervereinigt ist.
({0})
Dieses Ziel zu erreichen, bleibt die vordringlichste politische Aufgabe des ganzen deutschen Volkes.
({1})
Das Wort zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten habe ich die Ehre, folgende Erklärung abzugeben:
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt das Ende der Besatzungszeit für die Bundesrepublik, doch verbindet sich mit dem Gefühl der Befriedigung für Westdeutschland, endlich nicht mehr unter fremder Oberherrschaft zu stehen, um so lebendiger das schmerzliche Bewußtsein, daß auch heute noch andere Teile Deutschlands mit Millionen Deutscher und der Ostsektor der Reichshauptstadt Berlin von der deutschen Gemeinschaft und Freiheit ausgeschlossen sind und viele Tausende Kriegsgefangener und Vermißter das gleiche schwere Schicksal teilen. Deshalb sehen wir in dem Ereignis ,des heutigen Tages keinen Abschluß, sondern nur die erneute Verpflichtung, mit allen Kräften zur Erfüllung des demokratischen und nationalen Zieles unseres Grundgesetzes zu gelangen: in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
({0})
Das Wort zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE habe ich in dieser bedeutsamen Stunde folgende Erklärung abzugeben:
Zehn Jahre nach dem deutschen Zusammenbruch, der unsägliches Leid über unser ganzes Volk brachte und Millionen deutscher Menschen die Heimat nahm, wurde der größere Teil unseres Volkes vom Besatzungsrecht frei. Wir begrüßen dankbar die Souveränität der Bundesrepublik als einen ersten wesentlichen Schritt auf dem Wege zur Vereinigung aller Deutschen in einem gemeinsamen Vaterlande.
Gesamtdeutschland in Frieden, Freiheit und Sicherheit bleibt unser aller Ziel.
({0})
Das Wort zu einer weiteren tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Namens der Fraktion der Deutschen Partei habe ich die Ehre, folgende Erklärung abzugeben.
Vor zehn Jahren schien unsere Lage aussichtslos zu sein. Die Beendigung des Besatzungsregimes gibt zwar keinen Anlaß zu festlichem Überschwang. wohl aber zur Besinnung und zur Dankbarkeit vor Gott.
({0})
Ein kleinliches Mäkeln an der Tragweite der deutschen Souveränität wäre grober Undank und ein Verkennen ihrer rechtlichen und politischen Bedeutung.
({1})
Mit der Beendigung des Besatzungsregimes beginnt ein höheres Maß deutscher Verantwortung. Sie besteht vor allem in der Verantwortung für ganz Deutschland und im Hinblick auf die Neuordnung Europas. Größte Vorsicht ist geboten, um die Vertrauensgrundlage für ganz Deutschland nacht zu gefährden.
({2})
Vergleichen wir die Souveränität der Bundesrepublik mit der Scheinsouveränität der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, dann haben wir den richtigen Maßstab für die von uns errungene Position.
Die deutsche Außenpolitik und mit ihr auch die Innenpolitik haben im freien Teil Deutschlands eine grundsätzliche Wendung zur Beendigung alter Gegensätze und Rivalitäten im Westen vollzogen. An ihre Stelle ist eine möglichst enge und dauerhafte Zusammenarbeit gesetzt worden. Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit und Sicherheit würde auch nach Osten hin die Grundlage für eine dauerhafte Entspannung und damit für den Frieden in Europa und in der Welt schaffen. Dieser Friede bleibt das oberste Ziel.
Mit Befriedigung sieht die Fraktion der Deutschen Partei auf den erfolgreich beendeten ersten Abschnitt des deutschen Weges zurück, an dessen Richtungsbestimmung sie keinen geringen Anteil genommen hat. Sie beginnt mit voller Zuversicht den nächsten Abschnitt.
Die Fraktion der Deutschen Partei gedenkt in dieser Stunde aller derer, die ihr Leben für den Bestand unseres Volkes und unseres Vaterlandes dahingegeben haben. Sie gedenkt in Ehrfurcht all der Opfer. die um der Freiheit Deutschlands willen heute in den Lagern der Bedrückung schmachten müssen. Sie gedenkt aller derer, die fern von unseren Grenzen noch sein müssen.
Die Fraktion der Deutschen Partei würde es dieser Stunde nicht für würdig halten, wenn wir nicht auch unseren Dank dem Regierungschef zum Ausdruck bringen würden, der von unserem Vertrauen getragen ist und unter dessen Führung dieser mühevolle erste Abschnitt des deutschen Weges beschritten worden ist.
Möge die Zukunft licht sein!
({3})
Meine Damen und Herren! Sie haben die Erklärungen der Fraktionen dieses Hauses zu der Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers gehört. Erlauben Sie mir, zusammenfassend folgendes zu sagen.
Weil das deutsche Volk im Jahre 1933 seine Rechtssicherheit und seine innere Freiheit an eine totalitäre Diktatur verlor, hat es Jahre danach - am 8. Mai 1945 - auch seine äußere Freiheit verloren. Der Herr Bundeskanzler hat dem Deutschen Bundestag mitgeteilt, daß in dieser Stunde das Besatzungsregime beendet ist und der größere Teil Deutschlands, die Bundesrepublik, ihre innere und äußere Freiheit wiedererlangt hat.
Ungeachtet der verschiedenartigen politischen Beurteilung der soeben in Kraft getretenen Verträge begrüßt dieses Haus gewiß jedes Ereignis, das dazu angetan ist, dem ganzen deutschen Volk seine innere und äußere Freiheit wiederzugeben und seinen Frieden und seine Einheit zu sichern. Auch wenn das Besatzungsregime dank der Einsicht der westlichen Besatzungsmächte und der Weisheit ihrer in Deutschland stationierten Hohen Kommissare seit Jahren vom deutschen Volk nicht mehr als schwere Bedrückung empfunden wurde, so ist sich der Deutsche Bundestag und mit ihm das deutsche Volk der Bedeutung der Stunde wohl bewußt, in der das Besatzungsstatut fällt.
Dieser Augenblick gehört nicht der eingehenden Würdigung der deutschen Geschichte eines Jahrzehnts. Aber eine dreifache Vergegenwärtigung scheint mir erlaubt, ja notwendig.
Erstens. Die Verantwortung der obersten frei gewählten Vertretung des deutschen Volkes für den Weg und das Schicksal der Deutschen ist damit noch unmittelbarer und unabweisbarer für uns alle geworden.
Zweitens. In dieser Stunde gehen unsere Gedanken zu allen Deutschen, denen es verwehrt ist, mit uns in Freiheit und Einheit zusammenzuleben. Wir gedenken damit auch unserer Kriegsgefangenen und Vermißten. Es ist unser fester und gemeinsamer Wille, daß die neuerworbene Freiheit im Dienst der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes stehe. Dieses Haus wird nicht müde werden, dafür Voraussetzungen zu schaffen und die Einheit der Nation zu verwirklichen.
Drittens. Der Deutsche Bundestag ist gewiß einmütig gewillt, Deutschlands Freiheit in den Dienst des Weltfriedens und der Völkerversöhnung zu stellen und damit der Schaffung einer neuen, besseren Ordnung zwischen den Völkern unseres Kontinents zu dienen.
Meine Damen und Herren! Trotz der Bitternis und des Leides um das geteilte Vaterland darf diese Stunde nicht danklos zu Ende gehen. Unser Dank gilt Gott, dem Herrn der Geschichte, für die Rettung unseres Volkes und des größeren Teils unserer Heimat vor der physischen Vernichtung. Es ist der Dank für die Heilung schwerer Wunden, für die Rückgewinnung der Freiheit im größeren Teil unseres Vaterlandes und schließlich für die ehrenvolle Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft der freien Welt. Noch ist die Wiederherstellung des Vaterlandes nicht vollendet. Wir aber vereinen uns mit allen Deutschen im Osten, im Westen, im Norden und Süden Deutschlands in der Hoffnung und in der Bitte, daß für ganz Deutschland bald die Stunde der Einheit und der Freiheit in einer befriedeten Welt schlagen möge.
({0})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung für 30 Minuten.
({1})
Die Sitzung wird um 14 Uhr 47 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 19 der gestrigen Tagesordnung auf:
Beratung des Entwurfs einer Einunddreißigsten Verordnung über Zollsatzänderungen ({0}).
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 20 auf:
Beratung des Entwurfs einer Zweiunddreißigsten Verordnung über Zollsatzänderungen ({1}).
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage dem Hause Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 21:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein, Dr. Krone und Genossen betreffend Ausgelagerte Buchbestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek ({2}).
Zur Begründung des Antrags erteile ich der Frau Abgeordneten Dr. Maxsein das Wort.
Frau Dr. Maxsein ({3}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Begründung zu diesem Antrag. Die Frage der Rückführung der ausgelagerten Buchbestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek nach Berlin gehört in den großen Komplex der Rückführung der Kulturgüter des ehemaligen preußischen Staates nach Berlin überhaupt. An dieser Stelle haben wir vor einigen Wochen einmütig den Antrag angenommen, der die Bundesregierung ersucht, ein Gesetz vorzulegen, in dem die grundsätzliche Rückführung der Kulturgüter nach Berlin festgelegt wird. Der Herr Bundesfinanzminister hat an dieser Stelle eine Erklärung abgegeben, daß ein solcher Gesetzentwurf vorliegt, in dem die Forderungen, die der Antrag enthält, berücksichtigt werden würden. Dieser Gesetzentwurf befindet sich augenblicklich im Bundesrat, und wir hoffen zu Gott, daß den Forderungen Gerechtigkeit zuteil wird.
Die historische Situation liegt bei der Preußischen Staatsbibliothek ähnlich wie bei den Museumsgütern. Auch ihre Bestände wurden im Krieg
({4})
aus der Not heraus verlagert, um sie vor der Zerstörung zu bewahren. Ein großer Teil wanderte.
nach dem Osten; davon ist hier nicht die Rede. Es
geht hier um den kleinen, aber sehr wertvollen
Bestand, der sich in Tübingen, und um den großen,
umfassenden Bestand, der sich in Marburg befindet. Es handelt sich hierbei nicht, wie gestern an
dieser Stelle von maßgeblicher Seite geäußert
wurde, um 250 000, sondern um zirka 1 700 000
Bände, unter denen ,allerdings ,die 250 000 eine besondere Rolle spielen; das sind die Bücher, die
noch nicht inventarisiert in Kisten gestapelt sind.
Was den Zustand dieser Bibliothek in Marburg
betrifft, so möchte ich nicht anführen, was meinetwegen tendenziöse Besucher darüber aussagen, sondern mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus
dem Jahresbericht der Westdeutschen Bibliothek
der Sammlungen der ehemaligen Preußischen
Staatsbibliothek in Marburg zitieren. Da heißt es: Abgesehen davon, daß die Nichtbenutzbarkeit eines so großen Bestandes bei den großen Bücherverlusten der Kriegs- und Nachkriegszeit einen empfindlichen Schaden bedeutet, muß der Zustand der Bücher, die lange in Kalischächten lagerten und nun schon jahrelang unter ungeheurem Druck und unter Abschluß von jeder Luftzufuhr gestapelt sind, als sehr bedenklich bezeichnet werden. Daß an diesen Beständen schwere Schäden eintreten, ist leider gewiß. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Berliner Bestände allgemein durch Verlagerung, Transporte so gelitten haben, daß heute schon schätzungsweise 110 000 Bände ,einer größeren oder kleineren Reparatur bedürfen, um vor weiteren Schäden oder gar der Vernichtung bewahrt zu werden.
Besonders empfindlich betroffen ist die Kartenabteilung . . . Für rund 30 000 Karten ist eine Entsalzung erforderlich. Die ganze Abteilung müßte noch lufttrockener untergebracht werden, als das vorläufig der Fall sein kann.
Weiter heißt es:
Bei einer Begehung der Magazine wurden bei dem Berliner Altbestand Schäden festgestellt an etwa 40 000 Bänden im Magazin des Hauptgebäudes, an etwa 70 000 Bänden im Magazin im Wilhelmsbau des Schlosses, an etwa 30 Karten ebenda. Es handelt sich hierbei um Schäden auf Grund der Verlagerung . . . Besorgniserregend sind die Schäden, da sie, wenn ihre Behebung nicht bald erfolgt, unheilbar werden und auf weitere Nachbarbestände übergreifen müssen.
Die soeben ,genannten Zahlen beziehen sich
auf die bereits aufgestellten Berliner Bestände.
Bei den auf dem Schloß in einem Haufen übereinandergeschichteten Bänden ist, worauf im
vorigen Jahresbericht bereits hingewiesen
wurde, mit weiteren Schädigungen zu rechnen.
Ich zitiere das nicht, um daraus einen Vorwurf abzuleiten. Ich möchte damit nur die Dringlichkeit und die Sorge rechtfertigen, die in dem Antrag zum Ausdruck kommt. Sicherlich sind die Bücher nicht so behandelt, wie wir das wünschen und wie sich das eigentlich gehört. Ich führe das auf die unzulänglichen Mittel, also auf eine Nachkriegserscheinung zurück.
Was die rechtliche Seite betrifft, so liegen die Dinge genau so wie bei den Museumsgütern. Auch die Bücher der Staatsbibliothek wurden dem hessíschen Staat zur treuhänderischen Verwaltung übergeben. Was zu dieser Treuhänderschaft gesagt werden konnte, ist bereits anläßlich der Rückführung der Museumsgüter an dieser Stelle gesagt worden. Ich möchte nicht auf die rechtliche Seite eingehen; sie ist eine Angelegenheit, die sehr intensiv im Ausschuß erörtert werden muß.
Auch die Raumfrage! Man sagt: Berlin hat keinen Raum, um die Bestände aufzunehmen. Meine Damen und Herren, mir scheint, auch Westdeutschland und insbesondere auch Hessen hat diesen Raum nicht, -andernfalls wäre es allerdings unverantwortlich, daß 250 000 Bände heute noch in Kisten stapeln.
Wenn vor Jahren, 1950/51, an hervorragender hessischer Stelle einem Vertreter des Berliner Senats in der Angelegenheit der Rückführung der Staatsbibliothek geantwortet wurde: Preußen ist tot, die Ansprüche sind erloschen!, so berührt das nicht das eigentliche Thema. Berlin, das muß erklärt werden, war niemals Eigentümerin der Preußischen Staatsbibliothek. Berlin will und wird es auch in Zukunft nicht sein. Aber hier geht es um den Besitz. Die Gründung der Staatsbibliothek geht ,auf den Großen Kurfürsten zurück, und jahrhundertelang war diese Bibliothek im Besitze Berlins. Darüber kann eine .achtjährige treuhänderische Funktion .des hessischen Staates nicht hinwegtäuschen.
Meine Damen und Herren, die Staatsbibliothek gehört nach Berlin! Das ist eine Frage der natürlichen Ordnung der Dinge, und es ist nur erstaunlich oder bedauerlich, wie man es nennen will, daß so lange Zeit, nachdem ,die Normalisierung der Verhältnisse doch tatsächlich festzustellen ist - und auch eine wachsende politische Freiheit -, man nicht ,den Sinn entwickelt für ,die, ich möchte sagen, Wiederherstellung der natürlichen Ordnung. Das heißt: die Bibliothek gehört grundsätzlich nach Berlin, und das ist das Anliegen, das sehr vordringlich in diesem Antrag zum Ausdruck kommt. Die Raumfragen, die Rechtsfragen, die finanziellen Fragen, die wesentlich damit verbunden sind, müssen selbstverständlich eingehend diskutiert werden. Ich beantrage deswegen die Oberweisung dieses Antrags an den Ausschuß für Kulturpolitik, und ich bitte das Hohe Haus, dieser Überweisung zuzustimmen.
({5})
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Kulturpolitik zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen; der Antrag Drucksache 1353 ist überwiesen.
Punkt 22 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Stücklen, Griem, Schmücker und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ({0}).
({1})
- Drucksache 1329! - Geht es so besser, meine Damen und Herren? Dann muß ich aber meine Stimme schon etwas anstrengen!
({2})
({3})
Nach interfraktioneller Vereinbarung soll auf Begründung und Debatte in der ersten Lesung verzichtet werden. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Ich schlage vor: Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 1329 an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht sowie an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit wären wir am Ende der gestrigen Tagesordnung.
Ich beginne nun, die heutige 'abzuwickeln. Ich rufe auf Punkt 1:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({4}).
Ich erteile das Wort zur Einbringung dem Herrn Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben heute eine Novelle zum Gesetz über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung vor sich liegen, einen Gesetzentwurf, der dringend notwendig geworden ist, weil sich die Verhältnisse seit der Schaffung dieses Gesetzes im Jahre 1927 wesentlich geändert haben. Damals ist man davon ausgegangen, daß dieses Gesetz eine Ergänzung der sozialen Gesetzgebung im allgemeinen sein sollte. Man hat eben das Risiko der Arbeitslosigkeit immer von einer normalen Zeit aus gesehen, damals für den Arbeitnehmer gesetzgeberisch durch eine Versicherung beheben und die Dinge in eine gesunde Ordnung bringen wollen. In der Zwischenzeit haben sich in Deutschland Dinge ereignet, die damals überhaupt nicht vorauszusehen waren. In der nationalsozialistischen Zeit hat man die Arbeitsverwaltung, die letzten Endes die Durchführung dieses Gesetzes in Händen hatte, zu etwas ganz anderem umgestaltet. Man hat durch die Einführung der Arbeitsbuchabteilung die Arbeitsämter mehr oder weniger zu Bezirkskommandos für Kriegswirtschaft umgestaltet, und man hat in der damaligen Zeit für die Arbeitslosenversicherung einen Beitrag erhoben, der nicht einmal mit 10 °/o den eigentlichen Aufgaben der Versicherung zugeleitet wurde. Alles andere war mehr oder weniger eine Sondersteuer der arbeitenden Menschen für die Kriegswirtschaft.
Wir haben zwar in der Nachkriegszeit diese nationalsozialistischen Bestimmungen im AVAVG wieder beseitigt, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben daneben auch andere gesetzliche Bestimmungen bekommen, die das Recht auf diesem Gebiet sehr weit haben auseinanderlaufen lassen. Das waren zum Teil Gesetze, die durch die Länder, durch die Besatzungsmächte und auch durch den Bundestag erlassen worden sind. Wir müssen wieder, nachdem wir vor zwei Jahren die Bundesanstalt neu haben erstehen lassen, dafür sorgen, daß einmal diese Bundesverwaltung und darüber hinaus auch die Gerichte eine einheitliche feste Grundlage für ihre Entscheidungen in den Händen haben.
Die Fertigstellung des Entwurfs wurde mehrfach erheblich verzögert. Wir hatten damals, als die
Bundesanstalt ihren Dienst aufnahm, die Meinung, man sollte dieser Anstalt recht bald durch ein Reformgesetz einheitliche, verbesserte Arbeitsgrundlagen geben. Aber es kamen die verschiedensten Schwierigkeiten. Wir wollten zu dieser neuen Ordnung vor allen Dingen die Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt hören. Wir wollten wissen, wie die Menschen, die das Gesetz draußen anzuwenden haben, darüber denken. Auf der anderen Seite hat es natürlich auch große Schwierigkeiten gegeben, weil namentlich der Bergbau zwar den Versicherungsschutz in Anspruch nehmen, aber beitragsfrei bleiben wollte. Diese Dinge haben wir nunmehr in der Gesetzesvorlage Ihnen und damit dem Parlament zur Beschlußfassung in dem einen oder anderen Sinne vorgelegt.
Ich möchte hier in aller Offenheit sagen: Das Gesetz ist im Interesse der Arbeitnehmer und der Verwaltung dringend notwendig. Von prinzipieller Bedeutung ist die Rolle der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Rechtsetzung. Es ist bemängelt worden, daß die Rechte der Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt durch die Novelle eingeschränkt würden. Dieser Einwand trifft aber bestimmt nicht zu. Die frühere Reichsanstalt unterlag dem unbeschränkten Aufsichts- und Weisungsrecht des damaligen Reichsarbeitsministeriums. Die Aufsicht des Bundesministeriums für Arbeit beschränkt sich nach dem Gesetz über die Bundesanstalt jedoch darauf, daß Gesetz und Satzung beachtet werden. Sie erstreckt sich nicht auf rein fachliche und Ermessensfragen. Insoweit ist die Selbstverwaltung der Bundesanstalt wesentlich selbständiger, als die Reichsanstalt früher war. Daran ändert sich auch durch die Novelle nichts.
Die Arbeitsmarktpolitik und in diesem Zusammenhang auch die Sozialpolitik sind Aufgaben des Bundes. Die Durchführung des AVAVG muß im Einklang mit der Politik des Bundes stehen. Widersprechende Auffassungen würden letzten Endes das Ganze nur stören. Eine Koordinierung ist also unerläßlich. Da es an einem Weisungsrecht des Bundesministers für Arbeit fehlt, ist sie nur auf dem Wege von Rechtsverordnungen und von allgemeinen Verwaltungsvorschriften erreichbar.
Die verfassungsrechtliche Lage hat sich durch unser Grundgesetz gegenüber den Verhältnissen im Jahre 1927 grundsätzlich geändert. Nach dem Grundgesetz können Rechtsverordnungen nur im Rahmen des Art. 80 des Grundgesetzes durch die Bundesregierung herbeigeführt werden. Die Bundesregierung hält die Ermächtigung der Organe der Bundesanstalt zur Setzung von Normen grundsätzlich für zulässig. Der Bundesrat hat dagegen rechtliche Bedenken geäußert. Die Bundesregierung hat sich jedoch in ihrer Stellungnahme der Auffassung des Bundesrates nicht angeschlossen. Der Entwurf sieht die Ermächtigung der Organe der Bundesanstalt zum Erlaß von Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften vor, behält sie aber der Bundesregierung oder dem Bundesministerium für Arbeit überall dort vor, wo allgemeine politische Gründe, arbeitsmarktpolitische Koordinierung oder fiskalische Interessen des Bundes dies erfordern. Soweit die vom Verwaltungsrat zu erlassenden Vorschriften an die Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit oder der Bundesregierung geknüpft sind, ergibt sich die Notwendigkeit hierfür aus den gleichen Erwägungen, insbesondere auch aus der Tatsache, daß der Bund die Arbeitslosenfürsorge und nach Art. 120 des Grund({0})
gesetzes etwa notwendig werdende Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung voll zu tragen hat.
Der in der Vergangenheit weit verstreute und völlig unübersichtlich gewordene Rechtsstoff wird durch die vorliegende Novelle im AVAVG wieder zusammengefaßt unter Einbau der Bestimmungen über Arbeitslosenfürsorge, Kurz arbeiterunterstützung, Unterstützung für Heimarbeiter und unständig beschäftigte Hafenarbeiter. Rund 90 Gesetze und Verordnungen des Reichs, des Bundes, der Länder und der Besatzungsmächte und eine große Anzahl von Einzelvorschriften fallen durch diese Novelle weg und werden durch ein einheitliches Gesetz ersetzt. Darin liegt ein großer Fortschritt. Die Novelle vereinfacht die Handhabung des Rechts, und die Behörden und die Gerichte haben wieder eine einheitliche Grundlage für ihre Entscheidungen. Rechtseinheit und Rechtssicherheit werden wiederhergestellt. Die Novelle dient damit den Interessen der Arbeitnehmer. Die zahlreichen sachlich nicht gerechtfertigten Rechtsunterschiede werden beseitigt. So wird unter anderem ein lange gehegter Wunsch der süddeutschen Länder auf Erweiterung des Personenkreises der Arbeitslosenfürsorge erfüllt und der Unterschied zwischen süddeutschen und norddeutschen Ländern beseitigt.
Der gesamte Rechtsstoff ist auf seine Übereinstimmung mit den internationalen Übereinkommen, auch soweit sie noch nicht von der Bundesrepublik ratifiziert worden sind, überprüft worden.
Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Lehrstellenvermittlung bleiben wie bisher Aufgaben der Bundesanstalt. Arbeitsvermittlung und Lehrstellenvermittlung können aber nichtgewerbsmäßig auch durch andere Einrichtungen und Personen betrieben werden, die auf Antrag durch die Bundesanstalt beauftragt werden können. Die Arbeitsvermittlung durch Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, die nach dem Gesetz vom 9. Juli 1954 ihre Tätigkeit wieder aufnehmen konnten oder aufgenommen haben, bleibt aufrechterhalten.
Die Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme sind vor allem zugunsten der langfristig Arbeitslosen erweitert worden. Um die Unterbringung in Arbeit zu fördern, sollen Beihilfen zur Umschulung sowie für Maßnahmen zur Steigerung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der Arbeitslosen im Sinne einer beruflichen Rehabilitation bereitgestellt werden.
Die soziale Sicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit wird in erster Linie durch die Arbeitslosenversicherung bewirkt, an der grundsätzlich festgehalten wird. Ergänzend tritt die Arbeitslosenhilfe hinzu, bisher Arbeitslosenfürsorge genannt. Diese Zweigleisigkeit des Schutzes gegen Arbeitslosigkeit ist bis auf weiteres unentbehrlich, solange als mittelbare Kriegsfolge eine Arbeitslosigkeit besteht, für die nach Dauer und Umfang die Arbeitslosenversicherung nicht ausreicht. Auch für Zeiten überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit wird die Arbeitslosenhilfe unentbehrlich bleiben. Allerdings kann angenommen werden, daß ihre Bedeutung infolge der großen Erfolge der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und des Bundestages geringer wird und eine weitere Stabilisierung der politischen Lage ständig zu einer weiteren Abnahme der Bedeutung der Arbeitslosenhilfe führt.
In beiden Systemen geht die Vermittlung von Arbeit der Unterstützung vor. Das ist der wichtigste Grundsatz. Deshalb können nur Personen anspruchsberechtigt sein, die schon vor Eintritt der Arbeitslosigkeit Arbeitnehmer waren, aber auch künftig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als unselbständige Erwerbspersonen eine abhängige Erwerbsarbeit zu leisten gewillt sind. In beiden Systemen muß daher die enge organisatorische und rechtliche Verknüpfung mit der Arbeitsvermittlung beibehalten werden.
In der Arbeitslosenversicherung richtet sich die Versicherungspflicht zwar grundsätzlich nach der Versicherungspflicht zur Kranken-, Knappschaftsund Angestelltenversicherung. Das gilt auch für die Beitrags- und Leistungsgrenzen, die zuletzt durch ein Gesetz vom 13. August 1952 neu festgestellt sind. Der Personenkreis muß aber nach den Gesichtspunkten der Arbeitsmarktpolitik, der Solidarhaftung und des Schutzbedürfnisses neu abgegrenzt werden. Insbesondere sind Ausnahmen erforderlich, wo ein Schutzbedürfnis nicht vorliegt, wie z. B. bei dem auf Grund von langfristigen Arbeitsverträgen beschäftigten Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft. Andererseits werden Personen, die heute noch bezirksweise versicherungsfrei sind, wie die Hausgehilfinnen, in den Versicherungsschutz einbezogen.
Für eine Bedürftigkeitsprüfung ist in der Arbeitslosenversicherung kein Raum. Die Pflichtarbeit als Voraussetzung für den Anspruch soll beseitigt werden. Die Solidarhaftung muß andererseits ein Schutz der Versicherungsgemeinschaft vor willkürlicher Arbeitslosigkeit und vor Mißbrauch der Leistungen sein. Nur so wird auf die Dauer der hohe Stand der Leistungen gehalten werden können.
In der Arbeitslosenversicherung wird der Beitrag nach dem Entgelt erhoben. Deshalb muß auch die Leistung in Beziehung zum Entgelt stehen. Die Leistungen der Arbeitslosenhilfe können, da sie aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden, in vergleichbaren Fällen in der Regel nicht die gleiche Höhe wie die der Arbeitslosenversicherung haben. Die Erhebung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung wäre andernfalls nicht gerechtfertigt. Den Versicherten müßte dies jedenfalls unbegreiflich bleiben.
In beiden Systemen müssen die Leistungen nach oben so begrenzt werden, daß der Arbeitswille nicht beeinträchtigt wird. Aus sozialen Gründen sind aber in beiden Systemen die Leistungen so gestaffelt, daß bei niedrigen Einkommen ein höherer Vomhundertsatz des Entgelts als Leistung gewährt wird, um ein Absinken des Lebensstandards zu verhindern.
Familienzuschläge sollen auch künftig gewährt werden, soweit sie nicht durch Kindergeld oder andere soziale Leistungen für die Angehörigen entbehrlich sind.
Die Unterstützungssätze sind zuletzt durch das Gesetz vom 23. August 1953 neu festgesetzt worden. In den höheren Entgeltsgruppen ergab sich daraus eine Erhöhung der Unterstützungen bis zu 35 %. Da für die Lebenshaltung des Arbeitnehmers nicht das Brutto-, sondern das Nettogehalt maßgebend ist, muß die Unterstützung, die ja ohne jeden Abzug ausgezahlt wird, mit dem Nettoentgelt verglichen werden. Bei einem derartigen Vergleich ergibt sich aber, daß die derzeitigen Unterstützungssätze bis auf wenige Ausnahmen 50 % des Nettoentgelts übersteigen und bei niedrigen Entgelten bis zu 90 % des vorher erzielten Lohnes erreichen.
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Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Unterstützungssätze infolge der Berechnung nach dem Entgelt der Lohnhöhe automatisch folgen. So erzielten am 31. August 1950 ungefähr 22 % der männlichen Arbeitslosen Unterstützungen nach dem Wochenentgelt von 60 DM und mehr. Am 31. August 1953 war dieser Prozentsatz auf 75,7 gestiegen.
Der Forderung ,der Gewerkschaften, Leistungen in jedem Fall von Arbeitslosigkeit - auch infolge von Arbeitskämpfen - zu gewähren, konnte nicht entsprochen werden, um ,die unbedingte Neutralität der Bundesanstalt bei Arbeitskämpfen zu gewährleisten. Der Entwurf übernimmt die seit 1927 bestehende bewährte Regelung, wonach Leistungen zur Vermeidung unbilliger Härten gewährt werden können, wenn die Arbeitslosigkeit mittelbar eine Folge von Arbeitskämpfen ist.
In der Arbeitslosenhilfe werden wie bisher Leistungen nur gewährt, wenn die Einkünfte des Arbeitslosen und seiner Angehörigen nicht ausreichen. Dem Angehörigen soll ein Beitrag zur Unterhaltung des Arbeitslosen zugemutet werden, da die Arbeitslosenhilfe aus Bundesmitteln finanziert wird; jedoch darf der Arbeitswille der Angehörigen dadurch nicht gelähmt werden. Die Berücksichtigung des Einkommens der Angehörigen darf auch nicht zur Zerreißung der Familie führen.
Die Arbeitsämter können nach ihrem Aufbau und ihren Aufgaben keine individuelle Fürsorge betreiben. Das ist die Aufgabe der öffentlichen Fürsorge. Die Gewährung individueller Sonderbeihilfen und Mietzuschläge, wie sie bisher in einem Teil des Bundesgebietes zulässig war, muß daher der öffentlichen Fürsorge überlassen bleiben.
Wie bisher ist ,der Arbeitslose gegen Krankheit versichert. Er wird künftig in der Regel Mitglied seiner bisherigen Krankenkasse bleiben. Zusätzlich werden die Arbeitslosen künftig gegen Unfall auf den vom Arbeitsamt veranlaßten Wegen zur Suche einer Arbeitsstelle versichert sein.
Wie Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bezweckt der Entwurf, dem eine ausgiebige schriftliche Sonderbegründung beigegeben ist, auf diesen Gebieten wieder einheitliches Recht zu schaffen und das Gesetz den heutigen Verhältnissen anzugleichen. Das AVAVG, das Arbeitslosenversicherungsgesetz, hat eben in den verschiedensten Zeiten verschiedenste Aufgaben zu erfüllen. Wir wissen, daß die Arbeitslosenversicherung in den dreißiger Jahren in Wirklichkeit kaum in die Lage versetzt werden konnte, durch Beiträge ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Hier haben wir ganz klar gesehen, daß das Risiko der Arbeitslosigkeit in seinem gesamten Umfange überhaupt nicht versicherungsmäßig erfaßt werden kann. Wir haben aber das System der Versicherung auch jetzt beibehalten, weil wir glauben, daß wir vor einer normaleren Zeit stehen. Wir wollen nicht, daß der Arbeitslose, wenn er seine Beiträge gezahlt hat, sich nachher einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen muß. Das wäre ein ganz falscher Weg, und dann dürfte man bei einem solchen Gesetz nicht mehr von einer Versicherung sprechen.
Ich weiß, daß alle die Probleme, die in dieser Novelle angesprochen werden, in diesem Hause eine sehr unterschiedliche Beurteilung finden werden. Das liegt in der Natur der Dinge und ist verständlich. Deshalb bin ich der Meinung, daß wir - Sie im Parlament und wir von der Regierung - uns bei den Beratungen dieser Novelle in den zuständigen Ausschüssen so zusammenfinden sollten, daß diese neue Ordnung draußen recht bald sichtbar und anwendbar gemacht wird.
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Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ihnen vorliegende Novelle zum AVAVG bedeutet ein Teilstück der bevorstehenden Sozialversicherungsreform. Sie bedeutet nicht den Abschluß in diesem Bereich. Es sind Stimmen laut geworden, man solle diese Novelle zurückstellen, bis über einen Gesamtplan der Sozialreform Klarheit bestehe. Das ist nach unserer Meinung nicht notwendig und auch nicht möglich. Hier ist in einem Teilbereich etwas erarbeitet worden, was nun spruchreif wird, und wir sollen aus dem tatsächlichen Bedürfnis der Praxis heraus dazu kommen, diese Materie jetzt zu behandeln. Es ist notwendig, zu einer Neuordnung des ganzen Rechts in diesem Bereich zu kommen. Ich darf daran erinnern, daß das AVAVG einige Jahrzehnte alt ist und daß aus der Praxis heraus die Notwendigkeit einer Neuregelung gegeben ist; ich darf daran erinnern, daß insbesondere das Auseinanderfallen der Gesetzgebung auch in diesem Bereich nach 1945 und die differenzierte Anwendung nun dazu zwingen, die Materie neu für die Bundesrepublik zu regeln. Ich möchte auch meinerseits auf ein Teilstück hinweisen, das wir in diesem Hohen Hause bereits verabschiedet haben, auf das Bundesanstaltsgesetz, das die Vereinheitlichung der Arbeitsverwaltung brachte, das auch wiederum die Beteiligung der Arbeitnehmer und Unternehmer an all den Fragen brachte, das die Selbstverwaltung brachte, allerdings mit gewissen Einschränkungen, die eben auf Grund der heutigen gesetzlichen Situation notwendig sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat schon auf die Bestimmungen des Grundgesetzes hingewiesen, die dazu zwingen, eine ganze Reihe von Fragen, die früher innerhalb der Reichsanstalt, der jetzigen Bundesanstalt, geregelt werden konnten, nun im Gesetz zu regeln.
Die Vorlage hat einen sehr beachtlichen Umfang. Es ist unmöglich, heute zu den gesamten in ihr angeschnittenen Fragen Stellung zu nehmen. Es kann sich nur darum handeln, einige wenige wesentliche Dinge anzusprechen, vielleicht in der Gesamtheit anzusprechen, um in etwa die Linie aufzuzeigen, in der dann die Diskussion im Ausschuß verlaufen kann.
Ich sagte schon: es ist eine Neufassung notwendig. Sie ist auch notwendig, um den Bestimmungen des Grundgesetzes Rechnung zu tragen, die es erforderlich machen, stärker als bisher Fragen durch Gesetz zu ordnen.
Zu den Einzelfragen möchte ich einige Bemerkungen machen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat schon darauf hingewiesen, daß für die Arbeitsvermittlung und für die Berufsberatung grundsätzlich die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegeben ist. Ich sage: grundsätzlich ist hier die Zuständigkeit gegeben. Aber es sind - und das ist gut so - im Gesetz Möglichkeiten geschaffen, bestimmte Aufgaben an an({0})
dere Stellen zu übertragen, wenn diese besser geeignet sind, ein bestimmtes Anliegen zu erfüllen. Das gilt insbesondere für die Frage der Arbeitsvermittlung. Hier ist also die Möglichkeit gegeben, andere Stellen mit Vermittlungsaufgaben zu betrauen, wenn das zur Erreichung des gesetzten Zieles notwendig ist.
Es ist in dem Gesetzentwurf auf eine gesetzliche Regelung hingewiesen, die dieser Bundestag geschaffen hat, und zwar die Einschaltung der karitativen Organisationen bei der Arbeitsvermittlung, insbesondere von Hausangestellten und von Pflegekräften. Der Bundesrat meinte, man könnte diese Bestimmung in der Novelle streichen. Wir sind gegenteiliger Meinung; wir sind der Meinung, es ist gut, wenn dieser in einem besonderen Gesetz zum Tragen gekommene Wille des Bundestages auch hier noch einmal verankert wird. Hier handelt es sich gerade um Aufgaben, die eben zum Teil besser von den beauftragten Organisationen erfüllt werden können.
Zu dem Problem Fraueneinsatz in der Arbeitsverwaltung, das in der Öffentlichkeit schon diskutiert wird, wird nachher meine Kollegin Frau Dr. Bleyler einige Bemerkungen machen.
Lassen Sie mich noch ein anderes ansprechen. Es ist vorgesehen, in dem Gesetzentwurf größere Sicherungen gegen eine mißbräuchliche Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge zu schaffen. Ich möchte dazu folgendes sagen. Gerade diejenigen, die eine fortschrittliche Gestaltung unserer Sozialversicherung, auch der Arbeitslosenversicherung, wollen, müssen besonders darum bemüht sein, eine mißbräuchliche Inanspruchnahme zu verhindern. Wir können ja nicht bestreiten, daß es eine solche gibt. Allerdings müssen wir uns auch hier davor hüten, Vorwürfe zu verallgemeinern; das wäre ein Unrecht gegenüber denjenigen, die die Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge in Anspruch nehmen müssen.
Darf ich einige Bemerkungen zur Situation auf dem Arbeitsmarkt machen. Wir haben in den letzten Jahren Gott sei Dank eine erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erlebt, daß einige Millionen neuer Arbeitskräfte in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden konnten und eine Existenzmöglichkeit erhielten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch der Bundesanstalt, der Arbeitsverwaltung allgemein für die Arbeit danken, die sie in dieser Hinsicht in den letzten Jahren geleistet hat. Ich darf dabei auch an die schwierigen Probleme der Umsetzung von Arbeitskräften aus bestimmten, übersetzten Gebieten in Mangelgebiete erinnern: Fragen, die ja nicht so leicht zu lösen sind. Die Arbeitsverwaltung hat dabei sehr aktiv mitgewirkt und kann beachtliche Erfolge ihrer Arbeit verzeichnen. Nun wissen wir allerdings, daß der Arbeitsmarkt trotz dieser erfreulichen Gesamtentwicklung noch stark differenziert ist, daß eben ein Rest von Arbeitslosigkeit verblieben ist, der insbesondere auf Strukturschwierigkeiten beruht. Ich darf die Probleme nur andeuten. Einerseits haben wir Gebiete mit einem starken Kräftebedarf, andererseits solche mit einem Arbeitskräfteüberschuß; einerseits haben wir Berufe, wo es schwierig ist, freie Arbeitsplätze zu besetzen, andererseits Überschußberufe, wo wir den verfügbaren Arbeitskräften keinen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen können. Ich darf an das in diesem Hohen Hause schon verschiedentlich diskutierte Problem der älteren Angestellten und Arbeiter und der Personen erinnern, bei denen man nicht von einer vollen Einsatzmöglichkeit reden kann.
Das sind Probleme, die verblieben sind und mit denen wir uns auch bei der Diskussion dieser Novelle ernsthaft beschäftigen müssen. Ich möchte sagen: Alle Möglichkeiten, die sich bieten, um mit diesen Schwierigkeiten fertig zu werden, müssen von uns ausgeschöpft werden.
In der Novelle ist vorgesehen, die Sperrfristen in bestimmten Fällen zu verlängern: bei verschuldetem Verlust eines Arbeitsplatzes, bei mangelndem Arbeitswillen usw. Hier schlägt man vor, statt der bisher üblichen normalen Sperrfrist von 4 Wochen zu einer 6-Wochen-Sperrfrist zu kommen, die ausgedehnt, aber auch verkürzt werden kann. Ich glaube, wir brauchen nicht die Sorge zu haben, daß nun von der Verwaltung solche Möglichkeiten benützt werden, auch dann einen Anspruch zu bestreiten, wenn das auf Grund der vorliegenden Verhältnisse an sich nicht berechtigt ist. Denken Sie daran, daß alle diese Dinge von der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden können. Wer glaubt, daß ihm eine Sperrfrist zu Unrecht auferlegt worden ist, hat den entsprechenden Rechtsschutz und kann sich gegen Entscheidungen wehren, wenn diese nach seiner Ansicht nicht berechtigt sind.
Ich möchte besonders auf den Teil der Novelle hinweisen, der sich mit den Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit beschäftigt. Hier handelt es sich um ein dringendes Anliegen. Die hier angesprochenen Dinge bieten auch ganz gute Erfolgschancen. Es geht um die möglichste Beseitigung struktureller Schwierigkeiten, es geht um Umschulungsmaßnahmen, allgemeine Rehabilitationsmaßnahmen, es geht um das Problem der Beihilfen zur Berufsausbildung; es ist die Möglichkeit zu Umschulungsbeihilfen gegeben, auch für Arbeitgeber, weil sich hier gewisse Schwierigkeiten ergeben haben, auf Grund der bisher bestehenden Richtlinien zu helfen; und es geht um die Ausweitung von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen im Raum der Arbeitsverwaltung. Praktisch sollen all diese Maßnahmen oder ein beachtlicher Teil von ihnen dazu dienen, den Arbeitslosen fit, ihn verwendungsfähiger zu machen, und ihm eine bessere Chance bieten, zu dem von ihm gewünschten Arbeitsplatz zu kommen.
Auch in diesem Gesetzentwurf ist wiederum die Möglichkeit der Siedlungshilfe vorgesehen, dergestalt, daß ein Arbeitsloser, der in einem Siedlungsvorhaben begriffen ist, in Zeiten der Arbeitslosigkeit an seinem Siedlungsvorhaben arbeiten kann, ohne dadurch den Unterstützungsanspruch zu verlieren.
Vom Herrn Bundesarbeitsminister ist auf die stärkere Betonung des Versicherungsprinzips hingewiesen worden. Ich brauche diese Ausführungen nicht zu ergänzen. Es ist ferner auf die Gestaltung des Umfangs der Versicherungspflicht hingewiesen worden. Wir sehen in der Novelle gewisse Vorschläge für eine Befreiung von der Versicherungspflicht, wir sehen andere Vorschläge, die eine Ausweitung der Versicherungspflicht bedeuten. In der Novelle ist vorgesehen, daß beispielsweise Arbeitnehmer über 65 Jahre nicht mehr versicherungspflichtig sind, gleichfalls Bezieher von Invaliden-, Angestellten- oder Knappschaftsrenten. Hier geht
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es darum, einen Doppelbezug von Leistungen zu vermeiden, aber auch darum - und ich glaube, dieses Problem müssen wir ernsthaft diskutieren -, daß hier nicht Ansprüche erworben werden können, obschon eine doch nur ganz eingeengte Vermittlungsmöglichkeit solcher Arbeitskräfte gegeben ist. Die Versicherungspflicht in der Hauswirtschaft soll dadurch komplettiert werden, daß in den Ländern, wo bisher noch Hausangestellte versicherungsfrei waren, nun die Versicherungspflicht geschaffen werden soll. Meines Wissens sind die Hausangestellten zur Zeit praktisch nur noch in BadenWürttemberg versicherungsfrei. Hier muß man darauf hinweisen, daß diese Versicherungsfreiheit aus einer Zeit datiert, die sich wesentlich von der heutigen Situation unterscheidet. Es darf vielleicht auch darauf hingewiesen werden, daß man an sich nicht gerade populäre, nicht besonders gesuchte Arbeitsmöglichkeiten nicht noch unpopulärer machen sollte, indem man den Versicherungsschutz hier einengt. Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Versicherungsfreiheit in der Landwirtschaft nur dann gegeben sein soll, wenn es sich um langfristige Arbeitsverträge handelt. Auch diese Frage werden wir eingehend bei den Beratungen im Ausschuß diskutieren müssen.
Wiederum ist die Frage des Versicherungsverhältnisses der Lehrlinge angesprochen worden. Hier darf ich darauf hinweisen, daß der Bundestag schon eine Vorabregelung getroffen hat. Ich möchte meinen, daß an sich diese Regelung den wirklichen Verhältnissen Rechnung trägt. Wir haben zu prüfen, ob es notwendig ist, den gemachten Vorschlägen zu folgen. Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die Verzögerung der Vorlage der Novelle uns in den letzten Jahren wiederholt gezwungen hat, hier einige Vorablösungen, die besonders dringlich waren, zu treffen.
In dem Gesetz ist der Versuch gemacht worden, zu einem neuen Begriff der Vermittlungsfähigkeit zu kommen. Bisher war Voraussetzung für den Unterstützungsbezug die Tatsache, daß der Antragsteller arbeitsfähig, arbeitswillig und unfreiwillig arbeitslos war. Man hat hier nun einen neuen Begriff geprägt. Ich weiß, daß man hierüber sehr lange beraten hat. Ich weiß, daß die Meinungen nicht einheitlich sind. Bei dem Begriff der Vermittlungsfähigkeit geht man von einer Arbeitsbereitschaft, von einer Verfügbarkeit, von einem gewissen Leistungsvermögen, das den Anforderungen des Arbeitsmarktes entspricht, aus. Die neue Regelung entspricht dem Versuch, den Arbeitsmarkt von Kräften frei zu machen. die nicht vermittelt werden können, aber nun als Arbeitsuchende immer auch in der Statistik erscheinen und bei den Arbeitsämtern vorgemerkt werden. Sicher, die Neuregelung muß eingehend diskutiert werden. Es muß geprüft werden, ob hier nicht eine zu weitgehende Möglichkeit zu Ermessensentscheidungen gegeben ist. Wir werden im Ausschuß die Möglichkeit haben, das zu überprüfen.
Lassen Sie mich etwas zu den Unterstützungsleistungen in der Arbeitslosenversicherung sagen. Es ist keine Änderung der Unterstützungshöhe und der Zusammensetzung der Unterstützung vorgesehen. In der Novelle ist schon auf die Neuregelung, die durch Bundesgesetz im August 1953 erfolgt ist, hingewiesen. Auch ich möchte meinerseits auf die automatische Erhöhung der Unterstützung durch die Lohnentwicklung hinweisen. Über die Lohnentwicklung hat der Herr Bundesarbeitsminister einige Bemerkungen gemacht. Er hat die letzten I Feststellungen vom August 1953 angezogen. Ich darf das noch einmal sagen. Im Januar 1950 stammten nur 21 % der Unterstützungsempfänger aus den Lohngruppen über 60 DM pro Woche. Die Zahl der Unterstützungsempfänger aus dieser Lohngruppe war bis August 1953 schon auf 75 % angewachsen und ist inzwischen weiter gestiegen. Das wirkt sich dann in der Unterstützungshöhe aus.
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- Doch, auch real, Herr Kollege, allerdings prozentual nicht so, wie das von manchen gewünscht wird.
Aber ich glaube, es wird bei dieser Frage notwendig sein, zu prüfen, ob wir hier in der Bundesrepublik etwas versäumt haben, ob wir hier gegenüber der Situation in anderen Ländern schlechter dastehen oder ob wir hier nicht doch eine Regelung haben, die als eine gute Entwicklung betrachtet werden kann. Ich habe gerade dieser Tage einige Ziffern vom Internationalen Arbeitsamt bekommen. Dort wird versucht, die Ausgaben der Sozialversicherung pro Kopf der Erwerbstätigen in einigen Ländern aufzuzeigen. Es ist interessant, festzustellen, daß Westdeutschland bei dieser Aufstellung der europäischen Länder an zweiter Stelle steht. Ich glaube, das sind Dinge, die wir nicht ignorieren können. Wenn wir einmal festzustellen versuchen, wie dieses Problem in anderen Ländern geregelt ist, dann werden wir wiederum feststellen, daß wir uns mit unserer Regelung in Vergleich zu anderen Ländern sehen lassen können.
Lassen Sie mich nur zwei Beispiele aus den großen angelsächsischen Ländern hier anführen, aus England und den Vereinigten Staaten. Nach der amtlichen Statistik betrug der Wochenlohn für Arbeiter - mit Ausnahme einiger Spezialberufe, die höher entlohnt sind - im Jahre 1953 9,5 Pfund pro Woche. Er liegt jetzt mindestens um 1 bis 1,5 Pfund höher. Die Unterstützungen bei Arbeitslosigkeit sind allerdings verhältnismäßig gering. Sie betragen bei einem arbeitslosen Mann ohne unterstützungsberechtigte Angehörige heute nur rund 14 % des Lohnsatzes, der, ich sage es noch einmal, aus der amtlichen Lohnstatistik der britischen Regierung stammt. Sie wissen ja, daß das ein weitaus niedrigerer Satz ist, als wir ihn haben. Aber auch wenn wir die Unterstützungssätze der Arbeitslosen mit Familienangehörigen nehmen, kommen wir auf Prozentsätze, die beachtlich niedriger liegen als bei uns.
Ich möchte dann auch noch auf ein anderes Beispiel hinweisen. In den Vereinigten Staaten ist diese Frage nicht einheitlich geregelt. Die Staaten haben sehr differenzierte Regelungen. Allerdings gibt es größere Gruppen, bei denen man eine gewisse Einheitlichkeit feststellen kann. Wenn man hier einmal eine gängige Gruppe von Arbeitnehmern nimmt, und zwar die angelernten Arbeiter mit einem Wochenverdienst von etwa 80 Dollar - wer die Verhältnisse drüben kennt, weiß, daß das in Industriestädten etwa der Schnitt ist -, dann kommt man bei ungefähr 38 Staaten auf einen Arbeitslosenunterstützungssatz, der durchschnittlich etwa 37,5 % des Wochenlohns beträgt.
Sicher, es ist nicht leicht, Vergleiche zu ziehen, weil dabei gewisse Dinge berücksichtigt werden müssen; der Aufbau ist differenziert usw. Aber einigermaßen lassen die Vergleiche doch die Schlußfolgerung zu, daß wir uns in einem Rahmen
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bewegen, den man nicht als abnorm bezeichnen kann. Ich will damit nicht sagen, daß nicht berechtigte Verbesserungswünsche vorgetragen werden können.
Ich möchte 'bei dieser Frage doch auch eins zur Überlegung stellen: Wir alle müssen uns darüber im klaren sein, daß eine gewisse Distanz zwischen Lohn und Unterstützung verbleiben muß. Wenn ich nun diese Distanz feststellen will, muß ich natürlich nicht vom Bruttolohn, sondern vom Nettolohn ausgehen. Ich muß die Unterstützung mit dem Nettolohn, d. h. mit dem vergleichen, was dem Arbeitnehmer tatsächlich als verfügbarer Lohn verbleibt. Zwischen der Unterstützung und dem Nettolohn muß eine gewisse Distanz sein, wenn die Arbeitsfreudigkeit erhalten bleiben soll. Nun haben wir den Zustand, daß praktisch in einer beachtlichen Zahl von Fällen - in den meisten Fällen - die Unterstützung schon mehr als 50 % des Bruttolohns beträgt, also wesentlich mehr als 50 % des Nettolohns, und daß von einem kleineren Teil auch die Zweidrittel-Grenze des Bruttolohnes erreicht und zum Teil schon überschritten ist. Sie wissen - das kann jeder leicht nachrechnen -, daß wir in den unteren Einkommenstufen und bei Personengruppen, wo mehr Familienangehörige vorhanden sind, praktisch immer sehr schnell an die Auffanggrenze herankommen. Bei allem Verständnis für Wünsche auf Verbesserungen - und wir werden solche Wünsche bekommen und werden sie diskutieren müssen - muß doch auf diese Tatbestände hingewiesen werden.
Zur Frage der Unterstützungsdauer ist hier praktisch nur ein anderes Verfahren vorgeschlagen, das allerdings eine kleine Verschlechterung bringt. Bei langfristigen Arbeitsverhältnissen kann die Höchstbezugsdauer erst nach einer etwas längeren Frist erreicht werden, als sie bisher vorgesehen war. Für die Anrechnung von Nebenverdienst hat man hier feste Sätze in Vorschlag gebracht. Das bedeutet zweifellos eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung. Allerdings bedeutet es für eine bestimmte Gruppe eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Regelung, und zwar für diejenigen, die eine höhere Unterstützung als 30 DM pro Woche erhalten. Wir haben auch diese Frage zu diskutieren.
Strittig ist das Problem der Behandlung der Abgangsentschädigung. Es ist nicht seit heute, sondern es ist seit Jahren strittig. Auch diese Frage muß diskutiert werden.
Über die Alfu ist gesagt worden, daß es bei dieser Vorlage darum geht, zu einer Vereinheitlichung und der Anwendung der Bestimmungen der Arbeitslosenfürsorge zu kommen. Das ist notwendig. Das ist eine Frage, die schon lange dringlich ist. Wir werden uns über diese Frage unterhalten.
Ich möchte hier nur eine Anmerkung machen. Mir erscheint es notwendig, daß die anrechnungsfreien Beträge bei Nebeneinkommen und auch die anrechnungsfreien Beträge bei Familieneinkommen nicht durch eine besondere Rechtsverordnung, sondern allgemein im Gesetz geregelt werden. Ich glaube, das ist ein so wesentlicher Teil dieses ganzen Problems, daß man die Entscheidung darüber nicht aus dem Parlament heraus verlagern sollte.
Es ist vom Herrn Bundesarbeitsminister mit Recht darauf hingewiesen worden, daß es notwendig ist, alles zu tun, um .den Arbeitswillen zu erhalten, und nichts zu tun, was zu einer Zerreißung der Familie dadurch führen könnte, daß vom Familieneinkommen zuviel angerechnet wird und der Betreffende gewissermaßen aus der Familiengemeinschaft herausgedrängt wird. Eines möchte ich allerdings im Namen meiner Freunde heute ganz klar und deutlich zum Ausdruck bringen: Wir müssen immer wieder daran denken, daß eine echte Pflicht der Familienmitglieder besteht, ihren Angehörigen in der Zeit der Not zu helfen.
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Ich glaube, wir müssen in aller Deutlichkeit immer wieder sagen, daß sich die Familienangehörigen nicht zu Lasten der Allgemeinheit von ihrer Pflicht drücken dürfen.
Die Krankenversicherung der Arbeitslosen ist neu geregelt. Wir halten den Grundsatz für gut, daß der Arbeitslose im Regelfall bei seiner Krankenkasse verbleiben soll. Wir halten es auch für gut, daß der Arbeitslose nun in die Unfallversicherung einbezogen wird, insbesondere für Wegeunfälle, die entstehen können.
Ein anderes Problem ist in der Novelle nicht angesprochen worden, wird .aber zweifellos in der Diskussion zur Sprache kommen - der Bundesrat hat dieses Problem ja schon angeschnitten -, nämlich die Frage einer rentensteigernden Wirkung der Arbeitslosigkeit. Ein nicht einfaches Problem! Wir werden uns damit beschäftigen müssen. Ich möchte heute dazu nichts Näheres sagen, weil es uns notwendig erscheint, diese Frage ernsthaft zu prüfen, ehe man zu entsprechenden Vorschlägen kommen kann. Es ist zu prüfen die Notwendigkeit, das Bedürfnis, es ist allerdings auch zu prüfen die Möglichkeit, d. h. auf gut deutsch: die Frage der Finanzierung einer solchen Regelung.
Zu dem Beitragsproblem ist in der Novelle nichts gesagt. Es bleibt bei dem derzeitigen Beitrag, und es bleibt praktisch bei der Beitragsfreiheit des Bergbaus. Ich darf darin erinnern, daß diese Beitragsfreiheit einmal in einer besonderen Situation geschaffen wurde. Ich persönlich möchte sagen - meine Fraktion vertritt hier keine einheitliche Auffassung -, daß ich die derzeitige Regelung nicht als sonderlich ideal betrachten kann. Ich bin der Meinung, wo ein Anspruch auf Leistungen besteht, müßte auch die Verpflichtung zur Gegenleistung im Gesetz sichergestellt sein. Aber wir werden uns über diese Frage noch unterhalten können.
Ich komme zum Schluß. Ich möchte den Antrag stellen, die Vorlage dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit dankbar anerkennen, daß das Bundesministerium für Arbeit für die Ausschußberatungen umfangreiches Material zur Verfügung gestellt hat. Diese sehr umfangreiche Vorlage enthält sehr viele Übersichten, die man kennen muß, wenn man das Problem gut behandeln will. Ich darf nochmals sagen: der Hauptzweck des Gesetzes liegt in der Frage der Arbeitsvermittlung. Die Hauptaufgabe der Arbeitsverwaltung ist die Arbeitsvermittlung: die Sicherung des Arbeitsplatzes. Die Frage der Unterstützung ist eine notwendige Frage, aber praktisch eine sekundäre Frage, es geht hier um eine Hilfsmöglichkeit. Aber wir müssen immer wieder an den Hauptzweck des gesamten Gesetzes denken. Ich möchte wünschen, daß dieses Gesetz eine Form erhält, die es zu einem brauchbaren Instrument der Arbeitsverwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben macht, und daß es eine Form erhält, die den Interessen der Menschen gerecht wird, denen dias Gesetz dienen soll.
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Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat bereits zu Eingang davon gesprochen, daß die Anschauungen zu diesem Gesetz wahrscheinlich nicht einheitlich sein werden. Es wäre auch schrecklich, wenn dem so wäre. Wir wollen nicht nur negativ zu den Dingen Stellung nehmen. Vielmehr haben wir von der Opposition aus in allen sozialen Bereichen positiv mitgearbeitet und denken das auch bei diesem Gesetz zu tun, selbst wenn wir .der Vorlage nicht zustimmen und sie nicht schon sofort als ausschußreif betrachten. Das darf ich voraussetzen. Das ändert nichts an der Tatsache, daß wir bereit sind, an diesem Gesetz positiv und kräftig mitzuarbeiten.
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Meine Damen und Herren, wir sind leider gewohnt, auf den bunten Teppich der sozialen Sicherung Tausende von Flicken und Flickchen zu setzen durch Gesetze, durch Rechtsverordnungen, durch Verwaltungsanordnungen, Urteile der Sozial- und Arbeitsgerichte usw. Hier wird wenigstens anscheinend - leider nur in diesem Bereich - der Versuch gemacht, einheitliches Recht zu schaffen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat eben sehr deutlich ausgesprochen, daß hier der Versuch gemacht wird. Aber muß man, wenn man sich die Entwicklung seit dem Jahre 1922 über das Gesetz von 1927 bis heute betrachtet: die Unzahl der Veränderungen der Gesetzgebung, die Unzahl der Ergänzungen und Einschränkungen, die Beschränkungen aus der Nazizeit und aus dem Länderrecht der letzten Jahre, - muß man dann nicht auch sehen, daß all diese Dinge, zum Teil nicht mehr brauchbar, zum Teil überlebt, doch noch einen Niederschlag in dieser Novelle gefunden haben, daß man manches einfach übernahm, ohne sich klar zu werden, daß sich seit dem Jahre 1927 die Welt doch etwas verändert hat und daß die Zeit nicht stehengeblieben ist? Wenn ich das so sehe, dann denke ich wieder an das Wort, das der Herr Bundesarbeitsminister sagte. Er sprach von einer neuen Ordnung, wenn ich ihn recht verstanden habe, in diesem Bereich, und Herr Kollege Sabel tat dasselbe.
Meine Damen und Herren, sollten wir uns nicht als gemeinsames Anliegen überlegen, ob wir nicht zu einer Neuordnung in der ganzen Sozialverfassung kommen sollen und daß dieses Gesetz ein erster Schritt zu dieser Neuordnung sein sollte, zu einer neuen Ordnung nicht nur im Bereich der Arbeitsverwaltung, der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung? Die Sorgen stehen doch vor uns, und ich bin der Meinung, wir sollten wirklich eine gemeinsame Front schaffen, um das gemeinsame Anliegen des deutschen Volkes auch gemeinsam zum Tragen zu bringen. Ich glaube, bei gutem Willen sollten wir auch die Wege dazu finden. Das sollte nicht unmöglich sein.
Ich will nicht auf all das eingehen, was schon gesagt warden ist. Zu manchem sage ich ja, zu manchem sage ich auch ein entschiedenes Nein, weil es einen Rückschritt bedeutet.
Wenn ich mir diese Entwicklung überlege, dann frage ich: Welche Aufgaben stellen wir der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung? Man muß doch einmal heraus aus der täglichen Kleinarbeit und muß sich überlegen: Ist das noch richtig, was vor 30 Jahren richtig war? Wenn wir wirklich ein neues Beginnen im ganzen sozialen Raum. wollen, dann kann die Arbeitsverwaltung nach einem neuen Gesetz ein echtes Instrument zur Ordnung des Arbeitsmarl tes sein.
Herr Kollege Sabel hat von der unglücklichen Struktur gesprochen. Hier liegt der Kardinalpunkt, und hier kann das Gesetz, kann die Arbeitsverwaltung die Instrumente stellen. Sie kann mit ihren Reserven Möglichkeiten schaffen, um stärker als bisher diese Struktur glückhaft zu verändern.
Dann bin ich durchaus mit dem einverstanden, was über die Arbeitslosenhilfe gesagt worden ist, daß sie die Zeit der Not nur überbrücken soll, weil die Berufsberatung und die Arbeitsvermittlung in erster Linie stehen. Aber diese Überbrückung muß ausreichend sein; sie darf nicht so stark unter dem Lebensniveau der Arbeiterschaft liegen, wie das heute der Fall ist. Die prozentuale Verteilung auf das Arbeitseinkommen gibt kein echtes Bild. Wenn Sie die Tabellen durchsehen - ich will darauf nicht eingehen, vielleicht macht das ein anderer Kollege -, werden Sie einsehen, daß mit solchen Tabellensätzen in ihrer Relation die Arbeitslosigkeit selbst für kurzfristig Arbeitslose nicht überbrückt werden kann. Wir haben aber eine Arbeitslosigkeit in einer Größenordnung, von der man nicht sagen kann, daß sie nur in der Fluktuation liegt, sondern sie ist langfristig, schon über die Dauer von zehn Jahren hinaus. Aber das will ich nur andeuten, weil ich zu diesen Dingen noch etwas sagen muß.
Wie soll die Einrichtung denn gestaltet werden? Wollen wir weiter die Versicherung aufrechterhalten? Wollen wir die Versorgung, oder wollen wir die Fürsorge? Elemente der Versicherung mischen sich schon seit mehr als 30 Jahren mit Elementen der Versorgung. Wir müssen uns auch diese Frage überlegen. Ich will sie hier in der Konzeption nur andeuten.
Schließlich kommt der dritte Hauptpunkt, über den wir sprechen müssen; das ist die Frage: Welche Formen einer demokratischen Kontrolle und einer ,demokratischen Verwaltung sollen maßgebend sein für die Gestaltung der Arbeitsverwaltung, für ihren Einfluß auf den Arbeitsmarkt und für die Fürsorgeunterstützung der von der Arbeitslosigkeit dauernd Bedrohten? Wahrscheinlich denkt niemand von uns daran, an die Stelle der Selbstverwaltung eine bürokratische Verwaltung zu setzen. Es denkt sicher niemand daran, hier durch Gesetz und Recht genaue Vorschriften zu verfassen, an die die Verwaltung gebunden ist, ohne im Rahmen dieser Vorschriften in Ermessensfragen einen weiten Spielraum zu haben. Das sind Dinge, die wir wohl nicht wollen.
Zweite Frage aber: Wollen wir dort, wo eine Gesetzgebung nicht vorhanden ist, weiter die formelle Selbstverwaltung durchführen, nach altem Muster unter strenger Scheidung der Gewalten zwischen Verwaltung und Kontrolle? Oder wollen wir - das ist die letzte dieser Vorfragen - eine echte Selbstverwaltung, die in echter Verantwortlichkeit nicht ein Nebeneinander, d. h. ein Gegeneinander, nicht einen Dualismus herbeiführt, sondern die ihre Aufgaben in der funktionalen Verzahnung durchführt? Das sind die Vorfragen,
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die ich besprechen wollte, nachdem zu Einzelfragen schon sehr vieles gesagt worden ist, zu dem man in den Ausschüssen so oder so Stellung nehmen kann.
Lassen Sie mich nun zu dieser Disposition einiges herausstellen. Seit 1927 ist die Zeit nicht stehengeblieben. Der zweite Weltkrieg ist mit all seinen Folgen über uns hinweggegangen. Die Struktur des Arbeitsmarktes ist verzerrt und verändert. Bis heute noch haben wir Millionen als Flüchtlinge in den Westen hineinbekommen, und das Schwergewicht der Arbeitslosigkeit liegt noch im Osten der Bundesrepublik und in Berlin. Das Gefälle verlagert sich immer weiter nach dem Westen, und einem Arbeitskräftebedarf im Westen steht eine Arbeitslosigkeit in den Ostbezirken gegenüber, und zwar eine Arbeitslosigkeit, die untragbar ist.
Das Problem der Schwerbeschädigten ist noch nicht gelöst, auch wenn die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung behauptet und statistisch nachweist, daß 280 000 Stellen durch die Vorschriften über die Unterbringung der Schwerbeschädigten blockiert seien und daß wirklich nur 40 000 Schwerbeschädigte unterzubringen seien. Die Bundesanstalt vergißt dabei, daß mit der ersten Unterbringung in irgendeinem Beruf das Recht des Schwerbeschädigten auf Weiterkommen, auf Aufstieg in seinem Beruf noch nicht gesichert ist und daß die Unterbringung in einem anderen, vor allen Dingen im erlernten Beruf das erstrebenswerte Ziel ist, - ein Problem, das auf lange Sicht noch gelöst werden sollte. Jetzt kann man noch nicht davon reden, daß die Frage damit gelöst ist.
Eine andere Frage, die ich anschneiden will, ist die, daß Arbeitnehmer, bedingt durch die Einseitigkeit der Ausbildung in ihrem erlernten oder ihrem wirklichen Beruf nach Nachlassen ihrer Arbeitskraft schon frühzeitig, mit 50 Jahren, Frühinvalide werden - es wurde schon angedeutet - und sich deshalb arbeitslos melden müssen. Hier liegt ein weiteres Problem der ersten Einmündung in den Beruf, der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge und der Ausmündung vor, d. h. aber praktisch der Vermittlungsmöglichkeit oder -notwendigkeit in leichtere Berufe. In der Tatsache, daß das durchschnittliche Lebensalter der Invaliden in der Rentenversicherung heute bei 52 Jahren liegt, wird nicht nur die Belastung, vielleicht auch die Ausweitung der Rentenversicherung, sondern überhaupt eine wichtige Frage der Arbeitsmarktpolitik, der allgemeinen höheren Lebenserwartung und auch der Möglichkeit, länger in der Arbeit zu bleiben, sichtbar. Meine Damen und Herren, wir müssen heraus aus der Einseitigkeit der Ausbildung für Spezialisten. Weniger Spezialisten, mehr Kräfte, die allseitig, all-round ausgebildet sind! Wir haben Erfahrungen in den anderen Ländern, die durchaus dafür sprechen, dieses Beispiel nachzuahmen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber hier liegt eine der Aufgaben der Bundesanstalt auf dem Gebiete der Vermittlung und der Berufsberatung.
Meine Damen und Herren, sehen Sie sich die Novelle genau durch! Nehmen Sie dazu die Pedanterie, die Einfallslosigkeit, die Phantasielosigkeit, mit der die Novelle ausgearbeitet worden ist, die kleinlichen Vorschriften über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen, dann werden Sie mir sicher zustimmen, wenn ich sage: das ist doch kein Gesetzentwurf, der den heutigen Verhältnissen tatsächlich Rechnung trägt; das ist ein Entwurf, den man nicht ohne weiteres als ausschußreif betrachten kann. Ich möchte nicht sagen: schmeißt das Scheusal in den Orkus!, aber ich möchte doch sagen: wir sollten überlegen, ob wir nicht in einer weiteren Sitzung die Bundesregierung ersuchen sollten, diese ganze Vorlage zu überprüfen, uns einen Entwurf vorzulegen, der all das berücksichtigt, was dazu heute in der Sitzung nicht nur von mir, sondern von anderen gesagt wird oder schon gesagt worden ist. Ich meine, wir sollten diesen Entwurf den wirtschaftlichen und den sozialpolitischen Gegebenheiten unserer Tage anpassen und ihn einordnen in eine Neugestaltung, eine Gesamtreform unserer Sozialverfassung, die wirklich ein gemeinsames Anliegen des ganzen Volkes, also auch dieses Hauses sein sollte.
Eines scheint mir noch wichtig zu sein. Man kann an diesen Entwurf nicht herangehen, ohne das Errichtungsgesetz, das wir vor etwa zweieinhalb Jahren beschlossen haben, einer Nachprüfung zu unterziehen. Auch das überprüfte und neu geschaffene Errichtungsgesetz sollte dann in ein neues Gesetz eingebaut werden. Wir haben doch nun einige Erfahrungen gemacht über Aufbau und Gliederung der Bundesanstalt nach diesem Errichtungsgesetz. Die Bundesanstalt hat die Arbeitsverwaltung der Länder übernommen und durch das Errichtungsgesetz eine Selbstverwaltung erhalten. Diese Selbstverwaltung hat ein ganz besonderes Gesicht. Sie gliedert sich zwar in ihre Organe, in Arbeitsämter, Landesarbeitsämter und die Hauptstelle mit Verwaltungsausschüssen, Vorstand und Verwaltungsrat. Diese Organe haben auch Vorsitzende. Jedes Organ wechselt seinen Vorsitzenden jährlich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das scheint sehr demokratisch zu sein. Es scheint aber nur so. Denn neben dem Vorsitzenden des Organs sitzt nun der Direktor des Arbeitsamts, der Präsident des Landesarbeitsamts und der Chefpräsident der Bundesanstalt. Das soll nun demokratisch sein! ,Hier hat man stur die Teilung der Gewalten übertragen, unter der wir seit 160 Jahren arbeiten, unter der wir nichts Neues entwickelt haben. Was auf der oberen Ebene richtig ist, muß doch nicht auf allen niederen Ebenen der sozialen und wirtschaftlichen Bereiche gleich richtig sein!
Hier ist zu fragen: Gibt es eine Gesetzgebung im Verwaltungsrat, in den Verwaltungsausschüssen? Die Antwort heißt: Nein. Wenn sic aber nicht vorliegt, dann sollten sich hier Verwaltung und Kontrolle verzahnen. Ich spreche ganz offen über diese Dinge. Ich glaube, daß wir vielleicht in allen Fraktionen diese Fragen diskutieren und nicht überall einer Meinung sind. Wir haben in der Arbeitsverwaltung wirklich Raum für eine echte Selbstverwaltung. Das Errichtungsgesetz aber hat diese Selbstverwaltung praktisch zu einer Farce gemacht Der Aufwand an Unterstützungen ergibt sich natürlich zwangsläufig aus dem Auf und Ab dei Arbeitslosigkeit, aus der Belastung durch die Unterstützungshöhe usw. Hier hat kein Organ etwas zu beschließen. Aber in allen anderen Fällen ist doch das Recht der Verwaltungsorgane so eingeschränkt, daß von einem wirklichen Haushaltsrecht nicht geredet werden kann. Was aber ist das eigentliche demokratische, parlamentarische Recht? Das Haushaltsrecht! Hier liegt in allen Fällen, in Personalfragen, in Fragen der Anschaffungen usw. doch die letzte Entscheidung auch über den Haushalt bei der Bundesregierung oder beim Herrn Bundesarbeitsminister. Wir glauben, daß
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hier der Selbstverwaltung ein weiter Raum gegeben werden sollte, auch hinsichtlich der Zuständigkeit, über die sich der Bundesrat schon einige Gedanken gemacht hat, wenn er sagt, das Gesetz sei technisch nicht durchzuführen.
Ich bin also der Meinung, man sollte hier an die Funktionsfähigkeit einer Selbstverwaltungskörperschaft denken und nicht zwei Kräfte sinnlos nebeneinander walten lassen. Das ist heute tatsächlich der Fall. Wenn Sie aber dieser Auffassung zustimmen oder sich Gedanken darüber machen, kommen wir zwangsläufig zu der Folge, daß das Organ sich seinen Vorsitzenden selbst wählt und daß dieser Vorsitzende nicht nur Vorsitzender des Organs ist, sondern auch Leiter der Verwaltung.
Hier vereint sich dann in einer Person, was sich in 160 Jahren gemeindlicher Selbstverwaltung bestens bewährt hat.
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In allen Gemeinden haben wir doch seit den Tagen des Freiherrn vom Stein erlebt, daß - in wirklicher Selbstverwaltung, unter Heranziehung von Bürgern und Bürgerinnen in Kommissionen und Kommissiönchen, in Stadtvertretungen usw. - die Gemeindevertretungen ihre Bürgermeister gewählt haben, die nun die Stadt, die Gemeinde nach innen und außen vertreten. Wenn Sie genauer zusehen, dann werden Sie im Unterschied zu anderen Ländern finden - das ist kein Geheimnis -, daß - so behaupte ich - vielleicht gerade die Entwicklung unserer Städte zu guten, wirtschaftlich gesunden Gemeinden dem Umstand zu verdanken ist, daß sich hier die Mitwirkung der Bürger in einer funktionalen Demokratie ausprägte, in der sich Verwaltung und Kontrolle miteinander verzahnten. Vielleicht haben unsere Landschaften durch diese Städte das besondere Gepräge, das man in keinem Land der Welt wiederfindet.
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- Ich sagte schon, Herr Kollege Atzenroth, daß das Verwaltungsorgan dann seinen Vorsitzenden wählt und daß der Vorsitzende auch Leiter der Verwaltung ist. Damit wird er selbstverständlich Berufsbeamter oder Angestellter oder wie Sie wollen. Wir haben diesen Zustand nach dem Gesetz von 1927 gehabt, und ich habe bisher von keinem Anlaß gehört und keinen Beweis gesehen, der eine Widerlegung dieses gesunden Prinzips bedeuten würde. Man kann darüber streiten; wir sind nicht alle einer Meinung. Es ist aber nicht richtig, daß man nebeneinander herfährt auf einer Ebene, auf der für die Gesetzgebung kein Raum ist, auf der aber für das Funktionieren der Selbstverwaltung ein weiter Raum gegeben ist, wo echte Verantwortung gegeben sein kann. Ich bin der Meinung, wir sollten diese Frage leidenschaftslos, aber gründlich diskutieren und die Gründe untersuchen, die dafür oder dagegen sprechen.
Die Überschrift heißt hier „Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung". Mir tut das sprachlich schon weh, wenn ich daran denke, daß man dieses AVAVG schon keinem Menschen mehr verständlich machen kann. Aber nur ein Teil der Aufgaben ist umrissen. Es kommt noch die Berufsausbildung hinzu, es kommt die Berufsberatung hinzu, und man müßte der Korrektheit halber noch die werteschaffende Arbeitslosenfürsorge hinzufügen, die Arbeitslosenhilfe und was weiß ich. Mir scheint, daß wir auch hier einfacher sein und ein „Gesetz über die Arbeitsverwaltung" auch als solches bezeichnen sollten. Diese Anregung nur ganz nebenbei.
Daraus ersehen Sie schon, wie der Entwurf gegliedert ist. Er ist gegliedert nach den verschiedenen Aufgaben, der Arbeitsverwaltung, der Arbeitsvermittlung, der Berufsberatung, der Lehrstellenvermittlung, der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenfürsorge - jetzt Arbeitslosenhilfe -, Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit, Aufbringung und Verwaltung der Mittel usw.
Nun eine Frage, die mir von großer Bedeutung zu sein scheint und die schon lange diskutiert wird. Können wir den arbeitenden Menschen überhaupt gegen Arbeitslosigkeit versichern? Kann von einer echten Versicherung gegen Arbeitslosigkeit die Rede sein in dem Auf und Ab der Beschäftigung, in dem Auf und Ab der Arbeitslosigkeit, bei den Risiken, die so verschieden sind, bei der kleinen Zahl der Versicherten im Gegensatz zu der großen Zahl der gesamten Arbeitnehmer? Wir versichern in aller Regel denjenigen, der von der Geißel der Arbeitslosigkeit dauernd bedroht ist. Wir haben weite Personenkreise, die durch Konjunktur, durch Beruf, durch Arbeitsvertrag usw. gegen Arbeitslosigkeit gesichert sind oder scheinen, die aber von der Arbeitslosenversicherung von vornherein gesetzlich befreit sind oder befreit werden können.
Daraus ergibt sich aber nun die Frage, ob die Versicherung, nachdem sich ein großer Teil der Lasten auf den Bund verlagert hat, ihren Sinn als Versicherung überhaupt noch behalten hat. Man sollte - ich will das nicht fordern - überlegen -ich glaube, es ist des Nachdenkens wert -, ob hier nicht die Elemente der Versorgung stärker sind als die Elemente der Versicherung. Das schließt die Selbstverwaltung nicht aus. Aber es fragt sich, ob wir nicht die Lasten aus der Arbeitslosenversicherung oder -fürsorge auf breitere Schultern legen sollten, als das heute der Fall ist. Heute zahlen die Arbeitnehmer ja nicht nur die Kasten der Arbeitsvermittlung, der Berufsberatung, sondern praktisch auch all die Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit, der Umschulung usw. Das ist eine Frage, die man diskutieren sollte, und ich glaube, das wäre der Mühe wert. Wenn Sie aber auf der Versicherung bestehen, wenn Sie glauben, daß hier wirklich eine Versicherung auf Gegenseitigkeit oder eine soziale Versicherung besteht, dann muß man, das kann man wohl sagen, den Personenkreis der Versicherten auf alle Arbeitnehmer schlechthin, ob Arbeiter oder Angestellte, ausweiten. Sie sollen dann aber nicht nur v e r sichert sein, sie sollen auch für den Fall der Arbeitslosigkeit g e sichert werden. Ich kann mir vorstellen, daß wir dann in der Einkommenshöhe und der Beitragsgrenze streng unterscheiden; das heißt, daß ein Angestellter mit einem Einkommen von 20 000 DM nun nicht in dieser Höhe zur Beitragsleistung herangezogen wird, sondern wie alle anderen Arbeitnehmer in Höhe der Krankenversicherungsgrenze oder der Angestelltenversicherungsgrenze. Mir scheint aber, daß es gut wäre, auch diejenigen zur Versicherung heranzuziehen, die unter der Not der Arbeitslosigkeit voraussichtlich nicht zu leiden haben werden. Das ist ja der Sinn der sozialen Versicherung der Gefahrengemeinschaft, daß dann einer des anderen Last trägt, auch wenn er selber nicht zu befürchten braucht, eine solche Last einmal tragen zu müssen.
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Wir sehen die Hauptaufgabe der Arbeitsverwaltung in der Arbeitsvermittlung und in der Berufsberatung. Dabei sage ich aber sehr deutlich, daß wir - entgegen allen möglichen Meldungen - die Berufsberatung, soweit es Jugendliche angeht, nicht mehr durch die Vermittlung ausüben lassen wollen. Vielmehr glauben wir, daß dieses schwere Problem nur von Menschen zu bearbeiten ist, die gründlicher vorbereitet und durchgeschult sind als der Vermittler, der manchmal auch nur Hilfsbeschäftigter ist. Darum meinen wir, daß hier gerade in den kommenden Zeiten eine schwere Aufgabe der Berufsberatung vor uns liegt. Die Verantwortung ,der Berufsberatung liegt darin, daß sie in dem Dilemma zwischen Berufseignung, Berufsneigung und Berufsmöglichkeiten nach einer Lösung suchen und dem jungen Menschen Rat und Hilfe geben soll. Die Berufsberatung entscheidet manchmal über das Schicksal des jungen Menschen; ihre Aufgabe ist es, die richtigen Menschen für den richtigen Platz vorzubereiten und zu beraten.
Wir sind der Auffassung, daß Frauen im Arbeitsamt nur von Frauen zu betreuen sind. Das gilt für die Vermittlung, für die Berufsberatung, aber auch für die Versicherung und für die Arbeitslosenhilfe. Wir kennen die Wünsche, diese Dinge schematisch nach der Routine und unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung und -ersparnis zu bearbeiten. Aber dies ist für uns eine Grundsatzfrage. Was für die Jugendlichen gilt, gilt erst recht für die nFrauen; sie haben ein Recht darauf, im Arbeitsamt eine Frau, eine Kollegin zu sehen, die ihr Berufsbild und ihr Arbeitsbild kennt, die die Möglichkeiten ihrer Arbeit übersieht und die Verständnis dafür hat, welche Arbeit ihr zugemutet werden kann und welche nicht.
Herr Kollege Sabel sprach schon das Wort „Vermittlungsfähigkeit" an. Ich will nichts weiter dazu sagen. Wir werden uns über diesen Begriff wahrscheinlich sehr intensiv unterhalten müssen. Mit dem Begriff „Vermittlungsfähigkeit" ist seit dem Jahre 1927 experimentiert worden; er gibt dem Arbeitsvermittler einen weiteren Ermessensraum, der mir sehr unglücklich erscheint. Bis zum Jahre 1932 war es so weit gekommen, daß das ärztliche Gutachten nur noch ein Anhaltspunkt, eine Anlage war und daß der Vermittler selber in seiner Entscheidung frei war. Das hat zu Zuständen geführt, die ich nicht wieder aufleben lassen möchte. Deshalb möchte ich das Wort „Vermittlungsfähigkeit" oder „-unfähigkeit" wieder durch das Wort „Arbeitsfähigkeit" oder „Arbeitsunfähigkeit" ersetzt haben.
Bei dieser Gelegenheit fiel mir der große Mangel auf, daß für alle Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen und für alle Untersuchungen ganz verschiedene Stellen vorhanden sind und ,daß für die Träger der Rentenversicherung, der Krankenversicherung, ,der Unfallversicherung, der Arbeitslosenversicherung jeweilig andere Ärzte zur Verfügung stehen. Wie oft geschieht es, daß der gleiche Mann bei den verschiedenen Ärzten 'untersucht wird und daß die Arbeitsfähigkeit aus ganz verschiedenen Ansichten heraus ganz verschieden beurteilt wird!
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Wir wünschen aber und es ist möglich - das geht auch im Gesetz zu verankern -, daß die Untersuchung und die Frage der Eignung und der Arbeitsfähigkeit für alle Träger der Sozialversicherung grundsätzlich. bei einer Stelle liegen. Das
scheint mir ein 'dringendes Erfordernis zu sein. Bringen wir es nicht in das Gesetz hinein, dann bin ich einverstanden, daß wir uns nachher darüber unterhalten, es im Verwaltungswege zu ordnen. Dieses Anliegen scheint mir ,aber wichtig genug zu sein, daß wir uns im Grundsatz darüber unterhalten.
Die Organisationen innerhalb der Bundesanstalt, die ebenfalls Vermittlungen ausüben, sollte man auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten beschränken. Wir machen aber jetzt schon warnend darauf aufmerksam - das ist die gemeinsame Auffassung meiner Freunde -, daß wir Organisationen, für die ein echtes Bedürfnis zur Einrichtung von Vermittlungsstellen nicht vorhanden ist, einfach nicht zulassen werden. Wir wissen leider zu genau, wie durch diese Vermittlungsart - die zwar unentgeltlich ist - oft ein Lohndruck ausgeübt wird, der dem Grundsatz der Vermittlung zu tariflichen Bedingungen widerspricht. Wir leben nicht mehr im Zeitalter des deutschen und preußischen Gesinderechts, und wir wünschen auch nicht, daß dieses Gesinderecht in dieser Novelle eine fröhliche Auferstehung erlebt.
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Leider muß ich noch etwas sagen. Das Gesetz verneint die Unterstützung für Rentner. Leider, muß ich sagen. Das ist eine Rückwärtsentwicklung, obschon ich weiß, wie problematisch diese Frage bei den Altersrentnern ist. Aber ich glaube, eine besondere Sorgfalt sollte die Arbeitsverwaltung angesichts des kommenden Kräftebedarfs den Teil- und Frühinvaliden zuwenden. Sie sind sehr oft noch zu leichter Arbeit fähig und nur in ihrem eigenen Beruf invalide geschrieben. Ich bin der Auffassung, daß die ärztliche Begutachtung, wenn sie allgemein gefaßt wird, hier einen Ausgleich schaffen kann, der sowohl den Interessen der Arbeitsverwaltung als auch den Wünschen nach Einsparung nicht notwendiger Kosten der Rentenversicherung dient.
Meine Damen und Herren! Die Beiträge der Arbeitsverwaltung sind gesenkt worden, einmal von 6 1/2 auf 4 %, kürzlich durch Verlagerung auf 3 %. Ansteigende Konjunktur hat steigende Beschäftigung, aber bisher leider nur ein langsames Fallen der Arbeitslosenzahlen im Gefolge gehabt, dafür jedoch Überstunden gezeitigt - wir haben schon öfter darüber gesprochen -, die nach den letzten statistischen Mitteilungen im Bund mehr als 4 Milliarden DM ausmachen. Ich will keine Vergleiche mit den Arbeitsmöglichkeiten anstellen, will nur die Tatsache feststellen.
Die Zentren der Arbeitslosigkeit liegen immer noch an der Zonengrenze; im Westen dagegen besteht in manchen Bezirken eine Kräftenachfrage. Im Westen eine Überbeschäftigung von 56 Stunden im Ruhrgebiet, im Osten und in den Zonengrenzbezirken Arbeitslosigkeit und Ausweglosigkeit. Hier, glaube ich, kann mit der gelenkten Umsiedlung wirklich nichts mehr getan werden. Wir haben schon öfter unser Anliegen vorgebracht; es ist auch manches geschehen, das erkennen wir gern an. Aber mehr noch als bisher sollte auch die Arbeitsverwaltung hier eingeschaltet werden, um diese unglückselige Struktur zu verändern. Sie kann diese Aufgabe nicht allein bewältigen, das weiß ich. Denn das Problem des Arbeitsplatzes ist heute nicht mehr so aktuell wie das Problem der Wohnungsuche. Wo die Kräftenachfrage besteht, sind leider die Wohnungen nicht vorhan({8})
den. Hier könnte die Arbeitsverwaltung, wenn sie mit den anderen Ministerien sinnvoll zusammenarbeitete, auch ihre eigenen Reserven zum Teil nutzbar machen; sie könnte die Strukturwandlung begünstigen, wenn sie zu erträglichen Bedingungen billiges und wenigstens mittelfristiges Geld bergäbe. Ich glaube, hier sollte der Arbeitsverwaltung ein Hinweis gegeben werden, wie die Dinge im volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Sinne gesehen werden müssen.
Wir sind aber nicht der Meinung, daß wir nun einen Stock schaffen sollten bis zum Jahre, was weiß ich, 2000, der den Arbeitgebern wie auch den Arbeitnehmern Beiträge abfordert, die über den wirklichen Bedarf weit hinausgehen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre schon haben wir Reserven, und der Entwurf berücksichtigt bereits die Auffassung, daß man nur eine gewisse Reserve braucht und vom Kapitaldeckungsprinzip wenigstens in diesem Bereich der sozialen Sicherung abgehen sollte. Wir begrüßen das und wünschen, daß es auf weitere Bereiche übertragen wird, weil wir nicht der lebenden Generation Lasten aufbürden können, sondern auch noch den kommenden Generationen Möglichkeiten schaffen müssen, weiterzuarbeiten. Wir sind der Meinung, daß man eine eigene Meinung haben kann über die Art, wie diese Gelder verwendet werden, und darüber, ob es volkswirtschaftlich vertretbar und richtig ist, die Gelder so anzuwenden. Wir wissen aber nicht, ob das, was wir in zwei Generationen erlebt haben, die Vernichtung von 50 Milliarden in zwei Kriegen und zwei Währungsreformen, sich nicht wiederholt. Wir hoffen, daß es nicht geschieht. Wir wissen aber, daß sich auch bei normaler Entwicklung mit der Steigerung des Sozialprodukts die Leistung des Arbeitnehmers erhöht, daß sich aber der Durchschnitt des Lohns des Arbeitslosen und der Anteil des Rentners am Lebenseinkommen zum Schluß im allgemeinen senkt. Darum wünschen wir statt des Prinzips der Kapitaldeckung das der Umlage, das von der lebenden Generation in jedem Jahre nicht mehr fordert, als zur Deckung des Bedarfs notwendig ist.
Ob Sie nun aber, meine Damen und Herren, den Gedanken der Kapitaldeckung oder der Umlage, der Versorgung oder der Versicherung bejahen, in jedem Fall werden Sie, glaube ich, zum Versicherungsrecht und zur Versicherungspflicht meiner Auffassung sein, daß wir den Kreis der Arbeitnehmer nicht zu eng fassen sollten, daß wir auch arbeitnehmerähnliche Personen - ich denke an Handelsvertreter, an Provisionsvertreter - bei genauem Nachweis einbeziehen müssen; denn auch diese bedürfen eines sozialversicherungsrechtlichen Schutzes. Diese Frage sollten wir auch prüfen.
Wir sind der Meinung, daß man auch die geringfügig Beschäftigten nicht allgemein aus der sozialen Versicherung in der Arbeitsverwaltung ausschalten sollte. Das sieht der Entwurf vor. Ich kann mir vorstellen und bejahe es, daß, wenn eine Putzfrau oder ein Arbeiter mehrere Beschäftigungen geringfügiger Art ausübt und die gesamte Arbeitszeit 24 Stunden beträgt und der Arbeitslohn 25,- DM in der Woche übersteigt, eine wirkliche Arbeitnehmertätigkeit vorliegt. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob die Arbeitnehmereigenschaft oder die Vermittlungsfähigkeit zu bejahen ist; aber man kann die Berechtigung zur Versicherung und den Anspruch auf Leistung nicht allgemein verneinen.
Das gleiche gilt - ich sagte es schon - für Teil- und Frühinvalide. Auch derer muß sich die Arbeitsvermittlung annehmen. Nach meiner Auffassung sollten sie im Grundsatz auch der Versicherungspflicht unterliegen. Wenn die Versicherungspflicht der Invaliden im Grundsatz bejaht wird, haben sie auch einen Anspruch auf das Arbeitslosengeld, haben - meine Damen und Herren, ich sage das deutlich - Anspruch auf Arbeitslosengeld sogar noch dann, wenn sie Altersrente beziehen und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitsfähig sind - ich kenne das Problem -, solange ihnen die Rentenversicherung oder -versorgung keine ausreichende Altersversorgung gewährleistet. Damit kommen wir in das Problem der allgemeinen Sozialreform. Ich glaube, wir können solche Dinge nicht einseitig aus einem bestimmten Bezirk heraus betrachten.
Nun zur Frage des Arbeitslosengeldes. Ich möchte grundsätzlich sagen, daß kein Unterschied in der Höhe bestehen sollte für Bezieher der versicherungsmäßigen Unterstützung und solche der Arbeitslosenfürsorge, neu: der Arbeitslosenhilfe. Gerade der langfristig Arbeitslose bedarf zur Erhaltung seiner Arbeitskraft, seiner Arbeits- oder Vermittlungsfähigkeit, zur Ergänzung seiner Bekleidung wenigstens der gleichen Unterstützung wie der kurzfristig Arbeitslose, der nur kurz den Arbeitsplatz wechselt und dadurch vorübergehend arbeitslos ist.
Sie haben vor einigen Wochen die Steigerungsbeträge zur Rentenversicherung für langfristig Arbeitslose abgelehnt. Man hat gesagt: das ist ein ganz kleiner Fisch. Wie klein ist denn dieser Fisch, wenn ein Mensch zehn Jahre arbeitslos ist und seine Anwartschaft auf Steigerungsbeträge in der Rentenversicherung nicht aufrechterhalten kann? Das heißt, daß er rund ein Viertel der Steigerungsbeträge als Rente nicht bekommt, weil er arbeitslos und aus eigener Kraft nicht in der Lage war, die Beiträge zu leisten und ihm keiner die Last abgenommen hat.
Ich glaube, wir werden auch darüber noch reden, und ich habe die Hoffnung, daß wir eine Verständigung erreichen werden, um den Notständen gerecht zu werden, die in den Zentren der Arbeitslosigkeit herrschen.
Der Gesetzentwurf sieht weiter vor, daß der Heimarbeiter bei Arbeitslosigkeit nur den rechnerisch gegebenen Anteil an der Unterstützung erhält. Nur ganz kurz: die Heimarbeiter sind seit mehr als 30 Jahren Gegenstand unserer besonderen Sorge. Sie sind zwar rechtlich manchmal Arbeitgeber oder selbständig; oft sind sie es nur vermeintlich. Sie arbeiten aber zu Bedingungen, wie sie für Arbeitnehmer gelten. Sie sind an Lohnlisten, an Preislisten, gebunden. Ihr soziales Niveau liegt leider sehr oft unter dem eines Arbeitnehmers. Die Familienangehörigen, die Frau, die Großeltern und, was weiß ich, wer noch, müssen mitarbeiten. Wenn nun der Heimarbeiter, das Haupt der Familie, arbeitslos wird, kann man nicht sagen: Hier dividiert sich einfach die gesamte Lohnsumme etwa durch 7. Der Hauptarbeitnehmer sollte vielmehr seinen tatsächlichen Anteil erhalten, der dann für die Frage der Unterstützungsberechtigung zugrunde gelegt wird.
Jetzt ein Wort zu den Sperrfristen. Wer von Versicherung spricht, dürfte eigentlich nicht mehr von Sperrfristen reden.
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- Ja, Herr Kollege Sabel! Ich weiß nicht, ob Sie die Frage schon einmal richtig durchgearbeitet haben.
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Wir haben uns vor 1927 mit der Frage befaßt. Es ist damals ein kleineres Übel gewesen. Wir wußten, wie notwendig es manchmal war, den Arbeitswillen nachzuprüfen und einen gewissen Druck auszuüben.
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- Es ist nicht mehr so, wie es früher war. Ich spreche nur den Grundsatz aus: Wer eine Versicherung eingeht, hat einen Anspruch auf Unterstützung, wenn er arbeitslos wird. Dann dürfte in der Versicherung nur nachzuprüfen sein, ob er arbeitslos ist; .der Grund dieser Arbeitslosigkeit dürfte dabei nebensächlich sein.
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Ich will diese Frage nur stellen, weil wir die Frage: „Versicherung oder Versorgung?" behandeln. Wenn wir vom Versicherung sprechen, dann gibt es keinen Grund zur Verhängung von Sperrfristen. Wie sieht aber die Praxis aus? Welcher Anlaß liegt vor, die Sperrfrist von normal vier Wochen auf acht Wochen zu erweitern? Weshalb geben wir dem Leiter des Arbeitsamtes das Recht, aus eigenem Ermessen Sperrfristen von 8 Wochen oder 72 Tagen zu verhängen? Das heißt ja nicht nur, daß der Mann 72 Tage keine Unterstützung bekommt, d. h., daß seine ganze Unterstützung - Höhe und Dauer - mit zwei Verfügungen einfach erloschen ist, er aber unter Umständen 30 Jahre Beiträge gezahlt hat. Nach Ablehnung einer Arbeitsstelle muß er nun erleben, daß der Leiter ,des Arbeitsamtes oder der Leiter der Nebenstelle, was weiß ich verfügt. In zwei Fällen hat der Mann eine Arbeit abgelehnt, obwohl er versichert war, und mit zwei Federstrichen wird all das beseitigt, was der Mann auf Grund eigener Beitragsleistung und der Leistung seines Arbeitgebers erworben hat.
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- Ich weiß es. Ich kenne die Voraussetzungen, aber man soll doch hier nicht von Versicherung sprechen, wenn man nachher in der Praxis sagt: Es ist eine Versorgung.
Denken Sie einmal an die Praxis. Wer heute - das ist keine üble Gewohnheit - als Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz wechselt - und das Recht sollte man dem Arbeiter einräumen - und dann das Pech hat, diese neue Steile nach 14 Tagen oder 3 Wochen zu verlieren, dem wird eine Sperrfrist bis zu 72 Tagen aufgebrummt. Das ist üblich, und ich kann Ihnen die Beweise dafür antreten!
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- Das ist die andere Frage. Der Arbeitnehmer wird natürlich in allen möglichen Fällen Einspruch erheben. Daß aber die Fälle bestehen, kann ich Ihnen schriftlich nachweisen. Die Sozialgerichte haben in diesen Fällen schon entschieden.
Ein anderes. Aus der Ostzone kommen immer noch Menschen, die Arbeit, Brot und Wohnung im Westen suchen. Was 'geschieht? In sehr vielen Fällen wird den Menschen, die aus dem Osten flüchten, zunächst eine Sperrfrist von vier oder sechs Wochen verhängt. Natürlich nimmt man den Flüchtling in die Fürsorge hinein, man unterstützt ihn, aber man gibt ihm nicht die Arbeitslosenunterstützung, auf die er einen Anspruch hat. Man verdrängt ihn in das Wohlfahrtsamt, und das ist doch nicht der Sinn einer Gesetzgebung, die sozial sein soll. Ich fürchte, daß aus diesen Gründen heraus manch einer in die Ostzone zurückwandert, weil er die Freiheit nicht gesehen hat, die er hier erwartete.
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- Meine Herren, Sie wissen, daß im Osten - wir haben uns über diese Frage einmal unterhalten - keine Beiträge gezahlt werden, und daß die Menschen dort Unterstützung bekommen. Sie haben es abgelehnt, hier nach dem Wohnungsprinzip und dort nach dem Arbeitsortprinzip zu verfahren. Wir haben verlangt - Sie erinnern sich vielleicht der Debatte -, daß hier im Westen und im Osten das gleiche Prinzip herrschen soll und daß nun der Mann, der im Osten wohnt und im Westen arbeitet
- von Berlin gilt das - auch die Unterstützung bekommt, wenn er seine Anwartschaft nachweist. Wir müssen deutlich über diese Dinge reden. Wir müssen auf der ganzen Linie zu einer Einigung kommen, die idas aufhebt, was Sie uns damals abgelehnt haben.
Eins wurde sehr deutlich unterstrichen: Die Unterstützung wird für mittelbar durch Streik und Aussperrung arbeitslos Gewordene nach dem Ermessen gewährt. Das erscheint mir unhaltbar. Richtig ist: Wer sich in Aussperrung oder im Lohnkampf befindet, hat an sich nur das Bedürfnis, seine Bedingungen im Betrieb zu verbessern. Er gilt nicht als arbeitslos, und hier hat 'die Arbeitsamtsleitung neutral zu sein. Wer aber an dritter oder vierter Stelle durch Aussperung oder Streik arbeitslos wird, der ist ja echt arbeitslos. Er kämpft nicht um seinen Lohn, um seine Arbeitsbedingungen, er hat keinen Einfluß auf den Streik der Beschäftigten der betreffenden Firma. Nach meiner Auffassung muß diesen Arbeitnehmern von (Rechts wegen und ohne Ermessensfragen der Rechtsanspruch auf die Arbeitslosenunterstützung zugebiligt werden
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- Das ist eine ganz andere Frage, Herr Kollege Atzenroth. Wenn ein Mensch arbeitslos wird, hat er Anspruch. Hier wird aber ein Mensch praktisch aus Rohstoffmangel, aus Arbeitsmangel arbeitslos, so daß ein Regreß gar nicht zur Geltung kommen kann.
Ein besonderes Kapitel ist die Anrechnung von Einkommen aus Nebenberufen, aus Land- und Forstwirtschaft usw. Wenn wir hier Richtlinien festlegen, dann geht das nicht für den Bund. Es geht auch nicht einheitlich für die Landesarbeitsämter, es geht nicht einmal einheitlich für ein Landesarbeitsamt. Außerordentliche Verwaltungskosten stehen hier in keinem Verhältnis zu Einsparungen, und gerade das Gebiet der Einsparungen, der notwendigen Einsparungen bei überflüssigen Verwaltungskosten sollte bei der Bundesanstalt besonders geprüft werden. Hier bin ich der Meinung, einfache und klare Regelungen durch Pauschalierungen zu finden, die wirklich tragbar sind und in einem echten Verhältnis von Verwaltungsaufwand und -kosten stehen.
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Ein Wort noch zur Abfindung. Herr Kollege Sabel hat davon gesprochen. Abfindungen aus Arbeitsverhältnissen sind nicht mehr Arbeitsentgelte. Die Arbeitsverwaltung hat nach meiner Auffassung kein Recht, den Anlauf der Unterstützung so lange hinauszuschieben, wie der Lebensaufwand des Arbeitslosen aus der Abfindung gedeckt werden könnte. Das ist rechtlich nicht haltbar und sollte auch in diesem Gesetz keinen Niederschlag finden.
Ein hohes Maß von Verwaltungskosten erfordert nicht die Versicherung gegen Krankheit, sondern die Methode, wie der Arbeitslose versichert wird. Das ist ein außerordentlich heikles Kapitel, das den Fachmann schon lange beschäftigt. Die Weiterversicherung bei der eigenen Krankenkasse, die Sortierung und alles das, die verschiedenartige Berechnung der verschiedenartigen Beiträge veranlassen uns doch, hier zu untersuchen und zu bitten, daß man dieser Frage ein besonderes Augenmerk zuwendet. Nach einfachsten Methoden sollten nicht nach Kann-Vorschriften, sondern nach Muß-Vorschriften, bestimmt durch die Organe der Landesarbeitsämter für ihren Bereich, Methoden gefunden werden, die in der Pauschalierung nun das Verfahren der Meldung usw. erleichtern und Verwaltungskosten ersparen.
Meine Damen und Herren! Die Frage der Lohnausfallunterstützung ist ausgestanden. Sie hat uns leider lange beschäftigt. Inzwischen haben sich die Tarifpartner bereit gefunden, sich auf das, was wir ihnen praktisch vorgeschlagen haben, zu einigen, auf einer Ebene, die nun die Lasten in sich selbst ausgleicht. Es bleibt dann die Kurzarbeiterunterstützung, die uns seit 30 Jahren viel Sorge macht. Hier ist es leider oft der Fall, daß der Betrieb die Kosten seines Betriebs in der Fürsorge praktisch auf den Bund und die Arbeitsverwaltung in der Kurzarbeiterunterstützung verlagert. Der Betrieb kann heute mehr als vor einigen Jahren auf Lager arbeiten und sollte nicht 22 Stunden in der Woche monatelang arbeiten lassen, um dann auf 70 bis 80 Stunden zu steigen. Hier ist eine Ungerechtigkeit, und sie muß beseitigt werden. Die Lösung ist nicht sehr einfach. Ich kann mir aber vorstellen, daß sich die Herren Arbeitgeber selbst versichern und etwas zahlen dafür, was ihnen die Sache wert ist, daß sie sich also und ihre Arbeitnehmer für den Fall der Kurzarbeit versichern. Ich kann mir auch vorstellen, daß man auf tariflicher Ebene bezirkliche und gebietliche Regelungen findet, die nun einmal dieses Gebiet anders gestalten. Das ist keine Forderung, sondern eine Anregung, über die man reden kann.
Wir raten schon lange an einem Rezept herum, das
hier möglich sein sollte: werteschaffende Arbeitslosenhilfe. Hier scheinen sich Gesetz und Recht wie
eine ewige Krankheit fortzuerben. Wortgetreu sind
die alten Bestimmungen von 1927 in diesen Entwurf übernommen worden. Dabei ist der Arbeitsbedarf im Gegensatz zu damals so groß, daß man
heute von zusätzlichen Arbeiten doch gar nicht
mehr reden kann. Die Arbeit liegt doch auf der
Straße, normal, und es kommt darauf an, nicht dem
Arbeitslosen irgendwie eine zusätzliche Arbeit zuzuweisen, um seinen Arbeitswillen zu prüfen, sondern es kommt darauf an, daß man echte volkswirtschaftlich wertvolle oder notwendige Werte und
Anlagen schafft, die nun wirklich Hilfe bringen.
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- Das bestreite ich nicht. Aber sehen Sie nicht auch, daß alle möglichen Arbeiten durchgeführt werden, deren wirtschaftlichen Wert man bestreiten kann? Ich gehe nicht von der Sache selbst aus, sondern von der Art, wie und wann man die Leute beschäftigt.
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- Die Organe, in denen Sie sitzen. Es ist wirtschaftlicher Unfug, Berufsfremde gegen ihren Willen mit Notstandsarbeiten zu beschäftigen. Es handelt sich doch meist um schwere Erdarbeiten, die einmal den Arbeitnehmer in der Ausübung seines Berufs behindern, wenn er monatelang schwere Arbeit leistete. Ich kenne solche Fälle und habe selbst manchen Gewissenskonflikt ausgestanden, wenn man Notstandsarbeiten zuwies, um die Lebensmöglichkeiten der Menschen zu verbessern. Wenn aber der Entwurf davon spricht, daß die Beanspruchung menschlicher Arbeitskraft den Vorrang hat, dann kann ich einfach nicht mehr mit. Auch wo Notstandsarbeiten durchgeführt werden, sollte man alle Fortschritte der Technik benutzen, um mit wirtschaftlichen Mitteln, um mit der einfachsten Methode den höchsten Erfolg zu erreichen.
Schließlich fordert der Entwurf noch die Ausschaltung von Privatinteressen bei Notstandsmaßnahmen. Ja, meine Damen und Herren, machen Sie eine große Arbeit im Rahmen von Notstandsmaßnahmen - die ich gar nicht ablehne, die manchmal geeignet sind, finanzschwachen Gemeinden das Leben zu ermöglichen und zu erhalten -, dann kann man doch nicht sagen, daß Maßnahmen zur Hebung des Bodenertrags, daß der Ausbau von Straßen, daß die Erzeugung und Verteilung von Strom nur im öffentlichen Interesse durchgeführt werden. Zweifellos sind Privatinteressen dabei immer beteiligt, und es ist nur die Frage, wieweit man das Privatinteresse dabei zur Mittragung der Kosten heranzieht. Aber man kann nicht allgemein sagen, Privatinteressen dürften nicht berücksichtigt werden. Das scheint seltsam zu sein, aber es ist so; es ergibt sich aus der Sache selbst.
Die Bundesanstalt sollte an Stelle der ersparten Unterstützung nur die Grundförderung geben. Das ist ein guter Standpunkt, ,den ich immer vertreten habe. Die verstärkte Förderung sollte aber nur durch die Beteiligten, also in der Regel durch den Bund, die Länder, die Gemeinden, aber auch durch die interessierte Wirtschaft erfolgen. Wo die Wirtschaft daran interessiert ist, sollte sie auch einen Beitrag dazu zahlen, was an Maßnahmen gefördert wird.
Das Kapitel Gemeinschaftsarbeiten könnten wir eigentlich übergehen. Es erscheint ganz verschämt an Stelle des früheren Kapitels der Pflichtarbeiten. Es ist kein Raum dazu. Wenn der Arbeitsamtsleiter glaubt, den Arbeitswillen eines Angestellten oder Arbeiters nachprüfen zu müssen, steht geeignete Arbeit - wenigstens hier im Westen - genug zur Verfügung. Die Umstellung, die Wanderung as dem Osten usw. sollte gefördert werden. Aber dadurch entsteht kein Anlaß zu Pflichtarbeit, die man heute Gemeinschaftsarbeit nennt. Außerdem ist heute der Begriff arbeitsrechtlich stark umstritten und führt zu allen möglichen Schwierigkeiten.
Wir begrüßen die Siedlungshilfe, die bisher von der Bundesanstalt kräftig gefördert worden ist. Wir sind der Meinung, daß das noch weit mehr geschehen soll, damit hier der Ausgleich zwischen Kräftebedarf und Wohnungsmöglichkeit gefunden wird.
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Wir sind aber der Meinung, daß man auf Jahre hinaus auf die Eigenhilfe, die Familienhilfe, die Nachbarschaftshilfe für Wohnungslose, Vertriebene, Kriegsbeschädigte usw. die gebotene Rücksicht nehmen sollte. Darum sollte man nicht alles als Schwarzarbeit bezeichnen, was in Wirklichkeit in Kräftemangel begründet ist und in der Hilfe von Angehörigen und Nachbarn dazu gedient hat, Tausende von Wohnungen instand zu setzen oder herzustellen.
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- Es ist keine Schwarzarbeit, aber es wird manchmal als solche gewertet. Sie wissen vielleicht auch, wie die Ermittler diese Dinge werten, welcher hochnotpeinlichen Untersuchung mancher Arbeitslose unterworfen wird, wenn er das tut.
Ich habe schon zur Arbeitslosenhilfe gesprochen und die Gleichstellung versicherungsmäßiger Arbeitslosenunterstützung mit der Arbeitslosenfürsorge berührt. Der Entwurf bringt hier minderes Recht, weil er in der Arbeitslosenhilfe Unterstützung nur für die Personen vorsieht, die aus der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung ausgesteuert werden. Mir erscheint das als bitteres Unrecht. Wir haben einige Länder, die darüber hinausgehen und auch die Arbeitslosen unterstützen, die erstmalig aus der Selbständigkeit in die Unselbständigkeit wandernd auf dem Arbeitsmarkt als Arbeitsuchende erscheinen. Man sollte diese Menschen doch nicht auf das Wohlfahrtsamt abdrängen; denn es entstehen erstens falsche Zahlen, zweitens ist dem Wohlfahrtsamt nicht gedient, dem Arbeitsuchenden auch nicht, weil er als Arbeitsuchender dann beim Arbeitsamt nicht geführt wird. Vielmehr sollte man klar sagen: Jeder Arbeitsuchende, der arbeitswillig und arbeitsfähig ist, sollte vom Arbeitsamt geführt und auch als Arbeitslosenunterstützter betreut werden.
Es hat zwar lange gedauert, und wir haben lange dazu gesprochen, nicht nur ich. Ich glaube, jeder von uns hat eine ganze Menge von diesen Dingen berührt. Trotzdem haben wir alle aus diesem Flickwerk - das muß ich leider sagen - nur einen Teil herausgezogen. Über die Umständlichkeit des Verfahrens will ich kein Wort mehr verlieren. Über die Höhe der Verwaltungskosten wäre noch viel zu sagen. Ich will auch darauf verzichten, näher in die Materie des Rechts einzusteigen. Sicher ist, daß die Beratung der Novelle in den Ausschüssen das Tohuwabohu der Gesetzgebung in der Arbeitsverwaltung noch vermehrt, einen Dschungel schafft, durch den man sich als Sachverständiger und Laie kaum noch durchfindet. Der Bundesrat hat eine gleiche Auffassung vertreten. Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt hat mit aller Delikatesse Kritik an dem geübt, was nun vorliegt; er hat sich recht kritisch geäußert. Ich möchte im Namen meiner Freunde beantragen, daß wir den Entwurf heute nicht dem Ausschuß für Arbeit überweisen, sondern ihn absetzen und zur zweiten Lesung wieder voranstellen.
(Abg. Dr. Atzenroth: Was heißt das „zur
zweiten Lesung wieder voranstellen"?
- Ich schlage vor, diesen Entwurf heute nicht dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen, sondern zur zweiten Lesung zurückzustellen.
Das ist ein formeller Antrag, Herr Abgeordneter?
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Herr Bundesminister, wollen Sie jetzt gleich sprechen? Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dem, was der Herr Kollege Odenthal gesagt hat, möchte ich, um die Debatte zu verkürzen, von vornherein eins sagen. Der gemeinschaftliche ärztliche Dienst für alle Träger der Sozialversicherung ist eine Einrichtung, die bei uns im Hause bei der Vorbereitung einer Sozialreform in allen Richtungen angesprochen wird. Die Fehler, die darin liegen, daß der einzelne Mann eventuell von verschiedenen Ärzten unterschiedlich beurteilt wird,
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- Von beamteten Ärzten habe ich doch in Wirklichkeit kein Wort gesagt. Wir haben heute in der Sozialversicherung die sogenannten Vertrauensärzte. Ich glaube aber, Herr Kollege, das ist ein Kapitel, das wir in diesem Hause in diesem Zusammenhang nicht zu diskutieren brauchen.
Herr Kollege Odenthal, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen einzigen Fall nennen würden, in dem ein Mann, der als Flüchtling zu uns herübergekommen ist, eine Sperrfrist in der Arbeitslosenversicherung auferlegt bekommen hat. Das gibt es einfach nicht, und dafür gibt es auch gar keine gesetzliche Handhabe; es sei denn, daß es sich um diejenigen Leute handelt, die zwischen dem Osten und dem Westen pendeln. Ich war in der vergangenen Woche selbst in Berlin und habe mir wegen des größeren Zustroms der Flüchtlinge nach West-Berlin einmal draußen in Mariendorf in Gemeinschaft mit den verantwortlichen Herren vom Berliner Senat und auch den Beamten, die von der Bundesanstalt dort tätig sind, die Verhältnisse angesehen. Mir ist von einer Ärztin draußen mit allem Ernste gesagt worden: Wir haben bei den jüngeren Leuten heute eine ganze Reihe, die bereits das vierte Mal durch unser Lager gehen, die dreimal auf Kosten des Bundes in die Bundesrepublik geflogen worden sind, dann auf irgendeine Art zurückgehen und sich später wieder in West-Berlin melden und genau dieselben Dinge vortragen. Das sind auch die Kräfte, die leider, sage ich, bei einem Teil unseres Volkes die Meinung aufkommen lassen, daß die Menschen, die heute aus dem Osten zu uns kommen, nicht immer arbeitswillig wären. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß der größte Teil dieser Leute, wenn man ihn richtig behandelt, gerne bereit ist, eine ihm zumutbare Arbeit bei uns zu übernehmen.
Herr Kollege Odenthal, ich habe noch eine Frage: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, wenn man eine Arbeitslosenversicherung hat, man immer noch das Grundprinzip aufstellen muß, daß nur derjenige Unterstützung beziehen kann, der arbeitsfähig und arbeitswillig ist?
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Sie sind doch lange genug in der Arbeitsverwaltung tätig gewesen, um zu wissen, daß leider Gottes die Menschen nicht alle so sind, wie wir sie gerne haben möchten. Wenn die Menschen bei uns alle Engel wären, dann könnten wir vieles von dem, was Sie hier gewünscht haben, in die
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Wirklichkeit umsetzen. Wir haben aber die Gesetze so zu machen, wie sie für die Menschen passen, die wir nun einmal vor uns haben.
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Ich glaube, Herr Kollege Odenthal, auf dem Wege, wie gewisse Dinge von Ihnen gesehen werden, können sie nicht geordnet werden, wenn wir zu wirklich guten Verhältnissen kommen wollen!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, in ausführlichen Darlegungen auf die Einzelheiten dieses umfangreichen Novellenwerkes einzugehen, wie es meine Herren Vorredner getan haben. Ich befinde mich dabei in Übereinstimmung mit den Freunden meiner Fraktion, der FDP, die die Beratungen in der ersten Lesung möglichst begrenzt wissen wollen und, wenn irgend denkbar, überhaupt von einer Diskussion Abstand nehmen möchten.
Lassen Sie mich deshalb nur auf einzelne Punkte. die mir grundsätzlich erscheinen, eingehen. Zunächst darf ich zu einer Ausführung des Kollegen Sabel Stellung nehmen. Sie sagten, Herr Kollege Sabel, diese Novelle sei ein Teilstück der erwarteten Sozialreform. Dieser Auffassung kann ich mich bei aller Würdigung der Notwendigkeit der Novelle doch nicht anschließen. Ich bin zwar der Ansicht, daß sie notwendig und zweckmäßig ist, aber ich glaube, wir kommen der richtigen Wertung dieser Novelle nur dann nahe, wenn wir sie als eine notwendige Verbesserung hinstellen.
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- Das will ich Ihnen sagen! Unter „Reform" verstehe ich unter anderem das, was Herr Kollege Odenthal schon angeschnitten hat; auch wir wollen eine klare Scheidung zwischen Versorgung, Versicherung und Fürsorge. In dieser Beziehung vermischen sich im AVAVG die Prinzipien doch immer noch etwas.
Wir sind der Auffassung, daß dieses Gesetz - das ist eine Erkenntnis, die die Regierung teilt - nicht auf sich selbst gestellt, allein existieren kann, daß es vielmehr seine Existenzkraft gewissermaßen aus den Erfolgen einer guten Wirtschaftspolitik zieht, und daß die Wirtschaftspolitik es ist, die die Arbeitsplätze zu schaffen hat und auch geschaffen hat, und daß damit dem Gesetz lediglich eine wichtige, aber doch nur zusätzliche Aufgabe zufällt, nämlich die Vermittlung der richtigen Arbeitskräfte auf die richtigen Arbeitsplätze zu ermöglichen. Auch wir meinen, daß die Versicherungsleistung von zweitrangiger Bedeutung bei diesem Gesetz ist.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich dank der erfolgreichen Wirtschaftspolitik nun so verändert, daß künftig die wesentliche Arbeit, die auf Grund dieses Gesetzes zu leisten sein wird, darin besteht, genügend Arbeitskräfte und vor allem geeignete Arbeitskräfte herbeizuschaffen. In Ausführung dieser Aufgabe kann noch viel getan werden. In erster Linie begrüßen wir hierbei, daß die Regierung in § 62 die Vorschrift geschaffen hat, nach der die Vermittlung von weiblichen
Arbeitskräften, auch die Berufsberatung und die Lehrstellenvermittlung, durch Frauen erfolgen soll. Künftig muß auf das Reservoir der weiblichen Arbeitskräfte, wenn wir den Anforderungen gerecht werden wollen, in ganz anderem Ausmaß zurückgegriffen werden, als es bisher geschehen ist. Hier muß man die bisherige Einstellung gegenüber weiblichen Arbeitnehmern erheblich auflockern. Man sollte die positiven Beispiele, die sich an gewissen Stellen herauskristallisiert haben, weiter verwerten und den Frauen Arbeitsgebiete erschließen, die ihnen bisher verschlossen waren. Man geht allzu leicht von den Erfahrungen der Kriegsjahre aus, in denen die Frauen doch nur eine provisorische Ausbildung erhalten haben, dann aber voll leistungsfähig auf den einzelnen Arbeitsplätzen, j a Facharbeitsplätzen eingesetzt werden sollten. Das bisweilen negative Ergebnis solcher Versuche darf kein Maßstab für unser Vorhaben in der Zukunft sein. Es liegen Beispiele dafür vor, daß die Frauen in diesen Fällen auf den Arbeitsplätzen durchaus „ihren Mann stellen". Ich hatte Gelegenheit, schon aus einem anderen Anlaß hierzu einiges zu sagen, und möchte noch darauf hinweisen, daß wir damit tatsächlich auch die Krisenfestigkeit der Ehe fördern helfen, weil in Fällen der Arbeitslosigkeit des Mannes immerhin die Frau noch einspringen kann, und vor allen Dingen, weil bei Selbständigen eine Frau, die fachkundig ist, eine gute Ergänzung ihres Mannes im Beruf darzustellen vermag.
Um zu diesem Ziel zu gelangen, ist es aber auch nötig, die weiblichen Kräfte in den Arbeitsämtern einer ausreichenden Ausbildung zu unterziehen, die sie in die Lage versetzt, die Berufsmöglichkeiten, die noch nicht ausgenutzt sind, zu erkennen und weibliche Kräfte richtig zu vermitteln.
Auf demselben Feld liegt die Sorge um die hinreichende Ausbildung jugendlicher Arbeitsloser oder Jugendlicher überhaupt und die Überführung dieser Jugendlichen in Lehrstellen. Es darf künftighin nicht so sein, daß nach wie vor ein großer Teil dieser Jugendlichen keine Lehrstellen findet und wir in absehbarer Zeit etwa genötigt sein könnten, ausländische Facharbeiter hereinzunehmen, denen wir dann inländische, aber ungelernte Jugendliche zur Verfügung stellen müßten. Das wäre eine sehr unerwünschte Entwicklung, der wir wirklich sorgsam begegnen sollten.
In demselben Rahmen erscheint uns auch wichtig, der Umschulung von Angestellten die angemessene Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Es genügt hier ebenfalls nicht, nur dafür zu sorgen, im Rahmen der Notstandsarbeiten oder der Gemeinschaftswerke etwa der Berufsentwöhnung vorzubeugen, sondern hier gilt es, psychologische Fesseln dieser Menschen zu lösen, um sie auf einen neuen Beruf vorzubereiten, eine gewiß nicht einfache Arbeit, die aber meines Erachtens durchaus zum Erfolg führen muß, wenn sie mit dem gebotenen Feingefühl in Angriff genommen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf eines hinweisen. Es ist doch nicht so, daß die Bedingungen, die sich aus dem AVAVG ergeben, lediglich Zustimmung finden, sondern es gibt weite Kreis& der Angestellten und Arbeiter, die sich irgendwie benachteiligt fühlen. Ich denke hierbei besonders an diejenigen, die als Dauerbeschäftigte zu gelten haben. Ich halte den Standpunkt
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für falsch, daß diese Menschen nun ein unverdientes Glück hätten, wenn sie auf diesen Arbeitsplätzen sitzen. In den meisten Fällen ist es doch so, daß sie ein gut Teil eigenen Verdienstes daran haben, diese Arbeitsplätze zu halten, und auch zum großen Teil Opfer bringen, um auf dem Arbeitsplatz zu bleiben, der ihnen inzwischen natürlich lieb geworden ist. Ich frage mich nun, ob es nicht richtig ist, die Tendenz zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zu begünstigen, ähnlich wie man es ja in der Novelle für Arbeiter in der Landwirtschaft getan hat. Man sollte sich doch einmal überlegen - ich mißbrauche hier, das weiß ich durchaus, ein Wort, will es nur zum Vergleich anführen, um mich verständlich zu machen -, ob man diese Begünstigung nicht in einer Art von Prämienrückvergütung wirksam werden lassen sollte. Es gibt da natürlich noch ganz andere Wege; darüber bin ich mir klar. Ich wollte ja auch nur ein Stichwort gegeben haben.
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Meine Damen und Herren, wir sind uns allerdings auch darüber klar, daß in dem Gesetz und auch in dieser Novelle starke Reizstoffe für den Mißbrauch liegen, und die machen uns besorgt. Sie machen uns um so mehr besorgt, als ia Zahlenmaterial darüber vorliegt, welcher Aufwand getrieben werden muß, um diesem Mißbrauch zu steuern. Es ist immerhin ein nicht geringer Apparat dazu nötige Im Jahre 1953 - dieses Jahr wurde hier als Meßjahr angenommen - wurden 3,4 Millionen Überprüfungen vorgenommen und sind 161 000 Sperrfristen verhängt worden. Diese Ergebnisse zeigen, daß starke Reizstoffe gegen die Arbeitsmoral vorhanden sind. Ich glaube, wir dürfen diesen Tatbestand nicht außer acht lassen.
In jedem Falle sehen wir in dieser Novelle eine Notwendigkeit. Die Novelle wird allerdings nur dann zum Erfolg führen, wenn wir nicht außer acht lassen, daß dieses AVAVG nur bei einer erfolgreichen Marktwirtschaft, einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik wirksam ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Novelle begrüßen wir deshalb, weil sie uns die Möglichkeit gibt, auf bundeseinheitlicher Ebene Fragen aufzugreifen und zu behandeln, die schon sehr, sehr lange zur Behandlung fällig waren und in der Luft lagen. Ich werde aus dieser Novelle nur zwei, drei Punkte herausgreifen, die unseres Erachtens besonders wert sind, angesprochen zu werden.
Ich denke daran - das wurde des öfteren gesagt -, daß die Novelle die Hauptaufgabe hat, Arbeit zu vermitteln und Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Gestatten Sie mir also, gerade diese Punkte aufzugreifen.
Zur Arbeitsvermittlung im allgemeinen: Wir sind der Überzeugung, daß die Arbeitsvermittlung gerade da sehr sorgfältig ansetzen muß, wo es sich um Neulinge auf dem Arbeitsmarkt handelt. Ich denke also an unsere jungen Menschen, die eine sehr sorgfältige Beratung brauchen und bei denen es nicht genügt, daß irgendein Vermittler angesetzt wird. Die Berufsberatung, die einer Vermittlung ja vorausgehen muß, muß also so umfassend sein, daß der junge Mensch einmal von sich aus das Gefühl hat, daß er ordentlich beraten wird, und daß auf der anderen Seite die Berufsberatung von sich aus weiß: der junge Mensch, der auf Grund unserer Ratschläge diesen oder jenen Beruf ergreift, wird diesem Beruf auf die Dauer treu bleiben. Wir haben so oft die Erfahrung machen müssen, daß junge Menschen infolge schlechter Beratung sehr häufig die Berufe wechseln. Das ist die erste Voraussetzung dafür, daß der junge Mensch in den Arbeitsprozeß nicht richtig eingereiht wird und der Arbeitslosigkeit geradezu zuneigt. Wir müssen also darauf achten, daß die Berufsberatung individuell erfolgt, daß man sich dafür Zeit genug nimmt. Eine Berufsberatung kann nicht in wenigen Stunden erledigt werden, sondern man muß die Menschen nahezu ein Jahr lang beobachten, 'um ihre fachliche, körperliche und geistige Eignung kennenzulernen und ihnen dann den richtigen Beruf empfehlen zu können.
Weiter müssen wir dem bevorstehenden großen Mangel .an Facharbeitern steuern. Es ist aber allerhöchste Zeit, dafür zu sorgen, daß wir einen Facharbeiternachwuchs bekommen, der die immer stärker aufklaffende Lücke schließt. Der Facharbeiternachwuchs ist ungeheuer schwer zu bekommen, weil man sich zuviel von Gesichtspunkten leiten läßt, die dem Augenblick entsprechen.
Die Probleme des jungen Menschen, der heute noch ohne Lehrstelle ist, müssen hier sehr deutlich angesprochen werden. Wir brauchen echte Berufsausbildungsstellen, die gut ausgewählt werden müssen, damit ,die Menschen in gute Hände kommen und ihre Berufe einmal voll ausfüllen können.
Eine Berufsberatung ist natürlich nur in engster Zusammenarbeit mit den Eltern möglich. Die Eltern, die das Leben des Kindes kennen, müssen durch ihre Erfahrungen den weiteren beruflichen Weg des jungen Menschen bauen helfen.
Der Arbeitsvermittlung, der Berufsberatung und der Lehrstellenvermittlung der Frauen muß besondere Sorgfalt zugewandt werden. Unsere Frauen und Mädchen müssen die Möglichkeit haben, über ihre zukünftigen Berufe vertraulich mit ihresgleichen zu sprechen, damit sie das Gefühl bekommen, in verständigen Händen zu sein. Wir wissen, daß gerade die Anforderungen an unsere Frauen ungeheuer groß sind. Für die genaue Überprüfung der Schwierigkeiten, die durch Mutterschaft und alle mit der Familie zusammenhängenden Fragen entstehen, können nur Frauen zuständig sein.
Die Lehrstellenvermittlung bedarf außerdem -das ist hier in der Novelle sehr deutlich aufgezeigt, und darüber sind wir froh - nicht nur der vorbereitenden, sondern auch der begleitenden und nachgehenden Förderung des beruflichen Nachwuchses. Das ist ein Aufgabengebiet, ,das in .dieser Deutlichkeit das erstemal angesprochen wurde, aber besonders wichtig ist, einmal wieder für den jungen Menschen, aber auch für den, der nach langer Arbeitslosigkeit endlich wieder in den Beruf kommen kann. Ich denke an die Vertriebenen, ich denke besonders an die Sowjetzonenflüchtlinge, die zum großen Teil lange in der Luft hingen und nun wieder an den Beruf herangeführt, auf ihn vorbereitet werden müssen. Aber auch in der nachfolgenden Betreuung müssen sie beobachtet wer({0})
den, muß ihnen geholfen werden, solange die Gefahr besteht, daß sie ihren Beruf wieder verlieren könnten.
Besonders zur Ausbildungsbeihilfe ist ein Wort zu sagen. Wir begrüßen dabei, daß in der Novelle besonders festgelegt ist, daß man einen Anspruch auf Vergütung der Kosten hat, die mit einer Berufswahl oder Berufsfindung verbunden sind und die sich zusammensetzen aus Reisekosten, der Trennungsbeihilfe und anderen Spesen.
Sehr erfreut sind wir darüber, daß unser Gesetzesvorschlag zur Unterbringung älterer Angestellter mit dazu beigetragen hat, daß die Vergütung und Bezuschussung bei langfristiger ,Arbeitslosigkeit in der Novelle verankert sind. Die Überbrückung zur Einarbeitung ist gerade für unsere älteren Angestellten von entscheidender Wichtigkeit. Es ist einfach nicht möglich, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit so ohne weiteres und ohne Schwierigkeit in einen neuen Beruf einzusteigen, auch wenn er in 'dem erlernten Fachgebiet liegt. Hier muß man durch Zuschüsse die Einarbeitung in den neuen Beruf möglich machen. Ob man bereits nach 26 Wochen die Zahlung des Überbrückungsgeldes einstellen soll, ist eine Frage, die man natürlich noch im Ausschuß behandeln muß und die einer ernstlichen Diskussion bedarf.
Zum Arbeitslosengeld nur folgendes. Die Bezeichnung „Arbeitslosengeld" ist deswegen für uns so wichtig, weil man daraus sehr deutlich erkennt, daß es sich dabei nicht um Beträge handelt, die irgendwer spendet oder zur Verfügung stellt, sondern daß der Anspruch auf das Arbeitslosengeld ein gesetzlicher Anspruch ist, der aus der Versicherung entsteht. Das ist gerade für die Menschen, die ohne Arbeit sind und gezwungen sind, aufs Arbeitsamt zu gehen, auch rein psychisch sehr wertvoll. Sie sind damit endlich einmal das Gefühl los, sie müßten irgendwo Almosen empfangen und man spende ihnen etwas. Gerade aus dem Wort „Arbeitslosengeld" ergibt sich, daß sie einen echten Anspruch haben, um den sie nicht zu bitten und zu betteln brauchen, sondern der ihnen zusteht.
Zur Gemeinschaftsarbeit wäre noch einiges zu sagen. Der Begriff „Gemeinschaftsarbeit" soll nach unserer Vorstellung die Maßnahmen umfassen, die dazu dienen, den Menschen für den weiteren Beruf vorzubereiten, ihn also berufsfähig zu machen. Anders soll dieser Begriff „Gemeinschaftsarbeit" sicherlich nicht verstanden werden. Wir möchten, daß durch die Gemeinschaftsarbeit jene Menschen, die aus irgendwelchen Gründen vielleicht auch in der Arbeitsmoral nachgelassen haben, wieder zur Arbeit angeregt werden und damit - auch zu ihrem eigenen Wohl - leichter wieder in den Beruf zurückfinden.
Ich möchte abschließen mit dem Wunsche, daß es durch die vorliegende Novelle gelingt, zur Entrümpelung der Gesetzgebung auf dem Gebiet beizutragen, das wir heute behandeln. Es muß gelingen, gerade dem Arbeitnehmer, der in Gefahr kommt, arbeitslos zu werden, einen Gesetzestext in die Hand zu geben, den er selbst mühelos und ohne große Auslegung versteht, mit dem er etwas anzufangen weiß und für dessen Auslegung er nicht erst einen Sachverständigen braucht. Wir glauben durch Klarheit und Übersichtlichkeit allein dazu beitragen zu können, daß diese Novelle für die Menschen, die es angeht, also für die Arbeitenden und diejenigen, die in Gefahr sind, einmal ihre Arbeitsstelle zu verlieren, eine echte Hilfe darstellt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das zarte Pflänzchen, das da vor dem 1. Weltkrieg in den deutschen Boden ge- bracht wurde, das „Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung" heißt, ist inzwischen zu einem mächtigen Baum gewachsen, der weiter gepflegt werden und der vor allem davor bewahrt werden muß, daß keine Fehlentwicklungen kommen.
Der Kollege Odenthal hat diese Novelle einer scharfen Kritik unterzogen und hat davon gesprochen, daß man doch erst abwarten sollte, daß man dann gleich ein ganzes Gesetz schaffen und nicht Flickwerk liefern sollte. Wir sind anderer Ansicht. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Rechtszersplitterung, die gerade auf dem Gebiet der Arbeitslosenunterstützung und Arbeitsvermittlung besteht, beseitigt werden muß. Wir sind weiterhin der Ansicht, daß die verschiedenen Normen in den Ländern einer Vereinheitlichung bedürfen. Gerade die Sozialdemokratie darf uns meines Erachtens den Vorwurf des Flickwerks an einer Sozialreform nicht machen, weil sie es doch war und ist, die mit immer neuen Anträgen auf dem Gebiet des Sozialen an uns herankommt und versucht, diese Anträge durchzubringen.
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- Ja gerade deshalb, weil angeblich nichts getan wird, müssen wir doch wenigstens ein großes Sachgebiet, nämlich das der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung, einmal zu regeln beginnen. Es ist, glaube ich, Pflicht, daß wir den Herren des Arbeitsministeriums, die an dieser Novellierung gearbeitet haben, den herzlichsten Dank aussprechen.
Es ist nicht Übung, bei der ersten Lesung Ausführungen über die Einzelheiten zu machen, und es ist bei dem übergroßen Interesse des Hauses an dieser Novelle auch nicht notwendig, nun die einzelnen Normen unter die Lupe zu nehmen. Gestatten Sie mir deshalb, ganz kurz von einigen Gesichtspunkten aus die Novelle zu betrachten.
Zunächst darf ich zum Ausdruck bringen, daß auch wir es gern gesehen hätten, wenn das ganze Gebäude der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung nun gleich in e in e m Gesetz hätte bearbeitet werden können. Es wurde aber bereits dargetan, daß das im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist, weil vor allem die geplante Sozialreform, die wir vom Herrn Bundesarbeitsminister so bald als möglich erbitten, noch Einflüsse auf dieses Gesetz nehmen kann. Was wir im gegenwärtigen Zeitpunkt tun, kann also nur von vorübergehender Bedeutung sein und muß nicht unbedingt Ewigkeitswert haben.
Schon der Name dieses Gesetzes sagt, daß in ihm zwei Probleme behandelt werden, nämlich einmal das Problem der Arbeitsvermittlung und zum zweiten das Problem der Arbeitslosenunterstützung.
Die Arbeitsvermittlung scheint in den Vordergrund gerückt werden zu müssen; sie ist gerade
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für das Land, aus dem ich komme, nämlich für Bayern, von entscheidender Bedeutung. Sie wissen sicher aus der Statistik, daß Bayern von sämtlichen Bundesländern die weitaus größte Zahl von Arbeitslosen hat, daß im Jahre 1954 jahresdurchschnittlich 200 000 Männer und 100 000 Frauen arbeitslos gewesen sind. Darüber hinaus möchte ich auch von diesem Podium aus noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß in den ostbayerischen Gebieten in einzelnen Landkreisen 30, 35 und 40 % Arbeitslose vorhanden sind und daß es hier für die Bundesregierung allerhöchste Zeit ist, in Verbindung mit der Bundesanstalt einmal Abhilfe zu schaffen.
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Meine Damen und Herren, ich darf auch als Angehöriger einer Koalitionspartei hier zum Ausdruck bringen, daß der Herr Bundeskanzler im Wahlkampf vor der Bundestagswahl 1953 in Regensburg diesen Notstandsgebieten im ostbayrischen Raum seine Hilfe zugesagt hat. Diese Hilfe ist bisher noch nicht zuteil geworden.
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Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren, sagen, daß gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt dort im ostbayrischen Raum, aus dem ich komme, schärfste Kritik daran geübt wird. Es ist meine Pflicht, hier als Volksvertreter dieser armen Bevölkerung meine Stimme zu erheben, weil es nicht angeht, daß man im Westen eine Vollbeschäftigung hat und gar nicht weiß, woher man die Arbeitskräfte nehmen soll, während man in jenen Gebieten nach der Arbeit und nach dem Brot ruft. Da muß einmal Abhilfe geschaffen werden.
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- Daß das nicht allein mit den Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung geschehen kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist eben notwendig, daß sich die Bundesregierung in Verbindung mit der bayrischen Staatsregierung Gedanken macht, wie man diese strukturelle Arbeitslosigkeit durch Schaffung neuer Betriebe und durch Stärkung der bestehenden Betriebe mildert oder beseitigt.
Noch ein Gebiet der Arbeitsvermittlung möchte ich hier ansprechen, das mir ganz besonders am Herzen liegt: das ist der überbezirkliche Ausgleich von Arbeitskräften. Sehen Sie, gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt holen uns die Arbeitsämter gerade unsere besten Kräfte nach Württemberg-Baden, nach Rheinland-Pfalz und nach anderen Gebieten des Westens. Darin sehen wir eine große Gefahr. Einmal wird - auch das muß hier zum Ausdruck gebracht werden - gerügt, daß die Unterbringungsmöglichkeiten nicht allerorts gut sind. Weiterhin müßte bei diesem überbezirklichen Ausgleich noch wesentlich mehr Wert auf die Versorgung der Familien gelegt werden. Des weiteren müßte man bedacht sein, diese Familien auch nachzuziehen. Hier liegt es eben am Problem des Wohnungsmangels auch in den Gebieten des Westens. Infolge des Wohnungsmangels ist es nicht möglich, einen Arbeitslosen hier in Einsatz zu bringen und gleich seine Familie nachzuziehen. Meine Damen und Herren, ich sagte bereits, dieser überbezirkliche Ausgleich kann angesichts der Schwierigkeiten, die nun einmal bei uns gerade im ostbayrischen Raum hinsichtlich der Arbeitslosigkeit bestehen, nicht auf die Dauer hingenommen werden.
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Der Herr Kollege Odenthal hat nun kritisiert, daß über die Arbeitsverwaltung hinaus auch noch andere Verbände die Arbeitsvermittlung betreiben können. Er hat offenbar an unsere karitativen Verbände gedacht, wenn ich ihn richtig verstanden habe, und er glaubte, daß durch diese karitativen Verbände nicht immer die Normallöhne oder Tariflöhne gesichert werden könnten. Wir haben uns über dieses Problem ja erst vor kurzer Zeit hier im Bundestag unterhalten, und es bedarf keiner besonderen Ausführungen mehr in dieser Richtung. Wir möchten nur zum Ausdruck bringen, daß wir an dieser Vermittlungstätigkeit der karitativen Verbände gerade im Interesse unserer Frauen und unseres hauswirtschaftlichen Nachwuchses festhalten wollen und festhalten werden, gleich, ob es der Sozialdemokratie paßt oder nicht.
Ich darf mich nun mit den Fragen der Versicherungspflicht beschäftigen. Ich möchte nur einzelne Probleme herausgreifen: das Problem der Landwirtschaft und das Problem der Heimarbeiter. Es ist unmöglich, im Rahmen dieser ersten Lesung alle Einzelprobleme zu behandeln, wie das zum Teil vom Kollegen Odenthal getan wurde. Wir können hier nur versuchen, die Probleme anzudeuten, und müssen uns dann im Ausschuß für Arbeit im einzelnen damit beschäftigen.
Sehen Sie einmal eines - das vorzutragen haben mich meine Freunde aus der CSU verpflichtet -: Unsere Landwirtschaft hat gerade in den Hochzeiten der Arbeit, also insbesondere in den Zeiten der Ernte, mit der Beschaffung von Arbeitskräften die größten Schwierigkeiten. Sie hat nicht die Möglichkeit, eine 40-Stunden-Woche einzuhalten; sie muß 70, 80 und mehr Stunden in der Woche, gerade in den Zeiten der Ernte, arbeiten. Ich meine, daß wir uns gerade bei der Beratung dieser wichtigen Novelle befleißigen müssen, irgendeine Lösung zu finden, die es ermöglicht, die Kräfte, die in dieser Zeit nicht in Arbeit stehen und Arbeitslosengeld oder -hilfe beziehen, in den Arbeitsprozeß der Landwirtschaft einzuschalten.
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Ich habe mich mit sozialpolitischen Fragen zu sehr beschäftigt, als daß ich vorschlagen möchte, daß das unter Belassung der Arbeitslosenunterstützung geschieht.
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Ich habe aber den Gedanken, daß der Bund hier irgendwie mithelfen und die zur Einweisung bringen sollte - jawohl, Herr Hansen! -, die nicht gewillt sind, ihrer Arbeitsverpflichtung nachzukommen. Das sind wir in diesen schwierigen Zeiten unserer Landwirtschaft letztlich schuldig.
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- Das hat mit Zwangsarbeit gar nichts zu tun.
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- Sie kennen ja das Gesetz und wissen, daß das Arbeitsamt im Rahmen der Arbeitsvermittlung auch die Möglichkeit hat, Arbeitsplätze zuzuweisen.
Meine Damen und Herren, im Ausschuß für Arbeit wird vor allem die Frage gründlich überprüft werden müssen, inwieweit der § 70 AVAVG, d. h. die Bestimmung über die Arbeitslosenversicherungspflicht der landwirtschaftlichen Kräfte, so durchgeführt werden kann, wie es die Novelle vorsieht. Ich meine, daß man den Begriff der Haus({10})
gemeinschaft wieder in den Vordergrund rücken und von diesem aus zu der Frage Versicherungsfreiheit oder Versicherungspflicht Stellung nehmen sollte. Gänzlich unbefriedigend erscheint mir die Versicherungspflicht der Lehrlinge der ländlichen Hauswirtschaft zu sein. Ich glaube, daß wir hier zu anderen Ergebnissen kommen müssen.
Ein besonderes Wort muß zur Frage der Heimarbeiter gesagt werden. Die Beschränkung der Versicherungspflicht auf solche Heimarbeiter, die allein oder mit nicht mehr als zwei Familienangehörigen arbeiten, ist untragbar. Sie führt dazu, daß der im Heimarbeitergesetz vom 14. März 1951 gewährte Schutz gegenstandslos wird. Der Heimarbeiter - ohne Rücksicht auf die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen - wird nur dann eine Minderentlohnung ablehnen können, wenn er im Falle der Arbeitslosigkeit ein Recht auf Arbeitslosenunterstützung hat.
Bezüglich der Hausgewerbetreibenden muß auch ein besonderes Wort gesagt werden, weil sie bei dieser Novellierung völlig ausgenommen sind. Es ist bekannt, daß Hausgewerbetreibende solche sind, die andere als Familienangehörige in Heimarbeit beschäftigen. Sie bedürfen eines besonderen Schutzes. Auch sie müssen der Arbeitslosenversicherung unterstellt werden. Ich nehme an, daß die Herren des Arbeitsministeriums diese Gesichtspunkte sicher würdigen und ihnen vielleicht noch Rechnung tragen werden.
Hinsichtlich der Höhe der Leistungen möchte ich noch ein Wort verlieren. Wir dürfen selbstverständlich keine Nivellierung zwischen dem Arbeitsentgelt und dem Arbeitslosengeld haben; denn sonst geben wir vor allem unseren jungen Menschen keinen Anreiz zur Arbeit mehr. Wir sind der Ansicht, daß die gegenwärtigen Arbeitslosengelder den derzeitigen Bedürfnissen entsprechen und nicht erhöht werden dürfen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß wir gerade unsere jungen Menschen dazu erziehen, von einem Arbeitslosengeld, früher Arbeitslosenunterstützung, zu leben und sich nicht mehr bemüßigt zu fühlen, einer Arbeitsverpflichtung nachzukommen.
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Wir haben dagegen gleich dem Vortrag des Herrn Odenthal Bedenken, ob wir es bei der Regelung der Abfindungen so belassen können, wie es der Gesetzentwurf vorsieht. Daß auch in dieser Novelle die Siedlungshilfe besonders in den Vordergrund gerückt ist, erfüllt uns mit Freude.
Eines möchte ich zu den Ausführungen von Herrn Odenthal noch zum Ausdruck bringen. Wenn er der Ansicht ist, daß es mit einer Versicherung nicht vereinbar ist, Sperrfristen einzubauen, dann weiß ich nicht mehr, wieweit unsere Ansichten in den Fragen der Arbeitslosenunterstützung schon gediehen sind. Herr Odenthal, wie wollen Sie denn dann einen Menschen, der nicht arbeitswillig ist, der Arbeiten konstant ablehnt, der freiwillig seinen Arbeitsplatz verläßt, wirklich nachdrücklich veranlassen, sich in Zukunft im Interesse derer, die ihren Verpflichtungen nachkommen, auch ihren Verpflichtungen zur Beitragszahlung, zu wandeln, wenn Sie die Möglichkeit der Sperrfristen aus diesem Grunde nehmen wollen? Wir begrüßen es deshalb, daß die Sperrfristen im Interesse der Verhinderung von Mißbräuchen erhöht wurden. Wir wollen nur hoffen, daß die Arbeitsverwaltungen möglichst wenig von dieser Institution der Sperrfristen Gebrauch machen müssen; denn das hieße dann, daß wir die Arbeitsmoral in unserem deutschen Volke um ein Erhebliches verbessert hätten.
Auch das Schwarzarbeitsgesetz, das wir gerade im Ausschuß für Arbeit behandeln, wird dazu dienen, daß demjenigen, der in erheblichem Umfang, ich möchte sagen: sittenwidrig, aus Gewinnsucht Schwarzarbeit leistet, das Handwerk gelegt wird und daß sich wieder normale Verhältnisse einstellen.
Ein besonderes Wort muß noch gerade im Interesse unserer Zonenrandgebiete und all der Gebiete, die eine große Anzahl von Arbeitslosen haben, zur Frage der Umschulung gesagt werden. Von der Umschulung sollte man gerade in den Gebieten, in denen Arbeitslose in überreichem Maße vorhanden sind, in ganz besonderer Weise Gebrauch machen. Allerdings müssen die Bedingungen der Umschulung, die Voraussetzungen und Begleitumstände der Umschulung von seiten der Bundesanstalt noch weit mehr verbessert werden. Es wird vor allem darauf Bedacht genommen werden müssen, daß die Ausbildung und der Unterhalt während der Zeit der Umschulung besser gewährleistet werden, als das im gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist.
Die Arbeitslosenhilfe in der Novelle bedeutet für Bayern und, ich glaube, auch für Baden-Württemberg eine Verbesserung; denn der Kreis derer, denen Arbeitslosenhilfe zuteil wird, wird erheblich vergrößert. Dadurch wird zu Lasten des Bundes den Gemeinden und damit unserer öffentlichen Fürsorge eine spürbare Entlastung zuteil werden. Wir haben uns erst vor ganz kurzer Zeit mit dieser Frage hier im Bundestag beschäftigt. Herr Odenthal, hier haben wir wieder einen Antrag, der ja auch nur Flickwerk gewesen ist und den Sie seinerzeit eingebracht haben, daß nämlich die Arbeitslosenfürsorge in ,diesen Ländern dem übrigen Bundesgebiet angepaßt werden soll.
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- Bayern scheint nachzuhinken, weil es auf Grund des Besatzungsrechts eben diese Hindernisse hatte und hintangesetzt wurde. Wir freuen uns deshalb, daß die Arbeitslosenhilfe in diesen Ländern, die, wie Herr Odenthal sagte, nachhinken, angeglichen wird und daß ihnen das zuteil wird, was den anderen schon seit längerer Zeit zuteil geworden ist.
Alle Gesetze, insbesondere dieses Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, sind nur Menschenwerk. Alle diese Gesetze können uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir gerade in der Ausbildung unserer Jugend und gerade in der charakterlichen Erziehung unserer arbeitenden Menschen alles tun müssen, um zu bewirken, daß die Arbeit als solche den Menschen wieder Freude macht und der Allgemeinheit Nutzen und damit dem deutschen Volk eine Befriedung und Beruhigung bringt.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Bleyler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem der Frauenberufsarbeit ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Es hat mich aufrichtig
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gefreut, daß doch offensichtlich von allen Seiten ihre Bedeutung eindeutig betont und damit auch der Vorschlag des Bundesrates zurückgewiesen wurde. Sie wissen, daß der Bundesrat vorgeschlagen hat, den Paragraphen, der festlegt, daß die Berufsberatung, die Lehrstellenvermittlung und die Arbeitsvermittlung für Frauen grundsätzlich nur von Frauen durchgeführt und daß nach Möglichkeit auch eigene Abteilungen unter weiblicher Leitung geschaffen werden sollen, zu streichen. Der Bundesrat hat sich dahin ausgesprochen, daß hier eine rein organisatorische Frage vorliege. Ich bin nicht der Ansicht, daß es hier nur um eine organisatorische Frage geht. Es handelt sich hier um eine Frage, die aus dem inneren Gefüge des Aufgabengebiets heraus gewachsen ist.
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Nicht nur die Tatsache, daß die Frauenarbeit heute eine wachsende Bedeutung hat und daß die weiblichen Beschäftigten heute ungefähr ein Drittel aller Berufstätigen ausmachen, also nicht allein der Umfang der Frauenarbeit ist das Entscheidende, sondern die Eigenart der Frauenarbeit. Gerade um dieser Eigenart willen brauchen wir auch die eigene weibliche Vermittlung und Berufsberatung, besonders aber auch die weiblichen Führungskräfte.
Ich darf vielleicht aus der Statistik von 1950 eine Zahl herausgreifen, die Ihnen schlagartig beleuchtet, was es heißt, daß die Frauenarbeit ihre eigenen Wege geht. Nach der Statistik von 1950 sind 42 % aller Arbeitnehmerinnen bis zu 25 Jahren, weitere 42 % sind 25 bis 45 Jahre alt, und nur noch 16 % sind im Alter von über 45 Jahren berufstätig, davon sogar nur 6 %, die verheiratet sind. In einem Alter von 45 Jahren, in dem der Mann oft genug die beste Leistung seines Berufslebens zeigt, sind 84 % aller Frauen schon aus dem Berufsleben ausgeschieden.
Das persönliche Lebensschicksal der Frauen beeinflußt eben den Berufsweg grundlegend. Ob die Frauen verheiratet sind, wie sie verheiratet sind, ob sie Kinder haben, wie lange die Ehe dauert, das alles ist entscheidend für den Berufsweg der Frau. Daher ist die Aufgabe der Berufsberaterin eine ganz andere als die des Berufsberaters, die Aufgabe der Vermittlerin eine ganz andere als die des Vermittlers. Sie hat mit anderen Problemen und Schwierigkeiten zu rechnen. Die Berufsberaterin hat das Mädchen vor sich, das sich auf einen doppelten Beruf vorbereiten muß, das einmal Ehefrau und Mutter werden will, auf der anderen Seite aber gleichzeitig einen außerhäuslichen Beruf sucht. Daher sind auch die Berufswünsche der Jugendlichen schwankend, die Berufsziele oft unsicher. Es ist nun die Aufgabe, hier eine gewisse Festigung, eine Hinführung zum Beruf zu erzielen, im jungen Menschen den Aufstiegswillen zu stärken, dafür zu sorgen, daß das Mädchen auch wirklich eine Berufsausbildung durchmacht, die seinen Fähigkeiten entspricht, manchmal auch dafür, das Unverständnis der Eltern, die nicht bereit sind, Geld für eine Berufsausbildung auszugeben, zu besiegen.
Sie wissen, daß der Berufsraum der Frau wesentlich eingeengter ist als der des Mannes. Wir haben eine große Streuung von Lehrstellen für männliche Jugendliche und eigentlich nur relativ wenige Möglichkeiten für die Frauen. Wenn sie an die spezifischen Frauenberufe, wie wir sie manchmal nennen, denken, so spüren Sie sofort, welche Schwierigkeiten dahinterstecken, hier eine gute Vermittlung durchzuführen. Die Frauenberufe in der Land_ und Hauswirtschaft, die spezifischen Frauenberufe im Krankenhaus, im Kindergarten, im Heim erfordern ja ein ganz anderes Einfühlen, verlangen ein Eingehen auf persönliche Verhältnisse, charakterliche Eigenart und Kontaktfähigkeit mit anderen Menschen. Darum muß die Arbeitsvermittlung für die Frauen auch besonders individuell ausgerichtet sein. Sie erfordert fast in jedem Fall besonderes Verständnis für die persönlichen, familiären Verhältnisse und setzt häufig genug eine ausgesprochene Arbeitsberatung voraus. Denken Sie an die vielen berufsungewohnten und berufsentwöhnten Frauen, die Witwen oder die geschiedenen oder in Scheidung lebenden Frauen, die zum Arbeitsamt kommen und nun eine Hilfe, einen Rat brauchen, wo und wie sie ihre Arbeitskraft am besten einsetzen können. Neben dem großen Heer der ungelernten Frauen gibt es viel zu wenig Facharbeiterinnen und voll ausgebildete Kräfte der gehobenen Berufe, viel zu wenig Aufstiegsmöglichkeiten, aber auch Aufstiegswillen. Überlegen Sie auch einmal, was gerade die verheirateten Frauen der Vermittlerin an Sonderaufgaben stellen!
Das ganze Problem der Halbtagsarbeit für die verheirateten Frauen taucht hier auf, die Aufgabe, in einem 'erhöhten Maße Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, ohne den Bestand der Familie anzutasten und die körperliche und seelische Leistungsfähigkeit der Frau zu überfordern.
Oder denken Sie an das Problem der arbeitslosen Frau. Die arbeitslose Frau hat sich vielleicht leichter daran gewöhnt, sich dem Beruf zu entziehen,
wenn sie ihr Arbeitslosengeld oder ihre Arbeitslosenunterstützung erhält. Welche Arbeiten kann man ihr zumuten? Wie soll man ihren Arbeitswillen prüfen? Wann kann man eine Sperrfrist androhen? Es ist für eine Vermittlerin gar nicht immer so einfach, sich dazu durchzuringen, eine Sperrfrist, die sie für gerechtfertigt und nötig hält, zu verhängen. Dann kann es passieren, daß die Frau zu ihrem Vorgesetzten geht und die Vermittlerin feststellen muß: Tränen einer Frau rühren das Männerherz sehr viel mehr als ein Frauenherz. Auch in der sachlichen Welt der Arbeit spielt nämlich das Individuelle der Frau eine besondere Rolle. Es kommt gar nicht immer entscheidend darauf an, ob eine weibliche Arbeitskraft besonders tüchtig ist und sehr viele Berufskenntnisse hat, sondern manchmal sehr viel mehr darauf, wie sie dem Mann gefällt. Wir können das ganz offen sagen: es kann so weit gehen, daß in Einzelfällen daraus sogar eine Gefährdung des jungen Mädchens erwächst. Es ist auch eine Aufgabe der Berufsberaterin, der Jugendlichenvermittlerin, zu verhüten, daß ein Mädchen in eine solche Lehrstelle oder auf einen solchen Arbeitsplatz vermittelt wird, wo ihm diese Gefahren drohen können.
Es ist darum eine Selbstverständlichkeit, die gar nicht bestritten werden kann, daß die weiblichen Jugendlichen, auch die Schulabgängerinnen der höheren Schulen, die Abiturientinnen, in erster Linie von Frauen beraten werden und daß Frauen, die Arbeit suchen, von Frauen vermittelt werden müssen.
Es geht nicht allein darum, daß wir weibliche Fachkräfte haben, sondern es geht auch darum,
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daß diese weiblichen Fachkräfte durch weibliche Abteilungsleiterinnen und weibliche Führungskräfte bis in die höchsten Stellen hinein gestützt und gefördert werden. Ich darf vielleicht hier eine Zahl anführen, um zu zeigen, wieviel hier noch zu tun ist. In der Bundesanstalt gibt es zur Zeit 2591 Beamte; davon sind 81 weibliche Beamte. Sie können sich selbst ausrechnen, was das bedeutet, wie schwer sich der kleine Prozentsatz der weiblichen Führungskräfte .durchsetzen kann. Im höheren Dienst sind es nur 13 Beamtinnen. Es ist also wirklich ein Anliegen von uns Frauen, daß die Aufstiegsmöglichkeiten der weiblichen Fachkräfte innerhalb der Arbeitsverwaltung wesentlich ausgebaut und daß die Führungskräfte der Frauen wesentlich verstärkt werden, und zwar nicht um dieser Arbeitskräfte willen, sondern weil es das Anliegen von Millionen Frauen ist, die hier Rat, Hilfe und Zuflucht suchen.
Darüber hinaus darf ich noch ein Wort über die Frage sagen, wie die Fachkräfte innerhalb der Berufsberatung und -vermittlung von der Bundesanstalt betreut werden. Wir hoffen, daß diese immerhin doch junge und neu errichtete Anstalt in dieser Beziehung manches nachholt, was, wie mir scheint, noch nicht vollendet da ist. Wir brauchen einen Stamm von gut en Berufsberatern, männlichen und weiblichen. Wir brauchen einen Stamm von gut en Vermittlern.
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Das Schicksal vieler Menschen ist ihnen anvertraut. Denken Sie daran, welche entscheidende Bedeutung heute die Berufsberatung vielleicht für das ganze Leben eines Menschen hat. Deshalb müssen wir fordern, daß sowohl die Berufsberatung wie die Arbeitsvermittlung möglichst gute Fachkräfte haben, daß eine möglichst gute Auswahl erfolgt, daß man ihnen aber .auch Raum läßt, richtig und gut zu arbeiten. Es wurde vorhin schon darauf hingewiesen, daß die Berufsberater Zeit haben müssen. Die Berufsberatung, die eine so entscheidende Bedeutung in der heutigen Zeit hat, muß doch die Fähigkeit, die Zeit und ,die Möglichkeit haben, den jungen Menschen in seinen Fähigkeiten, seinen Neigungen, seiner sozialen Lage kennenzulernen, um ihm gut raten zu können, um ihm helfen zu können. Es freut mich, daß ,der neue Entwurf nach dieser Richtung hin eine wertvolle Ausweitung der Aufgaben der Berufsberatung bringt, besagt doch der § 59, daß .auch die Förderung, die vorbereitende, begleitende und nachgehende Betreuung des beruflichen Nachwuchses ein Ziel ist. Die Berufsberatung ist zwar in dem ganzen Gesetz nur in vier Paragraphen erwähnt.
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Ich möchte nicht annehmen, daß jemand daraus den Schluß zieht, ,daß sie nur eine geringe Bedeutung habe. Wir brauchen die Berufsberatung ja nicht nur für den jugendlichen Nachwuchs, der uns in den kommenden Jahren viel Sorge bereiten wird, sondern wir brauchen sie auch für alle Älteren, die umgeschult werden, für alle Beschädigten, die sich umstellen müssen, für alle Heimkehrer, die einen neuen Arbeitsplatz brauchen, auch für alle Frauen, die in späteren Jahren vielleicht an das Arbeitsamt kommen und erstmalig oder wieder einen Beruf suchen und einen guten Rat benötigen.
Wir brauchen wahrscheinlich auch eine Verstärkung des Personals, eine besondere Auslese und Betreuung der Fachkräfte. Die Bundesanstalt, die die Sorge für die Arbeitskraft der deutschen Bevölkerung zur Aufgabe hat, müßte auch in vorbildlicher Weise dafür Sorge tragen, daß die Auswahl von Fachkräften vorhanden ist, der man sich wirklich anvertrauen kann, damit sie in den kommenden Jahren die großen Aufgaben, die ihr gestellt sind, auch gut erfüllen kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Arbeit und auch der Kollege Sabel haben bei ihren Ausführungen zu dem vorliegenden Entwurf die Frage der Beitragsfreiheit für den Bergbau erwähnt. Herr Kollege Sabel wies darauf hin, daß dieser Zustand unerfreulich und daß die Meinung darüber sehr geteilt sei. Er sagte mit Recht: Ein Leistungsanspruch kann nur dann bestehen, wenn er durch echte Beitragszahlung erdient ist. Ich wäre sehr dankbar dafür gewesen und hätte mir meine Ausführungen ersparen können, wenn man zugleich darauf hingewiesen hätte, wie es dazu gekommen ist, daß der Bergbau in der heutigen Zeit von der Beitragsleistung befreit ist. Wenn man keine solche Erklärung dazu gibt, kann sehr leicht der Eindruck entstehen, daß für die gesamte Bergbauindustrie etwas Besonderes getan und daß diesem Industriezweig der Beitrag geschenkt werde. Ich sehe mich daher veranlaßt, zu dieser Frage einiges zu sagen, und möchte auf die Entwicklung in der zurückliegenden Zeit kurz eingehen, um dem Hohen Hause darzulegen, welche Gründe hierfür maßgebend sind.
Schon im Jahre 1931 war der Bergbau vorübergehend von dieser Beitragsverpflichtung befreit. Aber die wesentlichen Änderungen kamen durch das Wiederaufbaugesetz vom 21. Dezember 1937. In diesem Gesetz wurde folgendes festgelegt und mit Wirkung vom 1. Januar 1938 durchgeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt zahlten alle im Bergbau Beschäftigten wie auch die Unternehmungen den gleichen Beitrag wie alle übrigen Beschäftigten von je 3,25 %. Durch dieses Gesetz kam für den Bergbau insofern eine Regelung, als die im Untertagebetrieb beschäftigten Arbeiter und technischen Angestellten sowie die übertage beschäftigten Arbeiter von der Zahlung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung teilweise befreit wurden, indem dieser Beitrag von 3,25 auf 0,5 % herabgesetzt wurde. Der Anteil der Unternehmungen von 3,25 % blieb nach wie vor bestehen.
Die Verordnung vom 4. Oktober 1942 unterzog sowohl die Beitragsregelung wie den gesamten Aufbau der knappschaftlichen Kranken- und Rentenversicherung einer grundlegenden Änderung insofern, als es nur eine einheitliche Kranken- und Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte für den Bergbau mit Wirkung vom 1. Januar 1943 an gab. Diese Verordnung verfügte in § 16 Abs. 2 weiterhin, daß die Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung, also der Anteil von 0,5 % für die Beschäftigten und von 3,25 % für die Unternehmungen, zusammen zur knappschaftlichen Rentenversicherung verlagert wurde. Es entstand also praktisch keine Entlastung, sondern dieser Bei({0})
trag wurde zur knappschaftlichen Rentenversicherung überwiesen. Dieser Zustand ist bis heute geblieben.
Ich darf nun einmal darauf hinweisen, wie sich die Belastungen des Bergbaues einerseits zu denen der Industriezweige in der übrigen gewerblichen Wirtschaft andererseits heute verhalten. Der Bergbau hat heute für die Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Unfallversicherung eine Belastung von 38,5 %, in der übrigen gewerblichen Wirtschaft beträgt diese Belastung 21,7 %. Ich möchte Ihnen auch darlegen, wie sich das zusammensetzt: Der Beitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung beträgt 22,5 %, der Beitrag zur Krankenkasse 6 % - das sind 28,5 % -, hinzu kommt der Beitrag zu der Unfallversicherung, also zur Bergbauberufsgenossenschaft, von 10 %. Demgegenüber stellt man fest, daß der Beitrag zu den übrigen Berufsgenossenschaften außerhalb des Bergbaues im Schnitt bei 1,7 % liegt. Das liegt natürlich an den besonders gelagerten Verhältnissen im Bergbau, an den größeren Unfallgefahrenquellen und dergleichen mehr, was ich hier nicht näher aufzuzeigen brauche, weil ich glaube, daß es im allgemeinen bekannt ist, daß gerade der Bergbau wesentlich höhere Unfallziffern hat und somit auch einen höheren Beitrag zur Unfallversicherung zahlen muß.
Wir stellen also fest, daß zur Zeit eine Beitragsleistung von 38,5 % des Bruttolohns zu erfolgen hat und daß dem in der übrigen gewerblichen Wirtschaft 21,7 % gegenüberstehen. Legte man dem Bergbau jetzt noch einen neuen Beitrag auf, dann würde das bedeuten, daß man über 40 % hinauskäme. Das wäre bei der Lage im Bergbau einfach nicht tragbar. Ich glaube, daß diese Erklärung zu der Frage, die von meinem Kollegen Sabel angeschnitten worden ist, notwendig war, um hier auch darüber Klarheit zu schaffen, wie das Verhältnis ist.
Ich bin der Meinung, wenn man ernstlich die Absicht hat, einen Beitrag leisten zu lassen, dann kann es nur so sein, daß man die Beitragsleistung zur Rentenversicherung in Höhe von 22,5 % uni diesen Beitrag kürzt. Dann wird sich erweisen, daß man in der Rentenversicherung den notwendigen Zuschuß zahlen muß; denn die Renten müssen schließlich in dieser Weise weiter gewährt werden.
Ich hielt mich für verpflichtet, weil heute schon im Grundsatz über diese Vorlage gesprochen worden ist, diese Ausführungen zu machen, damit diese Dinge auch in dem zuständigen Ausschuß berücksichtigt werden. Ich bitte sehr darum, diese Beitragsregelung für den Bergbau sehr ernstlich zu überlegen und es so zu belassen, wie es zur Zeit ist. Sonst müßte ebenfalls in der Rentenversicherung eine Änderung herbeigeführt werden.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu dem soeben behandelten Gesetz, Punkt 1 der heutigen Tagesordnung.
Von dem Sprecher der SPD-Fraktion ist der Antrag gestellt, wie ich aus einer Notiz ersehe - ich habe ihn nicht selbst gehört -, das Gesetz nicht zu überweisen. Über einen solchen Antrag kann ich in der ersten Lesung nicht abstimmen lassen. § 79 der Geschäftsordnung lautet:
Am Schluß der ersten Beratung kann der Gesetzentwurf einem Ausschuß überwiesen werden. Er kann nur in besonderen Fällen gleichzeitig mehreren Ausschüssen überwiesen werden, wobei der federführende Ausschuß zu bestimmen ist.
In der ersten Beratung findet keine andere Abstimmung statt.
Da hier der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit gestellt ist, ist das der, der nach der Geschäftsordnung gestellt werden kann, wenn überhaupt über Überweisung abgestimmt werden soll. Damit erledigt sich der andere automatisch, wenn er angenommen wird.
Ich komme also zur Abstimmung über den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit. Wer diesem Überweisungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung ({0}) ({1}).
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesarbeitsminister zur Einbringung des Gesetzentwurfs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die im Jahre 1941 unter der Herrschaft des Nationalsozialismus eingeführte Krankenversicherung der Rentner hat die Mängel, die einer im Kriege entstandenen Regelung anhaften. Anstatt die Rentner in die Versicherungsgemeinschaft der Krankenkassen einzufügen und ihnen damit solidarisch gleichwertigen Schutz für den Fall der Krankheit zu geben, belastete man, weil dieser Weg damals gangbar war, ohne weitere Prüfung die Rentenversicherung der Arbeiter und die Rentenversicherung der Angestellten unter völliger Entlastung der Fürsorge mit sozialen Verpflichtungen, die sich heute für die Rentenversicherungen mit Hinblick auf ihre Hauptaufgaben als nicht tragbar erweisen. Denn wesentliche Aufgabe der Rentenversicherungsträger ist, den Versicherten eine ausreichende Invaliditäts- und Altersrente zu gewähren.
Im Krieg und in den ersten Nachkriegszeiten hat sich die Auswirkung dieser Neuordnung in Grenzen gehalten, die tragbar waren. Infolge des Mangels an Krankenhausbetten und an Arzneimitteln mußte bei der Gewährung der Leistungen zunächst äußerste Sparsamkeit eingehalten werden. Für jede Rente war den Krankenversicherungskassen ein monatlicher Krankenkassenbeitrag von 3,30 Mark zugesprochen worden. Hiervon trug der Rentner selbst 1 Mark. Ich weiß aus meinen Besprechungen aus der ersten Zeit nach dem Krieg, als ich die sozialpolitische Abteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes leitete, daß die verantwortlichen Leute aus den Ortskrankenkassen, wie sie mir erklärten, das Geschäft der Rentenversicherung nicht abgeben wollten, weil sie mit diesen 3,30 Mark Beitrag noch ein Geschäft machten.
In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, daß mit diesem Beitrag die Aufgaben der Krankenversicherung der Rentner nicht erfüllt werden können. Dieser Satz mußte mehrfach erhöht werden, zu({0})
letzt im August 1953 auf 5,85 Mark monatlich. Trotzdem hat sich gezeigt, daß auch dieser Betrag nicht ausreicht. Bei der Zugrundelegung dieses Betrags für die Durchführung der Rentnerkrankenversicherung bei den Ortskrankenkassen ist im Jahre 1954 ein Fehlbetrag von etwa 100 Millionen Mark aufgelaufen. Durch die willkürliche Regelung sind die Rentenversicherungsträger mit Verpflichtungen belastet, die in der Invalidenversicherung beinahe ein Zehntel des gesamten Beitragsaufkommens verbrauchen. Ich bin persönlich der Meinung, daß kein ordentlich gewähltes Parlament eine derartige Belastung der Rentenversicherungsträger festgelegt hätte. Wenn wir zu einer wirklichen Neuordnung der sozialen Leistungen kommen wollen, dann müssen wir die den Rentenversicherungsträgern willkürlich auferlegten Verpflichtungen auf ein tragbares Maß zurückführen. Ferner müssen wir die Rentner durch Aufnahme in die solidarische Gemeinschaft mit den beschäftigten Versicherten in ein Verhältnis des vollen Schutzes dieser Gemeinschaft bringen. Deshalb haben wir nach langen Besprechungen mit den maßgebenden Vertretern der Rentenversicherungsträger und der Krankenkassenverbände den vorliegenden Gesetzentwurf ausgearbeitet und legen ihn hiermit dem Hohen Hause vor. Eine ausführliche Begründung der einzelnen Bestimmungen finden Sie in der schriftlichen Begründung.
Die Gesetzesvorlage bringt eine reinliche Scheidung zwischen den Aufgaben der verschiedenen Trägern der Sozialversicherung. Es wird eine klare Abgrenzung zwischen der Krankenversicherung einerseits und der Invaliditäts- und Altersversicherung andererseits vorgenommen. Dabei sind wir uns völlig im klaren darüber, daß die Träger der Rentenversicherung auch künftig einen wesentlichen Beitrag für die Krankenversicherung der Rentner aufbringen sollen. Die im Gesetz vorgesehenen Leistungen der Rentenversicherungsträger an die Träger der Krankenversicherung sind eingehend mit den Vertretern der beiden Versicherungszweige erörtert worden. Ich glaube, daß die vorgesehene Regelung im Grundsatz den berechtigten Belangen der beiden Gruppen sehr nahe kommt.
Wir wollen auch, daß in der Zukunft nicht nur eine Kassenart - wie zur Zeit die Ortskrankenkassen - die Aufgaben der Rentnerkrankenversicherung durchführt. Vielmehr sieht das Gesetz vor, daß der arbeitende Mensch, wenn er Rentner wird, in der Krankenversicherungsgemeinschaft verbleibt, der er in seinem Arbeitsleben angehört hat. Der Rentenempfänger soll nach dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Krankenversicherung grundsätzlich dieselben Rechte haben, wie der Arbeitende sie hat.
Diese Eingliederung in die allgemeine Krankenversicherung bringt für die Rentner wesentliche Leistungsverbesserungen. Abgesehen davon, daß der Rentner in seiner Versichertengemeinschaft verbleibt, wird er künftig Zuschüsse zum Zahnersatz und zu den größeren Heilmitteln sowie ein Sterbegeld nach den gleichen Grundsätzen erhalten, wie sie für die beschäftigten Versicherten gelten. Damit werden langgehegte Wünsche der Rentner erfüllt.
Außerdem wird durch die Vorlage die Lücke im Versicherungsschutz beseitigt, die bisher zwischen der Beendigung des Arbeitslebens und der Feststellung der Rente bestand. Bisher schieden die
Versicherten mit der Beendigung des Arbeitslebens aus dem Schutz der Krankenversicherung aus, und der Schutz der Krankenversicherung der Rentner griff erst ein, wenn der Rentenbescheid zugestellt war. Sie waren in der Zwischenzeit auf die Fürsorge oder auf eine freiwillige Versicherung für diese Zeit angewiesen. Nunmehr ist gesichert, daß der Krankenversicherungsschutz keine Unterbrechung erleidet.
Ich halte es für erforderlich, daß diese Leistungsverbesserungen aufmerksam geprüft werden; diese wichtigen Maßnahmen haben in den Auseinandersetzungen um die Rentnerkrankenversicherung nicht genügend Beachtung gefunden. Es geht hier nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Versicherungsträgern, sondern es geht um den Menschen selbst und um die Verbesserung der Leistungen für ihn.
Zug um Zug mit diesen Leistungsverbesserungen müssen im Interesse der Versichertengemeinschaften gewisse Mißbräuche, die sich in unserer sozialen Krankenversicherung entwickelt haben, beseitigt werden. Ärzte und Krankenversicherungsträger legen mit Recht Wert darauf, daß die Ärzte nicht mit allerlei Bagatellfällen beschäftigt werden, damit sie sich dem ernstlich Erkrankten viel umfangreicher widmen können.
Wir haben deshalb in diesem Gesetz für alle Krankenversicherten eine gewisse, als minimal zu bezeichnende Selbstbeteiligung vorgesehen:
1. Die bisher schon in Teilen des Bundesgebietes bestehende Krankenscheingebühr wird in Höhe von -,50 DM für das ganze Bundesgebiet vorgesehen.
2. Der Versicherte wird in geringem Maße an den Arzneikosten beteiligt. Die Beteiligung beträgt ein Zehntel für den aktiv Versicherten und ein Zwanzigstel für den Rentner, wobei ein Höchstbetrag für den Aktiven von 3 DM und für den Rentner von 1,50 DM vorgesehen ist.
3. Das Gesetz sieht ferner vor, daß der Rentner, wenn er in ein Krankenhaus eingeliefert wird, einen gewissen Teil seiner Rente zur Deckung der Lebensunterhaltskosten im Krankenhaus mitverwendet. Ich glaube, daß diese Beteiligung gerechtfertigt ist, weil die Rente in der Zukunft ja den Lebensunterhalt sichern soll und weil für die Zeit des Krankenhausaufenthalts die Sicherung des Lebensunterhalts weitgehend im Zusammenhang mit der Unterbringung im Krankenhaus gewährt wird.
Wir kennen eine Selbstbeteiligung der Versicherten an den Leistungen der Krankenversicherung auch in den anderen europäischen Staaten. Die Anteile der Versicherten an den Arzneikosten betragen in Frankreich 20 %, in Belgien 25 %, in Luxemburg zwischen 10 und 20 %, in der Schweiz 10 bis 25 %. In Dänemark wird im allgemeinen für Arzneileistungen die 100%ige Bezahlung verlangt, während für lebenswichtige, listenmäßig genau erfaßte Präparate Zuschüsse von 25 bis 75 % gezahlt werden müssen.
Bei den Krankenhauskosten liegen die Dinge in den anderen Ländern folgendermaßen. In Frankreich hat der Versicherte zu den Krankenhausaufenthaltskosten 20 % zuzuzahlen. In Belgien ist hier keine einheitliche Regelung gegeben, sondern die Satzungen der einzelnen Kassen bestimmen den Prozentsatz. In Luxemburg ist dieser Betrag 25 %
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der Kosten. In der Schweiz schwankt er zwischen 10 und 25 %; dort wird dieser Betrag in den einzelnen Kantonen festgelegt. Auch in England trägt der Kranke ab 1. Juni 1952 einen Schilling - das sind 60 Pfennige - an jeder Verordnung.
Wir haben bei dem Entwurf schließlich auch Wert darauf gelegt, daß die bestehende Rechtszersplitterung bei den im Gesetz geregelten Fragen beseitigt und damit auf diesem Teilgebiet die Rechtseinheit wieder hergestellt wird.
Meine Damen und Herren! Wenn wir das Problem der Rentnerkrankenversicherung genau ansehen, dann müssen wir doch anerkennen, daß es nicht von Sozialpolitikern gemacht worden ist, denen das Wohlergehen der Versicherten vor Augen gestanden hat. In der nationalsozialistischen Zeit, das wissen wir doch, hat man das Geld zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben überall dort genommen, wo welches vorhanden war; auch die Deckungskapitalien der Rentenversicherungsträger, die für die zukünftigen Renten bestimmt waren, haben solchen Zwecken gedient. Ich glaube, daß die Väter des damaligen Gesetzes davon ausgegangen sind, daß sie in einer normalen Zeit das Monstrum ihres Gesetzes vor den Versicherten selbst nicht zu vertreten brauchten.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung des Herrn Ministers gehört. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Franz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Reform der Krankenversicherung der Rentner ist ein erster, konstruktiver Teil der geplanten großen Reform der Sozialversicherung.
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Daß gerade dieser Fragenkomplex zeitlich vorgezogen wurde, ist auf die außergewöhnlich große und ständig steigende finanzielle Belastung zurückzuführen, die gerade die Krankenversicherung der Rentner in den letzten Jahren für die Krankenkassen mit sich gebracht hat. Es ist nach meiner Auffassung müßig, heute darüber zu diskutieren, aus welchen letzten Motiven heraus die Nationalsozialisten im Jahre 1941 die Krankenversicherung der Rentner so gestaltet haben, wie wir sie heute vor uns sehen. Es ist durchaus möglich, daß man damals bereits die Unzulänglichkeit der Renten, die sich aus niedrigen Löhnen und Beiträgen früherer Jahre und Jahrzehnte errechneten, erkannte und sie durch die Gewährung einer kostenlosen Krankenversicherung echt strecken wollte, wobei man, der Linie des geringsten Widerstandes - wie gewohnt - folgend, die Mittel der Träger der sozialen Rentenversicherung in Anspruch nahm. Gewiß dachte man auch ein erstes Teilstück der für die Zeit nach dem „Endsieg" geplanten umfassenden Staatsbürgerversorgung zu verwirklichen. Auf diese Planung glauben wir die gefährliche Unsystematik der Regelung zurückführen zu müssen, die jetzt neben der Finanzmisere der Krankenkassen zur unabdingbaren Notwendigkeit einer Reform geführt haben.
Nachdem durch die Währungsreform die Ehrlichkeit des Geldes wiederhergestellt worden war, zeigte sich alsbald die Unhaltbarkeit der Situation.
Heute stehen wir vor der Tatsache, daß die Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kassen für alle sichtbar als das oberste soziale Gebot im Raume steht.
Es ist in diesem rein materiellen Zusammenhang auch von Bedeutung, daß die bisherige Unsystematik der Regelung der Rentnerkrankenversicherung beseitigt wird. Wir stellen im Rahmen der Reform der Sozialversicherung den Gedanken der Versichertengemeinschaft erneut besonders in den Vordergrund. Daher ist es zu begrüßen, wenn die Krankenversicherung der Rentner eine legitime Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung wird und keine Auftragsangelegenheit der Krankenkassen, die sie für die Rentenversicherung erledigen.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie bei der Diskussion um die zukünftige Gestaltung des § 178 der Reichsversicherungsordnung, die etwa vor einem Jahr in erneuter Heftigkeit entbrannte, von den einzelnen Kassen in besonderer Weise die enge Verbundenheit der Versicherten mit ihren Kassen hervorgehoben worden ist. Diese Schicksalsgemeinschaft kann sich nun in der Solidarität mit den Versicherten, auch wenn sie Rentner geworden sind, bewähren. Auf diesem Wege werden wir wohl gemeinsam in den kommenden Ausschußberatungen eine erste Möglichkeit suchen müssen, um die Probleme zu lösen, die uns die Krankenversicherung der Rentner stellt.
Ich habe in der kurzen Auseinandersetzung mit den Motiven, die die Nationalsozialisten zur gegenwärtig gültigen Regelung geführt haben mögen, betont, daß wir auch in der Krankenversicherung die Staatsbürgerversorgung ablehnen. Die Anhänger dieses Systems mißtrauen dem Willen und der Fähigkeit des einzelnen, seine Probleme zu lösen, sei es allein, sei es in Verbindung mit Menschen des gleichen Schicksals.
Der Schutz dieser Gemeinschaft kann aber nur denen zugebilligt werden, die während ihres Arbeitslebens Mitglied dieser Gemeinschaft gewesen sind. Daher haben wir gegen die Einschränkung der Mitgliedschaft in der Rentnerkrankenversicherung auf die Kreise, die in den letzten 5 Jahren vor Stellung des Rentenantrags mindestens 52 Wochen, sei es freiwillig, sei es pflichtversichert, in der Krankenversicherung gewesen sind, keine grundsätzlichen Bedenken.
Es ist heute in diesem Hohen Hause schon mehrmals die Rede davon gewesen, daß wir wieder danach streben müssen, die Selbsthilfe im Rahmen der natürlichen Lebensgemeinschaft der Familie zu stärken und zu beleben. Deshalb habe ich persönlich auch keine Bedenken dagegen, daß eine Krankenversicherung der Familie einem Krankenschutz aus einer eigenen Rente vorgezogen wird.
Die Fraktion der CDU/CSU ist, wie ich ausdrücklich betonen möchte, nicht glücklich darüber, daß im Rahmen der Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung an eine Beteiligung der Rentner an den Kosten gedacht werden muß, so angestrengt auch in gemeinsamer Arbeit nach einem Ausweg aus der finanziellen Misere gesucht worden ist.
Krankenscheingebühr und Arzneikostenbeteiligung scheinen uns dabei durchaus wert, ernsthaft durchdiskutiert zu werden. Ich denke, daß auch in diesem Hohen Hause mancher zittern müßte, wenn er gehalten wäre, das, was er auf Grund früherer
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ärztlicher Verordnung heute noch unverbraucht in seinem Nachtschränkchen liegen hat, auf einmal zu verzehren. Wir wollen hier keinerlei Anklage gegen Ärzte erheben, die angesichts der prekären Situation der Kassenärzte gegenüber einer unbilligen Forderung der Patienten, auch eines Rentners, einmal schwach geworden sind.
Wir weisen auch den Gedanken, die aufgeblähte Propaganda der Arzneimittelfabrikanten einzuschränken, als unrealistisch und undurchführbar weit von uns.
Wir sind nicht der Ansicht, daß der vorliegende Gesetzentwurf in diesem Punkte nicht primär sozialpädagogische Ziele verfolgt, aber wir halten es für möglich, daß mit der Krankenscheingebühr und dem Arzneikostenanteil der Trägheitskoeffizient mit dem Ziele eines Rückgangs der beängstigend gestiegenen Ausgaben der Kassen in Erscheinung treten könnte. Ich kann in diesem Zusammenhang nicht auf die oft beschworene Gefahr eingehen, daß kleiner Unkosten wegen die rechtzeitige Behandlung eines schweren Leidens verhindert und so in der Folgezeit weitaus größere Kosten verursacht werden könnten.
Ich glaube, es ist gestattet, in diesem Punkt an das Verantwortungsbewußtsein des einzelnen gegenüber seiner Familie und der größeren Gemeinschaft zu erinnern; er wird sich auch durch eine Krankenscheingebühr von 50 Pfennig für den Beschäftigten und 25 Pfennig für den Rentner nicht vom rechtzeitigen Gang zum Arzt abhalten lassen. Was aber im Ausschuß ernsthaft geprüft werden muß, ist die Frage, ob diese Kostenbeteiligungen und Gebühren wirtschaftlich so zugunsten einer Besserung der Lage der Kassen ins Gewicht fallen, daß der Verwaltungsaufwand und die effektive Belastung der Rentner gerechtfertigt erscheinen.
Ich darf nicht verschweigen, daß in der Fraktion der CDU/CSU größte Bedenken bestehen gegen die in dem Gesetzentwurf verankerte Beteiligung der Rentner an den Kosten des Krankenhausaufenthalts vom 11. Tage an in der Höhe von 40 % des auf den Tag entfallenden Teils der Rente. Das Argument, daß die Rentner im Krankenhaus ja voll versorgt werden, können wir nur mit größter Einschränkung zur Kenntnis nehmen. Eine ganze Reihe fixer Ausgaben, die auch während des Krankenhausaufenthalts weiterlaufen, fallen bei der bekannten und oft beklagten geringen Höhe der Rente schon ins Gewicht. Nicht übersehen sein soll auch das Schicksal verheirateter Rentner, deren einer Teil allzu häufig durch den Krankenhausaufenthalt des anderen in bittere Not und akute gesundheitliche Gefährdung gerät. Die Beteiligung der Rentner an den Kosten des Krankenhausaufenthalts muß im Ausschuß mit besonderem Ernst geprüft werden.
Die Kosten der Rentnerkrankenversicherung werden auch künftig wesentlich durch die Beiträge der Rentenversicherungsträger gedeckt werden. Die Regelung, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Gegensatz zur bisherigen Lösung vorsieht, ergibt nach sorgfältigen Berechnungen einen Betrag, der zwischen 6 und 7 DM liegt, also ungefähr auf der Höhe, die die berechtigten Forderungen der Ortskrankenkassen in Kürze erreichen würden, wenn die seit 1941 gültige Regelung Gesetz bleiben sollte. Daraus geht ganz klar und deutlich hervor, daß neben der Neufestsetzung der Beiträge trotz aller sozialer Bedenken Mittel und
Wege gesucht werden müssen, um die bereits an- geschnittene Kardinalaufgabe zu lösen, nämlich die Kassen finanziell gesund und leistungsfähig zu erhalten.
Eine Würdigung, die weit über den Rahmen des im Gesetzentwurf Festgelegten hinausgeht, erfordert die Regelung der Übergangsverhältnisse. Es dürfte wohl untragbar sein, Rentnern den Schutz der Krankenversicherung nach alter Regelung, den sie heute genießen, angesichts der niedrigen Renten wegzunehmen. Wir sind auch der Ansicht, daß trotz der versicherungsmathematisch zu geringen Beiträge für die bisher mögliche Zusatzsterbeversicherung diese Beiträge keine befriedigende Würdigung finden und die Wahrung des Besitzstandes bewirkt werden muß.
Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Einzelfragen, die in den Ausschußberatungen geklärt werden müssen. Daß die Zeit bei der schweren finanziellen Situation der Kassen drängt, soll nicht dazu führen, daß dieses erste Teilstück der großen Reform der Sozialversicherung ungenügend durchgearbeitet wird.
Ich beantrage, den Entwurf der Regierung an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verkennt nicht, daß der Gesetzentwurf für die Krankenversicherung der Rentner in einigen Punkten Nachteile beseitigt. So ist es auch nach Ansicht meiner Fraktion - darin stimmen wir dem Herrn Minister zu - zu begrüßen, daß dem Rentner die Möglichkeit gegeben wird, bei seiner früheren Kasse, Betriebs- oder Ersatzkasse, zu bleiben. Wir halten das im Rahmen des Systems der sozialen Krankenversicherung, wie es hier besteht, für sinnvoll, wenn wir uns auch darüber klar sind, daß sich durch das neue System, das geschaffen werden soll, möglicherweise eine Komplizierung des Verwaltungsapparats ergibt.
Wir sind weiter mit der Bundesregierung und dem Sprecher der CDU der Ansicht, daß es zu begrüßen ist, wenn durch diesen Gesetzentwurf der Mißstand, auf den wir schon bei früherer Gelegenheit hingewiesen haben, daß die Leistung der Rentnerkrankenversicherung bisher erst mit Erteilung des Rentenbescheids einsetzte, beseitigt wird. Wir haben in anderem Zusammenhang hier im Hause, zuletzt in einer Fragestunde, darauf hinweisen müssen, daß leider zwischen Antragstellung und Bewilligung der Rente viele Monate vergehen. Der Herr Minister hat in Aussicht gestellt, daß der Zeitraum kürzer werden soll. Wir hoffen sehr, daß das bald Wirklichkeit werden wird.
Wir sind sehr froh, daß die große soziale Belastung der Menschen, die nicht mehr arbeiten, einen Rentenantrag stellten und bisher ohne Leistungen der Krankenhilfe waren, nun durch diesen Gesetzentwurf beseitigt werden soll, indem keine Unterbrechung des Krankenversicherungsschutzes mehr eintritt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt auch mit der Regierung darin überein, daß nun in bezug auf die Gewährung der Leistungen
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im Rahmen der Rentnerkrankenversicherung grundsätzlich der Rentner dem sonstigen Versicherten gleichgestellt werden soll. Wir haben das, meine Damen und Herren, darauf darf ich aufmerksam machen, hier im Hause am 18. März 1953 beantragt. Seinerzeit wurde dieser unser Antrag auf Umdruck Nr. 802 insgesamt abgelehnt. Um so mehr erfreut sind wir heute, daß die Bundesregierung im Grundsatz der vollen Leistungsanpassung zwischen Rentner und Pflichtversichertem zustimmt. „Vollen" ist leider nicht ganz richtig - ich muß da eine Einschränkung machen -, denn leider enthält der Gesetzentwurf - darauf werde ich noch zu sprechen kommen - auch in bezug auf die Gleichstellung der Leistung in zwei sehr wichtigen Punkten ein für den Rentner nachteiliges Recht.
Mit diesen von mir erwähnten Verbesserungen, die wir, wie gesagt, anerkennen, erschöpfen sich aber die Punkte, die wir begrüßen können. Hätte die Bundesregierung in ihrer Gesetzesvorlage diese Dinge, diese bisherigen Mißstände geregelt, so hätte sie die Zustimmung aller Rentner und auch die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gefunden. Das hat aber die Bundesregierung leider nicht getan, sondern sie nimmt die Beseitigung von Mißständen in der Rentnerkrankenversicherung, diesen Gesetzentwurf, zum Anlaß, eine strukturelle Veränderung im Bereich der Rentnerkrankenversicherung durchzuführen. Nicht nur das, sondern auch der gesamte Leistungsbereich in der Krankenversicherung auch für die Versicherten wird beschnitten. Die Presse hat mit Recht schon vor Monaten darauf hingewiesen, daß es sich um einen Modellversuch für die Sozialreform handle, und Herr Kollege Dr. Franz hat das noch konkretisiert. Sie haben das, was uns hier vorliegt, sogar als einen konstruktiven Beginn für die Sozialreform bezeichnet; ich werde darauf noch zu sprechen kommen, Herr Kollege Dr. Franz. Das erfüllt uns mit sehr großer Sorge; das darf ich jetzt schon sagen.
Nun hat der Herr Bundesarbeitsminister in seiner Begründung darauf hingewiesen, daß diese strukturelle Änderung gegenüber dem geltenden Recht wegen der Systematik der Sozialversicherung und der Versicherungszweige, wenn ich ihn recht verstanden habe, notwendig sei. Damit kommen wir zu einer prinzipiellen Frage, nämlich: was ist die Aufgabe der Rentenversicherung? In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns von dem Herrn Bundesarbeitsminister. Wir stehen nämlich auf dem Standpunkt, daß zur Sicherung des Alters des Menschen auch seine volle gesundheitliche Sicherung gehört.
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Von uns wird die Frage, wer diese Aufgabe zu übernehmen hat - Träger der Rentenversicherung oder Träger der Krankenversicherung -, in dieser Hinsicht nicht so sehr theoretisch, sondern unter dem Gesichtspunkt einer sozialpolitischen Zweckmäßigkeit gesehen. Es ist aber ein Irrtum, Herr Kollege Dr. Franz, wenn Sie der Meinung sind, daß das, was heute in der Krankenversicherung der Rentner geltendes Recht ist, Staatsbürgerversorgung sei. Davon kann gar keine Rede sein, denn die Leistung der Rentnerkrankenversicherung erhält nur der Rentner, nicht jeder Staatsbürger, nur derjenige, der einen Rechtsanspruch auf Rente durch Beiträge erworben hat.
Das ist auch eine versicherungsmäßige Leistung; darüber muß man sich im klaren sein.
Nun kommt die Strukturveränderung, die die Bundesregierung vollziehen will, gesetzestechnisch darin zum Ausdruck, daß die Rentnerkrankenversicherung nicht im Vierten Buch der Reichversicherungsordnung - Rentenversicherung -, sondern im Zweiten Buch - Krankenversicherung - geregelt werden soll und damit, wie der Herr Bundesarbeitsminister hier ausgeführt hat und wie wir auch in der Begründung zur Regierungsvorlage nachlesen können, zu einer Aufgabe der Krankenversicherung werden soll. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sowohl hier wie in der Regierungsbegründung darauf hingewiesen, daß das den Funktionen der Krankenversicherung entspringe, und gesagt - ich darf aus der Begründung der Regierungsvorlage vorlesen -:
Dies entspricht dem die Sozialversicherung beherrschenden Grundsatz der Solidarität, von der die Rentner nicht ausgeschlossen sein dürfen.
Das ist die Regierungsbegründung.
Herr Bundesarbeitsminister, dieser Ausdruck „Solidarität", von der die Rentner nicht ausgeschlossen werden dürfen, ist ein imposantes Wort. Aber wie sieht - und damit habe ich mich auseinanderzusetzen - die sozialpolitische Realität nach diesem Gesetzentwurf aus? Ich muß dazu einige ganz wenige Bemerkungen über den Unterschied zwischen den Aufgaben von Krankenversicherung und Rentenversicherung machen, weil der Herr Bundesarbeitsminister darauf so großen Wert legt.
Die Krankenversicherung deckt ihrem Wesen nach heute ein kurzfristiges Risiko: Krankheit; darauf ist sie in ihrer gesamten Technik eingestellt. Dagegen hat die Rentenversicherung - das ist ihre Aufgabe und Technik - ein langfristiges Risiko zu decken. Jetzt soll durch diesen Gesetzentwurf die Krankenversicherung der Rentner aus dem Zweig der langfristigen Versicherung dem Versicherungszweig, der ein typisch kurzfristiges Risiko deckt, zugeführt werden. Das ist der eine Tatbestand.
Zweitens kommt der Unterschied in der Struktur zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung heute darin zum Ausdruck, daß in der Rentenversicherung der einzelne Versicherte im Grundsatz sein ganzes Arbeitsleben bei dem gleichen Träger verbleibt; im Grundsatz, abgesehen von den Fällen der Wanderversicherung, in denen jemand vom Arbeiter zum Angestellten wird. Das ist aber bei der Krankenversicherung, der nun das Altersrisiko des alten Menschen durch dieses Gesetz auferlegt werden soll, keineswegs der Fall. Es besteht hier eine außerordentlich starke, wie man technisch sagt: Fluktuation der Versicherten. Fast mit jedem Arbeitsplatzwechsel tritt ein Wandel ein. Ein Versicherter arbeitet in einem Betrieb, bei dem er in einer Betriebskrankenkasse versichert ist, und dann kommt er in einen anderen Betrieb, bei dem er in der Allgemeinen Ortskrankenkasse versichert sein muß. Wir haben also in der Krankenversicherung eine viel stärkere Fluktuation als in der Rentenversicherung. Nun wird durch diesen Gesetzentwurf die altersmäßige Belastung des Rentners der Krankenkasse auferlegt, bei der er mehr oder weniger zufällig in den letzten fünf Jahren vor Stellung des Ren({2})
tenantrags versichert war. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Systematik, auf den der Herr Bundesarbeitsminister solchen Wert gelegt hat, zu erörtern und zu prüfen.
Wirtschaftlich - darauf haben sowohl der Herr Bundesarbeitsminister wie der Herr Kollege von der CDU Wert gelegt - stellt sich die Lage so dar, daß die Krankenversicherung entsprechend ihren Aufgaben nur verhältnismäßig geringe Rücklagen für kürzere saisonbedingte Schwankungen bildet, während - jedenfalls nach Ihrer Konzeption ist das so; ich will hier nicht über Deckungspolitik der Rentenversicherung sprechen - nach der Konzeption der Mehrheit dieses Hauses die Rentenversicherung Reserven für längere Zeiträume bereitzuhalten hat. Wenn Sie der Krankenversicherung als einer Institution mit einem sehr schnellen Umschlag die Alterslast für einen Rentner auferlegen wollen, der zufälligerweise bei dieser Krankenkasse versichert war, dann begründen Sie finanzwirtschaftlich die Notwendigkeit, Altersreserven in der Krankenversicherung zu bilden. Wir können das im einzelnen noch erörtern, Herr Minister. Sie haben sich jedenfalls in anderem Zusammenhang - ich möchte das hier nicht im einzelnen zitieren - nachdrücklich gegen gewisse Versuche gewandt, nach dem bisher geltenden Recht Altersreserven in der Krankenversicherung zu bilden. Ungeachtet dieser Tatbestände sagt der Gesetzentwurf, die Rentnerkrankenversicherung soll in Zukunft eine Angelegenheit der Krankenversicherung werden. Damit wird - und das ist der Sinn; Sie haben sogar gesagt, das sei im Interesse des Versicherungsgedankens außerordentlich wichtig - einem Bereich, der auf kurzfristige Dinge eingestellt ist, der keine Rücklagen bildet, dieses Altersrisiko auferlegt.
Nun kommt das für uns Entscheidende, die Folgerung daraus: Man nimmt die Rentnerkrankenversicherung von dem Bereich der Rentenversicherung fort, der finanziell verhältnismäßig der stärkste ist und der ein Ausgleichsverfahren hat. Da nimmt man diese Alterslast unserer Rentner fort und überträgt sie auf eine große Anzahl von Institutionen der Krankenversicherung, auf über 1000, fast 2000 einzelne Krankenkassen, die untereinander keinen Finanzausgleich haben. Wirtschaftlich ist die Sache so, daß man die Rentnerkrankenversicherung aus all den Gründen, die wir noch zu erörtern haben, auf das finanziell schwächste Glied der deutschen Sozialversicherung überträgt. Das scheint uns keine sehr glückliche Sache zu sein.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. In der Rentenversicherung ist gesetzlich der Staatszuschuß, die Staatsgarantie verankert. Für die Rentner hat letztlich der Bund die Sicherung zu tragen. Wir haben uns darüber in anderem Zusammenhang schon oft unterhalten. Jetzt wird durch dieses Gesetz von einem Bereich mit Staatszuschüssen, mit Staatsgarantie der Rentenversicherung die Aufgabe der altersmäßigen Sicherung bei Krankheit, die im Alter, wie wir wissen, einen erhöhten Bedarf nach sich zieht, von den Einrichtungen mit Staatsgarantie und mit Bundesmitteln wegverlegt. Wir sehen da Hintergründe, Herr Bundesarbeitsminister,
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von einem anderen Ministerium her, die Tendenz
- das kann man nicht bestreiten, und jeder, der
die Dinge intern kennt, weiß das -, den Versuch,
den Staatszuschuß und die Staatsgarantie für die Rentenversicherung zu entlasten. Das scheint uns eine sozialpolitisch und finanzwirtschaftlich schlechte Sache zu sein. Dafür, Herr Bundesarbeitsminister, sollte man nicht das Wort „Solidarität" verwenden,
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um das ganz klar und deutlich zu sagen.
Nun hat aber die grundsätzliche Veränderung, die in Aussicht genommen werden soll, vielfältige sozialpolitische Auswirkungen: einmal die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises.
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Wir haben uns in diesem Hause in den Jahren 1952 und 1953, als wir die Fragen der Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner besprochen haben, darüber sehr eingehend unterhalten. Damals kam von den Regierungsparteien ein Antrag, der uns sehr in Erstaunen versetzte, durch den der Begriff der Schutzbedürftigkeit, dieser fragwürdige Begriff, in die Rentnerkrankenversicherung eingebaut werden sollte. Wir haben darüber sehr ernste Auseinandersetzungen gehabt, und, Herr Kollege Horn, Sie selbst haben dabei gesagt - und haben dadurch unsere Sorgen vermindern wollen -, es sei doch nicht zu vertreten, daß Menschen, die heute die Rente als eine angenehme Zugabe zu ihrem sonstigen Einkommen bezeichnen, die also nicht schutzbedürftig sind, die Leistung der Rentnerkrankenversicherung bekommen. Wir haben damals Bedenken dagegen geäußert, und auch Herr Minister Dr. Schäfer hat seinerzeit gegen den Begriff „Schutzbedürftigkeit" vom Standpunkt seiner Fraktion Bedenken erhoben. Aber was hier in dem Regierungsentwurf steht, Herr Minister - muß ich jetzt sagen -, ist noch viel weitergehend und sozialpolitisch viel unerfreulicher als das, was mit „Schutzbedürftigkeit" umrissen war.
Gegen unsere Stimmen wurde seinerzeit beschlossen, die Regierung zu beauftragen, einen Gesetzentwurf über die Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung vorzulegen, in den der Begriff der Schutzbedürftigkeit der Rentner aufgenommen wurde. Offenbar in Ausführung dieses Beschlusses des Bundestags vom Februar 1953 hat nun die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf den Kreis der anspruchsberechtigten Rentner eingeschränkt, und zwar nicht nach dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit, sondern nach anderen Merkmalen, die uns sehr schwer verständlich sind. Künftig soll Leistungen der Rentnerkrankenversicherung nur der erhalten, der in den letzten fünf Jahren ein Jahr krankenversichert war. Was bedeutet das praktisch? - und das ist unser sozialpolitisches Anliegen -: es bedeutet erstens, daß alle die, die eine Rente auf Grund freiwillig entrichteter Beiträge erhalten - das ist beispielsweise die große Masse der Hausfrauen, die, wie wir sagen, freiwillig weiterkleben, die in der Regel selbst nicht Mitglieder eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung sind -, primär keinen Anspruch auf Rentnerkrankenversicherung erwerben. Das bedeutet zweitens, daß die Angestellten - Herr Kollege Schneider, ich hoffe, Sie haben sich damit auseinandergesetzt -, die wegen Überschreitens der Einkommensgrenze zwar rentenversichert, aber nicht mehr krankenversichert
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sind und die vielleicht eine private Krankenversicherung wählen, nicht mehr leistungsberechtigt sind. Das ist wichtig, weil uns eine Vorlage zur Änderung von § 178 RVO vorliegt, nach der die Möglichkeit, freiwillige Versicherung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu wählen, eingeschränkt werden soll. Sie nehmen also den Menschen die Möglichkeit, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben, und dann sagen Sie durch diesen Gesetzentwurf: Derjenige erhält auch später keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung. Das ist außerordentlich bedenklich.
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Drittens möchte ich hier einmal die Vertreter des Handwerks ansprechen. Wir haben eine Handwerkerpflichtversicherung. Darüber muß noch vieles gesagt werden, und dazu wird in diesem Hause bei anderer Gelegenheit etwas gesagt werden müssen. Diejenigen, die die Handwerkerpflichtversicherung gewählt und nicht eine Lebensversicherung abgeschlossen haben, sind also rentenversichert. Die überwiegende Mehrzahl dieser Personen ist aber nicht gleichzeitig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Handwerker verlieren durch diesen Gesetzentwurf, wenn er Wirklichkeit wird, den Leistungsanspruch auf die Rentnerkrankenversicherung. Heute erhalten alle Rentner die Leistung der Rentnerkrankenversicherung.
Durch diesen Gesetzentwurf wird also für drei nicht unwichtige Personengruppen diese Leistungsgewährung in Frage gestellt, nämlich dann, wenn sie nicht zufälligerweise in einer gesetzlichen Krankenversicherung sind. Das ist um so merkwürdiger - das bitte ich auch zu überlegen -, als für denselben Personenkreis, nämlich die sogenannten Markenkleber, vom 1. April dieses Jahres an der Beitrag zur Rentenversicherung tatsächlich um 10 % erhöht worden ist. Das sind diejenigen, die nicht gleichzeitig arbeitslosenversichert sind. Die Personen zahlen also mehr, und was wollen Sie tun? Sie beschränken auf der andern Seite die Leistungsberechtigung dieser Menschen, indem Sie sie von der Leistungsberechtigung in der Rentnerkrankenversicherung, die sie jetzt haben, ausschließen wollen. Wir halten das also für keine glückliche Lösung und sind der Meinung, daß die „Schutzbedürftigkeit", gegen die wir schon vor Jahren gekämpft haben, hier eine Konkretisierung, findet, die noch viel verhängnisvoller ist, als wir jemals geahnt haben. Denn das sind keine sozialen Maßstäbe nach Einkommen, sondern hiervon kann auch die Frau betroffen werden, die freiwillig weitergeklebt hat und die Mindestrente erhält, die vielleicht Zimmer vermietet hat usw., die also sozial in hohem Maße schutzbedürftig ist. Und diesen Frauen wird der Leistungsanspruch auf die Rentnerkrankenversicherung durch diesen Gesetzentwurf genommen.
Wir sind der Überzeugung, daß diese Vorschriften, die theoretisch mit einer Leistungsabgrenzung zwischen Kranken- und Rentenversicherung begründet werden, im sozialpolitischen Ergebnis - und darauf kommt es uns an - sehr bedenklich sind.
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Es ist ein sehr schwacher Trost, meine Damen und Herren, wenn Sie in den Übergangsvorschriften die Möglichkeit vorsehen, daß sich derjenige, der bei Inkrafttreten des Gesetzes Rentner ist, freiwillig
weiterversichern kann, auf seine eigenen Kosten, von seiner Rente, mit dem vollen Beitrag. Für denjenigen, der arbeitet, wird über den Betrieb in der Regel immerhin die Hälfte gezahlt; ob aus seinem eigenen Arbeitsergebnis oder nicht, wollen wir nicht untersuchen. Also dieser Mensch, der Rentner ist und diese technischen Voraussetzungen nicht erfüllt, kann sich seinen Krankenversicherungsschutz, den er als alter Mensch dringend benötigt, nur dadurch weiter erhalten, daß er von seiner vielleicht sehr bescheidenen Rente einen Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung leistet. Das halten wir für außerordentlich bedenklich. Wir sehen darin - das müssen wir Ihnen, meine Damen und Herren, mit allem Nachdruck sagen - eine Beeinträchtigung der Lebenshaltung sehr vieler alter Menschen. Die Regierung wird uns nicht sagen, wie groß der Personenkreis ist. Dazu ist die Regierung nicht in der Lage. Wir werden im Ausschuß natürlich versuchen, genauer festzustellen, wie groß der Personenkreis ist. Nach all dem, was ich weiß, muß ich befürchten, daß der Personenkreis erheblich ist.
Nun kommt etwas, was mir unter den Prinzipien, die der Herr Minister als Versicherungsprinzipien bezeichnet hat, völlig unverständlich ist. Nach dem Gesetzentwurf sollen die Träger der Rentenversicherung an die Krankenkassen für die Aufgaben der Rentnerkrankenversicherung einen bestimmten Beitrag, wenn er auch unzureichend ist - darüber werden wir uns auch noch zu unterhalten haben -, leisten. Aus dem Beitragsaufkommen der Rentenversicherten, aller Rentenversicherten, wird nicht für alle Rentenversicherten, nicht für alle, die die Beiträge zahlen, ein Teil für Beiträge der Rentnerkrankenversicherung abgezweigt. Diese Leistung - denn was die Rentenversicherung an Beitrag zahlt, ist eine Leistung aus dem Beitragsaufkommen der Rentenversicherung; ob sie nun 5 DM oder 6 DM monatlich beträgt, das ist eine technische Frage - erhält nur ein Teil der Rentner, und zwar nach Merkmalen, die mit der Rentenversicherung nicht das geringste zu tun haben, nämlich damit, ob er zufällig - unter dem Gesichtspunkt der Rentenversicherung zufällig - in den letzten fünf Jahren vor dem Rentenantrag ein Jahr bei irgendeiner Krankenkasse versichert war. Das schlägt doch den Grundsätzen der versicherungstechnischen Gerechtigkeit, für die Sie in diesem Hause immer mit besonderem Nachdruck eintreten, geradezu ins Gesicht. Es ist doch unmöglich, daß die Rentenversicherung einem Teil ihrer Versicherten bestimmte Leistungen nicht gewährt. Ich weiß nicht, was da herauskommen soll, wenn das einmal zu einer Klage vor den höchsten Gerichten führt. Das scheint mir - um es mal deutlich zu sagen - in der Konsequenz nicht gründlich genug überlegt worden zu sein, obwohl der Auftrag zu dem Gesetzentwurf schon 1953 an die Regierung gegeben worden ist.
In Auswirkung der Prinzipien dieses Gesetzes werden aber auch noch unmittelbar Leistungseinschränkungen vorgenommen; Herr Kollege Dr. Franz hat das als sehr sinnvoll bezeichnet. Bisher hatte der Rentner unbedingt einen eigenen Leistungsanspruch. Jetzt wird dieser Leistungsanspruch mit einer Rangfolge 1 zu einem Anspruch, der gegenüber dem Anspruch auf Familienhilfe zurücktritt. Wer nämlich einen Anspruch auf Familienhilfe hat, erhält die Leistung der Rentnerkrankenversicherung nicht mehr. Meine Damen und
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Herren, das ist keine theoretische Sache. Herr Kollege Schneider, Sie werden es mir bestätigen: die Leistungen der Familienhilfe sind Leistungen nicht nur minderen Rechtes, sondern auch minderer Güte in der Krankenversicherung. Anspruch auf Familienhilfe besteht, wenn die Ehefrau, die früher gearbeitet hat, weiterklebt. Sie erhält keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung nach diesem Gesetzentwurf, sondern sie wird verwiesen auf die Leistungen der Familienhilfe mit all den Kann-Vorschriften, Kostenbeteiligungen, Beschränkungen bezüglich der Krankenhauspflege usw., die wir dort leider haben. Das scheint uns auch eine empfindliche Leistungsbeschränkung zu sein, die sachlich in keiner Weise vertreten werden kann.
Dabei bin ich erst am Anfang der Leistungseinschränkungen. Jetzt kommt das ganze Register, über das die sozialpolitische Diskussion geht. Wie es in der Begründung knapp heißt, wird im gesamten Bundesgebiet eine Krankenscheingebühr eingeführt, die in Angleichung an die veränderten Lohn- und Preisverhältnisse auf 50 Pfennig erhöht werden soll, während heute überwiegend keine Krankenscheingebühr erhoben wird. Der Sinn - das hat sowohl der Herr Minister gesagt wie Herr Kollege Dr. Franz von der CDU - der Einführung der Krankenscheingebühr ist, Bagatellfällen .zu begegnen.
Meine Damen und Herren, wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion verkennen gar nicht, daß in einer vielleicht nicht unerheblichen Zahl von Fällen ein Krankenschein unnütz genommen wird und damit auch der Arzt vielleicht unnütz in Anspruch genommen wird. Man kann das statistisch nicht genau feststellen, aber die anwesenden Damen und Herren Ärzte werden das aus ihrer Berufserfahrung bestätigen. Nun entsteht aber folgende Frage. Wenn also Versicherte - wenige oder viele, ich kann es nicht untersuchen - es am Verantwortungsbewußtsein mangeln lassen, vielleicht auch veranlaßt durch gewisse Praktiken, die man als Krankenscheinmacherei bezeichnet - ich will das gar nicht hier anrühren -, wenn dem so ist, soll dann die Gesamtheit der Versicherten einschließlich der Rentner - also auch die sozial Schwachen - für die Verantwortungslosigkeit eines Teils der Versicherten in dieser Weise belastet werden? Herr Dr. Franz hat gesagt, diese Regelung im Hinblick auf die Bagatellfälle sei sehr sinnvoll, und er habe keine Sorge, daß dadurch - so haben Sie wörtlich ausgeführt - die Früherfassung von schweren Krankheiten unterbleibe. Herr Dr. Franz, das ist sehr theoretisch gesprochen. Ob eine Krankheit eine leichte oder eine schwere wird, das weiß man erst, wenn sie zu Ende ist.
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Das ist doch das entscheidende Merkmal: niemand weiß, ob gewisse Krankheitsbeschwerden, die den einzelnen veranlassen, zum Arzt zu gehen, zu einer schweren oder leichten Krankheit führen. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß es der Früherfassung von Krankheiten und damit der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge dient, die bei uns - ich glaube, das ist einheitliche Meinung im Hause - noch sehr zurückgeblieben ist, wenn Krankenscheine auch in leichten Fällen in Anspruch genommen werden. Wir haben uns im Ausschuß in anderem Zusammenhang damit beschäftigt. Ich möchte Ihnen die Dinge ganz klar und unmißverständlich sagen. Wir meinen, daß es besser ist, wenn Ärzte vielleicht hundertmal voreilig
aufgesucht werden, als daß nur einmal der Arzt zu spät aufgesucht wird.
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Das ist für uns eine sehr wichtige Angelegenheit.
Durch die Einführung dieser Krankenscheingebühr wird die Früherfassung von Krankheiten bei den sozial Schwachen beeinträchtigt. Darauf kommt es an. Denn 50 Pfennig spielen bei einer Familie mit geringerem Einkommen, vielleicht mit mehreren Kindern, insbesondere am Tage vor der Lohnzahlung und bei den Rentnern am Monatsende eine beachtliche Rolle.
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Ich glaube, das ist eine Lebenserfahrung. Wir wollen die Dinge doch einmal ganz praktisch sehen. Familie mit einigen Kindern! Wer mehrere Kinder hat, weiß, daß, wie wir Berliner sagen, alle Nase lang ein Kind krank ist. Es hat Fieber, erhöhte Temperatur. Die Methode der Krankenscheingebühr verhindert die frühzeitige Inanspruchnahme des Arztes. Dann besteht gerade in sozial schwachen Bevölkerungskreisen die Gefahr, daß man denkt: Ach, das Fieber geht schon wieder weg, das war x-mal so, wir warten! - Und das wollen wir gerade nicht. Ich wäre sehr dankbar dafür, wenn die Damen und Herren Ärzte, mit denen wir uns bei einem anderen Gesetz sehr ernsthaft unterhalten haben, hier von der Tribüne des Hauses zu dieser Frage der Früherfassung von Krankheiten ihre Meinung sagten.
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Wir halten die Krankenscheingebühr für eine bedenkliche Sache, und zwar nicht nur wegen der zusätzlichen Belastung der versicherten Rentner - deswegen auch -, sondern gerade unter dem Gesichtspunkt einer aktiven Gesundheitspolitik. Ich hoffe, daß wir uns in diesem Hause wenigstens in dieser Hinsicht einig sind. Wir halten den Regierungsentwurf deshalb für verhängnisvoll.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben auf ausländische Beispiele hingewiesen. Da sind sorgfältig die Fälle zusammengestellt worden, in denen es eine Krankenscheingebühr gibt. Diese Fälle sind auch im Ausland selten, und das Material, das wir im Ausschuß sehr gern im einzelnen diskutieren werden, ist, wenn ich so sagen darf, ein bißchen einseitig zusammengestellt.
In dem Gesetzentwurf ist weiter vorgesehen, daß die Versicherten an den Kosten für Arzneien beteiligt werden sollen. Es wird gesagt, daß dadurch dem steigenden Arzneimittelverbrauch begegnet werden soll. Die Höhe der Kostenbeteiligung ist klar. Der Herr Minister hat das ausgeführt. Aber was bedeutet das wirtschaftlich gesehen? Die Mindestgebühr von 50 Pfennig bedeutet, daß praktisch jeder Versicherte, der vor der Entscheidung steht, ob er zum Arzt gehen soll, nicht nur mit 50 Pfennig, sondern praktisch mit einer Mark zu rechnen hat; denn der Normalfall ist, daß der Onkel Doktor etwas verschreibt. Folglich muß der Versicherte schon von vornherein mindestens mit einer Mark und der Rentner mit mindestens 75 Pfennig rechnen, abgesehen davon, daß bei lange dauernder Krankheit die Arzneiverordnungsgebühren sehr ansteigen. Wenn wir auch zugestehen, daß die Verhältnisse hinsichtlich des Verbrauchs von Arzneien keineswegs immer voll befriedigend sind, so sind wir doch der Meinung, daß durch eine Arzneiver({14})
ordnungsgebühr von 50 Pf bis 3 DM, für die Rentner von 25 Pf bis 1,50 DM - und das ist für uns das Entscheidende - die sozial Schwachen und die Menschen, die laufend ärztliche Hilfe und Arzneien benötigen, am schwersten betroffen werden. Das halten wir für ein sehr unglückliches und sehr unerfreuliches System.
Jetzt zu der anderen Leistungseinschränkung: Kostenbeteiligung an der Krankenhauspflege der Rentner. Ich bin sehr froh, daß Herr Dr. Franz hier offen zum Ausdruck gebracht hat, daß also auch innerhalb der CDU-Fraktion dagegen Bedenken bestehen. Ich habe dann aber zu sagen: Offenbar waren doch die Bedenken nicht so stark, daß es Ihnen gelungen ist, Ihren Herrn Minister, der dieses Gesetz vorgelegt hat, zu veranlassen, hier zu sagen, daß er die Bedenken seiner Fraktion teilt. In dieser Hinsicht sind die Dinge sozialpolitisch katastrophal. Es handelt sich um eine Sondervorschrift gegen Rentner. Wie wir wissen, wird praktisch jeder Rentner bei Krankenhausaufenthalt davon betroffen, denn der Krankenhausaufenthalt eines Rentners dauert immer mehr als 10 Tage.
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Nach Auffassung der Regierung - der Herr Minister hat das hier von der Tribüne verteidigt - und nach der Begründung der Regierungsvorlage - so steht es dort wörtlich - ist die Heranziehung des Rentners zu diesen Kosten unerläßlich, „da der Rentner erfahrungsgemäß das Krankenhaus nicht nur zur Heilung akuter Krankheiten, sondern auch zur Gewährleistung etwa erforderlicher Pflege aufsucht".
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Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Begründung der Regierung wird der Notlage unserer Alten nicht gerecht. Die Aufgabe der Regierung - darüber habe ich hier sehr ihr Wort vermißt - müßte darauf gerichtet sein, in Verbindung mit den Ländern und mit allen Stellen, die dafür Verantwortung mittragen, dafür zu sorgen, daß mehr Altersheime und Pflegeheime für die Alten geschaffen werden, um etwas Positives für die Alten zu tun, und nicht hier mit einem wirtschaftlichen Druck an diese Probleme heranzugehen.
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Herr Minister, solange die Renten so niedrig sind, wie sie jetzt sind, ziehen Ihre Argumente nicht. Wenn wir eine Rente von 75 % des Arbeitsverdienstes hätten, dann sähe die Sache anders aus. Wir haben aber von den harten Tatsachen des Lebens der Rentner von heute auszugehen. Was ist die Wirkung von dem, was Sie, Herr Minister, sagen? Die Wirkung davon ist, daß der Rentner, der ins Krankenhaus muß, in einen Konflikt gerät: Wenn ich ins Krankenhaus gehe, dann ist das Geld für die Miete nicht da, oder wie kann ich dann dieses oder jenes wirtschaftliche Problem lösen? - Von diesem Stand der Lebenshaltung, der heute leider noch besteht, haben wir auszugehen und nicht von den Idealen, denen wir vielleicht gemeinsam zustreben.
Nun wird in dem Gesetz gesagt - und das bezeichne ich, um es mal deutlich zu sagen, als ein Bonbon -: die Regelung soll der Selbstverwaltung der Kasse überlassen bleiben, die einen Höchstbetrag für die Kostenbeteiligung - die bis zu 40 % der Rente ausmacht - festsetzen kann. Es steht auch im Entwurf, daß das nach dem Familienstand und nach den sozialen Verhältnissen gestaffelt werden soll und daß bestimmte Krankheiten von der Beteiligung ausgenommen werden sollen. Um es einmal ganz deutlich auszusprechen: Ich habe den Eindruck, daß hier die Bundesregierung die Verantwortung auf die Organe der Selbstverwaltung verlagert.
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- Herr Kollege Horn, man verlagert zwar die Verantwortung auf die Organe der Selbstverwaltung; aber dieses Gesetz bringt die Selbstverwaltung in eine wirtschaftliche Zwangslage in bezug auf die Rentnerkrankenversicherung, so daß Situationen entstehen, die der Selbstverwaltung einen Zwang auflegen. Denn wie ist die praktische Finanzierung? Es gibt einen Beitrag, den zahlt die Rentenversicherung. Der Beitrag beträgt zwei Drittel des sonstigen Beitrags unter Zugrundelegung von 60 % des durchschnittlichen Grundlohns, also im wirtschaftlichen Ergebnis - auf das kommt es ja an - 40 % des Beitrags, den sonstige Versicherte zahlen. Meine Damen und Herren, ich nehme an, auch Sie von der Regierungskoalition werden detaillierte Berechnungen von Trägern der sozialen. Krankenversicherung erhalten haben, in denen Ihnen die Fehlbeträge dargelegt wurden. Ich nehme an, daß einige von Ihnen selbst als Vertreter der Arbeitgeber oder der Versicherten in den Organen mitarbeiten und die Dinge aus eigenster Erfahrung kennen. Überall, wo solche Berechnungen angestellt werden - ob sie auf den Pfennigbetrag richtig sind, will ich gar nicht untersuchen -, zeigen sie, daß im wirtschaftlichen Ergebnis die Träger der Krankenversicherung für die Zukunft stärker belastet werden, als sie es bisher sind. Dias ist doch die gesamte Tendenz. Die wirtschaftliche Belastung der Rentnerkrankenversicherung, die jetzt im Grundsatz auf der Rentenversicherung liegt, wird stärker auf ,die Krankenversicherung verlagert. Deshalb werden die Organe der Krankenkassen einfach vor eine Zwangslage gestellt. Formal gesehen, Herr Kollege Horn, sind sie zwar frei; aber sie haben die Verpflichtung, mit den Mitteln nach Gesetz und Satzung zu wirtschaften, und kommen deshalb in diese Zwangslage. Darum meine ich: es ist nicht gut, in dieser Weise die Dinge zu verlagern, wenn wir sehen, daß solche Situationen entstehen, in denen eine erhebliche Zahl von Kassen die vollen, wie ich sagen muß, unsozialen Möglichkeiten, die hier geschaffen werden sollen - Rentenkürzungen -, ausschöpfen müssen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß eine grundsätzliche Bemerkung. Alle diese Dinge betreffend Krankenscheingebühr, Kostenbeteiligung bei Arzneien, Kostenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt, stehen unter dem Motto: Stärkung der Selbstverantwortung. Man hört im Gespräch oder liest in der Zeitung, wir müßten die Selbstverantwortung stärken. Herr Kollege Franz hat es :auch erwähnt. Da wird immer das Beispiel gebraucht, der Mensch solle doch mal daran gewöhnt werden, im Interesse seiner Gesundheit auf eine Schachtel Zigaretten oder auf einen Kinobesuch zu verzichten. Das ist das übliche Beispiel, das wir alle kennen. Meine Damen und Herren, dazu. ein ernstes Wort. Ich glaube, eine
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solche Betrachtungsweise verkennt die Lage der sozial schwachen Bevölkerungskreise und der überwiegenden Mehrzahl der Rentner. Für diese Menschen, insbesondere die Rentner, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl jeden Pfennig umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben,
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lautet die Fragestellung eben leider heute nicht so: „Kinobesuch oder ärztliche Behandlung?", sondern sie lautet: „Dringendster Lebensbedarf oder Zahlung von 50 Pfennig plus 25 Pfennig für die ärztliche Behandlung?"
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Das ist die Fragestellung im Leben der sozial schwachen Kreise unseres Volkes; und für die tragen wir in erster Linie die Verantwortung.
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Meine Damen und Herren, ich muß es ganz deutlich sagen: die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält es für einen verhängnisvollen Schritt, bei der Stärkung des sozialen Verantwortungsbewußtseins gerade mit den sozial Schwächsten, den Rentnern, dazu noch den Rentnern, die Krankenhauspflege benötigen, zu beginnen.
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Wir wollen uns über Stärkung des sozialen Verantwortungsbewußtseins in jedem Bereich gerne unterhalten, aber wir glauben, es ist ein schlechtes Ding, hiermit bei den sozial Schwächsten zu beginnen.
Herr Kollege Dr. Franz hat die Dinge als einen konstruktiven Beginn für die Sozialreform bezeichnet. Die Bevölkerung hat von Sozialreform andere Vorstellungen; sie hat die Vorstellung einer Verbesserung der Leistungen, zumal für die sozial Schwächsten. Mindestens das! Aber dias, was hier vorgelegt wird, ist im entscheidenden Teil - ich habe die positiven Seiten des Gesetzentwurfs gewürdigt - keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der sozialen Leistungen. Deshalb halten wir das für einen schlechten Beginn einer Sozialreform. Wir glauben nicht, daß dieser Gesetzentwurf mit den Vorstellungen, die wir, so hoffe ich, gemeinsam von sozialer Gerechtigkeit haben, vereinbar ist.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion trotz ihrer sehr starken Bedenken gegen den Gesetzentwurf mit der Überweisung an den Ausschuß einvenstanden ist, so deshalb, weil wir die Hoffnung haben, Sie bei den Ausschußberatungen überzeugen zu können. Herr Kollege Franz hat gewisse Schwierigkeiten in seiner eigenen Fraktiondargelegt. Daran werden wir also sehr intensiv anknüpfen. Wir haben die Hoffnung, daß dann ein Gesetz beschlossen wird, das die jetzigen Nachteile der Rentnerkrankenversicherung beseitigt und somit Verbesserungen, aber keine Verschlechterungen für die Rentner und für alle Versicherten schafft.
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Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Schellenberg hat gesagt, bei meinen Darlegungen über die Beteiligung der Versicherten an den Krankenkosten sei ich sehr vorsichtig vorgegangen. Nun möchte ich ihn bitten, sich auf Grund seiner geographischen Kenntnisse von der freien Welt die Länder in Europa zu vergegenwärtigen, die ich genannt habe. Wenn ich unten anfange, dann ist das erste die Schweiz, danach kommt Frankreich, dann kommen Belgien und Luxemburg, und oben als unser Nachbar kommt Dänemark. Es fehlen also von unseren direkten Nachbarn, soweit ich sehe, nur Holland und Österreich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich immer, wenn der Herr Kollege Schellenberg in sehr temperamentvoller Art hier seine Ausführungen macht; aber heute ist er doch an dem eigentlichen Grundproblem vorbeigegangen. Ich habe in meinen Darlegungen gesagt, daß das, was wir auf dem Gebiete der Krankenversicherung der Rentner haben, die Gesetzgebung eines totalitären Staates ist, der eben das Geld für seine Kriegsausgaben dort genommen hat, wo er es vorfand. Jedes verantwortliche Parlament hätte, wenn es eine derartige Gesetzesvorlage, wie sie 1941 verabschiedet worden ist, bekommen hätte, zumindest die Frage gestellt: Wer sorgt für die Deckung, wer gibt hierfür die Geldmittel? Man kann doch nicht hingehen, Herr Professor Schellenberg, und draußen den Rentnern sagen: Eure Rente ist zu niedrig, wenn man auf der anderen Seite sagt: die Mittel, die für eure Rente zusammengetragen werden, werden für versicherungsfremde Aufgaben verausgabt! Das ist doch die ganze Geschichte.
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- Herr Professor Schellenberg, Sie wollten mir eine Frage stellen? - Ich habe in meinen Ausführungen vorhin gesagt: wir haben früher in unseren Rentenversicherungen, bewußt vom Gesetzgeber, nur eine Zuschußrente für den alten Mann festgelegt, der in seiner Familiengemeinschaft blieb und in diese Familiengemeinschaft einen kleinen Zuschuß in Gestalt der Rente hineingebracht hat. Wir stehen heute auf Grund der ganz anderen Verhältnisse bei uns und in der Welt vor der Aufgabe, dem Rentner eine Rente zu geben, mit der er letzten Endes auch seinen Lebensunterhalt decken kann.
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- Herr Professor, Sie sagen, das gehört in die Rentenversicherung. Früher, als Ihre Partei und die Partei, zu der ich gehört habe, im wesentlichen die soziale Gesetzgebung getragen haben, hat niemand an eine derartige Regelung gedacht, niemand, weil man sich vor allen Dingen dessen bewußt war, daß man durch die Rentenversicherung eine Rente für die Invaliden und Alten sichern wollte. Man wollte nicht den Staat, die Gemeinden und alle diejenigen, die die Fürsorgeleistungen zu erbringen haben, entlasten. Das ist doch hier eingetreten. Wenn der Mann früher seine Invalidenrente bekam - ich weiß das, weil ich letzten Endes unter den Arbeitern gelebt habe -, ging er hin und meldete sich bei der Krankenkasse als freiwilliges Mitglied an und bezahlte seinen Beitrag im Verhältnis zu seiner Rente, die damals
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kaum 40 Mark ausmachte. Das war der praktische Zustand. Wenn der Mann sich nicht versichern konnte, hatte die Fürsorge für ihn einzutreten. Wenn man diese Rentnerkrankenversicherung auf Kosten der Fürsorgeträger im Jahre 1941 zwangsweise eingeführt hätte, würde ich sie als einen Fortschritt angesehen haben.
Nun hat Herr Professor Schellenberg - darüber habe ich mich sehr gefreut - selbst davon gesprochen, daß es sich bei dem Krankenhausaufenthalt der Rentner in vielen Fällen um Fälle handelt, die mit einem akuten Krankheitszustand gar nichts zu tun haben. Es handelt sich hier nach dem, was mir die Ärzte und die Leute aus den Krankenhäusern sagen, um einen Kreis von Menschen, die eigentlich in ein Siechenhaus oder in ein Altersheim gehören. Sollen wir denn nun aus den Mitteln der zwangsweise Sozialversicherten auch noch diese Aufgabe übernehmen? Hätten wir nicht allen Grund, die Forderung zu stellen, daß der Gesundheitsdienst in erster Linie eine Aufgabe der Gemeinschaft, d. h. des gesamten Volkes ist? Früher haben wir die soziale Gesetzgebung auf allen Gebieten doch gemacht, dem arbeitenden Menschen eine Sicherung für die Wechselfälle des Lebens zu geben. Gehen Sie doch her und sehen Sie sich unsere gesamten Sozialleistungen an! Die Fürsorge ist heute noch mit 640 Millionen DM beteiligt, bei einem Gesamtbetrag von 21 1/2 Milliarden DM.
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Wir haben in die Sozialversicherung mehr und mehr die Leistungen der Fürsorge übernommen. Was Sie hier fordern, ist ein weiterer Schritt auf diesem falschen Wege. Wenn Sie mir sagen, daß Sie das notwendige Geld, nämlich diese 540 Millionen DM, die die Rentnerkrankenversicherung heute tatsächlich kostet, in irgendeiner Form als Einnahme für die Rentenversicherungsträger sicherstellen wollen, dann kann ich einen ganz großen Weg mit Ihnen gehen. Aber wir haben es ja vorhin gehört. Der Herr Professor Schellenberg hat sich in einer wirklich netten Geste an die Vertreter des Handwerks gewandt und hat gesagt: Ihr armen Luder, ihr seid ja nicht krankenversicherungspflichtig. Herr Professor Schellenberg, wie stellen Sie sich denn die Lösung dieser Dinge vor? Wenn man in der Altersversorgung des Handwerks die Halbversicherung eingerichtet hat, bekommt der Mann nachher auf Grund eines halben Beitrags eine Rente. Die Privatversicherung, die die Hälfte seines Altersversorgungsrisikos mit einer Verdienstchance gehabt hat, braucht für die Krankenversicherung des Rentners keinen Pfennig aufzubringen. Aber die anderen, die pflichtversichert waren, müssen das Geld aufbringen, um auch an diese Halbversicherten die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung zu zahlen.
Das sind alles Dinge, Herr Professor, an denen wir nicht vorbeigehen können. Wir wissen doch, daß wir unter den freiwillig Weiterversicherten Leute haben, die in Wirklichkeit gar nicht das Schutzbedürfnis in der Sozialversicherung haben.
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Wir haben immer auf dem Standpunkt gestanden, Herr Professor, daß 'das, was in einer Rentenversicherung durch Beitragsleistung erworben wird, ein Rechtsanspruch ist. Sollen wir jemandem, der 15 Jahre in der Volkswirtschaft in einem versicherungspflichtigen Verhältnis gestanden hat, dann 25 Jahre als Selbständiger in der Wirtschaft tätig war und dort gut verdient hat, so daß er die Krankenversicherung nicht nötig hatte, nachher, wenn er die Rente bekommt, die im Verhältnis zu seinem Einkommen vielleicht gar nicht allzu viel ausmacht, nun den ganzen Gesundheitsdienst für seinen Lebensabend zusätzlich geben? Wenn Sie so sehr auf die Tränendrüsen gedrückt haben mit dem armen, armen Rentner, der nachher, wenn er ins Krankenhaus kommt, 40 % seiner Rente eventuell aufgeben muß, dann muß ich fragen: Wer bekommt denn die Rente, wenn der Rentner im Krankenhaus ist? Das sind doch in .den meisten Fällen diejenigen, die die alten Leute vor allem im Winter nicht zu Hause haben wollen.
Wir werden ja im Ausschuß die Möglichkeit haben, uns mit den Menschen, die in den Rentenversicherungsträgern, entweder in der Geschäftsführung oder in ,der Selbstverwaltung, tätig sind, zu unterhalten. Ich glaube, Herr Professor, bei dieser Aussprache wird Ihnen ein großer Teil ihrer ,eigenen Parteifreunde, die sich in der Sozialversicherung durch jahrzehntelange Tätigkeit einen Namen erworben haben, etwas ganz anderes sagen als das, was man sagt, wenn man die Dinge nur theoretisch nimmt.
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Herr Professor Schellenberg, lassen Sie mich zum Schluß - ({6})
- Ja, das wollte ich eben gerade noch sagen: Wenn Ihr Parteifreund, der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Professor Reuter nicht das Ende aufgefangen hätte, dann hätten Sie den kompletten Bankrott des Berliner Experiments erlebt.
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Meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich! Es stehen noch so viele Redner für und wider auf der Liste, daß ich fürchte, wir werden heute sowieso nicht fertig. Ich verbinde damit die ergebene Bitte an alle diejenigen, die sich gemeldet haben oder sich noch zu melden beabsichtigen, sich möglichst kurz zu fassen. Unsere Tagesordnung sieht einfach verzweifelt aus. Morgen vormittag müssen die Große Anfrage betreffend ,die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke und der Antrag betreffend Plenarsitzung in Berlin erledigt werden. Ich appelliere an das Hohe Haus, dazu beizutragen, daß wir in dieser Woche wenigstens noch mit einigen anderen Sachen fertig werden.
Nun, Herr Kollege Dr. Hammer, haben Sie das Wort.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Franz hat am Beginn seiner Ausführungen davon gesprochen, daß dieses Gesetz über die Rentnerkrankenversicherung ein Teil der kommenden Sozialversicherungsreform sei. Er hat am Ende seiner Rede wieder davon gesprochen. Wenn ich nicht ganz schlecht zugehört habe, dann hat der Herr Arbeitsminister persönlich eine solche Aussage nicht gemacht. Ich halte es mit ihm. Ich bin überzeugt, daß in der Form dieser Kabinettsvorlage der Stein nicht in das Gebäude der künftigen Sozialreform einzupassen ist,
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sondern daß er durch die Parteien dieses Hauses ganz erheblich behauen und modelliert werden muß.
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Kurz in Erfüllung des Wunsches des Herrn Präsidenten: Kostenträger! Die Fama berichtet, daß im Jahre 1941, als die Verordnung über die derzeitige Rentnerkrankenversicherung herauskam, ein Anhören des Deutschen Städtetages stattgefunden habe. Dort hätten die Vertreter des Städtetages erklärt, diese Neuregelung würde sie ganz erheblich von Fürsorgeaufgaben entlasten, und sie hätten sich bereit erklärt, als Äquivalent eine Senkung der Verpflegungssätze in den kommunalen Krankenhäusern zu bieten. Das haben sie nicht getan. Im Gegenteil, Sie wissen, daß die Bewegung im Augenblick leider Gottes anders herum geht. Immerhin sind diese Leute damals nicht der Ansicht gewesen, die der Herr Professor Schellenberg hier vorgetragen hat; daß die Solidarität allein genügt hätte. Sie waren jedenfalls der Ansicht, daß in den Kapitalien der Rentenversicherungsanstalten keine Dekkungsmittel oder zweckgebundene Mittel für die Rentnerkrankenversicherung enthalten waren. Sonst wären sie nicht der Ansicht gewesen, sie würden von ihren kommunalen Pflichten entlastet werden.
Die Konstruktion ist jetzt doch so, daß die Rentenversicherung nach einem neugeschaffenen System der Krankenversicherung die Mittel zur Verfügung stellen soll. Ich will auf das System nicht im einzelnen eingehen: eine fingierte Grundlohnsumme, davon noch hohe Rabatte. Ich gehe nur auf das Entscheidende ein. Es herrscht gar kein Zweifel darüber, daß das, was hier an die Krankenversicherungsträger gegeben wird, unter keinen Umständen dazu ausreicht, die tatsächlichen Aufwendungen der Krankenversicherung für die Rentner zu decken. Wenn die Mittel nicht ausreichend sind, dann gibt es in der Krankenversicherung nur zwei Möglichkeiten: man erhöht die Beiträge oder man senkt die Leistung.
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Es gibt noch eine dritte, etwas unfaire Methode; ich hoffe, daß ihre Zeit bald vorbei ist. In den letzten Jahren ist man seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen. Man hat den Ärzten einfach nur die Hälfte ihres Honorars gegeben. Die Zeiten scheinen jetzt vorbei zu sein. Genau genommen gibt es aber nur zwei Möglichkeiten: Beitragserhöhung oder Leistungssenkung.
Was die Frage der Beitragserhöhung angeht, so habe ich den Eindruck, daß zwei entscheidende und bedeutsame Gruppen in Deutschland - Arbeitgeber und Arbeitnehmer - die nach dem Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung gemeinsam diese Dinge bestimmen, gar nicht bereit sind, in irgendeiner Form an die Erhöhung des Beitrags heranzugehen.
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Das Kabinett hat sich in der Vorlage Mühe gegeben, den Kreis der Leute, die einen Anspruch auf die Rentnerkrankenversicherung haben sollen, klein zu halten. Auch von der Frage der Rechtmäßigkeit ganz abgesehen, ist an den Ausführungen des Herrn Professors Schellenberg einiges richtig. Mit dem Grundsatz des Versicherungsprinzips deckt sich die Vorlage nicht ganz.
Ich will ferner darauf hinweisen, daß das vorgeschlagene Experiment, nur die Rentner mit einem Anspruch an die Rentnerkrankenversicherung auszustatten, die mindestens zwölf Monate in den letzten fünf Jahren vor ,dem Eintritt ihrer Invalidität versichert gewesen sind, wenn man damit die Zahl der Anspruchsberechtigten verringern wollte, zwecklos sein dürfte. Man bietet für diese zwölf Monate Mitgliedschaft eine ganz hervorragende Leistung. Man bietet dieser Personengruppe einen Krankenschein vom 65. Lebensjahr bis zum Tage ihres seligen Endes ohne den Zwang zur laufenden Beitragszahlung. Ich bin überzeugt, daß die Aufforderung, so zu verfahren, eine ganz große Anzahl von Leuten, die zwar später einmal einen Anspruch auf eine Altersrente haben, aber nicht pflichtversichert sind, veranlaßt, in irgendeiner Form wieder Kontakt mit den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung zu bekommen. Also das, was Gegenstand einer ernsthaften Überlegung war: wie schränkt man den Personenkreis, der nach § 176 in der Krankenversicherung versichert ist, ein, weil seine Ansprüche über den Rahmen des in der Krankenversicherung Üblichen hinausgehen?, wird hier preisgegeben. In Zukunft wird die Gruppe der sogenannten freiwillig Versicherten immer größer und immer größer werden, aber niemals wird die Krankenversicherung ausreichende Mittel zur Abdeckung dieser neuen Risiken erhalten. Diese Mittel können letzten Endes, wenn sich an dem System nichts ändert, nur durch eine Beschränkung der Leistungen der übrigen Versicherten der Versicherungsträger gewonnen werden.
Wir sind doch der Ansicht, daß es eigentlich nur eine saubere Lösung gibt. Da wir die Rentnerkrankenversicherung für notwendig halten, sollte man dafür sorgen, daß die echten Kosten dieser Versicherung durch die Gewährung eines Rentenzuschlages an jeden Rentner aufzubringen sind. Der eine kann in Fortsetzung seines alten Versicherungsverhältnisses die Mittel zur Beitragszahlung verwenden. Der andere kann von irgendeinem Angebot einer privaten Krankenversicherung oder einer Ersatzkasse Gebrauch machen. Das mag ihm überlassen bleiben. Eine solche Regelung hätte zwei große Vorteile. Erstens könnte niemals 'der Einwand gemacht werden, sie widerspreche dem Gedanken der Versicherung. Zweitens brächte sie die Träger der Krankenversicherung niemals in die Verlegenheit, Leistungen ohne echten Anspruch zu bewilligen.
Um die Ausgaben zu mindern, ist die Bundesregierung zu den Bestimmungen über die Selbstbeteiligung der Versicherten gekommen. Sie gelten jetzt, wenn das Gesetz so beschlossen wird - was ich bezweifle -, für alle Versicherten in der Bundesrepublik. Aber das Gesetz 'ist doch angekündigt
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worden als ein Gesetz über die Rentnerkrankenversicherung!
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Das ist von den Millionen Rentnern in Deutschland an den Lautsprechern gehört und aus den Zeitungen entnommen worden, und ausgerechnet sie bekommen in diesem Moment diese merkwürdige Kostenbeteiligung präsentiert. Meine Damen und Herren, Selbstbeteiligung, Tragen des eigenen Risikos, ist ja nicht eine Erfindung dieses Kabinetts, das begann ja mit den Brüningschen Notverordnungen. Aber immer stand in diesen Verordnungen ein Befreiungskatalog, und in diesem Befreiungskatalog waren die Rentner aufgeführt. Ausgerechnet unter der Parole „Rentnergesetzgebung" beginnt man mit dieser Maßnahme!
Ich bin ohne Namensnennung, aber wegen meines Berufs von Herrn Professor Schellenberg verschiedentlich angesprochen worden, und ich will darauf gleich antworten. Herr Minister Storch hat vorhin von Bagatellfällen gesprochen. Ich muß dazu eines ergänzend nachtragen. Auch ganz schwere Erkrankungen insbesondere die gefürchteten
Krebserkrankungen und die Tuberkulose, fangen als Bagatellfälle an!
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Das Problem der Früherfassung kann nicht mit einer Handbewegung beseitigt werden. Die Frage lautet nur so: Würde denn eine Krankenscheingebühr dazu führen, daß eine so große Entlastung der Kassenärzte vom Rezeptschreiben für Leute, die Pfefferminztee verlangen und die mit jedem Schnupfen gelaufen kommen, eintritt, daß der Arzt Zeit hätte, sich der Diagnostik mehr zu widmen, als das im Augenblick bei überfüllten Warteräumen möglich ist? Das könnte sein, meine Damen und Herren! Wir werden uns im Ausschuß sehr reiflich zu überlegen heben: was dient der Früherkennung der Erkrank ungen im Augenblick besser, die Krankenscheingebühr oder das Weglassen der Krankenscheingebühr?
Anders und präzise kann ich mich jetzt schon über die Frage der Krankenhauskostenbeteiligung der Rentner ausdrücken. - Ich bitte, Seite 3 aufzuschlagen, in der linken Spalte unten -: „Dem § 184 wird folgender Abs. 6 angefügt." Der letzte Satz lautet:
Sie kann Richtlinien festlegen, nach denen der Vorstand zur Vermeidung unbilliger Härten in Einzelfällen die Beteiligung ermäßigen oder von ihr absehen kann.
Das ist die Einführung der Bedürfnisprüfung in die deutsche Sozialversicherung!
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Dieser Gedanke ist der deutschen Sozialversicherung bis jetzt völlig fremd gewesen.
Sehr viele, die allermeisten der Rentner, bei denen eine Krankenhauseinweisung in Frage kommt, werden sagen, daß bei ihnen eine unbillige Härte bestehe. Ich glaube, die meisten werden so argumentieren. Dann werden Sie erleben, daß die Prüfung für die Anwendung eines solchen Paragraphen zu einer Reihe von Streitfällen, zu endlosen Streitfällen an den Schaltern der Krankenkassen führt und daß die Streitfälle bis in die Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit hinein endlos weiterlaufen. Sie werden dann etwas erleben, was wir in der deutschen Krankenversicherung bis
heute noch nicht erlebt haben: den Zwang zu einer
ungeheuren Aufblähung des Verwaltungsapparats.
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Vor einigen Jahren habe ich mich in den Vereinigten Staaten mit einer Reihe von Sozialpolitikern darüber unterhalten, warum eigentlich die Amerikaner in den Krisenjahren ihre große Altersrentenversicherung eingeführt haben. An Mitteln hat es ihren karitativen Verbänden nicht gefehlt; die haben spendefreudig pro anno ruhig 4 Milliarden Golddollar aufgebracht. Das war nicht der Grund. Der Grund war ein anderer. Diese Organisationen, die das freiwillig taten, konnten das nicht anders machen als unter Durchführung einer fortgesetzten Bedürftigkeitsprüfung. Und diese Situation, daß ein großer Teil von Staatsbürgern einer fortgesetzten Überwachung seiner Lebensverhältnisse ausgesetzt war, war so unerträglich für das Empfinden eines demokratischen Volkes, daß man lieber die genormte Versicherung schuf.
Wir kennen die Anwendung eines solchen Grundsatzes bei uns auch. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer gibt es bekanntlich bekanntlich auch Richtlinien und Normen. Denken Sie an die Veranlagungsgrundsätze für die Landwirtschaft: Hektargrößen, Bonitäten usw. Auch da haben die klugen Finanzminister schon lange darauf verzichtet, die Idee des Rechts ganz besonders perfektionistisch anzuwenden; denn das Resultat wäre fürchterlich gewesen. Diese Idee eines perfektionistischen Rechts ist ja doch die Mutter zahlloser Beamtengeschlechter gewesen.
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§ 184 Abs. 6 wird nicht durchzuführen sein; das Maß der wirtschaftlichen Vorteile wird den schlechten Eindruck nicht auswischen.
Ich glaube, wir werden nach allem, was man hier gehört hat, im Ausschuß eine Mehrheit finden, die diese Beteiligung an den entstandenen Krankenhauskosten ablehnt.
Noch einmal Grundsätzliches zu der Kostenbeteiligung. Der Herr Arbeitsminister und die Bundesregierung haben damit unserer Ansicht nach einen Weg beschritten, den man, wenn auch langsam, weiter beschreiten muß. Der Gedanke, daß der Versicherte das wirtschaftliche Risiko mitzutragen hat, wird bei uns ernsthaft diskutiert werden. Der Herr Arbeitsminister hat eine Reihe von Gründen dafür angegeben; es werden auch noch andere genannt werden. Auch ich will Ihnen noch einen anderen vortragen.
Wenn man etwa die Idee entwickeln würde, die Naturalleistung, die in der Krankenbehandlung gewährt wird, in der Fürsorge zu gewähren, und wenn man den Fürsorgeunterstützten einen Korb mit Brot oder mit Fleisch in der Woche aushändigen wollte, dann möchte ich das Gelächter hören, das bei allen fortschrittlichen Sozialpolitikern sofort ausbräche. Naturalleistungen gehören in einen Katalog von Vorstellungen, die heißen: Deputat und Dienstbarkeit und Obrigkeit. Sie paßt letzten Endes nicht in einen Staat, von dem wir und alle Parteien dieses Hauses erwarten, daß er von selbstbewußten und freien demokratischen Leuten bewohnt wird. Keiner wird auf die Idee kommen, jetzt etwa die Forderung aufzustellen, in der deutschen Krankenversicherung die Naturalleistung abzuschaffen und die Erstattung einzuführen. Wir wissen ganz genau, daß dazu Reallöhne gehören,
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die wir im Augenblick nicht aufzuweisen haben. Aber niemals sollte bei einer kommenden Reform der Weg verlassen werden, den das Kabinett jetzt beschritten hat.
Das Gesetz enthält auch auf der Leistungsseite eine Reihe sehr lobenswerter Verbesserungen: die Verbesserung des Sterbegeldes, die sehr hübsche Sache, daß nun auch der Anspruch des alten Menschen auf Zahnersatz erfüllt wird. Meine Damen und Herren, wer von Ihnen noch nicht die ersten grauen Haare hat, weiß nicht ganz genau, was das bedeutet. Im Alter hat der Mensch viel Bedürfnis nach Keramik, nach dreierlei Keramik: nach Tassen für den Bohnenkaffee, nach Gläschen, um ein paar Schlücke aus der Kelter des Dionysos zu bekommen, und nach den kleinen Porzellandingern: wenn man die im Mund hat, kann man kauen, und wenn man keine drin hat, kriegt man Leibweh. Übersehen Sie also nicht Dinge, die dem Praktiker in der Menschenbehandlung eigentlich nicht entgehen dürften.
Meine Damen und Herren, die Stunde ist vorgerückt. Ich hoffe, daß bei den Beratungen im Ausschuß die Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause dazu führen wird, daß eine Regelung der Krankenversorgung der Rentner in Deutschland so zustande kommt, daß sie allen alten Leuten in Deutschland gestattet, ihren Lebensabend in Ruhe zu verbringen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine politischen Freunde und ich sind über die Vorlage betreffend die Krankenversicherung der Rentner, die wir heute behandeln, erfreut. Die Wünsche, die die Rentner in den letzten Jahren geäußert haben, sind zu einem erheblichen Teile erfüllt worden. Ich möchte aber gleich zu Beginn meiner Ausführungen sagen, daß in diesem Entwurf auch ein Tropfen Wermut zu finden ist. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.
Wenn wir die Krankenversicherung der Rentner, so wie sie vor uns liegt, ansehen, können wir feststellen, daß den Wünschen der Rentner insoweit Rechnung getragen ist, als sie nun zu den größeren Heilmitteln und auch zu dem Zahnersatz gelangen können, was gerade für diese alten Menschen sicherlich sehr, sehr notwendig ist. Herr Kollege Dr. Hammer hat das schon ganz besonders betont. Diese Menschen befinden sich, wenn sie aus ihrem Berufe ausscheiden und ihren Antrag auf Rente stellen, in der Zwischenzeit nicht mehr in der Rechtsunsicherheit, sondern ihr Versicherungsschutz geht dadurch, daß sie ihrer bisherigen Krankenversicherung weiterhin angehören können, insoweit auch weiter.
Man spricht davon - und das ist heute geschehen -, daß dieses Gesetz schon in den Raum der Neuordnung der Sozialgesetzgebung oder, wie wir es sonst nennen, der kommenden Sozialreform vorstößt. Nun, die gute Absicht hat man sicherlich gehabt, aber das Grundproblem, nämlich die Frage: Versicherungsprinzip oder Versorgungsprinzip?, ist dabei in keiner Weise der Lösung nähergebracht worden. Ich sage das deshalb, weil auch diesem Gesetzentwurf in erheblicher Weise eine Mischung aus beiden Systemen zugrunde liegt.
Wir sind im Augenblick auch noch gar nicht imstande, ein solch außerordentlich wichtiges Teilgebiet zu klären, ja nicht einmal, es anzuschneiden, das gerade die Kreise der Bevölkerung angeht, die schon so sehr lange auf eine wirksame Hilfe in ihrem so schwierigen Daseinskampf warten, auch nicht, wenn man davon spricht, daß hier schon Tendenzen einer Neuordnung der Sozialgesetzgebung wirksam werden.
Aber wir haben dabei noch etwas anderes zu bedenken. Wir freuen uns selbstverständlich, daß man mit der Krankenversicherung der Rentner Wünschen der Rentner entgegengekommen ist. Auf der anderen Seite - das ist ja das Schicksal eines jeden Entwurfs, der dem Hohen Hause vorgelegt wird - liegen heute schon aus den verschiedensten Kreisen Wünsche, aber auch Klagen vor, daß dies oder jenes doch auch seine Schwierigkeiten habe. Früher lag der Schutz der alten Kranken bei den Landkrankenkassen und bei den Ortskrankenkassen. Damals haben sich die Ersatzkrankenkassen benachteiligt gefühlt. Heute hat man alle Krankenkassen daran beteiligt und so jedem Rentner die Möglichkeit gegeben, seiner bisherigen Krankenversicherung weiter anzugehören. Aber wir wissen auch, daß die Orts- und Landkrankenkassen mit der neuen Regelung nicht einverstanden sind, weil sich, wie sie sagen, die finanziellen Schwierigkeiten dadurch noch erheblich steigern. Die Ersatzkrankenkassen sind ebenfalls nicht zufrieden; sie hatten sich vorgestellt, daß das Auftragsangelegenheiten würden. Wir sollten Sozialträgern - darüber müssen wir uns im Ausschuß klar sein -, wie es letzten Endes auch die Einrichtungen der Krankenkassen sind, nicht etwas zumuten, was sie finanziell nachher nicht lösen können und was dann zu Lasten der gesamten Mitgliedschaft der Krankenkassen geht. Ich überlasse es jedem einzelnen, zu beurteilen, ob und inwieweit diese Argumentation der Krankenkasseneinrichtungen hier oder da vielleicht übertrieben sein könnte. Immerhin sollten wir uns damit beschäftigen.
Soeben ist ein Problem angeschnitten worden, das zu einer Kontroverse zwischen dem Herrn Bundesarbeitsminister und Herrn Professor Schellenberg geführt hat: inwieweit die freiwillig Weiterversicherten und die freiwillig Versicherten überhaupt hier ausgeschlossen werden sollen. Eines ist sicher: was als Rechtsanspruch erworben ist, muß unter allen Umständen erhalten bleiben und erfüllt werden.
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Das Grundproblem aber, wie nämlich die Rentengestaltung in der Sozialreform aussieht, bedarf der Klärung. Dabei müssen wir uns damit beschäftigen, wie weit man Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung schaffen kann. Wir hören oft genua Klagen aus den Kreisen der Rentner; es wird Kollegen aus anderen Fraktionen ähnlich gehen. Sie sagen: Wir sind jahrelang in der Rentenversicherung gewesen, haben unsere Beiträge gezahlt und müssen nun - nach bestimmten Rechnungen läßt sich das nachweisen - die Ansprüche solcher Versicherungsberechtigten mitfinanzieren, die freiwillig kleine Beträge gezahlt haben. oftmals sehr kurzfristig; deren Ansprüche finanzieren sich nachher nicht aus diesen Beiträgen.
Wir sollten uns deshalb auch einmal mit den Einwendungen beschäftigen, die aus den Rentner({1})
kreisen kommen und die sich gegen diese Regelung richten. Wir müssen es auch tun, um einmal zu einer gründlichen Feststellung der Tatsachen zu kommen. Es ist sehr schwer für uns, an dieses Problem zu rühren; denn wir haben es hier mit einer Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner zu tun. Dabei ist ein Vorgriff auf die kommende Sozialreform gemacht worden. Die Tatsache, daß die grundsätzlichen Fragen noch nicht geklärt sind - wir haben diese Klärung bisher noch gar nicht vornehmen können -, macht uns die Behandlung dieser Dinge wahrscheinlich sehr schwer. Trotzdem sollten wir es versuchen.
Ich habe vorhin von dem „Wermutstropfen" gesprochen. Dazu folgendes. Wir sagen - das hat auch der Herr Bundesarbeitsminister gesagt, und es ist auch von Herrn Dr. Franz ausgeführt worden -, daß wir hier in den Raum der Sozialreform vorstoßen. Jeder von uns hat seine Vorstellungen von der Sozialreform. Auf Grund von Unterhaltungen, die wir alle mit dem einen oder anderen einmal geführt haben, müssen wir sagen: es gibt allzu viele Vorstellungen von der Sozialreform. Wir haben bisher zuwenig davon gehört, um uns bereits ein zusammenhängendes Bild machen zu können. Das soll bestimmt kein Vorwurf sein. Wir wissen: Wenn etwas im Werden ist, soll man nicht allzu früh davon sprechen, weil eine zu frühzeitig einsetzende Kritik die Entwicklung der Dinge vielleicht stören könnte.
Man stößt also nun in den Raum der Sozialreform vor und beginnt dabei mit Maßnahmen, die eine Belastungsprobe für den Kreis unserer Bevölkerung darstellen, der in aller Geduld, in aller Bescheidenheit, in aller Zurückhaltung den schwierigsten Daseinskampf führt und seit Jahr und Tag auf die wirkliche Rentenreform wartet. Wenn dieser Bevölkerungsteil nun zum erstenmal etwas aus diesem Neuland der Sozialreform vorgesetzt bekommt und sich dies dann als eine finanzielle und wirtschaftliche Belastung herausstellt, dann muß das - es kann gar nicht anders sein - zu einer großen Enttäuschung für diese Menschen führen. Deshalb möchte ich auch für meine Freunde und mich sagen, daß wir diesen Teil des Gesetzes keinesfalls unterstützen können. Wir werden uns mit Ihnen allen gern darum bemühen, hier einen Weg zu finden. Eine Kostenbeteiligung des Rentners kann weder beim Krankenhausaufenthalt noch in Form der Krankenscheingebühr noch in Form der Arzneiverordnungsgebühr in Frage kommen.
Hier ist sehr oft von der Wirtschaftlichkeit gesprochen worden. Ich habe ja selbst vorhin einige Betrachtungen in bezug auf diejenigen Krankenkasseneinrichtungen angestellt, die hier nun gewisse Verpflichtungen übernehmen müssen, ohne, wie sie sagen, einen Einfluß auf die Ausgabengestaltung zu haben. Wir wissen sehr wohl, daß man auch solche Überlegungen anstellen muß. Wenn man aber von dieser Seite aus die wirtschaftlichen Betrachtungen anstellt, dann muß man gerechterweise wohl auch die Frage stellen: Wie sind denn die wirtschaftlichen Verhältnisse der Rentner? Die Rentner sollen in ihrem Alter, in ihrer Schutzbedürftigkeit und auch Schutzwürdigkeit aus ihren geringen Renten Beiträge aufbringen, wenn sie ins Krankenhaus kommen oder den Arzt aufsuchen müssen. Das sollten wir doch auch einmal vergleichsweise gegenüberstellen. Wir sollten das hier zum Ausdruck kommende Prinzip, glaube ich, in erster Linie vom sozialpolitischen Gesichtspunkt aus behandeln. Wir können vielleicht später bei der Sozialreform, wenn wir den ganzen Aufgabenkomplex vor uns haben, darüber diskutieren, inwieweit in diesem Bereich eine Kostenbeteiligung in Frage kommen kann. Man kann doch aber diese Grundsatzfrage nicht vorwegnehmen und sie nun einfach von sich aus für einen Teil der Bevölkerung lösen, der heute in der allergrößten Bescheidenheit leben muß. Ich meine, man dürfte diese Frage erst dann anschneiden, wenn die Rentenreform da ist. Man soll sich auch völlig darüber im klaren sein, .daß ein erhebliches Stück Wahrheit dahinter steht, wenn heute die Rentner uns anschreiben, bei uns vorsprechen und auch durch ihre Organisationen uns sagen lassen: Die doch sehr bescheidenen Segnungen des Renten-MehrbetragsGesetzes sind nicht dazu da, daß sie ihnen auf der anderen Seite dadurch wieder abgenommen werden, daß sie, wenn sie in ihrem Alter hilfsbedürftig und öfter krank werden als in früheren Jahren, nun diese Mehrbelastung haben. Wie wir wissen, bekommen nur 5 % der Rentner den Höchstbetrag von 30 DM, während die anderen Mehrbeträge außerordentlich bescheiden sind.
Wir sollten auch einmal untersuchen, wie viele Rentner überhaupt davon erfaßt werden. Wir sollten ebenfalls einmal untersuchen und sollten im Ausschuß den Herrn Bundesarbeitsminister um Auskunft bitten - ich darf es Ihnen vielleicht jetzt schon sagen, Herr Bundesminister -, wie viele Familienversicherte davon erfaßt werden. Wir sollten uns im Ausschuß auch einmal Gedanken darüber machen, ob nicht dadurch, daß die schätzungsweise 6 Millionen Rentner, von denen man spricht, sich, wie ich mir habe sagen lassen, auf 2059 Krankenkassen verteilen, ein erheblicher Aufwand an Verwaltungskosten entsteht; auch darüber müßte doch einiges gesagt werden können.
Trotz der Vorteile, die die Rentner durch dieses Gesetz in gewissen Punkten haben - das geben wir sehr erfreut zu -, können wir uns unter gar keinen Umständen mit der Kostenbeteiligung der Rentner abfinden. Wir werden uns einer solchen Regelung stets in aller Form widersetzen; das sage ich jetzt schon ganz offen. Diese Frage muß zumindest solange zurückgestellt werden, bis wir im Rahmen der Sozialreform eine echte Rentenanhebung haben. Wir sehen das Renten-MehrbetragsGesetz nur als ein Übergangsgesetz an, das außerhalb der kommenden Sozialreform zu stehen hat.
Wir sind davon überzeugt, daß wir in der Zusammenarbeit im Sozialpolitischen Ausschuß sicherlich die eine oder die andere für die Rentner nachteilige Regelung dieses Gesetzes ausräumen werden. Wir hoffen, daß wir mit diesem Gesetz gerade diesem Kreis von Menschen, die mit Recht nun endlich einmal eine praktische Hilfe von uns erwarten, etwas Gutes bieten werden. Wenn dieses Gesetz ein Beginn zur Sozialreform ist, so hoffen wir im Anschluß daran die für die Rentner größere, wichtigere Frage lösen zu können: daß ihre Renten sich endlich zu einer Höhe entwickeln, die der Kaufkraft angepaßt ist.
Ich brachte schon zum Ausdruck, daß wir uns über gewisse Verbesserungen für die Rentner freuen. Aber wir müssen auch offen aussprechen, daß wir die Kostenbeteiligung, soweit sie die Rentner betrifft, keinesfalls gutheißen können, sondern sie auch im Sozialpolitischen Ausschuß ablehnen
werden
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Ich habe aber noch den Auftrag von meiner Fraktion, Ihnen zu sagen, daß es unserer Ansicht nach wohl notwendig sein wird, diesen Gesetzentwurf nicht nur dem Ausschuß für Sozialpolitik zuzuweisen, sondern außerdem - und diesen Antrag möchte ich hiermit stellen - zur Mitberatung dem Ausschuß für Gesundheitswesen.
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Ich habe noch zwei Wortmeldungen. Meine Damen und Herren, ich erinnere an § 78 der Geschäftsordnung. Dort steht der erleuchtende Satz: Es werden in der ersten Lesung nur die Grundsätze der Vorlagen besprochen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will, so gut ich kann, der doppelten Mahnung oder dem doppelten Wunsche des Herrn Präsidenten folgen: mich möglichst der Kürze befleißigen und auch den Hinweis auf die Geschäftsordnung befolgen. Aber die Grundsätze lassen sich natürlich nicht erörtern, ohne auch den einen oder anderen konkreten Punkt der Vorlage dabei herauszuheben.
Nun darf ich vielleicht nach dem Verlauf der bisherigen Debatte als Nachtrag oder Ergänzung zu den Ausführungen meines Fraktionsfreundes Dr. Franz noch folgendes sagen: Am 20. März 1953 haben wir - es ist schon einige Male in der Debatte daran erinnert worden - der Bundesregierung den Auftrag gegeben, eine Gesetzessvorlage zur Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung vorzulegen. Bei den damaligen, ziemlich langwährenden Ausschußberatungen ist im Grunde genommen sehr vieles von dem, was auch heute hier erörtert worden ist, diskutiert worden. Aber es ist zuzugeben, daß damals - und das hat sich ja auch in der Vorlage ausgedrückt - eigentlich kaum oder nicht die Rede davon war, daß man bei der Neuordnung die Übertragung in das Zweite Buch der Reichsversicherungsordnung, also in die gesetzliche Krankenversicherung, vornehmen solle. Die sehr eingehenden und langen Prüfungen, die die Bundesregierung benötigt hat, bis es zu einer Vorlage kam, haben dann zunächst auch zu einer gewissen Überraschung bei uns geführt, daß nun die Regelung so getroffen werden sollte. Aber, meine Damen und Herren, wir haben uns in sehr eingehenden Vorbesprechungen in unserem zuständigen Arbeitskreis mit der Materie beschäftigt und sind nach reiflicher Diskussion zu der Überzeugung gekommen, daß man den hier vorgeschlagenen neuen Weg gehen solle und daß man, wenn es sich schon hier um die Krankenversicherung, also um die Gewährung von ärztlicher Versorgung, von Heilmitteln, von Arzneien usw. handelt, die Dinge auch so behandeln solle, daß sie in die gesetzliche Krankenversicherung eingebaut werden.
Wir halten auch trotz der Bedenken, die der Bundesrat vorgetragen hat und die auch hier geäußert worden sind, an dieser grundsätzlichen Änderung fest. Wir waren uns aber bei unseren Vorbesprechungen auch durchaus darüber klar, daß der Sozialpolitische Ausschuß bei der konkreten Beratung der Vorlage in mehr als einem Punkte vor einer recht schwierigen Aufgabe stehen würde, um die Einzelheiten auch in die rechte Ordnung auf dieser Grundlage zu bringen. Wir werden uns deshalb im Ausschuß über ¡einzelne Punkte der Vorlage, wie sie etwa auch vom Herrn Kollegen Schellenberg oder vom Herrn Kollegen Hammer angesprochen worden sind, ernst und eingehend zu unterhalten haben.
Ich darf dazu einige Fragen herausheben: Die Vorlage läßt, wie wir es in der Debatte schon gehört haben, einen Teil der Rentner, eben diejenigen, die die Voraussetzungen nicht erfüllen, außerhalb dieser Krankenversicherung. Wenn man auch dem Herrn Minister und der Bundesregierung durchaus darin folgen kann - damit würden wir auch dem damaligen Beschluß in etwa nachkommen -, daß es sicherlich Kategorien von Rentnern gibt, die einer derartigen Versorgung nicht bedürftig sind, so muß man aber doch auch die Kategorien sehen, die dabei sehr erheblich benachteiligt würden: etwa Angestellte, die nach der Überschreitung der Krankenversicherungspflichtgrenze in eine private Krankenversicherung hineingegangen sind, also die Zugehörigkeit zu ihrer bisherigen Kasse nicht fortgesetzt haben, die aber, nachdem sie Rentner geworden sind, in ihrer sozialen Lage von dem Niveau, das sie hatten, solange sie in Beschäftigung standen, doch sehr erheblich zurückfallen. Ich glaube, es l eine kaum mögliche Lösung, diese Personengruppe einfach völlig auszuschließen.
Herr Dr. Hammer hat .bei der Beitragsfrage den Punkt berührt, den wir damals auch im Ausschuß sehr eingehend erörtert hatten. Ich will Ihnen hier einmal für solche Leute, wie ich sie jetzt angesprochen habe, eine Möglichkeit aufzeigen. Wir -jedenfalls auf seiten der Regierungsparteien - haben damals gemeint, es sei, wenn die Dinge im Rahmen der Rentenversicherung blieben, eine durchaus mögliche Lösung, den Rentnern beim Rentenempfang einen Zahlungsscheck, oder wie Sie es nennen wollen, einen Bond über den festgesetzten Beitrag in die Hand zu geben; damit könnten sie dann bei ihrer Krankenkasse, gleichviel wo, ob gesetzlich oder privat, ihre Beiträge regulieren. Es war also auf diese Kategorien Rücksicht genommen.
Nun die weitere Frage der Beitragsbemessung, wie sie jetzt in der Vorlage vorgesehen ist. Bisher ist es ja in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Tat so, daß über Beiträge und Leistungen die ,Selbstverwaltungsorgane beschließen. Das wird jetzt, obschon man die Rentner in den § 165 einbaut, insofern ausgeschaltet, als die Grundlagen für die ,Beitragsbemessung im Gesetz bestimmt werden. Ich glaube, man darf aussprechen, daß bei dieser Beitragsfestsetzung wahrscheinlich kaum eine Krankenversicherung in der Lage sein wird, die Leistungen in dem hier gesetzten Umfang zu erbringen.
Dann wird man natürlich auch zu einer Diskussion über die Frage kommen müssen, ob bzw. inwieweit es richtig und möglich ist, daß man die übrigen Versicherten in die Beitragslast für die Rentner einbezieht. Das sind alles Fragen nicht nur technischer Art, sondern von sicherlich sehr erheblicher Bedeutung.
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Ich sehe auch eine Unterschiedlichkeit in der Frage, die in Art. 1 Ziffer 1 Buchstabe c angesprochen ist, wonach der gesetzliche Anspruch an die Rentnerkrankenversicherung in den Fällen ausgeschlossen wird, wo Anspruch auf Familienhilfe
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besteht. Wir haben also dann in der Folge in der RVO zweierlei Recht; denn bisher gilt, daß da, wo ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch besteht, keine Familienhilfe gewährt wird. Ich wollte auch das nur andeuten.
Nun ein paar Bemerkungen zur Frage der Kostenbeteiligung. Die Ausführungen der Damen und Herren, die sich eben dazu geäußert haben, waren in ihrer Art zum Teil erheblich überspitzt. Ich bin der Meinung, daß die Gefahren, die sie für Früherkrankte, Frühdiagnosen usw. sehen, in dem Ausmaß gar nicht bestehen. Sie verschweigen ja, meine Damen und Herren, daß die Kostenbeteiligung heute weithin für die allgemeine Krankenversicherung in Geltung ist. Wir bekennen uns, was die Krankenscheingebühr und die Arzneikostenanteile angeht, im Grundsatz durchaus zur Regierungsvorlage. Wir sind der Ansicht, daß es auch mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage und die finanziellen Verhältnisse der Krankenversicherung, die ja nun einmal die solidarische Zusammenfassung der Versicherten ist, einfach gar nicht anders geht, als daß wir bei einer Neuordnung die Selbstkostenbeteiligung anders regeln als bisher. Wir stehen also positiv dazu. Ich möchte also das unterstreichen, was vorhin mein Kollege gesagt hat.
Was die Kostenbeteiligung der Rentner vor allen Dingen angeht, so haben wir politisch nicht unerhebliche Bedenken dagegen, die Beteiligung der Rentner an den Krankenhauskosten zu akzeptieren. Darüber, zu welchem Bruchteil sie bei Krankenscheinen und Arzneikosten beteiligt werden sollen, wird man reden können. Wir werden uns also bei aller grundsätzlichen Würdigung der Argumente, die die Regierung in der Frage vorträgt, doch mit diesem Punkt sehr kritisch befassen müssen.
Mit diesem Gesetzentwurf - und das ist eine positive Bestimmung - soll aber vor allen Dingen die finanzielle Seite sichergestellt werden. Der Zustand, daß die Rentenversicherungsträger immer mit, was weiß ich, wieviel Verspätung nachträglich zu weiteren Zuschüssen für die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung herangezogen werden müssen, kann nicht weiter so bleiben. Die Zuschüsse sind ohnehin sehr beträchtlich, und die Rentenversicherung muß ja schließlich auch in ihren Etats mit bestimmten festen Summen rechnen können. Wo soll sie sonst bleiben? Sie kommt ins Schwimmen. Das ist unmöglich, nachdem der durch eine damalige Verordnung eingeführte Lastenausgleich innerhalb der Ortskrankenkassen auch nicht zum Erfolg geführt hat, höchstens zu dem Ergebnis, daß nunmehr auch diejenigen Ortskrankenkassen, die früher Überschüsse aus diesen Zuschüssen gemacht hatten, auf einmal auch Fehlbeträge hatten und also zum Lastenausgleich nichts abführen konnten und können. Das bedarf dringend der Korrektur. Im Grundsatz ist deshalb das, was die Vorlage vorsieht, richtig.
Damit, meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Bemerkungen, die ich machen wollte, abschließen. Ich darf wiederholen, daß wir der Regierung in der grundsätzlichen Umstellung, also Einbau in die Krankenversicherung, folgen, daß wir uns aber mit Ihnen allen gemeinsam im Ausschuß redlich darum bemühen wollen, die Vorlage nun trotz der Schwierigkeiten, die in ihr stecken, zu einem guten und brauchbaren Ergebnis zu führen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Vorwurf des Herrn Arbeitsministers, daß ich an dem Grundproblem vorbeigeredet hätte, brauche ich mich wohl nicht auseinanderzusetzen. Die Entscheidung darüber darf ich dem Hause überlassen.
Herr Minister, Sie haben beanstandet, daß ich mich nicht mit der geschichtlichen Entwicklung der Rentnerkrankenversicherung beschäftigt habe. Meiner Fraktion und mir kam es darauf an, mich mit der Gegenwart und mit der Zukunft der Rentnerkrankenversicherung zu beschäftigen. Das war unser Anliegen.
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Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, daß Renten zu niedrig seien, daß Renten zum Teil zu hoch seien, daß sie manchen ungerechtfertigt neben einem sonstigen Einkommen gewährt würden usw. Das sind alles Dinge, die wollen wir gerne mit Ihnen im Zusammenhang der Vorlage der Sozialreform, der wir nun wirklich bald entgegensehen, erörtern. Aber für uns geht es hier darum, daß durch Ihre Vorlage in wesentlichen Punkten das Einkommen insbesondere der Rentner noch niedriger wird, und dagegen wehren wir uns.
Zu der Frage Krankenhauspflege und Beteiligung haben die Sprecher der Regierungskoalition und auch .der Herr Abgeordnete Horn soviel gesagt, daß ich dem wirklich nichts hinzuzufügen habe. Ich glaube, Herr Minister, in dieser Auffassung sitzen Sie hier ziemlich allein im Hause.
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Über die anderen Dinge, Reform der Handwerkerversicherung usw., sollten wir Ulks, glaube ich, im Zusammenhang mit diesem Gesetz nicht unterhalten. Das Entscheidende ist, daß uns die Regierung in dieser Hinsicht noch eine Vorlage vom 1. Bundestag über die Reform .der Handwerkerversicherung schuldet, und bei dieser Vorlage werden wir uns mit der Handwerkerversicherung, Halbversicherung und diesen Dingen auseinandersetzen.
Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, daß die ehrenamtlichen Organe der Rentenversicherung in dieser Sache wahrscheinlich eine andere Auffassung hätten, als ich hier vorgetragen habe. Das mag sein. Es mag auch sein, daß die ehrenamtlichen Organe der Krankenversicherung wieder in manchen Punkten eine andere Meinung haben als die ehrenamtlichen Mitglieder der Organe der Rentenversicherung. Das aber ergibt sich aus dem Pflichtenkreis, der den Betreffenden auferlegt ist,
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nämlich die Sonderinteressen ,der Rentenversicherung oder der Krankenversicherung wahrzunehmen. Wir haben hier die gemeinsamen Interessen wahrzunehmen,
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und deshalb ist unser Standpunkt ein anderer.
Noch eine Bemerkung muß ich machen, Herr Minister, bei aller Ehrerbietung, die ich Ihnen in Ihrem Amt und Ihnen als Person schulde und die ich Ihnen entgegenbringe. Ichglaube aber, Herr Minister, ich darf das einmal ganz offen hier sagen: es ist etwas peinlich, wenn Sie nun schon wiederholt Ihre Ausführungen schließen, indem Sie sich
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auf Persönlichkeiten berufen, die nicht hier sind. Sie haben einmal von August Schmidt gesprochen, dann haben Sie in einer früheren Rede Christian Stock und dann Staatssekretär Auerbach hier zitiert. Und über einen Toten wollen wir hier doch nicht sprechen!
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Das lehne ich ab. Wenn Sie über die Fragen der Berliner Sozialversicherung etwas zu sagen haben, dann werden Sie es in Berlin sagen. Sie haben es in Berlin gesagt. Ich habe in Berlin immer zu den Fragen der Berliner Sozialpolitik Stellung genommen, und die letzte Wahl in Berlin hat darüber eine Antwort gegeben.
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Die Dinge liegen doch so - ich möchte das ganz klar sagen -: Herr Minister, für Sie sind die Berliner Sozialprobleme eins unter tausend anderen Problemen und Sorgen, die Sie im Amte haben. Glauben Sie doch, mir stehen die Dinge wirklich näher. Werfen Sie doch hier nicht solche Dinge in die Diskussion! Ich könnte auch darüber eine Diskussion eröffnen; aber der Herr Präsident verweist dann auf die Geschäftsordnung.
Dem, was Frau Kollegin Finselberger erwähnt hat, die darauf hingewiesen hat, daß das ein falscher Vorgriff auf die Sozialreform ist, können wir in vielen Punkten voll und ganz zustimmen, auch manchem, was Herr Kollege Hammer gesagt hat. Das müssen Sie dann im Ausschuß noch etwas konkretisieren. Dann werden sich die Meinungen zeigen. Ich bin auch froh, daß Herr Kollege Horn als Sprecher der CDU gesagt hat: Wir wollen die Dinge im Ausschuß in die rechte Ordnung bringen. Nun, was rechte Ordnung ist und was eine falsche Ordnung ist, darüber werden wir sicher in mancher Hinsicht unterschiedlicher Meinung sein. In bezug auf die Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege haben Sie sich schon deutlich ausgesprochen. Da werden wir gemeinsam gehen können. In anderen Dingen - Erweiterung der Kostenbeteiligung - halten wir das, was Sie als rechte Ordnung bezeichnen, für ein soziales Unrecht. Darüber wird dann nachher eine Mehrheitsentscheidung getroffen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache der ersten Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung an die Ausschüsse. Es ist vorgesehen Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik. Es liegt ein Antrag des BHE vor auf Mitberatung durch den Ausschuß für Gesundheitswesen. Wer diesen Überweisungsanträgen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ehe ich Punkt 3 - Entwurf des Bundesversicherungsamtsgesetzes aufrufe, erlaube ich mir die Frage, ob auf Debatte verzichtet wird.
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Dann mache ich Ihnen den Vorschlag, daß wir Punkt 4 - Arbeitsgerichtsgesetz -, zu dem keine Debatte und keine Begründung vorgesehen sind, eben noch erledigen, die Punkte 3 und 5 der Tagesordnung von heute auf die Tagesordnung von morgen setzen, und zwar nicht als Punkte 1 und 2, sondern als Punkte 3 und 4. Die Tagesordnung für morgen würde sich dann entsprechend verändern. Ich glaube, das Haus sollte Wert darauf legen, daß es entsprechend der für morgen aufgestellten Tagesordnung mit der Beantwortung der Großen Anfrage über die Röchlingwerke beginnt und anschließend den Antrag betreffend Plenarsitzung in Berlin behandelt.
({1}) - Zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, Punkt 5 der heutigen Tagesordnung, Gesetz über Kassenarztrecht, morgen nicht zu behandeln. Wegen der Wichtigkeit der Frage ist nicht mit einer endgültigen Behandlung zu rechnen. Ich beantrage, diesen Punkt als ersten Punkt auf die Tagesordnung der Sitzung in 14 Tagen zu setzen.
Als ersten Punkt auf die Tagesordnung der Sitzung in 14 Tagen. - Ich höre keinen Widerspruch zu diesem Vorschlag. Das Haus ist damit einverstanden; wir verfahren so.
Dann hätten wir morgen noch den Punkt 3, Bundesversicherungsamtsgesetz, auf die Tagesordnung zu nehmen.
Nun rufe ich auf Punkt 4:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes ({0}).
Auf Begründung ist verzichtet. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits bei der Beratung des Arbeitsgerichtsgesetzes im September 1953 stellten wir den Antrag, daß neben den Gewerkschaften auch die Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufserzieherischen Zwecksetzungen das Vorschlagsrecht für die Ernennung von Arbeitsrichtern erhalten sollen. Wir kamen mit diesem Antrag nicht zum Zuge. Wir haben ihn damals eingehend begründet.
Beim Sozialgerichtsgesetz wurde unserem Antrag stattgegeben, dagegen nicht beim Arbeitsgerichtsgesetz. Ich möchte unseren Antrag wiederholen und beantrage also, diesen Gesetzentwurf dahingehend zu erweitern, daß die Arbeitnehmervereinigungen, die ich nannte, neben den Gewerkschaften das Vorschlagsrecht für die Ernennung von Arbeitsrichtern erhalten.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich urn ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir nach den getroffenen Vereinbarungen am Schluß der 'heutigen Sitzung. Ich darf bitten, die Drucksachen zu Punkt 3 der heutigen Tagesordnung morgen mitzubringen, da sie nicht wieder verteilt werden können.
Die nächste, die 81. Sitzung des Deutschen Bundestags wird einberufen auf Freitag, den 6. Mai 1955, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.