Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich bekanntzugeben: Der Ausschuß zum Schutze der Verfassung hält heute nachmittag um 15 Uhr aus dringenden Gründen eine Sitzung ab.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung ({1}) ({2}).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Staatsminister Dr. Frank.
Dr. Frank, Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat sich am 11. März 1955 abschließend mit den drei Gesetzen der Finanzreform befaßt.
Ich habe die Ehre, Ihnen zunächst über das erste Gesetz, das Finanzverfassungsgesetz, Bericht zu erstatten. Die Vorlage, die die Bundesregierung vor ungefähr einem Jahr in Ausführung des im Art. 107 des Grundgesetzes enthaltenen Verfassungsauftrags einbrachte, begegnete im Bundesrat im ersten Durchgang erheblicher Kritik, die ihren Niederschlag in einem eigenen Entwurf zum Finanzverfassungsgesetz, dem Gegenvorschlag des Bundesrats, fand. Der Bundesrat bemängelte die zu starke Betonung der Bundesinteressen und vermißte den angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Forderungen des Bundes und der Länder. In der Drucksache 480 legte die Bundesregierung ihren Entwurf zusammen mit der Stellungnahme und dem Gegenvorschlag des Bundesrats diesem Hohen Hause vor. In seiner Sitzung vom 19. November 1954 nahm der Bundestag den Entwurf in einer Fassung an, . die auf der Regierungsvorlage aufbaute, aber in zwei bedeutsamen Punkten, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, die Übereinstimmung zwischen der Regierungsvorlage und dem Gesetzesvorschlag des Bundesrats aufgab. Der Bundesrat verweigerte in seiner Sitzung vom 3. September 1954 dem Gesetzesbeschluß des Bundestages, zu dem seine Zustimmung erforderlich war, sein Einverständnis. Die Bundesregierung verlangte daraufhin gemäß Art. 77 Abs. 2 Satz 4 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses. Das Ihnen in der Drucksache 1254 vorliegende Vermittlungsergebnis ist in mehreren Sitzungen des Vermittlungsausschusses und eines von ihm eingesetzten Unterausschusses erarbeitet worden. Es stellt einen neuen Entwurf des Finanzverfassungsgesetzes dar, da das Finanzverfassungsgesetz im ganzen Gegenstand der Beschlußfassung des Vermittlungausschusses war. Ich darf eine kurze Darstellung der wesentlichen Punkte des Vermittlungsergebnisses geben.
In der Frage der Oberleitung von Ländersteuern auf den Bund schlägt der Vermittlungsausschuß die Überleitung von vier Steuern, nämlich der Kraftfahrzeugsteuer, der Kapitalverkehrsteuer, der Versicherungsteuer und der Wechselsteuer, vor. Der Bundestag hatte darüber hinaus noch die Überleitung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer verlangt, während der Bundesrat entsprechend der Fassung der Regierungsvorlage jegliche Überleitung abgelehnt hatte. Der Bundesrat erblickt in der Überleitung dieser Steuern eine Aushöhlung der Finanzhoheit der Länder und eine Gefährdung des föderalistischen Aufbaus der Bundesrepublik. Für den Bundestag dagegen waren allgemeine finanzwirtschaftliche und steuersystematische Gründe maßgebend. Der Vermittlungsausschuß hat die Überleitung auf die Ländersteuern beschränkt, die infolge ihrer fehlenden regionalen Radizierbarkeit nach seiner Ansicht zum Bund tendieren.
Hinsichtlich der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer - und damit komme ich zu dem weiteren Hauptpunkt - übernimmt der Vermittlungsausschuß im Art. 106 Abs. 1 der von ihm vorgeschlagenen Fassung des Grundgesetzes den Beschluß des Bundestages, der dem Bund eine ausschließliche, selbständige, direkte Steuerquelle eröffnet. Der Bundesrat wollte dem Bund die Ermächtigung geben, durch zustimmungsbedürftiges Gesetz Zuschläge zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer zu erheben. Der entscheidende praktische Unterschied zwischen den beiden Regelungen liegt in der Zustimmungsfrage. Mit Rücksicht auf die überwiegend den Ländern zufließende Einkommensteuer und Körperschaftsteuer glaubte der Bundesrat auf die Forderung der Zustimmungsbedürftigkeit nicht verzichten zu können.
Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses enthält keine Bestimmungen über die Zuweisung neuer Steuern. Der Vermittlungsausschuß hat sich der Auffassung des Bundesrats angeschlossen, daß auf eine Regelung in der Verfassung verzichtet werden kann.
Das Aufkommen an Abgaben von Spielbanken hat der Vermittlungsausschuß ausschließlich den Ländern zugewiesen, ohne also eine Beteiligung des Bundes vorzusehen.
Besonders schwierige Fragen wirft die Behandlung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer auf, und zwar insbesondere die generelle Zuweisung dieser Steuern und die Festsetzung des Bundesanteils. Der Bundestag hatte die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer entsprechend der Regierungsvorlage als gemeinschaftliche Steuern des Bundes und der Länder vorgesehen, im Gegensatz zur Regierungsvorlage jedoch die verfassungskräftige Aufteilung auf die beiden Partner abgelehnt. Der Bundesrat hatte die generelle Zuweisung dieser beiden Steuern an die Länder und die verfassungskräftige Festlegung des Bundesanteils gefordert. Er hatte seine Forderungen mit der überragenden und entscheidenden Stellung dieser Steuern im Steuersystem und im Haushalt der Länder begründet, während der Bundestag eine gleichberechtigte Partnerschaft an diesen Puffersteuern für unerläßlich hielt. Das Vermittlungsergebnis geht in der vorliegenden Fassung des Art. 106 Abs. 3 und 4 des Grundgesetzes dahin, daß es die Aufteilung der beiden Steuern zwischen Bund und Ländern auf Grund bestimmter verfassungskräftiger Merkmale einem einfachen Bundesgesetz überläßt. Dieses Gesetz soll jeweils für mindestens zwei Jahre gelten. Der Beschluß des Bundestages sah eine Laufzeit von mindestens drei Jahren vor. Für die Entscheidung des Vermittlungsausschusses war die Überlegung maßgebend, daß die Einkom({3})
mensteuer und die Körperschaftsteuer bereits heute praktisch in weitem Umfange den Charakter gemeinschaftlicher Steuern hätten und daß kein Anlaß bestehe, diese gleichberechtigte Partnerschaft für die Zukunft, auch nicht in der Verfassung, niederzulegen. Die verfassungskräftige Festlegung der Anteile sah der Vermittlungsausschuß wegen der noch im Lauf befindlichen Lastenentwicklung als unzweckmäßig und wegen der vorgesehenen Revisionsmöglichkeit auch als praktisch bedeutungslos an. Der Einwand des Bundesrates, daß diese Festlegung der Einkommen- und Körperschaftsteuer als einer gemeinschaftlichen Steuer des Bundes und der Länder auch nicht im Einklang mit dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik stehe und überdies die Beweislast für die Inanspruchnahme von Anteilen an diesen Steuern zu Lasten der Länder verschiebe, wurde vom Vermittlungsausschuß nicht anerkannt.
In der weiteren wichtigen Frage der finanziellen Sicherung der Länder gegen Belastungen des Bundes folgt der Vermittlungsvorschlag im Art. 106 Abs. 5 dem Beschluß des Bundestags. Der Bundesrat hatte eine weitergehende Sicherstellung gefordert, nämlich die Abstellung auf die Zumutbarkeit statt, wie geschehen, auf den Bedarf, da er den Vorschlag des Bundestages weder für die Länder insgesamt noch für einzelne Länder und Gemeinden als ausreichend erachtete. Der Vermittlungsausschuß glaubt die Länder jedoch mit seinem Vorschlag genügend gesichert und hält die Forderung des Bundesrates 'außerdem auch für verfassungsrechtlich unzulässig.
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Länderfinanzausgleichs - damit komme ich auf Art. 107 des Grundgesetzes - besteht
zwischen dem Beschluß 'des Bundestages und der Auffassung des Bundesrates eine Divergenz in der Ausgleichsmethodik. Der Bundesrat fordert als ausschließliche Form den horizontalen Ausgleich, d. h. den Ausgleich durch Länderbeiträge. Nur in Ausnahmefällen soll dieser horizontale Ausgleich durch Bundeszuweisungen ergänzt werden. Der Beschluß des Bundestags sieht wahlweise die horizontale Lösung und den vertikalen Vollzug aus Bundesmitteln vor.
Der Vermittlungsausschuß hat sich der Argumentation des Bundesrats, daß der Länderfinanzausgleich im Grunde eine reine Länderangelegenheit sei, angeschlossen und hat den Vorschlag des Bundesrats übernommen.
Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat das Inkrafttreten des Finanzverfassungsgesetzes auf den 1. April 1956 hinausgeschoben. Er ist der Ansicht, daß es sich empfiehlt, das Finanzverfassungsgesetz erst zu einem Zeitpunkt wirksam werden zu lassen, zu dem die weitere finanzwirtschaftliche Entwicklung in Bund und Ländern klarer als bereits am 1. April 1955 zu übersehen ist.
Namens des Vermittlungsausschusses habe ich die Ehre, das Hohe Haus zu bitten, einen Beschluß gemäß Drucksache 1254 zu fassen. Ich weise dabei darauf hin, daß der Vermittlungsausschuß nach § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, die gemeinsame Abstimmung über alle Änderungen zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, bei diesem Punkt und bei den nächstfolgenden Punkten ist eine Aussprache nicht vorgesehen, da es sich um Berichte des Vermittlungsausschusses handelt. Es können nur Erklärungen gemäß § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses abgegeben werden.
Das Wort zur Abgabe einer solchen Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das lange und schwierige Ringen um die vom Grundgesetz verlangte Regelung der Verteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern findet, so hoffen wir, mit der Annahme der Vorschläge des Vermittlungsausschusses in Bundestag und Bundesrat nunmehr doch ein Ende und einen, wie wir erwarten dürfen, befriedigenden Abschluß. Das darf wohl zum Anlaß genommen werden, noch einmal kurz dieses Vorgangs zu gedenken, und ich darf namens der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE und DP eine kurze Erklärung abgeben.
Über die Notwendigkeit und das Ziel der Finanzreform bestand zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung volles Einverständnis. Es handelte sich hier um eine Verpflichtung, die sich aus der zwingenden Vorschrift des Art. 107 des Grundgesetzes herleitete. Sie hat in der mehrjährigen Erörterung, so darf man wohl sagen, zeitweise eine ernste Belastungsprobe hinsichtlich der Tragfähigkeit unserer bundesstaatlichen Konstruktion dargestellt. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß nunmehr als Ergebnis dieser Beratungen und dieses Ringens ein tragfähiger Vorschlag vorgelegt wird.
Der Vermittlungsausschuß hat sich bei seinen Vorschlägen genau an die Zielsetzung gehalten, die die Finanzreform nun einmal haben sollte und mußte. Sie hatte dem deutschen Bundesstaat eine Finanzverfassung zu geben, die den Grundsätzen der föderativen Staatsordnung entspricht, und damit sowohl die Erfüllung der gesamtstaatlichen Aufgaben als auch die finanzielle Existenz der Länder zu sichern. Sie hatte weiterhin Bund und Länder zu planmäßiger und eigenverantwortlicher Haushaltführung instand zu setzen, sie aber auch zu gegenseitiger Rücksichtnahme anzuhalten und nicht zuletzt ihrer gemeinsamen Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler zu entsprechen. Die Finanzreform sollte schließlich das finanzielle Verhältnis zwischen Bund und Ländern dauerhafter und reibungsloser gestalten als das gegenwärtige System. Es darf hier festgestellt werden, daß im Vermittlungsausschuß, d. h. unter den dort tätigen Vertretern von Bundestag und Bundesrat, volles Einvernehmen über die bisher strittigen Fragen des Finanzanpassungsgesetzes und des Länderfinanzausgleichgesetzes hergestellt war. Das wird aus den noch folgenden Berichten hervorgehen.
Auch beim Finanzverfassungsgesetz haben die Vermittlungsverhandlungen zu einer weitgehenden Annäherung der Standpunkte geführt. In entscheidenden Punkten ist die Verständigung - das darf hier wohl gesagt werden - durch ein bestimmtes Nachgeben der Vertreter des Bundestages gegenüber den Wünschen des Bundesrats erzielt worden. Zu diesen Punkten gehört zunächst die Tatsache, daß nunmehr die Länder die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer behalten sollen, deren Besitz für sie einen wesentlichen Bestandteil im Ländersteuersystem darstellt.
Weiterhin ist den Wünschen des Bundesrats in der Fassung der Sicherungsklausel entgegengekommen worden. Sie ist zuungunsten des Bundes
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und zugunsten der Länder insofern geändert worden, als Mehrbelastungen, die den Ländern durch ein Bundesgesetz erwachsen, die Sicherungsklausel prinzipiell auch dann auslösen können, wenn dem Bund aus anderem Anlaß seinerseits höhere Belastungen erwachsen sind.
Ein weiterer Punkt des Nachgebens gegenüber den Wünschen des Bundesrats ist die Gestaltung des Länderfinanzausgleichs nach Art. 107 Abs. 2 des Grundgesetzes. Hier hat sich die föderative Konzeption der Länder voll durchgesetzt.
Die Vorschläge, die der Vermittlungsausschuß nunmehr abschließend gemacht hat, sind im Hinblick auf das Ziel der Finanzreform durch folgende von uns erwartete Wirkungen zu kennzeichnen: eine klare Abgrenzung der Ausgabenverantwortung zwischen Bund und Ländern, rationelle Gestaltung des Finanzverhältnisses zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und eine bedarfsgerechte Aufteilung der Steuereinnahmen. Das sind nach unserer Meinung wesentliche Voraussetzungen dafür, daß die öffentlichen Gesamtaufgaben in allen Bereichen der Verwaltung wirtschaftlich und wirksam erfüllt werden können.
Weiterhin wird dem Ziel entsprochen, indem bei der Verteilung der Einzelsteuern auf Bund und Länder sichergestellt wird, daß die Länder diejenigen Steuern behalten, in denen die regionalen Besonderheiten ihrer Wirtschaftsstruktur zum Ausdruck kommen, während der Bund diejenigen Steuern erhält, die überregionale Bedeutung haben und bei denen im Aufkommen von Land zu Land sehr erhebliche Unterschiede sind.
Ferner wird der Zielsetzung entsprochen, indem eine gewisse Stabilisierung des Finanzverhältnisses zwischen Bund und Ländern im Rahmen des Möglichen herbeigeführt wird, so daß, wie wir hoffen, die jährlichen Auseinandersetzungen über das Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer ausgeschaltet werden.
Schließlich darf auch nicht übersehen werden, daß im Interesse gerade des föderativen Staatsaufbaus die finanziellen Existenzgrundlagen der Länder eine nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Sicherung erfahren, indem nunmehr die bindende Vorschrift geschaffen wird, daß bei der Aufteilung der verfügbaren Steuereinnahmen die finanziellen Bedürfnisse des Bundes und der Länder prinzipiell als gleichberechtigt anzuerkennen sind. Abgelehnt worden ist der Gedanke, daß gewissermaßen dem Bund eine Priorität in der Dekkung seines Bedarfs gegenüber den Ländern zustehe.
Weiterhin wird eine finanzielle Sicherung der Länder gegen Mehrbelastungen oder Einnahmekürzungen durch Bundesgesetz gegeben. Der Länderfinanzausgleich erfährt eine starke Intensivierung, die auch die Lebensfähigkeit der leistungsschwachen Länder sicherstellt.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß dem Bundesrat der Zustimmungsvorbehalt bei allen künftigen, den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und unter den Ländern berührenden Entscheidungen verbleibt.
Angesichts dieser -Zugeständnisse der Bundestagsmitglieder im Vermittlungsausschuß darf wohl - und ich darf das ausdrücklich für die erwähnten Fraktionen der Regierungsparteien hier feststellen - erwartet werden, daß das Gesamtwerk der Finanzreform nunmehr auch im Bundesrat mit
großer Mehrheit verabschiedet wird. Ohne die Mitverabschiedung des Finanzverfassungsgesetzes - wo noch bestimmte unterschiedliche Auffassungen in gewissen Nuancen bestehen - würde die Finanzreform ein Stückwerk bleiben, 'und es würde uns eine Wiederaufnahme dieser Auseinandersetzungen erneut beschert werden, ohne daß zu erkennen ist, ob wirklich etwas anderes oder etwas Besseres noch herauskommen kann.
Die mehrjährigen Erörterungen haben gezeigt, daß bei den gegebenen politischen und verfassungsrechtlichen Möglichkeiten eine andere Lösung praktisch nicht zu verwirklichen ist. Sie haben weiterhin gezeigt, daß in den meisten Fragen eine so weitgehende Übereinstimmung erzielt ist, daß das Scheitern der Finanzreform, insbesondere bei der Finanzverfassung wegen der noch verbleibenden restlichen Differenzpunkte, nicht zu verantworten wäre, zumal keiner dieser Streitpunkte die materielle Finanzausstattung der Länder oder ihre staatsrechtliche Stellung gegenüber dem Bund irgendwie berühren könnte.
Es darf daher vielleicht abschließend noch einmal daran erinnert werden, daß die Auseinandersetzung über die Finanzverfassung zu einer Belastungsprobe für den föderativen Staatsaufbau zu führen geeignet ist, wenn nicht die tragenden Elemente dieses föderativen Aufbaues, nämlich der Bund und die Länder, die Zentrale und die Glieder, sich wirklich zu einer nunmehr abschließenden und tragfähigen Lösung zusammenfinden. Es ist staatspolitische Notwendigkeit, die es erforderlich macht, daß vermieden wird, die Arbeits-und Lebensfähigkeit des Bundesstaates, das gesunde Spannungsverhältnis zwischen Zentrale und Gliedern erneut Belastungsproben zu unterwerfen und es Belastungen auszusetzen, die unter Umständen den ganzen Staat arbeitsunfähig machen können, die die bundesstaatliche Verfassung bei der Bevölkerung in Mißkredit zu bringen geeignet sein könnten und die schließlich sogar zu einer Gefährdung der 'demokratischen Staatsform als Ganzes führen könnten. Wir sollten uns bei der Verabschiedung dieser ,Finanzverfassung in beiden Häusern nunmehr darüber klar sein, daß aus diesem ungelösten Problem des finanziellen Verhältnisses von Bund und Ländern in der leidvollen deutschen Vergangenheit immer wieder Spannungen hervorgegangen sind, die zu einer Gefährdung des Ganzen geführt haben. Aus dieser Verantwortung heraus sollte nun in beiden Häusern, so hoffen wir, diesem Reformwerk zugestimmt werden.
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Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab:
Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag vor einem Jahre in der Drucksache 480 einen in sich geschlossenen Gesetzentwurf zur Reform der Finanzverfassung, zur Konsolidierung der finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern und zur Stabilisierung und Intensivierung des Finanzausgleichs unter den Ländern vorgelegt, der die Bundesrepublik mit ihrer unglücklichen, auf die Einwirkung der Besatzungsmächte zurückgehenden Finanzverfassung stärken, die fi({0})
nanzielle Verantwortung der öffentlichen Verwaltung nicht zuletzt im Interesse des Steuerzahlers verbessern und den jährlichen Streit um den vertikalen wie um den horizontalen Finanzausgleich ausschließen sollte. Zwischen den in der Drucksache 480 vereinigten Gesetzentwürfen bestand zwar rechtlich kein Junktim, wohl aber materiell. Staatswirtschaftlich gesehen bilden die Gesetzentwürfe eine Einheit. Sie konnten mithin auch vom Bundestag und vom Bundesrat nur als eine Einheit betrachtet und behandelt werden.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 19. November 1954 die Gesetzentwürfe, nachdem sie in eingehenden Beratungen des Finanzausschusses wesentlich geändert und, wie wir glauben, verbessert worden sind, beinahe einstimmig angenommen. Es sei daran erinnert, daß während der Ausschußberatungen die Vorlagen durch die Wünsche der Finanzminister der Länder, mit denen wir laufend Verständigung suchten, durch eine Reihe von Zugeständnissen an die Länder beeinflußt und geändert worden sind.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 3. Dezember 1954 den Gesetzentwürfen die nach dem Grundgesetz erforderliche Zustimmung versagt. Wieder haben vom Dezember 1954 bis zum März 1955 in eingehenden Beratungen des Vermittlungsausschusses und des von ihm 'eingesetzten Unterausschusses die Mitglieder des Bundestages weitere Konzessionen an die Länder gemacht, die soeben von Herrn Kollegen Dr. Hellwig ausführlich, aber zutreffend dargelegt worden sind. Ich möchte deshalb nur folgendes unterstreichen: Die Besorgnis der Länder, daß die finanziellen Bedürfnisse des Bundes einen Vorrang vor denen der Länder haben sollten, ist ausgeräumt worden, indem nunmehr verfassungskräftig gemacht worden ist, daß bei der Aufteilung der verfügbaren Steuereinnahmen Bund und Länder in ihren finanziellen Bedürfnissen grundsätzlich gleichberechtigt sind. Ebenso werden die Länder durch das Grundgesetz gegen Mehrbelastungen oder Einnahmekürzungen durch Bundesgesetze gesichert. Der Länderfinanzausgleich ist erheblich intensiviert worden, so daß auch die leistungsschwachen Länder in ihrer Finanzkraft gestärkt worden sind.
Die SPD-Fraktion bezweifelt, ob die jetzt gefundenen Lösungen ausreichend sind, um für die Zukunft der Finanzwirtschaft des Bundes die innere Festigkeit und Stetigkeit zu geben, zumal eine Fülle von Hemmungen durch die verschiedenen Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates eingebaut worden sind, die es fraglich machen, ob der Bund in der Lage sein wird, seine gesamtstaatlichen Aufgaben zu erfüllen, zu denen er durch das Grundgesetz verpflichtet ist und zu denen er wegen der politischen und sozialpolitischen Notwendigkeiten unserer Zeit befähigt sein muß. Diese Besorgnisse sind so groß, daß die SPD-Fraktion sie aussprechen möchte. Zum anderen glaubt sie aber aus ihrer politischen Mitverantwortung heraus, den jetzt in den Drucksachen 1254 bis 1258 vorliegenden Ergebnissen des Vermittlungsausschusses ihre Zustimmung nicht versagen zu sollen. Alle Teilnehmer des Vermittlungsausschusses und seines Unterausschusses haben sorgfältig, sachlich und loyal verhandelt, so daß das nunmehr vorliegende Ergebnis als das angesehen werden muß, was heute von beiden Seiten, von Bund und Ländern, überhaupt erreicht werden kann. Im Augenblick sind die Probleme unserer finanziellen Ordnung erschöpfend ausdiskutiert. Eine Rückkehr zum alten Art. 106 des Grundgesetzes ist nicht möglich. Im Jahre 1955 können neue Erfahrungen und Argumente nicht mehr vorgebracht werden. Eine nochmalige Verlängerung der zweimal verlängerten Frist des Art. 107 erscheint uns deshalb schlechterdings nicht vertretbar.
Die SPD-Fraktion gibt ihre Zustimmung zu den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses in der Erwartung ab, daß die Gesetzentwürfe in der vorliegenden Form nun auch im Bundesrat angenommen werden. Die noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten im Finanzverfassungsgesetz betreffen Nuancen, nicht mehr!
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Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 1254, wobei über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, 'den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen auf der rechten Seite des Hauses angenommen.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Anpassung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an die Finanzverfassung ({1}) ({2}).
Das Wort als Berichterstatter hat der Staatsminister Dr. Troeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, dem Hohen Hause zu berichten über das Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß wegen des sogenannten Finanzanpassungsgesetzes. Dieses Gesetz soll eine möglichst klare Abgrenzung der Lasten zwischen Bund und Ländern herbeiführen und damit die Voraussetzungen für eine sparsame und wirtschaftliche Gebarung schaffen. Im Hinblick auf dieses Ziel hat sich der Vermittlungsausschuß bei seinen Beratungen davon leiten lassen, erstens eine Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung anzustreben und zweitens gegenseitige Verrechnungen zwischen dem Bund und den Ländern abzubauen.
Die zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat strittigen Fragen dieses Gesetzentwurfs hat das Bundesfinanzministerium in einer Ubersicht vom 9. Dezember 1954 zusammengestellt. Diese Übersicht war Grundlage und Leitfaden für die Beratungen sowohl im Unterausschuß, den der Vermittlungsausschuß eingesetzt hatte, als auch im Vermittlungsausschuß selbst. Ich darf mir deshalb erlauben, in der Reihenfolge dieser Ubersicht die strittigen Fragen und die Empfehlungen des Vermittlungsausschusses vorzutragen.
Zunächst handelt es sich um die §§ 1 und 2 des Gesetzentwurfs, nämlich um die Frage, ob der
Bund Zuschüsse zu den Verwaltungskosten der Länder überhaupt zahlen soll - das ist der § 1
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- und inwieweit er solche Zuschüsse, insbesondere auf dem Gebiet der Steuerverwaltung zahlen soll. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung hält es der Vermittlungsausschuß für zweckmäßig, in Zukunft von einer wechselseitigen Beteiligung an den Verwaltungskosten Abstand zu nehmen. Er empfiehlt deshalb dem Hohen Hause, die bisherige Beitragsregelung auf dem Gebiet der Steuerverwaltung, und zwar einschließlich der Abgaben für den Lastenausgleich, mit dem Ablauf des Rechnungsjahrs 1954, also mit dem 31. März 1955, aufzuheben. Die Länder verlieren dadurch gegenüber dem bisherigen Zustand eine Forderung an den Bund in Höhe von vielleicht 450 Millionen DM jährlich. Sie erwarten, daß dieser Verlust durch eine Senkung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer voll ausgeglichen wird. Entschließt man sich dazu, diese neue Regelung der Kosten auf dem Gebiet der Steuerverwaltung einzuführen, dann ist es nur logisch und sinnvoll, eine Kostenbeteiligung des Bundes in denjenigen Fällen, in denen die Verwaltung der Länder weisungsgebunden ist, nicht mehr zuzulassen, zumal sich im einzelnen kaum ermitteln läßt, ob und in weichem Umfang gerade durch die Weisungsbefugnisse des Bundes der Gesetzesvollzug in den Ländern verteuert wird. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt deshalb einstimmig, den § 1 des Gesetzentwurfs ersatzlos zu streichen.
Aus diesen Änderungen der §§ 1 und 2 ergeben sich gewisse redaktionelle Änderungen an anderen Stellen des Gesetzes, über die ich wohl im einzelnen nicht zu berichten brauche.
Der nächste Punkt der Auseinandersetzungen im Vermittlungsausschuß betraf den § 3 des Gesetzentwurfs, nämlich die Änderung der Bestimmungen im § 6 des Lastenausgleichsgesetzes. Der Bundestag hat soeben auf Grund der Vorschläge des Vermittlungsausschusses zum Finanzverfassungsgesetz beschlossen, daß die Vermögensteuer nicht auf den Bund übergehen, sondern bei den Ländern verbleiben soll. Mit diesem Beschluß steht materiell im Widerspruch der Vorschlag in § 3 des Finanzanpassungsgesetzes, wonach das Aufkommen aus der Vermögensteuer ungeschmälert bis zum 31. März 1979, also für die nächsten 25 Jahre, nicht den Ländern, sondern dem Lastenausgleichsfonds zukommen soll. Der Vermittlungsausschuß war sich dieses Widerspruchs vollkommen bewußt, ist aber trotzdem dazu gekommen, zunächst vorzuschlagen, den § 3 des Entwurfs für das Finanzanpassungsgesetz zu streichen, es daher bei der bisherigen Bestimmung zu belassen und es dem Vermittlungsausschuß anheimzugeben, in der Novelle zum Lastenausgleichsgesetz einen Ersatzdeckungsvorschlag zu entwickeln, der von beiden Häusern wäre. Es wird also zu § 3 die Streichung der vorgesehenen Änderungen im Finanzanpassungsgesetz empfohlen.
Der nächste Fragenkomplex betrifft die Pauschalierung der Kriegsfolgenhilfe. Da die beabsichtigte Pauschalierung auch vom Bundesrat grundsätzlich gebilligt wurde, waren die hier aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat nur von geringerer Bedeutung. Sie betreffen im allgemeinen nur die technische Durchführung der Pauschalierung. Der Vermittlungsausschuß hat sich hier um eine klare und einfache Lösung in verschiedenen Fällen bemüht. Er empfiehlt Ihnen, wegen der Abgrenzung der zu pauschalierenden Aufwendungen dem Beschluß des Bundestages zu folgen und von der Einzelverrechnung der Aufwendungen für Grenzdurchgangslager sowie für die lagermäßige Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge abzusehen. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt Ihnen, wegen der Erhöhung des Grundbetrags für einzelne Fürsorgeleistungen auf 110% dem Beschluß des Bundestags zu folgen, nachdem sich der Vorschlag des Bundesrats als ein Redaktionsversehen herausgestellt hat. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, wegen der Sonderregelung für die Tbc-Hilfe den Vorschlag des Bundesrats in einer etwas geänderten Fassung zu akzeptieren. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, wegen der Abschlagszahlungen auf die Pauschbeträge dem Vorschlage des Bundesrats in einer etwas verbesserten Fassung zu folgen. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, wegen der Weiterleitung der Pauschbeträge durch die Länder den Vorschlag des Bundesrats anzunehmen. Schließlich empfiehlt der Vermittlungsausschuß, was die Revisionsklausel angeht, dem Vorschlag des Bundesrats nur insoweit zu folgen, als die Neufestsetzung der Pauschbeträge auf Veränderungen im Geltungsbereich des Gesetzes überhaupt abgestellt wird und nicht auch schon auf solche Veränderungen, die nur gewisse Verlagerungen in der Belastung von Land zu Land zur Folge haben.
Meine Damen und Herren, der nächste Punkt von besonderem Gewicht war bei den Beratungen im Vermittlungsausschuß die Behandlung und Bemessung der Interessenquoten. Der Bundestag hatte beschlossen, die Interessenquoten der Länder und Gemeinden für die Fürsorgeleistungen bei Sowjetzonenflüchtlingen und für die Leistungen nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz allgemein von 15 auf 25% zu erhöhen und die Interessenquote für die Leistungen nach dem Bundesergänzungsgesetz für die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung von 10 auf 25% zu erhöhen.
Der Vermittlungsausschuß hat sich mit diesen Fragen eingehend befaßt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Interessenquote nicht höher als 20 % sein sollte. Es ist zum Ausdruck gebracht worden, daß bei 25% der Charakter der Interessenquote aufhört und der Charakter der Beitragszahlung beginnt, das Quantitative in das Qualitative umschlägt. Eine Interessenquote ist ferner nach der Auffassung des Vermittlungsausschusses nur dann gerechtfertigt, wenn bei dem Gesetzesvollzug den Ländern überhaupt ein Ermessensspielraum verblieben ist. Die Leistungen nach Abschnitt I des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes sind in ihrer Höhe absolut festgelegt. Hier gibt es bei dem Vollzug des Gesetzes kein Ermessen. Anders ist es bei den Entschädigungsleistungen nach Abschnitt II dieses Gesetzes, welche Kann-Leistungen sind. Hier sind Darlehen und Beihilfen vorgesehen. Der Vermittlungsausschuß ist aus diesen grundsätzlichen Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, daß bei dem Vollzug des Abschnitts I des Gesetzes betreffend die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener ein Raum für die Festsetzung einer Interessenquote überhaupt nicht besteht. Er ist im übrigen der Meinung, daß für den Abschnitt II des genannten Gesetzes die Interessenquote, wie in anderen Fällen auch, von 15 auf 20 % erhöht werden sollte. Er hat jedoch, was das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung angeht, einmütig den Beschluß gefaßt, es bei der bisherigen Regelung von 10 % Interessenquote zu belassen.
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Ein anderes Thema, das den Vermittlungsausschuß beschäftigen mußte, war die Abgrenzung der Befugnisse der Bundesbehörden gegenüber den Landesbehörden bei der Bewirtschaftung von Bundesmitteln durch die Länder selbst oder durch die Gemeinden. Es handelte sich hier um die Frage einer Neufassung von § 4 Abs. 2 des Ersten Überleitungsgesetzes. Der Bundesrat hatte grundsätzliche Einwendungen erhoben. Die Frage läßt sich in zwei Unterfragen teilen, nämlich die erste Frage nach den haushaltsrechtlichen Vorschriften und die zweite Frage nach dem Weisungsrecht der obersten Bundesbehörden. Aus der Tatsache, daß die Länder und Gemeinden unmittelbar Mittel des Bundesetats zu bewirtschaften haben, läßt sich nach Auffassung des Vermittlungsausschusses die Forderung rechtfertigen, daß insoweit das Haushaltsrecht des Bundes anzuwenden ist. Wenn nun aber die gemeindlichen Dienststellen neben den kommunalen Haushaltsvorschriften, die anders lauten und zum Teil auch wesentlich anders als die Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung gefaßt sind, das Bundesaushaltsrecht anwenden müssen, ist nach Meinung des Vermittlungsausschusses die Gefahr gegeben, daß sich Erschwernisse und nicht Vereinfachungen in der Verwaltung selbst ergeben. Der Vermittlungsausschuß macht daher gegenüber der bisher vom Bundestag beschlossenen Fassung einen Kompromißvorschlag und empfiehlt, die Gesetzesbestimmung dahin zu ändern, daß die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung für bestimmte Ausgabearten Sonderbestimmungen gegenüber dem Haushaltsrecht des Bundes einzuführen, d. h. in bestimmten Punkten im Interesse der Vereinfachung die Anwendung des kommunalen Haushaltsrechts ) zuzulassen.
Was die zweite, hiermit in Zusammenhang stehende Frage betrifft, nämlich das Weisungsrecht der obersten Bundesbehörden gegenüber den Landesbehörden, so mußte die grundsätzliche Frage erörtert werden, inwieweit ein Weisungsrecht nach den geltenden Bestimmungen des Grundgesetzes überhaupt möglich ist, außer daß es von der Bundesregierung im Wege einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates ausgeübt wird. Den obersten Bundesbehörden sollten nach den Beschlüssen des Bundestags in der wirtschaftlichen Verwaltung der Bundesmittel generell Weisungsbefugnisse gegenüber den obersten Landesbehörden eingeräumt werden. Der Bundesrat hatte, wie ich schon sagte, Bedenken wegen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Weisungsrechtes. Der Vermittlungsausschuß hat sich unter Zurückstellung der, verfassungsrechtlichen Bedenken auf einen Kompromißvorschlag geeinigt, wonach ein solches Weisungsrecht zulässig sein soll in Angelegenheiten von grundsätzlicher oder von erheblicher finanzieller Bedeutung. Die Formel, die man hier gefunden hat und die der Vermittlungsausschuß dem Bundestag und dem Bundesrat vorschlägt, soll die einzig maßgebende Formel für das Problem Bundesverwaltung-Länderverwaltung in bezug auf das Weisungsrecht sein, soll für alle Rechtsgebiete gelten, weshalb ähnliche oder abweichende Formulierungen an anderer Stelle zuletzt im Vermittlungsausschuß abgelehnt worden sind. Insofern hat diese Kompromißformel eine ganz grundsätzliche Bedeutung.
Ich komme nunmehr zu der Frage der Kriegsopferversorgung. Bundestag und Bundesrat sind sich darin einig, daß die Kosten der Versorgungsverwaltung künftig nicht mehr vom Bunde erstattet, sondern ausschließlich von den Ländern getragen werden sollen. Diese Regelung entspricht der Forderung nach Verwaltungsvereinfachung und nach einem Abbau des wechselseitigen Verrechnungsverkehrs. Die andere Möglichkeit einer Lösung wäre, daß hier eine bundeseigene Verwaltung entstünde, was von verschiedenen Seiten angestrebt wird, was aber der Vermittlungsausschuß abgelehnt hat. Die Folge des Vorschlags, den Ihnen der Vermittlungsausschuß macht, ist die, daß die Länder hiermit eine Last von wahrscheinlich 180 bis 200 Millionen DM jährlich übernehmen, eine Last, um die der Bundesetat erleichtert wird. Die Länder erwarten daher, daß ihnen diese Last bei der Festsetzung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer im Rechnungsjahr 1955 in vollem Umfang ausgeglichen wird.
Trotz der prinzipiellen Einigung gab es gewisse Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat, weshalb ich noch über einige Unterfragen berichten muß.
Erstens muß ich berichten über die Verwaltung der sogenannten überregionalen Aufgaben in der Kriegsopferversorgung, also derjenigen Aufgaben, die sich nicht auf ein Land radizieren lassen. Denken Sie an Heilanstalten im Ausland, an die Führung des Krankenbuchlagers und ähnliches. Der Bundestag wollte zur Betreuung dieser Angelegenheiten, die über den Bereich der einzelnen Länder hinausgehen, eine . neue Bundesoberbehörde errichten. Der Vermittlungsausschuß ist zu dem Ergebnis gekommen, daß man eine neue Behörde nicht errichten sollte, zumal man sie nach den bisherigen Erfahrungen gar nicht braucht und zumal man sie um so weniger braucht, wenn die Länder bereit sind, auch die Kosten für diese eigentlichen Bundesaufgaben in vollem Umfang zu tragen. Es handelt sich um Kosten in der Größenordnung von vielleicht insgesamt 2 bis 3 Millionen DM. Der Vermittlungsausschuß ist daher zu dem Ergebnis gekommen, von der Einrichtung einer Bundesoberbehörde für die Kriegsopferversorgung und von einer Sonderregelung für die Dienststellen mit überregionalem Aufgabengebiet abzusehen, so daß die Verwaltung und die Kostenpflicht auch insoweit hundertprozentig Angelegenheit der Länder sein sollen.
Eine zweite Frage ist die des Ersatzes der Heilbehandlungskosten. Die Verpflichtung des Bundes, die Kosten für die Heilbehandlung von Kriegsopfern in Versorgungskuranstalten, Versorgungsheilstätten und Versorgungskrankenhäusern zu tragen, ergibt sich aus dem Bundesversorgungsgesetz, betrifft aber nach der bisherigen gesetzlichen Regelung lediglich unmittelbar das Verhältnis des Bundes zu den betroffenen einzelnen Personen, also zu den Kriegsversehrten selbst. Es fehlt eine gleichgeschaltete Regelung im Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern, welche ja allein, wie ich soeben vorgetragen habe, die Verwaltung durchführen und nunmehr auch hundertprozentig zahlen, so daß insoweit Einzelanweisungen der Bundesinstanzen nicht möglich sind. Aus Gründen der Klarheit hatte deshalb der Bundesrat empfohlen, man sollte die Verpflichtungen, die der Bund gegenüber den einzelnen Versehrten hat, auch in das Rechtsverhältnis Bund-Länder einbauen. Dieser Anregung ist der Vermittlungsausschuß gefolgt und hat deshalb den § 1 Abs. 1 Ziffer 8 des Ersten Überleitungsgesetzes
({2})
entsprechend geändert oder, besser ausgedrückt, einen solchen Vorschlag gemacht.
Was die Mitwirkung des Bundes bei der Organisation der Landesversorgungsverwaltung angeht, ist festzustellen, daß die bisherigen Bestimmungen aufgehoben werden mußten, nachdem es nur eine Landesverwaltung auf dem Gebiete der Kriegsopferversorgung in Zukunft geben soll und diese Landesverwaltung von den Ländern voll bezahlt wird. Folgerichtig empfiehlt der Vermittlungsausschuß, die §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vom 12. März 1951 entsprechend zu ändern, d. h. also das Weisungsrecht des Bundes auf die generelle Formel zu beschränken, die ich vorhin zu § 4 Abs. 2 vorgetragen habe.
Es gab dabei noch eine kleine Frage, wer die im Gang befindlichen Bauten bezahlt. Die Frage bedarf keiner gesetzlichen Regelung. Zwischen den Bundesinstanzen und den betroffenen Länderinstanzen ist ein Einvernehmen erzielt worden.
Ich darf noch einmal auf die Bestimmungen zum Bundesergänzungsgesetz für die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zurückkommen. Ich habe schon vorgetragen, daß der Vermittlungsausschuß empfiehlt, es bei der bisherigen Regelung zu belassen. Das ist nicht ohne gewisse Bedenken möglich, weil der jetzige § 77 des Bundesergänzungsgesetzes befristet ist. Der Vermittlungsausschuß ging jedoch von der Überlegung aus, daß in Kürze eine Novelle zum Bundesergänzungsgesetz zu erwarten ist und daß es dann Zeit wäre, die Frage der Kostentragung überhaupt und des Verhältnisses des Bundes zu den Ländern wegen der Aufbringung der Kosten zu regeln. Man solle es tun, wenn man erstens das Maß der Belastung gerade auf Grund der Novelle kennt und zweitens inzwischen einige Erfahrungen mit dem Bundesergänzungsgesetz gesammelt hat. Deshalb wird also empfohlen, die entsprechenden Vorschriften zur Änderung des § 77 zu streichen.
Es bleiben dann noch zwei Empfehlungen des Vermittlungsausschusses übrig, über die ich zu berichten habe. Das Gesetz soll erstens am Tage nach seiner Verkündung in Kraft treten und erstmals für das Rechnungsjahr 1955 zur Anwendung gebracht werden; zweitens empfiehlt der Vermittlungsausschuß, diesen Gesetzentwurf nicht als „Finanzanpassungsgesetz" herausgehen zu lassen, sondern als „Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen Bund und Ländern ({3})".
Ich darf noch hinzufügen, daß die von mir vorgetragenen Vorschläge des Vermittlungsausschusses in den meisten Fällen einstimmig, in einigen Fällen mit sehr großer Stimmenmehrheit beschlossen wurden. Der Vermittlungsausschuß ist der Auffassung, es solle einheitlich über das Gesetz abgestimmt werden, weil es als Ganzes der Vereinfachung und Verbilligung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete der Aufgabenverteilung und Lastentragung dient.
({4})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung soll, wie Sie gehört haben, gemeinsam vorgenommen werden. Wir stimmen also über die Drucksache 1255 im ganzen ab. Wer dem Bericht des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? - Gegen einige wenige Stimmen ohne Enthaltungen angenommen.*)
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder ({1}).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Dr. Hellwig ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berichterstatter zu diesem durch eine sehr wechselnde Beurteilung gekennzeichneten Gegenstand ist in der glücklichen Lage, für die materielle Seite der Einigung in dem Streit um die Beteiligung des Bundes an den Steuerverwaltungskosten der Länder im wesentlichen auf den Bericht des Berichterstatters zum Finanzanpassungsgesetz zu verweisen. Dort ist bereits ausgeführt worden, daß das von Bundesregierung und Bundestag angestrebte Ziel des Wegfalls wechselseitiger Beteiligung von Bund und Ländern an den Steuerverwaltungskosten des anderen Teils mit Wirkung vom 1. April 1955 entsprechend dem früheren § 2 des Finanzanpassungsgesetzes nunmehr auch in der vom Vermittlungsausschuß beantragten, soeben vom Bundestag angenommenen Fassung des Finanzanpassungsgesetzes in § 1 verwirklicht wird.
Der Bundesrat hatte bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Steuerverwaltungskostengesetz gefordert, daß die Neufestsetzung der Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder, d. h. ihre Bemessung auf einen bestimmten Anteil an den tatsächlichen Verwaltungskosten, erst nach dem 31. März 1955 wirksam werden sollte. Insoweit hatte dieser Änderungswunsch des Bundesrats zu dem Steuerverwaltungskostengesetz materiell in den Inhalt des Finanzanpassungsgesetzes übergegriffen. Durch die nunmehr im Finanzanpassungsgesetz vorgesehene Regelung, die in dieser Hinsicht der Vorlage der Bundesregierung und den Beschlüssen des Bundestages folgt, ist dieser Teil der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat erledigt.
Nun bedeutet aber der vom Bundesrat für eine Änderung im bisherigen Verfahren der Bundesbeiträge zu den Steuerverwaltungskosten der Länder verlangte Termin des Inkrafttretens auch eine Aussetzung der Neuberechnung für das laufende Haushaltsjahr 1954,
({3})
für das es bei der bisherigen Form der Bundesbeteiligung in Prozentsätzen des Steuerauf kommens bleiben sollte. Der Vermittlungsausschuß kam
zu dem Ergebnis, daß nach Verwirklichung des
grundsätzlichen Ziels, nämlich des Wegfalls der
Beteiligung an den Steuerverwaltungskosten der
Länder ab 1. April 1955, die von vornherein nur als
Übergangsregelung gedachte Berechnung nach dem
Entwurf des Steuerverwaltungskostengesetzes nur
noch sekundäre Bedeutung habe, und zwar vorwiegend hinsichtlich der Modalitäten dieser Übergangsregelung, weniger allerdings - das muß gesagt werden - im Hinblick auf die Mehrbelastung
des Bundeshaushalts, die durch die Beibehaltung
Vgl. Anlage 3.
(Dr. Hellwig
I des bisherigen Verfahrens gegenüber den Ansätzen im Haushalt für 1954/55 eintritt. Da die Festsetzung des Bundesanteils an dem Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer für das nunmehr zu Ende gehende Haushaltsjahr bedauerlicherweise immer noch aussteht, ist andererseits Gelegenheit gegeben, die durch das Ausbleiben der im Haushalt ursprünglich eingesetzten Neuregelung der Steuerverwaltungskosten entstandene Mehrbelastung im Verhältnis des Bundes zu den Ländern bei der Ermittlung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu berücksichtigen. Der Vermittlungsausschuß glaubte daher, in dieser Hinsicht dem Anrufungsbegehren des Bundesrats folgen zu können, und beantragte dementsprechend, daß gemäß dem Bericht auf Drucksache 1256 der Gesetzesbeschluß des Bundestages vom 16. Dezember 1954 aufgehoben und der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE und DP Drucksache 1058 abgelehnt wird.
Ich habe die Ehre, namens des Vermittlungsausschusses dem Hohen Hause die Annahme dieses Antrags zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen zur Abstimmung über die Drucksache 1256. Wer dem eben begründeten Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen auf der linken Seite des Hauses - ohne Enthaltungen - angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern ({1}) ({2}).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Staatsminister Dr. Frank.
Dr. Frank, Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat in seiner Sitzung vom 19. November 1954 das Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern verabschiedet. Der Bundesrat hat hiergegen den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Ziele, dem Gesetz die vom Bundesrat am 3. Dezember 1954 beschlossene Fassung zu geben. Diese Fassung unterscheidet sich vom Beschluß des Bundestages im wesentlichen in solchen Punkten, die die Bemessung der Ausgleichsleistungen und damit die Höhe der Ausgleichsmasse berühren.
Nach dem Beschluß des Bundestages ergibt sich, vom zahlenmäßigen Ergebnis her gesehen, eine Ausgleichsmasse von 456,8 Millionen DM, berechnet nach den Zahlenunterlagen der Bundestagsdrucksache 480. Demgegenüber führt die Fassung des Bundesrats, wenn man von den gleichen Zahlenunterlagen ausgeht, zu einer Ausgleichsmasse von 405,4 Millionen DM, die sich auf 421 Millionen DM erhöht, wenn man die vom Bundesrat vorgesehenen Ergänzungszuweisungen des Bundes für Schleswig-Holstein hinzurechnet. Beide Berechnungen differieren also hinsichtlich der Intensität des Finanzausgleichs um 51,4 Millionen DM bzw. um 35,8 Millionen DM. Dieses Ergebnis - das darf ich mit besonderem Nachdruck betonen - beruht auf geschätzten Zahlenunterlagen. Ob es sich mit der Wirklichkeit decken wird, kann endgültig erst gesagt werden, wenn das Ausgleichsjahr 1955, für das dieses Gesetz erstmals anzuwenden ist, abgelaufen ist. Die Bemühungen des Vermittlungsausschusses und seines Unterausschusses gingen dahin, die zahlenmäßige Differenz zwischen den beiden horizontalen Finanzausgleichsplänen auf einer mittleren Basis zu überbrücken.
Der Vermittlungsausschuß hat den Gesetzesbeschluß des Bundestags zur Grundlage seines Vermittlungsvorschlags gemacht, jedoch mit folgenden wesentlichen Abweichungen.
Zunächst: § 6 Abs. 2, der auf einen Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Starke zurückgeht, soll gestrichen werden. Dieser Abs. 2 sieht vor, daß die ermittelten Grundbeträge der Gewerbesteuer der Gemeinden im Ortsrandgebiet und in den anerkannten Notstandsgebieten um 20 °/o gekürzt werden. Mit dieser Kürzung sollen die Sonderbelastungen, die den Ländern Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein im Ostrandgebiet und in den anerkannten Notstandsgebieten erwachsen, abgegolten werden. Der Vermittlungsausschuß ist der Meinung, daß aus systematischen Gründen, aber auch wegen der Auswirkungen auf sonstige Gebiete der finanziellen Beziehungen unter den Ländern und zwischen dem Bund und den Ländern davon abgesehen werden soll, das Ostrandgebiet und die anerkannten Notstandsgebiete im Länderfinanzausgleich besonders zu berücksichtigen. Es handelt sich bei diesem Tatbestand, wie sich aus den Erläuterungen zu Kap. 6002 Tit. 530 des Entwurfs des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 ergibt - ich zitiere hier wörtlich -, um „echte Bundesaufgaben". Nach Auffassung des Ausschusses besteht auch wegen Art. 109 keine Garantie, daß der Betrag, um den sich die Ausgleichsmasse durch diese Vorschrift erhöht und der in seiner Größenordnung bis heute noch gar nicht feststeht, dem Ostrandgebiet und den anerkannten Notstandsgebieten wirklich in vollem Umfang zugute kommt. Endlich haben die Beratungen ergeben, daß wegen der Höhe der Ausgleichsmasse ein Einigungsvorschlag auf dieser Basis nicht gefunden werden kann. Allein schon der Ansatz für das Ostrandgebiet und den Saargrenzgürtel, also ohne Berücksichtigung der anerkannten Notstandsgebiete im weiteren Sinne, erhöht die Ausgleichsmasse um rund 20 Millionen DM. Ohne Ansatz für die genannten Gebiete ergibt der Beschluß des Bundestags aber eine Finanzausgleichsmasse von 438 Millionen DM. Der Vermittlungsausschuß befindet sich mit seinem Streichungsvorschlag in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Finanz- und Steuerausschusses des Bundestags. Dieser Ausschuß ist in seinem Schriftlichen Bericht zum Gesetzentwurf über den Finanzausgleich unter den Ländern der Auffassung, daß derartige Notstände wirksamer und zweckmäßiger durch un-, mittelbare Bundeshilfe behoben werden können.
Die zweite Frage umfaßt folgenden Sachverhalt: Eine weitere Änderung bezieht sich auf die Wertung der Einwohnerzahl. In § 7 werden die Einwohnerzahlen mit einem Veredelungsfaktor vervielfacht, der mit der Gemeindegröße steigt. Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, bei der Wertung der Einwohnerzahlen die Erhöhungswerte zugrunde zu legen, die der Beschluß des Bundesrates, also
({3})
der vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetzentwurf über den horizontalen Finanzausgleich, enthält. Die Veredelung der Einwohnerzahlen soll danach etwas eingeschränkt werden, und zwar weitergehend, als dies der Bundestag gegenüber der derzeit geltenden Finanzausgleichsregelung tut. Die vom Bundesrat vorgesehene Wertung hat nach zahlreichen Verhandlungen die Zustimmung aller Länder gefunden. Sie berücksichtigt mehr als die Skala des Bundestags den Finanzbedarf der kleineren Gemeinden als Folge der steigenden Anforderungen an Umfang und Qualität der Verwaltungsleistungen.
Nun komme ich zur dritten Frage. Durch die Veränderung der Veredelung wird die Ausgleichsmasse insgesamt erhöht, weil die Finanzkraft der finanzschwachen Länder und auch des Landes Baden-Württemberg je tatsächlicher Einwohner künstlich nicht so stark gehoben wird wie nach der Skala des Bundestags. Andererseits wird die Finanzkraft des Landes Nordrhein-Westfalen und die der freien Hansestädte weniger stark gesenkt. Um nun wieder zu einer tragbaren Ausgleichsmasse zu kommen, ist es notwendig, die Ausgleichszuweisungen entsprechend zurückzuführen. Dies geschieht durch eine Änderung des § 8 Abs. 1 Ziffer 3 des vorliegenden Entwurfs in der Weise, daß der Betrag, der von 90 bis 95 vom Hundert der bundesdurchschnittlichen SteuerkraftMeßzahl fehlt, statt mit 50 nur mit 35 °/o aufgefüllt wird. Diese Veränderung in der letzten Stufe erscheint tragbar, da diese der bundesdurchschnittlichen Steuerkraft am nächsten kommt. Durch diese materiellen Änderungen ides Gesetzesbeschlusses ides Bundestags wird die Ausgleichsmasse nach der gleichen Modellberechnung, von der ich eingangs in meinem Bericht sprach, auf 434,2 Millionen DM gebracht. Sie liegt also um einige Millionen über dem Mittel der Differenz, die sich aus dem zahlenmäßigen Ergebnis ides Finanzausgleichsplans des Bundestags und des Bundesrats ergibt.
Eine weitere Änderung des Bundestagsbeschlusses wird zu § 11 vorgeschlagen. Entsprechend der materiellen Rechtslage im Finanzverfassungsgesetz will der Bundesrat den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer und die Ausgleichszahlungen im Zahlungsverkehr säuberlich getrennt halten. Der Bundestag möchte dagegen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung den vertikalen und den horizontalen Finanzausgleich im Zahlungsverkehr, aber auch nur im Zahlungsverkehr, miteinander verbinden. Der Vermittlungsausschuß stimmt insoweit mit dem Bundestag überein, schlägt jedoch, um das Gesetz von rein technischen Vorschriften zu entlasten, vor, die Absätze 2 und 4 in § 11 zu streichen. Das Nähere des Zahlungsverkehrs soll der Herr Bundesminister der Finanzen durch Rechtsverordnung bestimmen, durch eine Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrats bedarf.
Die Änderung des § 4 ist redaktioneller Art. Sie ergibt sich zu Abs. 2 der Ihnen vorliegenden Fassung aus einer Änderung des Finanzanpassungsgesetzes, während Abs. 2 der Bundestagsfassung als überflüssig gestrichen worden ist.
Damit komme ich nun zu dem letzten und besonders bedeutsamen Punkt: Der Länderfinanzausgleich soll mit den empfohlenen Änderungen der Bundestagsfassung ohne zeitliche Begrenzung gelten.
Der Vermittlungsausschuß hat diese Änderungen in seiner Sitzung vom 11. März 1955 beschlossen.
Ich habe die Ehre, Sie namens des Vermittlungsausschusses zu bitten, der Bundestag wolle die sich aus der Anlage zu Drucksache 1257 ergebende Fassung des Länderfinanzausgleichsgesetzes beschließen und gemäß dem Beschluß des Vermittlungsausschusses zu § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung über die Änderungen des vom Hohen Hause am 19. November 1954 beschlossenen Gesetzes gemeinsam abstimmen.
({4})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Über den Bericht des Ausschusses ist gemeinsam abzustimmen. Wir kommen also zur Abstimmung über die Drucksache 1257. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ({1}).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Arndgen.
Arndgen ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Sachen des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung hat der Bundesrat in zwei Grundsatz- und in sechs Einzelfragen den Vermittlungsausschuß angerufen. In seiner Sitzung vom 11. März hat sich der Vermittlungsausschuß mit den Änderungsvorschlägen des Bundesrats, und zwar zunächst mit den Grundsatzfragen, beschäftigt. Dabei hatte der Bundesrat vorgeschlagen, in § 2 des Gesetzes den letzten Satz zu streichen. Dieser Satz hat folgenden Wortlaut:
Entscheidungen über Versorgungsangelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung oder von erheblicher finanzieller Auswirkung für den Bund bedürfen der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit.
Der Bundesrat war der Meinung, daß diese Bestimmung in Widerspruch zu den Artikeln 30 und 83 des Grundgesetzes stehe, nach denen Bundesgesetze grundsätzlich von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden. Der Vermittlungsausschuß hat dieser Auffassung des Bundesrats zugestimmt und damit auch der Streichung dieses Satzes.
In einem zweiten Vorschlag hat der Bundesrat beantragt, den § 47 des Gesetzes zu streichen. Die Streichung ist vom Bundesrat mit der Bemerkung begründet worden, daß auch dieser Paragraph in Widerspruch zum Grundgesetz stehe. Der Vermittlungsausschuß war der Meinung, daß, nachdem im Entwurf des Finanzanpassungsgesetzes eine allgemeine Regelung des Weisungsrechtes vorgesehen ist, wie eben vom Herrn Staatsminister Dr. Troeger erläutert wurde, dieser § 47 gestrichen werden könne.
Bezüglich der Einzelfragen wurde vom Bundesrat vorgeschlagen, in § 3 Abs. 1, 2 und 5, in § 4 und in § 28 Abs. 3 die Worte „vorübergehenden Aufenthalt" durch die Worte „gewöhnlichen Aufent({3})
halt" zu ersetzen. Auch diesem Vorschlag hat der Vermittlungsausschuß zugestimmt.
Der Bundesrat hat weiter vorgeschlagen, in § 11 den Abs. 2 zu streichen. Dieser Absatz hat folgenden Wortlaut:
Soweit der Bund in einem Verfahren ein berechtigtes Interesse geltend macht, ist er auf Antrag zuzuziehen.
Diesem Vorschlag des Bundesrats glaubte der Vermittlungsausschuß nicht folgen zu können. Er schlägt daher vor, es bei dem bisherigen Wortlaut dieses Absatzes zu belassen.
Weiter schlug der Bundesrat vor, den § 23, der Bestimmungen über die Rechtsmittelbelehrung enthält, zu streichen. Entgegen der Auffassung des Bundesrats ist der Vermittlungsausschuß der Meinung gewesen, daß dieser Paragraph mit der Rechtsmittelbelehrung unter allen Umständen beibehalten werden müsse. Er hat es daher abgelehnt, diesem Änderungsvorschlag zuzustimmen, so daß es bei idem Wortlaut des § 23 bleiben wird.
In einem weiteren Vorschlag des Bundesrats ist vorgesehen, in § 31 Abs. 2 Satz 2 das Wort „Bundesversorgungstarif" durch die Worte „ärztlichen und zahnärztlichen Bundestarif für das Versorgungswesen" zu ersetzen. Diesem Vorschlag hat der Vermittlungsausschuß zugestimmt.
Der Bundesrat hat weiter vorgeschlagen, in § 42 Abs. 1 die Nr. 10 sowie den Abs. 3 zu streichen. Nach dieser Nr. 10 hat die Verwaltungsbehörde auf Antrag oder von Amts wegen erneut zu entscheiden, wenn das Bundessozialgericht in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der Entscheidung zugrunde gelegen hat. Da der Vermittlungsausschuß der Meinung war, daß im Falle einer Entscheidung des Bundessozialgerichts von grundsätzlicher Bedeutung nach der jetzigen Fassung des § 40 die zuständige Verwaltungsbehörde Bescheide, denen eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, zwar ändern kann, aber nicht ändern muß, hat der Vermittlungsausschuß wohl der Streichung der Nr. 10 in § 42 Abs. 1 zugestimmt, er war aber der Meinung, daß im § 40 eine Ergänzung notwendig sei. Er schlägt vor, in § 40 einen neuen Abs. 2 mit folgendem Wortlaut anzufügen:
Auf Antrag ides Berechtigten ist ein neuer Bescheid zu erteilen, wenn das Bundessozialgericht in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat.
Schließlich hatte der Bundesrat vorgeschlagen, dem Abs. 2 des § 45 folgende neue Fassung zu geben:
Wer unbefugt offenbart, was ihm durch seine dienstliche Tätigkeit bei der Verwaltungsbehörde über die gesundheitlichen, die wirtschaftlichen oder die Familienverhältnisse eines Beteiligten, in Hinterbliebenenangelegenheiten auch des Verstorbenen, bekanntgeworden ist, wird, soweit nicht nach den allgemeinen Strafgesetzen eine härtere Strafe verwirkt ist, mit 'Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Versorgungsberechtigten oder der Dienstaufsichtsbehörde ein.
Der Vermittlungsausschuß hat sich diesem Vorschlag angeschlossen.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die Vermittlungsvorschläge, die Ihnen der Ausschuß unterbreitet. Ich bitte, der Drucksache 1258 zuzustimmen, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß der Vermittlungsausschuß gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, dem Deutschen Bundestag zu empfehlen, über diese Vorschläge gemeinsam abzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, es ist über die Drucksache 1258 gemeinsam abzustimmen. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses, der soeben begründet wurde, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen 2 Stimmen ohne Enthaltungen angenommen.*)
Damit, meine Damen und Herren, sind alle fünf Berichte des Vermittlungsausschusses mit sehr großer Mehrheit in diesem Hause angenommen worden. Ich hoffe, daß es der verständnisvollen Zusammenarbeit zwischen den beiden an der Gesetzgebung beteiligten Häusern zugute kommen wird.
Ich habe bekanntzugeben, daß der Haushaltsausschuß heute um 15 Uhr in Zimmer 216 A zusammentritt.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Rademacher, Rümmele, Schneider ({0}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande ({1}).
Wie ich höre, ist auf Begründung und Aussprache verzichtet worden, was im Hinblick auf die lange gestrige Verkehrsdebatte sicherlich die Zustimmung des Hohen Hauses findet. Ich schlage Ihnen vor Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen - als federführenden Ausschuß - und an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Post-und Fernmeldewesen, für Kommunalpolitik und für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({2}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen gemäß § 47 der Reichshaushaltsordnung betreffend Verschmelzung der Deutsche Werke Kiel AG und der Kieler Howaldtswerke AG unter gleichzeitiger Erhöhung des Kapitals der Kieler Howaldtswerke AG ({3}).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Wacker ({4}).
Wacker ({5}) ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache 1079 wurde vom Bundesminister der Finanzen gemäß § 47 der Haushaltsordnung dem Bundestag vorgelegt. Er beinhaltet die Verschmelzung der Deutsche Werke Kiel AG und der Kieler Howaldtswerke AG unter gleichzeitiger Erhöhung des Kapitals der Kieler Howaldtswerke AG. Der Antrag wurde in der 64. Sitzung des Bundestages behandelt, dem Haushalts-
*) Vgl. Anlage 3.
({7})
ausschuß - federführend - und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zur Mitberatung überwiesen. Der Bundesminister der Finanzen hat den Antrag auf Drucksache 1079 eingehend begründet. Auf diese Begründung darf ich verweisen.
Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat den Unterausschuß Bundesbeteiligungen mit der Bearbeitung des Antrages beauftragt. Der vorgenannte Ausschuß hat sich mit der Zweckmäßigkeit der Verschmelzung der beiden vorgenannten Werke eingehend befaßt. Er kam in seiner ersten Sitzung zu dem Entschluß, sich in einer weiteren Sitzung über das Prüfungsergebnis der Deutschen Revisions- und Treuhand AG berichten zu lassen. Der Ausschuß wollte sich ein Urteil darüber bilden können, ob die Fusion beider Werke im wirtschaftlichen Interesse der Howaldtswerke AG liege, und einen Überblick über die bei den Deutsche Werke Kiel AG entstandenen Verluste erhalten.
Durch den in der zweiten Sitzung des Unterausschusses vorgelegten Bericht wurde folgendes herausgestellt:
1. Beide Werke grenzen nicht markscheidend aneinander. Das zwischen beiden Werkgeländen liegende Grundstück befindet :ich jedoch auch im Bundesbesitz.
2. Die vorliegenden Bilanzen der Deutsche Werke Kiel AG und der Kieler Howaldtswerke AG sind nicht auf den gleichen Tag abgestellt: Kieler Howaldtswerke AG per 31. Mai 1954, Deutsche Werke Kiel AG per 30. Juni 1954.
3. Auf Grund des Berichtes ergibt sich, daß bei der Deutsche Werke Kiel AG monatlich Abschreibungsverluste von 200 000 DM entstehen, die bei einer Fusion der Werke vermieden würden.
Der Unterausschuß hat auch die Finanzstruktur der beiden Werke, die durch Aufnahme der Deutsche Werke Kiel AG in die Kieler Howaldtswerke AG verschmolzen werden sollen - also nicht durch Neubildung -, geprüft. Bei der Prüfung wurde festgestellt, daß nach Durchführung der Verschmelzung das Anlagevermögen zu 39,7 % mit Eigenkapital und zu 60,3 % mit Fremdkapital finanziert ist. Dieses an sich nicht sehr günstige Verhältnis wurde aber dadurch tragbar, daß eine langfristige Verschuldung gegenüber der öffentlichen Hand besteht, die nach und nach abgebaut werden kann. Die mittelfristige Verschuldung bei der Kieler Howaldtswerke AG in Höhe von 10 Millionen DM verursacht größere Schwierigkeiten; sie ist aber im Zuge der Verschmelzung der beiden Werke ebenfalls lösbar. Um eine Privatisierung zu ermöglichen, wird der Bund das sich aus seinem Aktienbesitz herleitende Bezugsrecht in Höhe von 7,5 Millionen DM treuhänderisch an die Industrieverwaltungsgesellschaft abtreten. Die Industrieverwaltungsgesellschaft wird aber gleichzeitig verpflichtet werden, die neuen Aktien jederzeit auf Verlangen des Bundes auf diesen oder einen von ihm benannten Dritten zum Nennwert zu übertragen. Die Einräumung einer solchen Option ermöglicht dem Bund eine Teilprivatisierung. Diese würde bei dem in Aussicht genommenen neuen Aktienkapital in Höhe von 25 Millionen DM für das fusionierte Unternehmen höher sein als die aktienrechtliche Sperrminderheit.
Das Ergebnis des Gesamtberichtes zeigt auch, daß die Fusion unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten empfohlen werden kann, insbesondere dann, wenn es gelänge, eine Regelung mit dem Lande Schleswig-Holstein bezüglich der Grunderwerbsteuer zu treffen. Die Verwaltung wurde beauftragt, Verhandlungen mit dem Land SchleswigHolstein einzuleiten und sie einem günstigen Ergebnis zuzuführen.
In der anschließenden Diskussion wurde eingehend die Frage eines Tilgungsdienstes der Kieler Howaldtswerke AG für deren eigene Bankkredite und Darlehen einschließlich derjenigen von der Deutsche Werke Kiel AG zu übernehmenden Verbindlichkeiten behandelt. Man äußerte die Ansicht, daß der vorliegende Tilgungsplan einer Überprüfung bedürfe, um die Kieler Howaldtswerke AG nicht zu stark zu belasten.
Es wurde aber auch der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß die Ertragskraft der Kieler Howaldtswerke AG nicht ausreiche, um die übernommene Anlage rentabel zu verwerten und die Passiven zu bedienen. Man befürchtet eine Kapitalverwässerung. Man hätte es vom Standpunkt der Kieler Howaldtswerke AG aus für wirtschaftlich gehalten, wenn diese die Werksanlagen der Deutsche Werke Kiel AG verpachtet hätten. Den vorgetragenen Bedenken wurde unter dem Hinweis widersprochen, daß es falsch sei, das gesamte Problem lediglich vom Standpunkt der Kieler Howaldtswerke AG aus zu betrachten. Von seiten der Deutsche Werke Kiel AG könne entgegengehalten werden, daß sie infolge ihrer schweren Kriegsschäden bisher nicht voll und gewinnbringend arbeitsfähig gewesen sei. Andere Betriebe der privaten Wirtschaft hätten während dieser Zeit Remontagekredite erhalten. Im Fall der Deutsche Werke Kiel AG sei es bisher nicht möglich gewesen, solche Kredite zu geben. Es sei daher ungerechtfertigt, die unverschuldete Situation der Deutsche Werke Kiel AG auszunutzen, indem man ihr eine Verwertung des Werkes als Ganzes versage.
Der Unterausschuß hat auf Grund des Vorgetragenen dem Antrag des Bundesfinanzministeriums - Drucksache 1079 - zugestimmt unter der Voraussetzung, daß der Tilgungsplan der Kieler Howaldtswerke AG nach erfolgter Fusion überprüft wird und daß die Verwaltung die vom Ausschuß angestrebte Regelung bezüglich der Grunderwerbsteuer verwirklicht.
Der Haushaltsausschuß hat sich eingehend mit dem vorgelegten Antrag beschäftigt. Er ließ sich berichten über Beschlußfassung des Unterausschusses Bundesbeteiligungen, insbesondere über das Anlage- und Umlaufkapital sowie über die kurzfristigen und langfristigen Verbindlichkeiten beider Werke mit einer anschließenden Übersicht der Kapitalzusammensetzung sowie einer Aufgliederung der Verbindlichkeiten nach erfolgter Fusion. Weiter wurde die Kapitalaufstockung über die in der vorliegenden Drucksache 1079 gegebene Darstellung hinaus erläutert. Der Haushaltsausschuß kam zu folgendem einstimmigem Beschluß:
Der Deutsche Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag stimmt der Verschmelzung der Deutsche Werke Kiel AG und der Kieler Howaldtswerke AG unter gleichzeitiger Erhöhung des Kapitals der Kieler Howaldtswerke AG entsprechend dem Antrag des Bundesministers der Finanzen vom 10. Dezember 1954 zu. Er spricht dabei die Erwartung aus, daß der Tilgungsplan der Kieler Howaldtswerke AG nach erfolgter Fusion überprüft wird.
Ich darf das Hohe Haus im Auftrag des Ausschusses bitten, diesem Antrage zuzustimmen.
({8})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses auf Drucksache 1295. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen*).
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brese, Frau Korspeter, Dannemann, Elsner, Matthes und Genossen betreffend Truppenübungsplatz Munster-Nord ({0}) Drucksache 1280).
Es ist mir bekanntgeworden, daß interfraktionell vereinbart ist, den Antrag ohne Begründung und Aussprache zu verabschieden. Wer dem Antrag ,auf Drucksache 1280 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion des GB/ BHE betreffend Spende für den Aufbau des Reichstagsgebäudes ({1}).
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Seiboth.
Seiboth ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Sache, die ich hier zu vertreten habe, am besten zu dienen, wenn ich es vermeide, in meine kurzen Ausführungen zur Begründung auch nur die leiseste propagandistische Note zu bringen. Es ist in den letzten Jahren mehrfach darüber diskutiert worden, ob man das Reichstagsgebäude in Berlin in seiner ursprünglichen Form wiederaufbauen soll. Es sind Zweifel laut geworden, ob es technisch überhaupt möglich sein würde, die Ruine, wie sie heute dort steht, für einen Wiederaufbau noch zu verwenden. Ich glaube, diese Zweifel sind von der fachlichen Seite her heute ausgeräumt. Es steht wohl fest, daß die Fundamente und die Ruinenstücke sich zum Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes eignen. Weiterhin sind mehrfach Zweifel aufgetaucht, ob ein in der alten Form und im alten Stil wiederaufgebautes Reichstagsgebäude dem Zweck eines künftigen Bundes- oder Reichstags noch entsprechen, ob es den Anforderungen des modernen parlamentarischen Betriebs noch gewachsen sein würde. Wir sind uns wohl alle einig darüber, daß wir über die grundsätzliche Frage, ob das Reichstagsgebäude wieder so aufgebaut werden soll, wie es einstens war, in den Ausschüssen und mit dem Senat Berlins sehr eingehende Beratungen werden pflegen und prüfen müssen, welchem Zweck das wiederaufgebaute Gebäude des Reichstags künftig dienen soll.
Es sind auch Zweifel laut geworden hinsichtlich des künstlerischen Werts dieses Objekts. Man kann zu dem alten Wallot-Bau stehen, wie man will, aber wir sollten nicht vergessen, daß gerade das Reichstagsgebäude ein nationales und demokratisches Symbol Deutschlands ist. Wir sollten dieses Symbol im Westen Berlins wiedererrichten, um so mehr, als im Ostsektor Berlins künstlerisch vielleicht wertvollere Gebäude von den SED-
*) Vgl. Anlage 4. Machthabern ein für allemal vernichtet worden sind.
Wir haben uns deshalb entschlossen, den Bundestag .zu bitten, gemeinsam mit der Bundesregierung unsere westdeutsche Bevölkerung zu einer Spendenaktion zum Aufbau des Reichstagsgebäudes in Berlin aufzurufen. Wir meinen, daß damit unsere westdeutsche Bevölkerung gerade in der jetzigen Zeit Gelegenheit bekommen soll, ein Bekenntnis ihres unerschütterlichen Glaubens an die kommende Wiedervereinigung Deutschlands abzulegen. Dieses Bekenntnis würde zugleich das Bekenntnis zu den Idealen und Prinzipien der westlichen freiheitlichen Demokratie einschließen. Selbst wenn wir das Reichstagsgebäude in Berlin nur als Symbol, als Mahnmal vielleicht, wiedererrichten wollten, wäre es zugleich auch ein Dank an die Männer und Frauen, die in früheren Jahrzehnten im Sinne echter freiheitlicher Demokratie in diesem Gebäude für ganz Deutschland gewirkt haben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich beantrage namens meiner Fraktion, diesen Antrag an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen zu überweisen. Ich bitte das Hohe Haus, dieser Überweisung zuzustimmen.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Maxsein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gedanke, das Reichstagsgebäude wiederaufzubauen, wurde vor sehr geraumer Zeit in Berlin bereits offiziell geäußert. Dieser Gedanke liegt in dem vorliegenden Antrag wieder vor, er ist hier aufgelebt. Ich darf daran erinnern, daß im vergangenen Jahr bereits bei der Diskussion über die Pläne für den Wiederaufbau des Regierungsviertels in Berlin an seiner alten Stelle nach der Wiedervereinigung auch der Aufbau der Ruine des Reichstagsgebäudes erörtert wurde. Im nächsten Jahr findet in Berlin die Internationale Bauausstellung statt. Bei dieser Gelegenheit sollen die preisgekrönten Entwürfe für den Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes und für das Regierungsviertel ausgestellt werden. Allerdings sollte mit dem Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes sobald wie möglich begonnen werden.
Ich kann mich der Begründung des Kollegen Seiboth anschließen, möchte aber aus der Berliner politischen Anschauung heraus die Argumente erweitern. Wer vom Berliner Westen kommend über die Straße des 17. Juni nach dem Brandenburger Tor fährt und den Tiergarten durchquert, der 1945 grausam verwüstet wurde - inzwischen ist er wiederaufgelebt, junge Bäume bedecken gnädig die grausame Silhouette des ehemaligen Diplomatenviertels am Rande des Tiergartens -, passiert das sowjetische Ehrenmal. Man befindet sich immer noch im britischen Sektor; Rotarmisten stehen dort Wache. Man kommt dann durch die Zollkontrolle - alles im britischen Sektor - und steht vor ,dem Brandenburger Tor, das heute die Pforte nach dem sogenannten demokratischen Sektor, nach der Zone des Schweigens ist. Sie gehen durch diese Pforte nicht mit der Selbstverständlichkeit hindurch, mit der Sie es tun möchten. Diese Pforte ist das Tor, das nach dem Herzen des alten Berlins, in die Zone des Schweigens führt. Sie gehen nicht hindurch, und dabei blutet Ihnen das Herz. Linker Hand vom Brandenburger Tor, unweit der Straße des 17. Juni,
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liegt die Ruine des Reichstagsgebäudes. Hier ist der Platz, an dem Sie verstehen, warum dieses Gebäude wiederaufgerichtet werden soll. Hier ist überhaupt eine der Stellen, an denen Ihnen die ganze Tragödie der deutschen Spaltung - wie vielleicht noch an wenigen Stellen, in Helmstedt, in Dreilinden-Babelsberg oder in Töpen-Juchhöh - intensiv bewußt wird. Hier sollte der Reichstag wiederaufgebaut werden. Es wurde gesagt, die vorübergehende Zweckbestimmung ist vielleicht nicht entscheidend. Es ist nicht entscheidend, ob man daraus eine Kongreßhalle oder ein Archiv macht. In jedem Falle sollte die deutsche Jugend darin einen Raum haben. Das eine möchte ich ganz deutlich erklären: der Wiederaufbau sollte nicht nur eine gesamtdeutsche Geste, sondern eine realpolitische Tat sein. Deswegen sollte dieses Gebäude jedenfalls so ausgebaut werden, daß das deutsche Parlament darin Platz hat.
In dem Antrag wird empfohlen, eine Spendenaktion durchzuführen. Über die Art der Durchführung kann man sehr geteilter Meinung sein. Ich persönlich habe meine eigene Meinung über eine Spendenaktion. Das berührt aber nicht den Grundgedanken der diesem Antrag enthalten ist. Ich bin deswegen ebenso wie der Kollege Seiboth dafür, daß die im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Plans bestehenden Schwierigkeiten in einer intensiven Ausschußberatung erörtert werden. Hier, an der Grenze zur Zone des Schweigens, soll vorläufig ein Symbol der Freiheit des Wortes und eine Mahnung an das deutsche Volk zur Einigkeit entstehen. Es sollte nicht nur eine Geste für den Gedanken der Wiedervereinigung, sondern eine realpolitische Tat zur wirklichen Vorbereitung des Tages sein.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich hat das Protokoll nicht vermerkt, daß der letzte Minister während dieser Debatte fluchtartig die Bank verlassen hat und nunmehr niemand mehr von der Regierung anwesend ist.
({0})
Ich kann trotzdem nicht umhin, meine Bemerkungen mit einem Ministerzitat einzuleiten. Im Jahre 1950, also vor etwa fünf Jahren, fand auf dem Platz der Republik vor der Reichstagsruine eine große Mai-Kundgebung ,der Berliner Bevölkerung statt. Es waren damals nach Schätzungen der Polizei eine knappe halbe Million Berliner auf den Beinen. Vor dieser halben Million Berliner erklärte der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen
({1})
am 1. Mai 1950, also unmittelbar nach dem Ende der Berliner Blockade, folgendes. Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dem „Tagesspiegel". Es steht da wörtlich drin:
Mit der Hand auf die gegenüberliegende Ruine weisend, erklärte der Minister: Dieses Haus der Deutschen muß schnell wiederaufgebaut werden. Bis dahin, das versichere ich, wird die Bundesregierung alles tun, um diese Stadt wirtschaftlich und finanziell zu stabilisieren.
So, meine Damen und Herren, sagte ein Mitglied
der Bundesregierung im Jahre 1950.
({2})
Inzwischen haben wir manchmal gemahnt, aber es ist bekanntlich nichts geschehen.
({3})
- Ich meine, in bezug auf Regierungsviertel, Reichstag usw. Daß inzwischen einiges in bezug auf soziale und karitative Hilfe und auf die Schaffung sanitärer Voraussetzungen geschehen ist, das bestreite ich gar nicht.
Diesem Antrag geht auch eine eigentümliche Vorgeschichte voraus. Der Antrag datiert vom 11. September 1954. Am 7. Juli, also vor der Einbringung dieses Antrags des BHE, befaßte sich der Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen mit dem Problem des Deutschen Reichstags und dem eines Regierungsviertels in Berlin. Als Berichterstatter im Ausschuß trat damals der Senatsdirektor, der heutige Senator für Bau- und Wohnungswesen, H. Schwedler, vom Senat Berlin auf und machte den Vorschlag, ein Preisausschreiben zur Wiederherstellung des Regierungsviertels in Berlin zu veranstalten, das die Regierung durch eine Finanzhilfe, es hieß damals eine Viertelmillion, unterstützen solle. Das Preisausschreiben sollte bis zur Internationalen Bauausstellung, die nächstes Jahr in Berlin stattfindet, abgeschlossen werden und sozusagen das Fundament dieser Ausstellung werden. Das Preisausschreiben sollte sich beziehen auf ein Regierungsviertel in Berlin unter Einschluß der Verwendung des alten Reichstagsgebäudes für irgendwelche notwendigen, nicht symbolischen, Zwecke und eventuell der Schaffung neuer Gebäude für ein Regierungsviertel.
Da wir immer davon ausgegangen sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands eine akute Frage ist und daß sie täglich realisiert werden könnte, sind wir auch der Meinung, daß man etwas für die Schaffung eines Regierungsviertels in Berlin tun muß.
Der Ausschuß hat sich dann verständigt, eine Kommission mit der Ausarbeitung eines interfraktionellen Antrags zu beauftragen, der dem Bundestag vorzulegen wäre. Der Antrag war inzwischen vom Vorsitzenden des Ausschusses, dem Herrn Abgeordneten Wehner, formuliert worden. Er lautete:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. für die Ausschreibung eines Ideenwettbewerbs Bundeshauptstadt Berlin DM 250 000,
2. für einen Wettbewerb Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes DM 60 000
zur Verfügung zu stellen. Die Wettbewerbe, zu denen alle deutschen Architekten aufgefordert werden, sollen in engster Zusammenarbeit mit den zuständigen Dienststellen des Bundes und Berlins durchgeführt werden.
Eigentümlicherweise verweigerte der Vorsitzende der BHE-Fraktion seine Unterschrift unter den Antrag. Am 11. September 1954 erschien dann der Antrag, der uns jetzt zur Beratung vorliegt. Ich kann nicht umhin, meine Vermutung auszudrücken - man möge es mir nicht übelnehmen -, daß dieser Antrag vom 11. September - einige Monate vor den Berliner Wahlen - doch etwas mit diesen Wahlen zu tun hatte. Sonst gab es eigentlich keinen Grund für den GB/BHE, aus dieser Vereinbarung des Gesamtdeutschen Ausschusses auszusteigen und nun mit diesem eigenen Antrag auf die Bretter zu treten.
({4})
Wir meinen, man soll nun endlich einmal aufhören mit Symbolik, mit schönen Worten, mit der Darstellung, wie die Berliner leiden und was so alles ist. Man soll mal an die akute Frage herangehen: Was könnte von seiten der Bundesregierung, des Bundes, getan werden, um für die Bevölkerung der Bundesrepublik, aber auch der Sowjetzone wirkliche Vorleistungen, optische, moralische, materielle Vorleistungen zu schaffen, die auch bei der Bevölkerung der Sowjetzone die Vorstellung und das Gefühl erwecken: Die meinen es wirklich ernst mit der Wiedervereinigung Deutschlands und tun etwas dazu.
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Darüber gab es in diesen Tagen ein Gespräch zwischen dem Vizepräsidenten unseres Bundestages, Herrn Professor Carlo Schmid, und dem Berliner Regierenden Bürgermeister Dr. Otto Suhr, und man kam zu der Anregung, für den Bundestag in Berlin ein Bundeshaus zu bauen, in dem der Bundestag selbst zur Erledigung bestimmter Aufgaben zuweilen tagen könnte. Auch Ausschüsse, die mit Berliner und gesamtdeutschen Fragen zu tun haben, sollten in diesem Bundeshaus als der Grenzstelle der Wiedervereinigung öfters tagen.
Wenn man das täte, würde sozusagen eine optische Größe entstehen, so daß die Bevölkerung das Gefühl haben könnte: Man meint es also ernst; allmählich kommt man der Sache näher, daß Berlin einstmals wieder die Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands sein kann.
Ich möchte mir in diesem Zusammenhang einen praktischen Vorschlag erlauben. Als Antrag der SPD wage ich ihn meiner Fraktion darum nicht vorzuschlagen, weil sozialdemokratische Anträge von vornherein hier schlecht ankommen.
({6})
Die Bundesregierung hatte einmal die Vorstellung, daß sie hier in Bonn für offizielle Bundeszwecke 3,2 bis 3,8 Millionen Mark verbauen müßte, wenn aus dieser Kleinstadt eine vorläufige, eine provisorische Bundeshauptstadt entstehen sollte. Inzwischen wissen wir - einige Zeitungen haben darüber in den letzten Wochen ziemlich genaue Zahlen gebracht -, daß bis zum Ende dieses Jahres zirka 198 Millionen DM in Bonn verbaut sein sollen. Ich möchte mir einen Vorschlag erlauben: Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sich dazu entschlösse, für jede Million DM, die sie in Bonn für provisorische Bundeshauptstadt-Zwecke verbaut, gleichzeitig die Hälfte, nämlich 500 000 Mark, für zukünftige Bundeshauptstadt-Zwecke in Berlin zu verbauen?
({7})
Also immer nur die Hälfte. Das wäre doch eine echte Basis, von der man sagen könnte: Die Bundesregierung meint es ernst mit der Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands und will wirklich etwas dazu tun.
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Ich meine es mit dem Vorschlag ganz ernst, ja, weil ich immer noch ernsthaft daran glaube, daß in der Periode, in der wir leben, die Wiedervereinigung Deutschlands noch möglich ist.
({9})
Und wenn man daran glaubt, meine Damen und Herren, dann muß man jetzt damit beginnen; dann ist es jetzt höchste Zeit, etwas zu beginnen. Denn sonst gibt es nachher bei der Wiedervereinigungsverhandlung die Ausrede, daß Berlin keine Unterkunftsmöglichkeiten habe, wie sie eine neue Bundeshauptstadt des gesamten Deutschlands brauche.
({10})
Darum meine ich das ernst. Für den Widerstand der Bevölkerung in der Sowjetzone - seien Sie sich dessen sicher! - würde es wirklich eine Rückenstärkung sein, wenn man dort den Eindruck gewänne, die Bundesregierung meine es ernst mit ihrer materiellen Leistung zur Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands und zur Vorbereitung einer wirklichen Bundeshauptstadt dort, wo sie war, wo sie ist und wo sie hingehört, wenn die Einheit Deutschlands möglich wird.
Ob das Reichstagsgebäude für seine Zwecke wieder verwendbar ist, möchte ich jetzt genau so wenig wie die anderen Redner untersuchen. Worauf es ankommt, ist nicht, ein Mahnmal zu schaffen, ist nicht, eine Idealvorstellung hinzubauen und zu sagen: Hier war einmal das, was früher das Deutsche Reich verkörperte. Worauf es uns ankommt in dieser Periode, ist, wirklich etwas hinzustellen in Berlin, aus dem die Bevölkerung in Deutschland das Gefühl entnehmen kann, die Bundesregierung meint es ernst mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und schafft dazu sachliche Voraussetzungen.
Daher schließen wir uns dem Vorschlag an, diesen Antrag dem Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen zu überweisen und Vorbereitungen zu treffen, denen man entnehmen kann: die Wiedervereinigung Deutschlands wird von der Bundesregierung auch in Berlin mit materiellen Vorleistungen vorbereitet.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die diesem Antrag zugrunde liegende Absicht hat die Berliner Öffentlichkeit und die offiziellen Berliner Stellen schon vor langer Zeit beschäftigt. Bereits im vorigen Jahr - das hat ja der Kollege Mattick eben zum Ausdruck gebracht - haben die offiziellen Berliner Stellen einer solchen Absicht aber ein eigenes Konzept gegenübergestellt, das auch von uns mitgetragen wird. Auch wir halten die Erstellung einer Heimstatt für ein gesamtdeutsches Parlament für ein tief in die mitteldeutsche Zone hineinwirkendes Sinnbild der Kraft der Freiheit.
Aber wir glauben, daß gerade ein solches Sinnbild über eine Kopie des alten Wallot-Baues hinausgehen muß. Wir sind einmal der Meinung, daß dieser Bau die technischen und räumlichen Anforderungen, die an ein Parlamentsgebäude heute gestellt werden, nicht erfüllen kann. Dazu kommt aber noch folgendes. Der Anblick der Reichstagsruine weckt doch die Überzeugung, daß mit dem architektonischen Ende dieses WallotBaues eine ganze Epoche zu Ende gegangen ist. Wir zollen dieser Epoche unseren vollen Respekt, aber wir sind doch der Meinung, daß die Zukunft von uns die Gestaltung eines neuen geschichtlichen Abschnitts abverlangt. Uns bestimmt die Auffassung, daß wir angesichts dieses Sachverhalts
({0})
kein Erinnerungsmal oder Mahnmal, wie es der Kollege Mattick ausgedrückt hat, sondern ein wegweisendes Symbol in baulich angemessener Ausführung vorsehen sollten. Deshalb schließen wir uns der Auffassung des alten und, wie ich annehme, des neuen Berliner Senats an, die eine eindrucksvolle räumliche Gliederung eines neuen Regierungsviertels im Spreebogen vorsieht. Ich glaube, daß hier eine einmalige Gelegenheit gegeben ist, symbolhaft dem kommenden gesamtdeutschen Parlamentsgebäude eine beherrschende Stellung einzuräumen. Dieser zentralen Sinngebung kann aber der alte Wallot-Bau weder an seiner jetzigen Stelle noch mit den jetzt gegebenen baulichen Voraussetzungen entsprechen. Deshalb halten wir ebenfalls den Plan für richtiger, die Mittel für eine Ausschreibung zu bewilligen, die eine weitschauende städtebauliche Planung für ein Regierungsviertel ermöglichen. Die Inangriffnahme eines solchen Vorhabens wäre eine starke Stütze für die Zuversicht unserer Brüder in Mitteldeutschland. Jeder, der weiß, wie viele Menschen sich täglich vor dem Berliner Rathaus, dem Standort der Freiheitsglocke, versammeln, um dort ein stilles Bekenntnis zu Gesamtdeutschland abzulegen, ist sich bewußt, daß Symbole durchaus noch wirksam sind. Und ich glaube, daß hier schon lange vor der Vollendung eine Wallfahrtsstätte geschaffen werden könnte, die den Menschen in Mitteldeutschland und auch in Westdeutschland die Zuversicht einer Zusammenführung gäbe. Man wüßte, daß die politische und geistige Mitte Deutschlands unter ein Dach gestellt wird, unter dem sich die Deutschen die Hände reichen können zur Meisterung ihres Schicksals.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß von seiten des Sprechers der SPD unter Hinweis auf das Datum der Antragstellung gesagt wurde, der Fraktionsvorsitzende des Gesamtdeutschen Blocks habe zu dein seinerzeitigen Antrag auf Bewilligung von Bundesmitteln für das Preisausschreiben zur Neugestaltung Berlins und zum Aufbau des Reichstagsgebäudes seine Unterschrift nicht geleistet.
Ich möchte dazu folgendes erklären. Ich habe als Mitglied meiner Fraktion im Gesamtdeutschen Ausschuß seinerzeit kurz mit Herrn Abgeordneten Wehner über diesen Antrag gesprochen und erklärt, daß unsere Fraktion ohne weiteres bereit sei, den Abs. 1 dieses Antrags zu unterschreiben, daß aber eine Mehrheit meiner Fraktion, der ich übrigens nicht angehörte, der Meinung sei, es müsse auch schon die Zweckbestimmung für die spätere Verwendung des Reichstagsgebäudes in diesem Antrag enthalten sein, und daß allein aus diesem Grunde für den Punkt 2 des Antrags die Unterschrift der Fraktion nicht gegeben werden könne. Außerdem bestanden bei uns Bedenken hinsichtlich der Höhe der angeforderten Mittel für dieses Preisausschreiben. Uns schienen die angeforderten Mittel zu gering.
({0})
Ich möchte ein Zweites bemerken. Wir haben bereits vor einem Jahr - wenn ich mich recht erinnere, im April vorigen Jahres - hier, und zwar durch mich, unser Bedauern darüber ausgesprochen, daß unserem Antrag nach dem Scheitern der Berliner Konferenz auf Durchführung einer gesamtdeutschen Spende nicht entsprochen werden konnte. Ich sage: „konnte", weil sich technische Schwierigkeiten ergeben haben. Ich habe damals gesagt: Wenn man sich über den Verwendungszweck einer solchen Spende nicht klarwerden kann, wie wäre es denn, wenn man sagen würde: wir benutzen diese Spende zum Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes in Berlin!?
Es kann also niemand sagen, daß wir erst im September auf diese Idee gekommen seien, nachdem im Juli der Gesamtdeutsche Ausschuß diese Frage diskutiert hatte.
Ich möchte kurz ein Letztes sagen. Wir haben nicht den Antrag gestellt, die Bundesrepublik möge Mittel für den Aufbau des Reichstagsgebäudes zur Verfügung stellen, obwohl wir der Meinung sind: wir können für den Aufbau Berlins nicht genug zur Verfügung stellen. Wir haben gebeten, man möge die Bevölkerung in der Bundesrepublik zu einer Spende aufrufen, weil wir der Ansicht sind, daß dadurch die Bevölkerung Gelegenheit bekommt, vor der ganzen Welt ein eindeutiges, ein sichtbares Bekenntnis zur deutschen Wiedervereinigung abzulegen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es ist Überweisung des Antrags Drucksache 807 an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen beantragt. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 10 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP betreffend § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ({0}).
Ich gebe das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Gengler.
Gengler ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den in dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/ BHE, DP, Drucksache 1048, betreffend Neugestaltung des § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, enthaltenen Problemen hat sich der 1. Deutsche Bundestag wiederholt beschäftigt; dies allerdings mehr nach der verfassungsrechtlichen Seite als nach der sachlichen Notwendigkeit und praktischen Handhabung. Im Grunde waren diese Erörterungen eine Wiederaufnahme jener Debatten im früheren Deutschen Reichstag, die am 9. Februar 1931 zum Beschluß über die Einführung eines § 48 a in die Geschäftsordnung des Deutschen Reichstages geführt hatten. Ich freue mich, feststellen zu können, daß damals .die sozialdemokratische Fraktion in der namentlichen Abstimmung dem § 48 a einstimmig zustimmte. Vielleicht kann ich daraus dem Grunde nach die Möglichkeit entnehmen, daß ein gemeinsamer W e g für die Neugestaltung des § 96 gefunden werden kann. Zu wünschen wäre dies.
Wir wissen, daß jene weise Selbstbeschränkung des Parlaments inmitten der großen Krisen in
({2})
Staat und Wirtschaft im Jahre 1931 zu spät kam. Gerade diese Erfahrungen aber verpflichten uns. Der Antrag der Koalition ist aus der ernsten Sorge und Verantwortung um die Aufrechterhaltung der finanziellen Stabilität heraus gewachsen. Diese vor Erschütterungen zu bewahren, ist nicht nur Aufgabe der Regierung, sondern auch vorweg Pflicht des Parlaments. Davon hängen die Lage und Entwicklung unserer Wirtschaft, unser Lebensstandard, die sozialen Leistungen und anderes mehr ab. Auch der Schutz des Steuerzahlers vor Überlastung und Überforderungen gehört dazu. Eine Demokratie ist um so stärker und angesehener, je mehr Verantwortung sie aufbringt. Das waren auch die entscheidenden Gründe für den seinerzeitigen Beschluß der Mehrheit des Deutschen Bundestages über die Annahme des dem § 48 a entsprechenden § 96 der Geschäftsordnung.
Durch die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 1952 entstand ein Schwebezustand. Eine Belassung dieses Schwebezustandes birgt große Gefahren in sich. Aus dieser durch den Spruch des Bundesverfassungsgerichts gegebenen Situation sucht der neue Antrag einen Weg. Nach § 94 der Geschäftsordnung des 1. Deutschen Bundestages wird über Haushaltsvorlagen erst nach der Vorberatung in einem Ausschuß abgestimmt. Soweit der Bundestag nichts anderes beschließt, werden alle Haushaltsvorlagen dem Haushaltsausschuß zur Beratung zugewiesen. Über Entschließungen zum Haushaltsplan oder zu einzelnen Kapiteln wird - gemäß § 95 - erst in der dritten Beratung abgestimmt.
Über die begrifflich weitergehenden Finanzvorlagen besagt § 96, daß sie in der Regel vom Präsidenten des Bundestags unmittelbar dem zuständigen Ausschuß und dem Haushaltsausschuß oder nur dem letzteren vorgelegt werden. Als Finanzvorlagen gelten alle Anträge der Bundesregierung, des Bundesrats und von Mitgliedern des Bundestags, die für die Gegenwart oder die Zukunft auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken geeignet sind. Die entscheidenden Vorschriften für die Behandlung dieser Vorlagen enthielten sodann nach dem Beschluß vom 6. Dezember 1951 die Absätze 3 und 4 des § 96 der Geschäftsordnung. Sie hatten folgenden Wortlaut. Absatz 3:
Ein Antrag von Mitgliedern des Bundestags, der eine Finanzvorlage darstellt, wird nur dann beraten, wenn er mit einem Ausgleichsantrag zu ihrer Deckung verbunden ist. Zur Schätzung einer Einnahmeerhöhung oder Ausgabensenkung im Ausgleichsantrag ist die Bundesregierung vorher zu hören. Antrag und Ausgleichsantrag bilden für die Beratung und Abstimmung einen einheitlichen unteilbaren Antrag.
Absatz 4:
Anträge von Mitgliedern des Bundestags, die eine Finanzvorlage darstellen und während der Beratung des Haushaltsplans gestellt werden, bedürfen keines Deckungsantrags. Sollen diese Anträge vor der Verabschiedung des Haushalts durchgeführt werden, so ist zugleich über die Deckung zu beschließen. Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend.
Der 1. Deutsche Bundestag hatte diese dem § 48 a der Geschäftsordnung des Reichstags der Weimarer Zeit entsprechende Bestimmung in seine Geschäftsordnung aufgenommen.
Wie bekannt, hat das Bundesverfassungsgericht durch Urteil des Zweiten Senats vom 6. März 1952 die vorstehenden Absätze 3 und 4 als gegen Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßend erklärt. Art. 76 regelt das sogenannte Initiativrecht, darunter auch dasjenige aus der Mitte des Bundestags. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat das Initiativrecht zum Inhalt, daß das Gesetzgebungsorgan sich mit dem jeweiligen einzelnen Gesetzesvorschlag beschäftigt, darüber berät und beschließt. Dieses Recht steht nicht dem Bundestag als solchem, sondern den Abgeordneten in einer zahlenmäßig bestimmten Gruppierung zu. Das Initiativrecht der Abgeordneten kann aber nicht über die im Grundgesetz gezogenen Schranken hinaus sachlich beschränkt werden. Der Zwang, eine Gesetzesvorlage mit einem Deckungsvorschlag zu verbinden, ist eine sachliche Beschränkung. - Soweit das Bundesverfassungsgericht. Die Absätze 3 und 4 des § 96 der Geschäftsordnung des Bundestags sind seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr angewendet worden.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat in der Öffentlichkeit verschiedenartige Beurteilung gefunden. Insbesondere hat der „Bund der Steuerzahler" in seiner Denkschrift „Keine Ausgaben ohne Deckung" vom 23. November 1953 darauf hingewiesen, daß, wenn das Recht der Ausgabeninitiative wieder unbeschränkt ausgeübt werden dürfe, die Gefahr bestehe, daß dieses Recht mißbraucht werde oder daß in ihren finanziellen Auswirkungen nicht genügend durchdachte oder gar agitatorische Anträge ohne jedes verfassungsrechtliche oder geschäftsordnungsmäßige Hindernis im Parlament eingebracht würden.
Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht das Vetorecht der Bundesregierung gegen alle Ausgabenerhöhungen nach Art. 113 des Grundgesetzes die Aufrechterhaltung des permanenten Haushaltsgleichgewichts garantiere. Diese Frage ist schon deshalb zu verneinen, weil eine solche Handhabung die Bundesregierung in die Gefahr eines ständigen Konflikts mit dem Parlament und damit in eine politisch schwierige Situation bringen muß.
Das Gebot des Haushaltsgleichgewichts richtet sich aber nicht nur an die Exekutive, sondern gerade auch an die Legislative. Es liegt im allseitigen Interesse von Parlament, Öffentlichkeit und Bundesregierung, daß die entstandene Lücke baldmöglichst geschlossen und die Frage der Verhinderung ungedeckter Ausgabengesetze befriedigend gelöst wird.
({3}) Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten.
In England läßt z. B. das Unterhaus nach der berühmten „Ordinance" von 1713 keine Petitionen auf Bewilligung irgendeiner Summe, die die öffentliche Verwaltung betrifft, und keinen Antrag auf solche Bewilligungen aus öffentlichen Einnahmen oder auf ihre Belastung zu, für die Zahlung entweder aus öffentlichen Fonds - consolidated fund - oder aus vom Parlament zu bewilligenden Geldern zu leisten wäre, wenn nicht die Empfehlung der Krone vorliegt. In der Praxis stellt sich das Verfahren etwa folgendermaßen dar. Wenn ein Antrag zur Erörterung gestellt wird, gleichviel ob in der Vollsitzung oder in einem Ausschuß, und er der Empfehlung der Krone bedarf, aber ermangelt, so ist es nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht
({4})
des Präsidenten, festzustellen, daß er nicht zugelassen werden kann. Er kann die Zurückziehung des Gesetzentwurfs anordnen. Ist der Hauptgegenstand eines Gesetzentwurfs die Schaffung einer öffentlichen Last, so muß vor Einbringung des Gesetzentwurfs die Billigung der Krone und die Vorentschließung des Vollkomitees vorliegen.
Diese in England seit mehr als 200 Jahren geübte scharfe Form, die in den letzten Jahren noch mit gesteigerter Strenge angewandt wird, bildet geradezu das Rückgrat der englischen Finanzpolitik.
({5})
Ihr fügen sich Regierungsparteien und die Opposition. Auf Grund dieser „Selbstverleugnungsverordnung" gibt es in England kein Haschen nach Popularität durch Anträge auf Geldbewilligungen im Parlament. Diese Haltung wird auch vom Bewußtsein des englischen Volkes getragen.
({6})
Es ist allgemeine Überzeugung, daß diese Finanzbestimmung und deren strenge Beachtung in erster Linie zur Hebung und Wahrung des hohen Ansehens des Parlaments beigetragen haben. In den Berichten über die letzten Haushaltsberatungen des Unterhauses war zu lesen, daß das englische Parlament sehr scharf über sein Recht auf Bewilligung der Ausgaben wacht und seine Aufgabe darin sieht, der Regierung das Geldausgeben möglichst schwer zu machen. Fast möchte ich die Frage stellen: Was sagt unser Bundesfinanzminister dazu, und in welcher Lage befindet er sich?
Nun lassen sich die englischen Verhältnisse nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragen. Dies muß aber geprüft werden. Für die Bundesrepublik sind bisher, soweit mir bekannt, folgende Vorschläge gemacht worden:
a) Der Vorschlag Herrenchiemsee, das Grundgesetz durch nachfolgende, bereits in Art. 124 Abs. 6 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee enthaltene Bestimmung zu ergänzen:
Maßnahmen, welche Ausgaben verursachen, für die im Haushaltsplan kein entsprechender Betrag bereitgestellt ist, dürfen vom Bundestag oder Bundesrat nur beschlossen werden, wenn gleichzeitig die Deckung der Mehrausgaben beschlossen wird. Entsprechendes gilt für die Beschlußfassung über Maßnahmen, die Einnahmeausfälle zur Folge haben.
({7})
- Ich sage, die Beachtung hängt ab von den Bestimmungen, die wir hier treffen und die getroffen worden sind.
({8})
- Ich persönlich habe mich bemüht, immer nach dem zu gehen. Aber ich werde auf Ihren Einwand, Herr Kollege Gülich, noch zurückkommen.
b) Vorschlag des Bundes der Steuerzahler:
1. Den als verfassungswidrig bezeichneten § 96 Abs. 3 der bisherigen Geschäftsordnung des Bundestages als Art. 113 in das Grundgesetz einzubauen, und zwar in folgender Fassung:
Ein Antrag von Mitgliedern des Bundestages, der eine Finanzvorlage darstellt, wird nur
dann beraten, wenn er mit einem Ausgleichsantrag zu ihrer Deckung verbunden ist. Antrag und Ausgleichsantrag bilden für die Beratung und Abstimmung einen einheitlichen, nicht teilbaren Antrag.
2. Den Inhalt des Art. 113 des Grundgesetzes in den Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes einzufügen, so daß Art. 76 etwa folgende Fassung erhält:
Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht. Werden Anträge des Bundestages und des Bundesrates vorgelegt, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, so bedürfen sie der Zustimmung der Bundesregierung.
c) Ein Vorschlag im Bulletin der Bundesregierung 1953 Seite 1110, die Bestimmungen der Absätze 3 und 4 des § 96 der bisherigen Geschäftsordnung des Bundestages durch folgende Bestimmung zu ersetzen:
Die Schlußabstimmung über eine Finanzvorlage findet erst statt, wenn der Haushaltsausschuß des Bundestages bestätigt hat, daß entweder der Vollzug der beantragten Maßnahme die Einnahme- und Ausgabeansätze des Haushaltsplans nicht berührt oder den Ausgleich des Bundeshaushalts nicht beeinträchtigt, oder wenn der Haushaltsausschuß die Finanzvorlage mit einer Berechnung ihrer finanziellen Auswirkung versehen und mit ihr einen Vorschlag zur Deckung der Mindereinnahme oder Mehrausgabe verbunden hat. Der Haushaltsausschuß ist zu seiner Stellungnahme unverzüglich nach dem Eingang des Antrags verpflichtet. Bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes ist für die Feststellung der haushaltsmäßigen Auswirkung und der Einhaltung des Haushaltsausgleichs der Entwurf des Haushaltsplans maßgebend.
Da es im allseitigen Interesse insbesondere auch des Parlaments selbst liegt, die Frage der Verhinderung ungedeckter Ausgabengesetze befriedigend zu lösen und die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entstandene Lücke baldmöglichst zu schließen, haben die Koalitionsparteien den mit Bundestagsdrucksache 1048 verteilten Antrag betreffend § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eingebracht. Seit der Stellung des Antrags ist die Diskussion über Inhalt und Form der beabsichtigten Änderung unserer Geschäftsordnung weitergegangen. Dies ist ein sehr erfreuliches Zeichen für das hohe Interesse an der Lösung dieser bedeutsamen Aufgabe.
({9})
Wir haben selbst eine andere Fassung erwogen. Da die heutige Beratung nur eine Art erste Lesung darstellt, wollen wir uns Änderungsvorschläge für die Ausschußberatungen vorbehalten.
({10})
- Über die Neufassung, Herr Kollege Gülich, können wir uns dann im Ausschuß eingehend unterhalten,
({11})
({12})
um die in die Geschäftsordnung aufzunehmende Bestimmung so einfach und so verfassungsmäßig wie möglich zu gestalten.
Der Antrag zu § 96 der Geschäftsordnung richtet sich - das möchte ich gegenüber Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege Gülich, ausdrücklich feststellen - an alle Parteien des Hauses, ob Regierungsparteien oder Opposition. Es ist ein Vorschlag für ein Stück echter und guter Parlamentsreform im Interesse unserer Arbeit, Verantwortung und Würde. Wir alle sollten uns zu dem soliden Grundsatz bekennen: Keine Ausgaben ohne Deckung.
Dazu noch ein Schlußsatz, den ich kürzlich in einer angesehenen Zeitung gelesen habe. Er lautet:
Allerdings setzt dies voraus, daß auch die Öffentlichkeit nicht ständig mit neuen Geldforderungen das Parlament belagert.
({13})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den nahezu sechs Jahren, in denen ich die Ehre und oft das Vergnügen hatte, mit meinem verehrten Kollegen Herrn Gengler zusammenzuarbeiten, lernte ich in ihm einen echten Demokraten kennen, und ich möchte an sein demokratisches Gewissen die Frage richten, ob er wirklich im Ernst glaubt, daß es möglich sein könnte, eine derartige Änderung der Geschäftsordnung bei gleichzeitiger Wahrung einmal des Grundgesetzes und zum anderen der Rechte des Parlaments in allen seinen Teilen durchzuführen.
Herr Kollege Gengler hat in der Begründung des Antrags Drucksache 1048 an das ganze Parlament den Appell gerichtet, an der Sicherung der finanziellen Stabilität des Haushalts und der Rechnung mitzuarbeiten. Ich glaube, es würde keine Mühe machen, festzustellen, daß die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses zu jeder Zeit -ich erinnere im besonderen an die Ausschußarbeit, vor allem an die im Haushaltsausschuß, die wir beide, Herr Kollege Gengler, ja erleben - von genau dem gleichen Pflichtbewußtsein getragen war wie jede andere Fraktion hier im Hause, wobei ich vorschlagen möchte, nun nicht den Versuch zu machen, da oder dort auf dieser oder jener Seite ein gelegentliches Ausgleiten zu beobachten. Man könnte mit Beispielen dienen, nicht wahr, Herr Kollege Gengler? Ich brauchte Sie ja nur an einen 800-Millionen-Antrag Probst zu erinnern, der seinerzeit dann ganz gern auch von den Antragstellern im Stich gelassen worden ist. Ich will betonen, daß wir genau die gleiche Verpflichtung spüren, wie sie in dem Art. 110 des Grundgesetzes in bezug auf die Sicherung des Haushalts und den Ausgleich von Einnahme und Ausgabe dem ganzen Parlament mit auferlegt ist und nicht nur der Regierung.
Herr Kollege Gengler appellierte an das Haus, bei der Lösung dieses Problems einen gemeinsamen Weg zu gehen. Einverstanden! Wir wollen durchaus einen gemeinsamen Weg in der Erfüllung der Aufgaben, die das Grundgesetz dem Hause auferlegt, gehen, aber bei der Feststellung der Verwendung der Haushaltsmittel trennen sich sehr oft die Wege; denn hier offenbart sich, wie in Verfassungsfragen, so auch in Haushaltsfragen, daß es eine Angelegenheit der Macht und der Machtausübung ist, wie man die verfügbaren Mittel verwendet. Man kann mit Jacob Burckhardt sagen, daß es oftmals bei der Ausübung der Macht notwendig ist, festzustellen, daß Macht an sich - das beweisen die Taten in diesem Hause bis zum Überdruß - die Neigung hat, böse von Hause aus zu sein. Aber die Möglichkeit eines gemeinsamen Weges stellt sich bei der Beratung des Haushalts, stellt sich bei der Erledigung von Finanzvorlagen, stellt sich in der Praxis jeden Tag. Entscheidend ist dabei nur, ob die Gemeinsamkeit echt gemeint ist, so gemeint ist, daß man auch dem Willen und Wollen der anderen Rechnung zu tragen gewillt ist.
Sie erinnern, Herr Kollege Gengler, an das Beispiel Englands. Nun, das England und die englische Regelung von 1713 - ich glaube, das Ihren Darlegungen entnommen zu haben - müssen nicht unbedingt maßgebend sein für die deutsche Bundesrepublik im Jahre 1955. Da trennen uns Zeiten und Welten, auch eine ganz andere Art von Parlamentarismus in England, als wir sie hier in Deutschland gewöhnt sind und üben. Sie sagten im Verlauf Ihrer Darlegungen, die Engländer machten Ihrer Regierung das Geldausgeben möglichst schwer. Oh, ich wünschte, die Regierungsparteien hier in diesem Hohen Hause würden das gleiche Prinzip in zahlreichen Fällen beachten; dann hätten wir geringere Haushaltssorgen.
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- Ja, Propagandafonds des Herrn Bundeskanzlers, Neubauten, Personalaufblähung und dergleichen mehr! Ein bißchen Mannesmut, wie es die Engländer nach ihrer Darlegung beweisen, würde diesem Hause und dem Steuerzahler, den Sie zu Recht angesprochen haben, sehr gut tun.
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Aber, meine Damen und Herren, die Dinge liegen doch etwas tiefer, als es bis jetzt bei der Betrachtung der Drucksache 1048 den Anschein haben mag. Gestatten Sie mir, daß ich einige grundsätzliche Betrachtungen anstelle, die für die Zurücklegung dieses erstrebten gemeinsamen Weges vielleicht nicht ganz gleichgültig sein dürften.
Unsere Geschäftsordnung, die sich das Haus aus eigenem Recht gibt und die es aus eigenem Recht im Rahmen der Gesetze und im Rahmen des Grundgesetzes ändern kann, regelt die ordnungsgemäße, mit dem Grundgesetz übereinstimmende Tätigkeit des Bundestags. Dieses objektive, in der Sache ruhende Hausgesetz des Bundestags - das sage ich ausdrücklich unter Hinweis auf den von Herrn Kollegen Gengler begründeten Antrag - kann nicht durch eine einseitige parteiische Änderung oder Ergänzung beeinflußt, also subjektiv gestaltet werden.
Ich möchte noch einmal auf Jacob Burckhardt zurückgreifen dürfen, der an einer Stelle seiner „Weltgeschichtlichen Betrachtungen" gesagt hat, man solle aus Erfahrung klüger werden für das nächste Mal oder sogar weise für immer. Meine Damen und Herren, wir haben Erfahrungsgrundlagen! Darf ich Sie an jenes Husarenstück erinnern, das sich die Mehrheit des Bundestags im 1. Deutschen Bundestag durch eine willkürliche Änderung der Geschäftsordnung des Hauses zur Ermöglichung der Bestimmung Bonns zum Bundessitz geleistet hat? Aus den gleichen Reihen kam dann der An({2})
trag auf Streichung dieser einmaligen und in der Geschichte hoffentlich auch einmalig bleibenden Änderung der Geschäftsordnung. Darf ich Sie daran erinnern - Herr Kollege Gengler hat es auch bereits getan -, daß der Versuch, den § 96 Abs. 3 und 4 hier in veränderter Form und, wie ich sagen möchte, Herr Kollege Gengler, sogar in verschlechterter Form zu wiederholen, die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts und das von Ihnen, Herr Gengler, zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Folge gehabt hat?!
Wir laufen Gefahr, nicht etwa wie bei der Bestimmung Bonns und der zu ihrer Grundlage gemachten Änderung der Geschäftsordnung, einen einmaligen Vorgang zu erleben, sondern hier laufen wir Gefahr, einen Dauerverstoß gegen Bestimmungen des Grundgesetzes suggeriert zu bekommen, und dagegen müssen wir uns von Anfang an wehren.
Der Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes ermächtigt den Deutschen Bundestag, sich eine Geschäftsordnung zu geben. Für diese Geschäftsordnung müssen Gesetz und Grundgesetz als Wegweiser gelten, und Verstöße dagegen stehen der Geschäftsordnung nicht zu. Im Vergleich zu Gesetz und Grundgesetz ist die Geschäftsordnung dieses Hauses nicht gleichrangig, sondern sie folgt im Range nach. Die Geschäftsordnung kann nur im Rahmen der Gesetze und des Grundgesetzes Bindungen enthalten. Bindungen, die gegen das Gesetz und Recht gehen, müssen an ihrer Gesetzwidrigkeit scheitern. Ich möchte an die Verantwortlichkeit der juristischen Mitglieder der Regierungsfraktionen schon jetzt die Frage richten, ob sie im Ernst glauben, es vor dem Grundgesetz und vor ihrem juristischen Gewissen verantworten zu können, den Antrag Drucksache 1048 ernsthaft in Behandlung zu nehmen.
Der Bundestag muß sich darüber klar sein, daß die Geschäftsordnung ein Instrument zur Sicherung der parlamentarischen Ordnung, zur Sicherung des gesetzmäßigen Funktionierens des Parlaments ist. Aber er muß sich auch darüber klar sein, daß eine Einschränkung dieses Rechts ides Parlaments durch Maßnahmen der Geschäftsordnung ein Ding der Unmöglichkeit sein muß. Der Antrag Drucksache 1048 rührt entscheidend und mehr vielleicht, als sich das Hohe Haus im Augenblick vorstellt, an das Initiativrecht des Parlaments.
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Der Parlamentarische Rat hat seinerzeit ausdrücklich gegen eine Einschränkung des parlamentarischen Initiativrechts Stellung genommen. Er wollte dem Bundestag ein uneingeschränktes Recht auf gesetzgeberische Initiative sichern. Der Parlamentarische Rat hat Anträge auf Einschränkung abgelehnt und es bei Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes belassen, der den Wortlaut hat:
Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.
Der entscheidende Inhalt ides Initiativrechts ist das Recht des Parlaments, ebenso wie die Bundesregierung, ebenso wie der Bundesrat initiativ auf die Gestaltung des Wirtschafts- und Soziallebens des Bundes Einfluß zu nehmen, ohne sich irgendwelchen unmittelbaren oder mittelbaren Beschränkungen unterwerfen zu lassen, die mit idem Grundgesetz in Widerspruch stehen. Jede Einschränkung
des Rechts auf Initiative des Bundestages durch eine Bestimmung der Geschäftsordnung widerspricht - das möchte ich hier ausdrücklich feststellen - den verfassungsmäßig garantierten Rechten, dem verfassungsmäßig garantierten Initiativrecht des Bundestages, das keine geringere Bedeutung hat als das Initiativrecht von Bundesregierung und Bundesrat. Würden wir eine Bestimmung wie die vorgeschlagene in die Geschäftsordnung aufnehmen, dann wäre es aus mit der Gleichwertigkeit des Initiativrechts der drei initiativberechtigten Organe. Das Grundgesetz kennt jedenfalls keine Differenzierung in der Bewertung des Initiativrechts. Schon aus diesem Grunde ist der Vorschlag, der heute hier zur Debatte steht, verfassungswidrig.
Das Grundgesetz stellt eindeutig Gesetzesvorlagen jeder Art, gleichgültig, von wem sie kommen, auf die gleiche Stufe. Das ist in dem Urteil vom 6. März 1952, das Herr Kollege Gengler zitiert hat, eindeutig ausgesprochen. Was da in der Zwischenzeit an Versuchen unternommen worden ist, auch an Versuchen, die Herr Kollege Gengler hier zitiert hat, so in dem Bulletin der Bundesregierung, das sind bestellte Arbeiten von Beamten, die den Auftrag haben, dem Herrn Bundesfinanzminister und der Bundesregierung nach Möglichkeit den Weg zur besseren, noch besseren Durchsetzung des Willens frei zu machen, den die Bundesregierung oft genug und leidvoll genug dem Bundestag oktroyiert.
Ich frage: will man mit diesem Antrag - ist man sich darüber klar? - erneut das Initiativrecht des Hauses zu beschränken versuchen, will man erneut den Versuch einer unterschiedlichen Bewertung des Initiativrechts machen? Ich habe den Eindruck: man will es. Denn wenn man es nicht wollte, würde der Abs. 3 des Antrages anders lauten müssen. Wenn l dieser Antrag Annahme fände, würden Finanzvorlagen von Abgeordneten zu Anträgen minderen Ranges gestempelt werden. Man deklassiert mit der Einfügung einer solchen Bestimmung in die Geschäftsordnung das Initiativrecht des Parlaments. Ich möchte es auf eine sehr harte Formel bringen: das Parlament würde sich bei der Annahme dieses Antrages selbst entmannen. Finanzvorlagen von Abgeordneten sollen nach diesem Vorschlag nur in Zusammenhang mit der zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes erfolgen können, wenn der Haushaltsausschuß keine Deckung festgestellt hat. Die Wirkung ist ganz unausbleiblich, daß dann Anträge von Mitgliedern des Hauses praktisch nur einmal im Jahr, nämlich bei der Etatberatung, behandelt werden können.
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- Ja, ich komme auf den Nachtragshaushalt zu sprechen. Der Zwischenruf ist mir sehr willkommen.
Wenn dieser Antrag Inhalt der Geschäftsordnung werden sollte, gibt es außerdem zwei Wirkungen, eine allgemeine und eine spezielle. Die allgemeine Wirkung wäre die schlechtere Situation des Parlaments gegenüber Finanzvorlagen der Regierung und des Bundesrates. Die spezielle Wirkung wäre ein Ausnahmerecht gegen die Opposition, da die Regierungsparteien über die natürliche enge Verbindung zur Regierung verfügen. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich darauf hinweise, daß die Absprachen zwischen Regierungsparteien und Regierung ganz natürlicherweise - wenn wir in der Regierung wären, würden wir es genau so machen
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- sehr viel enger sind. Die Herrschaften stimmen sich aufeinander ab, man wirft sich gegenseitig die Bälle zu. Das ist schließlich ein Element des parlamentarischen Lebens. Das ist niemand übelzunehmen. Aber Sie wollen praktisch mit einer solchen Bestimmung, wie sie hier verlangt wird, ein Privileg für die Regierungsparteien und einen Nachteil für die Opposition schaffen. Sie können doch zu jeder Zeit von den Regierungsparteien aus Ihre Regierung veranlassen, Finanzvorlagen einzubringen, die nach diesem Entwurf Drucksache 1048 s o f o r t behandelt werden; denn es handelt sich dann um Finanzvorlagen der Regierung. Ausnahmebestimmungen, ein Sonderrecht werden nur geschaffen für Anträge aus der Mitte des Hauses. Ich brauche wohl nur auf die tägliche Praxis zu verweisen, um die Gefahren und den Leidensweg für Anträge der Opposition aufzuzeigen. Vorhin bei der Behandlung der Berliner Frage, der Wiedererrichtung des Wallot-Baues, ist ja schon darauf hingewiesen worden. Mein Kollege, der hier sprach, meinte, er stelle lieber einen Antrag auf eigene Rechnung als namens der SPD, um eine bessere Chance für die Annahme dieses Antrags zu haben. Darin liegt ein Stückchen bittere Wahrheit und ebenso bittere Erkenntnis.
Herr Kollege Gengler hat auf den heutigen Zustand hingewiesen. Ich darf ganz kurz noch darauf zu sprechen kommen. Heute bestimmt der geltende Wortlaut des § 96 der Geschäftsordnung, daß Finanzvorlagen entweder nur dem Haushaltsausschuß oder dem Haushaltsausschuß und einem Fachausschuß überwiesen werden. Der neue Antrag auf Drucksache 1048 verlangt, daß Finanzvorlagen ohne Beratung vom Präsidenten dem Haushaltsausschuß und dem Fachausschuß überwiesen werden. Vielleicht ist es nützlich, einmal eine kurze Betrachtung über den Begriff und das Wesen einer Finanzvorlage überhaupt anzustellen. Ich möchte dazu sagen: man kann erkennen Vorlagen, die sich auf ein verabschiedetes Haushaltsgesetz beziehen, also in Ausführung des Etats gemacht werden, Vorlagen, die sich auf einen in Beratung befindlichen Haushaltsplan beziehen, also auf die Gestaltung dieses Haushaltsplans Einfluß nehmen wollen, und Vorlagen für eine künftige Zeit, etwa, um aus der Praxis zu sprechen, Anträge oder Finanzvorlagen, die sagen: im Haushalt des Jahres 1956 möge die und die Ausgabe vorgesehen werden.
Dieser Antrag geht aber viel weiter als die bisherige Praxis. Denn bei Annahme dieses Antrags wird grundsätzlich, generell die erste Beratung im Plenum ausdrücklich ausgeschlossen. Ich weiß, daß das schon oft in Kreisen der Regierungsparteien erörtert worden ist. Man möchte die Grundsatzberatung auch einer Finanzvorlage in einer ersten Lesung in diesem Hause löschen, ausmerzen, nicht mehr zulassen. Ich warne davor, diesen Weg zu gehen. Von der bisherigen Vorschrift, daß Finanzvorlagen in der Regel vom Präsidenten nach Anhörung des Ältestenrats an Ausschüsse überwiesen werden, hat das Haus praktisch keinen Gebrauch gemacht. Bisher wurde erst durch Beschluß des Plenums an die Ausschüsse überwiesen und kein Versuch, wenigstens kein nennenswerter, nicht auf allgemeiner Verständigung durch Vorbesprechung im Ältestenrat beruhender Versuch einer Beschneidung der ersten Beratung gemacht.
Der Antrag auf Drucksache 1048 geht aber noch weiter. Er belastet den Präsidenten des Bundestags mit einer Entscheidung, er schiebt ihm in einer Frage allein die Verantwortung zu. Nur dann, wenn er Zweifel hat, kann sich der Präsident mit dem Ältestenrat, der ja kein Beschlußorgan ist, unterhalten. Ihm bleibt aber dann doch die Entscheidung. Ich möchte hier die leise Frage anklingen lassen, ob eine solche Bestimmung nicht auch die unparteiische Stellung des Bundestagspräsidenten irgendwie gefährdet. Der Antrag verlangt die Unterbindung der Grundsatzberatung. Die Grundsatzberatung über das Wesen der Vorlage, über das Für und das Wider zur Information des Hauses und der Öffentlichkeit scheint der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion jedoch eine elementare Voraussetzung für eine nützliche parlamentarische Arbeit überhaupt zu sein. Mir ist in Gesprächen gesagt worden: Ja, es gibt ja die Presse, es gibt ja den Rundfunk; auf dem Wege kann ja auch gesagt werden, was gesagt werden soll. - Vom Standpunkt des Parlaments genügt das nicht. Das Entscheidende muß von unserer Auffassung aus die echte Auseinandersetzung, das echte parlamentarische Ringen in diesem Hause sein. Sonst hat das Haus seinen Namen und praktisch sein Existenzrecht verwirkt.
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Ausschußberatungen! Wir wissen, daß das Schwergewicht unserer Arbeit in den Ausschüssen liegt. Ausschußberatungen in allen Ehren; sie können aber die öffentlich zu führende Diskussion auch dann nicht ersetzen, wenn es sich um Ausschüsse handelt, die nicht geheim und hinter verschlossenen Türen tagen. Wir brauchen die grundsätzlichen Ausführungen im Bundestag selbst. Wir brauchen sie zur Entwicklung, zur Fortbildung der Demokratie und auch, um den Staatsbürger wirklich mit der Demokratie und der demokratischen Praxis in möglichst enge Verbindung zu bringen.
Nun schiebt dieser Antrag dem Haushaltsausschuß eine Rolle zu, um die der Haushaltsausschuß, wenn der Antrag Gesetz würde oder sein könnte, wahrhaftig nicht zu beneiden wäre. Er soll nämlich gegenüber den Finanzvorlagen aus der Mitte des Hauses feststellen, ob Deckung vorhanden ist. Damit tritt der Haushaltsausschuß vergleichsweise praktisch an die Stelle der Antragsteller nach dem früheren Antrag zu § 96 Absätze 3 und 4, der vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig bezeichnet worden ist. Die umgeänderte Rolle, die nun dem Haushaltsausschuß auf den Leib zugeschnitten werden soll, ruft doch die Erinnerung an das seinerzeitige Urteil des Bundesverfassungsgerichts wach, in dem es hieß:
Liegt aber noch nicht einmal ein Haushaltsplan vor, so ist überhaupt noch nicht feststellbar, ob die vom Antragsteller vorgeschlagene Ausgabe in einem künftigen Haushaltsjahr gedeckt sein wird oder nicht. In diesem Fall einen Ausgleichsantrag zu fordern, widerspricht dem Begriff der Deckung.
Vorhin wurde der Zwischenruf vom Nachtragshaushalt gemacht. Meine Damen und Herren, wir haben doch ein ganz interessantes Exempel in der letzten Zeit erlebt. Die Bundesregierung hat das Rentenmehrbetragsgesetz diesem Hohen Hause vorgelegt, und das Haus hat das Gesetz verabschiedet. Die Deckung ist bis zur Stunde nicht bekannt. Die Bundesregierung hat erklärt, daß die Deckung in einem Nachtragshaushalt gesucht und gefunden werden müsse. Jetzt nehmen Sie bitte Ziel und Wortlaut der Drucksache 1048! Ein Abgeordnetenantrag aus der Mitte dieses Hauses, der keine Deckung hat, kommt bei der praktischen Anwen({7})
dung dieser Bestimmung, die Sie hier vorzuschlagen wünschen, überhaupt nicht im Plenum zur Erörterung. Die Bundesregierung kann einen noch so weittragenden Finanzvorschlag machen, er wird in diesem Hause behandelt und verabschiedet, weil es die Änderung des geplanten neuen § 96 erlaubt, auch dann, wenn Wochen und Monate zwischen Verabschiedung des Gesetzentwurfs und noch nicht gelieferter Deckung - selbst durch einen Nachtragsetat - liegen. Wieder darf ich Ihnen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Erinnerung rufen, wonach Regierungsvorlagen und Bundesratsvorlagen auch dann zur Beratung kommen - wie man es seinerzeit schon wollte -, wenn sie nicht mit einem Ausgleichsantrag verbunden sind. Kann das Haus wirklich im Ernst die Wiederholung dieses Spiels wünschen?
Es liegt keine Rechtsgrundlage vor, die es rechtfertigt, daß der Bundestag das Initiativrecht seiner eigenen Mitglieder beschränkt und dadurch die im Grundgesetz festgelegte Gleichwertigkeit beseitigt. Der Antrag zu § 96 Abs. 1 enthält zudem auch keine ausreichende, keine genügend präzise Kategorisierung des Begriffs Finanzvorlage. Er enthältdamit auch die Gefahr, daß eine Mehrheit im Haushaltsausschuß bestimmt, was eine Finanzvorlage ist, und diese Freiheit kommt in verdächtige Nähe zweier Äußerungen, die mir immer im Gedächtnis bleiben. Die eine stammt von einem der letzten kaiserlichen Reichskanzler, dem seligen Herrn Michaelis, der über die Demokratie sprach und sagte: „Demokratie, wie ich sie auffasse." Die andere stammt aus einem anderen Raum Europas, von dem früheren, lange verstorbenen Wiener Oberbürgermeister Lueger, der einmal gesagt hat: „Was a Jud ist, bestimm ich."
Die Gefahr, daß der Haushaltsausschuß sagt, wo er Deckung sieht und was in seinen Augen eine Finanzvorlage ist, entmannt das Parlament in seiner eigenen Verantwortung. Der Haushaltsausschuß soll erst Deckung suchen, und erst dann soll der Antrag weiter behandelt werden. Ja, wie sucht denn der Haushaltsausschuß die Deckung? Wir kommen hier auf einen sehr interessanten Weg. Er sucht die Deckung, indem er die Bundesregierung um Auskunft ersucht; es bleibt ihm ja praktisch gar nichts anderes übrig. Damit macht er die Bundesregierung zum Schiedsrichter über Finanzvorlagen aus der Mitte des Hauses. Er macht sie zum Lenkungsorgan gegenüber dem Initiativrecht des Bundestages. Er schafft einen gesetzwidrigen Zustand. Meine Damen und Herren, Anträge aus der Mitte des Hauses werden damit deklassiert und erfahren eine Beerdigung je nach Wahl erster bis dritter Klasse. Es liegt doch auch im Belieben der Mehrheit des Haushaltsausschusses, zu erklären, daß keine Deckung vorhanden ist, und dann kommt die Vorlage bestenfalls mit dem nächsten Haushaltsplan an das Plenum.
Wer Mitglied des Haushaltsausschusses ist und die Entwicklung dort mit wachen Sinnen verfolgt, der weiß doch, daß allerlei Deckungsvorschlagsmöglichkeiten bestehen. Ich will nicht aus der Schule plaudern. In einer der letzten Sitzungen des Haushaltsausschusses ist für eine ganz umfängliche Ausgabe plötzlich eine Deckung vorhanden gewesen, weil man die Ausgabe wollte, sie brauchte; dies ist nicht zu bestreiten. Aber man schuf aus dem gleichen Haushalt, dem gleichen Einzelplan - es handelt sich um den Haushalt des Bundesinnenministeriums - die Deckung, weil die Bürokratie in der Lage war, zu übersehen, wo man Deckung
herschaffen kann. Der Bundestag, der Haushaltsausschuß hat diese Einsicht unmöglich. Er bleibt also in diesen Fragen praktisch ein Gefangener der Regierung, die ihm sagt, was ihr gefällt.
Wie würde denn die Praxis aussehen, wenn dieser Antrag Geschäftsordnungsinhalt wäre? Wenn der Haushalt 1954 entsprechende Deckung aufweist, dann kann der Antragsteller damit rechnen, daß eine Mehrheit im Haushaltsausschuß erklärt, daß für diese Finanzvorlage eine Deckung vorhanden ist; dann wird der Antrag dem Plenum zugeleitet. Wird dagegen gegenüber einem Antrag von der Mehrheit des Haushaltsausschusses behauptet, daß keine Deckung im Haushalt 1954 enthalten sei, dann kann der Antrag, da augenblicklich die Etatberatung 1955 - gehen wir da in die Praxis hinein - im Haushaltsausschuß noch im Gange ist, zur Etatberatung 1955 verwiesen werden. Aber glauben Sie nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß damit etwas gerettet sei! Die im Haushalt 1955 enthaltenen Mittel sind im Entwurf des Haushaltsplans restlos verplant, bis auf Mark und Pfennig. Die Antragsteller laufen also Gefahr, daß die beantragte Finanzvorlage mangels Deckung automatisch zur Beratung des Haushalts 1956 zurückgestellt wird. Das Haus bekommt praktisch erst anläßlich der Haushaltsberatung 1956 Gelegenheit, sich mit dem gestellten Antrag auseinanderzusetzen. Kann das das Parlament wirklich wollen, meine Damen und Herren? Wer möchte eine solche Mißhandlung der Antragsrechte der Bundestagsabgeordneten verantworten?
Die Frage ist auch in dem Zusammenhang zu stellen, ob der Haushaltsplan etwa als Finanzvorlage im Sinne von 1048 aufgefaßt sein soll. Die Frage ist gar nicht so unbegründet und gar nicht so abwegig. Jedenfalls bleibt, daß die Annahme dieses Antrags praktisch alle Finanzvorlagen aus der Mitte des Hauses weitgehend der Diskussion des Plenums entziehen würde. Die Diskussion über Finanzvorlagen ist bei Annahme des Antrags nur noch möglich, wenn sie zusammen mit der Haushaltsberatung erfolgt oder wenn im Haushaltsausschuß eine Deckung gefunden werden kann. Im letzteren Fall ist dann aber auch noch die Entscheidung über die Behandlung der Vorlage in das Ermessen des Haushaltsausschusses gestellt. Sie finden das ausdrücklich im Abs. 3 des Antrags.
Und nun, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich Sie auf den großen Unsinn - ich wiederhole das Wort: Unsinn -, der in diesem Antrag liegt, aufmerksam mache. Wir haben einen § 126 der Geschäftsordnung, der lautet:
Am Ende der Wahlperiode oder im Falle der Auflösung des Bundestages gelten alle Vorlagen, Anträge, Große und Kleine Anfragen mit Ausnahme der Petitionen als erledigt.
Der § 126 führt praktisch den Antrag Drucksache 1048 ad absurdum. Der Beweis: Dieser Bundestag wurde am 6. September 1953 gewählt. Seine Wahldauer endet am 5. September 1957. Es ist anzunehmen, daß der Haushalt 1957/58 vor dem Auseinandergehen dieses Bundestages abgeschlossen sein wird. Nun ist weiterhin anzunehmen, daß Finanzvorlagen von Abgeordneten dieses Hauses mit der zweiten und dritten Beratung des nächst en Etats verbunden werden müssen, weil der letzte Haushalt 1957/58 keine Deckung enthält. Kommen ernstgemeinte Anliegen nach der Verabschiedung des letzten Haushalts, für den dieser Bundestag zuständig ist, dann fallen sie unter die Bestim({8})
mung des § 126: Am Ende der Wahlperiode gelten alle Vorlagen mit Ausnahme der Petitionen als erledigt.
Aber, meine Damen und Herren, auch diese Feststellung hat in der Betrachtung noch eine Kehrseite. Stellen Sie sich einmal vor, was in diesem Hause hoffentlich nicht vorkommt, es gäbe hemmungslose Demagogen; die wüßten um die Bedeutung des § 126 der Geschäftsordnung und würden nach der Beratung des Haushalts. 1957/58 hier hervorragend klingende, schön anzusehende, vielversprechende und sehr kostspielige Finanzvorlagen einbringen und dann durch Presse, Flugblatt und Radio für entsprechende Publizität sorgen in dem Bewußtsein: außer dem Druck kostet dieser Antrag überhaupt nichts. Er kann aber den demagogischen Abgeordneten draußen im Urteil des Volkes nur Gewinn bringen. Ich brauche Sie bloß an gewisse Erlebnisse aus der Zeit des 1. Deutschen Bundes- tags zu erinnern, um Ihnen damit zu beweisen, wie ernst ein solches Bedenken ist.
Meine Damen und Herren, ich kann mir nicht vorstellen, daß der Deutsche Bundestag eine solche Entwicklung wollen kann, daß er sie im Ernst will.
Ich darf Sie noch - und damit komme ich zum Schluß - darauf hinweisen, daß der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee einen Deckungsvorschlag vorsah, daß der Parlamentarische Rat eine solche Verpflichtung aus der Besorgnis der Einschränkung des Initiativrechts ablehnte und damit den Art. 113 des Grundgesetzes begründete, nach dem ausgabenerhöhende Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen.
Damit steht doch folgendes fest. In echtem parlamentarischem Ringen entscheidet nach dem jetzigen Zustand das Parlament darüber, in welcher Weise der Kuchen verteilt werden soll. Die Bundesregierung kann während des Ringens ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Sie tut es auch. Sie kann am Ende von dem Recht des Art. 113 Gebrauch machen, wenn sie es auf einen Konflikt mit dem Hause ankommen lassen will.
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Aber sie kann nicht die Gesetzesinitiative des Parlaments hindern, wie es in ihre Hand gelegt wäre, wenn die Drucksache 1048 Inhalt der Geschäftsordnung würde.
Meine Damen und Herren, auch hier und an dieser Stelle gilt die seinerzeitige Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zu dem früheren § 96 Abs. 3 der Geschäftsordnung über die unzulässige sachliche Beschränkung des Initiativrechts von Abgeordneten. „Schon die Beratung im Haushaltsausschuß", hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, „kann durch den Ausgleichsantrag von dem Gegenstand abgelenkt und auf die finanzielle Seite konzentriert werden. Es kann sich also eine Akzentverschiebung und Verlagerung der Debatte ergeben, die dem sachlichen Kern der Vorlage nicht gerecht wird." Man muß dem Bundesverfassungsgericht auch darin zustimmen - auch heute und jetzt erst recht -, daß, wie es damals erklärte, Beratung und Abstimmung über einen politisch hoch bedeutsamen Gesetzentwurf in eine Bahn gelenkt werden, in der die Hauptsache hinter der Deckungsvorlage zurückgedrängt wird. Was das Bundesverfassungsgericht am 6. März 1952 sagte, gilt auch heute noch: daß es sachlich einen großen Unterschied
macht, ob in der Debatte a u c h die finanziellen Auswirkungen eines Antrags behandelt werden oder ob der Sachantrag zur Beratung und Abstimmung mit einem konkreten Deckungsvorschlag verbunden sein muß. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit zu Recht erklärt, daß die meisten Initiativanträge in erster Linie der Verwirklichung eines politischen Programms dienen, auch wenn sie finanzielle Auswirkungen haben. Es hat begründet festgestellt, daß es dem Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes widerspricht, wenn das unbeschränkte Initiativrecht durch die Geschäftsordnung sachlich beschränkt wird. Die Verpflichtung - ich wiederhole, was ich eingangs sagte - zum Haushaltsausgleich trifft auch den Bundestag. Aber sie darf nicht dazu benutzt werden, das Initiativrecht aus der Mitte des Bundestages zu beschränken oder gar unmöglich zu machen.
Ich richte daher die Gewissensfrage an das Hohe Haus: erkennen Sie, meine Damen und Herren, die Gefahr der Lähmung des Initiativwillens des Parlaments, erkennen Sie die Gefährdung einer echten demokratischen Entwicklung unserer Arbeit? Der Antrag, in die Geschäftsordnung aufgenommen und unbeanstandet darin gelassen, würde bedeuten, daß es, genau wie bei dem früheren § 96 Abs. 3 und 4, dem Parlament, vor allem der Minderheit, unmöglich gemacht wird, die Verantwortung zu tragen, die auf uns allen lastet. Schließlich nehmen Sie - ob Sie es heute sehen oder nicht, ob Sie es wollen oder nicht - dann praktisch der Minderheit die faire Chance, auf die sie einen Anspruch hat.
Ich bitte namens meiner Fraktion um Ablehnung des Antrags Drucksache 1048 ohne Ausschußberatung. Ich bitte darum mit einem Wort aus der schönsten deutschen Oper, aus Carl Maria von We- 1 bers „Freischütz": Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mocker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der § 96 der Geschäftsordnung für das Initiativrecht der Abgeordneten von größter Bedeutung ist, versteht es sich von selbst, daß jede neue Fassung dieser Geschäftsordnungsbestimmung erst der sorgfältigsten Prüfung unterworfen werden muß, bevor man ihr endgültig zustimmen kann. Meine Fraktion hat den Antrag Drucksache 1048 mit unterschrieben, um dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß sie eindeutig für einen Schutz des Initiativrechts vor Mißbrauch ist, daß sie also vor allem unsachliche Agitationsanträge unterbunden sehen will. Meine Fraktion glaubt auch, daß dadurch eine Versachlichung der parlamentarischen Arbeit gefördert werden kann. Eine diesbezüglich wohlabgewogene Bestimmung in der Geschäftsordnung kann wesentlich dazu beitragen, eine gewissenhafte Abwägung der Wichtigkeit der einzelnen Anliegen und auch die Aufstellung einer verantwortungsbewußten Rangordnung der einzelnen Probleme zu sichern. Wenn mit den nun einmal nur beschränkt vorhandenen finanziellen Mitteln die sozialen Probleme ihre möglichste Bewältigung erfahren sollen, dann kann ein dahin zielendes geschäftsordnungsmäßiges Regulativ einen sehr großen Wert besitzen. Wir würden also sozusagen dem Grunde nach eine derartige Bestimmung bejahen. Nur
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darf ein solches Regulativ nicht mehr wollen oder gar zur Unterbindung des Initiativrechts der Mitglieder dieses Hauses führen, die Unterschrift meiner Fraktion unter dem Antrag Drucksache 1048 bedeutet deshalb nicht, daß wir mit Wortlaut und Inhalt dieses Antrags zur Gänze einverstanden sind und seine Zielsetzung in vollem Umfange bejahen.
Wir haben rechtliche und auch politische Bedenken.
Bei den rechtlichen Bedenken muß man nun einmal, ob man will oder nicht, von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 1952 ausgehen, mit welcher die Absätze 3 und 4 des § 96 alter Fassung als verfassungswidrig erklärt und damit außer Kraft gesetzt wurden. Die neue Fassung ist nun ebenfalls mit einer Reihe der gleichen verfassungsrechtlichen Mängel behaftet, die zur Außerkraftsetzung der alten Absätze 3 und 4 des § 96 geführt haben. Es ist nun einmal so, daß nach dem Wortlaut des Antrags Drucksache 1048 ein Antrag von Abgeordneten einer besonderen Verfahrensprozedur unterworfen ist. Er erzwingt auch, falls eine Deckung im Bundeshaushalt nicht vorhanden ist, eine Koppelung mit dem nächsten Haushaltsplan, also mit allen finanzpolitischen und finanztechnischen Problemen eines ganzen Haushaltsjahres, und er erzeugt auch möglicherweise eine das sachliche Anliegen des betreffenden Antrags erledigende zeitliche Verzögerung.
Alle diese Umstände, ob einzeln oder zusammengenommen, lassen doch die Initiative eines Antragstellers genausowenig das Ziel erreichen, wie es § 96 Abs. 3 der alten Fassung durch die Koppelung mit einem Deckungsvorschlag bewirkte. Wenn ein sachlich berechtigtes Anliegen eines Antragstellers keinen Aufschub bis zur Verabschiedung des nächsten Haushaltsplans vertragen kann, so kann seitens der Abgeordneten dieses Hauses eine Finanzvorlage nur dann eingebracht werden, wenn eine Deckung im Bundeshaushalt vorhanden ist. Dadurch wird doch das Initiativrecht der Mitglieder dieses Parlaments ebenso sachlich beschränkt, wie dies durch den Abs. 3 der alten Fassung des § 96 geschehen ist, die das Bundesverfassungsgericht außer Kraft gesetzt hat.
Die bereits erwähnte Koppelung mit der zweiten und dritten Beratung des nächsten Haushaltsplans kann bewirken, daß die Beratung von dem Hauptgegenstand eines gestellten Antrags abgelenkt und auf die finanzielle Seite konzentriert wird, wie das bereits der Herr Vorredner gesagt hat. Damit geschieht dann also gerade das, was in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 1952 als „Akzentverschiebung" bezeichnet wird und mit zur Begründung für die Verfassungswidrigkeit der alten Fassung des § 96 gedient hat.
Schließlich verstößt die vorgeschlagene neue Fassung des § 96 Abs. 3 ebenso gegen den Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes wie die alte, außer Kraft gesetzte Fassung der Absätze 3 und 4, denn es wird hier wie dort in gleicher Weise das in Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes statuierte gleichwertige Initiativrecht der Bundesregierung, des Bundesrats und der Mitglieder des Bundestags zum Nachteil der Mitglieder dieses Hauses mißachtet.
Es könnten noch weitere verfassungsrechtliche Mängel der neuen Fassung aufgezählt werden.
Aber schon die wenigen von mir aufgezeigten rechtlichen Bedenken zeigen doch, daß ein beschlossener § 96 der Geschäftsordnung in der Fassung der Drucksache 1048 über Anfechtung beim Bundesverfassungsgericht der gleichen Nichtigkeit verfallen müßte wie die außer Kraft gesetzten Absätze 3 und 4 des § 96 alter Fassung. Also schon von der rein rechtlichen Seite her ist es meiner Meinung nach ein vollkommen unnützes Beginnen, den § 96 der Geschäftsordnung so zu beschließen, wie es mit der Drucksache 1048 vorgeschlagen wird.
Lassen Sie mich auch noch einige politische Bedenken sagen, die wir gegen den Inhalt eines § 96 der Geschäftsordnung in der vorgeschlagenen Form haben. Sosehr wir unsachliche Agitationsanträge unterbunden sehen wollen, so wollen wir aber in der Verwirklichung echter sachlicher Anliegen auf keinen Fall ein Hemmnis, ja nicht einmal eine Verzögerung schon durch die Geschäftsordnung in Kauf nehmen. Nach Drucksache 1048 soll jede Finanzvorlage, auch die sachlich vollauf begründete und in ihrem Anliegen dringlichste, ohne Beratung sofort den Ausschüssen überwiesen werden. Ist keine Deckung im Haushalt vorhanden, bleibt sie bis zur Beratung des nächsten Haushalts liegen. Dann wird sie mit allen übrigen Haushaltsvorlagen beraten, tritt also in die große Konkurrenz mit allen übrigen Vorlagen, wird allen bei Haushaltsberatungen aufkommenden politischen und taktischen Überlegungen, die gar nicht mehr auf die Zweckmäßigkeit des einzelnen Antrags abgestellt sein können, unterworfen und geht damit unter, wenn nicht schon der Zeitablauf sie inzwischen erledigt haben sollte. Das aber, meine Damen und Herren, ist ein Staatsbegräbnis erster Ordnung.
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Es müßte doch zumindest gewährleistet sein, daß sofort, und zwar unter der Kontrolle der Öffentlichkeit, überprüft wird, ob eine von Abgeordneten eingebrachte Finanzvorlage ein berechtigtes sachliches Anliegen hat oder nicht und ob seine Erfüllung im staatspolitischen Interesse liegt oder nicht. Deshalb müßte den Antragstellern im Plenum oder zum mindesten im Ausschuß sofort die Gelegenheit zur Begründung gegeben werden. Im Fachausschuß müßte ohne Verzug die sachliche Berechtigung überprüft werden. Falls das Vorliegen eines staatspolitischen Interesses bejaht wird, müßte durch weitere Beratung in den Ausschüssen und im Plenum die Durchführung sichergestellt werden. Gesetzt den Fall, es liegt ein dringliches Anliegen vor, dessen sofortige Erfüllung von jeder Seite dieses Hauses als unbedingt erforderlich angesehen wird, es ist aber im Bundeshaushalt keine Deckung vorhanden und außerdem hat die Angelegenheit keine Zeit bis zur Verabschiedung des nächsten Haushalts; in diesem Fall könnten die Mitglieder dieses Hauses selbst überhaupt gar nichts tun, es sei denn, die Bundesregierung bitten, eine entsprechende Finanzvorlage einzubringen.
Abgesehen davon, daß damit wiederum ein klassisches Beispiel für die Unterbindung des nun einmal in der Verfassung gewährleisteten gleichen Initiativrechts der Mitglieder dieses Hauses gegeben ist, muß ich Sie in dieser Verbindung doch daran erinnern, daß immer wieder gesagt wird, dieses Parlament, also der Bundestag, besitze ein Untergewicht und die Regierung ein Übergewicht.
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Dieser Behauptung aber würden wir Abgeordnete durch die Aufnahme einer Bestimmung in die Geschäftsordnung in der vorgeschlagenen Form zur Realität verhelfen.
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Meine Damen und Herren, es geht hier meiner Meinung nach um ein Stück des Ansehens des Parlaments, das nicht etwa durch Anordnungen optischer Art, gegen die ich persönlich nichts habe, sein Äquivalent finden könnte. Die Hinweise darauf, daß ähnliche Bestimmungen viele Parlamente auch anderer Länder in ihren Geschäftsordnungen haben, ziehen nicht. Man sollte nicht immer versuchen, irgendwelche Teilstücke zu übernehmen, ohne das Ganze zu sehen, abgesehen davon, daß die diesbezüglichen Bestimmungen in den Geschäftordnungen der Parlamente jener Länder durch die Verfassungen der betreffenden Länder ihre Deckung finden. In diesen anderen Ländern ist auch die richtige Rangordnung der demokratischen Einrichtungen und ihrer funktionellen Gremien, bei der das Parlament immer nur die erste Stelle einnehmen kann, weit mehr schon im Bewußtsein des Volkes und auch der staatlichen Einrichtungen, insbesondere auch der Ministerien, verankert als bei uns. Ist es einmal soweit, dann kann auch das Parlament auf die eine oder andere geschäftsordnungsmäßige Handhabe verzichten.
Ich bin jedenfalls der Ansicht, daß die durch den verlorenen Krieg und durch die Nachkriegsfolgen verursachte besonders schwere Lage unseres Landes und auch die Jugend unserer Demokratie einen solchen Verzicht noch nicht rechtfertigen.
Was wir von der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE wollen, ist im § 96 eine Geschäftsordnungsbestimmung, die in rechtlicher Beziehung unanfechtbar ist und in sachlicher Beziehung unsachliche Agitationsanträge ebenso unterbindet, wie sie das Initiativrecht der Abgeordneten zur Verwirklichung echter politischer Anliegen nicht beseitigen und auch nicht schmälern darf. Die endgültige Stellungnahme meiner Fraktion wird davon abhängen, inwieweit durch die Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß dieses Ergebnis erzielt werden kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Mocker hat eben von einer Beratung im Geschäftsordnungsausschuß gesprochen. Das veranlaßt mich, zunächst einmal den Antrag zu stellen, diesen Antrag Drucksache 1048 dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zu überweisen. Dieser Antrag ist bisher nicht gestellt worden. Herr Kollege Ritzel von der sozialdemokratischen Fraktion hat sogar beantragt, diesen Antrag nicht einem Ausschuß zu überweisen, sondern ihn heute schon in der ersten Lesung abzulehnen. Gegen diesen Vorschlag möchte ich mich ausdrücklich wenden und, wie gesagt, beantragen, daß der Antrag Drucksache 1048 dem Geschäftsordnungsausschuß überwiesen wird.
Meine Damen und Herren, zur Sache selbst. Ich habe nicht vor, über das Wesen von Finanzvorlagen und die Philosophie dieser Angelegenheit hier sehr viel zu sagen, weil ich, wie ich offen bekenne, von dem Wesen solcher Dinge nichts verstehe.
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Aber, Herr Kollege Ritzel, es ist auch nicht so, wie Sie meinen. Es ist auch nicht so, daß wir gewarnt werden, zu überlegen, ob wir es mit unserem Gewissen vereinbaren könnten - wie Sie glaubten sagen zu müssen -, diesen Antrag überhaupt in Beratung zu nehmen. Das können wir in der Tat! Wir können es in der Tat mit unserem Gewissen vereinbaren, einen solchen Antrag überhaupt zu beraten; und ich glaube, Herr Kollege Ritzel, Sie haben dafür Verständnis, daß wir das können.
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- Auf die Spekulation komme ich jetzt, Herr Schoettle.
Herr Schoettle, Sie wissen wie wir alle, daß dieser Antrag der Koalitionsparteien veranlaßt worden ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 1952. Wir schreiben jetzt März 1955. Ich glaube, es ist nicht zu früh, wenn wir uns nun, nach drei Jahren, mit diesem Problem, das durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgeworfen ist, befassen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abätze 3 und 4 des jetzigen § 96 unserer Geschäftsordnung für verfassungswidrig erklärt. Meine Damen und Herren, ich respektiere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, stehe aber nicht an zu erklären, daß mich seine Gründe nicht in jeder Hinsicht überzeugen. Das kann man ja wohl sagen. Wir befanden uns, als wir 1951 - ich glaube, es war im Dezember - die Geschäftsordnung mit diesem § 96 verabschiedeten, in nicht schlechter Gesellschaft; denn der Reichstag hatte im Jahre 1931 den damaligen § 48 a verabschiedet. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Drucksachen des Reichstags, insbesondere auch die Anträge, nachzulesen, und ich finde unter dem Antrag betreffend diesen § 48 a die Unterschrift des damaligen Reichstagspräsidenten, des von uns allen sehr verehrten Herrn Löbe.
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- Nein, aber, Herr Schoettle, ich darf es doch sagen. Ich bitte Sie, ich bitte jeden hier in diesem Hause, daraus Konsequenzen zu ziehen, das zu überlegen, und ich habe ja auch nur gesagt, Herr Schoettle, daß ich mich in guter Gesellschaft zu befinden glaube. Das darf man doch sagen!
({3})
- Gut.
Meine Damen und Herren, ich sagte eben schon, daß die Absätze 2 und 3 für verfassungswidrig erklärt worden sind. Wir müssen sie also neu formulieren. Und das darf ich auch ganz offen für meine Fraktion sagen: ich behaupte nicht, daß die jetzige Vorlage nicht verbesserungsfähig wäre.
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Ich glaube, damit genug gesagt zu haben. Das sollte
man nun im Ausschuß überlegen; denn schließlich
dient eine Diskussion, auch in diesem Saale, dazu
- ich meine das jedenfalls, und ich richte mich auch danach -, daß man sich durch die Diskussion überzeugen läßt, und ich gehöre zu denen, die sich
({5})
1 überzeugen lassen. Allerdings, so schlecht, wie Sie, Herr Kollege Ritzel, die Vorlage ansehen, ist sie nicht; denn die Absätze 1 und 2 des § 96 sind ja vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden.
Ich darf noch sagen, damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Das Bundesverfassungsgericht war mit uns der Meinung - und ich möchte wünschen, daß wir davon mehr Gebrauch machen -, daß nicht alle Vorlagen, insbesondere auch nicht alle Gesetze, in drei Lesungen beraten werden müssen. Nirgendwo in der Verfassung steht, daß alle Vorlagen durch drei Lesungen gehen müssen, und es ist durchaus verfassungsgemäß und vom Bundesverfassungsgericht in dem Teil der Gründe, den ich anerkenne, weil er richtig ist, gesagt worden, daß nicht unter allen Umständen drei Lesungen stattzufinden brauchen und Finanzvorlagen, wie sie in Abs. 1 mit der Billigung des Bundesverfassungsgerichts definiert worden sind, also unmittelbar dem Fachausschuß und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden können.
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- Aber, Herr Mellies, wir wissen doch alle und wir haben es doch gestern mittag für meine Begriffe geradezu bis zum Überdruß erfahren müssen, daß in der dritten Lesung auch noch eine allgemeine Aussprache stattfindet. Wir brauchen doch die allgemeine Aussprache nicht unter allen Umständen zweimal!
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- Auf das Ergebnis der Ausschußberatungen, Herr Kollege Mellies, bezieht sich meines Erachtens die Einzelaussprache in der dritten Lesung, und die Generaldebatte dient in erster Linie dazu - mit vollem Recht -, noch einmal zu sagen, was man über die Vorlage im ganzen denkt.
Meine Damen und Herren! Ich bin durchaus mit Herrn Kollegen Ritzel der Meinung - ich habe es eben schon gesagt -, daß die Vorlage verbesserungsfähig ist und daß das Initiativrecht der Abgeordneten unter keinen Umständen eingeschränkt werden sollte - das will niemand -, weder inhaltlich - deswegen lesen Sie in der Vorlage nichts von einem Deckungsvorschlag - noch zeitlich.
Ich kann in der ersten Lesung keinen Antrag stellen; aber ich kann eines tun: ich kann hier ankündigen, welche Absichten ich für die Ausschußberatung habe bzw. - ich gehöre dem Ausschuß nicht an - welchen Antrag meine Fraktionsfreunde bei der Ausschußberatung einbringen werden. Dieser Antrag wird ungefähr so aussehen - ich darf ihn, wie gesagt, hier nicht einbringen, weil die erste Lesung nach der Geschäftsordnung die Einbringung von Änderungsanträgen nicht vorsieht -, daß in erster Linie der Haushaltsausschuß jede Finanzvorlage zu prüfen hat. Denn was wir wollen, das sage ich ganz eindeutig: Wir wollen Propaganda- und Agitationsanträge hintanhalten,
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und wir glauben, das damit zu tun, daß wir das Parlament, auch das Plenum, zwingen, sich bei der Beratung solcher Finanzvorlagen, die die Einnahmen des Bundes unter Umständen vermindern oder die Ausgaben erhöhen, auch - allerdings für meine persönlichen Begriffe: in erster Linie - mit der Deckung zu befassen. Das glauben wir
dadurch zu erreichen, daß der Haushaltsausschuß, den wir, Herr Kollege Schoettle, für sachverständig auf diesem Gebiet halten, sich mit der Sache befassen muß.
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- Nein, ich spreche nicht von der Regierung, Herr Wehner, ich spreche vom Haushaltsausschuß. Der Haushaltsausschuß soll sich nach meinen Vorstellungen in erster Linie mit der Sache befassen und soll allerdings - das ist auch meine Meinung - nicht bis zur Beratung des Haushaltsplans oder des Nachtragshaushaltsplans warten, sondern soll - in der Geschäftsordnung steht bereits, daß jeder Ausschuß sich beschleunigt mit den Vorlagen, die ihm überwiesen worden sind, zu befassen hat - unverzüglich dem Plenum berichten. Sein Bericht kann nur lauten: Ich sehe im Haushalt eine Dekkung, oder: Ich sehe sie nicht. Dann wird sich das Plenum mit der Deckungsfrage zu befassen haben.
Ich wiederhole: Worauf es uns ankommt, ist, daß bei solchen Anträgen a) der in diesem Hause besonders sachverständige Ausschuß, nämlich der Haushaltsausschuß, mit diesen Fragen befaßt wird und b) daß sich überhaupt das Parlament bei solchen Finanzvorlagen mit der Deckung befaßt. Das ist unser Anliegen, und ich glaube nicht, daß Sie uns sagen können, daß das nun gegen die Verfassung verstoße.
Ich beantrage deswegen noch einmal, die Drucksache 1048 dem Ausschuß für Geschäftsordnung zu überweisen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat den Antrag, der uns auf Drucksache 1048 vorliegt, unterschrieben. Ich darf gleich vorwegnehmen: Sie schließt sich dem Antrag des Abgeordneten Hoogen an, daß dieser Antrag dem Geschäftsordnungsausschuß zur eingehenden Beratung und Erörterung überwiesen wird. Wir sprechen uns gegen den Antrag aus, den Antrag in der Drucksache jetzt hier abzulehnen. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß wir für das, was Herr Kollege Ritzel vorgetragen hat, volles Verständnis haben und viele der Punkte unterstreichen. Eines muß aber von vornherein gesagt werden: Die Unterschrift meiner Fraktion bedeutet nicht, daß man das wollte, was Herr Ritzel in den Vordergrund gestellt hat, nämlich mit diesem Antrag etwas gegen die Opposition unternehmen, sondern dieser Antrag soll zu einer Erörterung der grundsätzlichen Frage führen, die eben doch Anliegen des ganzen Hauses ist.
Wir sind uns der Gefährdung, die dem Initiativrecht des Abgeordneten und damit dem Initiativ- recht dieses ganzen Hauses aus einer solchen Erörterung erwachsen kann, bewußt, aber gerade deshalb wollen wir eine Beratung im Ausschuß, wobei dort allerdings auch die Frage einer eventuellen Verfassungsänderung mit geprüft werden muß, wenn es eben nicht anders gehen sollte.
Ich darf auch noch darauf hinweisen, daß nicht nur aus solchen Anträgen eine Gefahr für die demokratische Entwicklung entstehen kann, wie es hier gesagt worden ist, sondern daß die Gefahr von ganz anderer Seite kommen kann, wie man aus
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dem von Herrn Kollegen Hoogen bereits zitierten Beschluß des Deutschen Reichstages von 1931 sieht, wo durch Einfügung des § 48 a zur Abwehr solcher Gefährdungen dann plötzlich etwas beschlossen werden mußte, ohne daß sich vorher eine vernünftige Praxis in diesen Fragen im Reichstag eingespielt hatte. Gerade das ist es, woran uns liegt. Es soll sich rechtzeitig eine Praxis einspielen, bevor man plötzlich solche Bestimmungen wie die von 1931 einführen muß.
Aus der besonderen Situation, insbesondere auch aus der Tatsache heraus, daß wir in Westdeutschland Koalitionsregierungen haben und wohl immer haben werden, scheint uns der Art. 113 nicht auszureichen, dem Anliegen gerecht zu werden.
Ich will meine Ausführungen sehr knapp halten und nur auf ein Hauptbedenken hinweisen, auf das es uns ankommt. Wir sehen nicht - das betonte ich hier schon - die Einschränkung der Initiative der Abgeordneten und damit dieses Hauses, von der Herr Kollege Ritzel gesprochen hat, als eine Gefahr für die Opposition allein, sondern wir sind der Meinung, daß aus einer falschen Bestimmung, die in die Geschäftsordnung eingefügt wird, etwas erwachsen kann, was nicht nur dem Ansehen, sondern auch den Einflußmöglichkeiten dieses Hohen Hauses besonders abträglich wäre. Dies wäre: eine entscheidende Verschlechterung der Situation dieses Hauses und der Abgeordneten gegenüber der Exekutive. Ich sage jetzt bewußt einmal nicht - ich möchte diesen Unterschied machen -: gegenüber der Regierung, der Regierung und den Kabinettsmitgliedern, sondern ich sage: gegenüber der Exekutive insgesamt. Denn alle Bestimmungen, die etwa darauf hinzielten, daß, wie Kollege Ritzel es sagte, die Exekutive zum Schiedsrichter berufen
werden würde, müssen wir vermeiden und müssen wir ablehnen. Angesichts der Komplikation der Verhältnisse heute und aller Lebensverhältnisse, die bis in die Haushaltsfragen hineinspielen, können wir es von diesem Hohen Hause aus gar nicht billigen, daß nur noch der hoch gerüstete Spezialist in den Ministerien allein darüber entscheidet - als Schiedsrichter gewissermaßen -, was in den Bundeshaushalt hineinkommt oder wie die Möglichkeiten der Finanzierung, die gegeben sind, im einzelnen verwendet werden.
Ich glaube, es genügt, wenn ich mich darauf beschränke, mit diesen wenigen Sätzen das Problem aufzuzeigen, um das es hier geht. Es darf bei dem Anliegen, das im ganzen Hause, bis weit in die Bänke der Opposition hinein besteht - wie ich weiß und wie viele andere wissen -, insbesondere nicht passieren, daß wir die Schiedsrichterrolle insgesamt der Exekutive in den Schoß fallen lassen.
Deshalb - hier darf ich noch einmal umreißen, was wir meinen - keine Einschränkung des Initiativrechts, weder inhaltlich noch zeitlich! Das letzte könnte auch ganz besonders gefährlich werden. Aus diesem Grunde auch lehnen wir mit dem Bundesverfassungsgericht nicht nur aus den verfassungsrechtlichen Gründen, sondern inhaltlich den Vorschlag ab, daß bei einem Antrag irgendwelcher Art bereits der Deckungsvorschlag mit gemacht werden muß. Das ist gerade - worauf ich vorhin hinwies - das Wesentliche, daß es dann nicht mehr möglich ist, wie ich einmal unterstelle, gute und vernünftige Anträge einzubringen, weil die Deckungsvorschläge einfach gar nicht immer rechtzeitig gemacht werden können und weil die Möglichkeit des Überblicks nicht besteht.
Es sollte also grundsätzlich - darauf kommt es uns an - bei Finanzvorlagen auf eine erste Lesung - da unterscheiden wir uns von Herrn Kollegen Ritzel, und ich schließe mich Herrn Hoogen an - verzichtet werden. Dieser grundsätzliche Vorschlag erscheint uns auch vertretbar, weil es bei der für die Abstimmung entscheidenden Beratung durchaus möglich ist, alle diese Fragen zu erörtern. Wichtig ist es uns aber, daß die Beratungsmöglichkeit an sich nicht eingeschränkt wird. Deshalb müssen solche Anträge grundsätzlich in den Haushaltsausschuß und in den zuständigen Fachausschuß hineinkommen können zur sachlichen Erörterung, ohne daß vorher die Deckungsfrage gestellt wird. Es ist eben nicht möglich, daß man im politischen Leben, bei politischen Anträgen die Finanzierungsfrage zunächst untersucht, sondern zuerst muß die sachliche Frage untersucht werden. Erst dann kann entschieden werden, welche der Aufgaben, die zu finanzieren sind, das größere Gewicht hat. Erst daraus kann sich der Deckungsvorschlag ergeben.
Es ist heute schon einmal erwähnt worden - ich möchte ausdrücklich auf den Unterschied hinweisen, weil uns dort der Weg vorgezeichnet zu sein scheint, den man, vorbehaltlich der Einzelberatungen des Ausschusses, gehen muß -: während die vom. Bundesverfassungsgericht abgelehnten Bestimmungen des § 96 Abs. 3 und 4 der Geschäftsordnung des Bundestags die Beratung ausschlossen, wenn kein Deckungsvorschlag eingereicht wurde, sah Art. 123 des Herrenchiemseeer Entwurfs vor - ich beschränke mich auf diesen allgemeinen Satz und will es gar nicht verlesen -, daß der Deckungsvorschlag erst bei der endgültigen Beschlußfassung vorliegen muß, so daß die Beratung vorher in aller Sachlichkeit möglich ist und sich jeder einzelne Abgeordnete bei der sachlichen Beratung mit seinen Argumenten durchsetzen und andere mit seiner Meinung überzeugen kann, bevor es zu der Frage der Deckung kommt. Wir halten es allerdings für erforderlich, daß dann die Beurteilung der Deckungsmöglichkeit durch den Haushaltsausschuß vorliegt, und zwar sicherlich aus Beratungen mit der Exekutive stammend, daß also der Haushaltsausschuß als der Ausschuß, der sich ständig mit diesen Fragen befaßt, sein Urteil abgibt, damit bei der sachlichen Erörterung in der entscheidenden Beratung im Plenum und bei der Abstimmung jeder ein Bild bekommt, welches die finanzielle Auswirkung ist und ob und wie die finanzielle Deckung beschafft werden kann. Das halten wir nicht nur für mit dem Grundgesetz und mit unserer demokratischen Grundanschauung vereinbar, sondern wir halten es im Sinne einer gedeihlichen und gesunden demokratischen Fortentwicklung geradezu für erforderlich, daß das geschieht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen. Aber einige Bemerkungen, die im Laufe der Aussprache gefallen sind, geben mir doch Veranlassung, noch einige Sätze hinzuzufügen.
Zunächst eine ganz allgemeine Bemerkung. In der Sache, die durch den Antrag der Koalitionsparteien hier zur Sprache gebracht worden ist, steckt ein gemeinsames Anliegen des ganzen Parlaments; das ist keine Frage. Es ist nicht gut, wenn
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das Parlament ohne Rücksicht auf die finanziellen Möglichkeiten des öffentlichen Haushalts Beschlüsse faßt. Darüber sind wir uns weitgehend einig. Die Meinungsverschiedenheiten beginnen, wenn zu ermitteln ist, wieweit Möglichkeiten der Finanzierung bestimmter, ad hoc auftretender Aufgaben bestehen. Ich glaube, daß es ein vergeblicher Versuch ist, diesem Problem mit Änderungen der Geschäftsordnung des Parlaments beizukommen.
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Die Geschäftsordnung des Parlaments hat mit der Sache selber gar nichts zu tun. Dafür gibt es im Parlament andere Möglichkeiten, und darauf will ich kurz zu sprechen kommen.
Um was geht es denn? Der Bundestag verabschiedet jedes Jahr, teils früher, teils später, den Bundeshaushalt. Nach dem Grundgesetz muß der. Bundeshaushalt ausgeglichen sein. Mit anderen Worten: für jede Ausgabe, die im Haushalt vorgesehen ist, ist auf der Einnahmeseite eine Deckung vorhanden. Aber: das gleicht sich am Ende aus. Da braucht man jetzt nicht über die Reserven zu
spekulieren die Verwaltung vielleicht neben den veranschlagten Haushaltstiteln noch hat. Wenn man die Dinge einmal ganz formell nimmt, gibt es außerhalb der Voranschläge, die der Haushaltsplan enthält, für keine zusätzliche Ausgabe eine Deckung. Für neue Ausgaben, die das Parlament beschließt, müssen zusätzliche Deckungsmittel beschafft werden. Da hilft die Geschäftsordnung nichts. Wenn sich im Parlament eine Mehrheit findet, die bereit ist, eine neue Ausgabe zu beschließen, dann kann sie entweder sich darauf verlassen, daß schließlich der Finanzminister die Deckung beschafft, oder sie muß vorher mit dem Finanzminister ins Gespräch kommen, um zu ermitteln, ob er eine Deckungsmöglichkeit sieht. Solche Dinge sind in der Regel nur im Wege einer echten Auseinandersetzung zwischen den beiden Ebenen, dem Parlament und der Exekutive, wirklich zu lösen. Das Ergebnis ist meistens auch ein Kompromiß gewesen.
Woraus entsteht letztlich der zum zweitenmal gemachte Versuch, mit den Mitteln der Geschäftsordnung der Sache Herr zu werden? Doch wohl, weil in ,der Öffentlichkeit der Eindruck einer zu großen Ausgabefreudigkeit des Parlaments erweckt worden ist. Der Herr Bundesfinanzminister, dessen Lage ich durchaus verstehe, hat hier im Hause und in der Öffentlichkeit zu verschiedenen Malen die Melodie gesungen, daß das Parlament so ausgabefreudig sei und daß er daraus gewisse Gefahren sich entwickeln sehe. Ja, meine Damen und Herren, nach meiner Meinung ist für die Initiative, die dem einzelnen Abgeordneten und dem Hause als Ganzem zukommt, überhaupt nur eine Beschränkung im Grundgesetz vorgesehen,
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nämlich durch ,die Verpflichtung, hier einen ausgeglichenen Haushalt zu verabschieden. Das ist ja auch eine Verpflichtung ides Parlaments. Im übrigen ist eine Schranke gegen finanzielle Beschlüsse des Parlaments aufgebaut im Art. 113.
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Nun ist hier gesagt worden, der Art. 113 genüge nicht. Meine Damen und Herren, wann ist denn der Art. 113 jemals in der Praxis der Bundesrepublik angewandt worden? Wenn dem Herrn Finanzminister und der Bundesregierung im Grundgesetz
eine Waffe in die Hand gegeben worden ist, dann soll der Finanzminister sie zunächst einmal anwenden, auch wenn es politisch unbequem sein könnte.
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Da liegt doch der Hase im Pfeffer! Es war meistens politisch unbequem, weil man nämlich gegen
die eigene Mehrheit hätte Stellung nehmen müssen.
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Da kommen Sie auf den verfassungspolitischen Kern der Sache: Wer beschließt denn zusätzliche Ausgaben? Das beschließt doch nicht die Minderheit, das beschließt doch in der Regel in diesem Hause eine Mehrheit, und die Beschuldigungen, die gegen das Parlament erhoben worden sind, sind im Grunde genommen Beschuldigungen gegen die Mehrheit, die die Regierung trägt.
Aus diesem Dilemma findet man doch nur einen Ausweg, wenn man sich fragt, ob die Regelungen, die das Grundgesetz vorsieht, dieser Situation genügen. Auch der Reichstag vor 1933 hat mit den Mitteln der Geschäftsordnung versucht, derselben Problematik Herr zu werden. Es ist ihm nicht gelungen, und zwar einfach deshalb, weil im Parlament selber die politischen Voraussetzungen dafür nicht vorhanden waren, daß es gelingen konnte.
Es gibt also praktisch nur zwei Möglichkeiten, an die Dinge heranzukommen. Das eine ist ein verantwortungsbewußtes Parlament,
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und das ist in der Regel eben ein Anruf an die Mehrheit, die die Regierung trägt. Aber wo ist denn jemals die Frage hier erörtert worden, daß eine Regierung, die in wichtigen finanziellen Fragen von ihrer Mehrheit im Stich gelassen wird, zurücktreten muß? Das schließt ja das Grundgesetz aus! Hier haben Sie also eine völlig einseitige Kräftegruppierung, die Sie auch nicht dadurch andern, daß Sie nun an der Geschäftsordnung herummanipulieren.
Ich finde also, .das beste, was man erreichen kann, indem man über einen Antrag wie den auf Drucksache 1048 spricht, ist doch, daß man das Problem selber studiert. Aber solange man sich auf die Geschäftsordnung beschränkt, kommt man der Sache nicht näher. Deshalb sind meine Freunde, ganz abgesehen von einigen sachlichen Unmöglichkeiten, die in diesem Antrag enthalten sind, allerdings der Meinung, daß eine Beratung im Ausschuß uns keinen Schritt weiterhilft, wenn wir nicht entschlossen sind, an den Kern der Dinge heranzugehen. Das bedeutet aber: das Gleichgewicht, das im Grundgesetz festgelegt ist, einer Prüfung in der Richtung zu unterziehen, ob denn alle Möglichkeiten erschöpft sind, um Finanzpolitik, Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik miteinander in Übereinstimmung zu halten, trotzdem bestimmte Notwendigkeiten des Tages nicht zu vernachlässigen und die Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung zu bewahren: eine stabile Währung, eine gesunde finanzielle Ordnung. Darum geht es uns doch allen, und da, scheint mir, muß man sich vielleicht auch einmal überlegen - das ist auch eine Frage, die das Grundgesetz in entscheidenden Punkten berührt -, ob nicht unsere ganze Finanz-und Steuergesetzgebung zu unelastisch ist im Verhältnis zu den verfassungsrechtlichen Konstruktionen, die wir ins Grundgesetz eingebaut haben.
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A) Um zum Schluß zu kommen: meine politischen Freunde und ich glauben nicht, daß Sie auf diesem Wege das Ziel erreichen, das Parlament davor zu bewahren, bestimmte finanzielle Entschlüsse zu fassen, die der Regierung unbequem sein könnten. Denken Sie an Ihre eigene Situation vor Wahlen! Sie sind ja auch Menschen, und wir alle wissen, daß der Druck Ihrer Wähler auf Sie genau so stark ist wie bei der Opposition; und kein Finanzminister - wenn er nicht entschlossen ist, von seinen verfassungsrechtlichen Kompetenzen Gebrauch zu machen - wird Sie daran hindern, vor den nächsten Bundestagswahlen mit der Wurst nach der Speckseite zu schmeißen und hier finanzielle Vorlagen zu beschließen, die über den Haushalt hinausgehen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gengler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um das rein Sachliche des Antrags herauszustellen, habe ich bei der Begründung bewußt auf jede Polemik verzichtet. Ich will auch dabei bleiben. Zu dem aber, was soeben der Herr Kollege Schoettle gesagt hat, darf ich darauf hinweisen, daß bei der letzten Haushaltsberatung, der über den Haushalt 1954/55, ungedeckte Ausgabenanträge in Höhe von 2 Milliarden und - ich glaube - 170 Millionen vorgelegen haben.
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- Ich stelle das bloß fest, ohne weitere Ausführungen hinzuzufügen.
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- Es kommt uns hier, Herr Kollege Gülich,
({2}) auf die sachliche Prüfung dieser Angelegenheit und auf die Frage an, welche Haltung das Parlament
als Ganzes selbst dabei einnehmen will. Über die Form- das habe ich vorhin ausgeführt - können wir bei den Ausschußberatungen befinden.
In Ergänzung des Antrags, den der Herr Kollege Hoogen vorhin gestellt hat, den vorliegenden Antrag dem Geschäftsordnungsausschuß zu überweisen, möchte ich im Hinblick darauf, daß verfassungsrechtliche Einwendungen gemacht worden sind, den Zusatzantrag stellen, den Antrag, soweit die verfassungsrechtliche Seite in Betracht kommt, auch dem Rechtsausschuß als mitberatendem Ausschuß zu überweisen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Nur zwei Sätze, meine Damen und Herren! Was der Herr Kollege Gengler gerade behauptet hat, kann nicht unwidersprochen bleiben. Wie hoch auch immer die Gesamtsumme bei den Anträgen sein mag, die bei der Haushaltsberatung vorliegen, das hat mit dem Problem überhaupt nichts zu tun, das hier zur Debatte steht.
({0})
Auch der Bundesfinanzminister hat uns einen Haushaltsplanentwurf vorgelegt, in dem einige fiktive Posten enthalten sind, die, bei Licht besehen, den echten Ausgleich des Haushalts praktisch illusorisch machen. Warum soll dem Hause und dem einzelnen Ageordneten verwehrt sein, was der Herr Bundesfinanzminister selber praktiziert?
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Schließlich ist die Haushaltsberatung dazu da, nach den politischen Kräfteverhältnissen und Notwendigkeiten zu entscheiden, was von den vorliegenden Anträgen im Haushalt realisiert werden kann und was nicht. Und das Operieren mit den zwei Milliarden - entschuldigen Sie, Herr Kollege Gengler - ist nicht Polemik, sondern ein ganz klein wenig allzu billige Propaganda.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu diesem Punkt.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt der Antrag vor, den Antrag Drucksache 1048 an den Ausschuß für Geschäftsordnung, der die Federführung haben soll, und an den Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Weiter liegt der Antrag der SPD-Fraktion vor, den Antrag Drucksache 1048 heute direkt abzulehnen.
Der erste Antrag ist weitergehend. Ich möchte auch hier der Übung des Parlaments entsprechend vorgehen. - Ich komme also zur Abstimmung über den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Geschäftsordnung, der federführend sein soll. Der Rechtsausschuß soll mitberatend tätig werden. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Entsprechend der Vereinbarung unterbreche ich die Sitzung bis 15 Uhr.
({0})
Die Sitzung wird um 15 Uhr 4 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.
Die Sitzung ist wieder aufgenommen.
Die heutige Tagesordnung ist bis einschließlich Punkt 10 heute vormittag erledigt worden. Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Steigerungsbeträge für Zeiten der Arbeitslosigkeit ({1}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Voß. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Voß ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch Beschluß des Hohen Hauses in der 63. Sitzung ist der Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 973 zur Beratung - federführend - an den Ausschuß für Sozialpolitik und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit überwiesen worden. Der Ausschuß für Sozialpolitik hat sich in seiner Sitzung am 20. Januar mit dem
, Antrag der SPD-Fraktion befaßt.
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Die antragstellende Fraktion vertrat den Standpunkt, man sollte für die in der Drucksache 973 beantragten Steigerungsbeträge für Zeiten der Arbeitslosigkeit als Basis den letzten Arbeitsentgelt nehmen und die Gewährung von Steigerungsbeträgen in der Novelle zum AVAVG behandeln, die in Kürze dem Bundestag zugeleitet werden dürfte.
Die CDU-Fraktion hielt es wegen der Auswirkung auf andere Personengruppen nicht für angebracht, dem Antrag in der eingebrachten Fassung zuzustimmen. Es wurde die Auffassung vertreten, daß das mit dem Antrag angesprochene Problem insgesamt bei der Reform der Sozialversicherung behandelt werden müsse. Der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums führte dazu aus, daß die Behandlung dieses Problems in der Novelle zum AVAVG nicht vorgesehen sei, da es nach der Auffassung seines Hauses nicht zum Aufgabenkreis der Bundesanstalt gehöre, Beitragsleistungen für die Altersversorgung von Arbeitslosen zu erbringen. Es handele sich hierbei viel mehr um ein Problem der Rentenversicherung als um ein solches der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge.
Entgegen der Auffassung der antragstellenden Fraktion, daß es sich bei diesem Fragenkomplex um echte Aufgaben der Arbeitslosenversicherung handele, brachte die CDU-Fraktion folgenden Antrag ein:
Die Bundesregierung wird beauftragt, bei den Vorarbeiten zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen für Zeiten der Arbeitslosigkeit und für andere hier noch in Frage kommende Personengruppen Steigerungsbeträge in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden können.
Um den bei der Ausschußberatung hervorgetretenen Bedenken bezüglich des zu erfassenden Personenkreises Rechnung zu tragen, sprach sich der Ausschuß mit einer Mehrheit von 10 zu 9 Stimmen für den laut der vorliegenden Drucksache 1162 geänderten Antrag der antragstellenden Fraktion aus.
Der mitberatende Ausschuß für Arbeit hat erst in einer späteren Sitzung, und zwar am 26. Januar, zu dem Antrag Stellung genommen, so daß dem federführenden Ausschuß bei seiner Beratung und Abstimmung die Ergebnisse der Beratung des Ausschusses für Arbeit nicht vorlagen. Da es sich bei der Beschlußfassung des mitberatenden Ausschusses für Arbeit um eine stark abweichende, wenn nicht gar um eine entgegengesetzte Stellungnahme handelt, darf ich im Einvernehmen mit dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Sozialpolitik, dem Herrn Kollegen Richter - und ich verweise dabei auf den Briefwechsel zwischen den Herren Kollegen Richter und Horn -, die Beratungen des Ausschusses für Arbeit in meinen Bericht einschließen.
Der Ausschuß für Arbeit hat sich in seiner Mehrheit auf den Standpunkt gestellt, daß die Gewährung von Steigerungsbeträgen nicht nur für Zeiten der Arbeitslosigkeit in Betracht komme und außerdem das Problem für die anderen hier noch in Frage kommenden Personengruppen im Zusammenhang mit der Sozialreform beraten werden müsse.
Die antragstellende Fraktion brachte in der Beratung des Ausschusses für Arbeit zum Ausdruck,
daß der Ausschuß derartig weitgehende materielle Erweiterungen von Anträgen nicht vornehmen könne. Zum andern hielt sie es für ausgeschlossen, daß die Sozialreform noch in diesem Jahre vom Parlament beraten würde. Nach ihrer Auffassung würde das bedeuten, daß damit die so notwendig zu regelnde Frage um eine lange Zeit vertagt werden müßte. Der Sprecher des Arbeitsministeriums führte in der Beratung des Ausschusses für Arbeit an, daß die Arbeiten zur Vorbereitung der Sozialreform weit fortgeschritten seien, so daß es sich hier nicht um eine jahrelange Vertagung handeln könne; in ihr, nämlich in der Reform der Sozialversicherung, solle die Frage der Gewährung von Steigerungsbeträgen auch für die anderen in diesem Zusammenhang in Frage kommenden Gruppen gelöst werden.
Der mitberatende Ausschuß für Arbeit lehnte den von der SPD-Fraktion beibehaltenen, in Drucksache 973 gestellten Antrag mit Mehrheit ab und stimmte dem von der CDU-Fraktion eingebrachten und nach einer längeren Debatte abgeänderten Antrag in folgender Fassung zu:
Die Bundesregierung wird beauftragt, bei den Vorarbeiten zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen für Zeiten der Arbeitslosigkeit Steigerungsbeträge in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden können.
Ungeachtet meiner persönlichen Stellungnahme zur Erledigung des angesprochenen Problems darf ich mich der Aufgabe entledigen, dem Hohen Hause den Antrag auf Drucksache 1162 zur Annahme zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wagner ({0}).
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, das Hohe Haus im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion zu bitten, dem Antrag Drucksache 973, wonach die Bundesregierung beauftragt werden soll, dem Bundestag baldmöglichst einen Gesetzentwurf über die Gewährung von Steigerungsbeträgen für die Zeiten der Arbeitslosigkeit zu den gesetzlichen Rentenversicherungen vorzulegen, die Zustimmung nicht zu versagen. Wir sind der Auffassung, daß damit zweifellos dem traurigen Schicksal unserer langfristig arbeitslosen Mitmenschen gesteuert werden wird.
Mein Vorredner hat bereits ausgeführt, daß der Sozialpolitische Ausschuß als federführender Ausschuß diesen Antrag mit Mehrheit befürwortet hat. Beim Passieren des Arbeitsausschusses hat sich dann allerdings ergeben, daß dort eine geteilte Auffassung vorhanden war. Die Zurückstellung dieser Frage bis zur Sozialreform ist für uns nicht gut vertretbar, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die kommende große Sozialreform kaum vor dem Jahre 1957 in Erscheinung treten dürfte.
Wenn wir Sie darum bitten, der Bundesregierung diesen Auftrag zu erteilen, ist es uns keineswegs um eine propagandistische oder irgendwie geartete Popularitätshascherei zu tun. Wir wissen genau, daß jede Erfüllung einer sozialrechtlichen Aufgabe auch die Bundesregierung vor mitunter
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schwierige Aufgaben stellt. Aber bedenken Sie bitte, daß beim letzten Berliner Wahlkampf die CDU auch diese Forderung als besonderen Wahlschlager herausgestellt hat. Wir würden uns also in diesen Dingen in einer ganz angenehmen Gesellschaft mit der Mehrheit des Hauses befinden, selbst wenn es bloß als Wahlpropaganda in irgendeiner Form gedacht sein sollte. Aber darauf kommt es uns ja in gar keiner Weise an.
Verehrtes Hohes Haus, bei unserem Antrag, daß sich die Bundesregierung dieser Aufgabe widmen möge, haben wir die Vorstellung, daß diese Forderung auch in materieller Hinsicht ohne weiteres gerechtfertigt ist. Vielleicht gestatten Sie mir, zu der Frage, inwieweit der Antrag wirtschaftspolitisch vertretbar ist, auch einige Zahlen anzuführen. Nach dem letzten Bericht der Bank deutscher Länder hat die Zahl der unselbständig Beschäftigten innerhalb der Bundesrepublik im Laufe der letzten fünf Jahre eine Steigerung von 14,9 auf 17,7 Millionen erfahren, - also eine Zunahme der unselbständig Beschäftigten in der Bundesrepublik von 19 %. In der gleichen Zeit aber ist das Bruttosozialprodukt, also die Wertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche, von 79,4 Milliarden DM auf 146 Milliarden DM angewachsen, - eine Steigerung von 84%. Dabei hat allein das Industrieprodukt eine Vermehrung um 100% erfahren.
Auf der gleichen Linie liegt die erfreuliche Steigerung unseres Außenhandelsvolumens. Der Export ist in der gleichen Zeit von 4,1 Milliarden auf 21,9 Milliarden gestiegen; also eine Mehrung von 434 %. Das gleiche gilt, wenn auch in abgeänderter Form, für den Import, der von 7,8 auf 19,4 Milliarden gestiegen ist, was eine Mehrung von 150 % bedeutet. Es ist einwandfrei festgestellt, daß wir in den letzten vier Jahren eine zweifellos günstige, aktive Handelsbilanz erreicht haben und daß allein der Export unserer Industriegüter einen Devisenausgleich geschaffen hat, der in aller Welt eine gewisse Anerkennung gefunden hat.
Diese günstige Wirtschaftsentwicklung hat nicht nur auf diesem Gebiet eingesetzt, sondern zeigt sich auch in einer wesentlichen Gesundung des Kapitalmarktes. Sehen Sie sich einmal an den Börsen die durchschnittlichen Kursnotierungen von 462 Aktiengesellschaften an, dann werden Sie die gleichen Verhältnisse feststellen. Das Bild rundet sich so, daß wir sagen können: Die Bundesrepublik hat die wirtschaftlichen Voraussetzungen so weit erfüllt, daß derartige Anträge, materiell gesehen, ohne weiteres verwirklicht werden können.
Auch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind eindrucksvolle Erfolge nicht versagt geblieben. Sie weisen sich in einem Zustand aus, der als befriedigend bezeichnet werden kann. Nach dem letzten Bericht unseres verehrten Arbeitsministers Storch hat selbst die Wirtschaftsinsel Berlin, dessen Probleme doch wesensverschieden von denen der übrigen Gebiete des Bundes sind, die Zahl der Arbeitslosen im Verhältnis zu den unselbständig Beschäftigten in den letzten vier Jahren von 28,5 % auf 16,4 % zu senken vermocht.
Allerdings kann ich unserem Arbeitsminister nicht folgen, wenn er von dieser Stelle aus erklärt, ähnliche Entwicklungen hätten sich auch in den Zonenrandgebieten bemerkbar gemacht. Wenn das der Fall wäre, könnte man damit ohne weiteres zufrieden sein. Wir sind aber auch nicht damit einverstanden, daß der Herr Vizekanzler Blücher am
7. Februar erklärt hat: Mit den gleichen Kreisen, die uns immer wieder eine angeblich noch bestehende Arbeitslosigkeit vorwerfen, will ich mich überhaupt nicht auseinandersetzen, weil es einfach Unsinn oder sinnlos wäre. - 0 nein, meine Herren von der Ministerbank, eine solche Auseinandersetzung über das Problem der Arbeitslosigkeit, vor allen Dingen über das Problem der langfristig arbeitslosen Mitmenschen könnte mitunter sehr heilsam sein! Denn es ist noch lange nicht alles Gold, was glänzt, es ist noch lange nicht so, wie es die hochtönenden Passagen nach außen künden! Gerade hinter den Zonenrandgebieten verbirgt sich noch sehr häufig unendliche Armut, großes soziales Elend und sehr viel menschliches Leid. Die täglichen Jammerbriefe, die uns aus den Zonenrandgebieten zugehen, stellen uns Volksvertretern immer wieder die Frage: Ja, warum kann es denn bei uns nicht auch so sein wie drüben, in den riesigen Industrieballungsgebieten im Westen? Warum muß denn unsere wertvolle Arbeitskraft dauernd zum Brachliegen verurteilt sein? Warum findet denn für das Zonenrandgebiet, ganz besonders drunten in meinem Heimatgebiet, im ostbayrischen Lebensraum, keine planmäßige Aktivierung für arbeitsintensive Betriebe statt?
Verehrter Herr Arbeitsminister, hier ist noch sehr, sehr vieles im argen. Ich muß Ihnen leider von dieser Stelle aus erklären, wie ich dies wiederholt schon in einer Reihe von Besprechungen bei den verschiedensten Ministerien zum Ausdruck gebracht habe: seit Bestehen der Bundesrepublik haben wir in unserer Heimat noch keine heilsame Entlastung, noch kein Anzeichen der Entspannung in arbeitsmarktpolitischer Beziehung feststellen können. Einige Zahlen sollen das untermauern.
Das Arbeitsamt in Deggendorf, woher ich komme, hatte im Jahre 1949 bei 46 605 unselbständig Beschäftigten im Jahresdurchschnitt 25,2 % Arbeitslose. Die Beschäftigtenkurve ist aber nicht nach oben gegangen, sie hat sich bis zum Jahre 1954 sogar nach unten bewegt. Im Jahre 1954 hatten wir 26,8 % Arbeitslose, und am 31. Dezember 1954 waren 34,6 % der unselbständig schaffenden Menschen zur Untätigkeit verurteilt. Das Arbeitsamt Cham, ein unmittelbares Grenzgebiet, hat 34,8% Arbeitslosigkeit.
Damit ist festgestellt, daß jeder dritte Mensch arbeitslos ist. Damit ist festgestellt, daß die Arbeitslosigkeit im ostbayrischen Lebensbereich noch unter dem Niveau von Westberlin steht. Bei der letzten Beratung haben wir erfahren, daß in Westberlin 8,5 % der Gesamtbevölkerung arbeitslos sind. Bei uns drunten im niederbayrischen Raum haben wir 12 bis 14 % der gesamten Einwohnerschaft als untätige Menschen zu bedauern. Hinzukommt, daß unser Gebiet immerhin noch zu 30 % mit Flüchtlingen durchsetzt ist.
In der gestrigen Zeitung stand in schweren Lettern: Abwanderung aus dem Bayrischen Wald! - Ja, gewiß, man hat die Zahlen von Arbeitsamtsstatistiken etwas künstlich aufgefrischt und hat erklärt, auch in diesen Arbeitsamtsbezirken sei im September vorigen Jahres die Arbeitslosigkeit zurückgegangen. Aber warum konnten diese Zahlen erreicht werden? Weil man Tausende von Menschen als Saisonarbeiter nach Baden-Württemberg und nach dem Westen exportiert hat! Eine Methode, die glaubt, sich nur durch die Exportierung von Arbeitsreserven in andere Gebiete auf vorübergehende Zeit durchsetzen zu können, ist die
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schlechteste Wirtschaftspolitik, die man sich vorstellen kann. Es gibt keine Lösung auf dieser Ebene.
Wir müssen nach wie vor begehren, daß sich mit dieser Frage einmal die verschiedenen Ministerien und ganz besonders der interministerielle Ausschuß beschäftigen. Ich weiß nicht, ob sich unsere Herren Minister in dieser Sache schon einmal ernsthafte Gedanken gemacht haben. Ich weiß nicht, ob sie sich auch die Frage vorlegen, was es heißt, jahrelang der seelischen Marter der Arbeitslosigkeit ausgesetzt zu sein. Ich weiß nicht, ob sie daran denken. Wer die schlaflosen Nächte jener Menschen zählt, die vielleicht 20, 30 oder 40 Jahre als Angestellte brav und ehrlich ihren Dienst erfüllt haben und dann infolge der Krisenerscheinungen, der strukturellen Not - die ja letzten Endes nicht nur den Arbeiter, sondern auch den Mittelstand in diesen Strudel der Drangperiode hereinzieht -, nun vor dem Nichtstun stehen, der erkennt die große Gefahr auf diesem Spannungsfeld, ganz besonders hinsichtlich der allgemeinen Berufsnot der Jugend. Ein altes Sprichwort sagt: „Müßiggang ist aller Laster Anfang." Bitte, bedenken Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, was es heißt, diesem Fluch der Untätigkeit jahrelang ausgesetzt zu sein! Dem sinnvollen alttestamentarischen Wort: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!" schließt sich der Nationalökonom mit der Losung an: Arbeit ist die Quelle aller Kultur, und nur durch Arbeit kann letzten Endes der Wohlstand des Volkes und der Reichtum einer Nation auch gemehrt werden. Wenn es also nur durch Arbeit, als den treibenden Faktor auf diesem Gebiet, einen Ausweg gibt, muß die Regierung endlich einmal ernsthafte Bemühungen ansetzen, auch da mehr nach dem Rechten sehen. Vergessen wir das eine nicht: durch diese dauernde zermürbende seelische Pein der langjährigen Arbeitslosigkeit müssen ganz zwangsläufig geistige Kurzschlußerscheinungen eintreten. Und wie wirken sich diese Kurzschlußerscheinungen aus? Doch so, daß, wenn die tätige Hand, die an harte Arbeitsmoral gewohnte Hand zur Untätigkeit verurteilt wird, die Gefahr besteht, daß diese Hand sich zur Faust ballt, zum Symbol der asiatischen Welt. Hier droht uns eine Brutstätte staatspolitischer Gefahren, die unter keinen Umständen verkannt werden darf.
Wir haben schon wiederholt die Forderung auf Schaffung von Dauerarbeitsplätzen erhoben. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Mehrheit, von der rechten Seite dieses Hauses, haben unsere Anträge auf Arbeitsplatzbeschaffung schon in wiederholten Fällen abgelehnt. Sie haben diese Anträge mit der nichtssagenden Floskel „Propaganda" abgetan. Da erhebe ich die Anklage aus einem Notstandsgebiet! Oh nein, es kommt unserer Fraktion nicht auf Propaganda an, sondern hier handelt es sich um echtes Menschengefühl gegenüber notleidenden Mitmenschen.
Von dieser Seite aus haben wir die Bundesregierung schon wiederholt aufgefordert, bei der Gewährung von Lastenausgleichsdarlehen eine gewisse Lenkung in die Notstandsgebiete vorzunehmen. Das Bundesausgleichsamt wäre doch in der Lage, unter Fühlungnahme mit den Arbeitsämtern den Standort für die zu errichtenden Betriebe, denen man Kredite und Darlehen einräumt, arbeitsmarktpolitisch so zu wählen, daß das Kapital dorthin kommt, wo es am nötigsten ist.
Durch Lastenausgleichsmittel konnten zwar in unserem Landesarbeitsamtsgebiet im Laufe der letzten Jahre 5000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Aber sage und schreibe 2,6 % von diesen 5000 Arbeitsplätzen hat das Notstandsgebiet bekommen, die meisten sind in den anderen Gebieten hängengeblieben. Hier fehlt die planende, lenkende Hand.
Nun hatten wir noch eine Hoffnung, und zwar auf den Bundesminister Waldemar Kraft. Er war auch in Deggendorf. Er hat versprochen, zur Behebung der Arbeitslosigkeit eine Denkschrift auszuarbeiten und vor allen Dingen dieses Notstandsmerkmal des Grenzlandes -mehr als bisher zum Gegenstand der Beratung im Kabinett zu machen. Aber das Memorandum ist in der Versenkung verschwunden. Kein Abgeordneter hat jemals davon erfahren, was uns dieser Sonderminister in seiner Mission hier eigentlich vorgetragen hat. Jedenfalls kann man vermuten, daß der Gegensatz zwischen dem Notstandsgebiet und dem saturierten Westen so stark alarmierend hervorgetreten ist, daß man von der Regierungsseite aus vermutlich alle Veranlassung hatte, die ffentlichkeit nicht auf dieses Gebiet aufmerksam zu machen.
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Wenn jemand ein Anrecht darauf hat, für die Arbeitslosen hier die Fragen aufzuwerfen, dann ist es ein Vertreter des ostbayerischen Raumes. Man kann es begreifen, daß dies manchem auf die Nerven geht. Aber ich frage mich: Wir haben vier Sonderminister im Bundeskabinett, und zwar sind es mit die gewichtigsten Männer, warum haben sie für die Behebung der Arbeitslosigkeit in diesem Raum bisher überhaupt noch nichts unternommen? Diese Wirtschaftspolitik ist nach unserem Dafürhalten eben nicht gesund.
Deshalb sagen wir: wenn man schon keine intensiven Möglichkeiten der Arbeitsbeschaffung einzuleiten vermag, dann muß es unser aller Aufgabe sein, wenigstens die gröbsten sozialen Härten zu mildern. Das ist in der Vorlage, die wir dem Bundestag zur Annahme empfehlen, in der Form geschehen, daß wenigstens den langfristig Arbeitslosen die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich die Steigerungsbeträge für die kommenden Renten zu sichern. In diesem Sinne glaube ich Sie bitten zu dürfen, für den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu stimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst meinem Vorredner, dem Herrn Kollegen Wagner, dafür danken, daß er ein Wort der Anerkennung für den wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik gefunden hat, wie er von dieser Seite des Hauses sonst selten zu hören ist.
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Im übrigen tut er so, als ob nur er dieses Anliegen hier verträte. Die CDU/CSU-Fraktion hat dieses Anliegen aufgenommen und stellt sich hinter dasselbe. Wir haben aber einen Änderungsantrag eingebracht, der Ihnen auf Umdruck 292 *) vorliegt.
Daß unsere Fraktion diesen Änderungsantrag zu den Anträgen auf den Drucksachen 1162 und 973
*) Siehe Anlage 2.
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einbringt, der schon im Sozialpolitischen Ausschuß vorgelegen hat und dort abgelehnt worden ist, hat folgende Gründe. Erstens sind wir grundsätzlich der Auffassung, daß, im Gegensatz zu dem Ausschußantrag, der baldmöglichst eine Gesetzesvorlage verlangt, diese Frage nicht im Vorgriff auf die Gesamtreform der Rentenversicherung gelöst werden sollte. Da die Reformarbeiten bereits im Gange sind, ist die Lösung der Frage der Steigerungsbeträge im Rahmen der Gesamtreform ohne weiteres geboten und auch die Möglichkeit dazu gegeben. Ein Schaden entsteht den betroffenen Personengruppen dadurch keineswegs.
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Die Vorwegnahme von Teilgebieten - das haben wir auch in den Ausschüssen zum Ausdruck gebracht - würde nach unserer Meinung die Arbeit an der Gesamtreform nur stören.
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Das muß unbedingt vermieden werden, wenn wir an einem unbehinderten Ablauf dieser Arbeiten interessiert sind.
Der zweite Grund, warum wir diesen Änderungsantrag einbringen, ist, daß die angesprochene Frage nicht nur die Arbeitslosen, die Kranken oder ähnliche Fälle umfaßt. Es gehören dazu auch Ausfälle, die durch die Ableistung des Wehrdienstes in der früheren Wehrmacht oder im früheren Reichsarbeitsdienst entstanden sind. Besonders unter den Kriegsteilnehmern sind sehr große Ausfälle dieser Art entstanden.
Aber sowohl die finanziellen als auch die rechtlichen Auswirkungen sind einer grundsätzlichen Prüfung zu unterziehen, und zwar bevor wir Maßnahmen zu diesem Problem beschließen wollen. Das gilt ganz besonders für die finanzielle Seite. Vor allem ist nach unserer Auffassung auch die Frage zu prüfen, ob und wie wir dieses Anliegen mit dem Versicherungsprinzip in Einklang bringen können, auf dem unsere Rentenversicherung bis heute noch aufgebaut ist. Ohne präzise Unterlagen sind wir nicht in der Lage, dem Ausschußantrag zuzustimmen. Im übrigen verweise ich auf das, was von unserer Seite in den Ausschüssen vorgetragen und in der Berichterstattung erwähnt wurde. Aber eine Bemerkung darf ich zum Schluß noch machen. Es berührt uns sonderbar, daß der sozialpolitische Ausschuß das Votum des mitberatenden Ausschusses für Arbeit nicht abgewartet und voreilig den mit der Drucksache 1162 vorgelegten Beschluß gefaßt hat, eine sonst in diesem Haus nicht geübte Praxis. Wir müssen das klar herausstellen und beanstanden.
Wir bitten, dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, wie er Ihnen mit Umdruck 292 vorliegt, Ihre Zustimmung zu geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ursprünglich vorgelegten Drucksache der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei war von Steigerungsbeträgen für Zeiten der Arbeitslosigkeit die Rede. Wir waren der Ansicht, daß das nicht umfassend genug sei. Einen Ausfall von Steigerungsbeträgen, die das Schicksal des alternden Versicherten wesentlich bestimmen, gibt es auch aus anderen Ursachen, z. B. durch
Krankheit. Die ganze Überlegung führte dazu, das Problem des Anwartschaftsausfalls überhaupt noch einmal vorzunehmen. Diesen Mängeln ist durch den Beschluß des Sozialpolitischen Auschusses, den Sie auf Drucksache 1162 vorliegen haben, abgeholfen worden. Wir sind trotzdem nicht in der Lage, diesem zuzustimmen, weil die Formulierung, daß die Bundesregierung baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen habe, nicht unseren Vorstellungen entspricht. Auch wir sind der Ansicht, daß 1 das Problem bei der kommenden Generalreform, die ja demnächst in Angriff genommen wird, geregelt werden sollte. Wir empfehlen Ihnen daher, den Antrag Drucksache 1162 abzulehnen und den Antrag Umdruck 292, den die Fraktion der CDU/ CSU vorgelegt hat, anzunehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bestehen erstaunliche Unterschiede zwischen dem Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 292 und den Anträgen, die die CDU seit Jahren in Berlin gestellt hat.
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Das scheint, um ein Wort des Kollegen Lemmer bei der Aussprache über die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers im Berliner Wahlkampf aufzunehmen, an dem unterschiedlichen Klima zwischen Berlin und Bonn zu liegen.
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Bereits vor anderthalb Jahren, im September 1953, hat die Christlich-Demokratische Union im Berliner Abgeordnetenhaus beantragt, der Senat möge mit dem Bundesarbeitsministerium unverzüglich über die Gewährung von Steigerungsbeträgen verhandeln. Diesér Antrag ist einstimmig angenommen worden. Im Berliner Wahlkampf - mein Kollege Wagner hat das schon angedeutet - wurde in der offiziellen Wahlflugschrift unter dem Bild des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Ministers für Sonderfragen, Dr. Tillmanns, die Forderung der Gewährung von Steigerungsbeträgen zu einer sozialpolitischen Zentralfrage der CDU in Berlin gemacht.
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Herr Kollege Hammer, Sie haben die gleiche Auffassung wie die CDU in Umdruck 292 vertreten. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß auch die Freie Demokratische Partei,
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und zwar auf ihrem letzten Berliner Parteitag vor zehn Tagen, sich mit dieser Frage beschäftigt und beschlossen hat, für die rentensteigernde Anrechnung der Arbeitslosenzeit einzutreten.
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Ich hoffe, daß in dieser Hinsicht keine Unterschiede zwischen Herrn Schwennicke und Herrn Dr. Dehler bestehen.
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Der Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 292, nach dem geprüft werden soll, ob und unter welchen Voraussetzungen für Zeiten der Arbeitslosigkeit und aus sonstigen Gründen Steigerungsbeträge in der Rentenversicherung gewährt werden
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sollen, wird der Sache, um die es hier geht, nicht gerecht, denn bei der Frage der Prüfung handelt es sich, wie der Volksmund sagen würde, um eine olle Kamelle. Auch das möchte ich Ihnen beweisen, und zwar mit einem Schreiben des Herrn Bundesarbeitsministers.
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- Ich habe die Abschrift dieses Schreibens hier! - Der Herr Bundesarbeitsminister hat vor etwa einem Jahre, am 2. April 1954, an den Herrn Senator für Arbeit und Sozialwesen in Berlin folgendes geschrieben:
Die Angelegenheit ist im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Gegenstand eingehender Prüfung.
Es ist uns aus der Vorlage des Änderungsgesetzes zum AVAVG bekannt, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich nach Prüfung in dieser Angelegenheit leider negativ entschieden hat. Deshalb sind meine politischen Freunde der Ansicht, daß mit einem Antrag, in eine Prüfung einzutreten, der Sache nicht gedient ist. Vielmehr können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß hierdurch die prinzipielle Ablehnung nur in eine etwas freundlichere Form gekleidet werden soll.
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Aber noch etwas anderes ist nach Auffassung meiner politischen Freunde bedenklich. Nach dem Antrag soll die Bundesregierung beauftragt werden, die Prüfung bei den Vorarbeiten zur Reform der Sozialversicherung vorzunehmen.
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- Herr Kollege Arndgen, das ist wichtig wegen der Dinge, die Sie uns über diese Vorarbeiten im Ausschuß gesagt haben. Aus dem CDU-Antrag muß geschlossen werden, daß bisher bei den Vorarbeiten zur Reform der Rentenversicherung eine derartige Prüfung noch nicht erfolgt ist. Sonst hätte ein solcher Antrag wohl keinen Sinn.
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Sie wollen doch das Haus, die Regierung, veranlassen, bei den Vorarbeiten eine solche Prüfung vorzunehmen. Das läßt nach Auffassung meiner politischen Freunde recht bedauerliche Rückschlüsse auf den Stand der Vorarbeiten zur Reform der Rentenversicherung zu. Wenn nämlich jetzt, drei Jahre nach dem Beschluß des Bundestages auf Einsetzung eines Beirates für die Sozialreform noch nicht einmal die Vorfrage geprüft ist, ob und unter welchen Voraussetzungen Steigerungsbeträge in der Rentenversicherung gewährt werden sollen, dann können nach meiner Auffassung die Vorarbeiten zur Rentenreform noch nicht zu konkreten Vorstellungen über die Rentenberechnung geführt haben. Das bestätigt nach Auffassung meiner politischen Freunde deutlicher als manche Erklärungen - auch die Erklärungen über die letzte Sonderberatung des Bundeskabinetts - die Befürchtung, daß sich die Arbeiten zur Reform der Rentenversicherung, um es sehr deutlich und klar zu sagen, noch in einem embryonalen Zustand befinden.
Um so dringender ist es nach Auffassung der Sozialdemokratie, daß die Gewährung von Steigerungsbeträgen für Zeiten der Arbeitslosigkeit, Krankheit usw. bald geregelt werden muß. Dieses
Anliegen duldet keine Verschiebung; da bin ich ganz anderer Ansicht als der Herr Kollege Jahn. Wenn Sie die Angelegenheit erst im Zusammenhang mit der Rentenreform regeln wollen, sind die Menschen bis dahin ohne entsprechende Steigerungsbeträge. Viele ältere Arbeitslose - das ist Ihnen doch genau so bekannt wie uns - sehen mit großer Sorge der Zeit entgegen, in der sie auf eine Rente angewiesen sind, deren Höhe wegen Ausfall der Steigerungsbeträge außerordentlich bescheiden ist.
Bei den Ausschußberatungen haben auch die Herren Vertreter der Regierung darauf hingewiesen, daß es fraglich sein könne, ob es sich um eine Angelegenheit handele, die im Rahmen der Arbeitslosenversicherung oder im Rahmen der Rentenversicherung zu lösen sei. Der Antrag der Sozialdemokraten enthält in dieser Hinsicht keine Bindung für die Regierung. Für uns ist es mehr oder weniger eine versicherungstechnische Frage, ob dies im Rahmen der Arbeitslosenversicherung oder der Rentenversicherung geregelt wird. Entscheidend ist, d a ß die Angelegenheit geregelt wird.
Vom Herrn Kollegen Jahn ist etwas gesagt worden über finanzielle Auswirkungen, die unübersehbar seien,
(Abg. Jahn ({11})
- die außerordentlich hoch sind.
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- Also sind sie übersehbar, um so besser! Aber Sie haben unter Berufung auf finanzielle Gründe die Angelegenheit weiter vertagen wollen. Wenn Sie so argumentieren wollen, Herr Kollege Jahn, I dann tun Sie dem Herrn Wirtschaftsminister einen sehr schlechten Dienst. Sie behaupten nämlich, daß noch für längere Zeit eine nicht unbeachtliche Arbeitslosigkeit bestehen wird. Denn sonst könnte dies keine finanziell beachtlichen Auswirkungen haben, insbesondere da immerhin der gegenwärtige Vermögensbestand der Arbeitslosenversicherung bei 1,5 Milliarden und - ungeachtet der versicherungsmathematischen Bilanz, die wir in den nächsten Tagen und Wochen studieren werden - der der Rentenversicherung bei über 5 Milliarden liegt. Im Vergleich zu diesen Vermögenswerten sind die Aufwendungen bestimmt gering. Deshalb sollte man die Angelegenheit nicht vertagen, sondern sie wegen ihrer sozialpolitischen Wichtigkeit regeln. Die Regierung sollte beauftragt werden, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Alle Einzelheiten können wir dann besprechen. Aber die Dinge sollen und müssen bald geregelt werden, damit wir eine Sorge von den älteren Arbeitslosen nehmen.
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Das Wort hat der Herr Arbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß dem Herrn Professor Schellenberg eine Erleichterung geben.
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Der Beirat in meinem Ministerium ist sich mit dem
Ministerium völlig einig darüber, für welchen Personenkreis Steigerungsbeträge in der Rentenver({1})
Sicherung gezahlt werden sollen, nämlich für diejenigen, die Beiträge gezahlt haben,
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und zwar für alle Beiträge. Also um diese Frage kann es sich doch hier gar nicht handeln, sondern es kann sich nur darum handeln, Herr Kollege Schellenberg, - ({3})
- Ach, Kollege Richter, Sie können mir das ja nachher sagen! - Es kann sich doch nur um die Frage handeln: Wer bezahlt für die Zeit der Arbeitslosigkeit Beiträge für die Rentenversicherung?
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- Na ja, also! Dann soll man doch nicht sagen: man ist sich im Arbeitsministerium und im Beirat noch nicht darüber klar, welche Steigerungsbeträge gegeben werden sollen! Darüber ist man sich völlig im klaren.
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- Nein, in einer Versicherung bekommt derjenige Leistungen, der Beiträge gezahlt hat.
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Die Frage, die Sie hier anschneiden, hat mit der Frage der Steigerungsbeträge in der Rentenversicherung gar nichts zu tun. Vielmehr können Sie nur den Vorschlag machen, zu sagen: Für diese Ausfallzeit bezahlt entweder die Arbeitslosenversicherung oder die Krankenversicherung oder der Staat nachträglich die Beiträge. Das können Sie fordern, und bei Ihrer Geschicklichkeit, Herr Professor, habe ich mich eigentlich darüber gewundert, daß Sie nicht einen derartigen Initiativantrag gebracht haben, sondern die Bitte, der Minister, d. h. das Kabinett soll es tun.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine politischen Freunde werden den Antrag auf Drucksache 1162 unterstützen. Wir sind der Meinung, daß man, wenn man von einem Termin der Sozialreform spricht und dabei das Jahr 1957 nennt, nun wirklich nicht alles in das Sachgebiet der zu erwartenden Sozialreform, die in einigen Jahren abgeschlossen sein soll, hineinschieben kann und auch nicht so lange warten kann, sondern daß es auch Zwischenlösungen bei dringlichen Notständen geben muß. Davon ist auch hier in dem Antrag auf Drucksache 1162 die Rede. Es ist bei diesem Kreis von Menschen, die in diesem Antrag angesprochen werden, unmöglich, ihre Geduld noch ein paar Jahre in Anspruch zu nehmen, und ich glaube, man kann es der Bundesregierung durchaus zumuten, daß in absehbarer Zeit ein Gesetz vorgelegt wird, in dem auch diese Frage vorübergehend geklärt wird.
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal daran erinnern - es ist schon in dem angeklungen, was meine Vorredner gesagt haben -: In einem erheblichen Maße handelt es sich hier doch um Arbeitnehmer, die alt sind. Ich darf an eine Sitzung des Plenums erinnern, in der gerade diese Frage zur Debatte stand und zum Ausdruck kam, daß
man für diese älteren Arbeitslosen kaum oder nur sehr schwierig etwas tun könne. Ich glaube, man darf ihnen, wenn sie schon jahrelang arbeitslos sind, doch nicht noch eine sehr viel niedrigere Rente geben, die sie hinnehmen müssen, weil eben ihre Rente während der jahrelangen Arbeitslosigkeit nicht wachsen konnte und nicht gesteigert werden konnte.
Ich meine, daß durch eine Zwischenlösung, um die ja in der Drucksache 1162 gebeten wird, keinesfalls, Herr Kollege Jahn, die Arbeiten für die Sozialreform behindert oder gestört würden. Wir haben ja auch in anderen Fällen schon Zwischenlösungen finden müssen, die dann zu der endgültigen Lösung geführt haben. Ich glaube, daß es auch in diesem Fall der Bundesregierung durchaus zugemutet werden kann, eine .Zwischenregelung zu finden, und aus diesem Grunde werden wir den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1162 unterstützen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir in diesem Hause alle 'darüber einig sind, daß die Ersatzzeiten in der Rentenversicherung geordnet werden müssen.
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Es geht aber nicht an, daß man bei den Ersatzzeiten nur ein Teilproblem herausgreift. In dem Antrag der SPD will man lediglich die Ersatzzeiten derjenigen regeln, die arbeitslos sind, und alle anderen werden vergessen. Das ist ein Unrecht. Wenn ich das Problem angreife, muß ich es insgesamt angreifen. Dabei gibt es eine Reihe von Fragen, die von großer Bedeutung sind. Ich erinnere daran, daß alle diejenigen, die Militärdienstzeiten vor dem ersten Weltkrieg haben - und ein großer Teil von ihnen bezieht heute schon Renten -, überhaupt keine Ersatzzeiten angerechnet bekommen. Ich erinnere weiter daran, daß die Kriegsteilnehmer am ersten Weltkrieg nur von der zweiten Klasse ab
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die Ersatzzeiten angerechnet erhalten, während diejenigen, die den zweiten Weltkrieg mitgemacht haben und vorher dem Militärdienst oblagen, ihre Ersatzzeiten nach den Verdiensten angerechnet bekamen, die sie vor der Einziehung erreicht hatten.
Dann besteht noch ein weiteres Problem. Infolge der Kriegsereignisse haben wir heute Menschen unter uns, die mindestens 15 Jahre an Arbeitslosenversicherungszeit verloren haben. Wieviel Menschen haben wir nicht unter uns, die, aus der Schule gekommen, in den Arbeitsdienst mußten, die dann Soldat geworden und in den Krieg gezogen und dann jahrelang in Gefangenschaft gewesen sind, ohne nur irgendwie eine Arbeit aufgenommen zu haben! Viele Menschen sind heute 25, 30, und 35 Jahre alt, ohne irgendein Versicherungsjahr hinter sich zu haben. Wenn wir an die Ersatzzeiten herangehen, dann muß das Problem im ganzen angepackt werden, dann darf nicht nur ein Teilgebiet herausgegriffen werden.
Ich bin daher der Meinung, daß der Antrag der CDU/CSU-Fraktion angenommen werden sollte,
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der das Problem im ganzen angepackt wissen will. Das ist auch eine Aufgabe, die hineingreift in die Sozialreform, die - da bin ich etwas anderer Meinung - doch etwas eher von diesem Hause verabschiedet werden kann, als es von der linken Seite hier vorgetragen worden ist. Ich bitte daher, dem Umdruck 292 zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen ganz offen sagen, meine Damen und Herren von der CDU, Ihre Sozialpolitik verstehe ich nicht. Als der Antrag von der SPD-Fraktion dem Hohen Hause unterbreitet wurde, habe ich es für eine Selbstverständlichkeit gehalten, daß ein einmütiger Beschluß des Hauses zustande kommt, diesen Antrag dem Bundesarbeitsminister zu unterbreiten und ihn zu bitten, einen diesbezüglichen Gesetzentwurf baldmöglichst vorzulegen. Herr Kollege Ar n d g en, Sie sprechen hier von dem Wortlaut des Antrags der SPD. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, daß Sie nicht in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses waren, in der über diese Frage diskutiert und der Beschluß gefaßt wurde, der Ihnen als Mündlicher Bericht unter Drucksache 1162 vorliegt. Aus dem Protokoll Nr. 35 des Ausschusses für Sozialpolitik, das auch Sie bekommen haben, Kollege Arndgen, hätten Sie auf Seite 5 ersehen können, daß ich diesen Antrag gestellt habe. Sie hätten auch die Argumente Ihres Kollegen Horn und die Erklärung des Vertreters des Bundesarbeitsministers feststellen können. Herr Kollege Arndgen, ich nehme zu Ihren Gunsten an, daß Sie den Unterschied zwischen dem Antrag der SPD auf Drucksache 973 und dem Mündlichen Bericht Drucksache 1162 nicht festgestellt haben, noch das Protokoll kennen. Wenn der Herr Kollege Arndgen diese Unterlagen alle gekannt hätte, dann hätte er bewußt Tatsachen verschwiegen.
Es ist im Ausschuß für Sozialpolitik beschlossen worden, das über die Arbeitslosigkeit hinaus auf Krankheit und ähnliche Fälle auszudehnen. Die Terminologie „ähnliche Fälle" ist in der RVO gebräuchlich. Es ist auch in den Entscheidungen höchstrichterlicher Instanz zur RVO ausgelegt, was „ähnliche Fälle" sind, so daß die Formulierung in jeder Beziehung korrekt ist.
Der Herr Bundesarbeitsminister fragt nun, wenn ich das in einem Satz zusammenfassen darf: Wer soll denn das bezahlen? In dem Antrag der SPD werde die Bundesregierung ersucht, dem Hause einen Gesetzentwurf über die Gewährung der Steigerungsbeträge auch im Fall der Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie in ähnlichen Fällen vorzulegen, es werde aber nicht erwähnt, wer die Beiträge dafür bezahlen solle. Darüber kann man verschiedener Meinung sein; das gebe ich offen zu. Deshalb hat meine Fraktion dieses Problem im Antrag nicht angesprochen. Sie wollte die Meinung des Sozialpolitischen Ausschusses und des Plenums hören, die Erfahrungen des Herrn Bundesarbeitsministers und des reichlich großen Apparats in seinem Ministerium sollten einem Gesetzentwurf zugrunde gelegt werden. Wer soll die Steigerungsbeträge bezahlen? Lieber Kollege Anton Storch: entweder die Stellen, die die Renten zu zahlen haben, oder diejenigen Stellen, die die Beiträge zu zahlen haben. Für den Fall der Arbeitslosigkeit, der Krankheit und für ähnliche Fälle sollen die Beiträge entsprechend dem vor Eintritt des Falles gewährten Entgelt weiter gezahlt werden. Die Zahlung von Beiträgen - da bin ich mit dem Kollegen Anton Storch einer Auffassung - ist, da es sich hier um eine Versicherung handelt, das Gegebene. Das heißt, daß im Falle der Arbeitslosigkeit die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die Beiträge zahlt.
Wo nimmt denn die Bundesanstalt ihre Mittel her? Nicht von der Bundesregierung, nicht vom Bundesfinanzminister, sondern die Arbeiter zahlen jahraus und jahrein 3% ihres Lohnes oder Gehalts als Beiträge; sie bekommen sie abgezogen. Die Bundesanstalt hat, wenn ich nicht irre, pro Jahr so ungefähr 11/2 Milliarden DM Einnahmen aus Beiträgen. Bitte, legen Sie mich nicht fest. Weil der Beitrag auf 3 % reduziert wurde, weiß ich die Zahl nicht auswendig. Aus diesen Mitteln soll nicht nur ein Apparat - Arbeitsamt, Landesarbeitsamt und Bundesanstalt - aufrechterhalten, soll nicht nur Arbeitslosenunterstützung gezahlt, sondern sollen diese Beiträge auch geleistet werden, wenn jemand arbeitslos ist.
Ich möchte noch ausdrücklich bemerken: die Bundesanstalt bezahlt seit 1927 - damals hieß sie Reichsanstalt - die Beiträge zur Krankenversicherung der Arbeitslosen. Warum nicht auch die Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeitslosen? Das sind doch alles Dinge, über die man diskutieren kann. Und wir wollten hören, was Sie denken und was vor allen Dingen der Bundesarbeitsminister und die Ministerialbürokratie in ihrem Ministerium denken, wenn sie denken. Ich habe ja meine Erfahrungen.
Davon abgesehen kommt jetzt folgende Frage. Im Falle der Krankheit soll die Krankenkasse die Beiträge bezahlen. Der Arbeitslose mit seinem Krankengeld kann sie ja nicht bezahlen. Er hat aber jahrelang Beiträge nicht nur zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch zur Krankenversicherung gezahlt. Und warum soll die Krankenkasse nicht neben dem Krankengeld, das 50 °/o des Gehalts bzw. des Grundlohns beträgt, auch noch diese Beiträge zahlen?
Wie gesagt, all das haben wir nicht beantragt; man kann es jedoch so machen.
Warum sage ich das so deutlich? Damit Sie, meine Damen und Herren, die Sie keine Zeit haben, sich um diese Probleme zu kümmern, wissen, daß die Dinge gar nicht so einfach, aber sehr bedeutsam sind. Für wen? Für den Arbeiter und für den Angestellten, den das Schicksal ereilt hat, der arbeitslos geworden ist. Nur für den! Da sollte man, glaube ich, sozial sein; mehr will ich dazu nicht sagen.
Abgesehen davon wollen Sie diese Frage bei der Reform der Sozialversicherung regeln, die praktisch damit, soweit die Arbeitslosigkeit in Frage kommt, gar nichts zu tun hat. Dieser Teil gehört zur Novelle zum AVAVG. Diese Novelle haben Sie in der Drucksache 1274 unterbreitet bekommen. Sie wird in den nächsten Wochen und Monaten im zuständigen Ausschuß behandelt werden. Die nächste Frage ist, ob die Regelung für die Dauer der Krankheit in Verbindung mit der Sozialreform oder als besonderer Gesetzentwurf zu erfolgen hat. Niemand weiß, wie lange es mit der Sozialreform dauert. Aus diesen Erwägungen haben
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wir den Antrag gestellt. Warum wollen Sie ihn ablehnen? Warum machen Sie derartige - wie darf ich sagen? - Ausflüchte und wollen hier eine Sache, die auch Sie grundsätzlich anerkennen, in der Durchführung zeitlich hinauszögern?
Sie sprechen, Herr Kollege Arndgen, von den Kriegsteilnehmern des ersten Weltkrieges. Schauen Sie mal die Protokolle von 1953 nach,
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ob nicht Sie persönlich es waren - aber ich verdächtige Sie nicht; ich kann mich täuschen -, der gegen den Antrag der SPD gesprochen hat, in dem gefordert war, daß die Arbeiter und Angestellten, die am ersten Weltkrieg teilgenommen haben, nicht nur die Steigerungsbeträge nach Klasse 2 bekommen, sondern, wie es im damaligen Antrag der SPD hieß, entsprechend ihrem Entgelt, das sie vor dem Militärdienst bzw. Kriegsdienst bezogen haben. Sie haben den Antrag der SPD auf jeden Fall abgelehnt, und zwar, Herr Kollege Hammer, mit denselben Argumenten, mit denen hier bei dieser so selbstverständlichen sozialen Frage wieder operiert wird.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegen zwei Anträge vor: der Antrag des Ausschusses - ({0})
- Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Meine Damen und Herren, es ist nicht so ganz einfach, die Abstimmung durchzuführen. Es sind zwei An- träge: der Antrag des Ausschusses und der Antrag der CDU.
({1})
- Die Fraktion der FDP weist darauf hin, im Ältestenrat sei eine Absprache erfolgt, nach der heute nachmittag keine Abstimmung stattfindet,
({2})
weil so gut wie die ganze Fraktion der FDP auf ihrem Parteitag ist. Eine solche Absprache ist erfolgt.
({3})
- Abgeordneter Mellies, zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren, wenn eine solche Vereinbarung im Ältestenrat getroffen ist - das war uns nicht bekannt -, dann bitte ich, die Abstimmung bis zur nächsten Woche zurückzustellen.
Das Haus ist einverstanden? - Dann wird, wie beantragt, verfahren.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Tuberkulosenhilfe ({0}).
Wer begründet den Antrag?
({1})
- Bitte schön, ich erteile Ihnen das Wort.
({2})
Frau Bennemann ({3}), Antragstellerin: Herr (I Präsident! Meine Herren und Damen! Der Antrag Drucksache 1208 bittet die Regierung, dem Bundestag unverzüglich das seit langer Zeit angekündigte Gesetz über die Tuberkulosenhilfe vorzulegen und darin befriedigende Leistungen vor allem auch in der wirtschaftlichen Fürsorge für die Kranken und ihre Familien vorzusehen. Dieser Antrag hat zwei Vorläufer: eine schriftliche Anfrage, die wir vor vier Jahren an die Regierung gestellt und in der wir gefragt haben, was die Regierung zu tun gedenkt, um die sinkenden Leistungen in der Tuberkulosenhilfe zu steigern, und eine ähnliche Anfrage, die wir vor einem Jahr stellten.
Ich möchte Ihnen jetzt die Berechtigung und die Dringlichkeit unseres Antrages klarmachen. Dazu ist nötig, daß ich Ihnen kurz etwas über den heutigen Stand der Tuberkulosenhilfe sage.
Die Tuberkulosenhilfe fand in der Vergangenheit ihre Regelung auf Grund einer Verordnung über die Tbc-Hilfe von 1942 und einer Verbindlichkeitsetklärung für die Versicherungen von 1944. In dieser Zeit wurde eine einheitliche Regelung für die Tuberkulosenhilfe getroffen. Das neue an der Verordnung war, daß die Familien, deren Ernährer tuberkulosekrank wurde, eine wirtschaftliche Hilfe bekamen, eben die Tuberkulosenhilfe, weil in der Zeit, in der der Ernährer krank war, zusätzliche Mittel zu seiner Pflege gebraucht wurden. Hinzu kommt, daß diese Mittel, die der Kranke und seine Familie bekamen, nicht zurückerstattet zu werden brauchten. Es wurde eine Einteilung geschaffen in die nichtversicherte Bevölkerung und in die versicherte Bevölkerung. Dabei war es so, daß die nichtversicherte Bevölkerung von den Landesfürsorgeverbänden betreut wurde und die versicherte Bevölkerung von den Landesversicherungsanstalten, und zwar übernahmen die Landesversicherungsanstalten sämtliche Leistungen der Tuberkulosenhilfe, auch die zusätzlichen Leistungen für die Familie.
Das wurde anders nach dem Zusammenbruch und verstärkt anders nach der Währungsreform. Als erste bauten die Landesversicherungsanstalten ihre Leistungen ab, die Leistungen für die Familie, für den Kranken. Sie gaben an, sich an die damalige Verordnung nicht mehr gebunden zu fühlen. Nun fiel die ganze Tuberkulosenhilfe, soweit es die Familie betraf, den Landesfürsorgeverbänden zu. Die Landesfürsorgeverbände ihrerseits hatten aber auch nicht die hinreichenden Mittel, diese zusätzliche Tuberkulosenhilfe der Versicherten zu tragen. Ja, die Landesfürsorgeverbände bauten selbst die Tuberkulosenhilfe für die Nichtversicherten ab. Es entwickelte sich ein Zuständigkeitsstreit zwischen Bund und Ländern, Versicherungsanstalten und Fürsorgeverbänden.
In dem Augenblick nun, als im Jahre 1952 ein Gerichtsbeschluß herauskam, der die Landesfürsorgeverbände nicht mehr an die alte Gesetzgebung band, war in der Tuberkulosenhilfe alles unklar geworden. Der Tuberkulosekranke war der Mittelpunkt im freien Spiel der Kräfte zwischen Landesfürsorgeverband, Landesversicherungsanstalt und Gerichtsbeschluß. Bei all diesen Unklarheiten wurde eins immer klarer: daß die Verordnung von 1942 und die Verbindlichkeitserklärung von 1944 einfach nicht mehr funktionierten. Seit dieser Zeit wird auch erkannt, und zwar von den Behörden und allen möglichen Stellen, daß wir eine neue Regelung haben müssen. Das ist allgemein be({4})
kannt. Gefühlt hat es am stärksten der Tuberkulosekranke, daran nämlich, daß er nicht mehr die hinreichenden Mittel für seine Pflege bekam.
Nun könnte man auf den Gedanken kommen, daß die Tuberkulosenhilfe heute nicht mehr so dringend ist, wie sie es damals, während des Krieges oder kurz nach dem Kriege, gewesen ist; denn in den Zeitungen lesen wir, daß die Tuberkulose nicht mehr die Gefahr sei, die sie mal vor Jahren gewesen ist. Zugegeben: das stimmt, soweit es die Sterblichkeit betrifft. Wenn wir die Sterblichkeitsskala ansehen, dann finden wir, daß die Zahl der Sterbefälle an Tuberkulose in der Skala von oben nach unten gerutscht ist. Aber - das möchte ich hier besonders betonen - die Gefahr ist damit längst noch nicht gebannt. Das Problem hat sich lediglich verschoben, und zwar zu einem Invaliditätsproblem. Wir haben heute in der Bundesrepublik 500 000 Menschen, die aktiv tuberkulosekrank sind; das ist 1 %.
Aber erschreckender noch ist folgende Tatsache. Von den Tuberkulosekranken, die in Heilstätten kommen, dort geheilt werden und mit einer geschlossenen Tuberkulose entlassen werden, werden schon nach einem Jahr 30 % rückfällig und leiden dann wieder an einer offenen Tuberkulose.
Welches sind nun die Ursachen dafür? Eine Ursache ist sicher die Tatsache, daß der Aufenthalt in den Heilstätten 'bei uns nicht lange genug gewährt wird. Der durchschnittliche Aufenthalt wird mit sechs Monaten angegeben. Ich möchte dazu eine Vergleichszahl bringen. Holland gewährt für dieselbe Intensität der Krankheit einen Aufenthalt von 18 Monaten. Es ist ganz klar, daß der Kranke gegen Anfälligkeiten stabiler wird, wenn er die Möglichkeit hat, sich hier länger auszuruhen und eine Pflege zu haben.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, und auf diesen möchte ich Ihre besondere Aufmerksamkeit richten. Ich führe hier ein Beispiel an, das ich aus dem Jahrbuch für Tuberkulöse von 1953 entnommen habe. Wenn der Kranke, bevor er tuberkulös geworden ist, sagen wir mal, ein monatliches Einkommen von 500 DM brutto hatte, dann bekommt er, wenn er krank geworden ist, ein Krankengeld, das gerade die Hälfte beträgt: 250 DM. Dieser Kranke, der besondere Pflege benötigt, hat also in dem Augenblick, wo er das Geld wirklich nötig hat, nur noch die Hälfte seines Einkommens. Nach seiner Rückkehr aus einer Heilstätte mit einer geschlossenen Tuberkulose bekommt er nur noch ein Einkommen von 183 DM. Dieses Beispiel gilt für eine vierköpfige Familie, wo der Betreffende zwei Kinder unter 16 Jahren und die Ehefrau zu ernähren hat. Dabei sind nicht die Mietkosten eingeschlossen. Was bleibt nun diesem Kranken übrig? Entweder versucht er frühzeitig, wieder Arbeit aufzunehmen, um seinen Lebensstandard zu erhöhen, dann besteht die Gefahr, daß er wieder rückfällig wird; oder aber er versucht nicht, Arbeit aufzunehmen, dann ist die Gefahr, daß die Lebensmittel nicht hinreichen, ihn gesund zu halten.
Ich meine, wenn wir nicht den Tuberkulösen pflegen, dann pflegen wir die Tuberkulose. Der Tuberkulöse hat nun einmal eine besondere Pflege nötig, und daher muß eine Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungen angestrebt werden. Die Regelung, die wir heute haben, ist keine Lösung; sie zeugt weder von Herz noch von Verstand, ge-. schweige denn Vernunft.
({5})
Die heutige Lösung ist lediglich kurzsichtig. Ich meine, jeder - auch der, der sonst nur gewohnt ist, die Güte einer Sache von der Rechenmaschine abzulesen - müßte einsehen, daß hier eine Änderung geschaffen werden muß.
Daher unser Antrag Drucksache 1208. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
({6})
Meine Damen und Herren, nachdem Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich zur Abstimmung kommen, der nichts entgegensteht, da widerstreitende Meinungen hier nicht vorhanden sind.
({0})
- Zur Abstimmung?
({1}) - Bitte!
Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß der Antrag Drucksache 1208 hier gleich angenommen wird, daß eine Überweisung an den Ausschuß gar nicht notwendig ist. Ist dem so?
({0})
- Herr Präsident, dann empfehle ich, so zu verfahren.
Ich wollte dies sowieso vorschlagen, weil ich dahin schon unterrichtet war. Manchmal weiß auch das Präsidium etwas.
Meine Damen und Herren, wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 1208 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Bericht zum Kartellgesetzentwurf ({0});
b) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ({1});
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Höcherl, Stücklen, Seidl ({2}), Dr. Dollinger und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ({3});
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Böhm ({4}), Dr. Dresbach, Ruf und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ({5}).
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß zuerst die vier aufgerufenen Vorlagen begründet werden und daß wir die Aussprache über die vier Vorlagen miteinander verbinden. - Hierüber besteht Einigkeit. Wer begründet den Antrag der SPD betreffend Bericht zum Kartellgesetzentwurf?
({6})
- Herr Naegel zur Geschäftsordnung.
.Naegel ({7}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen den Antrag der SPD doch zuerst begründen und beantworten lassen und erst dann an die Begründung
({8})
der einzelnen Gesetzesvorlagen herangehen und die Diskussion darüber durchführen. Ich würde also bitten, zu trennen, zunächst den Punkt 13 a abschließend zu behandeln und dann erst zu 13 b, c und d zu kommen.
Wenn gewünscht wird, daß Buchstabe a zuerst abschließend behandelt wird - Widerspruch erfolgt nicht -, können wir dem nachkommen. Eine Beantwortung des Buchstaben a ist nicht erforderlich, da es keine Anfrage, sondern ein Antrag ist. Es kann sich also höchstens um eine Diskussion handeln.
Zur Begründung des Punktes 13 a hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Königswarter.
Dr. Königswarter ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Freunde habe ich die Anfrage, die wir gestellt haben, zu begründen. Diese Begründung scheint uns auch heute noch notwendig zu sein; denn schon die Verbindung unserer Anfrage mit der nun endlich erfolgenden Einbringung - oder soll ich besser sagen: Wiedereinbringung - des Gesetzentwurfs zeigt, daß der Sinn und das Ziel unserer Anfrage nicht ganz verstanden wurden oder nicht ganz verstanden werden sollten. Ich muß darauf hinweisen, daß diese Anfrage von meinen Freunden am 19. Oktober gestellt wurde, seitdem vorliegt und erst heute zur parlamentarischen Verhandlung kommt. Ich kann mir gut vorstellen, daß es der Regierungskoalition angenehm wäre, den Antrag mit der Einbringung des Gesetzes und der inzwischen vom Bundeswirtschaftsminister erfolgten Darlegung des Ergebnisses der sogenannten Verhandlungen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie als erledigt zu erklären und nun die Tragikomödie der parlamentarischen Behandlung des Regierungsentwurfs - möglichst ohne Debatte, wie das ja jetzt schon so schöne Unsitte wird - in der ersten Lesung abrollen zu lassen. Nein, meine Damen und Herren, so geht das nicht. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als um ein signifikantes Beispiel, wie in der Bundesrepublik von dieser Regierung und den sie tragenden Kräften - ich benutze bewußt nicht den Ausdruck Regierungskoalition - der Geist der Demokratie behandelt wird und ihm entgegengehandelt wird. Man kann nämlich - das ist uns ja in unserer jüngsten Geschichte schmerzlich genug vor Augen geführt worden - die Spielformen der Demokratie sehr sorgfältig beachten, sie aber dazu benutzen, die Demokratie umzubringen. Ermächtigungsgesetze, unfairer Terror einer Majorität, Unterwürfigkeit unter job-verteilende Regierungs- und Verwaltungsstellen sind durchaus geeignete Mittel zur allmählichen Zerstörung des Geistes der Demokratie.
({1})
Auch im vorliegenden Fall hat man einen Schlag gegen die Rechte der Legislative geführt und versucht, das Parlament praktisch auszuschalten. Es ist die Pflicht der Opposition, darauf hinzuweisen, wohin die Praktiken der die Regierung tragenden Kreise führen. Darum fühlen wir uns in diesem Zusammenhang verpflichtet, Ihnen das warnende Beispiel der Geschichte dieses nunmehr vorliegenden Regierungsentwurfs aufzuzeigen.
Wenn die Sitzung im Rundfunk übertragen würde, würde ich sagen: Difficile est satiram non scribere; so habe ich einen solchen Aufwand nicht nötig.
({2})
Herr Abgeordneter, Sie wollen doch nicht die Zuhörer im Rundfunk für noch gebildeter halten als die Mitglieder dieses Haus es?
({0})
Ich stelle anheim.
Offenbar noch von der Morgenthau-Stimmung getragen, brachten uns die amerikanische Besatzungsmacht das berüchtigte Gesetz Nr. 56 vom 1. März 1947 - Prohibition of Excessive Concentration of German Economic Power - und die anderen Besatzungsmächte ihre dem sehr angeglichenen Dekartellisierungsgesetze. In der Praxis sind sie nicht oft gegen die deutschen Kartellbindungen, und wenn, dann nur sehr unzweckmäßig, angewandt worden. Man schrie sozusagen auf dem falschen Fuß hurra, wie man früher beim Militär sagte, und die deutschen Kartelle gingen ins Maquis, wo sie sich auch heute noch wohlbehalten und gedeihlich befinden.
({0})
Eine gute Zusammenstellung der Maßnahmen zur Monopolkontrolle, wie eine Anfrage des Zentrums vom 21. September 1950, Drucksache 1373, im ersten Bundestag sie nannte, gibt die Antwort auf diese Anfrage durch das Bundeswirtschaftsministerium, Drucksache 1478 vom 13. Oktober 1950. Ich bitte, die Jahreszahlen zu beachten, und ich kann empfehlen, die Drucksachen nachzulesen. In dieser Drucksache, die darlegt, daß zu dieser Zeit die Durchführung den Ländern delegiert war, bei deren Wirtschaftsministerien die sogenannten GEDAGs, German Decartelization Agencies, gebildet wurden, bezeichnet es das Bundeswirtschaftsministerium als seine Aufgabe, ein deutsches Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorzulegen.
Die Vorlage eines solchen Gesetzes wurde dringlich, als im Generalvertrag die Besatzungsmächte sich bis zum Erlaß einer adäquaten deutschen Ordnung dieses Gebiet vorbehielten. So kam es denn zu dem dem jetzt vorgelegten Entwurf vollkommen gleichenden Entwurf, der am 13. Juni 1952 mit Drucksache 3462 dem 1. Bundestag zugeleitet wurde, nachdem er in der 85. Sitzung des Bundesrats vom 23. Mai 1952 nach sehr interessanter Debatte mit ebenso interessanten Empfehlungen versehen war. Betrachteten einige dieses Gesetz nur als eine Art reservatio mentalis, um das Besatzungsrecht loszuwerden und Freiheit für Gesetzesformen zu finden, die den deutschen wirtschaftspolitischen Verhältnissen zweckmäßiger Rechnung tragen - man konnte auch aus dem Bundeswirtschaftsministerium, also auf der Referentenebene, wie man so schön sagt, solche Ansichten hören -, so war es für die anderen und offenbar doch für den Herrn Bundeswirtschaftsminister das Kerngesetz zur Verwirklichung seiner und der seiner geistigen Väter wirtschaftspolitischen Ideologie. Darum ließ er der Begründung auch einen Abriß seiner Grundsätze, bearbeitet für den geistig minderbemittelten Parlamentarier, voransetzen.
({1})
- Herr Köhler, ich hatte Sie damit nicht gemeint!
({2})
({3})
- Na, na, ich weiß nicht, ob sich da nicht am 6. September einiges geändert hat.
({4})
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich doch so auszudrücken, daß ich nicht am Ende gezwungen bin, Sie zur Ordnung zu rufen.
({0})
Ich will es versuchen, Herr Präsident.
({0})
Der Gesetzentwurf geht also angeblich von dem Grundsatz des Kartellverbots aus. Nicht wahr, Herr Bundeswirtschaftsminister? Schon vorher, aber nunmehr in ganz ungewöhnlichem Ausmaße, erfüllte die Kontroverse: Verbots- oder Mißbrauchsprinzip die Diskussion der Fach- und Tagespresse und sprang vom Handelsteil sogar auf die ersten und zweiten Seiten der Zeitungen über, so daß sogar Politiker von Rang Kenntnis davon erhielten.
({1})
Es ist nun nicht meine Aufgabe, zu dieser Kontroverse Stellung zu nehmen. Unseren Standpunkt zu dem vorgelegten Entwurf werden Ihnen berufenere Kräfte meiner Freunde in der Debatte darlegen. Aber die Wandlungen dieser Kontroverse und ihre Auswirkungen auf die weiteren Schicksale des Gesetzes muß ich Ihnen kurz vor Augen führen.
Es wurde schnell klar, daß das Verbotsprinzip den maßgeblichen Kräften in der deutschen Industrie nicht paßte. Unter „maßgeblich" verstehe ich hier diejenigen Kreise, deren politische Macht Ihnen unsere Anfrage vor Augen führen soll und die einen starken Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlaments haben, besonders durch die Wahlfinanzierung. Die Regierung ist ja leider ihrer im Grundgesetz übernommenen Verpflichtung, ein Parteiengesetz vorzulegen, bis heute nicht nachgekommen. Dafür hat man neuerdings durch die meines Erachtens unsittliche, jedes Gefühl für anständige Demokratie vermissen lassende Zulassung der Abzugsfähigkeit solcher Gelder beim Gewinn und bei der Steuer solche etwas versteckte Einflußnahmen noch erleichtert.
({2})
- Nun, es ist doch so. Wir wissen das doch ganz genau. Machen wir uns nichts vor.
Der Entwurf kam im 1. Bundestag nicht sehr weit. Die ersten sieben, allerdings relativ grundlegenden Paragraphen behandelte der Ausschuß für Wirtschaftspolitik noch. Der Bundeswirtschaftsminister, der noch wacker für sein Verbotsprinzip focht. wurde vorerst noch nicht allzu sehr unter Druck gesetzt: denn man brauchte ihn und seine mehr oder minder verschuldeten Erfolge in der Wirtschaft als Aushänge- und Schutzschild im Kampf gegen die SPD. So genoß er in diesen Fragen - wie soll ich mich vorsichtig ausdrücken, Herr Präsident? ({3})
Das wird von Ihnen abhängen, Herr Abgeordneter!
Dr. Königswarter ({0}), Antragsteller: - rheinische Redefreiheit, würde ich sagen. Auf der
Godesberger Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft durfte er noch einmal mit der ihm eigenen, wenn auch nicht immer ganz sachlichen Verve für das Kartellverbot eintreten.
Inzwischen hatte man nun gemerkt, daß der Entwurf gar nicht das Hindernis bilden würde, das man fürchtete. Schon seine vom Wirtschaftspolitischen Ausschuß erweiterten Ausnahmen vom Kartellverbot ließen große Möglichkeiten offen. Ein Syndikus, dem es nicht gelingen sollte, einen erwünschten Zusammenschluß in ein Rationalisierungskartell umzufrisieren, hätte ja auch, weiß Gott, seinen Hafer nicht verdient.
({1})
Kluge Leute - auch unter meinen Freunden - erkannten, daß Verbot und Mißbrauch überhaupt keine echten Antithesen sind, und fanden als brauchbare Maxime das Erlaubnisprinzip.
Am 26. November 1953 erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein sehr bemerkenswerter Artikel von Hans Ilau: „Kartellschlacht im Nebel". Er offenbarte, was die Auguren längst wußten, daß die weiche, juristisch völlig abwegige Formulierung des Gesetzestextes „Kartellverträge sind unwirksam" den Kartellverträgen lediglich den Rechtsschutz der staatlichen Gerichte verweigerte, damit aber ihre Durchsetzbarkeit, für die es noch andere Mittel gibt, keineswegs hinderte.
Alles das genügte dem Industrieverband nicht. Nach dem Grundsatz des Hamburger Viktualienhändlers, dem die kleinen Butjes immer ins Heringsfaß spucken - „Das schadet ja nix, aber was soll das?" -,
({2})
bekämpfte man weiter leidenschaftlich den Entwurf, der endlich im Frühjahr 1954 vom Kabinett unverändert gebilligt wurde und dem Bundesrat am 21. Mai 1954 - ich darf wieder auf das Datum aufmerksam machen - vorgelegt und von ihm mit Empfehlung an das Kabinett zurückgegeben wurde. Ich bitte, diese Daten zu beachten.
Seit dieser Zeit, also seit Mai 1954, wurde der Gesetzentwurf dem Hohen Hause quasi vorenthalten und erst jetzt, nach zehn Monaten, vorgelegt. In dieser Zeit tobten die Interessentenkämpfe in den Verbänden, in der Fachpresse, in einem reichlich wuchernden Lobby usw. Unsere Papierkörbe faßten die Eingaben fast schon nicht mehr. Wann wird man eigentlich endlich einmal einsehen, daß auf diesem Gebiet, wie Lessings Prinz in „Emilia Galotti" sagt, „weniger mehr wäre"?
Wurde aber öffentlich immerhin noch mit Argumenten gekämpft und mag das auch zu den Techniken parlamentarischer Legislative gehören, so gingen hinter den Kulissen, sozusagen in den Garderoben der Protagonisten, der Kampf und der Einsatz aller Machtmöglichkeiten weiter. Man weiß, daß man in der Wahl der Mittel nicht gerade heikel war. Man weiß, daß man sogar eine sehr hohe Stelle bedrängte, gewisse Personalveränderungen vorzunehmen. Vielleicht war es das Drängen dieser Stelle, das zu dem unserer Meinung nach nun unerhörten Vorgang führte, der Anlaß und Inhalt unserer Interpellation ist.
Ende September 1954 gehen sehr seltsame Mären durch die Presse. Ein von uns sehr geschätztes Mitglied der regierenden Partei konnte in einem sehr bemerkenswert kritischen Aufsatz sagen, Erhard soll seinen Kartellfrieden mit einem der wichtigsten Corps intermédiaires gemacht haben. Nach({3})
dem der Entwurf wieder den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet, dem Bundestag aber noch nicht vorgelegt war, wurde nämlich zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesverband der Deutschen Industrie ein Kompromiß verhandelt, das nun vollends das Verbotsprinzip so weit durchlöcherte, daß das ganze Gesetz ein Messer ohne Klinge geworden ist. Alles das geschieht ohne Kenntnis des Parlaments. Im Frühjahr 1953 hielt man noch Vorbesprechungen in Unkel wenigstens mit den Abgeordneten der Koalition für richtig. Heute braucht man seine eigenen Leute nicht mehr zu fragen, wohl aber den wahlgeldmächtigsten Interessenverband. Die Interessen der Konsumenten, der gewerblichen, selbständigen Mittelschichten sind „quantité négligeable". Welches Geschrei würden Sie erheben, meine Damen und Herren, wenn die Gewerkschaften in einer ähnlichen Weise in diesem Stadium einen Druck auf das Bundeswirtschaftsministerium ausgeübt hätten,
({4})
welches Geschrei über Mangel an politischer Neutralität! Die Gerüchte zwingen nun endlich das Bundeswirtschaftsministerium zu einer Presseverlautbarung. Wenn der Herr Präsident es mir gestattet, möchte ich sie gern verlesen. Sie lautet:
Am 18. Oktober 1954 fand im Bundesministerium für Wirtschaft eine Aussprache zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft, Professor Dr. Erhard, und dem Präsidenten des Bundesverbandes der Industrie, Fritz Berg, über das Kartellgesetz statt. In der Besprechung wurde der Bericht des Arbeitsausschusses „Kartellgesetz" vorgelegt. Dem Arbeitskreis gehören Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Bundesverbandes der Industrie an. In dem gemeinsam erarbeiteten Bericht kam eine weitgehende Annäherung der Standpunkte zum Ausdruck. Bundesminister Professor Erhard und Präsident Berg nahmen mit Befriedigung von dem Ergebnis dieses Berichtes Kenntnis und stimmten den dort gefundenen Vorschlägen zu.
({5})
Ende Oktober kann dann auch der Bundesverband der Industrie bzw. seine Untergliederungen den Mitgliedern, den einzelnen Betrieben mit schlecht verhehltem Triumph eine Synopse vorlegen, die den Entwurf, die Bundesratsempfehlungen, die Abänderungsvorschläge des Wirtschaftspolitischen Ausschusses im 1. Bundestag und das nunmehr erzielte Kompromiß gegenüberstellt. Man nennt es in diesen Kreisen euphemistisch „die mit dem Bundeswirtschaftsministerium abgestimmten Formulierungsvorschläge".
({6})
Es zeigt das ganze Ausmaß des Zurückweichens und die Grundsatzschwäche des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Das wird der Herr Bundeswirtschaftsminister mit keiner Lautstärke und selbst mit den unparlamentarischsten Ausdrücken, deren er mächtig ist, nicht aus der Welt schaffen können.
({7})
Das Bundeswirtschaftsministerium hat mit dieser Tatsache seinen eigenen Entwurf verleugnet, der heute wieder als Regierungsentwurf eingebracht wird. Noch immer können die Berufenen - unter „Berufenen" verstehe ich Parlamentarier - keine
Aufklärung über das Geschehen erlangen. Erst auf energisches Drängen entschließt sich das Bundeswirtschaftsministerium - will ich lieber mal sagen - am 4. November, einem meiner Freunde eine aktenmäßige Zusammenfassung der „Anregungen" zu geben. Ich darf wohl annehmen, daß diese Anregungen inzwischen - in den letzten Tagen erst - auch den Abgeordneten zugestellt sind. Das ist aber doch wahrscheinlich erst unter dem Druck unserer Anfrage geschehen, deren öffentliche Behandlung man zusammen mit der zeitlichen Bindung an die Vorlage des Gesetzentwurfs verharmlosen wollte. Ich kann mir nicht versagen, aus dem Begleitschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums an meinen Freund - wiederum mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - einige Sätze zu verlesen. Sie haben mir die Krokodilstränen der Rührung über so viel naive Hypokrisie in die Augen getrieben.
({8})
Eine Indiskretion begehe ich nicht. Der Brief selbst sieht seine Weitergabe ausdrücklich voraus. Es heißt da:
Da nach der Einbringung im Kabinett und während der Erörterung im Bundesrat von verschiedenen Seiten Änderungswünsche an uns herangetragen wurden, haben wir es für zweckmäßig gehalten, in Besprechungen mit Industrie, Handel und Gewerkschaften, Verbraucherverbänden und Genossenschaften f est-zustellen, wie weit diese Wünsche gehen, wo sie beginnen und wo sie enden. Die Besprechungen mit der Industrie, die natürlich vornehmlich von den Bestimmungen des Gesetzes berührt werden, haben zu einer aktenmäßigen Zusammenfassung dieser Änderungswünsche geführt. Der Sinn und Zweck der Aussprache war einmal, Klarheit darüber zu gewinnen, mit welchen Anregungen und Wünschen unter Umständen von seiten der befragten Kreise aus Industrie, Handel, Gewerkschaften usw. die Bundesregierung zu rechnen habe,
- sie scheint die vielen Druckschriften, die wir kriegen, nicht erhalten zu haben andererseits aber auch, darzutun, daß, wenn innerhalb der parlamentarischen Instanzen Meinungen bzw. Änderungsvorschläge Platz greifen, die Bundesregierung sich darüber im klaren sein könne, für welche Abänderungswünsche sie angesichts der vorgebrachten Tatsachen Verständnis haben würde. In allen Besprechungen, insbesondere auch in einer kleinen abgehaltenen Pressekonferenz, hat das Bundeswirtschaftsministerium immer betont, daß durch diese Erörterungen in keiner Weise den Zuständigkeiten der Legislative vorgegriffen würde.
Da, meine Damen und Herren, liegt doch der Kern dieser außerordentlich bedenklichen Angelegenheit. Hier zeigt sich - leider durchaus nicht zum erstenmal - eine weitgehende, mit einer wirklich demokratischen Einstellung und dem Geist des Grundgesetzes nicht zu vereinbarende Ausschaltung des Parlaments. Unter uns doch bitte kein Wunder! Es wird sich sicher wohl im Wirtschaftspolitischen Ausschuß - ich will niemanden ansehen - jemand finden, der die so „abgestimmten Formulierungsvorschläge" aufnimmt. Und sicher werden sie dann doch mindestens die Zustimmung der Koalitionsmehrheit finden, nachdem der Bun({9})
deswirtschaftsminister bereits seine Kompromißbereitschaft zu erkennen gegeben hat und so mächtige Kreise wünschen, diese Vorschläge zum Gesetz erhoben zu sehen. Ein solches Alibi über das Parlament wird dann natürlich auch idem Herrn Bundesminister für Wirtschaft nicht unwillkommen sein, wenn er mit seinen Grundsätzen nicht mehr stehen und fallen will, wie er das früher so oft und so energisch verkündet hat.
Ich muß an den regierenden Fürsten in Thomas Manns „Königliche Hoheit" denken, der sagte, er komme sich vor wie ein pensionierter Abfertigungsbeamter der Eisenbahn, der trotzdem immer noch zum Dienst geht, sich hinter den amtierenden Abfertigungsbeamten stellt, die Hand hochhebt und sich dann einbildet, er veranlasse das Abfahren des Zuges.
({10})
In diese Rolle möchte ich das Parlament nicht gebracht sehen. Ich muß auch an eine Bemerkung denken, die mir ein in der Politik eines großen Nachbarstaates bewanderter und anerkannter Staatsmann einmal machte: Alle Schwierigkeiten bei uns kommen daher. daß weder das Kabinett noch das Parlament noch selbst die Bürokratie, die nur verwaltet, regieren, sondern nur die Verbände. So weit darf es bei uns nicht kommen.
({11})
Es ist die heilige Pflicht aller Abgeordneten, die wir unseren Wählern gegenüber übernommen haben, das zu verhindern. Darum müssen wir die von mir dargelegten Vorgänge mißbilligen.
({12})
Durch sie hat die Demokratie meines Erachtens eine Schlacht verloren.
({13})
Der Antrag unter Punkt 13 a wurde begründet. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Königswarter, ich danke Ihnen für Ihre launige Begründung und ich möchte vorausschicken, daß es sich in den Beratungen zeigen wird, wer wettbewerbsfreudiger ist, Sie oder ich, Ihre Partei oder ich. Nun möchte ich zu der sachlichen Anfrage auch sachlich Stellung nehmen.
Erstens. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages hat sich bereits in der ersten Legislaturperiode mit dem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen befaßt, ohne ihn jedoch zu verabschieden. In den Beratungen zeigte es sich, daß der Ausschuß Änderungswünsche erörtert wissen wollte, die letztlich auf eine Auflockerung des in der Regierungsvorlage enthaltenen Verbotsprinzips hinausliefen und sich mit entsprechenden Wünschen der Industrie deckten. Das Kabinett hat in seiner Sitzung vom 17. Februar 1954 den Entwurf in der alten Fassung mit der Maßgabe verabschiedet, daß bei der weiteren parlamentarischen Behandlung an die früheren Beratungsergebnisse des Wirtschaftspolitischen Ausschusses angeknüpft werden sollte.
Darauf hat der Bundesrat in seiner 123. Sitzung am 21. Mai 1954 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gewisse Änderungen und Entschließungen vorzuschlagen, im übrigen jedoch gegen den Entwurf keine Einwendungen zu erheben.
Zweitens. In Ziffer 1 des Antrags der Fraktion der SPD wird die Bundesregierung aufgefordert, dem Bundestag unverzüglich den Bericht zuzuleiten, der nach einer amtlichen Erklärung des Bundeswirtschaftsministeriums von einem Arbeitskreis - bestehend aus Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundesjustizministeriums und des Bundesverbands der Deutschen Industrie - zum Kartellgesetzentwurf erarbeitet worden sei und dem der Bundesminister für Wirtschaft angeblich zugestimmt habe.
Zu dem Verlangen der SPD ist erstens f est-zustellen - und ich bitte um Entschuldigung, wenn ich jetzt gleiche Formulierungen wähle, wie Sie sie, Herr Kollege Königswarter, vorgebracht haben -: Besprechungen des erwähnten Arbeitskreises haben wiederholt stattgefunden. Diese Erörterungen wurden von mir für sachdienlich gehalten, weil nach Einbringen des Entwurfs im Kabinett, während der Beratungen im Bundesrat und auch nach dem Abschluß dieser Beratungen von verschiedenen Seiten Änderungswünsche an mich herangetragen wurden. Es erschien mir aus diesem Grunde wünschenswert, Klarheit darüber zu gewinnen, mit welchen Anregungen und Forderungen die Bundesregierung angesichts der sich ständig fortentwickelnden wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten von seiten der deutschen Wirtschaft zu rechnen habe, andererseits aber auch der Bundesregierung eine Meinungsbildung darüber zu ermöglichen, für welche Abänderungswünsche sie angesichts der vorgebrachten Tatsachen Verständnis haben könnte, falls derartige Abänderungswünsche bei der parlamentarischen Beratung des Entwurfs zur Diskussion kämen.
({0})
Ich habe daher nochmals Besprechungen mit der Industrie, dem Handel, den Verbraucherverbänden und dem DGB geführt.
({1})
Leider habe ich gerade von der letzten Seite aus keine klare Stellungnahme erfahren können. Das letzte war eine Stellungnahme zu einer Mißbrauchsgesetzgebung.
({2})
Da vornehmlich die Industrie von den Bestimmungen des Gesetzentwurfs berührt wird und da aus diesem Kreise die meisten und umfangreichsten Änderungswünsche vorgetragen wurden, haben sich besondere Besprechungen mit diesen Industriekreisen als erforderlich erwiesen. Ein Bericht ist von dem erwähnten Arbeitskreis nicht erarbeitet worden, am wenigsten ein amtlicher Bericht. Die Presseverlautbarung des Bundesministeriums für Wirtschaft, in der das Wort „Bericht" allerdings enthalten ist,
({3})
hat verschiedentlich die falsche Vorstellung aufkommen lassen, daß das Arbeitsergebnis eine amtliche Niederlegung erfahren habe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Presseverlautbarung ist insoweit mißverständlich.
({4})
Die Besprechungsergebnisse sind lediglich und nur in der Form einer aktenmäßigen Zusammenfassung der Änderungswünsche für den internen
({5})
Gebrauch meines Ministeriums festgehalten worden. Diese aktenmäßige Zusammenfassung der Änderungswünsche habe ich zur Kenntnis genommen und hierbei zu erkennen gegeben, daß eine so weitgehende Änderung der Regierungsvorlage durch die gesetzgebende Körperschaft in meinen Augen die äußerste Linie einer Verständigung sein könne.
Drittens. In Ziffer 2 des Antrags der Fraktion der SPD wird die Bundesregierung aufgefordert, dem Bundestag gleichzeitig mit der Vorlage des Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine Zusammenstellung vorzulegen, aus der ersichtlich ist, ob und inwieweit die Bestimmungen des gesamten Gesetzentwurfs durch die Zustimmung des Bundesministers für Wirtschaft zu dem genannten Bericht als überholt zu betrachten sind. Dazu ist festzustellen: keine Bestimmung des dem Hause vorliegenden Gesetzentwurfs ist durch das Ergebnis der Besprechung des Arbeitskreises als überholt zu betrachten.
({6})
Ich wiederhole und betone nochmals, daß in der aktenmäßigen Zusammenfassung der Besprechungsergebnisse des Arbeitskreises für den internen Gebrauch meines Ministeriums keine irgendwie geartete Vorwegnahme einer etwa beabsichtigten oder von mir für richtig gehaltenen Regelung erblickt werden kann. Durch die Erörterung des Arbeitskreises ist, wie von meinem Ministerium mehrfach festgestellt wurde, in keiner Weise den Zuständigkeiten der Legislative vorgegriffen worden.
Wie sich aus der Niederschrift über die Abschlußbesprechung des Arbeitskreises am 18. Oktober 1954 eindeutig ergibt, habe ich damals zu dem weiteren Modus procedendi ausdrücklich erklärt, das Bundeswirtschaftsministerium werde nunmehr die Stellungnahme des Kabinetts zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates - und nur zu diesen - vorlegen, hierauf könnten nach dem Grundgesetz die Erörterungen des Arbeitskreises keinerlei Einfluß haben. Die Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie erkannten dies ausdrücklich an. Ihnen gegenüber habe ich klar zum Ausdruck gebracht, daß das Bundeswirtschaftsministerium im Bundestag die erörterten Änderungen des Gesetzentwurfs nicht vorbringen werde, sondern sich an die Regierungsvorlage gebunden halte. Es bleibt abzuwarten, ob die meinem Ministerium von den Mitgliedern des Arbeitskreises vorgetragenen Abänderungsformulierungen in den parlamentarischen Ausschüssen vorgebracht werden. Ich jedenfalls habe sie nicht zu vertreten und ich habe insbesondere meine Meinung in dieser Sache nicht geändert. Das Verlangen der Vorlage einer Zusammenfassung von Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die als durch außerparlamentarische Besprechungen überholt anzusehen seien, ist somit gegenstandslos.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat zwar seine Ausführungen damit eingeleitet, daß er zu der Rede meines Parteifreundes Königswarter sachlich Stellung nehmen wolle, aber leider ist doch in seinen Ausführungen eine Stellungnahme zu den eigentlichen verfassungsmäßigen und demokratischen Problemen durchaus zu vermissen. Herr Bundesminister für Wirtschaft, es handelt sich bei dieser Debatte um drei Fragen. Die erste Frage ist die, ob eine Bundesregierung sich zehn Monate Zeit lassen darf, bevor sie nach Stellungnahme des Bundesrats im ersten Durchgang eine Gesetzesvorlage an den Bundestag bringt. Die zweite Frage ist die, ob die Bundesregierung ein Gesetz hier im Bundestag einbringen darf, von dem sie bereits öffentlich hat verlauten lassen, daß sie nicht mehr zu ihm steht. Die dritte Frage ist, ob es der Bundesregierung ansteht, einen Vertrag mit einem Interessentenverband zu schließen und diesen Vertrag dann durch das Hohe Haus nur gewissermaßen noch ratifizieren zu lassen,
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wobei ich mich eines Ausdrucks Ihres Parteifreundes Herrn Dr. Dresbach bediene, den er öffentlich gebraucht hat.
Zu diesen drei Fragen habe ich, Herr Bundesminister, wenig in Ihrer Stellungnahme gehört. Die erste haben Sie überhaupt nicht behandelt. Im Art. 76 des Grundgesetzes heißt es, daß die Gesetzesvorlagen „beim Bundestage" eingebracht werden, zunächst aber dem Bundesrat im ersten Durchgang Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist und er dafür eine Frist von drei Wochen hat. Gewiß ist der Bundesregierung keine ausdrückliche Frist gesetzt, wieviel Zeit sie hat, um dann ihrerseits zu der Stellungnahme des Bundesrats sich zu äußern und die Gesetzesvorlage an den Bundestag weiterzugeben.
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Aber das nüchterne und trockene Gerippe eines Gesetzes bedarf ja der Ausfüllung durch demokratischen Geist, und wenn - Herr Kollege Köhler, das werden Sie ganz gewiß nicht bestreiten wollen - hier einem Verfassungsorgan wie dem Bundesrat eine verhältnismäßig so kurze Frist wie drei Wochen gesetzt ist, dann bedeutet das - und das geht im übrigen aus dem ganzen Sinn und Zusammenhang des Grundgesetzes hervor -, daß die Bundesregierung die Verpflichtung hat, dem Bundestage den Gesetzentwurf unverzüglich weiterzugeben. Sie kann ihn nicht nach ihrem Belieben viele Monate zurückstellen und diese Zeit zu außerparlamentarischen Verhandlungen benutzen.
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- Bitte schön, Herr Kollege.
Die Konsequenz Ihrer Ausführungen würde eigentlich bedeuten, Herr Kollege Arndt, daß unter Umständen eine Regierung nicht mehr in der Lage sein würde, aus irgendwie gearteten Gründen eine bereits eingebrachte Regierungsvorlage wieder zurückzuziehen!
Aber, Herr Kollege Köhler, das stimmt doch nicht. Eine Bundesregierung kann Entwürfe zurückziehen. Und die Bundesregierung hat es im Bereiche des Beamtenrechts bereits auch getan. Aber Sie müssen sich doch einmal klarmachen, in welche Lage ein Parlament gebracht wird, wenn die ganze Welt weiß, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf verabschiedet hat, der veröffentlicht ist, der als Bundesratsdrucksache vorliegt, und daß der Bundesrat dazu Stellung ge ({0})
nommen hat. Dann werden die Abgeordneten bestürmt: „Was sagt ihr denn dazu?" Und wir müssen zwei Monate, vier Monate, sechs Monate, acht Monate, zehn Monate, das nächstemal vielleicht fünfzehn und zwanzig Monate lang sagen: Ja, uns wird dieser Gesetzentwurf vorenthalten, wir haben ihn noch nicht; die Bundesregierung hält es zunächst einmal für notwendig, eher mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie zu reden als mit uns zu sprechen. Das ist doch die Situation, in die die Bundesregierung und der Bundesminister für Wirtschaft dieses Haus gebracht haben.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte schön!
Warum ist dann nicht von seiten Ihrer Parteifreunde das Ersuchen an die Bundesregierung gerichtet worden, den fraglichen Gesetzentwurf so schnell wie möglich einzubringen?
Aber, Herr Kollege Köhler, ist Ihnen denn nicht mehr erinnerlich, wielange unsere Anfrage schon schwebt? Sehen Sie doch einmal ,das Datum an. Und das ist ja schon im ersten Bundestag so gewesen, daß immer von meiner Fraktion 'im Wege der Interpellation und im Wege der Anträge das Verlangen an die Bundesregierung herangetragen wurde, uns endlich ein Gesetz über die Kartelle, über die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen vorzulegen.
Zu dieser Frage, die sehr wichtig ist, weil sie die Stellung des Bundestags im öffentlichen Leben behandelt, hat der Herr Bundeswirtschaftsminister kein Wort gesagt. Herr Bundesminister, ich darf annehmen, daß Sie damit haben zum Ausdruck bringen wollen: Sie können dazu nichts sagen, und Sie haben in dieser Frage nicht gerade das beste Gewissen.
Nun zur zweiten Angelegenheit, zur Frage, ob die Bundesregierung einen Gesetzentwurf einbringen darf, von dem sie selbst schon oder einer ihrer Minister, namentlich der zuständige Bundesminister, hat öffentlich verlauten lassen, daß sie dazu nicht mehr steht. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft ist dieser Frage dadurch etwas ausgewichen, daß er geäußert hat, die Presseverlautbarung sei mißverständlich. Nun, das kennen wir doch schon. Immer, wenn irgendwas schief geht, ist die Presse daran schuld und ist die Presse mißverständlich.
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- Er hat es nicht gesagt? - Gut. Aber ich werde Ihnen gleich sagen: es heißt ja doch hier in einem amtlichen und sogar mit Siegel versehenen Schriftstück: „Der Bundesminister für Wirtschaft, Bonn, den 18. Oktober 1954" und gezeichnet: Im Auftrag Ockhardt. Herr Ockhardt ist bekanntlich der Pressereferent im Bundesministerium für Wirtschaft. Und da heißt es am Schluß: „Herr Bundesminister Professor Erhard und Präsident Berg nahmen mit Befriedigung von dem Ergebnis dieses Berichts Kenntnis und stimmten den dort gefundenen Vorschlägen zu."
({1})
„. . und stimmten zu"! Das ist etwas ganz anderes,
als wenn heute der Herr Bundesminister für Wirtschaft sagt, er habe es zur Kenntnis genommen und er betrachte es als eine äußerste Linie der Verständigung und sei nicht bereit, diese Vorschläge seinerseits zu vertreten. Das ist ein Widerspruch. Und selbst wenn uns 'das heute erklärt wird, so weiß man doch in 'den Fraktionen und in der Öffentlichkeit, daß 'diese Zustimmungserklärung in 'der Welt ist, und man weiß auch, womit man zu rechnen hat, und daß hier in dem Hause eine Vorlage eingebracht ist, von der wir jetzt schon wissen, daß mindestens ein voller Wille, sie zu verteidigen. auf 'der Seite der Bundesregierung nicht mehr besteht.
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- Ja, ich will es gern abwarten! Aber ich würde mich freuen, wenn Sie hier nun die ursprünglichen Grundsätze verteidigen wollten.
Worum es heute geht, ist, daß Sie das Parlament, 'den Bundestag, in eine schlechte Lage dadurch bringen, Herr Bundesminister, daß Sie hier einen Entwurf als Gesetzesvorlage vorlegen, von dem sie öffentlich schon haben verlauten lassen -oder jedenfalls den Eindruck erweckt haben, als oh er von Ihrer Bundesregierung nicht mehr voll vertreten werde.
Auch zur dritten Frage haben Sie, glaube ich, nicht hinreichend Stellung genommen, zur Frage des Vertragsschlusses mit Interessentenverbänden. Sie sprachen immer so euphemistisch von der „deutschen Wirtschaft". Nach unserer Überzeugung gehören zur deutschen Wirtschaft mehr als die Unternehmer. Die Unternehmer gehören gewiß dazu, aber die Arbeiterschaft und Angestelltenschaft und insbesondere ihre Organisationen, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Deutsche Angestelltengewerkschaft, gehören auch dazu.
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- Ja, der Herr Minister hat davon gesagt, daß auch jene Verbände gehört worden sind und daß mit ihnen Fühlung genommen worden ist. Aber der Akkord, der 'der Verlautbarung vom 18. Oktober 1954 zugrunde liegt, ist mit einem bestimmten Interessentenverband geschlossen worden, und darum geht die 'Bundesregierung 'doch in der Tat, wenn vielleicht nicht mit zwei gefesselten Händen, so doch mit einer gefesselten Hand schon in die parlamentarische Schlacht hinein. Es ist unter allen Umständen mißlich, solche Akkorde vorher einzugehen. Keiner von uns wird beanstanden, daß Verbände gehört werden. Im Gegenteil, wir würden es mißbilligen, wenn irgendeiner der Verbände übergangen wäre und man ihn nicht gehört hätte. Aber ob man verhandelt, ob man abtastet, wie der eine oder andere Verband zu einem Gesetzesvorhaben steht, oder ob man in dieser Weise akkordiert, gewissermaßen wie zwischen ausländischen Mächten, Präsident Berg und Bundesminister Erhard, und dann nur verbal sagt: Die Rechte der Legislative bleiben vorbehalten, sie wird schon ratifizieren, - das ist ein Verfahren, das wir beanstanden müssen.
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Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dazu nur einige Worte sagen. Erstens: Die Bundesregierung hat nicht gegen die Verfassung gehandelt, wenn sie den Kartellgesetzentwurf
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dem Bundestag nicht sofort, sondern erst nach geraumer Zeit zugeleitet hat. Zweitens: Ich habe nirgends verlautbaren lassen, daß ich oder das Bundeswirtschaftsministerium nicht mehr zu der Regierungsvorlage steht. Drittens: Ich habe keinen Akkord mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie geschlossen, auch keinen Vertrag, sondern ich habe festgestellt, wo äußerstenfalls die Nahtstelle einer Verständigung liegen könnte. Ich habe denselben Versuch auch mit den Gewerkschaften unternommen. Aber die Gewerkschaften haben sich zu einer so weitgehenden Bindung nicht bereit erklärt.
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Im übrigen wird sich bei der Beratung des Gesetzes zeigen, welches meine tatsächliche Meinung zu dieser Frage ist.
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Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zu Punkt a liegen nicht mehr vor.
Es ist kein besonderer Antrag gestellt. Ich nehme an, daß der Antrag dem Ausschuß überwiesen werden soll. Dann schlage ich Ihnen vor, - ({0})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Köhler!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der soeben erfolgten Aussprache beantrage ich im Namen meiner politischen Freunde, den Antrag der SPD abzulehnen.
Meine Damen und Herren, es ist vorerst bei mir ein Antrag auf Ausschußüberweisung nicht gestellt. Den müßte ich an sich vorgehen lassen. Wird er gestellt? - Herr Dr. Königswarter?
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-- Auf Ausschußüberweisung?
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- Ich erteile Ihnen das Wort. Ich bitte, dabei zu bemerken, welchen Ausschüssen der Antrag überwiesen werden soll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wohl der Wirtschaftspolitische Ausschuß für diesen Antrag in Frage kommt. Aber ich möchte doch sehr bitten, daß auch der Ausschuß für Verfassungsschutz zumindest mitberatend tätig wird, um sich zu diesem Verfahren zu äußern.
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- Ich glaube nicht, daß es dabei etwas zu lachen gibt! Meine Damen und Herren, Sie sollten die demokratischen Regeln etwas genauer nehmen und etwas vorsichtiger sein! -- Ich muß sagen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister, dessen Temperament ich sehr schätze, das er aber heute gar nicht bewiesen hat
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- es kommt noch, so?, nun, wir freuen uns über diese Ankündigung -, an Feststellungen getroffen hat, besagt gar nichts gegen das, was ich ausgeführt habe. Die Regierung hat die Verfassung nicht verletzt? Es soll kein Vergleich sein, ich will nur
zeigen, wie man so etwas machen kann: Herr Hitler hat, als er zur Macht kam, auch nicht die Verfassung verletzt, aber gegen ihren Geist gehandelt, und das hat ziemlich böse Folgen gehabt. Ich will nicht sagen, daß ich diesen Tatbestand damit vergleichen will. Aber man muß doch - wie man hier immer wieder sagt - den Anfängen wehren.
Dann hat der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt, er habe keinen Vertrag abgeschlossen. Nun, die Verlautbarung oder das Kommuniqué seines Ministeriums lautet doch anders. Und ich meine, schöner kann man sich's nicht denken, als daß die Verbände dann eine Synopse herausgeben, aus der man genau ersehen kann, was erreicht und was nicht erreicht ist. Ich wollte, wir hätten sie, dann hätten wir uns schon ein wenig vorbereiten können. Da das nun nicht möglich ist, wird sich, glaube ich, der Herr Bundeswirtschaftsminister entschließen müssen, eine ähnliche Synopse dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß vorzulegen, der sich dann damit beschäftigen mag, auch im Sinne dieser Verfassungsfrage.
Herr Dr. Königswarter hat soeben beantragt, den Antrag der SPD-Fraktion, Drucksache 906, zur Federführung dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen sowie zur Mitberatung dem Ausschuß - Sie haben gesagt: für Verfassungsschutz, Sie meinten wohl: für Rechtswesen und Verfassungsrecht.
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- Jawohl. - Herr Abgeordneter Naegel, hierzu?
Darf ich daran erinnern, daß vereinbart war, es sollten heute nachmittag keine Abstimmungen stattfinden.
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- Nein, überhaupt keine Abstimmungen!
Es war vereinbart worden, keine Kampfabstimmungen durchzuführen. Es ist die Frage, ob das eine Kampfabstimmung ist.
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Auf die Vereinbarung im Ältestenrat wird nicht Bezug genommen?
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Dann kann ich über den Antrag abstimmen lassen, den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 906 dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung zu überweisen. Wer dieser Ausschußüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich muß die Abstimmung wiederholen, es ist nicht klar ersichtlich. Wer für die Ausschußüberweisung ist, den bitte ich nochmals um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, nach der übereinstimmenden Meinung des Vorstandes kann hier nur durch Auszählen geklärt werden. Ich bitte Sie also, den Saal zu verlassen. Wer für die Ausschußüberweisung ist, den bitte ich, durch die Ja-Tür zu gehen, wer gegen die Ausschußüberweisung ist, durch die Nein-Tür, die übrigen durch die Enthalte -mich-Tür.
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Ich bitte, den Saal beschleunigt zu verlassen. - Ich bitte, die Türen zu schließen. Ich eröffne die Abstimmung.
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Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist geschlossen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung durch Auszählung bekannt. Mit Ja, also für die Ausschußüberweisung, haben 126 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 138. Enthalten haben sich 2 Abgeordnete Die Ausschußüberweisung ist abgelehnt.
Darauf müßten wir jetzt über den Antrag der SPD selbst abstimmen, es sei denn, es wird von einer Seite des Hauses der Einwand gebracht, es handle sich um eine Kampfabstimmung, die nicht stattfinden sollte. Wird dieser Einwand gemacht? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir über den Antrag der SPD Drucksache 906 ab. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu den Punkten b, c und d des Tagesordnungspunktes 13. Zunächst werden alle drei Punkte begründet. Das Wort zur Begründung des Punktes b hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der zweiten Legislaturperiode das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der alten Fassung vom Juni 1952 vorgelegt, mit der sich der 1. Bundestag in seinen Ausschüssen bereits befaßt hat. In der Ihnen vorliegenden Fassung vom 22. Januar 1955 wurden Änderungswünsche des Bundesrates, die sich materiell wesentlich mit den Aussetzungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses der ersten Legislaturperiode decken, zum Teil berücksichtigt.
Ich habe nun nicht die Absicht, bereits in der ersten Lesung zu der Gliederung oder gar zu einzelnen Paragraphen des Gesetzes Stellung zu nehmen. Viel wichtiger erscheint mir, noch einmal die Grundkonzeption dieses Gesetzes herauszustellen und seine gesellschafts-wirtschaftlichen Wurzeln aufzuzeigen.
Ich erkenne in dem Ordnungssystem der sozialen Markwirtschaft die ökonomische Grundlage eines demokratischen Staatswesens, das als unantastbaren Wert die menschliche Freiheit setzt. Es ist darum auch eine fast banale Selbstverständlichkeit, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung auf dem Prinzip der Freiheit und Freizügigkeit beruht; und es ist darum die Aufgabe des Staates, darüber zu wachen, daß dieses Grundrecht der wirtschaftenden Menschen nicht durch private kollektive Bindungen und Vereinbarungen außer Kraft gesetzt wird.
Die Harmonie einer Marktwirtschaft beruht auf der freien Funktion der tendenziell zum Ausgleich und zum Gleichgewicht hindrängenden Kräfte. Auf diese Weise wird die quantitative und qualitative Übereinstimmung von Bedarf und Deckung herbeigeführt. Während in anderen Systemen dieses Ziel durch kollektive Lenkungsmaßnahmen zu erreichen versucht wird, erzielt die Marktwirtschaft diesen Effekt über die Funktion des freien Marktes.
Von einem solchen kann allerdings nur dann und so lange gesprochen werden, als ein freier Leistungswettbewerb und eine freie Preisbildung Motor und Steuerungsmittel der Wirtschaft sind. Der Wettbewerb ist damit unlöslich Bestandteil, ja innerstes Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung, so daß seine Eliminierung, Beeinträchtigung oder Behinderung schlechthin zu einer Sprengung des Systems überhaupt führen müßte.
Ein Gleiches gilt hinsichtlich der Funktion des freien Preises. Er allein macht Leistungen meßbar und vergleichbar, und nur über das Barometer der Preisentwicklung wird die Richtigkeit oder werden die Fehler unternehmerischer Dispositionen aufgezeigt. Nur an den Preisen ist abzulesen, ob im einzelnen zuviel oder zuwenig, ob Richtiges oder Falsches produziert worden ist. Aus diesem Grunde ist die fortdauernde Anpassung der Produktion an die Wandlungen des Verbrauchs eben nur über den freien Preis möglich. Darum müssen auch alle Maßnahmen, die zu einer Bindung oder Erstarrung der Preise führen, als mit dem Wesen der Marktwirtschaft unvereinbar konsequent abgelehnt werden.
Fernab von jenen grundsätzlichen Erwägungen aber meine ich, daß wir nach sieben Jahren marktwirtschaftlicher Politik und den damit erzielten Erfolgen im wirtschaftlichen Wiederaufbau wahrlich keinen Grund haben, die Grundlagen dieser ökonomischen Ordnung zu verleugnen und den scheinbar bequemeren Kurs einer wieder gebundenen Wirtschaft zu steuern. Das deutsche Volk steht heute in seiner überwiegenden Mehrheit zweifellos auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft und würde kein Verständnis dafür haben, wenn der Deutsche Bundestag andersgeartete Interessen als die von 50 Millionen Verbrauchern über Gebühr berücksichtigen wollte. Das aber wäre der Fall, wenn dieses sogenannte Kartellgesetz in einer Fassung Rechtskraft erlangen sollte, die dem Aufkommen von Kartellen Tür und Tor öffnete und eine grundsätzliche Abkehr von der seitherigen Wirtschaftspolitik bedeuten müßte.
Kartelle sind in einer Marktwirtschaft nach der inneren Logik dieses Systems artwidrige Fremdkörper. Wer den staatlichen Dirigismus als Lenkungsinstrument im wirtschaftlichen Leben ablehnt, kann nicht zugleich die kollektive Steuerung der Wirtschaft durch Kartelle gutheißen oder gar als nützlich und notwendig erachten.
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Wer im Kollektivismus politische, soziale und gesellschaftswirtschaftliche Gefahren erblickt, kann nicht gleichzeitig Kartelle als eine besondere Spielart kollektivistischen Geistes verteidigen wollen. Es liegt mir ferne, mit dieser Charakterisierung die Anhänger und Freunde von Kartellen subjektiv einer solchen Schuld zu zeihen. Ich behaupte vielmehr, daß sie das Kartellproblem aus einer falschen Schau heraus beurteilen und darum in seiner vollen und entscheidenden gesellschaftwirtschaftlichen Bedeutung nicht begreifen.
Historisch gesehen, wurde das Phänomen Kartell entweder vom rein juristischen Standpunkt aus oder vornehmlich auch unter branchen- und privatwirtschaftlichen Aspekten gewürdigt, während demgegenüber die volks- und gesellschaftswirtschaftliche Problematik völlig in den Hintergrund trat. Gerade aber und nur aus dieser Schau heraus läßt sich das innerste Wesen der Kartelle voll erfassen.
Die unterschiedliche Auffassung bezüglich der Kartelle und ihrer Wirkungen gipfelt in dem Du({1}) alismus: Verbots- oder Mißbrauchsgesetzgebung. Eine seichte Propaganda hat es in zum Teil dummdreisten Blättchen dahin gebracht, daß die Anhänger einer Verbotsgesetzgebung sich den Vorwurf des Dogmatismus gefallen lassen müssen, während die Vertreter einer Mißbrauchsgesetzgebung von einem solchen Verdacht erstaunlicherweise frei sein sollen.
({2})
Wenn das allerdings Dogmatismus ist, ein Problem bis zum Ende durchzudenken und nicht nur auf der sogenannten gemeinen Erfahrung zu verharren, will ich mich gern schuldig bekennen.
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Aber abgesehen davon, daß der vorliegende Gesetzentwurf gar nicht dem in diesem Zusammenhang so viel kritisierten Denkmodell der vollständigen Konkurrenz entspricht, sondern die Möglichkeit von Konditionen-, Export- und Rationalisierungskartellen durchaus einräumt, ja ich sogar meinen möchte, daß in dieser Vorlage sozusagen schon zu viele Köche den Brei etwas verdorben haben,
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stehe ich grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß eine sinnvolle Wirtschaftspolitik in jedem Falle einer klaren theoretischen Grundlegung bedarf und sich nicht an verschwommenen und wechselnden Vorstellungen des Augenblicks orientieren darf. Das heißt mit anderen Worten: wer den Wettbewerb als Ordnungselement der Wirtschaft anerkennt, kann dieses Prinzip nicht da und dort aus Opportunismus und Zweckmäßigkeit willkürlich ablehnen, heute bejahen und morgen verwerfen und dabei noch stolz wähnen, daß solche Richtungslosigkeit Wirklichkeitsnähe verrate. Die Tatsache, daß die Menschen im allgemeinen nicht reine Engel, aber auch nicht gerade reine Teufel sind, kann uns ja auch nicht dazu veranlassen, auf ethische Normen zu verzichten und die Charakterlosigkeit zum moralischen Imperativ zu erheben.
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Viel wichtiger aber ist, daß eine Mißbrauchsgesetzgebung am Kern des Problems völlig vorbeigeht und gegen das Überhandnehmen von Kartellen überhaupt keine Handhabe bietet. Wenn wir von kriminellen und moralischen Vergehen absehen, die auf andere Weise geahndet werden müssen, möchte ich fragen, wo nach Meinung der Anhänger dieses Prinzips der Mißbrauch beginnen und enden soll und welches überhaupt die Kriterien des Mißbrauchs sind.
({6})
Ich kann nur immer wiederholen, daß ich keinem Unternehmer, der in den Schutz von Kartellen flüchten möchte, damit die Absicht eines Mißbrauchs unterschieben will. Ja, selbst wenn ich unterstelle, daß Kartelle in bezug auf Preisbindungen größte Korrektheit und stärkstes Verantwortungsbewußtsein bezeugen und demzufolge eine Mißbrauchsgesetzgebung überhaupt niemals wirksam werden könnte, müßte ich aus volkswirtschaftlichen Überlegungen Kartelle dennoch als schädlich ablehnen. Der Mißbrauch liegt bei dieser Betrachtung nicht in dem Handeln und Verhalten der Kartelle, sondern er liegt bereits in ihrer Existenz und beruht darauf, daß mit der Einrichtung des
Kartells der Wettbewerb eingeschränkt oder unterbunden, daß mit der Preisbindung aber die volkswirtschaftliche Funktion des Preises außer Kraft gesetzt und die Volkswirtschaft ihres unentbehrlichen Steuerungsmittels beraubt wird.
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Unternehmer, die so gern von ruinösem Wettbewerb, Vernichtungswettbewerb und ähnlichem sprechen, schädigen damit nur das eigene Ansehen und unterminieren den Boden, auf dem sie stehen. Es geht nicht an, das unter allen Umständen segensreiche und für eine Marktwirtschaft unentbehrliche Prinzip des Wettbewerbs mit dem amoralischen Verhalten einzelner Unternehmer im Wettbewerb zu verwechseln und daraus die Notwendigkeit von Kartellen abzuleiten.
Interessant und völlig abwegig ist auch der Versuch, Kartelle als zum Schutz der mittelständischen Wirtschaft notwendig ausdeuten zu wollen.
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Es ist erwiesen, daß die durchweg größeren Unternehmungen der Schwerindustrie, der Investitionsgüter- und Produktionsmittelindustrie gemäß der Eigenart ihrer Erzeugung in relativ hohem Maße kartellierungsreif, kartellierungsfähig und wohl auch kartellierungswillig sind, während diese Voraussetzungen in der verarbeitenden Industrie mit zunehmender Veredelung immer mehr entfallen. Gerade in diesem Sektor aber, wie auch im Einzelhandel oder im Handwerk, ist der gewerbliche Mittelstand auf breitester Grundlage vertreten. Da Kartelle aber gewiß nicht zu einer Vermehrung des Volkseinkommens und der volkswirtschaftlichen Kaufkraft führen, würde ein Überhandnehmen der Kartelle zur Konsequenz haben, daß die kartellierungsfähigen Industrien ein Zuviel an Kaufkraft auf sich vereinen, während die weniger und nicht kartellierungsfähigen Zweige des mittelständischen Gewerbes den Kaufkraftausfall hinzunehmen hätten.
Sollten diese dann aber ihr Heil ebenfalls in Kartellen zu finden suchen, dann würde sich zuerst einmal zeigen, daß hier die divergierenden Elemente meist gar nicht zu bändigen sind und die technischen Schwierigkeiten nur sehr problematische Lösungen ermöglichen. Zum anderen aber wird man dann geradezu naturnotwendig die Erfahrung machen müssen, daß man vielleicht den Kartellpreis retten, niemals aber den Absatz mengenmäßig aufrechterhalten kann. Es ist praktisch undenkbar, daß es in einer kartelldurchsetzten Wirtschaft nicht viele dieser Institutionen gibt, die durch eine kollektive Preispolitik mehr Kaufkraft abschöpfen, als ihnen im freien Wettbewerb bei freien Preisen zufließen würde. Dieses Mehr aber fehlt an einer anderen Stelle und bewirkt in den freien Bereichen entweder einen Preisabfall oder aber einen verringerten Absatz. Aus diesem Grunde sind Kartelle auch unter beschäftigungs- und konjunkturpolitischen Gesichtspunkten abzulehnen. Vor allem aber muß der Mittelstand ein geradezu vitales Interesse daran haben, die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit von Kartellbindungen freizuhalten.
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Aus solcher Sicht wird es deutlich, daß gerade die sogenannten guten Kartelle, solche nämlich, die halten, es sind, welche die schädlichsten Wirkungen zeitigen. Die nachteiligen Folgen eines Kartells treten nämlich nicht immer im Bereich des gebun({10})
denen Sektors selbst auf, sondern meist an einer anderen Stelle der Wirtschaft.
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Nun erfordert zweifellos jede Kartellgesetzgebung in ihrer praktischen Handhabung einen gewissen Verwaltungsapparat, und angeblich soll eine Verbotsgesetzgebung ein Mammutgebilde dieser Art notwendig machen. Die Logik dieser Aussage ist zwar schwer verständlich, denn es ist unbestreitbar leichter, mit geringen Kräften das Überhandnehmen von Kartellen zu verhindern, als nicht greifbaren Kartellmißbräuchen nachzujagen. Vielleicht aber beleuchtet jene Sorge vor einer solchen Mammutbürokratie am besten, wie mannigfach und zahlreich wohl das Verlangen nach Kartellen sein mag, wenn ein so großer Apparat erforderlich sein soll, um die Aufgabe zu bewältigen. Es ist sicher, daß die Kartellbehörde in ihrem Umfang wesentlich von dem Ausmaß der Kartellfreudigkeit der deutschen Wirtschaft abhängig sein wird.
Was nun den gefürchteten staatlichen Dirigismus anlangt, so ist der Widerspruch der Argumentation vollkommen. Die bei einer Mißbrauchsgesetzgebung massenhaft entstehenden privaten Kartellbürokratien werden in der Kritik an der Verbotsgesetzgebung mit keinem Wort erwähnt, obwohl dieser privatwirtschaftlich organisierte Dirigismus zwangsläufig unendlich weitreichender sein muß als der einer Kartellbehörde, die nur die eine Aufgabe hat, das ungerechtfertigte Überhandnehmen von Kartellen zu verhindern, den Leistungswettbewerb aufrechtzuerhalten und den Markt nicht erstarren zu lassen. Man kann beim besten Willen auch nicht von einem Staatsinterventionismus sprechen, wenn der Staat darüber wacht, daß die Grundsätze einer freien demokratischen Gesellschaftsordnung gewahrt bleiben.
Es ist in diesem Zusammenhang überhaupt notwendig, etwas Grundsätzliches über die Verantwortung des Staates und die Verantwortung des Unternehmers zu sagen. Wenn z. B. in den mannigfachen Verlautbarungen unter anderem auch zu hören war, daß der Genehmigungszwang für Kartelle zu einer Alleinverantwortung des Staates im wirtschaftlichen Leben führe, so ist diese These mindestens sehr unklar. Denn es darf wohl als selbstverständlich gelten, daß es vornehmlich die Aufgabe des Staates ist - und nur die Aufgabe des Staates sein darf -, die Grundlagen der wirtschaftlichen Verfassung und der volkswirtschaftlichen Ordnung zu schaffen und zu überwachen. Der Staat ist insbesondere auch verantwortlich für die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftspolitik, für die Sicherung der Konjunktur und für die Stetigkeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Er ist verantwortlich für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft und ihre organische Einordnung in die Weltwirtschaft. Gerade die Soziale Marktwirtschaft hat dem Unternehmer wieder zu voller Freiheit und Freizügigkeit der .wirtschaftlichen Betätigung verholfen. Es ist schon aus diesem Grunde unglaubhaft, daß die gleiche Regierung, die diese Politik so entschlossen einleitete, es an Verständnis für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Privatwirtschaft fehlen lasse, den Unternehmer in seiner Freiheit behindern oder gar einen neuen staatlichen Dirigismus einführen wolle.
Die ungehinderte Entfaltung der unternehmerischen Initiative hat allerdings dort eine Grenze, wo die Rechts- und Lebenssphären anderer Bevölkerungsschichten berührt werden und wo eine wirtschaftliche Position oder gar eine Machtstellung nicht mehr durchindividuelle unternehmerische Leistung im Wettbewerb, sondern durch kollektive Absprachen und künstlich gesetzte Machtpositionen errungen werden will. Der freie Wettbewerb ist, um es noch einmal zu sagen, ein Grundelement unserer demokratischen und ökonomischen Ordnung und darf deshalb durch private Organisationen nicht ausgeschaltet werden. Nur wenn das gewährleistet ist, kann der Staat die Verantwortung für die Volkswirtschaft übernehmen, während er dazu nicht in der Lage wäre, wenn er der Kartellbildung freien Raum ließe und damit anstatt der Funktion eines freien Marktes und freier Preise das Marktschicksal privaten Kartellorganisationen überließe. Der Staat, der Preisbindung durch Kartelle zuläßt, entäußert sich damit der Möglichkeit einer aktiven Wirtschaftspolitik.
Man möge auch nicht vergessen, wie sehr sich in den letzten 30 Jahren die Auffassungen über Verantwortung und Zuständigkeiten gewandelt haben. Wenn heute an irgendeiner Stelle der Wirtschaft Störungen in Erscheinung treten, dann werden im Blickpunkt der Öffentlichkeit nicht Unternehmer oder Verbände, sondern es wird der Staat verantwortlich gemacht, und an ihn ergeht die Forderung, wirksame Maßnahmen der Heilung zu ergreifen. Die Fähigkeit aber, mit Mitteln der Wirtschaftspolitik das wirtschaftliche Leben zu bestimmen, ist davon abhängig, daß die Funktion eines freien Marktes überhaupt obwaltet, weil ohne diese Voraussetzungen jede wirtschaftspolitische Maßnahme durch Kollektiventscheidungen auf Verbandsebene inhibiert werden kann.
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Was endlich die soziale Seite des Problems anlangt, hat die Bundesregierung durch ihr Handeln und Verhalten wohl hinlänglich deutlich gemacht, daß ihr die Kennzeichnung unserer Wirtschaftspolitik als „Soziale Marktwirtschaft" eine ernste Verpflichtung 'bedeutet. „Sozial" kann sich aber eine Wirtschaftspolitik nur dann nennen, wenn sie den wirtschaftlichen Fortschritt, die höhere Leistungsergiebigkeit und die steigende Produktivität wesentlich dem Verbraucher zugute kommen läßt. Dieses Ziel wird vornehmlich durch den freien Leistungswettbewerb erreicht, der die Gewinnung erhöhter Erträge oder sogar Renten verhindert und die Dynamik der Wirtschaft in Gang hält.
Dank dieser Politik ist der Unternehmer im Blickfeld der breiten Massen heute nicht mehr ein Mann, der ein bequemes, sorgenfreies und gutes Leben führt, sondern er ist der erste Mann des Betriebs, der die ganze Schwere der Verantwortung trägt. Gerade im Zeichen der Mengenkonjunktur und des Käufermarkts ist auch jeder Arbeiter anzuerkennen bereit, daß für den Unternehmer ein Höchstmaß an Tüchtigkeit und Bewährung vonnöten ist, um sich und das Werk im Wettbewerb zu behaupten. Wenn die Unternehmerschaft aus freiem Entschluß diese ihre Freizügigkeit aufgeben möchte, unterhöhlt sie das politische, soziale, gesellschaftliche und moralische Ansehen ihres Standes, ja, sie öffnet dem Kollektivismus Tür und Tor.
Es ist auch nicht richtig, Kartelle sozialpolitisch damit rechtfertigen zu wollen, daß sie den Schutz des Unternehmens und die Sicherung des Arbeitsplatzes bezweckten. Was durch Kartelle künstlich geschützt und gesichert werden kann, das
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sind vor allem unergiebige, unproduktive Arbeitsplätze. Daraus resultiert oft die Gefahr, daß die ganze Volkswirtschaft in einem Leistungsrückstand verharrt, der insbesondere im internationalen Wettbewerb verhängnisvoll werden kann. Eine Politik kann aber nicht sozial genannt werden, die den Fortschritt hemmt und die Errichtung neuer produktiver und sicherer Arbeitsplätze künstlich verhindert. Wer fortdauernd mehr und immer bessere Arbeitsplätze schaffen will, wer die Konjunktursicherung durch dynamische Expansion erreichen möchte, muß Kartelle verneinen. Wer auf Bewahrung bedacht ist, mag sie gutheißen. Wir aber können uns angesichts eines aufkommenden Arbeitskräftemangels den Luxus von Kartellen einfach nicht leisten.
Wer das Wesen und das Wirken der Kartelle in seiner ganzen Tragweite begreift, wird es auch verständlich finden, daß die breiteste Öffentlichkeit an dieser Entscheidung lebhaftesten Anteil nimmt.
Der bei der Beratung im Bundesrat geäußerten Ansicht, daß die Kartellbehörde selbst im Falle einer Mißbrauchsgesetzgebung nur dann in Tätigkeit treten sollte, wenn ein echtes öffentliches Interesse für ein Eingreifen vorliegt, kann unter gar keinen Umständen zugestimmt werden. Denn die durch Kartellmaßnahmen in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung oder in ihren Lebensmöglichkeiten Behinderten erlangen von dem Mißbrauch meist gar keine Kenntnis und vermögen die Auswirkungen einer Kartellpolitik für ihr Schicksal gar nicht zu ermessen. Sie finden Marktbedingungen vor, deren Komponenten sich ihrem Beurteilungsvermögen entziehen.
Das gilt für die Industrie hinsichtlich des Bezugs ihrer Vorprodukte; es gilt für den Handel, und es gilt in noch viel umfassenderer Weise für den Verbraucher. Gerade dieser kann unmöglich wissen, auf welche Weise ein Preis zustande kam und ob er mit ihm übervorteilt wird. Er kann bestenfalls Vergleiche anstellen. Aber diese werden nutzlos, wenn eine Branche im Kartell eine gleiche Preispolitik verfolgt. Es kann dann gar nicht ausbleiben, daß der Verbraucher den Eindruck gewinnt, er sei im Markte anonymen Kräften und Institutionen ausgeliefert. Wenn sich die- ses Gefühl erst auf breiterer Grundlage durchsetzt und sich zu politischem Widerstand verdichtet, wird es mit dem wirtschaftlichen und sozialen Frieden vorbei sein. Die breite Masse hat heute, wie schon erwähnt, das Vertrauen zum Unternehmer zurückgewonnen, aber nie wird sie ihr Vertrauen Kartellen schenken wollen.
Es entspricht dem Zeitgeist, wenn heute die Durchsetzung von Gruppeninteressen und Sonderwünschen oder das Verlangen nach stärkerem Wettbewerbsschutz immer mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Ordnung vertreten wird, obwohl Teilregelungen dieser Art das Gefüge der umfassenden Ordnung sprengen und in die Atomisierung und Isolierung treiben müssen. Demgegenüber erkläre ich, daß es in einem geordneten Staat nur eine Ordnung geben kann; das ist die gesellschaftliche Ordnung als Ganzheit. Die Zerklüftung und Zerrissenheit einer Gesellschaft wird sich um so stärker ausprägen, je mehr diese in sogenannte Teilordnungen aufgegliedert ist. Der staatliche Dirigismus und Kollektivismus werden um so üppiger gedeihen, je mehr aus diesem Grunde ein Zwang vorliegt, das Getrennte mit künstlichen Mitteln wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Wo Marktordnungen und Berufsordnungen überhandnehmen, da wuchert der Egoismus,
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Wo alle Gruppen einen besonderen Schutz und mehr Sicherheit haben wollen, werden die Menschen immer unfreier werden und immer mehr an echter Sicherheit verlieren. Es kann auch kein Zweifel bestehen, daß dann die jeweils erstrebten Vorteile nur zu Lasten anderer zu erringen sind.
Es muß auch als in höchstem Maße widerspruchsvoll bezeichnet werden, wenn ein Land wie die Bundesrepublik einerseits alle Anstrengungen unternimmt, sich möglichst organisch und nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen in die freie Welt einzugliedern, auf der anderen Seite aber im nationalen Raum, um einzelne Branchen und Gruppen Schutzwälle errichten und die Volkswirtschaft in Teile zerlegen möchte. So wie die Weltwirtschaft durch den Protektionismus, Egoismus und Nationalismus der Staaten zerstört wurde, so muß auch eine Volkswirtschaft in sich schwersten Schaden leiden, wenn dort gleiche Prinzipien obwalten. So wie der Wiederaufbau einer funktionsfähigen Weltwirtschaft in den letzten Jahren nur mit Mitteln einer freiheitlichen Politik möglich geworden ist, so können auch die einzelnen nationalen Volkswirtschaften nur gedeihen, wenn sie in sich diesen Grundsätzen treu bleiben.
Es zeugt wirklich nicht von Einsicht und Weisheit, wenn man demgegenüber immer noch in den Kategorien von gestern denkt und ein versunkenes Modell der Wirtschaftsverfassung nachbauen möchte. In einer Zeit, in der wir um neue und höhere Formen einer europäischen und weltweiten Integration ringen, erhält die Vorstellung einer Kartellpolitik von gestern fast mittelalterliche, zünftlerische Züge. Aus diesem Grunde wäre es auch ein Verrat an der fortschrittlichen Idee der Integration, wenn man etwa internationale Kartellabsprachen als geeignete Instrumente zur Schaffung umfassender Gemeinschaften ansehen wollte. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß im Begrifflichen und Grundsätzlichen Integration und Kartelle nicht nur einen Kontrast aufzeigen, sondern sich gegenseitig ausschließen.
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In Wirklichkeit aber ist der Sieg der modernen Wirtschaftsauffassung gar nicht mehr aufzuhalten. Nich nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen europäischen Ländern ist die geistige Wandlung deutlich zu spüren, und immer vernehmlicher wird von allen Seiten der Ruf und das Verlangen nach einer Bändigung der Kartellauswüchse, nach einer Abstellung von Mißbräuchen bis zur Forderung nach Verboten laut.
Erst in diesen letzten Tagen haben das Nachrichten aus England, Frankreich und Holland erhärtet. Ich möchte die Anhänger einer Mißbrauchsgesetzgebung einmal fragen dürfen, wann und wo jemals ein Land mit diesem Instrument seine Ziele erreicht hätte. Professor Welter hat wirklich recht, wenn er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt, daß ihm dieser Versuch so vorkomme, als ob jemand im weiten Meer eine besondere Abart von Fischen suchen und mit der bloßen Hand f an-gen sollte.
Es fällt darum - ohne irgend jemand zu nahe treten zu wollen - wirklich schwer, an die innere Wahrhaftigkeit dieser Konzeption zu glauben.
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Jedenfalls würde es einer Tragikomödie gleichkommen, wenn man ausgerechnet in Deutschland, in der Bundesrepublik in der Verfolgung der seitherigen Wirtschaftspolitik anhalten und den Weg nach rückwärts antreten wollte.
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Die Mißbrauchsgesetzgebung erscheint in meiner Sicht als ein Gesetzesmißbrauch; denn sie erweckt wider besseres Wissen und gegen alle historische Erfahrung den Schein, als ob ein solches Gesetz die Nachteile und Schäden verhindern könnte, die angeblich verhindert werden sollen.
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Als Wirtschaftsminister aber habe ich nicht die Interessen gewerblicher Gruppen, sondern das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern zu verteidigen.
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D a s , meine Damen und Herren, steht hier auf dem Spiel. Diese Probleme sind mit dem vorliegenden Gesetz angesprochen und harren einer guten Lösung. Man muß - das möchte ich deutlich sagen - nicht unversöhnlich sein, wenn man eine klare Konzeption im Kopf hat.
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So bringe ich denn dieses Gesetz ein in der Erwartung, daß sich der Deutsche Bundestag der Tragweite dieses auf innerpolitischem Gebiet wahrscheinlich wichtigsten deutschen Gesetzes bewußt sein und eine gute, glückliche Lösung für unser Volk und für unsere Wirtschaft finden möge.
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Das Wort zur Begründung des Entwurfs unter Lit. c hat der Abgeordnete Höcherl.
Höcherl ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem maliziösen Vorgeplänkel und nach den sehr temperamentvollen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers - ich habe nicht die Absicht, den so laut und temperamentvoll hingeworfenen Fehdehandschuh in der gleichen Weise aufzunehmen, sondern ich werde so sachlich bleiben, wie es der Gegenstand verlangt - kann nun in die letzte Phase dieses sehr langwierigen und langjährigen und unheiligen Kartellkriegs eingetreten werden.
Man hatte ja oft den Eindruck, wenn man die Publizistik auf diesem Sektor beobachtete, als ob es überhaupt keine andere Frage in unserer Wirtschaftspolitik gäbe als eben diese leidige Kartellfrage. In Wirklichkeit sind die Dinge doch so, daß von diesem Kartellgesetz - mag es nun aussehen, wie es will - nur 25 % der ganzen wirtschaftlichen Vorgänge überhaupt erfaßt werden können.
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75 % sind nämlich schon längst - sei es durch gesetzliche oder gesetzlich geduldete Regeln - eingepackt in Vorschriften und feste Bestimmungen, Tarife und Preise. So ist die Situation.
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Einem großen Teil der Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers muß ich mit allem Nachdruck entgegentreten.
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- Jawohl, jawohl, und zwar deswegen, weil dieser Kartellkrieg und diese Kartellschlacht wie eh und je alles in Deutschland, möchte ich sagen, weltanschaulich geführt wird. Es gibt keine sachliche pragmatische Auseinandersetzung, sondern man geht zurück bis in die letzten weltanschaulichen Wurzeln. Man reißt zwei Fronten auf und erklärt: Ich habe den Stein der Weisen, und der andere ist intellektuell, inferior oder er ist sogar vielleicht charakterlich defekt. So, in dieser Form, kann man solche Fragen, die rein praktische Fragen sind, nicht austragen.
({4})
Ich möchte auf diese Ebene nicht hinabsteigen.
Auch uns, den Unterzeichnern dieses Antrags, liegt das Interesse an der angemessenen Versorgung der Verbraucherschaft durchaus am Herzen. Da gibt es keine Vorrechte: der eine mehr oder der andere weniger. Aber daraus abzuleiten „intellektuell" oder charakterliche Zensuren zu erteilen, das halte ich für vollständig unmöglich. Ich erkläre hier ausdrücklich im Namen aller Unterzeichner dieses Entwurfs: Wir standen und stehen hinter der mutigen und erfolgreichen Wirtschaftspolitik des Bundeswirtschaftsministers, und ich bin sogar der Meinung, daß wir auch in der Wettbewerbsfrage denselben Standpunkt vertreten, wenn wir den Dingen auf den Grund gehen.
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Wir wollen auch nichts anderes als einen Leistungswettbewerb und einen anständigen, einen lauteren Wettbewerb. Wir wollen aber die Augen vor der Wirklichkeit nicht verschließen.
({6})
Wir wissen, daß in dem großen Teich des Wettbewerbs nicht nur der ehrbare und friedliche Karpfen, sondern auch Hechte und ganz gefährliche große Haie schwimmen.
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Da bin ich der Meinung, daß unsere Sympathie und unsere Hilfe diesen friedlichen Karpfen gehört, die Schutz brauchen.
Es ist ja doch nicht so, daß diese Dinge noch nicht ausprobiert worden wären. Wir haben doch ein klassisches Land mit Kartellverboten. Gehen Sie nach USA und sehen Sie sich bloß die letzten Zahlen an, wie mittelständische Unternehmen erdrückt werden! Nehmen Sie die Autoindustrie, nehmen Sie die Brotversorgung usw.; einwandfreies Zahlenmaterial!
Herr Professor Böhm, nun möchte ich Sie ansprechen. In einem wohl von Ihrer Seite inspirierten Artikel wurde erklärt: Das Kartellverbot - das klassische - begünstigt die ganz Großen, und es kann nur durch einen Kontrahierungszwang bekämpft werden. Sie geben also das eine zu, was uns ein echtes Anliegen ist.
Wir haben aber auch in anderen, benachbarten europäischen Ländern Kartellgesetze, ohne daß ich mich auf den dogmatischen Gegensatz Mißbrauch und Verbot festlegen möchte. In Wirklichkeit handelt es sich, wenn man diesen Dingen auf den Grund geht, um rein rechtstechnische Vorgänge und sonst gar nichts anderes, um eine andere Methode, um eine bessere Methode, die wir hier vertreten wollen. Wir haben in den umliegenden Ländern Europas Mißbrauchsgesetzgebungen, wenn ich ein({8})
mal diese Formulierung gebrauchen darf. Nehmen Sie die Schweiz, nehmen Sie Belgien, nehmen Sie Österreich und nehmen Sie andere Länder; diese Länder haben ausgezeichnete Erfahrungen damit gemacht.
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Wir sind durchaus berechtigt zu lernen und dürfen nicht mit dogmatischen Sätzen anfangen, es besser wissen zu wollen, wenn die anderen uns bereits das Positive und das Negative vorgemacht haben.
Ich habe erklärt, daß wir grundsätzlich und zu allen Zeiten hinter der Wirtschaftspolitik stehen und auch in dieser Wettbewerbsfrage zu einer gemeinsamen Linie kommen werden, wenn wir diese Dinge gründlich durchdenken. Das, was wir hier vorgelegt haben, ist kein Verbots- und kein Mißbrauchsgesetzentwurf, sondern es ist gar nichts anderes als eine bessere juristische Lösung dieses gemeinsamen Problems.
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Ich will Ihnen zunächst sagen, warum uns der Regierungsentwurf nicht paßt: weil er viel zu kompliziert ist und weil er nicht gehandhabt werden kann. Er hat allein in seiner ursprünglichen Fassung 80 Paragraphen, wunderbar ziseliert, ausgefeilt, mit schwierigsten Tatbeständen. Diese Tatbestände werden dann einem Gericht vorgelegt, und daraus sind ganz schwierige und eingreifende Folgerungen abzuleiten, z. B. Nichtigkeit von Verträgen und Ordnungsstrafen bis zu einer Million DM. Die etwas wohlhabenderen Amerikaner, die ja eine Gesetzgebung haben, machen es etwas billiger. Sie geben sich mit 50 000 Dollar zufrieden. Wir sind großzügig bis zu einer Million gegangen, und solche Sanktionen werden aufgestellt für Gerichte, die über Tatbestände wie Krisenkartell usw. entscheiden sollen. Das ist der erste Grund.
Damit ist aber das Material für die Regierungsvorlage noch nicht erledigt. Wir haben an der Spitze der Regierungsvorlage ein stolzes Verbot und dann eine Serie von Ausnahmen in der Form von Erlaubnisvorbehalten, Verbotsvorbehalten usw. Außerdem hat der Bundesrat allein über 70 Änderungsvorschläge gebracht. Einem großen Teil davon hat die Regierung zugestimmt. Weitere Änderungsvorschläge liegen in der Luft. Es war bereits eine Debatte darüber. Jetzt stellen Sie sich vor: zu diesen 80 Paragraphen kommen nun all diese anderen Dinge noch hinzu und werden im Ausschuß ausgehandelt. Was haben Sie dann? Ein Gesetz, ein juristisches Monstrum, das niemand, vor allem niemals eine Kartellbehörde und erst recht kein Gericht anwenden kann.
So ist die Situation, und das wollen wir verhindern. Es ist doch nichts anderes als der ewige Perfektionismus. Wir bilden uns in unserer Gesetzgebung immer ein, es wären immer all diese schwierigen und komplizierten und in dauerndem Fluß befindlichen wirtschaftlichen Tatbestände gesetzlich einzufangen. Das ist doch von je und eh der Grundfehler unserer Gesetzgebungstechnik gewesen. Weil man das nicht kann, muß man daraus die Konsequenzen ziehen und sich unter Beibehaltung des Grundsatzes des Leistungswettbewerbs für eine juristische Methode entschließen, die praktikabel durchführbar ist, die im Endergebnis durchaus denselben Zweck erreicht, wie hier angestrebt wird.
Wenn Sie daran denken, daß diesem Kartellamt Aufgaben zugemutet werden, nicht nur diese vielen Erlaubnisverfahren durchzuführen mit diesen ungeheuren Nachweisen und Schwierigkeiten, sondern eine ganz generelle Aufsicht nicht nur über Kartelle, sondern auch marktbeherrschende Unternehmungen und viele andere Dinge wie Zusammenschlüsse und Bindungen der zweiten Hand und Handelsspannen, dann kann doch bei der Tendenz unserer Behörden, sich sogar über den gegebenen Aufgabenkreis hinaus zu entwickeln, nichts anderes als eine Mammutbehörde herauskommen, die wir verhindern wollen. Wir denken weiter. Wir denken etwas in die Zukunft. Es könnte einmal sein, daß eine solche Behörde in falsche Hände geriete. Dann wäre das sofort das adäquate Instrument, um die alte Schnüffelei in der Wirtschaft wieder durchzuführen.
Wir vermissen auch etwas anderes. Wir vermissen vor allen Dingen das Prinzip, was bei uns mit den Grenzen der Staatsmacht zusammenhängt, daß jeder zunächst jeden Tort und jedes Unrecht, das ihm geschieht, mit eigenen Kräften abwehren muß. Erst dort, wo seine Kraft nicht mehr ausreicht, darf der Staat eintreten. Das ist ein für alle Zeiten gültiger Grundsatz. Auch der ist hier verlassen. Der Staat wird mit all diesen Dingen ex officio befaßt. Es kann sich sogar jeder beim geringsten Anlaß den starken Polizeiarm des Kartellamts zur Leihe nehmen und weiß Gott welchen Mißbrauch damit treiben.
Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, waren es verfassungsrechtliche Bedenken, die uns veranlaßten, eine andere Formulierung zu finden. Einmal wird durch diesen Entwurf das Recht der Koalitionsfreiheit beeinträchtigt. Denken Sie bitte daran, welche Erscheinungen und Komplexe wir auf diesem Gebiete der Koalitionsfreiheit haben, Dinge, die oft schon über die Grenzen der Staatsmacht hinausgehen. Hier auf einmal soll es nicht möglich sein, daß man sich z. B. verbindet, unter Aufsicht bleibt. Auf dem anderen Sektor wird Großes und Größtes geduldet und muß geduldet werden.
Ein weiterer verfassungsrechtlicher Grundsatz spielt hier eine Rolle. Es wird die Beweispflicht vollständig verlagert, und zwar wird demjenigen, der sich zunächst gar nicht etwas hat zuschulden kommen lassen, nachdem es ja nach der Regierungsvorlage eine ganze Serie von Ausnahmen und sogenannten erlaubnisfähigen, nach den Vorschlägen des Bundesrates unter Umständen sogar erlaubten Absprachen geben soll, die Beweispflicht auferlegt; er wird in diese ungünstige Situation geschoben.
Meine Damen und Herren, das ist nicht verfassungsmäßig, genausowenig wie es verfassungsmäßig ist, daß man so schwere Sanktionen, wie ich bereits vorgetragen habe, an unentwickelte, schwierige, kaum faßbare Tatbestandsformulierungen knüpft.
Vom Herrn Bundeswirtschaftsminister ist behauptet worden, es sei nicht möglich, durch Kartelle oder Absprachen, durch solche Vereinbarungen, dem Mittelstand einen geeigneten Schutz zu geben. Gehen Sie doch bitte nach Amerika. Dort sehen wir ja, wie die Entwicklungen sind.
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Was uns auch nicht gefällt, ist folgendes: daß bei den Kartellverfahren nach diesem Entwurf ein außerordentlich großer Kreis von Beiladungspflichtigen mit erfaßt werden kann, so 'daß diese Ver({12})
fahren einen umständlichen Charakter annehmen. Wir haben allen Grund zu Befürchtungen. Ich darf ein Zitat des Herrn Dr. Dresbach erwähnen, der ja bereits in einem anderen Zusammenhang angesprochen worden ist. Er hat kürzlich ein neues Schimpfwort Komplikateure eingeführt. Komplikateure wären wir, wenn wir diesen Gesetzentwurf der Regierung mit den noch zu erwartenden Änderungen und Sonderausnahmen einführen, die Gerichte damit belasten und uns hernach vielleicht beschweren wollten: Ja, das klappt nicht so; das ist nicht so, wie wir es erwartet haben.
Wenn Sie unseren Entwurf, den wir in Drucksache 1253 vorgelegt haben, gründlich und aufmerksam prüfen, merken Sie schon daraus, daß wir selbst die gefährlichste Sorte von Kartellen unter Verbot stellen bzw. ihnen den Rechtsschutz verweigern, daß es uns ein ernstes Anliegen ist, nicht theoretisch nach einer Formel zu verfahren, sondern eine praktische Lösung zu finden, dessen eingedenk, daß es tatsächlich gefährlichste Arten gibt, bei denen eine Sonderbehandlung und eine Verschiebung der Beweislast angebracht ist; das sind die Quotenkartelle, Gebietskartelle und die Syndikate. Das steht bereits in unserem § 3. Nicht eine Mißbrauchsgesetzgebung haben wir Ihnen vorgelegt, sondern einen praktischen Vorschlag mit Verbots- und Mißbrauchstatbeständen.
Unser Entwurf - Sie brauchen ihn bloß nach der Anzahl der Paragraphen zu beurteilen - hat 34 Paragraphen. 80 hat der andere jetzt schon, und wenn das alles noch dazukommt, was zu erwarten ist, werden wir weit über die Hundertzahl hinauskommen. Das allein wäre schon ein Anlaß, unseren kürzeren Entwurf zu nehmen.
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-- Wie gesagt, der Regierungsentwurf ist noch nicht fertig, es sind noch nicht alle Änderungsanträge da, es kommen noch einige dazu.
Wir haben außerdem ganz entschieden Wert darauf gelegt, daß die Kartellbindungen, die wir grundsätzlich auch nicht haben wollen, sondern nur dort zulassen, wo sie wirtschaftlich notwendig sind, hinsichtlich des inneren und äußeren Organisationszwangs auf das äußerste beschränkt werden. Wir haben uns in unseren Ausarbeitungen den Sachverstand und die Erfahrungen des Professors Isay zunutze gemacht, eines Mannes, der jahrzehntelang im Kartellrecht steht und der in den zwanziger Jahren bereits auf Grund der alten Kartellverordnung eine ganze Reihe von Verfahren, von Schiedsverfahren erlebt hat, der auch als Anwalt gearbeitet hat, der vielleicht heute mit die größte Erfahrung auf diesem Gebiet hat. Wir haben deshalb auch eine Vorschrift eingebaut, daß bei Kartellverfahren, soweit sie notwendig sind, grundsätzlich zunächst einmal Einigungsstellen einzuschalten sind. Das hat sich bei uns bereits nach der alten Kartellverordnung bewährt, und es hat sich auch in anderen Ländern bewährt. Das wären die wesentlichsten materiellen Bestandteile.
Im Verfahren sind wir einen neuen Weg gegangen, und zwar haben wir nicht den Bundesgerichtshof, sondern den Verwaltungsgerichtshof, das oberste Verwaltungsgericht, eingeschaltet, weil wir der Meinung sind - wir befinden uns in Übereinstimmung mit maßgebenden Verwaltungsrechtswissenschaftlern und Rechtsgelehrten -, daß diese Entscheidungen nicht in der Kompetenz des Bundesgerichtshofs, sondern in der Kompetenz des für öffentlich-rechtliche Überlegungen bestimmten Verwaltungsgerichtshofes stehen sollten. Die private Abwehr sollen die Landgerichte und die ordentlichen Gerichte haben, aber die ordnungspolitischen gerichtlichen Entscheidungen, die hier notwendig sind, sollen in die Hände des Bundesverwaltungsgerichts gelegt werden.
Mit diesen wenigen Ausführungen möchte ich Sie mit dem Inhalt unseres Entwurfs bekanntgemacht haben. Ich darf hier noch einmal versichern: uns liegt genau so am Leistungswettbewerb, an der angemessenen Versorgung des Verbrauchers, die ein ständiger Bestandteil unseres Maßstabs für die Mißbrauchsbeobachtung und Mißbrauchskontrolle ist.
Außerdem noch eines. Vertrauen wir nicht allzu-stark bloß auf die Vorschriften, Herr Bundeswirtschaftsminister! Viel wichtiger als die Fassung, die herauskommt, wird vielleicht die Entscheidung sein, die Sie treffen, wenn Sie den ersten Präsidenten des Kartellamtes bestimmen. Wir haben doch heute das rigoroseste Kartellverbot, das zwar nicht inländischer, sondern besatzungsrechtlicher Herkunft ist. Bitte, meine Damen und Herren, machen Sie die Augen auf! Wo sind denn die energischen Eingriffe gegen die Großunternehmungen usw., gegen mißbräuchliches Vorgehen? Ich habe sie nicht erlebt. Man hat einige an den Marterpfahl gebunden, vielleicht sogar die Falschen. Aber ich vermisse diese Energie, die hier in Worten vorgetragen worden ist, in der Praxis.
({14})
Durch den ersten Kartellamtspräsidenten, wenn er, richtig ausgewählt ist, wenn er fachkundig ist und die entsprechende Energie hat, werden Sie vielleicht Ihrem Gedanken und unserem gemeinsamen Gedanken des Leistungswettbewerbs den größten Dienst erweisen, und damit möchte ich schließen.
({15})
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs unter Punkt 13 d hat der Abgeordnete Dr. Böhm.
Dr. Böhm ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Drucksache 1269 - ist von meinen Freunden und mir nicht deshalb eingebracht worden, weil wir besonders schwerwiegende Bedenken gegen den Regierungsentwurf in seiner ursprünglichen Fassung gehabt hätten. Wir sind vielmehr mit der Tendenz des Regierungsentwurfs grundsätzlich und mit seinem Inhalt auf sehr weiten Strecken durchaus einverstanden. Aber dieser Regierungsentwurf, der schon dem 1. Bundestag vorgelegen hat, hat eine lange Geschichte und eine noch längere Vorgeschichte gehabt. Zweimal hat der Bundesrat zu ihm Stellung genommen und jedesmal Änderungsvorschläge gemacht. Lange Zeit hindurch haben die maßgeblichsten Industriellenverbände, vor allem der Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Prinzip, auf dem der Regierungsentwurf aufgebaut ist, grundsätzlich widersprochen. Die Verbände und der BDI wollten kein Verbotsgesetz, sondern ein sogenanntes Mißbrauchsgesetz. Schließlich erklärte der BDI, auch ein Verbotsgesetz hinnehmen zu können,
({2})
wenn die Erlaubnismöglichkeiten wesentlich erweitert würden.
Kurz, je länger das Schiff des Regierungsentwurfs in den vorparlamentarischen Übungsgewässern seine Probefahrten mit geladenem Publikum machte und je mehr Experten ihre Hilfskonstruktionen anboten, desto mehr trat schließlich der merkwürdige Zustand ein, daß das durchaus liberale Schiff des Regierungsentwurfs, ohne daß Änderungen an ihm vorgenommen worden wären, allmählich rein politisch, nur nach der politischen Seite hin, eine bedenkliche merkantilistische und protektionistische Schlagseite bekam. Alle Änderungen nämlich, die in diesen letzten Jahren verlangt und angekündigt wurden, zielten in ein und dieselbe Richtung, nämlich in die Richtung: Weg von der Konzeption des Bundeswirtschaftsministers! Weg vom Wettbewerb! Hin zum Kartell! Und das alles unter der Flagge des Verbotsgesetzes! § 1 des Gesetzes sollte nach wie vor lauten: Kartellverbände sind unwirksam. Aber ein Teil der Fracht, die das Schiff in seinem Bauch mit sich führen sollte, waren eben offiziell erlaubte Kartelle. Die Fassung des Regierungsentwurfs allerdings will diese erlaubte Konterbande noch verhältnismäßig klein und bescheiden halten: erstens eine ganz bestimmte, gesiebte Sorte von Rationalisierungskartellen, zweitens streng ausgelesene Musterexemplare von Konjunkturkartellen und drittens noch Exportkartelle von nachgewiesener Stubenreinheit auf den Inlandsmärkten.
({3})
Das sind die ausgelesenen Ausnahmen.
Als sich der Bundesrat zum zweitenmal mit dem Gesetzentwurf befaßt hatte, war die Konterbande schon dicker geworden. Erstens kam noch eine
3) vierte Kategorie von erlaubten Kartellen hinzu, nämlich die Konditionenkartelle; von ihnen will ich gleich noch reden. Sodann hat der Bundesrat das Syndikatsverbot des Regierungsentwurfs in einer mehr als gefährlichen Weise aufgelockert, obwohl es sich bei Syndikaten um eine sehr straffe Kartellform handelt, die jedenfalls nicht harmlos ist. Das anerkennt selbst der den Kartellen am weitesten entgegenkommende Kartellgesetzentwurf meiner Fraktionsfreunde Höcherl, Stücklen, Seidl, Dr. Dollinger und Genossen, und zwar anerkennt er das dadurch, daß er die Syndikate unter das Verbotsprinzip stellt. Der Bundesrat aber hat Ausnahmen für Syndikate in viel weitergehendem Maße vorgeschlagen als der Regierungsentwurf. Erheblich erweitert wurde außerdem vom Bundesrat die Zulassung von Exportkartellen. Endlich hat der Bundesrat zwei weiteren Kartellarten zur Privilegierung verholfen, nämlich den Importkartellen mit Abwehrcharakter und den internationalen Kartellen. Was die letzteren betrifft, so scheint der Bundesrat davon ausgegangen zu sein, daß die Beteiligung deutscher Firmen an internationalen Kartellen schlechtweg im Interesse unseres Landes liege. Wir sollten es aber nicht unterlassen, von den Erfahrungen Kenntnis zu nehmen, die die Vereinigten Staaten mit amerikanischen Unternehmen und großen Gesellschaften gemacht haben, die sich an internationalen Kartellen zum Schaden ihres Landes und der amerikanischen Verbraucher beteiligt haben.
Jetzt noch ein Wort zu dem vom Bundesrat patronisierten Konditionenkartell. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie plötzlich die Meinung aufkam, Konditionenkartelle seien im Vergleich zu Preis-, Quoten- und Gebietsschutzkartellen harmlos bis nützlich. Untersucht hat das kein Mensch. In Wahrheit aber kann man nirgends deutlicher sehen, wie sehr sich die Stellung von Abnehmern verschlechtert, sobald sich die Lieferanten kartellieren, als gerade bei den Geschäftsbedingungen. Der Hauptinhalt von Geschäftsbedingungen besteht nämlich darin, daß die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts und des Handelsgesetzbuches zum Nachteil des Geschäftspartners abgeändert werden. Man kann also hier den Druck und die Benachteiligung, die Kartelle ihren Abnehmern zufügen, geradezu wie an einer Thermometerskala ablesen. Man braucht bloß den Inhalt der Kartellgeschäftsbedingungen mit den entsprechenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs zu vergleichen.
Aber das waren offenbar gar nicht die Überlegungen, die hier stattfanden. Die Überlegungen über Konditionenkartelle waren offenbar ganz anderer Art und sahen etwa so aus: Wenn wir die Konditionenkartelle zulassen, dann gewinnen wir vielleicht die Textilindustrie für das Erhardsche Kartellgesetz!
({4})
- Ich bitte um Verzeihung, wenn ich hier aus der Schule plaudere. Aber ich bin der Meinung, daß es zu den Aufgaben eines Bundestagsabgeordneten gehört, gelegentlich aus der Schule zu plaudern. Wenn das Volk und die politischen Parteien nicht wünschen, daß die Abgeordneten das tun, dann kann ich ihnen nur den Rat geben, bei den nächsten Wahlen keine Universitätsprofessoren mehr aufzustellen oder zu wählen!
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Nachdem der Bundesrat die Zahl der Ausnahmegenehmigungen vermehrt und eine weitere Bresche in das Prinzip des Verbotsgesetzes geschlagen hatte, war es nur natürlich, daß die Industriellenverbände nachstießen, um der Liste der erlaubten Kartelle neue Kartellkandidaten von approbierter volkswirtschaftlicher Harmlosigkeit bis Nützlichkeit hinzuzufügen. Das ist denn auch in den folgenden Monaten gründlich geschehen. Wenn der Regierungsentwurf insgesamt drei und der Bundesratsvorschlag insgesamt fünf bis sechs Kartellarten privilegiert, so sind es nach der Wunschliste des BDI insgesamt vierzehn geworden. Während der Regierungsentwurf für die Erlaubniserteilung nur ein einziges Verfahren vorsieht, sehen die Vorschläge des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ein ganzes, höchst kompliziertes Sortiment von Verfahrensarten vor. Acht privilegierte Tatbestände sollen nämlich schon kraft Gesetzes vom Verbot freigestellt sein, darunter so wichtige und fragwürdige wie konjunkturelle Krisenkartelle, wie Ausfuhrkartelle, wie internationale Kartelle ohne Inlandsbindung, wie alle nicht markenmäßigen Preisbindungen der nächsten Hand. Einige sollen anmeldepflichtig sein mit der Maßgabe, daß die Kartellbehörde binnen einer bestimmten Frist Einspruch einlegen kann. Bei anderen soll die Kartellbehörde auch noch nach Abschluß der Frist Einspruch einlegen können. Bei wieder anderen soll die Kartellbehörde das Recht haben, Rahmenregelungen anzuordnen, wieder bei anderen das Recht, die Erlaubnis zu erteilen, wieder bei anderen die Pflicht, die Erlaubnis zu erteilen, und bei einem winzigen Rest die Pflicht, die Erlaubnis zu versagen. Meine Damen und Herren, wenn eine solche Regelung Gesetz wird, dann sind der Präsident und die Beamten der Kartellbehörde zu
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beklagen, die sich in diesem Gestrüpp von Komplikationen zurechtfinden sollen.
Ganz abgesehen von der technischen Unvollziehbarkeit eines solchen Gesetzes möchte ich hier einmal die Preisfrage stellen: Was ist, wenn diese Vorschläge Gesetz werden, aus dem Grundsatz des § 1 des Regierungsentwurfs geworden, der besagt, daß Kartelle rechtsunwirksam sind? Wo finden Sie, wenn diese vierzehn Kartellarten vom Gesetz ausgenommen sind oder ausgenommen werden können, noch ein einziges Kartell, für das der § 1 gilt? - Man kann diese Frage nur folgendermaßen beantworten: Wenn diese Vorschläge Gesetz werden, dann können Unternehmer jedes beliebigen Produktionszweiges den Geschäftsführer ihres Verbandes auf Schadensersatz verklagen, wenn er es bei der Kartellbehörde nicht erreicht, daß ihr Kartell erlaubt wird.
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Diese Lösung bringt es ferner mit sich, daß die Kartellbehörde auf Jahre hinaus mit nichts anderem beschäftigt sein würde als damit, Tausende und aber Tausende von Erlaubnisanträgen zu bearbeiten. Für die Beaufsichtigung erlaubter Kartelle o der marktbeherrschender Unternehmungen oder für andere Dienstgeschäfte würde eine solche Kartellbehörde keine Zeit mehr haben, es sei denn, wir bauten sie zu einem Riesenapparat aus. Hier aber würde schon der Herr Bundesfinanzminister einen Riegel vorschieben, und was meine Person betrifft, so würde ich den Herrn Bundesfinanzminister in einer solchen Sparsamkeit nach allen Kräften unterstützen. Wir wollen eine kleine, keine aufgeblähte Kartellbehörde, eine Kartellbehörde, die wenig, nicht eine Kartellbehörde, die viel beaufsichtigen soll. Vor allen Dingen wollen wir keine Kartellbehörde, die damit beschäftigt ist, Kartelle, die kraft Gesetzes verboten sind, aber kraft Gesetzes erlaubt werden sollen, erlauben zu müssen.
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Nun, meine Damen und Herren, alles das, was ich Ihnen soeben gesagt habe, steht nicht im Regierungsentwurf. Wenn der Regierungsentwurf, so, wie er dasteht, ohne jede Änderung, auch ohne die kritisierten Bundesratsvorschläge, Gesetz würde, so würde ich das trotz einiger Bedenken gegen Einzelbestimmungen mitmachen. Wir sehen uns aber der Tatsache gegenüber, daß dieser Regierungsentwurf so, wie er dasteht, wahrscheinlich nach der Vorgeschichte gar keine große Aussicht haben würde, Gesetz zu werden. weil nämlich alle Stimmen, die sich bisher gemeldet haben, auf eine Verwässerung dieses Entwurfs in der Richtung auf eine Kartellerlaubnis und bloße Staatsüberwachung erlaubter Kartelle hin abgezielt haben.
Trotzdem würden meine Freunde und ich vielleicht keinen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, sondern uns mit bloßen Abänderungsanträgen begnügt haben, wenn nicht eine Gruppe von Parteifreunden aus der bedenklichen Sachlage eine klare Konseguenz gezogen und ihrerseits einen Gesetzentwurf eingebracht hätten, der klipp und klar vom Verbotsprinzip abgeht, das heißt, der offen und ehrlich ausspricht, daß Kartelle erlaubt sein sollen, und der sich darauf beschränkt. einer staatlichen Behörde das Recht zu geben, Kartelle, die ihre Macht mißbrauchen. nachträglich zu verbieten. Zwar macht auch dieser Entwurf Zugeständnisse an das Verbotsgesetz, wie wir soeben gehört haben, indem man nämlich Kartelle strafferer Art,
Kartelle, die sich nicht mit der Festsetzung von Preisen, Qualitäten, Normen und Geschäftsbedingungen begnügen, sondern die gegenüber den Mitgliedern noch Bindungen in bezug auf die Produktionsmengen oder die zu beliefernden Märkte auferlegen, dem Verbotsprinzip mit Ausnahmegenehmigung unterstellt. Aber wenn wir von diesem Entgegenkommen gegenüber der Konzeption des Bundeswirtschaftsministers absehen, so müssen wir zugeben, daß wir hier wieder einen klareren und übersichtlicheren Boden betreten als ,den Boden, den man mit den Abmachungen oder den Vorschlägen des BDI betreten hat.
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Gegenüber dem Verbotsprinzip des Regierungsentwurfs wird sozusagen schlicht und offen die Fahne des Mißbrauchsprinzips entrollt, und ich für meine Person müßte sagen: wenn ich vor die Alternative gestellt wäre, mich zu entscheiden, ob ich lieber für den Höcherl - Entwurf oder für einen nach Maßgabe der Vorschläge des BDI geänderten Regierungsentwurf stimmen würde, dann würde ich den Höcherl-Entwurf, weil er einfacher, klarer und offener ist, entschieden vorziehen. Der Gesetzentwurf ist nämlich der alten Kartellverordnung vorn November 1923 nachgebildet, und ich muß sagen: als ich ihn zum erstenmal gelesen habe, da hat er mich geradezu heimatlich angemutet. Ich habe nämlich als junger Beamter sieben Jahre lang mit der Kartellverordnung zu arbeiten gehabt. Wir haben damals mit sehr viel Schreibarbeit so gut wie nichts ausgerichtet, und ich glaube, wenn Herr Kollege Höcherl, der erklärt hat, daß man in Österreich und in der Schweiz und überall mit dem Mißbrauchsprinzip so gute Erfahrungen gemacht habe, in diese Länder ginge und die Beamten im Vertrauen fragte, ob sie gute Erfahrungen gemacht hätten, dann würden sie ihm sagen: „Es kommt darauf an. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollten, würden wir schlechte Erfahrungen mit diesem Gesetz machen, weil es uns keine Möglichkeiten gibt. Aber wenn wir so im Alltag wenig tun, wenn wir abwarten, bis sich ein Kartell so ungeschickt benimmt, daß die Presse Krach schlägt oder daß es im Landtag einen Skandal gibt, dann werden wir natürlich dieses Kartell einmal unter die Lupe nehmen. Im übrigen haben wir hier ein ganz gutes und angenehmes Leben. Insofern bewähren sich diese Gesetze natürlich bestens."
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Als ich mit der Aufgabe betraut war, die Bestimmungen der Kartellverordnung anzuwenden und Kartelle zu überwachen, habe ich die Überzeugung gewonnen, daß die Lösung, die die Kartellverordnung vorgesehen hat und die heute der Gesetzentwurf Höcherl vorsieht, eine Scheinlösung ist, daß diese Regelung nichts bewirkt, aber den Anschein erweckt, als werde etwas bewirkt. Deshalb habe nicht nur ich, sondern haben auch andere Persönlichkeiten, die damals Erfahrungen mit der Kartellverordnung gemacht haben, begonnen, darüber nachzudenken, wie das Kartell- und Monopolproblem wirklich wirksam und mit sichtbarem praktischem Erfolg gesetzgeberisch angepackt werden könnte. Der Erfolg dieser Gedankenarbeit waren Vorschläge und Vorstellungen, die haargenau mit dem Programm übereinstimmen, das Ihnen heute der Bundeswirtschaftsminister Erhard vorgetragen hat. Aber diese Gedankenarbeit von 25 Jahren hat mir denn auch den Ruf eines Theoretikers verschafft, der keine Ahnung von den Din({11})
gen hat und statt dessen in einer eingebildeten Welt, einem sogenannten Modell lebt. Nun, die Welt, in der ich damals sieben Jahre lang zu leben hatte, war nicht so, wie ich mir ein Modell vorstelle, sondern eine Welt der Tatsachen, und diese Tatsachen haben mich bis heute nicht wieder losgelassen. Dafür, daß diese Tatsachen u. a. auch mein Gehirn in Bewegung versetzt haben, muß ich freilich diejenigen, die darin eine Versündigung gegen den Geist der Praxis erblicken, herzlich um Verzeihung bitten.
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Der Höcherl-Entwurf war es, der meine Freunde und mich veranlaßt hat, endlich auch einmal etwas in der anderen Richtung zu unternehmen, nämlich in der Richtung auf diejenige Idee hin, die dem Regierungsentwurf zugrunde liegt. Wir fanden es an der Zeit, diesem Hohen Hause nach so vielen Versuchen, ein Verbotsgesetz zu verwässern, endlich einen Entwurf vorzulegen, der mit dem Verbotsgesetz wirklich ernst macht, einen Versuch, ein Verbotsgesetz so zu formulieren, daß es keine Türen mehr hat, durch die Erscheinungen in die Legitimität hereingelangen können, die das Gesetz im Grunde nicht darin haben will.
Der entscheidende Fehler des Regierungsentwurfs schien uns darin zu liegen, daß er das Prinzip, nach dem Kartelle ausnahmsweise erlaubt werden können, falsch wählt. Wenn wir nämlich zwischen nützlichen und harmlosen Kartellzwecken einerseits und schädlichen Kartellzwecken andererseits unterscheiden und etwa - wie Herr Kollege Höcherl - sagen: horizontale Kartelle sind bedenklich, vertikale Kartelle sind weniger bedenklich - das wäre Ihr Entwurf -, oder: Inlandskartelle sind schädlich, Export-, Import- oder internationale Kar» telle dagegen sind nützlich, oder: einfache Kartelle, Preiskartelle, sind harmlos, aber Quoten- und Gebietsschutzkartelle oder gar Syndikate sind gefährlich - das ist ja die Idee des Höcherl-Entwurfs -, oder: Preiskartelle sind dann gefährlich, wenn die Konjunktur ansteigt, aber nützlich, wenn sie absinkt; oder wenn wir einen Unterschied zwischen sogenannten konjunkturellen oder strukturellen Krisenkartellen machen und diesen Unterschied dann sieben Monate später wieder fallenlassen, oder wenn wir Konditionen- und Rationalisierungskartelle als den Gipfel der Harmlosigkeit oder als den Gipfel der volkswirtschaftlichen Vernunft erklären, dann erreichen wir nichts anderes, als daß jedes Kartell in seine Satzung oder in seinen Vertrag hineinschreibt, daß es gerade dem Zweck dient, der dem Gesetzgeber in seiner unergründlichen Weisheit als ein harmloser oder als ein nützlicher Zweck vorgeschwebt haben mochte.
({13})
Verbieten wir die horizontale Kartellierung, so werden alle Wirtschaftszweige, die sich kartellieren wollen, sich vertikal kartellieren, oder umgekehrt. Das wäre ein untüchtiger Kartelljurist, der das nicht zustande brächte!
Mit einem Wort: Jedes Gesetz, das die Erlaubniswürdigkeit eines Kartells von den Zwecken abhängig macht, die das 'betreffende Kartell verfolgt, macht eine Tür auf, durch die schlechthin alle Kartelle in die Legalität hineinmarschieren wollen, und viele von Ihnen werden es auch erreichen, daß sie hineinmarschieren dürfen. Denn wo gibt es ein Kartell, das nicht von sich behaupten könnte, es beschäftige sich mit Rationalisierung oder mit der Selbstverteidigung gegen konjunkturelle Krisen oder mit Geschäftsbedingungen oder mit Export oder Import?
Solche Ausnahmetatbestände, wie sie der Regierungsentwurf in den §§ 2 bis 5, die Bundesratsvorschläge in den §§ 1 a, 2 bis 5, 5 a und 5 b und die Vorschläge des BDI in vierzehn Nummern vorsehen, wirken in der Praxis nicht anders als Persilscheine, die sich jeder Geschäftsführer beschaffen kann, wenn er nicht sehr weit von Bonn entfernt lebt. Wenn dann ein Kartell einen solchen Persilschein vorlegt, kann sich ein fleißiger Beamter der Kartellbehörde vierzehn Tage lang damit amüsieren, ihn unter die Lupe zu nehmen, wobei er in der Regel ohne Entsendung von Wirtschaftsprüfern in den betreffenden Betrieb gar nicht auskommt.
Ein echtes Verbotsgesetz muß von ganz anderen Grundsätzen ausgehen. Es muß sagen: Normalerweise spricht die Vermutung dafür, daß ein Markt besser organisiert ist, wenn kein Kartell besteht, als wenn sich die Teilnehmer der einen Marktseite gegen die andere ,kartelliert haben. Wenn also ein Kartell beansprucht, erlaubt zu werden, dann muß es zunächst einmal dartun, daß auf dem Markt, auf dem es tätig sein will, ohne Kartellierung volkswirtschaftlich schädliche Zustände herrschen. Das muß 'dargetan werden, und es muß feststehen, das darf nicht nur einfach 'behauptet werden. Zweitens muß dargetan werden, daß diejenigen marktregelnden Bestimmungen, für die das Kartell die Genehmigung haben will, geeignet sind, die Schäden des nicht kartellierten Marktes zu beseitigen oder fühlbar abzumildern.
Die Kartellbehörde muß drittens überlegen, daß ein Kartell, das sie heute unter ganz bestimmten Umständen erlaubt, morgen seine Preise, Quoten, Geschäftsbedingungen und Mengenbestimmungen ändern kann oder daß sich bei gleichbleibenden Preisen, Quoten usw. die Außenweltverhältnisse ändern, so daß das gleiche Kartell, das gestern vielleicht einen Mißstand auf einem freien Markt beseitigt hat, morgen selbst zu einem Mißstand auf diesem - nun nicht mehr freien - Markte wird. Soll nun Privatleuten durch eine Kartellerlaubnis die Macht gegeben werden, Wirtschaftspolitik zu treiben, also etwas zu tun, was von Rechts wegen nur die Regierung tun sollte, die dem Parlament Rechenschaft schuldet und vom Parlament, von der Presse und von den Gerichten kontrolliert wird?
Schließlich muß die Kartellbehörde prüfen, ob der Mißstand, der im Falle der Gewerbefreiheit entstanden ist, nicht durch andere, weniger bedenkliche Mittel beseitigt werden kann als durch das freie Ermessen von Privatleuten, die keine politische Verantwortung tragen und denen gegenüber die Außenseiter, Lieferanten und Kunden in ihren Grundrechten und in ihrer Gewerbefreiheit nicht geschützt sind. Denn unsere Grundrechte sind nur der Staatsgewalt gegenüber geschützt, aber nicht gegenüber Privatleuten, die Macht haben.
Ein echtes Verbotsgesetz muß also der Kartellbehörde zur Pflicht machen, zu prüfen, ob alle diese vier Voraussetzungen vorliegen, bevor sie eine Ausnahmeerlaubnis erteilt. Ferner muß die Kartellbehörde verpflichtet sein, ihre Erlaubnis mit der gleichen Sorgfalt zu begründen, mit der ein Gerichtsurteil begründet werden muß. In dieser Begründung muß dargetan werden, daß die vier Voraussetzungen vorliegen und warum. Schließlich muß die Entscheidung mitsamt ihrer Begründung veröffentlicht und damit der Kritik der Wissenschaft und der Presse unterbreitet werden. So und
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nur so können wir den Wettbewerb und die Wirtschaftsfreiheit ausreichend schützen, wenn wir der Meinung sind, daß der Wettbewerb und die Wirtschaftsfreiheit schutzwürdige Güter sind. Ich habe mit großer Freude aus dem Munde von Herrn Kollegen Höcherl erfahren, daß auch er die Wettbewerbs- und die Wirtschaftsfreiheit für schutzwürdige Güter hält.
Hier kommen wir nun zu der eigentlichen Streitfrage: Sind der Wettbewerb und die Wirtschaftsfreiheit überhaupt schutzwürdige Güter? Unter der Hand wird das nämlich immer wieder bestritten. Wie wird unsere Wirtschaft aussehen, wenn diese Güter durch Gesetz so wirksam geschützt sind, wie wir es tun können, und wie wird die Wirtschaft aussehen, wenn wir es nicht tun, sondern Verträge, die den Wettbewerb beschränken, ebenso schützen wie andere Verträge? Nun, der Unterschied zwischen diesen beiden Ergebnissen ist das Entscheidende, und über diesen Unterschied hat ,der Herr Bundeswirtschaftsminister an dieser Stelle das Nötige gesagt. Ich würde das, was er gesagt hat, in seiner Wirkung nur abschwächen können, wenn ich es mit anderen Worten wiederholen wollte.
Wenn wir versuchen, den Wettbewerb so weit zu schützen, als es irgend geht, dann haben wir selbstverständlich nicht eine Volkswirtschaft, in der der lautere sogenannte vollständige Wettbewerb herrscht, sondern wir haben eine Wirtschaft, in der es auf einzelnen Märkten immer noch Monopole, Oligopole, gestörten Wettbewerb und andere unregelmäßige Erscheinungen gibt. Wenn wir aber nicht schützen, wenn wir die Verbotsgesetzgebung nicht machen, dann haben wir wesentlich mehr monopolisierte Märkte, als wir sonst haben würden, und wir haben eine Ermutigung der Monopolisierung, wir haben eine Tendenz, den Wettbewerb zu entmutigen, und umgekehrt, im Falle des Schutzes, eine Entmutigung derer, die monopolisieren wollen, und eine Ermutigung aller wettbewerbsbereiten Kräfte. Die Einstellung des Staates und der Rechtsordnung ist also nicht gleichgültig.
Wie wirkt denn ein Plus an Monopolisierung?
Erstens. Wenn wir mehr monopolisierte Märkte haben, dann wird unser Sozialkuchen im ganzen kleiner.
Zweitens. Der Sozialkuchen wird anders verteilt, als wenn die Märkte nicht monopolisiert oder weniger Märkte monopolisiert wären. Es kommt dann lediglich auf die Kartellierungsfähigkeit oder auf den Elastizitätsgrad der Nachfrage an, also auf Momente, die mit sozialer Gerechtigkeit, mit Leistung, mit Verdienst nicht das mindeste zu tun haben; sondern derjenige verdrängt andere aus dem Brot, der zufällig eine kartellierbare Ware herstellt oder der zufällig eine leicht monopolisierbare Ware produziert und außerdem einen Bedarf befriedigt, der auf die Ware nicht verzichten kann.
Drittens. Jede Zunahme der Monopolisierung - und das ist ein Moment, das in der Diskussion bisher viel zuwenig betont worden ist, obwohl es frühere Gremien, z. B. ,die Juristentage 1902 und 1904, auch den Enquete-Ausschuß sehr beschäftigt hat -, jede Zunahme von Kartellen und Monopolen brutalisiert den Wirtschaftskampf. Kämpfe zwischen Mächten, die sich um die Macht balgen, werden brutaler ausgefochten als Wettbewerbskämpfe zwischen Unternehmern ohne Marktmacht.
Viertens. Kartelle und Monopole gefährden in einem gewissen Grade die Grundrechte und die Gewerbefreiheit auf ihren Lieferantenmärkten und auf ihren Absatzmärkten, so daß man den Grundsatz aufstellen kann: Wer Macht hat, der hat keinen Anspruch darauf, frei zu sein, und wer frei sein will, der sollte keine Macht haben, wenigstens keine typische und weit ausgebreitete Macht, die ihn zum Herrn des Schicksals über soundso viele Berufschancen von Individuen erhebt. Denn die Marktreglementierung, wie sie ein Kartell und ein Monopolunternehmen vornimmt, ist ihrer Natur nach ein wirtschaftspolitischer Akt. Man kann das nicht durchweg verhindern. Man kann das Hineinwachsen großer Unternehmungen und Konzerne in die Marktmacht nicht immer verhindern. Wo es aber verhindert werden kann und nicht verhindert wird, da sind der Staat und der Gesetzgeber dafür verantwortlich, was dieser Machtträger dann nachher treibt.
Über das Mißbrauchsprinzip hat der Herr Bundeswirtschaftsminister ausgiebig gesprochen: Ich kann mir das ersparen.
Der Gesetzentwurf, den meine Freunde und ich vorgelegt haben, soll im übrigen nicht nur die Ausnahmegenehmigung erschweren, sondern wir haben gleichzeitig die Gelegenheit ergriffen, den Regierungsentwurf auch noch in anderer Hinsicht zu verbessern.
Erstens. Es wird ein Schutz gegen die Vergröberung des Wirtschaftskampfes angestrebt, und zwar dadurch, daß in einem dem § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nachgebildeten Paragraphen das Prinzip des Leistungswettbewerbs statuiert wird. Die Folgen eines Verstoßes sind Schadensersatz- und Unterlassungspflichten. Außerdem wird auf diesem Gebiet der Kartellbehörde das Recht gegeben - und dieses Recht müssen wir ihr geben -, mit einstweiligen Verfügungen einzugreifen. Denn die Machtmittel von Konzernen, marktbeherrschenden Einzelunternehmen und erlaubten Kartellen sind ungemein rasant, man denke z. B. Sperren oder gezielte Vernichtungs-Preisunterbietungen. Sie sind so rasant, daß ein Gerichtsurteil immer zu spät kommt. Bis allein Klage erhoben wird, ist der Mann zur Strecke gebracht, oder er hat schon vorher nachgegeben und ist entweder dem Kartell beigetreten oder hat sich dem Konzern eingegliedert, oder er hat sich der Marktstrategie des betreffenden Unternehmens unterworfen.
Zu dieser Sache hat schon vor einem halben Jahrhundert ein großer Jurist, der frühere österreichische Justizminister Franz Klein, der Schöpfer der österreichischen Zivilprozeßordnung, zur Kartellfrage auf den Juristentagen in Innsbruck 1902 und in Berlin 1904 mit sehr ernsten Ausführungen Stellung genommen. Er hat gesagt: Im Wirtschaftskampf rauchloses Pulver und Schnellfeuergeschütz und im Rechtskampf bestenfalls Vorderlader. - Das ist der Niveauunterschied. Ich darf vielleicht eine ganz kurze Stelle aus diesen Ausführungen aus dem Jahre 1904 mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zum Vortrag bringen. Klein sagt:
Es darf im Rechtsschutz keine Niveauverschiedenheiten geben, und am allerwenigsten darf dort, wo die Akkumulierung wirtschaftlicher Macht von vornherein für den Sieg des bloß durch Paragraphen geschützten Interesses fürchten läßt, der Rechtsschutz ein geringerer sein. Eine Rechtsform muß desto fester fundiert, desto präziser wirkend und schlagkräftiger sein, mit einer je größeren wirtschaftlichen Energie sie zu ringen bestimmt ist.
- Wie wahr das ist, das haben uns die letzten Jahrzehnte gründlich gelehrt.
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Die großen Kapitalien, die Verbände und Unternehmungen, die Koalitionen hier und dort drohen und zwingen und beeinflussen den Willen in äußerlich höchst zivilisierten Formen. Aber der Zwang, den sie ausüben, ist innerlich viel elementarer als der, mit dem der Gesetzgeber bislang zu rechnen gewohnt war.
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Mir und den Einbringern des Gesetzes ist nun der Vorwurf gemacht worden, daß gerade die Vorschriften, die wir zum Schutz gegen solche Strangulierung,- und Niederknüppelungsmethoden vorsehen, tief in die Betriebsleitungsbefugnisse eines marktstarken Unternehmens eingreifen. Ja, meine Damen und Herren, wenn Sie einen anderen Weg wissen, den durch solche Maßnahmen gefährdeten Landsmann zu schützen, ohne daß der Staat mit demjenigen, der diesen Druck ausübt, ein Hühnchen rupft, ihm in seinen Betrieb hineinschaut und ihn in seinen Betriebshandlungen insoweit seiner Freiheit beraubt oder mindestens indirekt in Strafe nimmt, wenn Sie den Weg wissen, den Pelz zu waschen, ohne ihn naß zu machen, dann sagen Sie ihn mir bitte! Meine Freunde und ich sind aber bereit, auch solche Unzuträglichkeiten hinzunehmen. Wir müssen sie hinnehmen, denn wir können gerade dem Mittelstand nicht mit gutem Gewissen verwehren, sich in einem Kartell mit einem Großbetrieb zusammenzuschließen, um sich auf diesem Wege gegen den Großbetrieb zu schützen. Das können wir nicht verwehren, wenn wir nicht auf der anderen Seite dafür sorgen, daß die Rechtsordnung schneidigere und einschneidende Maßnahmen gegen solche Druckausübungen zur Verfügung stellt. Denn das gewerbliche Dasein eines kleinen oder mittleren Unternehmers neben einem sehr großen Unternehmen ist mit übermäßigen Risiken belastet, und wir können davor nicht die Augen verschließen.
Unser Gesetzentwurf sieht also über die Erschwerung der Ausnahmen hinaus erstens einen Schutz gegen die Brutalisierung des Wirtschaftskampfes vor, zweitens einen Schutz gegen die Verkümmerung der Gewerbefreiheit von Vorlieferanten und Nachlieferanten. Denn wer der einzige Anbieter oder Nachfrager auf einem Markte ist, der hat praktisch in der Hand, zu bestimmen, welche Unternehmer Lieferanten sein dürfen und welche Unternehmer von ihm beliefert werden. Das Berufsschicksal hat er in der Hand. Darum sieht unser Entwurf eine Vorschrift vor, die es jedem Inhaber wirtschaftlicher Macht, also jedem, der der Aufsicht der Kartellbehörde unterstellt ist, zur Pflicht macht, die Gewerbefreiheit seiner vor- und nachgelagerten Märkte seinerseits zu respektieren und dafür zu sorgen, daß der freie Zugang zu diesen Märkten erhalten bleibt. Wenn hier zuwidergehandelt wird, dann soll ebenfalls die Kartellbehörde einstweilige Verfügungen erlassen dürfen.
Drittens. In bezug auf die Behandlung der Konzerne ist unser Entwurf etwas weniger streng als der Regierungsentwurf. Der Regierungsentwurf sieht vor, daß neue Konzernbildungen - das sind also keine Kartellbildungen, sondern Verschachtelungen von Unternehmen mit der Wirkung, daß wirtschaftlich ein einziges großes Unternehmen entsteht - verboten sind, wenn nicht die Erlaubnis der Kartellbehörde dafür vorliegt, allerdings nur in solchen Fällen, in denen der Zusammenschluß zur Folge haben würde, daß ein marktbeherrschendes Gesamtunternehmen entsteht. Das erzeugt eine sehr große Rechtsunsicherheit; denn man kann nicht recht genau vorher wissen - bei Zusammenlegungen, bei Beteiligungen, bei Aktienerwerb, bei Verabredungen über gemeinsame Besetzung von Aufsichtsräten oder von Vorstandsmitgliedsstellen -, kann auch nicht vorher genau berechnen, ob nun die Entstehung eines marktbeherrschenden Unternehmens die Folge sein wird. Davon soll aber abhängig gemacht sein, ob nun der Zusammenschluß der Genehmigung bedarf oder ob er nicht der Genehmigung bedarf. Infolgedessen haben wir die Sache umgedreht und gesagt: Solche Zusammenschlüsse sind an sich erlaubt; sie können aber, wenn diese Wirkung zu befürchten steht, von der Kartellbehörde verboten werden. Hier muß also die Kartellbehörde mit einer Entscheidung eingreifen, und zwar wegen der ungewissen und komplizierten Sachlage.
Außerdem sieht der Entwurf vor, daß alle Formen der privaten Marktmacht sozusagen der Staatsaufsicht unterstellt werden. Dabei sind wir uns ganz klar darüber, daß die Staatsaufsicht kein wirksames Instrument ist. Sie kann nur sogenannte Mißbräuche bekämpfen; aber alles das, was volkswirtschaftlich allgemein schädlich oder bedenklich ist, kann sie nicht bekämpfen. Dieses Bedenkliche ist ja schon eingetreten, wenn bloß das Kartell da ist oder wenn bloß schon die wirtschaftliche Macht begründet ist, nicht erst, wenn sie darüber hinaus mißbräuchlich handelt. Denn was bedeutet Mißbrauch? In der Praxis bedeutet Mißbrauch ein geradezu skandalöses Benehmen. Man muß „auffallen" wie beim Militär, man muß so töricht sein, daß man als Konzern oder Kartell unliebsam auffällt. Alles übrige müssen wir doch durchgehen lassen. Sonst könnten wir ja doch hinter der halben deutschen Industrie herlaufen, hinter soundso viel Unternehmen, und versuchen, den Leuten hier und dort in ihren Betrieb hineinzureden, was doch kein Mensch will.
Wir brauchen uns also gar keinen Illusionen über die Wirksamkeit der Staatsaufsicht oder über deren geringe Bedeutung hinzugeben. Wenn in unserem Entwurf drinsteht, wer alles der Staatsaufsicht untersteht, so sieht das ein bißchen hochstaplerisch aus, als ob wir damit irgend etwas erreicht hätten. Nein, meine Damen und Herren, diese Bestimmungen über die Staatsaufsicht haben einen anderen Zweck. Wenn wir alles, was fühlbaren Markteinfluß hat, unter die Staatsaufsicht stellen, also u. a. auch solche Kartelle, die zwar rechtsunwirksam sind, aber trotzdem eingehalten werden, dann wollen wir damit nicht so sehr erreichen, daß diese Machtinhaber von der Staatsaufsicht am Kanthaken gefaßt werden, sondern wir wollen erreichen, daß diesen Gebilden strengere Pflichten aufgehalst werden, strengere Pflichten in bezug auf die Führung des Wirtschaftskampfes, strengere Pflichten in bezug auf die Schonung der Gewerbefreiheit ihrer Vertragskontrahenten. Solche Schadensersatzprozesse und solche einstweiligen Verfügungen sind kein Pappenstiel.
Im übrigen - das ist noch wichtig - setzt dieser Gesetzentwurf voraus, daß der § 31 Ziffer 1 der Regierungsvorlage wegfällt. Dieser Paragraph bestimmt nämlich: Wer sich über die Nichtigkeit eines Vertrages hinwegsetzt, wird bestraft. Das heißt: Nach dem Regierungsentwurf ist nicht bloß ein Kartellvertrag nichtig. sondern es ist auch die Teilnahme an einem nichtigen Kartell strafbar. Das wollen wir nicht. Wenn diejenigen, die einen nichtigen Kartellvertrag abgeschlossen haben. ihn freiwillig, ohne richterlichen Zwang, ohne Vertragszwang erfüllen, dann wollen wir nicht, daß
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gestraft wird, weil das ein Denunzierungstatbestand wäre. Denn wir vertrauen allein auf die Kraft des Wettbewerbs, nicht auf die Kraft des Staatsanwalts. Wir sind der Meinung, wenn wir den Rechtsschutz dem Kartell entziehen und die Formen der Ausübung von Druck und Zwang unter ein schneidiges Recht stellen, dann haben wir getan, was wir tun können. Wer dann aus freien Stücken, obwohl er es darf, keinen Wettbewerb treiben will, den wollen wir auch nicht mit Strafen zum Wettbewerb anhalten. Das wäre ein schöner Wettbewerb, wenn wir wie Friedrich Wilhelm I. mit erhobenem Krückstock hinter unsern Unternehmern herlaufen und rufen wollten: Wollt ihr wohl Wettbewerb machen!
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Das können wir natürlich nicht tun und das wollen wir nicht. Infolgedessen sieht unser Gesetzentwurf diesen § 31 Ziffer 1 nicht vor, also keine Strafbestimmungen, wohl aber Strafbestimmungen für solche, die mehr oder weniger gewerbsmäßig durch Versendung von Preismitteilungen und Preisempfehlungen und anderen Dingen vertragslose Kartelle en gros organisieren. Lediglich die Manager wollen wir treffen mit Geldstrafen, aber sonst niemanden.
Ich bin hiermit am Ende. Ich möchte noch ein Wort sagen zu dem Vorwurf des Dirigismus, der unserem Kartellentwurf in der Öffentlichkeit gemacht worden ist, weil wir nämlich die Zulassung von Kartellen an so schwere und komplizierte Voraussetzungen binden. Wir wollen damit doch nur erreichen, daß nur solche Kartelle erlaubt werden können, bei denen man es wirtschaftspolitisch ) verantworten kann. Die Vorschriften werden die Wirkung haben, daß nur wenige Erlaubnisse erteilt werden können. Nun ist aber doch nur eine solche Maßnahme der Kartellbehörde dirigistisch, die ein Kartell erlaubt, nicht eine solche Maßnahme, durch die eine Erlaubnis versagt wird. Denn wenn das Kartell erlaubt wird, dann wird ein Markt, der bisher nicht reglementiert worden ist, sondern frei war, zur Reglementierung durch Privatpersonen freigegeben. Das ist indirekt ein dirigistischer Akt, ein Akt, der viel gefährlicher ist als eine unmittelbar staatliche Intervention. Denn hier überläßt der Staat etwas, was er selber tun sollte, Privatleuten, die parlamentarisch nicht verantwortlich sind. Wenn aber eine Kartellbehörde eine Kartellerlaubnis verweigert, stellt sie ja damit fest, daß dieser Markt frei bleiben, sich selbst überlassen und nicht reglementiert werden soll. Das ist in meinem Sprachgebrauch das Gegenteil von Dirigismus.
Wenn ein Gesetzentwurf frei von Dirigismus ist; dann ist es dieser. Er will in der Wirtschaft das Höchstmaß von Freiheit gewährleisten, das sich vom Recht überhaupt gewährleisten läßt. Er will die Wirtschaft auch nicht zur Freiheit und zum Wettbewerb zwingen; wohl aber ist es die Absicht dieses Entwurfs, den Zwang zur Beschränkung des Wettbewerbs und der Freiheit zu verhindern. Wenn Wirtschaftsgruppen oder Inhaber von Marktmacht Zwang ausüben, dann will dieser Gesetzentwurf allerdings auch Zwang ausüben, und zwar Zwang zur Verhinderung des Zwangs.
Das ist im großen und ganzen die Konzeption dieses Gesetzentwurfs, der, wie ich glauben möchte, den Anspruch erheben kann, eine einheitliche Linie zu haben und einer automatischen Selbstaushöhlung durch falsch gegriffene Erlaubnistatbestände soweit vorzubeugen, als man das tun kann.
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Meine Damen und Herren, vielleicht interessiert es Sie, zu wissen, wieviel Redner sich bisher gemeldet haben. Ich will es bekanntgeben, damit die Herren, die zu sprechen beabsichtigen, ihre Konzepte ordnen können.
({0})
Acht Redner haben sich bisher gemeldet. Man hat mir gesagt, daß noch eine ganze Reihe im Hinterhalt warte.
({1})
- Ich kann das leider nicht, Frau Kollegin. ({2})
- Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Köhler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sich acht Redner gemeldet haben, dürfen wir diese Tatsache nicht außer acht lassen. Es ist jetzt 10 Minuten nach 7 Uhr, bleiben 110 Minuten. Das wäre, durch acht dividiert, für jeden Redner eine Redezeit von etwa 15
({0}) oder 16 Minuten.
Herr Abgeordneter, ich weise Sie darauf hin, daß wir nicht wissen, ob sich nicht neue Redner melden. Dann änderte sich der Divisor.
Ich höre eben zu meiner Überraschung, daß sich die Freunde von der SPD noch nicht gemeldet haben. Also kommen wir auf, sagen wir mal, etwa zehn; dann würden zehn bis zwölf Minuten für jeden Redner zur Verfügung stehen.
Ich möchte einen Vorschlag zur Güte machen, damit die Debatte auch sinnvoll ist und verhindert wird, daß diejenigen, die am Schluß der Rednerliste stehen, wegen der Notwendigkeit, um 9 Uhr zu schließen, nicht mehr zu Worte kommen. Könnten wir uns nicht dahin verständigen, daß sich die Redner freiwillig auf etwa 10 bis 12 Minuten beschränken?
({0})
Das ist ein Vorschlag zur Güte. Unbeschadet der vorbereiteten Manuskripte!
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Ich rede zur Güte und zur Verständigung und zur Toleranz.
Ich nehme an, daß diese Bemerkung zur Geschäftsordnung als ein Aufruf zur Diskretion und Selbstbeschränkung gemeint war.
Nun werde ich das Wort weiter erteilen. Zunächst Abgeordneter Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, dem Wunsche unseres Kollegen Köhler nachzukommen und in zehn Minuten das zu sagen, was nach meiner Überzeugung gesagt werden muß, weil diese
({0})
Frage, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister mit Recht dargelegt hat, wirklich eine der ganz großen und entscheidenden Fragen unseres gesellschaftlichen Lebens ist.
Die schwache Besetzung des Hauses könnte draußen den Eindruck erwecken, man betrachte hier im Hause diese Frage -- so wird es manchmal von Interessenten auch gewünscht - als eine Angelegenheiten von Spezialisten. Meine Damen und Herren, wer die Tragikomödie kennt, von der vorhin von dem Redner der sozialdemokratischen Fraktion gesprochen wurde - diese Tragikomödie hat ja nicht erst bei diesem Kartellgesetzentwurf angefangen, sondern sie ist ein Stück der deutschen Geschichte -, der weiß, wie viel vom Machtsystem, wie viel von der echten Auffassung von Demokratie für die Frage abhängt, ob wir dieses Problem wirklich lösen oder nicht. Es ist doch kein Zufall, daß die angelsächsischen Länder, in denen der bürgerliche Individualismus, wie jeder weiß, in ganz anderer Weise geschichtlich wirksam war als in unserem Vaterlande, alle Verbotsgesetze haben oder daß sie, wie England selbst, nicht einmal das nötig haben seit jenem Tage, an dem Richter Coke zur Zeit der Bill of Rights den Anspruch der Ärzte von London, einen Kollegen nicht zuzulassen, weil sie der Meinung waren, daß dadurch ihr Monopol gestört werden könnte, mit Gründen zurückwies, die auch heute noch für die Praxis der englischen Gerichte in der Frage der Wettbewerbsbeschränkung gelten. Glückliches Land, das auf eine solche Tradition zurückblicken kann!
Wir haben dafür das Schicksalsjahr 1879, von dem ein merkwürdiges Blättchen, die „Kartelldebatte", das hier verteilt wird, behauptet, es handle sich um eine Erfindung des MorgenthauPlanes. Jeder von uns, der deutsche Geschichtsbücher kennt, weiß, was davon zu halten ist. Im Jahre 1879 kam im Reichstag die erste Interpellation zur Frage des Schienenkartells. 1900 forderte die nationalliberale Reichstagsfraktion zum ersten Male, im Jahre 1908 die Zentrumspartei das Monopolamt. Jeder Versuch des Deutschen Reichstags, die Frage in Angriff zu nehmen, scheiterte an dem Widerstand der Regierung. Sie beantwortete bekanntlich den Zentrumsantrag mit dem Kaligesetz, d. h. mit einem Gesetz, in dem das Zwangskartell zwar nicht expressis verbis gefordert, durch das es aber praktisch eingeführt wurde. Wer das weiß, weiß auch, daß diese Frage eine eminent politische Frage ist.
Ich will jetzt die Unterhaltung über die Ereignisse, über die die Herren von der sozialdemokratischen Fraktion hier gesprochen haben, nicht noch vertiefen. Ich glaube aber, ich darf einen anderen Appell gerade angesichts dieser Dinge an den Herrn Bundeswirtschaftsminister richten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat, wie im „Bulletin" vom 12. Januar zu lesen steht, United Press ein Interview über die Frage der wirtschaftlichen Folgen der Wiederaufrüstung gegeben. Er hat sich dabei nicht nur über den Verlauf der Dinge, sondern auch über die Möglichkeit von Regierung und Parlament, sich mit den uns gegebenen Machtmitteln einer allgemeinen Preishausse entgegenzustellen, sehr optimistisch geäußert. Nun, meine Damen und Herren, für die ungeheuer wichtige Frage, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard mit uns zusammen, wenn es einmal so weit ist, in der Lage sein wird, von den vorhandenen Machtmitteln Gebrauch zu machen, wird die Entscheidung über das Kartellgesetz einen wichtigen Test bilden.
({1})
Wenn wir nämlich die Macht nicht haben, ein Kartellgesetz durchzusetzen, wie es dem Gewissen
und der volkswirtschaftlichen Einsicht der Mehrheit dieses Hauses entspricht, wenn wir hier vor
Interessenten kapitulieren, dann, meine Damen
und Herren, werden wir auch das andere nicht
durchsetzen. Denn das bedeutete, daß in dem sogenannten vorparlamentarischen Raum Kräfte
wirksam sind, denen sich die Regierung und das
Parlament dann offenbar nicht entziehen könnten.
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Nun die merkwürdige Art, wie zu dieser Diskussion gerade vom Bundesverband der Industrie Beiträge geliefert werden! Da verschreibt man sich ein Gutachten eines sozialistischen Theoretikers, eines Universitätsprofessors, von dem jeder weiß, daß er ein sozialistischer Kritiker der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und der freien Marktwirtschaft ist. Der muß jetzt herhalten, um im Auftrage des Bundesverbandes der Industrie den Nachweis zu führen, daß die ganze Angelegenheit mit dem freien Wettbewerb ein Märchen ist. Denn darauf läuft es doch hinaus, wenn man diese Modellvorstellung jetzt als ein Schulbeispiel bagatellisieren will und gar nicht daran denkt, daß alle wissenschaftlichen Theorien Modelle sind, auch die der Physik und alle anderen.
Das erste Gutachten war das von Herrn Professor Isay. Man lese seinen Kommentar zur Mißbrauchsgesetzgebung der Weimarer Zeit, zur Mißbrauchsnovelle, die Stresemann damals im Reichstag eingebracht hat, und man wird genügend Stoff finden für die Kritik dessen, was z. B. an dem Entwurf, der uns heute vorgelegt worden ist, zu kritisieren ist.
Es hat mich besonders erfreut, daß Herr Professor Isay in dem Gegengutachten einen Appell an die Inhaber wirtschaftlicher Macht richtet. Er sagt: Auch, wirtschaftliche Macht verpflichtet. Das ist an sich richtig. Ich muß aber sagen: Wenn das unser einziger Schutz vor einem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht sein soll, dann gnade uns Gott!
Des weiteren ein paar ökonomische Fragen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinen Darlegungen immer nur vom Kartell gesprochen. Die Gegner seiner Auffassung zerpflückten das und sagen: Man darf nicht sagen Kartell schlechthin, sondern man muß unterscheiden zwischen den einzelnen Funktionen. Das ist zum Teil richtig. Es ist aber insofern doch nicht ganz richtig - und das weiß natürlich Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard ganz genau -, als die verschiedenen Kartellfunktionen, wie uns vor allem die deutsche Geschichte beweist, in einem inneren Entwicklungszusammenhang stehen. Es fängt doch immer mit dem Konditionenkartell an. Aus dem Konditionenkartell wird nach der Ratio dieser Dinge das Preiskartell, und nach derselben Ratio muß das Preiskartell entweder Gebietskartell oder Quotenkartell werden, und das Entscheidende ist dann das Syndikat. Das ist doch ein Gesetz der inneren Entwicklung. Deshalb ist es gar nicht falsch, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister - vielleicht etwas vereinfachend - zunächst vom Kartell schlechthin spricht.
Noch ein Weiteres - ich schneide diese Frage nur ganz kurz an, um die vorgesehene Redezeit nicht zu überschreiten -: Es ist doch nun einmal,
({3})
und wiederum gibt es dafür kein besseres Beobachtungsfeld als die deutsche Wirtschaft seit 1879, das innere Gesetz dieser Dinge, daß das Feld für die wirklich echten, marktbeherrschenden Verbände der Bereich der Rohstoffe und der Halbfabrikate ist. Ich glaube, eine Menge Befürchtungen, die heute aus den Kreisen der Unternehmer von Fertigfabrikanten, von Vertretern der Veredlungsindustrie gegen den Kartellgesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministers geäußert werden, würden gar nicht so dringlich geäußert, wenn man ihnen sagte, daß wir bei unserer Kartellpolitik die Richtlinie einhalten wollen, daß auch ein Kartellamt die Richtlinie einhalten muß: die Wirtschaft, die verarbeitende Wirtschaft steht nicht, wie es bei einer durchorganisierten Wirtschaft der Fall ist, im Dienste der Rohstoffe und der Halbfabrikate, sondern es muß genau umgekehrt sein. Aber in einer wirklich verbandsmäßig organisierten Wirtschaft dient die Verarbeitung dem Halbfabrikat und dem Rohstoff.
Das hat - ich möchte das als einen der letzten Gesichtpunkte anführen - eine starke soziale Seite; Herr Professor Böhm hat es schon angedeutet. Das, was ich an Monopolrente im Bereich von Rohstoff und Halbfabrikat erzwinge, schafft dort vielleicht Arbeitsplätze. Es verhindert aber die Schaffung von Arbeitsplätzen an der Peripherie der Produktion, d. h. dort, wo das wirkliche Fertigprodukt erzeugt, die wirkliche Qualitätsarbeit geleistet wird und wo die wirkliche Auseinandersetzung mit dem Weltmarkt stattfindet.
Da ich mich verpflichtet habe, in zehn Minuten fertig zu sein, möchte ich schließen. Ich habe allerdings noch eine Frage an den Herrn Bundeswirtschaftsminister. Man hat hier in Zweifel gezogen
- vielleicht etwas zu frühzeitig, meine Herren von der SPD -, ob er es wirklich ernst meint. Sie haben gemeint, daß sein Entwurf im Stillen mit Abreden belastet sei, die wir nicht kennen. Aber vielleicht könnte der Herr Bundeswirtschaftsminister uns von dieser Sorge, die für das Parlament unter Umständen wirklich eine Sorge sein muß, befreien, wenn er seinen Entwurf zurückzöge zugunsten des Entwurfs von Professor Böhm, der doch - um das nun ganz klar zum Ausdruck zu bringen - im Sinne dessen gemacht worden ist, was der Herr Bundeswirtschaftsminister vorhin in so überzeugender Weise dem Hause vorgetragen hat.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Naegel.
({0})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich muß gestehen, daß ich vorhin etwas langsam geschaltet habe, als der Kollege Köhler den Antrag stellte, die Redezeit auf etwa 10 Minuten zu begrenzen. Ich bin der Ansicht, daß es vernünftiger gewesen wäre, wenn wir den Beschluß gefaßt hätten, die Diskussion zu vertagen.
({0})
Die Begründungen sind erfolgt. Dadurch ist eine gewisse Zäsur gegeben. Auch die Ausführungen des Kollegen Reif geben noch einen gewissen Abschnitt und passen zu der Begründung. Mir will es einleuchtend erscheinen, daß wir die Begründungen zu dieser doch sehr diffizilen Materie für die Diskussion noch verarbeiten können. Ich glaube, daß es auch in' Anbetracht der beschämend schwachen Besetzung dieses Hauses richtiger ist, wenn wir den Entschluß fassen, die Diskussion auszusetzen. Ich stelle hiermit den Antrag, die Diskussion abzubrechen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Raestrup. Dann werde ich das Wort nicht mehr erteilen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich unterstütze den Antrag auf Vertagung. Wenn das Kartellgesetz eine so wichtige Angelegenheit ist, dann bedauere ich, daß es dauernd von der Tagesordnung abgesetzt und immer an den Schluß einer Tagung gehängt worden ist.
({0})
Ich habe zu dem, was der Herr Minister gesagt hat, eine ganze Masse zu sagen; das kriege ich nicht in zehn Minuten fertig. Ich bitte Sie dringend, damit einverstanden zu sein, daß wir heute nicht mehr von uns verlangen, vor einem ermüdeten Bundestag - wir sind ermüdet durch die Sitzung von heute morgen 9 Uhr bis jetzt - diese unbedingt wichtige Frage zu behandeln, die wirklich die Wirtschaft angeht und die wir vernünftig und nicht in Kampfgesprächen lösen wollen. Die Bedeutung dieses Gesetzes verlangt es, daß wir in der nächsten Woche von neuem mit einer gründlichen Aussprache beginnen.
({1})
- Das ist mir egal.
({2})
Wollen Sie dagegen sprechen oder dafür?
Ich will einen Abänderungsantrag stellen.
Dann haben Sie das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dann aber darum bitten, daß dieser Punkt der Tagesordnung, wenn seine Beratung nächste Woche Donnerstag weitergeführt wird, als erster Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wird.
({0})
Gegen den Antrag will niemand sprechen? - Dann lassen wir abstimmen. Wer für die Vertagung ist mit der Maßgabe, daß dieser Punkt als erster Punkt - ({0})
- Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Geschäftsordnungsantrag nicht noch mit der Hypothek zu versehen, daß dieser Punkt als erster auf der Tagesordnung stehen muß. Sie machen es einer ganzen Reihe
({0})
meiner eigenen Freunde schwer, dann diesem Antrag zuzustimmen. Begnügen Sie sich mit der Vertagung: wir wollen uns dann darüber unterhalten, wie die Sache in die Tagesordnung einzupassen ist.
({1})
Sind Sie einverstanden, Herr Antragsteller?
({0})
- Dann lasse ich abstimmen einfach über die Vertagung. Wer für die Vertagung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen 5 Stimmen ist der Antrag angenommen. Damit ist dieser Punkt für heute erledigt.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung - meine Damen und Herren, nicht diese Eile im Aufbruch!
Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Schaffung eines Bundesministeriums für Fragen ' des Mittelstandes ({1}).
({2})
- Sie wollen den Antrag begründen? Dann erteile ich Ihnen das Wort zur Begründung.
Eickhoff ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Glauben Sie nicht, daß
ich Sie noch lange aufhalten will. Auf Grund einer interfraktionellen Absprache verzichte ich auf die mündliche Begründung unseres Antrages. Ich darf Ihnen, Herr Präsident, die schriftliche Begründung*) hiermit überreichen und Sie bitten, sie im Protokoll festzuhalten.
Meine Damen und Herren, ich bin mir vollkommen klar darüber, daß durch diesen Verzicht eine Mittelstandsdebatte heute verhindert wird. Ich glaube aber, es ist sehr nötig, sehr bald zu einer Mittelstandsdebatte zu kommen. Wenn wir heute verzichtet haben, dann insbesondere deshalb, weil es sehr spät geworden ist, und vor allen Dingen mit Rücksicht auf unsere Freunde von der FDP, die heute nicht hier sind und gern an dieser Mittelstandsdebatte teilnehmen wollen.
Ich bitte Sie heute abend nur, meinem Antrag zuzustimmen, die Drucksache 735 dem Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes zu überweisen.
Das Haus ist einverstanden? Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist erschöpft. Ich berufe die 77. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 31. März, 9 Uhr, ein und schließe die 76. Sitzung.