Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der Tagesordnung fort:
Fortsetzung der zweiten Beratung und dritte Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland ({0}),
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ({1}),
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag ({2}),
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar ({3});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({4}) ({5}).
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Wir stehen noch bei dem Beratungsabschnitt c: Sicherheit und Verteidigung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf angesichts der noch herrschenden Unruhe mit einigen Bemerkungen zur Geschäftsordnung beginnen. Es wird Ihnen und es wird den Hörern draußen an den Rundfunkgeräten aufgefallen sein, daß die Freie Demokratische Partei in der bisherigen Debatte am ersten Tage mit einem Redner mit knapp einer halben Stunde und am zweiten Tage mit einem Redner mit etwa 45 Minuten in Erscheinung getreten ist, während in den Abendstunden des ersten Tages der sehr verehrliche Abgeordnete Strauß eine Stunde und 40 Minuten und am zweiten Tage der sehr verehrliche Abgeordnete Erler sogar fast zwei Stunden zu Ihnen und zu den Hörern draußen im Lande gesprochen haben.
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Wir glauben, daß böse Beispiele doch anscheinend gute Sitten verderben, nämlich die gute Sitte des § 39 unserer Geschäftsordnung, in dem es heißt, daß die Redner nicht länger als eine Stunde sprechen sollten.
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Wir glauben, daß es auch nicht gerade sehr fair ist, sich so sehr in die rundfunkgünstigen Abendzeiten zu drängen,
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daß damit alle anderen Fraktionen dieses Hauses einfach blockiert werden. Ja, selbst der Herr Bundesfinanzminister hielt es für richtig, gestern abend auf § 47 der Geschäftsordnung bestehen zu müssen und hier zu Fragen der Finanzen im Rahmen der Verträge zu sprechen, obgleich dieses Thema der wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Auswirkungen eigentlich heute erst hier zur Diskussion steht.
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Man kann also in Abwandlung eines Sprichwortes nur sagen: Am Rundfunk hängt, zum Rundfunk drängt doch alles, insbesondere abends.
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Wir haben nun heute in einer weniger günstigen Zeit Gelegenheit, sachlich und weniger von der Tribüne dem Rundfunkhörer gegenüber unsere Einstellung zu allgemeinen Verteidigungs- und Sicherheitsfragen im Rahmen der sachlichen Aufteilung dieser Debatte darzulegen. Es wird sich dabei Gelegenheit bieten, in der zweiten Lesung - und das ist ja auch der Sinn einer zweiten Lesung - zu Einzelproblemen Stellung zu nehmen, während so globale Betrachtungen, wie der Kollege Erler sie gestern anstellte, doch mehr der ersten und dritten Lesung vorbehalten sein sollten. Diese gelegentliche Rückführung auf die Geschäftsordnung sollte nicht schaden, zumal an einem Tag, an dem man fragen wird, warum wir zeitlich ins Gedränge kommen. Dann sollen es nicht wieder die „bösen" Freien Demokraten sein, die vielleicht schuld sind.
Die generelle Einstellung der freien demokratischen Fraktion zu dem Vertrag über die West({5})
europäische Union und zum Beitritt Deutschlands zum Nordatlantikpakt hat in der ersten Lesung am 16. Dezember vorigen Jahres hier ihre Erläuterung gefunden. Die Debatte vom 16. Dezember 1954 fand auf den Tag genau fünf Jahre nach dem 16. Dezember 1949 statt, an dem der Deutsche Bundestag sich zum erstenmal mit militärpolitischen Fragen zu befassen hatte. Es ist Ihnen bekannt, daß damals sowohl der Herr Bundeskanzler wie die Opposition, ja, alle Sprecher und alle Mitglieder dieses Hauses es abgelehnt haben, unter dem Besatzungsstatut Divisionen aufzustellen, die man noch wenige Jahre vorher wie Tierherden in den Pferch gejagt hatte. Das war die Zeit, als der Bundestag auf Grund des Antrags einiger sehr verehrlicher weiblicher Abgeordneter ein Gesetz erwog, das die Herstellung von Kriegsspielzeug in der Bundesrepublik verbieten sollte, als wenn dadurch der Friede gesichert werden könnte.
Inzwischen hat sich manches geändert. Deutschland ist keine ruhige Insel geblieben in dem Meer, in der Brandung der großen weltpolitischen Spannung, und die Hoffnung, daß sich Deutschland aus dem großen Konflikt zwischen Ost und West ausklammern ließe, hat sich als eine Illusion erwiesen. Wir haben 1950 die koreanischen Ereignisse erlebt. Wir haben die Wiederbewaffnung in der Sowjetzone erlebt, jene Wiederbewaffnung, gegen die bei Paulskirchen- und ähnlichen Veranstaltungen so wenig gesprochen wird,
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während man die theoretischen Erwägungen, die wir anstellen, sehr in das Blickfeld massiver Angriffe stellt. Wir haben die Aufrüstung der Satellitenstaaten erlebt, die Verstärkung und Modernisierung der sowjetischen Armee. Die sowjetische Armee ist zu einem gewaltigen Machtfaktor herangewachsen. Die Sowjetunion hat einen politischen und militärischen Machtkomplex geschaffen, während der Westen meinte, nach 1945 den Versprechungen der Sowjets in Jalta, Teheran und Potsdam Glauben schenken zu können. Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Bulgarien, Rumänien, ja die Sowjetzone wurden zu einem Satellitendasein verdammt, und die Effektivstärke der Roten Armee und der Satellitenarmeen hat einen in der Geschichte noch nie gekannten Höchststand erreicht. Angesichts dieser Entwicklung mußte leider auch der Westen sich mit der Tatsache abfinden, daß auch er zu politischen und militärischen Gegenmaßnahmen schreiten mußte, weil man mit pazifistischer Schwärmerei allein den Weltfrieden nicht erhalten kann, sondern am ehesten dann, wenn man dem einen gewaltigen politischen und militärischen Machtkomplex eine ebenso große politische und militärische Geschlossenheit der freien Welt gegenüberstellt, damit in einer Gleichgewichtigkeit keiner von beiden der Versuchung erliegen könnte, einen Angriff zu wagen.
Meine Damen und Herren, das ist der entscheidende Gegensatz zu den Ausführungen des Kollegen Erler gestern abend. Ich habe geglaubt, Herr Kollege Erler würde getreu einer zweiten Lesung zu den militärpolitischen Einzelfragen der Westeuropäischen Union und des Nordatlantikpaktes Stellung nehmen. Statt dessen hat er in einer globalen Betrachtung mit vielen Spekulationen und Kombinationen hier so den Eindruck hervorgerufen, als wenn die sozialdemokratische Fraktion - und nur sie - sozusagen das Monopol auf die Erhaltung des Weltfriedens und die Schaffung der deutschen Einheit gepachtet hätte.
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Die Frage der Erhaltung des Friedens und der Zusammenführung der beiden Deutschland ist eine Herzensangelegenheit für jeden Deutschen, und niemand sollte sich anmaßen, hier ein besserer Deutscher zu sein als ein anderer.
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Herr Kollege Erler hat geglaubt, daß wir in dieser weltpolitischen Konfliktsituation dann am meisten gesichert wären, wenn wir militärpolitisch nichts täten. Hier ist der entscheidende Unterschied, Herr Kollege Erler, zwischen Ihrer und unserer Auffassung. Wir glauben, daß wir dann am besten geschützt sind, wenn auch wir uns bemühen. Allein die Aufstellung jener Nationalarmee unter Herrn Paulus, Vinzenz Müller, Lattmann, von Lenski, jener Volksarmee, Volksluftwaffe und Volksmarine der Sowjetzone zwingt uns, die primitivsten Grundlagen für eine Notwehr auch hier organisatorisch zu schaffen.
Sie sagen: Ja, aber nicht im geteilten Deutschland, alles oder nichts! - Jene aus den Veranstaltungen der Kundgebungswelle bekannte These! Ich erinnere mich, daß wir 1948 in einer gleichen Situation gestanden haben, als es darum ging, im Parlamentarischen Rat ein Grundgesetz für die drei Westzonen zu schaffen, nachdem es leider nicht gelungen war, auch die vierte Zone unter einen gesamtdeutschen Hut zu bekommen. Wenn wir damals so gehandelt hätten, Herr Kollege Erler: alles oder nichts, dann hätte der Parlamentarische Rat auch jenes Grundgesetz nicht machen dürfen. Wir hätten nicht den Zusammenschluß von wenigstens 50 Millionen Menschen im westdeutschen Raum und hätten nicht jene Entwicklung, die 1949 begann, die uns immerhin, angefangen vom Petersberg-Abkommen über den Beitritt zum Europarat, Montanunion, Eintritt in das europäische politische und wirtschaftliche Gespräch einen politischen und wirtschaftlichen Aufstieg gebracht hat, der in der Geschichte eines besiegten Volkes seinesgleichen suchen kann.
Wer also denen, die die Verträge bejahen, den Vorwurf macht, sie verewigten die Spaltung Deutschlands, der muß den Vorwurf zunächst einmal an den Parlamentarischen Rat richten, also auch an die sozialdemokratischen Abgeordneten. Sie sehen daraus, wie unsinnig ein solcher Vorwurf ist; denn es ist kein Verschulden der Bundesregierung oder der Westmächte, daß damals die vierte Zone in eine gesamtdeutsche Verfassungsgebung leider nicht mit einbezogen werden konnte. Sondern es war die völlig anders geartete Entwicklung in der Sowjetzone, die uns die Zone immer mehr entfremdete. Wir haben nun die mühevolle Aufgabe, mit politischen Mitteln die Tür wieder aufzustoßen, die die Sowjets leider zugeschlagen haben, als sie eine andere, völlig anders geartete Wirtschaftspolitik trieben, als sie das Eigentum mißachteten, als die Grund- und Freiheitsrechte nichts mehr galten, das Recht auf politische parlamentarische Opposition genommen wurde, die Konzentrationslager alter Namen mit neuen Insassen gefüllt wurden, ja die Länder mit einem Federstrich
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beseitigt wurden. Nominell bestehen die Verfassungen drüben; aber sehen Sie sich einmal die Verfassungswirklichkeit an, und darauf kommt es entscheidend an. Es war die völlig andere, unseren Auffassungen von Frieden, Freiheit und Demokratie völlig entgegenstehende Entwicklung dieser Zone, die sie leider uns entfernt hat, und nichts, was etwa im Westen oder gar , in der Bundesrepublik verschuldet wurde.
Ich darf nun im einzelnen auf die militärpolitischen Fragen der Westeuropäischen Union und des NATO-Beitrages eingehen.
Die Bemühungen um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sind bekannt. Im Gegensatz zu der Zumutung von 1949, unter dem Besatzungsstatut deutsche Divisionen aufzustellen, sollten im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft deutsche Divisionen bei Fallen des Besatzungsstatuts in ein europäisches Sicherheitssystem als gleichberechtigte Partner eingebaut werden. Wir glaubten uns also berechtigt, im Gegensatz zu unserer Auffassung von 1949 dieser für uns wesentlich günstigeren Lösung zuzustimmen.
Das traurige Schicksal der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist ebenfalls bekannt.
Und nunmehr haben wir jene damals immer wieder bestrittene Alternative, nämlich eine Zweckgemeinschaft nationaler Armeen nit supranationalen Kommandobehörden und auch politischen Aufsichtsgremien. Ich glaube, daß die jetzige Konstruktion gegenüber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft militärpolitisch Vorteile hat, politisch allerdings gewisse Nachteile, wenn man sich als Europäer bekennt. Während wir bei der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nur bis zur Division homogen waren und oberhalb der Divisionsebene schon integrieren mußten, sind wir nunmehr bis zur Armeegruppe homogen. Wir haben seinerzeit schon, im Sommer 1952, aus fachlichen Gründen die so frühe Vermischung der Verbände abgelehnt. Die kleinste militärische Einheit, die aktionsfähig ist, ist nicht mehr, wie früher noch, eine Division, sie ist mindestens ein Korps; und wie hätte man das Geheimnis militärischer Zusammenarbeit zu Lande, zu Wasser, in der Luft, die Übermittlung der Befehle, Feuer, Bewegung und Nachschub, lösen wollen, wenn eine deutsche Division nach rechts an eine italienische, nach links an eine französische angelehnt gewesen wäre, in der Luft britische Jäger, und was es sonst noch an Sprachschwierigkeiten hätte geben können. Wir haben daher bereits damals gefordert, daß aus fachlichen Gründen die Vermischung der Verbände frühestens oberhalb der Korpsebene beginnen sollte. Diese Bedenken sind nunmehr ausgeräumt durch die Homogenität bis zur Armeegruppe.
Wir haben zweitens den Vorteil, daß wir die deutschen Verbände nach den neuesten Erfahrungen der Atommanöver gliedern und ausstatten können. Insofern ist, vom Fachlich-Technischen gesehen, der Zeitverlust nicht zu bedauern. Wir haben heute die Möglichkeit, die deutschen Verbände mit wesentlich moderneren Geräten auszustatten, als das vor zwei Jahren in der EVG möglich gewesen wäre. Ich erinnere nur daran, daß die deutsche Kraftfahrzeugindustrie beispielsweise in der Lage ist - wir haben ja vor wenigen Wochen jene Vorführungen unweit des Bundeswirtschaftsministeriums verfolgen können -, den gesamten Kraftfahrzeugbedarf der deutschen Wiederbewaffnung aus eigener Produktion zu decken.
Ich sprach aber auch von den Nachteilen. Der Nachteil ist politischer Art. Wir sehen in der Westeuropäischen Union leider einen Rückfall in nationalstaatliche Vorstellungen, und unsere Begeisterung für supranationale Zusammenschlüsse, für eine Aufgabe jenes überspitzten Souveränitätsdogmas, das über die Welt soviel Blut und Tränen gebracht hat, jene Hoffnungen haben einen argen Dämpfer aufgesetzt erhalten. Der europäische Schwung ist verlorengegangen. Aber es gibt auch in der Westeuropäischen Union Ansätze für supranationale Vorhaben, und ich kann mir denken, daß sich aus den Behörden der Westeuropäischen Union doch noch so etwas wie ein Keim für das Europa entwickelt, das in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand der Hoffnungen und Wünsche dieses und auch anderer Parlamente gewesen ist.
Der Nordatlantikpakt bietet uns die Gelegenheit, des Schutzes eines weltweiten Bündnissystems teilhaftig zu werden. Es ist vielleicht wenigen bekannt, welche Auswirkungen der Nordatlantikpakt gerade für Deutschland hat. Wer einmal Amerika kennengelernt hat, weiß, daß es nicht ein Land im üblichen Sinne ist, sondern ein Kontinent in seiner Ausdehnung vom Atlantik bis zum Pazifik, fast 5000 km, und von der kanadischen Grenze bis zur mexikanischen von 3000 km, und in diesem Raum leben 165 Millionen Menschen mit einer Sprache, einer Währung, einem Wirtschaftssystem. Ich habe mir ausgerechnet, daß wir bei der gleichen Entfernung in Europa von Gibraltar bis hinter Moskau 20 Sprachen sprechen müßten und 20 Währungen tauschten. Amerika ist das Musterbeispiel dessen, zu welchen politischen und wirtschaftlichen Leistungen ein Kontinent fähig ist, der die Freizügigkeit für Menschen, Güter und Gedanken in seinem Raum verwirklicht.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns in jenes weltweite Bündnissystem begeben, dann werden wir des Schutzes jener gewaltigen Produktionskraft und Militärkraft Amerikas teilhaftig.
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Es ist doch nicht so, als ob es eine NATO nur in dem Raum der freien Welt gäbe. Die Sowjets haben ja längst das gleiche System eines großen militärischen Zusammenschlusses durchgeführt. Ich erinnere Sie nur daran, daß an der Spitze der polnischen Armee der Sowjetmarschall Rokossowski steht, daß die ungarische, rumänische, bulgarische und tschechische Armee, ja, daß sogar die sowjetzonale Armee letzten Endes in dem sowjetischen Militärsystem integriert ist. Also irgendwelche Drohungen, daß auf den westlichen Zusammenschluß militärischer Art eine Art Ost-NATO kommt, sind doch lediglich Deklamationen. Die Ost-NATO, d. h. der militärische Zusammenschluß des Ostens, ist doch längst erfolgt, und was wir tun, ist, jahrelang später erst aus Notwehr den Gegenzug durchzuführen.
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Wie groß ist denn die Produktionskraft des Ostblocks und wie die der NATO in den wichtigsten Rüstungsindustrien? Gerade nach den letzten etwas säbelrasselnden Reden, die anläßlich des 37. Jahrestages der Roten Armee gehalten wurden, muß man einmal diese Zahlen nüchtern vergleichen. Stellt man das Wehrpotential des Ostblocks und der Nordatlantik-Organisation gegenüber, so ergibt sich in Steinkohle eine dreifache, bei Erdöl eine sechsfache, bei Eisenerz eine vierfache, bei
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Mangan, Wolfram, Molybdän und Chrom eine noch größere Überlegenheit der Nordatlantikpakt-Organisation, bei Rohstahl eine vierfache, bei Walzstahl eine dreifache und bei Kupfererz eine fünffache Überlegenheit der bisher 14 Nordatlantikpakt-Staaten ohne die Bundesrepublik. Diese materielle Überlegenheit der Rüstungsproduktion des Westens ist auch bei der voraussichtlichen Produktionsentwicklung in den nächsten Jahren unbestritten.
Wir alle haben im zweiten Weltkrieg erlebt, zu welchen gewaltigen materiellen Leistungen die Atlantische Gemeinschaft in der Lage war. Sie ist nicht nur auf ihren Fronten mit einer gewaltigen Materialüberlegenheit in Erscheinung getreten, sie hat überdies auch die Sowjetunion durch das Pacht- und Leihsystem mit großen Lieferungen versorgt. Ich bin überzeugt - und viele Fachleute sind mit mir der gleichen Überzeugung -, daß die Sowjetunion im zweiten Weltkrieg angesichts der vor Leningrad und Moskau und im Kaukasus stehenden deutschen Divisionen, angesichts der Verlagerung des Regierungssitzes von Moskau nach Kujbischew, nur durch das Eingreifen und die Wirtschaftshilfe der Vereinigten Staaten gerettet wurde.
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Selbst wenn der Osten sich bemüht, in gewaltigen Anstrengungen das Fehl seines Militär- und Wirtschaftspotentials auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung aufzuholen - Sie wissen ja, was der neueste Kurs ist -, selbst trotz dieser großen Anstrengungen dürfte die Überlegenheit des freien Westens in wehrwirtschaftlichen Fragen unbestritten bleiben.
Der Schiffsraum der Handelsflotten zeigt auf seiten des Ostblocks insgesamt 21/2 Millionen BRT an Motorschiffen und Dampfern, davon 151 Tanker über 1000 BRT. Dem gegenüber stehen in der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft 67 Millionen BRT Motorschiffe und Dampfer, davon 14 316 Tanker mit einer Größe von über 1000 BRT. An militärischen Waffen dürfte der sowjetische Block gegenwärtig über etwa 50 000 Panzer verfügen gegenüber 40 000 Panzern der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft. Bei einem Fortschreiten der gegenwärtigen Produktion ist damit zu rechnen, daß im Jahr 1956 der sowjetische Block mit etwa 73 000 Panzern der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft mit etwa 68 000 Panzern überlegen sein würde. Die Zahl der Kampfflugzeuge beträgt heute im Sowjetblock 26 000, während die NATO-Länder über etwa 10 000 verfügen. Bei Einhalten der gegenwärtigen Produktion dürften im Jahre 1956 60 000 Kampfflugzeuge des Ostblocks etwa 48 000 Kampfflugzeugen des Westblocks gegenüberstehen.
Sie sehen an den letzten Zahlen, daß die Atlantische Gemeinschaft ihr Wirtschaftspotential bei weitem nicht ausgenutzt hat, dagegen der Ostblock in seinen militärischen Anstrengungen, in seiner Rüstung bereits heute, aber auch in den nächsten Jahren, der effektiven Rüstung der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft zahlenmäßig überlegen ist.
Diese Gegenüberstellung der Zahlen ist notwendig, damit man sich einmal vergegenwärtigt, was für einen großen Bruder wir durch Teilnahme am Nordatlantikpakt als Schutz erhalten. Ich bin der Meinung, wir haben in der gegenwärtigen Situation Deutschlands nur eine Wahl! Wenn man die Lebensformen der Sowjetzone für ideal ansieht, wenn man sich zum Kommunismus bekennt, dann muß man sich konsequenterweise eben an Moskau anlehnen, wie das die Satellitenstaaten und ihre kommunistischen Führer tun. Wenn man dagegen die freien demokratischen Formen der westlichen Welt, das Recht auf freie Lebensentfaltung, das Recht auf Eigentum, die in unserem Grundgesetz als subjektiv öffentliche Rechte verankerten Grundrechte als das Höchste ansieht, dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich dem gewaltigen westlichen Block anzuschließen, wenn man nicht Gefahr laufen will, in den Sog Moskaus gezogen zu werden.
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- Sie sagen: Beispiel Jugoslawien! Jugoslawien befand sich als Siegerstaat, als unbesetzter Staat in einer wesentlich günstigeren Position als wir, die wir die Rote Armee an Elbe und Werra stehen haben und viele Helfershelfer dieser Roten Armee mitten unter uns.
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Die Frage ist nun - sie wird gerade draußen in den Kundgebungen seitens der Opposition immer wieder diskutiert -: Muß eine Rüstung automatisch zum Kriege führen? Ich behaupte, daß die Gleichung „Rüstung = Krieg" falsch ist und durch die Geschichte keineswegs gerechtfertigt erscheinen kann. Wir haben doch selbst in unserer Geschichte Perioden höchster Rüstung und gleichzeitig friedlicher Entwicklung, beispielsweise von 1871 bis 1914. Wie schön wäre es, wenn wir heute aus einer über 40 Jahre langen Friedensentwicklung schöpfen könnten!
Die Beispiele der Schweiz und Schwedens beweisen, daß man durchaus hochgerüstet sein kann, ohne in das Abenteuer eines Krieges verwickelt werden zu müssen. Ich bin sogar der Meinung, sowohl Schweden wie die Schweiz, ja wie auch die Türkei haben gerade durch hohe Rüstungsanstrengungen im zweiten Weltkrieg verhindert, daß sie von uns angegriffen wurden. Warum haben wir die Produktionsstätten in der Schweiz, die uns feinmechanische Instrumente und Apparaturen im zweiten Weltkrieg für viel Geld geliefert hat, nicht besetzt? Weil wir wußten, daß es einen neuen Kriegsschauplatz in der Schweiz geben würde, den wir uns einfach potentiell nicht leisten konnten. Warum haben wir uns das Eisenerz in Schweden nicht kostenlos geholt? Bei dem Landhunger und Rüstungshunger Hitlers hätte es doch nahegelegen, auch Schweden zu besetzen. Neutralität? Was hat sie einen Hitler in Holland und Belgien gekümmert? Nein, Hitler wußte, daß er sich in Schweden auf einen harten Krieg mit der eine halbe Million starken schwedischen Armee einrichten mußte, und weil er sich das ebenfalls potentiell nicht leisten konnte, hat er das schwedische Eisenerz lieber teuer bezahlt, als daß er in das Land hineingegangen ist. Hätte Schweden keine so hohe Rüstung gehabt, hätte die Schweiz keine solchen Anstrengungen gemacht, ich glaube, dann wären die beiden Länder besetzt worden. Das gleiche gilt für die Türkei. Warum haben wir nicht von den griechischen Inseln aus die Türkei besetzt und von der Türkei den doch operativ so günstigen Stoß in die sowjetische Kaukasusflanke geführt? Weil die Türkei uns klargemacht hat - und der damalige Botschafter von Papen hat es immer wieder nach Berlin gemeldet,
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wofür man ihm in Ankara heute noch dankbar ist -: Wagt es, ihr Deutschen, die wir euch an sich lieben und die wir mit euch befreundet sind, militärisch euren Fuß auf den Boden der Türkei zu setzen, und wir werden auch gegen euch kämpfen! Darum ist die Besetzung oder die Einbeziehung der Türkei in den Krieg unterblieben.
Ich bin außerdem der Meinung, daß Rüstung durchaus prohibitiven Charakter haben kann. Genau so, wie man die Strafgesetze nicht etwa deswegen macht, damit sie übertreten werden, sondern sie einen abschreckenden Charakter haben sollen, so, glaube ich, hat auch eine Rüstung prohibitiven Charakter. Kollege Jaeger hat gestern von der Feuerwehr gesprochen. Es ist durchaus ein richtiges Beispiel: man hat doch keine Feuerwehr, damit es brennt, sondern um sich zu schützen, wenn es brennt. Und man schließt doch keine Lebensversicherung ab, um möglichst bald den Versicherungsfall eintreten zu lassen und die Witwe in den Genuß der Versicherungssumme zu bringen, sondern in der Hoffnung, daß der Versicherungsfall möglichst überhaupt nicht eintritt und am Lebensabend erst die Kapitalabfindung erfolgt.
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Wir meinen daher, daß diese schrecklichen Vereinfachungen der jetzigen Kundgebungswelle der Opposition und Gewerkschaften Verwirrungen anrichten, aus deren Verstrickungen sie vielleicht eines Tages selbst nicht mehr herauskommen können.
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Lassen Sie mich auch zu dem Märchen Stellung nehmen, Deutschland sei kriegslüstern. In einem Bonmot ist das so dargestellt: Gebt den Deutschen ein Gewehr, und sie werden bald eine Kanone daraus machen. Ein amerikanischer Geschichtsprofessor hat mit seinem Seminar eine Untersuchung darüber angestellt, welche Kriege unter welcher Beteiligung zwischen 1800 und 1940 stattgefunden haben. Er, der ja nun wirklich unverdächtig ist - unverdächtiger jedenfalls als das Industrieinstitut auf der einen Seite und das gewerkschaftliche Forschungsinstitut auf der anderen Seite; denn denen unterschiebt man immer, Herr Kollege Hellwig, daß sie ihre Forschung vielleicht tendenziös betreiben -, jener amerikanische Geschichtsprofessor mit seinem Seminar hat festgestellt, daß in dieser Zeit von 1800 bis 1940 278 Kriege auf dem Erdenrund stattgefunden haben.
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England ist daran mit der Höchstziffer von 28 %, beteiligt, Frankreich mit 26 %, Rußland mit 23 %, Deutschland einschließlich Preußens, man höre und staune, mit 8 %.
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- Sie sehen, Herr Kollege Wienand, wie das Märchen von dem kriegslüsternen Deutschland in sich zusammenfällt, wenn man einmal in einem großräumigen historischen Zeitraum wirklich objektiv forscht.
Ich habe eben davon gesprochen, daß die derzeitige Propagandawelle der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Satelliten durchaus in der Lage ist, Verwirrung anzustiften, so daß man eines Tages vor der Situation stünde, daß man die Geister nicht mehr los wird, die man rief. Darf ich mich einmal mit der Frage beschäftigen, welche Einstellung die Sozialdemokratische Partei in ihrer Geschichte zu Wehrproblemen genommen hat; denn auch hier haben wir gestern von Herrn Kollegen Erler nicht gehört, was die grundsätzliche Einstellung der sozialdemokratischen Opposition zu dem Prinzip des Wehrrechts ist.
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Ich habe bei Julius Leber, dem Helden des 20. Juli, nachlesen können unter der Überschrift „Zur Klärung des Wehrproblems", veröffentlicht in der Zeitschrift „Die Gesellschaft, Internationale Revue für Sozialismus und Politik", herausgegeben von Rudolf Hilferding, 1. Band, 1929. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten diese für das Jahr 1955 sehr aktuelle Stellungnahme aus dem Jahre 1929 Ihnen vorlesen. Julius Leber schreibt:
Seit Übernahme der Macht im Jahre 1918 ist die Partei aus den Schwierigkeiten mit dem Wehrproblem nicht herausgekommen. Immer wieder haben Debatten um diese Fragen unsere Partei im tiefsten aufgewühlt. Zum Teil hat das seine Gründe in der verwickelten Natur des Problems selbst. Aber auch eigene Schuld und eigenes Versäumnis haben dabei ihre verhängnisvolle Rolle gespielt. Das verworrene Knäuel der Wehrfragen haben wir, anstatt es in einem entscheidenden Fall zu entwirren, immer vor uns hergeschoben in der Hoffnung auf eine bessere Zeit. In der Opposition kümmerten wir uns gewöhnlich überhaupt nicht um den ganzen Fragenkomplex, höchstens nützten wir ihn zu stimmungsmäßig sehr dankbarer Propaganda.
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In der weniger bequemen Position der Regierungspartei aber zogen wir uns von Fall zu Fall aus der Verlegenheit, und an die bei solchen Gelegenheiten mit absoluter Sicherheit entstehende unerfreuliche Parteidebatte gewöhnte man sich mit der Zeit. Die Verwirrung leitet ihren Unsprung also nur zum kleinsten Teil her aus dem Gebiet der praktischen Politik oder der parlamentarischen Haltung der Partei. Vielmehr sprechen hier gewisse wirkliche oder auch nur gefühlsmäßig vorhandene ideelle Grundsätze mit. So mußte ein Riß entstehen zwischen den Tatsachen und den noch immer gefühlsmäßig wirkenden Zielen, zwischen der praktischen Politik und der noch allgemein herrschenden theoretischen Anschauung.
Und das aktuelle Wort heißt jetzt:
Dieser Riß klafft seit Jahren in der Partei. Er mußte eines Tages zu der allgemeinen Verwirrung führen, die wir. im letzten Sommer erlebt haben, und diese Verwirrung ist es eben, was jetzt, viel zu spät, uns zu einer Klarstellung der Wehrfrage zwingt.
Soweit Julius Leber im Jahre 1929.
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- Nun, ich habe noch weiter zurückgegriffen - Frau Kollegin Weber, Sie haben recht -, ich habe August Bebel nachgelesen und mich in dem sehr guten Archiv des Deutschen Bundestages umgeschaut.
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- Das sind keine ollen Kamellen! Wenn Sie das, was August Bebel einmal gesagt hat, als „olle Kamellen" bezeichnen, überlasse ich das Ihrem Geschmack. Für mich ist August Bebel einer der bekanntesten Männer der deutschen Geschichte.
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August Bebel hielt am 13. Dezember 1892 seine berühmt gewordene Rede über eine Militärvorlage, in der er für die allgemeine Volksbewaffnung als den allein wirksamen Schutz gegen die äußeren Feinde Deutschlands eintrat, zu denen nach damaliger sozialdemokratischer Meinung in erster Linie Rußland gehörte. Bebel erklärte:
Will also Deutschland einen wirklichen Vorsprung vor den übrigen Staaten, insbesondere vor seinen künftigen Feinden, so bleibt nichts anderes übrig, als daß es den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in vollster Wirklichkeit zur Ausführung bringt, indem es die allgemeine Volkswehr, die Volksbewaffnung, Hand in Hand mit der militärischen Jugenderziehung durchführt.
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Der neben Gustav Noske wohl berühmteste sozialdemokratische Militärpolitiker Julius Deutsch schreibt zu diesen Äußerungen im Jahre 1927 in seiner bedeutungsvollen Schrift „Wehrmacht und Sozialdemokratie":
Das klang allerdings anders als die gegen jede
Art Militär gerichteten Reden der Pazifisten.
Noch schärfer formulierte Viktor Adler den Gegensatz zwischen einer revolutionären proletarischen Wehrpolitik und den pazifistischen Schwärmereien. Mit der ihm eigenen eindrucksvollen Pointierung sagte er auf dem Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie im Jahre 1903: „Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen der proletarischen Auffassung über den Militarismus und der bürgerlichen Militärfeindschaft und Friedensmeierei gibt, daß wir nicht für die Abrüstung in diesem friedensmeierischen Sinne, sondern für die Bewaffnung des Volkes im proletarischen Sinne sind."
Und noch einmal August Bebel, selbst wenn das Zitat Ihnen unangenehm sein sollte, Herr Kollege Lütkens. August Bebel hielt im vertraulichen Budget-Ausschuß des Reichstages 1903 folgende auch heute aktuelle Rede:
Es gibt in Deutschland überhaupt keinen Menschen,
- so sagte August Bebel der sein Vaterland fremden Angriffen wehrlos preisgeben möchte. Die Sozialdemokratie hat niemals verkannt,
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daß die geographische und politische Lage des Reiches die Vorbereitung einer starken Schutzwehr notwendig macht. Wir müssen in Deutschland mit der Möglichkeit eines Angriffskrieges von außen leider immer noch rechnen, namentlich vom Osten her. Wenn einmal ein solcher Krieg ausbrechen sollte, den zu verhindern, ich glaube, die deutsche Regierung alles tut, dann müßte er bei dem heutigen Stand der Waffentechnik, bei der Organisation des
Heerwesens und bei der Gestaltung der Staatenbündnisse in Westeuropa ungeheuren Umfang annehmen. Er würde zum Weltkrieg werden und unser Vaterland vor die Frage von Sein oder Nichtsein stellen. Infolgedessen
- so sagt August Bebel rechtfertigt sich nicht nur die Wehrhaftmachung des letzten Mannes bei uns, sondern sie ist die notwendige Folgerung. Die Sozialdemokratie war die erste große politische Partei, die das klar erkannt und daher in ihr Programm den Satz aufgenommen hat, der die Wehrhaftmachung, der die Erziehung des Volkes zur allgemeinen Wehrhaftmachung ausspricht.
Die Sozialdemokratie geht aber noch weiter.
- So sagt August Bebel. Sie will die Wehrhaftmachung des Volkes nicht nur vom körperlichen und technischen Standpunkt aus betreiben.
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Das Vaterland verteidigt man nicht nur mit Maschinengewehren und Kanonen, Gewehren, Säbeln, starken Fäusten und schnellen Beinen, dazu gehören auch bestimmte geistige und sittliche Eigenschaften des Volkes, und die Sozialdemokratie will auch diese geistigen Eigenschaften des Volkes stärken, auf denen, wie die Geschichte aller Zeiten und Völker lehrt, die Selbstbehauptung einer Nation in erster Linie beruht.
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Ich frage mich nun: Ist diese Haltung - Sie riefen mir gerade zu: „Das gilt auch heute noch!" - auch heute noch die Haltung der Sozialdemokratischen Partei, der Gewerkschaften und der Jungsozialisten? Wenn Sie das nämlich bejahen, dann ist das erreicht, was ich mit dieser Außerung provozieren wollte.
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Sie reden aber draußen leider anders. Sie erwecken draußen den Eindruck, als ob diejenigen, die sozialdemokratisch denken, nicht in die Notwendigkeit kämen, den Stahlhelm zu tragen,
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sondern sie die Chance hätten, einen sozialistischen Strohhut am Rhein spazieren zu führen.
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Ich könnte aus der Reihe der Zitate noch manches bringen.
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- Meine Damen und Herren, ich könnte aus der Geschichte, aus der Einstellung der Sozialdemokratischen Partei zu Wehrproblemen noch manches bringen. Ich denke beispielsweise an die Reden des Reichswehrministers Noske in der Nationalversammlung, vor allem am 26. Juli 1919. Ich denke an das, was der Reichskanzler Hermann Müller am Dienstag, dem 3. Juli 1928 in der 4. Sitzung gesagt hat. Vielleicht darf ich das zitieren; denn es ist wiederum aktuell:
Alles das gibt uns das Recht und die Pflicht, - ({35})
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- Das habe ich eingangs getan, als Sie wahrscheinlich noch nicht da waren.
Alles das gibt uns das Recht und die Pflicht,
- so sagte der sozialdemokratische Reichskanzler Hermann Müller 1928 mit allem Nachdruck die Forderung zu erheben, daß jetzt endlich mit der Durchführung der allgemeinen Abrüstung Ernst gemacht und so der sehnlichste Wunsch der Völker, die durch den furchtbaren Krieg gegangen sind, erfüllt wird. Die Welt muß sich darüber klarwerden, daß es auf die Dauer ein unmöglicher Zustand ist, daß ein großes Land wie Deutschland einseitig abgerüstet sich inmitten von Ländern befindet, die bis zu den Zähnen bewaffnet sind. ({37})
Damals hat Hermann Müller die Forderung auf Vermehrung der Reichswehr auf 200 000 Mann bei dem Völkerbund damit begründet, daß es nicht gehe, daß die anderen nicht abrüsteten, wir aber beschränkt seien auf eine Armee, die nicht in der Lage wäre, den deutschen Boden zu schützen.
Ich darf Sie noch daran erinnern, weil auch das in der Öffentlichkeit geflissentlich verschwiegen wird, daß unter sozialdemokratischer Regierung und Zentrumsregierung und unter Mitwirkung der damaligen Demokraten Geheimabkommen mit der Sowjetunion - zwischen Sowjetunion und Reichswehr - abgeschlossen wurden, die die Panzer-und Fliegerausbildung von Reichswehrleuten in der Sowjetunion bis zum Jahre 1932 ermöglicht haben.
Und als letztes, bevor ich auf das Zitat von Herrn Ollenhauer komme: Herr Otto Braun. Herr Otto Braun hat als preußischer Ministerpräsident erklärt:
Ich hegte nie Feindschaft gegen die Armee. Viel eher hatte ich eine gewisse Sympathie für sie und ihren Offiziersstand, der von seinen Angehörigen bei richtiger idealer Auffassung ihres Berufs sehr viel Selbstlosigkeit und Hingabe erheischte und wenig Aussicht auf materielle Vorteile bot.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Dr. Mende, die Frage der Geheimabkommen mit der Sowjetunion ist so außerordentlich wichtig, daß ich Sie um die Mitteilung bitte, welche sozialdemokratischen Reichskanzler nach Ihrer Meinung die Verantwortung für den Abschluß dieser Abkommen tragen. Sie sprachen von einer unter Führung der Sozialdemokratie stehenden Regierung. Ich mache bescheiden darauf aufmerksam, daß mit Ausnahme einer sehr kurzen Zeit, von 1928 bis 1930, die Sozialdemokraten in den Zeiten, als diese Abkommen zustande gekommen sind, nicht der Reichsregierung angehört bzw. sie auch nicht geführt haben.
Herr Kollege Erler, Sie haben eben durch die Einbeziehung des Zeitraums von 1928 bestätigt, daß auch unter sozialdemokratischer Führung, ebenso in der ganzen Zeit der sozialdemokratischen Beteiligung an der Regierung von Weimar jene Ausbildung in der Sowjetunion stattgefunden hat. Mir ist von einer
Kündigung dieses Abkommens bei Antritt der sozialdemokratischen Regierung im Jahre 1928 nichts bekannt.
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- Es kommt nicht nur darauf an, wer das Abkommen abgeschlossen hat, sondern auch darauf, wer später die Reichswehroffiziere nach der Sowjetunion fahren ließ.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Nein, Herr Präsident; ich möchte mit meiner Zeit haushalten.
Ich darf als letztes noch, bevor ich auf das Zitat von Herrn Kollegen Ollenhauer komme, noch einmal Braun hier zitieren und das wiederholen, was eben durch die Frage unterbrochen wurde:
Ich hegte nie Feindschaft gegen die Armee. Viel eher hatte ich eine gewisse Sympathie für sie und ihren Offiziersstand, der von seinen Angehörigen bei richtiger idealer Auffassung ihres Berufs sehr viel Selbstlosigkeit und Hingabe erheischte und wenig Aussicht auf materielle Vorteile bot. Der äußere Glanz muffle viel innere Not verdecken. In mancher armen Offiziersfamilie wurde viel mehr gehungert als in den Haushalten vieler Kleinbürger, ja gut bezahlter Angestellter und Arbeiter. Wer sich indes das Bild des preußischen Offiziers vornehmlich nach Witzblattkarikaturen gestaltet, der wird nicht nur den zahlreichen, ihrem idealen Beruf der Landesverteidigung in ernster Arbeit dienenden Berufsoffizieren nicht gerecht, sondern der wird sich auch nie erklären können, wie die deutsche Armee über die vier Weltkriegsjahre den zahlreichen numerisch und materiell weit überlegenen Gegnern standhalten konnte.
Herr Ollenhauer am 7. Februar 1952 im Deutschen Bundestag:
Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber im klaren sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten. Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme. Der Ohne-mich-Standpunkt löst keines der menschlichen Probleme seiner Anhänger. Im Falle einer Aggression der Totalitären ist ihnen die Uniform auf alle Fälle sicher.
Nach diesen vielen Zitaten aus der Haltung der Sozialdemokratischen Partei in ihrer über 80jährigen Tradition zu Wehrfragen stelle ich zum Abschluß die Frage: Gilt das alles, gilt das, was Herr Ollenhauer im Jahre 1952 sagte, auch heute noch, oder hat man vor, die Linie der mittelrheinischen Jungsozialisten nunmehr als die offizielle zu praktizieren? Gilt das Wort Ollenhauers noch, oder gilt die Auffassung des Präsidenten der deutschen Friedensbewegung der Pazifisten, des Herrn SPD-Abgeordneten Dr. Wenzel? Das ist die Frage. Wenn das noch gilt, was Herr Ollenhauer gesagt hat, dann halte ich es für richtig, das bei den Kundgebungen ebenso deutlich zu sagen, wie das hier im Bundestag deklariert wurde.
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Damit würde am ehesten jene Verwirrung beseitigt werden, von der Julius Leber gesprochen hat.
Ich darf nun zu der Frage der Jugend und der Wehrbereitschaft noch einige Bemerkungen machen, ohne mich zu wiederholen, weil ja das Thema schon am 16. Dezember 1954 hier eine ausführliche Erörterung erfahren hat. Wir stellen allgemein fest, daß der Wille zur militärischen Ausbildung bei den jüngeren Jahrgängen denkbar gering ist. Das ist nach dem Mißbrauch der Opferbereitschaft und des Idealismus der deutschen Jugend durch Hitler auch erklärlich, ebenso nach der Fehlbehandlung der Heimkehrer durch alliierte und deutsche Stellen nach 1945 und auch nach den Fehlern, die wir selbst in der Gesetzgebung - in der Kriegsopfergesetzgebung und in der mangelnden Soldaten- und Heimkehrer-Gesetzgebung-begangen haben. Aber die Bereitschaft wird leider auch nicht größer, wenn man in Paulskirchen- oder Gegenkundgebungen neue Verwirrung in die jungen Seelen trägt.
Ich darf mich hier einer Pflicht entledigen, die ich gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister Schaffer übernommen habe. Durch einen Zwischenruf des Kollegen Eschmann veranlaßt, habe ich in der Debatte des 16. Dezember 1954 erklärt, daß der Herr Bundesfinanzminister zum Heimkehrerentschädigungsgesetz vor der Wahl ja gesagt habe, während er nach der Wahl nein gesagt habe. Der damals erkrankte Bundesfinanzminister hat aus Bad Tölz ein empörtes Telegramm geschickt, und es ergibt sich aus dem Schriftwechsel, den ich dann mit ihm führte, daß Behauptung gegen Behauptung steht. Der Heimkehrerverband, sein Vorsitzender, der Oberbürgermeister Fischer, und andere bestätigen das, was auch wir, Kollege Eschmann, Kollege Merten und ich als Eindruck aus der Haltung des Bundesfinanzministers annahmen. Er bestreitet es. Ich stelle fest, daß eine letzte Klärung nicht erfolgen kann, aber daß der Herr Bundesfinanzminister mitteilt, er habe vor der Wahl gegen das Heimkehrerentschädigungsgesetz aus finanzpolitischen Gründen Stellung genommen, er habe es nach der Wahl getan; und wenn ich nicht irre, hat er auch heute noch diese Auffassung.
Ich darf auch noch mit einer Bemerkung auf das eingehen, Herr Bundeskanzler, was der Kollege Dr. Becker gestern sagte. Der Kollege Becker wollte keineswegs eines der bösen Junktims machen,
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eines der bösen Junktims zwischen Hingabe der Saar und Dafür-das-Recht-Haben, Soldaten zu stellen.
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Becker wollte nur erklären, daß es bei der Ohnehin großen psychologischen Verwirrung sehr schlimm sei, wenn man auch noch dieses Argument in dem psychologischen Kalten Krieg mit mißbrauchen brauchen könnte. Es lag Kollegen Becker fern, sich dieses Argument selbst zu eigen zu machen.
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Meine Damen und Herren, ich halte es für richtig, daß wir uns in allen Parteien und Verbänden - vielleicht wird das beim Deutschen Gewerkschaftsbund bei seiner Vorstandssitzung am kommenden Dienstag nun wenigstens gehört werden - an einen Tisch setzen, um wenigstens in diesem psychologischen Krieg, der Deutschland durchtobt,
Einigung über das Prinzip des Notwehrrechts zu finden, weil ich nicht glauben kann, daß es in Deutschland Menschen gibt - von einigen überzeugten Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen abgesehen -, die zwar das Recht beanspruchen, alle Vorteile der Demokratie für sich zu haben, die aber nicht gewillt sind, auch die Pflichten dieser Demokratie ebenfalls auf sich zu nehmen;
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und zu einer dieser Pflichten gehört die Anerkennung des Prinzips des Notwehrrechts. über die Modifikation in seiner Ausführung läßt sich streiten! Das Prinzip jedoch sollte außer Streit stehen in der Staatsbürgerkunde der Schulen, auf den höheren Lehranstalten, in den Universitäten. Im Gegenteil, Rechte und Pflichten sollten dem jungen deutschen Staatsbürger nahegebracht werden. Und ich hoffe, daß der Herr Bundeskanzler oder der Herr Bundespräsident baldmöglichst dieses Gespräch am runden Tisch zur Klärung der Einigkeit über das Prinzip zustande bringen.
Ich darf noch einige Bemerkungen zum Kriegsdienstverweigerungsrecht machen, weil auch dieses Recht nach Art. 4 Abs. 3 unseres Grundgesetzes augenblicklich Gegenstand von Volksbewegungen und mißbräuchlicher Auslegung ist.
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Wir haben damals schon im Parlamentarischen Rat dem Antrag der SPD widersprochen, weil, wie der damalige Sprecher sagte, ein Kriegsdienstverweigerungsrecht aus Gewissensgründen nicht ins Grundgesetz, sondern in ein einfaches Gesetz gehöre und weil es im Ernstfall zu einem Massenverschleiß an Gewissen führen würde. Trotzdem ist nachher der Antrag, es zu streichen, mit 18 gegen 3 Stimmen im Hauptausschuß abgelehnt worden. Ich glaube, wir sollten jetzt schon denen, die sich darauf berufen, sagen, daß das Ausführungsgesetz keinesfalls ein absolutes Kriegsdienstverweigerungsrecht, keinesfalls ein solches aus Bequemlichkeit fixiere, sondern sich beschränken wird auf echte Gewissensgründe aus dem religiösen, aus dem ethischen, nicht aber aus dem politischen Raum und daß derjenige, der es ablehnt, mit der Waffe in der Hand einen Kriegsdienst auszuführen, analog zu der Einrichtung in den Niederlanden einen Ersatzdienst ohne Waffe wird leisten müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter, um diese Debatte über die Kriegsdienstverweigerung zu entspannen: Könnten wir uns nicht auf ein Prinzip einigen -
Herr Abgeordneter Dr. Baade, Sie haben das Wort zu einer Frage.
Herr Abgeordneter Mende! Würden Sie anerkennen, daß in einem gespaltenen Lande jeder junge Mensch, der Verwandte in der anderen Hälfte dieses Landes hat, ausreichende Gewissensgründe hat, den Kriegsdienst zu verweigern?
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Herr Kollege Baade, über diese Frage läßt sich streiten. Aber Sie sehen drüben die Verwandten allzusehr aus ethisch-humani({0})
tärer Sicht. Wenn drüben ein Verwandter ist, der mit Waffengewalt hier einbricht, dann würde ich mich gegen ihn genau so zur Wehr setzen wie gegen einen Bruder, der morden will.
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Wir haben doch die traurige Situation, daß man drüben in der Sowjetzone längst bewaffnet ist und Deutsche auf Deutsche am 17. Juni 1953 auch geschossen haben.
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Ich darf noch zu einigen militärpolitischen Fragen Stellung nehmen, und zwar bezüglich des Aufbaues unserer Kommandoverbände und ihrer übergeordneten Stäbe und Institutionen. Es hat der vergangenen deutschen Armee seit Jahrzehnten eine gewisse Schwäche angehangen, nämlich eine allzu schematische Denkeinstellung zu den allgemeinen militärischen, erst recht zu den politischen Problemen. Das hat Stalin im Jahre 1941 sehr ausgezeichnet auswerten können. In seiner großen vaterländischen Rede im Jahre 1941 nach Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion erklärte Stalin unter anderem:
Die Deutschen sind nur gewohnt, ganz sicher zu handeln, wenn der Fall in ihren Vorschriften irgendwie geregelt ist. Werden sie dagegen vor Situationen gestellt, die sich nicht einrangieren lassen in ihr militärvorschriftliches Denkschema, dann werden sie unsicher.
Und Stalin sagte: ergo stellen wir die Deutschen vor Situationen, die nicht in ihren Vorschriften geregelt sind, und wir werden sie in große Unsicherheit und Verwirrung bringen. Und so war es. In den deutschen Vorschriften stand, daß Panzerangriffe bei Nacht schlechthin unmöglich sind. Die Russen griffen mit Panzern bei Nacht an und stießen tief in das Hinterland durch. Es dauerte Monate, bis an den Geschützen jene Justiereinrichtung auch für Zielen in der Dunkelheit angebracht war. In den deutschen Vorschriften stand, in dem tief verschneiten Rußland mit 1 m und noch mehr Schnee ist ein Bewegungskrieg im Gelände gar nicht möglich, allenfalls an Straßen und feste Plätze gebunden. In der Winteroffensive 1941 griff Stalin eben nicht auf Straßen und Plätzen, sondern im Zwischengelände an. Und siehe da, die damalige Armee Wlassow stieß im unbesetzten Zwischengelände bis tief hinter die deutsche Front vor. Wir müssen uns hüten, dieses allzu schematische Denken der Vergangenheit zu übernehmen, und müssen in Zukunft aus den Erfahrungen der Vergangenheit wesentlich wendiger werden.
Das bedeutet aber auch, Herr Kollege Blank, daß man bei der personellen Gestaltung Ihres künftigen Verteidigungsministeriums eine gute Mischung zwischen den früheren höchsten Stäben und der Erfahrung der Front durchführt. Wir haben den Eindruck, daß allzusehr die Theorie hoher und höchster Stäbe und etwas zu wenig die praktische Erfahrung des Frontsoldaten ausgewertet wird. Wir wissen doch, wie truppenfremd oft die Stäbe waren und wie sehr sich mit der Entfernung vom vorderen Graben nach hinten die Betrachtung der militärpolitischen Fragen ins Spekulative und Illusionäre verlagert hatte. Es war doch manchmal eine Welt, die zwischen der Lagebeurteilung des Frontkommandeurs und der des Obersten im Stabe einer Armee klaffte. Es ist auch nicht wahr, daß alle katastrophalen Fehlentscheidungen des zweiten
Weltkrieges nur dem „größten Feldherrn aller Zeiten", dem Gefreiten Hitler, zuzuschreiben sind. An diesen Fehlentscheidungen hat auch ein großer Teil seiner unmittelbaren Umgebung mitgewirkt. Man sollte also nicht das Prinzip aufstellen, daß, wer einmal im Oberkommando des Heeres oder der Luftwaffe oder der Marine gesessen hat, bei militärpolitischen Entscheidungen unfehlbar wäre. Sehr viele haben sich geirrt, nicht nur bei uns, auch - Gottlob - bei den anderen. Es empfiehlt sich auch, bei der personellen Betrachtung der künftigen Fachleute darauf zu achten, daß nicht wieder ein in manchen Stäben sattsam bekannter Militärsnobismus auftritt, der den Menschen nur als Material zu werten geneigt ist und für den mit dem Major im Generalstab überhaupt erst der satisfaktionsfähige Kamerad beginnt.
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- Ja, den hat es auch gegeben. Wir haben ja alle unsere Erfahrungen gemacht, darüber habe ich im Dezember hier gesprochen.
Es wird daher sehr wichtig sein, unter welche politisch-parlamentarische Kontrolle diese Demokratie ihre Armee stellt. Ich habe schon in der ersten Lesung die Idee des Bundesverteidigungsrates erwähnt, jenes Beispiel aus der amerikanischen Praxis, den National Security Council, wo ein Rat die letzten Entscheidungen zu fällen hat. Ich glaube, es wäre gut, wenn eine solche Institution auch bei uns geschaffen würde, ein Bundesverteidigungsrat, in dem vielleicht der Bundespräsident oder der Kanzler der Vorsitzende wäre und dem dann die Minister des Innern, des Außern, für Wirtschaft, Finanzen und Verteidigung angehören sollten, erweitert um Vertreter aller Fraktionen; ja, vielleicht sollte auch der Verteidigungsausschuß mit stärkeren Rechten, etwa im Sinne des amerikanischen Verteidigungsausschusses, ausgestattet werden.
Die Frage des Oberfehls, der man bisher ausgewichen ist, wird nun ebenfalls zur Entscheidung kommen. Wir Freien Demokraten sind nach wie vor der Auffassung, daß die repräsentative Spitze einer Wehrmacht tunlichst aus dem parteipolitischen Streit herausgehoben sein sollte. Es kann nach unserer Auffassung diese repräsentative Spitze daher nur der Bundespräsident sein. Natürlich wird man gewisse kommandomäßige Rechte, die früher der Oberbefehlshaber hatte, auf den Verteidigungsminister verlagern müssen. Das Problem der höchsten Kommandogewalt ist durch die Integrierung in die Westeuropäische Union und NATO ja ohnehin anders geregelt als zu früheren Zeiten.
Wir werden auch überprüfen müssen, ob nicht eine gewisse Änderung des Grundgesetzes notwendig ist durch den kolossalen Machtzuwachs, den die Exekutive durch eine Wehrmacht erhält. Als Parlament sind wir heute kaum noch in der Lage, die Exekutive zu kontrollieren. Wir wissen doch - und das ist ein Übel in allen demokratischen Staaten -, wie die gesetzgebende Körperschaft immer mehr und mehr zur Funktion der Exekutive degradiert wird und daß wir nicht einmal den bescheidensten Apparat der Gesetzgebungshilfe haben, wie er beispielsweise in den Vereinigten Staaten so großzügig eingerichtet ist. Um wieviel schwerer wird es sein, eine parlamentarische Kontrolle über eine Armee auszuüben! Vielleicht ist es zweckmäßig, das Grundgesetz dahingehend umzugestalten, daß
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der Verteidigungsminister, aber vielleicht sogar alle Minister
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der Kontrolle des Parlaments unmittelbar unterstehen.
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Wir haben es doch unlängst erlebt, daß sich im Falle irgendwelchen Versagens eines Angehörigen eines Ministeriums nicht der Minister selbst, wie beispielsweise in England, zu verantworten braucht, sondern nach der jetzigen Konstruktion des Grundgesetzes segeln die Bundesminister im Kielwasser des Regierungsschiffs, und die starke Position des Regierungschefs bringt es mit sich, daß ihnen nichts geschehen kann und damit eine unmittelbare Kontrolle eines Ressorts gar nicht mehr möglich ist. Soll das auch beim Verteidigungsministerium der Fall sein? Die Erwägungen und Anregungen, wie sie in einer dankenswerten Schrift Ihres Assistenten, Herr Kollege Arndt, anläßlich eines Vortrags vor der Hochschule für Politik in Berlin niedergelegt wurden, sollten aufgegriffen werden, um in der Umkonstruktion des Grundgesetzes jene Gewaltenteilung und jene Kontrolle zu schaffen, die der Demokratie dienlicher ist als die Fortsetzung der gegenwärtigen.
Es wird auch zweckmäßig sein, jetzt schon offen zu erklären, daß gewisse Praktiken bei der Regierungsbildung nicht auch für die Besetzung der hohen Kommandostellen gelten sollen. Ich meine hier das Gewohnheitsrecht, das sich leider allmählich hier in Bonn entwickelt hat, daß gewisse Positionen nach konfessionellen Quoten verteilt werden müssen. Wenn das eines Tages auch auf die hohen Kommandostellen der Armee übergreift, dann ist bereits im ersten Stadium in die Armee der Keim konfessioneller Zerrissenheit gelegt.
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Das Anliegen aller Stellen sollte es doch sein, die Gemeinsamkeit als das höchste Ziel aufzufassen. - Herr Kollege Kunze, Sie wissen, wie lange es dauerte, bis wir einen Bundespostminister hatten, weil er drei Forderungen erfüllen mußte, was sehr schwer war: er mußte der CSU angehören, er mußte aus Bayern stammen und mußte auch Protestant sein.
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- Herr Kollege Stücklen, es ist bei manchen Bayern sehr schwer, festzustellen, woher sie stammen, wenn zum Beispiel Herr Jaeger mir übelnimmt, daß ich sage, er sei in Berlin geboren, weil er sich als Bayer fühlt. Ich bin sehr vorsichtig; ich weiß, daß nicht alle Bayern aus Bayern kommen; es gibt auch viele Bayern, die aus Preußen stammen.
Meine Damen und Herren, darf ich noch zum Schluß einige Sätze auf ein Spezialthema verwenden, das mit der psychologischen Seite des Verteidigungsbeitrages eng zusammenhängt: die Frage der Kriegsverurteilten. Wir haben die Hoffnung, daß das Kriegsverurteiltenproblem sich endgültig löst, wobei ich betone, daß ich nicht für diejenigen spreche, die Verbrecher im wahrsten Sinne des Wortes sind, weil sie ohne die Not des Krieges zu Sadisten geworden sind. Ich spreche für jene, die
durch die Not und durch die besonderen Ereignisse des Krieges in Handlungen verstrickt wurden, für die sie mindestens jetzt, 10 Jahre danach, eine mildere Beurteilung verdienen als vielleicht im Jahr ihrer damaligen Verurteilung.
In den vergangenen Jahren sind neun Zehntel der Inhaftierten entlassen worden. Ich hoffe, daß man auch bezüglich des letzten Zehntels eine Regelung findet. Ich bitte, die Einrichtung der Gnadenkommissionen, die sich bei uns bewährt hat, auszudehnen auf ein deutsch-niederländisches Abkommen und auf eine deutsch-französische Gnadenkommission bezüglich der noch in Frankreich Inhaftierten, weil die jetzige gemischte Kommission lediglich für die in Deutschland Inhaftierten Kompetenz hat.
Nicht nur bei uns, auch im Ausland selbst erheben sich immer mehr Stimmen, man solle das Problem abschließen. Eine Gemeinschaft von acht Professoren des Staatsrechts und der Kriminologie in Holland hat Anfang November vorigen Jahres in der „Niederländischen Juristischen Wochenschrift" einen Aufruf veröffentlicht. Mit diesem Aufruf befaßte sich am 12. Januar der „Nieuwe Rotterdamsche Courant" und am 18. Januar der „Telegraaf", ebenfalls eine niederländische Zeitung. Der „Telegraaf" schloß seinen Artikel:
Wir sprechen die Hoffnung aus, daß die erste Kammer des Justizministeriums gelegentlich der Behandlung des Etats einen Anlaß finden wird, mit Kraft auf eine Gnadenführung zu drängen, die an diesem Tage, soweit möglich, einen Strich unter die Vergangenheit setzt.
Wir können diesen Wunsch nur vollinhaltlich teilen. Selbst auf die Gefahr hin, von der „Basler Nationalzeitung" wieder als Nationalist bezeichnet zu werden, weil ich mich um die Kriegsverurteilten- und Kriegsgefangenenfrage besonders bemühe, mußte ich das hier darlegen. Es empfiehlt sich jedoch vielleicht, Herr Bundesinnenminister, auch bei der Bundeszentrale für Heimatdienst und ihren jetzigen Mitarbeitern - über Namen werden wir nachher sprechen - die Auffassung durchzusetzen, daß die Parlamentarier, die sich hier um eine Lösung des Problems bemühen, nicht an Stelle einer Kollektivschuld eine Kollektiv u n schuld setzen wollen, sondern daß es ihnen um die individuelle Regelung eines jeden Falles ,geht. Wir wollen nicht, daß unsere Bemühungen hier sogar von Angehörigen der Bundeszentrale für Heimatdienst so mißdeutet werden, wie es leider in einem Falle in der Öffentlichkeit geschehen ist.
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Ich darf noch die Hoffnung ausdrücken, daß auch die Genfer Konvention für die noch Inhaftierten mehr beachtet wird, als das bisher geschehen ist. Zu uns kommen leider bedauerliche Nachrichten von einer Verschlechterung der Zustände beispielsweise im Gefängnis in Werl.
Da ich die „Basler Nationalzeitung" und ihr Urteil, Nationalist zu sein, nicht scheue, auch noch einige Bemerkungen zu dem Problem der Behandlung der Waf fen-SS. Die Waffen-SS ist damals kollektiv als eine Verbrecherorganisation verurteilt worden. In einem Rechtsstaat sollte man nicht Kollektivurteile fällen, sondern es gilt die individuelle Verurteilung des einzelnen, und man sollte einmal prüfen, ob die noch 300 000 oder 400 000 Überlebenden dieses Teils der Wehrmacht von dem Dienst in der neuen Wehrmacht ausgeschlossen
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bleiben sollen oder ob nicht auch hier die individuelle Prüfung gerechtfertigt ist, die Prüfung in jedem einzelnen Falle.
Lassen Sie mich noch anfügen: Man sollte auch bei den alten Bezeichnungen bleiben. „Landstreitkräfte", „Seestreitkräfte", „Luftstreitkräfte", „allgemeine Streitkräfte", - Herr Kollege Blank, das klingt mir zu sehr nach Streit. Müssen wir denn alle dreißig Jahre die Firmenbezeichnung ändern? Bleiben wir bei der „Wehrmacht", deren Silbe „Wehr" aus dem allgemeinen „abwehren" des deutschen Sprachgebrauchs kommt: „Notwehr", „die Wehre", „Wehrgeld". Bleiben wir bei der „Wehrmacht" und nennen wir die drei Teile schlicht und einfach „Heer", „Marine" und „Luftwaffe", suchen wir nicht unbedingt schon wieder nach neuen Firmenbezeichnungen, in denen sich am Ende niemand mehr auskennt.
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Da Herr Kollege Kiesinger auf die wichtige Frage der Entwicklung in der Sowjetzone bezüglich eines dort getriebenen Mißbrauchs mit dem Preußentum vergangener Art hingewiesen hat, darf ich - die „Basler Nationalzeitung" möge es mir verzeihen, auch dieses Hobby hat sie gestört - mit einem einzigen Satz auf Preußen zu sprechen kommen. Allerdings liegt eine Gefahr darin, daß Ulbricht bei seiner Rede zum 140. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig am Völkerschlachtdenkmal erklärte, man müsse wie seinerzeit Yorck von Wartenburg bei Tauroggen handeln. Damals sei es darum gegangen, Preußen und Deutschland mit Hilfe Rußlands vom napoleonischen Joch zu befreien; heute gehe es darum, Deutschland mit sowjetischer Hilfe von Eisenhower und Adenauer zu befreien. So Herr Ulbricht. Allerdings: eine gefährliche Befreiungsthese. „Befreiungen" haben ja überhaupt manchmal eine etwas eigenartige Begleiterscheinung. Sie pflegen meistens bei der Befreiung von der Armbanduhr zu beginnen und enden oft bei der Befreiung von der Freiheit, wie es die Sowjetzonenbevölkerung ja sehr deutlich erlebt hat.
Wir glauben, daß Herr Kiesinger an Oswald Spengler gedacht hat, an jene Gedankengänge, die in Oswald Spenglers Schrift „Preußentum und Sozialismus" niedergelegt sind. Herr Kollege Kiesinger, wir tragen aber zu dem Mißbrauch Preußens drüben bei, wenn wir unsererseits nicht anerkennen, daß auch Preußen in seiner Geschichte Licht und Schatten hatte und daß es nicht angeht, dreihundert Jahre preußischer Geschichte einfach durch einen alliierten Kontrollratsbefehl Nr. 46 streichen zu wollen.
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Um vor allem hier im Rheinland nicht allzusehr, zumal als ehemaliger Schlesier und damit auch „erstes Opfer preußischer Befreiung" unter Maria Therisia, kritisiert zu werden, berufe ich mich bezüglich eines Abschlußurteils über Preußen - der Herr Bundeskanzler lächelt; ich habe wirklich das Rheinland insgesamt gemeint, Herr, Bundeskanzler! - hier auf keinen Geringeren als auf Stresemann, der am 8. Oktober 1919 in der 93. Sitzung erklärt hat:
Es ist nicht richtig, daß diese Ideen des alten Preußen zusammengebrochen sind. Nein, das alte Preußen, das mit seinem Beamtentum sich zu Größe durchhungerte, war meiner Meinung nach ein Sinnbild der Pflichterfüllung, das
der Welt ein leuchtendes Vorbild war. Zusammengebrochen ist Neudeutschland mit seinem Materialismus der schnell reichgewordenen Bourgeoisie. Dieses neue Deutschland war aber nicht das alte Preußen, das hier gerade in der strengen Auffassung des Pflichtbewußtseins nicht Gegenstand des Angriffes, sondern Gegenstand des Vorbildes sein soll.
So weit Stresemann. Ich persönlich wünschte mir für unseren heutigen Staat und für die Demokratie einen Bruchteil der Bereitschaft zum Dienen für eine Gemeinschaft, wie sie in Preußen üblich war, und eine entsprechende Verringerung der gegenwärtigen Neigung zum Verdienen an der Demokratie an Stelle des Dienens für den Staat.
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Ich darf zusammenfassen; ich sehe, daß ich die Zeiten des Herrn Kollegen Erler und des Herrn Kollegen Strauß noch lange nicht erreicht habe.
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- Meine Uhr hat man mir damals nicht weggenommen. Ich habe noch keine Stunde und 40 Minuten gesprochen, wie Sie sehen können.
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Herr Kollege Erler hat die Frage aufgeworfen, ob nicht die Explosion der zwei Wasserstoffbomben die klassischen Waffen schlechthin überflüssig gemacht habe. Sind deutsche Divisionen durch die Atombomben nicht nebensächlich, überhaupt überflüssig? Wenn dem so wäre, dann wunderte es mich, warum die Sowjetunion ihre klassischen Divisionen bei sich selbst in der Roten Armee und bei den Satellitenstaaten weiter ausbaut und aufrüstet. Es kann also nicht so sein, daß die Wasserstoffbombe die alte klassische Bewaffnung überflüssig gemacht hat.
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- Herr Kollege Eschmann, im Jahre 1935 waren Sie schon Berufssoldat, ein Jahr früher als ich. Darf ich Ihnen die Schrift des italienischen Generals Douhet in Erinnerung rufen, die er damals über den Luftkrieg geschrieben hat. Darin hat er ein schauerliches Bild entworfen, daß der Luftkrieg in wenigen Wochen zur Zerstörung so großer Gebiete führen würde, daß man praktisch von einem klassischen Krieg gar nicht mehr würde sprechen können. Nun, wie war die Entwicklung, im Gegensatz zu dem, was General Douhet 1935 geschrieben hat? Die Angloamerikaner haben über Westdeutschland und den besetzten Gebieten 2 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen, also ein Vielfaches dessen, was Herr Douhet sich damals überhaupt hat vorstellen können. Während damals noch das Höchstgewicht einer Fliegerbombe 250 kg war, ist es im zweiten Weltkrieg auf 5000 kg gesteigert worden, und die Bombenlast, die auf eine einzige Großstadt Deutschlands abgeworfen wurde, erreichte manchmal 6000 t in einem Angriff. Über England sind insgesamt 75 000 t Sprengstoff durch deutsche Flugzeuge und V-Waffen abgeworfen worden. Die Engländer haben - auch das, Herr Eschmann, gerade zu Ihren Einwendungen - 22 000 Flugzeuge verloren, die Amerikaner 18 000 Maschinen, mit insgesamt 158 000 Mann. Die deutsche Luftwaffe hat rund 100 000 Flugzeuge, genau 94 500, mit insgesamt 300 000 Toten und Vermißten ver({17})
Loren. Ich nenne Ihnen diese Zahlen, um Ihnen eine Vorstellung von der Ausweitung des Luftkrieges des zweiten Weltkrieges zu vermitteln.
Natürlich hat der Luftkrieg eine entscheidende Wende in der Kriegführung gebracht. Die Beherrschung des Luftraumes war die erste Forderung für das Gelingen strategischer und taktischer Operationen. Aber der Luftkrieg hat trotz dieses Ausmaßes die klassische Bewaffnung und die klassische Form des Kampfes nicht überflüssig gemacht,
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und das gleiche ist auch von den Atomwaffen zu sagen. - Die Strategie ist nicht überholt, sondern die Strategie wird sich, wie immer, den veränderten Verhältnissen eben anpassen müssen, d. h. die Verbände werden wesentlich verkleinert, die Räume werden noch leerer werden als im zweiten Weltkrieg, d. h. die Tiefe wird noch größer werden; und wenn Herr Kollege Erler sagt, man könne nur das gesamte Deutschland verteidigen, so ist das falsch. Selbst Europa ist für eine nachhaltige Tiefenverteidigung bereits zu eng, um wieviel mehr erst Deutschland!
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Die Verluste der Zivilbevölkerung und die Zahl der gesamten Opfer des zweiten Weltkriegs brauche ich im Zusammenhang mit der Zitierung der Überschätzung des Luftkriegs durch den italienischen General Douhet aus Zeitmangel nicht mehr bekanntzugeben.
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- Als Sie jetzt den Zwischenruf „Witwen" machten, da kam mir wieder einmal zum Bewußtsein, welch falsche Alternativen und welch terrible Simplifikation doch immer wieder möglich sind. Wir sprechen hier über militärpolitische Fragen. Daß wir alle nicht wollen, daß unsere Überlegung eines Tages Realität werde, daß wir alle weder die erste Schlacht ostwärts der Weichsel noch die letzte westlich der Pyrenäen schlagen wollen, das dürfte doch Überzeugung des gesamten deutschen Volkes sein, und darüber braucht man gar nicht zu streiten. Aber an wem liegt es denn, ob sie geschlagen wird oder nicht? Am wenigsten an uns, am ehesten an der Entscheidung in Moskau und in Washington. Ich frage Sie: wann haben wir wohl eher die Chance, mit beizutragen, wenn wir uns außerhalb aller Institutionen halten oder wenn wir im Atlantischen Rat, jenem höchsten politischen Gremium, auch unsere Stimme erheben und unsere Sorgen ebenso zum Ausdruck bringen können, wie es England in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen getan hat?
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Wer nicht dabei ist, hat keine Chance, mitzubestimmen. Und ich sehe daher gerade im Beitritt zum NATO-Pakt, in der Mitbestimmung im Atlantikrat die größte Chance, zu verhindern, daß es neue Witwen gibt.
Ihren Zwischenruf „Standing Group" will ich ebenfalls beantworten. Ich erinnere mich, daß Sie 1950 den Beitritt zum Europarat abgelehnt haben mit der Bemerkung: Wir werden nicht im Ministerrat vertreten sein. Sechs Monate später waren wir Vollmitglieder des Ministerrats. Ich bin überzeugt, auch wenn wir jetzt nicht Mitglied der Standing Group sind, werden wir bald Mitglied werden,
trotz der englischen Kritik. Wir müssen eben warten, bis das reift, wie seinerzeit beim Europarat. Die Standing Group - Herr Kollege Eschmann oder Herr Kollege Erler, lassen Sie sich das sagen - ist im übrigen nicht das entscheidende Gremium. Das entscheidende politische Gremium ist der Atlantische Rat, das entscheidende militärische ist der Militärausschuß, in dem der deutsche Fachmann gleichberechtigt mit den anderen Fachleuten sitzt.
Ein Zweites: Sie reden draußen von der „Verbrannten Erde". Natürlich würde uns eine furchtbare Katastrophe treffen, wenn es den Casus belli gibt. Aber auch hier frage ich Sie: Wann haben wir wohl mehr die Chance der Rücksichtnahme auf unseren Boden, wenn die Strategie der NATO bei der Planung und Bewegung ihrer Verbände auf die Existenz von 500 000 deutschen Soldaten und ihre Angehörigen Rücksicht nehmen muß oder wenn sie ohne die Deutschen mit dem deutschen Boden schalten kann, wie sie will?
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Es gibt noch einen dritten Fall. Man hat mir in Amerika gesagt - Herr Wienand, auch Sie haben Amerika erlebt -: Wenn wir nicht mit euch Schulter an Schulter in der Lage sind, in einer ohnehin schlechten Ausgangsposition an Elbe und Werra noch das restliche Europa zu schützen, wenn ihr also nicht mittut, dann müssen wir andere Wege finden. um das Potential der Ruhr auszuschalten. Mir ist daher das Mittun, mit der Chance, daß es nicht dazu kommt, doch wesentlich sympathischer als das ,.Ohne mich", das ..Ohne uns", auf das zwangsläufig dann das „Ohne euch" der NATO-Strategie folgen müßte.
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Wir sind dagegen der Meinung, daß der Friede dann am ehesten gesichert ist, wenn man nicht „Ohne mich" sagt, sondern wenn man die Bereitschaft zu erkennen gibt, selbst unter den gegenwärtigen leider nicht günstigen Umständen seinerseits zur Erstarkung der freien Welt beizutragen. Wir glauben - ich wiederhole es -, daß der Friede am ehesten gesichert ist, wenn dem einen gewaltigen Machtkomplex politischer und militärischer Art eine ebenso große Geschlossenheit politischer und militärischer Art der freien Welt gegenübersteht, so daß keiner von beiden in die Versuchung kommen könnte, einen risikolosen Angriff zu wagen.
Natürlich liegt in der zukünftigen Entwicklung noch manche Chance zu neuen Konstruktionen. Für mich sind die Verträge auch nicht der Weisheit letzter Schluß, ebensowenig für meine Kollegen. Die Frage der Wiederbewaffnung ist für uns ein großes psychologisches und materielles Opfer. Sie haben mir eben vorgeworfen, wir hätten 1949 anders geurteilt. Nein, 1949 hat das gesamte Haus eine Wiederbewaffnung abgelehnt. Auch ich habe mich in der Öffentlichkeit geäußert. Es kommt nach den Erfahrungen, nach den Verlusten, nach den Katastrophen des 2. Weltkrieges psychologisch die Frage der Wiederbewaffnung viel zu früh, 10 Jahre zu früh an uns heran. Um so größer ist das Opfer, um so größer ist die Überwindung, zu der wir uns durchringen müssen. Aber Ich sehe keine andere Möglichkeit, den Weltfrieden zu erhalten. Ich glaube auch nicht, daß wir so tun können, als wenn Deutschland inmitten jenes brandenden Meeres der Spannungen eine ruhige Insel sein könnte.
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Die Verträge sind der Weisheit letzter Schluß nicht. Es ist durchaus möglich, daß während ihrer Verwirklichung, die ja mindestens drei, wenn nicht mehr Jahre in Anspruch nimmt, zwischen Ratifikation und Realisation die Chance neuer Situationen gegeben ist. Neue Situationen werden zwangsläufig auch zu neuen Konstruktionen führen. Wir haben doch erlebt, wie der Brüsseler Pakt, der 1947 gegen uns gerichtet war, im Jahre 1954 eine völlige Umgestaltung in unserem Sinne bekam. Das Rad der Geschichte steht doch nicht still. Das haben gerade wir doch seit 1945 erlebt. Natürlich werden die Sowjets niemals - da gebe ich Ihnen recht, Herr Erler - die Zone preisgeben, wenn sie befürchten müssen, daß amerikanische Atomkanonen dann nicht mehr an Elbe und Werra, sondern an der Oder stehen werden. Natürlich werden die Amerikaner wiederum nicht einer Wiedervereinigung zustimmen, wenn sie befürchten müssen, daß sich jenes Deutschland dem Ostblock anschließen könnte - wie seinerzeit in der Weimarer Republik die Reichswehroffiziere nach Moskau zur Ausbildung gefahren sind -, und dann sowjetische Atomkanonen an den Rhein kämen. Hier muß eine Verständigung aller vier erreicht werden, und diese Verständigung ist möglich. Wir glauben aber in einer wesentlich günstigeren Position zu sein, wenn wir mit dem Bündel der Verträge an den Tisch kommen, als wenn wir mit leeren Händen erscheinen.
Wenn es den Sowjets gelingt, die Ratifikation der Verträge zu verhindern, haben sie die erste Runde schon gewonnen, ohne auch nur das geringste an Konzessionen gemacht zu haben.
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Es ist doch kein Zufall, daß wir erst mit einem Störungsfeuer, jetzt schon mit einem Trommelfeuer von Briefen bombardiert werden. Ganze Schulklassen schreiben, Telegramme werden geschickt. Meine Damen und Herren, mir beweist diese Kampagne von drüben, wie gut doch anscheinend diese Verträge für Deutschland und die Freiheit sein müssen.
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Genau so, wie mir die Ablehnung der EVG in der Assemblée nationale in Paris beweist, daß die EVG für Deutschland gar nicht so schlecht gewesen sein kann, wie sie seinerzeit immer gemacht wurde. Denn dann hätte man sie ja in Paris nicht abzulehnen brauchen, wenn darin etwas Schlechtes für uns zum Ausdruck gekommen wäre.
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Der Herr Bundeskanzler hat gestern das Wort vom „Nationalismus" gebraucht. Man sollte mit dem Wort „Nationalismus" als Vorwurf sehr sparsam umgehen, - ohne daß ich mir anmaße, Herr Bundeskanzler, schon in Hochachtung vor Ihrem Alter und Ihrer Stellung, Ihnen einen Rat zu geben. Aber Röpke sagt einmal: Nationalismus ist ein Knüppel, den man immer zur Hand hat, wenn man irgendwie auf Deutschland dreinschlagen will.
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Wenn schon die anderen diesen Knüppel, wie es ihnen paßt, gegen uns verwenden, sollten wir uns in Deutschland wenigstens nicht auch noch regenseitig Nationalismus vorwerfen.
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Die Frage, was Deutschland nützt oder was Deutschland schadet, kann nach meiner Auffassung niemand in diesem Hause apodiktisch mit einer einfachen Behauptung beantworten. Die Frage, was Deutschland nützt und was Deutschland schadet, die Frage, inwieweit unsere Maßnahmen seit 1949 dem deutschen Volk und dem Frieden der Welt gedient haben oder inwieweit sie ihm geschadet haben, dieses Urteil kann einzig und allein in vielen Jahrzehnten erst die Geschichte fällen. Man sollte daher mit Aufstellen von Dogmen im politischen Raum auch nicht allzu voreilig sein. In der Mathematik kann man sagen, daß ({31}) 2 = a 2 + 2 ab + b 2 ist, und alles andere ist falsch.
({32})
- Sie sehen, wie auch auf dem humanistischen Gymnasium noch Mathematik gelernt werden konnte. In der Politik gibt es diese einfache mathematische Lösung nicht. In der Politik entscheidet sich erst nach vielen Jahrzehnten in der Geschichte, was richtig und was falsch war. Man kann lediglich dem anderen den guten Glauben unterstellen, den man für sich selbst in Anspruch nimmt, und man kann lediglich die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß es wirklich allen darum geht, dem Frieden und der Verständigung zu dienen, obgleich ich der Auffassung bin, daß manche, die im Osten von Frieden und Freiheit und Verständigung und Demokratie reden, das Gegenteil dessen meinen; denn die Praxis der Sowjetzone beweist es.
({33})
Wir wollen daher hoffen, daß diese beiden militärischen Verträge dem Frieden der Welt dienen und daß die Geschichte einmal über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts positiver urteilen wird als über die erste Hälfte, an der ein Teil von Ihnen ja mitgestaltet hat und die uns leider in einer Generation zwei blutige Kriege mit 36 Millionen Toten gebracht hat. Wir wollen hoffen, daß die zweite glücklicher ist und daß man am Ende unserer Geschichtsperiode besser über uns urteilen wird, als die jungen Menschen leider heute politisch über ihre Väter und Großväter urteilen müssen.
({34})
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Abgeordnete Mende sein Versprechen wahrgemacht hat. Er hat unter einer Stunde und 40 Minuten gesprochen, nämlich eine Stunde und 39 Minuten.
({0})
Für den Abschnitt c unserer Beratungen stehen noch sieben Redner auf meiner Liste.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({2}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne dem Herrn Kollegen Mende zu nahe treten zu wollen, hätte ich allerdings erwartet - und meine Freunde mit mir -, daß er nach der bewegten Klage über die Länge der Reden, die hier gehalten werden, die Konsequenz gezogen und sich selbst etwas kürzer gefaßt hätte.
({0})
({1})
Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich Sie hier kurz noch mit einem Problem befasse, das wiederholt hier zur Debatte gestanden hat, das meines Erachtens aber so wichtig ist, daß es im Rahmen der hier stattfindenden Besprechung noch einmal erwähnt werden muß. Es handelt sich um das Kriegsverurteiltenproblem. Wir dürfen diese Gelegenheit der Besprechung über die Pariser Verträge auf keinen Fall vorübergehen lassen, ohne über diese Frage noch einmal eingehend zu reden. Auf der anderen Seite steht fest, daß die Freilassung der noch inhaftierten Kriegsverurteilten im In- und Auslande ein enorm wichtiges Stück psychologischen Verteidigungsbeitrages ist. Es sind nunmehr zehn Jahre vergangen, und wir stehen vor der traurigen Tatsache, daß immer noch einige hundert Deutsche im Ausland festgehalten werden. Das ist eines der bittersten Kapitel der Nachkriegszeit.
({2})
Wenn wir hier in diesem Hause das Thema selbst schon wiederholt vertagt haben, dann darf ich wohl mit Fug und Recht feststellen, daß sowohl im Inlande wie im Auslande das Wort „Vertagung" in Sachen Kriegsverurteiltenproblem ganz groß geschrieben wurde, und das muß anders werden. Durch diese Vertagung ist das Problem nämlich von einem rechtlichen und moralischen zu einem politischen geworden, und es ist wohl nicht übertrieben, wenn man auf Grund der Dinge, die sich im Rahmen der sogenannten Kriegsverbrecherprozesse abgespielt haben, behauptet, daß hier die Justiz zur Dirne der Politik geworden ist.
Andererseits drückt sich auch die ganze Grausamkeit unserer Zeit nicht nur darin aus, daß wir zehn Jahre nach Kriegsende keinen Friedensvertrag haben, sondern eben auch darin, daß man es trotz der Tatsache, daß wir uns jetzt anschicken, freundschaftliche wirtschaftliche und militärische Bande mit den freien Völkern des Westens zu knüpfen, auf der andern Seite doch anscheinend ganz in Ordnung befindet, daß man die Gefangenen des ehemaligen Besiegten noch in Zellen und Kerkern zurückhält. Es liegt mir fern, etwa alte Wunden wieder aufzureißen. Auf der andern Seite ist gerade - selbst wenn ich einen großen Teil Ressentiment bei den noch Inhaftierten abstreiche - die Klage auf seiten der Inhaftierten, daß die Bundesregierung für ihre Befreiung nicht nachdrücklich genug eingetreten sei, immer wieder zu hören.
Die Zeitung „Der Heimkehrer", das offizielle Organ des Heimkehrerverbandes, schrieb neulich in einer bitteren Glosse, daß man, wenn man sich im Ausland über das Problem der deutschen Kriegsverurteilten unterhalte und mit den Ausländern diese Dinge erörtere, immer wieder gefragt werde, weshalb die Bundesregierung nicht nachdrücklicher für deren Befreiung eintrete. Nun, wir wissen, daß wir selbst in den vergangenen Jahren starke Zurückhaltung geübt haben, die teilweise durch außenpolitische Rücksichten bedingt war. Aber, meine Damen und Herren, es gibt nicht nur eine öffentliche Meinung im Ausland, es gibt auch eine öffentliche Meinung in Deutschland; und diese öffentliche Meinung in Deutschland verlangt, daß wir in einem Moment, wo wir uns anschicken, uns endgültig mit dem Westen zu verbinden, auch die endgültige Freilassung unserer deutschen Menschen fordern müssen.
({3})
Ich kann es mir hier versagen, noch einmal das vorzulesen, was der Kollege Mende vorhin schon zum besten gegeben hat, nämlich die Tatsache, daß beispielsweise in Holland sehr starke Kräfte - es handelt sich in der Hauptsache um Hochschulprofessoren und Juristen - am Werke sind, die in ihrem eigenen Land zumindest für eine größere Aufgeschlossenheit in dieser Frage eintreten. Es ist auch schlechthin unzumutbar, daß wir eine neue Wehrmacht aufstellen wollen und daß im gleichen Augenblick noch ehemalige deutsche Soldaten und Zivilisten in Kerkern festgehalten werden. Und seien wir ganz ehrlich: Trotz der gemischten deutsch-alliierten Kommission hat sich ein Großteil der Maßnahmen zur Befreiung bzw. zur Betreuung dieser Menschen bisher nur auf karitativem Gebiete abgewickelt, und wir haben mehr oder minder in der Öffentlichkeit auch die Meinung gehört, es handelt sich ja nur noch darum, daß diese Leute die Freiheit wollten. Nun, es ist über die Freiheit hier im Verlaufe dieser Debatte sehr viel geredet worden, und man kann weiß Gott nicht den Ausdruck „nur Freiheit" gebrauchen; denn das ist ja das, was wir mit den Verträgen auch bezwecken wollen: wir wollen unsere Freiheit sichern.
Ich brauche mich hier nicht noch einmal über die Urteilsfindung in diesen sogenannten Kriegsverbrecherprozessen auszulassen. Darüber ist hier schon sehr viel geredet worden. Ich glaube allerdings, daß dann, wenn die Alliierten 1945 jene Kriegserkenntnisse gehabt hätten, die sie leider - ich betone: leider - in den Nachkriegsjahren auf anderen Kriegsschauplätzen der Welt sammeln mußten, die Beurteilung mancher Tat von Deutschen vielleicht auch anders ausgefallen wäre.
Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es im Rahmen dieser Justiz der frühere englische Generalankläger Sir David Maxwell Fyfe war, der ausführte:
Was wir vermeiden wollen, ist eine Diskussion vor Gericht darüber, ob die Handlungen Verletzungen des Völkerrechts sind oder nicht. Wir bestimmen, was Völkerrecht ist, so daß es keine Diskussion darüber geben kann, ob es Völkerrecht ist oder nicht. Wir hoffen, daß das in einer Linie mit dem Buch von Professor Trahinin liegt.
- Also jenem russischen Experten in der sogenannten Kriegsverbrecherfrage.
Es liegt auf derselben Linie, wenn der frühere amerikanische Hochkommissar in Deutschland McCloy sagte:
Wenn ich zurückblicke, wünschte ich, wir wären in der Lage gewesen, Gerichtshöfe einzusetzen, deren Richter nicht ausschließlich von den Siegern gestellt worden wären.
Meine Damen und Herren, man kann dieses Thema nicht erörtern, ohne schmerzlich darauf hinzuweisen, daß die deutschen Soldaten und Zivilisten im Rahmen dieser Prozesse einer Sonderbehandlung hinsichtlich des Rechts unterworfen worden sind und daß leider die Auswirkungen dieser Sonderbehandlung zwischen Siegern und Besiegten auch heute noch weiterwirken. Ich darf vielleicht in dem Zusammenhang - wenn ich hier einige Zitate mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf - darauf hinweisen, daß es mir notwendig erscheint, wenn ich mir schon speziell dieses Thema herausgesucht habe, auch einige gart
({4})
wesentliche Punkte anzusprechen, besonders solche Punkte, wo ich mich in der angenehmen Gesellschaft von ausländischen Staatsmännern, Politikern usw. befinde, die selbst erkannt haben, daß im Rahmen der sogenannten Kriegsverbrecherprozesse oftmals nicht mit den Maßstäben des Rechts gemessen wurde.
Papst Pius XII. sagte am 3. Oktober 1953 über das internationale Strafrecht u. a.:
Einem unbeteiligten Dritten 'bereitet es Unbehagen, wenn er sieht, wie nach Abschluß der Feindseligkeiten der Sieger den Besiegten wegen Kriegsverbrechen aburteilt, während sich der Sieger dem Besiegten gegenüber ähnlicher Handlungen schuldig gemacht hat. Die Besiegten können zweifellos schuldig sein, die Richter der Sieger können ein offenbares Rechtsgefühl und den Willen zur völligen Objektivität haben. Trotzdem verlangt in solchen Fällen oft das Interesse des Rechts und das Vertrauen, das für das Urteil beansprucht wird, die Zuziehung von neutralen Richtern zum Gerichtshof, so daß die entscheidende Mehrheit von diesen abhängt. Der neutrale Richter darf es in solchen Fällen nicht als seine Aufgabe betrachten, den Angeklagten freizusprechen. Er muß das bestehende Recht anwenden und sich demgemäß verhalten. Aber diese Zuziehung gibt allen unmittelbar Interessierten, allen neutralen Dritten und der Weltöffentlichkeit eine größere Gewißheit, daß Recht gesprochen worden ist. Gewiß stellt sie eine gewisse Begrenzung der eigenen Souveränität dar; aber dieser Verzicht wird mehr als aufgewogen durch den Zuwachs an Prestige, an Achtung und Vertrauen gegenüber den richterlichen Entscheidungen des Staates, der so vorgeht.
Meine Damen und Herren, es ist auch eine bedauerliche Tatsache, daß heute noch Deutsche in alliierten Gefängnissen sitzen, die überhaupt noch kein Gerichtsverfahren gehabt haben. Ich habe mich darüber in meiner letzten Rede zu dieser Frage schon näher verbreitet. Man kann, wenn man die Methoden betrachtet, mit denen diese Prozesse vielfach geführt worden sind, wohl ohne weiteres feststellen, daß diese in vielen Fällen völkerrechtswidrig waren, daß sie in vielen Fällen gegen die Prinzipien der Vereinten Nationen absolut verstießen, daß sie in vielen Fällen den Forderungen des öffentlichen Gewissens absolut entgegenstanden und nicht zuletzt auch, daß sie den Grundsätzen der UN-Charta widersprachen.
Ich darf in dem Zusammenhang auch noch auf eine Äußerung des Hamburger Ausschusses der Werl-Verteidiger hinweisen, in der es u. a. heißt:
Alle Gefangenen wurden in einem Ausnahmeverfahren verurteilt, von dem ein Engländer, der Manstein-Verteidiger Paget, in seinem Buche schreibt, daß es im Prozeß gegen Deutsche mindestens ein Dutzend Dinge gegeben habe, von denen jedes einzelne in einem Prozeß gegen Engländer zur Aufhebung des Urteils wegen schwerer Rechtsverletzung geführt hätte. Bei solchen Verfahren konnte es gar nicht ausbleiben, daß viele unschuldig verurteilt wurden und daß bei anderen die Straftat außer allem Verhältnis zum Maß der persönlichen Schuld ausfiel. Obwohl sich der Gedanke geradezu aufdrängte, daß mancher Irrtum vorgekommen sein müßte, hat die britische Regierung während der ganzen Jahre keine gerichtliche Nachprüfungsinstanz geschaffen. Selbst wenn wichtige Zeugen erreichbar waren, deren Anschriften zur Zeit des Prozesses nicht ermittelt werden konnten, gab es kein gerichtliches Wiederaufnahmeverfahren.
Wie zweifelhaft die Rechtsprechung in vielen Fällen gewesen ist, besagt auch eine Notiz in „The American Year-book" vorn Jahre 1946 - ich sage: vom Jahre 1946 -, wo Senator Robert Taft aus Ohio, ein führender Amerikaner, das von dem Nürnberger Gericht gefällte Urteil öffentlich angriff. Am 5. Oktober 1946 behauptete Taft in einer Rede im Kenyon College, daß der Schuldspruch von Nürnberg eine Rechtsbeugung, miscarriage of justice, darstellt, die das amerikanische Volk noch lange bereuen werde. Der Nürnberger Gerichtshof, erklärte er, habe idas fundamentale Prinzip des amerikanischen Rechts verletzt, wonach niemand für eine Handlung bestraft werden kann, die zur Zeit ihrer Begehung nicht ausdrücklich verboten war. Er stellte des weiteren fest, daß kein Prozeß, der von den Siegern gegen die Besiegten geführt werde, unparteiisch sein könne, wie sehr man sich auch bemühe, ihn mit justizmäßigen Formen zu umkleiden. In diesen Prozessen, so klagte Taft an, haben wir uns die russische Vorstellung vom Zweck eines Strafverfahrens zu eigen gemacht, Regierungspolitik und nicht Gerechtigkeit zu üben. Das hat aber wenig mit unserem angelsächsischen Erbe zu tun.
Meine Damen und Herren, am 6. Mai 1954 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über den Beitritt zu den vier Genfer Rot-Kreuz-Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 verabschiedet und damit zum Ausdruck gebracht, daß diese Abkommen auch für die Bundesrepublik rechtsverbindlich seien. Der Art. 1 dieser Genfer Abkommen vom 12. August 1949 lautet: „Die hohen Vertragschließenden verpflichten sich, das vorliegende Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung sicherzustellen." Hier ist nun die Frage angebracht, was die Bundesregierung getan hat, zu prüfen, wieweit diese Genfer Abkommen auf unsere Kriegsgefangenen und Verurteilten in ausländischem Gewahrsam Anwendung finden und, wo Verstöße aufgetreten sind, was unternommen werden kann, um diese Verstöße zu beseitigen. Ich glaube, daß hierüber in der Öffentlichkeit leider wenig bekannt ist.
Ich möchte dann noch weiter darauf hinweisen, daß ich in meine Betrachtungen alle Kriegsverurteilten einbeziehen möchte, und zwar auch jene, die in Gefängnissen des In- und Auslandes sitzen, ferner diejenigen, die nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 in Deutschland selbst verurteilt worden sind. Diejenigen Kriegsverurteilten, die durch alliierte Gerichte verurteilt worden sind und heute in alliierten Haftanstalten in Deutschland und auch im Ausland sitzen, erfreuen sich einer Betreuung durch die zentrale Rechtsschutzstelle. Eine solche Stelle gibt es leider nicht für jene, die nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 in Deutschland inhaftiert worden sind, und eis ist ein bedauerliches Faktum, daß hier nicht nur diesen Inhaftierten vielfach mangels der notwendigen Mittel usw. die Möglichkeit fehlt, irgendwo einen Rettungsanker zu werfen, sondern daß man leider auch in Deutschland selbst fast neun Jahre gebraucht hat, um in allen
({5})
Fällen eine Aburteilung derjenigen vorzunehmen, die nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 zu verurteilen waren.
Ich sagte schon, meine Damen und Herren, daß die Verfahren oftmals nicht, ich möchte fast sagen: mit rechten Dingen zugingen, rund wenn ein so bekannter Völkerrechtler wie Hans Kelsen, ein aus Österreich emigrierter Jude und jetziger USA-Bürger, in seiner Schrift mit folgenden Worten darauf hinweist:
Die Bestrafung von Kriegsverbrechern sollte eine Maßnahme der internationalen Gerechtigkeit, nicht der Befriedigung eines Rachedurstes sein; mit der Idee der internationalen Gerechtigkeit ist es aber unvereinbar, daß nur besiegte Staaten verpflichtet sein sollten, ihre Staatsangehörigen der Gerichtsbarkeit eines internationalen Gerichtshofs zur Bestrafung wegen Kriegsverbrechen zu übergeben,
so ist hieran viel Wahres. Er fährt dann fort:
Die Siegerstaaten sollten jedenfalls bereit sein,
die Gerichtsbarkeit über ihre eigenen Staatsangehörigen, die gegen die Gesetze der Kriegsführung verstoßen haben, auf den internationalen unparteiischen Gerichtshof zu übertragen. Nur wenn sich die Sieger selbst idem Recht
unterwerfen, das sie den besiegten Staaten
aufzuerlegen wünschen, wird die Idee der internationalen Gerechtigkeit gewahrt bleiben.
Meine Damen und Herren, die Tendenzen im Ausland zu einer eventuellen Entlassung auch der restlichen inhaftierten Deutschen sind zweifellos unterschiedlich. Wir können aber feststellen, daß sich in den letzten Monaten zumindest in Frankreich und neuerdings auch in Holland eine größere Bereitschaft zur Lösung dieses Problems angebahnt hat. Leider ist diese Bereitschaft beispielsweise gegenüber den unter amerikanischer Herrschaft Inhaftierten in letzter Zeit offenbar gesunken; denn man schreibt mir aus Landsberg:
Seit Mitte Dezember 1954 macht sich . . . eine Versteifung in der Tätigkeit des Ausschusses bemerkbar, deren Gründe vorläufig nicht bekannt sind. Seit dieser Zeit wurden in nicht weniger als 28 Fällen zum zweitenmal gestellte Gnadengesuche, in zwei Fällen zum erstenmal gestellte Gnadengesuche von noch nicht parolefähigen Gefangenen und in fünf Fällen Parolegesuche von Gefangenen, von denen der Paroleplan von allen zuständigen Stellen längst genehmigt war, ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Daß angesichts dieser Massenablehnungen - an einem Tag wurden 15 derartige ablehnende Bescheide bekanntgegeben - die Stimmung unter den Gefangenen die denkbar schlechteste, zum Teil verzweifelt ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die Masse der noch Einsitzenden besteht aus kleinen Leuten, die genau so viel oder so wenig verbrochen haben wie die 212 bereits parolierten und wie die bereits in früheren Jahren Entlassenen .. . Sie können einfach nicht verstehen, daß gerade sie dazu verdammt sein sollen, zur Befriedigung irgendwelcher Launen. ... ihren Kopf hinzuhalten. Auch sei die Gefahr groß, daß die ... gerade von deutscher Seite ausgestreute Auffassung, die. die jetzt noch säßen, seien die wirklichen Verbrecher. um sie sich zu kümmern, lohne es sich nicht mehr, Allgemeingut würde.
Bei dieser Gelegenheit muß ich an die Bemerkung des Herrn Kollegen Mende erinnern, die hier vielleicht Anlaß zu Mißdeutungen geben könnte. Sicherlich befinden sich unter den Kriegsverurteilten da und dort solche, die wirklich Verbrechen begangen haben; aber man darf unter keinen Umständen behaupten, daß etwa der größere Teil der jetzt noch Inhaftierten Asoziale oder Verbrecher seien. Ganz im Gegenteil, es würde sich bei größerer Nachgiebigkeit auf alliierter Seite sehr bald zeigen, wenn diesen Leuten ein ordentliches Verfahren zuteil würde, daß es sich um die Opfer einer Nachkriegsjustiz handelt, wie wir sie ja hier leider zu erörtern gezwungen sind.
Ich darf daran erinnern, daß Frankreich nach dem ersten Weltkrieg ebenfalls die Auslieferung seiner Kriegsverurteilten gefordert hat; und wenn wir damals auch die Besiegten waren, so haben wir sie damals ausgeliefert.
Bezüglich der Behandlung der Kriegsverurteilten durch die Pariser Verträge möchte ich den Bedenken meiner Freunde Ausdruck geben, da uns nach dem Art. 6 nicht gewährleistet erscheint, daß die jetzt noch Inhaftierten der deutschen Verantwortlichkeit überstellt werden können, da der Art. 6, wenn ich ihn richtig auslege, offenbar vorsieht, daß auch weiterhin die Alliierten Gewahrsams- und Vollstreckungsmacht bleiben, auch wenn diese Verträge ratifiziert sind.
Die Tätigkeit der Gemischten deutsch-alliierten Ausschüsse, der sogenannten Gnadenkommissionen, hat sicherlich segensreiche Auswirkungen gehabt, wenn sie auch nicht die in sie gesetzten Erwartungen voll erfüllt haben. Ich muß hier nochmals betonen, was ich schon einmal von dieser Stelle aus sagte, daß es sich dabei nicht darum handeln konnte, Gnade zu üben, sondern daß es an sich darum ging, das Recht für diese Menschen herzustellen. Aber ich gebe zu: wenn es neun und zehn Jahre dauert, dann kommt es auch diesen Menschen in erster Linie darauf an, daß sie ihre Freiheit erst einmal wiedererlangen.
Meine Damen und Herren, die Amerikaner haben in ihrem Lande eine Regelung, wonach lebenslänglich Verurteilte zu 30 Jahren begnadigt werden können, wodurch sie dann nach 10 Jahren Haftzeit parolefähig werden. Die Amerikaner haben diese ihre eigene Regelung auf die japanischen Kriegsverurteilten übertragen. Ich vermisse es, daß etwas Derartiges auch in Deutschland bisher erfolgt ist. Außerdem haben die Japaner, die bekanntlich sehr zäh sind, in ihrem eigenen Innenministerium eine nationale Kommission zur Befreiung der Kriegsverurteilten gebildet, die sehr nachdrücklich und auch mit Erfolg gearbeitet hat. Sie hat den Amerikanern unter anderem jenes Zugeständnis abgezwungen, von dem ich eben sprach.
Meine Damen und Herren! Es kann über dieses Thema nicht abschließend gesprochen werden, ohne - es geziemt sich vielleicht gerade, es von diesem Platze aus zu tun - all jenen Menschen draußen zu danken, die sich in den verflossenen Jahren der unendlichen Mühe unterzogen haben, die Kriegsverurteilten im In- und Ausland zu betreuen.
({6})
Wir alle sind uns darüber klar - das möchte ich
abschließend sagen -, daß dieses Problem gelöst
werden muß, daß die Erledigung geradezu überreif,
ja überfällig ist und daß es nicht nur genügt, daß
({7})
wir von dieser Stelle aus die Versicherung geben, daß wir alles tun wollen, sondern daß die Regierung mit größerem Nachdruck als bisher auftreten muß, um endlich eine Befreiung der Inhaftierten zu erreichen. Wenn wir zusammenfassend die Auslandsstimmen betrachten, dann kann ohne Übertreibung festgestellt werden, daß etwas nachdrücklichere Vorstellungen der Bundesregierung zweifellos auf Entgegenkommen stoßen würden. Wir fodern im Rahmen der Ratifizierung der Pariser Verträge die Freiheit für unsere Kriegsverurteilten mit der gleichzeitigen Zusicherung, sie in deutsche Verantwortlichkeit überstellen zu können, um eventuell bei jenen, deren Taten zweifelhaft sein könnten, die Möglichkeit zu haben, nach deutschem Recht zu prüfen, ob Verfehlungen vorliegen. Ich meine jedenfalls, daß diese - es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen: geschichtliche - Stunde nicht vorübergehen dürfte, ohne daß wir mit allem Nachdruck auf diese Probleme hinweisen.
({8})
Es muß insonderheit zu jenen, die nun neun und zehn Jahre in Zellen und Kerkern sitzen, der Ruf von diesem Platze aus bis in die entferntesten Zellen und Kerker dringen. Sie müssen wissen, daß sie nicht verlassen sind. Es muß zu ihrer Ehre hier gesagt werden, daß viele, die alle Veranlassung zur Bitternis haben, von sich aus schon geäußert haben, daß die Einigung Europas und die Ratifizierung dieser Verträge nicht daran scheitern dürfe, daß sie zu Unrecht festgehalten würden. Wir müssen diesen Menschen wieder die Hoffnung machen, daß sie in die Freiheit gelangen.
Ich darf zum Abschluß jene Äußerungen bekanntgegeben, die der französische Botschafter in
Berlin, der Vicomte de Goutant-Biron am 14. Januar
1872 zum damaligen deutschen Staatssekretär im
Auswärtigen Amt, Herrn von Thiele, gesagt hat: Ich verhehle Ihnen nicht, daß in Frankreich kaum eine Frage die öffentliche Meinung in solchem Maße beschäftigt wie diese. Man erwartete nach dem Friedensschluß die ausnahmslose Rückkehr aller Gefangenen einschließlich der während ihrer Gefangenschaft infolge von Vergehen Verurteilten, da mit der Aufhebung des Kriegszustandes, der ersten Ursache der Bestrafungen, auch dessen Folgen hinfällig werden mußten. Seien Sie überzeugt, daß, wenn Sie den Frieden wollen, er durch nichts besser gefestigt werden kann, als durch die Amnestie. Es gibt kaum ein Departement, kaum eine Gesellschaftsklasse, die nicht unter den Gefangenen vertreten ist. Durch die gleichzeitige Freigabe aller an Frankreich - und ich betone besonders das Wort: aller -, durch ihre Rücksendung in jeden Winkel unseres Landes werden Sie in allen Familien, unter allen unseren Mitbürgern eine Freude und eine Befriedigung hervorrufen, viel wirksamer für die Beruhigung und die Sicherung des Friedens als jedes andere Mittel. Es wäre nach meiner Ansicht auch für Sie ein Akt der besten Politik.
({9})
Meine sehr verherten Damen und Herren! An und für sich hätte jetzt der Abgeordnete von Manteuffel von der FDP das Wort gehabt. In Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit hat er auf seine Wortmeldung verzichtet.
({0})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Strobel.
Meine sehr geehrten Damen unid Herren! In dieser Auseinandersetzung um die Sicherheit unseres Volkes ist bis jetzt ein Problem nur am Rande angesprochen worden: das ist der Schutz der Zivilbevölkerung,
({0})
der Schutz der Männer, Frauen und vor allen Dingen der hilflosen Kinder. Sicher muß man in diesem Zusammenhang zuallererst sagen, daß es eine wirkliche Sicherheit vor Verstümmelung und Vernichtung überhaupt nur durch die Verhinderung des Krieges gibt. Ist es nicht sehr ernst zu nehmen, daß ausgerechnet in diesem Stadium der Auseinandersetzung zwischen den großen Mächten und in unserem Rahmen namhafte Wissenschaftler der Welt die Staatsmänner mahnen, angesichts der verheerenden, zerstörenden Wirkung der Wasserstoff- und der Kobaltbomben zur Verständigung zu kommen? Angsthaben und Angstmachen verleiten - das erleben wir doch gegenwärtig sehr stark - zu immer massiveren Drohungen. Die gerade wiedergewonnene Geborgenheit unserer Kinder, die Hoffnung auf ein klein wenig Menschenglück geht doch beinahe schon verloren in der Sorge, ob Vernunft oder Wahnsinn siegen werden. Der Nobelpreisträger Professor Hahn zeigte in seinem Vortrag im NWDR die tödliche Gefahr auf, durch die die Menschheit von der Kobaltbombe bedroht ist, schonungslos, und ich möchte sagen: wir müssen ihm dankbar dafür sein, daß er das jetzt getan hat. Aber auch die amerikanischen Atomwissenschaftler haben in ihrem Bulletin durch Herrn Professor Dr. Ralph Lapp feststellen lassen - und das, meine Damen und Herren, sollte uns Deutschen ganz besonders eingeprägt werden -, daß ein Geschwader von 28 Bombern, ausgestattet mit den neuesten Wasserstoffbomben, genügt, um 50 Millionen Männer, Frauen unid Kinder eines teils sofortigen, teils langsamen, qualvollen Todes sterben zu lassen. Schon die Versuche mit den Atombomben vermitteln uns eine grausige Ahnung von dem furchtbaren Zerstörungswerk, das droht. Der Vorsitzende der amerikanischen Atomenergiekommission, Herr Strauss, hat der Presse mitgeteilt, daß beim letzten Versuch von Bikini ein Gebiet von 18 000 qkm Ausdehnung in Richtung des Windes derart verseucht wurde, daß die Erhaltung des Lebens dort von der unverzüglichen Evakuierung aus dem Gebiet oder von der Zuflucht in Schutzräume und anderen Schutzmaßnahmen abgehangen haben könnte.
({1})
Meine Herren und Damen, das ist keine Greuelpropaganda, die Furcht einflößen soll, sondern das sind nüchterne Feststellungen von Wissenschaftlern, die den Verantwortlichen noch rechtzeitig die Augen öffnen und das Gewissen stärken sollen.
({2})
Wir erleben heute gleichzeitig die Veröffentlichung des englischen Weißbuches, in dem mitgeteilt wird, daß das englische Kabinett nicht allein die Produktion der Wasserstoffbomben beschlossen hat, sondern auch droht, diese Bomben in einem kommenden Krieg anzuwenden.
Sicher kann diesen Krieg niemand wollen, aber - um zu meiner Eingangsfrage zuückzukommen - wer als deutscher Politiker in einem Teil
({3})
Deutschlands das Risiko der Wiederaufrüstung in einem einseitigen Militärbündnis eingehen will, wer es in Kauf nimmt, daß Deutsche in zwei verschiedenen Armeen einander als bewaffnete Soldaten gegenüberstehen, vielleicht Geschwister gegen Geschwister, wer soviel Geld für die militärische Verteidigung ausgeben will, obwohl die Wunden des letzten Krieges noch schmerzlich offen sind,
({4})
wer diese Risiken eingeht, obwohl ihm die Gefahren bekannt sind, der hält doch einen Konflikt immerhin für möglich. Dann muß aber auch ein Maximum an Sicherheit für die zivile Bevölkerung da sein, und zwar nicht irgendwann einmal, sondern am Anfang, heute!
({5})
Diese Sicherheit müßte doch in erster Linie einen Schutz für die Zivilbevölkerung umfassen. Auch wenn die Bundesrepublik nicht aufrüsten würde oder hoffentlich nicht in dieser Militärallianz aufrüsten wird, ist dieser Schutz unbedingt notwendig. Diese Forderung hat gar nichts mit der Einstellung zur Wiederaufrüstung zu tun; sie ist einfach ein Gebot der Menschlichkeit und schon dadurch diktiert, daß heute bereits Atomkanonen auf deutschem Boden stehen. Ich will nichts von dem wiederholen, was bereits gestern gesagt wurde. Solange aber die Kriegsgefahr nicht gebannt ist, so lange ist es erstes und dringendes Gebot, sich zum Schutz der Zivilbevölkerung positiv auszusprechen und die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Und darum geht es, meine Herren und Damen.
Ich darf an die Auseinandersetzungen bei den
Haushaltsberatungen des Vorjahres erinnern. Wir
haben damals beantragt, daß aus ,den neun Milliarden Verteidigungsbeitrag, die im Haushalt eingesetzt waren, eine Milliarde zunächst einmal für
vorbereitende Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung bereitgestellt werde. Allein für die
Forschung, die wir auf diesem Gebiet betreiben
müssen, weil wir ja im Gegensatz zu den anderen
keinerlei Anlauf haben, wäre dieser Betrag dringend nötig gewesen. Aber die Situation ist doch die,
daß die gleichen Kräfte in diesem Bundestag, die
gleichen Kräfte in unserer Bundesregierung, die
die Aufstellung von Atomkanonen durch Besatzungsmächte auf deutschem Boden geduldet haben,
die Mittel für den zivilen Schutz abgelehnt haben.
({6})
In diesem Haushalt, 1955, sind auch nur einige wenige Millionen für zivilen Schutz eingestellt. Diese werden wahrscheinlich für das bißchen Forschung draufgehen, so daß für den wirklichen Schutz überhaupt nichts mehr übrigbleibt.
Gestatten Sie den Hinweis auf einige wenige Vergleichszahlen. In USA werden 2,30 DM pro Kopf, in England 4,10 DM, in Schweden 8 DM pro Kopf der Bevölkerung für zivilen Schutz ausgegeben, - in der Bundesrepublik ganze 24 Pfennig.
({7})
Dabei haben diese Vergleichsländer im Gegensatz zu uns keinen Nachholbedarf. Ich frage Sie: Nennen Sie das Sicherheit und Schutz unserer Bevölkerung?
Man begegnet immer wieder der Auffassung, daß im Stadium der Atombombe Schutz sinnlos sei. Dafür gibt es gewiß keine Beweise. Der Herr
Bundeskanzler hat gestern abend hier zum deutschen Volk gesagt - etwa sinngemäß, ich kann es nicht wörtlich wiederholen -: „Wenn es zu einem heißen Krieg zwischen den Mächten kommt, dann werden wir Kriegsschauplatz sein. Wenn wir Mitglied der Atlantikpakt-Organisation werden, werden wir nicht Kriegsschauplatz sein." Ich frage mich: Woher nimmt der Herr Bundeskanzler den Mut zu einer solchen Behauptung?
({8})
Ich meine, es ist dem Letzten, ja beinahe dem Jüngsten in unserem Volke klar: Wenn es jemals zu einer solchen Auseinandersetzung in Europa käme, sind wir auf jeden Fall die Todeszone. Warum hat denn die Veröffentlichung über einen amerikanischen Evakuierungsplan für ihre zivilen Staatsangehörigen so große Bestürzung in der deutschen Zivilbevölkerung hervorgerufen? Weil unsere Bevölkerung weiß, daß es für uns im Ernstfall keine Möglichkeit des Entrinnens gibt! Ausgerechnet für uns Deutsche, für die die Gefährdung in Europa am größten ist und die am ersten des zivilen Schutzes bedürfen, und dazu gehört auch die mögliche Evakuierung, - die große Unbekannte in dieser Rechnung, und niemand aus der Bundesregierung hat uns bis jetzt gesagt, wie diese Frage befriedigend gelöst werden soll.
Von den 9 Milliarden sollen - das haben wir gestern wieder gehört - 3,2 Milliarden für Stationierungskosten, 5,8 Milliarden für Aufstellung und Unterhaltung der deutschen Truppen ausgegeben werden, für die Sicherheit der Heimat und ihrer Menschen, - und dabei fehlt alles für den Schutz der Zivilbevölkerung. Der ganze Wahnsinn des Beginnens kommt doch darin zum Ausdruck, daß uns das im Atomkrieg nichts nützt, daß es diese Sicherheit nicht gibt, am wenigsten für uns Deutsche.
Sie leugnen doch die Gefahr nicht; das kam auch in den Reden immer wieder zum Ausdruck. Das Wettrüsten ist aber doch ein Zeichen, daß bis jetzt die Vernunft nicht gesiegt hat; und, meine Herren und Damen, ich empfinde es als einen schrecklichen Hohn, daß am gleichen Tage, an dem in London die Abrüstungskonferenz beginnt, der Deutsche Bundestag die Wiederaufrüstung beschließen soll.
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Sie haben sich in einem Flugblatt an die deutschen Mütter gewandt mit der Aufforderung, für den Schutz der Heimat durch den Wehrdienst ihrer Söhne beizutragen. Ich darf Ihnen für den Fall, daß Sie dieses Flugblatt nicht selber gelesen haben, einen einzigen Satz daraus zitieren. Diese deutsche Mutter sagt angeblich in einer Diskussion mit anderen Frauen und ihren Söhnen:
Wir Mütter müssen unsere Söhne beeinflussen, nicht etwa, daß sie zum Kriege drängen - du lieber Gott, das wäre ja gar nicht möglich -, aber wir können sie von der moralischen und menschlichen Notwendigkeit, die Heimat und die Freiheit zu schützen, überzeugen. Das ist unsere Aufgabe.
Sehen Sie, das klingt, als ob es den Mißbrauch der Atome überhaupt nicht gebe, als ob die Teilung Deutschlands überhaupt nicht existiere. Wer Heimat und Freiheit schützen will, der darf dem Krieg, der darf aber auch dem Bolschewismus keine Chance geben. Und unsere Heimat ist doch ganz Deutschland, die Freiheit beginnt doch mit
({10})
der Freiheit von Not, und die Sicherheit vor dem Bolschewismus ist doch - das ist gestern hier auch schon einmal von meinem Kollegen Erler gesagt worden - viel mehr als ein militärisches Problem, ja sie ist nicht in erster Linie ein militärisches Problem.
Man muß doch bei einer solchen Auseinandersetzung als Abgeordneter dieses Hauses unwillkürlich daran denken: nie war bis jetzt genügend Geld zur Lösung der sozialen Probleme da.
({11})
Wie oft haben Sie zwar die Tatsache anerkannt, daß es für diese oder jene Bevölkerungsgruppe mehr materielle Hilfe durch den Staat geben müsse, sich aber bei der Verweigerung immer wieder darauf berufen, es fehlten die Mittel dazu. Denken Sie gerade in diesem Zusammenhang an das Kindergeldgesetz. Aus finanziellen Gründen haben Sie dem größten Teil der deutschen Mütter Kindergeld für eine gute und gesunde Erziehung ihrer Kinder verweigert. Von den gleichen deutschen Müttern aber verlangen Sie jetzt ihre Söhne als Soldaten, und dafür haben Sie Geld.
({12})
Sie behaupten auch immer wieder, vor allem durch den Mund des Herrn Wirtschaftsministers, daß durch die Wiederaufrüstung und die dafür vorgesehenen Milliarden und die dafür noch in den Wolken geschriebenen Milliarden keine Verschlechterung der Lebenshaltung der Bevölkerung zu erwarten sei. Sie verschweigen praktisch das finanzielle Opfer, das Sie damit der Bevölkerung zumuten, malen aber auf der anderen Seite das Schreckgespenst des materiellen Opfers der Wiedervereinigung an die Wand. Wir sind der Auffassung: die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen dieses einseitigen Militärbündnisses sichert dem deutschen Volke nicht Nahrung, Kleidung und Wohnung, sondern bringt seinen Lebensstandard und seine Existenz in Gefahr.
Warum sagen Sie denn dem deutschen Volke nicht, was diese fragwürdige Sicherheit kostet? Auch der Herr Finanzminister hat das gestern abend nicht getan, sondern er hat darum herumgeredet.
({13})
Wo sind denn die notwendigen Milliarden für den größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung? Warum hat sich der Herr Bundesfinanzminister dazu gestern nicht konkreter geäußert, als daß er sagte, er übernehme die Verantwortung dafür, daß es weder eine Inflation noch einen Rückgang der Lebenshaltung gebe?
({14})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend darauf aufmerksam machen: Sicher führt diese Politik nur im allerschlimmsten Falle zum Krieg. Sie führt aber zur Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands, und dadurch wird die Unruhe hüben und drüben vermehrt. Gerade die Beseitigung der Unruheherde ist heute doch eine Lebensfrage für die Menschheit geworden. Die Rettung für unser Land liegt in der Entspannung, und diese Entspannung wird - so fürchten wir -jetzt verhindert.
Es ist gestern und heute immer wieder versichert worden, daß alle den Frieden wollen und daß man deshalb aufrüstet. Sehen Sie, das ist doch die alte Leier, die wir immer wieder gehört haben. Was sind aber die Tatsachen? Die Tatsachen sind doch, daß Wettrüsten immer wieder zum Krieg geführt hat,
({15})
daß einseitige Militärbündnisse der möglichen Feinde auch immer wieder zum Krieg geführt haben.
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Ist es denn so furchtbar schwer, einmal einen wirklich neuen Weg zu gehen, nicht den alten der Drohung hüben und drüben, sondern den der Verständigung? Lassen Sie uns doch keine vollendeten Tatsachen schaffen, sondern lassen Sie uns das unsere dazu beitragen, daß das Wettrüsten nicht beschleunigt, sondern eingedämmt wird.
Es jährt sich gerade jetzt zum zehnten Male die traurige Wiederkehr der Bombennächte. Denken Sie an Dresden, an Würzburg, an Heilbronn, an Nürnberg und an viele andere Städte. Es ist eine grausige Geschichte, die wir sicher alle nicht vergessen haben. Aber jetzt wäre das Unheil doch noch viel größer. Das haben die Wissenschaftler ohne jede Polemik bewiesen. Sie haben aufgezeigt, daß die Atomwaffen von heute jedes Leben auf der Erde vernichten können. Selbst Generale mahnen. General MacArthur hat an seinem 75. Geburtstag darauf aufmerksam gemacht, und ich darf aus der „Frankfurter Allgemeinen" folgendes zitieren. Der General betonte, die Welt müsse, wenn sie überleben wolle, früher oder später den Beschluß fassen, den Krieg abzuschaffen. Neue Zeiten erforderten neue Methoden. Die Abschaffung des Krieges dürfe nicht mehr nur eine Forderung von Philosophen und Kirchenmännern, sondern müsse eine Forderung aller Staatsmänner sein. Eine solche Bewegung, getragen von den Massen, könne sogar auf eine Kontrolle der Rüstungen verzichten. Die Armeen könnten verkleinert werden und brauchten nur noch den einfachen Problemen der Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Ordnung und den Zielen einer internationalen Polizei zu dienen. Nun, ich bin nicht der Meinung, daß wir im Augenblick schon auf die Kontrolle der Abrüstung verzichten können. Aber diesen Weg zu gehen ist doch die einzige Möglichkeit für die Menschheit, am Leben zu bleiben.
Neben den Generälen mahnen uns doch vor allen Dingen die Opfer des letzten Krieges.
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Sie rufen uns zu: Geht nicht den Weg, der ins Verderben führt, sondern geht den Weg der totalen Sicherheit! Ächtet den Krieg! - Ich glaube, Sie haben in dieser Situation alle Veranlassung, heute hier nicht den Beitritt, die Ratifizierung und die Wiederaufrüstung Deutschlands im Rahmen dieser Verträge zu beschließen, sondern wir haben alle Veranlassung, von dieser Stelle aus an die Abrüstungskonferenz in London die Aufforderung zu richten, an die Großmächte auf beiden Seiten, meine Herren und Damen: Beschließt das Verbot der Herstellung von Atomwaffen! Stellt in Ost und West auch die Versuche ein, die Atomenergie in den Dienst der Vernichtung zu stellen! Achtet den Krieg! Beginnt tatsächlich mit der Abrüstung!
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Auch der Abgeordnete Berendsen hat auf seine Wortmeldung verzichtet. Ich gebe das Wort an Abgeordneten Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, zumindest durch meine Einleitungssätze die Sympathien des schon etwas kärglich besetzten Hauses zu gewinnen, indem ich Ihnen versichere, nicht in die Reihe der Dauerredner einschwenken zu wollen.
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Wir wollen einige Dinge - wir vom Gesamtdeutschen Block/BHE kommen zum erstenmal zu diesem Sachgebiet zu Worte - gerade aus dem Blickpunkt und Gesichtsfeld derjenigen Menschen sehen, deren Schicksal die meisten von uns in unserer Partei, aber viele auch über diese Partei hinaus erlebt haben, sowohl der Heimatverjagten des deutschen Ostens und Südostens wie auch der „einfachen, kleinen Leute", wenn Sie wollen, die als Angehörige der Kriegs- und der Frontgeneration alle „Segnungen" des vergangenen Krieges mitzuerleben gezwungen waren. Ich glaube, es ist verständlich, wenn gerade Menschen aus diesem Erlebnisfeld bemüht sind, sich die Beurteilung dieser Fragen nach Sicherheit und Verteidigung besonders klarzumachen, wenn gerade sie schwer um diese Probleme ringen und bestrebt sind, aus ihren Erfahrungen und Erlebnissen die Dinge nicht zu simplifizieren, sondern sie wirklich in ihrer Tiefe und auch tiefschürfend zu beurteilen. Man sollte daher nicht - gestern sind oftmals Zwischenrufe in dieser Richtung gefallen - eine Uneinheitlichkeit in der Bewertung dieser Fragen in dieser oder jener Fraktion gleichsam als eine simple Darstellung gewisser innerer Meinungsverschiedenheiten auswerten, sondern gerade darin ein besonderes Bestreben und Bemühen sehen, mit diesen Dingen individuell und in ihrer Gänze - damit auch politisch! - im tiefsten Herzensgrund fertigzuwerden. Denn gerade auf diesem Gebiet, glaube ich, sollte Politik nicht nur säkularisierte Religion und Dogma sein, sondern immerdar als eine Verpflichtung des einzelnen vor dem Schicksal - der Vergangenheit wie der Zukunft - aufgefaßt werden.
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Man wirft oft gerade diesen Kriegsopfern im weitesten Sinne des Wortes, den Heimatverjagten und all denen, die noch an den Wunden des vergangenen Krieges leiden, ein allzu großes Sicherheitsbedürfnis im Rahmen des Staates, im sozialpolitischen Sektor, vor. Man sagt sehr oft, sie riefen immer nach der Hilfe des Staates; sie hätten es verlernt, auf eigenen Füßen zu stehen, und sie strebten eine Sicherheit an, die über die Verpflichtung des Staates, diese Sicherheit zu gewähren, diese Unterstützung und Hilfe darzubieten, weit hinausgehe. Ich glaube, daß auch in den Fragen, zu denen wir heute Stellung nehmen müssen und wallen, ein Sicherheitsbedürfnis gerade dieser Menschen besonders groß ist und daß, wie schon angedeutet, weil es der letzte Krieg mit seinen Folgen diesen Menschen so schwer gemacht hat, sie es sich auch besonders schwer machen mit den Überlegungen, den Gedankengängen, den Folgerungen, die sich aus dem Schritt ergeben werden oder können, den wir heute gemeinsam tun wollen.
Dazu kommt noch die Tatsache, daß gerade die Heimatverjagten aus dem deutschen Osten besondere, in weite geschichtliche Urgründe zurückreichende Erfahrungen sowohl mit dem Osten, mit der Seele der östlichen Völker, als auch mit ihrer jetzigen Ideologie, die nichts anderes als eine säkularisierte Religion ist, Erfahrungen am eigenen Leibe im wahrsten Sinne des Wortes - vor allem unsere Frauen am eigenen Leibe! - gemacht haben, die vielleicht diejenigen, die diesen Gefahren nicht gegenübergestanden haben, nicht in diesem Maße besitzen, und wir machen ihnen daraus keinen Vorwurf. Da wir den Blick nach dem Osten, nach der verlorenen Heimat, die wir in Frieden und Freiheit in einer neuen Rechtsordnung wiedergewinnen möchten, nicht verlieren dürfen, soll dieser Blick auch bei diesen Fragen immerdar auch nach der verlorenen Heimat hingehen. Auch der Sowjetzonenflüchtling - das ist schon mehrmals angedeutet worden - sieht diese Probleme etwas anders, weil er noch in jüngster Vergangenheit und in der Gegenwart unmittelbar in diesem Erfahrungsbereich liegt.
Die Jugend, auch dazu ein kurzes Wort, sieht die Dinge besonders intensiv und vielleicht innerlich beunruhigt und wohl zwiespältig, weil sie diese Vergangenheit zum Teil gar nicht mehr kennt, diese Erfahrungen auch nicht durchlebt hat und in einer neuen Situation natürlich die Dinge, die sie zuerst betreffen, besonders tief beunruhigt und ergriffen betrachtet. Ich begrüße besonders gerade auch diese Auseinandersetzung und diese intensiven Gedankengänge der Jugend um all diese Fragen. Man sollte der Jugend dankbar sein, daß sie nüchterner, schlagwortfreier, kritischer und, ich möchte sagen, auch verantwortungsbewußter geworden ist als vielleicht früher. Man sollte ihr dankbar sein, daß sie, nachdem die Erwachsenen offenkundig so versagt haben und nachdem ihnen eine Welt zusammengebrochen erscheint, die ihnen gerade von den Erwachsenen dargeboten wurde, immerhin so viel aktive Kräfte wachgerufen hat, sich mit diesen Problemen mit Ernst und Ausdauer zu beschäftigen.
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Meine sehr verehrten Damen 'und Herren, die besondere Sehnsucht nach dem Frieden wird man gerade den Menschen, die aus dem Erfahrungsbereich kommen, von diem ich sprach, glauben müssen. Wer Heimat und sein ganzes Lebensniveau von einst, wer alles verloren hat und durch fünf Jahre eines furchtbaren Krieges hindurchgegangen ist, in idem muß die Sehnsucht nach dem Frieden nach innen und außen hin besonders lebendig sein. Wenn Sie, um ein besonderes Beispiel zu nennen, etwa an einen Spätheimkehrer von heute denken, der noch dazu seine Heimat verloren hat, dann werden Sie nicht leugnen können, daß Kriegs- und Kriegsgefangenschaftserlebnis ihn auch heute bei der Betrachtung all dieser Fragen besonders bestimmen und daß er die Dinge letztlich aus gerade diesen Erlebnissen heraus sieht.
Wir haben dabei als Soldaten doch erlebt, daß der letzte Krieg schon kein Krieg im alten Sinne mehr gewesen ist, daß das, was man unter Krieg und damit auch unter Soldatentum und Ritterlichkeit und somit Anerkennung von ritterlichen Gesetzen früher verstanden hat, in diesem Krieg, leider, in die Brüche gegangen ist. Wir haben erlebt, daß die Technik nicht nur der Politik davongelaufen ist - und ich glaube, das ist ein Vorgang, den wir heute und überhaupt einmal gründlich unter die Lupe nehmen sollten: inwieweit nicht die Technik unseren politischen Methoden und Systemen des Denkens schon davongelaufen ist -, daß nicht nur die Technik die Politik sozusagen überrundet hat, sondern daß vor allen Dingen auch Kriegsführungen in dieser Situation atomaren
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.1 Charakters schon im letzten Krieg geeignet waren, alles Untermenschliche, Inhumane freiwerden zu lassen und damit zu einer furchtbaren Waffe im Sinne einer Entfesselung furchtbarer Dämonen zu werden.
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Ich glaube also, man muß auch in dieser Stunde und von dieser Stelle aus zur Kenntnis nehmen, daß sowohl der Heimatvertriebene wie der ehemalige Soldat - im guten Sinne des Wortes - vor allem diese eine Sehnsucht nach dem Frieden hat und sie immer wieder bekräftigt. Es ist kein Zufall, daß es gerade die Heimatverjagten waren, die sich vielleicht zuerst und am allereindringlichsten zum europäischen Gedanken bekannten; denn sie waren ja Opfer des Nationalstaats und erkannten, wohin ein nationalstaatliches, nationalistisches Denken führen kann und führen muß. Auch der Soldat, so möchte ich wohl sagen - und ich glaube, daß mir keiner widerspricht, der sich im guten Sinne dazu rechnet -, hatte gehofft, daß diese europäische Möglichkeit mit Deutschland als Herz, als Klammer, als Brücke und, wenn Sie wollen, militärisch gesagt: als Puffer gegeben sein wird. Und wir Soldaten waren genau so wie Sie, meine Damen und Herren, erschrocken, als wir merkten, daß andere diesen europäischen Weg nicht recht mitgehen wollten, daß wir in unserem Denken immer kleiner werden mußten, zu einem klein- und kleinsteuropäischen Denken übergehen mußten, ja, daß wir uns sogar - und das ist der Mangel auch dieser Verträge, den wir, auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, eingestehen - auf einen Aushilfsweg drängen lassen mußten, der doch gewisse Nationalstaatsideologien wiederaufleben läßt.
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- Richtig, das i s t bedauerlich. - Nach innen aber, auch das möchte ich sagen, wünschten wir, daß, wenn einmal diese Debatten vergangen und vorbei sind, wieder innerer Friede bei uns eintritt. Denn man hat oft das Gefühl, als ob auch zwischen uns ein eiserner Vorhang niederzugehen drohe. Und das dürfen wir niemals dulden, da wir doch so viel Verbindendes hinsichtlich der Freiheit und des Friedens haben, so daß wir diese BruderstreitDinge so bald wie möglich wieder ausmerzen sollten.
Nach außen noch eins! Auch der deutsche Soldat, der einstmals für ganz Deutschland zumindest einzustehen glaubte, wünscht und ersehnt, daß so bald wie möglich ein wiedervereinigtes Deutschland zustande kommt. Denn gerade er, der mit Kameraden aus allen Stämmen und allen Ländern gemeinsam und wohl vorbildlich seine Pflicht tat, möchte niemals in die Situation kommen, als Deutscher gegen Deutsche stehen zu müssen.
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Und zum Innern noch etwas! Er verlangt - und ich glaube, gerade er hat ein Recht darauf, dies zu verlangen -, daß die soziale Aufrüstung, d. h. die ehrende Anerkennung und die Hilfe für alle Opfer des Krieges und des gewaltsamen Unrechts nach dem Kriege aufrechterhalten bleibt und unverändert in diesen Sehnsuchtstraum eines wiedervereinigten Deutschlands hinübergetragen wird.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit doch noch einmal auf ein Problem hinweisen, das dankenswerterweise insbesondere vom sehr verehrten
Herrn Kollegen Schneider und auch vom sehr verehrten Herrn Kollegen Dr. Mende angeschnitten wurde, nämlich jenes Problem der Kriegsgefangenen und Kriegsverurteilten, das ja, wenn ich von dieser Warte aus und über diesen Tagesordnungspunkt spreche, nicht unerwähnt bleiben darf. Ich werde mich bemühen, bereits Gesagtes nicht noch einmal zu sagen, und versuchen, manches Neue zusätzlich zu sagen. Wir haben zumindest - wenn Sie wollen: leider nur - die Hoffnung, daß, wenn diese Verträge angenommen werden, die Kriegsgefangenen, die sich heute noch in sowjetischem Gewahrsam befinden, nicht als „politische Faustpfänder" betrachtet und dementsprechend behandelt, d. h. zurückgehalten werden.
In der letzten Zeit - und warum sollten wir es hier nicht auch ansprechen, da es in der ganzen Öffentlichkeit, insbesondere der der Heimkehrer und Soldaten, kursiert und zur Diskussion gestellt wird - hat man dabei die Frage aufgeworfen: Sollte man nicht zum Zwecke der Erfüllung dieses Wunsches die heute noch im sowjetischen Gewahrsam befindlichen Kameraden aus den Verpflichtungen ausklammern, die durch diese Verträge nun Wirklichkeit werden sollen? Sollten nicht zumindest die jetzt noch in der Sowjetunion Befindlichen von einem künftigen Wehrbeitrag ausgeklammert werden, um vielleicht -- denn man sucht ja nach jedem Weg, um ihr Schicksal zu mildern! - ihre Heimkehr dadurch zu erleichtern? Ich glaube, daß dies ein sehr schwieriges Problem ist und daß die Beurteilung dieser Frage zweifellos auch die Einstellung unserer beiden „Lager" zu den Verträgen überhaupt widerspiegelt.
Von Soldaten werden gewisse Negativa bei einer solchen Verhandlungsweise herausgestellt. Man sagt, diese Männer würden dann, wenn sie heimkehrten, gleichsam - nun, bitte, erschrecken Sie nicht über das Wort! - wehrunwürdig werden, d. h. ausgeschlossen werden - um es so zu definieren - aus dem Kreise einer Gemeinschaft, die ihre Freiheit verteidigen will; das aber sei insbesondere im Hinblick auf die Jugend keinesweges erfreulich.
Dazu kommt, daß wir dadurch eine Interpretationsmöglichkeit eröffnen könnten, die auch die sowjetisch eingestellten Kreise aufgreifen, indem sie sagen: Aha, eine solche Ausklammerung zeigt also, daß die aufzustellenden Verteidigungskräfte letzten Endes doch Streitmächte aggressiven Charekters, und zwar gegen die Sowjetunion sind. Die etwas sehr fragwürdige Zeitung „Die Nation" hat am 25. Dezember vergangenen Jahres besonders mit diesen Argumenten argumentiert!
Natürlich sind auch Positiva in dieser Frage enthalten und positive Möglichkeiten der Beurteilung gegeben, etwa in der Form, daß man sagt: Ja, aber es sind doch seit Oktober 1954 gewisse Vorschläge und Andeutungen der Sowjets in dieser Richtung gemacht worden. Ja, man spricht sogar von gewissen Versprechungen des Herrn Woroschilow bezüglich eidlicher Erklärungen durch Kriegsgefangene, nie gegen die UdSSR kämpfen zu wollen. Allerdings widerspricht ja diesen „Bemühungen" die Freilassung gerade so zweifelhafter Herren wie der Herren Schörner, Paulus und, wie man hört, auch bald des Herrn von Seydlitz.
Wie immer aber - ich will Sie in der Richtung nicht länger aufhalten - diese Fälle zu beurteilen und vielleicht dann einmal gesetzlich von uns zu regeln sein sollten, die Bit t e müssen wir auf
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jeden Fall an die Regierung und an alle maßgeblichen Stellen richten: daß nach Kriegsbeendigung - und zwar jetzt auch offiziell! - seitens der UdSSR auf den zukünftigen, unserer Meinung nach raschest zu beschreitenden Verhandlungswegen immerdar diese Frage nicht vergessen wird, diese Menschen nicht vergessen werden, die heute noch, zehn Jahre nach Kriegsschluß, ein Leid und ein Schicksal erdulden, von dem sich zwangsläufig der Bundesbürger in der Geschäftigkeit des Tages nicht alltäglich, ja allstündlich eine richtige Vorstellung mehr macht. Es ist ein Problem der Menschlichkeit, es geht um Menschen, es geht um deutsche Menschen!
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Sehr eingehend - dankenswerterweise eingehend - ist von Herrn Kollegen Schneider das Problem der Kriegsverurteilten in fremdem Gewahrsam besprochen worden. Sie wissen ja, daß wir vor einer Woche mit der DP gemeinsam eine diesbezügliche Große Anfrage gestellt haben und daß wir damals darauf verzichtet haben, das Problem eingehend zu erörtern, weil wir uns damals klar waren, daß es zwangsläufig heute und hier wieder auftauchen muß. Da es aber bereits ausführlich vom sehr verehrten Kollegen Schneider dargelegt wurde, möchte ich mich nur noch auf ganz Weniges beschränken.
Wir haben mit Dank und Freude zur Kenntnis genommen, daß die Zahl der Kriegsverurteilten im nichtsowjetischen Gewahrsam stark zurückgegangen ist. Wir sind auch der Überzeugung, daß die Tätigkeit der sogenannten gemischten beratenden Ausschüsse - also der interimistischen Gnaden- und Parole-Ausschüsse - nicht ganz unbefriedigend gewesen ist. Wir haben auch gesehen, daß
zweifellos generelle Bemühungen der Bundesregierung und auch Einzelbemühungen - ich denke an Baden-Baden, will sagen: an die Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers mit dem damaligen französischen Premier Mendès-France - nach dieser Richtung hin gegangen sind. Wir sind der Auffassung, daß sich vielleicht gewisse Schwierigkeiten für die deutsche Justiz bei Überstellung der Kriegsverurteilten in deutsche Hoheitsgewalt ergeben könnten, die nicht ganz außer acht gelassen werden dürfen. Wir sind auch der Auffassung, daß eine - wenn man so sagen darf - Tabula-rasa-Amnestie gewissen psychologischen Schwierigkeiten in den Gewahrsamsländern begegnet. Aber wir möchten uns doch auch hier dem Chor der -Stimmen anschließen, die da sagen, daß man diese Frage doch vor allem menschlich prüfen sollte. Und gerade heute und in dieser Stunde, da wir ja eine Art Partnerschaft mit dem westlichen freiheitlichen Lager erstreben und finden wollen, hätte man auch aus dem Gesichtspunkt dieser Kameradschaft und echten Partnerschaft diese Frage zu lösen, - und dies ist eine Verpflichtung der anderen Seite!
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All das ist eine absolute Rechtsfrage unter militärisch-soldatischem Aspekt, und die Frage, die an alle gestellt ist, ist vielleicht eben nur aus dem Gesichtspunkt des leider schon entschwundenen echten soldatischen Denkens überhaupt erfühlbar und bewertbar. Daß sie verstanden werden kann und auch wird, ist heute auch schon einige Male aufgeklungen, so durch den Hinweis auf den Aufruf der holländischen Hochschullehrer der Kriminologie und des Strafrechts vom November 1954 in der „Niederländischen juristischen Wochenschrift" und dessen Echo in holländischen Zeitungen im Sinne eines „Machen wir einen Strich unter das Vergangene!". Es ist aber ferner in einem Übereinkommen des Verbandes der Heimkehrer mit der Fédération Nationale des Combattants Prisonniers de la Guerre, der FNCPG, in Paris vom 20. November 1954 sichtbar geworden, wo sich beide Partner einverstanden erklärten, diese Urteile nicht wieder aufzugreifen, sofern sie unter voller Wahrung der Rechte der Verteidigung ergangen sind, und wo sich beide Partner bereit erklärten, die Frage der libération conditionelle voranzutreiben.
Aber es handelt sich doch hier, auch vom heutigen Tagesordnungspunkt aus gesehen, vor allem auch um eine militärisch-wehrpolitische Frage, die wir leider nur an die künftigen Partner richten können, um einen Appell, für diese 315 kriegsgefangenen Verurteilten in 22 Gefängnissen und Lazaretten einzutreten.
Ich glaube, dieser Appell ist auch zeitlich gesehen nicht unbedeutsam, weil man, so haben wir uns berichten lassen, seit Dezember 1954 merkt, daß sich innerhalb der Gnadenausschüsse eine gewisse Verhärtung bemerkbar mache - vor allem in Landsberg -, eine gewisse Tendenz, Gnadengesuche abzulehnen und damit womöglich die Kleinen und Letzten, die nun „die Hunde beißen" sollen, büßen zu lassen. Ich glaube also, daß dieser Appell fällig ist, und ich richte die herzliche Bitte
- der Herr Bundeskanzler und der Herr Staatssekretär Dr. Hallstein sind leider nicht da ({10})
- oh, Verzeihung, Herr Bundeskanzler -, die Bitte an unseren verehrten Herrn Bundeskanzler und damit auch an die Bundesregierung und das Auswärtige Amt, hier vielleicht gerade jetzt und von dieser jetzigen Basis aus mit einer begründeteren, verstärkten Energie an diese Dinge generell heranzutreten. Ich möchte nicht auf das Beispiel Japans - das ist schon heute zitiert worden - im Hinblick auf die USA in diesen Fragen noch einmal hinweisen, aber man könnte in diesem Sinne diesen Appell richten, daß es jetzt, zehn Jahre nach Kriegsschluß und nun nach dieser Beschäftigung mit den Verträgen und - wie wir wohl annehmen dürfen - deren Annahme möglich sein müßte, die Dinge menschlicher und großherziger zu regeln. Wir wollen nicht, wenn wir solches jetzt sagen, gleichsam als eine kleine politische Erpressung unsererseits etwa ein „kleines, zweites Saarabkommen" nun unsererseits hier mit einschmuggeln, sondern wir glauben, daß es sich hier um ein echtes menschliches Anliegen handelt und daß es hier ein Unrecht gutzumachen gilt, das ja auch eine gewisse Sippenhaftung in sich schließt, zumal wenn Sie an all die Angehörigen, Kinder und Frauen denken, die davon betroffen sind.
Bei der Betrachtung der Verträge - das muß gesagt werden - fällt es unangenehm auf, daß gefällte Urteile trotz aller Appelle, die bis jetzt schon an die Botschafter des Westens, an die Bundesregierung usw. gerichtet wurden, auch heute noch als rechtsgültig anerkannt bleiben, da der Art. 6 des EVG-Vertrages, der wieder Bestandteil des Überleitungsvertrages geworden ist, ja noch existent ist, und weiter daß einschlägige Kommissionen nur für die Kriegsverurteilten in Landsberg, Wittlich und Werl gebildet worden sind.
Meine sehr verehrte Frau Kollegin Gräfin Finckenstein hat bereits in der vergangenen
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Woche dargelegt, die libération conditionelle gehe so schleppend vor sich, daß sich die Behandlung von Anträgen über ein menschlich verständliches Maß hinaus erstreckt. Ich möchte auch sagen, daß es uns eigentlich doch etwas eigentümlich berührt hat, daß gerade beim Aufgreifen dieser Frage sehr oft eine besondere Zurückhaltung, ja wir meinen, eine oft übertriebene Zurückhaltung des Auswärtigen Amts sichtbar wurde, die uns, wenn ich noch einmal das japanische Beispiel zitieren darf, nicht ganz verständlich war. Trotz der Abneigung gegen Generalamnestie da und dort und der aufgezeigten psychologischen Momente möchte ich in diesem Sinne die Bundesregierung bitten, auch diese Probleme unter die Lupe zu nehmen, zumal nach der Ratifizierung der Genfer Konventionen unsere deutsche Bundesregierung ja als Schutzmacht der deutschen Kriegsgefangenen und -verurteilten anzusehen ist. Wir sollten uns ein klein wenig nicht nur an Japan, sondern auch an Amerika, unserem neuen Partner, ein Beispiel nehmen, das sich doch so stark für die elf verurteilten amerikanischen Soldaten in Rot-China eingesetzt hat, daß das ganze Volk bewegt, daß sogar die Person des Generalsekretärs der UN, Herr Hammarskjöld, eingesetzt wurde, vielleicht nebenbei, aber doch unter dem Gesichtspunkt auch dieser Frage.
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Ich möchte auch, weil das Wort Generalamnestie damals einen gewissen Zweifel offenließ und wir ja heute eigentlich auch darüber sprechen sollten, keinen Zweifel darüber lassen, daß wir unter dieser Schlußstrich-Generalamnestie vor allem die Amnestie derjenigen Kriegsverurteilten verstehen, die im unmittelbaren Kriegszusammenhang militärische Taten begangen haben, die nicht als gemeine Verbrechen zu werten oder einwandfrei als solche feststellbar sind, d. h. wie sie unter normalen Umständen als solche gewertet zu werden pflegen. Wir sind der Auffassung, daß diejenigen Kriegsverurteilten, die ob derartiger vorgegebener Verbrechen oder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Krieg stehender Untaten verurteilt wurden, zumindest der deutschen Gerichtsbarkeit zugeführt werden könnten, wobei dann auch bei der Urteilsbildung und -findung sowie bei der Strafbuße zweifellos die Tatsache einer zehn- oder vierzehnjährigen Haft einkalkuliert werden muß.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir heute von Sicherheit sprechen, dann, so glaube ich, erstreckt sie sich auch auf die Sicherheit des einfachen Staatsbürgers, zumal wir ja auch mit diesen Verträgen eine Bindung und Partnerschaft erstellen wollen, die neben der militärischen Bindung und Sicherheit diese rein persönliche einzuschließen hat. Verzeihen Sie es mir und nehmen Sie es mir nicht übel - es ist ja auch über manches andere, z. B. Gewerkschaftsfragen, sehr ausführlich gesprochen worden! -, wenn ich von dieser Stelle und aus diesem Anlaß die zuständigen Herren des Auswärtigen Amts auf den Fall des deutschen Journalisten Dr. von Wolmar, eines in Bonn akkreditierten deutschen Korrespondenten bei österreichischen Zeitungen, aufmerksam mache, der sich seit 3. Dezember 1954 in Österreich in Haft befindet. Er ist am Grenzbahnhof in Salzburg verhaftet worden, und zwar als deutscher Staatsangehöriger und auf Grund einer Ausschreibung im österreichischen Zentralfahndungsblatt infolge Auslieferungsantrags - man höre und staune! - der kommunistischen tschechoslowakischen Regierung vom Jahre 1951 wegen angeblich begangener Kriegsverbrechen als Presseabteilungsmann im damaligen sogenannten Reichsprotektorat BöhmenMähren. Österreich hat zwar vor Weihnachten den tschechoslowakischen Auslieferungsantrag abgelehnt. Der Journalist wurde aber - und das ist, glaube ich, in diesem Zusammenhang nicht uninteressant - Gefangener der Alliierten, so wurde berichtet, und zwar zu Weihnachten 1954, obzwar er schon früher, seit 1951 mindestens zehnmal, in Österreich gewesen ist und selbst bei Sicherheitsbehörden usw. vorgesprochen hat. Wenn auch die westlichen Alliierten meines Wissens den tschechoslowakischen Auslieferungsantrag dankenswerterweise ablehnten, so ist der Fall doch als eine Art Modellfall neuesten Datums auch für die Betrachtung der Sicherheit des Staatsbürgers höchst interessant. Wir wollen uns dabei nicht darüber unterhalten, wie solches mit der Haltung des sonst so fremdenverkehrsrührigen und auf deutsche Besucher erpichten, ach so gastlichen Österreichs so recht zu vereinbaren ist; was uns interessiert, ist, daß heute noch die Möglichkeit besteht, über ein österreichisches Volksgericht nach § 59 der österreichischen Strafprozeßordnung in, wie uns gesagt wurde, alliierte Haft zu geraten, sofern es einer kommunistischen Satellitenregierung gefällt oder gefallen hat, Auslieferungsanträge zu stellen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, zu bedenken, was das für manchen Österreichfahrer zu bedeuten hätte, der als unbequemer deutscher Ostoder Südostheimatvertriebener oder als Fachmann für Heimatvertriebenen-Fragen, als Kenner von Ost- und Südost-Fragen angesehen würde, wenn heute noch ein österreichisches Volksgericht - auch darüber sind wir informiert - Anschuldigungsunterlagen der tschechoslowakischen Regierung mit dreimonatiger Frist anfordert.
Ich glaube, daß auch dieses Österreich und wir in der Gemeinschaft dieser freiheitlichen Welt uns auch im kleinen eine Haltung angewöhnen sollten, die über den großen militärischen Sicherheitsbemühungen auch die Sicherheit für den einzelnen gewährleistet, daß er in dieser freien Welt nicht gefangen gesetzt werden kann, letzten Endes auf Grund von Anschuldigungen gerade der anderen Seite, die eben diese freiheitlichen Prinzipien mißachtet.
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Meine Damen und Herren, ich komme, um mein Versprechen nicht zu brechen, damit Sie nicht böse auf mich werden, zu Ende!
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Der Truppenvertrag als Zusatzvertrag zum Deutschlandvertrag - wie betont wurde, im Zeichen des Überganges eine gewisse Vorbehalts- und auch Zwischenlösung mehrschichtiger Änderungen - läßt, wenn man ihn näher betrachtet, gewisse Wünsche offen. Privilegien für die Streitkräfte mögen sich - in Richtung auf andere Erfahrungen als bislang - zum Abbau noch vorhandenen Mißtrauens langsam abmindernd auswirken, nämlich im Geiste gegenseitigen Vertrauens, echter Partnerschaft und gegenseitiger Unterstützung. Die eigene Gerichtsbarkeit und die eigenen Gerichtsverfahren der alliierten Truppen mögen in Hinkunft vielleicht noch da und dort mehr die Sicherheit auch des deutschen Staatsbürgers gewährleisten. Wir denken da an manche
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unerfreulichen Erscheinungen in den Räumen um München, um Bamberg, um Kaiserslautern usw. Der Art. 19 - Manöver und Übungen betreffend - ist, so meinen wir, ausgestaltungsbedürftig. Weitgehende Vorrechte, um eine Kleinigkeit dazu zu erwähnen, betreffs Jagd- und Fischereiprivilegien, Privilegien bestimmter in Militärdienste gestellter Unternehmungen, Vorrechte auf Leistungen des öffentlichen Dienstes und ähnliches sind Schönheitsfehler, die einmal auszumerzen sein werden. Im allgemeinen - das ist bereits von anderen Rednern meiner Fraktion mitgeteilt worden - sind wir der Auffassung, daß die militärische Struktur der Westeuropäischen Union und des Nordatlantikpaktes, einer Koalitionsarmee, die in der Spitze integriert ist, ihre Armierung und ihre militärische Organisation, die verstärkten Befehlsgewalten des alliierten Befehlshaber Europa -SACEUR -, gewisse, die nationalstaatlichen Prinzipien überlagernden Integrationsbemühungen innerhalb der Streitkräfte sowie die aufgelockerten Rüstungskontrollen im Amt für Rüstungskontrolle Beweise dafür sind, daß die Bundesrepublik immerhin als Mitglied einer weitreichenden und damit wirksamen Verteidigungsgemeinschaft eingegliedert erscheint. Wir müssen immer bedenken - und gerade wir als Heimatverjagte bitten, doch nicht zu vergessen, daß wir den Krieg in diesem Ausmaß verloren haben! -, daß diese Dinge im Hinblick auf die Katastrophe von 1945 im Sinne einer vielleicht höchstmöglichen Gleichberechtigung ausgehandelt wurden und die Chance einer nicht unwesentlichen Verstärkung der Sicherung unserer Freiheit gewähren. Man mache sich aber Beurteilung und Entscheidung nicht allzu leicht! Man sollte nicht grob simplifizieren! Es ist nicht richtig, diese Dinge etwa im Ton der „Münchner Wiesn" und jenes üblichen „Hurra-Rufens", also
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jener Simplifikation darzustellen. Wir warnen vor diesen simplificateurs terribles!
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Diese Dinge sind sehr schwierig! Man kann bei außenpolitischen Dingen, wie mir der sehr verehrte Herr Bundeskanzler vielleicht bestätigen wird, oft nur von zwei Übeln das kleinere und unter mehreren übeln das kleinste wählen. Man muß oft zu einer Sache ja sagen, auch wenn nur 51 % dafür und 49 % gegen sie sprechen. Hundertprozentige Ideallösungen sind hier nicht zu erringen. Aus der Abwägung dieser Momente heraus sagen wir zwangsläufig zu den Verträgen ja. Wir glauben und hoffen, daß damit ein notwendiger, d. h. not-wendender, Beitrag zur Erhaltung der Freiheit des deutschen Volkes in unserem Staat und zur Wiedergewinnung der Freiheit Gesamtdeutschlands geleistet wird. Allerdings muß damit - und da möchte ich die Worte der sehr verehrten Frau Kollegin Strobel aufgreifen und auch nach dieser Richtung unterstreichen - Hand in Hand die „soziale Aufrüstung" gehen; denn sie ist und bleibt das beste Kampfmittel gegen den Bolschewismus.
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Nur von der sozialen Befriedung und sozialen Sicherung aus sind die Voraussetzungen zu schaffen, mit denen, gleichgültig wieviel Divisionen wir haben, eine Infiltration jenes tödlichen Gedankengutgiftes verhindert wird. Und wir hoffen - die
gestrigen Worte des Herrn Finanzministers Schäffer haben diese Hoffnung in uns verstärkt -, daß dieses Weiterwirken der sozialen Befriedung nicht unter finanziellen Gesichtspunkten geschmälert und verringert wird; denn das ist auch ein, vielleicht sogar der wichtigste Baustein für die Schaffung eines wiedervereinigten Deutschlands; und wenn wir auch die Wege und die Erfolge der Wege, die wir jetzt einschlagen, noch nicht abzusehen vermögen , - das ist uns allen sicher und gewiß, hier können wir hundertprozentig ja sagen. Wenn wir uns nämlich innerlich, wirtschaftlich und sozial konsolidieren, haben wir einen Vorrang und einen gewissen Sieg im Kalten Krieg errungen, dessen Gesetze ja - und das ist hier oft vergessen worden! - nicht w i r erfunden haben, sondern die von Moskau, vom Kreml, diktiert worden sind und die noch heute, wenn auch taktisch-strategisch kaschiert - siehe die Rede Herrn Molotows am 8. Februar dieses Jahres -, letztlich unverändert geblieben sind.
Von dem Gesichtspunkt der Sicherheit, Sicherheit in Freiheit, und der Freiheit in Sicherheit, wollen wir zu diesem Pariser Vertragswerk - nicht ohne Bedenken, nicht „einheitlich-hundertprozentig"; dazu ist die Frage zu ernst und zu schwierig, dazu ist schließlich das Spiel der Zukunftschancen zu verwirrt - ja sagen. Im Glauben an die Richtigkeit dieses Wegs, meine sehr verehrten Damen und Herren, klaffen wir auseinander. In der Liebe zur Freiheit sind wir einig. In der Hoffnung , daß diese Verträge, die Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD, ablehnen, nach ihrer Annahme doch einen Weg zur Erhaltung des Friedens und der Freiheit eröffnen, müssen, glaube ich, wir alle ebenfalls einig sein, wenn wir die Folgen aus diesem Vertragswerk dann gemeinsam zu tragen haben. Es ist der Weg zur Bewahrung der Freiheit - Freiheit, so w i r meinen! -, einer Freiheit des Rechts; es ist der Weg zu verstärkten Ansatzmöglichkeiten des Gesprächs um die Wiedervereinigung, im weiten Sinne des Wortes um die Einheit. Das wollen wir nicht außer acht lessen. Und aus der Friedenssehnsucht aller kann, glaube ich, auch der Heimatvertriebene, kann auch der Frontsoldat von gestern und vorgestern zu diesen Dingen positiv Stellung nehmen und kann, gerade weil er durch die Hölle dieser Zeit, dieses furchtbaren Zeitalters hindurchgegangen ist, auch der Jugend ein Beispiel geben, ohne dabei verwischen zu wollen, wieviel Schweres, aber für die Freiheit Notwendiges wir von ihr verlangen müssen.
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Daß wir im Zwang stehen, meine Damen und Herren, im Zwange des Wettlaufs mit der Zeit im Kalten Krieg, wird keiner ableugnen. Ich möchte aber, weil ich schon von terribles simplificateurs gesprochen habe, bei aller persönlich-menschlichen Hochachtung zu meinem sehr verehrten Kollegen Hans Schütz eines sagen. So, wie er's gestern dargestellt hat, geht es meiner Auffassung nach nicht! Es ist nicht möglich, hier ziemlich künstlich voreilige Parallelen zwischen Ost und West zu ziehen. Das geht schon darum nicht, weil wir immer auf der Hut sein müssen, ob nicht die Gegenseite, wenn schon nicht formaljuristisch, von Paragraph zu Paragraph gehend, so doch zumindest taktisch-propagandistisch Präjudizien schaffen wird und kann. Man sollte daher vorsichtig sein, und zwar vor allem mit generell simplifizierenden und, ich
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möchte fast sagen, naivisierenden Behauptungen, etwa derart, daß wir im deutschen Osten glücklich und froh wären, ein dem Saarstatut ähnliches Statut zu haben. So einfach, glaube ich, dürfen wir die Sache nicht sehen, und wir sollten gerade in diesen Dingen vorsichtig sein, und zwar nach dem Motto: „Achtung, Feind hört mit"!
Nicht mit Hurra, nicht mit einer hundertprozentigen Gewißheit des Erfolges, sondern, ich möchte sagen, mit innerer Unruhe müssen die Dinge gewagt werden. Es handelt sich, wenn Sie wollen, um einen Gang in etwas Ungewisses, aber um einen zwangsläufigen Gang. Es ist schon etwas wahr an dem Wort eines großen Deutschen: „Ein anderes ist das Wort, ein anderes die Tat; das Rad des Grundes rollt nicht zwischen ihnen." Hier wird die Situation klar, aus der heraus jedes Beschreiten eines derartigen Weges Gefahren und Chancen nach der einen wie der anderen Seite in sich birgt. Wollen wir hoffen, daß der Weg, den wir beschreiten, zum Guten führt!
Was der Soldat selbst noch wünscht - auch das möchte ich sagen -: er wünscht, daß wir auf dem Wege, den wir gehen werden und gehen wollen, auch in der Form des militärisch-soldatischen alltäglichen Lebens eine gewisse neue Mitte finden. Wir sind ja, wie Sedlmayr mit Recht dargestellt hat, das Volk, das vielleicht am meisten die Mitte verloren hat. Vielleicht können wir auch in diesen Formen eine neue Mitte zwischen Alt und Neu finden; das heißt, wir sollten im Soldatisch-Praktischen alles Gute auch von einst - das gab es! - aufnehmen und mit neuen, echt demokratischen Gedankengängen und Formen durchsättigen, die letzten Endes den Staatsbürger in der Uniform und in seiner Freiheit achten wollen. Wir sollten alles Barras-Verderbliche und -Übliche wie die Pest meiden und dabei aber auch allem Unsoldatischen Einhalt gebieten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Ostdeutscher, und zwar als sudetendeutscher Heimatvertriebener, als Soldat der unseligen Generation des zweiten Weltkriegs, im Namen meiner Freunde und, ich hoffe, auch im Namen vieler, die nicht nur in Parteidoktrinen denken, habe ich dem Ausdruck zu verleihen versucht, was uns dazu bewegt, hier unter dem Gesichtspunkt von Sicherheit und Freiheit ja zu sagen. Es ist bewegt von der Sehnsucht nach dem Recht, nach dem gleichen Recht für alle, nach jenem Gesichtspunkte, von dem Adalbert Stifter einmal gesagt hat: „Nichts ist geordnet auf dieser Welt, es sei denn recht und gerecht geordnet." Es ist getragen von der Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit vor dem Krieg, wobei die Wiedervereinigung - da stimmen wir mit Ihnen und wohl mit den meisten überein! - die wichtigste Sicherheit wäre, wenn sie sofort erringbar wäre. Unsere Einstellung ist getragen von einer deutschen und europäisch-abendländischen Sehnsucht nach Einheit und Einigkeit, die auf Recht und Freiheit und echter Partnerschaft gegründet ist.
Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, darin liegen, auch wenn Sie das vielleicht oft nicht richtig einschätzen wollen, auch unsere Bedenken bzw. unser Nein zum Saarstatut. Es liegt darin, daß man hier eine Frage und ein Grundproblem berührt hat, das gerade uns Menschen des deutschen Ostens besonders auf der Seele brennt, ein Problem, das man, so meinen wir, nicht r it formaljuristischen, pseudoeuropäischen Chancen, nicht mit nationalistischen und nationalstaatlichen Reminiszenzen, die wieder aufleben, meistern kann, sondern bei dem gerade das vielleicht einzig wichtige Wort Thomas Masaryks eine Rolle spielt „Ich Herr - Du Herr". Wenn man eine europäische Gemeinschaft aufbauen will, deren wichtigstes Glied die deutschfranzösische Verständigung nun einmal ist, dann darf man auch nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen des Augenblicks diese ewig gültigen Gesetze, die erst eine echte Partnerschaft und 'europäische Gesinnung ermöglichen, über Bord werfen. Darum auch ein Nein - trotz der Bejahung der Gemeinschaft der westlich-freiheitlichen Welt, zu der wir uns auch durch diese Verträge bekennen.
Aber all das, meine Damen und Herren, soll doch hoffentlich nur Mittel zum Zweck für uns alle sein, für ein Ziel, in dem wir uns einig sind: ein vereinigtes freies deutsches Vaterland in einem, so hoffen wir, freien Europa. Wir hoffen - auch das muß gesagt werden -, daß der Allmächtige uns den Segen zu diesem Wirken gibt, nachdem er so lange Zeit sichtbar seinen Segen der deutschen Geschichte entzogen hat. In dieser Hoffnung und in dieser Liebe zum gemeinsamen Ziel sollten wir uns nach diesen Beratungen dann auch zu gemeinsamer Arbeit wiederfinden!
({21})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Hallstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der soeben von dem Herrn Abgeordneten Dr. Strosche gemachten Bemerkung, er wünsche die Aufmerksamkeit des Auswärtigen Amts auf den Fall des in Österreich verhafteten Journalisten von Wolmar zu lenken, darf ich dem Hohen Hause mitteilen, daß dieser Fall dem Auswärtigen Amt wohlbekannt ist und daß seit Wochen angestrengte Bemühungen in der Richtung der Freilassung des verhafteten Herrn laufen. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist, daß Herr von Wolmar sich seit gestern auf freiem Fuße befindet.
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Gegen die mit der Freilassung verbundene Auflage des Gerichts, daß er sich in Österreich zur Verfügung des Gerichts halten möge, läuft eine Beschwerde.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider bin ich trotz der vorgerückten Zeit gezwungen, auf Grund der Ausführungen des verehrten Kollegen Herrn Dr. Mende doch noch einiges zu sagen und Ihre Geduld in Anspruch zu nehmen.
Herr Dr. Mende hat, genau wie der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben Strauß, sich einen Gegner hier zurechtgestellt, den sie dann mit Bravour niederzureiten versuchten. Aber ich glaube, es ist doch einmal an der Zeit, daß wir versuchen, die Dinge, die wir gegenseitig darstellen, so zu sehen, wie sie wirklich sind. Der Herr Kollege Mende hat Hilferding aus dem Jahre 1929 zitiert, und man hatte dabei den Verdacht, daß
({0})
heute in der Diskussion nur tote Sozialdemokraten etwas gelten, aber keine lebenden Sozialdemokraten.
({1})
- Ich komme darauf, Herr Dr. Mende. - Sie, meine Damen und Herren, haben sich aber zur Zeit mit den vorhandenen Sozialdemokraten und mit ihr en Argumenten auseinanderzusetzen, auch wenn Ihnen das unbequem ist.
({2})
Ich möchte nunmehr, nachdem der Herr Kollege Mende Hilferding aus dem Jahre 1929 zitiert hat, den Herrn Dr. Mende aus dem Jahre 1949 - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - zitieren.
({3})
- Herr Dr. Mende, Sie haben sich aber nicht vollständig zitiert, und diese pikante Note, glaube ich,
muß hier noch zur Kenntnis gebracht werden. Sie
haben im Jahre 1949 nach einer Meldung des
„Essener Tageblatts" vom 17. Dezember gesagt: Ich habe mehr Kameraden begraben müssen, als Abgeordnete in diesem Bundestag sitzen, darunter meinen eigenen Vater und Bruder. Man kann nur den Kopf schütteln, wenn man heute die Divisionen wieder aufstellen will, die man bei Kriegsende wie Tierherden in einen Pferch trieb.
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Man sollte jeden, der über Remilitarisierung spricht, zunächst über seine militärische Vergangenheit befragen, besonders nach seinen Kriegs- und Gefangenschaftserlebnissen.
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Die Antwort wird manchen jeglicher Legitimation berauben, das Wort „Remilitarisierung" überhaupt in den Mund zu nehmen.
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Wer dagegen einwendet, die Lage in der Ostzone erfordere als Gegenmaßnahme die Aufstellung deutscher militärischer Einheiten, der hat die militärische Entwicklung seit 1939 verschlafen,
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der beweist damit gleichzeitig eine geradezu sträfliche Unkenntnis des sowjetischen Kriegspotentials. Deutsche Divisionen würden die Spannungen zwischen Ost und West nur noch verschärfen.
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Das Ende wäre glatter Selbstmord der uns noch verbliebenen Volkssubstanz ;beiderseits der Elbe.
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- Ich komme noch darauf, Herr Dr. Mende!
({10})
- Herr Dr. Mende, ich will erst, damit mir nicht der Vorwurf gemacht wird, ich hätte nicht alles gebracht, Ihr Zitat zu Ende bringen und gehe dann darauf ein. Sie haben welter gesagt:
Wir sollten daher alles vermeiden, was auch nur den Anschein erwecken könnte, wir wollten auf der einen oder der anderen Seite die vordere Linie darstellen.
({11})
Sie haben vorhin u. a. August Bebel zitiert und ausgeführt, daß August Bebel bereit gewesen sei, mit zu verteidigen. Nun, Herr Kollege Dr. Mende, sagen Sie mir doch bitte einmal, wo es einen verantwortungsvollen Sozialdemokraten gegeben hat, der nicht gesagt hat, wir wären bereit, Freiheit und Leben und Heimat zu verteidigen, wenn das überhaupt erforderlich ist.
({12})
- Ich komme auch darauf, Herr Kollege Majonica.
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Aber nehmen Sie doch bitte auch einmal zur Kenntnis, was aus der Kenntnis der Situation heraus von seiten der Friedensfreunde, einer Organisation, gesagt wird und was von dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in Berlin zu dieser entscheidenden Frage gesagt worden ist.
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Ich habe leider nicht die Fähigkeiten Ihres Herrn Kiesinger , der ja eine Vergangenheit als Repetitor hat, Ihnen das immer wieder klarzumachen; aber einmal anässen Sie es doch zur Kenntnis nehmen, wenn Sie mit uns in ein fruchtbares Gespräch kommen wollen.
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Was haben wir auf diesem Parteitag gesagt, und
was hat Kurt Schumacher dazu immer wieder gesagt? Kurt Schumacher hat einmal gesagt:
Das deutsche Volk braucht eine Bundesregierung, die das Schicksal der Nation über das Wohlergehen der eigenen Klasse und Clique stellt. Das deutsche Volk kann keine Bundesregierung dulden, die sogar das Letzte, was wir haben, das menschliche Leben und die Verfügung darüber freiwillig den Alliierten anbietet, wie es die Bundesregierung in ihrer Note an die New Yorker Außenministerkonferenz im September 1950 getan hat, und die, solange sie keine Wehrmacht hat, mit paramilitärischen Organisationen zu :arbeiten versucht.
Nachdem Sie, Herr Kollege Dr. Mende, vorhin Bebel zitiert haben, darf ich Sie daran erinnern, daß zur Zeit Bebels im Jahre 1903 Deutschland noch nicht geteilt war und es auch noch keine Atom- und H-Bomben gab
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und deshalb ganz andere Aspekte gültig waren, als das heute der Fall Ist.
({17})
({18})
Wir haben aus diesen Überlegungen heraus auf .unserem Parteitag auch eine Entschließung gefaßt, und ich darf jetzt, wenn es vielleicht auch so klingt, als sei ich hier ein Repetitor, die maßgebendsten Sätze daraus vortragen, damit wir nicht immer wieder aneinander vorbeireden:
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kennt die Gefahren, die von der sowjetischen Politik ausgehen. Für den Fall, daß wirksame Vereinbarungen zwischen östlicher und westlicher Welt nicht zu erzielen sind, die Gefahren für die Freiheit und den Frieden der Völker fortbestehen und die Einheit Deutschlands in einem umfassenden System kollektiver Sicherheit trotz aller Bemühungen nicht erreicht werden kann, erklärt sich die Sozialdemokratie bereit, an gemeinsamen Anstrengungen zur Sicherung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit auch mit militärischen Maßnahmen teilzunehmen.
Und jetzt merken Sie sich doch nur eins: daß wir das für den Fall tun, daß diese anderen Wege sich als unbrauchbar erwiesen haben. Diesen Beweis haben Sie trotz anderthalbstündiger Ausführungen auch nicht antreten können.
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Nunmehr zu dem, was Sie hier von Pazifisten vorgetragen haben. Damit haben Sie auf meinen Parteifreund Fritz Wenzel angespielt. Ich will nur, um es kurz zu machen, darauf hinzuweisen, daß auch Ihr Parteifreund Rademacher dieser Organisation angehört,
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und ich bin deshalb nicht gleich bereit, Ihrer Fraktion zu unterstellen, daß dort eine recht wankelmütige Einstellung vorhanden ist, obwohl wir ja gerade von Ihrer Fraktion in dieser Angelegenheit in letzter Zeit kuriose Dinge erlebt haben.
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Ersparen möchte ich es mir, auf das einzugehen, was von Ihnen über den Bruderkrieg und über die Gewissensgründe hier vorgetragen worden ist. Ich glaube, darüber werden wir uns, wenn es erforderlich ist, bei der Beratung der maßgebenden Gesetze sehr intensiv auseinanderzusetzen haben.
Aber dann haben Sie - und damit kann ich zu meinem eigentlichen Thema kommen - auf das übergeleitet, was mein Anliegen hier schlechthin ist. In diesen zweieinhalb Tagen ist schon sehr viel von der Verteidigung, von der Sicherheit, von der Wiedervereinigung und von der Saar gesprochen worden. Man hat sehr harte und sehr forsche Worte, besonders von idem bewährten deutschen Stamm der Bajuwaren, darüber gehört, daß wir hier so etwas wie eine Volksbewegung entfesselt haben, die uns nunmehr miet in den Orkus zu ziehen droht. Ich glaube, Sie haben ein sehr gerütteltes Maß an Schuld daran, weil Sie immer wieder davon ausgegangen sind, um Ihre Argumentation zu erleichtern, politische Gegner der Öffentlichkeit oder dem Parlament in einem Spiegel darzustellen, der Ihr eigener Spiegel ist. Diesen Gegner haben Sie dann, wenn Sie ihn mit dem ausgestattet haben, was Ihnen nicht gefährlich werden kann - oder wie es der Minister mit besonderen Aufgaben, Herr Strauß, hier mit zwei Abwesenden getan hat, die sich dann nicht wehren konnten -, mit echt bajuwarischer oder auch anderer Bravour niedergeritten; und dann
glauben Sie, das sei eine echte politische Auseinandersetzung.
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- Herr Kollege Lücke, ich komme auch noch zu Ihnen, weil Sie gerade dort vorn sitzen. ({23})
So kann man eine politische Auseinandersetzung nicht führen. Ich möchte, nicht weil ich zufällig der jüngste Vertreter dieses Parlaments und einer von der Kriegsgeneration bin, um die es heute geht, gerade auf diese Fragen sehr intensiv eingehen. Ich bedaure, daß ich im Moment den Herrn Bundeskanzler nicht sehe; denn ich hätte mir etwas davon versprochen, wenigstens hier einmal mit ihm ein Gespräch über diese Dinge führen zu können.
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- Nun, man kann über den Wert von Erfahrungen geteilter Meinung sein. Man kann Erfahrung auch als die Summe der in einem Leben gemachten Dummheiten definieren, und davor sollten wir uns hüten.
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Um nun in diese Auseinandersetzung zu kommen - die man mit Absicht einmal mit Ihnen suchen muß, meine Damen und Herren von der Koalition -, eine Auseinandersetzung, die den Sinn haben soll, in diesen lebenswichtigen Fragen des deutschen Volkes zu einer einheitlichen Meinung zu kommen, aber nicht, indem wir uns willenlos dem fügen, was Sie wünschen, sondern indem wir gemeinsam versuchen, das herauszuarbeiten, benötigen Sie all die wertvollen Ansätze, die in der deutschen Jugend vorhanden sind und die Sie bis heute noch nicht in dem Maße fruchtbar gemacht haben, wie es erforderlich gewesen wäre. Vorhin ist von meinen verehrten Herren Vorrednern von der psychologischen Frage gesprochen worden. Dabei ist man dankenswerterweise von den Kriegsverurteilten auf all die Einzelgruppen zu sprechen gekommen, die man hier mitberücksichtigen müsse, um das psychologische Klima in der Bundesrepublik zu schaffen. Aber eins hat man nicht angesprochen. Man hat nicht angesprochen, daß das größte psychologische Problem zunächst einmal bei der deutschen jungen Generation vorhanden ist, die nach Ihrem Willen morgen Soldat werden soll.
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- Sie müssen laut sprechen, Herr Kollege, dann kann ich Ihnen antworten.
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- Dr. Strosche hat das getan. Ich setzte mich jetzt mit den Rednern auseinander, die diese anderen Fragen ausgewalzt haben.
Nach 1946 haben sich die prominentesten Leute von der jetzigen Koalition aus der Situation bereit gefunden, der deutschen Jugend das zu sagen, was sie damals nur hören wollte, nur hören konnte, weil sie, die aus dem Kriege schon zurückgekehrt war und ihn unmittelbar miterlebt hatte, von Soldatenspielerei und Barras zunächst einmal die Schnauze bis obenhin voll hatte, um es mit diesem Ausdruck einmal zu sagen.
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({29})
Da hat zum Beispiel auch unsere verehrte Kollegin Fr au D r. Weber, vielleicht in einer Erinnerung an mütterliche Gefühle,
({30})
erklärt: Wer die beiden furchtbaren Weltkriege ({31})
- ich bin bereit, zu sagen: aus mütterlichen Gefühlen -,
({32})
wer die beiden furchtbaren Weltkriege erlebt hat, kann nur betonen: Nie wieder Krieg! Ich bin gegen jede Remilitarisierung!
Herr Kollege Paul Lücke, Sie, der Sie neun Jahre Soldat waren, wie Sie selbst angegeben haben, und als Beinamputierter wie ich haben ebenfalls nach dem „Essener Tageblatt" vom 17. Dezember erklärt:
Deutschland scheint mir durch ein militärisches Vakuum besser geschützt zu sein als durch ein deutsches Truppenkontingent. Die Frage der Remilitarisierung wird seit Monaten vom Ausland mit einer Hartnäckigkeit an uns herangetragen, daß der Verdacht aufkommen muß, daß hier weniger Deutschland gemeint ist als der kräftige deutsche Soldat, auf den man bei der scheinbar unvermeidlichen Auseinandersetzung mit dem Osten nicht verzichten zu können glaubt.
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- Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Wienand, Sie zitieren Ausführungen aus der Zeit, da der gesamte Deutsche Bundestag die Remilitarisierung ablehnte: Dezember 1949. Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß zwischen der Situation des Dezember 1949 und den Jahren nach Korea ein weltweiter Unterschied besteht, der auch zu neuen Folgerungen politischer Art führen mußte?
({0})
Herr Kollege Dr. Mende, ich bin ihnen für diese Frage sehr dankbar. Wenn Sie den Ausführungen meines Freundes Fritz Erler gestern abend zugehört hätten, dann hätten Sie heraushören können, daß wir heute praktisch wieder bei der Situation von 1949 angelangt sind. Deshalb die Aktualität Ihrer heutigen Zitate!
({0})
Aber ich bin bereit, im Rahmen meiner weiteren Ausführungen auch darauf einzugehen.
Ich führte vorhin aus, daß Sie damals sehr geschickte Darlegungen gemacht haben, und das entsprach der Situation; ich billige Ihnen das zu. Wir haben immer wieder den Nachweis zu führen versucht, daß sich inzwischen trotz Korea usw. nichts in dem Maße geändert hat, daß die Politik gerechtfertigt wäre, die Sie heute durchführen wollen.
Lassen Sie mich dafür noch zwei Beispiele bringen. Ich darf mich nunmehr unserem sehr verehrten Herrn Bundeskanzler zuwenden. Der Herr Bundeskanzler hat am 6. August 1950, also schon nach dem Ausbruch des Koreakriegs, erklärt:
Soll Westdeutschland aufgerüstet werden? Ich habe mich wiederholt
- so sagte der Herr Bundeskanzler damals - gegen die Wiederaufrüstung Deutschlands ausgesprochen. weil ich vor allem dem tiefen Friedenswillen des deutschen Volkes und der Jugend Ausdruck geben wollte. Man darf nicht vergessen, daß diese Jugend, die mit 15 Jahren von der Schulbank geholt, zu Flakhelfern gemacht und schließlich ungenügend ausgebildet in den Kampf geschickt wurde, einen tiefen Abscheu vor Uniformen, vor Waffen und vor Krieg hat.
({1})
So damals in der „Welt am Sonntag". Und so könnte ich eine Unzahl von Zitaten anführen.
({2})
- Hoffentlich sagen Sie nachher noch, daß es richtig war!
Aber was will ich damit sagen? Noch nach dem Ausbruch des Korea-Konflikts ist von dem Herrn Bundeskanzler erklärt worden, daß er nicht für eine Remilitarisierung und Wiederaufrüstung sei. Aber in der Ausgabe des Bonner General-Anzeigers vom 26. Januar 1952 steht:
Leise über Teetassen und Sandwiches hinwegsprechend erschütterte Bundeskanzler Dr. Adenauer auf einem Empfang der Auslandspresse gestern die Alliierten mit der Mitteilung, daß er als Privatmann bereits 1948 die. heutige weltpolitische Lage vorausgesehen und den Aufbau einer westdeutschen Armee vorbereitet habe.
({3})
Nunmehr bin ich genau bei der psychologischen Situation, von der vorhin auch der Kollege Dr. Mende gesprochen hat. Versetzen Sie sich doch bitte einmal in die Situation einer Jugend, die nach dem Kriegserlebnis zunächst einmal sehr desillusioniert jedem freudig zustimmt, der ihren Gefühlen Ausdruck verleiht! Stellen Sie sich diese Jugend vor, von der auch der Herr Innenminister Dr. Schröder einmal gesagt hat, daß sie wieder zu einer Elitebildung und zu echten Idealen kommen müßte! Stellen Sie sich diese Jugend einmal vor, die sich bereitwillig dem Wiederaufbau in Deutschland zur Verfügung gestellt hat unter dem, was damals gesagt wurde, und sie muß dann 1952 erfahren, daß man ihr zwar von 1947 bis 1950 immer wieder gesagt hat „wir wollen nicht", aber als Privatmann das schon vorbereitet hat, was die Jugend in Wirklichkeit nicht wollte. Das ist keine gute Form von Vorbild. Das sollte man heute verstehen, und dazu sollte der Herr Bundeskanzler einige klärende Worte sagen, damit hier wieder Vertrauen geschaffen werden kann um der gemeinsamen Aufgabe willen, die wir hier nicht unter den Tisch fallenlassen sollten. Denn, ich sagte es vorhin schon, wenn Ihre These die richtige sein sollte - und Sie haben ja im Moment die Mehrheit, um das hier durchzudrucken -, dann brauchen Sie diese deutsche Jugend. Ich habe sehr ernste Sorgen und Bedenken über die Wehrbereit({4})
schaft dieser Jugend, wenn solche Zweifelsfragen offengeblieben sind und wenn sie nicht das absolute Vertrauen in all das hat, was Sie bisher gesagt haben.
Nun, Sie haben immerhin, nachdem aus einem großen Prozentsatz der deutschen Jugend, die Sie so mit einer Handbewegung als die „Ohnemichler" bezeichnet haben, eruptiv etwas zum Vorschein gekommen ist, auch solch ein propagandistisches Dreigespann von der CDU ins Leben gerufen, und diese Troika hatte dann wohl die Aufgabe, mit Balalaika-Klängen der Jugend klarzumachen, was bisher der Politik noch nicht gelungen war. Aber ich glaube, man sollte auch hier die Formen sehen.
({5})
- Herr Rasner, allein mit einer virtuosen Geschicklichkeit in Grenzlandreden kann man die deutsche Jugend nicht überzeugen. Da muß man sehr sachlich argumentieren und auf die Fragen eingehen, die diese deutsche Jugend dann immer wieder stellt.
Es gibt noch eine andere Art der Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Jugend und dem, was heute ist. Wir kennen die Bestrebungen des Amtes Blank, eine Normalisierung zwischen Volk und Armee zu erreichen, weil man von der Jugend weiß - und das ist von allen Seiten wiederholt zum Ausdruck gebracht worden -, daß sie das, was einmal war, grundsätzlich ablehnt. Nun, wir kennen diese Pläne, und wir halten einen Teil dieser Pläne für gut. Aber es sind nur Pläne, und wir haben noch nicht die Überzeugung gewonnen, daß diese Pläne einmal in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Warum? Wir haben ein klassisches Beispiel. Das kann man hier anwenden. Auch das Außenamt ist nach 1949 neu aufgebaut worden, und die Form des Restaurativen in diesem Außenamt berechtigt uns zu allem Mißtrauen und allen Bedenken, die in diesem Zusammenhang hier vorgebracht werden.
({6})
Dann gibt es auch so etwas, was die Jugend heute noch kopfscheu macht: eine ganze Reihe von Traditionsverbänden, die mehr oder weniger qualifizierte Leute an der Spitze haben und die bei der Wiedergabefreudigkeit der deutschen Presse für ganz bestimmte Dinge nunmehr so dann und wann auch das Ohr der Öffentlichkeit geliehen bekommen. Was dort in letzter Zeit an Verlautbarungen herausgekommen ist, was dort von verschiedenen gesagt worden ist, gibt doch ebenfalls Anlaß zum allergrößten Mißtrauen und zur allergrößten Vorsicht. Aber worauf kommt es dieser Jugend denn eigentlich an? Hier darf ich den allseits verehrten verstorbenen Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Ehlers einmal zitieren, der in der „Jungen Kirche", in der Nr. 15 vom 27. September 1950, u. a. geschrieben hat:
Der dritte Vorgang in diesem Zusammenhang ist das erwähnte Wort des Rates, in dem es heißt:
Es kommt alles darauf an, daß wir uns nicht durch eine verlogene Propaganda beirren lassen, daß wir allen Versuchen, uns und unsere Kinder in eine Gesinnung des Hasses hineinzutreiben, ein entschlossenes Nein entgegensetzen und uns weder an Kriegshetzerei noch an Angstpsychosen mitschuldig machen.
({7})
Dies alles gilt insbesondere von einem gewaltsam zerspaltenen Volk. Deutsche Brüder und deutsche Schwestern, redet Gutes voneinander, auch über den Eisernen Vorhang hinweg! Vertraut einander und haltet Gemeinschaft miteinander! Daß Deutsche jemals auf Deutsche schießen, muß undenkbar bleiben.
Jeder, der diese Dinge liest, spürt, daß hier eine große Spannung vorhanden ist und daß nicht alles auf einen Nenner zu bringen ist. Er sagt dann ungefähr eine halbe Seite weiter:
Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen noch was den Osten anlangt.
In seinem dritten Punkt geht er dann noch einmal
sehr konkret auf diese Dinge ein, indem er sagt:
Wir wissen, daß die Teilung Deutschlands und die damit ständig wachsende Gefahr, daß Deutsche auf Deutsche schießen, die größte Friedensbedrohung ist. Wir müssen daher erwarten, daß ausländische und deutsche Politiker so handeln, daß diese Teilung irgendwann und irgendwie überwunden, aber nicht verewigt und zu einem Mittel der Machtpolitik der großen Weltmächte gemacht wird.
Und das ist mit ein wesentliches Element, ein wesentliches Motiv bei der Jugend von heute, die nein zu Ihren Verträgen sagt und die deshalb aktiv geworden ist.
({8}) Das ist vorhin hier schon durchgeklungen.
({9})
- Ich habe ja von dem Teil gesprochen, der im Sinne gegen die Verträge aktiv geworden ist.
({10})
Ich bin nicht so vermessen, zu glauben, daß auch die katholische Jugend hinter uns steht, aber ich glaube, einzelne von ihnen - ich könnte Beispiele bringen - gewiß aus dieser Gewissensnot heraus.
Nunmehr hat sich, obwohl der Herr Bundeskanzler, soweit ich mich erinnern kann, um dieses Gespräch mit den verantwortlichen Jugendverbänden über die Probleme, über die psychologische Situation bis heute noch nicht nachgesucht oder es geführt hat, der Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder liebenswürdigerweise bereit erklärt, vor dem Bundesjugendring ein Wort zur Diskussion der Wehrfrage zu sagen. Ich möchte auch das noch hier anklingen lassen, um das Problem noch einmal herauszuarbeiten. Da ich unterstellen darf, daß Ihnen allen der Text durch das Bulletin der Bundesregierung vom 17. Dezember vorliegt, kann ich mich auf das beschränken, worauf es mir ankommt. Er hat u. a. gesagt:
Natürlich ist der Jugend völlig freigestellt, alle Aspekte der inneren und äußeren Politik in Deutschland zu diskutieren, soweit sie sich das dafür notwendige Rüstzeug erarbeitet hat.
({11})
Er kommt dann weiter, nachdem er noch Einzelheiten aufgezählt hat, zu dem Schluß, daß sich
({12})
nunmehr am Schluß einzig und allein die Frage stellt:
Ist es recht und billig, daß sich jeder Deutsche an der militärischen Verteidigung seines Vaterlandes beteiligt und daß zu diesem Zweck bestimmten Jahrgängen die notwendige Ausbildung zuteil wird?
Es hat dann nach einer etwas verzögernden Diskussion, die um die Diskussion Ihres Referates ging, verehrter Herr Minister, noch eine Aussprache stattgefunden. Wie gut Sie mit dem, was Sie zu dieser Frage gesagt haben, nunmehr den Bundesjugendring überzeugt haben, scheint mir am treffendsten der Brief des Bundesjugendrings zum Ausdruck zu bringen, der, wenn auch etwas protokollwidrig, an die vier Hohen Kommissare, an den Herrn Bundeskanzler und an die einzelnen Fraktionsvorsitzenden gerichtet worden ist. Ich nehme an, daß der Inhalt dieses Briefes bekannt ist. Aber hier geht man nicht so sehr auf die Fragestellung ein, Herr Minister Dr. Schröder, die Sie dort aufgeworfen haben, als vielmehr auf das Herzensanliegen dieser Jugend, daß man zur Wiedervereinigung kommen müsse. Ich kann mir nicht aus der Situation vorstellen - ohne mir anmaßen zu wollen, das richtig zu interpretieren -, daß sich der Bundesjugendring nach der Diskussion über diese Dinge bereitfindet, in einem Brief an die Hohen Kommissare, an den Herrn Bundeskanzler und an die Fraktionsvorsitzenden heranzutreten, wenn er den Eindruck hatte, daß alles und jedes und auch das Letzte versucht worden ist, um diese Frage zur Zufriedenheit zu lösen.
({13})
Und hier kommt man dann auf die recht schaurige Perspektive, die heute schon aufgezeigt worden ist und die wir alle nicht wollen.
Erlauben Sie mir dann noch ein Wort zu der Berichterstattung der Presse über diese Dinge. Die „Kölnische Rundschau" bringt z. B. heute zum Ausdruck: „Der Jugendring treibt Politik auf eigene Faust", und dann in einer kleineren Überschrift: „Antwort auf einen Brief an Botschafter Puschkin abschlägig beschieden". Ich will diesen Artikel nicht ganz vorlesen; aber wer ihn durchliest, stellt fest, daß man hier nicht sehr korrekt berichtet hat und daß man nicht gesagt hat, daß auch der Brief an die anderen geschrieben worden ist, was darüber an Antwort kam und was man darüber nunmehr noch zu sagen weiß.
Lassen Sie mich versuchen, noch einmal das herauszustellen, worauf es uns ankommt. Wir wissen, daß zunächst einmal, wenn es um die Frage der Wiedervereinigung geht - und das ist ein Herzensanliegen der Jugend, wie ja von allen Seiten anerkannt -, alles und jedes versucht wird. Unternehmen Sie doch dann nicht immer wieder den Versuch, so zu tun, als wollten wir so irgend etwas, was unerfüllbar sei und was dann doch in letzter Konsequenz von Ihnen eben wegen dieses Irrealen, Unerfüllbaren nicht gewertet werden könne. Wir müssen heute Wert darauf legen, zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen. Deshalb habe ich in bewußt überspitzter Form diese Gegensätze aufgezeigt; denn man kann ja diese Gegensätze einmal nur überwinden, wenn sie offen ausgesprochen werden. Man soll sie allerdings nicht in der Form aussprechen, wie es in den letzten Tagen hier teilweise geschehen ist. Man sollte der deutschen Jugend und vor allen Dingen denjenigen, meine Damen und Herren von der Koalition, die nicht mit Ihrer Politik einverstanden sind, die Konzession machen, daß sie keine Ohnemichler sind. Ohnemichler sind auch nicht bei den Sozialdemokraten vorhanden, wenn es um diese Frage geht.
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Wir wünschen aber, daß alles das versucht wird, was wir Ihnen in diesen Tagen dargelegt haben. Wir können zu einem gemeinsamen Handeln nur nach dem Prinzip kommen: „Vereint nur sind wir alle stark, sind einzeln wir auch ohne Mark; mit einem Seil, aus Gras gewunden, wird selbst der böse Elephant gebunden", wenn Sie bereit sind, das einmal zur Kenntnis zu nehmen, was wir wirklich zu den Dingen sagen, sich nicht immer selbst einen Popanz hinzustellen und diesen zu bekämpfen, sich mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen und dann mit diesen sachlichen Argumenten in die Öffentlichkeit, in die Diskussion mit der Jugend zu gehen; nicht so, wie es ein Kollege von Ihnen gemacht hat, der auf Fragen in eigner Versammlung den Jugendlichen antwortete: „Was reden Sie von den Pariser Verträgen! Ich habe sie selbst noch nicht gelesen, denn ich verlasse mich auf die Erfahrungen des Herrn Bundeskanzlers." Auf diese Erfahrungen, meine Damen und Herren, können und wollen wir uns sehr gern verlassen, wenn die Beweise für die Richtigkeit der Thesen angetreten werden. Bis dahin muß die Jugend aus der Erfahrung heraus, die sie machen mußte, mißtrauisch bleiben und muß prüfen. Wenn Sie dafür kein Verständnis aufbringen, vertiefen Sie die Kluft, die heute vorhanden ist, und das wäre sehr sehr bitter.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist jetzt in aller Deutlichkeit das Thema der Wehrwilligkeit und Wehrbereitschaft der deutschen Jugend angeschnitten worden. Erlauben Sie mir, daß ich darauf eingehe und die Auffassung meiner politischen Freunde und die meine zum Ausdruck bringe.
Das ganze Problem um die Wehrbereitschaft ist durch die Diskussion beeinflußt worden, die sich nach dem totalen Zusammenbruch anbahnte und die immer wieder Begriffe wie Soldatentum, Militarismus und Wehrhaftigkeit durcheinandermischte und einfach zu einem falschen Bild verführte. Von diesem Standpunkt müssen wir ausgehen und also feststellen, daß es wahrhaftig unseren jungen Menschen nicht so leicht fällt, nun plötzlich wieder all die Dinge, die sie nun seit der Zeit des Zusammenbruchs bis vor wenigen Jahren immer wieder gepredigt erhalten hat, über Bord werfen zu müssen,
({0})
die ganzen Begriffe, wie „Pflichterfüllung", die man dann nachher geißelte, den „Dienst am Vaterland", den man nachher für eine unmögliche Angelegenheit hielt, „der graue Rock" schlechthin, der angegriffen wurde. Man mußte auch Zeiten erleben, wo jeder glaubte, seine demokratische Einstellung dadurch unter Beweis zu stellen, daß er auf diese soldatische Vergangenheit schimpfte.
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Wir meinen, daß das Soldatentum schlechthin nicht gelitten hat. Wir glauben aber und sind davon überzeugt, daß die gewachsene Verbindung der jungen Generation durch die Ereignisse der jüngsten Geschichte abgerissen ist und daß wir selber uns wieder bemühen müssen, die Fäden anzuknüpfen, ohne die Jugend leichtsinnig dazu zu verleiten, mit fliegenden Fahnen zu den Waffen zu eilen.
Wir müssen auch sagen, daß die Erwachsenen gerade in diesen hinter uns liegenden Jahren unseren jungen Menschen nicht immer das rechte Beispiel gegeben haben. Es fehlt also da und dort die Möglichkeit des Sichorientierens, des Sich-andem-Vorbild-Ausrichtens. Und auch hier müssen wir korrigieren, wenn wir die Wehrbereitschaft unserer jungen Menschen wieder erhalten wollen.
Die mangelnde Begeisterung - ich will sie einmal als Tatsache annehmen - unserer jungen Menschen sollte man dann auch nicht gleich mit dem Begriff Neutralismus zusammenwerfen.
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Man sollte nicht immer gleich meinen, daß der fehlende Schwung, sich der neuen Situation wieder anzuschließen, durchaus das Zeichen dafür sein muß, daß man unter keinen Umständen und auf keinen Fall mehr den grauen Rock anziehen möchte.
Bewegt werden diese Menschen, die die Wehrfähigkeit unseres Volkes wieder tragen sollen, auch von der Sorge um die Zukunft unseres deutschen Vaterlands, nämlich der Sorge um die große Gefahr, daß Deutsche gegen Deutsche antreten müssen. Die Sorge ist echt, und die müssen wir erkennen. Und es ist weiter die soziale Frage, die sehr groß geschrieben ist; denn unsere jungen Menschen kämpfen einen echten Existenzkampf, sie kämpfen in vielen Tausenden Fällen um den Bestand ihrer Familie, ihrer kleinen Geschwister, weil die Väter seit Jahr und Tag ausgefallen sind.
({3})
Und dieser Kampf um die Existenz nicht nur ihrer eigenen Person ist groß, ist schwer. Wir haben ihnen bis jetzt nicht die auferlegten Lasten abnehmen können. Ich denke, ohne mich darüber verbreiten zu wollen, daran, wie viele junge Menschen noch einmal von vorne anfangen mußten, wie viele junge Menschen unter größten Entbehrungen sich bemühen, einen echten Beruf zu ergreifen, weil sie wieder ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft sein wollen. Ich denke auch an die vielen Studenten; es sind, glaube ich, heute noch mindestens 30 %, die mit weniger als 50 Mark im Monat für den Lebensunterhalt auskommen müssen, die von sich aus auf jede Freizeit verzichten, die die Semesterferien, die die vorhergegangene Generation mit Recht zur Erholung benutzt hat, hergeben müssen, um durch Zeitungsverkauf, Würstchenanbieten und Kohleschippen sich wieder das nächste Semester zu erarbeiten.
({4})
Ich möchte das nur aufzeigen, damit die jungen Menschen wissen: wir kennen ihre Not und wir wissen, daß all ihr Ringen um die Existenz berechtigt ist. Die soziale Unsicherheit beunruhigt sie sehr.
Dazu kommen natürlich kleine persönliche Einschränkungen. Wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehen auch die kleinen menschlichen Dinge, die den jungen Menschen einfach irgendwie bedrücken. Denken Sie einmal daran, daß man zwei Jahre in die Kaserne geht. Denken Sie daran, daß man persönliche Einschränkungen auf sich nehmen muß. Und wenn ich gehässig wäre, dann würde ich sagen: auch der Entschluß, einen Regenschirm, an den man sich gewöhnt hat, wieder in die Ecke zu stellen, ist eine kleine persönliche Einschränkung. Man wird also auch auf die Dinge Rücksicht nehmen müssen; man wird sie erkennen.
Aber gerade weil wir Verständnis für all die großen und kleinen Sorgen haben, deshalb glauben wir an die Wehrbereitschaft unserer jungen Generation. Wir sind uns allerdings bewußt, daß wir diese Bereitschaft durch unsere politische Arbeit untermauern müssen, daß wir diese Bereitschaft durch unser Beispiel, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch durch unser Beispiel hier in diesem Hohen Hause, festigen müssen.
({5})
Wir werden - und darüber gibt es, glaube ich, keinen Zweifel mehr - endgültig die Diffamierung unserer deutschen Soldaten zu begraben haben, und wir werden unser Bekenntnis zu ganz Deutschland durch die Tat untermauern müssen, wir werden damit einen Zustand eintreten lassen müssen, der von einer nahezu nationalen Entwürdigung wieder zur Schaffung und zum Aufbau einer nationalen Würde führt, ohne daß dieses Bekenntnis auch nur das leiseste mit Nationalismus zu tun haben muß und darf.
Wir werden ein Europa aufbauen müssen, in dem alle Völker, die darin zusammengefaßt sind, frei und gleichberechtigt nebeneinander stehen und in dem auch unser Volk vorbehaltlos seinen Platz in der europäischen Gemeinschaft besitzt. Wir werden vor allen Dingen die soziale Unsicherheit, von der ich gesprochen habe, beseitigen müssen. Wir werden in einer Wehrgesetzgebung dafür zu sorgen haben, daß die Berufsausbildung nicht gefährdet wird, daß die jungen Menschen sich erst mal beruflich festigen können und damit ihre Existenz sichern können. Wir werden - und das ist ein nicht geringer Teil - dafür sorgen müssen, daß der persönlichkeitstötende Drill, der sogenannte Kasernenhofdrill aus dem Lehrplan der kommenden Wehrmacht verschwindet.
({6})
Wir werden an Stelle des Kasernenhofdrills, der die Persönlichkeit - das haben wir doch zum größten Teil selbst erlebt - einfach zerbricht, eine echte Wehrertüchtigung setzen, die dazu beiträgt, daß der junge Mensch bereit und in der Lage ist, im Augenblick der Gefahr zur Seite zu stehen.
Es ist der Einwurf bezüglich der alten Einheitsführer gekommen. Ich möchte auch dazu etwas sagen. Ich glaube, es gehört zum Wiederaufbau einer neuen Wehrmacht, daß man sehr genau überprüft, welche Einheitsführer wiederum unseren jungen Menschen vorgesetzt werden.
({7})
({8})
Ich meine - und darf das in aller Deutlichkeit aussprechen -: Diejenigen, die seit 1945 in der Zeit der größten Not Deutschlands sich von uns abgewandt haben, diejenigen, die mit einer Selbstverständlichkeit zugelassen haben, [daß andere den Karren aus dem Dreck ziehen, sind nicht die Einheitsführer für unsere jungen Menschen.
({9})
- Sicher! - Wir brauchen auch hier wieder die Menschen, die als Beispiel zu gelten haben.
Wir glauben, daß wir unsere junge Generation wieder zu dieser Wehrbereitschaft bringen, wenn wir auch darauf hinweisen, wie sehr z. B. die sowjetisch besetzte Zone sich bemüht, die jungen Menschen wieder irgendwie zu kasernieren und in ihnen den Willen zur Wehrbereitschaft zu stärken. Es ist für unsere jungen Menschen nicht unwesentlich, zu wissen, daß im 4. Jugendparlament der FDJ in Leipzig bereits 1952 die jungen Menschen zur Verteidigung der Heimat aufgerufen wurden.
({10})
Dieser Aufruf zur Verteidigung der Heimat ist natürlich nicht eine Wehrbereitschaft, wie wir sie uns vorstellen. Aber er zeigt unseren jungen Menschen, daß es doch hoch an der Zeit ist, eine Parallele zu schaffen, um hier nicht einen luftleeren Raumentstehen zu lassen.
Ein Wort - ich weiß, daß ich mit damit auf sehr heikles Gebiet begebe - zur Frage der Kriegsdienstverweigerung. Wenn wir von unseren jungen Menschen im allgemeinen verlangen, daß sie unter den verschiedensten Schwierigkeiten und persönlichen Belastungen bereit sind, ihren Wehrdienst zu erfüllen und auch mit einer gewissen inneren Bereitschaft dahinzugehen, dann müssen wir uns die Frage vorlegen: Wie soll dann auf der gleichen Ebene unterschieden werden zwischen denen, die also gehen wollen, und denen die sagen, sie würden einen Dienst mit der Waffe immer ablehnen müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir respektieren die Menschen, die sich seit Jahr und Tag aus einer religiösen gewissensmäßigen Einstellung heraus einfach nicht in die Lage versetzt fühlen, mit der Waffe zu dienen. Aber wir müssen uns dann, um gleiches Recht gelten zu lassen, ernsthaft Gedanken darüber machen, wie diese Menschen, die wir als Personen voll und ganz respektieren, in diesem Augenblick der Wiederbewaffnung auf einem Gebiet angesetzt werden können, auf dem sie ebenfalls ihre zwei Jahre oder je nachdem, wie lange der Wehrdienst dauern soll, im Dienste des Vaterlandes stehen.
({11})
Ich möchte schließen mit einem Wunsch: Möge es, meine sehr verehrten Damen und Herren, unserer gemeinsamen Arbeit gelingen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß unsere jungen Menschen nicht dem Zwang, sondern einer inneren Bereitschaft folgen, wenn sie zum Wehrdienst einberufen werden müssen!
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Die Abgeordneten Frau Dr. Rehling und Frau Fitz verzichten. Das Wort hait der Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Wienand hat hier ein Bild von der deutschen Jugend entwickelt, das meiner Meinung nach nicht der Wirklichkeit entspricht
({0})
und das deshalb dringend korrigiert und mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung gebracht werden muß. Sicherlich, wir sind uns alle darüber im klaren, daß im Falle eines Krieges das gesamte deutsche Volk die Opfer zu tragen haben würde. Aber die Verträge, die wir heute hier beraten, sollen ja gerade dazu dienen, den Frieden zu erhalten. Im Frieden hat nun einmal die Jugend die größten Opfer zu bringen. Im Frieden hat nun einmal die deutsche Jugend für den Frieden eine eineinhalbjährige Dienstzeit zu leisten. Wir verstehen sehr wohl und sehr gut, daß dann, wenn die Bindungen der Schule, daß dann, wenn die Bindungen des Elternhauses, daß dann, wenn die Bindungen der Berufsausbildung endlich weichen und der Weg in eine persönliche Freiheit offen wird, die neue, sehr strenge Bindung durch den Militärdienst nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen wird.
({1})
Wirr haben Verständnis dafür, denn wir haben alle einmal vor derselben Situation gestanden. Ich kann nicht sagen, daß es dier glücklichste Tag meines Lebens gewesen ist, an idem ich meinen Gestellungsbefehl erhalten habe. Aber wir wollen ja auch gar keine lodernde Begeisterung. Im Gegenteil, lodernde Begeisterung würde uns suspekt, würde uns gefährlich erscheinen.
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Wir wollen nichts weiter als die klare Erkenntnis. der bitteren und nicht gewünschten Notwendigkeit, die uns zu diesem Schritt zwingt, den wir durch diese Verträge hier tun wollen. Nichts weiter erwarten wir von der deutschen Jugend.
({3})
Nach meiner persönlichen Erfahrung - ich spreche nicht nur über die deutsche Jugend, sondern ich stehe mit meinen jüngeren Freunden in der CDU/ CSU-Fraktion noch in der aktiven Jugendarbeit selbst ({4})
in dier Diskussion mit der deutschen Jugend wird diese Notwendigkeit auch erkannt.
({5})
Ich brauche in diesem Zusammenhang auch nur auf gewisse Testversuche hinzuweisen - Herr Kollege Brandt hait ja selbst auf diese Testversuche hingewiesen -, um dieses Bild wirklich aufzuzeigen und abzurunden. Nur etwa ein knappes Drittel der deutschen Jugend lehnt den Verteidigungsbeitrag tab. Aber eine nicht ungeschickte Propaganda hat es so hinzustellen gewußt, dieses knappe Drittel der deutschen Jugend stehe stellvertretend für die gesamte deutsche Jugend. Das stimmt einfach nicht, meine Damen und Herren!
Welche Motive mögen es sein, die dieses knappe Drittel der grundsätzlichen Verneiner zu ihrem
({6})
Nein bringen? Sicherlich nicht die Frage, die hier das Hohe Haus die zwei Tage bewegt hat: erst verhandeln oder erst ratifizieren?!
({7})
Das ist meines Erachtens nichts weiter als eine Frage nach der besseren diplomatischen Methode, aber nicht eine Frage, Idle gerade auf die Problemstellung, auf die Fragestellung der deutschen Jugend zugeschnitten ist. Denn beide, Opposition und Regierung, wollen die Verhandlungen. Beide lehnen entgegen alledem, was hier gesagt warden ist, die Politik der Stärke als die Politik des Drukkes und der erhöhten Kriegsgefahr ab. Beide wollen die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Ich glaube also nicht, daß dieses Nein an diplomatischen Methoden, diplomatischen Gegebenheiten aufgehängt werden kann.
({8})
Zum zweiten darf ich dazu sagen - das ist von Herrn Kollegen Wienand Gott sei Dank mit der nötigen Klarheit hier gesagt worden -, daß die Alternative, ob erst verhandeln oder erst ratifizieren, auch für die sozialdemokratische Opposition nicht die Alternative in sich schließt: Soldat sein oder nicht?
({9})
Alle Lösungen, die Sie vorgeschlagen haben, ob es das bündnisfreie Gesamtdeutschland ist oder nach einem Scheitern der Verhandlungen über dieses bündnisfreie Deutschland die Integration auch militärischer Art in den Westen, - beide Lösungen, die Sie vorschlagen, sehen Soldaten vor. Das muß einmal ganz deutlich festgestellt werden,
({10})
auch wenn Sie in der Propaganda oft versuchen, diese Dinge sehr stark zu vernebeln. Sie haben es sich bei manchen Wahlkämpfen sehr billig gemacht,
({11})
indem Sie an diese Möglichkeiten sozialdemokratischer Politik nie erinnert haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß der Landtagsabgeordnete der SPD Klaus Peter Schulze, der Ihnen wegen seines Buches „Sorge um die deutsche Linke" sehr wohl bekannt ist, selbst gesagt hat: „Wäre den Zustimmern zu dem ,Deutschen Manifest' in der Paulskirche die Tatsache, daß auch die sozialdemokratische Politik bei allen ihren Lösungsversuchen Soldaten vorsieht, bekanntgewesen, die Zustimmung wäre vielleicht erheblich gedämpfter ausgefallen."
({12})
Wenn Ihre Lösungsmöglichkeiten auch immer Soldaten vorsehen, dann fallen die Propagandaelemente, die Sie in der öffentlichen Diskussion immer gebraucht haben, völlig flach, die Propaganda, Verteidigungsbeitrag bedeute Krieg. Sie werden nicht sagen können, CDU-Verteidigungsbeitrag bedeute Krieg, SPD-Aufrüstung aber bedeute Frieden. So kann man es wirklich nicht machen.
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Damit fallen auch eine ganze Reihe Argumente auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet weg; mein Kollege Vogel wird wahrscheinlich noch darüber sprechen. Ich darf Sie aber darauf aufmerksam machen, daß die Nationalarmee eines bündnisfreien Deutschland wahrscheinlich erheblich höhere Beträge des deutschen Sozialprodukts verschlingen würde als 12 Divisionen im Rahmen der freien westlichen Welt.
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Nun, ein Teil der deutschen Jugend lehnt den Verteidigungsbeitrag aus Gewissensgründen ab. Ich möchte hier ganz klar und deutlich sagen, daß wir uns zu diesen Gewissengründen, daß wir uns zu Art. 4 Abs. 3 des Bonner Grundgesetzes bekennen. Ich habe aber oft auch den Eindruck erhalten, als wenn die Gewissensgründe nichts weiter wären als ein Schutzschild für die Parole „Alles für mich, alles ohne mich! Alles vom Staat, nichts für den Staat!"
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- Ich weiß, daß Sie von der Sozialdemokratischen Partei das nicht wollen. Sie haben aber durch Ihre Propaganda diesen Menschen sehr oft die Möglichkeit gegeben, sich ein nationales Mäntelchen umzuhängen, womit sie sich nationaler dünken als jene, die bereit waren, den bitteren Weg eines deutschen Verteidigungsbeitrages zu gehen.
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Ich glaube, auch das sollte in diesem Zusammenhang einmal festgestellt werden.
Aber der größere Teil der deutschen Jugend bekennt sich ja zu dieser Notwendigkeit. Das beweisen uns - sogar mein Kollege Wienand war so freundlich, das festzustellen - auch die großen Jugendverbände, die sich in der Bundesrepublik zur Wehrbereitschaft bekannt haben. Ich brauche nur an den Bund der Deutschen Katholischen Jugend zu erinnern. Ich brauche nur an die Jugend des deutschen Ostens zu erinnern, um zwei besonders repräsentative Organisationen hier herauszuheben, um zu zeigen, wo die deutsche Jugend steht.
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- Entschuldigen Sie mal, es gibt eine ganze Reihe weiterer Jugend, die, vor allen Dingen durch ihre praktische Zusammenarbeit mit der Dienststelle Blank, unter Beweis stellt, daß sie bereit ist, bei der Ausführung des Wehrbeitrags mitzuarbeiten. Ich brauche nur an die Jugendorganisation der Deutschen Angestelltengewerkschaft zu erinnern. Aber ich darf Sie daran erinnern, daß immerhin die Katholische Jugend Deutschlands die größte Jugendorganisation in der Bundesrepublik ist, und ich glaube, deren Wort sollte doch einmal gehört werden.
Sie machen aber beide, das will ich ganz kurz zum Schluß noch sagen - die Jugendorganisationen und die nichtorganisierte Jugend -, ihr Ja von zwei Argumenten abhängig: einmal davon, daß der Verteidigungsbeitrag auch wirklich ein Beitrag zur Verteidigung ist, und zum zweiten davon, wie das „Wie" geregelt wird. Nun, daß dieser Beitrag, den wir hier beschließen, nur ein Beitrag zur Verteidigung sein kann, geht ja wohl zur Genüge aus der Organisation der Westeuropäischen Union
({18})
selbst hervor. Eine Armee, die sich auf kriegerische Abenteuer vorbereitet, wird keine Rüstungskontrolle und wird keine Begrenzung ihrer Stärken haben; das scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein.
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Zum zweiten macht die Jugend ihr Ja abhängig von dem „Wie", wobei wir unser Leitbild vom Staatsbürger in Uniform zu verwirklichen haben werden. Da liegt noch eine große Aufgabe des gesamten Hauses vor, diese Gesetze in naher Zukunft zu verabschieden, damit die deutsche Jugend weiß, wie sie dran ist, welche Gesetze sie erwarten. Aber - das hat mein Kollege Rasner schon in der ersten Debatte ausführlich erörtert - die Gesetze mögen wichtig sein, wichtiger sind die Menschen, die sie ausführen, und eine der wesentlichsten Aufgaben, auch die Aufgabe dieses Hohen Hauses, wird es sein, darüber zu wachen, daß die richtigen Menschen an den richtigen Platz kommen.
Alle diese Aufgaben, die mit dem „Wie" zusammenhängen, können nur gelöst werden in einem ständigen Kontakt mit der deutschen Jugend, nicht in einem Reden über die Jugend, sondern in einem Sprechen mit der Jugend.
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Bundestag, Sicherheitsausschuß und Dienststelle Blank müßten den größten Wert darauf legen, im dauernden Gespräch mit dieser Jugend zu sein. Ich darf hier mit Dank feststellen, daß die Dienststelle Blank dieses Gespräch bisher geführt hat. Aber. meine lieben Freunde - auch das möchte ich der linken Seite des Hauses sagen -, mancher scheint noch nicht begriffen zu haben, welche hohe staatspolitische Aufgabe diese Jugendverbände in freiwilligem Dienst an der Gemeinschaft, an ihrem Staate übernommen haben,
({21})
auch wenn sie zu der Frage des Wehrbeitrags negativ stehen. Das möchte ich für die gesamten deutschen Jugendorganisationen feststellen und gerade auch an dieser Stelle ihnen einmal für diese staatsbürgerliche Bereitschaft danken.
({22})
Nun zum Schluß, meine Damen und Herren: Die deutsche Jugend ist nicht in ihrer Gesamtheit gegen Opferbereitschaft, ist nicht in ihrer Gesamtheit dagegen, daß diese Verträge, die einen Auftrag des deutschen Wählers verwirklichen, den wir am 6. September 1953 erhalten haben,
({23})
abgeschlossen und durchgeführt werden. Sie will nur den Sinn erkennen, sie will sich nur sinnvoll eingegliedert wissen in unser Volk, in ein freies Europa. Sie will erkennen, daß diese Opfer nicht zuletzt für sie selbst gebracht werden. Ihre Zukunft, ihr sozialer und wirtschaftlicher Fortschritt soll vor den Gefahren aus dem Osten gesichert werden. Sie soll endgültig durch dieses Bündnis mit der freien Welt herausgelöst werden aus der Isolation, in die Hitler sie hineingestoßen hat und die wir für unser deutsches Volk nie wieder haben wollen.
({24})
Ich habe die Schrift bekommen, die Herr Heine zur psychologischen Vorbereitung dieser Sitzung an uns verschickt hat und die die Streitschrift eines angeblich jungen Deutschen sein soll, mit der Alternative: „Wiederaufrüstung oder Wiedervereinigung?", einer meines Erachtens völlig falschen Alternative!
({25})
Wenn in dieser Schrift dann steht: Wir stehen ganz allein, wir stehen Rußland allein gegenüber, so ist dazu zu sagen, daß es gerade die wesentlichste Aufgabe der Verträge sein soll, uns nicht in diese Isolation hineinzuführen; denn wir können alle Fragen, alle Probleme, die wir haben, nicht lösen, wenn wir in dieser furchtbaren Isolation stehen, und ich fürchte, daß die Folge Ihrer Politik gerade das sein wird, was dieser junge Deutsche in Ihrer Streitschrift geschrieben hat: Deutschland steht allein. Deutschland steht nicht mehr allein, wenn diese Verträge ratifiziert worden sind! Aus unserer großen und schweren Verantwortung der deutschen Jugend gegenüber sagen meine jungen Freunde aus der CDU/CSU-Fraktion und ich - und ich hebe sie deshalb besonders hervor, weil wir noch in einem Alter sind, in dem diese Verträge auch unser eigenes persönliches Schicksal bedeuten - ein deutliches und klares Ja zur Ratifikation der Pariser Verträge.
({26})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wienand hat soeben meine Rede vor dem Kuratorium des Bundesjugendplans im Dezember zitiert. Ich habe mich damals über die Einstellung der deutschen Jugend zur Wehrfrage optimistisch ausgedrückt, und ich sehe mich in dieser meiner Überzeugung durch folgende Nachricht bestärkt, die ich gerade bekommen habe. Nach einer gestern abgeschlossenen Befragung in einer Großstadt am Rande des Ruhrgebiets, die sich auf 5000 Jungen und Mädchen erstreckt, ist folgendes Ergebnis ermittelt worden. Die Frage: „Bist du für oder gegen einen Verteidigungsbeitrag?" ist wie folgt beantwortet worden: 70 % für einen Verteidigungsbeitrag,
({0})
10 % dagegen, 20 % enthalten. Meine Damen und Herren, wenn wir weiter mit 70 % der hier einschlägigen Jahrgänge Hand in Hand gehen, können wir uns mehr nicht wünschen.
({1})
Weitere Wortmeldungen zu dem Komplex „Sicherheit und Verteidigung" liegen nicht vor.
Wir 'kommen zu dem Fragenkomplex „Finanz und Wirtschaft". Das Wort hat der Abgeordnete Professor Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den lauten Erklärungen, die wir soeben gehört halben, möchte ich sagen, daß auch der, der der Politik des Herrn Bundeskanzlers zustimmt, zutiefst erschrocken sein müßte über die Form , in der diese Verträge uns dargeboten werden. Es ist erstaunlich, daß ein Finanzminister, dier auf Sorgfalt und Genauigkeit achten soll, sei({0})
nem Kanzler nicht widerrät, so unklar abgefaßte Verträge zu unterschreiben. Es ist erstaunlich, daß Männer der gelehrten Welt, die doch einen Namen zu verlieren haben, dem Herrn Bundeskanzler nicht abraten, Verträgen in solcher Form zuzustimmen.
({1})
Diese Form, meine Damen und Herren, ist nicht gleichgültig; sie ist auch nicht zufällig. Die Form ist das Korrelat zum Inhalt. Der Inhalt des Finanzvertrags und der übrigen Verträge ist unklar und widerspruchsvoll. Er ist nicht zu Ende gedacht und mithin nicht ausgehandelt. Er ist nicht klar und nicht gültig formuliert. Der Herr Kollege Bekker hat sich gestern trefflich legitimiert, indem er sagte: Aus einer dreißigjährigen Notariatspraxis habe ich erfahren, daß man bei Abmachungen mit einem Partner das jetzt Überschaubare jetzt auch formulieren kann und formulieren muß, und wir haben dann erlebt, daß der Herr Bundeskanzler in zynischer Form, das Problem vollkommen ignorierend, die Notariatspraxis als nicht die richtige Vorbildung für das Völkerrecht bezeichnet hat.
Ich fürchte, meine Damen und Herren, die Unklarheiten in diesen Verträgen sind gewollt.
({2})
Die Alliierten wünschen die Unklarheiten, weil sie aus gegebenen Situationen heraus hoffen, Vorteile für sich zu gewinnen. Die Bundesrepublik, fürchte ich, wünscht die Unklarheiten, weil sie hofft, aus gegebenen Situationen heraus den finanziellen Druck der Besatzungsmächte mildem zu können. Meine Damen und Herren, wer in dieser verworrenen Welt internationale Verträge schließen will, um dem Frieden zu dienen, der darf es nicht mit Hintergedanken tun. Und wer keine Hintergedanken hat, der kommt auch zur Klarheit.
({3})
Wer eine bestimmte Auffassung hat, der kann dieser Auffassung auch klaren Ausdruck geben. Ohne Klarheit können die Finanzfragen, die sich immer auch in Zahlen ausdrücken, nicht geregelt werden.
Kollege Arndt unterschied gestern zwischen rechtsverbindlicher Abmachung unid unverbindliche Zusage. Der Herr Bundeskanzler sagte, es gäbe auch moralische Verpflichtungen. Ich frage den Herrn Bundeskanzler: Warum verlangen unsere Vertragspartner von uns Verpflichtungen in konkreter und präziser Form? Warum genügt ihnen - den Vertragspartnern - nicht auch unsere moralische Zusage? Warum müssen die Verträge so einseitig gemacht werden?
Ich bin davon überzeugt, daß in der Situation, in der wir uns befinden, ohne Ehrlichkeit gegen unsere Partner, Ehrlichkeit gegen uns selber und Ehrlichkeit unserer Partner uns gegenüber -, daß ohne diese dreifache Ehrlichkeit eine unser aller Leben derart tief berührende Frage nicht gelöst werden kann.
({4})
Die Wahrheit wird uns frei machen! Nicht der Wunsch nach Hintertüren!
({5})
Ein Weiteres! Das Unklare, das uns Ungünstige wird von Regierungsseite schönfärberisch interpretiert. Man tut so, als ob das, was man wünscht, Wirklichkeit wäre. Achten Sie doch auf die offiziellen Verlautbarungen der Regierung und ihrer Beamten. Sie verharmlosen, sie bagatellisieren, sie färben schön. Das war ja auch der rote Faden, der gestern durch die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministens zog,
({6})
mit denen ich mich noch zu beschäftigen habe. Daß aber auch in der Mitte des Bundestags diese Tendenz besteht, habe ich mit Bedauern an einer Reihe von Fällen gemerkt. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen z. B. hat einen von mir verfaßten Schriftlichen Bericht einstimmg angenommen. Der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses schreibt: „Der auswärtige Ausschuß und der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen bedauern, daß eine Auflockerung dieser Bestimmungen zugunsten geschädigter deutscher Eigentümer nicht möglich war." Im Schriftlichen Bericht steht: „Im Neunten Teil ist, wie der Ausschuß einstimmig bedauert, zugunsten geschädigter deutscher Eigentümer nichts geändert worden." Über das subjektive Element, das hier drinsteckt, es sei nicht möglich gewesen, sagt der Schriftliche Bericht des Finanzausschusses kein Wort, sondern er stellt nur objektiv fest, daß nichts geändert warden ist.
({7})
Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten fährt fort: „Sie sind der Meinung, daß hier auch nach Inkrafttreten der Pariser Verträge weitere Bemühungen zu entfalten sind." Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen hat aber darüber kein Wort gesagt. Ich könnte Ihnen mehr solcher Interpretationen nennen, und ich sage Ihnen, daß solche Interpretationen unzulässig sind.
Der Finanzvertrag und die finanziellen Bestimmungen der übrigen Verträge sind nicht ein Teil eines geschlossenen Vertragswerks, sie durchdringen es vielmehr.
Zum Kriegführen gehört bekanntlich Geld, Geld und nochmals Geld, wie schon ein mailändischer Heerführer im 15. Jahrhundert feststellte. Was damals für die Kriegführung galt, gilt heute nicht minder für die Rüstung. Das gilt auch, Herr Kollege Schäffer, für die „sogenannte Rüstung", von der Sie gestern sprachen. Diese sogenannte Rüstung wird auch kosten Geld, Geld und nochmals Geld.
({8})
Darüber werden wir uns unterhalten.
Die Bundesregierung hat diese Verträge abgeschlossen, die uns finanziell ungeheuer belasten werden. Sie hat die Aufgabe, den Bundestag voll zu informieren darüber, was uns bevorsteht, was wir zu leisten haben, auf was wir etwa zu verzichten haben. Sie hat diese Aufgabe nicht erfüllt.
({9})
Der Deutsche Bundestag hat die Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren, und wenn die Koalitionsparteien sich scheuen, muß sich die Opposition dieser Aufgabe unterziehen, die volle Wahrheit zu sagen,
({10}) auch wenn sie unbequem ist. Sie ist unbequem nicht nur für die Koalition, sondern sie ist unbequem für alle. Ihren Zwischenruf „Das ist die Sache", den unterstreiche ich. Es kommt darauf an, die Wahrheit zu sagen. Das fordere ich von der Bundesregierung.
({11})
({12})
- Herr Kunze, Sie auch von mir! Sie haben ein gutes Recht, das von mir zu fordern. Aber ob Sie Anlaß haben zu dieser zweifelnden Bemerkung? Überlegen Sie, ob ich schon einmal dem Bundestag nicht die Wahrheit gesagt habe!
({13})
Der Bundesfinanzminister hat sich gestern wieder bescheinigt, daß er ein sorgfältiger Haushalter sei. Ich stimme mit ihm darin überein, daß gute, geordnete und überschaubare Finanzen den Kern einer geordneten Staatsführung überhaupt bilden. Ungeklärte finanzielle Verhältnisse verbreiten im privaten wie im öffentlichen Leben Unsicherheit, ja das Gefühl einer völligen Ungesichertheit und Unordnung. Deshalb ist finanzielle Unordnung im Staate, staatliche Unordnung schlechthin. Dieses Postulat, Herr Bundesfinanzminister, verbindet uns. Wie es aber hier praktiziert wird und was Sie gestern abend hier in später Abendstunde dem Deutschen Bundestage gesagt haben, das trennt uns.
Ein Wort zunächst zu den Stationierungskosten. Bisher ist nur sicher, daß wir bis auf weiteres, d. h. nach Inkrafttreten der Pariser Verträge, aber vor dem Inkrafttreten des eigentlichen aktivendeutschen Verteidigungsbeitrags, wie bisher monatlich 600 Millionen DM an Besatzungkosten, die dann Stationierungskosten heißen, zu zahlen haben. Darin sind dann 100 Millionen DM enthalten, über die wir mitreden können; z. B. die Kosten für das Infra-Struktur-Programm sind einbegriffen, Abgeltung von Besatzungsschäden kann einbegriffen werden. Für das erste Jahr nach dem Beginn des aktiven Verteidigungsbeitrags zahlt die Bundesrepublik an Stationierungskosten 3200 Millionen DM als Beitrag zu den Unterhaltskosten der fremden Truppen in der Bundesrepublik. Wenn bis zum 30. Juni die Verteidigungszeit noch nicht begonnen hat, dann ist noch alles offen. Wie man überhaupt annnehmen kann, daß vor dem 30. Juni 1955 die Verteidigungszeit begonnen haben kann, ist mir schleierhaft. Was wir also späterhin an Stationierungskosten zu zahlen haben, steht noch offen. Anzunehmen ist nur, daß wir ein Jahr lang, auch wenn der aktive Verteidigungsbeitrag erst nach dem 30. Juni beginnt, sicher nicht weniger als 3200 Millionen DM, sondern wahrscheinlich dieselbe Summe zahlen werden. Der Vertragstext läßt darauf schließen, daß die Alliierten auch später Stationierungskosten verlangen, im günstigsten Falle nur Sach- und Werkleistungen, die sich im Bundeshaushalt natürlich auch in Zahlen ausdrücken.
Nun komme ich zur zentralen Frage: Was kostet die Aufstellung und der Unterhalt der von der Bundesrepublik aufzustellenden Streitkräfte? Also 1. die einmaligen Kosten der sogenannten Erstausstattung und 2. die laufenden Kasten des Unterhalts der Truppen einschließlich der Modernisierung ihrer Bewaffnung. Die Bundesregierung bemüht sich in einer Sonderausgabe ihres Propaganda-Bulletins vom 18. Februar, die finanziellen Probleme - ich deutete es vorhin schon an - zu verniedlichen. Zunächst wird wieder der ordentliche Kaufmann bemüht, der vor der Eröffnung eines Geschäfts sorgfältig kalkuliert, welche Mittel er braucht. „Vom Staat", wird fortgefahren, „wird man eine um so größere Sorgfalt der Kalkulation erwarten müssen, um nachträglich keine unangenehmen Überraschungen zu erleben." Man sieht, wie beruhigend das ist, wie sorgfältig, in genauen Zahlen, wie von einem ordentlichen Kaufmann hier kalkuliert wird. Es ist aber ein Irrtum, nach dieser schönen Einleitung anzunehmen, daß dann Zahlen oder auch nur Anhaltspunkte zu Zahlen gegeben werden. Denn, wind gesagt, schon eine Schätzung der Personalkosten sei schwierig, solange beispielsweise die Militärbesoldung noch nicht genau geregelt worden sei. Ja, meine Damen und Herren, ich weiß doch, was der Bundesgrenzschutz kostet, und ich kann mir doch eine Vorstellung machen: wenn ich 500 000 Mann habe und sage - ganz grobe Faustregel - 4000 DM pro Mann im Jahr, so sind das 2 Milliarden DM insgesamt.
Das ist eine Zahl; die ist sicher zu niedrig, aber es wäre doch eine grobe Faustzahl. Da man sich aber überhaupt nicht bemüht - auf keinem Gebiete der „sogenannten Aufrüstung" -, überhaupt Zahlen zu nennen, muß man sich fragen, was die Bundesregierung eigentlich mit uns vorhat.
({14})
Warum tut sie das? Behandelt sie den Bundestag denn wie eine unmündige Schuhklasse?
({15})
Wie werden denn die im Amt Blank tätigen ehemaligen Militärs bezahlt? Hat man keine Vorstellung davon? Doch nach Grundsätzen der TO A mit Sonderklassen usf. Also daß man uns nicht einmal Faustzahlen gibt - ({16})
- Nein, nicht nach Nordrhein-Westfalen, aber, Herr Dresbach, wie Sie wissen werden, sehr viel Sonderklassen! Aber die machen ja den Kohl nicht fett; es kommt auf die große Zahl an. - Immerhin, der Oberregierungsrat im Bulletin behauptet wenigstens, zur Kalkulation verpflichtet zu sein. Der Herr Bundesfinanzminister selber begnügt sich mit allgemeinen Feststellungen, daß die künftigen Verteidigungslasten ohne Steuererhöhungen zu bewältigen seien, wo er doch bereits im Hauhaltsplan 1955 eine Steuererhöhung - wenn auch vorläufig ohne gesetzliche Grundlage -, nämlich die Ergänzungsabgabe, vorgesehen hat. Kollege Dresbach hat vorgeschlagen, sie doch offen als Wehrsteuer zu deklarieren.
({17})
Wie kann denn überhaupt jemand glauben
({18})
- ich komme darauf zurück -, daß man auch die „sogenannte Aufrüstung" des Herrn Schäffer ohne Steuererhöhungen bewältigen könnte?
Nun sagte Herr Kollege Schäffer gestern, er setze bei uns, beim Bundestag, soviel Auffassungsgabe voraus, daß wir aus dem, was in anderen Ländern geschehen ist und geschieht, selbst ungefähr die Zahlen bereitstellen und die Folgerungen daraus ziehen könnten. Also, nachdem der Herr Bundesfinanzminister sich weigert, dem Bundestag Zahlen zu geben, sind wir darauf angewiesen, uns selber zu überlegen, was die Sache denn nun wohl kosten wird.
Der Herr Bundesfinanzminister äußert sich nach der „Welt" vom 23. Februar so:
Die Gegner der Verträge fabulieren von 40, 50, 60 Milliarden, ohne dafür irgendwelche Unterlagen zu haben.
({19})
Ja, aber, meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister trifft finanzielle Vereinbarungen mit den Alliierten, er berät den Herrn Bundeskanzler, solche Verträge zu unterschreiben, und er beschwert sich darüber, daß die Opposition keine Unterlagen beibrächte.
({20})
Unterlagen, Herr Kollege Schäffer, haben Sie zu haben und dem Hause vorzulegen, nicht wir.
({21})
Gestern beobachtete ich, daß der Herr Bundesfinanzminister mit dem Kopf schüttelte, als Kollege Erler forderte, der Bundesfinanzminister müßte die finanzielle Belastung für Jahre voraus angeben, und das Kopfschütteln - übrigens bei der Rede des Kollegen Erler eine vielfach zu beobachtende Geste ({22})
setzte sich dann im ganzen Hause fort.
Nun hat aber der Herr Bundesfinanzminister nach § 8 Abs. 2 der Reichshaushaltsordnung feste Pflichten. Ich zitiere wörtlich:
Ausgaben zur Erfüllung von Verträgen, durch die das Reich zur Leistung von Zahlungen über ein Rechnungsjahr hinaus verpflichtet wird, sind bei der erstmaligen Anforderung von Mitteln nach Inhalt und Dauer des Vertrages zu erläutern.
Also genau der Fall, den wir vor uns haben: Verträge mit ausländischen Staaten, die das Reich - den Bund - für Jahre hinaus, für mehrere Rechnungsjahre verpflichten, sind bei der erstmaligen Anforderung nach Inhalt und Dauer des Vertrages zu erläutern. Der Bundesfinanzminister ist verpflichtet, die Reichshaushaltsordnung einzuhalten. Aber nicht nur er ist verpflichtet, auch wir sind verpflichtet; denn die Haushaltsordnung ist ja doch für uns alle verbindliches Gesetz.
Amtliche Zahlen, was die Aufstellung von 12 Divisionen kostet, können wir also nicht bekommen, auch die Kollegen im Sicherheitsausschuß nicht, auch wir im Haushaltsausschuß nicht. Ich möchte deshalb mal die Bundesregierung fragen - ({23})
- Ach, das wird er besorgen.
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Aber, Herr Dresbach, heute sollen Sie ja doch den Finanzvertrag und die ganzen unbekannten Bestimmungen finanzieller Art der übrigen Verträge beschließen!
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Sie wollen ja heute dazu ja sagen, und infolgedessen - ({26})
- Sie können nachher nicht mehr nein sagen, Herr Naegel.
({27})
- Ich komme darauf zurück. ({28})
- Ich komme darauf zurück, Herr Naegel. Ich will das erläutern. Heute wollen Sie „Ja" beschließen zu Verpflichtungen, deren Ausmaß Sie nicht kennen. Des wegen sagte ich, der Finanzminister ist nach der Reichshaushaltsordnung verpflichtet, uns das zu sagen. Ich möchte die Frage stellen: Was haben denn eigentlich die vielen hundert Militärs im Amte Blank, im Interimsausschuß in Paris und in der Beschaffungsstelle des Amtes Blank in Koblenz in den letzten vier Jahren gemacht, wenn sie nicht geplant haben und berechnet haben?
({29})
Kann man denn überhaupt eine Planung machen, ohne sie in Zahlen auszudrücken? Und wenn der Herr Bundesfinanzminister schon nicht will, dann sollte doch nun mal der Herr Kollege Blank dem Hause sagen: Die Aufstellung von 12 modernen Divisionen kostet ungefähr das und das.
Nun sagte aber Herr Schäffer weiter, es wäre töricht, Zahlen zu nennen, bevor wir in die entscheidenden Verhandlungen mit dem Ausland überhaupt eingetreten sind. Das kann ich nicht begreifen. Aus dem Satz „Zahlen zu nennen" muß man doch schließen, daß er Zahlen hat, daß er sie aber dem Bundestag nicht nennt,
({30})
und das wäre zu beanstanden. Und wie kann er denn in Verhandlungen mit dem Ausland eintreten, ohne von gewissen Zahlen und Vorstellungen auszugehen?
({31})
- Das kann man, ja, das ist ein sehr schöner Satz.
({32})
- Ausgezeichnet, ich beneide Sie allerdings um Ihre Klugheit nicht, Herr Kollege.
({33})
Aus den Veröffentlichungen im Bulletin ist aber ganz klar ersichtlich, daß man mit Ausnahme der Stationierungskosten bisher noch keine finanziellen Abmachungen mit dem Ausland getroffen hat, sondern hier ist alles offen. Ich möchte deshalb jetzt zwei Fragen erörtern: erstens die Festsetzung des Verteidigungsbeitrags durch die NATO und zweitens die Schätzungen in- und ausländischer Sachverständiger über die Kosten der deutschen Aufrüstung, - der sogenannten Aufrüstung. Ich tue das um so lieber, als Herr Kollege Schäffer ja gestern dazu aufgefordert hat, uns selber anzustrengen, und er hat ausdrücklich vorausgesetzt, daß wir dazu in der Lage sind.
({34})
Nun wurde mir vorhin durch einen Zwischenruf gesagt, daß ja doch nichts gegen uns beschlossen werden könnte. Das wurde auch gestern gesagt. Schäffer sagte sogar wörtlich: „Wir haben in diesen Verträgen auch nach der Seite der Kostenerstattung und der Höhe der Leistungen unser deutsches Schicksal doch selbst in der Hand." Und der Vorsitzende der größten Fraktion dieses Hauses, Herr von Brentano, rief dazu: „Sehr gut!"
Meine Damen und Herren, es bedeutet eine Irreführung, wenn behauptet wird, das Parlament habe sein volles Recht der Haushaltsbewilligung und Haushaltskontrolle. Deshalb müssen wir uns über die NATO und das NATO-System ein wenig unter({35})
halten, um so mehr, als Kollege Schäffer gestern sagte, wir werden unser Schicksal rein parlamentarisch durch den Deutschen Bundestag in voller Höhe der Wahrung seines Budgetrechtes bestimmen können.
Die Realleistungen der NATO werden von der NATO in einem jährlichen Überprüfungsverfahren bestimmt. Für diese jährlichen Überprüfungen gibt es den NATO-Fragebogen, der vor diesem Parlament, welches ja zu diesen Verträgen sagen soll, geheimgehalten wird.
({36})
Als Ergebnis der Jahresüberprüfungen werden die Verteidigungsbeiträge der Mitgliedstaaten durch „verbindliche Empfehlungen" von NATO festgesetzt. Es würde mich interessieren, wenn der Bundesfinanzminister sich einmal dazu äußerte, was denn eine verbindliche Empfehlung ist. Entweder ist es eine Empfehlung, dann ist es in das Ermessen des anderen gestellt, sie anzunehmen oder nicht oder sie geändert anzunehmen - aber eine verbindliche Empfehlung, das ist doch nichts anderes als ein Ausdruck für die Unsauberkeit des Denkens in diesem ganzen Vertragswerk.
({37})
Das System, nach dem die Kosten der finanziellen Beiträge errechnet werden, geht ja bekanntlich auf die Empfehlungen der „Drei Weisen" zurück, welche im Jahre 1952 bei der Beratung der Verträge eine große Rolle spielten. Das System, nach dem die Kosten aufgeteilt werden, berücksichtigt die finanzielle, die wirtschaftliche und politische Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten. Der entscheidende Satz von heute - nicht von 1952 - lautet: Es liegt jedoch noch nicht endgültig fest. Das Pariser Vertragswerk ist ja kein neues Vertragswerk, sondern es setzt die alten Verträge von 1952 mit bestimmten Streichungen und Änderungen in Kraft, mit Ausnahme der EVG, die weggefallen ist. Was hat man eigentlich in diesen über zwei Jahren getan, um all die Unklarheiten in der Methode nun auszuräumen und zu Klarheiten zu kommen? Ich habe den Eindruck, daß die Drei Weisen aus dem Abendlande in den letzten Jahren nicht sehr weise gewesen sind, sonst müßten sie mit der Sache ein bißchen weitergekommen sein.
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Der Beitrag eines neuen Mitgliedstaates macht eine Revision des gegenwärtigen Umlageverfahrens für den Zivil- und Militärhaushaltsplan der NATO erforderlich. Treten wir also jetzt bei, dann bedeutet das eine Revision des noch nicht endgültig festgelegten Systems. Die Finanzvorschriften für die finanzielle Verwaltung sind uns nicht bekannt. Warum man uns nicht einmal die Finanzvorschriften bekanntgibt, weiß ich nicht. Die Leiter der einzelnen Dienststellen der NATO legen dem Rat jährlich einen Haushaltsplan zur Genehmigung vor. Der Kollege Jaeger sagte gestern, der Haushaltsplan kann nur einstimmig beschlossen werden, also nicht ohne den deutschen Vertreter. Ja, meine Damen und Herren, der deutsche Vertreter in der NATO ist ein Militär oder zumindest ein Glied der Exekutive,
({39})
und dieser kann also Einspruch erheben. Es muß
Einstimmigkeit herrschen. Nun, wir können uns ja
sehr leicht vorstellen, wie es gehen wird. Wenn
wir uns an andere Gremien erinnern, die nur einstimmig beschließen konnten, wie der Völkerbundsrat alter Prägung, dann wissen wir ja, was aus solchen Einstimmigkeitsbeschließungen herauskommen kann. Kann denn jemand ernsthaft die Hoffnung haben, der deutsche Vertreter könnte hier überhaupt einen wesentlichen Einfluß geltend machen?
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- Herr Vogel, die Majorisierung ist auch nicht gut. Wenn sie drinstünde, dann wäre sie wahrscheinlich doch ein bißchen klarer als dieses Verfahren.
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Herr Vogel, ich möchte Ihnen dazu ein Wort vom alten Preußen sagen: Die janze Richtung paßt mir nicht!
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- Die ganze Richtung paßt mir nicht.
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- Ja, das sollen Sie auch merken, und ich freue mich, daß Sie es nun gemerkt haben. Deswegen meine einleitenden Bemerkungen über die Unsauberkeit der Vertragsabmachung. Und ich möchte einmal die Herren, die sich angesprochen fühlen sollten, ich möchte beispielsweise Herrn Staatssekretär Hallstein - ich will jetzt sagen: Herrn Professor Hallstein - einmal fragen, ob er sich hier hinstellen will und die Formulierungen, die Form des Vertragswerkes billigt. Auf dieses Plädoyer wäre ich gespannt.
Die Leiter der Dienststellen der NATO sind nun ermächtigt, entsprechend dem genehmigten Haushalt Verpflichtungen einzugehen und Zahlungen zu leisten. Und Herr Schäffer sagte gestern dazu: Die NATO-Empfehlungen binden das deutsche Parlament nicht. Meine Damen und Herren, nehmen wir mal an: die NATO einschließlich des deutschen Vertreters, eines deutschen Sachverständigen, kommt zu einem ganz bestimmten Ergebnis in bezug auf die Höhe eines ganz bestimmten finanziellen Verteidigungsbeitrages. Glaubt denn jemand ernsthaft, daß in einer großen Militärallianz, in der die Bundesrepublik in jeder Weise am Rande liegt, die Bundesrepublik erstens überhaupt etwas zu sagen haben könnte und zweitens sich das Bundesparlament den Beschlüssen der NATO, den, wohlgemerkt, „verbindlichen Empfehlungen", entziehen könnte?
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Ich frage Sie nochmals: Was heißt denn das, „verbindliche Empfehlungen"?
Ich will mich hier angesichts der Ungeheuerlichkeit der Kosten und des gesamten Problems nicht mit Finanzfragen von zweitrangiger Natur befassen. Deswegen will ich mich also über die Kosten der Infrastruktur, d. h. also der Einrichtungen, die auf Ersuchen der internationalen Kommandostellen der NATO für die Unterhaltung und Ausbildung internationaler NATO-Streitkräfte in Friedenszeiten sowie für ihren wirksamen Einsatz in Kriegszeiten geschaffen werden und für die die Mitgliedsregierungen die Kosten nach einem Umlageverfahren gemeinsam tragen, nicht weiter auslassen. Der Herr Bundesfinanzminister sagte ja
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gestern, daß die Kosten nur einen Bruchteil der 3200 Millionen Stationierungskosten, die im ersten Jahre zu zahlen sind, betragen würden. Ausdrücklich ist ferner in der NATO gesagt, daß die Höhe der jährlichen Beiträge noch zu erörtern sei. Es ist also über die Höhe der jährlichen Beiträge noch nichts gesagt.
Ich muß nun zunächst das zweite tun, was ich vorhin ankündigte, mich nämlich mit den Schätzungen der Kosten der Wiederbewaffnung befassen, zu denen Herr Schäffer gestern ausdrücklich aufgefordert hat. Er verwies am Sonntag in Kiel und Lübeck - ich zitierte bereits „Die Welt" - einen Aufwand von 40 Milliarden DM in das Reich der Fabel. Er meint, mit den 9000 Millionen DM, die im Bundeshaushalt stehen, auskommen zu können, ja, sie im ersten Jahre nicht in Anspruch nehmen zu brauchen. Zieht man von den 9000 Millionen DM die 3200 Millionen DM für die Stationierungskosten ab, so bleiben noch 5800 Millionen DM. Zieht man von diesen 5800 Millionen DM so runde 2800 Millionen DM für Kasernenbauten ab, dann bleiben noch 3000 Millionen DM übrig, die nach dem Bundeshaushalt zur Verfügung stünden.
Ich verweise jetzt auf die alliierten Berechnungen, die Mitte Dezember 1954 durch die ausländische und inländische Presse gingen. Man rechnet - und wenn Sie selbst mit Sachverständigen in der Bundesrepublik sprechen, dann wird Ihnen das wohl jeder sagen; ich meine aber nun wirkliche Sachverständige, nicht irgendwelche ganz außerhalb stehende Leute -, daß die Kosten für die Aufstellung einer deutschen Armee, einer modernen deutschen Armee, die aus zwölf Divisionen besteht, runde 60 Milliarden DM kostet.
Nach ausländischen Quellen sah die letzte Kostenrechnung der Alliierten wie folgt aus: Zwölf deutsche Divisionen; Heeresausrüstung 27 750 Millionen DM; die Luftwaffe 5270 Millionen DM; die Marine 4080 Millionen DM; die Luftabwehr runde 10 Milliarden DM; Unterstellung der Verbände rund 14 Milliarden DM; Verschleiß 8,2 Milliarden DM; Bauten 9 Milliarden DM - ich sagte vorhin: für ein Jahr 2,8 Milliarden DM -; Munition und Bestände 3 Milliarden DM; macht die runde Summe von 81,3 Milliarden DM ohne die Ausgaben für Forschung und ohne die Investitionen für die Industrie. Nachdem wir wissen müssen, welche Verpflichtungen wir eingehen, nachdem uns von Regierungsseite derartige Dinge nicht gesagt werden, müssen wir schon einmal solche Zahlen bemühen. Die Quellen stehen auch zur Verfügung. Dann ist es Sache der Bundesregierung, die Dinge nicht mit allgemeinen Redensarten abzuspeisen, sondern darauf ganz konkret zu antworten. Wenn man also nur 60 Milliarden DM unmittelbar für die Aufstellung von 12 deutschen Dvisionen annimmt, dann würde das, wenn man 3 Jahre für die Aufstellung rechnet, im Jahre runde 20 Milliarden DM bedeuten, nicht eingerechnet die dann noch fehlenden 21 Milliarden DM, über die ich eben gesprochen habe, die dann pro Jahr nochmals 7 Milliarden DM bedeuten würden.
Nach den gleichen alliierten Quellen wollen die Amerikaner in diesen drei in Frage kommenden Jahren 4 Milliarden Dollar, das wären 16,8 Milliarden DM, langfristig leihen; Herr Bundesfinanzminister Schäffer sagte gestern: nach den gleichen Bedingungen, wie das für die anderen NATO-Staaten geschehe. Dazu wollen sie Ausrüstungsgegenstände und Waffen aus den amerikanischen Beständen an die Bundesrepublik abgeben, was die Amerikaner auf rund 16 Milliarden schätzen. Nimmt man an, daß das so kommt, dann wären also abzuziehen diese 16,8 plus 16 gleich 32,8 Milliarden, so daß 48,4 Milliarden, aufzuteilen auf 3 Jahre, übrigblieben als deutsche Leistung. Wenn man bedenkt, daß der gesamte ordentliche Bundeshaushalt ein Finanzvolumen von 25 Milliarden hat, in dem bisher die 9 Milliarden Verteidigungsbeitrag drinstehen, von denen 7,2 für Besatzungskosten in Anspruch genommen sind, dann bekommt man ein Gefühl für die Relation, in der sich diese Kosten bewegen. Da wäre es nun wieder Sache der Bundesregierung, einmal schlüssig zu beweisen, daß damit keine Gefährdung des Lebensstandards, keine Gefahr der Inflation, keine Minderung der sozialen Leistungen verbunden wäre.
Nun haben wir noch etwas ganz Erstaunliches gelesen. Der Herr Kollege Vogel hat im Bericht des Haushaltsausschusses geschrieben und ich habe es auch noch an anderer, sehr offizieller Stelle gehört, die Amerikaner wollten uns die Ausrüstung mit Waffen schenken.
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- Ja, der Pacht- und Leihvertrag, das sind doch die 16,8, die ich behandelt habe und die nach den Worten des Bundesfinanzministers unter den gleichen Bedingungen an uns abgegeben werden sollen wie an die anderen NATO-Staaten. Sehen Sie in Ihrem schriftlichen Bericht nach - ich habe ihn nicht zur Hand -, was Sie da geschrieben haben! Über diese 16,8 Milliarden hinaus ist ja zweifellos mehr nötig. Auch der Herr Bundesfinanzminister hat gestern in seiner Rede - ich habe den Wortlaut leider nicht hier oben - zum Ausdruck gebracht, daß die Amerikaner uns auch dabei großzügig helfen wollen.
Es ist klar, daß die sogenannte Aufrüstung, wenn sie notwendig ist, auch schnell, d. h. in einer möglichst kurzen Zeit, durchgeführt werden muß; sonst, scheint mir, hat die ganze Sache keinen rechten Sinn. Nun hat aber der Herr Kollege Pferdmenges neulich vor der Industrie- und Handelskammer in Hagen die „beruhigende Auffassung vertreten", daß sich die Rüstungsprogramme in der Praxis viel langsamer abwickeln ließen als auf dem Papier. Herr Kollege Pferdmenges, wenn Rüstung notwendig ist, dann auch in dem Tempo, das durch die politische Lage und durch die wirtschaftlichen Möglichkeiten gegeben ist.
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- Ich sagte: wenn Rüstung notwendig ist! Ich bin davon überzeugt, daß sie nicht notwendig ist. Ich habe oft gesagt, und ich werde es auch nachher noch einmal sagen, daß nach meiner Überzeugung diese Verträge und die Aufstellung eines deutschen Verteidigungsbeitrags die Sicherheit des deutschen Volkes nicht erhöhen, sondern mindern.
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Sie können also nicht sagen: „wie es Ihnen gerade paßt", sondern ich habe ausdrücklich diesen Satz eingeleitet mit „wenn" und gesagt: Wenn man das Programm bejaht, dann muß man auch die Folgerungen ziehen.
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Von hoher Regierungsseite wurde uns 1952 gesagt: Wenn wir kein Geld haben, dann müssen eben die militärischen Programme geändert werden, also verlangsamt werden. - Ja, ist denn dann plötzlich alles nicht mehr wahr, was von unserer bedrohten Lage gesagt worden ist?
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Ist die Lage so bedrohlich - ich halte sie nicht für bedrohlich -, dann muß sich das militärische Programm nach der Lage richten, auch wenn der Lebensstandard gesenkt würde. Aber das muß man dann auch dem Volke sagen. Der Herr Bundeskanzler unterstrich gestern abend nachdrücklich die Gefahr. Wenn er recht hat - ich bin überzeugt, daß er nicht recht hat -, aber wenn er recht hat, warum dann nicht dem Volke wirklich die Wahrheit sagen und die Zahlen angeben, die angebbar sind? Denn dann bleiben imimer noch Unbekannte, die erst später bekanntwerden. Das ist doch ein Widerspruch, meine Damen und Herren. Politisch wird argumentiert: „Entweder Annahme der Pariser Verträge, dann Sicherheit, Frieden, Freiheit, Wiedervereinigung; oder Nein zu den Verträgen, dann Unfreiheit, Bolschewisierung Gesamtdeutschlands, Kriegsschauplatz. Aber, das deutsche Volk mag sich beruhigen: Auch durch die Aufrüstung wird sein Lebensstandard nicht sinken!"
Wenn aber das Rüstungsprogramm, wie man auch vom Amt Blank hören kann, besser langsam verwirklicht werden sollte, was ist dann noch von dem Argument der Bedrohung zu halten?
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Ist die politische Voraussetzung richtig, muß die militärische Folgerung unverzüglich kommen. Wie passen langfristige Rüstungsprogramme in diese politische Konzeption? Sind die Beruhigungsversuche von Herrn Pferdmenges, von Herrn Schäffer, von Herrn Erhard richtig, - ja, warum strapazieren Sie uns dann und warum gestatten Sie uns dann nicht einmal eine Mittagspause?
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Nein, es muß getagt werden! Die Verträge müssen unter Dach! Die Franzosen werden sich frühestens Mitte März mit der Sache beschäftigen, aber wir müssen den Sonnabend und den Sonntag dran, um die Verträge zu verabschieden. Da ist doch keine Musik drin, Herr Kollege Pferdmenges!
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Nun sagte der Bundesfinanzminister gestern, wir machten einen Gedankenfehler. Damit muß ich mich jetzt kurz auseinandersetzen.
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- Herr Kunze, ich gebrauche dafür soviel Zeit, wie ich glaube, gebrauchen zu müssen.
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Die Höflichkeit vor dem Hause gebietet es mir, nicht zu schwafeln. Wenn Sie merken sollten, daß ich unsachliche Dinge sage, dann mag Ihre Anregung kommen, ich möge mich kürzer fassen. Solange das aber nicht der Fall ist, bitte ich, mich nicht durch solche Mahnungen zu stören.
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Der Herr Bundesfinanzminister hat gesagt: Wir haben ja in Wirklichkeit bisher schon 13,1 Milliarden DM im Bundeshaushalt gehabt. Wenn Sie die
Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt richtig gelesen haben - ich habe sie gelesen -, dann werden Sie dort aufgegliedert finden, daß außer dem Globaltitel von 9000 Millionen noch 4100 Millionen für Berlin, Bundesgrenzschutz, Besatzungsschäden, Ruhegehälter usw. anrechnungsfähig wären. Diese 13,1 Milliarden DM, sagte Herr Schäffer gestern, sind die Ausgangsziffer, die Sie nehmen müssen.
Dem Hörer wird dabei nicht klar, daß diese 4,1 Milliarden DM auch in Zukunft bleiben und daß sie mit Stationierungskosten nichts zu tun haben. Wir können also nur von dem Globaltitel von 9000 Millionen ausgehen. Sie haben, Herr Kollege Schäffer, den Eindruck erweckt - auch in Kiel und in Lübeck -, als ob damit - Sie sagten gestern wörtlich, das sei der Ausgangspunkt - etwas über das gesagt würde, was wir für die Aufrüstung zu leisten halben, und das war ein Gedankenfehler von Ihnen.
Recht haben Sie, indem Sie sich darum bemühen, bei den Alliierten nach den NATO-Grundsätzen auch das angerechnet zu bekommen, was anrechnungsfähig ist und was den andern Ländern angerechnet wird. Das ist klar. Aber wo kriegen Sie denn nun das Geld her für die Kosten der Aufrüstung? Diese 4,1 Milliarden, wie gesagt, haben wir bisher gezahlt, und Sie werden sie in Zukunft bezahlen; und wenn sie angerechnet werden sollten, was bleibt denn dann, frage ich mich, überhaupt noch übrig für die Aufstellung deutscher Divisionen? Herr Kollege Schäffer hat ja gestern, indem er mit idem Ausland verglichen hat, gesagt, da lägen wir mit unseren Leistungen schon über anderen Ländern.
Der zweite Gedankenfehler des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer ist folgender. Er sagt etwa: Wir haben von 1945 bis heute alles zusammen rund 87 Milliarden - R-Mark und D-Mark - an Besatzungskosten gezahlt, und wir haben gleichzeitig damit einen hohen Lebensstandard erreicht. - Also wir können das so mit der linken Hand machen. Hier tut er wiederum so, als ob diese Besatzungskosten nun einfach an die Stelle für den Verteidigungsbeitrag eintreten könnten, während doch in Wirklichkeit nur die vorhin von mir genannte Differenz für den Verteidigungsbeitrag eingesetzt werden kann.
Alle diese Bagatellisierungen gehen davon aus, daß die zusätzlichen Kosten kaum ins Gewicht fielen, zumindest aber von einem stetig steigenden Sozialprodukt - und die stetige Steigerung wird vorausgesetzt - aufgefangen würden. Ich nehme an, daß Kollege Kreyssig sich mit dieser Frage noch befassen wird; ich will jetzt darauf nicht eingehen, nur soviel sagen: So kann ein Sozialprodukt überhaupt nicht steigen, daß es so viel mehr abwürfe, um die Kosten für die Aufrüstung zu decken.
Einer meiner Freunde hat mir eben den Bericht des Kollegen Vogel heraufgereicht. Darin steht, Herr Vogel, für die Ausrüstung mit schweren und mittelschweren Waffen lägen USA-Zusagen in London in feierlicher Form vor. Es sei angedeutet worden, diese Ausstattung erfolge unentgeltlich in Erwartung auch entsprechender Anstrengungen der Bundesrepublik.
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Sehen Sie, Herr Kollege Vogel, da haben Sie gesagt,
daß diese Ausstattung unentgeltlich erfolge, und Sie
haben von „Zusagen in feierlicher Form" gesprochen. Glauben Sie denn - das ist doch gestern hier
auch klar geworden -, daß eine Zusage, die ein
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Außenminister gibt, für die Dauer bindend ist, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten Verpflichtungen über seine Amtszeit hinaus nicht eingehen kann? Wie kann man denn so etwas sagen? Und warum - ich habe es eingangs gesagt - begnügen Sie sich mit der feierlichen Verpflichtung, während Sie ohne Bedenken bereit sind, vertraglich alles zu unterzeichnen, was die anderen von Ihnen wollen?
Der dritte Gedankenfehler des Bundesfinanzministers ist dieser. Er sagt: „im Vergleich mit anderen Ländern". Diese Vergleiche mit anderen Ländern sind falsch. Die anderen Länder hatten nicht total abgerüstet, sie hatten ihre militärischen Verbände, ihre Kasernen, ihre Kraftwagen, ihre Waffen, ihre Uniformen. Wenn die Bundesrepublik aufrüstet, dann rüstet sie doch auf ohne irgendeine Grundlage,
({60})
wogegen die Alliierten jahrelang aus der laufenden Produktion mit Reparationen versorgt worden sind und dadurch ihre Volkswirtschaft leistungsfähiger in bezug auf die Rüstung ist als vorher.
Es ist richtig: auch andere Länder sind durch den Krieg und nicht zuletzt durch die Schuld der Deutschen sehr mitgenommen worden. Aber man muß die Dinge hier doch in der richtigen Relation sehen. Während jahrelang aus der deutschen Produktion zur Behebung der Kriegsschäden in die anderen Länder geliefert wurde, während demontiert wurde, während noch mehrere Monate nach Ausbruch des Korea-Krieges jeden Nachmittag 16 Uhr 15 durch die Sprengung des Kieler Ostufers die Stadt erschüttert wurde, da haben doch die anderen Mächte, mit denen der Herr Bundesfinanzminister jetzt vergleicht, ihre militärische Macht behalten, wenn auch nicht mit einer modernen Ausrüstung, die der Technik des heutigen Krieges entspricht. Wir dagegen müssen ganz von vorn anfangen, und was haben wir dann alles nachzuholen, von sozialen Leistungen abgesehen! Straßenbau und Autobahnen und Eisenbahnen und Wasserwirtschaft und Küstenschutz und Deichbau und Befreiung der Rinder von der Tuberkulose und Flurbereinigung und Siedlung, - Herr Gott, was haben wir für Aufgaben in unserem Lande! Das kann man doch nicht einfach mit der linken Hand abtun und sagen: Das können wir alles so machen.
({61})
- „Die Freiheit muß man sich was kosten lassen." Ich habe Ihnen vorhin bereits gesagt, daß ich zutiefst davon überzeugt bin, daß diese Verträge uns keine Freiheit bringen, und was mir keine Freiheit bringt, lasse ich mir nichts kosten.
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- Nein, es soll niemand anders bezahlen. - Nun ja, über diese Grundtatsache ist hier im Hause keine Einigkeit herbeizuführen. Ich habe ja gestern gesehen, wie Sie bei den ernsthaftesten Ausführungen, die jedem eigentlich in den Kopf und in das Herz und in das Mark gehen müssen, gelacht oder mit dem Kopf geschüttelt haben.
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Meine Damen und Herren! Zu diesem Punkt der Tagesordnung bzw. zu diesem Kapitel sind jetzt noch acht Redner zur Debatte gemeldet. Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt sind in Aussicht gestellt. Ich möchte deshalb bitten, erstens daß sich die Redner kurz fassen, zweitens daß die Redner nicht unterbrochen werden.
Fahren Sie bitte fort.
Ich sagte schon, Herr Präsident, daß ich mich bemühe, nicht mehr zu sagen, als was nach meiner Überzeugung gesagt werden muß,
({0})
und ich habe daher bereits Grundsätzliches, was ich ausführlicher sagen wollte, wegen des Samstagnachmittags kürzer gefaßt. Ob ich damit der Sache, um die es uns geht, einen Gefallen getan habe, ist eine andere Frage.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern wieder gesagt, er sei ein Hüter der Währung und er wolle die Währung sicherhalten. Ich glaube ihm, daß er das will; ich bezweifle seine gute Absicht in keiner Weise. Aber wie kann man denn glauben, angesichts der gewaltigen Leistungen, die vor uns stehen, daß das so gemacht werden könnte, wie die Herren Kollegen Schäffer und Erhard sagen? Ich bin der Meinung: Vorsicht beim deutschen Volk mit den Geldentwertungen, nachdem wir - das haben wir ja alle erlebt - eine offene von 1918 bis 1923 und eine versteckte von 1936 bis 1945 erlebt haben. Die Inflation ist ein zu hoher Preis, in jedem Fall ein zu hoher Preis, sowohl was einfach die Sache als was die Erschütterung des Vertrauens zum Staate betrifft.
In einem Punkte, scheint mir, sind der Bundeswirtschaftsminister, der ja wohl noch sprechen wird, und der Bundesfinanzminister einig. Sie behaupten, daß die Wiederbewaffnung keine Senkung des Lebensstandards mit sich bringe; auch andere Länder hätten in den letzten Jahren aufgerüstet, ohne ihren Lebensstandard zu senken. Das ist ein auf Anhieb zunächst bestechendes Argument. Aber ich habe vorhin in anderem Zusammenhang schon gesagt, was davon zu halten ist. Jede Mehrproduktion in der Aufrüstung führt nicht zu erhöhter Investierung, führt nicht zu höherer Bereitstellung von Konsumgütern. Produktion für die Rüstung ist unproduktiv, wie jede Produktion für den Krieg unproduktiv ist.
Noch eine kurze Bemerkung zum Herrn Bundeswirtschaftsminister. Er hatte in einem Weihnachtsartikel im „Handelsblatt" unter der Überschrift „Rüstung mit Ruhe betrachtet" folgendes gesagt:
Daß die Nationalstaaten auch früher, d. h. seit langem, Rüstungsanstrengungen unternahmen und dafür Kosten aufwendeten, ohne daß, trotz parlamentarischer Diskussion um diesen Haushaltsposten, jemand befürchtete, es könnte damit die wirtschaftliche Ordnung oder das soziale Sein eines Volkes gefährdet werden, scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Statt dessen denkt man offenbar mehr in den Kategorien der totalen Kriegswirtschaft. Und so ist dann wirklich zu fragen, ob da irgend jemand im deutschen Volke ernsthaft glaubt, daß in der Bundesrepublik Regierung und Parlament jemals bereit oder geneigt sein könnten, in ihrer Politik an den verbrecherischen Wahnsinn der Vergangenheit anzuknüpfen.
({1})
Meine Damen und Herren, auch das hört sich, wenn es mit dem Optimismus des Herrn Bundes({2})
wirtschaftsministers vorgetragen wird, gut an. Aber wie kann man mit den Rüstungsanstrengungen der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts kommen, wenn man grandiose Aufrüstungen erlebt hat und wenn die Bundesrepublik sich anschickt, sich dem amerikanischen Machtblock einzuverleiben? Ich bin überzeugt davon, wer in dieser Zeit aufrüstet - und sei es auch nur die sogenannte Aufrüstung des Herrn Bundesfinanzministers -, der braucht gar nicht an die Vorstellungen aus totalitären Staaten anknüpfen zu wollen - woran soll er anknüpfen? -, sondern der begibt sich in die Dynamik der Aufrüstung dieser Zeit.
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In den vollmechanisierten Panzerarmeen unserer Zeit liegt ein Dynamismus, der fürchterlich ist. Es kann doch sein, daß durch Entwicklung der Waffen der anderen Seite wesentliche Teile der Erstausstattung, wenn sie da sind, über Nacht überholt sind, so überholt sind, daß es unverantwortlich wäre, Soldaten in unmodernen, also nicht mehr kampffähigen Panzerwagen einem überlegenen Gegner auszuliefern.
In einem technischen Zeitalter, in dem der Geist der Erfinder und die Anstrengungen der modernen Staaten sich vornehmlich auf die Konstruktion von Massenvernichtungswaffen konzentrieren, fällt jede finanzielle Planung hin; jede endgültige finanzielle Planung ist dabei unmöglich.
Diese Welt ist in zwei Machtblöcke aufgeteilt. Wenn die Gefahren nicht eintreten, von denen ich eben sprach - aber ich bin davon überzeugt, sie müssen eintreten, weil sie ganz einfach in der Dynamik dieser Zeit liegen -, dann schickt sich das deutsche Volk an, geteilt, wie es seit Jahren ist, sich beiden Machtblöcken militärisch zur Verfügung zu stellen. Solange aber die Probleme des zweiten Weltkriegs nicht gelöst sind, darauf hat Albert Schweitzer in seiner Friedensrede in Oslo in bewegender und überzeugender Weise hingewiesen: solange die Probleme der Weltkriege nicht gelöst und nicht liquidiert sind, kann es keinen Frieden geben. Kann es keinen Frieden geben, dann muß das deutsche Volk nach dem Ungeheuren, das es erlebt hat, in der geographischen Lage zwischen Ost und West, in der es sich befindet, nach meiner Überzeugung sich vom militärischen Beitrag freihalten.
({4})
Ich glaube - ich spreche hier meine persönliche Meinung aus -, daß das deutsche Volk nach dem, was es erlebt hat, auf lange Zeit hinaus moralisch überhaupt nicht in der Lage ist, Waffen zu tragen, und daß der einzige Beitrag, den das deutsche Volk nach diesen Jahren des Nationalsozialismus und des Weltkriegs zum Frieden der Welt leisten könnte, Beiträge zur Erkenntnis und zur Humanität sein müßten.
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Meine Damen und Herren, ich war gestern abend sehr betroffen, als nach dieser - ich bedauere es sagen zu müssen -, nach dieser wirren, verworrenen Rede des Herrn Bundesfinanzministers die Koalitionsparteien geradezu frenetischen Beifall klatschten.
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Ich sage Ihnen ganz offen - ich weiß ja, daß manche
von Ihnen auch unter Gewissensqualen leiden und
daß Sie die Dinge, die ich vorgetragen habe, auch
ernst nehmen -: mir schien, Sie hatten das Gefühl: Nur nicht nachdenken, der Alte wird es schon richtig machen!
({7})
- Ja, das haben wir schon mal gehört!
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- Nein, es war nicht billig! Es hat dem deutschen Volk und der Welt Millionen Tote gekostet, daß ein Mann gesagt hat:
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„Die Verantwortung trage ich" ! Das war nicht billig!
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen, nachdem Sie mir dies zugerufen haben. Der Bundesfinanzminister hat gestern gesagt: „Wenn ich mich trotzdem entschlossen habe, die Verantwortung auch für die Kosten der Sicherheit, d. h. die Kosten für die Verteidigung zu übernehmen, dann . . ." - Nein, das liegt nicht im Entschluß des Herrn Bundesfinanzministers!
({10})
Nicht er trägt die Verantwortung. Er tut so, als ob er wie ein Führer sagen könnte, - ({11})
- Ich beende den Satz, den ich soeben begonnen habe. - Er tat so vor dem Deutschen Bundestag - er hat es an zwei Stellen gesagt -, als ob er die Verantwortung trüge. Nein, meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister ist ein Mitglied i der Exekutive, ist das ausführende Organ des Parlaments. Nicht er trägt die Verantwortung, sondern die Verantwortung tragen wir alle.
Lassen Sie es uns ernst nehmen mit dieser Verantwortung, und tun Sie nicht so durch das Geheul, das Sie eben anstimmten, als ob ich es mit meiner Verantwortung nicht ernst nähme. Nachdem ich mich intensiv mit den Verträgen beschäftigt habe, sage ich, daß ich an dieser Verantwortung nicht teilnehmen kann. Die Folgen dessen, für das Sie die Verantwortung zu übernehmen bereit sind, die müssen wir alle tragen, wir und unsere Kinder. Und die Verantwortung, die wir haben, vor uns und vor Gott und vor der Geschichte, die sollten wir nicht leicht nehmen.
({12})
Herr Abgeordneter Gülich, ich rüge den Ausdruck „Geheul", den Sie gebraucht haben, als nicht parlamentarisch und rufe Sie deshalb zur Ordnung.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf an die Schlußworte des Herrn Vorredners von der Verantwortung anknüpfen.
({0})
Jeder von uns trägt die Verantwortung für das Ja
oder Nein, das er spricht. Jedes Mitglied des Kabinetts trägt die besondere Verantwortung für das
({1})
Amt und die Aufgabe, die ihm in diesem Kabinett gestellt ist, für die Gesetze, die es infolgedessen zu unterzeichnen hat.
({2})
Jeder von uns hat sich in seinem Gewissen und seinem Verantwortungsbewußtsein der Nation gegenüber zu prüfen, ob er ja oder nein sagen kann. Es ist kein Grund für einen Vorwurf gegen ein Mitglied des Kabinetts, wenn es am Tage vorher erklärt hat, es habe nach ernster Prüfung sich entschlossen, die Verantwortung des Ja zu übernehmen.
({3})
Ich mache niemandem von der Opposition einen Vorwurf, wenn er sagt, er habe nach Prüfung die Verantwortung für das Nein übernommen. Die kommenden Geschlechter werden richten.
({4})
Nun darf ich aber auf den sachlichen Inhalt eingehen. Der Herr Kollege Gülich wird es verstehen, wenn ich sage: ich glaube, dafür nicht viel Zeit beanspruchen zu müssen. Ich gehe zunächst einmal auf das Wort von den „unklaren Verträgen" und von der Rolle, die die deutsche Bundesrepublik spielt, ein. Herr Kollege Gülich, die Verträge, die wir unterzeichnet haben, geben auch nach finanzieller Richtung hin dem deutschen Volke dieselbe Stellung wie allen anderen vierzehn Nationen, die in der NATO vereinigt sind. Wenn ein besiegtes Volk wenige Jahre nach der Niederlage dieselbe Stellung wie die Siegervölker erhält, so kann man nicht sagen, daß ein unklarer Tatbestand erzielt ist.
({5})
Es ist klar, daß wir aus der Rolle des Besiegten in die Rolle des Gleichberechtigten, auch finanziell, gekommen sind.
({6})
Da, Herr Kollege Gülich, begegnen sich jetzt unsere Gedanken, oder vielleicht, wenn Sie mich wirklich nicht verstanden haben, trennen sich unsere Gedanken: Ich kann nicht davon ausgehen, daß ich sage, die kommenden Jahre werden an Verteidigungsausgaben - Sie sagen ironisch: „sogenannte Aufrüstung", ich sage: „Verteidigungsausgaben" - für alle beteiligten Nationen genau die und die Summe bringen. Ich bin kein Prophet. Selbst wenn ich wüßte, was heute die Planung ist, weiß ich nicht, was im nächsten Jahr die Planung ist. Die Technik und die Entwicklung auf allen Gebieten gehen so rasch vorwärts, daß ich darauf Verträge nicht aufbauen kann. Ich kann Verträge aufbauen auf einen Grundsatz, und der Grundsatz hat geheißen: alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit mit den gleichen Leistungen, mit den gleichen Pflichten. Darauf beruhen die Verträge, und darüber hat das deutsche Parlament jetzt zu entscheiden.
Der § 8 der Reichshaushaltsordnung bezieht sich auf finanziell voraussehbare, auf übersehbare finanzielle Verpflichtungen wie etwa einen Brückenbau, Straßenbau oder sonst etwas. Hier handelt es sich um die Wirkungen des Vertrags, und infolgedessen ist nach dem Vertragsinhalt auch haushaltsmäßig vorzugehen.
({7})
- Ganz richtig! Ich glaube, daß Herr Vialon meinen
Ausführungen nicht widersprechen würde. Sie können ja nachher mit ihm unter vier Augen reden.
- Der Vertragsinhalt sagt: gleiche Leistungsfähigkeit, gleiche Verpflichtungen. Ich habe Ihnen gestern die Rechnung vorgemacht. Ich habe Ihnen gesagt, was die übrigen Nationen in all den Jahren und im laufenden Rechnungsjahr an Ausgaben leisten. Ich habe Ihnen vorgerechnet, daß, wenn ich das deutsche Brutto-Sozialprodukt mit dem Brutto-Sozialprodukt der anderen Länder vergleiche, wenn ich davon ausgehe, daß es sich nicht nur um den Etatposten 9000 Millionen DM, sondern um alle anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben insgesamt handelt, wir nach unserer Überzeugung heute schon von einer Summe von 13 Milliarden DM sprechen können und daß wir, wenn wir das vergleichen, im Prozentsatz des Brutto-Sozialprodukts heute bereits über vielen anderen Nationen der NATO stehen.
({8}) - Bereits stehen, habe ich gesagt!
({9})
Das ist die Situation, von der wir vertraglich auszugehen haben. Ich habe gesagt: es kommt nicht darauf an, was nach Ihrer Meinung die Aufrüstung als solche kostet, sondern es kommt darauf an, was sie uns kostet. Und wenn ich frage, was sie uns kostet, dann muß ich auch in Rücksicht nehmen die Erklärungen, die uns von alliierter Seite gegeben worden sind, die Erklärungen, die uns McCloy seinerzeit - ich habe gestern das Datum genannt - gegeben hat, wo die amerikanische Regierung die Verpflichtung übernahm, für die Zeit der Erstausstattung die schwere Bewaffnung an die Bundesrepublik unentgeltlich zu liefern, also die schweren Waffen und auch einen zahlenmäßig mit 200 Millionen benannten kleineren Teil der leichten Bewaffnung, gleiche Benutzung der Exerzier- und Übungsplätze und so fort. Diese Erklärung wurde seinerzeit von dem stellvertretenden Verteidigungsminister Nash übernommen, und sie ist durch Dulles beim Abschluß der Londoner Konferenz als verbindlich auch für die neuen Pariser Vereinbarungen anerkannt und bestätigt worden.
({10})
Davon haben wir doch auszugehen, und danach kann ich dann auch die Berechnungen aufstellen.
Wenn Sie aber nun sagen, es sei eine Irreführung des Parlaments in seinem parlamentarischen Recht, wenn ich mich darauf beriefe, dann darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege Gülich: das deutsche Parlament hat in Zukunft in dieser Frage „Kosten der Verteidigungsausgaben" genau dieselbe Stellung wie das britische, französische, belgische, holländische und italienische Parlament.
({11})
Die Dinge liegen praktisch so. Wir gehen in die NATO nunmehr als gleichberechtigtes Mitglied. Wir haben in der NATO das Stimmrecht wie die anderen Nationen. Die Empfehlungen der NATO werden einstimmig abgegeben. Es ist selbstverständlich, daß jede Regierung, die mit „ja" gestimmt hat - denn es sind ja einstimmige Beschlüsse -, diese Empfehlungen, für die sie selbst gestimmt hat, für sich als verbindlich betrachten muß und infolgedessen die Durchführung dieser Empfehlungen in ihrem Parlament zu erreichen versucht. Sie wissen genau so gut wie wohl jeder andere auch, daß nicht alle Empfehlungen von allen
({12})
Parlamenten bisher voll durchgeführt worden sind. Aber Sie müssen von einer Nation, die mehr als alle anderen Nationen heute die Verpflichtung hat, die innere Vertragstreue zu halten und in der Welt das Vertrauen in ihre Vertragstreue zu erwerben, selbstverständlich erwarten können, daß die Regierung, die eine Empfehlung übernommen hat, sich auch im Parlament für diese Empfehlung einsetzen wird. Insofern gibt die Regierung eine verbindliche Erklärung. Das Parlament ist in seiner Entscheidung völlig frei.
Wenn Sie nun sagen, Sie hätten aus der ausländischen Presse die und die Zahlen entnommen, Herr Kollege Gülich, - ich habe aus der ausländischen Presse gerade in Zeiten, bevor man in internationale Verhandlungen eintritt, schon sehr viel Zahlen entnommen und habe meine Nervenruhe trotz der Zahlen, die ich dort gelesen habe, Gott sei Dank nie verloren und werde sie mir auch in dieser Stunde zu bewahren versuchen.
({13})
Ich gehe von der Rechtsgrundlage aus, und wenn ich bei dieser Rechtsgrundlage nun einmal sage: wenn ich jetzt die anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben einrechne und wenn ich einrechne, daß ich damit in der Leistungsfähigkeit die übrigen Nationen erreicht habe, wenn ich feststellen kann, daß der Prozentsatz „Bruttosozialprodukt" in Deutschland heute schon danach erreicht ist, dann dürfen Sie nicht wieder mit unrichtigen Pressemeldungen kommen, ich hätte z. B. in Kiel und Lübeck von bisherigen Besatzungskosten in Höhe von 87 Milliarden geredet. Mein Gott, dafür kann ich wirklich nichts, wenn ich in Kiel und in Lübeck wie hier davon geredet habe, daß wir von 1949 bis zum Jahre 1955 - also Landes- und Bundeszeit - 55 Milliarden und in der Bundeszeit allein 32 Milliarden DM ausgegeben haben, wenn ein Journalist das zusammenzählt und 87 Milliarden daraus macht. Das ist ein Fehler des Journalisten, das ist aber nicht mein Fehler.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Am Schluß, sehr gern!
Und deswegen bleibt für unsere Verpflichtung aus dem Vertrag heraus immer entscheidend: Zu welcher Leistung führt diese Verpflichtung für das deutsche Volk, und zwar bei einem Vergleich mit den anderen Ländern, zu dem wir uns verpflichtet haben, weil wir den Grundsatz der gleichen Leistungskraft und gleichen Leistung übernommen haben? Wenn dann das Tempo der Aufrüstung nicht in dem von anderen Ländern gewünschten Tempo verfolgt werden könnte, ist es eine Sache der Außenhilfe - die die anderen uns versprochen haben -, ob neben diesen vertraglichen Leistungen durch ihre Kraft ein rascheres Tempo erreicht werden kann.
({0})
Eine Frage!
Glauben Sie nicht, Herr Bundesfinanzminister, daß ich, wenn ich eine solche Zahl nenne, mich nicht einfach auf die Ausführungen eines Journalisten berufe, sondern können Sie sich nicht vorstellen, daß ich die Ausführungen des Instituts für Besatzungsfragen in Tübingen und Ihre eigenen Ausführungen konsultiert habe, bevor ich diese Zahlen genannt habe? Und können Sie sich nicht denken, daß ich dasselbe auch für die übrigen Behauptungen gemacht habe, zu denen Sie eben hier Stellung genommen haben?
Herr Kollege Gülich, die Zahl von 87 Milliarden DM - das war die Zahl, über die ich gesprochen habe - habe ich selbst in der Presse nach meiner Rede in Kiel und Lübeck gelesen, und bei dieser Zahl liegt das offenbare Mißverständnis vor, daß der Journalist die 55 und 32 Milliarden zusammengezählt hat, statt zu begreifen, daß die 32 ja in den 55 mit enthalten waren. Die 87 Milliarden sind so ein offenbarer journalistischer Irrtum.
Was Ihre Zahl betrifft, daß die Kosten der Aufrüstung für 12 Divisionen ungefähr 60 Milliarden DM sein werden, erkläre ich dazu: Möglich, daß Ihnen irgendein Sachverständiger zur Verfügung steht, der es so nach seinem besten Wissen und Gewissen und nach seinem Können berechnet hat. Es gibt sehr viele Sachverständige - und Leute, die sich für sachverständig halten -, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Aber die Frage, die uns hier bewegt, ist nicht die Frage, was ein Sachverständiger ausrechnet, sondern ist die Frage, was es die Haushalte des Deutschen Bundes in diesem und in den folgenden Jahren kosten wird.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr schwer, nachdem das Haus in den letzten Tagen schon erheblich strapaziert ist, über wirtschaftliche Probleme dieser Verträge zu sprechen, da sie wesentlich weniger aufregend vorzutragen sind als die politischen Aspekte der Verträge, die natürlich im Vordergrund stehen; denn diese Verträge sind ja in erster Linie politisch zu werten, und von daher gehen wir an die wirtschaftliche und finanztechnische Prüfung heran. Nun, sie bringen auf dem wirtschaftlichen Sektor kaum etwas Neues gegenüber den ausführlichen Besprechungen während der EVG-Diskussion hier in diesem Hause, nämlich die Versorgungs-, Beschaffungs- und Rüstungsfragen, Rüstungskontrollfragen, Dekartellisierung, Entflechtungen, Reparations- und Arbeitsmarktfragen und dann allerdings die allgemeinen wirtschaftspolitischen Auswirkungen, Konjunkturfragen und Haushaltsfragen. Auf diese letzten Punkte wird nach mir noch mein Fraktionskollege Dr. Atzenroth eingehen und bei der Gelegenheit sicher auch, wie ich ihn und wie ich seine Einstellung zu diesen Dingen kenne, auf die Ausführungen, die der Herr Bundesfinanzminister gerade gemacht hat.
Meine Damen und Herren, der Truppenvertrag ist gegenüber seiner alten Fassung nicht wesentlich verändert. Er hat ja nur temporär beschränkte Bedeutung, weil er, nachdem diese Verträge ratifiziert sind, durch das Status-Abkommen in Anlehnung an die übrigen Status-Abkommen der NATO-Teilnehmer abgelöst werden soll.
({0})
Nun ist in den Verhandlungen der Ausschüsse die Sorge aufgetreten, daß Gesetze, die wir als Folge des Status-Abkommens hier noch zu erlassen haben, möglicherweise die Grundrechte einengen würden. Dazu ist doch zu sagen - das geht an die Adresse der Opposition in diesem Hause, die diese Befürchtung zum Ausdruck brachte -, daß alle Gesetze, die als Folge des Status-Abkommens hier erlassen werden, sich, falls sie mit Mehrheit hier beschlossen werden sollen, im Einklang mit dem Grundgesetz befinden müssen. Darüber hinaus werden sie ja alle in diesem Hause beraten werden müssen, auch die Gesetze, die Auswirkungen auf die Wirtschaft haben.
Gerade da hat in der EVG-Debatte schon mein Kollege Dr. Schöne befürchtet, daß solche Gesetze - etwa das Wirtschaftssicherungsgesetz und Leistungsgesetze, die wir noch zu beschließen haben - mit der sozialen Marktwirtschaft nicht in Einklang sein könnten. Meine Damen und Herren, ich möchte Herrn Dr. Schöne und seine Kollegen von der Opposition bitten, uns bei der Diskussion hier zu helfen, daß sie mit der sozialen Marktwirtschaft in Einklang kommen, denn das ist sicherlich und begreiflich unser eigener Wunsch.
Außer diesen Sorgen um das Sicherungsgesetz und die Sachleistungsgesetze ist in der öffentlichkeit die Befürchtung ausgesprochen worden, daß hier auch ein Dienstleistungsgesetz alten Stils diskutiert werden würde. Ich glaube, diesem Gedanken lag doch eine falsche Vorstellung zugrunde. Wir sind inzwischen darüber informiert, daß die Diskussion eines solchen Gesetzes nicht beabsichtigt ist. Sie ist auch gar nicht nötig, da wir ja nicht etwa eine Kriegswirtschaft durch unsere Gesetzgebungswerke aufzubauen gedenken, sondern wir befinden uns im Frieden und schaffen Gesetze ausschließlich für den Frieden, also auch Gesetze mit übersehbaren Größen.
Ich habe es als wohltuend empfunden, daß meine Kollegen aus der Opposition in dem Schriftlichen Bericht zu den Beratungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses dezidiert zum Ausdruck brachten, sie würden sich in der Gesetzgebungsarbeit als Folge der Verträge jeder Methode verschließen, die Veränderungen unseres Wirtschaftsgefüges in Richtung auf die zentrale Verwaltungswirtschaft befürchten ließe. Ich muß gestehen, meine Damen und Herren, das ist ein Wort, das ich gern höre und das wir in den langen Auseinandersetzungen um unsere Wirtschaftsordnung, die wir in der Vergangenheit des öfteren gehabt haben, damals schon sehr gern gehört hätten. Ich glaube, es ist für uns befriedigend, heute feststellen zu können, - ({1})
- Bitte!
Ein abgekürztes Verfahren! Bitte!
Darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Diskussion um das Wirtschaftssicherungsgesetz aus dem 1. Bundestag bekannt ist?
Ich bedaure, nicht Mitglied des 1. Bundestags gewesen zu sein. Ich kann daher Ihre Frage nicht beantworten.
Denn dann wären Ihre Bemerkungen überflüssig gewesen. Ich darf daran erinnern, daß die SPD als einzige Fraktion gegen das Gesetz gestimmt hat.
Das geht über eine Frage hinaus.
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Ich glaube aber, daß man die Einstellung zur sozialen Marktwirtschaft nicht mit den Diskussionsbeiträgen zu einem Gesetz motivieren kann, das im 1. Bundestag hier besprochen worden ist. Ich glaube, daß in der Öffentlichkeit über die Auffassungen der SPD-Fraktion zu unserer wirtschaftlichen Organisationsform hinreichend Einhelligkeit besteht; und darauf zielte ich ab.
Nun, meine Damen und Herren, in diesen Verträgen, die wir zu beschließen haben, ist das Beschaffungswesen in seinem ganzen Umfang im Gegensatz zu der alten Form heute eine nationale Angelegenheit; und es ist unsere Verantwortung - ich glaube, das darf man doch, die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers erhärtend, sagen -, unsere Verantwortung in diesem Parlament, auch die haushaltsrechtliche Seite, die sich für uns hier stellt, zu beschließen; daran ist wohl nicht zu zweifein.
Es gibt auch, das ist hier erwähnt worden, keinen Zwang, uns an die Empfehlungen der NATO zu halten. Das ist unsere eigene Verantwortung. Diese bindende Empfehlung der NATO bindet in der Tat zunächst nur die Regierung.
Über die Beschaffungstechnik ist in den letzten Monaten vom Bundeswirtschaftsminister eine Erklärung abgegeben worden, die der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist und die, so glaube ich, eine gewisse Beruhigung ausgelöst hat; nämlich das sind seine Leitsätze, die er gemeinsam mit der Dienststelle Blank ausgearbeitet hat und die erkennen lassen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, auf dem gesamten Gebiete der Beschaffung die Grundsätze unserer Wirtschaftsordnung nicht anzutasten. Meine Damen und Herren, das ist selbstverständlich so. Ich habe das von der Bundesregierung nie anders erwartet, da wir Gesetzgebungswerke ausschließlich für den Frieden abzuschließen gedenken.
Nun, meine Damen und Herren, es sind Größenordnungen genannt worden, die auf uns zukommen, die von der einen Seite bestritten, von der andern wieder verteidigt werden. Sie sind in Relation zu der Entwicklung des Volkseinkommens gesetzt worden. Ich will hier auf Einzelheiten nicht eingehen, weil das mein Kollege Dr. Atzenroth in ausführlicher Form tun wird. Wir dürfen aber ganz allgemein hier dem Bundeswirtschaftsminister ein gewisses Maß an Vertrauen schenken, und nicht nur ein gewisses Maß an Vertrauen schenken, sondern auch eine Hoffnung in seinen Optimismus setzen; denn dieser Optimismus, sein optimistisches Lächeln - er ist leider jetzt nicht da, sonst würden Sie es noch einmal sehen können - ist in der Entwicklung der Volkswirtschaft natürlich ein nicht wegzudiskutierender Tatbestand. Auch solche psychologischen Momente haben ganz erhebliche Bedeutung, und ich glaube, daß die Vergangenheit es doch bewiesen hat.
({0})
- Nein, nein, natürlich nicht! Das ist so scharmant, heute noch, das Lächeln, daß keine Abnutzung festzustellen ist. Ich glaube auch, daß vor allem die Vergangenheit bewiesen hat, daß der Optimismus des Wirtschaftsministers doch berechtigt gewesen ist und daß die viel pessimistischeren Ausführun({1})
gen, die von Ihnen hier, meine Herren, gekommen sind, die Dinge meist nicht ganz getroffen haben. Das gilt z. B. auch für das Ansteigen des Sozialprodukts, das in der EVG-Debatte von meinem Freund Dr. Schöne noch etwas skeptisch beurteilt wurde. Die damals hier genannten Prozentzahlen von etwa 4 % im Jahre sind sehr kritisch betrachtet worden, wohingegen wir heute feststellen, daß in der Tat im letzten Jahre das Anwachsen zwischen 8 und 9 % betragen hat. Natürlich war damals die Situation auch in der Vorausschau eine ganz andere als heute, ganz ohne Zweifel.
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- Richtig, Sie haben damals auch dazu gesagt: Bei der Regierung hat sich inzwischen der Optimismus vielleicht nach diesen Zahlen etwas gelegt.
In diesem Zusammenhang ist es doch wichtig, ein Thema nur ganz kurz anzusprechen, das uns in der Diskussion der letzten Wochen schon etwas beunruhigt hat, nämlich das Preisgefüge, die Sorge, daß eine Überhitzung in der Konjunktur auf uns zukommen könnte, und die Vorstellung des Bundeswirtschaftsministers, sich etwas mehr Mittel der Wirtschaftspolitik an die Hand geben zu lassen, als er sie bisher hat. Ich glaube, wir können seinen Vorschlägen, sich gewisse Ermächtigungen geben zu lassen, durchaus positiv gegenüberstehen; denn schon die Gespräche um die Schaffung einer Wehrmacht haben gewisse psychologische Auswirkungen, denen man in der Tat begegnen muß, und wir freuen uns, daß beim Wirtschaftsminister der feste Wille besteht, das zu tun. Denn eins ist doch wohl sicher: Den Typus eines Rüstungsgewinnlers darf es bei uns auf keinen Fall geben.
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Dafür, daß es den nicht gibt, bietet, glaube ich, auch die Einstellung unseres Bundeswirtschaftsministers eine Garantie. Aber wir müssen ihm in der Tat die Mittel dazu an die Hand geben. Ich weiß mich in diesem Wunsch des Wirtschaftsministers auch, so glaube ich, mit den Herren aus der Oppositionspartei einig.
Ich darf in dem Zusammenhang vielleicht - mein Kollege Dr. Gülich hat es eben schon einmal getan - einen Mann unseres Hauses zitieren, dessen Sachverstand auf diesen Gebieten jeder von uns anerkennt: es ist unser Kollege Dr. Pferdmenges. Ich glaube, das, was er zu dem Problem gesagt hat, drückt treffend aus, was wir meinen. Er hat am 22. Dezember gesagt - ich hoffe, daß ich Ihr Einverständnis habe, Herr Kollege Dr. Pferdmenges -:
Auch ich bin davon überzeugt, 'daß wir bei allseitig gutem Willen, bei rechtzeitiger Vorbereitung und überlegter Durchführung auch diese Aufgaben ohne Beeinträchtigung unserer übrigen wirtschaftspolitischen Zielsetzung, der weiteren Hebung des Lebensstandards, der zunehmenden Beseitigung des Wohnungsmangels usw. bewältigen können. Ich weiß
- so sagt er weiter als praktischer Wirtschaftler, daß das Endziel sinnvollen Wirtschaftens die Erhöhung des Verbrauchs sein muß.
Sie sehen, wie einig Sie hier im Hause sind, meine Herren!
Legen wir die Entscheidung über das Gesamtmaß der zusätzlichen Verteidigungsausgaben und die Abstimmung der Aufträge mit den Bedürfnissen unseres zivilen Lebens in die Hand von einsichtigen Wirtschaftlern und nicht von Militärs, dann erledigen sich gefährliche Vorstellungen oder gar Psychosen über das Ausmaß der auf uns zukommenden Rüstungsaufgaben und ihrer gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ganz von selbst.
Meine Damen und Herren, das ist genau die Auffassung, die meine Fraktion in diesen Fragen vertritt.
In den neuen Verträgen ist die Frage der Rüstungskontrolle anders geregelt als bisher; ich will mal sagen: sie ist auch ehrlicher geregelt als bisher. Im alten Vertrag z. B. ist doch unsere Beschränkung ,auf gewissen Gebieten der Rüstungsproduktion auf einem Umweg erzielt worden: durch die sogenannte Pulverlinie; Sie wissen das: dadurch, daß man ganz allgemein sagte: es dürfen diese und jene Dinge nicht hergestellt werden, dadurch, daß man überhaupt die Produktion gewisser Güter von vielen Bedingungen abhängig machte. Heute ist das klar, offen und ehrlich ausgesprochen. Jeder weiß, wir verzichten von uns aus auf die Herstellung gewisser Waffen, nämlich der ABC-Waffen. Dieser Verzicht in Verbindung mit der Rüstungskontrolle birgt allerdings gewisse Gefahren in sich, auf die aufmerksam gemacht werden sollte. Die Einhaltung dieses Verzichtes muß nämlich kontrolliert werden. Das kann notwendigerweise nicht, wie bei den übrigen Waffen, im Depot - denn da liegt nichts -, sondern nur an der Produktionsstätte geschehen. Hier ergibt sich naturgemäß die Gefahr, daß über die Kontrolle des Verzichts auf die Herstellung gewisser Waffen, der sogenannten ABC-Waffen - atomarischer Waffen, bakteriologischer Waffen und chemischer Waffen -, für die Industrien, die bei uns ausschließlich auf dem Gebiet des zivilen Bedarfs tätig sind, sich also möglicherweise gewisse Gefahren einer milden Form - wenn ich das einmal so ausdrücken darf - der Wirtschaftsspionage auftun.
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- Wirtschaftsspionage wird auch unter Freunden betrieben, Herr Kollege, das ist vollkommen klar. Ich möchte davor warnen und darum bitten, daß man bei der Schaffung des Statuts, das sich diese Rüstungskontrollbehörde ja geben muß, auf eine solche Gefahr hinweist und sie auf alle Fälle verhindert.
In dem gleichen Zusammenhang ist es notwendig, auf das Sicherheitsamt in Koblenz zu sprechen zu kommen, das wegen der Kopplung der Verträge, wie sie durch die französische Nationalversammlung beschlossen worden ist, noch immer besteht und so lange bestehen bleiben wird, bis die Verträge gemeinsam in Kraft treten. Es war ursprünglich einmal vorgesehen, für ein Übergangsstadium einen Viermächteausschuß zu schaffen, und wir hatten gehofft - durch einen Brief des Herrn Bundeskanzlers war auch in dieser Richtung vorgearbeitet worden -, daß dieser Viermächteausschuß die bisher unverändert gebliebenen Kontrollen des Sicherheitsamtes mildern werde. Nun, wir bekommen diesen Viermächteausschuß nicht, weil wir eben dieses Übergangsstadium nicht haben werden und die Verträge gemeinsam in Kraft treten, also das Besatzungsstatut nicht vorher aufgehoben wird. Daher halten wir es für dringend notwendig, daß jetzt schon von der Bundesregierung Verhandlungen aufgenommen werden mit dem Ziel, daß der praktische Effekt, der durch die Schaffung eines
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Viermächteausschusses entstanden wäre, auch in der Praxis des noch bestehenden Sicherheitsamtes in Koblenz seinen Niederschlag findet. Wir müssen mit allen Mitteln darauf hinwirken, daß die Praxis dieses Sicherheitsamtes heute schon geändert wird.
Dabei darf, glaube ich, nicht unerwähnt bleiben, daß bei den sicher wieder aufzunehmenden Besprechungen über die Schaffung eines europäischen Rüstungspools nach den Vorschlägen des früheren französischen Ministerpräsidenten Mendès-France sorgsam darauf geachtet werden muß, daß Aufgaben, die früher bei diesem Sicherheitsamt in Koblenz gelegen haben und die wir weiß Gott nicht mehr sehen möchten, nicht auf dem Umweg über diesen Rüstungspool uns wieder vorgesetzt werden.
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Ich habe aber nach den Unterhaltungen, die wir gemeinsam im Wirtschaftsausschuß mit dem Herrn Wirtschaftsminister hatten, den bestimmten Eindruck, daß solche Gefahren wohl durch die Verhandlungsführung des Wirtschaftsministers ausgeschlossen sind.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Problem, das in diesen Verträgen auftaucht, sind die Fragen der Dekartellisierung, der Entflechtung und der Reparationen, wahrlich entscheidende Fragen, auch in der Größenordnung ihres Einflusses auf die Wirtschaftspolitik. Der Zweite Teil des sogenannten Übergangsvertrages, in dem diese Dinge enthalten sind, ist ja völlig weggefallen, d. h. der Teil, der sich mit Dekartellisierungsfragen befaßt. Theoretisch könnten wir also die alliierten Kartellgesetze, die noch bestehen, jetzt aufheben, d. h. nach Inkrafttreten der Verträge. Aber der Herr Bundeskanzler hat sich in einem Brief von sich aus bereit erklärt, das erst zu tun, wenn wir unser eigenes Kartellgesetz hier beschlossen haben. Wir werden also im Verfolg dieser Entwicklung an das Kartellgesetz herangehen müssen, und ich hoffe, daß mein Kollege Schöne sich dann daran erinnert, daß er die alliierten Kartellvorschriften, die im EVG-Vertrag noch drinwaren, wegen ihrer Schärfe erheblich bemängelt hat. Ich bin sicher, daß er so in der Diskussion über das zukünftige Kartellgesetz, das von unserem Hause geschaffen wird, zu einer vernünftigen Lösung wesentlich beitragen wird.
Art. 4 des Zweiten Teils, der die Entflechtung behandelt, ist abgeändert in der Liste IV des Protokolls wieder aufgetaucht. Er behandelt eine Frage, die von erheblicher Bedeutung für unseren Kapitalmarkt ist, nämlich die Frage der Verkaufsauflagen, die sich noch aus den Entflechtungsgesetzen ergeben und die nach dem Text der Liste IV als Restverpflichtungen aus den alliierten Gesetzen bestehenbleiben. Diese Verkaufsauflagen, die gewisse Eigentümer von Montanwerten in Deutschland verpflichten, ihr Eigentum zu verkaufen, haben schon seit Jahren erhebliche Verwirrung gestiftet. Sie bringen für den Kapitalmarkt sicherlich eine Schwierigkeit mit sich; denn die Größenordnung ist von einer solchen Bedeutung, daß es unmöglich ist, diesen Auflagen nachzukommen, ohne das Gefüge des Kapitalmarktes in empfindlicher Weise zu stören. Es sind Größenordnungen in Nominalwerten von 400 Millionen DM, und wenn Sie die augenblicklichen Kurswerte nehmen, kommen Sie an die Milliardengrenze heran. Sie können sich vorstellen, wie schwierig solche Pflichterfüllung nicht nur für diejenigen sein muß, die die Pflicht erfüllen wollen, sondern auf Grund der Störung des Kapitalmarks für uns alle.
Diese Forderung bringt ein weiteres Problem mit sich, nämlich das Problem der Überfremdung unserer Grundstoffindustrie, auf das in der Öffentlichkeit schon intensiv hingewiesen worden ist. Im Zusammenhang mit diesem Tatbestand haben wir die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler am 20. Oktober 1954 abgegeben hat, die protokolliert worden ist und die auch unwidersprochen geblieben ist, begrüßt, wonach eine weitere Unterhaltung mit unseren Vertragspartnern über diesen Komplex in absehbarer Zeit in Aussicht gestellt worden ist, die solche unhaltbaren Entwicklungen vermeiden soll.
In dem Überleitungsvertrag spielt der Sechste Teil eine sehr, sehr dunkle Rolle, nämlich der Teil, der etwas aussagt über die Behandlung unseres Auslandsvermögens und über das Reparationsproblem. Ich will über den ersten Teil, über das Auslandsvermögen, hier nicht sprechen. Das wird mein Kollege Dr. Pfleiderer tun im Zusammenhang mit einer Entschließung, die er, ich glaube, im Einverständnis mit Mitgliedern aller Fraktionen hier vortragen und begründen wird. Ich meine aber, wir können den Vorwurf an die Regierung, den Sechsten Teil in der unveränderten Form übernommen zu haben, nicht von der Hand weisen. Dieser Teil ist von einer solchen Bedeutung, daß es der Regierung hätte möglich sein müssen, in immerhin zweieinhalb Jahren eine Änderung dieser Bestimmungen zu erreichen; denn so lange Zeit ist ja seit der EVG-Debatte verstrichen. Das Problem ist bereits einmal im Zusammenhang mit der Diskussion um das Londoner Schuldenabkommen hochgekommen. Damals hat Herr Kollege Dr. Pfleiderer eine Entschließung vorgebracht und im Zusammenhang damit darauf hingewiesen, daß es nun nach dem Abschluß-Schuldenabkommen möglich sein müsse, zu bilateralen Verhandlungen über unser Auslandsvermögen zu kommen.
Meine Damen und Herren, es ist von der Bundesregierung in dieser Frage - na, vorsichtig ausgedrückt: nicht viel geschehen. Ich glaube, aus gegebener Veranlassung sagen zu müssen: Einen Zusammenhang zwischen Auslandsvermögen und Reparationsproblem im allgemeinen zu konstruieren, ist doch wohl völlig abwegig, und ich glaube, von solchen Zwangsvorstellungen dürfen wir uns in unserer Haltung nach außen hin auf gar keinen Fall beeinflussen lassen.
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- Natürlich, das ist klar.
Nun, in Art. 3 dieses Sechsten Teiles hat ja die Bundesregierung ihrerseits Zusagen an unsere Vertragspartner gemacht. Diese Zusagen legen uns die Pflicht auf - das ist in Art. 5 ausgedrückt -, diejenigen Bürger unserer Bundesrepublik, die für uns durch Demontagen und andere Reparationsleistungen eine Vorleistung gegeben haben, durch eine Entschädigung zu befriedigen.
Ich glaube, es ist nötig, in diesem Zusammenhang doch einmal ganz deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß dieses Problem ein Rechtsproblem ist und daß man es auch als Rechtsfrage sehen muß. Es ist das gleiche Problem, wie es auch bei den 131ern im Zusammenhang mit der Schaffung einer neuen Wehrmacht auftaucht. Wie will ich denn hier in diesem Bundestag in der Zukunft Wirtschaftssicherungsgesetze, Leistungsgesetze und ähnliches disku({8})
tieren, wenn ich die offenen Rechtsprobleme der Vergangenheit nicht bereinigt habe, und zwar bereinigt habe auf dem Boden des Rechts! Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß z. B. das italienische Parlament vor einiger Zeit ein Gesetz beschlossen hat, das diese Fragen in vollem Umfange regelt, und ich darf Ihnen vielleicht einiges aus den Debatten um das Gesetz im italienischen Parlament vortragen. Die Grundlage war genau die gleiche wie bei und Im Friedensvertrag der Italiener mit den gleichen Partnern steht in Art. 74 Abs. E:
Die italienische Regierung verpflichtet sich, jede natürliche oder juristische Person, deren Vermögenswerte in Anwendung der Bestimmungen dieses Artikels über Reparationen beschlagnahmt wurden, zu entschädigen.
Der parallele Passus unseres eigenen Gesetzes, das wir jetzt besprechen, ist der Art. 5 des Sechsten Teils des Überleitungsvertrages, der heißt:
Die Bundesrepublik wird Vorsorge treffen, daß die früheren Eigentümer der Werte, die auf Grund der in Artikel 2 und 3 dieses Teiles bezeichneten Maßnahmen beschlagnahmt worden sind, entschädigt werden.
Das ist genau das gleiche. Auf Grund dieses Anspruchs ist in der italienischen gesetzgebenden Körperschaft ein Gesetz beschlossen worden, nach welchem diesen Personen - natürlichen und juristischen Personen, das ist sehr wichtig - auf Grund von Einzelschätzungen, denen der Tageswert im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Friedensvertrages zugrunde liegt, eine Entschädigung gewährt wird. Diese Entschädigung erfolgt in bar - ich darf Ihnen auch diese Zahl nennen - bis zur Höhe von 5 Millionen Lire; für den Restbetrag werden Staatsschuldverschreibungen einer 5%igen, im Zeitraum von 20 Jahren tilgbaren Sonderanleihe ausgegeben.
Meine Damen und Herren, ich trage Ihnen das vor, weil ich mit allem Nachdruck darauf hinweisen möchte, daß diese Fragen, die uns durch den Überleitungsvertrag aufgegeben sind, Rechtsfragen sind und daß wir uns hüten sollten, sie mit „sozialer Indikation" anzugehen; das ist hier fehl am Platze.
Nun komme ich schließlich zu einem Problem, das durch ein südlich wohnendes befreundetes Volk und seine Fremdarbeiter hier eine gewisse Rolle gespielt hat, nämlich zu dem Problem des Arbeitsmarktes. Ich muß Ihnen gestehen: ich persönlich habe bei der Wertung aller wirtschaftlichen Folgen dieser Vertragswerke am allergeringsten Sorge, was den Arbeitsmarkt angeht, und zwar nicht etwa aus einem Gefühl heraus, sondern aus der Erwägung nüchterner Tatsachen und Zahlen heraus. Die Anforderungen, die auf uns zukommen, sind 500 000 Soldaten, die permanent im Dienst sein und unserm Arbeitsmarkt entzogen sein werden, und eine nicht näher zu fixierende Zahl von Kräften, die für diese neue Wehrmacht irgendwie tätig sein müssen. Aber daß diese Zahl nicht unbegrenzt ist, sondern in einer gewissen Relation zur Größe unserer Wehrmacht steht, ist wohl klar.
Was steht dem gegenüber, wenn man erschwerend bedenkt, daß unsere geburtenschwachen Jahrgänge in der nächsten Zeit das Problem vielleicht zunächst noch gravierender erscheinen lassen? Es stehen gegenüber Reserven zunächst einmal von über einer Million Arbeitslosen.
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Es ist merkwürdig - ich darf diese Vorbemerkung machen, nachdem ich gerade einen Zwischenruf höre -, daß gerade von der Seite der SPD, die die Arbeitsmarktpolitik der Vergangenheit so scharf angegriffen hat, heute so übergroße Besorgnisse an uns herangetragen werden, wir könnten in der Zukunft möglicherweise zuwenig Arbeitskräfte haben. Meine Damen und Herren, es ist uns in jedem Falle lieber, zuwenig als zuviel zu haben; aber ich bin absolut sicher, daß wir in diese Situation gar nicht kommen können. Diese Reserve von über einer Million Arbeitslosen wird in der Zukunft im Zuge der Aufstellung einer Wehrmacht viel besser an den Arbeitsmarkt herangezogen werden können, als das bisher der Fall war, weil ja die Wirkungsstätten dieser Wehrmacht vermutlich nicht in den Industrieballungsgebieten, sondern vor allem in den Gebieten liegen werden, in denen wir heute noch eine strukturelle Arbeitslosigkeit haben.
Darüber hinaus haben wir weitere Reserven, unsichtbare Reserven im Angebot an den Arbeitsmarkt. Wir haben z. B. gegenüber 1939 noch ein um 2,4 % geringeres Angebot an den Arbeitsmarkt, und zwar im Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung. Das macht allein 600 000 Arbeitskräfte aus. Außerdem möchte ich nur noch die Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung nennen. Wenn wir einmal unterstellen, daß durch Kapitaleinsatz eine Produktivitätssteigerung von nur 5 % zur Einsparung von Arbeitskräften dienen würde, dann bedeutet das noch einmal 850 000 Arbeitskräfte. Selbst dann ist das Angebot von Arbeitskräften im Verhältnis zur Bevölkerungszahl noch weit unter dem anderer Nationen. Die Engländer z. B. haben ein um 28 % höheres Angebot als wir. Hier ergeben sich also noch Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen; die Steuerpolitik ist ein Schlüssel zur Lösung dieses Problems.
Ich darf vielleicht abschließend auch dazu ein
Zitat unseres Kollegen Dr. Pferdmenges anführen,
der in diesem Zusammenhang gesagt hat:
Wir müssen auf der einen Seite durch Rationalisierung jeglicher Art die menschlichen Arbeitskräfte einsparen, die einmal durch die Aufstellung der neuen Streitkräfte der Wirtschaft entzogen werden und die zum anderen für die zusätzlichen Investitions- und Konsumaufgaben benötigt werden, und wir müssen teilweise sogar umfassende Erweiterungsinvestitionen auf denjenigen Gebieten vornehmen, auf denen wir nach den schon mehrfach gemachten Erfahrungen bei weiterer Produktionsausdehnung jeweils zuerst auf Engpässe stoßen. Unter diesen Umständen
- so sagt er abschließend ist es zu begreifen, warum wir Politiker, die wir die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge vor Augen haben, mit dem Bundesfinanzminister um eine vernünftige Steuerreform so hartnäckig gerungen haben.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Samwer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zuerst eine persönliche Bemerkung. Wir Abgeordnete sind in den letzten Wochen und Monaten mit Briefen überschüttet worden, Briefe, die uns aus echter Besorgnis in Verbindung mit den Pariser Verträgen geschrie({0})
ben wurden. Eine Vielzahl dieser Briefe kam aus der sowjetisch besetzten Zone, hier zum größten Teil offensichtlich von der SED gesteuert.
({1})
Heute bekam ich ein Telegramm aus Sachsen von einem Sturmlaternenwerk. In diesem Telegramm steht - und das ist der Grund, weshalb ich darüber spreche - folgender Satz: „Wer ratifiziert, wird vom deutschen Volk zur Verantwortung gezogen." Meine Damen und Herren, ich möchte diesem Laternenwerk gerne eine Laterne aufsetzen und ihm den Sturm der Entrüstung vor Augen führen, den wir Abgeordneten alle empfinden, wenn versucht wird, einmal Volksvertreter zu bedrohen und sie zum anderen zu nötigen. Wenn einmal jemand zur Verantwortung gezogen wird, dann werden es solche Menschen sein, die sich so undemokratisch benehmen;
({2})
es werden solche Menschen sein, die zu einer Zeit, in der es gar nicht notwendig war und ist,
({3})
die Oder-Neiße-Linie freiwillig endgültig anerkannt haben.
({4})
- Warum so aufgeregt? - Weil ich ein guter Demokrat bin und es nicht vertragen kann, wenn die Diktatur in unseren Raum kommt.
({5})
Dafür sollten Sie Verständnis haben.
Die Fraktion des Gesamtdeutschen Block/BHE bejaht bekanntlich die militärische Sicherung der Bundesrepublik, und sie bejaht deshalb die Pariser Verträge. Deswegen ist sie auch befreit, die wirtschaftlichen und finanziellen Belastungen, die aus diesen Verträgen entstehen, mitzuverantworten. Ich nehme Bezug auf den ausführlichen, sehr gut ausgearbeiteten Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.
Ich meine, daß man wirtschaftlich behutsam und finanziell maßvoll vorzugehen beabsichtigt. Der Bundestag hat im wesentlichen die Möglichkeit, sich diesen gesunden Ausgangspunkt durch Wachsamkeit und geeignete Maßnahmen zu erhalten.
Nun, Herr Kollege Dr. Gülich, verstehe ich Sie nicht recht, wenn Sie den Haushaltsplan der NATO angreifen, für den doch feststeht, daß nur Einstimmigkeit ihn in Gang setzen kann. Besser kann man es doch gar nicht machen.
({6})
Sie sind doch selbst ein alter Finanzminister eines Landes, Herr Professor Dr. Gülich, haben Sie niemals einen offenen Posten in Ihrem Haushalt gehabt? Sind Sie niemals Risiken eingegangen? War wirklich immer alles so gedeckt, wie Sie es hier so unbedingt haben wollen? Nun, ich will die Fragen nur rhetorisch stellen. Wir wollen aber nicht zu tierisch ernst in diesen Dingen sein.
({7})
Nein, wir wollen es nicht, ich jedenfalls nicht,
({8})
sondern wir wollen die Dinge mehr vom Grundsätzlichen aus sehen; das genügt vollauf, und da
brauche ich nicht tierisch dabei zu sein, sondern will menschlich ernst die Dinge behandeln.
({9})
- Ja, wenn es notwendig ist, auch mit der Sturmlaterne. Aber hier scheint mir manchmal mit der Laterne noch etwas gesucht zu werden, was zu suchen wirklich nicht notwendig wäre.
({10})
- Oh nein, die sind ja an sich klar; nur muß man nicht eine kompakte Masse von Milliarden zusammenzählen wollen, um damit Propaganda zu machen.
Dazu möchte ich den Herren von der SPD gleich folgendes sagen. Sie erklären uns doch, daß Sie jetzt erst einmal verhandeln wollen und daß Sie, wenn die Verhandlungen scheitern, auch für die Aufrüstung sind. Nun frage ich Sie: wird dann die Aufrüstung, wenn Sie sie machen, billiger sein?
({11})
- Es ist natürlich sehr leicht, diese Dinge propagandistisch darzustellen. Ich möchte doch bitten daß wir die Dinge in aller Ruhe sachlich behandeln. Ich glaube, wir kommen damit im Interesse unserer Bundesrepublik am weitesten.
({12})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Gern!
Herr Kollege Samwer, ist Ihnen nicht aus der Debatte des vergangenen Dezember noch in Erinnerung, daß der Herr Kollege Ollenhauer für diesen Fall ausdrücklich angekündigt hat, daß man dem deutschen Volke dann wenigstens die Wahrheit über das gesamte Programm und die daraus entstehenden Kosten sagen müsse, wenn der Bundestag in die Abstimmung geht?
Mir ist sehr wohl bekannt, daß Sie dauernd versuchen, meiner Überzeugung nach aus propagandistischen Gründen, eine Gesamtsumme zu erfahren.
({0})
Es ist schon so: wenn Sie es einmal zu machen hätten, würden Sie es nicht billiger machen können.
({1})
- Auch wenn Sie noch so schreien, dadurch wird sich meine Ansicht nicht ändern, meine Herren, sondern ich werde ganz ruhig und sachlich die Dinge beim Namen nennen.
({2})
Wenn Sie die Wiederbewaffnung mal durchführen müßten, würde sie bei Ihnen in keiner Weise billiger sein, als sie jetzt ist. Darüber ist gar kein Zweifel. Sie können auch nicht irgendwie zaubern, sondern Sie können dann auch nur das tun, was
({3})
Ihre Pflicht ist, nämlich die Wiederaufrüstung gewissenhaft durchführen!
({4})
- Hier handelt es sich gar nicht um „Zauberlehrling", sondern es handelt sich darum, die Dinge klarzustellen und richtigzurücken, damit das deutsche Volk an den Lautsprechern weiß, was wirklich gespielt wird. Ich habe in keiner Weise Sorge, daß das mißverstanden wird.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, daß bei der Aufstellung, der Ausrüstung und der Bestandserhaltung der deutschen Truppen die deutsche Verantwortlichkeit gewahrt ist. Das ist - wir können sagen: leider - der Fall; denn wir waren ja für die supranationale Ordnung, und die ist uns ja leider von Frankreich zerschlagen worden. Aber nun wollen wir diesen Weg wenigstens so vernünftig wie möglich gehen und wollen das Positive auch aus der jetzigen Situation herausholen und in ihr suchen.
Die Gesetze, an denen Sie ({6}) ja mit tätig sein werden, werden in deutscher Zuständigkeit gemacht. Wir hoffen, daß wir auch dadurch einen starken Einfluß auf den ganzen Aufbau erhalten. Sie wissen - genau wie ich -, daß das Beschaffungswesen und die Arbeitsmarktbetreuung deutsche Aufgaben sein werden. Man muß nur darauf achten, daß der rüstungswirtschaftliche Bedarf kein Fremdkörper innerhalb der deutschen Volkswirtschaft wird. Das ist, wenn es nicht überhitzt gemacht wird, sondern vernünftig, sehr wohl möglich. Wenn es aber so gemacht wird, d. h. vernünftig und ruhig, wie es auch von dem Herrn Kollegen Dr. Pferdmenges angedeutet war,
({7})
dann wird das Sinken des Lebensstandards vermieden. Das müssen wir verlangen. Dann wird auch vermieden, daß der soziale Fortschritt so belastet wird, daß er praktisch zum Erliegen käme. Das wäre untragbar. Wir sind uns klar, daß, wenn wir die Dinge ruhig und vernünftig ordnen, auch eine schwerwiegende Störung des Wirtschaftsablaufs vermieden werden kann.
Natürlich ist alles das, was ich Ihnen eben dargestellt habe, außerordentlich abhängig von der Art und Weise, wie unsere Bundesregierung gemeinsam mit uns die Sache steuert. Hier habe ich vor allem die dringende Bitte an den Herrn Bundeskanzler und an den Herrn Bundesfinanzminister, mit uns eifrigst darauf bedacht zu sein, daß unsere soziale Aufrüstung keinen Schaden nimmt, sondern vorwärtsgetragen wird, bis ,die immer noch in Deutschland und in der Bundesrepublik so weit verbreitete Not wirklich endgültig beseitigt ist.
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Wir vom Gesamtdeutschen Block/BHE, die wir uns ja doch schon so einige Male als soziales Gewissen haben bezeichnen dürfen, werden gerade hier sehr wachsam sein. Es schadet nichts, wenn wir diese Aufgabe auch innerhalb der Regierungskoalition besonders intensiv übernehmen. Wir bitten besonders auch die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, uns behilflich zu sein auf diesem Wege, für das gesamte deutsche Volk sozial tragbare Verhältnisse zu erreichen.
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- Jawohl, wenn man bittet und den Weg nicht verschüttet, sondern vernünftig geht, ist es besser, als wenn man schreit und nichts erreicht.
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Die Beschaffungsorganisation gerade für die Aufrüstung muß zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Verteidigungsressort besonders gut ausgebildet sein. Hier wünschen wir, daß der Bundeswirtschaftsminister entscheidend mitzusprechen hat. Das ist eine der Voraussetzungen, daß die Dinge nicht einseitig gesehen werden und daß die Beschaffungsorganisation für die Streitkräfte eben auch als ein Teil der gesamten Wirtschaft betrachtet wird.
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- Das hatte ich ja gerade gesagt; passen Sie doch bitte auf!
Die Arbeitsmarktentwicklung ist bereits dargestellt worden. Ich glaube, es ist nicht mehr sehr viel Neues hierzu zu sagen, so bedeutungsvoll und wichtig sie ist. Es muß vorausschauend geregelt werden. Ich meine - vielleicht ist das noch nicht genügend zum Ausdruck gekommen -, daß auch die Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für Facharbeiter rechtzeitig verstärkt werden sollten. Die Wirtschaft sollte rechtzeitig zu einer Expansion solcher Einrichtungen angeregt werden. Man könnte im Einzelfall auch von Staats wegen sogar bis zur Vollfinanzierung entsprechender Einrichtungen gehen.
Neben der Personenfrage ist die sachliche auch von großer Bedeutung. Natürlich ist die Förderung der sinnvollen Rationalisierung in jedem dafür geeigneten Betrieb zweckmäßig. Hierfür dürften zuerst der Betrieb selbst, aber auch die Organisationen der Wirtschaftszweige, die Industrie- und Handelskammern und schließlich anregend und kontrollierend das Bundeswirtschaftsministerium in Frage kommen.
Über die Finanzierungspolitik ist heute schon ausführlich gesprochen, und ich habe mir ja erlaubt, schon zu Anfang eine Frage an den Herrn Kollegen Dr. Gülich zu richten.
Das Entscheidende ist doch, daß zwei Voraussetzungen gegeben sind, die uns grundsätzlich beruhigen. Man ist in London und Paris einmütig der Überzeugung gewesen, daß die gesunde Wirtschaftslage der NATO-Staaten keinesfalls durch militärische Verpflichtungen gestört werden dürfe. Es liegt also in der Hand der Regierung und des Parlaments jedes Mitgliedstaates von NATO, Störungen zu vermeiden. Und das zweite ist das, was ich vorhin schon mit an den Anfang gestellt habe, daß die Finanzierung im Rahmen des Haushalts der Bundesrepublik vorgenommen wird, so daß wir uns jeweils jährlich rechtzeitig ein genaues Bild über die Forderungen von NATO machen können.
Nun hat vorhin ein Redner der Opposition - ich glaube, es war Herr Kollege Dr. Gülich - gemeint: Da sitzt also in NATO ein deutscher Vertreter, ein Militär. - Wer sagt denn, daß es ein Militär sein muß? Warum plötzlich so militärfromm auf der Linken? Ich könnte mir sehr wohl denken,
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daß da ein Vertreter genau so aus der Wirtschaft oder Bürokratie stammen könnte.
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Aber es ist gar nicht nötig, daß in reinen Finanzoder technischen Dingen irgendein Mann zu bestimmen oder uns zu vertreten hat, der davon nichts versteht.
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- Nun, ich bin überzeugt, daß es, wenn Sie es zu machen hätten, doch nicht der Fall wäre. Sie würden doch sicher keinen Militär hinschicken. Warum sagt denn Herr Dr. Gülich gerade das Gegenteil? Weil er es nicht verstanden hat! Ich glaube, wir sollten uns nicht von irgendwelchen Psychosen beeinflussen lassen, sondern wir sollten die Dinge so nehmen, wie sie wirklich sind. Ich persönlich bin überzeugt, daß ein vernünftiger Vertreter dort schon unsere Interessen, auch entsprechend den Anweisungen, die er von der Bundesregierung hat und die er aus dem entsprechenden Ausschuß, dem Haushaltsausschuß, von uns mit auf den Weg bekommen wird, wahrnehmen und die Sache ordnungsmäßig behandeln wird. Schließlich genügt sein Veto, um die ganze Sache dort zu Fall zu bringen. Also wird man sich vernünftig verständigen müssen. Man muß nur die Dinge richtig kennen.
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Ich glaube, daß wir damit auch einmal vor dem deutschen Volk richtig geklärt haben, wie es wirklich läuft, damit nicht diese furchtbare Sorge besteht, daß man immer diese Riesensummen sieht, anstatt klar zu erkennen, daß eine Aufrüstung über viele Jahre hingeht, daß sie sich, auch wenn sie in drei Jahren erst mal im Kleinen abgeschlossen wird, durchaus entwickelt und weiterläuft und daß man nicht immer den Butzemann einer Riesenmillionenzahl an die Wand malen soll.
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- Es sind schon so viele falsche Zahlen genannt worden. Ich werde mich hüten, Ihnen eine falsche Zahl zu nennen. Die Zahlen, die von Ihnen genannt worden sind, sind genau so aus dem Kaffeesatz gezogen wie die anderen.
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- Ja, meine Damen und Herren, mich können Sie so nicht behandeln. Ich werde dann schon mit Ihnen fertig, wenn Sie es wollen.
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Ich darf nun zum Truppenvertrag kommen. ({19})
Es ist natürlich mißlich, daß dieser Vertrag in der alten Fassung übernommen worden ist. Hoffentlich wird er recht bald erneuert. Aber eines wissen wir - und darauf haben wir ja auch wieder einen Einfluß -, daß der neue Truppenvertrag, den wir bekommen werden, auf der unteilbaren Grundlage der Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung für alle NATO-Staaten stehen wird, so daß wir also nicht mehr irgendwelche Diskriminierungen haben werden. Vielmehr werden wir genau so behandelt werden müssen wie bisher schon
alle anderen Teilnehmer von NATO. Das ist für uns einfach selbstverständlich. Es wäre ja unerträglich, wenn wir Bundesgenossen werden sollten und es dann so zwei Klassen, eine erste und eine zweite Klasse, gäbe. Das wäre ja undenkbar.
Es ist sicher auch gut, daß man sich in dem deutschen Volk darüber ein Bild machen kann, daß die Streitkräfte auf die deutschen öffentlichen und privaten Interessen gebührend Rücksicht zu nehmen haben und daß die Sicherstellung des deutschen zivilen Bedarfs - also der Verbrauchsgüter - unter allen Umständen gewährleistet sein muß. Es ist auch dafür gesorgt, daß in irgendwelchen Streitfällen ein gemeinsamer Versorgungsausschuß diese Dinge so ordnet, daß kein Schaden entstehen kann.
Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat sich auch von der wirtschaftspolitischen Seite aus mit den an uns herankommenden Anforderungen befaßt. Wir sind der Überzeugung, daß das Gesamtvolumen der nach dem Truppenvertrag aufzubringenden Leistungen nicht so groß ist, daß es im Verhältnis zum Sozialprodukt und dessen Steigerung untragbar ist.
Zu der Frage des Überleitungsvertrags hat ja mein Kollege Scheel ausführlich gesprochen. Ich möchte deshalb nur einige kurze Ergänzungen anbringen. Vor allem möchte ich, soweit die Dekartellisierung und das Kartellrecht in Frage kommen, darauf hinweisen, daß unser Berichterstatter, Herr Dr. Pohle, ganz richtig festgestellt hat, daß keinerlei Bindung des Parlaments vorliegt, sondern lediglich eine Bindung der Bundesregierung,
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so daß also unser Start in die Regelung der Frage der Kartellordnung von seiten des Parlaments unbelastet ist. Wir werden uns auf dieser Basis noch über die Frage der Kartellordnung zu unterhalten haben.
Bei dem Kohlenbergbau, der Stahl- und Eisenindustrie erscheint es mir besonders wichtig, daß keine Verpflichtung vorliegt, innerhalb bestimmter Zeitgrenzen irgendwelche Veräußerungen ins Ausland vornehmen zu müssen, so daß die Überfremdungsgefahr ausgeschlossen ist. Daß dies klar gesagt wird, erscheint mir wichtig.
Die Entscheidung über die Frage der vor allem von den Amerikanern in übersteigertem Maße gegebenen Gewerbefreiheit wird im Zuge der allgemeinen innerpolitischen Gesetzgebung schon erfolgen. Dabei wird sehr pfleglich gehandelt werden müssen, und so, wie ich eigentlich alle Kollegen aus dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß, auch meine Kollegen von der SPD, kenne, wird da schon der richtige und für alle gute Weg gefunden werden können.
Zur Frage des Auslandsvermögens möchte ich nur noch einmal feststellen, daß wir es bedauern, daß Privatvermögen überhaupt im Zuge von Kriegen angetastet wurde. Ich begreife gar nicht, daß auf der einen Seite von privatwirtschaftlicher Einstellung, von den ganzen Zielsetzungen des privaten Eigentums gesprochen wird und daß man, wenn die Sache nun wirklich mal zur Entscheidung kommen soll, dann aus Staatsgründen auf dieses private Eigentum zurückgreift. Da ist irgendwie ein Fehler in der Logik. Ich muß nur dringend bitten, daß diese Dinge doch insgesamt in der Welt in Ordnung gebracht werden; denn wenn wir den Standpunkt vertreten, daß der Einzelne Privatbesitz haben soll, dann ist das eine Grundlage, die wie eine Magna
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Charta sein muß, und dann darf nicht daran gerührt werden, ganz besonders nicht von Staaten, die, selbst hochkapitalisiert, auf dem Privateigentum beruhen.
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- Das ist ganz relativ, wer der größte Räuber ist. Aber darauf gehe ich jetzt gar nicht ein, denn es ist für mich eine außerordentlich ernste Feststellung, die ich soeben hier getroffen habe.
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Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, es ist auch auf das Militärische Sicherheitsamt in Koblenz hingewiesen worden. Wir erwarten, daß nun, nachdem die Dinge wohl heute und morgen zu Ende reifen und die Pariser Verträge angenommen werden, hier nicht weiter formal gehandelt wird, da ja dieser gemeinsame Viermächteausschuß nach der ganzen Art, wie die Verträge nun praktisch zustande kommen, kaum noch in Erscheinung treten wird, sondern daß gleich damit begonnen wird, die Genehmigungspflicht, die Kontrollen leichter als bisher zu machen, und daß im übrigen irgendwelche Ketten oder Knebelungen für zivile industrielle Fertigungen und Forschungen möglichst unterbleiben. Wir wollen diese Einschränkungen nicht mehr, und wir glauben auch, daß sie unzweckmäßig sind, auch unzweckmäßig vom Standpunkt des gemeinsamen Bündnisses aus, das nun geschlossen werden soll.
Sicher sind Mängel in den wirtschaftlichen Bestimmungen der Verträge, ganz besonders auch in dem Saarvertrag, über den ich jetzt nicht mehr reden will, nachdem mein Kollege Feller gestern I hier einige Andeutungen darüber gemacht hat.
Aber eines: Im Grunde ist es der Geist, der die Welt aufbaut! Meine Damen und Herren, wir erhoffen nach der Ratifikation der Verträge eine Atmosphäre des Vertrauens und auch entsprechende Handlungen von unseren Partnern. Wir hoffen, daß damit der Welt ein Dienst des Friedens getan wird. Wir wollen Mitverbündete der freien Welt sein, und wir wollen dementsprechend auch vollgültig Rechte und Pflichten übernehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es, daß in der Reihenfolge der Rednerliste mir erst jetzt die Gelegenheit gegeben ist, auf die Ausführungen zurückzukommen, die Herr Professor Gülich und anschließend der Herr Bundesfinanzminister hier gemacht haben. Ich erkläre im voraus, daß ich aus meiner inneren Überzeugung heraus der Meinung bin, daß wir uns an der Verteidigung der freien Welt unter allen Umständen beteiligen müssen. Wenn ich diese Erklärung vorausschicke, so muß ich aber doch wenigstens wünschen, daß alle, die mit mir gleicher Meinung sind, sich sehr eingehend mit den Ausführungen beschäftigt hätten, die Herr Professor Gülich hier gemacht hat. Sie sind notwendig, und es ist doch eigentlich unsere dringende Pflicht, uns mit diesen Dingen besonders ernst zu beschäftigen, denn diese Ausführungen waren von einem großen Grad von Sachlichkeit getragen, und ich erkläre Ihnen, Herr Professor Gülich, daß meine
Fraktion gestern den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers keinen Beifall geklatscht hat.
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In dem Bulletin, das Sie, Herr Professor Gülich, erwähnt haben, hat ein Beamter des Bundesfinanzministeriums die Gedanken, die ich selber hatte, in die Form gekleidet: Ein ordentlicher Kaufmann, der ein Geschäft eröffnen will, wird vorher sorgfältig kalkulieren, wieviel Mittel er dazu braucht, um nachträglich keine unangenehmen Überraschungen erleben zu müssen. Das steht wörtlich im Bulletin der Bundesregierung, ist also anscheinend auch die Ansicht der Bundesregierung. Wir wollen ordentliche Kaufleute sein und müssen uns die Frage vorlegen: Hat uns die Bundesregierung die Unterlagen gegeben, die wir brauchen, um dieser Pflicht, die uns vom deutschen Volk auferlegt worden ist, zu genügen? Diese Frage muß ich leider mit einem glatten Nein beantworten.
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Wir haben in den Ausschußberatungen immer wieder die Forderung gestellt, daß wir darüber in dem Rahmen und in dem Umfang Auskünfte erhalten, die wir benötigen, um uns das erforderliche klare Bild machen zu können. Man hat uns zunächst entgegengehalten, daß es noch nicht möglich gewesen sei, darüber genügend Unterlagen zu schaffen. Herr Professor Gülich hat ja schon einige Anmerkungen dazu gemacht. Auch ich muß außerordentlich bezweifeln, daß das Amt Blank es in dieser langen Zeit, in der es tätig geworden ist, nicht hätte fertigbringen können, darüber wenigstens eine globale Zusammenstellung zu machen.
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In der deutschen Wehrmacht waren ja die Stärkenachweisungen beinahe berüchtigt, denn sie gingen bis in die kleinsten Einzelheiten. Das hätten wir hier in diesem Fall gar nicht gefordert, sondern wir hätten nur eine Endsumme hören mögen.
Als zweiter Einwand ist der gebracht worden, daß man eine solche Zahl aus Gründen der Geheimhaltungspflicht, aus Gründen der Vertraulichkeit nicht nennen könne. Auch diesen Einwand kann ich nicht gelten lassen. Wir fordern ja nichts als die eine globale Zahl. Es handelt sich dabei dann nicht um den Verrat irgendeines Geheimnisses. Die Sachverständigen in den andern Ländern, insbesondere in dem Land, gegen das wir uns ja gegen Verrat schützen müßten, nämlich der Sowjetunion, werden diese Rechnungen für sich selber aufgemacht haben. Sie werden es ihren Völkern sicherlich nicht sagen; aber die Sachverständigen kennen sie. Und wenn wir hier eine Zahl als geschätzte, ungefähre Globalzahl genannt bekämen, dann wäre damit keine Gefahr für unser Verteidigungssystem entstanden, das wir gegen den Osten aufbauen wollen.
Wir müssen uns leider mit der Tatsache begnügen, daß wir diese Zahl nicht erfahren. Die größte Fraktion dieses Hauses hat durch den Beifall, den sie, gestern dem Herrn Bundesfinanzminister so - wie hatten Sie gesagt? aber das Wort ist ja beanstandet worden - gezollt hat, sich also damit abgefunden, daß wir ohne diese amtliche Zahl bleiben.
Im Gegensatz zu den Beratungen in den Ausschüssen ist nun heute - und deswegen sind die Ausführungen von Herrn Professor Gülich so bedeutungsvoll gewesen - zum erstenmal eine Zahl genannt worden.
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Es ist eine geschätzte Zahl, aber ich muß mit ihm doch der Ansicht sein: Wer ist denn zuständig für die Nennung einer Zahl? Derjenige, der unterrichtet sein will und muß, oder derjenige, der unterrichten muß?
Auch der Herr Bundesfinanzminister gibt zu, daß wir mit den Mitteln, die wir in den Bundeshaushalt eingesetzt haben und, wie er vorschlägt, künftig einsetzen werden, die Rüstungsaufgaben nicht erfüllen können, wenigstens nicht kurzfristig erfüllen können, die wir uns gestellt haben. Er sagt, und die Bundesregierung im allgemeinen sagt, daß das Fehlende von den Amerikanern geleistet werden wird. Auch darüber erhalten wir keine klaren und eindeutigen Angaben. Es scheint festzustehen, daß man uns von seiten der Amerikaner die Erstausstattung mit schweren Waffen für einige Divisionen geben wird, vielleicht leihen, vielleicht schenken, ich weiß es nicht. Das sind wieder unklare Dinge. Dabei müssen wir die Forderung erheben, daß das, was uns von den Amerikanern dann gegeben wird, Waffen in der gleichen Art und Güte sind wie die, mit denen die Truppen ausgerüstet sind, die sich augenblicklich in Deutschland befinden. Ich hoffe, daß diese Forderung, die selbstverständlich ist, von der Bundesregierung auch durchgesetzt wird.
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- Der Einwand mit dem geschenkten Gaul, Herr Kollege Hansen, ist nicht ganz richtig. Denn hier bleibt es nicht beim Schenken allein, sondern in dem Schenken liegt auch eine Absicht und ein Ziel. Wenn die Amerikaner uns etwas schenken, dann schenken sie sich das gewissermaßen auch selber wieder; denn uns mit schlechten Waffen auszurüsten, läge auch nicht in ihrem Interesse. Insofern trifft dieses Sprichwort nicht zu.
Wir bedauern ebenso wie die Opposition diesen Mangel an Auskunftserteilung. Wir ziehen allerdings nicht dieselben Konsequenzen.
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Der Herr Finanzminister hat gestern gesagt, daß die Entscheidung über die Höhe der jährlichen Aufwendungen bei dem deutschen Parlament liegt. Herr Professor Gülich hat das bestritten. Ich bin da nicht der gleichen Ansicht wie er.
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- Sie liegt formal bei uns; das haben Sie noch nicht einmal bestritten. Ich spreche auch nicht über das Formale, ich spreche über das Tatsächliche. Sie liegt tatsächlich bei dem deutschen Parlament, vorausgesetzt, daß dieses deutsche Parlament - und ich wende mich an den Teil des Parlaments, der die Entscheidung zu treffen hat - auch fest gewillt ist, diese Entscheidung in dem Sinne zu treffen, in dem hier von der deutschen Bundesregierung der Ablauf der Dinge dargestellt wird. Insofern liegt die Entscheidung bei dem deutschen Parlament. Es wurde darauf hingewiesen, daß für den Beschluß über die Höhe des Verteidigungsbeitrages innerhalb der NATO Einstimmigkeit notwendig ist. Sie haben gesagt, daß der Vertreter, den wir dorthin schicken, vielleicht nicht der geeignete sein könnte. Gut, aber das wird vielleicht von der Bundesregierung anders gehandhabt werden können.
Ich möchte einen Einwand hinzufügen. In diesem Gremium sitzen Länder, die sich in schwierigerer Wirtschaftslage befinden als wir und die mit uns immer bestrebt sein werden, den Beitrag niedrig zu halten. Darin sehe ich die Gefahr nicht. Ich behaupte also mit der Bundesregierung, mit dem Herrn Bundesfinanzminister, daß die Entscheidung bei uns, bei dem Parlament liegt. Und das ist der Sinn meiner Ausführungen: uns völlig klarzumachen, vor welche Verantwortung wir gestellt sind.
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Wir müssen uns bei dieser Entscheidung darüber klar sein, daß wir an der inneren Stärke unserer Bundesrepublik nicht rühren und rütteln dürfen. Wir dürfen das, was wir wirtschaftlich und sozial erreicht haben, nicht schmälern. Denn wenn wir dazu kämen, dann würden auch die zwölf Divisionen keine entsprechende Gegenleistung darstellen.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
Ich habe nicht eine Frage an den Sprecher, sondern eine Frage an den Herrn Präsidenten.
Das gibt es nicht!
Ich bitte sehr, Herr Präsident, doch die Vertreter der Steuerzahler, die angeblich -
Verzeihen Sie, es ist nach der Geschäftsordnung nicht möglich, Fragen an den Präsidenten zu richten. Ich kann Ihnen das Wort nicht geben.
Koenen (Lippstadt ({0}): Dann bitte ich darum, an den Redner eine Frage stellen zu dürfen.
Sie können sich ja jederzeit zu Wort melden, Herr Abgeordneter.
Ich bitte, an den Sprecher eine Frage stellen zu dürfen.
Herr Abgeordneter Atzenroth!
Ich weiche keiner Frage aus.
Sind Sie, Herr Atzenroth, nicht der Auffassung, wie auch ich, daß die Steuerzahler, die doch vermeinen, in der Mitte und auf der Rechten dieses Hauses am besten vertreten zu sein, ein Recht darauf hätten, bei der Kostenfrage auch zahlenmäßig hier besser vertreten zu sein?
({0})
Ich bin der Meinung, daß das ganze Haus sich mit diesen Fragen ebenso eingehend beschäftigen müßte wie mit den hochpolitischen Fragen, die am ersten Tage oder vielleicht auch gestern noch behandelt worden sind. Ich bedaure es, daß diese Lücken, wie ich Ihnen allerdings sagen muß, auf der ganzen Linie vorhanden sind.
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Ich würde mich persönlich freuen, wenn ich zu einem vollen Haus sprechen könnte.
({1})
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- Wer sagte eben: Können Sie haben? Warum kann ich es jetzt nicht haben? Können Sie mir das sagen?
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- Also ich halte fest, was Sie gesagt haben: weil das, was ich sage, nicht interessant ist für die anderen!
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Ich bitte, den Redner fortfahren zu lassen. Wenn jemand von den Damen und Herren eine Frage stellen will, so bitte ich, sich entsprechend der nach der Geschäftsordnung üblichen Methode an ein Mikrophon zu begeben.
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Wenn wir bei der Entscheidung, die wir alle zu treffen haben, den Gedanken in den Vordergrund stellen, daß wir unter keinen Umständen den Lebensstandard unseres Volkes senken wollen, dann ist die Gefahr, die von der Opposition hier aufgezeigt worden ist, nach meiner Ansicht nicht mehr vorhanden.
Dabei möchte ich ein kurzes Wort an den Kollegen Hansen richten, der vorgestern abend den Standpunkt des Deutschen Gewerkschaftsbundes hierzu vertreten hat. Ich möchte doch dem deutschen Arbeiter zu erwägen geben, ob es nicht auch für ihn besser ist, eine kleine Senkung seines Lebensstandards bzw. ein Aufhören des Steigens seines Lebensstandards, wie es in den letzten Jahren erfolgt ist, in Kauf zu nehmen, als auf die Stufe herabzusinken, auf der seine Kollegen jenseits des Eisernen Vorhangs stehen, und noch dazu die Freiheit zu verlieren!
({0})
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister hat uns, was Zahlen anlangt, nur eine einzige Zahl genannt. Er hat uns erklärt: In den Bundeshaushalt für 1955 seien für den Fragenkomplex, der hier zur Erörterung steht, 9 Milliarden eingesetzt. Ich muß Herrn Professor Gülich zustimmen, der sich auch gegen die Vermischung von Zahlen gewandt hat, die der Herr Bundesfinanzminister dadurch vorgenommen hat, daß er immer wieder die anderen anrechnungsfähigen Ausgaben mitzählt, die 3, soundsoviel Milliarden, die bei der Berechnung unseres Pflichtanteils in der NATO eine Rolle spielen, nicht aber bei den Kosten, die für die Aufrüstung bzw. für die Wiederbewaffnung erforderlich sind. Von diesen 9 Milliarden geht ein Teil - ich glaube, es sind 3,2 Milliarden - ab für Stationierungskosten. In den nächsten Jahren wird mehr anfallen und mehr übrigbleiben für die echten Verteidigungsaufgaben, für den Aufbau unserer Wehrmacht. Aber es werden in den nächsten drei Jahren, wenn wir in diesem Rahmen weiterarbeiten, sicherlich keine 30 Milliarden zusammenkommen, sondern im ersten Jahr bloß 5,8, im nächsten vielleicht 8 und im darauffolgenden 9; das sind noch keine 30. Aber selbst wenn wir der Überzeugung sind, daß unsere Währung und unser Lebensstandard nicht gefährdet werden und daß wir diese Summe noch erhöhen können, dann kommen wir allerhöchstens zu einer Zahl von 30 Milliarden, und es ist ganz eindeutig, daß wir damit nicht auskommen werden, um die Aufrüstung in den drei Jahren durchführen zu können. Die Folgerung, die wir daraus ziehen, ist die, daß wir es dann eben nicht in drei Jahren machen können, es sei denn, daß die Westmächte uns das Fehlende wirklich und echt zuschießen. Aber diese Erkenntnis müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir unser Ja zu den Verträgen sagen. Wir sagen dieses Ja, selbst wenn es uns Schwierigkeiten, selbst wenn es uns Kosten verursacht, weil wir die Notwendigkeit angesichts der Bedrohung aus dem Osten einsehen. Von dieser Summe gehen, nebenbei gesagt, noch Kosten für Heimatschutz, Luftschutz und dergleichen ab, so daß die Dinge sich noch stärker komplizieren.
Weil ich diese Dinge für so bedeutsam halte, möchte ich schon jetzt die Forderung anmelden, daß wir für den nächsten Haushalt dem gesamten Parlament die Aufgabe der Bewilligung des Wirtschaftsplanes, der dafür aufgestellt wird, zuweisen und diese Bewilligung nicht auf die beiden Ausschüsse beschränken, die zur Zeit allein dafür zuständig sind.
Wenn wir uns also darüber klar sind - wir sind uns, wenigstens mit gewissen Einschränkungen, darüber klar, daß wir von der Haushaltsseite in den folgenden Jahren keine ernsten Befürchtungen zu haben brauchen -, so müssen wir doch dafür Sorge tragen, daß die Ausgaben von einem so beträchtlichen Ausmaß so zweckmäßig und so sparsam wie irgend möglich gemacht werden.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in erfreulicher Weise Gedanken entwickelt, die darauf hinzielen, die Kosten für die Rüstung so niedrig wie möglich zu halten und durch die Rüstungsaufgaben unsere marktwirtschaftliche Struktur nicht zu gefährden. Aus der mit dem Sicherheitsbeauftragten getroffenen Vereinbarung ergibt sich, daß auch Herr Blank auf der gleichen Linie liegt. Trotzdem bestehen noch Befürchtungen, daß sich außerparlamentarische Kräfte bei der Durchführung dieser Aufgaben einschalten. Das darf nicht sein und müßte von Anfang an verhindert werden. Dem Parlament muß die alleinige Entscheidung in diesen Fragen vorbehalten bleiben.
Wir begrüßen es, daß insbesondere die acht Punkte, die Herr Professor Erhard für die marktwirtschaftliche Abwicklung des Rüstungsgeschäfts aufgestellt hat und die ebenfalls in dem schon genannten Bulletin veröffentlicht sind, die Grundlage für unsere Haltung werden sollen. Ich möchte dazu im einzelnen kurz Stellung nehmen.
Herr Professor Erhard sagt:
1. Der Bund werde keinerlei staatliche Regiebetriebe für Rüstungszwecke schaffen; er werde auch Rüstungsringe nach dem Vorbild von 1936 oder Rüstungskartelle nicht zulassen. - Wir sind damit einverstanden, aber wir fragen Herrn Professor Erhard: Was geschieht mit den vorhandenen staatlichen Regiebetrieben?
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Auf diese Frage erbitten wir, wenn auch nicht heute, aber doch eine Antwort.
2. Die Bundesrepublik werde auch innerhalb der Westeuropäischen Union darauf drängen, daß der internationale Austausch von Militärbedarf nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen erfolge und internationale Rüstungskartelle nicht geduldet würden. - Dem stimmen wir vollinhaltlich zu.
3. Nach dem Grundsatz des freien Marktes werde der Bund alle Waffen und Geräte im Ausland kau({2})
1 fen, die in der Bundesrepublik nicht billiger hergestellt werden können. Andererseits wisse das Ausland sehr gut, in welchen Branchen die Bundesrepublik besonders leistungsfähig sei und billig liefern könne. - Auch das findet unsere Zustimmung.
4, Jeder Rüstungsauftrag in der Bundesrepublik werde öffentlich ausgeschrieben. Wenn das in einzelnen Ausnahmefällen nicht möglich sei, müsse die Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums eingeholt werden. - Das muß sogar gesetzlich verankert werden und nicht durch eine interministerielle Vereinbarung,
5. Die Neuinvestitionen für die Rüstungsproduktion würden sich in engen Grenzen halten, da von den 9 Milliarden DM Verteidigungsbeitrag ein großer Teil auf Konsumgüter entfalle. - Das trifft nur dann zu, Herr Professor Erhard, wenn wir bei den 9 Milliarden bleiben.
6. Größere Investitionen werde die Umschulung der noch verfügbaren Reserven an deutschen Arbeitskräften erfordern. Diese Aufgabe müsse bald in Angriff genommen. werden, um einen drohenden Engpaß in der wirtschaftlichen Expansion zu verhindern. - Einverstanden.
7. Die Finanzierung der notwendigen Investitionen über den Kapitalmarkt sei jetzt ohne weiteres möglich, da er der Industrie in einem größeren Umfange zur Verfügung stehe als bisher. - Hier machen wir einige Einschränkungen und haben wir einige Bedenken insbesondere deshalb, weil der Herr Bundesfinanzminister gestern von der Beschaffung von 1,8 Milliarden DM auf dem Wege des außerordentlichen Haushalts gesprochen hat. Wir wissen nicht, ob Ihre hoffnungsvollen Erwartungen hier erfüllt werden.
8. Die Unabhängigkeit der Bank deutscher Länder als Hüterin der Wertbeständigkeit der D-Mark werde nicht angetastet werden. - Auch das findet sicherlich die Zustimmung des ganzen Hauses.
Wir sind also mit den von Herrn Professor Erhard entwickelten Gedanken und mit den Einschränkungen einverstanden und hoffen, daß er sich damit auch in seiner Fraktion in vollem Umfange durchsetzen wird.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich bemüht, in kurzen Bemerkungen zu einem sehr komplexen Stoffgebiet aufzuzeigen, welche großen und schweren Aufgaben diesem Parlament nach der Ratifikation der Verträge obliegen werden. Wir haben mehr denn je die Aufgabe, darüber zu wachen, daß dem Volke kein Schaden entsteht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreyssig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich, als die Debatte um die wirtschaftlichen Fragen begann, nach den ersten Eindrücken die Hoffnung, daß wir hier eine richtige wirtschaftspolitische Debatte bekommen würden, und zwar auf Grund der Ausführungen, die Herr Kollege Scheel zu den einzelnen Problemen und Themen gemacht hat. Nun, nachdem noch einige Redner gesprochen haben, scheint mir klar zu sein, daß es außerordentlich schwierig ist, im Parlament zu einer wirklich lebendigen Debatte zu kommen.
Ich möchte aber doch zunächst zu dem, was Herr Kollege Scheel gesagt hat, ein paar Bemerkungen machen, wobei einige gleich auf den Kollegen Samwer mit abgestellt sein sollen.
Es ist natürlich für die Kollegen, die erst in den
2. Deutschen Bundestag gekommen sind und die sehr ausführlichen und gründlichen Auseinandersetzungen über den alten Vertrag, über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, nicht mitgemacht haben, sehr schwer, immer genau zu wissen, was damals gründlich und nützlicherweise diskutiert worden ist und was auch schon damals alles bemängelt worden ist. Wenn Herr Kollege Scheel sagt, in den abgewandelten Verträgen, die in den Pariser Abkommen zusammengefaßt sind, sei nicht allzuviel Neues vorgekommen, dann irrt er sich zum mindesten in einem Punkt, nämlich auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle. Ich werde dazu - für das ganze Haus, glaube ich, nützlicherweise - ohnehin einige grundsätzliche Darlegungen machen müssen.
Ich bin im übrigen mit vielem, was der Kollege Scheel von den Freien Demokraten hier gesagt hat, sehr einverstanden. Ich habe allerdings keineswegs wie er die Meinung, daß man dem Bundeswirtschaftsminister bei der Durchführung sehr vieler heikler Aufgaben, die aus der Aufrüstung auf uns zukommen, Vertrauen schenken muß. Der Herr Kollege Scheel war ja auch sehr vorsichtig und sagte, daß offenbar die Freien Demokraten bereit sind, ihm „ein gewisses Maß von Vertrauen" zu schenken.
({0})
Und mit einem gewissen Maß - wenn man das „gewisse" entsprechend dosiert - könnten wir sogar noch einverstanden sein, etwa, wenn Professor Erhard sich noch einmal ernstlich bemühen würde, die vielen schwierigen Probleme, die die Gefahr einer Bewirtschaftung mit sich bringen, mit einer klaren Formulierung, z. B. des Kartellgesetzes, anzugehen.
Nun, es ist richtig - wie ich sagte und wie Kollege Scheel feststellte -, daß sich in den Verträgen an vielen Stellen gegenüber dem, was vor zweieinhalb Jahren hier im Bundestag von der Mehrheit des Hauses beschlossen warden ist, nicht allzu viel geändert hat. Es sind aber - und das ist ja viel entscheidender, ich glaube, da hätte der Kollege Scheel vielleicht noch einiges hinzufügen müssen - in diesen Verträgen leider Gottes trotz der zweieinhalb Jahre, die abgelaufen sind, Dinge stehengeblieben, von denen wir eigentlich hätten erwarten können, daß sie in der Zwischenzeit verschwunden wären.
Die Situation ist doch so, daß im Überleitungsvertrag nach Art. 9 jetzt die Bundesregierung mehr oder minder durch freiwilligen Beschluß die Verpflichtungen übernommen hat, die früher in alliierten Gesetzen niedergelegt waren. Die Schärfe der Beanstandungen durch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, von der Kollege Scheel gesprochen hat, hat diesen Bestimmungen gegolten, und wenn heute die Bundesregierung sie weiter durchzuführen sich verpflichtet hat, bleibt an der Schärfe der Kritik von vor zweieinhalb Jahren durchaus nichts zurückzunehmen.
Was sich geändert hat, ist doch, daß in den zweieinhalb Jahren vieles von dem, was damals durch alliierte Gesetze vorgeschrieben war, in der Bun({1})
desrepublik inzwischen ein echter und bedauerlicher wirtschaftlicher Tatbestand geworden ist. Das gilt für die Dekartellisierung, das gilt für die Entflechtung, das gilt für die Durchführung des Gesetzes 27, mit dem eben die Grundstoffindustrien der Bundesrepublik, Kohle und Eisen, in einer wirtschaftlich außerordentlich unvernünftigen Art und Weise entflochten worden sind. Bestenfalls könnte man - oder möglicherweise muß man - sagen, daß das Odium dieser bösen Sache nun freiwillig von der Bundesregierung übernommen worden ist.
Wir haben dann vor allem mit einigem Erstaunen und mit erheblicher Überraschung feststellen müssen, daß - obwohl die Bundesrepublik nach dem, was uns gesagt wird und worauf so viel Wert gelegt wird, durch die Verträge souverän und ein gleichberechtigter Partner werden soll - in den Verträgen nach wie vor z. B. noch unvermindert die ganze Last der Verkaufsauflagen, die mit den Entflechtungsmaßnahmen verbunden waren, aufrechterhalten worden ist und daß der Herr Bundeskanzler die Verpflichtung übernommen hat, diese Verkaufsauflagen durchzuführen. Gewiß, es gibt da gewisse mildernde Umstände. Es gibt die Möglichkeit, bei auftretenden Schwierigkeiten den Verkauf oder die Durchführung dieser Auflagen hinauszuzögern. Der Herr Bundeskanzler hat einen Brief geschrieben, und er glaubt, durch diesen Brief, in dem er auf ein gewisses Verständnis der Alliierten hofft, um solche Verkaufsauflagen möglicherweise herumkommen zu können. Nun, diejenigen, die die große Politik und die Vertragsarbeit in den letzten Jahren beobachtet haben, werden ja mit einiger Überraschung festgestellt haben, daß manch ein Vertrag im Umfang kleiner ausfällt als der Briefwechsel, den man hinten anhängt, und daß in diesem Briefwechsel sehr viele Dinge besprochen oder möglicherweise auch geregelt werden, die man im Vertrag selbst nicht regeln wollte. Viele von diesen Dingen, die in Briefwechseln festgehalten sind, sind also Hoffnungen.
Wenn beispielsweise aus dem, was die Bundesregierung kommentiert, der Kollege Samwer, wie er vorhin gesagt hat, schließt, daß nun erfreulicherweise die Garantie gegeben sei, daß die Aktienpakete, um die es sich da handelt, nicht in das Ausland verkauft werden müssen, dann irrt er sich. Es besteht keine Verpflichtung, es hat bisher noch nie eine Verpflichtung bestanden, daß Herr Flick oder Herr Krupp oder wer immer aus diesen Häusern überhaupt Aktienpakete ins Ausland verkaufen. Es ist aber geschehen, wahrscheinlich, weil die Herren, die die Aktienpakete verkaufen mußten, sich überlegt haben, daß sie dabei ein gutes oder das beste Geschäft machten. Und wenn Krupp kürzlich die Zeche Constantin an die italienische Eisenbahn verkauft hat und Herr Samwer das sicherlich mit sehr vielen Schmerzen im Herzen zur Kenntnis genommen haben wird, dann könnten wir ja einmal die Frage stellen, ob es nicht vielleicht schlauer gewesen wäre - trotz unserer so stark privatwirtschaftlich orientierten Koalitionsparteien -, diese Grube etwa der Bundesbahn zu verkaufen. Damit wäre die Verkaufsauflage nämlich auch erfüllt worden.
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- Das ist ja das Schlimme, da wir keine Verpflichtung haben, ins Ausland zu verkaufen. Aber, mein
lieber Herr Samwer, Sie sollten doch, wenn Sie die Dinge realistisch ansehen, sich auch darüber klar sein, daß man diese Verkaufsauflagen seinerzeit mit guten Vorsätzen so gemacht hat, daß bei der Kapitalknappheit in der Bundesrepublik möglicherweise alles, was dort an Verkaufsauflagen vorgesehen ist, damit endet, daß guter, wertvoller Besitz ans Ausland geht. Das ist der entscheidende Punkt, und es ist erstaunlich, habe ich gesagt - darauf liegt das Gewicht, Herr Samwer! -, daß nach zweieinhalb Jahren Verhandlungen jetzt, da man morgen oder übermorgen sozusagen ein souveräner Partner werden soll, diese Verkaufsauflagen nach wie vor aufrechterhalten sind.
Das ist vor allem auch aus einem anderen Grunde in tiefstem Maße beunruhigend und bedauerlich, denn wir alle, vor allem die, die im Montanparlament mit diesen Dingen laufend befaßt sind, wissen, daß diese Verkaufsauflagen zu den schlimmsten Hemmnissen für die notwendige Rückverflechtung im Ruhrgebiet gehören, die die Konkurrenzfähigkeit unserer Betriebe erheblich stärken könnte.
Daß in der Reparationsfrage keine Änderung eingetreten ist, ist ein ebenso erstaunliches Phänomen, wenn man sagt: Wir sind morgen souverän. Und schließlich bleibt noch die Tatsache bestehen - es ist darauf hingewiesen worden -, daß in der Frage des Auslandsvermögens auch nichts anderes geschehen ist als das, wozu sich die Bundesregierung vor zweieinhalb Jahren in höchst anfechtbarer Weise schon bereit erklärt hat. Sie hat damals erklärt, daß sie für jetzt und alle Zeit, auch noch für spätere Transaktionen, darauf verzichtet, gegen die Maßnahmen der Alliierten hinsichtlich des deutschen Eigentums irgendwie Einspruch einzulegen oder etwas zu unternehmen. Natürlich, es hat auch da wieder einen Briefwechsel gegeben; ich habe die Briefe schon einmal erwähnt. Man sieht gerade an dem Beispiel „Auslandsvermögen Amerika", wie wenig solche freundschaftlich ausgetauschten Briefe wirklich bedeuten.
Der Herr Bundeskanzler war sicherlich sehr erfreut, daß er mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika diesen Brief ausgetauscht und mit ihm, wie er sagt, in freundschaftlichem Ton und in bestem Einverständnis über die Rückgabe des deutschen Eigentums in Amerika gesprochen hat. Man hat auch einen Termin für Verhandlungen angesetzt. Aber als man hörte, daß der Herr Bundeskanzler den Herrn Bankier Abs zu Verhandlungen nach Amerika geschickt hat, hat sich manch einer, der die Dinge offensichtlich realistischer sah, gesagt: „Mönchlein, du gehst einen schweren Gang!" Der Herr Bundeskanzler hätte sicherlich außerordentliche Genugtuung empfunden, wenn er etwa hier hätte mitteilen können: Die Amerikaner haben das deutsche Eigentum freigegeben. Das Gegenteil ist der Fall. Herr Abs wird wahrscheinlich, nachdem er auf der Londoner Schuldenkonferenz erfolgreich und gut für die Bundesrepublik gearbeitet und sich da viel Dank verdient hat, aus Amerika mit einem höchst bescheidenen Ergebnis zurückkommen. Jedenfalls ist nach dem jetzigen Stand der Dinge auf der Verhandlerseite Amerika nur bekannt, daß die Amerikaner eventuell bereit sind, die Kleinvermögen bis zu 10 000 Dollar freizugeben - wohlgemerkt: vom beschlagnahmten deutschen Privat vermögen -, und daß die großen Brocken, die drüben liegen, vorläufig jedenfalls, nicht zurückkommen
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werden. Das ist eine Illustrierung zu der Frage, was man von freundschaftlichem Briefwechsel halten kann. Aber das Entscheidende ist ja, daß es der Bundesrepublik und den Verhandlungen der Regierung überhaupt nicht gelungen ist, diese schweren Belastungen und Vorbelastungen für die Wirtschaft der Bundesrepublik aus den nunmehr neu abgefaßten und neu zu ratifizierenden Verträgen herauszubringen.
Ich möchte gleich, um nachher nicht noch einmal darauf zurückkommen zu müssen, sagen, daß wir mit vielem, was Herr Scheel sonst noch angeführt hat, durchaus einverstanden und einer Meinung sind. Das gilt vor allem hinsichtlich der Frage - mein Kollege Schöne hat schon darauf aufmerksam gemacht -, daß wir es gewesen sind, die sich im 1. Bundestag dagegen gewandt haben, ein Wirtschaftssicherungsgesetz zu erlassen, das eben, wenn die Dinge einmal schief gehen - und wer möchte voraussagen, ob sie nicht doch eines Tages einmal schief laufen? -, in der Wirtschaft Bewirtschaftung und viele andere Dinge ermöglicht. Wir sind außerdem völlig einer Meinung - ich glaube, das sind sämtliche Vertreter aller Fraktionen seit langer Zeit gewesen -, daß die Methoden und die Arbeitsweise des Koblenzer Amtes schleunigst und gründlich beseitigt werden müßten.
Zur Frage der Rüstungskontrolle möchte ich, um diesen Punkt zu erledigen, zunächst sagen: Ich habe das Gefühl, daß sich Herr Kollege Scheel irrt, wenn er die Meinung hier im Hause vertritt, daß das, was an Rüstungskontrolle in dem Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler und zum Nordatlantikvertrag vorgesehen ist, „ehrlicher" wäre als das, was wir früher gehabt hätten. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um Ihnen allen mit aller Eindringlichkeit zum Bewußtsein zu bringen, daß der Herr Bundeskanzler von Ihnen verlangt, Verträge zu ratifizieren, die rechtsverbindlich nur in französischer und englischer Sprache vorliegen. Sie finden in den Dokumenten nur eine deutsche Übersetzung.
Wenn man also ganz korrekt und ehrlich verfahren wollte, müßten sogar die Ratifizierungsgesetze, die uns von der Regierung vorgelegt worden sind, etwa in Art. 2 sagen: Der Vertrag vom Soundsovielten, der in Englisch und Französisch rechtsverbindlich ist, wird von dem Bundestag akzeptiert. Und in Art. 3 oder Art. 4 müßte es ehrlicherweise heißen: Der Gesetzestext wird „in deutscher Übersetzung" veröffentlicht. Ich mache auf diesen Punkt deshalb aufmerksam, weil es, jedenfalls für mein Gefühl, wieder einmal außerordentlich erstaunlich ist, daß eine Regierung für ein Land, dem man die Souveränität gibt, gezwungen wird, den Beitritt zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikpakt zu ratifizieren, ohne daß die Sprache dieses Landes die gleiche Gültigkeit hat wie Französisch und Englisch.
Die Wichtigkeit dieses Hinweises geht noch auf etwas anderes zurück, nämlich darauf, daß auch in diesen Übersetzungen - die meisten der Damen und Herren hier im Hause und schon ganz und gar die Menschen draußen, die nur den deutschen Text zu sehen bekommen, haben ja nicht die Möglichkeit, ,den französischen und englischen Text zu vergleichen - wieder Übersetzungsfehler oder Übersetzungsgeschicklichkeiten enthalten sind, bei denen man leider Gottes die Überzeugung bekommen muß, daß sie nicht ganz unabsichtlich erfolgt sind.
Wir haben in dieser Debatte über die Wirtschaftsfragen erfreulicherweise den Anfang damit gemacht, über einzelne konkrete Dinge zu diskutieren, die sich aus den Verträgen ergeben, aus dem Truppenvertrag und ähnlichem mehr. Hier, bei der Frage der Rüstungskontrolle, dem berühmten Protokoll IV, haben wir die Tatsache, daß in der Frage, wieweit die Rüstungskontrolle der Westeuropäischen Union bezüglich der nach Art. 7 festgestellten Aufgaben zu Nachteilen für die deutsche Industrie führen kann, höchst zweifelhafte Beurteilungen vorliegen. Ich habe mit einer Reihe maßgeblicher und sehr gewichtiger Persönlichkeiten aus der Industrie gesprochen, die solchen Industriezweigen angehören, die der Kontrolle automatisch unterliegen, weil sie entweder die von uns nicht mehr herzustellenden Waffen früher hergestellt haben oder aber auf Grund ihres Produktionsganges und ihrer Installation in der Lage wären, solche verbotenen Waffen - auf die also von uns verzichtet worden ist - eventuell herzustellen. Die Frage also, wieweit Werkspionage möglich ist und getrieben werden kann, sollten wir nicht ganz und nicht leichtfertig von der Hand weisen. In der Begründung hat die Bundesregierung erklärt, das sei ausgeschaltet. Die dicke Unterstreichung, daß sie ausgeschaltet sei, macht uns gerade stutzig.
Wir haben die Waffen, auf die wir erfreulicherweise verzichtet haben, die ABC-Waffen, und haben dann die zweite Liste der Waffen - und das ist viel wichtiger und viel entscheidender -, die in der Anlage III aufgeführt sind, wo wir uns vorläufig damit einverstanden erklärt haben, sie nicht herzustellen, die aber vielleicht in der Bundesrepublik hergestellt werden können, wenn durch den Beschluß des Brüsseler Ministerrats mit einer Zweidrittelmehrheit auf Wunsch des NATO-Oberbefehlshabers der Bedarf der Streitkräfte dies eventuell verlangt. Der Bundeskanzler hat nicht nur erklärt - darin sind wir mit ihm völlig einig -, daß wir die ABC-Waffen nicht herstellen wollen - Atomwaffen, chemische Waffen und dergleichen -, sondern er hat sich auch damit einverstanden erklärt, die Verpflichtung einzuhalten, die Gegenstände der anderen großen Liste, in der auch zum Teil nur Teile von Waffen mit einbegriffen sind, nicht herzustellen und dies durch das Organ der Westeuropäischen Union überwachen zu lassen. Das Rüstungskontrollamt muß also hinsichtlich der Bundesrepublik, die für diese. Frage der einzige bezogene Partner in der Westeuropäischen Union ist, von vornherein mit einem viel größeren Umfang von Kotrollen rechnen als alle anderen Partner.
Wir haben die Hauptschwierigkeiten und einige kritische Punkte in diesem Vertrag, wenn wir uns einmal Art. 7 Ziffer i b ansehen. Die deutsche Übersetzung spricht davon - und die Interpretation der Bundesregierung, möchte ich sagen, geht darauf hinaus -, die Kontrolle beziehe sich nur auf das Fertigprodukt. In der Begründung sagt die Regierung, die Kontrolle beziehe sich nur auf das Fertigprodukt gewissermaßen außerhalb der Anlagen, nämlich in den Depots und Arsenalen. Art. 7 Ziffer 1 b sagt in deutscher Übersetzung bzw. im deutschen Wortlaut „Ausstoß", während im englischen und französischen Text vollkommen einwandfrei das Wort „Produktion" steht. Wenn auch in dem Brüsseler Protokoll steht, daß das Produktions verfahren nicht kontrolliert wird, daß es also gleichgültig ist, auf welchem technischen Weg und mit welchen Methoden eventuell Waffen her({4})
gestellt werden, so ist doch klar, daß der Produktions gang selbst natürlich kontrolliert wird. Es ist ernsthaft zu fragen, warum die deutsche Regierung hier von der Übersetzung abgewichen ist, die die anderen beiden Partner gewählt haben.
Nach Art. 9 des Protokolls Nr. IV beschränkt sich die Tätigkeit des Amtes, um ein anderes Beispiel für die Interpretationskunst, möchte ich beinahe sagen, oder Geschicklichkeit auf deutscher Seite zu nennen, auf das Festland. Wenn Sie sich die Begründung der Bundesregierung ansehen, die Sie ein paar Seiten weiter hinten finden, dann stellt sich heraus, daß die Bundesregierung sagt: „Hiernach finden in Großbritannien keine Kontrollen statt". Sie sagt dann - nebenbei gesagt, völlig fehlerhafterweise -, daß allerdings die britischen Truppen auf dem Festland, insbesondere in Deutschland, dieser Kontrolle unterlägen. Genau das aber, nämlich die Kontrolle der Waffenbestände bei den Truppen unter NATO-Kommando, ist nach dem Brüsseler Protokoll ausgeschaltet, unterliegt nicht dem Rüstungsamt, sondern dem Oberbefehlshaber der NATO selbst. Die Bundesregierung fährt dann, nachdem Großbritannien erwähnt war, fort, daß die überseeischen Gebiete ebenfalls nicht unter die Kontrolle fallen. Nun, das, was die Bundesregierung, wenn sie eine wirkliche Klarheit hätte schaffen wollen, in ihre Begründung hätte hineinschreiben müssen, ist die Tatsache, daß der Partner Frankreich bezüglich seines Besitzes in Nordafrika von jeglicher Kontrolle durch das Rüstungskontrollamt, durch die Westeuropäische Union frei ist und die Franzosen also in Nordafrika alle Waffen, und so viel wie immer sie wollen, fabrizieren können, ohne jemals irgendeiner Kontrolle zu unterliegen.
Ich möchte auf andere Dinge nicht weiter eingehen. Ich habe das deutliche Gefühl, die Kollegen haben offenbar weder die Paragraphen des Vertrags noch den Text vor sich, um dem folgen zu können.
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Es ist aber ein außerordentlich beachtlicher Umstand - und das ist typisch für die Hast, mit der die Verträge insgesamt gemacht worden sind -, daß es sogar auch zwischen dem französischen und dem englischen Text Differenzen gibt. Wenn dann die Übersetzer der Bundesregierung das Pech gehabt haben, sich an den englischen Text zu halten, dann ist in der deutschen Übersetzung wieder etwas anderes zum Vorschein gekommen als im französischen Text. - Ich sehe, daß der eine oder andere Kollege mit dem Kopfe schüttelt, als ob das belanglose Dinge seien. Die Damen und Herren, die hier dieses Kopfschütteln praktizieren, beweisen, daß sie noch nicht einmal aus der Vergangenheit gelernt haben. Als nämlich der Schumanplan hier im Bundestag ratifiziert wurde, habe ich auch schon darauf hingewiesen, daß er nur, in französischer Sprache gültig ist und wir eine äußerst fehlerhafte deutsche Übersetzung hier im Bundestag ratifiziert haben. Wir erleben es im Montanparlament und wir erleben es bei sehr vielen außerordentlich wichtigen Auseinandersetzungen über die einzelnen Bestimmungen, daß wir, wenn wir naiverweise nur nach dem deutschen Text gehen, über eine Angelegenheit diskutieren, die für den Franzosen nach dem gültigen Text ganz anders aussieht.
Die Gefahr mußte jedenfalls einmal aufgezeigt werden, und es kann sicherlich nichts schaden - und das war eigentlich mein Anliegen -, wenn der Kollege Scheel und eventuell damit, weil er für seine Fraktion gesprochen hat, die ganze Fraktion etwas ihr Urteil revidieren und nicht zu stark betonen, daß diese Rüstungskontrolle eine viel ehrlichere Lösung sei, als wir sie früher gehabt hätten.
Nun, wenn wir über die wirtschaftlichen Folgen und das, was aus diesen Verträgen für die Gesamtwirtschaft auf uns zukommt, sprechen und ich von den Einzelheiten weggehe, um einmal den Versuch zu machen, das alles zusammenzufassen, dann kommen wir doch von einem Ausgangspunkt nicht weg, der gestern und heute auch bereits von anderen Sprechern hervorgehoben worden ist, von der Tatsache nämlich, daß die Rüstung Aufwendungen mit sich bringt und die Aufrüstung Ausgaben zur Folge hat, über deren Größenordnung die Bundesregierung sich wissentlich oder willentlich ausschweigt. Wenn eine Regierung - und ich bin da auch mit dem, was Herr Atzenroth gesagt hat, völlig in Übereinstimmung - ein großes Unterfangen beginnt und sich beharrlich weigert zu sagen, was das kostet - wobei noch gar nicht mal gesagt werden muß, wer es aufbringt oder bezahlt -, wenn sie sich überhaupt weigert, Größenordnungen des Gesamtunternehmens in der Wirtschaft zu nennen, dann muß sie sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht als „ehrbarer Kaufmann", und schon gar nicht als ehrbarer Kaufmann gegenüber der Bevölkerung der Bundesrepublik, vorgegangen zu sein.
Das Entscheidende, was die Bundesregierung behauptet - einmal durch den Bundeskanzler höchstpersönlich, ein andermal durch Herrn Erhard in abgewandelter Form und ein drittes Mal, wieder in revidierter Form, durch den Herrn Bundesfinanzminister Schäffer, je nachdem, wer gerade spricht-, ist doch, man könne in der Bundesrepublik die gesamte Aufrüstung preispolitisch ohne Wirkung - das behauptet Herr Professor Erhard - und währungspolitisch neutral - das behaupten der Kanzler und Herr Schäffer - durchführen. Ich will jetzt gar nicht auf die Fragen eingehen, was von der marktwirtschaftlichen Treue und überhaupt von den Begriffen der sozialen Marktwirtschaft möglicherweise übrigbleibt, wenn dieser neue Sektor, der eine sehr militante Rüstungswirtschaft hinter sich hat, in das bisherige Gefüge der Wirtschaft eindringt. Aber die Widersprüche allein, in die sich die verschiedenen Repräsentanten und Vertreter der Bundesregierung, die sich - alle mit Ministerrang, wenn auch manchmal ohne besondere Aufgabe - zu diesen Dingen geäußert haben, verwikkeln, sind ja hinreichender Grund, wenigstens hier im Parlament zu verlangen, daß einmal der ernsthafte Versuch seitens der Regierung gemacht wird, diese Probleme aufzuklären. Es wird also, obwohl wir wissen, daß wahrscheinlich die Größenordnung von 60 Milliarden für die Gesamtkosten dieser 12 Divisionen richtig ist, von der Bundesregierung behauptet, daß man das alles ohne die Beeinträchtigung der sozialen Leistungen machen könne und daß die Senkung des Lebensstandards nicht notwendig sei.
Zunächst muß hier doch einmal eine Feststellung getroffen werden. Ich mache sie ganz kurz, um nichts von dem überflüssigerweise zu wiederholen, was durch den Kollegen Gülich und unzureichende Antworten des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer schon zur Diskussion gestanden hat. Wenn die Bundesregierung zwei solche Behauptungen aufstellt und in ihren Haushalt für das nächste Jahr 9 Milliarden einsetzt, dann muß
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sie doch, da man weiß, daß die Kosten unverhältnismäßig viel höher sind, sagen, wer die Differenz bezahlt, bevor sie die Behauptung aufstellen kann, daß die Aufrüstung der Bundesrepublik ohne Beeinträchtigung der sozialen Leistungen oder Senkung des Lebensstandards möglich sei. Denn praktisch gesehen will doch die Bundesrepublik in den drei Jahren, in denen nach dem Willen des Herrn Bundeskanzlers und der Mehrheit dieses Hauses die 12 Divisionen stehen sollen, offenbar nur 27 Milliarden aus eigener Kraft aufbringen, und der Rest - über den gibt sie keine Auskunft - bleibt offen. Wenn die Bundesregierung nur einmal einen andeutungsweisen Versuch gemacht hätte, dem Parlament und damit auch der Bevölkerung, sagen wir in einer Art Weißbuch, nach dem Vorbild der Briten, klarzulegen, wie das Unterfangen aussieht, welche Konsequenzen es haben wird, dann hätten wir einigermaßen die Möglichkeit, sachlich und nüchtern mit der Bundesregierung zu diskutieren und uns über die Probleme und ihre Tragweite auseinanderzusetzen. Die Bundesregierung hat es nicht getan. Sie hat es in den Ausschüssen beharrlich und hartnäckig verweigert. Herr Blank hat erklärt, man könne natürlich schon sagen, daß die Ausrüstung von 12 Divisionen am heutigen Tag einen bestimmten Betrag koste; aber was hätte denn das für Sinn - meinte er -, die Ausrüstung könne übermorgen ganz anders sein, und wenn sie in drei Jahren oder im Laufe dreier Jahre notwendig werde, seien es wieder andere Größenordnungen.
Das ist es doch, was die Bevölkerung der Bundesrepublik außerordentlich beunruhigt und was die Bundesregierung und den Herrn Bundeskanzler jetzt nachträglich außerordentlich stört: daß wir immer nur erlebten, und zwar seit drei, vier, fünf Monaten, daß je nachdem, zu welchem Zweck die Bundesregierung entweder durch den Kanzler oder durch einen Minister sprechen ließ - oder w o sie sprach und zu wem sie sprach -, andere Meldungen und Auffassungen bekanntgeworden sind.
Am 8. Februar - um nun auf die Kernfrage zu kommen, wie bisher die Bevölkerung aufgeklärt worden ist - ist der .Herr Bundeskanzler nach Frankfurt gegangen und hat in der Messehalle erklärt: „Wir haben im Haushaltsplan die Besatzungskosten vorgesehen und werden in den ersten Jahren mit derselben Summe auskommen". Hier erklärt also der Bundeskanzler - da wir wissen, im ersten Jahr sind 9 Milliarden im Haushalt - einer großen Menge - mit Radioübertragung - und man kann den Satz, wenn man Glück hat, sogar noch in der Wochenschau hören -, hier will der Bundeskanzler also der Bevölkerung doch sagen: Macht euch keine Sorgen; in den nächsten Jahren werden wir mit 9 Milliarden pro Jahr auskommen! - Anders jedenfalls ist so eine Erklärung nicht zu verstehen.
Dann hat er außerdem gesagt: „Meine Damen und Herren, ich garantiere dafür, daß durch die Aufstellung der 12 Divisionen die sozialen Aufgaben in keiner Weise vernachlässigt werden". Es ist hier schon von meinem Kollegen Gülich darauf hingewiesen worden, was denn das für eine merkwürdige Situation ist. Woher nimmt denn der Bundeskanzler eigentlich den Mut, zu sagen: Ich garantiere? Aber wenn er schon den Mut hat, das zu sagen: Woher sollen wir denn den Glauben nehmen, daß diese Erklärung irgend etwas Positives nützt?
Er hat schließlich erklärt - und das ist das, was beinahe am schwerstwiegenden ist -: „Ich garantiere auch dafür , daß die Währung erhalten bleiben wird". Nun, er hat kurze Zeit vorher -nämlich am 22. Januar - aus einem anderen Anlaß über sämtliche Sender der deutschen Bundesrepublik gesprochen. Der Anlaß war, daß die Gewerkschaften mit guten Gründen, sehr viel Recht und ausgezeichnetem Erfolg dagegen protestiert hatten, daß ein Mann namens Reusch glaubte, es seien wieder andere Zeiten angebrochen, und belehrt werden mußte, daß das doch noch nicht der Fall ist. Da war der Herr Bundeskanzler besorgt; da waren die treuesten Söhne, von denen gestern oder vorgestern fahrlässigerweise ein Kollege hier gesprochen hatte, wirklich einmal aufgestanden, um das zu verteidigen, was ihr gutes Recht ist, und da hat der Herr Bundeskanzler über sämtliche Sender erklärt:
Unsere Wirtschaft steht wirklich nicht auf so sicherem Boden,
- Herr Professor Erhard, hören Sie bitte gut zu! daß solche Experimente gestattet sein könnten. Es fehlt unserer Wirtschaft an Reserven, um in kritischen Zeiten durchhalten zu können.
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Der Bundeskanzler am 22. Januar! - Nun, Sie sagen, das stimmt auch? Ich hätte beinahe gesagt: auf den Zwischenruf habe ich gewartet. Wenn wir nämlich keine Reserven haben, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik in kritischen Zeiten nicht stehen kann, dann ist ja das Unterfangen, jetzt Milliarden für die Rüstung auszugeben, noch merkwürdiger!
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Aber mich interessiert folgendes, und die Bevölkerung hat auch ein Recht auf Aufklärung in diesem Punkt. Wir wollen doch einmal wissen: Hat denn der Bundeskanzler am 22. Januar recht gehabt? Oder hat er unrecht gehabt? Er hat erklärt: wir haben keine Reserven, und wenn es kritisch wird, dann wird es ganz gefährlich. - Wir haben ein offizielles Organ, das Bulletin, das Sie ja wahrscheinlich auch hin und wieder lesen, oder jedenfalls sollten Sie es lesen; wir lesen es stets aufmerksam, weil wir dort die sonderbarsten Dinge finden. Der Bundeswirtschaftsminister hat am 7. Januar in einem wunderbaren Presseinterview
- natürlich an die United Press, an die Amerikaner - erklärt: „Wir werden den Lebensstandard nicht antasten. Wir werden vor allem auch trotz der Rüstung die Konvertibilität der D-Mark erreichen, und dabei bleibt es." Punkt. - Sehen Sie, das ist ein Manneswort. „United Press", das erinnert an jugendliche Zeiten, als man nach Amerika ging; es ist beinahe so wie die Indianersprache.
- Er hat weiter hinzugefügt: Die Bundesrepublik werde auch weiterhin nur 9 Milliarden DM aufbringen.
Hier haben wir also die gleiche Erklärung, einmal vom Bundeskanzler in Frankfurt und hier durch den Bundeswirtschaftsminister. Der Bevölkerung wird also doch durch diese vorsätzlichen Erklärungen vorzumachen versucht, sie solle sich nicht weiter beunruhigen, in den nächsten Jahren werde es bei 9 Milliarden bleiben, obwohl doch die Regierung genau weiß, daß es bei diesen 9 Milliarden in den nächsten Jahren nicht bleiben wird
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und gar nicht bleiben kann. Ich komme darauf noch zurück.
Dann kam der Herr Professor Erhard zu der wundervollen Berechnung, die nun noch tröstlicher sein soll und uns die Sache offenbar noch schmackhafter machen soll. Er sagte: Da wir in diesem Jahr 1955 auf 150 Milliarden Sozialprodukt kommen, sind das ganze 6 % des Sozialprodukts, und das ist doch spielend zu verkraften. An anderer Stelle hat er gesagt, es wäre ja gelacht, wenn wir nicht ein paar Hunderttausend Soldaten auf die Beine brächten, nachdem wir so viel gute wirtschaftliche Erfolge haben, und dergleichen mehr. Er hat aber, nachdem er das offenbar vergessen hatte, nur wenige Zeilen später in demselben Interview - Sie können das alles nachlesen im Bulletin Nr. 7 vom 12. Januar dieses Jahres - gesagt, daß möglicherweise aus den 9 Milliarden 11 bis 12 Milliarden DM werden könnten. Nun, das war schon immerhin ein bißchen mehr Wahrheit oder Annäherung an die Wahrheit. Er hat tröstlicherweise dann aber wieder hinzugefügt, daß auch Beträge dieser Größenordnung jedoch vollkommen neutral seien und die Marktwirtschaft nicht „aus den Angeln heben" würden. Der gegenwärtige Lebensstandard, hat er erklärt, wird während der „Rüstungskonjunktur" absolut erhalten bleiben. Da ist ein neues Wort drin, da wird von Rüstungskonjunktur gesprochen. Und das alles aus dem Munde des verantwortlichen Bundeswirtschaftsministers und schwarz auf weiß gedruckt, zum Teil gesperrt, im Bulletin der Regierung!
Nun, meine Damen und Herren, es kann noch so oft erklärt werden: „Wir wollen aufrüsten ohne Senkung des Lebensstandards", - es hat in der ganzen Welt noch niemand das Rezept dafür gefunden, den Lebensstandard nicht stillstehen zu lassen oder nicht einzuschränken, wenn man in hohem Maße aufrüstet, selbst wenn man langsam aufrüstet. Auf alle Fälle wird das, was dort gebraucht wird, nicht mehr für die Bevölkerung zur Verfügung stehen. Das Problem wird eben auch nicht dadurch gelöst, daß der Bundeswirtschaftsminister und gelegentlich - nicht wahr? - ein Minister ohne besondere Aufgaben durch die Bundesrepublik posaunen, sie könnten es schaffen.
Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Pferdmenges noch da ist. Ich hätte sonst, da er heute schon so oft zitiert worden ist, für ihn sogar noch einen Satz des Lobes hinzugefügt. Ich weiß aus alter Erfahrung im Wirtschaftsrat - Herr Bucerius lacht schon vorweg -, daß Herr Pferdmenges sich immer ganz besonders freut, wenn die sozialdemokratische Opposition mit ihm zufrieden ist. Herr Scheel hat ihn lange zitiert, und ich glaube, Herr Samwer auch. Da sehen wir wieder die Schwierigkeit mit Zitaten. In diesem Falle hat uns Herr Hellwig einen ausgesprochenen Dienst erwiesen. Es kommt selten vor, daß aus dem Deutschen Industrie-Institut Gutes kommt, aber diesmal war es eine gute Tat.
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Aus dem Referat, das wir zugeschickt bekommen haben, habe ich mir einen Satz herausgeschrieben, den die anderen Herrschaften hier offenbar vergessen haben oder ungern hören. Herr Kollege Pferdmenges ist nämlich weit ehrlicher, scheint mir,
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als unsere offiziellen Vertreter. Da wir wissen, daß er ein guter Ratschlaggeber und guter Berater des Herrn Bundeskanzlers ist, möchte ich Herrn Pferdmenges empfehlen, noch öfter zu dem alten Herrn zu gehen. Herr Pferdmenges hat nämlich in der gleichen Rede vor der Industrie- und Handelskammer erklärt, daß nun auch das Hinzutreten unproduktiven Rüstungsbedarfs unsere Konsumquote am Sozialprodukt herabdrücke! Herr Pferdmenges ist ehrlich genug, und er weiß - ich bin sogar davon überzeugt, daß es viele von Ihnen auch wissen, es nur nicht ehrlicherweise zugeben wollen -, daß man eben nicht rüsten kann, ohne daß die Konsumquote verringert wird. Mit anderen Worten: der Lebensstandard für die Bevölkerung wird zumindest nicht in dem Umfang weiterwachsen, wie er weiterwachsen könnte.
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- Das ist etwas anderes? Aber bitte, sagen Sie doch dem Herrn Professor Erhard, daß er nicht mit Zigeunergäulen handeln soll. Wir wollen doch nicht das Volk hinters Licht führen, Herr Bucerius, sondern ihm die Wahrheit sagen. Wenn Sie also sagen, Rüstung ohne Beeinträchtigung des Lebensstandards wäre möglich, dann ist das, mit Verlaub zu sagen, unwahr und undurchführbar.
Und schauen Sie: wir müssen uns doch vor allem eines überlegen: wir sollten doch einmal daran denken -davon hat in der Debatte bisher noch kein Mensch gesprochen -, daß wir in der Bundesrepublik außer den wirtschaftlichen Dingen auch eine sozialpolitische Aufgabe haben und daß eine sozialpolitische Situation zu berücksichtigen ist. Und wenn man sich die Frage vorlegt: Was kommt bei der Rüstung heraus, und was kommt aus der Rüstung auf uns zu?, dann müssen wir doch zunächst einmal folgendes feststellen. Es wäre notwendig - ich bitte Sie, jetzt möglichst genau zuzuhören, meine Damen und Herren, was ich sage, weil es wirklich wichtig ist - es wäre notwendig erst einmal die Aufstellung einer klaren sozialpolitischen Konzeption auf seiten der Regierung und ihre Durchführung, um in diesem wichtigen Bereich endlich Lösungen zu schaffen, die wir nun dringend brauchen, damit unvorhersehbare Einflüsse aus der Rüstungswirtschaft im sozialen Bereich in einer wirklichen Ordnung aufgefangen werden können. Es muß ausgesprochen werden, daß die bisherige Sozialpolitik kläglich war
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und daß es jetzt geradezu gefährlich wäre, die Dinge in der gleichen jammervollen Art wie bisher weiter zu behandeln, ohne Konzeption, ohne Klarheit, ohne Unterlagen und ohne einheitliche Zuständigkeit.
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- Schauen Sie, meine Damen und Herren, das mißfällt Ihnen,
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da habe die Sozialdemokratie wieder einmal ein böses Urteil gegen die böse Regierung. Wissen Sie, was ich, als ich Ihnen sagte, Sie möchten genau aufpassen getan habe? Ich habe einen Satz aus dem Neujahrsleitartikel des Düsseldorfer „Handelsblatts" zitiert.
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Meine Herren, und nun werden Sie doch schließlich nicht behaupten wollen, daß die Redakteure des Düsseldorfer „Handelsblatts" etwa Sozialdemokraten sind oder daß das Düsseldorfer „Handelsblatt" eine sozialdemokratische Zeitung sei.
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Es sind also ganz andere Kreise, nicht nur wir Sozialdemokraten, sehr bewußte und sehr überlegte Kreise auch in Ihrem eigenen Lager - Sie sollten sich darüber Rechenschaft geben und sollten sich das nicht zu leicht machen - sehr besorgt darüber, was aus diesem Experiment, in das wir hineingehen, werden könnte. Und ich muß schon sagen: wenn in einer wirklich als gut kanzlerund kapitalisten- und regierungsfreundlichen Zeitung so ein Urteil kommt, dann werden Sie sich einmal überlegen müssen, wieviel davon bittere Wahrheit ist und wie viele dringende Notwendigkeiten in dieser Bundesrepublik zu lösen sind. Wenn demgegenüber der Bundeskanzler in der Messehalle sagt: „Ich garantiere dafür, daß die sozialen Aufgaben in keiner Weise vernachlässigt werden", meine Damen und Herren, was hat ein solcher Ausspruch dann für Wert?
Nun, die Bundesregierung erklärt - und das ist ihre Konzeption, und mit dieser Konzeption glaubt sie offenbar den Stein der Weisen gefunden zu haben -: Wir schmeißen das alles. Ich möchte nicht, daß etwa in der oberflächlichen Weise, in der agitatorisch vom verantwortlichen Mann für die Wirtschaft bisweilen gesprochen wird, auf legere Art und Weise so ernste Probleme angefaßt werden. Wenn man versucht herauszubekommen: welche Konzeption könnte denn da sein?, dann kommt man zu Folgendem: „Das machen wir alles ohne Schwierigkeiten - da braucht sich kein Mensch Sorgen zu machen -, das geht gewissermaßen aus idem Handgelenk", wobei auch einmal hinzugefügt wird: Es ist natürlich auch nicht gerade ein Pappenstiel.
Die Konzeption scheint doch folgende zu sein: Wir werden die Produktivität erhöhen, wir kommen zu Kapazitätsausweitungen, wir kriegen verstärkte Investitionen und möglicherweise noch einen forcierten Export, der dringend notwendig wird, wenn man nämlich die Waffen aus dem Ausland hereinnimmt, mit denen nach dem Willen der Mehrheit unsere Jungens dann durch die deutschen Lande fahren sollen. Und was ist die Folge? Ich erinnere an das, was Ihr Kollege Pferdmenges in seinem Vortrag sehr richtig gesagt hat - er war nämlich nicht einseitig, sondern umfassend, und versuchte, die Problematik wirklich zu treffen -: Wir haben einen erheblichen unproduktiven Rüstungsbedarf, der bewältigt werden muß, um den der private Konsum, die Konsumrate für jeden einzelnen aus dem zivilen und privaten Sektor, natürlich geschmälert wird.
Die Konzeption hat Herr Pferdmenges in seinem Referat angedeutet, und diese Konzeption hören wir, wenn auch in sehr schlechter und deshalb überhaupt unakzeptabler Form auch von der anderen Seite, nämlich: wenn man das alles macht, muß die Arbeitnehmerschaft „bereitwillig mitgehen", indem Herr Pferdmenges sagte: Sie sollten nicht gleich jede Preiserhöhung, die da kommt, zu Lohnerhöhungen benutzen. Dann ist also die These fertig, daß die Arbeiter jedenfalls die Rüstung ohne Lohnerhöhungen hinnehmen sollen. Wenn sie auf die Idee kämen, eventuell durch Streik ihr Einkommen zu erhöhen, dann wäre das wieder ein ähnliches Verbrechen an Deutschland, wie vorgestern Herr Dr. Becker sich auch eines schuldig gemacht haben soll. Professor Erhard wird sich also wahrscheinlich abgewöhnen müssen - oder hat er es sich vielleicht schon abgewöhnt? -, daß er, wenn die Arbeiter von gutem Lohn oder von mehr Lohn sprechen, sagt, es handele sich um den „krassen Materialismus der dicken Koteletts". Es ist noch gar nicht so lange her, daß er davon gesprochen hat. Die Quintessenz dieser These ist, daß der Riemen enger geschnallt werden muß, daß mehr gearbeitet werden muß, jedenfalls mehr als bisher, und möglicherweise weniger gegessen werden darf. Das paßt dann in diese - wie soll ich sagen? - fatale Parole, die der Bundeswirtschaftsminister in Berlin am 2. Dezember 1954 ausgesprochen hat. Da hat er auch munter für die Rüstung gesprochen und gleichzeitig im Berliner Wahlkampf das Ergebnis herbeizuführen versucht, das der Herr Bundeskanzler so gern gehabt hätte, was dann schief gegangen ist. Da hat er erklärt: Wir erinnern uns an die bösen Zeiten: „Kanonen statt Butter", und er sagte: Wenn es not tut, dann werden wir „Kanonen und noch mehr Butter" produzieren. Ich frage Sie, wem erstirbt da nicht das Lächeln auf dem Gesicht? -es gibt einige, denen das nie passiert -, und wem läuft da nicht wieder langsam die Gänsehaut den Rücken herunter? Ich erinnere daran - man muß bei solchen Aussprachen einmal daran erinnern -, daß es einen Mann gegeben hat, der sagte: „Ich will Meier heißen, wenn auch nur ein einziges Flugzeug nach Deutschland hereinkommt." Dann kamen so viele, daß er gar nicht mehr daran gedacht hat, sich Meier-Meier zu nennen.
Ich sage das deshalb, weil Befürchtungen aus jahrelangen bösen Erfahrungen vorhanden sind. Wir haben festgestellt und wir wissen es alle - und Ihre Fraktion, die CDU/CSU, weiß es besonders gut; denn Ihre Erwägungen wegen der mangelhaften Innenpolitik und des Versagens in der Sozialpolitik sind ja in der Öffentlichkeit bekanntgeworden -, ich meine: wir haben es jahrelang erlebt, daß der Außenminster und Bundeskanzler seine Außenpolitik als das absolute Primat vor Innenpolitik und Sozialpolitik gestellt hat. Nachdem diese Politik praktiziert worden ist, fragen wir uns mit etwas Besorgnis, ob wir nicht jetzt in eine Zeitspanne hineinkommen, wo die Rüstungspolitik und der Sektor Rüstung die erste Rolle in der Bundesrepublik spielen wird. Diese Befürchtung ist um so begründeter, wenn Sie sich einmal anschauen, wie sich die Etats für die Rüstung und Bewaffnung in den verschiedenen Ländern entwickelt haben; dann werden Sie feststellen, daß sich in den letzten Jahren auch die Kosten für Rüstung in jedem Land in geometrischer Progression erhöht haben und angestiegen sind.
Wir kommen also leider zu dem bedauerlichen Ergebnis - bedauerlich deshalb, weil uns die Wahrheit über die Kosten nicht gesagt wird -. Das, was jetzt geschieht, und was Sie offenbar bereit sind, ziemlich uribesehen und ohne exaktere Kontrolle zunächst einmal gutzuheißen und im Bundestag zu akzeptieren, sind die Belastungen, die zunächst kommen, ist das, was man zunächst in einer Schonfrist ausgeben und zugestehen will. Aber das dicke Ende wird dann vermutlich nach 3 oder 4 Jahren kommen. Die Bundesregierung und auch der verantwortliche Bundeswirtschaftsminister wären vor dem Gesetz, vor dem Parlament und vor
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ihrem Gewissen gezwungen, hier im Parlament zu sagen, welche Hypothek die deutsche Wirtschaft auferlegt bekommt und wie hoch die festen Kosten sind, die auf der Wirtschaft lasten werden, wenn einmal die zwölf Divisionen nach dem Wunsch des Kanzlers und seiner Mehrheit in der Bundesrepublik aufgestellt sind. Das wäre der faire, der echte, gute, parlamentarische und demokratische Vorgang. Das nicht zu tun mit der Behauptung, man kenne die Kosten nicht oder könne sie nicht abschätzen, ist in jeder Weise unannehmbar.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar Bemerkungen machen zu dem, was Kollege Scheel sagte, als er darauf hinwies, daß es offensichtlich gewisse unterschiedliche Beurteilungen der Auswirkungen gebe. Ich will jetzt keine Ausführungen über die Probleme des Arbeitsmarktes machen, zumal wir in der vorigen Woche eine lange Diskussion über diese Probleme hatten. Wenn er uns fragt, warum wir über die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt so besorgt seien, dann kann ich ihm die Antwort geben - wenn er im Augenblick nicht da ist, werden seine Kollegen so freundlich sein, es ihm zu sagen -: Wir haben aus den Verhandlungen über die EVG und auch sogar aus den Besprechungen, die wir jetzt im Wirtschaftspolitischen Ausschuß mit dem Herrn Bundesarbeitsminister gehabt haben, wieder erfahren, daß im Bundesinnenministerium ein Gesetz über die persönlichen Dienstleistungen zumindest ausgearbeitet wurde und daß es dort beim Herrn Dr. Schröder jetzt in einer Schublade versunken ist. Ob das immer so bleiben wird, kann nicht einmal Herr Schröder sagen, obwohl es ihn offenbar reizt, darauf sofort eine Antwort zu geben.
Ich wollte nur das mit der Schublade richtigstellen!
Nun, dann haben Sie es im Schrank oder haben es in einer Aktenmappe Ihrem Ressortchef gegeben. Jedenfalls liegt es irgendwo im Bundesinnenministerium.
Weshalb wir um den Arbeitsmarkt besorgt sind und uns um die Probleme gekümmert haben? Eben deshalb, weil wir die Befürchtung haben, daß vielleicht doch wieder die Arbeiter ein Verbot des Wechsels von Arbeitsplätzen und ähnliche Dinge bekommen könnten. Denn wenn Sie sich ansehen, was alles im Bundesleistungsgesetz der Wirtschaft wieder für den Fall eines Notstandes oder ernster Fälle zugemutet wird, dann können Sie allerdings so etwas wie eine Gänsehaut bekommen. Aber die FDP darf versichert sein, die Herren Kollegen
Wenn und Atzenroth: Wenn Sie im Ausschuß immer tapfer und wacker mitarbeiten, werden Sie an uns gute Bundesgenossen finden, damit wir verhindern, daß in Gesetze etwa auch Vollmachten hineinkommen, die sich nachher sehr, sehr böse und schädlich für die Bevölkerung auswirken könnten.
Ich muß dann noch auf zwei Dinge eingehen, damit das Bild abgerundet wird. Herr Professor Erhard, der Bundeswirtschaftsminister, hat erklärt, mehrfach erklärt, an vielen Stellen erklärt, er werde dafür sorgen, daß die Rüstung kein gutes Geschäft werde, und er hat weiter erklärt, er werde Rüstungsspekulationen unterbinden. Von Herrn Professor Erhard kennen wir mancherlei und viele Aussagen. Die Kollegen, die schon im Wirtschaftsrat mit uns zusammengesessen haben, können sich entsinnen, daß damals, in einer ähnlich kritischen Situation - als nämlich die Markumstellung kam, die neue Währung, die einen ähnlichen Einschnitt für unsere Wirtschaftsentwicklung bedeutete, wie es jetzt mit der Rüstungswirtschaft der Fall sein kann -, Herr Professor Erhard erklärt hat, er werde dafür sorgen, daß die Hortungsgewinnler herangenommen würden und daß niemand von ihnen auf seinem Hortungsgewinn sitzenbleiben werde. Alle noch so gründlichen und ausgiebigen Untersuchungen und Anfragen haben zu der Feststellung geführt, daß nicht einem einzigen von denen, die da enorme Hortungsgewinne gemacht haben, auch nur ein Härlein gekrümmt worden ist!
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Wenn wir also Versprechungen und ihre Wirkungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit abwägen, dann müssen wir schon sagen: eine solche Erklärung ist ein sehr schwacher Trost, zumal wenn man sieht, daß die Aktienkurse die Rüstungskonjunktur, das gute Geschäft, schon vorwegnehmen, - daß jetzt schon Preisspekulationen bei einer Reihe von Rohstoffen festzustellen sind. Wir hatten schon wieder Aufkäufe zu dem Zweck, aus Preissteigerungen Gewinne zu machen. Wir haben Preisauftrieb, Luftaufträge und vieles mehr. Die Kollegen aus dem Ruhrgebiet und aus den Industrien wissen das viel besser als wir. Schließlich haben wir auch einen Brief - vom Anfang dieses Monats, glaube ich aus dem Bundeskanzleramt an Herrn Professor Erhard, einen sehr sorgenvollen Brief, voller Sorge darüber, daß die Preisunruhe, die in der Bundesrepublik vorhanden sei, das Klima für die Akzeptierung dieser Verträge und die Meinung der Öffentlichkeit verschlechtern könne.
Der Herr Bundeskanzler hat erklärt: Ich garantiere, daß die Währung erhalten bleibt! - Jeder ernsthafte Mensch, der sich die Dinge anschaut, weiß doch, daß im Zusammenhang mit der Rüstung und als ihre Folge immer der Trend zur Verstärkung des Geldvolumens vorhanden war. Der Trend nach der Inflationsseite hin und die Entwertung der Währungen im Laufe der Jahre, die Tatsache, daß der Dollar drüben heute nicht mehr wert ist als eine Mark hier, das sind deutliche Beweise dafür, daß Rüstung ohne Steigerung des Geldvolumens kaum möglich ist, und niemand wird bestreiten können, daß jede Rüstung die Tendenz zur Inflation in sich trägt. Es hat also keinen Sinn, daß wir hier auf beschwörende Worte und Versprechungen achten. Es wäre wahrscheinlich besser, wenn man sich an das hielte, was kürzlich z. B. Professor Alfred Weber gesagt hat: daß diese Befürchtungen vorhanden sind.
Vor allen Dingen aber möchte ich in Erinnerung bringen, was der für diese Fragen zuständige Mann gelegentlich der Beratung des EVG-Vertrages vor zweieinhalb Jahren gesagt hat. Wir haben diesmal in keinem Ausschuß, glaube ich, ernsthaft die Frage geprüft, wieweit die Währung durch die Rüstung in Gefahr kommen könnte oder beeinflußt wird. Vor zweieinhalb Jahren haben wir mehr Zeit gehabt. Damals war es nicht nötig, so im Galopp zu traben, obwohl auch da gedrängt wurde. Es ist uns damals nicht gelungen, zu einer Einvernahme des Präsidenten des Zentralbankrats der Bank deutscher Länder in einem Ausschuß zu kommen. Diesmal war es schon ganz unmöglich, und der Wirtschaftsausschuß konnte es nicht
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machen, weil er dafür nicht zuständig war. Wir haben also damals - das war vor zweieinhalb Jahren - nach Frankfurt geschrieben. In diesen zweieinhalb Jahren ist eine Wirtschaftsentwicklung vor sich gegangen, die zweifellos in der expansiven Tendenz, die sie hatte, mehr Gefahren in sich schließt als vor zweieinhalb Jahren. Der Präsident des Zentralbankrats der Bank deutscher Länder, Herr Bernard, hat damals geantwortet:
Bei einer Feststellung zu den finanziellen Teilen des EVG-Vertrages
- lesen oder hören Sie bitte jetzt: der Pariser Verträge kann die Notenbank im Hinblick auf zahlreiche unbekannte Größenordnungen
- zahlreiche unbekannte Größenordnungen! und im Hinblick auf die ungewissen, weitgehend von der Weltkonjunktur abhängigen Entwicklungstendenzen der Zukunft nicht mit voller Sicherheit erklären, ob die dem EVG- Pariser Vertrag entspringenden Verpflichtungen in jeder konkreten Situation immer und unter allen Umständen mit dem Erfordernis der inneren finanziellen Stabilität und mit der Aufrechterhaltung des Zahlungsbilanzgleichgewichts vereinbar sein werden.
Das scheint mir eine wichtigere und ernster zu
nehmende Feststellung zu sein als das vage Versprechen: „Solange ich da bin, wird der. Währung nichts geschehen". Der Herr Bundeskanzler wird ziemlich machtlos sein, weil nämlich hier möglicherweise ganz andere Kräfte zum Tragen kommen und dann das Bild sich wesentlich verändert und verschiebt.
Nun soll der schöne Kapitalmarkt - von dem Herr Schäffer so rühmend gesprochen hat, daß er ihn wiederhergestellt habe - dazu benutzt werden, die Fehlbeträge zu decken, d. h. die ersten 1,8 Milliarden sollen jetzt aus dem Kapitalmarkt genommen werden, um 9 Milliarden für die Rüstung aufzubringen. Das ist doch nur ein Balancieren, in welchen Etat man das setzt! Wahrscheinlich hat Herr Bundesminister Schäffer in dem Augenblick nicht das Gesicht gesehen, das Herr Pferdmenges machte - mir ist es aus der Sekunde in lebhafter Erinnerung geblieben -, dazu nämlich, daß hier schon der erste Schritt zu jener Tendenz angekündigt wird, die ich vorhin aufgezeigt habe und mit der wir rechnen müssen.
Meine Damen und Herren, es ist vielleicht kein Zufall oder es ist, so ,will mir beinahe scheinen, eine glückliche Fügung, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium gerade jetzt ein Gutachten veröffentlicht hat, in dem er sich dafür einsetzt, daß endlich auch in der Bundesrepublik etwas getan wird, was wir aus anderen Ländern als eine sehr nützliche und wichtige Einrichtung kennen, nämlich die Aufstellung einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Ich sage sogar: das ist bestimmt kein Zufall, weil nämlich die unabhängigen und selbständig denkenden Mitglieder dieses Wissenschaftlichen Beirats sich ebenfalls sehr erhebliche Sorgen gemacht und die Überlegung angestellt haben, was denn nun aus der Rüstungsepoche, die da anbricht, auf uns zukommt. Es wird festgestellt, daß nur eine solche Aufstellung den Überblick gibt, den man haben muß, um ein so großes Geschäft zu beginnen, und weiter, daß nur aus einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Erfolg oder Mißerfolg bestimmter Maßnahmen überhaupt erkennbar gemacht werden kann. Da die Bundesregierung offenbar gerade das nicht will - sonst hätte sie uns Zahlengrößen sagen müssen -, können wir nur schlußfolgern, daß die Größe der Belastung, die auf uns zukommt, offenbar so gefährlich werden kann, daß die Bundesregierung nicht den Mut hat, vor dem Parlament und vor dem Volk klar zu sagen, wie groß sie ist. Es wäre nämlich verbrecherisch, wenn etwa nicht die Überlegungen angestellt worden wären, wohin uns dieser Beginn von heute in drei oder vier oder fünf Jahren führt.
So bleibt uns nichts anderes übrig - ich glaube nicht, daß wir noch eine befriedigende Antwort bekommen, nachdem bisher alle Antworten, die wir zu all diesen Problemen bekommen haben, unbefriedigend waren -, als festzustellen: Die Bundesregierung verlangt die Zustimmung zu Verträgen, über deren Auswirkung und Weiterwirkung über die nächsten Jahre hinaus sie dem Parlament und dem deutschen Volk die Auskunft verweigert.
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Das Wort hat der Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst Ihnen, Herr Kollege Gülich, sagen, wie sehr ich es bedaure, auf Ihre noblen Ausführungen nicht antworten zu können. Aber Herr Kreyssig hat mich nachträglich zu stark beschäftigt. Nicht daß er mich bewegt hätte! Nein, die zärtlichen Gefühle, die Herr Kreyssig mir gegenüber hegt, sind bekannt genug. Ich brauche von den meinen nicht zu sprechen.
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Immerhin ist dazu einiges zu sagen. Herr Kreyssig hat z. B. den Mut gehabt - und, nebenbei bemerkt, die Geschmacklosigkeit -, von dem „Herrn Meier" zu sprechen. Wenn es hier einen Herrn Meier gibt, dann sind Sie's, Herr Kreyssig!
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Denn was Sie sich seit 1948 an Prognosen und an düsteren Prophezeiungen und Aussagen geleistet haben, das geht auf keine Kuhhaut.
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Wenn Sie sagen: „Es wird etwas schiefgehen" oder „Die Währung ist gefährdet" oder „Die soziale Ordnung gerät in Gefahr", dann kann das für das deutsche Volk fast ein Garantieschein sein, daß alles gutgehen wird.
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Ich kann zu Ihnen nur sagen: Jeder blamiert sich, so gut er kann, und ich bewundere nur Ihren Mut, daß Sie überhaupt noch über Wirtschaftspolitik zu sprechen wagen.
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Aber da ja hier das deutsche Volk auch mithört, ist es geradezu eine nationale Pflicht, das laut auszusprechen; denn wenn da bloß 10 % von dem geglaubt werden würde, was Sie heute hier ausführten, dann müßte das arme deutsche Volk in Drang({5})
I sal, Not und Unruhe gestürzt werden; und dazu hat es keine Veranlassung.
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Ich will gar nicht eingehen auf all die mehr technischen Fragen der Rüstungskontrolle, der Dekartellisierung, der Verpflichtung, an das Ausland zu verkaufen, die sogenannten Verkaufsauflagen, und die schweren Belastungen, die noch auf der deutschen Volkswirtschaft ruhen. Schauen Sie doch diese deutsche Volkswirtschaft einmal an, wie sie 1945 ausgesehen hat, was darauf gelastet hat und wie sie heute aussieht.
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Denken Sie daran, wie wir angefangen haben, zum Beispiel zu den ersten leichten Befreiungen im Schiffsbau kamen. Heute stehen wir hier an zweiter Stelle, heute produzieren wir 18 Millionen t Stahl, und wenn wir die Freiheit zurückgewonnen haben, wenden wir auch noch den Rest auflösen.
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Aber das ist nicht das Interessante. Ich komme jetzt zu dem .entscheidenden Thema: Was bedeuten die Aufwendungen für die Verteidigung, unid sind die wirklich so gefährlich, daß damit unsere Wirtschaft gehemmt, unsere soziale Ordnung gestört, der Lebensstandard wie die wirtschaftliche Entwicklung gefährdet wird? Meine Damen und Herren, Sie können sagen, was Sie wollen, und polemisieren, soviel Sie wollen, - die Bundesregierung ist im Recht und kann es beweisen. Sie hat 9 Milliarden für die Rüstung eingesetzt, nicht einen Pfennig mehr und nicht einen Pfennig weniger. Wenn das Verfahren zur Anwendung kommt, von dem auch Herr Kollege Schäffer gesprochen hat, wenn also die deutsche Leistung in Übereinstimmung mit allen anderen Ländern der NATO in einem gewissen Prozentsatz des Sozialprodukts ausgedrückt wird, dann können diese 9 Milliarden, in Mark und Pfennig ausgedrückt, zwar auch mehr werden, und nichts anderes habe ich behauptet. Aber immer werden sie in der richtigen, das heißt tragbaren Entsprechung zu der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung, zu der Höhe des Sozialprodukts, zu der Höhe des Volkseinkommens stehen und niemals so weit gehen, daß die von Ihnen ausgestreuten Befürchtungen Wirklichkeit werden können.
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Meine Damen und Herren! Wenn im vergangenen Jahr 9 Milliarden für Besatzungskosten eingesetzt waren - wenn davon auch nur 7,2 Milliarden effektiv verausgabt und 1,8 Milliarden auf den außerordentlichen Haushalt übertragen wurden -, dann bedeuteten diese 9 Milliarden zweifellos eine Belastung, ein Opfer für das deutsche Volk. Genau so war es in den zurückliegenden Jahren auch. Ich habe aber noch keinen Menschen in Deutschland getroffen, und ich habe es auch aus Ihrem Lager noch nicht gehört, daß diese Besatzungskostenleistungen uns gehindert hätten, die deutsche Volkswirtschaft aufzubauen, sie immer produktiver und ergiebiger werden zu lassen, unseren Außenhandel zu fördern, in der Welt immer wettbewerbsfähiger zu werden, im Wohnungsbau unsere Pflicht zu erfüllen, das deutsche Volkseinkommen zu verbessern und den Lebensstandard zu erhöhen. Das hat niemand behaupten können, weil wir das Gegenteil praktisch demonstriert haben.
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Ich weiß nicht, was diese Umschaltung, diese Umgruppierung von Besatzungskosten zu Verteidigungskosten an andersartigen Wirkungen auslösen könnte. Das ist praktisch Jacke wie Hose, mindestens was die Belastung für den einzelnen Staatsbürger ausmacht.
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Meine Damen und Herren! Wer bezahlt nun das andere, den Rest? Hier ist wiederholt erklärt worden, daß von seiten der amerikanischen Regierung feierliche Zusicherungen in bezug auf eine amerikanische Hilfe vorliegen, und wenn Sie die Größenordnung der amerikanischen Hilfe im ganzen kennen, so wie sie in dem dortigen Haushalt schon seit Jahren ausgewiesen wird - denn das zieht sich wie ein roter Faden durch die Politik der Vereinigten Staaten -, dann kann niemand mit einiger Berechtigung behaupten, daß Amerika vielleicht gar nicht in der Lage wäre, uns diese Hilfe angedeihen zu lassen. Ich glaube, daß angesichts der Notwendigkeit, dieses freie Europa zu verteidigen, und des Anteils, den wir daran nehmen sollen, weil eben Europa zusammengefaßt werden muß, um wirksamen Schutz zu finden, man die deutschen Divisionen nicht verkümmern lassen, sondern gerade auch aus amerikanischer Seite besorgt sein wird, diese europäische Bastion so stark wie möglich werden zu lassen.
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Herr Ollenhauer hat in Dortmund behauptet, und hier ist etwas Ähnliches angeklungen, als Herr Kreyssig von „wissentlich" oder „geflissentlich" gesprochen hat, daß die Bundesregierung dem deutschen Volke sozusagen vorgaukeln möchte, in den nächsten drei Jahren würden nur insgesamt rund 30 Milliarden DM Aufwendungen für die Verteidigung erforderlich werden, in Wirklichkeit aber - so sagte Herr Ollenhauer - würde das deutsche Volk mit 90 Milliarden belastet werden. Jetzt möchte ich fragen, auf Grund welcher konkreten Unterlagen und welchen Beweismaterials Herr Ollenhauer zu einer solchen Aussage berechtigt war.
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- Der Bundeskanzler, der Finanzminister und ich sagten Ihnen hier wiederholt: Wir werden keine größeren Verpflichtungen auf uns nehmen, und wir können von keiner Seite zu einer größeren Verpflichtung gezwungen werden, als wir freiwillig übernehmen und als Sie vor allen Dingen durch Ihre Zustimmung bewilligen wollen.
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- Dann lassen Sie das doch die Amerikaner bezahlen!
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Meine Damen und Herren, ich habe behauptet, und ich stehe dazu, daß die Belastungen, die wir auf uns nehmen, preis- und währungspolitisch völlig neutral sind und keine gefährlichen Wirkungen auslösen können, und ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Sicher, Herr Kollege Gülich, - wenn man Methoden der Vergangenheit zur Anwendung bringen wollte, wie Mefo-Wechsel und ähnliche Scherze mehr, dann wären Ihre Bedenken zweifellos am Platze. Aber ich glaube, niemand kann gerade die Bundesregierung auf Grund ihrer bewährten Po({16})
litik etwa verdächtigen, nun etwa eine Politik einleiten zu wollen, die unsere Währung gefährden könnte; denn das Gegenteil haben wir getan. Die Deutsche Mark ist immer härter geworden, sie genießt immer mehr Ansehen und Geltung in der Welt. Deshalb möchte ich auch gleich am Anfang Ihre verdächtigenden Äußerungen hinsichtlich der Stabilität der Deutschen Mark hier vor der deutschen Öffentlichkeit ins rechte Licht rücken.
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Warum müssen die Rüstungsaufwendungen preis- und währungspolitisch neutral bleiben? Weil sie im ordentlichen Haushalt eingesetzt sind, weil sie volkswirtschaftlich eine völlig neutrale Kaufkraftübertragung von privater Hand in die Hand des Staates bedeuten, weil hier keine zusätzliche Geld- und Kreditschöpfung vorliegt, sondern nur ein neutraler Wechsel von Kaufkraftbesitz.
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Aus diesem Grunde ist es völlig ausgeschlossen, daß solche gefährliche Wirkungen eintreten. Es ist um so mehr ausgeschlossen, als uns heute die Märkte der Welt offenstehen und wir, selbst wenn sich im Innern aus spekulativen Erwägungen gefährliche Tendenzen zeigen sollten, wir sofort die Ventile ziehen können, um Störungen zu beseitigen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?
Ja, bitte!
Herr Bundeswirtschaftsminister, gestatten Sie eine Frage. Sie haben eben ausgeführt, daß die Rüstungsaufwendungen preispolitisch neutral bleiben sollen und bleiben müßten. Unterstellen wir das einmal. Wie kommt es dann aber, daß Sie sich in den letzten Tagen und Wochen in der Öffentlichkeit so sehr mit preispolitischen Sorgen beschäftigt und in der Öffentlichkeit gefordert haben, Ihnen zollpolitische Vollmachten zu erteilen, um Einfuhrschleusen einzureißen und eventuellen Preissteigerungen zu begegnen?
Ich werde darauf noch im rechten Zusammenhang zu sprechen kommen. Ihre Frage wird hinlänglich beantwortet, aber zur Sache.
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Meine Damen und Herren, es wird zwischen dem Herrn Bundeskanzler und mir ein Gegensatz konstruiert - natürlich immer nur von Herrn Kreyssig -, und zwar sollte er dadurch entstanden sein, daß der Bundeskanzler in Frankfurt behauptet hat, unsere Wirtschaft stünde noch nicht auf so gesundem Boden und sie verfüge noch nicht über hinlängliche Reserven, um einen ernsthaften Stoß auszuhalten. Genau derselben Meinung bin ich. Aus dem Grunde bin ich aber auch der Meinung, daß wir uns keine sozialen oder politischen Experimente leisten sollten. Ich werde auch darauf noch zu sprechen kommen.
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Im übrigen ist es nicht richtig, wenn Herr Kreyssig behauptet, daß ich gesagt hätte, diese 9 Milliarden wären spielend zu verkraften. Im Gegenteil, ich habe immer gesagt, 9 Milliarden sind ganz bestimmt kein Pappenstiel. Aber man kann sie nicht isoliert sehen, sondern man muß sie zu anderen volkswirtschaftlichen Größen in Beziehung setzen, zuerst einmal zu der früheren und zu der jetzigen Haushaltsbelastung; das hat ,der Finanzminister besorgt. Man muß sie aber auch beziehen zu der Größe des Sozialprodukts, das nach der endgültigen Rechnung so etwa zwischen 145 und 150 Milliarden DM liegen wird. Damit ist einmal, wie auch schon ausgeführt wurde, die deutsche Belastung nicht größer als die aller unserer Nachbarländer, und auch diese haben trotzdem ihre gute Ordnung bewahren können. Aber wir haben noch das besondere Glück, daß sich unsere Wirtschaft fortdauernd in einer starken Expansion befindet. Herr Kreyssig hat das offenbar noch nicht bemerkt.
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Denn kein anderes europäisches Land hat in den rückliegenden Jahren gleich große Zuwachsraten des Sozialprodukts erreicht, und die Zunahme des Sozialprodukts ist gleichzeitig die Grundlage für den Lebensstandard, für die sozialen Leistungen, für all das, was wir als Volk und Gesellschaft an Fortschritt erreichen können. Z. B. hat von 1953 auf 1954 das deutsche Sozialprodukt um 8 % zugenommen - und daß sich der Trend in einer guten Entwicklung befindet, mag Ihnen aus der Zunahme der Industrieproduktion deutlich werden. Die machte im Durchschnitt des vergangenen Jahres etwa 11,5 % aus, betrug im Dezember gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahrs 14,5 % und beträgt im Januar 18 %. Das ist ein Beweis dafür, daß die Aufschwungtendenzen noch nicht abgeebbt sind und daß wir deshalb auch auf Grund des Auftragseingangs damit rechnen können, daß unsere Wirtschaft auch fernerhin in der Expansion bleibt. Wenn es uns jetzt wieder - ich meine von 1954 auf 1955 - gelingt, eine Steigerung des Sozialprodukts von 8 % zu behaupten, dann bedeutet das in Mark und Pfennigen eine zusätzliche Wertschöpfung von rund 12 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß man gerade diese Dynamik im Auge haben muß, um eine solche Belastung für eine Volkswirtschaft auch nur einigermaßen richtig würdigen zu können.
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Herr Kollege Gülich - Sie sprachen von der Dynamik der Rüstungswirtschaft -: Seien Sie überzeugt, ich bin genau wie Sie der Meinung, daß wir uns vor einer solchen Dynamik in die Rüstungswirtschaft hinein, vor einer immer größeren Aufblähung, unter allen Umständen hüten müssen.
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Herr Minister, gestatten Sie noch eine Frage?
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Am Schluß!
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Das, was wir brauchen, ist die Fortdauer der gesamtwirtschaftlichen Expansion. Wir wissen doch ganz genau, das Schicksal der Bundesrepublik, auch das politische und soziale Schicksal des deutschen Volkes ist davon abhängig, daß wir in einer guten Entwicklung bleiben. Es ist doch nicht so, daß wir
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wegen der sogenannten Rüstungskonjunktur zuversichtlich sind, daß durch sie die gute wirtschaftliche und soziale Lage unseres Volkes gesichert bleibt; nein: trotz der Rüstungsaufwendungen sind wir der Meinung, es schaffen zu können.
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Wenn Sie bedenken, was von dieser deutschen Volkswirtschaft seit dem Jahre 1945 oder, noch deutlicher, seit dem Jahre 1948 an Belastungen verkraftet worden ist, dann, glaube ich, könnten wir auch den Mut und die Zuversicht hegen, auch mit dieser neuen Aufgabe fertig zu werden. Wenn Sie bedenken, wie es noch im Jahre 1948 in Deutschland ausgesehen hat, wie da alles noch darniederlag - denken Sie an die Anfänge im Frankfurter Wirtschaftsrat, wie seinerzeit das deutsche Volk fast hoffnungslos verhungert, verkommen und verelendet war -, und bedenken Sie dann, was alles wir in der Zwischenzeit neben dem Aufbau der Wirtschaft, an Mehrung der sozialen Leistungen, neben den Fortschritten im Außenhandel zuwege gebracht haben, daß wir 50 Millionen Menschen in freier Konsumwahl wieder ein gutes und würdiges Dasein sichern konnten, dann werden Sie doch zugeben müssen, daß wir auch mit der Aufgabe fertig werden können, in einigen Jahren für einige hunderttausend Soldaten das zu beschaffen, was sie eben brauchen.
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Das steht doch überhaupt in gar keiner Größenordnung! Hier kommt es auf die Entsprechungen an. Es gibt selbstverständlich eine Belastung der Volkswirtschaft, die das soziale Gefüge und die wirtschaftliche Entwicklung gefährden müßte, aber die liegt in Deutschland nicht bei 9 Milliarden, die liegt nicht bei Größenordnungen, wie sie bei NATO angewendet werden und auch für uns Geltung erlangen wird.
Glauben Sie denn, daß wir so verrückt sind - und den gleichen guten Verstand setze ich auch bei den andern europäischen Ländern voraus -, daß wir geneigt wären, unsere Aufwendungen für die Rüstung so weit zu steigern, daß ihr eigentlicher Zweck, nämlich Schutz gegen den Kommunismus vom Osten her zu bieten, dadurch gegenstandslos werden würde, daß dann mit dem sozialen Verfall der Kommunismus von innen heraus groß werden würde?!
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Dann kritisiert Herr Kreyssig, daß wir keine sozialpolitische Konzeption haben und das, was wir bisher getan haben, kläglich gewesen ist. Nun, meine Damen und Herren, ich 'begreife nicht, wie jemand, der die Verhandlungen hier in diesem Bundestag bewußt miterlebt und somit erfahren hat, wie wir um soziale Verbesserungen gerungen haben,
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und zwar auf allen Gebieten, und wie wir in Deutschland auf der Ebene von Bund, Ländern und Gemeinden heute zu Sozialausgaben von rund 20 Milliarden DM gekommen sind, von einem kümmerlichen Erfolg oder von keinem Erfolg sprechen kann.
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Daß Herr Kreyssig der Meinung ist, ich hätte keine wirtschaftspolitische Konzeption, das kann mich nicht rühren. Nein, im Gegenteil, ich bin ängstlich bedacht, nur ja nicht zu nahe an eine etwaige wirtschaftspolitische Konzeption von Herrn Kreyssig heranzukommen.
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Denn immerhin, diese meine Wirtschaftspolitik brauche ich heute nicht mehr zu verteidigen. Das deutsche Volk weiß ganz genau, was sie wert ist, und mit dem deutschen Volk weiß es auch die ganze freie Welt.
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Jedenfalls, wenn wir Ihren Empfehlungen gefolgt wären, Herr Dr. Kreyssig, dann brauchten wir uns heute nicht über Rüstungsaufwendungen zu unterhalten; nicht, weil es nicht notwendig wäre, sondern weil die deutsche Volkswirtschaft dann ganz bestimmt nicht in der Lage wäre, solche zu erbringen.
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Im übrigen, meine Damen und Herren, zu welcher Verblendung das führen kann, mag Ihnen - jetzt wird einmal Herr Kreyssig aus der Haftung entlassen ({10})
eine Aussage von Herrn Dr. Agartz zeigen. Herr Dr. Agartz behauptete z. B.: „Die sogenannte russische Gefahr, von der wir sprechen, droht nicht etwa in Form eines Angriffs, nein, die Gefahr liegt auf sozialem Gebiet und ist in dem höheren Lebensstandard dieser östlichen Länder zu suchen."
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Und er sagt: „Die Produktion der Grundstoffindustrie - -"
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- Sie können es nachlesen: „Die Produktion der Grundstoffindustrie - -"
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- Ich lasse es nächstens verteilen. - „Die Produktion der Grundstoffindustrie ist in Sowjetrußland so stark gestiegen, daß sie die 'der westlichen Länder übertrifft."
Herr Minister, darf ich Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Frage?
Nein, am Schluß!
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Das mag stimmen. Die Sowjetrussen verwenden ihre ganzen Energien dazu, um in der Versklavung ihrer Arbeitskräfte das Rüstungspotential mit allen Mitteln zu steigern. Aber Herr Agartz verwechselt wirklich Kanonen mit Butter, wenn er das ,als eine Steigerung des Lebensstandards hinstellt.
({1})
Wenn Herr Kreyssig wieder sagte, wir verstünden uns nicht zu einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, weil die Lage so gefährlich sei, daß die Regierung keinen Mut habe, die Ziffern sozusagen auf den Tisch zu legen, dann brauche ich, glaube ich, dazu nicht ein Wort zu sagen. Die Regierung hat wirklich allen Anlaß, ihre Ziffern - Ziffern des Erfolgs - auf den Tisch zu legen; denn diese sind
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durchaus geeignet, von dem deutschen Volk anerkannt und positiv gewürdigt zu werden.
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Jetzt möchte ich aber einmal ein anderes, aber sehr wichtiges Thema anschlagen: da kommt wieder ein politischer Akzent hinein. Ich stelle mich jetzt einmal auf den Standpunkt, daß die sozialdemokratische Konzeption von einem wiedervereinigten Gesamtdeutschland Wirklichkeit werden könnte auf der Grundlage eines irgendwie gearteten - nennen Sie es, wie Sie es wollen - isolierten, neutralisierten, bündnislosen Deutschlands,
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auf alle Fälle eines Deutschlands, das seine Beziehungen zum Westen wesentlich lockern müßte - ich drücke mich jetzt ganz vorsichtig aus -,
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ohne daß man weiß, wie die Beziehungen zum Osten sich gestalten würden. Was wäre, abgesehen von der Möglichkeit der Infiltration und der Unterlaufung eines solchen Landes die Konsequenz, wenn es dann nicht mehr in dem festen und gemeinsamen Bündnis mit der freien Welt stünde, wenn diese freie Welt nicht mehr gemeisam mit uns unser ursprünglichstes Anliegen verfolgte, die Wiedervereinigung zu betreiben? Wir wissen ja, wie man das macht. Da braucht man noch gar keine militärischen Aggressionen durchzuführen, nein, da beschließt man Volkserhebungen, und auf einmal sieht's so aus, als ob es die Sehnsucht, das Verlangen des ganzen deutschen Volkes wäre, endlich vom Kapitalismus befreit zu werden und zu den „friedliebenden demokratischen Völkern" zu kommen.
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Das ist aber doch die Wahrheit, das ist doch die Geschichte, so wie sie sich in den letzten zehn Jahren bei allen Satellitenstaaten dargestellt hat.
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Wenn das nicht Geschichte, wenn das nicht reale Wirklichkeit ist,
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dann möchte ich fragen, was in Deutschland noch alles passieren muß, bis Sie das endlich glauben!
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Dieses Deutschland wäre zugleich ein wirtschaftliches Niemandsland.
Ich will jetzt einmal unsere Außenhandelsbeziehungen aufdecken. Ich möchte daran erinnern, daß es die viel kritisierten Amerikaner gewesen sind, die uns mit ihrer Marshallplan-Hilfe im Jahre 1948 erstmals die Möglichkeit gegeben haben, zu den Rohstoffen der Welt zu kommen,
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und wir brauchen diese Rohstoffe, um überhaupt deutsche Menschen beschäftigen und ihnen Einkommen geben zu können.
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In der Folgezeit haben wir es erreicht, aus eigener
Kraft einen Außenhandel mit einem Gesamtvolumen von rund 41 Milliarden DM - 19 Milliarden
Import und 22 Milliarden Export - aufzubauen.
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Wir exportieren nicht, weil das eine noble Geste ist, sondern wir exportieren, weil es die einzige Form darstellt, um unsere Importe bezahlen zu können. Und unsere Importe brauchen wir, außer zur Sicherung unserer Ernährung, um Wolle und Baumwolle, Kupfer, Zink und Nickel, Kautschuk, Öle und Fette und Häute und Leder und was auch immer einkaufen zu können. Denn es gibt in Deutschland, in diesem rohstoffarmen Land, kaum einen Arbeitsplatz, der nicht der Untermauerung mit ausländischen Rohstoffen bedürfte.
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Von diesem unserem Außenhandelsvolumen, der Lebensgrundlage unseres Volkes, kommen 97 % auf die freie Welt, während die sowjetischen Ostblockstaaten insgesamt in Import und Export nur mit je 3 % beteiligt sind.
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Man mag sagen, in einer veränderten politischen Konstellation ließe sich der Satz erhöhen. Das ist zweifellos richtig. Aber unter gar keinen Umständen höher als auf 10 %, und das ist schon mehr als optimistisch; denn in diesen Satellitenstaaten gibt es ja nicht mehr Konsumenten im westlichen Sinne - die verkommen ja -; das einzige, was die von uns kaufen wollten, wären Produktionsmittel und Rüstungsgüter, und es kann ganz bestimmt kein Ziel der deutschen Handelspolitik sein, das militärische Potential dieser Länder zu verstärken.
Gestatten Sie eine Frage?
Alles am Ende, in einem Aufwaschen.
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Was können denn diese Ostblockstaaten uns liefern? Wir haben es doch erlebt. Da werden Wirtschaftskonferenzen nach Moskau einberufen, da werden die Leute in reißerischer Aufmachung zur Leipziger Messe eingeladen; jedem wird das angeboten, was er braucht, und jedem wird die Abnahme dessen versprochen, was er loswerden will. Wenn aber die Leute hingekommen sind, haben sie auf wirtschaftlichem Feld genau 'denselben Bluff erlebt, den wir auf dem politischen erlebt haben.
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Es sind nämlich Potemkinsche Dörfer aufgebaut worden, aber hinter der Fassade steht nichts.
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- Ich weiß gar nicht, warum Sie die Sowjetunion so verteidigen.
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Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für den Redner.
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Was haben Sie denn für Veranlassung, die Sowjetunion zu verteidigen?
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Ich schildere die Verhältnisse, wie sie dort sind, und frage, welche Konsequenzen sich für uns daraus ergeben. Und diese Konsequenzen heißen: es gibt für uns keine Alternative hie Ost, hie West, sondern wir sind schicksalhaft mit dem Westen, mit der freien Welt verbunden.
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Glauben Sie denn, die Sowjetrussen hätten ein Interesse daran, durch die besondere Pflege wirtschaftlicher Verbindungen das wirtschaftliche Potential in Deutschland zu stärken? Ja, höchstens dann, wenn sie uns für schlachtreif halten, aber sonst nicht.
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Nun frage ich, wie die Situation vom Westen her aussieht. Kann denn irgend jemand glauben, daß ein Gesamtdeutschland, das das Bündnis mit der freien Welt und seine Hilfe ausgeschlagen hat, das sich den Gefahren eines aggressiven Zugriffs ausgesetzt sieht, damit rechnen kann, die westliche Welt würde noch bereit sein, dieses Deutschland, das nebenbei auch noch Konkurrent auf dem Weltmarkt ist, wirtschaftlich weiter zu stärken, wenn diese freie Welt nach aller historischen Erfahrung annehmen muß, daß dieses Deutschland genau wie die übrigen Satellitenstaaten in seiner Hilflosigkeit und Vereinzelung auch einmal hinter dem Eisernen Vorhang liegen wird? Das ist nicht wahrscheinlich. Gerade wenn man wie Herr Kreyssig damit rechnet, daß ungünstige Entwicklungen Platz greifen, wenn etwa wirklich einmal ein Rohstoff in der Welt knapp werden sollte, glauben Sie, daß man dann ausgerechnet diesem gefährdeten Deutschland helfen wollte? Die sind doch nicht verrückt geworden! Das sind doch keine solchen Illusionisten, wie es hier im Hause teilweise der Fall ist.
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nicht staatspolitische Erwägungen dahin führen, dann tut es privatwirtschaftliche Vorsicht; denn unser Export beruht heute mit dem Schwergewicht auf der Lieferung von industriellen Großanlagen, langlebigen Investitionsgütern und Produktionsmitteln. Bei solchen Lieferungen ist der Empfänger davon abhängig, daß Reparaturen, Ersatzbeschaffungen, Anschlußinvestitionen gewährleistet sind, und das ist dann eben nicht mehr der Fall.
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- Das können Sie hundertmal sagen; aber die Welt nimmt es Ihnen nicht ab. Auch aus diesem Grunde würde, wenn schon kein Verfall, so doch eine so weitgehende Lockerung der wirtschaftlichen Beziehungen it dem Westen einsetzen, daß ein Rückgang der wirtschaftlichen Tätigkeit, eine zunehmende Arbeitslosigkeit und ein sozialer Verfall die zwangsläufige Folge wären. Auf diese Frage muß Antwort gegeben werden!
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Deshalb sage ich: Wenn der deutsche Arbeiter wüßte, um was es geht und was für ihn auf dem Spiele steht, er würde nicht gegen die Pariser Verträge demonstrieren, sondern er würde auch gegen Sie mit letzter Leidenschaftlichkeit und Entschlossenheit seine Lebensrechte und seine Existenzgrundlagen verteidigen wollen.
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Gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Gestatten Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, die Frage: Ist Ihnen bekannt, daß die Länder Finnland und Schweden, die nicht Mitglieder des Atlantikpaktes sind und keine westlichen Bündnisse eingegangen sind, einen ausgezeichneten weltwirtschaftlichen Handel haben, insbesondere mit dem Westen? Ist Ihnen weiterhin bekannt, -
Bitte, Herr Abgeordneter, zuerst eine Frage!
Ich nenne nur die Länder nacheinander Herr Präsident. - Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß die Länder Jugoslawien und Indien zusätzlich amerikanische Hilfen bekommen, obwohl sie es immer betont abgelehnt haben, ein Westbündnis einzugehen? Und ist Ihnen letztlich bekannt, daß der amerikanische Liebling, Japan, einen ausgesprochen schlechten Welthandel hat, eine ausgesprochen kümmerliche Welthandelsposition? Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie aus diesen Tatsachen?
Ich ziehe daraus die Schlußfolgerung, daß die anderen Länder kein Problem der Wiedervereinigung haben und daß die anderen Länder nicht so sehr auf die Hilfe der freien Welt angewiesen sind
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- ich freue mich, daß Sie das einsehen -, weil die anderen Länder nicht in der Situation stehen wie wir, nachdem Herr Molotow erklärt hat, er werde die demokratische Republik Deutschland nicht wieder zu den kapitalistischen Ländern zurückkehren lassen.
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Herr Minister, wollen Sie noch eine Frage beantworten?
Ja!
Wenn ich Ihre letzten Worte richtig verstanden habe, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann sind Sie also auf keinen Fall für die Wiedervereinigung, weil Sie daraus handelspolitische Nachteile befürchten?
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Ich glaube, die Frage ist damit beantwortet.
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Herr Minister, gestatten Sie noch eine weitere Frage?
Bitte!
Darf ich die Frage stellen, Herr Bundeswirtschaftsminister, warum Sie entgegen Ihrer Ankündigung, im Laufe Ihrer Rede die Frage beantworten zu wollen, die ich Ihnen am Anfang gestellt habe, sie nicht beantwortet haben?
Darf ich nochmals das Stichwort haben?
Stichwort war die angebliche preispolitische Neutralität im Zusammenhang mit der von Ihnen angekündigten Aufreißung der Einfuhrschleuse.
Wird sofort beantwortet.
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter, daß ich Sie darauf aufmerksam mache, daß der Herr Minister nach der Regel, die wir für die Fragestellung getroffen haben, in keiner Weise verpflichtet ist, Ihnen Auskunft darüber zu geben, aus welchen Motiven er eine Frage nicht beantwortet.
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Es heißt hier nämlich, darf ich vorlesen, meine Damen und Herren:
Die Formel „Ich bedauere" schließt die Stellung von Fragen aus. Der Fragesteller hat sich ohne Bemerkung wieder auf seinen Platz zu begeben.
Wenn der Herr Minister Ihnen antworten will, habe ich nichts dagegen.
Wir wollen es gar nicht vertiefen, ich beantworte die Frage.
Die Dinge liegen so: Im Gegensatz zu der Zeit nach Korea sind heute die Weltmärkte völlig ruhig, nicht starr, aber stabil. Ich glaube, die Welt wird auch in den nächsten Jahren keine Notiz davon nehmen, wenigstens nicht, was die Marktverhältnisse anlangt, wenn wir einige Hundert Soldaten auf die Beine stellen. Es besteht also in Deutschland - gerade auch, weil wir eine gute finanzwirtschaftliche Ordnung haben, die ja hier schon zur Sprache gekommen ist - nicht die geringste Veranlassung, anzunehmen, daß irgendwie auf dem Preisgebiet die Dinge in Bewegung geraten könnten. Materiell ist dazu nicht die geringste Veranlassung gegeben.
({0})
Aber ich weiß natürlich, daß die Preise auch aus psychologischen und spekulativen Erwägungen steigen können. Aus diesem Grunde glaube ich es dem deutschen Volke schuldig zu sein - denn das halte ich für unsere vornehmste Aufgabe -, dafür zu sorgen, daß hier wieder Ruhe einkehrt.
({1})
Um da Sicherheit zu geben, wo immer spekulative Erwägungen sich in Gang setzen wollen oder die Menschen aus falscher psychologischer Einstellung heraus, vielleicht aus einer tragischen Rückerinnerung an die Vergangenheit irre werden und unsicher werden wollen, wollen wir dem deutschen Volke sagen, welche Instrumente wir in der Hand haben, um die Geister wieder zu besänftigen und zu beruhigen. Das allerdings war mir ein ernstes Anliegen, hat aber nichts damit zu tun, daß ich etwa glaube, jetzt müßten die Preise steigen, sondern ich möchte wieder das Volk und das Land zur Ruhe bringen im Gegensatz zu den Ausführungen, die Herr Dr. Kreyssig sich geleistet hat.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Frage?
Ja.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage, Herr Minister: Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie eben zum Ausdruck bringen wollten, daß die von Ihnen angekündigte Aufreißung der Einfuhrschleusen nur eine psychologische, aber keine effektive Maßnahme sein soll?
Ich habe sie als eine fleet in being bezeichnet, weil ich der Meinung bin: ein solches Instrument, schon wenn es sichtbar in der Hand zur Anwendung bereit ist, tut bereits seine Wirkung, nämlich die Geister zur Besinnung zu bringen. Wenn es sie nicht tun sollte, würden wir selbstverständlich nicht zögern, es anzuwenden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nicht in die traurige Art der Zwiegespräche einmischen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister soeben von dieser Stelle aus mit meinem Kollegen Kreyssig gepflogen hat. Ich möchte mich auch auf diese Plattform deswegen nicht begeben, weil mir schon kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Februar auffiel, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister sich vor einem Kreis geladener Gäste der CDU zu Äußerungen verstieg wie: „Sie sind zu dumm, um das zu verstehen." Ein anderer Zwischenrufer, der den Versicherungen keinen Glauben schenkte, daß die Bewaffnung keine Preissteigerung zur Folge haben werde, mußte es hinnehmen, vom Redner als Idiot bezeichnet zu werden.
({0})
Ich habe das nur zur Kenntnis genommen und habe mir gesagt, es ist des Deutschen Bundestages unwürdig, in dieser Art von dieser Stelle aus zu sprechen.
({1})
Außerdem habe ich die Auffassung, daß das, was hier zur Debatte steht, die Verträge sind und nicht die Frage einer persönlichen besonderen Geneigtheit und daß die Probleme um die Verträge von einer so entscheidenden Bedeutung für das deutsche Volk sind, daß man sich hier wirklich auf allersachlichster Ebene bewegen sollte.
({2})
({3})
- Nun, bei mir werden Sie das nie feststellen; Sie sind aber zu jung in diesem Hause.
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Ich möchte unmittelbar an die Bemerkung anschließen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister eben machte, als er sagte, daß 9 Milliarden D-Mark für Rüstung ausgegeben werden würden und kein Pfennig mehr.
({5})
- „Und kein Pfennig mehr"!
Ich habe vor mir den Auszug der Rede liegen, die der Staatssekretär Hartmann anläßlich der Haushaltsdebatte von dieser Stelle aus hielt. Es heißt dort:
Dem Kapitalmarkt und seiner Leistungsfähigkeit kommt im Rahmen der Aufbringung des Gesamtaufwandes eine besondere Bedeutung zu.
({6})
Genau dasselbe also, was der Herr Bundesfinanzminister von dieser Stelle gestern und heute auch erklärt hat, daß man nämlich zusätzlich den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen müsse.
In der Rede von dem Staatssekretär Hartmann heißt es dann noch weiter:
Ich möchte aber auch auf die Steuerseite hinweisen, der eine hervorragende Korrekturmöglichkeit bei etwaigen wirtschaftlichen Verzerrungen zufällt.
Und dann heißt es weiter:
Wir haben schon studiert, wie andere Staaten in neuerer Zeit das Problem gelöst und wie sie jeden Mißbrauch ihrer Notenpresse verhindert haben.
Meine Damen und Herren, Sie werden mir zugeben, daß man bei diesen Worten ernsteste Besorgnisse haben muß und daß mit diesen Besorgnissen des Bundesfinanzministers und seines Staatssekretärs die Worte, die hier vom Bundeswirtschaftsminister gefallen sind, in keinem Zusammenhang stehen.
({7})
Ich möchte auch hier für mich persönlich nur feststellen, daß ich die Äußerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers: „Laß doch den Amerikaner die Differenz bezahlen" nicht gerade als ein diplomatisches Meisterstück ansehe.
({8})
Herr Kollege Kreyssig hat auf die Hauptbedenken hingewiesen, die von uns aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus bei diesen Verträgen in den Vordergrund zu stellen sind. Ich möchte auf einige dieser Punkte gar nicht eingehen, sondern ich möchte nur zu dem Punkt etwas sagen, den der Herr Bundeswirtschaftsminister hier besonders herausgegriffen hat: es ist die Frage der Belastungsmöglichkeit des sozialen Gefüges. Ich möchte von vornherein feststellen: es handelt sich bei unseren Darlegungen keineswegs um Prognosen, sondern es handelt sich um das Herausstellen ernster Besorgnisse,
({9})
und dazu sollte man wohl wirklich in der Lage sein. Sie waren so freundlich, den Zwischenruf „Aha!" zu machen. Ich möchte dann doch folgendes sagen. Wir haben unserer Besorgnis bei Abschluß des Schuman-Plans von dieser Stelle aus Ausdruck gegeben, und nach drei Jahren waren es Angehörige der Regierungskoalition, die zu mir kamen und sagten: Was Sie damals zum Schuman-Plan von hier aus gesagt haben, war hundertprozentig richtig.
({10})
Man hat im Wirtschaftsausschuß - und die Auffassung wurde auch vom Wirtschaftsminister vertreten; wie käme auch sonst der Wirtschaftsausschuß in seiner Mehrheit dazu? - beschlossen, „festzustellen, daß die Rüstung ohne eine den sozialen Fortschritt hemmende Belastung der Güterund Arbeitsmärkte vor sich gehen kann." Wir hatten vorhin schon von einem Zitat des Herrn Bundeswirtschaftsministers Erhard gehört, in dem von einer Rüstungskonjunktur gesprochen wurde. Herr Kollege Dr. Pferdmenges ist heute schon mehrfach von dieser Stelle aus zitiert worden. Ich darf mich dem anschließen. Er sprach von einem langsamen Anlaufen der Rüstungsprogramme; also haben wir hier schon den Versuch, diese Schwierigkeiten etwas zu applanieren. Wir haben doch schon einmal erlebt und wissen, wie sich eine Rüstung auf die Wirtschaft auswirkt, und mag sie noch so langsam anlaufen. Veränderungen in der Produktionsquote sind doch selbstverständlich, insofern nämlich, als Investitionen, die bisher in das werbende industrielle Vermögen hineingingen, nun nicht mehr in dieses werbende industrielle Vermögen, sondern in einen anderen Sektor hineingehen; sinngemäß: daß Teile des Sozialprodukts und des Volkseinkommens nicht mehr zum Konsum zur Verfügung stehen. Deswegen ist es doch ein offenes Geheimnis der Wirtschaftswissenschaften, daß hiermit eine Konsumkürzung eintritt.
({11})
- Nein? Ich weiß nicht, wo Sie Nationalökonomie studiert haben. Vielleicht wird Professor Erhard mir helfen. In den 30er Jahren wurde von Professor Lampe eine sogenannte Wehrwirtschaftstheorie entwickelt. Die werden Sie, Herr Professor, sicher besser kennen als ich. Ich war damals in Kanada in Kriegsgefangenschaft, da wurde gerade dieser Gedanke aufgegriffen. Die Ausführungen und die Gedanken von Herrn Lampe stützen sich auf die Ergebnisse nationalökonomischer Untersuchungen. Es ist nun leider so. Sie können sich es ja auch selbst ausrechnen.
({12})
- Nein! Das Sozialprodukt - aber ich möchte Ihnen keine Anfangvorlesung in Nationalökonomie geben - ist ein Stück, das seine Entsprechung im Volkseinkommen findet. Das eine Stück sehen Sie unter dem Blickpunkt des Produzierens, das andere unter dem des Konsums. Nun ist es eine bekannte Tatsache, daß mit anlaufender Rüstung die Konsummöglichkeit sinkt.
Sehen Sie, nun kommt doch für uns natürlich das Bedenken: Wenn die Konsummöglichkeit sinkt, sinkt sie dann in einem solchen Verhältnis, daß das soziale Gefüge bei uns verzerrt wird? Ist es der Fall, dann erreicht man doch eigentlich genau die gegenteilige Wirkung von dem, was man heute will. Das ist das Problem!
({13})
Wenn diese Fragen von meinem Kollegen Kreyssig hier angesprochen wurden, dann doch deswegen, weil wir es bei der Frage der finanziellen Belastung erlebt haben, daß man seitens der Bundesregierung mit, ich möchte beinahe sagen, leichter Hand über diese Probleme hinweggeht und es nicht für nötig hält, ganz exakt die Ziffern auf den Tisch zu legen. So kommen wir doch zu der Mutmaßung, daß man diese Probleme ebenfalls als ziemlich belanglos beiseite drückt.
Nun hat Herr Professor Erhard von der stets wachsenden Zuwachsrate gesprochen. Ich habe hier vor mir liegen einen Auszug aus der Zeitschrift „Der Volkswirt" - es handelt sich nicht um ein sozialdemokratisches Organ, sondern um eine anerkannte wissenschaftliche Zeitschrift - vom 1. Januar; es ist die Nr. 1/55:
Die Jahreszuwachsrate des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik betrug 1951 26,5 Milliarden, 1952 10,9 Milliarden, 1953 6,6 Milliarden, 1954 7,4 Milliarden.
Was ich zunächst feststelle, ist ein Absinken von 26 auf 7.
({14})
- Ja, können Sie anders lesen? Ein Absinken der Zuwachsrate,
({15})
ein Absinken der Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes vom Jahre 1951 bis zum Jahre 1954.
({16})
- Herr Kunze, bitte, ich stelle Ihnen das zur Verfügung; ich brauche es nur jetzt im Moment noch.
- Als Schlußfolgerung sei jedenfalls die Tatsache festgestellt, daß die Zuwachsrate des Sozialprodukts absinkt, d. h. daß man nicht mehr so optimistisch mit einer Zuwachsratensteigerung rechnen kann.
({17})
- Genau dasselbe, Frau Dr. Lüders, hatte ich zur EVG-Debatte festgestellt auf Grund einer wissenschaftlichen Untersuchung von Herrn Dr. Friedensburg, die ich hier von dieser Stelle aus verlesen habe.
({18})
Es heißt dann in diesem Aufsatz weiter - ich zitiere -:
Aber auf diesen relativen Zahlen der Wachstumsraten
({19})
liegt ein falscher Glanz, über dem man allzuleicht die Schatten im Bild vergißt. Macht man die Rechnung je Kopf der Bevölkerung, so sind es nicht mehr die anderen europäischen Länder, sondern wir selbst sind es, die nachhinken, erheblich sogar.
- Und nun hören Sie bitte zu! In Preisen des Jahres 1953 stellte sich der private Verbrauch in der Bundesrepublik je Kopf auf 1543 DM. Mit großem Vorsprung liegen die Engländer bei 2564, die Franzosen bei 2605 und die Belgier bei 2564. So gesehen
- heißt es machen wir, was unseren persönlichen Aufwand angeht, auf dem westeuropäischen Terrain nach wie vor eine beklagenswerte Figur.
({20})
Nun, meine Damen und Herren, ich sage das nur, um zu zeigen, wie groß bei uns der Konsumanteil im Moment ist und daß der Konsumanteil für die breitesten Schichten der Bevölkerung doch durch die Aufrüstung, auch in bescheidenstem Umfang, einem Druck ausgesetzt ist. Es ist doch das soziale Gefüge, was unter Druck gesetzt wird! Die Tatsache, daß das soziale Gefüge in Gefahr ist, kann doch gar nicht bestritten werden. Wir hätten es sehr gern gesehen, wenn statt irgendwelcher Erklärungen vielleicht der Herr Bundesarbeitsminister bindende Erklärungen zur sozialen Sicherheit und zur Sicherheit des sozialen Gefüges von dieser Stelle aus abgegeben hätte.
Meine Damen und Herren, es ist doch so: Wenn Sie eine Aufrüstung durchführen, dann müssen Sie selbstverständlich vom Sozialprodukt und vom Volkseinkommen Teile für den nichtwirtschaftlichen Sektor abzweigen, und nun erst recht bei diesem Finanzieren der Rüstung über die 9 Milliarden hinaus, also zusätzlich durch Steuern und stärkere Inanspruchnahme des Kapitalmarktes. Woher dann unsere Besorgnis? Weil hier eine Entwicklung aufgezeigt wird, deren Anfang die Politiker bestimmen. Aber nur den Anfang! Die weitere Entwicklung bestimmen doch letzten Endes die Militärs.
({21})
Das sind die Sorgen, die wir im Hinblick auf den wirtschaftlichen Sektor der Verträge haben, daß man hier nicht klar genug sieht und nicht klar genug erkennt, daß das wesentliche Fundament der Sicherheit die Ausgeglichenheit der sozialen Struktur ist.
({22})
Meine Damen und Herren, ich gehe jetzt zu dem letzten Sachgebiet e) über - Souveränitäts- und Rechtsfragen - und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schmid. ({0})
- Wenn er nicht da ist, dann bedauere ich, dann erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. von Merkatz.
({1})
- Herr Dr. von Merkatz verzichtet. Dann wäre ich persönlich jetzt dran; ich kann im Moment nicht sprechen. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Greve.
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Ich sehe, daß der Abgeordnete Professor Dr. Schmid gerade kommt. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zunächst um Entschuldigung, da ich den Ablauf dieser Debatte dadurch gestört habe, daß ich bei Aufruf meines Namens nicht im Saale war. Aber ich vermochte mich in der letzten Viertelstunde nicht zu dem Optimismus durchzuringen, daß der Abschnitt, den wir soeben debattierten, so früh zu Ende diskutiert sein würde. Deshalb habe ich mir die Freiheit, vielleicht die Dreistigkeit genommen, für eine Weile aus dem Saal zu gehen.
In dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses und in den Erklärungen der Bundesregierung wird mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen, durch die Verträge erhalte die Bundesrepublik neben
({0})
1 Sicherheit, neben größeren Chancen, eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands betreiben zu können, Gleichberechtigung und Souveränität; außerdem brächten diese Verträge das Ende des Besatzungsregimes. In der Debatte ist außerordentlich viel davon gesprochen worden, was alles die Souveränität, die uns die Verträge geben, uns ermögliche, was uns die Gleichberechtigung bringe und wie anders wir nunmehr würden leben können, nachdem das Besatzungsregime, wie die Verträge es vorsehen, zu Ende gehe.
Es erscheint mir in Anbetracht der Bedeutung der Konsequenzen, die die Bundesregierung aus diesen Verträgen zieht, wichtig und notwendig, auf diese drei Dinge: Gleichberechtigung, Souveränität, Ende des Besatzungsregimes besonders einzugehen. Gerade in den Bereichen der abstrakten Begriffe, in die sich so viel hineingeheimnissen läßt, auch Wünsche, muß Klarheit geschaffen werden; einmal um zu verhindern, daß falsche Hoffnungen erweckt werden, die Enttäuschungen nach sich ziehen könnten - wir wissen aus den bösen Erfahrungen nach dem ersten Weltkrieg, zu was alles enttäuschte Hoffnungen eines Volkes führen können! Deswegen, meine ich, ist es wichtig, genau zu wissen, was denn diese Begriffe an Wirklichkeit beinhalten.
Und dann scheint es mir notwendig zu sein, sich zu bemühen, so klar als möglich zu erkennen, was ist und was nicht ist, um zu verhindern, daß Irrtümer über den Status sowohl der Bundesrepublik als auch Gesamtdeutschlands uns falsche Wege führen - und sei es nur deswegen, weil gewisse Worte in den Verträgen den einen oder anderen vielleicht dazu führen könnten, anzunehmen, die Bundesrepublik und Gesamtdeutschland seien identisch.
Sowohl in den Londoner Deklarationen als auch in den Verträgen heißt es, daß die Bundesrepublik mit ihren Vertragspartnern gleichberechtigt sein werde. Wenn dieses Wort wirklich einen Sinn haben soll, dann muß es doch wohl bedeuten, daß die Bundesrepublik und ihre Vertragspartner in vergleichbaren Situationen in gleicher Weise handeln dürfen und müssen, weiter, daß keiner dem andern gegenüber mehr darf als dieser ihm gegenüber und daß, was einem gegenüber getan werden darf, dieser eine auch jenem gegenüber tun darf. Nun, was wir können und was wir dürfen, was unsere Partner dürfen und was wir ihnen gegenüber nicht dürfen, das steht in den Zusatzverträgen, das steht in den Anhängen, das steht in den Protokollen, das steht in einer Reihe von Briefen, die dem Vertragswerk beigegeben worden sind. Viele hundert Seiten sind so den Hauptverträgen angehängt worden, und nur ganz wenige der Realitäten des Vertragswerkes stehen in den Hauptverträgen.
Wenn man diese Menge Zusatzverträge, Protokolle, Briefe, Anhänge liest, findet man, daß wir zur Ordnung des gegenseitigen Verhältnisses der Vertragspartner Verpflichtungen auf uns genommen haben, die diese unsere Vertragspartner nicht oder nicht in gleichem Ausmaße tragen sollen.
({1})
Diese werden bei uns eine Reihe von Dingen tun können, die wir im Verhältnis zu ihnen nicht tun können und die sie sogar in ihrem Verhältnis untereinander sich gegenseitig nicht konzediert haben.
({2}) Ich meine damit gewisse Bestimmungen: über die Stationierung von Truppen, Eingriffsrechte, finanzielle Lasten und vieles andere noch. Für unsere Partner ist ihr Recht etwas, das in ihrem bloßen Dasein inbegriffen ist, und das ergibt bei der Ausführung der Verträge eine Vermutung für Freiheit ihres Handelns. Für uns aber sind die Rechte gegenüber unseren Partnern etwas, das uns stückweise konzediert oder nachgelassen ist: wir werden im einzelnen nachweisen müssen, ob wir dürfen, was wir wollen!
Vielleicht - ich möchte dies betonen - kann das in der heutigen Lage Deutschlands, der Bundesrepublik nicht anders sein. Aber Gleichberechtigung ist es nicht.
({3})
Ich werfe der Bundesregierung nicht vor, daß sie auf diesem Gebiet nicht mehr erreicht hat; ich werfe ihr vor, daß sie dem Volk gegenüber sagt, was sie erreicht hat, sei Gleichberechtigung.
({4})
Denn das wird Hoffnungen erwecken, die notwendig zu bösen Enttäuschungen führen müssen; und diese Enttäuschungen werden in unserem Volk Verdrossenheiten schaffen, deren sich vielleicht wieder einmal böse Rattenfänger bedienen könnten, wie sie schon einmal auf der Grundwelle enttäuschter Hoffnungen nach oben geschwemmt worden sind.
({5})
Nach diesen Verträgen sind die anderen frei. Wir aber sind nach diesen Verträgen bestenfalls Freigelassene. Das ist ein Unterschied, und zwar nicht nur ein Unterschied in der Bezeichnung, sondern ein Unterschied in der Substanz des Rechts. Politik fängt damit an, daß man die Dinge bei ihrem Namen nennt.
({6})
Mich stören die Bestimmungen über militärische Kontrollen, Waffenerzeugungsverbote usw. nicht. Vielleicht mögen diese Dinge da und dort zu bestimmten Nachteilen führen, ich kann es nicht übersehen; aber im Entscheidenden stören mich diese Dinge nicht. Das Mißtrauen unserer Nachbarn ist verständlich, wenngleich ich mit aller Deutlichkeit sagen möchte, daß diese Maßnahmen, die sie zu ihrer Sicherung glaubten vorsehen zu müssen, auf einer völligen Verkennung der Realitäten beruhen. Die deutschen Möglichkeiten des Jahres 1955 und der folgenden Jahre sind völlig andere als die des Jahres 1924 und der Jahre, die folgten.
({7})
Damals gab es eine politische Konstellation, die die Möglichkeit gab, eine Schaukelpolitik zu betreiben. Heute gibt es diese Möglichkeit doch nicht mehr.
Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Manche glauben, von den Deutschen ein neues Tauroggen befürchten zu müssen. Leider gibt es noch einige Stabstrompeter von Preußens Gloria, die manchem einen solchen Verdacht nahelegen könnten,
({8})
aber in der Wirklichkeit dieser Zeit ist dieser Fall aus folgendem Grunde unmöglich: wenn vor 30, 40 Jahren ein Staat seine Bündnisse wechselte, so bedeutete das für den einzelnen Staatsbürger keinen großen Unterschied. Sein Leben ging weiter,
({9})
wie es vordem war. Wenn sich heute eine Nation einfallen ließe, sich, sagen wir, mit Sowjetrußland zu verbünden, so würde das für jeden einzelnen Menschen dieser Nation bedeuten, daß sich seine Lebensbedingungen fundamental zum Schlechten, ja zum Abscheulichen verändern müßten,
({10})
und darum ist diese Möglichkeit ausgeschlossen!
Aber wenn ich auch, wie gesagt, diese Bestimmungen über militärische Kontrollen usw. usw. für verständlich halte und wenn sie mich nicht weiter stören, - Gleichberechtigung verraten sie nicht. Vor allen Dingen ist eines zu sagen: Die Truppen der Vertragspartner haben auf deutschem Boden und den deutschen Menschen gegenüber Rechte, die sie sich gegenseitig nicht konzediert haben und nicht konzedieren wollen. Die amerikanischen Truppen z. B. werden auch auf Grund dieser Verträge auf deutschem Boden mehr tun dürfen als etwa auf französischem Boden oder in Großbritannien, und wir müssen für sie mehr leisten als etwa die Franzosen oder die Briten das auf Grund der Vereinbarungen zwischen ihnen und den Amerikanern müssen.
Und - es soll nicht unerwähnt bleiben, wenngleich es sich nach den Bestimmungen des Vertrags nur um ein Zwischenstadium handeln soll - wo bezahlt denn ein Staat, der fremden Truppen Stationierungsrechte einräumt, noch ihre Unterhaltungskosten? Ich glaube, es ist ein einmaliger Fall, daß ein Staat, der sein Gebiet fremden Truppen zur Verfügung stellt - und das ist doch der Sinn dieser Verträge, wenn ich recht verstanden haben sollte -, noch, wenigstens in den ersten Jahren, für diese Truppen Unterhaltungskosten bezahlt. Man hat hierfür ein Argument, das sogenannte Quantitätsargument. Man sagt, die Verhältnisse hier und die Verhältnisse in Frankreich und Großbritannien könnten nicht verglichen werden; denn in Frankreich und Großbritannien seien nur verhältnismäßig kleine Einheiten fremder Truppen stationiert, während auf deutschem Boden ganze Armeen garnisonierten. Gewiß ist das richtig, nur würde ich daraus genau den umgekehrten Schluß ziehen. Gerade weil wir in Deutschland mit mehr fremden Truppen belastet sind als die andern, müßten unsere vertraglichen Lasten geringer sein als die der Staaten, die durch weniger Truppen belastet werden als wir. Gerade deswegen muß der Schutz des Landes gegen Belastungen durch die Truppe größer sein als in Ländern, in denen nur wenige Truppen garnisonieren, wo also das Gewicht dieser Truppe auf dem Leben der Nation soviel weniger lastet.
({11})
Demgegenüber bedeutet es doch im Praktischen nicht viel, daß nunmehr in den Texten der Verträge die Nennung der vertragschließenden Teile in der alphabetischen Reihenfolge erfolgt, worauf in dem Ausschußbericht besonders hingewiesen worden ist. Nun, das ist nett und freundlich von den anderen Mächten, aber es kostet nicht viel und bedeutet doch praktisch gar nichts. Was in diesen Verträgen etwas bedeutet, das ist nicht so sehr das Vokabular als das „Du sollst" in bezifferter Form. Demgegenüber sind abstrakte Verpflichtungen und Berechtigungen nicht sonderlich bedeutsam und nicht sonderlich real.
In diesen Verträgen steht weiter, daß nunmehr das Besatzungsregime aufhören soll. Aber mit der Auflösung der Hohen Kommission ist es nach meinem Dafürhalten nicht getan. Das für sich allein wäre noch kein schlüssiger Beweis dafür, daß die Befugnisse der Besatzungsmächte, der Mächte, deren Truppen bei uns sind und bleiben sollen, nun aufhören, Besatzungsrechte zu sein. Besatzungsregimes können unsichtbar in einer Art von Ruhezustand weiter bestehen, und können, wenn auch unter anderem Namen, vielleicht wieder aufstehen. Entscheidend sind auch hier nicht die Vokabeln, deren man sich bedient hat, sondern die konkreten und speziellen Berechtigungen und Verpflichtungen, die in den Verträgen verzeichnet stehen. Man braucht nur auf den Art. 2 des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimés zu verweisen. Die Rechte der Besatzungsmächte auf dem Gebiet der Abrüstung und der Demilitarisierung sollen weiterbestehen. Freilich wird der Apparat geändert, freilich werden die Zuständigkeiten geändert. Aber im Grunde bleibt es doch zumindest bei einem Rest des Besatzungsregimes und der Verwirklichung von Besatzungszwecken unter der Kontrolle unserer Vertragspartner.
Oder man betrachte die Bestimmungen des Art. 2 des Deutschlandvertrags, worin sich die Besatzungsmächte ihre Rechte in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin vorbehalten. Ich möchte hier auch betonen, was mein Freund Herbert Wehner betont hat. Ich halte diese Bestimmung für notwendig. Nur wäre es mir sehr viel lieber gewesen, wenn man diesem Komplex in den Verträgen mehr, als es geschehen ist, den Charakter von Verpflichtungen gegeben hätte, während es jetzt so aussieht, als habe man ein Monopol der Westmächte auf eine Politik begründen wollen, deren Ziel die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sein soll, ja, ein Monopol über alles, was Deutschland als Ganzes in der einen oder in der anderen Weise betrifft. Es ist zu fürchten, daß man vielleicht aus dieser Art der Fassung der Bestimmungen auf der anderen Seite das Recht ableiten wird, einer eigenen deutschen Wiedervereinigungspolitik Bremsen anzulegen.
Mag das so sein, mag es anders sein: die Bestimmung hat doch nur dann einen Sinn, wenn man das Weiterbestehen des Besatzungsrechtes wenigstens der Substanz nach annimmt. Da möchte ich nun vom Praktischen her fragen: Ist man sich ganz sicher, wo die Grenzen der Ausübung dieses Rechtes liegen? Sind wir uns genügend deutlich bewußt, was alles nicht vielleicht unter Berufung auf diesen Art. 2 neu erweckt werden könnte? Freilich, es gibt da den bekannten Brief der Hohen Kommission vom 26. Mai 1952, in dem es heißt, daß dieser Vorbehalt nur dazu diene, die Rechtsposition gegenüber der Sowjetunion zu wahren. Dieses Vorbehaltsrecht könnte das Besatzungsregime nicht wiederherstellen; es könnte der deutschen Souveränität nicht widersprechen. Aber ich frage mich, wie man diesen Brief vielleicht in schwierigen Zeiten wird auslegen wollen. Man hat sich doch in dieser Zeit eine recht wirksame Technik zurechtgelegt, neue Worte zu erfinden, durch die man ein Ding als etwas ganz anderes erscheinen lassen kann, als es in Wirklichkeit ist.
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Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Früher hätte man zu den Operationen um das Saargebiet - ich meine zu den Absichten Frankreichs - gesagt: „Die wollen das Saargebiet von Deutschland abtrennen". Heute sagt man dafür: „Die wollen das Saargebiet europäisieren."
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Und dann dürfen wir bei der Betrachtung dieses Art. 2 nicht vergessen, daß fremde Truppen in unserem Lande doch auch ihr eigenes politisches Schwergewicht haben. Wie leicht könnte einer Macht in Anknüpfung an den Art. 2 die alte Pfändertheorie einfallen, mit der man schon so oft Verträge in der Anwendung recht wirksam „interpretiert" hat. Es läßt sich doch schon aus dem Sprachgebrauch heraus nicht bestreiten - es heißt: die Westmächte b eh alt en ihre Rechte -, daß sie zumindest dieses Recht nach Art. 2 als ein originäres Recht ansehen und nicht als ein ihnen von uns vertraglich übertragenes. Und da gibt es eine praktische Frage, auf die eine Antwort gegeben werden sollte: Gelten auch für unter Berufung auf Art. 2 in Anspruch genommene Befugnisse unserer Vertragspartner die Beschränkungen, die für die klar auf Vertrag beruhende Stationierung der fremden Truppen gelten sollen?
Es ist sicher ein Fortschritt, daß die ursprünglich vorgesehenen Notstandsbestimmungen gefallen sind, aber zunächst besteht ja das Notstandsrecht der Vertragspartner weiter. Es soll erst fallen, wenn die Bundesrepublik wirksame gesetzliche Bestimmungen für den Schutz der Besatzungstruppen erlassen hat. Nun frage ich: wer entscheidet, ob ein Notstandsgesetz der Bundesrepublik den Besatzungsmächten als genügend wirksam gelten muß? Ist es die Bundesrepublik, die die Entscheidung trifft? Sind es die Besatzungsmächte? Und was geschieht, wenn diese der Meinung sein sollten, ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz garantiere den Schutz ihrer Truppen nicht in ausreichender Weise?
In einem Brief, den der Herr Bundeskanzler an die Vertragspartner gerichtet hat, wird diesen mitgeteilt, daß die Bundesregierung der Auffassung sei, daß das gemeine Völkerrecht den Truppen unserer Vertragspartner das Recht gebe, Notwehr zu üben, unter Umständen unter Waffengebrauch. Ich frage mich, ob hier das geltende gemeine Völkerrecht wirklich richtig gesehen worden ist. Wenn ich nicht falsch berichtet bin, ist es doch so, daß Truppen, die in einem fremden Land garnisonieren, das Recht ihrer Heimat mitbringen. Das bedeutet natürlich, daß jeder einzelne Soldat und jede Gruppe von Soldaten, die angegriffen werden sollten, sich wehren dürfen. Aber eine organisierte kollektive „Notwehr" kann überall in der Welt nur nach Verhängung des Notstands oder des Belagerungszustands geübt werden. Mit anderen Worten: die Verteidigung einer Kaserne, die angegriffen werden sollte, kann natürlich von der Truppe ohne weiteres durchgeführt werden; aber z. B. das Ausrücken von Truppen, um die Straßen frei zu machen oder um Elektrizitätswerke zu besetzen, wäre doch nur möglich, wenn vorher das Notstandsrecht proklamiert worden ist. Die Frage ist, ob man mit der Anerkennung eines besonderen Notwehrrechts der fremden Truppen diesen damit nicht gleichzeitig - denn nur dann hat dies für sie einen praktischen Sinn - das Recht einräumt, auch, in gewissen Fällen wenigstens, den Notstand oder den Belagerungszustand zu erklären. Ich fürchte, daß über diesen Brief des Herrn Bundeskanzlers - sicher völlig unbeabsichtigt - das Notstandsrecht der Militärbefehlshaber, das der alte Vertrag vorgesehen hat, über eine Hintertreppe wieder eingeführt werden könnte.
Es könnte in diesem Zusammenhang noch auf sehr vieles andere verwiesen werden; es gibt da sehr viel, was es verständlich macht, daß der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung geglaubt hat, feststellen zu können, die Westmächte hätten ihr Besatzungsrecht der Substanz nach beibehalten und sich in den Verträgen lediglich verpflichtet, es ruhen zu lassen. Besteht nicht die Gefahr, und zwar eine Gefahr jenseits aller juristischen Definitionen und Argumentationen, daß, wer so denkt, einmal auf den Gedanken kommen könnte, dieses ruhende Recht wieder praktisch aufleben zu lassen?!
Nun die Souveränität! Art. 1 des Vertrags bestimmt, daß die Bundesrepublik - ich zitiere -„die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben" soll. Das ist ein großes Wort, ohne jede Frage. Aber mir scheint es auch hier notwendig und nützlich zu sein, zu prüfen, was hinter diesen Worten denn für eine Wirklichkeit steckt. Was heißt denn „Souveränität"? Der Begriff bedeutet, daß ein Staat, ohne einen Dritten fragen zu müssen, die Politik treiben darf, die er glaubt treiben zu müssen. Er bedeutet das Recht eines Staates, Verpflichtungen eingehen zu können, Rechte erwerben zu können, und er bedeutet weiter - und das ist der eigentliche substantielle Gehalt des Begriffs - das Recht einer Nation, ohne Genehmigung, ohne Zustimmung eines Dritten die Formen und die Inhalte ihrer politischen Existenz zu bestimmen und demgemäß nach innen und außen zu handeln. Freilich - um gleich hier Einwänden zu begegnen - wird diese rechtliche Freiheit des Handelns politisch immer an das Ausmaß der Macht, über die ein Staat verfügt, gebunden sein, und eventuell an das Ausmaß der Macht von Staaten, die ihm entgegengesetzte Interessen gegenüberstellen. Aber entscheidend ist doch, daß sich in dieser Begegnung gegenläufiger Interessen das Mögliche in freier Auseinandersetzung und nicht auf Grund des rechtlich zu beachtenden Willens eines Dritten ergibt.
Ohne Frage ist es ein Fortschritt im formalen Sinn, was sich aus Art. 1 als Konsequenz ergeben muß, daß die Westmächte kein Recht mehr in Anspruch nehmen, einseitig über Bestand und Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik zu verfügen, soweit in den Verträgen nicht solche Möglichkeiten in Einzelfällen besonders eingeräumt sein sollten. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß damit im Formalen zumindest die Fremdherrschaft über die Bundesrepublik aufgehört hat. Aber etwas, was ich gleich anfügen möchte: nehmen wir an, diese Bestimmung der Verträge existierte nicht; glaubt denn einer, die Besatzungsmächte wären heute imstande, solche Verfügungen zu treffen gegen den Willen eines deutschen Volkes, das doch heute etwas ganz anderes ist und einen ganz anderen Rang im politischen Bezugssystem der Welt einnimmt als 1946?!
({14})
-- Ich kann mir die Zwischenfrage vorstellen, die Sie vorhaben, nicht in erster Linie und nur wegen der Dinge, die in den letzten paar Jahren passiert sind, sondern aus einer ganzen Reihe von Gründen, aus dem Verdienst einer ganzen Reihe von Männern, einer ganzen Reihe politischer und nichtpolitischer Gruppen; dazu gehört ohne jede Frage auch die Bundesregierung. Aber es ist nicht allein ihr Verdienst,
({15})
und es ist, glaube ich - und hier werden Sie mir
keinen Beifall mehr spenden -, nicht in erster
({16})
Linie das Verdienst der Politik, die sie in letzter Zeit getrieben hat.
({17})
Nach den Verträgen soll Deutschland, die Bundesrepublik, in ihren Angelegenheiten, auch in ihren äußeren Angelegenheiten, souverän sein. Soll das bedeuten, daß sie damit die Außenpolitik treiben kann, die sie treiben will? Kann sie das? Kann sie das in Anbetracht der Umstände, in denen wir leben?
Das Gebiet der Bundesrepublik ist heute Garnison für die Armeen dreier großer Staaten, die gestern noch in Anspruch nahmen, in Deutschland die oberste Gewalt auszuüben, und die es auf einem bestimmten Feld - Art. 2 - heute noch beanspruchen. Und da frage ich: Kann unter solchen Umständen die Bundesrepublik - Verträge hin, Verträge her - das letzte Wort haben, mit anderen Worten: kann sie da souverän sein? Auch hier möchte ich in aller Sachlichkeit fragen. Meine Damen und Herren, ich will hier keinen Prozeß führen, ich will feststellen: Was ist die Wirklichkeit dieser Verträge und was ist die Wirklichkeit, die hinter diesen Verträgen steht?
Kann unter solchen Umständen die Bundesrepublik das letzte Wort haben? Nur wenn sie es hätte, könnte man aber sagen: sie ist souverän, und weil sie dieses letzte Wort nicht hat, sollte man nicht sagen, wir seien souverän, und man sollte es auch dann nicht sagen, wenn dieses Wort in den Verträgen steht.
({18})
Wäre es z. B. der Bundesrepublik möglich, eine Politik zu betreiben, die von einer dieser Mächte, deren Armeen auf ihrem Gebiet stehen, als gegen ihr Fundamentalinteresse gerichtet betrachtet würde? Ich erhebe gegen niemand einen Vorwurf, daß diese Situation so ist und nicht verhindert wurde. Ich glaube nicht, daß dies hätte erreicht werden können. Aber ich wiederhole: ich mache der Regierung und den Parteien, die sie stützen, einen Vorwurf daraus, daß sie in Anbetracht dieser Realität dem deutschen Volk sagen, wir seien nunmehr souverän. Denn die Leute verstehen darunter draußen, daß wir nunmehr wirklich tun könnten, was wir tun wollen und tun sollten.
({19})
Um ein Beispiel zu nehmen: Der Herr Bundeskanzler hat sich sehr ausführlich darüber geäußert, daß wir nunmehr die Möglichkeit hätten, mit der Sowjetunion in diplomatische Beziehungen zu treten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? Herr Abgeordneter von Merkatz wünscht sie zu stellen.
Bitte, Herr von Merkatz!
Herr Abgeordneter, ich empfinde einen starken Widerspruch in Ihren Ausführungen. Sie haben ausgeführt, daß dieser Vertrag
({0})
eine Freiheit der Außenpolitik eigentlich in der Substanz nicht gestatte. Auf der andern Seite ist die ganze Grundlinie der Opposition auf eine Außenpolitik gerichtet, die ein höchstes Maß an Freiheit der Handlung wünscht. Wie verträgt sich dieses Grundziel der Opposition mit Ihren Ausführungen, die ja gegen die Verträge gerichtet sind, Verträge, die uns doch aber nach Art. 1 Abs. 2 des Deutschlandvertrages ein hohes Maß an Souveränität der Handlung gewähren?
Herr von Merkatz, ich will versuchen, Ihre Frage zu beantworten. Ich hoffe, ich werde es in einer Weise tun können, die Sie befriedigt. Meine Ausführungen bedeuten, daß die Souveränität der Bundesrepublik im substantiellen Sinne, d. h. die Möglichkeit, eine Politik nach eigenständiger Konzeption zu betreiben, durch die Verhältnisse, in denen die Bundesrepublik leben muß, sachlich bestimmte Grenzen hat. Ich behaupte weiter, daß die Verträge an diesen Dingen nichts ändern, und ich werfe der Bundesregierung vor, daß sie dem deutschen Volke sagt, durch diese Verträge habe sich daran etwas geändert.
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Ich wollte später noch weiter ausführen, Herr von Merkatz, daß ich glaube, daß die Bundesrepublik sehr wohl etwas tun kann, sehr wohl politisch handeln kann - etwa im Sinne einer Aktivierung der Wiedervereinigungspolitik, soweit wir dazu unsere Vertragspartner brauchen -, nämlich dadurch, daß sie mehr auf diese Vertragspartner einwirkt, als es vielleicht geschehen ist, wirksame Schritte zu unternehmen, die die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung Deutschlands schaffen können.
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Was z. B. die Annahme betrifft, die Bundesrepublik könne nunmehr kraft der Souveränität, die ihr in den Verträgen verliehen worden ist, normale diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion anknüpfen, so hat die Verleihung von „Souveränität" doch Wirkung nur im Verhältnis von uns zu denen, die sie uns verliehen haben bzw. die diesen Akt anerkannt haben. Herr von Merkatz, ist das so, oder ist das nicht so?
Gestatten Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Aber natürlich, ich habe es immer gern, wenn Herr von Merkatz Fragen stellt.
({0})
Wie glauben Sie, daß eine Wiedervereinigungspolitik aktiviert werden könnte ohne die Befugnisse des Art. 1 Abs. 2 und die grundsätzliche Stellung der Regierung und dieses Teiles Deutschlands nach den Verträgen?
Herr von Merkatz, ich bin davon überzeugt, daß unsere Partner mit oder ohne Verträge die Stimme der Bundesregierung nicht überhören würden, wenn diese ihnen energisch zurufen sollte, was sie von ihnen erwartet.
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Ich bin überzeugt, daß mit oder ohne Verträge die Stimme dieses deutschen. Volkes von unseren Vertragspartnern nicht überhört werden wird.
({1})
Aber vielleicht darf ich jetzt fortfahren, Herr von Merkatz.
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- Aber es wären dann vielleicht brauchbare Faktoren einer deutschen Politik.
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Nun, der Herr Bundeskanzler hat uns sehr eindringlich gesagt, daß wir jetzt auf Grund dieser Verträge, auf Grund der Souveränitätsbestimmung, die darin enthalten ist, die Möglichkeit hätten, diplomatische Beziehungen mit Moskau, mit dem Kreml, mit der Sowjetunion - drei Kreuze, Herr Strauß! ({5})
aufzunehmen. - Wie sie in Ihrer Heimat über den Stalltüren stehen, um die bösen Geister abzuwehren, nicht im Sinne der „Dämonologie", von der Sie vorgestern sprachen!
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Wenn wir diplomatische Beziehungen mit Moskau aufnehmen wollen, setzt doch die Verwirklichung dieses Wunsches voraus, daß die Sowjetunion die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit uns wünscht und will, nicht wahr?
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Gut! Wenn wir also davon ausgehen, daß sie die diplomatischen Beziehungen, die wir wünschen, mit uns auf der Grundlage der uns heute vorliegenden Verträge unterhalten solle, würde die Verwirklichung unserer Absicht doch voraussetzen, daß die Sowjetunion diese Verträge als die Rechtsgrundlage des politischen Status der Bundesrepublik akzeptiert. Mit anderen Worten: die Verwirklichung unseres Anliegens setzte voraus, daß man sich mit der Sowjetunion zum mindesten über einen provisorischen internationalen Status der Bundesrepublik und wohl auch Gesamtdeutschlands geeinigt hat. Ohne das ist es doch schlechterdings nicht möglich, diplomatische Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik zustande zu bringen. Das bedeutet aber, daß solche diplomatischen Beziehungen nur möglich sein werden auf der Grundlage von Vereinbarungen, bei denen die Sowjetunion doch nicht verfehlen wird, ihr Interesse und ihre Vorstellungen von der bestmöglichen Ordnung Europas sehr energisch geltend zu machen. Und damit ist man doch wieder bei der Notwendigkeit von Viermächteverhandlungen angelangt! Anders läßt sich doch nicht herstellen, was Sie wünschen, Herr Bundeskanzler. Die Voraussetzungen für die Entsendung eines deutschen Botschafters nach Moskau und für den Antrittsbesuch eines Moskauer Botschafters beim Herrn Bundespräsidenten können doch nur auf Grund einer Vereinbarung zwischen den drei Westmächten und Moskau und der Bundesrepublik geschaffen werden! Anders ist es doch einfach nicht möglich. Mit anderen Worten: Wenn Sie wirklich diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion herstellen wollen, müssen Sie so rasch wie möglich Vierer-, ja Fünferkonferenzen verlangen.
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Es scheint mir auf diesem Felde mit unserer Souveränität nicht sehr weit her zu sein. Man vergißt in der Bundesrepublik zu häufig, daß Verträge Wirkungen nur erzeugen inter partes, daß dadurch also kein absoluter, von allen anzuerkennender Status erzeugt wird.
In den Verträgen verpflichtet sich die Bundesrepublik, eine ganze Reihe besonderer Bindungen einzugehen. Eine ganze Menge davon sind ausgezeichnet, und es ist nichts dagegen zu sagen. Wer könnte etwas dagegen haben, daß wir uns verpflichten, Politik auf der Grundlage der UNO-Prinzipien zu machen? Das ist ganz richtig und soll auch gar nicht anders sein. Aber daneben hat die Bundesrepublik eine Reihe von materiellen Bindungen ihrer Souveränität, d. h. ihrer Möglichkeit, politisch frei zu handeln, übernommen, die recht weit gehen. Nun, vertragliche Bindungen brauchen in sich selber nichts Schlechtes zu sein. Es gibt keinen Staat, der nicht vertragliche Bindungen seiner Handlungsfreiheit eingegangen wäre und der das nicht immer wieder täte. Aber man muß da unterscheiden: Es gibt Bindungen auf der Ebene des Normalen, auf der das Prinzip der Gegenseitigkeit, der Reziprozität, herrscht, das heißt: ich verpflichte mich zu etwas, damit der andere auf derselben Ebene etwas tue, woran ich ein Interesse habe. Aber es gibt auch andere Bindungen, und das sind die Bindungen, wie sie zum Teil, zum großen Teil in diesen Verträgen übernommen rw rden sind: einseitige Bindungen, die nur auf Grund der durch die Siegermacht geschaffenen Tatsachen eingegangen worden sind.
Wenn ein souveräner Staat in einem Vertrag auf Rechte verzichtet, so handelt er bei Verfolgung seiner Interessen in Ausübung seiner freien Selbstbestimmung. Wenn der Vertragspartner auf seine Vorschläge und Absichten nicht eingehen will und es kommt keine Einigung zustande, dann bleibt er souverän, d. h. Herr seiner selbst. Kommt es zu einer Vereinbarung, dann ist in diesem Fall die vertragliche Bindung in der Tat ein Ausfluß seiner Souveränität, und er kann Gegenleistungen auf der gleichen Ebene seiner Leistungen fordern.
Aber ganz anders ist doch der Fall der Bundesrepublik! Hier hat ein Staat, dem man die Ausübung seiner Souveränität durch die Besetzung unmöglich gemacht hat, um die Lockerung seiner Fesseln zu erreichen, sich durch Verträge verpflichtet, bestimmte Rechte nicht in Anspruch nehmen, die souveräne Staaten für sich in Anspruch zu nehmen pflegen. In diesem Falle ist die vertragliche Einschränkung der normalen Handlungsfreiheit nicht ein Ausfluß der Souveränität, sondern ein Zeichen dafür, daß man die Souveränität nicht hat. Es ist eine Beinahe-Souveränität, die da geschaffen worden ist, aber keine echte und volle. Sie kann ihre Nützlichkeit haben, aber auf der andern Seite hat mancher schon mit dem „Beinahe" die Wege zum Ganzen blockiert.
Der Herr Bundeskanzler hat uns gesagt, daß die Souveränität, die uns in den Verträgen gegeben werden soll, uns eine ganz andere Möglichkeit gebe, auf die Abrüstungsbereitschaft der anderen Staaten zu wirken, als dies heute der Fall sei. Nun, auch hier möchte ich eine schon gestellte Frage wieder stellen: Glauben Sie nicht, daß man auch ohne die Verträge draußen in der Welt die Stimme der Bundesregierung anhören würde, wenn sie an etwas so Vernünftiges appelliert wie die Abrüstung?
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Und glauben Sie, daß man die Stimmen aus diesem Bundestag und die Stimmen aus den tausend Kundgebungen, die von der Paulskirche ausgegangen sind, draußen nicht gehört hat?
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Auch diese Verträge werden uns, zumindest für geraume Zeit nicht mehr Möglichkeiten geben als eine Außenpolitik der Ordnung der nachbarschaftlichen Beziehungen, der Kooperation, der Koexi({11})
Stenz - nicht im sowjetischen Sinn, Sie verstehen, was ich meine - zu treiben: eine Politik der Handelsverträge und anderer sehr guter, nützlicher, notwendiger Sachen. Aber die eigentliche „politische" Außenpolitik, wenn ich so sagen darf, nämlich eine Außenpolitik, die auf Veränderung und Begründung von Machtverhältnissen - das Wort ohne dämonischen Akzent verstanden, Herr Strauß
ausgeht, wird sich auch nach diesen Verträgen darauf beschränken müssen, auf die Westmächte zu wirken, mit denen wir diese Verträge geschlossen haben. Und da geben, meine ich, die Verträge keine anderen realpolitischen Möglichkeiten als die, die jetzt schon bestehen.
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Diese Mächte haben in diesen Verträgen auch Verpflichtungen übernommen, z. B. die Verpflichtung, die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem politischen Anliegen auch ihrer selbst zu machen. Aber - es ist wohl schon gesagt worden - diese Verpflichtungen sind ganz abstrakt. Es sind Blankettbestimmungen. Und solche Blankettbestimmungen interpretieren im jeweils konkreten Fall souveräne Mächte selbst! Das ist kein Vorwurf gegen irgend jemand; es ist die Feststellung einer Tatsache. Und hier werden obendrein Mächte diese Verpflichtung interpretieren, die auf unserem Boden Truppen stehen haben. Und diese Truppen sollen ja nicht nur Verteidigungstruppen sein, sondern - die Debatte in der französischen Nationalversammlung hat es klar erwiesen - auch Pfandhalter.
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Hier hat - im Zusammenhang mit den Ausführungen meines Freundes Wehner über die Verpflichtungen unserer Partner, eine Wiedervereinigungspolitik zu treiben - Herr Minister Srauß einige Fragen an uns gestellt, Herr Minister Strauß, dessen Sonderaufgaben in oder für das Kabinett vorgestern manifest geworden sind,
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Herr Minister Strauß, dessen Natürlichkeit, die, wie jene des Nadowessiers in Seumes unsterblichem Gedicht durch Europas übertünchte Höflichkeit noch nicht verdorben worden ist.
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Herr Strauß hat uns mit der Subtilität eines Auditors einer Nebenstelle des Inquisitionstribunals einige Fragen gestellt.
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- Ja, sicher, Herr Strauß, die Verwandtschaften sind so entfernt nicht.
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Aus diesen Fragen sollte hervorgehen, daß wir entweder in den guten Willen der Westmächte Vertrauen setzten - dann dürften wir aber keine Sorgen um die Wiedervereinigung haben - oder daß wir kein Vertrauen zu dem guten Willen der Westmächte hätten, - dann aber sei unsere Forderung nach einer Viererkonferenz sinnlos. Diese Fragen haben Sie gestellt.
Nun, meine Damen und Herren, allen Ernstes: ich habe in dieser Beziehung alles Vertrauen in den guten Willen der Westmächte, in ihren guten Willen, ihre Interessen zu wahren und zu verfolgen,
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und ich bin überzeugt, daß die Westmächte begriffen haben, daß ihr Interesse auch die Wiedervereinigung Deutschlands ist.
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Dieses Interesse aber besteht mit oder ohne die Verträge!
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Aber auch mit den Verträgen steht dieses ihr Interesse neben anderen Interessen, die sie haben, und neben anderen politischen Anliegen und anderen eigenen Notwendigkeiten, und sie werden. - das ist die Pflicht ihrer Regierungen - jeweils in jeder Lage prüfen, welche ihrer Interessen sie glauben mit Vorzug verfolgen zu müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Aber bitte, Herr Strauß!
Herr Kollege Schmid, glauben Sie nicht, daß es für die Erreichung unserer Ziele vorteilhafter ist, wenn zwischen uns und den Westmächten in diesen Zielen eine weitgehende Identität besteht, und daß diese Identität um so größer wird, je handlungsfreier und gleichberechtigter wir neben ihnen stehen?
Richtig, je handlungsfreier und gleichberechtigter wir neben ihnen stehen. Aber hier kann man nicht im Komparativ sprechen, sondern hier muß man im Positiv reden, dann. heißt es aber: so gleichberechtigt, wie wir sind!
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Wie gesagt, ich erhebe keinen Vorwurf, Herr Strauß, gegen diese Leute. Das Wesen der Politik besteht darin, daß man das Interesse des Staates, dessen Geschicke man lenkt, verfolgt.
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- Darum haben sogar bei Bündnisverträgen, Herr Haasler, die Partner das souveräne Recht, zu bestimmen, wann der Bündnisfall gegeben sein soll. Und so ein Bündnisvertrag ist doch ein sehr viel engeres Verhältnis als eine Vertragsbestimmung, die darauf ausgeht, eine langwierige Politik für die Zukunft festzulegen. Anders ist es bei Systemen kollektiver Sicherheit, wenn darin ein Organ vorhanden ist - wie etwa der Sicherheitsrat der UNO -, das bestimmt: Jetzt ist der Bündnisfall gegeben. Aber in dieser Lage sind wir hier nicht.
Ein Beispiel dafür, wie die Staaten und Regierungen in diesen Dingen denken, kann man in der Regierungserklärung der jüngsten französischen Regierung finden. Sie haben sie sicher gelesen, Herr Bundeskanzler. Diese Erklärung ist sehr lang. Die Außenpolitik hat darin nur einen verhältnismäßig kleinen Platz. Aber es stehen einige bemerkenswerte Dinge darin. Es werden sehr viele Worte darüber gemacht, wie nützlich es für Frankreich sei, das Saarabkommen durchzuführen, Worte darüber, daß die Verhandlungen Paris-Saarbrücken weitergehen müßten, aber nicht ein einziges Wort über eine Wiedervereinigungspolitik!
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Dagegen stellt man dort fest, der Wert dieser Verträge sei für Frankreich, Deutschland in die Ge({3})
meinschaft des Westens einzubeziehen. Das sei das Entgelt, das Frankreich für die Genehmigung der Wiederbewaffnung Deutschlands erhalte, und dieser Vertragszweck sei das Opfer wert, das Frankreich bringe.
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Das Mindeste, was mir daraus hervorzugehen scheint, ist, daß die französische Regierung den Bestimmungen der Verträge, die sich auf die Wiedervereinigungspolitik beziehen, ein besonderes Gewicht nicht beizumessen scheint.
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Eine besondere Bedeutung ist in der Debatte dem Umstand beigemessen worden, daß die Partner dieser Verträge erklärt haben, die Bundesregierung sei die einzige Regierung, die für das ganze deutsche Volk sprechen könne. Das ist eine Erklärung, die lediglich wiederholt, was im September 1950 zu New York schon erklärt worden ist. Was ist die Tragweite dieser Erklärung? Sie bedeutet nicht, daß die Bundesregierung eine Art vorweggenommener Regierung Gesamtdeutschlands sei,
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weder aktiv noch passiv. Darüber besteht wohl kein Zweifel in diesem Hause. Diese Erklärung bedeutet: Die Westmächte akzeptieren, daß die Bundesrepublik und damit die Bundesregierung Treuhänderin für Gesamtdeutschland ist, d. h. wie ein Treuhänder Rechte wahren und Rechte erwerben kann, aber nicht über Bestand oder Rechte Gesamtdeutschlands verfügen kann.
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Es hat in der vorletzten Debatte der französischen Nationalversammlung eine recht interessante Anfrage an den französischen Ministerpräsidenten, damals Herrn Mendès-France, gegeben und eine noch interessantere Antwort des Befragten. Die Frage lautete: Ob denn damit die Bundesregierung die Rechte einer gesamtdeutschen Regierung haben werde? Die Antwort war so, daß man daraus entnehmen kann, der französische Ministerpräsident sei der Meinung gewesen, der Sinn dieser Bestimmung sei, die Bundesrepublik zu legitimieren, Verträge etwa in der Art des Saarstatuts abzuschließen und daß sich nach französischer Auffassung die politische Bedeutung der Klausel auf Operationen dieser Art beschränke ....
Nun, ich bin der Meinung, daß der rechtliche Stand der Bundesrepublik irgendwelche Verfügungen, die den Bestand Deutschlands mindern oder belasten könnte, nicht erlaubt. Die Souveränität im substantiellen Sinne, d. h. das Recht, über den Bestand Deutschlands zu verfügen, liegt nicht bei den Teilen, sie liegt nur beim Gesamtvolk.
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Allein das eine und unteilbare deutsche Volk kann über sich selbst, kann über Deutschland verfügen, auch über Teile Deutschlands, und dabei spielt es keine Rolle, ob diese Teile zum Anwendungsbereich des Grundgesetzes gehören oder nicht. Diese Souveränität kann uns nicht verliehen werden und braucht uns nicht verliehen zu werden. In einem demokratischen Zeitalter ist diese Souveränität mit dem Begriff der Nation gegeben,
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und eine Nation ist nach einem Wort Ernest Renans
nichts anderes als ein Plebiszit, das jeden Tag
wiederholt wird; und das deutsche Volk wiederholt dieses Plebiszit jeden Tag sehr eindringlich!
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Weil dem so ist, haben wir im Grundgesetz die Bundesrepublik nicht als einen eigenen Staat „konstituiert", sondern als ein gesamtdeutsches Staatsfragment nur „organisiert". Und hier, Herr Kollege Mende, muß ich Ihnen widersprechen. Sie haben heute morgen ausgeführt, wenn wir den Verträgen nicht zustimmen wollten, hätten wir dem Grundgesetz nicht zustimmen dürfen. Nun, Sie übersehen den entscheidenden Unterschied zwischen dem Grundgesetz und diesen Verträgen. Im Grundgesetz ist bestimmt, daß die Bundesrepublik ein Provisorium ist, ja das Grundgesetz bestimmt seinen provisorischen Charakter selbst, und es will nach seinem eigenen Willen automatisch seine Geltung verlieren, wenn das deutsche Volk sich in freier Selbstbestimmung eine Verfassung gegeben hat. Das ist gerade das, was wir an diesen Verträgen vermissen. Schreiben Sie in diese Verträge eine entsprechende Kassationsklausel, und die politische Bedeutung, der politische Gehalt dieser Verträge wird wesentlich verändert sein!
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Aus diesem Charakter der Bundesrepublik ergeben sich Konsequenzen. Das Fragment kann mit dem Ganzen nicht identisch sein.
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- Die Revisionsklausel? Das ist doch keine Kassationsklausel! Die Revisionsklausel stipuliert doch lediglich, daß im Falle des Eintritts bestimmter Umstände unsere Vertragspartner sich auf Verhandlungswünsche unsererseits einlassen müssen. Ob sie diesen Wünschen stattgeben, liegt in ihrem souveränen Ermessen,
({13})
d. h. sie werden dies tun, wenn sie glauben, es sei in ihrem Interesse.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Aber bitte, Herr von Merkatz!
Herr Kollege, wäre es nicht ein sehr seltsamer Vorgang im Völkerrecht,
({0})
wenn wir in diese Verträge eine Kassationsklausel für unsere Verfassung hineingeschrieben hätten? Sind das nicht zwei ganz verschiedene Ebenen? Oder habe ich Sie völlig mißverstanden?
Herr von Merkatz, die genuinen Unterschiede zwischen Staatsrecht und Völkerrecht sind mir einigermaßen geläufig.
({0})
Sie zu kennen, gehört zu den Obliegenheiten meines Berufes. Ich habe mir nie vorgestellt, daß der Art. 146 des Grundgesetzes schlichterweise den Verträgen eingefügt werden sollte. Ich habe mir vorgestellt, daß man diesen Verträgen eine Kündinungsklausel hätte einfügen können, so daß die Bundesrepublik die Möglichkeit gehabt hätte, diese Verträge zu kündigen, wenn sie glaubte, daß sie
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einer wirksamen Wiedervereinigungspolitik im Wege standen!
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Aber natürlich!
Herr Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir die Zusatzfrage gestatten. Aber welchen politischen Sinn hätte wohl eine Revisionsklausel in einem solchen Vertrag, wenn diese Klausel nicht der Sache und Substanz nach praktisch einer Kündigungsklausel gleichkäme?
Herr von Merkatz, ich glaube, der Unterschied ist entscheidend. Wenn in den Verträgen eine Kündigungsklausel stünde, könnte die Bundesrepublik durch eine einseitige Willenserklärung ihrerseits den Vertrag beenden und damit auch die Bindungen, die sie in diesem Vertrag eingegangen hat, auflösen. Diese Revisionsklausel gibt der Bundesrepublik lediglich das Recht, von ihren Vertragspartnern zu verlangen, sich mit ihr an einen Tisch zu setzen und mit ihr zu verhandeln, ob man im Wege gegenseitigen Einverständnisses diesen Vertrag aufheben könnte.
({0})
Das ist doch ein ganz entscheidender Unterschied, und Sie wissen das doch ganz genau, Herr von Merkatz.
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Verpflichtungen, die ein Provisorium eingeht, können nur für die Dauer der eigenen Existenz dieses Provisoriums Bestand haben; sie sind so provisorisch wie das Provisorium selbst. Darum würden für Gesamtdeutschland übernommene Verpflichtungen das wiedervereinigte Deutschland nicht binden.
Art. 7 Abs. 2 schafft eine Bindung zwar nicht für Gesamtdeutschland, aber die Bindung für die Bundesrepublik, eine spezifische Wiedervereinigungspolitik zu betreiben, d. h. eine Wiedervereinigungspolitik, die vorsieht, daß ein wiedervereinigtes Deutschland in eine europäische Gemeinschaft integriert werden soll. Das hat nun zum mindesten leider die Wirkung - auch wenn wir davon absehen, was in turbulenten Zeiten die Kraft und die Grenzen solcher Bindungen sein mögen -, daß einer unserer Vertragspartner sich auf Art. 7 Abs. 2 berufen könnte, um zu verlangen, daß eine Bundesregierung auf eine Politik verzichte, die vielleicht die Schaffung von Voraussetzungen zum Gegenstand haben könnte, aus denen sich die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands unter Verzicht auf die in Art. 7 Abs. 2 vorgesehene Integration Gesamtdeutschlands in die europäische Gemeinschaft ergeben könnte.
({2})
Da stellt sich nun eine einfache Frage, die, wenn ich mich nicht täusche, in dieser Debatte schon einmal an den Herrn Bundeskanzler gestellt worden ist, eine Frage, die mit der Berliner Konferenz und mit dem Gespräch des Herrn Bidault mit Herrn Molotow in Zusammenhang steht - die Frage, Herr Bundeskanzler: Wenn Sie vor der Entscheidung stünden: Wiederherstellung der Einheit Deutschlands unter Verzicht auf Militärbündnisse, aber mit Eingliederung Deutschlands in ein System kollektiver Sicherheit - wären Sie dann bereit, auf diese
Verträge zu verzichten? Werden Sie. diese Frage beantworten?
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- Nein, das ist keine Konstruktion. Vor dieser Frage können wir jeden Tag stehen!
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Vor der Frage: „Ihr könnt gesamtdeutsche Wahlen haben, müßt aber auf die Mitgliedschaft in NATO und der Westeuropäischen Union verzichten; dagegen sind wir damit einverstanden, daß ihr in ein System kollektiver Sicherheit aufgenommen werdet"; da muß man doch heute schon wissen, was man darauf antworten will!
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Meine Damen und Herren, es wäre zu den Verträgen unter den Kapitelüberschriften, unter denen ich sie behandle, noch sehr viel auszuführen. Es könnte auch einiges gesagt werden über das, was im Gegensatz zu unseren Vorstellungen von europäischer Politik auf der anderen Seite die Impulse und Motive für das sind, was man dort europäische Politik nennt. Aber das würde zu weit führen.
Eines scheint mir sicher zu sein: diese Verträge verraten kein sehr europäisches Denken unserer Partner.
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Die Bestimmungen der Verträge, über die ich gesprochen habe, manifestieren wenig vom Geiste des Vertrauens und echter Partnerschaft.
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Die Gegenleistung für das, was Deutschland in diesen Verträgen bietet, hätte doch sein müssen, Deutschland vorbehaltlos und im gleichen Stande wie die anderen in die Partnerschaft aufzunehmen!
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Gewiß, der Form nach ist das Besatzungsregime aufgehoben, dem Buchstaben nach sind wir gleichberechtigt - so, wie Männer, die in einem Boote sitzen, gleichberechtigt sind, aber der eine ist Kapitän und bestimmt den Kurs, und der andere rudert!
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Gleichermaßen sind wir „souverän"; aber was an Besatzungsrechten und Besatzungszwecken heute, nach zehn Jahren, noch nicht konsumiert ist und für die Westmächte noch interessant ist, das haben wir nunmehr, zum großen Teil wenigstens, in vertraglich übernommene Verpflichtungen verwandelt.
Vielleicht wird es der Bundesrepublik dabei materiell nicht schlecht gehen; ich will das offenlassen. Vielleicht! Aber in solchen Zwitterzuständen lauern Gefahren. Wir werden den Alliierten vorwerfen, sie täten Dinge, die sie nicht dürften, da wir doch souverän seien; und sie werden uns vorwerfen, wir wollten handeln, als gäbe es die Verträge nicht. So wird es dauernd Streit geben, und niemand weiß, wohin das führen wird; Hoffnungen werden enttäuscht werden, Ressentiments werden geweckt werden; und alles das scheint mir schlechte Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen.
Und, Herr Bundeskanzler, es ist nicht so, wie Sie es haben im „Hamburger Anzeiger" vom 24. Februar drucken lassen: daß die Sozialdemokratie - ich bitte zitieren zu dürfen ({10})
unserm Volk zumutet, das Joch der Besetzung und das Joch der Sieger noch auf unbestimmte Zeit weiter zu tragen.
Was Sie auf Grund der Verträge effektiv werden tun können, können Sie auch heute schon tun.
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Das Feld Ihrer Möglichkeiten ist durch diese Verträge nicht wesentlich erweitert worden. Das Joch der Sieger aber tragen wir im Saarstatut!
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Das Joch der 'Sieger und der Besetzung aber tragen wir im Weiterbestehen der Spaltung Deutschlands, deren Aufhebung die Verträge so sehr erschweren und verzögern!
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Das „Joch der Besetzung" ist durch die Verträge nicht viel anders geworden, als es war. Was davon in den Verträgen weggetan wurde, ist genau das - ich habe es schon gesagt -, was Zeitablauf konsumiert oder gegenstandslos gemacht haben. Die neuen Namen haben nicht viel neue Wirklichkeit geschaffen, und es ist die Frage, ob die vertraglich übernommenen Lasten und Auflagen nicht eines Tages auf unsere politischen Möglichkeiten schwerer drücken könnten als die einseitig auferlegten, und ob wir nicht, als wir dafür und damit die Integrationsverträge geschlossen haben, das Erstgeburtsrecht der Einheit unseres Volkes für ein Linsengericht gefahndet haben.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider ({0}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Bemerkung zuvor! Ich werde mir Mühe geben, so kurz wie möglich zu sprechen.
({0})
Ich werde auch mein Wort halten. Denn wenn ich in diesen drei Tagen eine Erkenntnis gewonnen habe, dann ist es die, daß wir - trotz der Wichtigkeit des Gegenstandes, den wir zu behandeln hatten - jedenfalls in Zukunft so nicht wieder verfahren können.
({1})
Das Ganze wird sonst für uns und für die Zuhörer draußen zu einer Tortur, und dann verpufft die politische Wirkung. Entweder müssen wir uns überlegen, wieder Redezeitkontingente einzuführen. Das möchte ich nicht gern; Sie wissen es, meine Herren gerade von der Sozialdemokratischen Partei. Das wäre eine sehr schlechte Lösung. Ich bin aber der Meinung, wir hätten ein anderes Mittel, und das ist der § 37 unserer Geschäftsordnung, der beinhaltet, daß von diesem Platz aus frei gesprochen werden soll und nicht ganze Manuskripte verlesen werden sollen.
({2})
Ich werde also von diesem Platz aus frei und nur
an Hand der Texte sprechen, weil ich nämlich wegen der Intern und wegen der ganzen Umstände dieser acht Tage wirklich keinen Moment Zeit hatte, mir überhaupt so etwas wie eine Disposition zu machen. Also seien Sie mir nicht böse, wenn ich gegenüber der Eloquenz meines Herrn Vorredners nicht so ganz aufkomme. Aber ich meine es mindestens genau so gut, und wenn ich nicht gerade die elegantesten Formulierungen finde, so kommen diejenigen, die ich finden werde, jedenfalls aus meinem Herzen.
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Herr Kollege Schmid hat wie ich eigentlich die Aufgabe gehabt, zu den rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Problemen der Verträge Stellung zu nehmen. Er hat das zweifellos auch getan, aber in weitem Maße ist er in den allgemein politischen Raum hinaus vorgestoßen. Ich konzediere ihm: wenn man über eine solche Materie rechtspolitisch, verfassungsrechtlich, staatsrechtlich, völkerrechtlich spricht, dann lassen sich manchmal die Grenzen zwischen reinem Recht und reiner Politik nicht so abstecken; denn zur Interpretation von rechtlichen Normen im politischen Raum muß man auf die Verhältnisse zurückgreifen. Abet ich werde nicht so weit gehen. Nur eines, Herr Kollege Schmid: Ihre letzte Schlußfolgerung, die da lautet: Der Geist dieser Verträge ist nicht gut, atmet zuwenig Vertrauen, - ich weiß nicht, ob man das in dieser Schärfe in dieser Stunde von hier aus hätte sagen sollen.
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Denn die Erfahrungen der Vergangenheit namentlich in bezug auf Amerika berechtigen uns durch nichts und durch gar nichts, eine solche Feststellung zu treffen.
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Wenn wir von vornherein kein Vertrauen haben können und so mißtrauisch sind wie Sie, Herr Kollege Schmid, dann könnte man überhaupt nicht mehr daran glauben, daß in dieser Welt Völker irgendwelche Verträge miteinander schließen können.
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Herr Abgeordneter Dr. Schneider, gestatten Sie eine Frage?
Ja, bitte!
Herr Abgeordneter Dr. Schneider, sollte ich mich so ungeschickt ausgedrückt haben, daß nicht zu verstehen war, daß ich mit dem mangelnden Vertrauen nicht den Mangel unseres Vertrauens zu den anderen, sondern den der anderen zu uns verstanden habe?
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Ich habe es leider nicht so verstehen können. Aber wenn es so gemeint gewesen sein soll, Herr Kollege Schmid, dann isst meine Bemerkung überflüssig gewesen.
Ich will etwas systematisch und rein juristisch vorgehen insofern, als ich mich an die Kritik und Disposition halte, die mir aus dem Rechtsausschuß, wo ein anderer Vertreter der Opposition der Hauptsprecher war, noch im Gedächtnis ist; denn ich muß mich in der Hauptsache auf mein Gedächtnis verlassen.
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Dort war die erste Frage, die auftauchte: Welches ist denn eigentlich der Inhalt dieses ganzen Vertragswerks? Läßt sich das überhaupt unter die Normen des Grundgesetzes verbindlich subsumieren; mit anderen Worten, verstößt er nicht gegen dieses Grundgesetz? Dann haben wir eindeutig geklärt - auch das war eine sehr erhebliche Zweifelsfrage -, was der Inhalt dieser Verträge ist. Wir haben geklärt, daß durch die Formulierung des Art. 1 des Pariser Protokolls jeder Abgeordnete, der diesen Verträgen zustimmt, den Gesamtverträgen in der neuen Fassung zustimmt. Das war auch eine rechtliche Zweifelsfrage, die aufgeworfen worden war und die wir im Rechtsausschuß mit Zustimmung der Opposition in dieser Weise gelöst haben.
Über die Frage, ob die Gesamtverträge mit unserer Verfassung vereinbar sind, ob sie beispielsweise mit dem Art. 142 a des Grundgesetzes, den wir hier einmal verabschiedet haben, gedeckt sind, entspann sich sofort wieder ein Streit. Der Sprecher der Gegenseite sagte, für ihn sei der Art. 142 a, der jetzt in unserem Grundgesetz steht, null und nichtig, er habe für ihn noch nicht einmal den Schein eines Rechts, denn nach seiner Auffassung sei der Art. 79, auf dem der Art. 142 a fuße, überhaupt nicht abänderbar. Deshalb sei das weder eine Grundgesetzänderung noch sei es eine authentische Interpretation, sondern - wie er einmal formuliert hat - es sei. ein Urteilsspruch in Gesetzesform.
Ich will das nicht vertiefen; wir haben im Rechtsausschuß nicht bis zum Schluß ausdiskutiert, was denn nun von den Verträgen unter Art. 142 a alter Art fällt. Wir müssen jedenfalls unterstellen: solange nicht eine Stelle in unserem Staat, sei es das Bundesverfassungsgericht, durch Urteilsspruch mit Rechtskraft festgestellt hat, daß der Art. 142 a nichtig ist, müssen wir ihn, weil er nun mal in unserer Verfassung steht, als gültig behandeln. Wenn wir das als richtig unterstellen, dann werden die Verträge - das ist aber meine persönliche Auffassung - durch den Art. 142 a so weit gedeckt, als sie damals, als wir ihn hier verabschiedeten, in ihrer Formulierung bereits vorlagen. Was die neuen Teile, also die Änderungen, anbelangt, so möchte ich für mich sagen, sie werden durch den Art. 142 a nicht gedeckt, und es bliebe zu untersuchen, ob diese Änderungen gegen unser Grundgesetz verstoßen oder nicht.
Um es zusammenfassend zu sagen: Ich bin der Meinung - das haben wir im Rechtsausschuß sehr eingehend untersucht, und dem ist auch von der Gegenseite bis auf einen einzigen Fall, den ich gleich behandeln werde, nicht widersprochen worden -, daß auch die neuen Änderungen zu den Verträgen nicht grundgesetzwidrig sind. Selbst ein Sprecher der Opposition im Rechtsausschuß gab zu, daß an sehr, sehr vielen Stellen Änderungen haben erzielt werden können, die mit Bezug auf die Frage, ob sie mit dem Grundgesetz konform gehen oder nicht, Zweifel beseitigt haben.
Mir fällt auf, daß Herr Kollege Schmid soeben in seinen Ausführungen über die Souveränität, die uns in Art. 1 Abs. 2 - er lautet bekanntlich: Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben - gewährt wird, gesagt hat: Das ist eine Scheinsouveränität, die ist noch mit fallen möglichen Vorbehalten belastet, sie ist gar keine echte Souveränität; es hätte uns da viel mehr gegeben werden müssen. Daß sie uns diese echte Souveränität nicht gegeben hätten, begründet er mit dem mangelnden Vertrauen - wie er mir eben deutlich gemacht hat - der anderen zu uns. Er hat formuliert, die anderen seien die Freien, und wir seien die Freigelassenen. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist denn die Situation? Ich hätte eigentlich geglaubt, daß Herr Kollege Carlo Schmid weiß, aus welcher Situation wir kommen. Wir haben doch den Krieg verloren!
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Wir waren besetzt. Man soll doch hier nicht immer so tun, als ob wir in einer Situation seien, die frei sei, als ob wir eine freie Nation gewesen wären, als ob wir tun und lassen könnten, was wir wollten. Wir waren doch ein niedergebrochenes Volk. Wir hatten das Vertrauen der ganzen Welt durch die 12 Jahre Nationalsozialismus verloren, und wir können doch nicht erwarten, daß uns die ganze Welt umarmt und uns sagt: Hier habt ihr eure Freiheit, nun macht damit, was ihr wollt!
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Vielmehr müssen wir uns doch Schritt für Schritt durch Erwerbung neuen Vertrauens diese Freiheit wieder erkaufen. Wenn ich das mal unterstelle, dann bin ich allerdings der Meinung, daß die Formulierung in Art. 1 Abs. 2 ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der früheren Fassung ist; denn er stellt jetzt eindeutig und einwandfrei fest, daß überall da, wo nicht irgendwelche Vorbehalte aus den Verträgen sich ergeben, wir zweifellos unsere staatliche Handlungsfreiheit und damit unsere Souveränität haben. Wir haben die Rechtsvermutung der Souveränität vorerst für uns, und die andern müssen in jedem einzelnen Fall dartun, daß dem nicht so ist.
Aber das Merkwürdige - und jetzt komme ich auf das Merkwürdige -: gerade diese Fassung des Art. 1 Abs. 2 war für den Sprecher der Opposition im Rechtsausschuß der Stein des Anstoßes. Er sagte: „Gerade dieser Art. 1 Abs. 2 hätte in dieser Formulierung niemals seinen vertraglichen Niederschlag finden dürfen. Gerade dieser Art. 1 Abs. 2 verstößt grundsätzlich gegen unser Grundgesetz." Er nahm folgende Konstruktion vor und sagte: Hier ist zum ersten Mal überhaupt von der Bundesrepublik im Sinne eines souveränen Staates - auf das Wort „Staates" legte er Wert - gesprochen, und das hat man ganz bewußt und vorsätzlich so formuliert, weil man das zu einem ganz bestimmten politischen Zweck brauchte, nämlich zu dem Zweck, uns in den Brüsseler Pakt, im wesentlichen aber in die NATO aufzunehmen. Er sagte: In die NATO können nur Staaten aufgenommen werden, die echte völkerrechtliche Grenzen, die ein befriedetes Staatsgebiet und die keine territorialen Ansprüche mehr haben; das hat man hier vorsätzlich konstruieren wollen; das Wort „Bundesrepublik" ist hier in einer Art und Weise gebraucht, die unser Grundgesetz verbietet. - Insoweit hat er recht, wenn er sagt, daß das Wort „Bundesrepublik" niemals bedeuten kann, daß dieses Westdeutschland etwa das ganze Deutschland wäre. Ich komme aber gleich darauf zurück.
Er bezieht sich dann auf die Erklärung in der Londoner Schlußakte, die wir abgegeben haben, die Grenzen dieser Bundesrepublik nicht mit Gewalt verändern zu wollen, und auf das Prinzip
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der NATO, das für ihn darin besteht, nur befriedete Staaten mit echten Grenzen könnten dort als Mitglieder aufgenommen werden. Er führt das Beispiel Irlands an und sagt: Mit diesen drei Elementen, Verzicht auf gewaltsame Revision dahingehend, die Wiedervereinigung zu erlangen, das Prinzip der NATO und die Formulierung „souveräner Staat", wird gerade ein Zustand geschaffen, der durch das Grundgesetz verboten wird; denn hier wird ein Staat „Bundesrepublik Deutschland" festgelegt, auch völkerrechtlich in seinen Grenzen festgelegt, was grundgesetzlich nicht möglich ist; und das ist ein elementarer Verstoß gegen den Sinn und den Geist und die positive Vorschrift unseres Grundgesetzes.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, der eine Sprecher sagt: Wir haben zuwenig Souveränität, das ist bloß eine Scheinsouveränität, der andere Sprecher der Opposition sagt: Wir haben viel zuviel Souveränität, wir sind viel zu weit über die Dinge hinausgegangen.
Das Entscheidende ist: er wollte ja damit zu einer gewissen Schlußfolgerung kommen, er wollte nämlich zu der politischen Schlußfolgerung kommen, die er auch teilweise expressis verbis in seinem Minderheitsbericht festgelegt hat, daß wir das in Kauf nehmen, in Kauf nehmen selbst um den Preis, daß wir damit, wie er es zu konstruieren versucht, hier vertraglich bindend auf den Anspruch auf Wiedervereinigung verzichten wollten. Das ist nämlich dann die politische Konsequenz, die daraus gezogen werden soll.
Die Regierung hat uns die notwendigen Auskünfte gegeben, und ich zweifle nicht an ihrer Richtigkeit. Wer die Entstehungsgeschichte kennt, der weiß es auch so, daß diese Konstruktion durch
nichts begründet ist. Denn wenn dort von unserer Seite - von unserer Seite ist darauf Wert gelegt worden, diesen Ausdruck „souveräner Staat" zu bekommen - so formuliert ist, dann hatte das nichts mit Grenzen Deutschlands zu tun, die völkerrechtlich echte Grenzen sind, sondern bezog sich auf die Linien, die - ich will mich vorsichtig ausdrücken - den Geltungsbereich des Grundgesetzes begrenzen, wo etwas anderes beginnt, also Grenzen nur in diesem Sinn, aber nicht Grenzen im völkerrechtlichen Raum. Wir haben keinen Zweifel, daß dem so ist. Dias andere ist doch herbeigeholt, weil man zu einer bestimmten politischen Schlußfolgerung kommen wollte.
Das Beispiel Irlands zieht überhaupt nicht; denn Irland ist nicht zu NATO beigetreten, weil es erklärt hat, es würde damit für immer rechtlich auf Nordirland verzichten. Aber Nordirland und der neue Staat Irland waren noch niemals eins, wie wir als Deutschland eins sind. Infolgedessen zieht dieses Beispiel nicht. Im Gegenteil, es ist doch selbstverständlich, daß wir darauf verzichten, Gewalt anwenden zu wollen, denn dann wollten wir ja den Krieg. Gerade weil die anderen wissen, daß wir hier einen echten, einen gar nicht wegzudisputierenden Anspruch auf Wiedervereinigung haben - gewissermaßen als ein selbstverständliches Naturrecht -, weil sie diesen Anspruch so sehr empfinden, weil sie wissen, daß er gar nicht weggeleugnet werden kann, deshalb haben sie vielleicht gefordert, daß wir nicht zu ungeduldig werden in der Verwirklichung, und deshalb haben sie vielleicht von uns gefordert, wir sollten sagen: diesen Anspruch dürft ihr aber nicht mit Waffengewalt verwirklichen wollen, und das ist gerade eine Anerkenntnis dieses unseres Anspruchs.
Ich bin der Meinung, daß es auch sehr gefährlich ist, wenn man behauptet, daß hier die Formulierung „die Bundesrepublik" in dem Sinne zu interpretieren sei, wie es dort die Opposition getan hat. Denn damit könnte man Argumente für die Gegenseite liefern, daß, wenn es ihr einmal paßte, sie dann vielleicht den Begriff so auslegen würde, um uns zu sagen: ihr habt ja damals wirklich auf etwas anderes verzichtet, ihr habt eure Grenzen selbst vertraglich festgelegt; nun können wir uns im Sinne unserer Vorstellungen von Koexistenz auf eurem Rücken einigen; ihr könnt dagegen gar nichts haben, denn ihr habt das ja zugestanden.
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Nun zu Art. 2 und Art. 4. Auch diese Artikel hat der Herr Kollege Schmid hier als mit dem Begriff einer echten Souveränität nicht vereinbar kritisiert. Dann hat er aber im gleichen Atemzug gesagt: Ich bin selbst der Meinung, daß das Vorbehaltsrecht, soweit es die Beziehungen der drei westlichen Mächte mit Bezug auf Berlin, mit Bezug auf Gesamtdeutschland, auf Wiedervereinigung betrifft, vorbehalten bleiben muß, weil sonst die Rechtsbeziehungen zwischen den Vier Mächten überhaupt entfallen. - Ja, wenn man selbst zugeben muß, daß dem so ist, dann weiß ich nicht, wie man die aus diesen Verträgen sollte eliminieren können, und dann weiß ich auch nicht, wieso uns das besonders belasten soll.
Sehen wir doch das Positive in diesen beiden Artikeln, die ich eben angezogen habe. Sie besagen doch, daß mit Inkrafttreten der Verträge die Truppen der anderen, die bei uns stehen, eben keine Besatzungstruppen mehr sind, sondern daß sie auf Grund eines besonderen Aufenthaltsvertrags sich bei uns aufhalten können und dürfen. Ihre Zahl ist beschränkt, und - darin liegt gerade die Bedeutung - wenn diese Zahl, die heute da ist, demnächst erhöht werden soll, bedarf das unserer ausdrücklichen Zustimmung und kann nicht gegen unseren Willen geschehen. Ich meine, so müßte man die Bestimmungen des Art. 2 und des Art. 4 sehen.
Das nächste, was besonderen Anstoß erregte und was Herr Kollege Schmid hier ja auch mit einem gewissen Recht angesprochen hat, ist der Art. 5 in seiner Totalität vor allen Dingen der Abs. 2. Aber auch da haben wir einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem früheren Zustand erreicht. Denn früher hatten die Besatzungsmächte den Notstandsvorbehalt für sich auf allen Gebieten, und die Notstandsklausel bezog sich restlos auf alles. Jetzt ist es so, daß sie sich zwar auch noch ein gewisses Notstandsrecht vorbehalten. Aber wir haben es in der Hand, das Notstandsrecht dadurch abzulösen, daß wir in unsere Verfassung eine Bestimmung hineinsetzen, die unsere Regierung in den Stand setzt, gegebenenfalls, wenn dies nötig sein sollte, gewisse Notstandsmaßnahmen zu ergreifen. Das ist natürlich ein sehr heikles Kapitel. Die Regelung von Notstandsrechten in einer Demokratie wirft einen ganzen Haufen von Rechtsproblemen und auch politischen Problemen auf. Die Zeit ist zu fortgeschritten, als daß ich das sehr ausspinnen könnte. Ich will nur einiges strichweise andeuten.
Es tauchen sofort die Fragen auf: Wer soll den Notstand verkünden können? Wer soll ihn beenden können? In welche Grundrechte soll er eingreifen können? In welche Länderrechte? Wer soll die Exekutivgewalt haben? Usf., usf. Welche Prärogativen des Parlaments werden angetastet oder werden beibehalten? Man kann das gar nicht isoliert
({5})
sehen, man muß sich auch vorstellen, welche zukünftige Wehrverfassung auf uns zu kommt. Denn Notstand und Exekutive durch Militärbefehlshaber sind ja so eng verwandt, daß sie beinahe nicht auseinandergedacht werden können. Dann die Frage: Wie ist dieses Heer organisiert, wie ist es eingebettet in eine echte parlamentarisch-verfassungsmäßige zivile Kontrolle?
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Eine andere Frage, die auch noch in diesem Rahmen gesehen werden muß, ist: Wie ist das Wahlrecht geordnet? Denn das Wahlrecht bestimmt ja entscheidend die Zusammensetzung des Parlaments. Die Frage: Wie ist dieses Wahlrecht, wie wird dieses Parlament voraussichtlich sein? ist eine wesentliche Frage, wenn man daran geht, hier Notstandsbefugnisse irgendwie zu umreißen, zu umgrenzen und festzulegen. Aber das wollen wir heute abend nur mal anschneiden. Darüber werden wir uns später hier in diesem Hause zu unterhalten haben. Ich will es nur mal umreißen. Aber es ist doch ein Fortschritt 'gegenüber dem seitherigen Zustand insofern, als wir es in der Hand haben, aus freiem Willen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dieses Vorbehaltsrecht im Art. 5 Abs. 2, das die Besatzungsmächte in einem viel engeren Rahmen als seither für sich beansprucht haben, fällt.
Dann kommt der berühmte Art. 7 Abs. 2. Er lautet:
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt, und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist.
Dieser letzte Halbsatz war der Stein des Anstoßes. Sie haben ja gehört, daß auch mein verehrter Herr Vorredner daran wieder Anstoß genommen hat, indem er dahin formulierte, mit diesem letzten Halbsatz habe man sich verpflichtet, keine andere als eine ganz bestimmte, spezifische Wiedervereinigungspolitik zu treiben. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist denn dem wirklich so? Ist das wirklich eine so entscheidende rechtliche Verpflichtung, die hier normiert ist, oder ist das nicht die Fixierung eines gemeinsamen bestimmten politischen Zieles? Ich bin der Meinung, das letztere ist der Fall. Das entspricht auch ganz unserem Verfassungsauftrag, die Bundesrepublik und auch Gesamtdeutschland nicht etwa nach Osten absinken zu lassen, sondern sie in Europa, in einem vereinten Europa, wie die Verfassung sagt, wirksam werden zu lassen. Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist ja doch, daß der Art. 7 Abs. 3 - das muß man zusammen sehen - gestrichen worden ist. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß dieses wiedervereinigte Deutschland - das hoffentlich bald kommen möge -fr e i ist, frei ist von all diesen Verträgen, daß es seine Handlungsfreiheit wiedergewinnt. Darüber sind sich 'alle Partner einig, und der engliche Außenminister Eden hat es erst noch vor einigen Wochen expressis verbis als amtliche Auffassung Englands vor dem Unterhaus erklärt. Auch in der französischen Kammer hat man sich darüber auseinandergesetzt.
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- Einen Moment, einen Moment! Der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses hat sich namentlich mit den Theorien auseinandergesetzt, die ein Abgeordneter - ich habe seinen Namen nicht mehr in der Erinnerung; es tut auch nichts zur Sache - entwickelt hat. Er unterschied nämlich drei Fälle von deutscher Wiedervereinigung, und je nachdem, wie diese Fälle gelagert seien, würden ganz bestimmte andere Rechtsfolgen eintreten. Dieser Abgeordnete hat den Fall unterschieden, daß wir den Raum dort drüben absorbieren, wie er sich ausgedrückt hat, oder den Fall, daß sie uns absorbieren, oden den Fall - den wir anstreben müssen und sollen -, daß durch eine freie Wahl eine gesamtdeutsche Nationalversammlung und damit eine gesamtdeutsche Regierung kommt. Ich kann auf die Einzelheiten jetzt nicht eingehen, sonst würde das eben doch zu weit führen.
Und darauf hat der Berichterstatter geantwortet: Er wolle diese Einzelheiten nicht untersuchen; denn er sagte: Das sind nur juristische Späße; darauf wird es gar nicht entscheidend ankommen, sondern es wird darauf ankommen: Was ist hier eine politische Realität, dann, wenn dieser Fall der deutschen Wiedervereinigung im politischen Raum und vor der Entscheidung steht?
Jedenfalls sind sich die anderen mit uns darüber einig, daß die Streichung des Art. 7 Abs. 3 bedeutet, daß wir, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland kommt, dann frei sind in unserem Handeln, daß wir dann nicht mehr an diese Verträge gebunden sind, und das ist doch auch gegenüber Rußland von Bedeutung. Hier wird dauernd gesagt, diese Verträge mit ihrem ganzen Inhalt versteiften die Lage gegenüber dem Osten. Das ist doch die wesentlichste Garantie auch für den Osten, wenn er weiß: Kommt ein wiedervereinigtes Deutschland, dann hat dieses die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden! Ich meine, gerade darin liegt der entscheidende Fortschritt gegenüber den Fassungen von früher.
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Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich eigentlich mit dem Deutschlandvertrag schon am Ende. Ich erwähne nur noch den Art. 10, den Revisionsartikel. Daß er gegenüber dem früheren Zustand eine wesentliche Verbesserung ist, brauche ich ja nicht auseinanderzusetzen. Das können Sie selbst aus dem Text herauslesen.
Nun hat der Herr Kollege Carlo Schmid beanstandet, wir brauchten eigentlich eine Kündigungsklausel. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu was brauchen wir denn eine Kündigungsklausel? Ich unterstelle einmal theoretisch, wir kündigen diese Verträge. Dann muß ich mir doch klar sein, was dann eintritt: dann tritt doch normalerweise der vorvertragliche Zustand wieder ein, d. h. der Zustand, daß wir unter Besatzungsregime bleiben!
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- Das isst eben nicht urjuristisch. Sie sprechen nach mir, Herr Kollege Greve, und Sie können mich dann widerlegen.
Schiedsgericht. Auch da ist ein wesentlicher Unterschied, eine wesentliche Verbesserung eingetreten. Sie wissen, früher hatte das Schiedsgericht,
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das wir damals leider mit, ich will mal den Ausdruck gebrauchen, schlucken mußten, um die ganzen Dinge zu retten, die Befugnis, wenn wir bestimmten Auflagen und Auslegungen in unseren Gesetzen nicht nachkommen, dann durch ein Urteil, das im deutschen Raum dann als ein wirksames Gesetz galt, das anzuordnen. Durch schiedsgerichtliches Urteil konnte also in unsere eigene Gesetzeskompetenz entscheidend eingegriffen werden. Das ist gefallen, und darin sehe ich den entscheidenden Fortschritt. Das Schiedsgericht hat jetzt nur noch die Funktionen, wie sie eben ein Schiedsgericht unter gleichen Partnern nur haben sollte und nur haben kann. Das ist auch eine sehr entscheidende verfassungsmäßige Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand.
Ich gebe zu, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß da beispielsweise im Anhang A zum Truppenvertrag - nicht zum Aufenthaltsvertrag - noch so manche Unschönheit ist. Da ist es beispielsweise nicht gelungen, den Artikel zu streichen, der sich mit der rechtlichen Stellung von uns, den Bundestagsabgeordneten, mit Bezug auf Wahrung militärischer Geheimnisse befaßt. Das ist sehr unschön und muß auch demnächst, wenn wir das in einem neuen NATO-ähnlichen Truppenvertrag auszuhandeln haben, unter allen Umständen gestrichen werden. Das ist auch die Meinung des Rechtsausschusses gewesen. Dieser Meinung haben wir einheitlich Ausdruck gegeben.
Ich gebe auch zu, daß in den strafrechtlichen Tatbeständen, die dort normiert sind, Zweifel auftauchen, weil sie nach unseren Begriffen nicht so objektiv und subjektiv umgrenzt sind, daß man nicht alles mögliche mit ihnen machen könnte. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, es dreht sich um ein Provisorium, denn dieser Truppenvertrag wird ja durch einen anderen abgelöst, sobald die Verträge in Kraft getreten sind. Bis dahin kann also wahrscheinlich, wie wir doch hoffen wollen, nicht sehr viel Unheil entstehen. Wir müssen nur im Auge behalten, daß, wenn wir einen NATO-Truppenvertrag abschließen, diese unschönen Dinge beseitigt werden.
Daß in den Annexen, mit denen sich heute schon mein Kollege Scheel und andere beschäftigt haben, noch sehr unschöne Dinge stehen und daß es sich hier um echte Vorbehalte handelt, die selbstverständlich unsere Souveränität noch beschweren und beeinträchtigen, kann man natürlich nicht leugnen. Schuld daran ist die Situation, in der wir uns befinden. Man muß sich politisch fragen, will man dies oder will man nichts, und dann bekommen wir viel weniger, als wir jetzt haben. Das ist doch das Entscheidende!
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Nun könnte ich eigentlich schließen. Aber ich habe mich hier mit verfassungsrechtlichen Dingen und Verfassungsproblemen zu befassen, und wenn ich das tue, dann kann ich das nicht, ohne daß ich noch einige Bemerkungen über die Methoden der politischen Auseinandersetzung mache, die in den letzten Wochen dieser Debatte vorausgegangen ist, und darüber, wie ich diese Methoden unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten beurteile. Ich bedaure zutiefst, daß die Auseinandersetzung in diesen Formen geschehen ist. Denn wir haben auch mit Zustimmung der Opposition im Parlamentarischen Rat eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre geschaffen. Das war auch der Wille der Opposition, und sie wußte, warum sie das damals wollte. Sie hatte nämlich die Gefahr erkannt, die darin liegt, daß man die Möglichkeit hat, draußen unserem Volk Alternativen oder Fragen vorzulegen, die gar keine echten Alternativen sind.
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Darin liegt die Gefährlichkeit, und das hat die Opposition damals abgelehnt. Ich bedaure außerordentlich - ich sage es ruhig und sachlich -, daß sie davon abgegangen ist; denn, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wohin soll dieser Weg führen, wenn wir ihn weitergehen, wo soll das enden, wenn man den Anfängen nicht wehrt?
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Sie haben ja selbst lesen und hören können, über den Rundfunk und über Gott weiß was vom Osten, wie sehr man dort diesen Methoden zujubelt. Es sind nämlich im Prinzip die Methoden des Ostens, die Methoden der totalitären Systeme.
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Ich bedaure außerordentlich - ({15})
- Lassen Sie mich doch bitte aussprechen, Sie können mir ja dann erwidern! Ich sage es nicht gehässig, ich sage es mahnend, ich sage es warnend, anders meine ich es gar nicht: Wohin soll dieser Weg führen, meine sehr verehrten Damen und Herren? Dieser Weg führt nicht zur freiheitlichen Demokratie, wie wir sie haben und wie Sie sie doch auch behalten wollen, sondern dieser Weg führt in der letzten Konsequenz zu einer Staatsform, die jede Freiheit und jede Demokratie erneut wieder auslöschen möchte. Sie warten doch schon alle draußen, jene Schakale, die da herumstreichen
- ich will gar keine Namen nennen. Von außen posaunen sie ja schon: Laßt mich jetzt kommen, ich werde schon die Kräfte organisieren, die organisiert werden müssen, um aus diesem Deutschland wieder etwas anderes zu machen.
({16})
- Sie lachen. Es hat schon einmal mit Lachen begonnen und endete in Blut und Tränen und Leid.
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Ich warne davor, diesen Weg weiter zu gehen. Und, meine Herren von der Opposition, ich möchte hier einen Wunsch aussprechen. Heute mittag sprach ein junger Sprecher von Ihnen; ich weiß den Namen nicht mehr, Wienand, glaube ich. Seine Ausführungen haben mir ausgezeichnet gefallen. Da klang zum erstenmal etwas :an: daß man doch dieses Schicksal nur gemeinsam lösen könne.
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- Meine Damen und Herren, ich sage: es klang etwas an; vielleicht habe ich ihn auch nicht verstanden.
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- Nun gut, dann bedaure ich. Ich hatte wenigstens geglaubt, daß dia so etwas angeklungen wäre. Ich hätte das sehr, sehr begrüßt. Denn das ist doch wohl eine Erkenntnis, die man nicht leugnen kann,
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meine Herren von der Opposition: wir können dieses Schicksal doch nur zusammen meistern. Und wenn wir schon eine wirklich reife, echte Demokratie hätten, dann müßte, gerade was die Außenpolitik :anlangt, die Rolle der Opposition eine andere sein. Ich will nicht untersuchen: Schuld oder nicht Schuld; das würde zu weit führen. Ich möchte nur aus innerstem Herzen wünschen, daß wir endlich - es wird hier so viel von Koexistenz gesprochen - dahin kämen. Wenn wir nicht bei uns endlich die Gesetze echter Koexistenz anwenden, wenn wir nicht endlich aufhören, uns gegenseitig vorzuwerfen: „Euer Weg 'ist grundsätzlich falsch", und wir sagen dann: „Euer Weg ist grundsätzlich falsch", und jeder nimmt für sich in Anspruch, daß er allein recht hat, daß er allein die deutschen Interessen vertritt, ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wo soll denn das hinführen? Wir müssen da doch zu einem gemeinsamen Weg kommen, namentlich in Beziehung auf die Fragen, die dann noch auf uns zukommen. Wir können doch nicht einseitig, machtpolitisch eine Wehrmacht aufbauen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da müssen Sie im Interesse Gesamtdeutschlands doch auch mitwirken.
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Oder wollen Sie dann vielleicht sagen: Das lehnen wir ab, gleichgültig, mit welcher Mehrheit hier in diesem Deutschen Bundestag die entsprechenden Vorgesetze beschlossen warden sind? Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie das täten - ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das überhaupt nur ernsthaft überlegen -, dann würden Sie überhaupt das tragende Prinzip einer Demokratie vernichten; denn das tragende Prinzip der Demokratie ist nun einmal die Mehrheitsentscheidung, und ein anderes gibt es nicht.
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Ich will nicht hoffen, daß Sie solche Überlegungen überhaupt ernstlich anstellen. Ich wünsche es von ganzem Herzen, daß wir in diesen Fragen endlich zueinanderkommen.
Ein Phänomen - das darf ich noch sagen - ist mir bei Ihnen bis jetzt immer unverständlich geblieben. Ich habe schon oft darüber nachgedacht. Ich habe darüber nachgegrübelt: Was mag denn eigentlich das Motiv sein? Sehen Sie, das ist die merkwürdige zwiefache Beurteilung, die Sie verschiedenen totalitären Systemen zuteil werden lassen.
Viele von Ihnen haben doch den hitlerischen Totalitarismus am eigenen Leibe gespürt. Und wie grauenvoll und wie leidvoll! Viele waren gezwungen, in die Emigration zu gehen und haben von dort aus ganz mit Recht nach ihren schwachen Kräften versucht, gegen dieses totalitäre System anzukämpfen und bei den anderen Hilfe zu bekommen, daß dagegen angekämpft wind. Gegen seine Expansionsbestrebungen haben sie aufgerufen. Sie haben auf die Gefährlichkeit hingewiesen. Ganz mit Recht! Aber wenn Sie heute von Rußland sprechen, dann tun Sie genau so, als ob dieses meines Erachtens noch viel furchtbarere totalitäre System des Ostens ein menschliches wäre,
({24})
eines, das zur Versöhnung bereit sei, und dergleichen mehr.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte.
Herr Kollege Schneider, glauben Sie, daß Sie Ihrem Appell, daß wir gemeinsam Politik machen müßten, dadurch dienen können, daß Sie uns hier so falsche und so unsinnige Ansichten unterstellen? Glauben Sie, daß Sie diesem Appell auch damit dienen, daß Sie einer so unmöglichen Rede, wie sie Herr Bundesminister Erhard gehalten hat,
({0})
der uns beschuldigte, daß wir uns zu Verteidigern der Sowjetunion machten, daß Sie einer so skandalösen Rede Beifall zollen?
({1})
Herr Kollege Arndt, ich will Ihnen darauf antworten. Ich habe ausdrücklich gesagt - Sie haben es verstanden -: ich will die Frage der Schuld nicht untersuchen. Da wäre manches zu sagen, da wäre sehr viel zu sagen.
({0})
- Ja, bitte, ich bin beruhigt, wenn Sie mir erklären, daß Sie in Ihrer Haltung gegenüber diesem totalitären System des Ostens - ({1})
- Ich weiß es, aber manchmal hat man so das Gefühl, also ob Sie meinten, mit diesen Leuten brauche man sich nur an einen Tisch zu setzen, damit sie dann, mit uns restlos ausgesöhnt, uns das Geschenk der Wiedervereinigung geben.
({2}) So habe ich es gemeint, und nicht anders. ({3})
Meine Damen und Herren von der Opposition,
ich appelliere noch einmal an Sie: Sollten wir nicht
doch einen gemeinsamen Weg finden? Ratifizierung
ist ja noch nicht Realisierung. Es ist ja noch Zeit.
Herr Ollenhauer hat zu meiner Freude neulich
einmal gesagt - ich glaube, es war in Essen -, es
scheine so, als ob man mit den anderen wieder
reden kann. Wir sollten uns das überlegen. Wir
sollten uns zusammenraufen, denn das Schicksal
ist das gleiche. Wir können nicht einen auf die
Dauer getrennten Weg gehen, wenn wir dem gemeinsamen deutschen Interesse nicht schwersten
Schaden zufügen wollen. Wir gehen jedenfalls, so
meine ich, unseren Weg, den wir schon fünf Jahre
gegangen sind, weiter, weil wir meinen, daß das
die einzige Möglichkeit ist, zur Wiedervereinigung
eines freien deutschen Vaterlandes zu kommen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorhin von meinem sehr verehrten Herrn Kollegen Schneider gegebene Wort, sich kurz zu fassen, möchte ich für meine Person wenigstens zu halten versprechen,
({0})
({1})
sonst hat der nach mir kommende Redner, Herr Kollege Greve aus Hannover, wahrscheinlich gar keine Zuhörer mehr.
Es wäre weiter sehr reizvoll, sich mit den zweifelsfrei recht geistvollen Ausführungen auseinanderzusetzen, die Herr Kollege Schmid Ihnen vor einer Stunde hier machte, Ausführungen, die nicht nur Elemente einer staats- und völkerrechtlichen Vorlesung in sich trugen, sondern darüber hinaus sich leider auch darauf erstreckten, eine uns bekannte politische Haltung seiner Freunde mit einer reichlich frei anmutenden Auslegung der Verträge in Einklang zu bringen. Öfter vielleicht, Herr Kollege Schmid, könnte man sagen, haben Sie den Verträgen eine Auslegung gegeben, die beweisen sollte, daß Ihre politische Einstellung zu den Dingen richtig wäre. Nun, uns fehlt die Zeit, Herr Kollege Schmid, - ({2})
- Vielleicht, Herr Kollege Schmid, mögen Sie meinen, ich spielte - um in der Fußballsprache zu bleiben - noch eine Klasse tiefer als Sie. Aber Sie wissen, es gibt auch Aufstiegsmannschaften, und ich würde mich herzlich darum bemühen.
({3})
- Aber, Herr Kollege Schmid, es fehlt uns wirklich an der Zeit; wir sollten uns jetzt kurz fassen und einmal versuchen, die Dinge etwas zu entwirren. Denn an die Aufgabe, sie zu komplizieren, haben sich andere hier gemacht, und das war im Interesse der Sache nicht gut.
({4})
Es ist ein gutes Recht der Opposition, Bedenken aufzuzeigen; das ist sogar ihre Pflicht. Dieses Recht haben Sie - und das muß Ihnen der Neid lassen - in jeder Beziehung ausgenutzt. Sie haben vielleicht da sogar etwas zuviel des Guten getan, und die vernünftigen Grenzen, die darin liegen, daß man Bedenken nur dann mit Erfolg aufzeigen kann, wenn man sich auch eine gewisse Mäßigung auferlegt - ein Zuviel wird nämlich oft ein Weniger -, scheinen mir in den letzten drei Tagen doch wesentlich überschritten worden zu sein. Ich sagte, wir sollten versuchen, die Dinge zu entflechten, und ich glaube, damit komme ich vielen Wünschen nach.
({5})
- Ich bedaure, daß ich im Augenblick dazu nichts sagen kann, weil ich nicht genau weiß, was Sie mit diesem Zwischenruf beabsichtigen; deshalb sage ich nach hiesiger Gewohnheit: Ich komme später darauf zurück!
({6})
Nun, das, worum es hier geht, ist am besten in drei Sachgebieten umschrieben. Es geht hier erstens um die Souveränität oder - nach Meinung eines Teiles des Hauses - um die sogenannte Souveränität, die der Bundesrepublik nunmehr zuteil wird. Die Verträge sprechen von der Anerkennung der Souveränität der Bundesrepublik. Dazu wäre zu sagen, daß es sich hier nicht um eine Übertragung oder Verleihung handelt. Es handelt sich vielmehr um eigene, ursprüngliche deutsche Souveränität, die durch Besatzungsgewalt überlagert war und jetzt voll in Erscheinung treten kann. Der Wert der Anerkennung ist angesichts der Tatsachen, daß gewisse Vorbehaltsrechte bestehenbleiben, umstritten. Es wird weiter aus der Tatsache, daß Truppen der drei Westmächte in Deutschland verbleiben, das Argument hergeleitet, die Souveränität sei nicht echt, sie sei ausgehöhlt.
Zwar ist es richtig, daß zwei echte Vorbehaltsrechte bestehenbleiben. Sie beziehen sich aber - und das hätte man doch hier auch ganz deutlich sagen sollen - auf Berlin, und sie beziehen sich weiter auf Deutschland als Ganzes. Der Vorbehalt der Souveränitätsrechte auf den beiden genannten Gebieten Berlin und Deutschland als Ganzes geht doch auf einen einheitlichen Willen des ganzen Hauses, ich möchte sagen, von links bis rechts, also auf eine sehr einheitliche Billigung zurück.
({7})
Denn die Aufrechterhaltung dieser Vorbehaltsrechte liegt in unserem ureigensten deutschen Interesse. Man kann vermuten, daß man damit den sogenannten Drei Mächten gar keinen Gefallen tut, wenn man sie weiter mit der Verantwortung belastet. Diese Vorbehaltsrechte dienen der Sicherung WestBerlins und der Wahrnehmung bestimmter Befugnisse gegenüber der Sowjetunion. Sie beschränken aber die Bundesrepublik in späteren Zeiten nicht, denn soweit wir eines Tages auch dort, also ostwärts des Eisernen Vorhangs, tätig sein können - und die Möglichkeiten dürften sich nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Ostblockstaaten ergeben, auch eine Folge der uns zuerkannten Souveränität -, wird einer direkten Einwirkung der Bundesrepublik auch auf diese Sektoren nichts im Wege stehen.
Durch die Verträge gewinnen wir volle, uneingeschränkte Handlungsfreiheit gegenüber allen ausländischen Staaten mit Einschluß der Staaten des Ostblocks.
({8})
Wir haben in Zukunft das Recht, eigene Initiativen auch in der Frage der Wiedervereinigung gegenüber dem Ausland zu entfalten. Wir sind in Zukunft nicht mehr auf die Vermittlung anderer angewiesen. Schließlich bleibt noch zu erwähnen - und das ist sicherlich ebenfalls wichtig -, daß in allen Zweifelsfällen eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Bundesrepublik durch die Souveränitätserklärung begründet wird. Das Ziel des ganzen Vertragswerkes läuft laut ausdrücklicher Bezeichnung auf die Herstellung der vollen, uneingeschränkten Souveränität der Bundesrepublik hinaus.
Nun, Herr Kollege Schmid, es scheint mir müßig, mich an dieser Stelle mit Ihrer Ansicht auseinanderzusetzen, nach der wirkliche Souveränität unter den gegenwärtigen weltpolitischen Machtverhältnissen bei einem Staat in der Lage Westdeutschlands oder selbst Gesamtdeutschlands gar nicht echt vorhanden sein könne, einer Ansicht, nach welcher nur zwei große Weltmächte, eventuell noch das Vereinigte Königreich Großbritannien, in der Lage sein sollten, wirkliche Souveränität auszuüben.
({9})
- Ich weiß, das haben Sie nicht gesagt; aber manches davon klang doch hier an.
({10})
- Schön, dann nehme ich das zur Kenntnis.
({11})
Ich muß aber, da ich nun einmal dieses Thema angerührt habe und da es ja zu der Erörterung des Souveränitätsbegriffs und unserer Rechte, die aus der Souveränität fließen, gehört, es auch zu Ende führen. Sicherlich ist richtig, daß bei der Verflechtung der weltpolitischen Interessen, wie sie nun einmal bestehen, und bei den durch die Machtzusammenballungen bedingten Abhängigkeiten kaum ein Staat dieser Erde in seinen Entschlüssen vollkommen frei sein dürfte. Bei konsequenter Anwendung dieses Maßstabes gäbe es in einer so verflochtenen Welt wie in der unsrigen wahrscheinlich überhaupt keinen Staat, der in dem Sinne souverän wäre, daß er tun könnte, was er wollte.
Souveränität in dem hier zu diskutierenden Sinn der deutschen Souveränität bedeutet nicht das Recht - und soll es auch nicht bedeuten - zur absolut eigenmächtigen politischen Gestaltung, sondern lediglich die Freiheit, im Rahmen des staatlichen Zusammenlebens die Politik durch eigene Verträge zu gestalten. Ich glaube, diese Möglichkeiten geben uns die abgeschlossenen Verträge in vollgültigem Maße.
Nimmt man das hinzu, was ich vorhin über das Anwachsen durch die Zuständigkeitsvermutung erwähnte, so müßten wir wohl zu dem Ergebnis kommen, daß in dieser Souveränitätserklärung in etwa das liegen könnte, was wir als politische Entwicklung anzustreben vermögen und auch jeder andere Staat, jedes andere Staatsgebilde in unserer Lage nur anzustreben vermöchte.
Was das Verbleiben der Truppen der Drei Mächte im Gebiet der Bundesrepublik anbelangt, so ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Truppen in Zukunft nur noch auf der Grundlage unserer vertraglichen Zustimmung hier anwesend sein werden. Diese geschieht ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Verteidigung. Ich habe es bedauert, daß hier der Ausdruck „Joch der Besatzung" gefallen ist.
({12}),
Das mochte für Westdeutschland in den ersten Jahren nach 1945 hier und da zutreffen. Es trifft in einem anderen Teile Deutschlands auch heute noch zu.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte, Herr Kollege Schmid.
Herr Kollege Haasler, habe ich mich so falsch ausgedrückt, daß nicht zu verstehen war, daß der Ausdruck „Joch der Besetzung" in einem Artikel vorkommt, den der Herr Bundeskanzler im „Hamburger Anzeiger" hat abdrucken lassen?
Herr Kollege Schmid, ich hatte nicht den Eindruck, daß Sie den Herrn Bundeskanzler zitierten, als Sie in Ihren Schlußworten unter Verwendung einiger Zusammensetzungen mit „Joch" hier Worte sprachen, von denen Sie eine größere Wirkung erwarteten. Denn es waren harte Worte, die Sie sagten, und der Bundeskanzler pflegt sich manchmal vorsichtiger auszudrücken.
({0})
- Herr Kollege Schmid, ich glaube,
({1})
wir können das hier nicht entscheiden. Ich bin gern bereit, mich nachher mit Ihnen auseinanderzusetzen. Ich kann Ihnen nur erklären, ich habe es anders verstanden, und ein Teil der Kollegen ebenfalls. - Ich habe doch niemanden damit gekränkt, meine Herren, und brauche auch nichts zurückzunehmen.
({2})
- Das müssen Sie dem Herrn Bundeskanzler überlassen, ob er mich deshalb zur Rechenschaft zieht, und mir das, was ich dazu zu sagen habe.
Ich erwähnte: Das Verbleiben der Truppen geschieht ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Verteidigung. Man kann daraus herleiten, daß darin nun doch faktisch eine gewisse Einengung der souveränen politischen Handlungsfreiheit liege. Das mag bis zu einem gewissen Grade auch sein. Diese Einengung stellt aber den Preis dar, den die Bundesrepublik für die Sicherung der Freiheit des deutschen Volkes zahlen muß; und es ist nach den gegenwärtigen Umständen auch kein Weg ersichtlich, wie Sie die deutsche Freiheit anders ähnlich wirksam sichern könnten. Eine Besonderheit dürfte darin bei der heutigen politischen Weltlage nicht zu sehen sein. Denn auch andere Staaten sind gezwungen, und weitere könnten durch die Entwicklung der strategischen Lage in Zukunft noch gezwungen werden, fremde Truppen zum Schutze ihrer Sicherheit aufzunehmen oder mindestens fremden Truppen Durchzugs- und Aufenthaltsrechte zuzugestehen. Etwas Diskriminierendes, etwas die Souveränität wesentlich Einengendes oder Aushöhlendes ist darin nach der Ansicht meiner Freunde nicht zu sehen.
Nun, meine Damen und Herren, aus der Fülle der mit den Verträgen zusammenhängenden Rechtsfragen und den Problemen der Souveränität ist ja erst ein Teil angesprochen worden. Eine erschöpfende Behandlung scheint mir hier nicht tunlich. Sie ist vielleicht auch gar nicht möglich, selbst im Rahmen unserer gewiß nicht knapp gehaltenen Erörterungen. Das ist nicht verwunderlich; denn diese Verträge regeln doch die Beendigung eines in den letzten Jahren allerdings schon abgemilderten Zustandes weitgehender staatlicher Rechtlosigkeit, eines Zustandes, bei dem die Willkür der Sieger von 1945 ursprünglich nur eingeschränkt war durch deren im übrigen keineswegs gleichmäßig gehandhabte Verantwortung gegenüber gewissen Völkerrechtsregeln und Grundsätzen der Menschlichkeit, in den letzten Jahren bei den Westalliierten zunehmend auch durch das Bestreben, bei uns Freunde zu gewinnen.
Es ist nötig, das einmal zu sagen. Denn vielen von uns ist es nicht mehr bewußt, welch weiter Weg hier zurückzulegen war und welch gutes Stück Weges durch diese Verträge dann eben zu guter Letzt noch zu schaffen blieb. Wir können die Wandlung vom System der Besatzungsgewalt zum Status eines souveränen Partners nicht gerade als kleinen Schritt empfinden. Er ist bedeutungsvoll, er ist einschneidend auf allen Gebieten. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß er eine Fülle von Problemen offenläßt, von Problemen, die wir im Geiste einer Zusammenarbeit werden auszufüllen haben, an deren Ausfüllung wir aber nicht in der Weise gehen könnnen, daß wir Bestimmung um Bestimmung in der ungünstigsten Weise interpretieren und hinter
({3})
jedem einzelnen Satz eine Falltür suchen und einen Strick, an dem das deutsche Volk eines Tages wieder ans Gängelband genommen oder vielleicht sogar aufgeknüpft werden soll.
Wir können und wir wollen diese Verträge nicht als Geschenk betrachten. Ganz im Gegenteil; sie begründen für uns genau so Pflichten wie für die anderen, aber sie begründen, meine Damen und Herren, auch eben Pflichten für die anderen! In einer Atmosphäre der Gegenseitigkeit und Annäherung - und die Verträge atmen trotz der ungleichen Ausgangsbasis Deutschlands den Grundsatz der Gegenseitigkeit - wird sich durch Auslegung, durch Zusammenarbeit sehr vieles von dem beseitigen lassen, was uns heute noch als Hindernis, als Bedenken entgegentritt.
Es ist am heutigen Nachmittag viel darüber gesagt worden, daß auf dem Gebiet des zwischenstaatlichen Rechts, daß auf dem Gebiete insbesondere der deutschen Auslandsvermögen die Verträge sehr viel zu wünschen übriglassen. Es ist nicht Aufgabe meines Referats, das zu vertiefen; es geht jetzt um Fragen des Verfassungsrechts. Aber lassen Sie mich noch einmal wiederholen, und das kann vielleicht nicht oft genug gesagt werden, daß der Rest von Ungleichheit, der leider noch immer in diesen Verträgen liegt, gerade auf dem Gebiet des deutschen Privateigentums im Ausland, weit über seine eigentliche Bedeutung den Verträgen und dem Geist der Verträge schadet. Hier wird es Aufgabe der Bundesregierung sein, dem Geist einer wirklichen Zusammenarbeit und eines Verständnisses zum Durchbruch zu verhelfen, nicht locker zu lassen und darauf hinzuweisen, daß eine Fülle guter Bestimmungen durch wenige schlechte verdorben werden kann; denn an die wenigen schlechten hängen sich die Animositäten, hängt sich der letzte Rest des Gefühls mangelnder Gleichberechtigung und einer Diskriminierung.
({4})
Es scheint mir gut, meine Damen und Herren - und nun komme ich annähernd zum Schluß -,
({5})
an dieser Stelle etwas zu wiederholen, was ich anläßlich der Bundestagsdebatte über die Berliner Konferenz schon einmal gesagt habe. Wir sind nicht nur gewillt, in ehrlicher Zusammenarbeit mit allen freien Völkern unser Teil zur Erhaltung der Freiheit zu tun. Das deutsche Volk hat in den letzten Jahren bereits bewiesen, daß es für diese Freiheit Opfer und Gefahren auf sich nimmt.
({6})
Wäre diese vorbehaltlose Bereitschaft im deutschen Volke nicht vorhanden gewesen, wäre auch nur ein Teil unseres Volkes den Verlockungen oder dem Zwang eines uns fremden Systems erlegen, dann brauchte sich insbesondere Westeuropa die Sorge um die Erhaltung der Freiheit wahrscheinlich nicht mehr zu machen.
({7})
Europa wäre dann längst ein Teil des Satellitensystems östlicher Art geworden.
({8})
Die Beharrlichkeit und das sichere Festhalten unseres ganzen Volkes an den Ideen der Freiheit und der Demokratie westlicher Prägung trotz äußerster
materieller Not und - auch das muß gesagt werden - trotz einer anfänglich demütigenden Behandlung selbst durch den Westen haben Europa erst die Plattform erhalten, auf der es sich heute zu finden vermag. Dies sollte man, wenn man an die Ausgestaltung der Verträge geht, dem Westen und sich selbst stets vor Augen halten.
Die Illusion, daß die Zeiten rivalisierender Nationalstaaten in der freien Welt nun vorüber seien, ist mir durchaus nicht eigen. Ich stehe jedoch nicht auf dem Standpunkt, daß innerhalb der freien Welt der Begriff der moralischen Verpflichtung keine Gültigkeit habe.
Herr Kollege Arndt hat mir, wenn ich ihn gestern recht verstanden habe, auf eine Zwischenfrage geantwortet, er vermute hinter gewissen Erklärungen der angelsächsischen Mächte - es handelte sich um die Zusage an Frankreich bezüglich der Saar - eine sehr handfeste Politik im eigenen Interesse, eine Art Machtpolitik und keine Moral. Ich möchte nicht darüber rechten, ob das in jenem besonderen Fall stimmte. Allgemein stimmt das bezüglich der Politik der freien Völker hoffentlich nicht, sonst wäre Anlaß zu einer viel skeptischeren Beurteilung der europäischen Zukunft vorhanden. Ich bin vielmehr der Überzeugung und ich glaube, meine Damen und Herren, wir alle, die wir an ein Europa glauben, sind es -, daß die Staatsform der Demokratie, soweit das überhaupt möglich ist, Sicherungen dagegen enthält, daß alle Dinge nur aus dem Gesichtspunkt reiner Machtpolitik gesehen werden. Unsere jüngere Geschichte gibt genug Beispiele dafür, daß Völker auch bereit waren, für ihre Ideen, ja auch für Ideale, die schwersten Opfer auf sich zu nehmen. Gerade dort war die Opferbereitschaft am größten, wo die Völker sich wirklich frei fühlten und ihr Ideal als Bestandteil ihrer Freiheit betrachteten. Ich bin deshalb nicht pessimistisch bezüglich der Entwicklung, die durch diese Verträge eingeleitet wird. Ich würde nur wünschen, daß sich jenes Band, das die Erhaltung der Freiheit zwischen allen Völkern des Westens zu knüpfen beginnnt, verstärkt und daß im Schutze des gemeinsamen Bemühens um die Durchsetzung der Menschenrechte auch unsere heute noch außerhalb der Bundesrepublik lebenden Brüder und Schwestern in einer nicht fernen Zukunft zu uns gelangen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Greve.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen aller meiner Vorredner, die zu diesem Kapitel sprachen, haben gezeigt, daß es auch für Juristen schwierig, vielleicht nicht möglich ist, die Politik von der Jurisprudenz zu trennen.
({0})
- Einschließlich des Herrn Abgeordneten Carlo Schmid, Herr Kollege Strauß.
({1})
Auch mir wird das nicht gelingen, und ich will es auch gar nicht versuchen. Ich will mich aber bemühen, jedenfalls zu den Rechtsfragen in einigem etwas anderes zu sagen, als es bisher von den Diskussionsrednern geschehen ist. Aber zunächst muß ich einige Ausführungen zu dem machen, was Herr Kollege Dr. Schneider hier gesagt hat.
({2})
Herr Kollege Dr. Schneider hat geglaubt, darauf hinweisen zu sollen, daß die Ausführungen, die mein Freund Carlo Schmid zur Frage der Kündigungsklausel gemacht hat, deswegen unrealistisch seien, weil die Anwendung einer Kündigungsklausel nichts anderes bedeuten würde als die Wiederherstellung des früheren Zustandes, d. h. in unserem Falle des jetzigen Besatzungsregimes. Das sind doch ausgesprochene Mätzchen, meine Damen und Herren!
({3})
Wenn einer im Jahre 1950 einen Vertrag geschlossen hat und er kündigt ihn heute, dann weiß Herr Kollege Schneider ganz genau, daß damit noch nicht einmal die Rechtsverhältnisse des Jahres 1950 wiederhergestellt werden, geschweige denn auf politischem Gebiet die Zustände, die im Jahre 1950 bestanden haben. Mit diesen Argumenten kommt man doch der von meinem Freunde Carlo Schmid für notwendig gehaltenen Kündigungsklausel nicht bei. Daß es Kündigungsklauseln gibt, ist doch in der Geschichte der internationalen Verträge nichts Unbekanntes.
Herr Kollege Dr. Schneider hat weiter geglaubt, die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei als Verräter an der repräsentativen Demokratie hinstellen zu müssen, die wir im Parlamentarischen Rat selbst mitbeschlossen haben. Er hat geglaubt, darauf hinweisen zu müssen, daß der Appell, den die Sozialdemokratische Partei im Augenblick, in dieser Stunde der Verabschiedung der Pariser Verträge, an die deutsche Bevölkerung richtet, nichts anderes sei als die Anwendung von sogenannten volksdemokratischen Methoden. Dabei weiß Herr Kollege Dr. Schneider ganz genau, daß es nicht so ist und das ist es eben, was ich verurteile! Was die
Sozialdemokratische Partei in den letzten Wochen draußen getan hat, ist doch nichts anderes als das, was die Bundesregierung und die Parteien, die hinter ihr stehen, auch getan haben: sie hat versucht, das deutsche Volk über die Folgen der Pariser Verträge aufzuklären.
({4})
Wenn uns dieses Recht bestritten wird, die deutsche Bevölkerung aufzuklären - natürlich nicht wie Sie, sondern wie wir diese Verträge sehen -, dann beschneiden Sie uns das Recht der freien Meinungsäußerung, und das wollen Sie doch selbst nicht! Es sind politische Mittel, die wir anwenden!
({5})
- Was heißt „Zwangsabstimmungen"? Es werden überhaupt keine Zwangsabstimmungen vorgenommen. Kein Mensch ist von meinen Freunden gezwungen worden, abzustimmen.
({6})
- Nein, kein Mensch ist gezwungen worden, abzustimmen,
({7})
sondern es sind Menschen draußen gefragt worden, ob sie eine Antwort geben wollten, und das haben sie getan.
({8})
Wenn Sie das irgendwie „Zwang" nennen, dann
dürfen Sie auch nicht die Methoden durchführen,
die die Bundesregierung jeden Tag draußen in der
Bundesrepublik zur Anwendung bringt. Wenn Sie das „volksdemokratisch" nennen, dann nennen Sie Mittel „volksdemokratisch", die anzuwenden wir nach dem Grundgesetz berechtigt sind; und auf diese Mittel können und wollen wir auch in der Zukunft nicht verzichten.
({9})
Wie weit das geht, meine Damen und Herren - und damit komme ich zum letzten Punkt, den ich in den Ausführungen des Kollegen Dr. Schneider höchst bedenklich gefunden habe -, das ersehen Sie doch daran, daß Herr Dr. Schneider glaubte uns fragen zu müssen, warum wir so empfindlich seien, wenn es sich um die Ablehnung des totalitären Systems auf der Rechten, des früheren Nationalsozialismus, handle, und warum wir weniger empfindlich seien, wenn es sich um das kommunistische totalitäre System handle. Ja, meine Damen und Herren, daran ist doch kein wahres Wort, wenn Sie die Wirklichkeit sehen!
({10})
Können Sie einem Sozialdemokraten nachsagen, daß er nicht in gleicher Weise die kommunistischen Konzentrationslager verurteilt, wie er die nationalsozialistischen verurteilt hat? Kein Sozialdemokrat ist je auf den Gedanken gekommen, etwa das totalitäre System des Ostens anzuerkennen, während er das totalitäre System, das der Nationalsozialismus in Deutschland aufgerichtet hatte, ablehnte. Wer sitzt denn in den Konzentrationslagern der Sowjetzone, meine Damen und Herren?
({11})
Wer sind denn die von der Sozialistischen Einheitspartei am meisten bekämpften Politiker in jenem Gebiete Deutschlands? Ich glaube, nur die Frage stellen zu müssen, und die Antwort zu geben scheuen Sie ({12}) sich jetzt,
({13})
weil Sie wissen, Sie müssen dann sagen, daß es meine Parteifreunde sind!
({14})
- Herr Kollege Pelster, ich greife Sie doch gar nicht an. Von Ihnen weiß ich, daß Sie uns solche Vorwürfe nicht machen. Von Ihnen weiß ich auch, daß Sie in der Vergangenheit auf diesem Gebiet mit uns politisch auf gleicher Ebene gekämpft haben und daß Sie das auch heute tun. Oder stehen Sie etwa auch zu den Ausführungen, die Herr Kollege Schneider uns gegenüber gemacht hat, daß er warnend und mahnend uns sagen zu müssen glaubte, wir sollten auf dem Wege nicht weitergehen, den wir beschritten haben? Meine Damen und Herren, auf dem Wege, den wir beschritten haben, werden wir weitergehen, weil wir zu politischem Erfolg kommen wollen,
({15})
und wir werden diesen Erfolg haben, darauf können Sie sich verlassen!
({16})
Das zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Schneider.
({17})
Lassen Sie mich nun einiges zu den Rechtsfragen sagen! Ich erwähnte bereits: es ist schwierig, in der Frage der Wiederbewaffnung und in der Frage der Wiederaufrüstung die politischen Probleme streng von den juristischen zu trennen. Das hat auch der Herr Bundeskanzler in den Ausführungen, die er während dieser Debatte gemacht hat, zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz allerdings zu den Abmachungen, die der Herr Bundeskanzler ja weithin mündlich trifft, handelt es sich hier um ein umfangreiches Vertragswerk, das im einzelnen auf seinen Rechtsgehalt hin zu untersuchen im Rahmen dieser Debatte nicht möglich ist. Es gibt eine Fülle von Rechts- und rechtspolitischen Problemen, die zum Teil angeschnitten, zum Teil nur erwähnt sind. Ich will mich hier auf einige wenige Beispiele beschränken. Die Beispiele, die ich gewählt habe, beziehen sich ausschließlich auf solche Bestimmungen, die nach meiner Auffassung nicht mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen sind.
Nun ist der Herr Bundeskanzler zwar selbst Jurist, aber kein Völkerrechtler. Ich bin es auch nicht. Ich bin „nur" Rechtsanwalt und Notar wie der Herr Kollege Dr. Becker, der auf diesem Gebiete schon von Berufs wegen - nach der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers - von Völkerrecht nichts verstehen kann. Aber während der Herr Kollege Becker auf seinen eigenen und allein auf seinen politischen Verstand angewiesen ist, hat der Herr Bundeskanzler - das Recht bestreite ich ihm auch gar nicht - in seinem Gefolge eine ganze Reihe von juristischen Flügeladjutanten, die ihm das Material für das liefern, was er auf dem Gebiet völkerrechtlicher Vereinbarungen tun muß. Ich kann mich nach parlamentarischer Gepflogenheit leider nur mit einem dieser Flügeladjutanten beschäftigen, nämlich mit Herrn Staatssekretär Professor Dr. Hallstein, der als der Vertreter des Herrn Bundeskanzlers in außenpolitischen Angelegenheiten hier selbst das Wort nehmen kann, während die Beamten, die noch im Stabe des Herrn Bundeskanzlers vorhanden sind, das nicht tun können.
Nun leidet der gegenwärtige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Herr Professor Dr. Hallstein, auch an einem Mangel; er ist nämlich von Hause aus Ziviljurist und kein Völkerrechtler wie mein Kollege Professor Dr. Carlo Schmid, womit ich gar kein Werturteil über Völkerrechtler und Ziviljuristen abgeben will. Ich weiß sogar aus eigener Erfahrung, daß Herr Dr. Hallstein ein glänzender Ziviljurist ist; ich weiß es aus der Zeit, als ich selbst noch zu seinen Füßen an der Universität Rostock Handelsrecht hörte. Aber inzwischen sind die Dinge bei Professor Hallstein anders geworden. Er ist mitverantwortlich für das, was in diesen Verträgen vereinbart worden ist.
Es sind nun, wie gesagt, noch eine ganze Reihe von Herren in der Umgebung des Herrn Bundeskanzlers, die uns in den Ausschüssen als mitverantwortlich gegenübergetreten sind. Sie sind nach unserer Auffassung zum Teil geradezu Meister auf dem Gebiet der Völkerrechtsakrobatik, und die Spitzennummern dieser Herren bestehen zum Teil in ausgesprochenen völkerrechtlichen Purzelbäumen. Die Dienste, die insoweit dem Herrn Bundeskanzler geleistet worden sind, sind nach unserer Auffassung nicht immer sehr gute Dienste, weil alle diese völkerrechtlichen Flügeladjutanten des Herrn Bundeskanzlers zusammengenommen Vertreter der reinen Zweckjurisprudenz sind.
({18})
Das heißt, sie liefern für jede politisch bedeutsame Aktion, auch dann, wenn sie noch so wenig sinnvoll ist, auch dann, wenn sie nicht mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen ist, die juristischen Waffen, mit denen dann von irgendwelchen Leuten, die mit diesen Waffen gar nicht umzugehen verstehen, wild in der Gegend umhergeschossen wird.
({19})
Das Ergebnis dieser Schießereien finden wir dann
zum Teil in den Verträgen, wie sie uns hier vorgelegt worden sind. Diese, ich muß schon sagen, politisch-juristischen Gardeoffiziere im Generalstabsrang haben offenbar auch gar nichts dabei gefunden, daß eine ganze Reihe von Einzelbestimmungen in diesen Verträgen einfach nicht mit dem
Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen sind.
Ich will jetzt auf drei Punkte insbesondere eingehen, die mir in gar keiner Weise dem Grundgesetz zu entsprechen scheinen.
Da haben wir zunächst in Art. 6 des Zweiten Teiles, Gerichtsbarkeit und Verfahren, die Bestimmung, daß die Behörden der Streitkräfte im Bundesgebiet kein Todesurteil vollstrecken, solange das deutsche Recht die Todesstrafe nicht vorsieht. - Was heißt, daß die Behörden der Streitkräfte kein Todesurteil vollstrecken? Das heißt nichts anderes, als daß auf das Todesurteil erkannt werden kann, und zwar auch gegen deutsche Staatsangehörige, die Mitglieder der Streitkräfte sind. Es gibt Deutsche als Mitglieder der Streitkräfte, denn in Art. 1 Ziffer 7 b heißt es:
Der Begriff „Mitglieder der Streitkräfte" umfaßt Deutsche nur dann,
- aber Deutsche immerhin wenn sie im Staatsgebiet der beteiligten Macht in deren Truppen eingetreten oder von ihnen eingezogen oder angestellt worden sind und dort zu diesem Zeitpunkt entweder ihren ständigen Wohnsitz gehabt oder sich dort seit mindestens einem Jahr aufgehalten haben.
Meine Damen und Herren, es läßt sich doch nicht bestreiten, daß es sich insoweit nicht nur darum handelt, daß die Vollstreckung von Todesurteilen gegen Deutsche nicht möglich ist. Vielmehr ist die Vollstreckung außerhalb der Bundesrepublik möglich, wenn diese Deutschen zum Tode verurteilt worden sind. Diese Möglichkeit besteht nach den von mir eben erwähnten Bestimmungen des Vertrages, und dem steht meines Erachtens die Bestimmung des Art. 102 des Grundgesetzes mit seinem absolut klaren Wortlaut eindeutig entgegen, in dem es heißt: „Die Todesstrafe ist abgeschafft". Das, meine Herren vom Auswärtigen Amt und vom Bundesjustizministerium, heißt nicht nur, daß die Vollstreckung der Todesstrafe abgeschafft ist, sondern auch, daß für kein Gericht in der Bundesrepublik die Möglichkeit besteht, auf die Todesstrafe zu erkennen. Die Alliierten haben sich hier also ausdrücklich das Recht vorbehalten, auch auf die Todesstrafe zu erkennen. Sie wollen sie nur insoweit nicht vollstrecken, als es sich darum handelt, dies im Bundesgebiet zu tun.
Ich habe die Frage an das Auswärtige Amt und an das Bundesjustizministerium zu richten, wie diese Bestimmungen in den Verträgen mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen sind. Ich will hier keine grundsätzlichen Ausführungen über die Todesstrafe, über ihre Bejahung und ihre Verneinung, machen. Ich frage mich nur, ob auf
({20})
diese Weise etwa über eine Art verfassungsmäßige Hintertreppe die Todesstrafe wieder eingeführt werden soll
({21})
und ob nicht auf diese Weise etwas getan werden soll, was man heute nach außen zu tun sich noch scheut.
Ich komme zu einem anderen Punkt, und zwar zum Art. 2, in dem von der Beachtung des deutschen Rechts und von der politischen Betätigung die Rede ist. Da heißt es:
Soweit in diesem Vertrage oder in anderen einschlägigen Verträgen oder Abkommen nichts anderes bestimmt ist, beachten die Mitglieder der Streitkräfte das deutsche Recht, . . .
In Abs. 2 heißt es:
Die Mitglieder der Streitkräfte enthalten sich jeder Betätigung, die mit dem Geist des Vertrages unvereinbar ist, insbesondere jeder politischen Betätigung.
Entweder hat man nicht gewußt, was man mit dieser Bestimmung in die Verträge hineinschrieb - dann ist es leichtfertig gewesen -, oder man ist sich der Bedeutung bewußt gewesen, und dann verstehe ich nicht, wieso man sich zu derartigen vertraglichen Verpflichtungen hingeben konnte; denn das heißt nichts anderes, als daß auch deutsche Staatsangehörige, soweit sie Mitglieder der Streitkräfte sind, sich jeder Betätigung, die mit dem Geist dieses Vertrages unvereinbar ist, insbesondere jeder politischen Betätigung, enthalten müssen. Das bezieht sich nach Art. 1 Ziffer 7 b nicht nur auf die Angehörigen der Streitkräfte selbst, sondern auch auf die Ehegatten und Kinder, wenn ihre Ehegatten und I Väter - in diesem Falle - Angehörige der Streitkräfte sind. Denn es heißt ausdrücklich:
Als „Mitglieder der Streitkräfte" gelten: Angehörige, worunter Ehegatten und Kinder von Personen im Sinne der Unterabsätze ({22}) und ({23}) oder nahe Verwandte, die von solchen Personen unterhalten werden . . . zu verstehen sind.
Das sind doch Dinge, die einfach mit dem Grundgesetz nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Die Fragen, die hier auftauchen, sind doch nicht einfach dadurch zu lösen, daß gesagt wird, wie es in einigen Ausführungen hier bereits angeklungen ist: das müsse einer späteren Regelung vorbehalten bleiben. Wenn all das, was auf diese Weise unerklärlich und unerfindlich ist, einer späteren Lösung vorbehalten bleiben muß, dann wäre es besser gewesen, man hätte noch einige Zeit mit dem Vertragsabschluß gewartet, um alles das, was klargemacht werden muß und kann, noch klarzumachen,
({24})
wie ich überhaupt der Auffassung bin, daß unter dem Druck, unter dem diese Verträge abgeschlossen worden sind, in Zeitnot manches einfach hingenommen worden ist, und keiner weiß, was später daraus wird. Ich glaube, wir sollten besondere Obacht darauf haben, weil wir wissen, welche Meister auf dem Gebiete der Vertragsauslegung die Franzosen sind,
({25})
und schließlich sind sie unsere Partner in diesen Pariser Verträgen.
Ich komme auf die Auslieferung zu sprechen. In Art. 27 ist ausgeführt worden, daß über Ersuchen um Auslieferung von Mitgliedern der Streitkräfte die beteiligte Macht entscheidet. Nach Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes darf kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden. Das ist eine Bestimmung, die zwingenden Charakters ist. Wenn nun nach Art. 27 allein die beteiligte Macht über die Auslieferung entscheidet - und zwar auch dann, wenn es sich um Deutsche handelt, und es kann sich um Deutsche handeln, wenn sie zu den Streitkräften gehören -, wenn weiter nach Art. 28 die beteiligte Macht das alleinige Recht hat, Mitglieder der Streitkräfte - also auch Deutsche, wenn sie Mitglieder der Streitkräfte sind - aus dem Bundesgebiet zu entfernen, dann frage ich die Herren, die dafür verantwortlich sind, daß diese Verträge vom Herrn Bundeskanzler unterzeichnet worden sind, wie sie diese Bestimmungen in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes finden, in dem es heißt, daß kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden kann.
Aber es kommt noch besser. Es heißt in Art. 28 Abs. 2:
Sind die Behörden der Drei Mächte der Auffassung, daß der Aufenthalt einer Person im Bundesgebiet ihre Sicherheit gefährdet, so können sie den deutschen Behörden die nach dem Grundgesetz zulässigen Maßnahmen hinsichtlich des Aufenthaltes dieser Person empfehlen.
Ja, meine Damen und Herren, was sind das für Bestimmungen? Eine beteiligte Macht braucht nur zu sagen, daß ihr irgendwie eine Person im Bundesgebiet die Sicherheit ihrer eigenen Truppen oder ihrer sonstigen Angehörigen zu gefährden scheint, dann hat die Bundesregierung die nach dem Grundgesetz zulässigen Maßnahmen hinsichtlich des Aufenthaltes dieser Person zu ergreifen. Was sollen das für Maßnahmen sein, die die Bundesregierung hier gegenüber Deutschen zu ergreifen hat, nachdem im Grundgesetz das Recht der Freizügigkeit festgelegt ist? Denn alle Deutschen genießen nach Art. 11 des Grundgesetzes Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet, und dieses Recht jedes Deutschen kann nur durch ein Gesetz und eben nur für ganz bestimmte Fälle, die nicht auf eine einzelne Person gerichtet sind, beschränkt werden.
Das alles sind doch nicht nur Ungereimtheiten, sondern das sind nach meiner Auffassung glatte Rechtsbrüche. Das sind Verletzungen des Grundgesetzes, die weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geiste unserer verfassungsmäßigen Ordnung etwas zu tun haben.
({26})
Es ist also so, daß der einzelne Deutsche, wenn diese Verträge in Rechtskraft übergehen, nicht mehr die volle Garantie hat, daß die Freizügigkeit, die ihm nach dem Grundgesetz gewährt ist, auch von der Bundesregierung respektiert wird. Es ist so, daß er nicht von Maßnahmen frei ist, die die Bundesregierung unter Umständen gegen ihn ergreifen kann, die sie sogar gegen ihn ergreifen muß, wenn die Besatzungsmächte, wenn die Drei Mächte, wie es in dem Vertrag heißt, es verlangen.
Daß das nicht ohne Absicht geschehen ist, will ich Ihnen an einem weiteren Beispiel illustrieren, und zwar an dem der Indemnität der Bundestagsabgeordneten, an Ihrer eigenen Indemnität, meine Damen und Herren. Denn in dem Anhang A § 2 Abs. 4 heißt es, daß § 100 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs auf militärische Geheimnisse keine Anwendung findet. Da Sie sicher nicht alle das Strafgesetzbuch zur
({27})
Hand haben, werde ich Ihnen vorlesen, was in Abs. 3 des § 100 des Strafgesetzbuchs enthalten ist.
Da heißt es:
Ein Abgeordneter des Bundestags, der nach gewissenhafter Prüfung der Sach- und Rechtslage und nach sorgfältiger Abwägung der widerstreitenden Interessen sich für verpflichtet hält, einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes oder eines Landes im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse zu rügen, und dadurch ein Staatsgeheimnis öffentlich bekanntmacht, handelt nicht rechtswidrig, wenn er mit der Rüge beabsichtigt, einen Bruch des Grundgesetzes oder der Verfassung eines Landes abzuwehren.
Dieser Artikel wird durch die Pariser Verträge außer Kraft gesetzt.
({28})
Sie haben in Zukunft weder hier im Bundestag noch in einem seiner Ausschüsse, auch nicht in den als vertraulich geltenden Ausschüssen oder geheimen, wie es genannt wird - im Auswärtigen Ausschuß, im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen usw. -, das Recht, solche Angelegenheiten zu rügen, die Sie zur Sprache bringen wollen, wenn Sie mit der Rüge beabsichtigen, einen Bruch des Grundgesetzes oder der Verfassung eines Landes abzuwehren. Sie müssen also in Zukunft, wenn Sie von glatten Verfassungsbrüchen Kenntnis erhalten, schweigen, wenn es sich um militärische Angelegenheiten handelt, hier im Bundestag und in den Ausschüssen des Bundestags, weil Sie sonst nach der Aufhebung des § 100 Abs. 3 im § 2 des Anhangs A Gefahr laufen, vom Staatsanwalt verfolgt zu werden. Es handelt sich in § 100 Abs. 3 des Strafgesetzbuches nur um einen Rechtsschutz für Bundestagsabgeordnete, von dem mit Recht in dem Kommentar, der mir hier gerade vorliegt, gesagt wird, daß er über einen persönlichen Strafausschließungsgrund hinausgeht und einen Rechtfertigungsgrund nach Art des übergesetzlichen Notstands darstellt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
Herr Kollege Greve, dürfen wir davon ausgehen, daß das, was Sie jetzt vortragen, ein Teil einer von Ihnen beabsichtigten Verfassungsklage gegen die Pariser Verträge sein soll?
Nein, davon dürfen Sie nicht ausgehen, Herr Kollege Strauß. Ich unterhalte mich hier ja nur über die Indemnität, auch über Ihre Indemnität, die durch den Abs. 4 des § 2 aufgehoben wird, und ich weiß nicht, was die Indemnität für Abgeordnete überhaupt noch für einen Sinn haben soll,
({0})
wenn wir nicht mehr rügen dürfen, daß es Maßnahmen gibt, die darauf hinauslaufen, die Verfassung der Bundesrepublik oder eines Landes zu brechen.
({1})
Wenn wir zu uns selbst hier im Bundestag oder in einem Ausschuß dieses Bundestages das Vertrauen verloren haben, derartige Dinge zu sagen, dann ist die ganze militärische Aufrüstung dieser Bundesrepublik nicht einen Pfennig wert, meine Damen und Herren!
({2})
Sie müssen in diesem Zusammenhang doch bedenken, daß damit das Recht der freien Meinungsäußerung, das uns nach Art. 5 des Grundgesetzes zugestanden wird, und die in Art. 46 des Grundgesetzes verankerte Indemnität verletzt werden. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was an Knebelung für einen Abgeordneten überhaupt nur möglich ist, daß ihm das Recht genommen wird, etwas zu rügen, was nach seiner Auffassung verfassungsmäßig nicht zulässig ist. Damit ist natürlich der Verfolgung von politischen Gegnern von vornherein Tür und Tor geöffnet. Wenn einer von uns in Zukunft in Fragen, die militärische Dinge betreffen, auf Umstände hinweist, die verfassungsmäßig nicht zulässig sind, dann läuft er nicht nur Gefahr, verfolgt zu werden, sondern - darauf können Sie sich verlassen - er wird auch verfolgt werden. Wir haben schon manches erlebt in einer Zeit, in der wir in Deutschland eine demokratische Republik hatten. Ich brauche hier in diesem Hause doch wohl nur den Namen Ossietzky zu nennen,
({3})
um Ihnen in Erinnerung zu rufen, welcher Maßnahmen gegen demokratische Politiker Institutionen wie die Staatsanwaltschaften zur Zeit der Weimarer Republik fähig gewesen sind.
({4})
Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie kennen alle auch die übrigen Fälle, die ich im einzelnen hier nicht zu erwähnen brauche, um sich selbst klarzumachen, welche Gefahr in dieser Bestimmung des § 2 Abs. 4 liegt. Warum soll denn, meine Herren vom Auswärtigen Amt und vom Bundesjustizministerium, hier in diesem Hause, im Plenum und in seinen Ausschüssen, nicht davon gesprochen werden, wenn militärische Maßnahmen ,die Verfassung zu brechen drohen? Ich frage insbesondere das Bundesjustizministerium, ob es zu diesem § 2 Abs. 4 seine Zustimmung gegeben hat. Aber ich darf wohl annehmen, daß das geschehen ist; denn sonst würde doch auf dringende Vorstellungen seitens des Bundesjustizministeriums die Möglichkeit bestanden haben, diese Bestimmung aus den Pariser Verträgen herauszulassen.
Ich glaube, daß hier ein Weg beschritten wird, der uns von den demokratischen Mitteln, die jeder einzelne von uns haben muß, abbringt, und daß wir hier in unseren verfassungsmäßigen Rechten in einer Art und Weise beschränkt werden, daß von der freien Ausübung des Abgeordnetenmandats in unserem eigenen Parlament nicht mehr die Rede sein kann. Und das scheint mir zumindest ein Weg zu sein, auf dem man dahin kommen kann, wohin wir in Deutschland schon einmal gekommen sind; das alles geschieht im Zeichen der Wiederbewaffnung und Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland!
Das waren einige Beispiele aus den Verträgen, die ich noch vermehren könnte. Es waren Beispiele von Bestimmungen, die mit Zustimmung ,der Bundesregierung in diese Verträge hineingekommen sind, ohne daß sie sich mit den grundgesetzlichen Bestimmungen in Übereinstimmung befinden.
Nun will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Strauß, daß wir, falls diese Verträge in Kraft treten sollten, selbstverständlich alle Maßnahmen ergreifen werden, die erforderlich sind,
({5})
um der Verfassung Rechnung zu tragen, damit eben
in erster Linie den Verfassungsbestimmungen
({6})
Rechtswirksamkeit verliehen wird, damit nicht Bestimmungen, die nicht verfassungsmäßig sind, in den Verträgen bleiben und damit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in dem Genuß ihrer verfassungsmäßigen Rechte bleiben und ihnen nicht durch Bestimmungen in den Pariser Verträgen diese Rechte genommen werden.
({7})
- Nein, nicht „doch", Herr Kollege Strauß. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß meine Ausführungen eine Kritik an den Verträgen bedeuten, aber nicht den ersten Schritt zu einer Klage beim Verfassungsgericht in Karlsruhe. Welche Maßnahmen dazu notwendig sind, das müssen Sie uns allein überlassen. Dazu nützen auch gar keine gutgemeinten Ratschläge, denn sie würden eher das Gegenteil von dem erreichen, was Sie erreichen wollen.
Es ist nach meiner Auffassung bedauerlich, daß sich die Bundesregierung dadurch, daß sie eben die Verträge durch den Bundeskanzler um meines Erachtens fragwürdiger militärpolitischer Ziele willen unterzeichnen ließ, vertraglich verpflichtet, das Grundgesetz zu verletzen; denn das muß sie, wenn sie Bestimmungen nachkommen will, die in diesem Vertrag enthalten sind, sofern es von ihr von den Drei Mächten verlangt wird.
Nun werden Sie mir in dem Eifer, in dem die Wiederbewaffnung und Wiederaufrüstung betrieben wird, sagen: Was ist schon Todesstrafe, was ist Auslieferung von Deutschen, und was sind Bundestagsabgeordnete und deren Indemnität wert, wenn es sich um Wiederbewaffnung und Wiederaufrüstung handelt! Meine Damen und Herren, so ist es nicht. Ich glaube, daß die von mir hier nur beispielhaft aufgezeigten Probleme keine Angelegenheit sind, denen man ihre Bedeutung absprechen kann. Es handelt sich hier um Fragen, vor die jeder einzelne Deutsche gestellt sein kann, auch Sie und auch ich. Wir werden uns jetzt zu entscheiden haben, ob wir etwas tun, das uns in der Ausübung unserer Rechte hindert. Diese Bestimmungen sind, wie vieles andere, das ,was man einfach eine Verletzung des Grundgesetzes nennen muß, und gar nichts anderes. Es handelt sich bei ihnen nämlich um Symptome einer Art und Weise, das politische Leben in Deutschland schon wieder mit Dingen zu belasten, die einfach unerträglich sind.
Sie haben in diesen Tagen hier von meinen Freunden im wesentlichen politische Argumente gehört, die ins Feld geführt worden sind, um diese Verträge nicht Rechtskraft erlangen zu lassen. Ich habe versucht, Ihnen an einigen Beispielen klarzumachen, daß es aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, diese Verträge so hinzunehmen, wie sie uns hier vorgelegt werden, weil sie in wesentlichen Punkten nicht mit idem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen sind. Ich habe versucht, in der kurzen Zeit, die ich hier heute Abend nur in Anspruch nehmen kann, Ihnen die Steine aufzuzeigen, an denen Sie auf Ihrem Opfergang einfach nicht vorbeikommen, wenn Sie Deutschland wiederbewaffnen und wiederaufrüsten wollen.
Was aus diesen Verträgen - und nun lassen Sie mich hier ein persönliches Wort sagen - entstehen wird, wird nicht das Recht des deutschen Volkes und des deutschen Staates sein, in Freiheit und in Frieden zu leben, sondern was hier aus diesen Verträgen kommt, das wird möglicherweise der unter falscher Flagge geführte Kampf aller gegen alle sein, der möglicherweise mit der Vernichtung von
Millionen von Menschen aller Völker in der ganzen Welt enden wird, die in Wirklichkeit nichts anderes und nichts weiter wollen als das Recht zum Leben, als leben, leben und nochmals leben.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Greve hat ausgeführt, er habe den Versuch gemacht, dem Hohen Hause klarzulegen, daß eine Reihe Bestimmungen des Truppenvertrages mit dem Grundgesetz nicht übereinstimmen. Ich glaube, es werden nur wenige Hörer in diesem Hohen Hause den Eindruck gewonnen haben, daß Herrn Kollegen Greve dieser Versuch gelungen ist.
({0})
Ich möchte dazu nur ganz kurz einiges ausführen. Die Todesstrafe! Herr Kollege Greve, Sie wissen so gut wie jeder in diesem Hohen Hause, daß wir nicht in der Lage sind, den fremden Mächten zu verbieten, ihre Gesetze anzuwenden.
({1})
- Jawohl, wenn sich ein Deutscher als Soldat unter eine fremde Hoheit stellt
({2})
- ich habe meinen Satz noch nicht vollendet gehabt-, dann gelten für ihn natürlich die Gesetze
des Landes, in dessen Truppe er dient.
({3})
Das scheint mir außer Zweifel zu sein.
Es ist ausdrücklich vorbehalten, daß die Todesstrafe gegen Deutsche nicht vollstreckt wird, solange sie in Deutschland nicht gilt, d. h. solange die Todesstrafe abgeschafft ist. Damit ist ein Widerspruch zur Verfassung nicht gegeben.
({4})
- Das ist kein Kolonialvertrag. ({5})
Es steht jedem frei, ob er sich melden will oder nicht,
({6})
ob er in einer anderen Macht Dienst tun will oder nicht. Das kann man doch nicht einen Kolonialvertrag nennen!
({7})
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß das bisher auch niemals als verfassungswidrig behauptet worden ist, auch von Ihnen nicht. Es ist im Rechtsausschuß, wie ich mich erkundigt habe, nie davon die Rede gewesen, daß diese Bestimmung dem Grundgesetz widerspreche.
({8})
Nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen
steht die Strafhoheit bei stationierten Truppen
({9})
dem Staat zu, der die Truppenhoheit hat. Davon abgesehen sind diese Bestimmungen bereits in allen NATO-Verträgen enthalten.
({10})
- Ich behaupte hier im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, Herr Kollege Greve, daß eine derartige Bestimmung nicht mit dem Grundgesetz
({11})
- im Widerspruch steht.
({12})
Zu der zweiten Frage, der Frage der Indemnität der Abgeordneten, habe ich folgendes auszuführen. § 100 Abs. 3 des Strafgesetzbuches schafft für die Abgeordneten des Bundestages einen besonderen Rechtfertigungsgrund für die Preisgabe von Staatsgeheimnissen. Dabei handelt es sich um eine Art Notstand zur Verhinderung von Verfassungsbruch. Dieser Rechtfertigungsgrund ist durch den deutschen Gesetzgeber nur für die Preisgabe deutscher Staatsgeheimnisse gewährt worden. Die Bestimmung des § 2 Abs. 4 des Anhangs A stellt nur klar - und diese Bestimmung würde auch gelten, wenn sie gar nicht in den Vertrag aufgenommen wäre -, daß den Abgeordneten des Bundestages kein Rechtfertigungsgrund für die Preisgabe von militärischen Geheimnissen einer der drei fremden Mächte zur Seite steht.
({13})
- Das wird überall gelten, Herr Kollege Menzel.
({14})
- Lassen Sie mich doch mal aussprechen! Es kann den Drei Mächten nicht zugemutet werden, die Preisgabe ihrer militärischen Geheimnisse - ({15})
- Ich werde auf Ihre Frage kommen. Ich sagte: Es kann den Drei Mächten nicht zugemutet werden, die Preisgabe ihrer militärischen Geheimnisse im Bundestag unter irgendwelchen Voraussetzungen für erlaubt zu erklären. Denn in dem Ausschluß des § 100 Abs. 3 durch § 2 Abs. 4 des Anhangs A kann unserer Auffassung nach nichts Demütigendes gesehen werden. Mit der Frage der Verfolgbarkeit der Abgeordneten hat dieses Problem überhaupt nichts zu tun. Die Indemnität, wonach ein Abgeordneter wegen einer Äußerung im Bundestag oder in einem Ausschuß zu keiner Zeit strafrechtlich verfolgt werden kann außer wegen verleumderischer Beleidigung - das brauche ich hier nicht weiter auszuführen -, stellt einen absoluten Schutz des Abgeordneten vor einer Strafverfolgung wegen Verrats eines fremden militärischen Geheimnisses dar, falls das Geheimnis im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse preisgegeben worden ist. Dieses verfassungsrechtliche Abgeordnetenprivileg - und damit ist Ihre Frage erledigt, Herr Kollege Menzel - wird durch den Anhang A nicht berührt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Bundesminister, war das Aufziehen einer Partisanen-Organisation etwa nach Art des damaligen BDJ durch ausländisches Militär in diesem Sinne ein „militärisches Geheimnis" einer ausländischen Macht, über das also demnach ein Bundestagsabgeordneter im Bundestag nicht mehr sprechen dürfte?
Ich habe gerade eben ausgeführt, daß er im Bundestag darüber sprechen kann, ohne daß er zur Verantwortung gezogen wird.
Ich habe Sie so verstanden, daß diese Vorschrift für Geheimnisse dieser Art nicht besteht.
Nein! Ich habe ausdrücklich gesagt: Die Indemnität, wonach ein Abgeordneter wegen einer Äußerung im Bundestag oder in einem Ausschuß zu keiner Zeit strafrechtlich verfolgt werden kann, stellt einen absoluten Schutz des Abgeordneten vor einer Strafverfolgung wegen Verrats eines fremden militärischen Geheimnisses dar, falls das Geheimnis im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse preisgegeben worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Minister?
Bitte.
Herr Minister, behaupten Sie nicht gerade, daß durch den Art. 142 a, den ich allerdings nicht für gültig halte, diese Bestimmungen Verfassungsrang bekommen haben, weil ja die Verträge als solche in das Grundgesetz geschrieben sind?
Natürlich - -({0})
Natürlich hat Art. 142 a festgestellt, daß die Verträge nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Ich glaube, diese Erklärung muß genügen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß Sie die unfreundlichen Gefühle gegenüber meiner Person wegen der Verlängerung der Debatte nicht auch auf die Sache übertragen, um die es mir hier geht. Es ist die Sache, die heute morgen schon von drei Kollegen angesprochen worden ist, die Sache der Kriegsverurteilten und Kriegsgefangenen im ausländischen Gewahrsam. Ich habe heute morgen dazu nicht Stellung genommen, weil ich ebenso wie meine Freunde der Auffassung bin, daß diese Frage nicht in den Zusammenhang mit der Aufstellung von Streitkräften oder der Sicherheitsfrage gehört. Ich glaube zwar auch, daß die Haltung der ehemaligen Soldaten volles Verständnis verdient, die aus Gründen der Ehre oder der Kameradschaft sich weigern, als Verbündete derjenigen Mächte eine Uniform anzuziehen, die ihre Freunde wegen der Ausführung von Befehlen im Gefängnis halten, die nach
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deutschem Recht ausgeführt werden mußten. Aber entscheidend ist diese Haltung gegenüber der Wehrfrage nicht, weil es sich hier um eine politische Frage handelt, ob im Rahmen der NATO oder der WEU künftig Soldaten aufgestellt werden sollen.
Wir wollen aber den jungen Leuten, die da Soldat werden sollen, und auch denen, die die Uniform getragen haben und sie wieder anziehen wollen, einen guten Rat geben. Angesichts des Schicksals ihrer Kameraden aus dem zweiten Weltkrieg sollen sie ja dafür sorgen, daß sie immer auf der Seite des Siegers stehen; denn Kriegsverbrechen gibt es offenbar nur bei denen, die den Krieg verlieren. Es wird auch zweckmäßig sein - und das gilt für die Herren des Amtes Blank -, bei den KStN, bei den Kriegsstärkenachweisen, von vornherein die notwendige Anzahl von Rechtsberatern von der Kompanie an aufwärts vorzusehen, die dann nach der Praxis des letzten Krieges alle Befehle und alle Handlungen, die vielleicht späterhin einmal als Kriegsverbrechen ausgelegt werden könnten, prüfen.
Die sogenannte Rechtsprechung der Siegermächte nach diesem Kriege und der Vertragsmächte von heute - es sind ja dieselben - hat, glaube ich, einen tödlichen Keim in das gelegt, was man vielleicht als „Schlagkraft der Truppe" bezeichnen könnte. Es sind jetzt auf den Tag fast genau zwei Jahre und fünf Monate vergangen, daß wir im 1. Bundestag auf Grund einer Anfrage der Deutschen Partei ebenfalls über dieses Problem gesprochen haben. Die Herren Redner von heute morgen, die Kollegen Mende, Schneider und Strosche haben einige der Argumente, die damals hier wesentlich waren, schon zum Ausdruck gebracht. Ich kann mir das jetzt schenken.
Wir haben nur festzustellen, daß derselbe Art. 6 in dem Ersten Teil des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, den wir damals beanstandet haben, sich heute wortwörtlich wieder in den Verträgen findet.
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Wir haben damals beanstandet, daß auf diese Art und Weise ein Junktim zustande kommt zwischen dem Schicksal der noch in den Gefängnissen einsitzenden Kriegsverurteilten einerseits und einer politischen Frage andererseits, die mit dem Schicksal dieser Menschen gar nichts zu tun hat.
Nachdem die Verträge nicht in Kraft getreten sind, die wir damals beraten haben, haben sich Gemischte Gnadenausschüsse der Gefangenen angenommen, soweit sie, auf deutschem Gebiet inhaftiert sind. Diese Gemischten Gnadenausschüsse bestehen heute noch, und es ist die Frage: Sollen sie nun aufgelöst werden, wenn die Verträge in Kraft treten, da der Art. 6 ja einen vollkommen anders zusammengesetzten Gnadenausschuß vorsieht, oder sollen sie weiterarbeiten? Werden die Dinge, die von diesen Gnadenausschüssen bearbeitet sind, nochmals überprüft, oder ist das nun eine erledigte Angelegenheit ?
Ich stelle diese Fragen, weil es nach der Formulierung des Art. 6 diese Möglichkeiten durchaus gibt. Die Gemischten Gnadenausschüsse, die jetzt arbeiten, arbeiten mit dem Recht der betreffenden Gewahrsamsstaaten. Der neu in diesem Vertrag vorgesehene Gnadenausschuß ist aber in der Lage, eigenes Recht zu setzen und Empfehlungen auszusprechen nach eigenem Recht, die mit dem Recht der Gewahrsamsstaaten nicht immer übereinzustimmen brauchen. Es gibt da gewisse Schwierigkeiten, die schon jetzt angesprochen werden müssen, damit man sich auf sie vorbereiten kann. Am liebsten wäre es uns natürlich, wenn bis zum Inkrafttreten dieser Verträge der ganze Art. 6 dadurch gegenstandslos würde, daß es einfach keine Kriegsgefangenen mehr in diesen Gefängnissen gibt.
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Herr Kollege Professor Wahl hat ja schon im ersten Bundestag in seinem Bericht festgestellt, daß diese ganze Formulierung des Art. 6 nicht gerade sehr glücklich ist. Es ist in Abs. 5 z. B. vorgesehen, daß die Bundesrepublik einmal die Kriegsverurteilten in den eigenen Strafvollzug übernehmen soll, wenn sie dazu in der Lage ist. Diese Lage kann nur dadurch hergestellt werden, daß das Grundgesetz geändert wird. Ich habe die Hoffnung, daß kein Mensch in diesem Hause daran denkt, das Grundgesetz zu ändern, um dadurch die Möglichkeit zu schaffen, nun alle diese Männer in den deutschen Strafvollzug zu übernehmen. Wir haben heute morgen gehört, welche Schwierigkeiten das beispielsweise in Japan gegeben hat.
Herr Staatssekretär Hallstein hat in dier vergangenen Woche auf die Große Anfrage berichtet, daß das Problem zahlenmäßig stark an Bedeutung verloren hat. Das ist natürlich richtig. Aber diese Frage hängt nicht mit den Zahlen zusammen, sondern es ist eine grundsätzliche Frage, und die ist so lange ungelöst, als auch nur ein einziger von diesen Männern sich noch in den Gefängnissen der Gewahrsamsstaaten befindet.
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Der Art. 6 bezieht sich nun leider nur auf die Gefangenen, die von den alliierten Gerichten in Deutschland festgehalten werden. Es besteht ohne Zweifel ein Zusammenhang mit idem ,Besatzungsrecht. Nach idem Aufhören des Besatzungsrechts brauchte man nämlich eine neue Rechtsgrundlage, um nach wie vor Deutsche in alliierten Gefängnissen festhalten zu können. Es ist nun sehr die Frage, ob man zur Schaffung dieser Rechtsmöglichkeit hätte beitragen sollen oder nicht. Meine Freunde sind der Auffassung, daß man die Verantwortung dafür, unter welchem Rechtsgrund man diese Festhaltungen nun fortsetzt, ruhig denjenigen Staaten hätte überlassen sollen, die im Zeichen der angeblichen Souveränität und der angeblichen Gleichberechtigung es noch für nötig halten, vor unseren Augen und mitten in unserem Lande Menschen festzuhalten, die mit außerordentlich fragwürdigen Rechtsmethoden ihrer Freiheit beraubt worden sind.
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Dasselbe gilt natürlich auch für diejenigen, die in den Gewahrsamsstaaten selbst sich in dieser Lage befinden. Ich sage mir heute übend: Wir sind alle müde, und wir sind es zum Teil auch müde, hier zu diskutieren; aber denken Sie einmal an die Leute, die jetzt schon zehn Jahre und länger in den Gefängnissen sitzen; die sind es schon sehr, sehr lange müde, da ihre Tage zu verbringen.
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Es sind zweieinhalb Jahre vergangen, seitdem dieser Artikel uns im ersten Bundestag vorgelegt worden ist. Man hätte doch hoffen dürfen, daß
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nunmehr dieser Artikel in den Verträgen gar keinen Platz mehr gebraucht hätte, weil sich die Dinge inzwischen durch Entlassung dieser Gefangenen geregelt hätten. Wir haben auf die eindringlichste Art und Weise, und zwar von allen Parteien dieses Hauses außer den Kommunisten, die es ja damals hier noch gab, die dringlichsten Appelle an die Gewahrsamsstaaten gerichtet, Appelle, die gut fundiert waren und die keine unbillige Forderung gegenüber den Gewahrsamsmächten gewesen sind. Die Gewahrsamsmächte haben zwar in einigen Fällen das Problem zahlenmäßig vermindert; aber sie haben sich nicht in der Lage gesehen, hier einmal grundsätzlich reinen Tisch zu machen.
Herr Professor Hallstein hat in der vorigen Woche auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die in der öffentlichen Meinung der Gewahrsamsstaaten entstehen könnten, wenn die Bundesregierung in dieser Frage eine unnachgiebige Haltung gezeigt hätte. Wir haben heute morgen schon gehört, daß in den Gewahrsamsstaaten die öffentliche Meinung inzwischen längst angefangen hat, in dieser Frage anders zu denken, als sie vielleicht noch vor drei Jahren gedacht hat, und gerade aus dem Lande, wo die Verhältnisse mit am schwierigsten liegen, aus Holland, haben wir sehr erfreuliche Zeichen der Einsicht in der öffentlichen Meinung feststellen können. Glauben Sie denn wirklich, daß die Verträge gescheitert wären, wenn die Bundesregierung die Unterzeichnung nur unter der Bedingung vorgenommen hätte, daß die Frage der Kriegsverurteilten gelöst wird, und zwar nicht, weil wir nun gerade in diesem Augenblick darauf versessen wären, sondern weil diese Lösung im Interesse der Zusammenarbeit der Völker und des Friedens notwendig ist?
Mein Eindruck aus den Meinungsäußerungen des
Auslandes ist der, daß man dort jetzt das größte
Verständnis für ein derartiges Verlangen gehabt
hätte und daß man in den Jahren seit 1952 Zeit und
Gelegenheit genug gehabt hätte, mit dieser Forderung durchzudringen. Es gibt nämlich merkwürdigerweise eine öffentliche Meinung nicht nur in
den Gewahrsamsstaaten, sondern auch im Heimatland der Kriegsverurteilten, und auch auf diese
öffentliche Meinung müssen die Gewahrsamsstaaten nun einmal ein bißchen Rücksicht nehmen.
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Es ist eine Tatsache, daß diese Herzensangelegenheit des gesamten deutschen Volkes - so darf ich die Kriegsgefangenenfrage doch wohl bezeichnen - nicht mit der Regelung anderer politischer Fragen verknüpft werden sollte, auch nicht von den Gewahrsamsstaaten. Man hat so das Gefühl, daß diese Menschen gleichsam Geiseln sein sollen, die man braucht, um gewisse politische Zugeständnisse durchdrücken zu können. Das hat nichts mit Gerechtigkeit und nichts mit Menschlichkeit zu tun; aber wenn man diese Worte in den Mund nimmt, dann predigt man ja auch an anderen Stellen oft tauben Ohren. Man sollte jedoch wenigstens aus Gründen der politischen Vernunft einer endgültigen Lösung dieses Problems seine Zustimmung geben.
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Ich will auf die Rechtslage, in der sich die deutschen Gefangenen befinden, nicht besonders eingehen. Sie ist hier oft und ausführlich behandelt worden, und die Meinung, die darüber in diesem Hause besteht, wird ja auch weitgehend von der Bundesregierung geteilt. Aber es gibt da noch einige Schönheitsfehler, die von der Bundesregierung einmal beseitigt werden müssen. Wir haben z. B. mit den Niederlanden, soviel ich weiß, ein Abkommen über die Benachrichtigung in Rechtsangelegenheiten abgeschlossen. Das bedeutet, daß, wenn in den Niederlanden jemand wegen Kriegsverbrechen zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt wird, idarüber eine Nachricht an idas deutsche Strafregister gegeben wird, aus der nicht zu ersehen ist, daß es sich um ein Kriegsverbrecherurteil handelt, und so kann später einer, der sich um eine öffentliche Stellung bewirbt, in die peinlichste Lage versetzt werden, wenn ihm das Strafregister vorgehalten wird, in dem steht, daß er wegen Mordes oder wegen Beihilfe zum Mord eine derartige Zuchthausstrafe gehabt hat; er ihat dann alle Hände voll zu tun, um dies in Ordnung zu bringen. Es wäre wünschenswert - und ich glaube, das Bundesjustizministerium wird sich diesem meinem Wunsch nicht verschließen -, wenn dafür gesorgt würde, daß diese Urteile unter gar keinen Umständen Eingang in das deutsche Strafregister finden.
Die Forderung der Generalamnestie wird von meinen Freunden ebenso abgelehnt, wie sie von Herrn Professor Hallstein im Auftrage der Bundesregierung an dieser Stelle abgelehnt worden ist. Sie alle, die die Generalamnestie fordern, betonen immer, wenn man sie darauf anspricht, daß sie natürlich nicht wünschen, daß wirkliche Verbrechen ungesühnt bleiben. Eine Generalamnestie mit Ausnahmen ist aber eben keine Generalamnestie, sondern eine Teilamnestie, bei der es sehr schwer sein würde, Grenzen zu ziehen. Wir erkennen die Urteile, die da gefällt worden sind, niemals an, und weil wir sie niemals anerkennen, können wir uns dieser Forderung auch nicht anschließen; denn sie würde die Anerkennung der Urteile weitgehend beinhalten. Wir wollen nicht vergessen, daß allein bei denen, die in Landsberg festgehalten werden, sich 22 Personen befinden, die bis zu 53 kriminelle Vorstrafen aufzuweisen haben-das ist, glaube ich, der „Schützenkönig", der diese vielen Vorstrafen hat -, die als Berufsverbrecher in Sicherungsverwahrung waren und dann im KZ als Kapos sich vergangen haben. Auch diese in eine Generalamnestie einzubeziehen, dazu werden wir niemals unsere Zustimmung geben können.
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Die Tätigkeit der Gnadenausschüsse hat Herr Professor Hallstein in der vorigen Woche hier geschildert, und wir müssen feststellen, daß diese Gemischten Gnadenausschüsse, nach Nationen getrennt, gute Arbeit geleistet haben, auf jeden Fall eine wesentlich bessere, als der in Art. 6 vorgesehene Gnadenausschuß, der aus vier Nationen besteht, hätte leisten können. Wir wollen aber darüber nicht vergessen, daß sich z. B. die Entlassungen aus Werl mit einem gewissen Schleier umgeben. Man weiß nicht recht: wer ist eigentlich auf Grund der Empfehlungen des Gnadenausschusses entlassen worden und wer nicht? Man hat so das Gefühl, daß in den Fällen, in denen Generäle und Stabsoffiziere beteiligt gewesen sind, die Entlassungen durchgeführt wurden, und daß die Unteroffiziere und Mannschaften, die wegen desselben Deliktes abgeurteilt worden sind, als untere Dienstränge nach wie vor im Zuchthaus zu Werl sitzen.
Uns läge es sehr am Herzen, wenn einmal klargestellt werden könnte, welche Gesichtspunkte hier maßgebend gewesen sind. Auch dürfte eine Untersuchung der Lebensbedingungen im Zuchthaus Werl sehr am Platze sein, unter denen die deut({10})
sehen Verurteilten sich dort aufhalten müssen. Wie man hört, ist die Verpflegung außerordentlich schlecht, unid auch die sonstigen Lebensbedingungen scheinen weit über das erträgliche Maß hinaus hart und unangebracht zu sein. Ich bitte die Bundesregierung, ihre Aufmerksamkeit auf diese Tatsachen zu lenken, und ich spreche die Bitte aus, daß das geändert werde. Immerihin gibt es noch das Genfer Abkommen von 1949, das wir ratifiziert haben und das auf diese Gefangenen Anwendung finden muß, wenn man die Bestimmungen dieses Abkommens richtig versteht.
Heute morgen sind von den Herren Kollegen, die zu dieser Frage gesprochen haben, Vorwürfe gegen die Bundesregierung gerichtet worden. Soweit sie den Art. 6 überhaupt erwähnt haben, haben sie wohl übereinstimmend ihre Unzufriedenheit mit diesem Artikel zum Ausdruck gebracht. Ich glaube zwar nicht, daß sie diese Unzufriedenheit hindern wird, den Verträgen trotzdem ihre Zustimmung zu geben. Immerhin aber mag die Bundesregierung daraus vielleicht doch noch das Recht nehmen, mit den Gewahrsamsstaaten ein paar deutliche Worte zu reden. Die Zurückhaltung dieser Gefangenen ist ungerecht, sie ist unmenschlich, und sie ist unvernünftig; denn sie wird die Zusammenarbeit unserer Völker auch in Zukunft immer wieder auf das stärkste belasten. Die deutsche Bundesrepublik ist die Schutzmacht, und zwar die einzige Schutzmacht, die diese deutschen Gefangenen haben.
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Das muß auch an die Adresse Frankreichs gesagt werden; denn nach den Rechtsgutachten des französischen Auswärtigen Amtes an die französischen Gerichte, die die Deutschen verurteilten, hat man den Eindruck, als würden diese Deutschen wie Staatenlose behandelt. Man steht auf dem Standpunkt, Deutschland, dessen Staatsangehörige diese Menschen waren, ist am 8. Mai 1945 untergegangen, das existiert nicht mehr, und aus diesem Grunde genießen diese Leute keinerlei völkerrechtlichen Schutz. Das hat bereits die Stellung des Internationalen Roten Kreuzes in Paris außerordentlich erschwert. Ich kann mir vorstellen, daß es auch die Tätigkeit der Bundesorgane für diese Leute außerordentlich erschwert. Den französischen Behörden muß ganz klar gemacht werden, daß es sich hier um deutsche Staatsangehörige handelt, die als solche unter dem Schutz der Bundesregierung und der Genfer Abkommen zu stehen haben, und daß es vollkommen unmöglich ist, die Auffassung zu vertreten, daß am 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit schlechthin untergegangen sei, und daß es sich hier um Menschen handele, die als Staatenlose betrachtet werden könnten.
Die Gewahrsamsstaaten mögen zur Kenntnis nehmen, daß sie durch die Art, wie sie die deutschen Kriegsverurteilten und ihre Angelegenheit behandeln, der Sache des Rechts einen außerordentlichen und dauernden Schaden zugefügt haben
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und daß sie nunmehr im Begriff sind, auch der Sache der Völkerverständigung und damit der Sache des Friedens einen weiteren großen Schaden zuzufügen. Sie mögen daher endlich den Gefangenen Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie mögen endlich den vergangenen Krieg auch in dieser Frage liquidieren. Wir überlassen ihnen vollkommen, in welcher Form sie das machen und in welcher Form sie die Gefangenen der Heimat wiedergeben wollen; das mögen sie nach ihrem eigenen Recht entscheiden und nach den politischen Gesichtspunkten, die leider dabei auch eine Rolle spielen. Aber wir verlangen, daß der Krieg in dieser Frage liquidiert wird und man gemeinsam dazu übergeht, nun den Frieden zu fördern. Souverän sollten wir sein, und gleichberechtigt sollten wir sein. Das verträgt sich aber schlecht damit, wenn man die Staatsangehörigen des einen Partners im Gefängnis hält, sich also nach wie vor wie der Sieger gegenüber dem Besiegten aufspielt. Diese Haltung des Siegers gegenüber dem Besiegten muß überall - auch in dieser Frage - ein Ende nehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Höfler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem gleichen Thema nur noch ein paar abschließende Worte! Mit Bedauern wird zur Kenntnis genommen, daß in den gegenwärtigen Verträgen dieses Problem so wenig gelöst ist wie in den vergangenen. Wohl ist es so, daß die Gemischten Kommissionen einen gewissen Erfolg darstellen, aber wir hätten doch gewünscht, daß bis zum Abschluß der Verträge die Dinge etwas weiter gediehen wären, als sie tatsächlich gediehen sind. Um es auf einen Satz zu bringen: die Gefängnisse in Werl, Wittlich und Landsberg müßten in diesem Augenblick leer sein!
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- Das ist ganz selbstverständlich; ich habe eben von denen gesprochen, die unter den Bereich der Verträge fallen. Aber ich hatte die Absicht, sofort hinzuzufügen, daß man auch denen entgegenkommen muß, die als Gefangene zum Teil über 10 Jahre in den Gewahrsamsländern des Westens sitzen. Rußland gegenüber muß man den Satz Lenins aufrechterhalten: „Es gleicht einer Barbarei, Gefangene länger als zwei Jahre in Gewahrsam zu halten." Wenn Rußland sich das gemerkt hätte, dann wären heute wahrscheinlich die vielen Tausende, die wir in Rußland wissen und die wir noch vermissen, wieder in ihrer Heimat.
Wenn man fragt, woran die Ungelöstheit des Problems liegt, dann muß man wohl sagen: zunächst an der Härte des ganzen Problems, das sich der Judikabilität manches Mal doch sehr entzieht, dann an der innerpolitischen Lage einer Reihe von Ländern, die mit diesem Problem, innerpolitisch gesehen, noch nicht fertig geworden sind - das gilt insbesondere für die Länder des Westens -, und dann vor allen Dingen - und das ist eine moralische Sache - an der Tatsache, daß der Abbau des Mißtrauens, das die Völker gegeneinander hegen, noch nicht so weit gediehen ist, daß sie die heilenden Kräfte des Vergebens und des Verzeihens an die Stelle hassender Erinnerung, an das Furchtbare gesetzt haben, das sie sich in Kriegsjahren antaten.
In dieser Frage ist das Recht stark engagiert. Aber gleichzeitig muß man doch, um der Realität willen, sagen, daß wir uns, da wir die Gerechtigkeit noch nicht haben, auch in diesem Falle einstweilen mit der Justiz begnügen müssen. Das Recht, das hier angewendet wurde, war oft sehr löcherig, und nicht nur das, es war gekränktes Recht, es war einseitiges Recht. Und in einigen Fällen kann man sagen: Voraussetzung zu der Rechtsprechung, wie
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sie oftmals im Auslande vollführt wurde, war neues Unrecht, weil es sich um Gesetze handelte, die ad hoc, sozusagen auf dem Rücken unserer Gefangenen, gemacht wurden, nur um zu irgendeiner Verurteilung zu kommen. Man kann sagen, daß die Mangelhaftigkeit des justitiellen Instruments der Schuldhaftigkeit auf der anderen Seite entspricht. Insofern hätte man die Dinge auf einem leichten Wege, auf einem leichteren Wege kassieren können, auf dem Wege der Gegenseitigkeit. Wir meinen, daß jetzt gerade die Zeit wäre, daß das leidvolle Problem, das so viele Wunden geschlagen hat und alte Wunden immer wieder aufreißt, jetzt endlich einmal zum Abschluß gebracht wird. Die Gelegenheit ist in dieser Zeit einmalig. Wenn wir auch an dem europäischen Haus, das wir zu bauen wünschen, manchen Abstrich machen mußten - gerade im Vergleich zu den Verträgen, wie wir sie wollten und wie sie jetzt geworden sind -, so dürfen wir doch auf einige Grundmaximen nicht verzichten, ich meine hier: auf den Geist edler Menschlichkeit und auch schuldvergessender Barmherzigkeit, die zu den Traditionen des Abendlandes gehören und die die Verpflichtung zu Recht und Gnade gleichermaßen anrufen.
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Meine Verehrten! Die Völker Europas haben alle einander etwas zu vergeben, und die Einseitigkeit der Politik, die die Menschen deswegen verurteilt, weil sie zu den Besiegten gehören, und die anderen, die unter Umständen die gleichen Verbrechen begangen haben, freispricht und freiläßt, hat mit Gerechtigkeit wenig mehr zu tun.
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Ich möchte hinzufügen, um es ganz kurz zu machen, mir scheinen die Worte und die Argumente zu diesen Dingen geradezu verbraucht: Gesetz, Sühne, Strafe, Recht, Unrecht, Schuld und Unschuld -, wie oft sind diese Dinge auch von dieser Tribüne her schon erklungen! Es scheint mir nun notwendig zu sein, daß wir ernst machen dem Ausland gegenüber mit einem sehr herzlichen und dringenden Ersuchen, doch seinerseits dazu beizutragen, die Dinge zu einem Ende zu bringen.
Bezüglich der Generalamnestie sind wir der Meinung, die von meinem Vorredner zum Ausdruck gebracht wurde, daß damit schon deswegen nichts anzufangen ist, weil wir ja in § 6 des vorjährigen Amnestiegesetzes diese Fälle direkt ausgeschaltet haben.
Ein Wort noch zu dem, was die Bundesregierung getan hat. Ich tue das auch im Hinblick darauf, daß man immer wieder offene oder versteckte Angriffe in bestimmten Zeitungen und Zeitschriften findet, dahingehend, die Bundesregierung und insbesondere der Herr Bundeskanzler hätten nicht das getan, was notwendig und was möglich gewesen wäre. Ich mache hier keinen Unterschied unter den Parteien. Alle diejenigen, die sich mit dem Problem im Ernste und beinahe hauptamtlich befassen, wissen, wieviel in der Tat von der Bundesregierung getan worden ist und wie sich der Bundeskanzler persönlich in allen Verhandlungen bis zu den letzten in Baden-Baden mit Herrn MendèsFrance angestrengt hat, dem Problem das nötige Ende zu bereiten.
({4}) Wir schulden diese Feststellungen nicht der Parteipolitik, sondern wir schulden sie einfach der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und der Dankbarkeit für das, was geschehen ist.
Es ist auch nicht so, daß die Gefangenen in ihren Gefängnissen verlassen sind. Die Missionen, die wir im Auslande haben, bestimmte Vertreter von ihnen, die Geistlichen, die wir hinübergeschickt haben, die karitativen Verbände sorgen schon dafür, daß die Leute nicht in Hoffnungslosigkeit versinken; es wird ihnen durch Besuche und anderes immer wieder zur Kenntnis gebracht, daß sie nicht verlassen sind.
Wenn ich jetzt gerade von den Gefängnissen spreche: Ich bin sehr oft in Gefängnissen gewesen, und ich muß sagen, die Leute, die heute noch in den Gefängnissen sitzen, verdienen zum großen Teil die Gnade, weil sie entsühnte und geläuterte Menschen geworden sind. Ich könnte hier Beispiele erzählen, die einen wirklich rühren könnten.
Was den Bundestag anlangt, so ist er es wohl gewesen, der die Millionen bewilligt hat, die zur Lösung dieses Problems zur Verfügung stehen.
Wo liegt Hilfe, und wo liegt das Heil? Ganz kurz: in der Rückkehr zur Praxis der Gnade und in der Abkehr von dem grausamen alten Satz: fiat justitia, pereat mundus! Es gibt leider Verhältnisse und es gibt Länder, in denen noch ein Geist herrscht, der diesem Wort verwandt ist. Wir möchten wünschen, daß auch dort der Zug zur Gnade allmählich einzieht.
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- Und zum Recht, natürlich. Es gibt ein altes Wort - ich glaube, ich habe es hier schon einmal zitiert -: gratia melior pars justitiae. Wenn alle danach handeln, daß die Gnade der schönere Teil der Justiz, der Gerechtigkeit ist, dann werden diejenigen, die noch drinnen sind, bald draußen und bei ihren Familien sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben über die Souveränität gesprochen, und mein Freund Carlo Schmid hat sich bemüht, darzutun, daß das Wort noch nicht die Sache ist und daß es nicht gut ist, dem deutschen Volk ein Wort vorzusetzen und damit einen Anschein zu erwecken, der der Wirklichkeit nicht entspricht. Genau darum ging die Frage. Gerade deswegen hat Herr Kollege Dr. Schneider zu Unrecht einen Gegensatz zwischen meinen Freunden Schmid und Arndt konstruiert. Der Kollege Schmid hat keineswegs gemeint, die Bundesrepublik habe zuwenig Souveränität. Vielmehr hat er nur geprüft, ob das, was in diesen Verträgen niedergelegt ist, die Souveränität der Bundesrepublik bedeutet. Herr Kollege Arndt - ich will das nur richtigstellen - hat im Rechtsausschuß keineswegs erklärt, daß die Bundesrepublik zuviel Souveränität habe. Wenn Herr Kollege Schneider die Verhandlungen im Rechtsausschuß aufmerksam verfolgt hätte, dann dürfte er solche Behauptungen nicht aufstellen. Es ist so gewesen, daß Herr Staatssekretär Hallstein von diesem Irrtum ausgegangen ist. Er ist in den Rechtsausschuß gekommen und hat nach dem Protokoll erklärt:
Wenn ich recht unterrichtet bin, haben wir es
hier im Rechtsausschuß mit einer ganz anderen Situation zu tun. Hier wird von der Vorstellung ausgegangen, daß das Wort „Souveränität" sehr viel bedeutet,
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- hier verzeichnet das Protokoll den Zuruf des Abgeordneten Dr. Arndt: „Nein!" daß es nämlich eine Aussage bedeutet.
In sehr loyaler Weise ist uns nun die Kollegin Dr. Weber zu Hilfe gekommen. Sie hat nämlich erklärt, daß das, was hier unterstellt werde, nicht richtig sei. Sie hat in einer Zwischenbemerkung gesagt: „Das hat aber Herr Dr. Arndt nicht gesagt!" Dann hat Herr Staatssekretär Hallstein erklärt, daß er ja berichtigt werden könne, und Herr Dr. Hallstein ist berichtigt worden. Also Herr Kollege Schneider hat kein Recht, hier einen Gegensatz zwischen zwei Mitgliedern meiner Fraktion zu konstruieren.
Wenn wir jetzt die Frage der Souveränität untersuchen, so sind wir uns wohl darüber im klaren, daß Souveränität auch bedeutet, daß der Staat auch die Möglichkeit hat, innerhalb seines eigenen Bereichs die Rechte seiner Bürger zu sichern und zu gewährleisten. Wir werden feststellen, daß gerade die Verträge diese Sicherung und Gewährleistung nicht bieten.
Wer Gelegenheit hatte, in den ersten Jahren der Besatzungszeit in der Kommunalverwaltung tätig zu sein, der konnte sehr deutlich sehen und spüren, was es bedeutet, wenn ein Land keine Souveränität hat. Ich denke insbesondere an die vielen Fälle, wo zunächst für Besatzungssoldaten und dann auch für die Angehörigen dieser Soldaten Wohnungen und Häuser freigemacht worden sind. Das ist geschehen auf Grund des Besatzungsrechtes, und wir haben damals sehr deutlich erlebt, was das bedeutet. Wer damals mitbeteiligt war, wird zugeben, welch schwere Aufgabe das für deutsche Behörden war.
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- Das will ich eben gerade sagen, Herr Kollege Dresbach. Inzwischen ist eine ganze Anzahl von Familien wieder in ihre Häuser eingezogen. Aber es gibt auch noch eine große Anzahl, die außerhalb ihrer Häuser sitzen, und was noch viel schlimmer ist - und ich könnte Ihnen das durch Augenschein beweisen -, es gibt noch eine große Anzahl von Familien, die irgendwo im Keller ihres Hauses sitzen, während oben im Haus ein Soldat mit einer kleinen Familie die gesamten Räume bewohnt. Nun kommen diese Leute zu uns und - ich habe es selbst erlebt - sagen: Jetzt wird es ja gut, jetzt bekommt die deutsche Bundesrepublik die Souveränität, jetzt werden wir sicher in unsere Häuser zurückkommen können, jetzt wird der deutsche Staat uns helfen können.
Wie verhält es sich damit? Wir haben die Bestimmungen im Truppenvertrag. Im Art. 38 des Truppenvertrages steht z. B.:
Liegenschaften, die nicht mehr benötigt werden oder für die den Streitkräften befriedigende Ersatzliegenschaften verfügbar gemacht werden, werden von den Streitkräften freigegeben.
Also Liegenschaften, die nicht mehr benötigt werden oder für die Ersatz geleistet wird, werden freigegeben. Die anderen Liegenschaften bleiben weiterhin im Besitz der Streitkräfte.
Es heißt dann weiter:
Auf die Rückgabe von Liegenschaften an Privatpersonen wird besonders geachtet.
Privatwohnungen sollen vordringlich behandelt
werden. Aber es steht auch drin: Nur dann, wenn
solche Privatwohnungen sechs Monate lang nicht durch die Besatzungsmächte belegt waren, besteht ein Anspruch darauf, daß diese Privatwohnungen geräumt wenden; sonst besteht kein Anspruch. Es ist zwar die Möglichkeit vorgesehen - was selbstverständlich ist und was die ganzen Jahre hindurch geschehen ist -, daß die deutschen Behörden mit den Streitkräften - seither: mit den Besatzungsmächten - verhandeln; aber ob die Wohnung, ob die Häuser freigegeben werden, das liegt durchaus im Ermessen der Streitkräfte.
Sehen Sie sich einmal die Verhältnisse an. Ich kenne Fälle, in denen Menschen seit Beginn der Besatzung in ihren Kellern wohnen, wo Frauen und Kinder, wie die Ärzte erklären, die Kellerkrankheit haben, und die Ärzte sagen, daß sie keine Möglichkeit haben, zu helfen. Nur dann, wenn diese Menschen aus den Kellern herauskommen, wäre ihnen zu helfen. - Welche Möglichkeit ist hier gegeben? Was hier niedergelegt worden ist, ist schon zur Zeit des EVG-Vertrags normiert worden. Seitdem hätte jede Möglichkeit genutzt werden müssen, gerade auf diesem wichtigen Gebiet, auf dem es um die Menschlichkeit geht, eine Besserung zu erreichen, und wenn es nur einmal dazu gekommen wäre, daß die Menschen, die im Keller wohnen, da herauskommen und in ihren eigenen Häusern einige Räume bekommen, daß also diejenigen, die oben in dien schönen Räumen wohnen, etwas zusammenrücken. Nicht einmal das ist vereinbart worden.
Ich glaube, an diesem kleinen Beispiel wird am allermeisten deutlich, wiewenig wir in der Lage sind, unseren Staatsbürgern ihr Recht, nämlich ihr Recht auf Besitz an ihrem Eigentum, zu verschaffen, und wiewenig da von Souveränität die Rede sein kann.
Im Truppenvertrag sind noch andere Bestimmungen, die außerordentlich schwierig und bedenklich sind. Nach Art. 37 ist die Bundesrepublik verpflichtet, Streitkräften die für ihren Bedarf im Einklang mit den militärischen Erfordernissen benötigten geeigneten Zivilkräfte durch die zuständigen deutschen Stellen zu vermitteln. Was bedeutet das? Wir wissen alle, es geht bereits das Gespenst um: wenn die Aufrüstung beginnt, werden nicht genügend Arbeitskräfte vorhanden sein. Der Herr Bundeswirtschaftsminister ist sogar schon der Meinung, daß man italienische Arbeiter herbeiholen muß. Wenn es nun nicht gelingt, dieser Verpflichtung in der Weise nachzukommen, daß Arbeitskräfte sich freiwillig melden, dann kann doch diese Verpflichtung, die man gegenüber den Streitkräften eingegangen ist, nur dadurch erfüllt werden, daß man Zwangsmaßnahmen ergreift, d. h. daß man die Dienstverpflichtung einführt.
Ich will es nur andeuten: Die bei den Streitkräften Beschäftigten haben keineswegs die Rechte von Arbeitnehmern, die bei deutschen Arbeitgebern beschäftigt sind. Ich denke daran, daß z. B. vor dem Arbeitsgericht das deutsche Arbeitsrecht nicht in jeder Beziehung gilt, daß eine Schiedskommission, eine Verwaltungsstelle, eingeschaltet ist, die Vorentscheidungen trifft, die das Arbeitsgericht binden usw.
Wir haben noch sehr viel weitergehende Bestimmungen. In den Artikeln 37 ff. ist vorgesehen, daß die Besatzungsmächte alle möglichen Leistungen fordern können. Sie können verlangen, daß der Bedarf der Streitkräfte und der Angehörigen ihrer Mitglieder sichergestellt wird, und zwar dadurch,
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daß Sachleistungen, daß Werkleistungen in Anspruch genommen werden, daß Land beschafft wird, daß militärische Schutzbereiche errichtet werden usw.
Wie versucht man mm die Ansprüche, die da festgelegt werden, zu verwirklichen? Zunächst einmal - ich sage ausdrücklich, zunächst einmal - macht man es dadurch, daß man Gesetze zur Anwendung kommen läßt, die in einer Zeit entstanden sind, die es Ihnen ohne weiteres deutlich macht, was das für Gesetze sind. Es handelt sich nämlich um das Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939, es handelt sich um das Gesetz über Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 und es handelt sich um das Gesetz über die Beschränkung von Grundeigentum aus Gründen der Reichsverteidigung vorn 24. Januar 1935. Aus den Jahreszahlen ersehen Sie, daß diese Gesetze in der Hochblüte des Nationalsozialismus erlassen worden sind. Das sind Gesetze, die mit rechtsstaatlichem Denken sehr wenig zu tun haben. Das sind Gesetze, die es ermöglichen, daß beschlagnahmt wird, daß enteignet wird, daß mit Verwaltungszwang vorgegangen wird, daß alles das geschieht, was wir einmal mit dem schönen Wort Zwangswirtschaft benannt haben. Es ist interessant - es ist noch gar nicht lange her -, bei den Wahlen zum Bundestag hat man mit dem Begriff „Zwangswirtschaft" gute Geschäfte gemacht. Da hat man nämlich gesagt, die bösen Sozialdemokraten sind diejenigen, die die Zwangswirtschaft erfunden haben, und wenn die Sozialdemokraten ans Ruder kommen, wird die Zwangswirtschaft wieder eingeführt werden. Tatsache ist, daß diese Zwangswirtschaft von ganz anderen Elementen eingeführt worden ist. Das ist auch ganz klar, das weiß jeder von Ihnen. Wir sehen, zwangswirtschaftliche Maßnahmen werden jetzt bereits wieder eingeführt, aber nicht von Sozialdemokraten!
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Ich glaube, .das sind Dinge, die wir im Zusammenhang mit diesen Verträgen auch sehr deutlich sehen sollten.
Nach dem Landbeschaffungsgesetz besteht die Möglichkeit, Land für alle möglichen Zwecke zu beschaffen, für Exerzierplätze, für Schießplätze, für Kasernen usw. Im Laufe dieser Jahre haben wir versucht, so ein bißchen Land zusammenzuschachern, um die Möglichkeit zu geben, daß wenigstens einige landwirtschaftliche Flüchtlinge wieder als Landwirte angesiedelt werden können. Bei dem Land, das jetzt für militärische Zwecke gebraucht wird, handelt es sich um bedeutend mehr als das wenige, was wir diesen Flüchtlingen geben konnten. Auf Grund dieser Gesetze werden notwendigerweise Menschen abgesiedelt werden, die irgendwo anders wieder angesiedelt werden müssen, und es wird überhaupt nicht mehr daran gedacht werden können, etwa Flüchtlinge anzusiedeln; die müssen jetzt alle Hoffnung fahren lassen, weil dazu einfach keine Möglichkeit mehr besteht.
Die landwirtschaftliche Nutzung kann z. B. nach dem Schutzbereichsgesetz beschränkt werden, und nach dem Reichsleistungsgesetz gibt es Zwangsmaßnahmen auch auf anderen Gebieten - das Bundesleistungsgesetz, das ja kommen soll, wird das nicht anders regeln -; es sieht vor, daß Inhaber von gewerblichen, von landwirtschaftlichen, von forstwirtschaftlichen Betrieben Leistungen zu erbringen, daß sie Eigentum herzugeben, daß sie ihr
Eigentum zu belasten haben. Die seit wird nicht t sehr fern sein, wo der Bauer wieder sein Pferd und wo der Landwirt oder der Gewerbetreibende sonst etwas hergeben muß. Ich muß den Herrn Bundeswirtschaftsminister, der immer so bedingungslos für die liberalistische Wirtschaft eintritt, einmal fragen, wie er das eigentlich mit seinen Prinzipien vereinigen kann. Wie ist es möglich, daß solche Bestimmungen nun über uns kommen, die ihren Ansatzpunkt bei den nationalsozialistischen Gesetzen haben, und wie ist es möglich, daß wir in dieser Richtung weitermarschieren? Ich glaube, es ist deutlich, welche Gefahren da bestehen und wie weit wir davon entfernt sind, daß die persönliche Freiheit und das Eigentum gerade des kleinen Mannes vor solchen Maßnahmen geschützt ist.
Ich will noch kurz auf das eingehen, was Herr Kollege Schneider zum Schluß gesagt hat. Ich glaube, wenn Sie das gehört haben, was wir in diesen Tagen gesagt haben, wenn Sie es mit offenen Ohren und mit aufgeschlossenem Herzen gehört haben, dann werden Sie feststellen müssen, daß es uns darum geht, das Beste für unser Volk zu tun. Ich glaube, das ist eine Basis, auf der in der Tat bei gutem Willen doch irgendeine Möglichkeit bestehen müßte, zusammenzukommen, wenn auch vielleicht nicht in der Weise, daß Sie von uns erwarten können, daß wir einfach Ihre Politik machen, aber vielleicht doch in der Weise, daß Sie etwas mehr Verständnis für das gewinnen, was wir zu sagen haben.
Leider muß ich noch einmal auf das zurückkommen, was wir gestern und heute erlebt haben. Herr Bundesminister Strauß, der gewiß keine sehr feine Rede gehalten hat, hat gestern immerhin erklärt, daß er und daß die Koalition nicht daran denken, uns, den Sozialdemokraten, vorzuwerfen, daß wir mit der Sowjetunion, daß wir mit den Bolschewisten in irgendeiner Weise Hand in Hand gingen oder daß man die uns an die Rockschöße hängen könne. Herr Bundesminister Erhard hat heute das genaue Gegenteil gesagt.
({4})
Er hat uns zweimal in rhetorischen Fragen unterstellt, daß wir die Sowjetunion verteidigten.
({5})
Meine Damen und Herren, jetzt nehmen Sie es mir nicht übel: das wäre vielleicht noch zu ertragen, denn wir wissen alle, daß Herr Erhard ein Mann ist, der es mit solchen Worten nicht so genau nimmt und der sie nicht so sehr wählt, aber Sie, meine Damen und Herren, die Sie da unten gesessen haben und die Sie mit kühlem Kopf überlegen konnten, was da an Ungeheuerlichem gesagt wird, Sie hätten nicht in diesen frenetischen Beifall ausbrechen dürfen.
({6})
Denn wenn Sie das tun, dann müssen Sie sich im klaren darüber sein, daß damit jede Möglichkeit des Zusammenkommens zerstört wird. Herr Erhard macht das nicht allein, er hat ein gutes Vorbild. Wenn ich daran denke, daß der Herr Bundeskanzler selbst in seinen Versammlungen erklärt hat, daß die Leute von der SED, von den Kommunisten, ja sogar Herr Schörner unsere Gehilfen, unsere Helfershelfer seien, dann weiß ich nicht, wie der Herr Bundeskanzler noch den Mut haben kann, überhaupt davon zu sprechen, daß irgendwann noch einmal ein Zusammenkommen möglich sei.
({7})
Es wird von Ihnen so viel davon geredet, daß, wie Sie sagen, unsere Bewegung die Demokratie und die demokratischen Grundlagen zerstöre.
({8})
Ich glaube, wir sollten uns alle einmal ein bißchen mehr prüfen. Das, was hier von höchster Stelle aus geschieht, was von einem Bundeskanzler gesagt wird, das ist geeignet, Vertrauen und Demokratie zu zerstören.
({9})
Der Herr Bundeskanzler hat sich das andere geleistet. Er hat davon gesprochen, daß in der Paulskirche der rote Salat mit einigen grünen Blättern beisammen gewesen sei. Den „roten Salat" will ich ihm nicht übelnehmen, wir sind einiges gewöhnt. In der Paulskirche sind ehrenwerte Männer unid Frauen zusammen gewesen, und den Männern, die gesprochen haben, konnte man es anmerken, daß es ihnen wirklich um das Gewissen, daß es ihnen um das Schicksal des Vaterlandes ging.
Es war auch von „Gasse" die Rede. Das deutsche Volk konnte am Radio miterleben, in welch würdiger Weise diese Versammlung in der Paulskirche abgelaufen ist, und es konnte einige Tage danach eine andere Versammlung in Frankfurt auch am Radio verfolgen. Ich glaube, das deutsche Volk hat die Fähigkeit, Vergleiche zu ziehen, unid das deutsche Volk, das mit „Gasse" angeredet wird, wird sich vielleicht auch da ein Urteil darüber bilden, was Gasse ist und wo Gasse ist.
({10})
Die theoretischen Ausführungen über repräsentative und plebiszitäre Demokratie sind schön und gut, und es ist richtig, auch wir sind bei der Schaffung des Grundgesetzes für die repräsentative Demokratie eingetreten.
({11})
- Ach, es ist einfach nicht wahr, was Sie da sagen. Sie verstehen nämlich eines falsch oder Sie wollen es jetzt falsch verstehen, nämlich daß repräsentative Demokratie nicht bedeutet, daß das Volk ausgeschaltet wird. Das genaue Gegenteil ist der Fall!
({12})
Repräsentative Demokratie und plebiszitäre Demokratie sind nur Spielarten. Es kommt darauf an, daß die Demokratie da ist und daß, was auch in unserem Grundgesetz steht, die Möglichkeit besteht, daß der Wille des Volkes zum Ausdruck kommt.
({13})
- Natürlich kommt er im Parlament zum Ausdruck, und wir haben dem Parlament keineswegs das Recht bestritten, zu entscheiden. Aber wenn wir es hundertprozentig billigen, wenn wir Abgeordneten die Pflicht haben, unser Gewissen zu befragen, dann haben wir auch die Pflicht, es immer wieder zu prüfen, und zwar auch dadurch zu prüfen, daß wir auf andere hören, daß wir Argumente prüfen, daß wir auch auf das Volk hören; denn es hat ein Recht darauf, von uns gehört zu werden.
({14})
Sie können sich nachher entscheiden, wie Sie wollen. Aber Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie Argumente .einfach abschieben.
({15})
Wenn Sie den 27 führenden Geistlichen der Evangelischen Kirche sagen, daß über ihre Gewissensfragen längst entschieden sei, daß am 6. September darüber in einer bestimmten Weise entschieden worden sei, dann haben Sie damit völlig mißverstanden, was es mit der Frage des Gewissens auf sich hat. Daß es gerade eine evangelische Abgeordnete gewesen ist, die eine solche Frage gestellt hat, ist für mich außerordentlich schmerzlich gewesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie nicht genau so gut an das Volk appelliert? Ist nicht der Herr Bundeskanzler auch draußen herumgezogen und hat geredet? Das ist ein Recht, das ihm niemand bestreiten kann; die Frage ist, wie man redet.
({16})
Daß da und dort etwas vielleicht auch über die Stränge geschlagen wird, will ich gar nicht bestreiten. Aber ob ein kleiner Versammlungsredner über die Stränge schlägt oder ob es der Herr Bundeskanzler tut, das ist ein Riesenunterschied.
({17})
Ich glaube, man kann den Herrn Bundeskanzler von dem Vorwurf nicht freisprechen, daß er, wie so oft, auch diesmal wieder sein Amt als Bundeskanzler mißbraucht hat, indem er in dieser Weise Propaganda gemacht hat.
({18})
- Ich weiß, was ich sage, und ich wäre in der Lage, dem Herrn Bundeskanzler noch eine ganze Reihe von Belegen dafür zu bringen.
({19})
- Ich rede genau zu dem, wozu der Herr Kollege Schneider gesprochen hat. Da haben Sie nicht „zur Sache" gerufen. Seien Sie doch ein bißchen objektiv, Herr Kollege!
({20})
Ich glaube sagen zu dürfen: wenn der Herr Bundeskanzler von dem „roten Salat" und den „grünen Blättern" gesprochen hat, hat er aus dem Unterbewußtsein etwas gesagt, dessen er sich nicht recht bewußt ist. Diese „grünen Blätter", diese hervorragenden Leute, die um ihres Gewissens willen für ihr Volk reden - und die auch für ihr Volk bereits gelitten haben; denn es sind viele Männer der Bekennenden Kirche mit dabei -, diese Männer und diese Frauen, die als „grüner Salat" bezeichnet werden, sind vielleicht die grünen Reiser am Stamm unseres Volkes, und wir hoffen, daß diese grünen Reiser für unser Volk noch etwas Gutes bedeuten können.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl eine ausgesprochen undankbare Aufgabe, eine so große Debatte, die sich über drei Tage hin erstreckt hat, als letzter Redner abschließen zu müssen, und zwar zu einer Zeit, wo eigentlich alle, die hier zuhören, sich am liebsten einer anderweitigen Beschäftigung hingeben würden. Aber ich glaube, diese Last entspricht einem gewissen ästhetischen Prinzip. Ich hatte nämlich die Ehre, genau vor drei Tagen mit dieser Debatte zu beginnen.
({0})
Ich frage mich allerdings, was alles in diesen drei Tagen geschehen ist. Sicherlich haben wir sehr viel Interessantes, sehr viel Geistvolles, auch sehr viel Ernstes gehört. Ob das allerdings immer der Fall
möchte ich doch etwas bezweifeln.
({1})
Aber ich habe nicht auf die ganze Debatte zurückzugehen, sondern ich soll am Schluß nur noch zu den Rechtsfragen Stellung nehmen. Da möchte ich zunächst sagen: es entspricht nicht der Aufgabe, die wir hatten, am Ende dieser großen Auseinandersetzung noch einmal in all die Details einzutreten, die man natürlich an Hand der Verträge alle wieder vorbringen kann. Ich möchte dem Herrn Kollegen Metzger sagen, es ist nicht unsere Sache, Dinge, die zum Teil schon vor zwei Jahren festgelegt worden sind und deren Änderung nicht erlangt werden konnte, am Schluß der dreitägigen Debatte wieder zum Gegenstand von Auseinandersetzungen zu machen, Dinge, die, wenn ich sie im großen Zusammenhang sehe, in der Tat keine entscheidende Rolle spielen.
Aber ich möchte von Herrn Kollegen Metzger sehr schnell auf das übergehen, was Herr Kollege Greve ausgeführt hat. Zu ihm sage ich: ich nehme es dem Herrn Kollegen Greve eigentlich nicht so sehr übel, daß er Beanstandungen, die auch 1952 hier schon wörtlich vorgebracht wurden, wieder bringt. Ich darf darauf verweisen, daß sich der Rechtsausschuß mit diesen Dingen schon damals befaßt und schon damals erklärt hat, er habe die Bedenken der Minderheit nicht billigen können. Ich bitte, die gedruckten Berichte von vor zwei Jahren nachzulesen. Was ich nicht verstehe, ist, daß Herr Kollege Greve hier zunächst in einer etwas satirischen Form über die Herren des Auswärtigen Amtes spricht, ihnen Akrobatik und Purzelbäume vorwirft und sagt, sie hätten in der völkerrechtlichen Situation eine wilde Schießerei veranstaltet. Ich war dann wirklich gespannt, was nun von ihm komme. Ich muß aber sagen, Herr Kollege Greve, Sie haben Beanstandungen vorgebracht. Aber Sie haben diese in eine Form gekleidet, Sie haben hier Sätze gesprochen, die tatsächlich einem revolutionärsten Konvent entsprochen, wahrscheinlich bei ihm einen außerordentlichen Beifall hervorgerufen hätten. Sie haben gesagt, das seien nackte Rechtsbrüche, die ganze Verteidigung sei keinen Pfennig mehr wert, wenn solche Dinge hier vorkämen, - Dinge, die wirklich nicht neu sind, die vor zwei Jahren schon eingehend und sachlich besprochen worden sind und zu denen auch der Herr Bundesjustizminister Stellung genommen hat.
Ich meine, wir sollten uns wirklich davor hüten, so ernste Entscheidungen mit Auseinandersetzungen abzuschließen, die der sachlichen Arbeit, die auch im Rechtsausschuß geleistet worden ist, nicht entsprechen. Es ist sehr leicht, hyperscharfe Formulierungen zu gebrauchen. Und es ist sehr leicht, auf diese Art einer Debatte hinzukommen. Aber ich finde, das entspricht nicht dem Ernst und der wirklich großen Situation, vor die wir bei dieser Entscheidung gestellt werden.
({2})
Etwas ernster schon muß ich mich allerdings mit den Ausführungen abgeben, die Kollege Schmid
hier machte. Es hat mich eigentlich traurig gestimmt, diesen von mir sehr verehrten Kollegen mit einer solchen Rede zu hören. Denn zunächst möchte ich sagen, daß Herr Kollege Schmid das Ergebnis der vieltägigen, eingehenden Beratungen, die wir im Auswärtigen Ausschuß hatten, völlig übersehen hat. Er brachte eigentlich das wieder vor, was er uns schon zur Einleitung der Ausschußarbeit gesagt hat. Ich hätte angenommen, mindestens einige gemeinsame Formulierungen, die wir dort gefunden haben, würden in diesem Schlußwort des Herrn Kollegen Schmid ihren Niederschlag finden. Wir haben uns doch immerhin sehr ernsthaft mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Ich will nicht sagen, daß Sie zugestimmt haben. Aber es war in vielen Situationen so, daß ich die Freude und die Ehre hatte, als Berichterstatter feststellen zu können, daß alle Mitglieder des Ausschusses in verschiedenen Punkten einer Meinung gewesen sind. Davon hat man leider nicht mehr viel vernommen. Wenn ich Herrn Kollegen Schmid hörte, war es anscheinend so, daß diese Verträge uns überhaupt nur Enttäuschungen bringen. Das Mißtrauen der Nachbarn sei ausgesprochen deutlich, und zwar nach jeder Richtung. Man will uns binden. Allerdings will man uns erstaunlicherweise in völliger Verkennung der realpolitischen Situation nach Richtungen binden, in denen wir uns gar nicht bewegen. Nun, das wäre ja nicht so schlimm, wenn ich irgendwo gebunden werde, wo ich sowieso nicht hin will. Das ist ja wohl nicht allzu tragisch zu nehmen.
Aber was viel tiefer geht, ist das: Herr Kollege Schmid ist doch ernsthaft der Meinung, daß trotz unserer Prüfungen gesagt werden muß, das, was hier geboten werde - und er meint vor allem den Deutschlandvertrag, er meint aber auch den Eintritt in die NATO und alle diese Dinge -, sei keine Gleichberechtigung. Er sagte - ich will nun einige Punkte herausholen -: Zahlt e in Staat für fremde Truppen Unterhaltskosten? Diesen Satz durfte man am Ende dieser Debatte wirklich nicht bringen.
({3})
Denn es ist schließlich so, daß, wenn man schon in der Frage der begrifflichen Gleichberechtigung skeptisch wäre, die Gleichberechtigung sich im Finanziellen auswirken muß. Und da versteht sie jeder unserer Bürger sehr wohl. Jeder Bürger wird begreifen, was im Finanzvertrag klar und deutlich steht: daß nach einer Übergangszeit jede Verpflichtung der Bundesrepublik, zu Stationierungskosten Beiträge zu leisten, aufhört.
({4})
Herr Kollege Schmid, Ihr Fraktionsfreund Gülich hat das in seinem gedruckten, recht objektiven Bericht ausdrücklich als einen großen Vorzug dieses Vertrages anerkannt.
({5})
Wir haben lediglich die Verpflichtung, zu einem neuen Finanzvertrag zu kommen und ihn abzuschließen im Geiste der Vereinbarungen, die in der großen Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft bestehen. Also werden wir finanziell gleichberech({6})
tigt sein mit den Vereinigten Staaten, mit Kanada, mit England und mit all diesen Staaten. Ich frage Sie: was können wir mehr verlangen? Wollen Sie eigentlich fordern, daß wir weniger leisten als die übrigen?
({7})
Und sie sagen noch: im Truppenvertrag stehe dieses und jenes. - Ja, aber wir bekommen einen neuen Truppenvertrag - das steht einwandfrei fest -, einen Truppenvertrag, der im Geist der NATO ausgehandelt werden soll, also auch auf der Basis völliger Gleichberechtigung. Nun sagen die Verträge, daß dabei die besondere Lage dieser von uns aus freiwillig in der Bundesrepublik in der Stationierung befindlichen Truppen berücksichtigt werden soll. Herr Kollege Schmid, Sie wissen aus den Auseinandersetzungen, daß man bemüht ist, den neuen Truppenvertrag im Geiste der NATO abzuschließen. Sie wissen auch, daß uns von den Unterhändlern erklärt wurde, man werde bemüht sein, einen möglichst nicht alleinigen Vertrag für uns zu bekommen, sondern einen Vertrag, der etwa ähnlich sei - ({8})
- Moment, ich komme auf die Quantitätstheorie gleich noch zu sprechen.
({9})
- Bitte schön.
Warum hat man dann nicht gleich einen solchen Vertrag abgeschlossen - etwa gleichlautend mit den Verträgen, die die anderen NATO-Mächte untereinander abgeschlossen haben?
Herr Kollege Schmid, es dürfte Ihnen wohl nicht unbekannt gewesen sein, daß die politische Situation Ende August und Anfang September letzten Jahres so war, daß man froh sein mußte, in einer erstaunlich kurzen Zeit zu einer Lösung der Grundfragen zu kommen. Sie können als erfahrener Völkerrechtler nicht fordern, daß man in vierzehn Tagen oder drei Wochen einen derart komplizierten Vertrag zu unseren Gunsten noch fertig aushandelt. Was können wir fairerweise mehr verlangen, als daß die Möglichkeit gegeben ist, sofort mit den neuen Verhandlungen zu beginnen?
Ich will noch auf etwas anderes eingehen.
({0}) - Ich wollte Sie ja noch loben, Herr Kollege Schmid! Ich wollte ja sagen, daß Sie eigentlich dann - ich kann das aussprechen, ohne das Vertrauen zu brechen - den Gedanken mit uns verfochten haben, die Vorbehaltsklausel dürfte über die sogenannte Quantitätstheorie nicht zu unseren Ungunsten ausschlagen. Wir waren alle darüber einig geworden, daß dieser Vorbehalt objektiv auszulegen ist. Es waren sogar Freunde von Ihnen, die Material aus anderen Parlamenten beibrachten, aus dem sich ergab, daß dieser Vorbehalt sogar nach manchen Richtungen zu einer Besserstellung der Bundesrepublik führen müsse. Ich habe in meinem Bericht ausgeführt, daß die Bundesrepublik in einer Situation, die sie nicht verursacht hat, freiwillig mehr Truppen bei sich behält als andere Staaten. Wir waren darin einig geworden, unsere Unterhändler zu unterstützen, daß sich das für uns positiv, sogar über die allgemeinen NATO-Bestimmungen hinaus, auswirken müsse.
Nun hat Herr Kollege Gülich noch eine Frage. Bitte schön!
Herr Kollege Furler, ist Ihnen nicht mehr gegenwärtig, daß in meinem Schriftlichen Bericht steht, daß nach Ablauf des ersten deutschen Verteidigungsjahres eine Verpflichtung der Bundesrepublik zur Zahlung der Stationierungskosten zwar weder dem Grunde noch der Höhe nach festgelegt ist, daß aber die Bundesrepublik sich in Art. 4 Abs. 4 des Finanzvertrages verpflichtet und ihre Bereitschaft erklärt hat, bei Ablauf des ersten Verteidigungsjahres mit den anderen Mitgliedern des Nordatlantikpaktes in Verhandlungen über Fragen bezüglich des Unterhalts ihrer Streitkräfte einzutreten? Geben Sie nicht zu, Herr Kollege Furler, daß ich damit nicht gesagt habe, daß die Bundesrepublik keine Verpflichtungen mehr hätte
({0})
- es ist eine Frage, meine Herren -, sondern daß es anders dargestellt ist?
Ich weiß es sehr wohl. Ich habe kein so kurzes Gedächtnis, daß ich das nicht wüßte. Es hat sich aber um ganz etwas anderes gehandelt. Herr Kollege Schmid hat hier erklärt: „Wo zahlt ein Staat für fremde Truppen noch Unterhaltskosten?"
({0})
- Ich muß jetzt bitten,
({1})
mich ausreden und mich wenigstens diese Frage beantworten zu lassen.
Ich habe erklärt: Die Gleichberechtigung ergibt sich einmal daraus, daß wir weder nach Grund noch nach Höhe verpflichtet sind, nach Ablauf des Übergangsjahres Stationierungsbeiträge zu bezahlen. Da bin ich mit Herrn Kollegen Gülich völlig einig.
({2})
- Herr Kollege Schmid,
({3})
ich meine, daß die Übergangszeit von zwölf Monaten notwendig ist, zumal durch die ganzen Auseinandersetzungen sowieso sehr viel Zeit verloren wurde. Das ist doch ganz selbstverständlich. Ich spreche hier über das Prinzip der Gleichberechtigung und wollte nur nachweisen, daß wir so weit kamen, daß wir mit allen übrigen gleichberechtigt sind.
Und nun kommt die Antwort an Herrn Kollegen Gülich. Wenn wir erklärt haben: Wir sind bereit, auf der NATO-Basis zu verhandeln, und zwar so, wie alle anderen gestellt sind, dann widerspricht das doch nicht dem Grundsatz der Gleichberechtigung.
({4})
Ich habe ja nur gesagt, daß wir gleichberechtigt
sind. Darum geht es doch. Es dreht sich hier um
das Grundanliegen, um das es uns in diesen Verträgen geht; und dieses Grundanliegen scheint mir
in der Tat völlig gewahrt zu sein. Sie wissen ja
auch, daß dieses Grundanliegen nach Umbau der
EVG in die Form unseres neuen Verteidigungsbei({5})
trages noch viel stärker ausgeprägt ist, als es dies zuvor war.
Und nun etwas Weiteres. Ich kann nur einige Punkte, die mir besonders wichtig erscheinen, herausgreifen, damit sie hier nicht unwidersprochen bleiben.
Sie wissen, daß wir uns darum bemüht haben, diesen gesamtdeutschen Vorbehalt in das richtige Licht zu rücken. Sie wissen, daß wir darum kämpfen, daß wir davon überzeugt sind, dieser gesamtdeutsche Vorbehalt - was sich nicht nur aus dem Brief ergibt, den der Herr Bundeskanzler bekommen hat - könne niemals_ dazu führen, daß der Bundesrepublik gegenüber wieder irgendwelche alten besatzungsrechtlichen oder hoheitsrechtlichen Dinge auftauchen. Diese Fragen haben wir eingehend geprüft. Wir waren da auch weitgehend - ich will nicht sagen, in allen Punkten, aber doch weitgehend - zu in der Tendenz übereinstimmenden Erklärungen gekommen. Wir hatten uns klargemacht, daß dieser gesamtdeutsche Vorbehalt zum mindesten kein, wie Sie es ausdrücken, Monopol der Westmächte in der Politik der Wiedervereinigung bedeuten könne, sondern daß es das Ergebnis der neuen Rechtslage ist - das Ergebnis, das wir in mehreren Punkten festgehalten haben -, daß wir berechtigt sind, auch in der Frage der Wiedervereinigung eine eigene Politik zu betreiben. Dabei haben wir natürlich gewisse vertragliche Verpflichtungen übernommen, über die wir gar nicht zu debattieren brauchen. Die wollen wir ja auch einhalten. Wir wollen nicht auf jene Seite kommen, wo wir gegen diese vertraglichen Verpflichtungen verstoßen würden; ich will mich einmal vorsichtig ausdrücken, um niemandem zu nahe zu treten. Aber daß ein Monopol der Westmächte in der Frage der Wiedervereinigung vorliege, ist nicht der Fall.
Nun etwas anderes. Wir haben uns lange über die berühmten Fragen der Notwehr und des Notstandsrechtes unterhalten. Das Notwehrrecht war früher - im alten Deutschlandvertrag - ausdrücklich festgelegt. Es ist eine Selbstverständlichkeit völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Art, daß, wenn irgendeine Truppe direkt angegriffen wird - sagen wir, aus dem Hinterhalt beschossen -, sie sich wehren kann. Das ist das Notwehrrecht. Dieses ist völkerrechtlich so anerkannt und so selbstverständlich, daß wir darüber gar nicht zu streiten brauchen. Entgegenkommend haben die Drei Mächte erklärt, sie verzichteten auf eine Niederlegung in diesem Vertrag, und der Herr Bundeskanzler hat einen Brief geschrieben, um alle Mißverständnisse auszuschließen. Dieses Notwehrrecht bedeutet eine Selbstverständlichkeit, belastet uns also in keiner Weise stärker als, sagen wir einmal, das Notwehrrecht von Truppen, die in Frankreich oder in Italien oder irgendwo sonst stationiert sind, diese Staaten belastet.
Nun zum Notstandsrecht. Da ist zunächst einmal sehr wichtig, wie man diese Dinge behandelt. Es ist doch so, daß man ganz objektiv zugeben muß - man mag zu den Verträgen stehen, wie man will -, daß in der Frage des Notstandsrechts ein außerordentlicher Fortschritt selbst gegenüber dem Zustand des Vertragsentwurfs von 1952 erzielt ist,
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ein ungeheurer Fortschritt gegenüber unserer gegenwärtigen Lage, die uns in einer besatzungsreichen Situation findet.
Aber Sie haben dann, statt anzuerkennen, daß wir im Bundestag es völlig in der Hand haben, dieses Notstandsrecht abzulösen, das nur noch von unserer Entschließung abhängt, lediglich die Frage aufgeworfen: wer entscheidet darüber, wenn es einmal einen Streit gibt, ob das deutsche Bundesgesetz genügt, diese Notstandsrechte abzulösen? Zunächst, Herr Kollege Schmid, kann man ja wohl nicht für jeden Streitfall ein besonderes Schiedsgericht einbauen. Es ist auch schließlich so, daß die Formulierung eine für uns ausgesprochen glückliche ist. Es steht nirgends, daß die Alliierten eine Erklärung abgeben müssen, sie seien damit einverstanden, daß das Notstandsrecht aufhört. Es heißt einfach: diese Rechte erlöschen mit dem Erlaß eines entsprechenden Gesetzes.
({7})
Nun gebe ich Ihnen zu, daß man eventuell darüber streiten kann, ob dieses Gesetz genügt oder nicht genügt. Aber Sie wissen auch so gut wie alle hier im Hause, die den Verhandlungen beigewohnt und den Bericht gelesen haben, daß zu diesem Punkt noch besondere Interpretationserklärungen abgegeben worden sind, aus denen sich eindeutig ergibt: es wird von uns nicht ein Gesetz mit einem ganz bestimmten Inhalt verlangt. Es wird durchaus nicht verlangt, daß wir einen Art. 48 der Weimarer Verfassung wiederholen. Es wird nur gefordert, daß wir diese Materie überhaupt regeln, daß wir unsere Verfassung - entschuldigen Sie, wenn ich das einmal sage - in diesem Punkte auf einen Stand bringen, der für eine Verfassung eine Selbstverständlichkeit sein müßte. Ich persönlich halte eine Verfassung, die keine Regelung für den Fall gibt, daß wirklich einmal Not am Mann ist, für unzulänglich. Dann muß irgend etwas durchgesetzt werden, denn das Leben in einem Staat geht ja weiter, und man ist einfach gezwungen, die Menschen gewissermaßen in die Verfassungsbrüche hineinzutreiben. Also ist es doch eine legitime Notwendigkeit, unsere Verfassung dahin auszubauen. Wir werden uns später noch genügend darüber unterhalten, in welchem Umfang und in welcher Form dies geschehen kann.
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Dann etwas, was mir noch sehr am Herzen liegt. Immer wieder kommen alle und auch Sie, Herr Kollege, auf die berühmte Frage der Souveränität zurück. Ich will mich mit Ihnen nicht auf völkerrechtliche Theorien einlassen. Ich will hier nur zwei Dinge ganz deutlich klarstellen. Einmal haben Sie erklärt, die Bundesregierung habe gewissermaßen mit Hilfe dieses Begriffes der Souveränität falsche Vorstellungen erweckt. Ich glaube, daß ich Sie ziemlich wörtlich zitiere. Sie haben gesagt: hier wird etwas in Aussicht gestellt, was in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist. Mit anderen Worten: man bringt dem Volk so einen großartigen fremdländischen Begriff, und das Volk meint nun, wir seien jetzt ein Staat geworden, der sich machtmäßig, wirtschaftlich usw. durchaus sehen lassen kann. So muß man das verstehen, Herr Kollege Schmid. Aber ich meine, Sie sollten die Dinge doch nicht so durcheinandermischen. Wir wissen genau: es gibt einen formalen Begriff der Souveränität, und es gibt den politischen oder den faktischen Begriff der Souveränität. Niemand von der Bundesregierung hat behauptet, dadurch, daß das Wort Souveränität im Vertrag stehe, wachse unser Staat plötzlich unge({9})
heuer an effektivem, realpolitischem Gewicht. Lesen Sie bitte die Regierungsbegründung nach, und lesen Sie bitte nach, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dem Hohen Hause vorgetragen hat.
({10})
Es hat sich nicht darum gehandelt, daß wir nun plötzlich das Gewicht einer Großmacht bekämen, sondern es hat sich um einen ganz klaren und für uns sehr wichtigen Sachverhalt rechtlicher und völkerrechtlicher Art gehandelt, nämlich darum, daß erstmals in diesem Vertragstext gesagt wurde: die Bundesrepublik erhält die volle Macht eines souveränen Staates in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten. Aus dieser Fassung ergibt sich rein juristisch, ohne faktische Gewichtsverlagerung, daß uns niemand mehr einwenden kann, wir hätten einen irgendwie obskuren, nicht ganz klaren, besatzungsrechtsähnlichen Sonderstatus, sondern wir können uns daruf berufen, daß der internationale Rechtsbegriff der Souveränität uns zusteht, und daß uns in allen zweifelhaften und offenen Fällen die Zuständigkeit zuwächst.
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Das ist der ganz klare Sachverhalt. Dieser Sachverhalt, Herr Kollege Schmid, ist für uns, für unsere Weiterentwicklung, gerade für die Dinge, die auch Sie wollen, von besonderer Bedeutung. Ich hätte einmal Ihre Rede und die Reden Ihrer Kollegen hören mögen, wenn das Wort „Souveränität" nicht vorgekommen wäre, wenn man irgendeine zweifelhafte Umschreibung gebraucht hätte.
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Dann wäre hier gesagt worden: Was ist das für ein I Vertrag! Nicht mal eine saubere, klare juristische Lösung! Sie haben nicht mal den Mut gehabt, das Wort „Souveränität" zu verlangen! - Das wäre die Argumentation gewesen, die wir zweifellos hier zu hören bekommen hätten.
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Das ist die Situation. Und ich meine, es wäre eigentlich unser aller Interesse - unser aller, sage ich, auch der Opposition -, diese Rechtsposition für uns zu wahren und auszubauen und sie nicht trotz des klaren Wortlauts in Zweifel zu ziehen.
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Aber es ist nun nicht so, als stiege uns gewissermaßen der Begriff Souveränität in den Kopf und als wären wir nun plötzlich ein Wesen in der internationalen Völkergemeinschaft, das durch einen ungeheuren Auftrieb Ansprüche stellt. Wir wollen das gar nicht. Im Grunde geht es uns um den juristischen Status der Souveränität, und es geht uns - das ist für mich das Entscheidende - um die Gleichberechtigung mit den anderen Völkern. Das ist der springende Punkt. Nur wenn wir diesen Souveränitätsbegriff haben, können wir immer weiter in die Gleichberechtigung hineinwachsen. Man kann uns nicht mit dubiosen Fällen kommen, die schließlich auf Grund einer Diskriminierung gelöst werden sollen. So viel möchte ich zu dem sagen, was Sie hier zur Souveränität vorgebracht haben.
Aber noch ganz kurz einige allgemeine Bemerkungen. Wenn ich so höre, daß argumentiert wird: warum diese ganzen Verträge? Auch ohne Verträge sind wir doch stark geworden, auch ohne Verträge sind wir vorwärtsgekommen. Sicher würde man unser Wort, unseren Ruf auch vernehmen, wenn wir diese Verträge nicht hätten! -Ja, Herr Kollege
Schmid, wie soll eine Regierung überhaupt noch völkerrechtlich auftreten und arbeiten, wenn Sie alle Verträge ablehnen, weil Sie meinen, man käme auch de facto weiter?
({15})
Ist es nicht eine Pflicht, auch einmal aus dieser besatzungsrechtlichen Situation herauszukommen und uns ehrlich und rechtlich zu legalisieren?
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Natürlich sind wir nicht mehr in einem Stande, wie wir dies im Jahre 1946 waren. Aber ich meine, es ist unser politisches Recht, diese Legalisierung zu fordern, und die Drei Mächte haben auch gesagt, daß wir von Rechts wegen als Volk darauf Anspruch haben. Ich meine, es ist gerade für uns Juristen - ob wir nun der völkerrechtlichen, der zivilrechtlichen oder einer anderen Richtung angehören, wenn wir noch ein Herz für das Recht haben - eine wirkliche Aufgabe, hier auf einen sicheren Rechtsboden zu kommen. Ich frage: Wie hätte man sonst weiter argumentieren können? Man konnte sich doch nicht in diesem unklaren Zustand weiter bewegen. Auch in diesem Punkt, in der Frage: Wie soll man die internationalen Verträge gestalten? muß man nach dem, was ich heute gehört habe, eigentlich ein Wort des englischen Arbeiterführers Attlee zitieren, das ich wörtlich aus der Zeitschrift „Englische Rundschau" entnehme und das er bei der Vertragsdebatte im englischen Unterhaus gesprochen hat. Da sagte Attlee wörtlich:
Ich bin seit Jahren interessierter Teilnehmer an internationalen Sozialistenkongressen. In der Regel waren wir nicht der Meinung, daß die deutschen Sozialdemokraten besonders gute und zuverlässige Wegweiser waren.
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Ich möchte Sie doch an dieses Wort erinnern. Wir müssen hier offen miteinander sprechen, besonders in einer Situation, wo es um ein gemeinsames Anliegen geht.
Wenn Sie nun sagen: die Verträge weisen wenig Geist des Vertrauens auf, dann muß ich erwidern: ich glaube, alle, die sich ernsthaft um diese Verträge bemüht haben, sind beeindruckt von dem Vertrauen, das man uns gibt.
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Sie sind beeindruckt darüber, daß es gelungen ist, zu solchen Verträgen zu gelangen. Das war ja nicht so ganz selbstverständlich. Die theoretischen Erwägungen, man brauche nur die Folgerungen zu ziehen, die sind nicht gut. Man muß das Vertrauen sich auch durch eine klare und konsequente Politik erwerben.
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Ich glaube, wir haben allen Grund, dafür dankbar zu sein, daß es gelungen ist, oft auch gegen gewisse emotionale Erscheinungen in unserem Volk, dieses Vertrauen durch eine Regierung und durch eine parlamentarische Mehrheit durchzusetzen, die eine klare Linie verfolgt hat.
Nun ganz zum Schluß noch folgendes! Man kann das Recht verschieden betrachten. Man kann das Recht nach der Vergangenheit hin sehen. Man kann immer sagen: Ja, da ist eine Klausel, die gefällt mir nicht; hier sind Dinge geregelt, die mit dem Kriegsende zusammenhängen, und da hätten wir noch
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etwas Besseres bekommen können. - Diese Betrachtung des Rechts, die immer nur in die Vergangenheit führt und die den Deutschen schließlich zu einem Michael Kohlhaas werden läßt, diese Betrachtung des Rechts ist nicht diejenige, die uns vorwärts bringt. Vorwärts bringt uns die Betrachtung des Rechts, die in die Zukunft blickt.
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Wir müssen die Rechtslage auch immer dahin prüfen: welche Entwicklungsmöglichkeiten gibt sie uns? Und es ist ganz das, was der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck brachte: Wir dürfen nicht immer nur mit Angst in die Vergangenheit sehen und denken: haben wir da einen kleinen Fehler gemacht, muß der Notar das beanstanden oder kann er es vielleicht durchlassen
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oder muß er es gleich seiner Versicherungsgesellschaft melden? Nein, wir müssen die Ansatzpunkte für eine Entwicklung sehen, und nur wer die Ansatzpunkte sieht und wer seinen Weg weiter geht, der handelt politisch und der handelt auch im Sinne eines großen und eines weiten Rechts.
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In diesem Sinne haben wir alle Positionen für eine Gleichberechtigung erreicht. Wir haben alles, was uns ermöglicht, überhaupt weiterzukommen und vorwärtszuschreiten. Wir sind in der großen Gemeinschaft dieser westlichen Völker unter und mit ihnen. Wir sind gleichberechtigte Partner geworden mit Staaten und Völkern, mit denen uns eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Kultur verbindet und von denen wir leider Jahre hindurch so schrecklich und so unheilvoll getrennt waren. Gerade daß wir mit ihnen keine Gemeinschaft mehr hatten, hat uns doch in das Unglück, das hinter uns liegt, hineingeführt.
Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, müssen wir die große politische Linie erkennen, die auch in dem Recht dieser Verträge zum Ausdruck kommt. Und dann dürfen wir - und ich muß das ausdrücklich betonen - auch mit einem Stolz auf das sehen, was erreicht worden ist, und nicht nur immer das Negative betrachten.
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Ich frage: War es denn nicht so, daß den verantwortlichen Staatsmännern in der Weimarer Republik das Leben geradezu unmöglich gemacht wurde, weil es eine Opposition gab - damals saß sie auf der andern Seite des Hauses -, die diese Menschen durch ständiges Vorrechnen der Unzulänglichkeiten, der Hemmungen, der nicht genügenden Fortschritte einfach verhindert hat, ans Ziel zu kommen?!
({25})
Wir sollten hier mehr zusammenarbeiten und wir sollten denen, die die Verantwortung tragen, stärker helfen, weiterzukommen, als daß wir immer aus juristischen Schwierigkeiten heraus ihr Werk schmälern und ihnen damit auch ihr Selbstvertrauen nehmen.
Damit möchte ich das abschließen, was ich gerade zum rechtlichen Teil dieser Verträge noch zu sagen hatte.
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Damit ist die Rednerliste erschöpft. Ich schließe die Aussprache zur zweiten Lesung.
Ich unterbreche nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Sitzung bis 23 Uhr 30. Wir treten ein in die Abstimmung der zweiten Lesung um 23 Uhr 30.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung wird um 23 Uhr 35 Minuten wieder eröffnet.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zu den Abstimmungen in der zweiten Lesung.
Ich rufe auf den Gesetzentwurf unter Punkt 1 der Tagesordnung betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 1000 -. Ich schlage Ihnen vor, nach § 83 der Geschäftsordnung die Abstimmung der einzelnen Artikel, Einleitung und Überschrift miteinander zu verbinden.
Ich rufe demgemäß auf Art. 1, - 2, - 3, - 4, - Einleitung und Überschrift nach den Vorschlägen des Ausschusses.
Zur Abstimmung! Wir beantragen namentliche Abstimmung.
Es .ist namentliche Abstimmung beantragt. Eine ausreichende Unterstützung darf angenommen werden. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Einsammlung der Stimmkarten zu beginnen.
({0})
Meine Damen und Herren! Ist noch jemand im Saal, der seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung.
Ich schlage dem Hohen Hause vor, daß während der Auszählung der Stimmkarten die Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 1060, durchgeführt wird.
({1})
- Auch dazu wird namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführer, die Karten zu dieser Abstimmung einzusammeln. Ich rufe auf in der Ausschußfassung Art. 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift - Ich stelle alles zusammen zur namentlichen Abstimmung.
({2})
Ist jemand im Saale, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht .der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der ersten namentlichen Abstimmung über die Drucksache 1000 bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 478, Berliner Abgeordnete 22. Mit Ja haben gestimmt 327 stimmberechtigte Abgeordnete, Berliner Abgeordnete 11. Mit Nein haben gestimmt 151 stimmberechtigte Abgeordnete, Berliner Abgeordnete 11.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seiten 3874, 3876,
({3})
Das Gesetz auf Drucksache 1000 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland ist in der zweiten Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns noch etwas gedulden bis zum Ergebnis der Auszählung der zweiten Abstimmung.
Ich gebe zunächst das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über die Drucksache 1060 bekannt. Abgegebene Stimmen: insgesamt 477. Mit Ja haben gestimmt 323, mit Nein 150; enthalten haben sich 4 stimmberechtigte Abgeordnete. Die Berliner Abgeordneten haben gestimmt: Abgegebene Stimmen insgesamt 22. Mit Ja haben gestimmt 11; mit Nein haben gestimmt 11 Abgeordnete.
Das Gesetz betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ist damit in zweiter Lesung angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag - Drucksache 1061 -. Wir stimmen ab auf Grund der Beschlüsse des 4. Ausschusses.
({4})
Herr Abgeordneter Menzel zur Abstimmung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten, über Art. 1, 2 und 3 gemeinsam abzustimmen, und zwar namentlich, und über unseren Änderungsantrag zu Art. 4 - Umdruck 293 - ebenfalls namentlich abzustimmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag gehört; er ist ausreichend unterstützt. Ich verbinde nach § 83 der Geschäftsordnung die Abstimmung über Art. 1, 2 und 3, und zwar in namentlicher Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Ist jemand im Saal, der seine Karte noch nicht abgegeben hat? - Hat jedermann seine Stimmkarte abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung zu den Artikeln 1, 2 und 3 der Drucksache 1061. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
({1})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über die Artikel 1, 2 und 3 des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag bekannt. Die Artikel 1, 2 und 3 sind wie folgt abgestimmt:
Abgegebene Stimmen: 477. Mit Ja haben gestimmt 315 stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein 153 stimmberechtigte Abgeordnete; 9 Abgeordnete haben sich enthalten.
Berliner Abgeordnete: 22 abgegebene Stimmen, 11 mit Ja, 11 mit Nein.
Die Artikel 1, 2 und 3 sind in zweiter Lesung angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 293. Auch dafür ist namentliche Abstimmung be-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seiten 3874, 3876.
antragt. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({2})
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung.
({3})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Art. 4 der Drucksache 1061 auf Umdruck 293 bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 477; mit Ja haben gestimmt 163 stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein 308; 6 haben sich enthalten. - Berliner Abgeordnete: 22 abgegebene Stimmen, 11 ja, 11 nein. - Der Änderungsantrag der SPD ist abgelehnt.
Ich rufe auf Art. 4 der Drucksache 1061, Einleitung und Überschrift. Wer dem Art. 4 in der Fassung des Ausschusses, Einleitung und Überschrift zustimmen Will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; Art. 4 ist angenommen.
Damit ist in zweiter Lesung das Gesetz betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar, Drucksache 1062. Ich rufe zunächst den Art. 1 in der unveränderten Fassung, Vorschlag des Ausschusses, auf.
({4})
- Dazu wird namentliche Abstimmung beantragt. Ich lasse über Art. 1 in der vorliegenden Fassung abstimmen. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmkarten zu beginnen.
({5})
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung.
({6})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung über den Art. 1 des Gesetzentwurfs Drucksache 1062 bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt 477; mit Ja haben gestimmt 264 stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 204, enthalten haben sich 9. Berliner Abgeordnete: 22 abgegebene Stimmen; mit Ja haben gestimmt 6, mit Nein haben gestimmt 14, enthalten haben sich 2. - Art. 1 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, die Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 294 Ziffer 1 zu verbinden mit der über Ziffer 2 desselben Antrags. Wenn ich recht verstehe, wird auch dazu namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführer, mit der Einsammlung der Stimmkarten zu beginnen.
({7})
Ist jemand im Saal, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung.
({8})
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seiten 3874, 3876. **) Vgl. Idas endgültige Ergebnis Seiten 3875, 3877.
({9})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 294 Ziffer 1 und Ziffer 2 bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt 478; mit Ja haben gestimmt 194, mit Nein haben gestimmt 280, Enthaltungen 4; Berliner Abgeordnete: Abgegebene Stimmen 22; mit Ja haben gestimmt 14, mit Nein haben gestimmt 8. Die Änderungsanträge auf Umdruck 294 Ziffern 1 und 2 sind abgelehnt.
Ich stelle fest, daß damit der Art. 1 in der Fassung der Vorlage angenommen ist.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über Art. 2 in der vorliegenden Fassung, Drucksache 1062. Wer dem Art. 2 in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Bei wenigen Enthaltungen gegen zahlreiche NeinStimmen ist der Art. 2 angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 294 zu den Artikeln 2 a und 3.
({10})
- Namentliche Abstimmung. Ich setze Ihr Einverständnis voraus, daß die Ziffern 3 und 4 Ihres Änderungsantrages in der Abstimmung verbunden werden.
({11})
Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung über die Ziffern 3 und 4 des Änderungsantrags der SPD auf Umdruck 294. Ich bitte, mit der Einsammlung der Stimmkarten zu beginnen.
({12})
Ist jemand im Saale, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung.
({13})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 294 Ziffern 3 und 4 bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 475. Mit Ja haben gestimmt 190. Mit Nein haben gestimmt 281. 4 haben sich enthalten. Berliner Abgeordnete: Abgegebene Stimmen 22; mit Ja haben gestimmt 14, mit Nein 8. Damit sind die Änderungsanträge Ziffern 3 und 4 auf Umdruck 294 abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Art. 3, Einleitung und Überschrift nach der Vorlage des Ausschusses zu Drucksache 1062. Wer Art. 3, Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit; Art. 3, Einleitung und Überschrift sind angenommen.
Ich erkläre damit die zweite Beratung des Abkommens über das Statut der Saar nach der Ausschußvorlage, Drucksache 1200, für beendet.
Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Wehner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion beantragt die Absetzung der dritten Beratung der Ratifikationsgesetze von der Tagesordnung. Bundestag und Bundesregierung brauchen eine Pause nach der zweiten Lesung der Verträge. Es gibt keine
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seiten 3875, 3877.
zwingenden Gründe, jetzt die dritte Lesung anzuschließen. Aber es scheint uns gewichtige politische Gründe zu geben, die dafür sprechen, diese Pause einzulegen. Die zweite Beratung hat gezeigt, welche Probleme und auch welche Konsequenzen sich aus diesen Verträgen ergeben; sie hat auch dargetan, weiche Konfliktstoffe in ihnen liegen. Auch diejenigen, die gemeint haben, es sei in den Ausschußberatungen und in den öffentlichen Auseinandersetzungen vorher alles gesagt worden, was zu diesen Verträgen zu sagen sei, werden, wenn auch häufig insgeheim, sich nicht verhehlen, daß auch ihnen manche Konsequenzen bei diesen Beratungen der zweiten Lesung, Konsequenzen für die innere Entwicklung, die sich aus den Verträgen ergeben, klarer und deutlicher geworden sind.
Sollten nicht auch Mitglieder dieses Hauses, die entschlossen sind, den Verträgen zuzustimmen und die ihnen in der zweiten Lesung zugestimmt haben, die Frage gründlich prüfen, ob es den Interessen unseres Landes dienen würde, wenn die in der Bundesrepublik vollzogene Ratifikation in der Luft hängen bliebe? Sollte die Möglichkeit eines Abnutzungsprozesses durch die Entwicklung in anderen beteiligten Ländern nicht zu einer solchen Pause Anlaß geben, und sollten nicht besonders die schweren Bedenken gegen das Saarabkommen, die ja auch viele Mitglieder der Regierungsparteien bedrücken, Anlaß sein, die Bundesrepublik nicht der Gefahr auszusetzen, auf dem Saarstatut sitzenzubleiben?
Für eine weitere geduldige Verhandlungsarbeit im Sinne der Verständigung nach Ost und West würde es gut sein, diese Pause einzulegen. Unser Hauptanliegen - wir haben es während dieser Auseinandersetzungen betont - ist, alles zu tun, was von der Bundesrepublik aus zu tun möglich ist, um Viermächteverhandlungen zur Herstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit zustande zu bringen. Viermächteverhandlungen bedingen gründlichste, geduldigste und zäheste Vorbereitungen. Sie werden nur möglich sein, wenn der Bundesrepublik nicht die Hände gebunden sind. Alle Initiativen für Verhandlungen und alles zur Verständigung!
Das zur Unterstreichung unserer Bitte um Zustimmung zu unserem Antrag, die dritte Lesung abzusetzen.
({0})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion entspringt der uns nun genügend bekannten Grundhaltung zu den Verträgen. Aus unserer eigenen Grundhaltung, die wir in diesen Tagen ebenfalls klar genug gemacht haben, widersprechen wir diesem Antrag und bitten das Hohe Haus, ihn abzulehnen.
Meine Damen und Herren! Es ist nun seit Jahr und Tag ein heftiger Kampf um diese Verträge oder um die vorangegangenen Vertragsentwürfe über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft im Gange. Unser Volk hat in diesen Jahren Stellung bezogen. Die Menschen wissen genau, um was es geht, und ich bin fest davon überzeugt, daß die Menschen unseres Landes nun endlich, wie immer sie sich für sich selbst entscheiden mögen, wünschen, daß Klarheit geschaffen wird.
({0})
Vor allen Dingen aber ist eines zu sagen. Das Beste, was wir in unseren außenpolitischen Bemühungen in den vergangenen Jahren errungen haben, ist jenes Vertrauen der freien Welt, das gegründet ist auf die Beständigkeit unserer Außenpolitik. Wir dürfen das dadurch angesammelte Kapital nicht leichtsinnig und unbedacht verschwenden. Das würden wir aber tun, wenn wir so verführen, wie die sozialdemokratische Fraktion es uns vorschlägt. Ich verstehe Ihren Vorschlag. Er entspricht eben Ihrer Grundhaltung. Aber wir müssen uns selber treu bleiben. Auch wenn tatsächlich die Entscheidung etwa in Frankreich noch aussteht, kann uns das keinen Anlaß geben, von unserem Wege abzugehen. Das ist nicht, wie es im Verlauf dieser Debatte einmal gesagt worden ist, eine Art von übereifriger Strammheit. Mitnichten! Das ist nur Treue zu uns selbst, Treue zu einem aus tiefster Verantwortung heraus Geprüften und Entschiedenen.
Ich beantrage daher noch einmal im Namen meiner Freunde, diesen Antrag abzulehnen, und beantrage zu gleicher Zeit, die dritte Lesung auf heute, 12 Uhr, anzusetzen.
({1})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt diesen Antrag ab. Wir machen eine solche Galoppmethode nicht mit.
({0})
Abseits alles Politischen halten wir es auch im Interesse der Zusammenarbeit in diesem Hause nicht für fair und nicht für loyal, daß Sie den Bundestag so kurzfristig zu einer dritten Lesung zwingen wollen.
Meine Damen und Herren, w a s zwingt Sie eigentlich, jetzt diese Verträge in einer bisher im Bundestag nicht üblich gewesenen Sonntagssitzung durchzupeitschen? Oder sollte man vielleicht richtiger fragen, nicht: Was zwingt Sie, sondern: Wer zwingt Sie?
({1})
Nach Zeitungsnachrichten, die mehrfach bestätigt wurden, hat sich nun auch der Rat der Französischen Republik entschlossen, an die Beratung der Verträge kaum vor Ostern, wahrscheinlich kaum vor den Sommerferien heranzugehen. Wir waren ja schon einmal, oder ich muß korrekterweise sagen: S i e waren ja schon einmal so voreilig, und haben damals überstürzt den EVG-Vertrag ratifiziert und sind dann schrecklich dabei hereingefallen.
({2})
Und nun haben Sie im Grundgesetz den Art. 142 a stehen und nun drucksen Sie jetzt herum, wie Sie ihn wieder loswerden.
({3})
Was machen Sie übrigens, wenn der Rat der Französischen Republik nur das Saarstatut annimmt und durch Vorbehalte bei den anderen Verträgen die Verträge abgelehnt werden? Dann ist das eine von Deutschland geleistet und das andere ist nicht da!
({4})
Üben Sie doch bitte einmal - das wäre in der Politik, vor allem in der Außenpolitik sehr gut - etwas die Tugend der Geduld. Sehen Sie, wir halten es da mit dem alten Peter Rosegger: Etwas langsamer, aber richtiger, und Sie sagen: Schnell, wenn es auch falsch ist.
({5})
Unsere Fraktion jedenfalls möchte die Möglichkeit haben, sich noch einmal eingehend zu beraten.
({6})
- Ja, wir nehmen die Sache doch ernster und sorgfältiger! Auch Sie alle sollten sich der Verpflichtung bewußt werden, vor der endgültigen Abstimmung noch einmal gründlich Rechenschaft abzulegen - vor sich und dem Volke -, auf welchen Weg Sie das deutsche Volk für die nächsten Jahrzehnte schicken wollen.
Warum, meine Damen und Herren, diese nervöse Hatz? - Ist sie denn nicht ein Zeichen Ihres schlechten Gewissens
({7})
und des Gefühls einer Unsicherheit gegenüber einer sorgfältig vorbereiteten und gründlichen dritten Lesung? !
Es gibt natürlich einige Gründe, warum man so nervös ist und die Verträge so schnell von der Tagesordnung haben möchte. Das bewies die gestrige Debatte. Ich verstehe sehr gut, daß der Herr Bundeskanzler Furcht hat, daß, wenn wir nochmals eingehender über die Saar debattieren könnten, die Koalition vielleicht doch bricht. Die Freundlichkeiten, die der Herr Bundeskanzler hier gestern mit Herrn Dr. Becker ausgetauscht hat, werden ja eine gewisse Akrobatik erfordern, um sie wieder aus der Welt zu schaffen
Hängen wir doch der Katze die Schelle um. Meine Damen und Herren, letzten Endes - das ergaben auch gewisse Äußerungen in den interfraktionellen Besprechungen und im Ältestenrat - ist es doch Ihre pure Angst um die Aktion „Einheit, Freiheit und Frieden", die draußen so großen Erfolg gehabt hat.
({8})
Sie möchten gern die Verträge schnell erledigt sehen, weil Sie hoffen, daß dann draußen im Volk wieder etwas mehr Ruhe eintritt. Wie schlecht kennen Sie dieses Volk!
({9})
Wenn Herr Kollege Kiesinger hier gesagt hat, die Befragungen hätten ergeben, daß die Mehrheit hinter der Politik des Kanzlers stehe, - na, meine Damen und Herren, warum haben Sie dann solche Angst, das Volk zu fragen, wenn Sie gewiß sind, daß es hinter Ihnen steht?
({10})
Ihre Angst ist doch ganz offensichtlich, daß sich draußen die Bevölkerung aus ihrer tiefen Unruhe und Sorge gegen das wehrt, was man mit ihr zu tun beabsichtigt. Das beweist doch zugleich, wie richtig es war, diese Parolen in das Land zu tragen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie nun glauben, durch die Verhinderung einer sorgfältigen
({11})
dritten Lesung draußen Ruhe schaffen zu können, sollten Sie sich klar sein, daß Sie bei Ihrem jetzigen Verhalten gerade das Gegenteil bewirken, daß die Unruhe wachsen und zunehmen wird, wenn man draußen sieht, wie hier in diesem Bundestag die Debatte über das Knie gebrochen werden soll.
({12})
Davor warnen wir, und aus diesem Grunde wehren wir uns gegen den Antrag, noch heute die dritte Lesung stattfinden zu lassen. Wir bitten, ihn abzulehnen und den Bundestag nicht zum Sonntag einzuberufen.
({13})
Ich gebe als letztem Redner zur Geschäftsordnung das Wort dem Abgeordneten Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte halten. Ich wundere mich, daß das Wort vom „Durchpeitschen" hier gefallen ist. Herr Kollege Menzel, wir beide, Sie und ich, wissen am besten hier im Hause, wie wir uns im Laufe der letzten drei Monate weitgehend über die Verhandlung dieser Verträge verständigt haben.
({0})
Ich muß vor allen Dingen darauf hinweisen, daß am 19. Januar eine Besprechung beim Herrn. Bundestagspräsidenten stattgefunden hat, in der so gut wie alle Ihre Vorschläge zur Behandlung dieser Verträge auch von uns angenommen worden sind.
({1})
Wir hätten von uns aus die Behandlung der Verträge in der zweiten und dritten Lesung schon früher vorgenommen. Wir haben Ihren Wunsch respektiert und haben auch in der Frage der Behandlung in den Ausschüssen Ihre Wünsche angenommen.
Das Wort vom „Durchpeitschen" eines Vertragswerks, das in erster Lesung Mitte Dezember vorigen Jahres verabschiedet worden ist, muß ich also, Herr Kollege Menzel, ablehnen.
({2})
Zum zweiten habe ich nicht die Befürchtung, daß das Saarstatut von Frankreich angenommen werden könnte ohne die Westeuropäische Union. Sie bilden eine Einheit. Das ist das Entscheidende auch für unsere Beschlußfassung hier.
Und ein Letztes, Herr Kollege Menzel. Was uns zwingt und wer uns zwingt, heute und jetzt, wie es damals verabredet worden ist, diese Lesung vorzunehmen, das ist unser Gewissen.
({3})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über die Anträge zur Geschäftsordnung. Ich lasse zuerst abstimmen über den am weitesten gehenden Antrag, den Antrag auf unbefristete Absetzung. Ich habe recht verstanden, Herr Kollege Wehner: unbefristete Absetzung?
({0})
Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag auf unbefristete Absetzung der dritten Lesung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und zahlreichen Gegenstimmen ist der Antrag auf unbefristete Absetzung abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Kiesinger, die dritte Beratung heute 12 Uhr beginnen zu lassen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die große Mehrheit; der Antrag des Abgeordneten Kiesinger, die dritte Beratung heute, am 27. Februar, 12 Uhr, durchzuführen, ist angenommen.
Meine Damen und Herren! Einer interfraktionellen Vereinbarung folgend, rufe ich auf den Punkt 2 der Tagesordnung vom 26. Februar:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({1}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands ({2}).
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das Wort hat als Berichterstatter Herr Abgeordneter Dr. Furler.
Dr. Furler ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den Auswärtigen Ausschuß darf ich Ihnen kurz über die Beratungen zum Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Drucksache 997 berichten. Dieser Antrag war Gegenstand eingehender Besprechungen. Man hat sich in einer Spezialkommission bemüht, zu einer Formulierung zu gelangen, die alle Parteien, die im Auswärtigen Ausschuß vertreten waren, akzeptieren könnten. Die Arbeit dieser Kommission und die Besprechung im Ausschuß sind im Geiste eines Zusammenwirkens erfolgt, der auf beiden Seiten guten Willen voraussetzte. Die Arbeit erfolgte im Bewußtsein der Verantwortung für die gemeinsame Sache.
Der Ausschuß hat sich einstimmig auf folgende Formulierung geeinigt, die in der Drucksache 1201 vorliegt. Ich mache zu dem Inhalt dieser Entschließung keine Ausführungen, sie erläutert sich aus sich selbst. Ich darf Ihnen diese gemeinsame Entschließung vorlesen; sie lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Die Einheit Deutschlands als Staat und seine Freiheit zu wahren und mit friedlichen Mitteln zu vollenden, bleibt die vordringliche Aufgabe der deutschen Politik.
2. Der Deutsche Bundestag
a) stellt fest, daß in der Londoner Schlußakte die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Französischen Republik sich verpflichtet haben, die Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands durch friedliche Mittel als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik zu behandeln, und daß die Regierungen von Belgien, Canada, Dänemark, Griechenland, Island, Italien, Luxemburg, der Niederlande, Norwegen, Portugal und der Türkei sich dieser Entschließung angeschlossen haben;
b) begrüßt es, daß der Europarat in seiner Entschließung vom 8. Dezember 1954 unter den mit friedlichen Mitteln zu lösenden Problemen der europäischen Sicherheit in erster Linie die Wiedervereinigung Deutschlands genannt hat;
({4})
c) hofft, daß Verlautbarungen der Regierung der Sowjetunion die Möglichkeit zu Verhandlungen eröffnen werden mit dem Ziel, die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage freier, international kontrollierter Wahlen und eine friedensvertragliche Regelung mit einer aus solchen Wahlen hervorgegangenen frei gewählten Regierung herbeizuführen.
Das deutsche Volk erwartet, daß die beteiligten Mächte alle Anstrengungen für die Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands machen.
3. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß von einer friedlichen Koexistenz aller Völker und Staaten erst gesprochen werden kann, wenn die historisch gewachsene Einheit dieser Staaten und Völker zuvor sichergestellt, also ihre Spaltung beseitigt ist.
4. Der Deutsche Bundestag fordert daher Verhandlungen der vier Mächte mit dem Ziele:
a) Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments in allen Zonen auf der Grundlage eines demokratischen, allgemeinen, freien und gleichen Wahlrechts;
b) Schaffung einer gesamtdeutschen Verfassung und Bildung einer gesamtdeutschen Regierung durch das gesamtdeutsche Parlament;
c) Durchführung der Wiedervereinigung auf der Grundlage einer solchen Verfassung;
d) alles dies unter internationalem Schutz.
5. Der Deutsche Bundestag fordert, es möge so bald wie möglich ein Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen werden, der in gleicher Weise für die beteiligten Mächte wie für die in ihren Entschlüssen freie gesamtdeutsche Regierung annehmbar wäre.
6. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland soll, falls die drei Westmächte zusammen oder einzeln mit der Regierung der Sowjetunion Verhandlungen führen, welche die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands berühren, insbesondere bei den unter Nr. 4 genannten Verhandlungen zugezogen werden.
7. Es soll eine ständige Kommission, bestehend aus je einem Vertreter der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland, gebildet werden, deren Aufgabe es ist, alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten zu erörtern und Vorschläge auszuarbeiten, um aussichtsreiche Verhandlungen vorzubereiten.
8. Die Bundesregierung wird um Durchführung dieser Empfehlung ersucht.
Nachdem sich alle Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses auf diesen Antrag geeinigt haben, bin ich ermächtigt, zu sagen, daß der Antrag der Fraktionen der FDP und der DP Drucksache 1217 zurückgezogen wird.
Der Auswärtige Ausschuß bittet Sie, diese Entschließung zu fassen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten Drucksache 1201 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist die Entschließung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Saar ({1}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Pfleiderer.
Dr. Pfleiderer ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden Antrag der Fraktion der SPD, Umdruck 281, wird das Hohe Haus gebeten, die Bundesregierung zu ersuchen, eine Erklärung der französischen Regierung herbeizuführen, in der sich diese ausdrücklich zu einer bestimmten Auslegung der Bestimmungen der Ziffer VI des Saarabkommens über die politischen Freiheiten im Saargebiet versteht, und zwar soll diese Ziffer VI so verstanden werden, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung mehr unterworfen sein werden und weder vor noch nach dem in Ziffer I vorgesehenen Referendum aus politischen Gründen verboten oder suspendiert werden können: es sei denn, daß sie darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern. Darüber hinaus soll nach dem vorliegenden Antrag die Bundesregierung der französischen Regierung mitteilen, daß jede andere Auslegung dieser Bestimmungen dem Statut des Europarats und der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte widerspreche, und daß der Saarvertrag dann schon aus diesem Grunde vom Deutschen Bundestag verworfen werden müßte.
Wie bereits im Generalbericht des Auswärtigen Ausschusses zu Drucksache 1062 festgestellt wurde, sah sich die Mehrheit des Ausschusses veranlaßt, grundsätzlich alle Änderungs- und Entschließungsanträge abzulehnen, so berechtigt diese Jim Einzelfall auch gewesen sein mögen. Ich habe die Ehre, dem Hohen Haus namens des Ausschusses zu empfehlen, auch den vorliegenden Antrag durch diesen grundsätzlichen Beschluß als erledigt zu betrachten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Ehe ich die Sitzung schließe, gebe ich bekannt, daß die christliche Morgenfeier heute am Sonntag, dem 27. Februar, um 11 Uhr 40 Minuten stattfindet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, den 27. Februar 12 Uhr, ein und schließe die Sitzung.