Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Wehner zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion beantragt, den Punkt 1 der Tagesordnung des heutigen Tages - Fortsetzung der zweiten und dritte Lesung der Verträge - von der Tagesordnung abzusetzen. Im Hinblick auf die außen- und innenpolitische Lage ist es und erscheint es uns geraten, nach dieser zweiten Lesung eine Pause eintreten zu lassen.
Selbst diejenigen unter Ihnen, die zu einer Annahme der Verträge entschlossen sind, dürften sich der Erwägung nicht verschließen, daß eine solche Pause angesichts der außenpolitischen Entwicklung von Vorteil und von Nutzen für unser Volk sein kann. Wer bei diesen Verträgen an eine Verständigung mit Frankreich denkt, der wird nicht daran teilnehmen dürfen, Frankreich durch deutsche Strammheit unter Druck setzen zu wollen.
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Welches auch immer das Schicksal dieser Verträge sein wird, wir werden schließlich zu einem Akkord mit Frankreich kommen müssen. Er wird erschwert, wenn wir jetzt mit dieser dritten Lesung vorpreschen.
Diese von uns verlangte Pause soll aber auch Gelegenheit geben zur Einleitung der Verständigung mit dem Osten.
Die Mehrheit unseres Volkes wünscht und verlangt ernsthaft eine Verständigung und Verständigungsversuche.
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Sie glauben, wie das einige gestern hier gesagt haben, sich leicht über die aufrichtig gemeinten Versuche hinwegsetzen zu dürfen, mit Unterschriften unter Petitionen an dieses Haus das Bundesparlament von der Meinung, von der Stimmung,
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von den Wünschen der Bevölkerung zu unterrichten. Manche sind offenbar der Auffassung, das Volk nur noch zum Ausführen von Beschlüssen und Befehlen brauchen zu müssen.
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- Wir glauben nicht, Herr Sabel, ein Patent der Demokratie für uns zu haben. Aber Sie werden nervös, wenn das Volk seine Meinung sagt.
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Ein Mann, ein Wähler Ihrer Partei, der sich für Adenauer und für Herrn Scharnberg aus Ihrer Fraktion eingesetzt hat, schickte mir gestern den Durchschlag eines Briefes, den er an Sie geschrieben hat. Er schrieb: „Ich möchte Ihnen mit meinem Brief sagen, daß ich Ihnen meine Stimme" - er meinte Sie von der CDU - „nicht gegeben habe, damit Sie die Wiederbewaffnung um jeden Preis durchsetzen."
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„Wenn jetzt ratifiziert wird . so entscheidet eine von den Parteibüros am Bande gehaltene Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes."
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Die Bundesregierung bedient sich selber häufig der Repräsentativbefragungen von Meinungsforschungsinstituten. Nun, möchte ich Ihnen sagen, eine solche Anfrage und Umfrage hat jetzt ergeben, daß 56 °/o aller Befragten für Verhandlungen über die Wiedervereinigung vor der Ratifikation der Verträge sind.
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- Sie wollen das nicht hören; aber das werden Sie eines Tages zu verantworten haben. Sie haben die Stimmen der Menschen in den Wind geschlagen!
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Tun Sie das Ihre, damit nicht zu der schwierigen außenpolitischen Situation noch ein unheilbarer und unüberbrückbarer Riß im deutschen Volke hinzukommt.
Ich beantrage die Absetzung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner politischen Freunde, diesen Antrag abzulehnen. Herr Kollege Wehner hat es für notwendig gehalten, darauf hinzuweisen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes, die er zu kennen glaubt, gegen unsere Politik sei. Nun, meine Damen und Herren, wir glauben, die Meinung der großen Mehrheit dieses Volkes sehr genau zu kennen.
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Es gibt ja Mittel - und wir alle kennen diese
Mittel -, die Meinungen unserer Bevölkerung zu
erkunden, und ich darf Ihnen verraten, daß die
jüngsten demoskopischen Umfragen, die auf sehr genauen Methoden beruhen und die sich in den letzten Jahren als richtig erwiesen haben
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- nein, nein, Herr Wehner, ich kann Ihnen versichern, daß ich sie in all den letzten Jahren immer mit der Wirklichkeit verglichen habe -, ich kann Ihnen sagen, daß die neuesten demoskopischen Umfragen eine steil ansteigende Linie zugunsten der Politik Dr. Konrad Adenauers zeigen.
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- Ich weiß es, daß Sie das nicht gerne hören. Natürlich, wenn man so gewaltige Anstrengungen macht, um die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, wie Sie es in den letzten Wochen getan haben, dann will man nicht gerne enttäuscht werden. Das ist mir klar.
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Nun, das wird sich ja noch zeigen. Wir werden ja Gelegenheit haben, sehr genau festzustellen, was die deutschen Wähler denken.
Aber eines nun doch wirklich in allem Ernst! Die sämtlichen politischen Gruppen haben sich seinerzeit im Parlamentarischen Rat für dasjenige entschieden, was man „repräsentative Demokratie" nennt. Sie haben die sogenannte plebiszitäre Demokratie abgelehnt, d. h. man hat aus sehr wohlerwogenen Gründen damals gesagt, die politischen Entscheidungen müssen einzig und allein in dem Parlament getroffen werden, das in freien Wahlen gewählt worden ist, und zwar gerade auch die Vertreter der Sozialdemokratie haben das getan.
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Nun gebe ich zu, daß in den letzten Wochen in den Auseinandersetzungen auch der Sozialdemokratischen Partei das Bekenntnis - jedenfalls im Parteivorstand - zur repräsentativen Demokratie sich, nun, sagen wir einmal, gerade eben noch - wie man hörte, n t 17 gegen 15 Stimmen - durchgesetzt hat.
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- Herr Kollege Wehner, ich würde wünschen, daß die dauernden Beschimpfungen, die man aus Ihren Reihen hören muß, sobald irgendeine Feststellung getroffen wird, aufhören würden.
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Wohin soll es kommen, wenn man dieses Spiel: Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es zurück, weitertreiben würde?
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Eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr, Herr Präsident!
Herr Abgeordneter Kiesinger, sind Sie nach dem Gang der gestrigen Debatte, die das ganze deutsche Volk hat anhören können, bereit, diese Empfehlung, die Sie eben glaubten uns er({0})
I teilen zu müssen, auch und in erster Linie Herrn Bundesminister Strauß zu erteilen?
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Ihre Frage ist ein klein wenig zu spät gekommen. Ich habe mit Bewußtsein den Satz gewählt: Wie lange sollen wir das Spiel „Wie es in den Wald hineinhallt, so schallt es zurück" weitertreiben?
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Was Sie gestern abend hier erlebt haben, war doch gar nichts anderes
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als der Zorn eines Mannes darüber, daß wir hier im Parlament - ({2})
Sie haben gestern alle den Zorn eines Mannes darüber erlebt, daß wir hier im Parlament ein anderes Bild der Auseinandersetzung geben als draußen im Volk.
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Sie können mir nicht vorwerfen, daß ich nicht versucht hätte, wie ich es immer versuche, unsere Auseinandersetzungen in ruhiger und sachlicher Form durchzusetzen.
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- Ja, wenn Sie in meinen gestrigen Ausführungen etwas anderes gefunden haben, meine Herren, dann frage ich mich, wohin Ihre Empfindlichkeit gekommen ist und was Sie uns dagegen auszuhalten zumuten.
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Aber ich will ja jetzt in dieser Minute mit Ihnen gar keine Polemik dieser Art führen, sondern ich
will Ihnen nur noch einmal sagen: Ich warne Sie vor dieser Methode.
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Sie werden eines Tages
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die Geister, die Sie gerufen haben, nicht mehr loswerden,
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und das wird bedeuten, daß Sie der gemeinsamen Sache der Demokratie einen vielleicht tödlichen Schlag versetzt haben.
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Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Absetzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir fahren deshalb fort in der zweiten Beratung der sogenannten Pariser Verträge. Ich rufe auf den Punkt 1 der Tagesordnung:
Fortsetzung der zweiten Beratung und dritte Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland ({0});
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ({1});
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag ({2});
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar ({3});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({4}) ({5}).
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesamtdeutsche Block wird den Pariser Verträgen mit Ausnahme des Saarstatuts zustimmen, und er tritt auch dafür ein, daß diese Verträge sofort ratifiziert werden. Damit ist die Frage, die so sehr im Vordergrund auch der jetzigen Diskussion gestanden hat, nämlich: Zuerst ratifizieren und dann verhandeln oder umgekehrt, von uns im Sinne der aufgezeigten Alternative positiv entschieden worden.
Ich halte es aber für notwendig, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß diese Frage eine rein politische Zweckmäßigkeitsfrage ist. Sie ist nicht geeignet, zu einem politischen Dogma oder Glaubensbekenntnis umgewertet zu werden, und sie ist auch nicht geeignet, eine so weitgehende und tiefe Meinungsverschiedenheit zu begründen, wie sie in der letzten Zeit im deutschen Volke in Erscheinung getreten ist. Ihre Beantwortung hängt doch im wesentlichen davon ab, ob man der Sowjetunion Glauben schenkt, wenn sie sagt: wir werden nach der Ratifizierung nicht mehr verhandeln. Das ist eine Frage, die jeder nach seiner Überlegung, nach seinen Erfahrungen und Erkenntnissen entscheiden muß und die wir dahin entschieden haben, daß unserer Meinung nach die Russen auch nach der Ratifikation zu Verhandlungen bereit sein werden, wenn sie sich sachlich etwas davon versprechen.
Meine Damen und Herren! Wenn man die Reaktion der Sowjetunion auf die Bemühungen um die Verträge aufmerksam verfolgt hat, dann muß man nach meiner Überzeugung sogar zu der Ansicht kommen, daß sie hinterher erst recht zu Verhandlungen bereit sein werden, denn wenn ihnen schon die Ansätze so wichtig waren, daß sie mit immer größeren Zugeständnissen kamen, dann wird ihnen erst recht das vollzogene Ergebnis so wichtig sein, vielleicht noch weitergehende Angebote zu machen.
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Man braucht sich über diese Angebote keine Illusionen zu machen, und trotzdem muß man sie natürlich sehr ernst nehmen. Aber auch wenn man sie ernst nimmt, so haben wir doch alle Ursache, zuerst die Einheit der freien westlichen Welt herzustellen. Wir sind für die Russen keine Verhandlungspartner, die ihnen irgend etwas bedeuten, und wir haben alle Ursache, diese Einheit der freien Welt herzustellen, damit es Herrn Molotow nicht möglich ist, seine Haupttätigkeit bei den künftigen Verhandlungen darauf abzustellen, Zwietracht in die westliche Welt zu säen. Auch aus diesem Gesichtspunkt heraus müssen wir also diese unsere Haltung einnehmen.
Meine Damen und Herren! Wenn man mit heißem Herzen und ganzer Seele für die Wiedervereinigung eintritt, dann ist es einem noch nicht gestattet, die Schwierigkeiten zu übersehen, die sich der Wiedervereinigung entgegenstellen. In diesem Zusammenhang möchte ich hier das eine herausstellen: Jedes echte Entgegenkommen seitens der Russen in der Frage der Wiedervereinigung setzt eine starke russische Gewalt voraus. Nur eine starke Regierung wird sich zu weitgehenden Zugeständnissen bereit finden können, und nach dem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, erscheint es mir doch fraglich, daß wir im Augenblick und in ganz naher Zukunft eine solche Konsolidierung der staatlichen Machtverhältnisse in Rußland haben oder haben werden, daß wir mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ein positives Ergebnis rechnen könnten.
Wir haben doch gar keine Wahl zwischen Ost oder West, und gerade wenn ich einmal etwas vom Standpunkt der Vertriebenen sagen darf: Wir können doch unmöglich daran vorbeisehen, wem wir diesen Tatbestand der Vertreibung verdanken. Wir können uns deshalb doch nicht etwa jemals - meiner Ansicht nach auch in naher Zukunft nicht - dazu entschließen, unser Vertrauen auf die Sowjetunion zu setzen. Das würde ich als politischen Selbstmord und als das Ende unserer Freiheit ansehen.
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Wir dürfen keine Schaukelpolitik betreiben. Wir haben allen Anlaß, durch eine konstante und klare Haltung das Vertrauen der westlichen Welt zu uns zu gewinnen oder aufrechtzuerhalten. Das braucht keine Abhängigkeit zu bedeuten. Aber man muß sich entscheiden können; sonst sitzt man nachher zwischen allen Stühlen.
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Je fester und klarer unsere Haltung insoweit ist, um so mehr haben wir das Recht, an dem, was man uns vorgelegt hat, Kritik zu üben und darauf zu achten, daß die berechtigten Anliegen des deutschen Volks bei dieser Gelegenheit nicht zu kurz kommen. Wir haben gestern gehört - und wir wußten es auch schon lange -, daß die westlichen Mächte Erklärungen zur Frage der Wiedervereinigung und auch zur Frage der künftigen Grenzregelung abgegeben haben. Herr Bundesminister Strauß hat aber gestern hier eine Auffassung vertreten, die ich nicht teilen kann. Er hat so getan, als ob es nicht erlaubt sei, in diesem Hause den guten Willen unserer Vertragspartner in dieser Frage auch nur irgendwie in Zweifel zu ziehen.
Gerade wenn wir durch unsere Erklärungen und durch unsere Haltung bewiesen haben, daß wir unser Vertrauen endgültig auf die westliche Welt abstellen, dann ist es doch wohl gestattet, in einer Einzelfrage Zweifel, die ich habe, zum Ausdruck zu bringen, und ich muß eine solche Haltung, wie sie uns gestern entgegengetreten ist, zurückweisen. Es soll ja Parlamente geben, die sogar der eigenen Regierung das Vertrauen absprechen, und deshalb können wir uns wohl unmöglich zu dem Prinzip bekennen, es sei hier nicht einmal mehr gestattet, etwa den guten Willen oder auch nur den Grad des guten Willens unserer Vertragspartner in Zweifel zu ziehen.
Ist Herrn Bundesminister Strauß nicht bekannt, was sich in der französischen Kammer abgespielt hat? Die Alliierten haben auch zu der Frage der Grenzregelung Erklärungen abgegeben, und als der Abgeordnete Soustelle in der Kammer die Regierung fragte: ,,Sind wir etwa verpflichtet, den Bestrebungen der Bundesregierung zur Herstellung der Grenzen von 1937 unsere Unterstützung zu leihen?", hat Herr Mendès-France geantwortet: „Ganz gewiß nicht!".
Also wie man da jeden Zweifel unterbinden will, ist mir nicht ganz ersichtlich. Ich bedauere, daß Herr Bundesminister Strauß nicht da ist; sonst hätte ich ihn gefragt, und ich frage es jetzt:
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Wird von dem Bestreben zur Wiedervereinigung und von der Verpflichtung der Westmächte, uns in dieser Frage zu unterstützen, nicht auch die Saar umfaßt? Oder will man den guten Willen der Franzosen aus dem ableiten, was sich in Paris zugetragen hat? Die Erklärungen der Westmächte sind erstmalig in London abgegeben worden, und da war von der Saar nicht die Rede. Und Frankreich hat kurz danach in Paris, als das Abkommen unter Druck zustande kam, in eklatanter Weise seiner Verpflichtung, die Wiedervereinigung Deutschlands nach Kräften zu unterstützen, zuwidergehandelt. Das soll einmal herausgestellt werden.
Darüber hinaus kann doch niemand über den Zwiespalt hinwegkommen, der darin liegt, daß wir hier so feierliche Bekenntnisse zur Wiedervereinigung hören und im gleichen Atemzug von uns verlangt wird, daß wir ein Abkommen über einen unbestritten zu Deutschland gehörenden Teil treffen und ihm unsere Zustimmung geben sollen, obwohl es doch eine Minderung unseres Rechts zum Teil herbeiführt, zum Teil für die Zukunft geradezu sicherstellt. Deshalb sollte man sich von allen deklamatorischen Erklärungen zu dieser Frage fernhalten.
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Das gilt auch für den innenpolitischen Bereich. Die Bundesregierung hat es an solchen Erklärungen nicht fehlen lassen. Sie waren auch notwendig. Aber davon, daß, wie der Herr Bundesminister Strauß gestern gesagt hat, ein Gift in das deutsche Volk getragen wird, indem der Wille der Bundesregierung zur Wiedervereinigung in Zweifel gezogen wird, habe ich weniger merken können. Das Volk hat nach der Länge der Erklärungen vielmehr auf die Handlungen geachtet, und da muß ich der Bundesregierung sagen, daß die Errichtung gewisser Bauten in Bonn, Bauten, die mit dem Sachverhalt eines Provisoriums schlechterdings nicht in Einklang zu bringen sind, in dieser Frage außerordentliche Skepsis wachgerufen hat.
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Meine Damen und Herren, unsere heutige Debatte muß über Deklamationen hinaus wohl zu sehr konkreten Überlegungen führen: Wie können wir die Wiedervereinigung praktisch durchführen? Es ist erfreulich, festzustellen, daß nunmehr die Notwendigkeit, zum mindesten nach Ratifizierung der Verträge so fort zu verhandeln, von allen Seiten dieses Hauses in dieser Debatte anerkannt worden ist. Aber das genügt nicht. Man muß sich ernsthaft auch die Frage vorlegen: Wie komme ich weiter, auf welchem Wege?, wobei ich schon darauf hingewiesen habe, daß das nicht bedeutet, daß man etwa die Schwierigkeiten unterschätzt oder gar außer acht läßt. Die Politik der Stärke ist aufgegeben. In dieser Debatte ist erfreulicherweise mehr als einmal zum Ausdruck gekommen, daß auch in der letzten Überlegung der Gedanke an einen Krieg auszuscheiden hat.
Was ergibt sich daraus? Es ergibt sich daraus, daß wir nur auf dem Verhandlungswege weiterkommen können und daß wir die Wiedervereinigung nur von der Sowjetunion bekommen können. Nun hat, wie gestern schon gesagt wurde, niemand ein fertiges Rezept in der Tasche. Aber eins, glaube ich, sollten wir uns heute schon klarmachen: Niemals kann sich die Wiedervereinigung in der Weise abspielen, daß die Russen uns zur Bundesrepublik die Sowjetzone hinzugeben, daß beide dann wiederbewaffnet werden und Teil eines Militärpaktes sind, der sich, wenn auch nicht mit Worten, so doch praktisch gegen die Sowjetunion richtet. Wer diese Lösung erstrebt, sieht die Realitäten nicht.
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Und wer sich damit abfindet und nichts anderes
zulassen will, der schreibt die Wiedervereinigung
praktisch auf lange Zeit ab, wobei es völlig gleichgültig ist, ob er sich über diesen Sachverhalt klar ist oder nicht.
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Es wird daher notwendig sein, andere Lösungen und andere Wege ins Auge zu fassen.
Der Gesamtdeutsche Block hat sich auf seinem Parteitag gegen die Bündnislosigkeit für die Bundesrepublik ausgesprochen. Für die Bundesrepublik! Das bedeutet, daß dieselbe Entscheidung für . Gesamtdeutschland nicht getroffen worden ist.
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Ich kann auch nicht einsehen, daß es gar keine Lösung geben sollte, die zu einem allgemeinen Sicherheitssystem unter Beteiligung der westlichen Welt u n d der östlichen Welt führt, dem wir nicht als Teil eines der beiden sich gegenüberstehenden Blöcke, sondern dem wir als Einzelmitglied angehören.
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Voraussetzung ist aber wohl auch immer, daß wir uns darüber klar sind, daß wir die Neutralisierung Deutschlands 'ablehnen, wobei ich unter Neutralisierung die waffenlose Neutralität der Bundesrepublik oder Deutschlands verstehe. Dazu könnten wir uns niemals bereit finden. Ich halte es aber nicht für unmöglich und ich halte es sogar für 'den einzig möglichen Weg, diese andere Lösung zu suchen, die zu einer echten Neutralität führt.
Meine Damen und Herren, noch eines. Ich sage das hier nicht ad hoc, sondern ich habe es auch auf dem Parteitag gesagt: Voraussetzung für mich ist,
daß ich jede Lösung ablehnen würde, die nicht die Zustimmung der freien westlichen Welt findet. Unter dieser Voraussetzung kann meines Erachtens niemand etwas gegen diesen Vorschlag haben. Lassen wir uns solche Möglichkeiten, die im echten Interesse unseres Volkes liegen, nicht durch Schlagworte verbauen.
Und nun ein Letztes. Man kann oder man sollte von der Frage der Wiedervereinigung nicht sprechen, ohne sich auch darüber klarzuwerden: was ist denn eigentlich Wiedervereinigung? Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem wir, glaube ich, auch gestern und heute gehuldigt haben, versteht man unter Wiedervereinigung die Zusammenführung der Bundesrepublik mit der Sowjetzone und Berlin und mehr nicht. Damit können wir aber nicht einverstanden sein.
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Wir haben diesem Sprachgebrauch - wenn ich „wir" sage, meine ich Vertriebenenabgeordnete, zu denen ich gehörte - schon im 1. Deutschen Bundestag unsere Aufmerksamkeit zugewendet. Auf unsere Initiative und mit weitgehender Teilnahme an der Formulierung hat der Deutsche Bundestag am 18. März 1953 eine Entschließung angenommen, in der es heißt:
Die Wiedervereinigung Deutschlands darf
nicht ihr Ende an der Oder-Neiße-Linie finden.
Darüber hinaus ist gesagt, daß auch die übrigen Vertriebenen, die nicht aus den Gebieten jenseits der Oder-Neiße kommen, also insbesondere auch die Sudetendeutschen das unbestreitbare Recht haben, ihre angestammte Heimat in Freiheit und in Frieden wieder zu bewohnen.
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Meine Damen und Herren, ich muß leider feststellen, daß dieser Beschluß des Deutschen Bundestages auf die Sprachregelung der Öffentlichkeit keinen Einfluß gehabt hat. Es geht sogar so weit, daß der Begriff „Gesamtdeutschland" absolut in dem von mir gekennzeichneten engen Sinn verwendet wird. Wenn man von freien Wahlen in Gesamtdeutschland spricht, denkt man dann etwa an freie Wahlen in Pommern, Schlesien oder im Sudetenland? Nein, man denkt auch immer nur an die drei räumlichen Begriffe, die ich genannt habe. Ich muß es sehr beklagen, daß es trotz aller unserer Bemühungen nicht so gekommen ist, daß man unter Gesamtdeutschland auch uns er e Heimat, auch die deutschen Vertreibungsgebiete mit einschließt.
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Ich habe schon im 1. Bundestag wiederholt Gelegenheit gehabt, zu erklären, daß wir Vertriebenen durchaus bereit und damit einverstanden sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands sich in Etappen vollzieht. Wir sind uns immer darüber klar gewesen, daß zuerst die Sowjetzone mit ihren 18 Millionen Menschen kommen muß. Wir haben aber auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir nicht unsere Zustimmung dazu geben könnten, daß die Wiedervereinigung sich auf Kosten der deutschen Vertreibungsgebiete vollzieht.
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Das kann uns nicht hindern, die Schwierigkeit aufzuzeigen, die sich bei jeder Verhandlung über die Wiedervereinigung insoweit ergeben wird. Wir müssen mit voller Sicherheit damit rechnen, daß an
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uns, wenn es zu ernsthaften Verhandlungen über die Wiedervereinigung kommt, die Forderung gestellt wird: „Dann müßt ihr aber auch die Oder-Neiße-Linie anerkennen!" Ich möchte schon heute sagen - und ich glaube, daß darin wenigstens alle Vertriebenen einig sind -, daß wir dazu nicht bereit sein werden. Es kann aber, meine Damen und Herren, dieser Tatbestand nicht etwa zum Anlaß genommen werden, nun zu sagen: „Die ganze Sache ist aussichtslos, und wir packen sie erst gar nicht an." Das würde durchaus nicht in unserem Sinne liegen. Es gibt die Möglichkeit der Ausklammerung, und wir können bei den künftigen Verhandlungen diese Frage ausklammern und der Regelung des Friedensvertrages überlassen, genau so, wie das in London und in Paris der Fall gewesen ist. Damit würden nach meiner Meinung die Vertriebenen einverstanden sein.
Der Gesamtdeutsche Block stimmt den Verträgen mit Ausnahme des Saarstatuts zu. Er wird gerade diese Haltung zum Anlaß nehmen, von der Bundesregierung zu fordern, daß sie weit stärker als bisher die Frage der Wiedervereinigung vorantreibt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Baron Manteuffel-Szoege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich der letzte Redner in einem bedeutungsvollen Abschnitt unserer Beratungen bin; und mir scheint, daß neben lebhaften und heftigen und scharfen Worten im Rahmen des Meinungsaustausches auch verständnisvolle und eine Annäherung suchende gefallen sind. Die Zahl der Argumente, die vorgetragen worden sind, ist so groß, daß es eigentlich unmöglich ist, noch etwas Neues hinzuzufügen. Die Meinungen stehen wohl weitgehend fest. Ich möchte mir aber doch als Vertriebener erlauben, auf einige Punkte, die mir wesentlich erscheinen, hinzuweisen.
Daß uns die Wiedervereinigung im gleichen Ausmaße am Herzen liegt, unterliegt doch bei objektiver Beurteilung auch des Andersdenkenden keinem Zweifel.
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Aber ich glaube, wir sollten in aller Nüchternheit
die Realitäten betrachten und ihnen ins Auge sehen.
Wie stellt sich die Sowjetunion die Wiedervereinigung nach einer zehnjährigen Politik der grundsätzlichen inneren Trennung zwischen dem Gebiet hinter dem Eisernen Vorhang und dem Deutschland diesseits des Eisernen Vorhangs vor? Sie hat bereits das geschaffen, was wir anstreben. Sie verfügt ja bereits über eine Armee und diese Armee hat alles bis auf den Namen „Armee". Will sie diese Armee im Falle einer Wiedervereinigung auflösen? Will sie diese Menschen nach Hause schicken? Will sie sie in Sibirien garnisonieren lassen? Wie soll sie dieses Problem lösen? Die wirtschaftliche Verflechtung ist ja außerordentlich weit gegangen. Vielleicht gibt es im Urangebiet noch nicht, wie in Oberschlesien, Chinesen. Aber sie bildet bereits einen Teil des Ganzen der sowjetblocklichen Politik. Und schließlich das Wesentliche: Es sind ja nicht nur Trennungen geographischer oder wirtschaftlicher Art, wie man sie früher durchführte, sondern es sind letzten Endes die Bestrebungen, eine weltanschauliche Trennung zwischen uns im weitesten
Sinne und ihnen im engsten Sinne zu schaffen. Jeder Rückschritt, jedes Zurückgehen auf diesem Gebiete wäre die Anerkennung eines erstmaligen Mißerfolges nach fast 40 Jahren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Sowjetunion dieses vor sich und vor denen, die sie unter sich gebracht hat, irgendwie rechtfertigen würde.
Wir Deutschen sprechen, gleichgültig, wo wir stehen, mit gleich warmem Herzen immer wieder von den 18 Millionen, die von uns getrennt sind, die körperlich getrennt sind und die man trotz ihres heroischen Widerstandes auch seelisch und geistig von uns zu trennen versucht. Wir ,dürfen aber nicht vergessen, daß auf uns nicht nur die großen Mächte und nicht nur die großen Völker des Westens blicken, sondern auch die unterdrückten Völker des Ostens. Der Westen ist fr ei; der Osten ist unf r e i. Er kann seine Stimme nicht erheben; aber er lauscht dem, was wir hier sagen. Ob es sich um Esten, Letten, Litauer, Polen, Tschechen, Ungarn oder Rumänen handelt, kein einziger würde verstehen, daß ein Volk, das noch das Glück hat, sich im Falle der Not verteidigen zu können, auf diese Verteidigung freiwillig verzichten würde.
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Wenn wir auch nicht im Namen dieser Völker sprechen können, so sollten wir doch, nachdem sie zum Teil uns Böses und wir ihnen zum Teil Böses getan haben, auch an diese Menschen denken, und wir sollten davon überzeugt sein, daß, je widerstandswilliger und innerlich stärker wir werden, wir auch ihren inneren Widerstand stärken. Diese Menschen kann man zusammenfassen unter dem Wort der Schrift: „Und die ganze Kreatur seufzt nach der Erlösung."
Dann gestatten Sie mir noch ein Weiteres. Die kaiserliche deutsche Politik ist außenpolitisch trotz aller militärischen Macht, trotz aller wirtschaftlichen Stärke und trotz allen äußeren, vielfach überschätzten Glanzes letzthin daran zusammengebrochen, daß sie in der Stunde der Entscheidung im Grunde genommen bündnislos dastand.
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Es ist sehr die Frage, ob es überhaupt zum ersten Weltkriege gekommen wäre, wenn der Rückversicherungsvertrag nicht im Jahre 1890 gekündigt worden wäre und man sich vom Osten nicht gelöst hätte und wenn zu Beginn dieses Jahrhunderts die zweimaligen Möglichkeiten, sich mit England, der damals stärksten angelsächsischen Macht, zu verständigen, nicht aus Unentschlossenheit, aus Unfähigkeit, Folgerungen nach dieser oder jener Seite zu ziehen, verpaßt worden wären.
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Wenn wir uns heute innerlich niemals, gleichgültig, wo wir stehen mögen, mit dem Osten verständigen können, so müssen wir den Mut haben, eine klare Entscheidung zum Westen zu fällen, möge sie auch so manchem - ich glaube, wohl jedem von uns - schwerfallen. Vergangenheiten kann man nicht ohne weiteres auslöschen; aber man muß den Mut zum Weitergehen haben.
Herr Dr. Kather hat von Vertrauen gesprochen. Vertrauen ist eine Pflanze, die man immer pflegen muß und die Zeit braucht, bis sie ihre Früchte trägt. Ich glaube, man kann unserer Bundesregierung ein unablässiges Streben dafür, trotz Schwierigkeiten,
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trotz Rückschlägen, trotz Hemmungen Vertrauen zu gewinnen, billigerweise nicht absprechen,
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und ich meine, sie hat auf diesem Gebiete so viel getan, daß wir nur wünschen sollten, andere täten das auch.
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Zum Schluß noch eines! Man hat davon gesprochen oder die Sowjetregierung hat es angedeutet: Sind die Verträge einmal angenommen, dann reden wir nicht mehr mit euch. Vielleicht bedeutet das eine sehr hohe Einschätzung, vielleicht ist es sogar eine Überschätzung unserer Bedeutung. Aber die Praxis der letzten Zeit deutet auf etwas anderes hin. Seit dem Ende des unseligen großen Krieges hat es noch vier Kriege gegeben. Alle diese Kriege wurden mit altmodischen Methoden - wenn ich mich so ausdrücken darf, ich bin kein Soldat - geführt. Ein einziger dieser Kriege endete mit einem klaren Erfolg der abendländischen Welt. Das war die Auseinandersetzung zwischen dem kleinen Griechenland und den ununterbrochen 'aus dem Norden hereinströmenden Partisanenkräften. Dieser Krieg endete mit dem Erfolg Griechenlands und damit des Abendlandes, als Herr Tito die Grenzen sperrte. Er war der Mann, der der Sowjetunion die größte Niederlage zugefügt hat, die sie im Laufe der zehn Jahre erlitten hat. Er nahm Mittel und Waffen vom Abendlande, und er schloß Militärbündnisse mit den abendländischen Faktoren, - und die Beziehungen mit diesem Schismatiker, mit diesem Ketzer, um mich einmal so auszudrücken, sind wiederhergestellt worden und sind, sagen wir, korrekter - um mich sehr zurückhaltend auszudrücken - als vorher.
Daher, glaube ich, sollten wir diesen Dingen ganz nüchtern entgegensehen. Als Vertriebener kann ich nur sagen: es ist unsere Pflicht, alles zu tun, um zwischen verschiedenen Richtungen verbindend zu wirken, weil wir in diesen Richtungen überall vertreten sind.
Zweitens ist es unser Wunsch, daß dieses Restdeutschland, das das ganze Deutschland zu vertreten hat, seine Aufgabe in der abendländischen Welt mit allen Mitteln erfüllt. Dazu gehören die der militärischen Kraft, der Wirtschaft - wobei man auch an die Neuordnung von Wirtschaftsformen bei uns denken kann -, und gehört die Entwicklung der geistigen und seelischen Kräfte. Diese drei Dinge bilden, irdisch gesprochen, eine Dreieinigkeit.
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Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum zweiten Abschnitt der Beratungsmaterie, nämlich dem Saarabkommen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich zu dem umstrittensten Teil der Pariser Verträge, nämlich dem Saarabkommen, Stellung zu nehmen. Ich möchte betonen, daß durch eine sehr einseitige Darstellungsweise, zu der, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß, der Saarbund nicht unerheblich beigetragen hat,
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dieses Abkommen in einen Mißkredit gebracht worden ist, den es meines Erachtens bei einer ruhigen Betrachtung nicht verdient. In einer Weise, die ich für nicht vereinbar mit den nationalen deutschen Interessen halte, ist mit Schlagworten dagegen gekämpft worden wie „Verrat an der Saar", „Das Saarstatut bedeutet die endgültige Abtrennung von Deutschland", „Die Saar preisgegeben", „Die Wiedervereinigung gefährdet" und anderes mehr.
Die Saarfrage ist zweifellos ein trübes Kapitel der Nachkriegszeit. Wir müssen uns darüber klar sein, daß sie die Hypothek eines verlorenen Krieges ist, die nun einmal nicht so leicht abzutragen ist.
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Wir stellen auch hier im Deutschen Bundestag mit aller Nüchternheit fest, daß das Saargebiet nach dem Zusammenbruch durch einen einseitigen Akt von Deutschland abgetrennt worden ist, eine Handlung, die wir niemals anerkannt haben und gegen die die Bundesregierung wiederholt Proteste eingelegt hat.
Die Saar hat zum zweitenmal in einem Menschenalter das Schicksal erlitten, von Deutschland wieder losgelöst zu werden, obwohl sie deutsches Land ist, in dem deutsches Volk wohnt. Politisch wurde sie nach dem Zusammenbruch von Frankreich repräsentiert, und wirtschaftlich war sie mit Frankreich verbunden. Sie führte ein Leben im Zwielicht. Mehr oder weniger freiwillig ist in den trüben Jahren nach dem Zusammenbruch eine Verfassung geschaffen worden, die diesen Zustand anerkannte und die Loslösung von Deutschland statuierte.
Die innenpolitischen Verhältnisse an der Saar sind im besonderen Maße schuld daran gewesen, daß bisher keine bessere Atmosphäre zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet zustande kam. Die Einschränkung der politischen Freiheiten an der Saar war nicht nur vom deutschen Standpunkt, sondern auch vom europäischen Standpunkt aus ein außerordentlich unbefriedigender und wenig beispielhafter Zustand.
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Die Saarregierung hat sich leider - wir wollen gerecht sein: sicherlich nicht immer aus eigenem Antrieb - als Repräsentantin eines souveränen Staates betrachtet, der das Saargebiet sicherlich nicht ist. Sie hat deshalb jeden, der die territoriale Abtrennung von Deutschland nicht anerkannt hat, als außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung stehend betrachtet, und der derzeitige Ministerpräsident Hoffmann hat wiederholt erklärt, daß Vereinigungen und Einzelpersonen, die die territoriale Abtrennung von Deutschland nicht anerkennen, sich nicht auf die Grundrechte berufen könnten und polizeiliche und strafrechtliche Maßnahmen zu gewärtigen hätten. Aus dieser Einstellung heraus ist dann das berüchtigte Parteiengesetz erlassen worden. Es ist bedauerlich, daß die Saarregierung sich niemals zu einer großzügigen Handhabung dieses Gesetzes entschließen konnte. Die Sozialistische Partei Deutschlands wurde nicht zugelassen, weil sie erklärte, sie betrachte die französischsaarländische Union nur als ein Provisorium, das die Saar nicht daran hindern könne, auf Grund des Völkerrechts zu Deutschland zu gehören. Die CDU wurde nicht zugelassen, weil sie
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ebenfalls unter Berufung auf den provisorischen Charakter der Saarverfassung erklärt hatte, daß sie auf Grund des natürlichen Rechts und des Rechts auf Selbstbestimmung einer Revision unterworfen werden könne. Ebenso war das Schicksal der Freien Demokraten.
In diesem Zusammenhang möchte ich doch mit Genehmigung des Herrn Präsidenten das zitieren, was Herr van der Goes van Naters dazu in seinem Bericht ausgeführt hat. Er sagt:
Wenn nach der Verfassung durch den saarländischen Landtag kein den Grundsätzen der Verfassung entgegengesetzter Änderungsantrag angenommen werden konnte, so wird doch nirgends gesagt, daß es verboten ist, in diesem Lande dafür einzutreten, daß die Verfassung durch eine andersgeartete endgültige Verfassung ersetzt werden soll, und die saarländischen Behörden stützen sich auf keine gesetzlichen Grundlagen, wenn sie die Bestimmungen in diesem Sinne auslegen.
Die engherzige Haltung der Saarregierung gegenüber allen, die den deutschen Charakter der Saar betonen, hat naturgemäß bei uns den Eindruck verstärkt, daß die Saarregierung eine antideutsche Haltung einnehme und eine wenig deutschfreundliche Politik betreibe. Obwohl von deutscher Seite in den verschiedensten Gremien, insbesondere im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den van-der-Goes-van-Naters-Plan immer wieder Vorstellungen gegen die Einschränkung der politischen Freiheiten und der persönlichen Freiheiten an der Saar erhoben worden sind, hat die Saarregierung bisher daraus keine Konsequenzen gezogen. Der Zustand eingeschränkter Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit besteht nach wie vor.
Die wirtschaftliche Abtrennung von Deutschland wirkte sich für die Saar immer ungünstiger aus. Die Steigerung des Handelsverkehrs mit Deutschland im letzten Jahre beweist, daß die Saar auch wirtschaftlich ohne Deutschland nicht gedeihen kann.
Das ist die Situation im Saargebiet: eine schwärende Wunde, die vergiftend war für das deutsch-französische Verhältnis, dessen Klima nun einmal für Europa entscheidend ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Darf ich noch einen Satz sprechen. - Alle Lösungsversuche, darunter der bekannte van-der-Goes-van-NatersPlan, kamen nicht weiter.
Bitte, Herr Kollege Mommer!
Herr Kollege Lenz, Sie haben eben richtig festgestellt, daß an der Saar die demokratischen Freiheiten nach wie vor nicht bestehen. Sie haben auch festgestellt, daß das gegen die bestehende Saarverfassung ist. Glauben Sie nicht, daß man daraus die Schlußfolgerung hätte ziehen sollen, daß unsere Bundesregierung nicht mit einer solchen Regierung verhandelt?
Herr Kollege Mommer, in meinen weiteren Ausführungen komme ich darauf zu sprechen.
Nun ist durch das Saarabkommen, das in Paris getroffen worden ist und das durch die Abreden in Baden-Baden ergänzt wurde, eine neue Situation geschaffen worden. Ich will nicht auf alle Einzelheiten dieses Abkommens eingehen, ich will nur die entscheidenden Punkte hervorheben. Die Einzelheiten sind in dem vorzüglichen Bericht unseres Kollegen Pfleiderer behandelt worden, und ich nehme an, daß Herr Kollege Mommer sich nicht die Gelegenheit entgehen läßt, dazu nachher noch eingehend Stellung zu nehmen.
Einer der entscheidendsten Punkte dieses Abkommens ist, daß die politische Abhängigkeit des Saargebiets von Frankreich nunmehr beseitigt wird. In Zukunft vertritt nicht mehr Frankreich, sondern der Europäische Kommissar das Saargebiet in außenpolitischen und militärischen Angelegenheiten. Der saarländisch-französische Truppenvertrag entfällt. Innerpoltisch wird nach dem Statut dieses Abkommens die Saar eine Art begrenzter Autonomie haben. Aber den Charakter eines selbständigen Staates erhält sie auch durch dieses Statut in keiner Weise. Ich möchte hier mit allem Nachdruck betonen, daß dieses Abkommen nicht das Ausscheiden des Saargebiets aus dem deutschen Staatsverband bedeutet.
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Wir denken nach wie vor nicht daran, eine Abtrennung anzuerkennen.
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Wenn man sich sehr genau die Debatte in der französischen Kammer durchliest, dann kann man nicht daran vorübergehen, daß auch dort absolute Klarheit darüber bestand, daß die Saar deutsches Gebiet ist. Die endgültige Regelung der Saarfrage und die Festlegung der Grenzen bleibt dem Friedensvertrage vorbehalten.
Ich habe bereits die derzeitigen innerpolitischen Verhältnisse an der Saar dargelegt. Nun ist es entscheidend, daß durch das Abkommen hier nunmehr eine grundlegende Änderung getroffen wird. Die Beschränkung der politischen Freiheiten muß nunmehr aufgehoben werden. Es wird allerdings eingewandt, daß eine sehr erhebliche Einschränkung bestehe, weil nach dem Text des Abkommens das Statut nicht in Frage gestellt werden dürfe. Unserer Auffassung nach kann das gar nichts anderes bedeuten, als daß lediglich die Gültigkeit des Statuts und seine Dauer nicht angegriffen werden darf, daß es dagegen ganz selbstverständlich ist, daß Einzelheiten des Statuts, die sich nachträglich als unzweckmäßig, als wenig praktisch erweisen, kritisiert werden können und daß deren Änderung verlangt 'werden kann.
Wir sind auch der Auffassung, daß es ein ganz bedeutender Fortschritt ist, daß nach den Abreden, die in Baden-Baden getroffen worden sind, nicht die Saarregierung zu überwachen und zu entscheiden hat, ob die nach dem Statut erforderliche Wiederherstellung der politischen Freiheiten nunmehr vorliegt, sondern daß die Kommission, die im Rahmen ,der Westeuropäischen Union zur Überwachung des ersten Referendums gebildet wird, zu prüfen hat, ob die Gesetze, die die Saarregierung vorzulegen hat, wirklich eine Wiederherstellung der politischen Freiheiten, die dem Statut und dem Sinn der politischen Freiheiten entspricht, enthalten oder nicht. Es ist auch zu begrüßen, daß die Abreden, die in Baden-Baden getroffen worden sind, der europäischen Kommission und dem Euro({2})
päischen Kommissar eine ganz andere Stellung gegenüber der Saarregierung geben, daß sie ihnen die Möglichkeit geben, Maßnahmen der Saarregierung, die eine Beeinträchtigung der politischen Freiheiten darstellen würden, aufzuheben, und daß jetzt auch ein Gerichtshof eingerichtet wird, der politischen Parteien, Einzelpersonen und auch politischen Gruppen die Möglichkeit gibt, sich ihr Recht zu suchen, falls sie sich in ihren politischen Freiheiten beeinträchtigt fühlen.
Nun das erste Referendum, die erste Volksabstimmung im Saargebiet darüber, ob die Saarbevölkerung das Statut annehmen will oder nicht. Es ist hier kritisiert worden, daß man der Saarbevölkerung keine echte Wahl gegeben habe, daß man ihr nicht die Möglichkeit gegeben habe, sich auch zu der Frage zu entscheiden, ob die Saar zu Deutschland zurückkehren solle. Meine Damen und Herren, realpolitisch gesehen ist in Verhandlungen nicht alles zu erreichen, was man erreichen möchte. Abgesehen davon ist zu beachten, daß dieses erste Referendum eine Voraussetzung für die zweite Volksabstimmung beim Friedensvertrag bildet. Wir haben dieses erste Referendum hingenommen, weil wir damit das Selbstbestimmungsrecht der Saar in der zweiten Volksabstimmung beim Friedensvertrag erreichen konnten.
Nun ist ein langer Streit darüber gewesen: ist dieses Saarstatut, das von der Saarbevölkerung angenommen oder verworfen werden kann, ein Definitivum oder ein Provisorium? Mit diesen Ausdrücken ist sehr viel Wortspiel getrieben worden. Aber wenn man die Debatte in der französischen Kammer liest, dann wird doch völlig deutlich, daß auch keiner der französischen Abgeordneten einschließlich des damaligen französischen Ministerpräsidenten sich darüber im unklaren war, daß es sich um ein Provisorium bis zum Abschluß eines Friedensvertrages handelt.
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Ich möchte das zitieren, was der Berichterstatter des Außenpolitischen Ausschusses der französischen Kammer, Herr Vendroux, gesagt hat:
Bei der Endentscheidung wird es nicht um die Wahl: deutsche Saar oder französische Saar, sondern nur noch um die Wahl: saarländische Saar oder deutsche Saar gehen.
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- Ich will nur betonen, Herr Kollege Mommer, daß das auch in Frankreich erkannt worden ist, und das halte ich doch immerhin für erheblich.
Ich möchte dann mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch zitieren, was „Le Monde" in ihrem sehr viel zitierten Artikel seinerzeit gesagt hat. „Le Monde" schreibt:
Die Deutschen scheinen in der Tat zu fürchten, daß das neue Saarstatut von Frankreich als ein Definitivum betrachtet werde. Es ist bei ihnen eine Art geistiger Konfusion entstanden, die zerstreut werden müßte. In politischer Hinsicht wird Frankreich alle seine Atouts ausspielen, damit ein Akkord bleibt, den es für gut hält. In juristischer Hinsicht dagegen wird es loyal ein Abkommen beachten, welches die saarländischen Geschicke bis zu einem Friedensvertrag mit Deutschland regelt und welches in diesem Moment ein neues Referendum vorsieht.
Umgekehrt wird auch unser Recht damit anerkannt, darauf hinzuwirken, daß bei diesem Friedensvertrag der Wille der Saarbevölkerung in vollem Umfange anerkannt wird.
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Es scheint mir auch nicht ohne Bedeutung zu sein, was Herr Hoffmann zu dem Statut erklärt hat. Er hat kurz nach der Veröffentlichung in einem Interview lapidar festgestellt: Das Saarstatut gilt nur bis zum Friedensvertrag und keinen Augenblick länger.
Was werden die Folgen der Annahme dieses Statuts durch die Saarbevölkerung sein? Die Saarverfassung ist entsprechend dem neuen Statut zu ändern, und wir erwarten, daß damit auch der Passus über die Abtrennung von Deutschland entfällt.
Der entscheidendste Punkt dieses Abkommens scheint mir aber die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Saarbevölkerung zu sein. In Art. IX des Abkommens heißt es:
Bestimmungen über die Saar in einem Friedensvertrag unterliegen im Wege einer Volksabstimmung der Billigung durch die Saarbevölkerung; diese muß sich hierbei ohne irgendwelche Beschränkungen aussprechen können.
Nun ist beanstandet worden, daß nicht sofort eine Volksbefragung über die Zugehörigkeit zur Saar für den Fall des Friedensvertrags vereinbart worden ist. Aber eine solche Bestimmung mußte dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben. Sicher ist es aber jetzt, daß die Saarbevölkerung jede nicht von ihr gewünschte Lösung ablehnen und damit eine Änderung etwaiger unzureichender Bestimmungen beim Friedensvertrag herbeiführen kann.
Ich möchte hier auf die fast dramatisch zugespitzte Fragestellung zwischen dem Abgeordneten Liautey und dem damaligen Ministerpräsidenten Mendès-France in der Kammer eingehen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren. Der Abgeordnete Liautey hat die Frage gestellt:
Herr Ministerpräsident, die Mächte kommen überein, das europäische Statut aufrechtzuerhalten. Die Saarländer sind damit nicht einverstanden. Sie lehnen es ab und erklären ihren Wunsch, einfach an Deutschland angeschlossen zu werden. Werden in diesem Fall die Vereinbarungen, denen wir zustimmen sollen, es dem saarländischen Volke erlauben, seinen Willen im Friedensvertrag vorgehen zu lassen, oder wird das Umgekehrte der Fall sein?
Der französische Ministerpräsident Mendès-France antwortete darauf:
Die endgültige Lösung wird niemals gegen den Willen des saarländischen Volkes gefaßt werden können.
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- Das überlasse ich Ihnen nachher, Herr Kollege Mommer.
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Damit ist in überaus klarer Weise das Selbstbestimmungsrecht der Saarbevölkerung auch in der französischen Kammer anerkannt worden. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß durch die amerikanisch-englische Garantie für das Saarabkommen dieses Selbstbestimmungsrecht beim Abschluß eines Friedensvertrags gewährleistet wird.
({9}) Nun hat gestern Herr Kollege Brandt erklärt, daß die amerikanischen Gewerkschaften gegen das Saarabkommen gewesen seien. Ich weiß nicht, welcher Text Herrn Kollegen Brandt vorgelegen hat.
({10}) Der Text, der mir vorliegt, lautet etwas anders. Es heißt darin: „Wir von der AFL verpflichten uns, unseren ganzen Einfluß aufzubieten, um unsere Regierung zu veranlassen, die Londoner und Pariser Abkommen dahingehend zu ändern und zu verbessern, daß die Saar das volle Selbstbestimmungsrecht und die deutsche Bundesrepublik volle Gleichberechtigung und Souveränität erhält". Das scheint mir doch etwas anderes als eine Ablehnung der Abkommen durch die Gewerkschaften zu sein.
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Nun zu den wirtschaftlichen Bestimmungen dieses Abkommens! Ich will sie nur kurz streifen. Sie stellen ein Programm über den wirtschaftlichen Zugang Deutschlands zum Saargebiet dar. Das Ziel soll erreicht werden, daß gleichartige Beziehungen zu Deutschland geschaffen werden, wie sie zwischen Frankreich und der Saar bestehen. Es wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß diese Absichten im Rahmen einer sich ständig ausweitenden deutsch-französischen und europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit verwirklicht werden. Gewiß, es gibt eine ganze Reihe für uns drückender französischer Vorbehalte, insbesondere das Bestehenbleiben der Zoll- und Währungsunion bis zur Schaffung einer europäischen Währung. Es wird von den schwebenden Wirtschaftsverhandlungen abhängen, inwieweit der im Interesse des Saargebiets notwendige wirtschaftliche Zugang der Bundesrepublik möglichst bald verwirklicht wird.
Meine Damen und Herren, alles in allem genommen ein Abkommen, das manches zu wünschen übrigläßt, aber doch ein Abkommen, das immerhin einen Ausgleich der deutschen und französischen Interessen an der Saar versucht und die Endlösung dem Friedensvertrag überläßt. Es ist darauf hingewiesen worden, daß eine große Zahl von Auslegungsstreitigkeiten besteht. Ich würde es begrüßen, wenn ihre Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgte, wie es in dem Vertrag über die Westeuropäische Union vorgesehen ist, und wenn sich die Regierungen nicht ständig mit den Streitigkeiten über die Auslegung des Statuts befassen müßten.
Grundsätzlich gesehen, gab es zur Lösung der Saarfrage doch nur zwei Möglichkeiten: entweder alles beim alten zu belassen, damit die unbefriedigenden Verhältnisse im Saargebiet in Kauf zu nehmen und die ständige Belastung des deutschfranzösischen Verhältnisses weiter zu ertragen oder eben zu einer Kompromißlösung zu kommen. Etwas anderes war doch wohl nicht gegeben.
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Ich frage Sie, meine Damen und Herren, die Sie
der Sache ablehnend oder schwankend gegenüberstehen: Glauben Sie wirklich, daß diejenigen, die jetzt gegen das Saarabkommen sind, nach Ablehnung dieses Abkommens noch vor einem Friedensvertrag eine bessere Lösung erzielen könnten?
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Würde nicht gerade eine weitere Verhärtung des deutsch-französischen Verhältnisses und ein weiteres Auseinanderleben mit dem deutschen Volk an der Saar die Folge sein, und würde nicht dadurch gerade der Abschluß eines Friedensvertrages noch weiter belastet werden?
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Ich kann nur auf die sehr bemerkenswerten Ausführungen von Herrn Senatspräsidenten K a i s en im Bundesrat verweisen. Er hat ganz zu Recht ausgeführt, daß der deutschen Außenpolitik eben nun einmal nur eine sehr begrenzte Bewegungsfreiheit zur Verfügung steht und daß man daran ermessen muß, wie wichtig jeder Schritt ist, der zur Erreichung unserer Freiheit beiträgt. Ich glaube, das Saarabkommen kann ein derartiger Schritt sein. Die Hauptsache ist doch schließlich, daß die Saarbevölkerung bei Abschluß des Friedensvertrags sich frei entscheiden kann. Eine gesamtdeutsche Regierung wird in keine Regelung einwilligen, die nicht die Rechte der Saarbevölkerung in vollem Umfange berücksichtigt.
Ich kann verstehen, daß unsere Freunde aus dem Saargebiet der derzeitigen Regierung ein erhebliches Mißtrauen entgegenbringen und daß sie hieraus mancherlei Bedenken gegen das Abkommen herleiten. Ich muß zugeben, daß gewisse Äußerungen von Herrn Hoffmann die Besorgnis verstärkt haben, daß er wieder Rückfälle in polizeistaatliches Denken hat.
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Aber gerade diese Bedenken sind ja nun ausgeräumt, weil eben nicht die Saarregierung, sondern die Europäische Kommission bzw. später der Europäische Kommissar, der Ministerrat der Westeuropäischen Union über eventuelle Beschränkungen der politischen Freiheit zu entscheiden hat und außerdem ein Gerichtshof dafür eingesetzt ist. Ich kann mir einfach nicht denken, daß diese Instanzen nicht die Konvention der Menschenrechte zugrunde legen würden und daß sie irgendwelche Maßnahmen billigen könnten, die dagegen verstießen.
Der Einwand schließlich, die Bundesrepublik sei nicht berechtigt, ein Abkommen über das Saargebiet abzuschließen, ist mir überhaupt nicht verständlich. Auf der einen Seite halten wir doch alle daran fest, daß das Saargebiet deutsches Gebiet ist. Dann haben wir auch das Recht, Vereinbarungen über dieses Gebiet zu treffen, sofern sie keine endgültigen Lösungen enthalten und eine gesamtdeutsche Regierung nicht binden. Wir haben sogar eine Verpflichtung dazu, wenn wir dadurch für die Bevölkerung an der Saar einen besseren Zu- stand schaffen können.
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Nun kommt der Einwand, wann es denn nun zum Abschluß eines Friedensvertrags komme. Ja, meine Damen und Herren, wir wünschen sehnlichst, daß es sehr bald zum Abschluß eines derartigen Friedensvertrags kommt, in dem ja nicht nur das Saarproblem, sondern noch viel schwer({17})
wiegendere Probleme zu regeln sind. Ich halte es für keine realpolitische Betrachtung, wenn man sagt - und das ist gesagt worden -, daß Frankreich im Hinblick auf die Saarfrage eine friedensvertragliche Regelung verzögern könnte, denn auch Frankreich weiß, daß ein Friedensvertrag zur Befriedung Europas und der Welt ein absolutes Erfordernis ist. Deshalb wird die Saarfrage da kein Hindernis sein können. Aber - wir müssen ja realpolitisch denken - käme es in absehbarer Zeit nicht zu einem Friedensvertrag, nun, meine Damen und Herren, dann wäre eben eine neue Situation gegeben. Da gerade in diesem Abkommen eine friedensvertragliche Regelung vorgesehen ist, würde sich aus diesem Abkommen von selbst herleiten, daß wir dann eben neue Verhandlungen über eine andere Lösung führen müßten. Würde man jedes Abkommen als einen statischen, als einen nicht zu wandelnden Zustand betrachten, dann würde ja jede politische Entwicklung geleugnet werden. Wir haben doch gerade in den letzten Jahren erlebt, wie rasch im gegenseitigen Einvernehmen Vereinbarungen den veränderten Verhältnissen angepaßt wurden. Ich erinnere an das Besatzungsstatut und an das Ruhrstatut. Und, meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eigenartig, daß Sie Entwicklungsmöglichkeiten sehen, wo keine oder noch keine sind, daß Sie aber Entwicklungsmöglichkeiten übersehen, wo sie auf der Hand liegen.
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Es ist sicher zu bedauern, daß französischerseits ein Junktim zwischen dem Saarabkommen und den übrigen Verträgen geschaffen worden ist. Aber seien wir uns darüber im klaren: Wer die anderen
Verträge bejaht, das Saarabkommen aber ablehnt, setzt damit alles aufs Spiel, ohne sagen zu können, wie er auch hinsichtlich der Saar eine bessere Lösung hat.
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In einer Situation wie der unsrigen, in der wir nun einmal die Folgen eines verlorenen Krieges zu tragen haben, ist es nicht möglich, nur die Rosinen aus dem Kuchen zu picken, das andere aber ungegessen zu lassen.
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Meine Damen und Herren, die Christlich-Demokratische Union ist sich bewußt, daß wir einer Lösung zustimmen, die sicherlich nicht vollkommen ist, die aber die Möglichkeit gibt, befriedigendere Zustände im Saargebiet zu schaffen, und die uns wieder Zutritt und Möglichkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet eröffnet.
Wir sind uns klar darüber, daß die Handhabung dieses Abkommens auf allen Seiten ein Höchstmaß von gutem Willen voraussetzt. Wir stimmen aber zu, weil wir hoffen, daß hiermit der Saarbevölkerung ihre politische Freiheit und die Möglichkeit einer freien Entscheidung beim Friedensvertrag gegeben wird.
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Und wir stimmen ihm schließlich zu, weil wir hoffen, daß die Opfer, die wir bei diesem Abkommen zweifellos bringen müssen, der europäischen Verständigung und der Sicherung des Friedens dienen.
({22}) Voraussetzung für unsere Zustimmung, das möchte ich allerdings betonen, ist, daß nunmehr die Abkommen auch von Frankreich ratifiziert werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir schwer, mit der Sachlichkeit zu reden, wie ich es gewohnt bin und wie ich es vorhatte, nach dem, war wir hier gestern abend von einem Bundesminister erlebt haben.
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Sie haben in dieser Debatte so oft verächtlich von der Straße gesprochen. Was wir hier gestern von einem Bundesminister erlebt haben, das war die Sprache der Gosse, nicht nur der Straße.
({1})
Meine Herren, ich hätte mich geschämt, in der kleinsten Dorfversammlung so zu sprechen, wie ein Minister hier gesprochen hat.
({2})
Und wenn darunter unsere ganze Debatte leidet, dann trifft die Verantwortung dafür diesen Bundesminister für besondere Aufgaben.
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Ich habe den Eindruck gehabt, daß seine besonderen Aufgaben darin bestehen, im Lande umherzuschnüffeln, alle schmutzige Wäsche des politischen Kampfes zu sammeln und sie hier im Bundestag zu waschen.
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Ich hoffe zugunsten des Kabinetts, daß Sie Kollektivscham empfunden haben, als Ihr Kollege hier so gesprochen hat.
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Wir haben sie für den Bundestag empfunden, und wir wissen, daß viele von Ihnen sie empfunden haben.
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Wir wissen auch, daß jemand von Ihnen die Frage stellen wollte - Herr Hellwig, das muß hier gesagt werden, durch diesen Ton hier ist das Parlament herabgesetzt worden, und das muß zur Sprache gebracht werden -,
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ob der Herr Bundesminister nicht aufgepaßt habe, ob es ihm entgangen sei, daß der Karneval zwar gerade, aber doch schon vorüber sei.
Es gibt Gott sei Dank den wörtlichen Bericht über unsere Verhandlungen
({8})
- ich komme zur Saar und werde da auch einiges zu sagen haben -; dort wird jeder nachlesen können, in welcher Sachlichkeit und Fairneß
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({10})
unsere Kollegen Wehner und Brandt gestern hier gesprochen haben, und man wird damit vergleichen können, wie dann von Ihrer Seite dieser Gossenton hier hineingebracht wurde.
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Ich glaube, dieser Minister hat das Ansehen des Bundestages aufs schwerste geschädigt. Ob das Kabinett sein Ansehen geschädigt fühlt, ist vielleicht seine Sache. Wenn es nicht im Bonner politischen Leben den Tatbestand gäbe, den ein mutiger Kollege von Ihrer Seite einmal so wiedergegeben hat: Was muß denn in Bonn alles passieren, damit einem Minister etwas passiert?, könnte man die Hoffnung haben, daß aus dieser Rede für die Mitgliedschaft im Kabinett Konsequenzen gezogen würden,
({12})
aber nicht, um ihn zum Außenminister zu machen, Herr Bundeskanzler.
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Jetzt komme ich auch zur Saar.
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Wenn ein schlechter Kaufmann in Verlegenheit ist, passiert es ihm, daß er Wechsel auf die Zukunft zieht
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und auf diese Weise die Schwierigkeiten des Augenblicks vertagt. Das hat auch der Herr Bundeskanzler getan, als er hier in erster Lesung diesen so umstrittenen Saarvertrag verteidigen mußte. Er mußte damals feststellen, daß die französische Interpretation des Vertrages in der offiziellen Begründung der französischen Regierung vom Vertragstext abweiche, und zwar in einigen sehr bedeutsamen Punkten. Er hat weiter erklären müssen, daß diese französische Begründung den allgemeinen Absichten und Zielen der Vertragspartner widerspreche. Er hat damals im Bundestag versprochen - und da kommt der Wechsel -, er werde wegen dieser offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten wieder Fühlung mit dem französischen Ministerpräsidenten nehmen, er werde, wenn in dieser Fühlungnahme die Gegensätzlichkeiten nicht bereinigt werden könnten, an die im Abkommen genannten Garantiemächte - die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich - appellieren und auf diesem Wege die Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen versuchen.
Inzwischen sind wir bei der zweiten Lesung, und jetzt werden die Wechsel präsentiert. In welcher Lage befindet sich da der Herr Bundeskanzler? Sie hat sich ungeheuer verschlechtert, und die Ereignisse der letzten Tage in Ihrem eigenen Lager, die Krise, die darüber ausgebrochen ist, legen Zeugnis von dieser Verschlechterung seiner Lage ab.
Die Tatsachen haben uns recht gegeben, die wir damals sagten, daß diese Versprechungen, weitere Verhandlungen über die Auffüllung und Ergänzung des Abkommens zu führen, eben nur Beruhigungspillen für die Koalitionsparteien waren, die nicht mitziehen wollten. Es haben in der Tat Verhandlungen über das Saarstatut stattgefunden, in Baden-Baden und in Paris. Aber dabei ist von Bereinigung und von Auffüllung überhaupt nicht die
Rede gewesen, sondern - wie Sie im Kommuniqué von Baden-Baden selbst nachlesen können - ausdrücklich nur von Maßnahmen, die die Anwendung des gegebenen Textes ermöglichen sollen. Es ist der dominierende Zug dieses Abkommens, daß der Dissens, der désaccord, wie Herr Reynaud gesagt hat, das Nichtübereinstimmen hinsichtlich des Übereinkommens, in allen wesentlichen Punkten bestehengeblieben ist. Der Dissens ist so groß wie je. Worin liegt er? Ich versuche, es in zwei kurzen Zitaten von hüben und drüben klarzumachen.
In der Drucksache 1200, dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses, können Sie nachlesen, was Herr Professor Wahl für den Rechtsausschuß geschrieben hat: daß durch das Abkommen seit 1945 zum erstenmal eine vertragliche Grundlage für eine deutsche Politik an der Saar geschaffen worden sei. In dem vorher uns zugesandten hektographierten Mehrheitsgutachten des Rechtsausschusses war es noch klarer gesagt: daß durch das Abkommen die Grundlage für eine Rückgliederung der Saar zu Deutschland geschaffen werden konnte. Das ist die deutsche Lesart. Auf der französischen Seite liest man's anders. Herr Vendroux, der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses des französischen Parlaments sagt: Das Statut ist keineswegs provisorisch; Frankreich betrachtet es als unwiderruflich.
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Was wurde nun wirklich in Baden-Baden verhandelt, wenn nicht aufgefüllt und wenn nicht bereinigt wurde? Mit Bezug auf die Saar wurden zwei Komplexe behandelt. Einmal wurden Maßnahmen zur ordentlichen und demokratischen Durchführung der ersten Volksabstimmung getroffen, die im Statut vorgesehen ist, und zum andern wurden die Aufgaben des Saarkommissars näher bestimmt. Das sind ohne Zweifel nützliche Dinge, die man da getan hat, wenn man das Statut als einmal gegeben voraussetzt. Es soll eine Kommission eingesetzt werden, die darauf achtet, daß die demokratischen Freiheiten hergestellt werden, d. h. möglichst vollständig hergestellt werden, um den ordentlichen Verlauf der Abstimmung zu garantieren. Herr Kollege Lenz, es ist ein Irrtum, wenn Sie sagen, daß diese Kommission das Recht haben soll, Maßnahmen der Saarregierung aufzuheben. Sie kann, wenn sie es einstimmig beschließt - es soll eine Fünferkommission sein, eine Kommission der fünf Länder der Westeuropäischen Union mit Ausnahme der Bundesrepublik und Frankreichs -, ein Ersuchen an die Hoffmann-Regierung richten, nicht aber Maßnahmen der Hoffmann-Regierung aufheben. Das ist schon etwas ganz anderes.
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Aber ich will mich gar nicht im einzelnen in diese Problematik der Abstimmung verlieren. Viel wichtiger ist die Frage, zu was hier Freiheit hergestellt werden soll. Worum handelt es sich überhaupt? Sollen freie Wahlen abgehalten werden? Werden sie garantiert durch die Abmachungen, die in Baden-Baden - vorläufig nur mündlich, keineswegs endgültig und schriftlich - getroffen wurden? Nein, es soll Freiheit für das erste Plebiszit geschaffen werden. Da aber ist es nötig, sich zu vergegenwärtigen, welches die Rolle dieses ersten Plebiszits ist.
Seitdem über die sogenannte Europäisierung des Saargebietes gesprochen wird, ist es eine französisch-separatistische Forderung gewesen, nicht etwa
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freie Wahlen abzuhalten - die fürchtet man dort so sehr, wie Herr Grotewohl sie in der Zone fürchtet -, sondern ein Plebiszit über ein Europäisierungsstatut abzuhalten. Es handelt sich bei diesem Plebiszit also nicht um etwas, was wir gefordert hätten, sondern um etwas, was die französischseparatistische Seite gefordert hat. Auch der Herr Bundeskanzler war - das wissen wir ja - keineswegs geneigt, ein solches Plebiszit anzunehmen. Er hat genau so wie wir alle durchschaut, welche Rolle dem Plebiszit in der Politik der anderen zufällt. Er wollte so wie wir freie Wahlen durchsetzen. Er hat es aber nicht durchgesetzt, und er hat geglaubt, um des Preises willen, von dem ich nachher noch sprechen will, auch das schlucken zu müssen, und er hat es geschluckt.
Die Rolle dieses Plebiszits ist im Denken der anderen Seite immer die gewesen, freie Wahlen zu umgehen; bei diesem Plebiszit will man gleichzeitig den Schein der Plebiszitierung des europäischen Statuts erwecken, das dadurch ein wenig mehr politisches Gewicht bekommen und sich dadurch auch für die Endlösung im Friedensvertrag empfehlen soll, und dann kam es den Herren, die die freien Wahlen fürchten, doch darauf an, einmal bei einer Volksbefragung Herrn Hoffmann und Herrn Konrad Adenauer nebeneinander zu stellen. Ich weiß noch nicht, wie Sie das in Zukunft ertragen werden, wenn das Statut in Kraft tritt, daß Sie, Herr Bundeskanzler, dieselben Wahlparolen werden ausgeben müssen, wie Herr Johannes Hoffmann, nämlich die deutsche Saarbevölkerung aufzufordern, zu diesem Statut ja zu sagen! Davon hat Herr Hoffmann immer geträumt, und dieser Traum wird in Erfüllung gehen, wenn dieses Statut angenommen wird.
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Arm in Arm müssen Sie dann an der Saar auftreten und dafür werben, daß das gemacht wird, was Herr Johannes Hoffmann immer gewollt hat.
Diese Freiheit zu dem Plebiszit ist für die französisch-separatistische Politik völlig ungefährlich. Wenn ein deutscher Bundeskanzler so Arm in Arm mit dem Herrn Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann auftreten muß, dann ist von vornherein die Mehrheit gesichert. Man fürchtet nur Volksentscheidungen, bei denen das nicht der Fall ist, bei denen wir hier treu zu denen drüben halten und sie auffordern, an der Saar treu zu uns zu halten. Das fürchtet man, und darum konnte man das erreichen, was man in Baden-Baden erreicht hat: einige Sicherungen für die Freiheit dieser, für die separatistische Politik ungefährlichen Abstimmung.
Trotzdem ist das, was da vereinbart wurde, nicht ausreichend im Sinne höherer Ansprüche, die an freie Volksabstimmungen zu stellen sind. Nach Versailles hat man einige Erfahrungen mit Plebisziten gesammelt, und man hat auch Maßstäbe und Grundsätze aufgestellt, wie solche freien Volksentscheidungen abzuhalten wären. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat einstimmig - einstimmig! - eine Reihe solcher Grundsätze aufgestellt, die zusätzlich im Saargebiet zu verwirklichen wären, wenn eben jenen höheren Ansprüchen für freie Abstimmungen Rechnung getragen werden soll. Ich will diese Entschließung im einzelnen nicht anführen; Sie finden sie in dem Schriftlichen Bericht. Aber auf einen Punkt möchte ich hinweisen: daß es doch unerträglich für die Bundesregierung sein müßte, die Abstimmung abzuhalten, ohne daß alle politischen Ausweisungen aus dem Saargebiet restlos und bedingungslos aufgehoben würden. Es scheint mir eine Frage des Selbstbewußtseins, der Selbstachtung zu sein, daß diese politischen Ausweisungen - auch einiger unserer Kollegen hier - zurückgenommen werden. Die Bundesregierung hat dafür nicht Sorge getragen und hat keine bindenden Zusagen in dieser Richtung mit nach Hause bringen können.
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Es ist auch ungewöhnlich, daß französische Truppen im Lande bleiben können, wenn frei abgestimmt werden soll. Die Anwesenheit von Truppen, die Partei sind, ist bei solchen Dingen nicht die Regel.
Wenn man sagt, daß einige der Forderungen des Ausschusses für innere Verwaltung irreal seien, dann ist das bezeichnend dafür, wie man seine Position bei diesen Verhandlungen einschätzt. Sie wagen es noch nicht, in Verhandlungen mit Frankreich über diese Dinge das nicht anzunehmen, was die Franzosen nicht annehmen würden, wenn sie in unserer Lage wären. Sie wagen noch nicht, zu fordern, daß dieselben einheitlichen Maßstäbe für ordentliches demokratisches Verhalten angewandt werden für uns sowohl wie für andere.
Der Dissens, über den ich gesprochen habe, besteht also nicht und hat nie bestanden über die Abstimmung und die Freiheit der Abstimmung. Auf der anderen Seite war man bereit, die Freiheit für diese Abstimmung zu garantieren. Der Dissens liegt in der Frage, ob die Herstellung der Freiheiten an der Saar für drei Monate, nämlich zum Zwecke des Plebiszits, oder ob sie darüber hinaus unbegrenzt Geltung haben soll. Der Dissens liegt in dem Art. VI Abs. 2, wo gleich nach dem Abs. 1, der sagt, daß in Zukunft Parteien, Vereine und die Presse keiner Genehmigungspflicht mehr unterworfen werden sollen, gesagt wird, daß das Statut nach Annahme im Plebiszit nicht mehr in Frage gestellt werden dürfe.
Die Bundesregierung erklärt diesen verdächtigen Satz gleich nach jenem ersten „Freiheitssatz" in der Weise, daß die Parteien durchaus weiterarbeiten 'dürften, wenn sie sich im Rahmen der Demokratie und des Statuts hielten. Die französische Regierung liest den Satz ganz anders; sie sagt, jede Propaganda werde unerlaubt und der Erhaltung des Friedens in Europa und den guten deutsch-französichen Beziehungen zuwider sein, die der Autorität der Instanzen, die durch das Statut zu schaffen sind, schaden könnte. Herr Johannes Hoffmann , der Ministerpräsident sein wird, wenn die Neuwahlen stattfinden werden, die nach dem Statut innerhalb dreier Monate nach dem Plebiszit abgehalten werden sollen, hat kürzlich auf einem Parteitag über diese Freiheit nach der Volksabstimmung folgendes gesagt:
Wenn also nunmehr gesagt wird, daß nach Bestätigung des Statuts durch die Volksabstimmung das Statut bis zum Abschluß eines Friedensvertrages nicht in Frage gestellt werden kann, so soll und kann damit doch nur zum Ausdruck gebracht worden sein, daß dieser nach so vielen Mühen endlich erreichte Zustand der Befriedung nicht mehr durch Wort oder Tat gestört werden solle.
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Das ist sehr deutlich. Nachher soll diese Befriedung
nicht mehr gestört werden. Hier kündigt Herr
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Hoffmann an - er hat es mehrfach wiederholt, in den verschiedensten Variationen -, daß die feste Absicht besteht, nach Abhaltung der Volksabstimmung die politischen Parteien wieder zu unterdrükken. Die Absicht ist völlig klar, daß die Freiheit nur für drei Monate hergestellt werden soll.
Wir müssen jetzt fragen: Was hat die Bundesregierung seit der ersten Lesung und insbesondere bei den Verhandlungen in Baden-Baden getan, um zu verhindern, daß die Polizeistaatspraxis wieder einsetzt, nachdem man die erhoffte Mehrheit an „Ja" in der Volksabstimmung erreicht hat?
Es ist uns gesagt worden, daß der Kommissar der Westeuropäischen Union, der dann eingesetzt wird, die Anwendung des Statuts zu überwachen und insbesondere auch auf die Einhaltung der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte zu achten haben werde. Es ist uns gesagt worden, daß Einzelpersonen und Organisationen das Recht haben sollen, sich bei dem Gericht der Westeuropäischen Union über undemokratische Maßnahmen der Saarregierung zu beschweren. Sind das ausreichende Schutzmaßnahmen dagegen, daß die Unterdrückung im Saargebiet wieder voll einsetzt? Wir haben da Erfahrungen zu unserer Verfügung, die es uns erlauben, jetzt schon zu sagen, was bei diesen Maßnahmen herauskommen wird. Wir haben im Europarat sowohl mit der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte als auch mit dem dem Geiste nach gleichlautenden Statut des Europarats versucht, gegen die Unterdrückung an der Saar anzugehen. Wir haben dabei keine Erfolge gehabt, und wir haben gesehen, wie schwerwiegend es ist und wie erschwerend es für uns ist, daß die Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates Ländern angehören, die von Deutschland während des zweiten Weltkrieges überfallen und besetzt worden sind, und wie dadurch ihr demokratisches Gewissen ganz erheblich geschwächt worden ist, dann nämlich, wenn einmal Deutsche die von Unterdrückungsmaßnahmen Betroffenen sind.
In der Westeuropäischen Union und sogar bei einem internationalen Gericht wird das nicht anders sein, und es wird besonders dann nicht anders sein, wenn man sich, um die neue Unterdrückung zu rechtfertigen, auf den Text dieses Abkommens, d. h. auf den Art. VI Abs. 2 berufen kann. Wer die politische Sprache in Europa in diesem Punkte kennt, der muß leider sagen - leider, meine Damen und Herren! -, daß dieser Abs. 2 so gemeint ist, wie Herr Hoffmann und Herr Mendès-France in der offiziellen Begründung ihn interpretiert haben, und für ein Gericht würde, eben dieser Text gelten. Bei zusätzlichen Verhandlungen hätten Sie erreichen müssen, daß hier jeder Zweifel beseitigt worden wäre.
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Sie hätten da auch eine Grundlage in dem gehabt, was die deutschen Mitglieder des Politischen Ausschusses der Beratenden Versammlung des Europarates dort anläßlich der Beratung des Naters-Plans erreicht haben. Wir wußten so gut, wie die Bundesregierung es wußte, welches die Absichten der Saarregierung mit einem sogenannten europäischen Statut waren, und wir haben in einer Entschließung, die zum Naters-Plan gehört, einen Text erreicht, der den Zweifel beseitigte. Dieser Text lautete:
Der Art. 16
- in dem das gleiche stand, wie jetzt in Art. VI Abs. 1 des Statuts soll so angewendet werden, daß sichergestellt wird, daß die politischen Parteien einer Genehmigung nicht unterworfen werden und daß sie aus politischen Gründen weder verboten noch suspendiert werden dürfen, es sei denn, daß sie danach trachten, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, aus Baden-Baden eine zusätzliche Vereinbarung mitgebracht hätten, in der dieser Text gestanden hätte, dann wären die Zweifel beseitigt, dann wäre es auch der Wille der französischen Regierung, die Parteien, die Presse und die Vereine nicht wieder einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen oder nicht erneut mit anderen Mitteln zu unterdrücken, nachdem die Volksabstimmung stattgefunden hat. Aber statt dieses Brotes haben Sie Steine mitgebracht. Sie haben die Zusage erhalten, daß die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte maßgebend sein soll. Wir wissen aber, daß der Saarlandtag, dieser separatistische, unfrei gewählte Saarlandtag - wir kennen ja sein Hurra-Europäertum -, das, ich glaube, erste Parlament in Europa war, das jene Konvention des Europarates ratifiziert hat, und Herr Johannes Hoffmann sowie die französische Regierung haben immer behauptet, daß die Unterdrückung der deutschen Opposition an der Saar keineswegs im Gegensatz zu dieser Konvention stünde.
Sie haben uns auf den Rechtsweg verwiesen, anstatt eine politische Vereinbarung mit der Garantie der Freiheit nach Hause zu bringen. So besteht an diesem Punkte nicht der Zweifel weiter, sondern die Gewißheit weiter, daß es die Absicht der anderen Seite ist, die Freiheit nur für das Plebiszit zu gewähren und sie dann wieder zu beseitigen. Das ist der schlimmste Punkt dieses Abkommens und das Schlimmste an den Vereinbarungen von Baden-Baden: ein freies Plebiszit, durch das die Vertiefung der Separation von Deutschland bewirkt wird, aber keine freien Wahlen. Außerdem muß gesagt werden, daß das, was in Baden-Baden vereinbart wurde, nicht bis zu einem amtlichen Dokument gediehen ist und daß es nach dem Regierungswechsel in Frankreich auch fraglich erscheinen muß, ob die mündlichen Absprachen, die getroffen wurden, jetzt noch weiter gelten werden.
Wenn man diesen schlimmsten Punkt aus dem Abkommen beseitigen will, dann muß man es für die Vertragspartner verbindlich klarstellen, daß dieser Bundestag einem solchen Abkommen nur insoweit zustimmt, als die Gefahr der erneuten Unterdrückung nicht besteht. Deshalb liegt dem Hause unser Änderungsantrag zum Ratifikationsgesetz auf Umdruck 294 vor. Wir bitten da in Ziffer 1, zu dem Art. 1 einen Art. la hinzuzufügen, in dessen Abs. 2 gesagt wird:
Art. VI des Abkommens stellt sicher, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung unterworfen sein werden und weder vor noch nach der in Artikel I des Abkommens vorgesehenen Volksabstimmung aus politischen Gründen verboten oder in ihrer Tätigkeit beschränkt werden können, soweit sie nicht darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
Dieses Ratifikationsgesetz wäre der französischen
Regierung zu notifizieren. Dadurch würde dieser
Text nachträglich zu einem Teil des Abkommens
({24})
gemacht. Wenn die französische Regierung das annähme, dann wäre eine vertragliche Garantie für die Herstellung der Freiheiten im Saargebiet gegeben. Wenn sie es nicht annähme, nun, meine Damen und Herren, sollten Sie daraus nicht die Konsequenz ziehen, daß Sie ein Abkommen nicht annehmen können, in dem freie Wahlen nicht garantiert sind?
({25})
Nach dem Osten hin sind freie Wahlen für uns alle eine Grundvoraussetzung für die Annahme der Wiedervereinigung. Nach dem Westen hin scheinen manche von Ihnen bereit zu sein, ein Statut anzunehmen, in dem freie Wahlen nicht nur nicht garantiert sind, in dem vielmehr der Text so ist, daß auch vor einem Gericht der Wille des Vertragspartners sich durchsetzen würde und freie Wahlen unmöglich gemacht werden könnten.
({26})
- Was sollen sie?
({27})
- Das ist keine Verdächtigung, das ist eine Analyse dieses Textes; und das ist das Schlimme an diesem Abkommen, daß Sie von uns verlangen, wir sollen Ihre Interpretationskünste mitmachen,
({28})
obschon Sie ganz genau wissen, daß der Text, den Sie unterschrieben haben, ein französischer Text ist.
({29})
Ich darf bei dieser Gelegenheit - und das paßt hierhin - auch Herrn Sabel noch etwas sagen, was man anderweitig - ({30})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir eine Frage. Woher ist Ihnen bekannt, daß dies ein französischer Text ist und nicht das Ergebnis von Verhandlungen?
Das ist mir dadurch bekannt, Herr von Merkatz, daß ich sehr nahe dabeigewesen bin, als diese Dinge ausgehandelt wurden. Und wenn ich nicht irre, Herr von Merkatz, haben auch Sie damals in Paris Ihre Zweifel zum Ausdruck gebracht, als der Herr Bundeskanzler uns diesen Text des Nicht-mehr-in-Frage-Stellens vorlas. Er las ihn uns damals nur vor zum Art. I, wo sich derselbe Wortlaut findet, und es war so bezeichnend, daß der Herr Bundeskanzler uns den Abs. 2 des Art. VI in Paris verschwieg.
({0})
Das war schon der Ausdruck des schlechten Gewissens, daß uns dieser Abs. 2 in Paris verschwiegen wurde. Herr von Merkatz, fragen Sie die Kollegen, die im Politischen Ausschuß die Beratungen des Naters-Plans mitgemacht haben! Die wissen, was gemeint ist, wenn hinter Abs. 1 in Abs. 2 gleich das Nicht-mehr-in-Frage-gestellt-Werden kommt. Herr von Merkatz, Sie kennen wahrscheinlich das Parteiengesetz an der Saar. Dort heißt es
auch in § 1: Die Parteien sind frei, und in § 2 heißt es: Sie müssen sich beim Innenministerium registrieren lassen. - Genau so ist es bei diesem Text. Abs. 1: Es gibt keinen Lizenzzwang mehr, Abs. 2: Das Statut darf nach dem Plebiszit nicht mehr in Frage gestellt werden. Der Herr Bundeskanzler - Sie würden ihn verdächtigen, würden Sie anderes annehmen, Herr von Merkatz - wollte freie Wahlen, er wollte dieses Plebiszit nicht. Das ganze Plebiszit ist durch die Franzosen hineingekommen. Er wollte sicher auch, daß das Statut mit demokratischen Mitteln in Frage gestellt werden könnte. Ihm war auch der Text des Politischen Ausschusses, den ich eben hier zitiert habe, bekannt, und nicht er hat den Abs. 2 ,da hineingebracht, sondern, wenn er da steht, dann ist er von Frankreich hineingekommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Frage?
Bitte!
Herr Abgeordneter, ich bin nicht in der Lage, Ihnen in der Fragestellung zu antworten. Das wäre ein Mißbrauch dieses Instituts. Ich werde Ihnen nachher antworten. Aber eine Frage erlauben Sie mir noch als Zusatz. Erinnern Sie sich nicht daran, daß wir auf der Grundlage ,der Zusatzformulierung zu Art. 16 des Naters-Plans, den Sie selbst zitiert haben, in Paris diese Frage klarzustellen versucht haben, daß auch Sie selbst daran mitgearbeitet haben und Ihnen vom Herrn Bundeskanzler genau so wie mir - vielleicht Ihnen noch eingehender als mir - die Grundlagen der Verhandlungsergebnisse vorgelegt worden sind? Ich verstehe deshalb nicht, wieso Sie sagen können, das sei ein französischer Text.
({0})
Ich darf Ihnen auch darauf antworten. In Paris ist von diesem Text im Zusammenhang mit Art. VI, also der Freiheit der Parteien, nicht die Rede gewesen. Der Herr Bundeskanzler hat nur von Art. I gesprochen, wo das Nicht-in-Frage-Stellen sich auf die Vertragspartner bezieht, nicht aber auf die Parteien. Und obschon es sich da nur auf die Vertragspartner bezieht, habe ich schon in Paris bei dieser Gelegenheit den Herrn Bundeskanzler gefragt: Nun, wie ist das aber mit den Parteien? Er hat da schon seine Interpretation gegeben, die wir aber auch in Paris nicht angenommen haben und die Sie wahrscheinlich genau so beunruhigt hat wie mich. Nicht wahr, Herr von Merkatz, Sie würden - ({0})
- Gut, wir finden uns. Es freut mich, daß wir uns finden. Wir sind beunruhigt darüber, daß in diesem Statut freie Wahlen nicht klipp und klar, wie es doch sehr einfach möglich wäre, garantiert werden, sondern daß man einen Text gewählt hat, der - bitte, lesen Sie es doch! - von der französischen Regierung und von der Saarregierung als eine Legitimation für neue Unterdrückung angesehen wird.
({1})
Was vermögen Sie dagegen mit Ihren optimistischen
Interpretationen? Dagegen vermögen Sie nur eins:
({2})
daß Sie entweder unserem Antrag zustimmen, daß jetzt nachträglich diese Klarheit im Ratifikationsgesetz geschaffen wird, oder daß Sie dann, wenn die französische Regierung das nicht annimmt, eben das ganze Statut zu Fall kommen lassen. Und ich meine, ein Statut, das Deutschen freie' Wahlen verweigert, ist ein Statut, das es verdient, zu Fall zu kommen.
({3})
Nun, ich habe auf die Fragen geantwortet. Herr Sabel war gestern nicht so freundlich, mir eine Frage zu gestatten. Ich wollte ihn fragen, ob ihm ein Text bekannt sei, der von der American Federation of Labor kommt. Herr Lenz hat anscheinend einen anderen Text zitiert. Es handelt sich um „Internationale Freigewerkschaftliche Nachrichten", herausgegeben von der AFL.
({4})
Sehen Sie, in diesem Text steht über das Saarabkommen - und das paßt gut an diese Stelle in unserer Debatte -:
Das Saarabkommen ist undemokratisch, willkürlich, ungerecht und unvernünftig.
({5})
Es verletzt den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker
({6})
sowie die Prinzipien der Atlantischen Charta
und der Charta der Vereinten Nationen.
({7})
Und noch ein Satz:
Wir fordern unsere Regierung auf, diese undemokratische und unvernünftige Regelung nicht zu garantieren.
({8})
So denkt die AFL über das Saarabkommen. Sie haben, Herr Sabel, offenbar die Absicht, die AFL für zuständig zu halten, wenn es sich um die deutsche Wiederaufrüstung handelt, aber nicht für zuständig zu halten, wenn sie etwas Wahres über das Saarstatut sagt.
({9})
Seit der ersten Lesung haben auch Verhandlungen über die wirtschaftlichen Bestimmungen des Saarabkommens stattgefunden. Diese Verhandlungen sind festgefahren, und der Dissens, der Désaccord ist in voller Größe geblieben. Der Regierungswechsel in Paris scheint den Unterhändlern geradezu willkommen gewesen zu sein: so bekamen sie eine neue Atempause.
Die Verhandlungen, die seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens über das Statut der Saar geführt worden sind, haben unter sehr befremdlichen Umständen stattgefunden. Kurz vor der Unterzeichnung verhandelte Herr Johannes Hoffmann mit der französischen Regierung, und sie trafen Geheimabsprachen darüber, was in dem dann zu erarbeitenden Statut wirtschaftlich ausgemacht werden solle, welche wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Saargebiet und Frankreich weiterbestehen sollten und welche Konzessionen an die Bundesrepublik gemacht werden sollten. Das war sicher schon ein unfaires Vorgehen von seiten Frankreichs. Aber der Herr Bundeskanzler hat dann doch verhandelt und das Saarabkommen unterschrieben, obwohl ihm diese Geheimverhandlungen, die wenige Tage vorher stattfanden, bekannt waren. Nach diesen Abmachungen soll, um es kurz zu sagen, im Wirtschaftlichen und im wesentlichen alles beim alten bleiben. Die französische wirtschaftliche Vorherrschaft im Saargebiet soll erhalten bleiben.
Auch bei den Saargruben, auf diesem so wichtigen Sektor der saarländischen Wirtschaft, soll nichts Wesentliches geändert werden. Der Brief, der dem Text des Abkommens beigefügt ist, ist irreführend, denn er erweckt den Eindruck, als solle in Zukunft nach dem Willen der französischen Regierung die Gesellschaft der Saarbergwerke in rein saarländische Verwaltung überführt werden. Das ist keineswegs der Fall. Der Brief spricht nur davon, daß im Personal der Anteil der Bewohner des Saargebiets erhöht werden soll auf Kosten des Anteils der höheren französischen Verwaltungsbeamten, nichts mehr. Der Grubenrat und der Vorstand, die Gremien, die die gesamte Führung der Saarbergwerke in der Hand haben, sollen so zusammengesetzt bleiben, wie sie jetzt zusammengesetzt sind, nämlich 50 % Franzosen, 50% Saarländer, wobei man sich bei der Ausführung so einrichtet, daß aus den 50 % 51% werden.
Noch schlimmer war dann, daß die französische Regierung noch vor Inkrafttreten dieses Abkommens mit der Saarregierung in Verhandlungen über die Anwendung und Durchführung der wirtschaftlichen Bestimmungen dieses Statuts trat. Völlig gegen Treu und Glauben - das muß einmal hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden - ging die französische Regierung vor Inkrafttreten des Abkommens daran, mit der Saarregierung Verhandlungen über die Durchführung des Art. XII zu führen. Wir haben nichts davon gehört, daß die Bundesregierung gegen dieses erstaunliche Verfahren Protest eingelegt hätte. Sie hat es vorgezogen, auf eine andere Art zu reagieren. Sie hat gesagt: Nun, wenn ihr schon verhandelt, dann will ich auch dabei sein. Sie hat sich über den Protest, den sie selbst und der 1. Deutsche Bundestag gegen die Wahlen von 1952 im Saargebiet ausgesprochen haben, hinweggesetzt, hat vergessen, daß sie selbst der Saarregierung die demokratische Legitimation abspricht, und .ist zu direkten Verhandlungen mit Ministern der Saarregierung und auch mit dem Herrn Ministerpräsidenten in Person übergegangen.
({10})
In dem Text des Abkommens, in der Präambel, wird die Saarregierung zum erstenmal zum indirekten Vertragspartner; jetzt werden schon direkte Verhandlungen geführt. Es soll dabei das Wort gefallen sein, man müsse auch mit dem Teufel verhandeln, wenn das der Sache dienlich sei.
In dieser Frage, meine Damen und Herren, lassen auch wir uns nicht vom Ressentiment leiten. Worauf es ankommt, das ist die Abwägung des Für und Wider bei solchen Verhandlungen. Wir wenden uns vor allem nicht dagegen, daß auf der Verwaltungsebene Gespräche geführt werden. Wir führen sie Gott sei Dank auch mit Pankow, und unsere höheren Beamten kommen häufig zusammen, um über den Interzonenhandel und Interzonenverkehr und ähnliches zu sprechen, und wir finden nichts dabei.
({11})
A) Das ist übrigens ein wichtiger Grundsatz - und ich weiß nicht, ob er von der Regierung anerkannt wird -: Wenn man schon der Meinung ist, daß man auch mit dem Teufel verhandeln müsse, sofern es politisch zweckmäßig sei, dann sollte man wohl auch nicht auf die Farbe des Teufels sehen.
({12})
Wenn man mit schwarzen Teufeln verhandeln kann, dann kann man vielleicht auch mit r o t en Teufeln verhandeln.
({13})
Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung sich dieser Konsequenz bewußt war, als sie dazu überging, mit schwarzen Teufeln Verhandlungen zu führen.
({14})
Aber bei der Abwägung des Für und Wider kommt es doch auf eines an: Wie wirken solche Verhandlungen vor allem auf diejenigen, die durch die Macht dieser schwarzen oder roten Teufel daran gehindert werden, sich mit uns in Freiheit wieder zu vereinigen? Wie wirken diese Verhandlungen auf die Menschen, die von diesem Polizeistaat Saar, Polizeiregime Johannes Hoffmann oder von Herrn Grotewohl in Pankow unterdrückt werden? Das ist nicht nur ein psychologischer Gesichtspunkt, das ist auch ein wichtiger politischer Gesichtspunkt. Denn wenn es einmal dazu kommt, daß die Bevölkerung um ihre Meinung gefragt wird, dann wird das Verhalten der Bundesregierung in dieser Frage sehr wesentlich sein für die Stärke der Reaktion in dieser Bevölkerung. Ich kann Ihnen mitteilen, daß im Saargebiet diese Verhandlungen von unseren Freunden dort als Dolchstöße in den Rücken
empfunden worden sind.
({15})
Das scheint mir doch ein wichtiger politischer Gesichtspunkt zu sein. Mir scheint, daß der andere, den es auch gibt, dagegen ganz in den Hintergrund treten müßte, daß nämlich einige ökonomische Nachteile entstehen könnten, wenn diese Verhandlungen geführt werden, ohne daß man dabei ist; wenn also da gewisse Fakten geschaffen würden, die man nachher auch mit einer Rechtsverwahrung nicht aus der Welt schaffen könnte.
Ich habe überhaupt immer bei den Verhandlungen und Besprechungen über dieses Saarstatut den Eindruck gehabt, daß man auf der Regierungsseite sehr viel mehr an ,den historischen Materialismus glaubt als auf unserer Seite. Man glaubt sehr viel mehr daran, daß ökonomische Vorteile entscheidender sein werden als politische Freiheiten. - Nun, Herr Hellwig, Sie winken ab. Sie gehören auch nicht immer zu denen, die dieses Saarabkommen verteidigen, und vielleicht glauben Sie mehr an die politische Freiheit als an die Wirksamkeit ökonomischer Vorteile. Es würde mich freuen, wenn es so wäre.
Bei diesen Wirtschaftsverhandlungen ist ein Problem völlig ungeklärt geblieben, nämlich das Reparationsproblem. Frankreich hat, als es sich das Saargebiet wirtschaftlich einverleibte, trotzdem Reparationsrechte an der Saar in Anspruch genommen. Bei der Reparationsagentur in Brüssel wurde sein Konto damals mit 70 Millionen Mark belastet, und Frankreich hat diese Belastung so ausgelegt, als ob es auch nach der wirtschaftlichen Eingliederung das Recht habe, Reparationen zu nehmen. Es hat sie dann nicht so genommen, wie
sie im übrigen Bundesgebiet genommen wurden - durch Demontagen -, sondern es hat die entsprechenden Werte gelassen und daraus Miteigentumsrechte in diesen Betrieben abgeleitet. Auf diese Weise hat man den Einfluß Frankreichs in der Saarwirtschaft wieder einmal verstärkt, und kürzlich haben wir ja alle Sorge darüber gehabt, was aus den Röchling-Werken werden würde, ob sie jetzt endgültig in französischen Besitz übergehen sollten.
Diese Schwierigkeiten sind gerade dadurch entstanden, daß Frankreich Reparationen auf widerrechtliche Art in Anspruch nahm. Die Bundesregierung hat sich auch gegen die französische Reparationspraxis an der Saar gewandt und in einer Note von 1951 eine Klärung des Problems verlangt. Auf diese Note ist seit 1951 bis heute keine Antwort erfolgt, und uns ist auch nicht bekanntgeworden, daß bei den Saarbesprechungen, die in letzter Zeit stattgefunden haben, die Gelegenheit wahrgenommen worden wäre, um dieses Problem, an dem auch ein so großes politisches Interesse besteht, einer Klärung zuzuführen.
Gestatten Sie mir bei dieser Gelegenheit, eine Bemerkung zu einer Sache zu machen, die schon viele Menschen in der Bundesrepublik beschäftigt und beunruhigt hat und die auch den Bundestag wiederholt beschäftigt hat, nämlich zu dem Problem der Posttarife zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet. Wir erheben Auslandsporto, wenn ein Brief oder eine andere Sendung ins Saargebiet gehen soll. Wir erheben Inlandsporto, wenn ein Brief in ,die sogenannte DDR gehen soll. Entgegen all unseren feierlichen Erklärungen - die ja auch jetzt wiederholt werden -, daß das Saargebiet deutsches Gebiet sei und zum deutschen Staatsgebiet gehöre, Inland und nicht Ausland sei, entgegen all diesen Versicherungen erheben wir Auslandstarife ins Saargebiet. Ich muß sagen, daß man in dieser Sache drüben in Pankow konsequenter war. Man hat unbekümmert darum, was Herr Hoffmann und seine Postverwaltung tun würden, immer konsequent Inlandsgebühren in dem Postverkehr mit dem Saargebiet erhoben.
Die Bundesregierung hat in dieser Frage wirklich einen beispiellosen Mangel an Mut bewiesen. Einen beispiellosen Mangel an Mut! Sie hat in der Praxis nicht zu ihrer Rechtsthese gestanden und nicht den Mut gehabt, die Postverwaltung anzuweisen, im Verkehr mit dem Saargebiet die Konsequenzen aus der Doktrin zu ziehen. Vielleicht kommt es jetzt, nachdem jetzt wieder versichert wird, daß das Saargebiet deutsches Gebiet auch nach diesem Statut bleibt. Vielleicht haben Sie jetzt den Mut, nachdem Sie auch das zusätzliche Argument Herrn Hoffmann, Ihrem Verhandlungspartner, entgegenhalten können, daß ja gleichartige Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet wie zwischen dem Saargebiet und Frankreich hergestellt werden sollen; zwischen dem Saargebiet und Frankreich gelten bekanntlich die Inlandstarife.
Nun zu einer anderen Frage. Ist dieses Statut ein europäisches Statut? Es ist unbestritten, daß das Saargebiet der Westeuropäischen Union unterstellt wird. Es ist richtig, daß in dem Text des Abkommens nicht von einem europäischen Territorium die Rede ist wie im Naters-Plan. Aber im Naters-Plan sowohl wie in der Übereinkunft, die 1954 in Straßburg zwischen Herrn Adenauer und Herrn Teitgen getroffen wurde, gab es dieses erste
({16})
Stadium der Europäisierung, der Europäisierung unter einer europäischen Institution mit einem Europäischen Kommissar. Ursprünglich haben die Vorkämpfer der Europäisierung des Saargebiets gar nicht daran gedacht, daß es in den Plänen der Europäer einmal eine politische Gemeinschaft geben würde, und sie dachten nur an den Kommissar, der vom Europarat zu benennen wäre. Darüber sind wir uns doch wohl alle immer im klaren gewesen, daß es bei dieser Europäisierung nie um eine echte europäische Idee ging. Es ging immer nur um eine Tarnung, es ging immer nur darum, eine alte nationalistisch-imperialistische Politik mit der Flagge Europas zu verhüllen. Nie haben doch auch Sie selbst daran geglaubt, daß es - auch wenn die politische Gemeinschaft gekommen wäre - eine echte europäische Notwendigkeit gewesen wäre, das Saargebiet zu einem europäischen Territorium zu machen.
In diesem Statut wird im Sinne derjenigen, die die Europäisierung forderten, das Ziel genügend erreicht. Herr Hoffmann ist zufrieden, und er glaubt, mit dieser Art von Europäisierung das Ziel erreichen zu können, das ihm immer vorschwebte, nämlich im Dienste des französischen Nationalismus die Europaidee auszuspielen gegen die Einheit des Volkes, gegen die Einheit der deutschen Nation. Auf dieser Europäisierung wird er reiten. Damit wird er schon den Kampf um die Abstimmung und damit wird er in Zukunft den gesamten politischen Kampf an der Saar führen. Er wird immer das wiederholen, was er jetzt schon in zahllosen Reden gesagt hat: Wir haben ein europäisches Statut, und auch im Friedensvertrag muß dieses europäische Statut erhalten bleiben.
Diesen Vorwurf müssen wir der CDU und der Bundesregierung machen, daß sie zwar gesehen hat, was hier gespielt wird, wie hier die Europa-Idee mißbraucht wird, was hier aus der Europäisierung gemacht werden soll, daß sie sich aber trotzdem auf Verhandlungen eingelassen hat. Sie hat gesehen, daß die Karten, mit denen gespielt wurde, gezinkte, europäisch gezinkte Karten waren, und trotzdem hat sie das Spiel mitgemacht.
Dieses Statut enthält solche Bestimmungen der Europäisierung, daß es von den andern ein europäisches Statut genannt und als ein europäisches Statut verwandt werden kann. Damit haben Sie der definitiven Abtrennung des Saargebiets von Deutschland nicht juristisch, aber politisch Vorschub geleistet. Man hofft damit auch im Friedensvertrag eine zusätzliche Karte in der Hand zu haben, um die definitive Abtrennung des Saargebiets von Deutschland auch dann 'durchsetzen zu können.
In gleicher Weise hat die Bundesregierung auch die Tendenz begünstigt, die Frankreich von Anfang an verfolgt hat, aus dem Saargebiet ein Völkerrechtssubjekt zu machen. Über Jahre und in geduldiger, raffinierter Arbeit hat es Frankreich verstanden, seinem Protektorat immer etwas mehr Anerkennung in Europa und in der Welt zu verschaffen. Die Bundesregierung hat dabei die Fakten mit gesetzt. Sie hat es damals angenommen, daß wir gleichzeitig mit dem Saargebiet in den Europarat eingetreten sind, und sie hat sich mit Rechtsverwahrungen gegen den Eintritt des Saargebiets begnügt. Wir alle, die wir in Straßburg tätig sind, wissen, welche Folgen 'das gehabt hat, wie sehr das dazu geführt hat, daß es einfach in das europäische Bewußtsein eingedrungen ist, daß es da ein besonderes Gebilde gibt, das nicht mehr
verschwinden soll, das angeblich auch von der Bevölkerung gewollt wird, und daß kein Grund bestehe, es wieder zu beseitigen.
Hier in diesem Abkommen werden erneut kleine Fakten zu diesem Faktischen hinzugetragen.
({17})
Inbesondere wird in Art. III dem Saargebiet eine neue und besondere Stellung in der Montanunion gegeben. Künftig sollen die Vertreter in der Gemeinsamen Versammlung dort selbständig auftreten, und im Ministerkomitee soll in Zukunft auch ein Fachminister der Saarregierung sitzen können. Da wird wieder etwas mehr getan, um aus dem Saargebiet doch einen Staat zu machen.
Gewiß ist es noch kein Staat, wie im Bericht de Auswärtigen Ausschusses festgestellt wird; aber wenn man sich eifrig weiter bemüht, wie man es bisher getan hat, dann kann es noch so weit kommen. Und die nächste Gelegenheit, die die Bundesregierung wahrscheinlich nicht verpassen wird, wird die Durchführung des Art. V sein, der den Verteidigungsbeitrag des Saargebiets betrifft, und wir sind gespannt, wann es zu den beiden Arten deutscher Soldaten, die es geben soll - hier westlich der Elbe und drüben östlich der Elbe -, noch eine dritte Art deutscher Soldaten im Saargebiet geben wird.
In der Begründung der Bundesregierung zu diesem Abkommen wird gesagt, es sei völlig klargestellt daß das Saargebiet nicht europäisiert werde und daß es innerhalb der Grenzen Deutschlands von 1937 verbleibe. Nun, für wen wird das klargestellt? Mir scheint, es wird nicht einmal für die CDU klargestellt und noch viel weniger für den Vertragspartner, und, meine Damen und Herren, es wird vor allem auch nicht klargestellt für die Deutschen an der Saar und dort auch wiederum nicht für Ihre politischen Freunde von der CDU. Und wenn Sie gesagt haben, Herr Kollege Lenz, man habe die Wahl gehabt, dieses Statut anzunehmen oder alles beim alten zu lassen, und es sei doch besser gewesen, es anzunehmen, so finden Sie sich da nicht in Übereinstimmung mit den Deutschen im Saargebiet. Unsere politischen Freunde dort sind übereinstimmend, einschließlich der CDU, der Meinung, es wäre besser gewesen, den alten Zustand noch etwas zu lassen, als die deutschen Chancen dadurch zu verschlechtern, daß man dieses Statut annimmt.
({18})
- Das ist eine unbestreitbare Tatsache, was ich hier sage. Die Zustimmung Johannes Hoffmanns und seiner Leute und die Kirns haben Sie natürlich; Sie haben aber nicht die Zustimmung derjenigen, die bisher für den Verbleib des Saargebiets bei Deutschland eingetreten sind, Sie haben nicht einmal die von der CDU. Wenn Sie Ihre Behauptung, es werde nichts an der Zugehörigkeit zu Deutschland geändert, ernstnehmen wollen, müssen Sie dies zumindest in das Ratifikationsgesetz hineinschreiben. Daher auch dieser Punkt in unserem Antrag Umdruck 294. Sie müssen dort wenigstens wiederholen, daß an der Zugehörigkeit zu Deutschland und an der Staatsbürgerschaft der Deutschen im Saargebiet nichts geändert wird.
Sie sagen dann: Das geht nicht; dann wird alles in Frankreich gefährdet, und wir dürfen höchstens platonische Erklärungen zur dritten Lesung ab({19})
geben. Sogar das scheint schließlich gefährdet zu sein. Im Auswärtigen Ausschuß zumindest durfte nicht einmal eine Entschließung zu dem Saarabkommen angenommen werden. Daraus kann man doch schließen, wie man den Vertragspartner einschätzt, und daraus kann man ersehen, wie er die Dinge beurteilt: daß er keineswegs der Meinung ist, das Saargebiet verbleibe bei Deutschland, und daß er keineswegs der Meinung ist, die Deutschen im Saargebiet blieben Deutsche.
Ich muß einige Worte zu dem „Prunkstück" des Abkommens sagen, das auch Herr Lenz hier gebührend hervorgehoben hat. Es handelt sich um den Art. IX, worin bestimmt wird, daß etwaige Bestimmungen über das Saargebiet im Friedensvertrag seiner Bevölkerung in einer Volksabstimmung zur Billigung vorgelegt werden sollen. Die Bundesregierung hat in ihrer amtlichen Begründung diesen Text so ausgelegt, daß damit der Wille der Saarbevölkerung als letztlich maßgebend anerkannt werde, und sie hat das so hoch eingeschätzt, daß sie deswegen auch das erste Plebiszit mit in Kauf genommen habe.
Man muß sich fragen, ob Art. IX wirklich das leistet, was er nach dieser Interpretation leisten soll. Ich würde nicht leugnen, daß Art. IX seine Nützlichkeit hat, aber auf anderem Gebiet. Er stellt nämlich das Statut in bezug auf seine Dauer tatsächlich in Frage: Es wird noch einmal darüber geredet, und es wird noch einmal darüber abgestimmt. Insofern ist das, was vereinbart ist, nicht das letzte Wort; 'das ist richtig. Es ist aber falsch, daß durch diesen Artikel die Saarbevölkerung das Recht bekäme, bei Deutschland zu verbleiben und die faktische Rückgliederung durchzusetzen auch dann, wenn die Mächte, die den Friedensvertrag abschließen, etwas anderes bestimmen sollten.
Nach diesem Text kann die Saarbevölkerung billigen oder verwerfen. Hier muß man, um das in seinem Wert beurteilen zu können, die französische Strategie sehen, die bei den Debatten im Parlament drüben klar zutage getreten ist. Frankreich glaubt, beim Friedensvertrag sehr stark dadurch zu sein, daß es von seiner Zustimmung abhängt, ob ein Friedensvertrag zustande kommt, ob also die Wiedervereinigung Deutschlands nach Osten hin zustande kommt, und glaubt, aus dieser starken Position heraus auch eine gesamtdeutsche Regierung zum Verzicht auf das Saargebiet zwingen zu können.
({20})
Und - so folgert Frankreich - wenn es in der Lage ist, eine gesamtdeutsche Regierung zu zwingen, zu einem Verzicht ja zu sagen, dann wird es zusammen mit dieser gesamtdeutschen Regierung auch in der Lage sein, die Bevölkerung des Saargebietes zu einem Ja zu bewegen, wobei dann das Europäische Statut - Europa, große Sache! - besondere Dienste leisten würde.
Herr Lenz hat hier soeben schon von dieser interessanten Diskussion im französischen Parlament zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Abgeordneten Liautey gesprochen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir bitte eine Frage. - Ich habe es absolut nicht verstehen können, daß Sie ausgeführt haben, eine gesamtdeutsche Regierung könne durch die französische Regierung im Laufe von Friedensvertragsverhandlungen zu einem Verzicht auf Volk
und Gebiet an der Saar gezwungen werden. Eine gesamtdeutsche Regierung gibt es doch erst, wenn Deutschland als Ganzes wiederhergestellt ist. Ich wüßte nicht, mit welchem Mittel die Freiheit der Entschließung der gesamtdeutschen Regierung und die Freiheit der Entschließung eines gesamtdeutschen Parlaments, das ja auch erst dem Friedensvertrag zugestimmt haben muß, - welches besondere Druckmittel hier von der französischen Regierung ausgeübt werden könnte. Ich bitte uni Aufklärung.
Herr von Merkatz, es ist richtig, daß die gesamtdeutsche Regierung erst dasein muß, ehe der Friedensvertrag abgeschlossen werden kann. Aber ob er abgeschlossen werden kann, hängt ja dann auch von der französischen Regierung ab.
({0})
Ich habe hier referiert, Herr von Merkatz! Ich habe nicht etwa meiner Meinung Ausdruck gegeben, sondern in der Essenz das wiedergegeben, was in der Nationalversammlung in Paris zu diesem Thema gesagt worden ist. Ich werde Ihnen jetzt gleich in Beantwortung Ihrer Frage auch das vorlesen, was Herr Mendès-France gesagt hat, nachdem er das gesagt hat, was Herr Lenz hier soeben zitiert hat. Er hat da nämlich gesagt, daß es natürlich keinen absoluten Zwang gegenüber der Bevölkerung im Saargebiet geben könne und daß man ihr nicht etwas aufzwingen könne, was sie absolut nicht wolle. Aber er hat dann gesagt - und das ist eine wörtliche Übersetzung -:
Es erscheint mir wahrscheinlich, anzunehmen, daß, wenn eine Lösung die Zustimmung der Kriegführenden, insbesondere der Deutschen und Franzosen, fände, die Saarbevölkerung ihrerseits nicht die Zustimmung verweigern würde.
({1})
Das ist die Strategie, mit Druckmitteln von der gesamtdeutschen Regierung - übrigens auch unter Hilfsstellung der englischen und der amerikanischen Regierung - die Fortführung dieses Statuts zu erreichen und dann das so Vereinbarte der Saarbevölkerung zur Abstimmung vorzulegen.
({2})
Und nachdem die gesamtdeutsche Regierung hat unter Druck gesetzt werden können, glaubt Herr Mendès-France, wird man auch von der Saarbevölkerung nichts anderes erwarten können, als daß sie dem zustimmt, was alle Mächte dort einschließlich einer gesamtdeutschen Regierung beim Abschluß des Friedensvertrages vereinbart haben.
Im Rechtsausschuß ist diese Sache völlig falsch dargestellt worden.
({3})
Dort heißt es in dem Text, der dem Auswärtigen Ausschuß zugeleitet wurde, daß, wenn die Saarbevölkerung bei der in Art. VII vorgesehenen Volksabstimmung sich einfach für die Rückgliederung der Saar in Deutschland ausspreche, dann die Volksabstimmung sich gegenüber dem Friedensvertrag durchsetze. Davon ist in diesem Art. IX in keiner Weise die Rede!
({4})
({5})
In diesem Zusammenhang muß auch ein Wort zu den Versprechungen gesagt werden, die von den Regierungen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs in den Jahren 1947 bis 1950 in bezug auf das Saargebiet Frankreich gemacht worden sind. Diese Regierungen haben versprochen, bei Friedensvertragsverhandlungen den französischen Standpunkt in, der Saarfrage zu unterstützen. Im Bericht des Auswärtigen Ausschusses heißt es, daß diese Versprechungen für überholt gehalten werden. Ich wünschte, daß das nicht reines Wunschdenken wäre. Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn die Bundesregierung in Verhandlungen mit diesen beiden Mächten hätte erreichen können, daß diese Versprechungen ausdrücklich widerrufen werden. Das wäre klarer als der Ausdruck des Wunsches, daß diese Versprechungen überholt seien. Wir wissen, daß diese Mächte solche Versprechungen auf Kosten des deutschen Gebietes im Osten und im Westen gemacht haben, und ich meine, daß bei diesen ganzen Vertragsverhandlungen, nicht nur beim Saarvertrag, es eine Pflicht der Bundesregierung gewesen wäre, über diese Versprechungen zu reden und Klarheit darüber zu schaffen, daß die Westmächte insbesondere auch nicht dem Osten gegenüber - ich nenne nur Königsberg - ihre Versprechungen weiter aufrechterhalten.
Ich darf dann einige kurze Bemerkungen zu der Verfassungsmäßigkeit des Saarabkommens machen. Im Gegensatz zu den anderen Pariser Verträgen handelt es sich hier um ein Regierungsabkommen. Man hat diese Form gewählt, weil die Bundesregierung ursprünglich glaubte, durch diese Wahl an der Notwendigkeit der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrats vorbeizukommen. Es ist keine Frage, daß dieses Abkommen die politischen Beziehungen des Bundes regelt, daß deswegen der Art. 59 des Grundgesetzes hier zur Anwendung kommen muß und daß es sich um eine reine Zuständigkeit des Bundespräsidenten handelt. Hier ist ein schwerer Formfehler gemacht worden, und das Abkommen bleibt auch dann im Rechtssinne nichtig, wenn der Bundestag ihm zustimmt. Das kann seine praktischen Konsequenzen haben.
Nach unserer Überzeugung und nicht allein nach der sozialdemokratischen Überzeugung verstößt dieses Abkommen auch gegen den Art. 23 des Grundgesetzes. Das Grundgesetz wurde auch für die Deutschen geschaffen, denen durch Besatzungsgewalt verwehrt wurde, dabei mitzuwirken. Das Grundgesetz hat den nicht mitwirkenden Deutschen ausdrücklich das Recht des Beitritts zum Geltungsbereich des Grundgesetzes eingeräumt. Wir sind der Überzeugung, daß dieses Recht auch nicht vorübergehend durch einen freiwilligen Vertrag verweigert werden kann.
Deshalb haben wir als Zusatzantrag zum Ratifizierungsgesetz auf Umdruck 294 Ziffer 3 einen Antrag gestellt, mit dem wir fordern, daß durch zusätzliche Verhandlungen klargestellt wird, daß das Recht eines frei gewählten Saarlandtages, von den Möglichkeiten des Art. 23 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen, durch dieses Abkommen nicht geschmälert wird.. Man kann sagen, das laufe nun gerade dem Ziel des Abkommens zuwider. Das ist aber dann kein Argument; wenn der Vertrag auch in diesem Punkte verfassungswidrig ist, dann darf man ihn nicht abschließen.
Meine Damen und Herren! Alle diejenigen, die wie wir der Überzeugung sind, daß dieses Abkommen in mehreren Punkten verfassungswidrig ist, werden für den Fall seiner Annahme in der dritten Lesung prüfen müssen, welche Konsequenzen sie daraus zu ziehen haben.
Seit der ersten Lesung hat die Frage der Stellung des Saarvertrags in dem Gesamtvertragswerk eine besondere Rolle gespielt. In der ersten Lesung ist der Versuch des Bundeskanzlers auf dramatische Art gescheitert, dieses Abkommen aus sich selbst zu erklären und es so darzustellen, als sei es ein aus sich selbst zu begreifender Abschluß im Interesse der deutsch-französischen Verständigung. Im Auswärtigen Ausschuß hat uns der Zusammenhang sehr beschäftigt. Es ist klargestellt worden, daß Frankreich regierungsoffiziell seit Januar 1953 diese Koppelung des Saarproblems mit den übrigen Verträgen vorgenommen hat. Wir haben auch klargestellt, daß die Bundesregierung, als sie das Saarabkommen unterzeichnete, unter dem Druck eines Kabinettsbeschlusses der französischen Regierung stand,
({6})
aus dem hervorging, daß der Kanzler nur die Wahl hatte, entweder mit gänzlich leeren Händen wieder nach Hause zu fahren - ohne Verträge - oder aber ein Saarabkommen mit zu unterschreiben.
({7})
In dieser Situation des alleräußersten politischen Druckes entstand dieses Saarabkommen. Und eben dieses hartnäckig verfolgte französische Junktim und diese ultimative Politik der französischen Regierung am 22. und 23. Oktober berechtigen zu der Feststellung, daß dieser Saarvertrag der Preis ist für die Zustimmung Frankreichs zu der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Und, Herr Bundeskanzler: es ist keine Lüge, diese Behauptung aufzustellen! Nach Zeitungsmeldungen haben Sie auf einer CDU-Versammlung gesagt, es sei eine gemeine Lüge,
({8})
zu sagen, dieses Saarabkommen sei ein Preis für die anderen Verträge. Die sachliche Untersuchung über die Entstehung dieses Abkommens zwingt zu der sachlichen Feststellung: Dieses Saarabkommen ist ein Preis für die französische Zustimmung zur Wiederaufrüstung der Bundesrepublik.
Ich kann verstehen, daß die CDU versucht, das abzuleugnen. Denn diese Entstehungsgeschichte wirft ja ein bezeichnendes Licht auf die optimistische Interpretation, die Sie von diesem Saarabkommen geben. Es ist für jeden vernünftigen Menschen schwer verständlich, warum Frankreich jahrelang einen hartnäckigen Druck auf die Bundesregierung hätte ausüben sollen, nur um uns an der Saar eine Basis für die Rückgliederung zu liefern. Herr Kollege Dehler hat in der ersten Lesung richtig festgestellt: dieser Druck war ja nur deshalb eingesetzt worden, um ein Plus für Frankreich zu erreichen, nicht aber ein Plus für uns. Ihre ganze optimistische Interpretation dieses Abkommens bricht zusammen, wenn man sich seine Entstehungsgeschichte genau ansieht.
Ich kann aus einem zweiten Grunde verstehen, weshalb Sie diese Hintergründe verwischen möchten. Das Junktim der französischen Politik ist nämlich durch sträfliches Mitverschulden der Bundesregierung zustande gekommen.
({9})
({10})
Ehe der erste Knopf an der Saarpolitik falsch geknöpft wurde und ehe die Bundesregierung es annahm, zusammen mit der Saar in den Europarat einzutreten, wäre es noch möglich gewesen, ein umgekehrtes Junktim aufzustellen, da wäre es möglich gewesen, vom Westen die Beachtung seiner eigenen Grundsätze zu verlangen, ehe man es annahm, in westliche Organisationen und Gemeinschaften einzutreten.
({11})
Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben es für richtiger gehalten, diese Forderung nicht zu stellen, und Sie sind in diese westlichen Gemeinschaften eingetreten, ohne das schlimme Saarproblem vorher zu bereinigen.
({12})
Und bei den Verträgen von Bonn und Paris von 1952 haben Sie dann eine solche Eile und eine solche Begierde an den Tag gelegt, diese Verträge verwirklicht zu sehen und zu den zwölf deutschen Divisionen zu kommen, daß die Franzosen einen zusätzlichen Preis von Ihnen verlangen konnten. Durch diese Politik der Eile mit den Verträgen ist das französische Junktim möglich geworden.
({13})
Dadurch haben Sie sich an der Situation mitschuldig gemacht, der Sie am 23. Oktober in Paris dann zum Opfer gefallen sind.
Darin, meine Damen und Herren, liegt doch etwas sehr Schlimmes. Die Bundesregierung hat es durch diese Politik möglich gemacht, daß im Westen Abmachungen getroffen werden, die im Gegensatz zu den Grundsätzen stehen, die wir vertreten, wenn wir uns an den Osten wenden. Wenn wir in Zukunft, wenn dieses Statut Wirklichkeit werden sollte, vor den Osten treten und freie Wahlen und Wiedervereinigung fordern, dann müssen wir - und ich meine den gesamten Westen - vor den Osten treten und sagen: Tut, was wir euch sagen, und tut nicht, was wir im Westen tun! Durch Mitschuld der Bundesregierung wird bei Annahme dieses Abkommens nicht nur für 'die deutsche Sache, sondern für die Sache der westlichen Freiheit überhaupt eine große Schlacht verloren.
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Dr. Kurt Schumacher hat im Bundestag in einer Saardebatte einmal folgenden Satz gesagt:
Die stärkste Bedrohung des Friedens sowie der Freiheit und der Demokratie in Europa ist der mangelnde innere Ernst, mit dem man den eigenen Grundsätzen gegenübersteht.
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Kurt Schumacher hat gefordert, daß man mit größtem innerem Ernst da zu den eigenen Grundsätzen steht, wo man zu Hause ist, im Westen, und das ist das Schlimmste an diesem Statut, daß hier nicht dieser innere Ernst gegenüber den eigenen Grundsätzen zu spüren ist. Da, Herr Bundeskanzler, liegt ein großer Unterschied zwischen dem verstorbenen Kurt Schumacher und Ihnen. Sie haben ihn in politischen Grundkonzeptionen in letzter Zeit für sich in Anspruch genommen. Ich muß sagen: Kurt Schumacher war - und das kommt auch in diesem Ausspruch zum Vorschein - das Gegenteil eines Opportunisten; und dieser Vertrag hier ist ein
Musterbeispiel des westlichen Opportunismus und des Verzichts auf bessere europäische Grundsätze. Wer hier zustimmt, macht sich des mangelnden Ernstes schuldig,
({16})
und er kann in Zukunft dem Osten nicht mit erhobenem Haupt gegenübertreten
({17})
und dort freie Wahlen und Wiedervereinigung fordern, wenn er hier im Westen, wo man damit Ernst machen kann, darauf verzichtet, freie Wahlen durchzusetzen und die Wiedervereinigung eines im Westen von Deutschland abgetrennten Gebietes sicherzustellen.
({18})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Verhandlungen in Paris verlangten die französischen Verhandler von uns, daß wir einer definitiven Regelung zustimmen sollten. Ich war entschlossen, wenn diese Forderung der französischen Delegation aufrechtgehalten würde, alle weiteren Verhandlungen auch über das Pariser Abkommen scheitern zu lassen.
({0})
Meine Damen und Herren, das war eine Entscheidung von solcher Tragweite, daß ich die Verantwortung ohne Vertreter des Bundestages nicht auf mich nehmen konnte. Ich habe deshalb Vertreter sämtlicher Fraktionen dieses Hauses gebeten, zu mir nach Paris zu kommen, und ich habe den Herren das gesagt, was ich Ihnen eben gesagt habe, nämlich daß diese Forderung an uns gestellt worden sei, daß ich nicht gesonnen sei, sie zu akzeptieren, und daß, wenn daran die ganzen Verhandlungen über das Pariser Abkommen scheitern sollten, wir das mit in Kauf nehmen müßten. Sämtliche Herren haben dieser meiner Auffassung zugestimmt. Ich habe dann weiter einige Punkte zu Papier gebracht, die nach meiner Meinung unbedingt von uns durchgesetzt werden müßten. Ich habe den versammelten Herren diese Punkte mitgeteilt, darunter auch dem Herrn Dr. Mommer, und ausgerechnet Herr Dr. Mommer hat erklärt, das sei eine faire Grundlage.
({1})
- Das waren die wesentlichsten Punkte, die nachher im Abkommen wieder erschienen sind. Ich kann nur wiederholen, daß Herr Dr. Mommer damals erklärt hat, das sei eine faire Grundlage.
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Sodann, meine Damen und Herren: die Vereinigten Staaten und Großbritannien hatten im Jahre 1947 Frankreich die Zusage gegeben, die Forderungen Frankreichs bezüglich der Saar beim Friedensvertrag zu unterstützen. Wenn dieses Abkommen zwischen Frankreich und Deutschland zustande kommt, sind diese Zusagen der beiden angel({3})
sächsischen Mächte an Frankreich, wie sie selbst erklärt haben, erledigt und hinfällig.
Weiterhin, meine Damen und Herren: es ist anscheinend dem Herrn Dr. Mommer nicht bekannt - oder nicht mehr in Erinnerung -, was im Ausschuß mitgeteilt worden ist über die in Baden-Baden getroffene Absprache. Herr Dr. Mommer hat eben erklärt, daß für ihn und seine Fraktion das Wesentlichste und Wichtigste "sei, daß nicht nur bei der Volksabstimmung, sondern auch in der Folge bei den Wahlen völlige Freiheit herrschen solle. Nun, meine Damen und Herren, darüber waren sich die französische Delegation und die deutsche Delegation, insbesondere der damalige Ministerpräsident Mendès-France und ich, völlig klar und völlig einig. Es ist dann in Baden-Baden folgendes niedergeschrieben worden, was ich Ihnen wörtlich verlesen will:
Der Kommissar ist damit beauftragt, über die Beachtung des Statuts zu wachen, insbesondere des Artikels VI. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe läßt er sich von der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten leiten.
({4})
Das, meine Damen und Herren, müßte, wie ich doch annehmen darf, Herrn Dr. Mommer eigentlich in seinem Gedächtnis haften geblieben sein.
({5})
Herr Bundeskanzler!
Ich nehme auch an, daß Herr Dr. Mommer weiß, was die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten beinhaltet.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage?
Nein, bedaure!
({0})
Meine Damen und Herren, in der schriftlichen Niederlegung von Baden-Baden heißt es dann unter Punkt 2 - ich habe Ihnen eben Punkt 1 verlesen -:
Einzelpersonen einschließlich Gruppen und Organisationen an der Saar, die sich durch eine Entscheidung des Kommissars in ihren Grundrechten und demokratischen Freiheiten verletzt fühlen, können gegen diese Entscheidung die gerichtliche Instanz der Westeuropäischen Union anrufen, wie es in Artikel 11 des Protokolls IV zum Vertrag über die Westeuropäische Union vorgesehen ist.
Also, meine Damen und Herren, ich freue mich, Herrn Dr. Mommer die Aufklärung geben zu können,
({1})
daß der für ihn wichtigste Punkt dieses Vertrags
in seinem Sinne gelöst ist. Und wenn Herr Dr.
Mommer jetzt eine Frage an mich stellen will,
nachdem ich das einmal gesagt habe, bin ich gern bereit, sie ihm zu beantworten.
({2})
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Freundlichkeit, Herr Bundeskanzler. Ist Ihnen bekannt, Herr Bundeskanzler, daß die Saarregierung schon immer die Behauptung aufgestellt hat, daß das, was sie tut, nämlich daß sie unsere Freunde dort unterdrückt, in Anwendung der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte geschehe, und ist Ihnen bekannt, daß mit den Mitteln, die Sie auch jetzt wieder in Baden-Baden abgesprochen haben, es in Zukunft ebenso unmöglich sein wird wie in der Vergangenheit, die Durchsetzung der Freiheitsrechte an der Saar zu erzwingen?
({0})
Herr Bundeskanzler, darf ich Sie fragen: Warum haben Sie nicht den Text des Punktes 10 des Naters-Plans übernommen, in dem klipp und klar gesagt wird, daß zu keinem Zeitpunkt mehr demokratische Parteien an der Saar unterdrückt werden dürfen?
({1})
Das wäre das gewesen, was das Haus von Ihnen verlangt hätte.
({2})
Herr Abgeordneter Mommer, darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie gegen unsere vereinbarte Art der Fragestellung gehandelt haben. Sie dürfen eine Frage stellen. Sie haben jetzt schon drei gestellt. Sie hätten sich erst die erste Frage beantworten lassen und dann den Herrn Bundeskanzler fragen müssen, ob er eine und dann vielleicht noch eine weitere Zusatzfrage gestatte.
({0})
- Ja, meine Damen und Herren, entschuldigen Sie! Ich muß pflichtgemäß darauf hinweisen. Das ist die allseitig getroffene Vereinbarung des Hauses.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Mommer hat mich gefragt, ob mir die Erklärungen des Herrn Hoffmann bekannt seien. Ich habe davon gehört. Ich lege aber diesen Erklärungen des Herrn Hoffmann ebensowenig Wert bei wie manchen anderen seiner Erklärungen,
({0})
und ich verstehe nicht, meine Damen und Herren, daß der Herr Abgeordnete Dr. Mommer hier nicht so ausgeführt hat: Herr Hoffmann hat das zwar gesagt, aber wir werden ihn zwingen
({1})
- durch die hier vorgesehenen Maßnahmen-, daß er das durchführt, was vereinbart worden ist. - Das hätte ich erwartet.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich am 16. Dezember in der ersten Lesung dieser Verträge zu Ihnen sprach,
({0})
da habe ich an die Spitze meiner Ausführungen über das Saarstatut die Bemerkung gestellt, daß bei der Beratung derartiger Schicksalsverträge und daß bei der Beantwortung von Gewissensfragen, die jeder sich vorlegen muß, jeder dem anderen die Achtung entgegenbringen muß, die die gewissenhafte Erforschung und die gewissenhafte Stellungnahme nun einmal von jedem anständigen Menschen erheischt.
({1})
Das will ich auch heute an die Spitze stellen, und ich hoffe, wenn ich diesen Satz in Erinnerung rufe, daß dann die Debatte, die stellenweise über Bord gegangen ist, doch wieder einmal in das ruhige Bett einer klaren und sachlichen Auseinandersetzung zurückfinden wird.
Meine Damen und Herren, ich gehe gleich zu dem Hauptpunkt, der insbesondere wohl die Presse mit ihrem Wunsch nach Überschriften interessieren wird. Ich spreche gleich von der sogenannten Koalitionskrise. Wir sind seit 1949 in der Koalition hier, und seit 1949 haben wir auch das Saarproblem hier miteinander durchgesprochen. Seit 1949 ist dazu Stellung genommen worden. Seit 1949 bis in die jüngste Zeit hat dieser Bundestag und hat auch die Bundesregierung dazu Stellung genommen. Ich will Sie nicht mit allen Stellungnahmen aufhalten. Aber ich will eine wiedergeben, und das ist eine sehr authentische und autoritäre: es ist die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers in der Sitzung vom 30. Mai 1951. Er sprach damals davon, daß der damalige französische Außenminister „gegenwärtig die Lösung der Saarfrage in der Schaffung eines selbständigen, von Deutschland politisch getrennten souveränen Saarstaates, eines zweiten Luxemburg, suche" und daß die französische Regierung „den Wunsch habe, diesem souveränen Saarstaat die internationale Anerkennung zu verschaffen". Er hat dann hinzugefügt:
Hierzu, meine Damen und Herren, möchte ich vorweg etwas Grundsätzliches vom europäischen Standpunkt aus sagen. Ich würde diese Lösung schon vom europäischen Standpunkte aus unbedingt ablehnen müssen. Wir streben auf ein vereinigtes Europa hin, in dem die Grenzen fallen sollen. Es erscheint mir antiquiert, in diesem Stadium der europäischen Entwicklung noch erst neue europäische Zwergstaaten schaffen zu wollen.
Er fuhr fort:
Ich kann mir auch nicht denken, meine Damen und Herren, welchen überzeugenden Grund die französischen Verfechter dieses Gedankens ins Feld führen könnten. Auf die Frage: „Warum soll ein selbständiger Saarstaat geschaffen werden?", gibt es keine Antwort, wenn die Elemente dieser Antwort nicht in den Vorstellungen einer Vergangenheit wurzeln, in denen man sich gegenseitig Landgebiete abnahm oder sich durch Puffer- und Satellitenstaaten schützen zu müssen glaubte.
Das Protokoll verzeichnet hier „Beifall bei den Regierungsparteien".
Es geht weiter: Das habe ich
- so sagte damals der Herr Bundeskanzler vom europäischen Standpunkt aus gesagt.
Vom deutschen Standpunkt aus ist folgendes zu sagen. Ob das Saargebiet von Frankreich annektiert oder ob es zu einem zweiten Luxemburg
gemacht wird, ist von unserem deutschen Standpunkt aus gesehen gleichgültig. Von unserem Standpunkt aus gesehen ist es immer nur die Separation, die Losreißung von Deutschland; und die Saarpolitiker, die sich für diese Lösung stark machen, können sich nicht darüber beklagen, wenn die Verfechter einer solchen Separation in unseren Augen als Separatisten gelten!
({2})
Das war 1951. Der Bundestag hat, wie ich sagte, fortlaufend diese Linie beibehalten. Er hat noch am 3. Juli 1953, acht Wochen vor den letzten Bundestagswahlen, in einer einstimmig 'angenommenen Entschließung diesen Standpunkt bekräftigt. Unser verehrter Herr Kollege Dr. K o p f, dem ich auch heute wieder hoch anrechnen muß, in welch mannhafter Weise er einmal bei einer bestimmten Gelegenheit in Paris den deutschen Rechtsstandpunkt in dieser Angelegenheit vertreten hat, Herr Dr. Kopf hat das am 3. Juli alles miteinander bekräftigt, und auf dem Standpunkt stehen wir Freien Demokraten heute noch, d. h. wir stehen auf dem Grundsatz, der der Grundsatz der Koalition im vorigen Bundestag und auch bei den Bundestagswahlen war.
({3})
Wer bricht die Koalition?
Und nun weiter! Wir haben, als wir nach den Wahlen von 1953 diese Koalition eingingen, in einer Stipulation ausdrücklich unseren Standpunkt zur Saarfrage vorbehalten, d. h. wir haben erklärt: Wir bleiben bei unserem bisherigen Standpunkt, auch wenn im übrigen die Regierung vielleicht sich gezwungen sehen sollte - kann ja immer vorkommen -, davon abzuweichen. Wir bleiben dabei, wir halten unsere Vereinbarung. Wenn also wir von den Freien Demokraten, seien es Abgeordnete, seien es Minister, bei unserem Standpunkt bleiben, dann brechen nicht wir die Koalition, sondern wer etwas verlangt, was von dieser klaren Vereinbarung abweicht, der bricht seinerseits diese Vereinbarung.
({4})
Die Entwicklung der Saarfrage hat ihre Geschichte. Sie ist nicht immer außerhalb dieses Hauses so gradlinig verlaufen wie in den Entscheidungen, die dieses Haus selbst getroffen hat. Wir haben die EVG-Politik mitgemacht. Übrigens, Herr Kollege Lenz, in diesem EVG-Kuchen waren damals noch keine Saarrosinen drin.
({5})
Als sich dann herausstellte, daß mit diesem EVG-Programm praktisch nicht weiterzukommen war, das heißt auf deutsch, als es leider Gottes nicht möglich war, sowohl das Programm der europäischen Einigung wie auch das Programm der europäischen Sicherheit in einem Rechtsakt zum Zuge zu bringen, da gingen wir davon aus - und ich habe persönlich in Straßburg im Mai 1954 dazu gesprochen und mir hohes und höchstes Mißfallen zugezogen -, daß man schließlich, wenn man zwei Probleme auf einmal nicht lösen könne, das vordringliche Problem lösen müsse, und nach dem englischen Satz: safety first sei nun einmal das Sicherheitsproblem für Europa das dringlichste, und ich habe in dem Zusammenhang von der Koalitionsarmee gesprochen. Es wurde uns damals erwidert, es gebe gegenüber der EVG keine andere Alternative. Diese nicht existierende Alternative liegt uns heute zur Annahme vor.
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({7})
({8})
Statt diese Entwicklung zu erkennen, sind wir hinter diesem Projekt, was ja ein ursprüngliches französisches Projekt war, so hinterhergelaufen, als wenn es unser eigenes wäre,
Nun komme ich auf die Rolle der Opposition und auf die Rolle einer geschickten Verwendung der Oppositionsmeinungen, auch dann, wenn die Opposition sich manchmal im Schoße der Koalition rührt, zu sprechen. Die sattsam bekannte Abneigung m serer Jugend, wieder Militärdienst zu tun, wäre ein wundervoller Trumpf bei außenpolitischen Verhandlungen gewesen; wir hätten uns teuer machen können.
({9})
Statt dessen haben wir das französische Projekt der EVG, obwohl mit Händen zu greifen war, daß die Widerstände in Frankreich sich verstärkten, obwohl die Italiener, die in ihrer Art das politische Flair in besonderem Maße für das haben, was durchsetzbar ist oder nicht, sehr zurückhielten, weiter verfolgt, und ausgerechnet haben wir am 9. März 1954 den Naters-Plan in einer Besprechung mit der französischen Regierung als Grundlage der Saarpolitik ausdrücklich angenommen und haben im Mai 1954, in demselben Mai und in demselben Gebäude in Straßburg, in dem ich die vorhin erwähnte Rede über die Koalitionsarmee hielt, nun unsererseits noch Punktationen abgeschlossen, die allerdings - ich weiß nicht, ob sie dem Kabinett bekanntgeworden sind - dem Deutschen Bundestag und dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten nicht bekanntgeworden sind.
({10})
Wir kennen sie nur auf dem Umweg über den Europarat.
({11})
So ging die Entwicklung weiter, und es kam zu den Verhandlungen in Paris.
Nun noch eine Erinnerung. Als der EVG-Vertrag und der Bonner Vertrag im Mai 1952 abgeschlossen wurden, da war von der Saar und von einer Regelung der Saar überhaupt noch keine Rede,
({12})
und sogar in London im September 1954 war von der Saar auch keine Rede. Erst am 22./23. Oktober 1954 wurde sie in Paris wieder auf das Tapet gebracht. Und nun frage ich: Lag eine Verständigung im Kabinett darüber vor, daß dieses Abkommen, daß ein solches Abkommen nur erst abgeschlossen werden sollte, wenn sich das Kabinett vorher darüber hätte aussprechen können?
Wir haben also nun dieses Saarstatut vor Augen. Was im einzelnen dazu zu sagen ist, habe ich am 16. Dezember gesagt. Ich will hier nur noch einige Punkte hervorheben. Zunächst: Was ist das eigentlich für ein Wesen, was da jetzt auf der Grundlage dieses Statuts an der Saar entsteht? Wir sind alle darüber einig, daß das Saargebiet nach wie vor Teil des Deutschen Reichs im Bereich seiner Grenzen vom 31. Dezember 1937 ist. Wir sind alle darüber einig, daß die Deutschen an der Saar deutsche Staatsangehörige sind, bleiben und bleiben sollen.
({13})
Und die Tatsachen: Bekommen sie z. B. deutsche Pässe? Genießen sie im Ausland den Schutz deutscher Gesandter und Botschafter? Oder ist nicht eine Zollgrenze vorhanden? Oder zahlen wir nicht, wenn wir Briefe in das Saargebiet schreiben - ich erinnere an die Große Anfrage meiner Fraktion, die zu diesem Punkt vorliegt -, Auslandsporto? Sie sehen, die Fakten waren bis zu diesem Zeitpunkt anders, und die Frage ist: Werden die Fakten durch dieses Abkommen anders?
({14})
Wir wollen es in aller Klarheit untersuchen. Es bleibt also als erstes festzustellen: theoretisch deutsches Staatsgebiet, theoretisch deutsche Staatsangehörigkeit.
Jetzt weiter: die Funktionen einer doch nun immerhin irgendwie etablierten Regierung. Der Kommissar, der dort eingesetzt wird, ist Europäischer Kommissar; aber von der Idee, wie sie im NatersPlan steht, die Saar zu einem europäischen Territorium zu machen, ist man abgekommen. Sie ist also kein europäisches Territorium; aber es gibt einen Europäischen Kommissar, und dieser nimmt die Geschäfte der auswärtigen Politik und die Geschäfte der Wehrpolitik wahr, letztere mit der Einschränkung, daß nach Art. IV ein besonderer Staatsvertrag zwischen Frankreich und Deutschland die Einzelheiten im Benehmen mit der Westeuropäischen Union noch festlegen soll. Faktum also: die auswärtigen Angelegenheiten und die Wehrpolitik sind von Deutschland abgetrennt - das ist das Entscheidende -; die nimmt jetzt ein anderer wahr.
({15})
- Ja, auf das Provisorium komme ich, sehr verehrte Kollegin, gleich zum Schluß in einer Reihenfolge, die i c h mir vorgenommen hatte.
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Welche Rechte hat Frankreich noch an der Saar? Frankreich hat die Währung, .hat die Devisenüberschüsse, hat die Zollverwaltung und hat die Aufsicht - offenbar auch noch künftig - über die Banken; denn ich habe ja den Briefwechsel gelesen und ich habe ihn schon das vorige Mal zitiert, in dem es steht, daß die französische Regierung damals zugebilligt hat, sie werde die französischen Behörden veranlassen, zu prüfen, ob deutsche Banken im Saargebiet wieder zugelassen werden sollen. Für die deutsche Öffentlichkeit darf man immer wieder daran erinnern, daß ja alle deutschen Versicherungen, alle deutschen Banken 1947 zunächst erst einmal aus der Saar überhaupt herausgetan worden waren. Französische Behörden sollen also prüfen, ob die paar deutschen Banken zugelassen werden. Daraus folgt doch wohl nach der Logik der Sprache und nach der Logik der Dinge, daß dann künftig noch französische Behörden die Aufsicht darüber haben, mit anderen Worten: die Aufsicht über das Kreditwesen; und das bedeutet ja doch wohl nun, daß dieses Gebiet, das von dem Segen der Milliarden der Marshallplangelder, die auch westlich unserer Grenzen niedergegangen sind, doch sehr, sehr wenig verspürt hat - die sind alle woanders hingegangen -, daß dieses Land in seiner Kreditbedürftigkeit in besonderem Maße wirtschaftlich auch abhängig bleibt.
({17})
Und nun der Schluß: Alles andere, was nicht sonst geregelt ist, unterliegt einer autonomen, selbständigen Verwaltung und Regierung mit Parlament, mit Polizei und allem, was dazugehört, nämlich der Regierung des Saarlandes. Ja, meine Damen und Herren, das nenne ich doch nach wie vor dasselbe wie vorher, mit kleinen Unterschieden, auf die ich zu sprechen kommen werde, dieselbe Abtrennung wie vorher. Wie hieß es in der Proklamation von 1951, daß wir vom deutschen Standpunkt aus keine Separation dulden und daß wir vom europäischen Standpunkt aus die Schaffung neuer Grenzen nur bedauern können?
Ja, es bleibt also eine Abtrennung. Wenn jemand einmal eine Doktordissertation zu schreiben hätte und versuchen würde, darzulegen, was jetzt staatsrechtlich und völkerrechtlich dieses auf diesem Statut aufzubauende Land, Ländchen, Territorium oder wie Sie es nennen wollen, nun eigentlich ist, vielleicht würde er bis zu den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges zurückgehen, wo ein Völkerrechtslehrer einmal von einem Monstrum gesprochen hat. Vielleicht würde er sich aber auch hochdeutsch ausdrücken, vielleicht würde er aber auch sagen - verzeihen Sie den etwas deftigen Ausdruck -: das ist staatsrechtlich und völkerrechtlich ein Wechselbalg.
({18})
Wie steht es nun mit der Freiheit an der Saar? Wir haben ganz ohne Frage etwas herausgehandelt - was Recht ist, soll Recht bleiben -, nämlich die Freiheit, daß neue Parteien sich auftun können, die Freiheit, daß sie Zeitungen gründen, sich auch sonst finanziell und personell organisieren und ihre Meinung sagen können. Gott geb's, daß es wahr wird!
({19})
Aber ich will einmal unterstellen, daß es wahr werden würde. Dann haben wir aber weiter den Paragraphen, daß von außen weder vom Westen noch vom Osten irgendwie da hineingeredet werden darf. Das liest sich auch schön. Jetzt lese ich aber gestern in der „Zeit" eine Notiz, daß ein Betrag von 100 Millionen französischer Franken durch die Regierung JoHo, Verzeihung: Hoffmann, außerhalb des Etats für die Vorbereitung der kommenden Wahlen bereitgestellt wird.
({20})
Dem Wortlaut des Statuts nach mag es richtig sein. Es gibt auch innerhalb des Saargebiets 100 Millionen Franken, aber wo sie herkommen - ich weiß es nicht. Ich kann auch die Richtigkeit der Meldung meinerseits nicht kontrollieren. Ich hätte die Bitte an 'die Bundesregierung, ihrerseits diesen Dingen doch mal auf den Grund zu gehen.
Also ich unterstelle einmal, daß alles das in Ordnung geht und daß dort eine Freiheit der Meinungsäußerung so besteht wie hier auch. Nun gibt's aber eine Frage: Freiheit - wozu? Was können und was dürfen sie mit dieser Freiheit anfangen?
({21})
Da kommt man zunächst einmal auf die erste Abstimmung zurück. Diese erste Abstimmung habe ich damals einen Abstimmungstrick genannt, und ich habe davon nichts zurückzunehmen. Diese erste Abstimmung besagt doch nur, daß sie zu etwas, was hier angenommen, was zwischen Deutschland und Frankreich ausgehandelt worden ist, ja oder nein
sagen dürfen. Der Glaube ist in der deutschen Öffentlichkeit noch weit verbreitet, der da meint, die Saarländer könnten jetzt wie 1935 sagen: Ich will entweder autonom oder französisch oder deutsch werden. Die Freiheit haben sie gerade nicht. Und deshalb nützen ja alle noch so schönen Rechtszüge gegen Unterdrückung der formalen Freiheit nicht viel, wenn sie mit der formalen Freiheit, selbst wenn sie im weitesten Maße bestände, nichts anfangen können und - nun komme ich zum zweiten Teil - nichts anfangen dürfen. Denn nun steht nämlich auch in diesem Saarstatut drin, daß sie für die Dauer dieses Statuts das Statut selbst nicht irgendwie in Zweifel ziehen können. Das heißt, was jedes andere Volk kann, nämlich über seine Verfassung selbst bestimmen, über sein Schicksal selbst bestimmen, gerade dieses Recht ist ihnen genommen.
({22})
Und darüber hinaus sollen wir Deutschen und die Franzosen und Engländer und Amerikaner gerade die Aufrechterhaltung dieses Zustandes noch garantieren.
Und dann die Freiheit beim Friedensvertrag! Nun, verehrte Kollegin, komme ich auf die Frage: Provisorisch oder definitiv? Jawohl, es ist provisorisch nach dem bekannten französischen Sprichwort: Le provisoire c'est le définitif.
({23})
Es ist nämlich provisorisch und besteht so lange, bis etwas anderes kommt; und dieses andere soll der Friedensvertrag sein,
({24})
und dann soll in dem Friedensvertrag - und nun ist das Statut reichlich unklar -, soll in diesem Friedensstatut nochmal die Saarbevölkerung das Recht der Abstimmung haben. Worüber? Stellen Sie sich vor, da wird ein Friedensvertrag abgeschlossen, vielleicht globalen Ausmaßes, vielleicht auch nur kontinentalen Ausmaßes; denn darüber besteht ja nun nach dem Deutschlandvertrag kein Zweifel mehr, daß der Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland nur einheitlich, nur mit allen unseren früheren Gegnern abgeschlossen werden kann. Ein schwieriges Kapitel, schon damit fertigzuwerden und alle unter einen Hut zu bringen! Soll aber dann, wenn das alles unter einen Hut gebracht ist, ein großer Vertrag vorliegt, soll dann ein oder sollen zwei oder drei Paragraphen über die Saar zur Einzelabstimmung gestellt werden oder über den Vertrag im ganzen dort abgestimmt werden - letzteres wäre ja geradezu grotesk -, oder soll dann die öffentliche Meinung an der Saar vorher dahin befragt werden, ob sie nun autonom oder deutsch oder französisch werden will, und soll erst nach dieser Befragung der Friedensvertrag geschlossen werden? Das sind alles offene Fragen.
Und die Frage, die der Herr Kollege Lenz vorhin angeschnitten hat: Wann kommt der Friedensvertrag? Gewiß, Herr Kollege Lenz, ich bin auch nicht der starre Jurist, der sagt: Was geschrieben ist, ist geschrieben. Wir Deutschen sind es überhaupt alle nicht leicht; aber ich kenne ein Volk, das einmal, weil einige tausend Telegrafenmasten nicht pünktlich geliefert waren, obwohl das schriftlich abgemacht war, in die Ruhr einmarschiert ist.
({25})
({26})
Und ich weiß, wie sehr man dort von der Heiligkeit der Verträge und der Heiligkeit des geschriebenen Wortes überzeugt ist, etwas, was wir uns manchmal zur Richtschnur nehmen könnten. Ich will es nicht absolut verurteilen; aber ich muß von der Tatsache, daß diese Auffassung dort besteht, hier ausgehen, ehe ich unterschreibe.
Also, wann kommt der Friedensvertrag? Herr Kollege Lenz meint: wenn er nicht kommt, dann könnten wir in absehbarer Zeit neue Verhandlungen verlangen, um ein Ende festzusetzen. Verzeihung, Herr Kollege Lenz, warum haben wir das nicht am 23. Oktober gemacht
({27})
und haben gesagt: Ei, da wollen wir gleich mal für die Zwischenzeit eine Frist - fünf oder acht Jahre oder, was weiß ich - festsetzen, dann haben wir, wenn bis dahin kein Friedensvertrag zustande gekommen ist, Klarheit?
({28})
- Das weiß ich, daß es immer andere Situationen gibt; aber es gibt auch ein Sprichwort, das heißt: Principiis obsta, d. h. bleibe auf deinen Grundsätzen bestehen.
({29})
Nun komme ich zu einer weiteren Frage, die auch im Laufe der Debatte angeschnitten worden ist: Ach Gott, ihr seid ja doch nur gegen das Saarstatut aus parteipolitischen Gründen; ihr wollt euch bei der Gelegenheit einmal etwas Besonderes besorgen; ihr wollt euch nur die Rosinen aus dem Kuchen holen.
({30})
Ach, meine Herren Kollegen, ich kenne sehr viele Abgeordnete auch der CDU, die gern gegen dieses Statut stimmen würden, es vielleicht auch tun aus derselben Gewissensüberzeugung heraus, deren Anständigkeit und deren Aufrichtigkeit ich Ihnen konzediere und für uns genau so in Anspruch nehme.
({31})
Um auf die besagten Rosinen aus dem Kuchen zurückzukommen: Ich sagte schon, der EVG-Kuchen hatte überhaupt noch keine Saarrosinen, und den jetzigen Kuchen akzeptieren wir, weil wir die Grundlagen der Politik des Kanzlers bejahen. Aber den Kuchen ohne die Saarrosinen? Also, wir wollen uns nicht Rosinen herausholen, sondern wir wollen das, was Sie Rosinen nennen, gerade herausgetan wissen.
Weil wir von Süßigkeiten sprechen, meine Herren, vielleicht noch eine andere Bemerkung.
({32})
Es gibt einen Satz, der heißt: Man soll aus allen Blüten Honig saugen, auch aus den Blüten, die die Opposition, auch vielleicht die Opposition in der Koalition kredenzt. Wie wäre es, wenn bei internationalen Verhandlungen der amtierende Außenminister sagen könnte genau wie der französische: Meine Mehrheit ist in dem Punkte mehr als schwach; sie ist sehr wackelig. Ihr müßt mir das und das noch konzedieren.
({33})
Meine Herren, ich gehe gar keiner Frage aus I dem Wege, ich habe mit der Koalitionskrise angefangen, habe die Frage der Parteipolitik erörtert und komme nun zu der Frage: Wie stehen Sie grundsätzlich zu dem Vertrag? Wollen Sie ihn überhaupt akzeptieren auch dann, wenn vielleicht etwas anderes dabei zu Bruch gehen könnte? Dazu sage ich Ihnen folgendes in vollstem Ernst: Dieser Vertrag ist innerlich widerspruchsvoll. Ich bin seit über 30 Jahren Notar. Ich hab's erlebt, daß Verträge, die geschlossen worden sind, später, auf Grund später eingetretener Tatsachen zu Streitigkeiten geführt haben. Aber einen Vertrag, von dem ich von vornherein weiß, daß er zu Zwistigkeiten, zu verschiedenen Auslegungen führt, nicht nur zu verschiedenen Auslegungen führt, sondern bei dem man von vornherein weiß, daß noch Klarheit erst hineingeschaffen werden muß - einen solchen Vertrag zur Grundlage eines ganz großen Vertragswerkes zu machen, ist doch sehr gefährlich, weil dann die Grundlage, nämlich die deutsch-französische Aussöhnung, eben nicht zustande gekommen ist.
Wir laufen Gefahr, daß mit diesem in sich widerspruchsvollen Vertrag Jahr für Jahr Streitigkeiten entstehen, Streitigkeiten mit Instanzenzügen oder ohne sie, die auf dem Weg diplomatischer Verhandlungen ausgeglichen werden sollen, und daß damit nur Unruhe in das Saargebiet, aber Unruhe auch in die Beziehungen der beiden großen Völker hineingetragen wird.
({34})
Ich gestatte mir, wieder mal den Herrn Bundeskanzler zu zitieren. Er sagte am 15. Dezember:
Ich habe davon Kenntnis erhalten, daß die französische Regierung in diesen Tagen eine Begründung zum Saarabkommen an Mitglieder der französischen Nationalversammlung herausgegeben hat, die in einigen bedeutsamen Punkten nicht nur vom Vertragstext abweicht, sondern auch mit den allgemeinen Absichten und Zielen der beiden Vertragspartner nicht übereinstimmt.
Anschließend kündigt der Herr Bundeskanzler an, daß er, um diese offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten auszugleichen, mit dem Herrn französischen Ministerpräsidenten, eventuell unter Hinzuziehung von Vertretern der beiden angelsächsischen Mächte, noch sprechen wolle. Er fügt dann als zweiten Teil weiter hinzu, daß dann auch noch die Funktionen des Saarkommissars, die Regelung des Plebiszits, die erforderlichen schiedsgerichtlichen Verfahren, die Sicherung der Freiheitsrechte usw. zu erörtern seien. Das zweite ist geschehen, in Baden-Baden, das erste nicht.
Wir haben aus der französischen Kammer die gleichen Widersprüche gehört. Da ist z. B. der uns allen, die wir im Europarat sitzen, sehr bekannte, sehr angesehene Kollege Paul Reynaud. Der sagt, als er über 'den Bericht des Herrn Vendroux spricht:
Wir finden in dem Vendroux-Bericht schließlich diese Formulierung: unter der Voraussetzung, daß die französische Textauslegung des Abkommens formell erhalten bleibt . . .
Und er sagt weiter:
Es kommt mir vor, als könne man diese Schlußfolgerungen kurz so zusammenfassen: Wir wollen natürlich ratifizieren, aber unter der absoluten Voraussetzung, daß das Abkommen das genaue Gegenteil von dem darstellt, was die Deutschen versichern, das es bedeute.
(Dr. Becker ({35})
So sagt der Franzose, und er sagt nun weiter:
Aber wenn nun Deutschland nicht weniger formell erklärt, daß es die deutsche Auslegung aufrechterhalte, was wird dann geschehen?
Und er kommt dann zu dem Schluß:
Das Ganze ist ein Procès-verbal de désaccord, d. h. die Niederschrift einer innerlich unübereinstimmenden Absprache.
({36})
Ich kann und ich muß sagen: Wenn ein Richter, der einen Vergleich zwischen zwei Streitteilen abschließt, um Frieden zu schaffen, sieht, daß dieser Vergleich von vornherein von beiden verschieden ausgelegt wird, daß er sofort zu Zwistigkeiten führen wird, wird er als ehrenhafter Richter einen Vergleich dieses Inhalts nicht unterschreiben. Ich bin überzeugt, daß ich das sowohl für einen deutschen wie für einen französischen Richter sagen kann.
({37})
Wir haben weiter auszusetzen, daß dieses Präjudiz, das hier im Westen geschaffen wird, psychologisch sehr, sehr unglücklich zu sein scheint, sowohl für den Europagedanken, dem ich immer noch anhänge, weil neue Grenzen geschaffen werden, wo keine waren, wie auch für unsere deutschen Menschen in der Ostzone, die ebenfalls ein Präjudiz befürchten könnten.
({38})
- Jawohl, keine waren. Herr Kollege Weber, an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und dem Saargebiet gab es keine Zollgrenze.
({39})
Nun werden Sie sagen: Ja, was wollt ihr denn nun eigentlich tun?
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- Sie sehen, liebe Kollegin, ich gehe keinem Problem aus dem Wege.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Aber sehr gerne!
Herr Kollege Becker, ich sehe mich verpflichtet, diese Frage zu stellen: Sie führten aus, daß durch dieses Abkommen Zwistigkeiten geschaffen würden, wo keine waren. Sie meinten lediglich: keine Zollgrenzzwistigkeiten, keine Zwistigkeiten zwischen Rheinland-Pfalz und bestimmten Gebieten. Aber das ist doch nicht die Grundfrage. Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es präzisieren wollten. Sind Sie der Auffassung, daß über die Frage „Volk und Gebiet an der Saar" keine Zwistigkeiten waren oder sind?
Ich habe gesagt, daß hier ein Vertrag geschaffen wird, der die Klarheit, die er bringen soll, nicht 'bringt, sondern über dessen Inhalt sich die Vertragschließenden von vornherein uneinig sind, ja, ich füge jetzt hinzu: uneinig sind auch darüber, was sie damit erreichen wollen.
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Denn der eine will das und der andere das Gegenteil.
({1})
Eine solche innere, sagen wir mal, Wurmstichigkeit führt zu nichts Gutem.
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Von den Grenzen habe ich gesagt, Herr Kollege Merkatz, daß Grenzen da geschaffen werden, definitiv geschaffen, wo keine waren, nämlich die Zollgrenze an dem Ostrand des Saargebietes.
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- Dann habe ich mich versprochen. Ich hatte geglaubt, daß man, da ich mich hier im Bundestag, in diesem Hohen Hause befinde, selbst ein Versprechen als solches richtig verstehen würde.
({4})
Wir wollen kein Junktim, wo keins hingehört. Wir wollen nicht, daß 'deutsche Jungen deshalb Soldat werden müssen, um sich dann sagen zu müssen: Das konnten wir erst dann werden und unser Vaterland verteidigen, nachdem ein Stück deutschen Bodens nicht rechtlich, aber tatsächlich abgetreten wurde.
({5})
Ich habe bereits am 16. Dezember ausgeführt, daß wir nach dem verlorenen Krieg und auf Grund der Tatsache, daß wir die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar anerkennen, bereit sind, auf wirtschaftlichem Gebiet das zu tun, was nur irgendwie getan werden kann. Wir haben nach der Richtung hin Vorschläge ausarbeiten lassen und haben sie dem Herrn Bundeskanzler nach Paris mitgegeben. Die Abgabe dieser Vorschläge fiel zusammen mit der Idee, die in dem Augenblick von französischer Seite kam, mit der Idee einer deutsch-französischen wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenarbeit. Beides hätte vielleicht sehr gut ineinander eingepaßt werden können. Es entzieht sich meiner Kenntnis, was daraus geworden ist.
Wir stehen auf dem Standpunkt: Wir sind bereit, aus dem verlorenen Krieg 'die Konsequenzen zu ziehen.
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- Nochmal bitte, lauter!
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- Darf ich das so verstehen, Herr Kollege, daß Sie unter Konsequenzen aus einem verlorenen Krieg die endgültige Abtrennung der Saar verstehen?
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- Nein! Dann sind wir uns in dem Punkte vollkommen einig. Wir scheuen uns nur vor der Unterschrift unter dieses Statut, weil durch diese Unterschrift ein tatsächlicher, gegen unseren Willen geschaffener Zustand nunmehr unsere Unterschrift bekommt, die schwerwiegt.
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Daß dabei, wie ich ohne weiteres zugebe, ein Provisorium aber nur bis zum Friedensvertrag
({10})
({11})
- ein Provisorium bis zum Friedensvertrag her-ausgehandelt wurde, von dem wir nicht wissen, was beim Friedensvertrag wird - d. h. mit anderen Worten, daß wir die Frage verschieben -, das macht uns die Sache nicht annehmbar. Denn die Freiheitsrechte, die gegeben werden, müßte eine Nation, die 1789 der ganzen Menschheit die Menschenrechte und die Freiheit geschenkt hat, doch wohl nun auch im Saargebiet von sich aus einführen.
({12})
Wenn man assoziiertes Mitglied des Europarats ist wie die Saar, dann hat man ohnehin schon die Verpflichtung, das zu tun. Für Freiheiten und Selbstverständlichkeiten bezahlt man nicht so schwerwiegend.
Um zu schließen: Wir wissen, daß wir den Krieg verloren haben. Wir sind uns ja jetzt darüber einig, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, nämlich nicht die Abtretung, sondern die Konsequenzen liegen auf wirtschaftlichem, auf geldlichem, auf finanziellem Gebiet. Dazu sind wir bereit, denn unser Grundsatz in dieser Frage heißt ganz klar und deutlich:
({13})
Die deutsch-französischen Beziehungen zu bereinigen, sind wir bereit, Geld und Gut hinzugeben, aber Land und Leute - nein!
({14})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich bedaure diese außerordentlich unglückliche Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Becker.
({0})
Diese Rede, meine Damen und Herren, zu der der Herr Abgeordnete Dr. Becker sich, 'anscheinend vielleicht etwas wenig vorbereitet, hat hinreißen lassen,
({1})
hat, meine Damen und Herren, Deutschland außerordentlich geschadet.
({2})
Und nun lassen Sie mich zunächst einige tatsächliche Berichtigungen vornehmen.
Ich weiß nicht, wie der Herr Abgeordnete Dr. Becker dazu kommt, zu sagen, daß bei diesen ganzen Verhandlungen über die Verhältnisse in Europa, über den Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland, von der Saar erst im Oktober des vergangenen Jahres die Rede gewesen sei. Das ist nicht wahr.
({3})
- Das haben Sie wohl gesagt!
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Das haben Sie ausdrücklich gesagt, und Sie haben das mit einem Vorwurf an meine Adresse verbunden.
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Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß im I Jahre 1952 der Conseil de la République erklärt hat, es könne eine europäische Regelung nicht erfolgen, wenn nicht in der Saarfrage zwischen Frankreich und Deutschland eine Einigung erfolge,
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und ich stelle fest, daß dasselbe erklärt haben Herr Schuman, Herr Bidault, Herr Pinay, Herr Pleven, Herr René Mayer. Alle haben es erklärt. Und, meine Damen und Herren, wie die Situation ist, muß derjenige, der zwischen Frankreich und Deutschland einen Ausgleich will, auch wollen, daß die Saarfrage schiedlich-friedlich erledigt wird. Aber mit solchen nationalistischen Reden, wie Sie, Herr Dr. Becker, sie geführt haben,
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wird man das niemals erreichen.
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Meine Damen und Herren, was ich am 30. Mai 1951 gesagt habe, halte ich Wort für Wort aufrecht;
({9})
und was ich damals gesagt habe, Herr Dr. Becker, verträgt sich durchaus mit dem, was hier vereinbart worden ist.
({10})
Noch eines möchte ich Ihnen sagen. Wer an solche völkerrechtlichen Probleme herangeht auf Grund einer dreißigjährigen notariellen Erfahrung, der bleibt besser davon!
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- Meine Damen und Herren, da wird „Pfui" gerufen. Ich weiß nicht, warum. Ich habe selbst Notar werden wollen. Ich halte das für einen sehr guten Beruf.
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Aber, meine Damen und Herren, ein völkerrechtlicher Vertrag muß der jeweilig sich entwickelnden Situation Rechnung tragen.
Und wenn jetzt von Herrn Dr. Becker gesagt worden ist, daß die deutsche Öffentlichkeit irregeführt würde, weil die Leute an der Saar ja gar nicht das Recht hätten, jetzt darüber abzustimmen, ob sie zu Deutschland zurück wollten oder zu Frankreich oder selbständig bleiben wollten, hat er recht. Aber das ist doch bewußt und absichtlich geschehen. Vergessen Sie denn ganz, Herr Dr. Becker, daß wir doch schon auch im Interesse des Ostens ängstlich darauf bedacht sein müssen, daß eine territoriale Erledigung irgendeiner Streitfrage nicht jetzt, sondern durch den Friedensvertrag erfolgt?
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Wenn wir jetzt, Herr Dr. Becker, etwa mit Frankreich dahin einig geworden wären, es solle jetzt eine Abstimmung darüber erfolgen, ob die Saar zu Deutschland innerhalb der Grenzen von 1937 zurückkommen oder ob sie zu Frankreich kommen soll, hätten wir ja doch den Russen den besten Vorwand gegeben, zu sagen: „Was ihr im Westen
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jetzt macht an Änderungen der Grenzen, das gilt auch im Osten für uns."
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Wir sind uns vollkommen darüber klar, Herr Dr. Becker, sowohl Herr Mendès-France wie ich, daß wir keine Doktordissertation schreiben wollten.
Und eines möchte ich Ihnen noch sagen: Wenn die Vereinigten Staaten und Großbritannien sich bereit erklären, für diesen Vertrag die Garantie der Durchführung zu übernehmen, dann können Sie glauben, daß diese Leute auch ein bißchen Grips im Kopf haben und wissen, was darin steht.
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Im übrigen, meine Damen und Herren, hat Herr Dr. Becker gesagt, wir seien leidenschaftlich hinter dem EVG-Vertrag hergelaufen. Soweit ich mich erinnere, hat er das auch getan.
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Ich bin mir allerdings jetzt nicht mehr klar, welche Europapolitik er überhaupt treiben will. Ich verstehe es nicht mehr.
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Nun lassen Sie mich noch ein allgemeines Wort zu dieser Frage sagen. Man kann ihr nur gerecht werden, wenn man sie einmal in ihrer Entwicklung
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und zweitens in dem allgemeinen Aspekt der Weltlage sieht.
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Meine Damen und Herren! Amerika unf England haben dem Verlangen Frankreichs, daß die Saar zu Frankreich geschlagen werden sollte, im Jahre 1947 zugestimmt; Sowjetrußland hat dem damals in Moskau auf Grund der Vereinbarung, daß eine Änderung der Grenzen erst durch den Friedensvertrag erfolgen solle, widersprochen. Darauf haben Amerika und England Frankreich gesagt: Wir sind damit einverstanden, daß du dich für deine Kriegslasten aus der Saar befriedigst, und sie haben auf Verlangen Frankreichs die Zusage gegeben, beim Friedensvertrag - eben war ja schon die Rede davon - für die Wünsche Frankreichs mit Bezug auf die Saar einzutreten. Das ist die größte Hypothek - jetzt spreche ich auch einmal notariell -, die überhaupt von unserm Standpunkt aus auf der Saar liegt. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, wir kommen heute oder morgen oder übermorgen zu Friedensvertragsverhandlungen. Dann wäre die Sache so, daß Frankreich sagt: Ich verlange von euch, daß ihr mir die Saar gebt, und Amerika und England sagen: Wir sind damit einverstanden. Dann würde doch, Herr Dr. Becker, automatisch Sowjetrußland sagen: Und wir verlangen, daß das Land jenseits der Oder und Neiße an Polen kommt.
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Was machen wir dann? Was soll Gesamtdeutschland, das dann da ist, demgegenüber machen? Entweder kommt dann überhaupt kein Friedensvertrag zustande, oder es wird gezwungen, dem zuzustimmen.
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Und sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn Herr Dr. Becker in seinen langen Ausführungen wenigstens einen in etwa durchführbaren Gedanken gesagt hätte, wie man die Sache hätte machen können!
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Er hat gesagt: Wir haben wirtschaftliche Vorschläge ausgearbeitet; die hätte man Frankreich machen sollen. Nun, ich will jetzt sagen, was das gewesen ist. Es ist der Vorschlag gemacht worden, wir sollten Frankreich, das in Schwierigkeiten sei, eine Geldsumme anbieten. Nun frage ich, was die Franzosen uns gesagt hätten, wenn wir, das besiegte Land, nach Paris gekommen wären und erklärt hätten: Ihr seid in finanziellen Schwierigkeiten; hier, wir geben euch was!
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Aber ich habe trotzdem Herrn François-Poncet, der für seine Regierung mit den Vorverhandlungen beauftragt war, gefragt: Kann man das machen? Und er hat gesagt: Tun Sie das nicht!
Ich kann nur wiederholen, meine Damen und Herren: wenn wir, das besiegte Deutschland, das besetzte und geteilte Deutschland, hingegangen wären und den Franzosen Geld angeboten hätten, weil wir es haben und sie nicht, dann hätten Sie das machen sollen, Herr Dr. Becker, - ich nicht!
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Nun war von den Vereinigten Staaten und Großbritannien die Saar Frankreich als Ausbeutungsobjekt überwiesen worden, und zwar in einer Zeit, Herr Dr. Becker, wo in Deutschland noch nichts existierte, wo sich kein Mensch dagegen zur Wehr setzen konnte, auch nicht die Leute an der Saar. Dann hat sich von 1946 bis jetzt, ungefähr acht Jahre lang, die Situation so entwickelt, wie sie an der Saar heute ist, eine Situation, die ich mindestens so tief bedaure wie irgendeiner im Hause hier. Aber man kann doch nicht einer solchen Situation Herr werden, indem man sagt: „So wird's gemacht, punktum, sonst spiele ich nicht mehr mit!" Was würde die Folge sein? Die Folge würde sein, daß Herr Grandval und der Herr Hoffmann dableiben - Ihre Politik verewigt die beiden! -,
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während wir doch darauf ausgehen, die beiden zu entfernen, im Vertrauen darauf, daß dann das Saarvolk von den Freiheiten, die ihm zugesichert sind, den rechten Gebrauch macht, weil sie Deutsche sind.
({27})
Das ist unsere Politik. Wer das nicht glaubt, meine Damen und Herren, der gibt in Wahrheit die Saar auf.
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Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage?
Nein!
({0})
Ich bedaure!
Erst spreche ich fertig, und dann antworte ich auf Fragen!
({0})
Einen Satz, Herr Dr. Becker, kann ich Ihnen nicht vergessen.
({1})
Wie können Sie sagen, Herr Dr. Becker - es steht zwar in dem Art. IX, daß eine definitive Lösung noch kommen soll, daß es sich jetzt um eine provisorische Lösung handelt -, wie können Sie sagen: „Davon gilt das französische Sprichwort: Die provisorische Lösung ist die definitive"? Sind Sie denn ein Anwalt des Herrn Hoffmann?
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Noch ein anderes muß ich Ihnen vorhalten. Haben Sie denn nicht gehört, was ich eben hier über das uns im Oktober gestellte Verlangen erklärt habe, wir sollten den Zustand, der jetzt geschaffen werden soll, der der Saar eine Selbstverwaltung, eine Autonomie gibt, für immer bestehen lassen? Ich habe damals gesagt: Eher lasse ich das ganze Pariser und Londoner Werk scheitern!
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Wie können Sie mir dann ,den Vorwurf machen, daß ich um 12 Divisionen willen das Abkommen getroffen habe?
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- Sie haben so ganz Ähnliches gesagt!
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Und wie können Sie sagen, Herr Dr. Becker, daß man den deutschen Jungens nicht zumuten könne, eine Uniform anzuziehen und den deutschen Boden zu verteidigen, wenn dafür die Saar geopfert werde?!
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Was sind das für unmögliche Ausführungen!
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_Ich meine, wenn Gefahr für den deutschen Boden besteht, dann ist jeder verpflichtet, das Seinige zu tun, daß dieser deutsche Boden frei bleibt.
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Meine Damen und Herren und Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich vielleicht habe etwas hinreißen lassen. Aber diese Rede des Herrn Dr. Becker war ungefähr das Schlimmste, was den deutschen Interessen begegnen konnte.
({9})
Ich bin jetzt bereit, Fragen zu beantworten.
Herr Abgeordneter Professor Schmid.
Herr Bundeskanzler, eine Frage nur zu meiner Information. Sie sprachen davon, daß die britische und die amerikanische Regierung nunmehr ihre im Jahre 1947 gemachte Zusage, Frankreich beim Friedensvertrag in seinem Saarbegehren zu unterstützen, nicht mehr aufrechterhalten. Ist hierüber eine Erklärung abgegeben worden, oder ist das eine Schlußfolgerung?
Nicht mehr aufrechterhalten, - ich will mich ganz korrekt ausdrücken, wie ich das soeben auch getan habe. Ich glaube, daß diese beiden Mächte ihre damals gegebene Zusage als durch das deutsch-französische Saarabkommen erledigt betrachten.
({0})
Das ist von mir keine Schlußfolgerung, sondern eine mir, und zwar von der zuständigen Stelle, gemachte Mitteilung.
Darf ich fragen: gibt es hierüber eine Urkunde?
Meine Damen und Herren, ich habe darüber keine Urkunde. Aber wenn mir das von einer solchen Stelle mitgeteilt wird, dann finde ich es nicht richtig, der betreffenden Stelle zu sagen: Bitte, geben Sie mir das schriftlich.
({0})
Meine Damen und Herren, ehe ich die Sitzung unterbreche, gebe ich das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäfts ordnung dem Abgeordneten Behrisch.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Bundesminister, besser gesagt, Sonderminister Strauß hat gestern hier eine Rede gehalten, in der er mich reichlich zitiert hat. Ich habe nur den Schluß dieser Rede gehört, aber auch das hat mir genügt. Herr Strauß hat nun die Behauptung aufgestellt, ich hätte ihn und den Herrn Sonderminister Kraft als „schäbige Gesellschaft" bezeichnet.
({0})
- In der Zeitung. - Ich stelle fest, daß das nicht wahr ist.
({1})
- Er hat es nicht vorgelesen. - Wahr ist vielmehr folgendes. In der Zeitung heißt es:
Die CDU versucht, die Hofer davon abzuhalten, das „Deutsche Manifest" aus der Paulskirche zu unterschreiben. Das ist ihr gutes
Recht. W i e sie es macht, hat allerdings mit
Anstand und Demokratie nichts zu tun.
Und nun lassen Sie mich erklären, was damit gemeint war. Es wurde per Postwurfsendung ein Flugblatt verteilt, in dem Gleichheitszeichen gesetzt wurden zwischen Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei, und Herr Sonderminister Strauß ließ sich ansagen zu einer Kundgebung unter dem Titel „Auf dem Wege zur Volksdemokratie - Was steckt dahinter?" Nun, wer hinter der Sache in der Paulskirche steckt, das wissen Sie
({2})
I alle; denn die haben sich nicht versteckt. Aber die Bemerkung „schäbige Gesellschaft" bezog sich auf die Verfasser des Flugblatts, die sich, wie gesagt, zu der verleumderischen Bemerkung hinreißen ließen, SPD sei gleich Kommunismus, und die unterschrieben haben als „Generalsekretariat der CSU".
({3})
Nun weiß ich nicht, ob Herr Strauß Mitglied dieses Generalsekretariats ist. Wenn er es ist, muß er allerdings diese Bemerkung der Schäbigkeit auf sich beziehen.
({4})
Aber ich glaube, Herr Sonderminister Kraft ist nicht Mitglied des Generalsekretariats der CSU.
({5})
- Noch nicht!
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Das zweite, was Herr Sonderminister Strauß mir hier gestern ans Bein geheftet hat, das war der Ton, und Herr Kollege Kiesinger war heute nett genug, Herrn Strauß' Tonart mit Zorn
- besser, Herr Kiesinger, hätten Sie gesagt: mit bajuwarischem Zorn - zu entschuldigen.
({7})
Herr Kiesinger, Zorn ist nie eine Entschuldigung
für schlechtes Betragen, am wenigsten im Parlament.
({8})
Ich meine, wir haben Herrn Wyschinskis Tiraden vor der UNO auch nicht mit seinem Zorn entschuldigt. Sie haben, Herr Kiesinger, das Wort geprägt: Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Wir haben hier im Bundestag eine höchste Richtlinie für politisches Verhalten bekommen. Sie stammt vom Herrn Bundeskanzler selbst. Der Herr Bundeskanzler hat uns bei der Affäre SchrothScharley erklärt: „Lernen Sie bei uns!" Wir sind dieser freundlichen Aufforderung bisher nicht gefolgt.
({9})
Aber, Herr Kiesinger, wenn Sie mit dem Finger auf die SPD zeigen und Herr Strauß mit dem Finger auf die SPD zeigt und uns quasi vorwerfen, daß wir Sie gebissen hätten, darm darf auch ich ein französisches Sprichwort ins Feld führen.
({10})
- Es ist ein gutes Sprichwort, hören Sie bitte zu, Frau Dr. Weber! Ich bringe es auf gut deutsch: „Welch böses Tier! Es beißt, wenn man es schlägt!"
({11})
Sehen Sie, es beißt, wenn man es schlägt, und wir richten uns in Hof immer sozusagen auf die geistige Wellenlänge der Besucher ein.
({12})
Wenn der Herr Spruchkammervorsitzende Strauß, der die kleinen Pgs gepiesackt
({13})
und von Nazismus und Militarismus gereinigt hat, in Hof als Propagandaredner für Aufrüstung auftritt, dann möchte ich Ihnen eines sagen.
({14})
Sie machen uns den Vorwurf, wir seien vom Parlament auf die Straße gegangen. Herr Strauß ging von der Straße in die Gosse!
({15})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat der Abgeordnete Walz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer aufrichtigen Dank für seine Erklärungen sagen, die er heute vormittag kurz vor der Unterbrechung unserer Sitzung zu der Saarfrage abgegeben hat.
({0})
Ich bin ihm für diese Erklärungen vor allen Dingen deshalb dankbar, weil sie mir geeignet erschienen, die Ausführungen von heute vormittag über die Saarfrage auf einen gewissen einheitlichen Nenner zu bringen, daß es nämlich in diesem Hohen Hause wohl niemanden gibt, weder bei der Sozialdemokratie, noch bei der Freien Demokratischen Partei, noch beim Gesamtdeutschen Block, noch bei der Deutschen Partei, noch bei der Christlich-Demokratischen Union, der nicht davon überzeugt ist, daß das Saargebiet deutsch ist und daß es bei seinem deutschen Vaterlande bleiben müßte.
({1})
Darin sehe ich doch immerhin eine Tatsache, die es uns allen ermöglichen sollte, in dieser Frage von schicksalhafter Bedeutung niemandem irgendwelche Absichten zu unterstellen oder Vorwürfe zu machen, die bei objektiver Beurteilung einer ernsthaften Nachprüfung nicht standhalten würden. Für mich persönlich hat der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer eigentlich nur bestätigt, wovon ich und wir alle von der Saar-CDU immer überzeugt waren. Unsere ganze Arbeit und unser moralischer Widerstand gegen die Abtrennungspolitik bis zum heutigen Tage beruht ja mit auf dieser Erkenntnis. Ich bedaure nur, daß sich z. B. sowohl bei Ausführungen des Herrn Hoffmann als auch bei solchen des Herrn Richard Kirn in der letzten Zeit Behauptungen finden, als ob zwischen den Zielen der deutschen Parteien an der Saar und denjenigen des Bundeskanzlers Dr. Adenauer irgendein Unterschied bestünde. Ich glaube, der Unterschied besteht wirklich nicht. Wir sind uns in diesem Hohen Hause nur nicht ganz klar darüber - allem Anschein nach -, welches der geeignetste Weg sei, der Saarbevölkerung ihr Volkstum zu erhalten und Land und Leute wieder in einem deutschen Staatsverband zu vereinen.
Ich bedaure daher lebhaft, daß ich nicht in allen Punkten der Auffassung meiner politischen Freunde folgen kann und auch nicht in der Lage bin, dieses Saarabkommen zu bejahen.
({2})
Es ist eigentlich erfreulich, daß sich darin auch
alle drei deutschen Parteien an der Saar - sowohl
die CDU als auch die Sozialdemokratische Partei
L) ({3})
wie auch die Demokratische Partei - einig sind. Im Laufe der letzten Tage ist die Frage oft an mich gerichtet worden, worauf diese Ablehnung zurückzuführen sei.
({4})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Meine Damen und Herren, ich bitte, die unerläßlich notwendigen Gespräche in die Wandelhalle zu verlegen und dem Redner etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Diese ablehnende Auffassung ist leider darauf zurückzuführen, daß wir, so wenig Vertrauen wir zu Erklärungen eines Herrn Grotewohl oder der Sowjets haben, obwohl ich die verantwortlichen Männer an der Saar, die auf der anderen Seite stehen, nicht mit Herrn Grotewohl vergleichen möchte-das möchte ich ausdrücklich feststellen, da gibt es gewisse Unterschiede -, wir aber auch kein Vertrauen zu den Herren Hoffmann, Richard Kirn usw. haben. Wenn uns von seiten des Herrn Grotewohl irgend etwas hinsichtlich politischer Freiheiten dargelegt wird, sind wir ebenso wenig davon überzeugt, wie wenn es von saarländischer Seite, von den Herren Hoffmann und Richard Kirn, käme.
Wenn uns seit dem 23. Oktober bis heute an der Saar durch Tatsachen bewiesen worden wäre, daß man tatsächlich bereit ist, die demokratischen und politischen Freiheiten an der Saar herzustellen, wäre es, glaube ich, auch mir unter Umständen erleichtert worden, dem Saarabkommen positiver gegenüberzustehen.
({0})
Noch keine einzige Ausweisung ist zurückgenommen, noch keine derjenigen Ausweisungen, die in den letzten Jahren aus politischen Gründen erfolgt sind, und darunter befinden sich sowohl katholische als auch evangelische Geistliche. Es wäre doch zu erwarten gewesen, daß man dem 80jährigen deutschen und katholischen Pastor Bun-garten, der damals aus politischen Gründen aus dem Saargebiet ausgewiesen worden ist, es ermöglicht hätte, wieder nach dem Saargebiet zurückzukehren, wo er jahrelang tätig war und für Deutschtum und Christentum gearbeitet hat. Und wäre es nicht ein Entgegenkommen und ein Beweis dafür gewesen, daß man die politischen und demokratischen Freiheiten aufrichtig zu geben bereit ist, wenn man jetzt wenigstens den deutschen Parteien es ermöglicht hätte, Zusammenkünfte zu organisieren und sich einmal mit dem Saarabkommen zu beschäftigen? Auch diese Möglichkeit besteht bis zum heutigen Tage nicht. Wenn irgendwo diese drei Gruppen eine Besprechung oder eine Versammlung abhalten, dann ist sofort die Hector-Polizei dahinter und löst diese Zusammenkunft, Besprechung oder Versammlung auf.
({1})
- Mag sein, daß das ein Argument für das Saarstatut ist. Ich gedenke ja niemandem zu nahe zu treten, der anderer Auffassung ist als ich. Ich glaube aber, daß wir vor der Entscheidung auch jemanden hören müßten, der von der Saar ist und der, genau wie viele andere, für sich reklamieren kann, deswegen schon zweimal seine berufliche Existenz verloren zu haben und schließlich ausgewiesen worden zu sein, weil er an der Saar gegenüber diesen Saarpolitikern die Bundespolitik und die Saarpolitik des Bundeskanzlers Dr. Adenauer vertreten hat.
Die Befürchtung ist bestimmt nicht von der Hand zu weisen, daß wir genau wie in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Wahltricks erleben werden. Ich darf daran erinnern, daß damals wohl eine Zusicherung Englands und Amerikas gegenüber Frankreich vorgelegen hat, die Ansprüche auf das Saargebiet in wirtschaftlicher Beziehung zu unterstützen, aber ich entsinne mich noch sehr gut, daß am 6. September 1946 auf einer Veranstaltung in Stuttgart der damalige amerikanische Außenminister Byrnes ausdrücklich dabei erklärt hat, daß nur auf Wunsch der beteiligten Bevölkerung eine Abtrennung von Deutschland erfolgen könnte. Wenn diese Erklärung vielleicht von mir falsch aufgefaßt worden ist und nicht ganz dem wahren Tatbestand entsprechen sollte, dann liegt doch aber für unser Schicksal an der Saar die Erklärung der Atlantik-Charta vor, wonach auch einem besiegten Volke gegenüber nur Gebietsabtretungen zugemutet werden könnten, wenn die beteiligte Bevölkerung es wirklich wünscht. Und das ist bis jetzt an der Saar nicht der Fall gewesen.
Weil man aber für seine Bemühungen um die Abtrennung von Deutschland sowohl von seiten Frankreichs als auch von seiten der Saarpolitiker nach außen hin irgendein Beweisstück brauchte, um dabei den Willen der Saarbevölkerung immer und immer wieder hervorzuheben, sind bisher sämtliche saarländischen Wahlen umgefälscht und mißdeutet worden: sowohl die erste Gemeinderatswahl am 15. September 1946 als dann auch die Landtagswahl am 5. Oktober 1947 wie auch die nachfolgenden Wahlen, die Gemeinderatswahlen am 27. März 1949 und - daran werden Sie sich vielleicht noch erinnern - die Landtagswahl vom 30. November 1952. Auch ich gehöre zu denjenigen, die in der Christlichen Volkspartei waren, genau wie die anderen Freunde von der Saar in der Sozialdemokratie und in der Demokratischen Partei, die damals 1946 ihrer Wahlpflicht genügten. Und wenn der Aufruf, der damals an uns ergangen ist, heute nochmals erginge, und ich wüßte nicht, was ich inzwischen erfahren habe, dann würde ich heute wie damals am 15. September 1946, nicht anders, wählen. Da aber bei den Konferenzen, vor allen Dingen in' Moskau, gerade diese Gemeinderatswahl als eine Willensäußerung der Saarbevölkerung mißdeutet und umgefälscht worden ist, als ob der wirtschaftliche Anschluß gewünscht würde, war es der im Saargebiet hoch angesehene Erzbischof Dr. Bornewasser, der den Menschen an der Saar in ihren Gewissenskonflikten zu Hilfe kam und in einer Erklärung unter anderem darauf hinwies, daß keine Nützlichkeitserwägungen dafür maßgebend sein dürften, ob man sich zu seinem Vaterland bekenne oder nicht oder ob man noch zu ihm gehöre oder nicht, sondern daß es sich dabei um eine religiöse Pflicht handle. Und ich mache heute noch dem an der Saar herrschenden Regime zum Vorwurf, daß man diese Erklärung des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs Dr. Bornewasser an der Saar nicht veröffentlichte, sondern daß man eine solche Erklärung eines hohen Kirchenfürsten der kommunistischen Zeitung zu veröffentlichen überließ und damit das, was uns bewog, in Mißkredit brachte, wie es für uns überhaupt unverständlich ist, daß die Kommunistische Partei bis zum heutigen Tage genehmigt ist und sich betätigen darf, während
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aber z. B. die Saar-CDU es nicht darf, die in ihrem Programm nur stehen hat: daß sie bestrebt sei, in Fortentwicklung des derzeitigen, vorläufigen Zustandes an der Saar das Recht gesichert zu wissen, an ihrer Einordnung in die europäische Völkerfamilie auch durch ein freies Bekenntnis zum deutschen Volk und Vaterland teilzuhaben. Allem Anschein nach hat es dieser Programmpunkt der saarländischen Regierung bis zum heutigen Tage nach dem Parteizulassungsgesetz an der Saar nicht erlaubt, uns zuzulassen, obwohl es - das ist schon heute vormittag erwähnt worden - in § 1 dieses Parteizulassungsgesetzes heißt, daß die Bildung politischer Parteien frei sei. Ich bedaure es vor allem deshalb, weil man damit an der Saar der bolschewistischen Propaganda Vorschub geleistet und die europäische Politik des Bundeskanzlers Dr. Adenauer praktisch bekämpft hat.
Es ist gestern von dem Bundesminister Strauß ganz mit Recht beanstandet worden, daß bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen im Bundesgebiet der Ausdruck gefallen sei: „Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg!" Ich darf Ihnen an einigen Beispielen nachweisen, daß sich die offizielle Regierungspropaganda an der Saar und die der lizenzierten Parteien zum 30. November 1952 davon gar nicht unterscheidet. Der 1. Deutsche Bundestag hatte damals den Beschluß gefaßt, die deutsche Bevölkerung an der Saar aufzufordern entweder weiße Stimmzettel abzugeben oder der Wahl fernzubleiben. Also wer damals an der Saar weiß wählte, der wählte deutsch, der wählte den Bundeskanzler Dr. Adenauer.
Und was brachte die Propaganda damals für Flugblätter gegen uns heraus? Unter anderem: Wer weiß wählt, wählt Stalin und versündigt sich an Europa. Ein anderes Flugblatt: Bist du ein gläubiger Christ? Willst du, daß deine Kinder nicht mehr beten dürfen? Nein? Dann geh zur Wahl! In einem dritten Flugblatt - es tut mir furchtbar leid, daß ich es erwähnen muß, es ist aber notwendig - heißt es: Wählst du Adenauer, wirst du Feldgrauer. Wählst du Ollenhauer, wirst du auch ein Feldgrauer. Wählst du Kommunist, wirst du Volkspolizist. Also wähle saarländisch! usw.
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie bitte Verständnis dafür, daß wir das Saarabkommen nicht nur juristisch beurteilen. Ich glaube ganz gern, daß juristisch die uns dargelegten Ausführungen durchaus begründet sind, und ich sehe darin auch einen großen Fortschritt, unzweifelhaft! Aber haben Sie ferner Verständnis dafür, daß uns dieses Saarabkommen in seiner textlichen Gestaltung nicht ausreicht, um sich gegenüber dem derzeitigen Regime in der vorgesehenen kurzen Zeit durchzusetzen und den bisherigen Mißbrauch zu beseitigen.
Ich stehe nicht an zu erklären, daß es uns an der Saar erst möglich geworden war, in Erscheinung zu treten und überhaupt einen Antrag auf Parteizulassung einzureichen, nachdem Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer die Saarfrage aufgegriffen und uns durch seine Politik moralisch ermutigt hat. Ich hoffe daher, wenn wir auch dem Saarabkommen nicht zustimmen können - wenigstens ich für meine Person kann es beim besten Willen nicht; ich würde sonst in einen ernsthaften Gewissenskonflikt geraten, und deswegen tue ich es nicht -, ich hoffe aber, daß die uns gegebenen Erklärungen und daß auch die weitere Politik des Bundeskanzlers Dr. Adenauer es ermöglichen, daß
die Saar frei werde, daß die Saar sich frei entscheiden könne und sich zu Deutschland bekennen darf; denn die Saar ist wirklich deutsch, und das Jahr 1955 ist das Jahr, in dem die Saar 1030 Jahre dem Deutschen Reich bzw. Deutschland angehört.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Feller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute vormittag hier zum Ausdruck gebracht, daß er nicht geneigt sei, ein politisches Urteil zu akzeptieren, das sich auf eine 30jährige Notariatstätigkeit stützt. Ich kann infolgedessen von ihm weder erwarten noch verlangen, daß er einer 10jährigen Studienratstätigkeit eine höhere Qualifikation zur Beurteilung politischer Tatbestände zubilligt.
({0})
Aber ich darf doch zu meiner Freude feststellen, daß der Herr Bundeskanzler sich der Zunft der Studienräte insofern stark angenähert hat, als er heute vormittag hier sehr scharfe Zensuren ausgeteilt hat.
({1})
Über das Thema „Zensuren austeilen", Herr Bundeskanzler, ließe sich vom Standpunkt eines Studienrats noch einiges sagen, vor allem, daß man dabei sehr vorsichtig prüfen und abwägen und sich das, was gesagt oder geschrieben wurde, genau auf seinen Gehalt ansehen soll.
({2})
Das möchte ich auch für meine Ausführungen in Anspruch nehmen, denn sie werden sich, Herr Bundeskanzler, von denen des Herrn Kollegen Dr. Becker inhaltlich wahrscheinlich nicht sehr stark unterscheiden.
({3})
Denn die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE, für die ich hier spreche, lehnt das Saarstatut in der zur Ratifizierung vorgelegten Fassung ab.
({4})
- Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen. - Sie befindet sich dabei in Übereinstimmung mit dem Beschluß des außerordentlichen Parteitages des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, der am vergangenen Sonntag beschlossen hat: „Das Saarstatut wird abgelehnt, weil es für deutsche Menschen und deutsches Gebiet eine Minderung des unbestreitbaren Rechts der Zugehörigkeit zu Deutschland mit sich bringt und als Baustein für eine wirkliche europäische Gemeinschaft nicht gewertet werden kann". Dieser Beschluß unseres höchsten Parteigremiums besitzt allerdings keine bindende Kraft und kann diese auch nach dem Grundgesetz nicht haben für einige Abgeordnete meiner Fraktion, die glauben, mit Rücksicht auf den politischen Zusammenhang, der in der französischen Nationalversammlung am 27. Dezember für die Ratifikation der Gesamtheit der Verträge durch Frankreich hergestellt wurde, auch dem Saarstatut ihre Zustimmung geben zu müssen, um die Gesamtheit der Pariser Verträge in keiner Weise zu gefährden. Die Mehrheit meiner
({5})
Fraktion teilt aber in Übereinstimmung mit unserem Parteitag diese Befürchtungen nicht oder glaubt, die Annahme des Saarstatuts unter keinen Umständen verantworten zu können.
Die Gründe für unsere ablehnende Haltung hat mein Freund Seib o t h schon in der Debatte vom 16. Dezember 1954 vorgetragen. Er hat seine Ausführungen damals mit dem Wunsche geschlossen, daß neue Verhandlungen über die Saarfrage, die der Herr Bundeskanzler selbst angekündigt hatte, zu einer derartigen Klärung führen möchten, daß wir vom gesamtdeutschen Standpunkt mit gutem Gewissen zu einem solchen Abkommen ja sagen könnten. Wir haben diese unsere Wünsche nach Klarstellung und Verbesserung des Abkommens dem Herrn Bundeskanzler auch in einem Memorandum dargelegt, in der Hoffnung, daß es ihm eine Stütze bei den angekündigten Verhandlungen sein werde. Wir müssen aber zu unserem Bedauern feststellen, daß unsere damaligen Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Auch das Ergebnis der Besprechungen, die der Herr Bundeskanzler mit dem Herrn französischen Ministerpräsidenten am 14. Januar dieses Jahres in Baden-Baden hatte, hat unseren Erwartungen nicht entsprochen. Wir können ihm jedenfalls nicht die Bedeutung beimessen, die ihm Herr Dr. Lenz heute vormittag hier zu geben versucht hat. Es bleibt danach bei den schweren Bedenken, die wir von Anbeginn gegen dieses Statut und seine Auswirkungsmöglichkeiten gehabt haben. Ich darf diese noch einmal kurz zusammenfassend vortragen.
Unser erstes und entscheidendstes Bedenken-es wurde auch von anderen Rednern schon berührt - beruht darauf, daß dieses Statut in seiner Präambel als „europäisches Statut" bezeichnet wird. Diese Bezeichnung ist nach unserer Überzeugung falsch.
({6})
Sie wird keineswegs gerechtfertigt durch die geringen Spuren europäischen Charakters, die das Statut etwa dadurch erhalten kann, daß der Hohe Kommissar vom Ministerrat der Westeuropäischen Union ernannt werden soll und irgendein, noch nicht einmal näher bezeichnetes und noch zu schaffendes Gremium der Westeuropäischen Union als oberste Gerichtsinstanz für die aus dem Statut sich ergebenden Streitigkeiten gelten soll. Die Bezeichnung „europäisch" ist aber auch besonders geeignet, auf die Diskrepanz aufmerksam zu machen, die zwischen dem Inhalt des Statuts und dem besteht, was in zahlreichen Beschlüssen und Willensbekundungen von Bundestag und Bundesregierung als eine europäische Lösung des Saarproblems angesehen und definiert worden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten mir eine Frage zur Klarstellung. Sie haben ausgeführt, daß es trotz der Bezeichnung „europäisches Statut" kein wirkliches europäisches Statut sei. Wollen Sie damit auch zum Ausdruck bringen, daß natürlich damit die Auffassung, es habe eine Europäisierung stattgefunden, nicht zutreffend ist?
Ich habe ausgeführt, daß die Bezeichnung des Statuts als „europäisches Statut" falsch ist. Ich habe nicht behauptet, daß eine Europäisierung stattgefunden habe, Herr Kollege von Merkatz.
Ich bin Ihnen sehr dank- bar für diese Auskunft, Herr Abgeordneter. Das genügt!
({0})
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen dazu noch sagen, daß wir bereit gewesen wären, einer echten Europäisierung auf der Grundlage einer Europäischen Politischen Gemeinschaft unsere Zustimmung zu geben, aber nicht dieser Scheineuropäisierung, die mit Hilfe dieses Statuts vorgenommen werden soll.
({0})
Ich darf hier einmal erinnern an die zahlreichen Erklärungen und Protestnoten der Bundesregierung in den Jahren 1950 bis 1953 bis hin zu dem bekannten Beschluß vom 2. Juli 1953. Darin wird doch immer wieder Verwahrung gegen die Versuche eingelegt, einen politisch von Deutschland getrennten Saarstaat zu schaffen und das Saargebiet als ein zweites Luxemburg in den Kreis der europäischen Staaten einzuführen. Genau das ist aber, wenn auch nicht der völkerrechtliche Inhalt, so doch die politische Konsequenz des Statuts, und auf diese allein kommt es bei der Beurteilung über die Tragbarkeit oder Annehmbarkeit des Statuts für uns an. Denn wir haben unserer Verantwortung vor dem deutschen Volk und seiner zukünftigen Entwicklung nicht nur - ich sage: nicht nur - nach dem Gesichtspunkt gerecht zu werden, ob wir eine der Regierung oder der Volksvertretung Gesamtdeutschlands allein zustehende Entscheidung präjudizieren. Wir sollten überhaupt - das muß, glaube ich, hier einmal wiederholt werden - von dem der Bundesrepublik in der Londoner Schlußakte zugestandenen Recht, für Gesamtdeutschland zu sprechen, nur äußerst sparsam Gebrauch machen. Wir sollten nur dann von diesem Recht einen Gebrauch machen, wenn es sich darum handelt, Rechte und positive Interessen Gesamtdeutschlands zu vertreten, und niemals, um den Rechtsstand Gesamtdeutschlands in irgendeiner Weise zu schmälern oder zu beschränken.
({1})
Es läßt sich doch nicht leugnen - die Bundesregierung hat diese Befürchtung in den Ausschußberatungen auch nicht auszuräumen vermocht -, daß die Annahme dieses Statuts und seiner auf die friedensvertragliche Regelung hinzielenden Bestimmungen schon eine gewisse Bindung für das Verhalten der gesamtdeutschen Regierung in Friedensvertragsverhandlungen darstellt. Wir haben aber unsere Entscheidung vor allem danach zu treffen, ob wir die Möglichkeit einer politischen Entwicklung eröffnen oder nicht, die selbst durch eine rechtlich mögliche andersartige Entscheidung der gesamtdeutschen Organe nicht mehr repariert werden kann. Auch das ist bei den Entwicklungsmöglichkeiten, die das Saarstatut nach Lage der Dinge und der Verhältnisse in sich trägt, durchaus zu befürchten.
Das beinhaltet noch lange keinen Zweifel in den Willen der Saarbevölkerung, sich ihre Zugehörigkeit zum deutschen Staatsverband bei freier Entscheidungsmöglichkeit heute oder morgen zu erhalten. Wer kann aber von dieser Bevölkerung erwarten oder gar verlangen, daß sie sich den Willen oder den Glauben an seine Durchsetzbarkeit erhält, wenn wir selbst sie auf diesen Weg stoßen, von dem keiner von uns ihr sagen kann, wann, wie und wo er endet?
({2})
({3})
Müssen wir nicht vielmehr befürchten - wir haben doch zahlreiche Zeugnisse aus dem Saarland dafür vorliegen, Herr Dr. Mommer hat heute morgen im Hinblick auf die mit der Regierung Hoffmann geführten Verhandlungen auf solche Zeugnisse hingewiesen -, daß die Bevölkerung dort über unsere Zustimmung in eine tiefe Enttäuschung verfallen würde, nachdem sie in den vergangenen Jahren ebenso wie wir doch Zeugin der Willensbekundungen von Bundestag und Bundesregierung gewesen ist, mit denen sich das Statut einfach nicht vereinbaren läßt? Lassen Sie mich doch einmal kurz - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - einige dieser Entschlüsse und Bekundungen zitieren, damit wir uns noch einmal bewußt werden, was hier alles gesagt, was alles beschlossen und was alles damit auch der Saarbevölkerung versprochen worden ist.
So, wenn in der schon von Herrn Dr. Becker zitierten Sitzung vom 30. Mai 1951 die Bundesregierung im Hinblick auf das Verbot der Demokratischen Partei Saar erklärte, sie wolle die geeigneten Schritte unternehmen, damit im Saargebiet die uneingeschränkte Freiheit der Meinungsäußerung und Willensbildung hinsichtlich der Fragen hergestellt werde, die im Friedensvertrag ihre endgültige Klärung finden sollen. Keine der hier vorgenommenen und noch so optimistischen Auslegungen der Bestimmungen des Statuts gibt uns die Überzeugung, daß diese Freiheit nun wirklich erreicht und garantiert sei, und kein besserer Zeuge konnte für die Berechtigung dieser Befürchtung auftreten als mein Herr Vorredner, der selbst Saarländer ist.
In der 205. Sitzung am 23. April 1952 erklärte der Herr Bundeskanzler unter Bezugnahme auf die Note der alliierten Hohen Kommission vom 2. August 1951:
Aus diesen Tatsachen ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung, daß alle Bewohner des Saargebiets das Recht haben müssen, in völlig freier Weise schon jetzt zu erörtern, welche Gestalt die künftige Ordnung annehmen soll.
Angesichts dieses „schon jetzt" drängt sich uns die Frage auf, ob dem das binnen einer Frist von drei Monaten durchzuführende erste Referendum irgendwie entsprechen kann, und wenn wir wohl alle enttäuscht diese Frage verneint haben, die weitere Frage, wann nach menschlichem Ermessen und nach den Bestimmungen des Statuts die Möglichkeit zu einer freien Entscheidung für die Saarbevölkerung gegeben sein wird.
In der 279. Sitzung des 1. Bundestages am 2. Juli 1953 berichtete der Herr Staatssekretär Dr. Hallstein über die Protestnote gegen die Saarkonvention vom 20. Mai 1953, die erneut die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland nicht berücksichtige und auf die Errichtung eines Saarstaates hinziele.
In derselben Sitzung hat Herr Dr. Kopf als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses im Hinblick auf Art. 23 des Grundgesetzes folgendes gesagt:
Diese Anwartschaft auf Beitritt bedeutet ein Recht, und Deutschland erscheint somit in unserem Bonner Grundgesetz als ein fest umrissener staatsrechtlicher Rechtsbegriff.
Und weiter:
Daraus folgt nun . . . daß das Verhältnis der
Bundesrepublik zur Saar nicht auf den Grundsätzen des Völkerrechts beruht, sondern staatsrechtlicher Natur ist. Die im Saargebiet bestehende Ordnung
- der bekannte Satz, der auch in die Entschließung des Bundestages eingegangen ist ist demgemäß ein Bestandteil der inneren Organisation Deutschlands.
Und am 29. April 1954 erklärte der Herr Bundeskanzler:
Schließlich muß die Lösung
- und damit wiederhole ich das, was ich vorhin gesagt habe wahrhaft europäisch sein. Die Lösung ist . . . an die Verwirklichung der Europäischen Politischen Gemeinschaft gebunden.
({4})
Es darf sich also nicht darum handeln, den Status quo ... mit einem europäischen Mantel zu verkleiden ... Die Saar kann nur europäisiert werden, wenn eine europäische Gemeinschaft eine Realität ist.
Und Herr Dr. v o n Brentano hat hinzugefügt:
({5})
- Meine Herren, ich werde auch dazu noch etwas sagen. Das, was am 30. August erfolgt ist, berechtigt uns nicht, etwas zu tun, was wir damals vor dem deutschen Volke und der Weltöffentlichkeit als zu tun unmöglich immer und immer wieder abgelehnt haben.
({6}) Herr Dr. von Brentano hat in dieser Debatte dann hinzugefügt:
Ich vermag ein Junktim zwischen Saar und EVG in keiner Weise anzunehmen . . . Es besteht dagegen ein Junktim zwischen Saarvertrag und Europäischer Politischer Gemeinschaft, und ... im Verhältnis zu Deutschland kann ein solches Junktim nicht durch einseitige Erklärung hergestellt werden.
Das, Herr Dr. Weber, können Sie vielleicht auch zur Kenntnis nehmen, was damals von Ihrer Seite gesagt worden ist.
Nun stehen wir vor der Tatsache, daß die Verwirklichung der Europäischen Politischen Gemeinschaft in eine unabsehbare Ferne gerückt ist, aber die an ihre Stelle getretene schlechtere Ersatzlösung von französischer Seite durch ein Junktim mit dem Saarstatut verbunden ist, das uns für den Bestand des Deutschtums an der Saar auch keine besseren Garantien zu geben vermag als alles, was damals in Umrissen an Möglichkeiten der Lösung für das Saarproblem vorgelegen hat.
Es ist in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf die Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler heute morgen gemacht hat, nicht uninteressant, festzustellen, daß dies als „europäisch" bezeichnete Statut vom 23. Oktober 1954 sehr stark dem Vorschlag entspricht, den der französische Hohe Kommissar dem Herrn Bundeskanzler unter ganz anderen Voraussetzungen am 25. Oktober 1952 in einem Entwurf einer gemeinsamen deutschfranzösischen Erklärung über die Saarfrage gemacht hat. Dort heißt es - und das ist im Zusammenhang mit den heute hier gemachten Ausführungen sehr interessant -:
Die Verhandlungen zwischen Frankreich und
Deutschland mit dem Ziele, der Saar einen
({7})
europäischen Charakter zu verleihen, werden
fortgesetzt.
Damals durchaus noch verständlich. Und weiter: Die endgültige Entscheidung über das Statut, das von den beteiligten Staaten zu garantieren ist, liegt in jedem Falle bei der Bevölkerung der Saar.
Nun stelle ich fest, meine Damen und Herren: Diese Entscheidung das kann man formal, aber nicht tatsächlich bestreiten - liegt nicht mehr bei der Bevölkerung der Saar, sie liegt bei uns; denn wer will von dieser Bevölkerung erwarten, daß sie gegen das Statut entscheidet, wenn wir es hier bejahen? !
({8})
Das erste Referendum ist doch eine Farce, und es ist mir völlig unbegreiflich, daß man sich soviel Mühe gemacht hat, seine Modalitäten auszuhandeln, eine Mühe, die wahrlich einem anderen Zwecke auch in diesem Zusammenhang hätte dienstbar gemacht werden können. Bei der Unbezweifelbarkeit des Ausgangs dieses ersten Referendums führt es zu einem Rechtszustand, der zwar durch die im Art. IX des Statuts vorgesehenen Billigungsoder Verwerfungsmöglichkeiten abänderlich erscheint; aber seine staatsrechtliche Veränderlichkeit wird doch durch die Gewalt des Faktischen aufgehoben, die dieses Statut haben wird, eine Gewalt, die ein solches Statut zum Unterschied von dem jetzt bestehenden Zustand vor allem dann haben wird, wenn es mit Zustimmung der Betroffenen zustande gekommen ist.
({9})
Wir zwingen die Saarbevölkerung damit in eine Entwicklung hinein, die, von ihr selbst bejaht, sich in einem unabänderlichen Automatismus vollziehen wird bis zur endgültigen Loslösung des Saargebiets aus dem gesamtdeutschen Staatsverband.
({10})
Was kann man überhaupt noch an Glauben und Vertrauen von Menschen erwarten, welche die vorhin zitierten Äußerungen mit angehört haben und denen heute dieses Statut zur Annahme empfohlen wird?
({11})
Das tun wir doch, wenn wir hier ja dazu sagen. Angesichts dieser psychologischen Fehlbehandlung verblassen doch alle rechtlichen Argumente und Interpretationsversuche für den Inhalt der einzelnen Artikel. Es ist heute schon eine Reihe solcher Versuche unternommen worden, und sie haben eine Variationsbreite ergeben, die jeden erkennen läßt, daß das Statut jeder Auslegungsmöglichkeit Tür und Tor offenläßt. Es wurde sogar schon kühn behauptet, daß dies für Deutschland ein besonderer Vorteil sein könnte. Meine Damen und Herren, vergessen wir dabei doch nicht, daß wir ein besiegtes und zerschlagenes Volk sind und wahrscheinlich bis zum Friedensvertrag auch bleiben werden.
({12})
- Jawohl, und gerade in dieser Lage wäre es wahnwitzig, wenn wir die für uns jeweils günstigste Möglichkeit in die Bestimmungen des Statuts hineinzudeuten versuchten, es sei denn, Sie wollten den entschieden abzulehnenden Versuch machen,
die Partnerschaft der Pariser Verträge mit der
Vorstellung wechselnder Stärkeverhältnisse zu belasten, und davor möchte ich ausdrücklich warnen.
({13})
Wir wollen ein klares und stabiles Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich und darum auch klare und eindeutig auszulegende Bestimmungen, die dieses Verhältnis tragen. Andernfalls müssen sich - das ist schon mehrmals gesagt worden - daraus Verstimmungen, Auseinandersetzungen ergeben, die selbst bei bestem Funktionieren der Gerichtsbarkeit die französisch-deutschen Beziehungen belasten und damit Steine auf dem Wege zur Europäischen Gemeinschaft sein werden, deren Verwirklichung doch ein Ziel unser aller politischen Strebens ist.
An dieser Stelle muß noch einmal ein Hinweis auf die Auslegungen erfolgen, die das Statut in der französischen Presse und in den Debatten der Nationalversammlung erfahren hat, - nicht etwa weil wir uns diese Auffassungen zu eigen machen wollten. Das wäre gefährlich und ist hier mit Recht als unmöglich bezeichnet worden. Aber noch gefährlicher wäre es, sie unbeachtet zu lassen und nicht von vornherein klar zu sagen, daß wir uns damit nicht einverstanden erklären können. Jedes andere Verhalten wäre doch unehrlich und unaufrichtig.
In den Debatten der französischen Nationalversammlung wurde - und das erscheint mir besonders bemerkenswert - sowohl von zustimmenden wie auch von ablehnenden Rednern zum Saarstatut - ich verweise als Beispiel für die letzteren vor allem auf die Ausführungen des Abgeordneten Michel Kauffmann vom 21. Dezember 1954 - immer wieder festgestellt, daß das Abkommen, wenn auch im völkerrechtlichen Sinne kein Definitivum schaffend, so doch von französischer Seite mit der Absicht der Schaffung eines solchen Definitivums geschlossen wurde, um das Saargebiet schließlich von Deutschland abzutrennen und damit auf einem neuen Wege das alte Ziel zu erreichen, das in der tausendjährigen Geschichte der deutsch-franzäsischen Territorialauseinandersetzungen immer wieder angestrebt worden ist und seinen letzten und deutlichsten Ausdruck in den französischen Forderungen auf der Moskauer Konferenz von 1947 gefunden hat.
Das Statut läßt sich doch auch damit nicht verteidigen, daß man unter Hinweis auf seinen angeblich europäischen Charakter davon spricht, daß es zunächst - und eventuell auch nach einer friedensvertraglichen Regelung - eine mittlere oder neutrale Lösung für die Saar herbeiführe. Wir wissen doch aus den Erfahrungen der Vergangenheit nur zu gut, daß diese mittlere Lösung, auf die Dauer gesehen, eben die französische Lösung darstellt. Man könnte dafür wiederum eine Reihe von Beispielen aus der Geschichte der Gebietsveränderungen im Westen anführen, am naheliegendsten jedoch das der Saarabstimmung vom Januar 1935, bei der Frankreich sich völlig damit begnügt hat, den Status quo zu propagieren, nicht nur etwa deshalb, weil ihm ein Anschluß des Saargebiets an Frankreich unerreichbar erschien, sondern eben deshalb, weil es glaubte, mit Hilfe der Aufrechterhaltung des Status quo seine politischen Ziele im Endeffekt genauso gut erreichen zu können. Denn eine „saarländische Saar", von der Sie gesprochen haben, Herr Dr. Lenz, ist für Frankreich so gut wie eine französische Saar, weil Frankreich
({14})
eben die Zeit hat, die wir nie haben, seine Grenzprobleme in seinem Sinne zu regeln.
Der 30. August, von ,dem Sie, Herr Dr. Weber, vorhin gesprochen haben, hätte uns doch mindestens über eines belehren müssen: daß Frankreich seine Nationalstaatlichkeit auch heute noch nicht aufzugeben bereit ist zugunsten einer supranationalen Organisation Europas. Ich sage das ohne jeden Vorwurf und aus einem tiefen Verständnis für ein Volk, mit dem ich von frühester Jugend an in Berührung stehe. Aber man trennt sich eben schwer von dem, was man selbst hervorgebracht hat. Die Geburt des Nationalstaates war ein großartiger Vorgang, was auch immer für verhängnisvolle Folgen geschichtlich sich daran geknüpft haben mögen. Wir Deutschen haben sie am heftigsten zu spüren bekommen. Wir haben uns darum auch leichter davon getrennt. Ich sage nicht, wie manche es tun: wir haben uns zu früh davon getrennt! Aber ich glaube, daß die Überwindung des nationalstaatlichen Denkens ein unausweichlicher geschichtlicher Prozeß für alle Völker ist und nicht ein Einzelvorgang bei den Deutschen. Wenn wir diesen Glauben haben - und wir müssen ihn haben -, dann können wir auch darauf vertrauen, daß in einigen Jahren das Gespräch zwischen Deutschland und Frankreich eine andere Lösung der Saarfrage möglich gemacht hätte. Wir dürfen die dortige Ordnung nicht heute in ein Statut einzementieren, aus dessen Provisorium sich zwangsläufig ein Definitivum entwickeln wird, über das dann nicht mehr geredet zu werden braucht und nicht mehr geredet werden kann, weil seine Änderung zu sehr an das empfindliche Prestige Frankreichs rühren würde.
({15})
Denn dann, wenn dieses Statut in Geltung sein wird, enthält es neben seiner faktischen Kraft auch die Bestimmung, daß es bis zum Friedensvertrag nicht mehr in Frage gestellt werden kann, eine Bestimmung, der auf französischer Seite die bewußte Befürchtung zugrunde liegt, daß mit fortschreitender Entwicklung eine Ordnung, wie sie das Statut vorsieht, immer mehr in Frage gestellt sein würde.
Nun lassen Sie mich noch einige Einzelfragen anschneiden, die in der heutigen Debatte noch nicht oder nur wenig berührt worden sind. Im Bericht des Auswärtigen Ausschusses wird die selbständige Staatlichkeit des Saargebietes verneint unter Hinweis auf die auflösende Bedingung, unter der dieses Staatswesen steht. Meine Damen und Herren, uns kann nicht so sehr die staatsrechtliche Umschreibung interessieren, die dieses merkwürdige Gebilde nach seiner Konstituierung kennzeichnen soll - eine treffende Bezeichnung hat ja Herr Dr. Becker heute vormittag dafür gebraucht -, sondern vielmehr die Frage, wann und ob überhaupt je die auflösende Bedingung eintreten wird. Wir meinen, daß gerade der bedauerliche Mangel jeder zeitlichen Befristung es uns unmöglich macht, das Statut zu bejahen, da ja unser Vertragspartner einfach daran interessiert sein muß, die Voraussetzungen für seine Veränderungen nicht zu schaffen, d. h. also konkret gesprochen, keinen Friedensvertrag zustande kommen zu lassen, der eine andere Regelung enthält, welche von der Saarbevölkerung nach Art. IX gebilligt werden könnte. Man braucht nicht etwa irgendeiner Vorstellung oder Parole von einem Friedensvertrag im Jahre 1955
zu folgen, um dieses Statut als eine Belastung für das Zustandekommen eines Friedensvertrages überhaupt anzusehen, zumal darin auch 'die Formulierung des van-Naters-Plans „oder einer friedensvertragsähnlichen Regelung" nicht mehr enthalten ist.
Daraus ergibt sich auch die Frage eines Präjudiz für den Osten, nicht etwa in dem Sinne, wie sie hier schon 'bei der ersten Lesung und auch heute am Rande wieder behandelt worden ist, im Sinne der Frage nämlich, ob eine ähnliche Regelung für die Ostgebiete wünschenswert wäre oder nicht; diese reichlich diskutierte Frage scheint mir müßig, weil es sich um nicht vergleichbare Verhältnisse handelt. Wichtiger ist aber die Fragestellung, welche Rückwirkungen eine Annahme des Saarstatuts auf den Osten überhaupt haben könnte. Da aber müssen uns zwei Momente zu denken geben: einmal die Gefahr, daß sich bei westlichen und östlichen Mächten eine Übereinstimmung des Interesses am Nichtzustandekommen eines Friedensvertrages entwickeln könnte, zum anderen aber die Gefahr, 'daß wir der Sowjetzonenregierung zumindest für ihre innerstaatlichen Propaganda ein billiges Argument für die Anerkennung der OderNeiße-Grenze geben.
({16})
Wir haben alle in den letzten Wochen und Tagen Stöße von Briefen aus der Sowjetzone erhalten. In ihrer Ablehnung der Pariser Verträge sind sie meist schablonenhaft gezwungen, eintönig, monoton, aber an einem Punkte werden sie menschlich wahr und echt,
({17})
wenn sie uns vor der Annahme des Saarstatuts warnen. Denn dann klingt bei diesen Menschen, die zwar unter Zwang schreiben, aber an einer Stelle doch auch einmal etwas Persönliches einfließen lassen, etwas ganz Unüberhörbares durch, nämlich die Befürchtung dieser Briefschreiber - ich betone: ihre Befürchtung daß diejenigen, die verantwortlich der praktischen Loslösung einer Million Deutscher im Westen aus dem gesamtdeutschen Staatsverband auf die Gefahr ihrer Entfremdung von Deutschen hin zustimmen, auch dazu kommen könnten, die 18 Millionen Deutscher im Osten aus der geistigen und politischen Einheit des Deutschtums zu entlassen, wenn die Machtverhältnisse es einmal geraten erscheinen ließen.
({18})
Wir sind im Westen wie im Osten gezwungen, heute den Tatbestand hinzunehmen, daß Millionen unserer Brüder und Schwestern von uns getrennt und in Unfreiheit leben müssen. Wir können es heute nicht ändern. Wir sind aber gewillt, es morgen oder übermorgen zu ändern, wenn sich uns eine friedliche Möglichkeit dazu bietet.
({19})
Wir sind aber nicht heute und nicht morgen und nicht übermorgen gewillt, einen solchen Zustand zu legalisieren, auch wenn es uns aus anderen Zusammenhängen heraus geraten erscheint.
({20})
Wenn man uns mit der Gewalt des Siegers trennt und den Willen zur Wiedervereinigung unter({21})
drückt, dann müssen wir es erleiden, im Bewußtsein des Unrechts, das uns geschieht. Aber wehe dem deutschen Volk, seiner Freiheit und Einheit, wenn dieses Bewußtsein einmal zu schwinden begänne, in der Sowjetzone, an der Saar oder hier bei uns! Dann ginge die stärkste Antriebskraft verloren, die uns wieder zusammenführen kann, und die Geschichte wäre über die deutsche Einheit hinweggegangen.
Gegenüber diesen inneren Auswirkungen, die eine Annahme des Saarstatuts zur Folge haben kann, erscheint mir die Diskussion über seine völkerrechtliche Bedeutung zweitrangig. Ob das Statut eine gesamtdeutsche Regierung bindet oder nicht - die Möglichkeit erscheint mir allerdings durchaus gegeben -, ist aber unerheblich, wenn in seiner Folge der Wille und der Glaube an die Wiederherstellung Gesamtdeutschlands erlahmen, wenn die deutsche Einheit in der Vorstellung jedes Deutschen nicht mehr unteilbar und unabdingbar ist.
({22})
Unsere europäische und unsere gesamtdeutsche Haltung müssen uns also verbieten, dazu ja zu sagen, und müßten dies auch tun, wenn nicht das Zustandekommen selbst, die Entwicklung seither und die Auslegungsmöglichkeiten des Statuts uns zu speziellen Zweifeln Anlaß gäben.
Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, noch zu den wirtschaftlichen Bestimmungen des Statuts einige Worte sagen. Ich möchte hier gar nicht ins einzelne gehen, denn wir waren immer der Ansicht, daß wir Frankreich jede nur mögliche wirtschaftliche Konzession machen müßten, weil wir bereit sind, unsere Schuld auf materiellem Gebiet redlich abzutragen. Aber unsere Auffassung, Herr Bundeskanzler, war nicht so primitiv, daß wir Ihnen zugemutet hätten, mit einem großen Geldsack nach Paris zu fahren,
({23})
sondern wir haben damit in unserer Vorstellung Regelungen verbunden, mit denen wir Frankreich an der Saar wirtschaftliche Konzessionen nicht auf Kosten der Saar, sondern auf unsere Kosten gemacht hätten. Aber wir sind der Meinung, daß es nicht dem Geist einer europäischen Zusammenarbeit entspricht, daß man uns in Menschen und Land bezahlen läßt. Hätte man eine politische Form gefunden, die den Deutschen an der Saar ihre Freiheit und das unbestreitbare Recht der Zugehörigkeit zu Deutschland gelassen hätte, wir hätten freudig in alle wirtschaftlichen Nachteile für uns - nicht für die Saar - eingewilligt.
Der politische und der wirtschaftliche Preis zusammengerechnet, den wir dafür an der Saar bezahlen sollen und zu dem wir uns erpressen lassen sollen,
({24})
dafür, daß Frankreich sich neben uns zur Verteidigung des Westens bereitstellt, ist zu hoch. Wir können ihn aus den dargelegten Gründen vor unserer heutigen und zukünftigen Existenz als Volk nicht rechtfertigen. Deshalb sagen wir, d. h. die Mehrheit meiner Freunde
({25})
und ich, zu diesem uns vorgelegten Statut über die Saar „Nein!"
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute hier das Wort gefallen von einem gewissen Automatismus, der zu einer Separation führen würde, und daß man diesem Automatismus, der die Separation des Gebietes und des Volkes an der Saar hervorbringen könne, nicht Vorschub leisten dürfe. Meine Damen und Herren, ich möchte namens meiner Fraktionsfreunde diese Erwägung grundsätzlich zurückweisen. Sie bedeutet ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Bevölkerung an der Saar. Ich möchte das feststellen.
({0})
Wir haben gerade heute aus dem Munde eines Abgeordneten, der für mich ein Vertreter der Bevölkerung an der Saar ist, Herrn Kollegen Walz, einige Ausführungen gehört, die uns die Gewißheit geben, wie tief das Gefühl der Verbundenheit zwischen diesem Volksteil und uns ist, wie wir beide in der Verantwortung, in der deutschen Verantwortung stehen.
Ich darf vorweg bemerken, daß ein Nein aus dem Mund eines Abgeordneten der Bevölkerung an der Saar für mich eine ganz andere Bedeutung hat als etwa ein Nein, das von uns aus prinzipiellen Gründen gegeben werden müßte.
({1})
Wenn ein Abgeordneter von der Saar, der damit die Saarbevölkerung vertritt, dieses Nein ausspricht, so ist es die deutlichste und begrüßenswerteste Demonstration dafür, daß Volk und Gebiet an der Saar eben deutsch sind. Und das ist damit gemeint.
({2})
Aber für uns liegt die Frage anders. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten die Prinzipien vortragen und noch einmal in Erinnerung rufen, die meine Partei in dieser Angelegenheit bereits vor einigen Wochen formuliert hat.
Von jeher haben wir den Grundsatz vertreten, daß kein Gebietsteil eines Volkes, also auch kein Gebietsteil Deutschlands, von einer fremden Macht annektiert und keine Bevölkerung ihres Heimatrechts in den angestammten Wohnsitzen sowie der Menschenrechte auf Freiheit und Selbstbestimmung beraubt oder gegen ihren Willen einer fremden Hoheit unterstellt werden darf. Dieser Grundsatz gilt für uns uneingeschränkt für den Osten und für den Westen. Er ist die wichtigste Grundlage einer europäischen Gemeinschaft.
Wir haben damals zum Ausdruck gebracht, daß das Abkommen über die Saar weit hinter diesen prinzipiellen Forderungen zurückbleibt, und das stelle ich auch heute fest, damit darüber keine Unklarheit herrscht.
Weiterhin haben wir aber andererseits auch gesagt: Die Deutsche Partei ist nicht gewillt, die Hand dazu zu bieten, daß der Streit über Volk und Gebiet an der Saar als Mittel ständiger Attentate gegen die europäische Verständigung mißbraucht wird. Wir haben in Wertung des Abkommens damals festgestellt: Der Zweck des Abkommens ist darin zu sehen, daß der unter Mißbrauch von Besatzungstiteln herbeigeführte politische Annexionstatbestand beseitigt und an seine Stelle eine Übergangslösung unter neutraler, internationaler Kontrolle und Garantie gesetzt wird.
({3})
Das Abkommen trennt die Saar nicht von Deutschland ab, sondern es hält die Ausübung reichsdeutscher Gebietshoheit bis zum Abschluß eines Friedensvertrags in der Schwebe. Eine endgültige Regelung in einem Friedensvertrag kann nur dadurch wirksam werden, wenn sie von der Saarbevölkerung angenommen wird.
Das sind die Grundsätze, und an diesen Grundsätzen habe ich als Vertreter meiner Fraktion unsere Stellungnahme zu messen. Es ist ein Verhängnis gewesen, daß das Prinzip der Integrität des Staatsgebiets eines Volkes sowohl vom Osten - in gröbster Weise; sogar nicht nur durch Mißachtung der Integrität des Staatsgebiets, sondern durch Vertreibung des Volkes -, aber auch vom Westen verletzt worden ist. Bereits bei den Regelungen des Versailler Vertrages hat sich das zum größten Unheil Europas ausgewirkt. Fast alle territorialen Regelungen und auch dieser Versuch, einen Gebietsteil vom historischen Körper eines anderen Volkes abzutrennen, wirken sich unheilvoll aus. Das sehen wir, das haben wir bei dieser ganzen Debatte erlebt. Es ist nun einmal so - und das ist meiner Ansicht nach das Ergebnis der nationalstaatlichen Periode der europäischen Geschichte -, daß die Nationalstaaten als Wesenheiten gegründet worden sind, gewissermaßen als lebendige Wesen im Raum der Geschichte stehen und daß jede Amputation und Verletzung von Gebietsteilen zu schwersten Störungen des Gesamtgefüges in Europa führt.
Ich kann auch in der heutigen Stunde von diesem prinzipiellen Standpunkt nicht abgehen, und wir haben auch niemals - das ist ein alter Beschluß meiner Freunde gewesen - das Recht auf eine Selbstbestimmung in dem Sinne zuerkannt, daß sich Bevölkerungsteile vom Gesamtkörper eines Volkes durch eine Abstimmung separieren können. Wir gestehen auch heute und auch mit diesem Abkommen nicht etwa ein Recht zu, daß sich irgendein Gebietsteil, irgendein Bevölkerungsteil des deutschen Volkes von sich aus und nur auf seine Selbstbestimmung gegründet vom Schicksal des gesamten Volkes abtrennen könnte. Aber das liegt auch nicht in diesem Abkommen. Es ist eine völlige juristische, aber auch politische Verdrehung, wenn man behauptet, daß hier ein Alleinselbstbestimmungsrecht gewährt werde.
Schließlich haben wir uns gegen die mißbräuchliche Anwendung des Begriffs der Europäisierung gewandt, weil eine Europäisierung einen Dauerzustand darstellen würde. Ich bin etwas anderer Auffassung als mein Herr Vorredner und nicht ohne weiteres zu dem Zugeständnis bereit - auch nicht für den Fall des Entstehens einer politischen Gemeinschaft in Europa -, sozusagen europäische Territorien zu schaffen. Darüber müßte im Einzelfall verhandelt werden. Wir halten ganz eindeutig an dem Prinzip fest, daß das Saargebiet ein deutscher Gebietsbestandteil ist und daß man überhaupt keine Friedensregelung auf dem Tatbestand der Separation von einem Gesamtkörper aufbauen soll.
Ein Angriff ist gegen die Bedeutung des ersten Referendums geführt worden, das von meinem Herrn Vorredner, glaube ich, als eine Farce bezeichnet wurde. Meine Damen und Herren, wir sollten mit solchen Ausdrücken vorsichtig sein,
({4})
weil es sich hier keineswegs um eine Farce handelt, sondern vielmehr um einen Akt - ich meine
das erste Referendum -, der gewissermaßen eine verfassunggebende Gesetzeskraft hat, der dann zwingt, die sogenannte Verfassung des Gebiets an der Saar abzuändern auf den Status, der mit dem Statut bestimmt wird. Es ist also eine demokratische Rechtspflicht gegeben, gewisse Bestimmungen dieser Verfassung abzuändern, die dem Statut und seinem Grundprinzip widersprechen, daß nämlich über die territoriale Zugehörigkeit dieses Gebiets erst ein Friedensvertrag bestimmen kann und diese Regelung auch nur in Kraft treten kann, wenn die Bevölkerung zustimmt.
Insofern glaube ich, daß auch die Behauptung, es werde hier ein tatsächlicher Zustand durch die Unterschrift gedeckt, eine völlige Verdrehung der Tatsachen ist. Die Unterschrift, die unter das Abkommen gesetzt wird, das ein Provisorium, einen Kompromiß als Übergangslösung bewerkstelligen soll, ist eben nur die Unterschrift unter den Versuch, hier eine Befriedung zu schaffen. Aber es wäre doch eine vollkommene Verkennung aller juristischen und damit auch aller politischen Vorgänge, wenn jemand behauptete, daß mit dieser Unterschrift vergangenes Unrecht - das ich ja klar zu kennzeichnen mich bemüht habe - legitimiert werde. Das ist nicht der Fall, und auch die weitere Aufrechterhaltung dieser Position und dieser Behauptung würde nur den deutschen Standpunkt beeinträchtigen. Denn in dieser Behauptung liegt auch, daß eine Anerkennung aus besetzungsrechtlichen Vorgängen, aus Vorgängen der debellatio künftig bei der Auslegung dieses Statuts mit herangezogen werden dürfte. Ich möchte namens meiner Freunde gegen ein solches Verfahren protestieren, daß jemals über das Statut hinausgreifend in den ungeregelten rechtlichen Vorraum dieses Statuts bei einer Rechtsstreitigkeit, die entstehen kann und entstehen wird, zurückgegriffen werden darf.
Ich muß mich nun doch um der intellektuellen Sauberkeit willen, möchte ich sagen, mit einigen Behauptungen des Kollegen Mommer auseinandersetzen. Wenn ich jetzt einen Artikel von ihm zitiere, der in der „Freien Saarpresse" Mitte Oktober - noch bevor wir uns nach Paris begaben - erschienen ist, so bitte ich daraus nicht entnehmen zu wollen, daß ich dem Kollegen Mommer unterstelle, er habe mit diesem Artikel etwa die Grundlinie seiner Auffassung über die Saarpolitik geändert. Solche billigen Unterstellungen mache ich hier nicht. Aber ich zitiere, weil in diesem Artikel ein Geist zum Ausdruck kam, der sich mit unseren eigenen Vorstellungen weitgehend deckt. In diesem Geiste sind wir damals nach Paris gefahren, wo uns ja vom Bundeskanzler vor allen Dingen die Frage vorgelegt wurde: Übernehmen mit mir die Parteien des Bundestages und damit die Vertretung des Volkes die Verantwortung dafür, daß ich an dem Nichtzugeständnis der französischen Forderung einer definitiven Lösung das gesamte Pariser Vertragswerk scheitern lasse? Das war die politische Frage, die uns Abgeordneten vorgelegt worden ist. Übernehmen Sie mit mir die Verantwortung, daß ich sage, meine äußerste Grenze ist das Zugeständnis eines Provisoriums bis zur Regelung im Friedensvertrag? Darin waren wir einig - ich glaube, das sagen zu dürfen -, daß wir den Ernst dieser Frage sehr stark gespürt haben. Auch Herr Kollege Mommer ist - das geht aus seinen Ausführungen klar hervor - in einer inneren geistigen Einstellung an die Probleme herangetreten, die sich von der unsrigen kaum unterschied.
({5})
Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich ein paar Sätze zitieren. Sie sind natürlich aus dem Zusammenhang herausgerissen, was immer den Inhalt von Sätzen beeinträchtigt. Herr Mommer, wenn ich Ihnen Unrecht tun sollte, dann bitte ich, das richtigzustellen. Er sagt hier:
Es kann keine guten deutsch-französischen Beziehungen ohne eine Beilegung des Saarstreites geben.
- Genau unsere Auffassung. Zweitens sagt er: Die Führung eines Machtkampfes um die Saar mit politischen Mitteln liegt ganz sicher nicht im Interesse der beiden Länder und Europas. Man muß vielmehr versuchen, in einem vertretbaren Kompromiß zu einer keine Seite ganz befriedigenden, aber auch für keine Seite unannehmbaren Lösung zu kommen.
Zugestanden, daß wir im übrigen anderer Auffassung sind, das gilt gewiß noch.
({6})
- Das ist sehr gut, daß wir uns auf dieser Basis auf einem Minimalboden treffen. Das aber war der Geist, einen Kompromiß zu finden, der natürlich nicht für beide Seiten unbedingt befriedigend ist.
Dann sagt Herr Mommer weiter:
Wir sollten deshalb bei den Saarverhandlungen über einen Modus vivendi
- dieser Ausdruck fiel, er hat unsere Besprechungen in Paris sehr stark beherrscht gar keine eigenen Wünsche anmelden . . .
Der Herr Bundeskanzler ist auch nicht mit einem detaillierten Programm angekommen, ich kenne natürlich seine Vorbereitungen nicht. Aber wir haben in diesem Sinne, daß wir nun nicht von uns aus Anerbietungen machen sollten, mit Plänen kommen, die uns festlegen und die dann Mindestforderungen für die andere Seite werden könnten, gearbeitet. Ungefähr so hat der Bundeskanzler verhandelt.
. . . und die Fortdauer der Zoll- und Währungsunion so weit hinnehmen, wie sie nicht wegen der Entwicklung der Saarwirtschaft selbst modifiziert werden muß.
Nun gewiß, auch das ist eine sehr vernünftige Einstellung - Herr Mommer, ich behaupte nicht, daß Sie deshalb eine andere Saarpolitik wie Ihre Partei betrieben hätten, diese Absicht liegt nicht in meiner Zitierung -, aber wenn Sie sich das Abkommen ansehen, so werden Sie finden, daß gerade dieser Punkt ziemlich deutlich in ihm hervorgehoben worden ist.
Dann sagt Herr Mommer zum Schluß:
Ein Abkommen kann vorläufig nur, nachdem die Rückgliederung pure et simple nicht im Bereich des Möglichen liegt, einen Modus vivendi zum Inhalt haben, der im Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung durch Abmachungen über das Gebiet selbst ersetzt wird. Wenn im Friedensvertrag von Frankreich die Anerkennung der Abtrennung von uns verlangt würde, dann könnte .und sollte nach unserer Überzeugung die gesamtdeutsche Regierung sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen und die Entscheidung einer neuen Volksabstimmung überlassen.
Ich finde, diese Prinzipien haben in dem geschlossenen Abkommen tatsächlich ihren Ausdruck gefunden.
Nun noch zu einigen Einzelheiten, die richtigzustellen mir am Herzen liegt. Herr Mommer
- ich glaube, es war Herr Kollege Mommer - hat ausgeführt, in Baden-Baden sei es eigentlich zu keiner Verständigung gekommen. Das stimmt nicht. Es ist lange zwischen uns und der FDP auch der Streit gewesen: Soll man Zusatzprotokolle fordern, soll man Änderungsprotokolle fordern? Meine Damen und Herren, das Abkommen enthält Prinzipien, wie man einen Streit beilegen kann oder wie man eine Sache außer Streit zu bringen versucht. Prinzipien sind im Völkerrecht überhaupt nicht der Auslegung fähig, sondern auf der Grundlage dieser Prinzipien habe ich eine Anwendung zu finden, und wenn ich mich also über die Anwendung einige - und das ist in Baden-Baden geschehen -, dann ist damit eine Verständigung über den Inhalt erreicht.
({7})
So pflegen solche politischen Verträge oder Abmachungen nach völkerrechtlichem Brauch behandelt zu werden.
Nun ist gesagt worden, aber das sei ja noch nicht notariell gemacht worden. Meine Damen und Herren, in der Technik politischer Verhandlungen bedeutet eine Verständigung über Anwendungsprinzipien - und das ist zweifellos in Baden-Baden geschehen - eine so weitgehende Festlegung, daß dann die Formulierung in eine bindende Abmachung durchaus auf gutem Wege ist und man sehr schwer von den Ergebnissen, wenn darüber einmal Verständigung erreicht worden ist, wieder zurückweichen kann. Im übrigen kann ja ein großer Teil dieser Prinzipien, dieser Abmachungen von Baden-Baden erst im Rahmen der Westeuropäischen Union ihre eigentliche völkerrechtliche Gestaltung finden; erst dort kann die volle Formulierung erreicht werden.
Gerade auf diese Baden-Badener Abmachungen kommt es mir namens meiner Fraktion sehr an; denn sie beziehen sich auf Forderungen, die meine Fraktion als unerläßlich aufgestellt hat, um den unklaren Inhalt der Prinzipien dieses Abkommens in eine Klarheit der Anwendung zu verwandeln. Und diese Forderungen sind sogar in manchen Punkten noch mehr, als wir damals gefordert haben, in Baden-Baden erfüllt worden.
Das betrifft auch die Frage der Kommission und ihrer Befugnisse! In den Abmachungen von Baden-Baden über die Durchführung des Statuts steht das Wort „Ersuchen". Die Kommission, die die Abstimmung überwacht, kann an die Saarregierung und in besonderen Fällen auch an die unteren Instanzen Ersuchen richten. Nun, für jeden Verwaltungsrechtler ist doch ganz klar, daß dieses Ersuchen eben ein Weisungsrecht ist, und daß für den Fall der Nichtdurchführung dieses Ersuchens die Ersatzvornahme der geforderten Handlung oder Unterlassung durch die Kommission angeordnet werden kann.
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- Die verwaltungsrechtlichen Begriffe sind in Deutschland und, soweit ich weiß, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa - ein Schweizer, Herr Fleiner, hat die „Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts" geschrieben; er hat an einer Schweizer Universität gelehrt -, also in der
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Schweiz und fast in ganz Europa, vielleicht mit Ausnahme des angelsächsischen Rechts, das ich nicht so genau kenne, im Prinzipiellen die gleichen, so daß ich keinen Unterschied zwischen dem bayerischen und sonstigen Verwaltungsrecht anerkennen kann.
Der Bundeskanzler, so wurde gesagt, sei gewissermaßen Arm in Arm mit Herrn Hoffmann gesehen worden. Meine Damen und Herren, man sollte so etwas nicht sagen. Ist es denn etwa so, daß, wenn sich nun die Kommunisten und die SED manche Argumente der Sozialdemokratie zu eigen machen, damit die Sozialdemokratie etwa Arm in Arm mit den Kommunisten oder mit der SED zu sehen ist? Das sind häßliche Vorwürfe, die gar keinen Zweck haben.
Das Abkommen des Herrn Hoffmann, das sogenannte Geheimabkommen vom 16. Oktober, ist - ich gestehe freimütig zu - eine ganz üble Sache. Und ich glaube, hier im Hause sitzt keiner, der diese Dinge nicht so ansieht. Aber gegenüber den Prinzipien des Statuts, das danach beschlossen worden ist und ja auch noch nicht in Kraft ist, sondern erst durch eine Ratifikation in Kraft gesetzt werden kann, ist das Abkommen bestimmt nicht stärker als die Konventionen, die ja auch noch bestehen. Und die Durchführung des Statuts und die nach Art. XII, wenn ich mich recht erinnere, noch zu treffenden wirtschaftlichen Abmachungen werden solche Versuche, hinterrücks die Dinge anders oder betrügerisch, möchte ich beinahe sagen, auszulegen, zunichte machen.
Und dann das Bild von dem schwarzen und dem roten Teufel: man solle, wenn man mit dem schwarzen Teufel Berührung finden wolle, auch mit dem roten Fühlung nehmen. Die Farbe schwarz,
finde ich, ist schon besetzt. Ob man die Farbe schwarz nun dem Herrn Hoffmann zuerkennen will, weiß ist nicht; ich überlege mir, ob vielleicht gelb, grün oder grau. Aber das ist dann bloß Geschmacksache, wie man die Rolle eines solchen Separatistenführers ansehen will. Also den schwarzen Teufel - gut, wir nehmen ihn hin. Wir haben den Karneval allerdings schon hinter uns. Der rote Teufel: Gerade jene, die sich darüber aufregen, daß mit dem „schwarzen Teufel" eine Verbindung gesucht worden sei - was übrigens gar nicht der Fall ist, der Herr Bundeskanzler hat es gar nicht getan -, verlangen von uns immer, wir sollten so schnell wie möglich wieder mit dem roten
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- ich sage nicht Teufel; es ist nicht ganz angemessen, wenn dahinter eine Weltmacht steht, das als Teufel zu bezeichnen; das ist ein bißchen verrückt - Verbindung aufnehmen. Es ist so, als säße man in einem kleinen Aquarium und könnte sozusagen zur Belustigung der Welt seine Bildersprache machen. Jedenfalls, mit dieser anderen Seite, die mit „rotem Teufel" bezeichnet werden sollte, soll immer, so schnell es geht, unmittelbar Fühlung genommen werden. Es gibt Leute, die wahnsinnig darauf erpicht sind, auch einmal Moskau zu sehen. Ich muß sagen: Es ist sehr unlogisch, wenn man auf der einen Seite etwas zum Vorwurf macht, worauf man auf der anderen Seite geradezu mit sensationellem Verlangen drängt.
Der Kernpunkt: Daß nur drei Monate Freiheit gewährt werden sollen - eine Behauptung des Herrn Mommer und eine Auslegung, die ich als sehr künstlich empfinde. Wenn wirklich Anlaß für eine solche Auslegung gegeben wäre, würde ich es
für nicht gerade weise halten, wenn man von deutscher Seite als jurisconsulte der französischen Regierung tätig würde. Es könnte uns dann, weil das auch im Bundestag als eine Auslegungsmöglichkeit in die Welt gesetzt worden ist, entgegengehalten werden, obwohl diese Auslegung doch absurd ist. Denn wenn das der Inhalt des Abkommens wäre, würde doch kein Europäischer Kommissar und keine Garantiemacht, die etwas auf ihre Reputation hält, die Aufsicht über ein solches Statut übernehmen wollen.
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Wenn man völkerrechtliche Verträge so künstlich auslegen wollte, gewissermaßen als eine Halsabschneiderklausel, so wie man wucherische Verträge auslegt, so ungefähr wie man sie in den Kolportageromanen einer Marlitt findet, von Gardeoffizieren, die da ihre Ehre verkaufen! - Ich kann das nicht als einen ernsthaften Einwand gelten lassen. Wenn auch nur der leiseste Versuch gemacht würde, das Abkommen so anzuwenden, dann brauchten wir uns nicht aufzuregen. Dann schmisse jeder Europäische Kommissar, der etwas auf sich halten würde, sein Amt hin und sagte: Das mache ich nicht mit.
Auch die Skepsis gegenüber den europäischen Prinzipien und daß die Konvention zum Schutze der Menschenrechte die Bevölkerung an der Saar nicht geschützt habe, ist kein Einwand gegen das Abkommen. Ich gebe Herrn Kollegen Mommer da durchaus recht. Aber, aber, es ist doch nun mal so: Wir haben nicht nur den Krieg verloren, sondern Deutschland steht in der Welt doch noch einem besonderen Maß von Diffamierung gegenüber, und wir können jedenfalls durch Deklamationen nicht erreichen, daß unsere Reputation und unsere Interessen draußen so beachtet werden, wie es normalerweise der Fall sein müßte.
Wenn man seinen guten Ruf sozusagen betont und hervorkehrt, daß alle Gerüchte falsch seien, muß ich an die Legende über Friedrich Wilhelm I. und den Torschreiber denken, der, als er den König sah, in den Busch flüchtete; der König hinter ihm her, worauf der Torschreiber ihm sagte, er hätte Angst vor ihm. Der König prügelte ihn dann öffentlich auf der Straße mit den Worten: Lieben sollt ihr mich! Lieben sollt ihr mich! Lieben sollt ihr mich! - So können wir unsere Reputation und die Liebe zu Deutschland jedenfalls nicht herbeizwingen. Es wird ein langer, zäher, geduldiger Weg sein, daß diese Prinzipien als europäische Prinzipien nicht nur die kühle Existenz in diplomatischen Urkunden, Formeln und Floskeln finden, sondern daß sie gelebte europäische Wirklichkeit werden.
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Noch etwas anderes. Es wird gesagt, wir hätten mit unserem Eintritt in den Europarat eine quasi autonome Staatsexistenz des Gebietes an der Saar anerkannt. Ich frage die Opposition ernsthaft: Würden Sie es denn vertreten können, daß die Bundesrepublik nicht in den Europarat hineingegangen wäre? Würden Sie das vertreten können?
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- Ja bitte! Wenn Sie sagen, durch unseren Eintritt in den Europarat, in dem gleichzeitig auch Vertreter der Saarbevölkerung sitzen, abgeordnet durch ein Regime, das wir separatistisch nennen
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und nicht anerkennen können, hätten wir irgendeinen Akt der Anerkennung vollzogen, - das ist nicht wahr! Sie müssen es doch praktisch-politisch sehen! In den Eurparat hineinzugehen, mitzuarbeiten und allmählich im Kontakt mit den anderen wieder ein normales Klima in Europa herbeizuführen, das ist doch eine Lebensnotwendigkeit für uns.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Aber natürlich!
Herr von Merkatz, glauben Sie nicht, daß wir, wenn wir es abgelehnt hätten, gleichzeitig mit dem Saargebiet in den Europarat einzutreten, etwa drei Monate später aufgefordert worden wären, allein zu kommen?
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Ist Ihnen bekannt, wie die Aufnahme des Saargebietes im Ministerausschuß des Europarates erfolgte?
Herr Kollege Mommer, das letztere habe ich nicht im Kopf. Ich gestehe das offen zu, daß ich das nicht gegenwärtig habe. Aber Ihre Meinung läuft ja auf die Grundlagen sozialdemokratischer Außenpolitik überhaupt hinaus; das glaube ich in aller Fairneß sagen zu dürfen. Ich dagegen bin nicht der Auffassung, daß eine solche Demonstration der Bundesrepublik des Sichversagens uns weitergebracht hätte.
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Über diese Grundfrage haben wir damals beim Petersberg-Abkommen und dann hauptsächlich bei der Montanunion immer wieder diskutiert. Es ist dies ein echter Gegensatz, der zwischen Ihnen und uns besteht. Herr Mommer, beweisen kann's nur die Geschichte, welcher Weg der richtige war. Warten wir es ab! Ich kann Ihnen da nur mein Wähnen, Glauben und Meinen sagen.
Daß man die Haltung des Sichversagens natürlich sehr imponierlich finden kann, liegt auf der Hand. Das Beispiel des Grafen Brockdorff-Rantzau in Versailles war eine Haltung, die wortlos eine in der Geschichte gestaltende Kraft entwickelt hat. Der Graf hat damals allein schon durch sein Auftreten in Versailles, durch seine überzeugende Würde, viel, sehr viel für Deutschland getan. Aber glauben Sie nicht auch, daß Würde darin liegt, wenn man, ohne sich dabei etwas zu vergeben, einen Weg der Notwendigkeit geht, ohne Opportunismus, aber in der hohen Verantwortung, ein so tief gesunkenes, ein so tief geschlagenes Volk wieder hochzubringen?
({1})
Sehen Sie, in dieser Auffassung steckt immer so
etwas, als sei der Weg, den wir und Sie mit uns
zu gehen versucht haben, uns nicht ganz würdig
sei, als sei das, was hier geworden ist, irgendwie
vom schlechten Gewissen infiziert. Meine Damen
und Herren, ein solch schlechtes Gewissen: ein
Mensch, er fühlt's, wenn auch verschwommen, er
'müßte sich, genau genommen, im Grunde seines
Herzens schämen, und er beschließt, es nicht genau
zu nehmen! Ich glaube, mit diesen untergründigen Gefühlen der Zersetzung unseres Willens
und unserer Haltung können wir nicht bestehen.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren, um Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen. Es ist da vor allen Dingen noch die Frage des Art. IX aufgeworfen worden. Sehen Sie, der Art. IX wird meiner Ansicht nach in seiner Tragweite nicht vollständig gewürdigt, wenn man nur darauf sieht, was die Bevölkerung an der Saar selbst an Verantwortung zur Entscheidung für oder gegen die friedensvertragliche Regelung aufzubringen hat.
Es geht ja noch etwas vorweg, nämlich die frei verhandelte Annahme der Regelung durch eine freie gesamtdeutsche Regierung, dann die Zustimmung des gesamtdeutschen Parlaments zu dieser Regelung. Erst dann geht die Frage an die Bevölkerung an der Saar. Es wird also nicht etwa - das möchte ich hier eindeutig feststellen - ein Volksabstimmungsrecht auf Separation eingeräumt, sondern zur Abstimmung gestellt wird eine Frage oder auch eine Alternative, der das deutsche Gesamtvolk, ein deutsches Gesamtparlament zugestimmt haben. Angesichts dieser Tatsache glaube ich nicht, daß man die Einräumung dieser zweiten Volksabstimmung als einen Rückschritt bezeichnen darf.
Noch ein Wort zu dem Art. 23 des Grundgesetzes, der in seinem zweiten Satz lautet:
In anderen Teilen Deutschlands ist es - ich ergänze: das Grundgesetz nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.
Nun wird gesagt, dieses Statut mache die Anwendung des Art. 23 des Grundgesetzes unmöglich. Erstens bleibt natürlich zweifelhaft, was die Verfassung unter „anderen Teilen" versteht,
({3})
ob dazu das Statut eines Landes notwendig ist oder ob man auch andere Gebietseinheiten, deren Bevölkerung diesen Beitritt vollziehen wollen, darunter fassen kann. Eingeräumt, dies letztere sei richtig - dazu gehören natürlich Organe, die für eine Bevölkerung handeln können -, dann würde ich ganz offen sagen: Warum soll nicht der Landtag in Saarbrücken, wenn er ordnungsgemäß gewählt ist, den verfassungsmäßigen Beschluß fassen können: Auch für uns an der Saar gilt das Grundgesetz? Ich sehe keinen Hinderungsgrund, daß ein solcher Beschluß vom Landtag gefaßt werden würde - natürlich vorbehaltlich des Statuts, das in Geltung bleibt. Aber wenn ein Landtag sagen würde: „Auch bei uns gilt das Grundgesetz der Bundesrepublik, weil es die deutsche Verfassung ist", wäre das natürlich ein erheblicher Fortschritt. Nur kann ein solcher Beschluß nicht das Statut abändern, aber er kann nach meiner Auffassung durchaus gefaßt werden und wäre ein nicht unerhebliches Präjudiz für die Zukunft und für die Regelung der Frage im Friedensvertrag.
Hier ist die Behauptung aufgestellt worden, man könne einem solchen Vertrag nicht zustimmen, weil zwischen den beiden Partnern Uneinigkeit darüber bestehe, was sie mit dem Vertrag erreichen wollten. Natürlich besteht Uneinigkeit darüber. Frankreich will etwas ganz anderes erreichen, als was wir erreichen wollen. Aber das ist ja auch nicht Inhalt dieses Vertrags, sondern sein Inhalt ist, ein Kompromiß, eine Basis für ein Provisorium zu schaffen, das es zuläßt, zu einer endgültigen Regelung zu kommen, die sich .als eine wirkliche Verständigung zwischen diesen beiden Partnern ausnimmt. Es ist also für mich gar kein überzeugendes
({4})
I Argument, daß etwa der eine unter dem Endzweck des Vertrags etwas ganz anderes herbeiwünscht als der andere. So schnell sind wir leider auch durch diese Schwierigkeit nicht hindurch.
Eines ist uns, meinen Freunden, vollkommen klar, so wie die Dinge liegen: Es ist natürlich kein juristisches, aber es ist ein politisches Junktim, eine politische Verbindung zwischen der Annahme dieses Abkommens und dem Pariser Vertragswerk nun einmal gegeben. Das Abkommen kann auch uns, meine Freunde und, ich glaube, wohl alle, die hier im Hause sitzen, nicht voll befriedigen. Es erfüllt uns mit tiefer innerer Sorge, daß -damit ein Streit nicht aus der Welt gebracht werde, ja, daß bei einer unrichtigen Anwendung, bei einer Anwendung wider Treu und Glauben der Streit sogar noch größer werden kann. Alle diese Gedanken werden bei gewissenhafter Prüfung auch von uns geteilt. Wir sind uns aber darüber im klaren, daß ein Nein zu diesem Abkommen ein Nein zu den Pariser Verträgen ist, daß also, wer die Verantwortung auf sich nimmt, dazu nein zu sagen, so, wie die Dinge liegen, auch die Verantwortung auf sich zu nehmen gewillt ist, das Ganze scheitern zu lassen.
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Das ist, meine Damen und Herren, eine Gewissensfrage. Der Herr Bundeskanzler war bereit, in Paris, wenn Frankreich auf seiner Forderung bestanden hätte, ein Abtrennungsstatut definitiv zu machen, daran alles scheitern zu lassen, und er hat uns gefragt: „Nehmt ihr die Verantwortung dafür mit auf euch?" Diese Grenze mußte nicht eingehalten werden; Frankreich hat auf die Forderung der Definitivität dieses Statuts verzichtet. Und da muß ich Ihnen ganz offen sagen: es gehört schon eine erhebliche Gewissensakrobatik dann dazu, um irgendwelcher Prinzipien willen ein anderes Prinzip, nämlich das der Verständigung auf höherer Ebene, im Interesse der Freiheit und des Friedens, aufs Spiel zu setzen.
({6})
Ich weiß nicht, wo hier die echte Rangfolge der Prinzipien liegt.
Meine Damen und Herren, mir steht es nicht zu, in Gewissensfragen irgend jemandem Vorschriften zu machen. Man nimmt Verantwortungen auf sich oder läßt es eben bleiben. Ich spreche für meine Freunde, die diese Frage alle gleich ansehen. Sie wissen, welche Verantwortung sie mit ihrem Ja oder mit ihrem Nein übernehmen, welche Wertung sie in den Prinzipien, für die sie stimmen, einnehmen. Die Abstimmung ist in unserer Fraktion, wie das unsere Übung ist bei allen Fragen, die mit Gewissens- und Verantwortungsdingen zusammenhängen, völlig frei. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen zu sagen - und das ist auch nicht mein Recht meinen Kollegen gegenüber -, wer von ihnen das eine oder das andere tut. Aber unsere Verantwortung sehen wir klar, völlig klar, auch die Kollegen, die sich nicht damit abfinden können, die eine andere Rangfolge der Prinzipien gewahrt wissen wollen. Sie werden nach ihrem Gewissen entscheiden. Meine Fraktion aber ist der Auffassung - auch das ist die Auffassung von uns allen -, daß das Gesamtvertragswerk, das heißt, die europäische Verständigung in letzter Stunde, nicht scheitern darf.
({7})
Und eines zum Schluß. Wir tragen Verantwortung für eine Bevölkerung, für eine deutsche Bevölkerung. Ich möchte das hinüberrufen über die Grenze, wenn es nicht als Anmaßung empfunden wird: Wir alle fühlen uns für das Schicksal dieser Millionen deutscher Menschen an der Saar verantwortlich. Wir werden jeden Weg zu gehen versuchen, um auf wirtschaftlichem Wege, im Wege des Kredits, im Wege der echten Hilfe, der echten inneren Verständigung und auch im Interesse des Friedens, den diese Bevölkerung mit Frankreich haben muß, eines Friedens zwischen Deutschland und Frankreich und für die Saar, ihrem Wohl zu dienen und sie nicht mehr länger Zankapfel des Streits zwischen zwei Nationen sein zu lassen, ihnen zu helfen, wo wir nur können.
Ein kleines Wort zum Schluß. Ich habe heute bei der Debatte manchmal das Gefühl gehabt, als ob das richtige Maß der Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal nicht eingehalten worden wäre.
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Wir Deutschen haben ein Schicksal erlebt, das ziemlich einmalig in der Geschichte ist, eine völlige Vernichtung, nicht nur eine debellatio im völkerrechtlichen Sinne. Ich will nicht sagen, daß ich nun eine besondere Dankadresse an die Westmächte abgeben möchte, obwohl da auch mancher Grund zu ganz realer Dankbarkeit gegeben ist; aber das würde ich nicht für angemessen halten in dieser Stunde. Ich empfinde aber doch große Dankbarkeit vor dem Schicksal, daß wir nach sechs Jahren überhaupt wieder für uns reden und Verantwortung für uns übernehmen können. Das sollten wir doch auch in dieser Stunde uns klarmachen.
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Es geht nicht mehr weiter in den ausgefahrenen Gleisen des vergangenen Jahrhunderts. Wir müssen den Mut zur Verantwortung finden, einen Streit aus der Welt zu bringen und uns verständigen zu wollen, so wenig verständigungsbereit auch der andere sein mag, damit in dieser europäischen Welt wirklich die Prinzipien der Freiheit, des Friedens und der Stabilisierung eines Lebens der Menschenwürde aufgebaut werden können. Es ist, glaube ich, die letzte Stunde, und da sollten wir einmal den Mut haben, auch vor der Bevölkerung Verantwortung auf uns zu nehmen in Dingen, in denen sich zunächst Empörung und Verbitterung breitmacht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte, daß ich nach den pathetischen Schlußworten des Herrn Kollegen v o n Merk a tz wieder sehr nüchtern werde; denn wir werden dieses Abkommen und diese Lage mit großer Nüchternheit zu prüfen haben. Ich muß mich deshalb auch dagegen wehren, daß Herr Kollege von Merkatz, wie andere vor ihm, es als ein bedeutungsvolles Ereignis gefeiert hat, daß man in Paris dem Ansinnen, endgültig auf die Saar zu verzichten, nicht Folge geleistet habe. Herr von Merkatz, Sie wissen genau so gut wie ich und wie
({0})
alle hier im Hause, daß Bundestag und Bundesregierung weder befugt noch in der Lage sind, einen solchen Verzicht auszusprechen.
({1})
Aber was mich veranlaßt, idas Wort zu ergreifen, sind die Ausführungen, die ,der Herr Bundeskanzler heute vor der Mittagspause in Erwiderung auf Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Max Becker gemacht hat. Der Herr Bundeskanzler hat von einer Zusage der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens aus dem Jahre 1947 gesprochen, daß diese beiden Staaten als solche die Forderungen Frankreichs hinsichtlich der Saar unterstützen würden. Der Herr Bundeskanzler hat dazu ausgeführt, durch dieses Abkommen sei es gelungen, jene Zusagen gegenstandslos zu machen; es sei ihm von zuständiger Stelle eröffnet oder bestätigt worden, daß die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien ihre Zusagen - wenn es solche Zusagen gab, füge ich ein - als durch das Saarstatut erledigt betrachteten. Meine Damen und Herren, es ist ungeheuer gefährlich, von solchen Zusagen zu sprechen; aber da die Rede auf diese Zusagen gekommen ist, so müssen wir uns damit auseinandersetzen und müssen vor allen Dingen eins sehen: Wenn es solche Zusagen irgendwie rechtsverbindlich oder gar völkerrechtsverbindlich geben sollte, so müßte jedermann unter uns klar sein, daß aus solchen Zusagen nur der Empfänger der Zusagen - und das ware die Französische Republik - die zusagenden Staaten entlassen könnte.
({2})
Ich bitte das zu bedenken, und ich bitte jetzt einmal klar zu sehen, was dazu in Frankreich gesagt worden ist.
In der amtlichen Begründung der französischen Regierung zum Saarabkommen vom 7. Dezember 1954 ist folgendes ausgeführt - ich darf diesen Absatz mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen -:
Es ist selbstverständlich, daß die französische Regierung bei den Verhandlungen über den Friedensvertrag, der in letzter Instanz die Gebietsgrenzen Deutschlands festsetzt und dessen auf die Saar bezügliche Bestimmungen der Saarbevölkerung zur Annahme unterbreitet werden, die Bestätigung dieses Statuts verlangen wird. Im Laufe der Verhandlungen wird die französische Regierung die Unterstützung der britischen und der amerikanischen Regierung gemäß den ausdrücklichen Zusicherungen in Anspruch nehmen, die ihr von diesen Regierungen schon am 10. April 1947 gegeben und seither erneut bestätigt worden sind.
({3})
Meine Damen und Herren, in der Assemblée nationale hat dann als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses der Abgeordnete Jacques Vendroux dazu gesagt:
. . . haben wir
- führte er aus im Gegenteil keinerlei Grund, die früher eingegangenen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten der Vergessenheit anheimfallen oder unbeachtet zu lassen, die viel weiter gehen als diese vorübergehende Garantie.
Ist es wirklich nötig,
- sagte Herr Vendroux noch einmal zu wiederholen, daß im Jahre 1946 Mr. Bevin und Mr. Byrnes und im Jahr 1947 General Marshall die Begründetheit des französischen Standpunkts anerkannt und für ihre Länder Verpflichtungen übernommen haben,
({4})
die 1950 erneut bekräftigt wurden? Worin bestehen diese Verpflichtungen?
- So fragt Herr Vendroux. Bei der Friedensverhandlung den französischen Standpunkt zu unterstützen!
Der französische Ministerpräsident jener Tage, Herr Mendès-France, hat am 23. Dezember 1954 in der dritten Sitzung der französischen Nationalversammlung dazu ausgeführt:
Die französische These ist,
- sagt Herr Mendès-France daß das jetzt vereinbarte Abkommen einfach in den Friedensvertrag zu übernehmen ist und ein integrierender Bestandteil dieses Friedensververtrages werden soll und daß die französische Regierung auf Grund der von unseren Alliierten von 1947 bis 1950 eingegangenen Verpflichtungen diese bitten wird, unsere Ansicht zu unterstützen, wenn der Friedensvertrag tatsächlich zur Verhandlung steht.
Ich muß wiederholen,
- sagt Monsieur Mendès-France damit man weder in diesem Lande noch im Ausland irgendein Mißverständnis darüber hat, daß die französische Regierung zu gegebener Zeit verlangen wird, daß die Bestimmungen des saarländischen Statuts in den Friedensvertrag ohne jede Änderung aufgenommen werden, und daß sie sich an keinem Friedensvertrag beteiligen wird, der nicht diese Forderung erfüllt.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Nein, ich gestatte keine Frage. - Ich stehe für Fragen am Schluß meiner Ausführungen zur Verfügung.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist das Recht eines jeden Redners, Fragen abzulehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir stehen also vor folgender Lage. Der Herr Bundeskanzler hat dem Bundestag heute vormittag eröffnet, durch das Saarstatut würden jene Zusagen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens gegenstandslos und das sei ihm von zuständiger Seite bestätigt worden. Der französische Ministerpräsident hat vor seinem Parlament in Übereinstimmung mit dem Berichterstatter der Nationalversammlung und mit der amtlichen Begründung der französischen Regierung zum Saarstatut gesagt, daß das Saarstatut überhaupt gewissermaßen der Anlaufspunkt sei für das Inanspruch({0})
I nehmen der Zusagen Amerikas und Englands, die sogar von Herrn Vendroux als Verpflichtungen der Länder bezeichnet wurden. Wir stehen also zunächst einmal vor der Lage, daß eine der beiden Regierungen sich im Irrtum befinden muß;
({1})
denn beide können in diesem Punkt nicht recht haben. Und wir stehen vor der Lage, daß eines der beiden Parlamente sich irren muß; denn eines der beiden muß von falschen Voraussetzungen ausgehen, falls es dem Saarstatut zustimmen sollte.
Das verpflichtet uns, uns auch noch einmal genauer mit dem zu beschäftigen, was hier als „Zusagen" bezeichnet worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat uns ja heute vormittag als den großen Erfolg des Saarstatuts geschildert, daß man jene Zusagen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika durch das Saarabkommen gegenstandslos gemacht habe. Ich möchte vorweg mein Ergebnis sagen: rechtsverbindliche Zusagen der Art, daß diese beiden Staaten als solche verpflichtet wären, den französischen Saarstandpunkt bei Friedensverhandlungen zu unterstützen, gab es nie und gibt es nicht. Das ist für uns ein sehr wesentlicher Ausgangspunkt, aber das entzieht auch der Argumentation des Herrn Bundeskanzlers eigentlich die entscheidende Grundlage. Wenn der Herr Bundeskanzler heute unserem Kollegen Dr. Max Becker die Frage vorgelegt hat: „Sind Sie ein Anwalt des Herrn Hoffmann?", so muß ich für uns alle diese Frage jetzt aufnehmen und Sie fragen: Haben wir Veranlassung, uns zu Anwälten der französischen These zu machen, daß es solche verbindlichen Zusicherungen gibt?
({2})
Diese Veranlassung haben wir nicht. Wir haben vielmehr die Veranlassung, klarzustellen, daß es solche Zusagen in einer rechtsverbindlichen Weise nicht gibt. Was ist vielmehr die Wahrheit? Die Wahrheit ist ganz anders. Die Wahrheit ist so, daß es im Laufe der Nachkriegsentwicklung Äußerungen jeweiliger amerikanischer und britischer Außenminister für ihre Regierungen über ihre Verhaltensweisen gegeben hat, politische Aussagen über die Politik ihrer jeweiligen Regierung. Und da sind in der Tat beträchtliche Erklärungen abgegeben worden, die zu ihrer Zeit auf eine Unterstützung des französischen Standpunktes hinausliefen, durch die aber nicht die Länder als solche engagiert worden sind. Das ist in Amerika schon deshalb gar nicht möglich, weil es ohne eine Zustimmung des amerikanischen Senats nach der amerikanischen Verfassung gar nicht anginge, die Vereinigten Staaten darauf festzulegen, daß sie die Verpflichtung hätten, in einem Friedensvertrage einen bestimmten französischen Standpunkt zu unterstützen.
Von den Vereinigten Staaten aus sind durch die Außenminister Byrnes, Marshall und Acheson Erklärungen für ihre Regierungen abgegeben worden, sie hätten den Standpunkt eingenommen, daß sie die französische Position vertreten und vertreten werden. Aber das ist nach amerikanischem Recht und nach Völkerrecht keine Bindung irgendeiner nachfolgenden Regierung oder gar des Staates als solchen. Es ist sehr wesentlich, daß Mr. Marshall als amerikanischer Außenminister am 10. April 1947 in Moskau dazu folgendes gesagt hat:
Die Frage der endgültigen Trennung des Saargebiets von Deutschland und die endgültige Festlegung seiner Grenzen müssen in der deutschen Friedensregelung entschieden werden, innerhalb
der auch zahlreiche Einzelfragen hinsichtlich der Eigentumsrechte, der Schulden usw. ihre Regelung finden müssen.
Ähnliches hat der damalige britische Außenminister Bevin gesagt, der auf der Moskauer Konferenz zwar ausgeführt hat - wenn ich das eben wörtlich zitieren darf -:
So unlogisch es auch auf den ersten Blick erscheinen mag, wenn man sich an die britische Haltung in der Ruhr- und Rheinfrage erinnert, so bin ich dennoch der Meinung,
- so bin i c h dennoch der Meinung! daß die Saar von Deutschland abgetrennt werden soll, und zwar in der Form, wie es die französische Delegation vorschlägt. Es wird nur notwendig sein, die Grenzen genau festzustellen und eine Berichtigung des französischen Reparationsanspruchs vorzunehmen. Unter diesen Bedingungen ist die britische Delegation bereit, den französischen Standpunkt zu unterstützen.
Das ist ein politischer Standpunkt der britischen
Delegation auf der Moskauer Konferenz, den sie als
die Politik ihrer konkret im Amt befindlichen Regierung erklärt hat und von dem sie außerdem gesagt
hat, daß er an gewisse Voraussetzungen geknüpft
sei.
Darüber hat sich dann Mr. Bevin als Außenminister vor dem Unterhaus am 11. Juni 1947 noch sehr viel klarer ausgedrückt, in dem er dort ausgeführt hat:
Unter diesen Umständen habe ich die französische Regierung davon unterrichtet, daß - immer vorbehaltlich der Entscheidungen in einer endgültigen Friedensregelung und vorbehaltlich einer befriedigenden Vereinbarung über eine Berichtigung der französischen Reparationsforderungen, die dem Werte der Saar Rechnung trägt - die Regierung Sr. Majestät keine Bedenken gegen die jetzt vorgeschlagenen Saargrenzen erhebt, auch nicht gegen die französische Absicht, ihren Plan, innerhalb der so bezeichneten Grenzen der Saar eine neue Währung an Stelle der deutschen Mark einzuführen, weiter zu verfolgen.
Also sowohl die amerikanischen Außenminister als der britische Außenminister haben stets den Vorbehalt des Friedensvertrags gemacht und haben Erklärungen nur politischer Art abgegeben über die Zielsetzungen ihrer konkreten Regierungen. Aber irgendeine rechtsverbindliche Zusage der Staaten als solcher, Zusagen der Art, daß daran auch künftige Regierungen Großbritanniens oder der Vereinigten Staaten gebunden wären, sind nie gegeben, konnten nicht gegeben werden und hätten in Amerika auch der Zustimmung des Senats bedurft. Es ist für uns von ganz entscheidender Wichtigkeit, diesen Punkt klarzustellen. Er entzieht wesentlichen Gedankengängen des Herrn Bundeskanzlers nach meiner Überzeugung die Grundlage.
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Nun erlauben Sie mir noch ein letztes Wort mehr allgemeiner Art, in dem ich darauf zurückkommen darf, was der Herr Kollege Lenz heute morgen gesagt hat. Das veranlaßt mich zu einer grundsätzlichen Bemerkung. Meine Damen und Herren, das Gespräch zwischen uns, das schon sehr lahm ist - und die Debatte zeigt es -, wird nicht dadurch gefördert, daß man sich als Gegner einen Popanz erfindet und diesen Popanz dann bekämpft. Das geschieht aber fortgesetzt, indem man z. B. so tut,
({4})
als ob es eine Gruppe gäbe, die die Einheit Deutschlands ohne Freiheit anstrebt, und eine andere, für die die Freiheit unverzichtbar ist. Wozu solche Ausführungen?
Wir wissen doch alle - und das sage ich zu Herrn von Merkatz -, daß die Freiheit für jeden, der hier im Hause sitzt, unverzichtbar ist. Also diese Polemiken gegen Popanzgegner haben keinen Sinn.
So ist es auch in der Saarfrage, daß da die unechte Frage erfunden wird, ob provisorisch oder definitiv, und indem so getan wird, als ob es einen Popanzgegner gäbe, der ein juristisches Definitiv-Sein schon dieses Statuts behauptet. Den gibt es nicht. Den hat es nie gegeben. Also Sie kämpfen immer absichtlich gegen irgendwelche Windmühlenflügel, anstatt sich mit uns auseinanderzusetzen.
({5})
Hier geht es darum: durch das Statut und durch das Abkommen werden freiwillig und vertraglich neue Rechtstatsachen geschaffen,
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Rechtstatsachen, die einen einseitigen Machtzustand wenigstens in einem erheblichen Grade legalisieren. Es ist etwas ganz anderes, ob eine Besatzungsmacht einseitig Gewalt übt, oder ob wir von uns aus die Hand dazu bieten, einen solchen Zustand als einen auch von uns gewollten vertraglich gelten zu lassen.
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Durch das Setzen solcher Rechtstatsachen erschwert man die Lage einer gesamtdeutschen Regierung, weil man es ihr zuschiebt, diese Rechtstatsachen wieder rückgängig machen zu müssen, weil man ihr jetzt gewissermaßen die Aufgabe zuschiebt, bei den Friedensvertragsverhandlungen eine Reannexion der Saar verlangen zu müssen und dadurch alle schlummernden Geister und den großen Argwohn der Welt zu wecken, daß die Deutschen doch nie mit dem zufrieden seien, was sie an Gebiet und Bestand hätten. Das ist es, was hier an neuen Fakten mit einer Wirkung geschaffen wird, die die Lage einer gesamtdeutschen Regierung in einer unzumutbaren und mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Weise erschwert.
Dann muß ich Herrn Kollegen von Merkatz eins sagen. Herr von Merkatz, wir alle sollten ein Interesse daran haben, das Grundgesetz so ernst zu nehmen, wie es einst vom Parlamentarischen Rat gemeint war. Ich weiß, das ist in Deutschland nicht immer beliebt. Dazu gehört auch der Art. 23. Man sollte deshalb diesen Artikel nicht in der Weise aufweichen, daß man, weil er Ihnen unbequem ist, sagt, es sei zweifelhaft, was damit gemeint sei. Als ob es sich dabei um eine irgendwie fragwürdige Bestimmung handelte! Es kann doch schließlich keinen schlichteren Wortlaut geben als den, daß das Grundgesetz sagt: Jeder Teil Deutschlands kann dieser Ordnung beitreten, kann dieses Grundgesetz auf sein Gebiet erstrecken. Was unter Deutschland gemeint war, das ist doch dem Parlamentarischen Rat ganz bestimmt nicht zweifelhaft gewesen.
({8})
Daß das Saargebiet zu Deutschland als Staat gehört, das haben der 1. und der 2. Bundestag wiederholt einstimmig ausgesprochen. Also wozu dann jetzt eine solche Vorschrift, die so schlicht und so klar ist, aufweichen, und wozu dann jetzt sagen: Es gibt doch keinen Hinderungsgrund für einen freigewählten Saarlandtag, zu sagen, das Grundgesetz gelte auch im Saargebiet? Das ändere dann allerdings, so haben Sie gemeint, nichts am Statut. Herr von Merkatz, das ist doch diese Gewissensakrobatik, von der Sie gesprochen haben;
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denn das Grundgesetz auf sich ausdehnen, heißt doch vor allen Dingen, das Recht der Selbstregierung in Anspruch zu nehmen mit der Befugnis, zum Bundestage wählen zu können und sich an der Bildung einer Bundesregierung zu beteiligen! Aber das ist nach dem Statut nicht möglich.
({10})
Deswegen verstößt das Statut eben gegen Art. 23.
Es verstößt noch aus einem anderen Grunde gegen das Grundgesetz. Der Grundgesetzgeber stellt sich in Art. 146 vor, daß es dermaleinst - wie wir alle hoffen, recht bald - zur freien Wahl zu einer deut-. schen Nationalversammlung kommt. Aber unter dem Statut, wenn dieses Haus das Abkommen bestätigt, schließen Sie eine Million Deutsche grundgesetzwidrig davon aus, ihr Recht geltend zu machen, an der Wahl zu dieser Nationalversammlung mit teilzunehmen.
({11})
Meine Damen und Herren, das sind die Ausführungen, die ich zu machen hatte. Ich glaube nicht, daß ich dabei die Wirklichkeit vergesse, Herr Kollege Lenz. Die Wirklichkeit sieht eben in mancher Hinsicht in meinen Augen und in meinen Überzeugungen anders aus als in den Ihren.
Wenn Sie nun noch, Herr Kollege Haasler, eine Frage haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Herr Kollege Arndt, drei Fragen; denn mit einer ist es jetzt nicht mehr getan. - Ich weiß nicht, inwieweit Sie es auch als Parallele zum Verhalten des Herrn Bundeskanzlers empfinden, mein Anliegen, drei Fragen zu beantworten, abzulehnen.
Nein, ich habe überhaupt keine Parallele mit dem Herrn Bundeskanzler.
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Parallelen gehen in der gleichen Richtung, und der Herr Bundeskanzler und ich, wir gehen in verschiedener Richtung.
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Nun, gewisse Äußerlichkeiten kann man sich abgucken, Herr Arndt.
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Das liegt mehr bei der Koalition als bei der Opposition.
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Darf ich drei Fragen stellen? Dr. Arndt ({0}): Bitte schön!
Herr Kollege Arndt, es ist Ihnen doch sicherlich bekannt, daß man unser öffentliches Leben und politische Vorgänge nicht einfach in die beiden Formeln: „Hie rechtsverbindliche Zusagen und hie unverbindliche Erklärun({0})
gen" hineinpressen kann. Dazwischen gibt es sicherlich noch etwas anderes, z. B. die Übernahme einer bestimmten moralischen Verpflichtung. Haben Sie nicht den Eindruck, daß es sich bei den Zusagen der angelsächsischen Mächte an Frankreich um so etwas Ähnliches gehandelt haben könnte?
Nein, Herr Kollege Haasler, ich habe den Eindruck, daß diese Mächte sowohl in Moskau als auch sonst eine sehr handfeste Politik in ihrem eigenen Interesse und keine Moral gemacht haben, und ich habe den Eindruck, daß die damaligen politischen Erklärungen den eigenen Interessen dieser Mächte entsprachen.
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Sicherlich gibt es gewisse politische Aussagen über die Ziele jener Regierungen; aber ich warne Sie doch davor, daß wir auf den Boden treten, das seien Rechtsverbindlichkeiten jener Staaten.
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Herr Kollege Arndt, darf ich zur zweiten Frage kommen. Haben Sie den Eindruck, daß Frankreich diese Dinge auch als unverbindliche Zusagen aufgefaßt hat, man werde ihm, gelegentlich einmal helfen?
Nein, ich habe den Eindruck, daß sich in der französischen Nationalversammlung und bei der französischen Regierung die Vorstellung zeigt, daß es sich um Rechtsverbindlichkeiten der angelsächsischen Mächte handelt. Gerade diese
Vorstellung halte ich für überaus gefährlich.
Herr Kollege Arndt, Sie haben uns vorgetragen, daß Sie von der Erneuerung des damaligen Versprechens Kenntnis hätten, und zwar nannten Sie einmal das Datum des Jahres 1950. Ich entnahm aber aus Ihren Ausführungen, daß mehrfach eine solche Erneuerung des angelsächsischen Versprechens von Frankreich nachgesucht und gewährt worden ist. Wußten Sie, daß das letzte Ansinnen, dieses Versprechen zu erneuern, nicht mehr positiv beantwortet worden ist, oder wußten Sie das nicht?
Herr Kollege, Sie bringen mich auf einen sehr wichtigen Punkt - ich bin Ihnen dankbar -, einen Punkt, den ich auch behandeln wollte. Zunächst liegt ein Irrtum auf Ihrer Seite insoweit vor, als ich nicht von meiner Kenntnis der Erneuerung jener politischen Erklärungen gesprochen habe, sondern ich habe insoweit ja zitiert, was Herr Mendès-France und Herr Vendroux gesagt haben, nicht, was ich darüber meine. Aber Sie haben sehr recht, daß Sie es auf diesen Punkt bringen. In der Londoner Schlußakte nämlich haben sich die beiden angelsächsischen Mächte von den französischen Saarwünschen distanziert. Das ist außerordentlich wichtig.
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- Ja, Herr Kollege Pelster, aber vor Paris und vor Abschluß des Saarabkommens! Das ist doch das Entscheidende daran. In der Londoner Schlußakte finden Sie nichts über die Saar.
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Habe ich Ihre Frage beantwortet, Herr Kollege Haasler?
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- Ich danke auch.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für Deutsche von der Saar, die in diesem Hause sind, ist es zunächst trotz aller Widersprüche und Gegensätze, die hier in dieser Saardebatte offenkundig werden, ein beruhigendes Gefühl, eine Übereinstimmung des Hauses in der grundsätzlichen Angelegenheit festzustellen, daß durch das Abkommen zum Statut der Saar die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland und der Saarbevölkerung zum deutschen Volke nicht berührt wird. Das ist ja auch in der Londoner Schlußakte vom 3. Oktober 1954 erneut als Grundsatz anerkannt worden, daß nämlich die Grenzen Deutschlands vom 31. Dezember 1937 erst durch den Friedensvertrag geregelt werden können. Weiterhin ist übereinstimmend hier in diesem Hause zum Ausdruck gebracht worden, der Bundestag erwarte, daß, wie im Art. VI des Abkommens vorgesehen, die volle Freiheit der politischen Meinungsäußerung und die ungehinderte politische Betätigung von Parteien, Vereinen und Presse im Saargebiet hergestellt werden und aufrechterhalten bleiben, so daß sie weder vor noch nach der im Art. I des Abkommens vorgesehenen Volksabstimmung aus politischen Gründen verboten oder in ihrer Tätigkeit beschränkt werden dürfen, es sei denn, daß sie - das ist auch von den Sprechern der Sozialdemokratischen Partei in Erinnerung gerufen worden - darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
Diese in diesem Hause in völliger Einmütigkeit getroffenen Feststellungen sollten es auch denen, die, wie ich zugebe, völlig berechtigt schwerste Bedenken gegen Einzelheiten dieses Saarabkommens haben, doch möglich machen, die Rangordnung in der politischen Bedeutung zwischen der gesamteuropäischen Situation und der Notwendigkeit der gemeinsamen Verteidigung als dem vorberechtigten Ziel und der provisorischen Regelung der Saarfrage als dem sekundären Ziel zu erkennen.
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Ich darf wohl als ein Deutscher aus dem Saargebiet, der nunmehr seit acht Jahren im Bundesgebiet - nachdem ihm die Heimkehr in das Saargebiet nach der Kriegsgefangenschaft verwehrt worden ist - sich um die Saarfrage und um das Wachhalten der gesamtdeutschen Verantwortung auch für die Saarbevölkerung. bemüht hat, einmal mit Dank auch hier feststellen, welcher Beitrag hier von allen politischen Gruppen zu diesem Ziel geleistet worden ist. Wir sollten aber, wenn wir diesen Beitrag nun wirklich realisieren wollen, doch erkennen, daß die Realisierung unseres Zieles der politischen Freiheiten der Saarbevölkerung und der freien Entscheidung der Saarbevölkerung für Deutschland nur im Rahmen unserer gesamteuropäischen Politik möglich ist. Ich sehe keinen anderen Weg. der Saarbevölkerung zu Hilfe zu kommen, als auf dem Wege über Europa und eine europäische Regelung. wie dies im übrigen auch von den verschiedensten politischen Gruppen seit
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Jahren herausgestellt worden ist. Ich darf daran erinnern, daß das frühere Deutsche Büro für Friedensfragen unter dem Vorsitz des früheren Staatssekretärs Dr. Eberhard von Anfang an nur den Weg einer europäischen Regelung der Saarfrage als eines Interims bis zum Friedensvertrag herausgestellt hat, und ich darf weiterhin daran erinnern, daß eine der ersten politischen Oppositionsgruppen an der Saar, die Demokratische Partei Saar, die DPS, ja schon 1951 in ihrem Programm eine europäische Interimsregelung der Saarfrage bis zum Friedensvertrag verlangt hat.
Meine Damen und Herren! Ich darf um etwas mehr Ruhe und um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner bitten.
Ich glaube, daß hier auch noch an die verschiedenen Vorschläge erinnert werden muß, die die DPS Ende 1953 zu einer provisorischen europäischen Regelung der Saarfrage gemacht hat. Sie hat nämlich damals jene Punkte als Programm herausgestellt, gegen die sich der Ministerpräsident Hoffmann und seine - Kumpane, möchte man beinahe sagen, wenn der Ausdruck parlamentarisch gestattet wäre - gewandt und derentwegen sie die Demokratische Partei Saar verboten haben. Das, was heute von Herrn Hoffmann als sein politisches Programm der europäischen Regelung herausgestellt wird, war nämlich das Programm der DPS 1951, dessentwegen die gleiche Partei damals verboten wurde.
Aber es scheint mir hier doch wichtig zu sein, festzuhalten, daß wichtige Punkte dieses Programms einer europäischen Regelung in das Saarabkommen, wie es jetzt vorliegt, Eingang gefunden I haben, nämlich die Entpolitisierung bis zum Friedensvertrag, die Unterstellung des Gebiets unter eine treuhänderische, kommissarische Verwaltung, eine Schiedsinstanz in Form eines besonderen Organs des Europarats, die Herstellung der politischen Freiheiten unter dem ausgesprochenen Verzicht auf Rückgliederungspropaganda, weiterhin eine Verpflichtung nicht nur Frankreichs, sondern auch Deutschlands, d. h. der Bundesrepublik, sich nicht in die inneren Verhältnisse des Saargebiets mit kultureller oder politischer Propaganda einzumischen. Weiterhin waren in diesem Programm die verschiedenen Maßnahmen zu einer schrittweisen Herstellung gleicher wirtschaftlicher Beziehungen für das Saargebiet auch gegenüber der Bundesrepublik, wie sie im Verhältnis zu Frankreich bestehen, vorgesehen.
Wir sind uns völlig klar darüber, daß, wenn auch eine Übereinstimmung derartiger Punkte in dem jetzigen Saarabkommen festgestellt werden kann, man selbstverständlich nur dann entscheiden kann, ob diese Regelung hier wirklich angestrebt wird, wenn der Geist, in dem dieses Saarabkommen angewandt wird, der wirkliche Geist der deutschfranzösischen Verständigung in der Saarfrage ist. Das Ziel jedenfalls, die Entpolitisierung, und damit auf der anderen Seite, auch der Saarbevölkerung wieder die Hoffnung zu geben, daß in einer definitiven Regelung die Deutscherhaltung auch sanktioniert wird, dieses Ziel wird nach meiner persönlichen Einstellung nicht durch das jetzige Saarabkommen gefährdet.
Ich weiß, wieviel Bedenken im einzelnen vorhanden sind, und ich glaube, jeder hier im Hause, der meine Bemühungen um die Saarfrage beobachtet hat, wird mir zugeben, daß ich immer gemahnt
und gewarnt habe vor einer allzu sorglosen Erwartung, daß sich irgendeine derartige Regelung automatisch dann auch zur deutschen Lösung entwikkeln werde. Worum es aber geht, ist doch nur, hier einmal den Fuß in eine Tür zu bringen, die wir bisher von keiner anderen Legitimation her haben öffnen können. Und daß diese Tür nun einmal geöffnet wird, das ist, glaube ich, der Gewinn in diesem Saarabkommen, der es uns erlaubt, trotz aller Bedenken im einzelnen dazu ja zu sagen.
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Ich glaube aber, und damit möchte ich schließen: so stark unsere Bedenken im einzelnen zu diesem Saarabkommen sein mögen, wir erkennen die Rangordnung in der politischen Bedeutung. Es gibt keine Saarlösung in unserem Sinne, wenn sie nicht auf dem Wege über die europäische Integration, d. h. nun über unsere heutige Europapolitik herbeigeführt wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Trittelvitz.
Meine Damen und Herren! Man sollte doch wohl den Eindruck haben, als ob dieses Abkommen, das vor uns liegt, ein Geschenk des Himmels wäre,
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und ich weiß nicht, ob nicht einer unserer Vorredner dem Schicksal dankte. Wir hörten, wie der Herr Bundeskanzler meinte, dieses Abkommen sei von einer Qualität, daß man es auch ohne alle anderen Verträge ratifizieren könne und daß es beinahe genau das sei, das wir brauchten, um einer Lösung des Saarproblems näherzukommen. Aber ich frage: Woher kommen denn dann jene Unruhe und jene Sorge, die nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen im Volk sind, und warum kommt es zu gewissen Formulierungen, die vielleicht nicht immer ganz korrekt sind, die uns aber doch in irgendeiner Form draußen öffentlich an unsere Verantwortung für Brüder, die auch im Westen in Not sind, zu erinnern vermögen?
Statt zu glauben, der Eindruck des Abkommens als Ganzes sei gut, wollen wir uns doch lieber fragen: Warum ratifizierte Pierre Mendès-France jenes Abkommen? Tat er es etwa, um die Saar wieder zu ihrem Mutterland heimzuführen? Warum jenes Junktim des französischen Kabinetts, durch das der französische Ministerpräsident in den Verhandlungen zwischen dem 22. und 23. Oktober 1954 gehalten und gebunden war? Doch ganz einfach deswegen, weil man die Saar; die man seit 1945 in Händen hatte, ohne die Zustimmung der Bundesrepublik sicher nicht mehr halten zu können glaubte, ohne die Zustimmung der einzigen frei gewählten deutschen Regierung zu einer Maßnahme, die keinerlei Rechtsgrundlagen hatte und die mit Mitteln der Besatzungsmacht zu dem unfreiesten Regime diesseits des Eisernen Vorhangs führte.
Bei diesem Saarunternehmen brauchte man endlich die deutsche Zustimmung zu einer Regelung, die dem bisherigen Zustand doch wirklich ähnlich ist. Man brauchte diese Zustimmung, um einen Einfluß auszuschalten, der von seiten Deutschlands, von seiten der Bundesrepublik auf die politische Meinungsbildung in jenem Gebiet ausgeübt werden könnte, auch wenn er im Augenblick noch so gering sein mag. Man brauchte jenen offiziellen,
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durch den Beschluß des Bundestages gedeckten Verzicht auf den Rechtsanspruch der Gebietshoheit Deutschlands auf jenes abgetrennte Gebiet, und wenn es nur auf Zeit und bis zu jenem Tage sein sollte, der den Friedensvertrag der Vier Mächte mit Gesamtdeutschland bringen würde. Das war Frankreich wichtig genug, um jene Forderung der Sicherung seiner Ansprüche auf jenes Gebiet zu stellen.
Die zweite Frage ist: Warum ratifizierte Hoffmann, und warum freute man sich in Saarbrücken und war der Jubel über jenes Abkommen so groß, das uns hier als durchaus tragbar und als der erste Schritt auf dem Wege der „Rückführung" der Saar dargestellt wird? Hoffmann ratifizierte jenes Abkommen, weil er weiß, daß sein Regime auf die Dauer politisch nicht bestehen kann, wenn ihm die formale Anerkennung und die de-facto-Anerkennung fehlt. Weil ihm die völkerrechtliche Legitimation fehlt, darum bedurfte er jenes Abkommens, das die Unterschrift der Bundesregierung tragen und die Zustimmung dieses Hauses haben soll.
Dieses Regime kann auf die Dauer aber auch wirtschaftlich nicht bestehen, weil man erkannt hat, daß die einseitige Bindung der Saarwirtschaft an einen Wirtschaftsraum im Westen nicht möglich ist und daß die Saar in einer solchen Bindung nicht leben kann, in der ihr die echte Partnerschaft versagt ist.
Politisch mußte Hoffmann zu einem Statut kommen, das den deutschen Anspruch auf die Saar zumindest auf Zeit ausschließt
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und das ihm die Legitimation gibt, sein unfreies Verhalten durch Verträge zu decken, um das fortzuführen, was in diesem Hause seit Bestehen des Deutschen Bundestages wiederholt deutlich genug - auch von Ihnen - gebrandmarkt worden ist.
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Nach Leistung jener Unterschrift wird er in der Lage sein, gleichberechtigter Partner in den politischen Gesprächen zu sein, und er wird damit den Protest, der von hier kommen könnte, auszuschließen vermögen, wenn er die Dinge so fortführt, wie er sie bis zum Tage des Inkrafttretens des Statuts zu praktizieren gedenkt. Er hätte bereits nach dem 23. Oktober bis zum heutigen Tag oft Gelegenheit gehabt, ein ganz klein wenig zu zeigen, ob er die Absicht hat, eine Änderung eintreten zu lassen in seinem Verhalten und eine Änderung in den Polizeimethoden politischen Meinungsäußerungen gegenüber. Er tat es nicht. Er verbietet weiterhin deutsche Zeitungen, die sich zu den Verhältnissen an der Saar äußern,
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er läßt Bundesdeutsche nicht sprechen, wenn sie in ihre Heimat kommen, um dort irgendwo unter Freunden zu sein, und er gedenkt dem „Übel", wie er es meint, in den Anfängen zu wehren, damit wir nur ja nicht auf die Idee kommen könnten, daß über den Zeitabschnitt hinaus, in dem die politische Freiheit auf Zeit gewährt wird, nämlich bis zur Volksabstimmung über die Billigung des Saarstatuts durch die saarländische Bevölkerung, nun demokratische, westlichen Demokratien eigene Zustände in jenem Lande einkehren.
Sie entschuldigen, wenn ich auf diese Dinge eingehe. Aber es ist nun so: wenn man sie am eigenen
Fell verspürt, ist das viel wichtiger, als wenn man es nur vom Hörensagen kennenlernt.
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Diese Dinge sind ernst genug, weil es so entscheidend darauf ankommt, ob wir bereit sind, zu dulden, daß das gleiche Regime, das die Mißbilligung dieses Hauses erfährt, in den Stand versetzt wird, weiterhin eine bestimmte Zeitlang die politische Meinungsbildung an der Saar zu lenken.
Dieses Statut, das da vor uns liegt, regelt die Situation genau so, wie Hoffmann und seine Freunde es sich wünschen; über den Rest kann man wohl streiten. Es wird dort nur so viel politische Freiheit geben, wie möglich ist, ohne dem Regime zu schaden. An wirtschaftlichen Dingen wird so viel geregelt, daß es der deutschen Wirtschaft gerade gestattet wird, jene Hilfen zu gewähren, die das Saarregime braucht, um weiterexistieren zu können, ohne sich dazu zu bekennen, daß die einseitige Bindung der Wirtschaft und der Industrie dieses Landes an Frankreich auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein wird.
Aber wie ist die Situation der deutschen politischen Parteien an der Saar, die einmal den Boden suchen und finden sollen für ihre politische Tätigkeit, die einmal eine gute Arbeit tun sollen bei den Wahlen und Abstimmungen, von denen in Art IX des Saarabkommens die Rede ist? Sie sollten doch eine breite Basis der Betätigung haben, und sie sollten in dem, was sie an freier Meinungsbildung an der Saar tun, nicht eingeschränkt sein. Zehn Jahre hat jenes Regime hinreichend Gelegenheit gehabt, sich ein Meinungsmonopol zu sichern. Wie könnte es den deutschen politischen Parteien möglich sein, ohne die ideelle Unterstützung, ohne eine Solidaritätserklärung dieses Hauses wirksam tätig zu sein und die Saarbevölkerung in wenigen Monaten auf den Weg demokratischer Meinungsbildung zu führen, den sie bisher nie hat gehen können?
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Vergessen wir doch nicht, daß die Menschen an der Saar bis 1918 unter dem System des Dreiklassenwahlrechts lebten, daß sie dann unter die Herrschaft eines Völkerbundregimes getreten sind und schließlich die zehn Jahre Hitlerdiktatur haben erleben dürfen, so daß sie, nachdem 1945 das Besatzungsregime und jene Institutionen folgten, die Ihnen bekannt sind, bis auf den heutigen Tag freies demokratisches Wesen nie haben kennenlernen dürfen und nie in der Lage gewesen sind, die politischen Zeiterscheinungen kritisch zu betrachten. Wie soll sich eine solche Bevölkerung angesichts der Haltung dieses Parlaments zu Deutschland bekennen? Soll sie sagen müssen, daß sie vielleicht deutscher sei als der Bundestag?
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Das ist doch die Frage, die sich uns dort unten stellt; das ist die Situation, vor die wir gestellt sind. Die Schwierigkeiten sind nicht materieller Art, die Schwierigkeiten sind ideeller Art: daß die Deutschen an der Saar das Gefühl bekommen könnten, aus der Solidarität dieses Hauses und der übrigen deutschen Menschen entlassen zu sein, daß auf sie eine Verantwortung gelegt worden ist, die zu tragen sie nicht stark genug sein könnten, wenn man ihnen alle Möglichkeiten und Chancen nimmt.
Sind wir bereit, dieses zu tun, auch wenn die deutschen Parteien an der Saar der Bundesregierung haben sagen müssen, daß dies ein Statut sei,
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ohne das sie besser würden arbeiten können, und daß sie die Unfreiheit jenes Regimes vorziehen, wenn nur der Rechtsstandpunkt der Deutschen Bundesrepublik auf jenes Gebiet gewahrt bleibt? Sie wissen, daß die dynamische Kraft, die der saarländischen Bevölkerung innewohnt und die in der saarländischen Wirtschaft lebt, die Saar zurückführen wird aus dem Zwangsregime, und sie wissen, daß es den politischen Kräften an der Saar möglich ist, einmal den Nachweis zu liefern, daß die Saar deutsches Land geblieben ist.
Durch das Statut und durch die Entscheidung dieses Hauses könnte die Haltung dieser Menschen einen harten Stoß bekommen; sie werden trotzdem das ihre tun und versuchen, sich zu bekennen, wie sie sich früher bekannt haben.
Das Statut, das man ihnen hier anbietet, ist schlechter als der gegenwärtige Zustand; es bietet wenig Chancen zu wirksamerer politischer Aktivität, weil dieses Regime die Opposition dann weiter unterdrücken wird. Vielmehr würden die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Saar und die Dynamik, die den Menschen an der Saar innewohnt, eher zu einer Beendigung des Regimes an der Saar führen, wenn es nur nicht die ausdrückliche Approbation dieses Bundestages als einziger frei gewählter Repräsentanz des deutschen Volkes bekäme.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, daß es eine Regierungsmehrheit und eine Opposition gibt. Daher stehen in einem demokratischen Parlament in der Regel These und Antithese einander gegenüber. Es gibt aber politische Anliegen eines Volkes, die den Wunsch, ja, wenn Sie wollen, sogar die Sehnsucht auslösen, daß die Hüter dieser demokratischen Spielregeln von These und Antithese einmal abweichen, ja daß es Ihnen gelingen möge, eine Synthese, d. h. einen gemeinsamen Weg zur Bewältigung jener Aufgaben zu finden. Es besteht gar kein Zweifel, daß es sich bei dem Fragenkomplex, der in diesen Tagen hier diskutiert wird, um ein solches Anliegen handelt, und es sind ganz gewiß nicht die Schlechtesten in diesem Hause und weit darüber hinaus in unserem Volke, die darunter leiden, daß es zu dieser Synthese in diesem Anliegen nicht gekommen ist.
Zu dem gewiß heikelsten Fragenkomplex, der dieses Haus in schmerzliche Meinungsverschiedenheiten verwickelt hat, gehört das heute diskutierte Saarstatut. Ich will nicht wiederholen, was meine Kollegen von meiner Fraktion und von der Deutschen Partei hier ausgeführt haben. Ich möchte nur auf einige wenige Einwände, die hier vorgebracht wurden, eingehen.
Zuvor aber lassen Sie mich noch einmal ein Wort über die Quelle der Schwierigkeiten, die uns bei dieser Frage beschäftigen, sagen.
Auch in dieser Diskussion ist mit großem Pathos wieder nach der Viererkonferenz gerufen worden. Das Schauspiel „Die Konferenz der Großen Vier" wurde zum ersten Male 1945 in Potsdam - dort waren es nur drei - auf der politischen Weltbühne aufgeführt. Es wurde dann in London und Moskau je einmal wiederholt und, nachdem es in Paris
ebenfalls den Beifall der Beteiligten nicht fand, schließlich vom Spielplan abgesetzt. Wir alle wissen, daß ein Jahr später dieses Schauspiel durch ein Drama - ich meine den Korea-Konflikt - ersetzt wurde. Wir waren deshalb glücklich, als nach einer fünfjährigen Pause Anfang 1954 die Konferenz der Großen Vier wieder auf der politischen Weltbühne erschien.
Wir alle haben nach Beendigung der Berliner Konferenz immer wieder feststellen müssen, daß sie - wenigstens was Deutschland betrifft - ohne Ergebnis geblieben ist. Aber sie hat uns, so scheint mir, doch eine dreifache Lehre erteilt, die wir uns, ohne Unterschied, wo immer wir politisch stehen mögen, zu eigen machen sollten.
Jene Berliner Konferenz vor einem Jahr hat uns erstens gezeigt, daß der Gegensatz zwischen Ost und West ein totaler, wenn Sie wollen, ein weltanschaulicher ist und daß in diesen Gegensatz alle Einzelfragen notwendigerweise einbezogen sind; zweitens, daß die Hauptprobleme der gegenwärtigen Welt samt und sonders miteinander zusammenhängen; drittens, daß Entscheidungen, die in den vergangenen Jahren getroffen worden sind, ihr eigenes Schwergewicht haben und ihr eigenes Schwergewicht auch heute noch zur Wirkung bringen. Auf diese dritte Feststellung kommt es mir in diesem Augenblick an. Wir alle erliegen immer wieder der Versuchung, zu vergessen, daß solche Entscheidungen, die nachwirken, in den Jahren 1945 und nachher gefallen sind.
Auch unsere heutige Auseinandersetzung über das Saarproblem hat hier ihre Quelle. Wir wissen, daß bald nach der Potsdamer Konferenz Interessen- und Ideengegensätze zwischen den Alliierten in ihrer Deutschlandpolitik zutage traten. Wir wissen heute, daß eines der strittigsten Hauptfelder bei diesen Interessengegensätzen die Festsetzung der Reparationen unter den Alliierten war, und wir wissen darüber hinaus, daß die Sowjetunion auf solchen Reparationen bestand. Sie sollten von der ganzen Wirtschaft aus der laufenden Produktion geleistet werden. Die Amerikaner und die Engländer erkannten, daß sie ihre Vorstellungen aus der Kriegszeit über ihre kommende Deutschlandpolitik aufgeben mußten, wenn nicht das von ihnen vertretene westliche, privatwirtschaftliche Wirtschaftsgefüge und damit ihre Weltpolitik überhaupt schweren Schaden nehmen sollte. Infolge der zunehmenden Uneinigkeit im damaligen Kontrollrat lehnten die Russen den Vorschlag eines Ost und West umfassenden Wiederaufbauplanes ab. Er stand in Paris in der Zeit vom 24. Juni bis 2. Juli 1947 zur Diskussion. In der Frage der Reparationen aber war Frankreich lange Zeit unentschieden. Es sympathisierte mit der russischen Auffassung. Es ist nicht schwer zu erraten, wie es dazu kam, daß 1947 das damalige SaarOktroi die Billigung der Amerikaner und der Engländer fand.
Wir Deutschen aber handelten damals im politischen Raum überhaupt nicht mit. Die Bundesrepublik als ein Teil Deutschlands war noch gar nicht existent. Die Staatsgewalt war den deutschen Händen entglitten; sie wurde seit der bedingungslosen Kapitulation von den Alliierten ausgeübt. In diesem Zustand wurde das, was wir heute Saarsorge nennen, geboren. Von der bedingungslosen Kapitulation bis zur Handlungsfreiheit der Bundesrepublik als des freien Teiles Deutschlands war ein weiter Weg. In den Verträgen, die gestern, heute und morgen zur Diskussion stehen, wird
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über den Eintritt in eine dritte Etappe auf diesem Wege diskutiert. Die erste Etappe war die Zeit der Besatzungswillkür von 1945 bis 1948, die zweite Etappe die Zeit des Besatzungsrechtes von 1948 bis zur gegenwärtigen Stunde, und nun sollen wir in eine fast vollständige Handlungsfreiheit für den Teil Deutschlands, der Bundesrepublik heißt, eintreten. Zu den drei Besatzungsmächten, die zu- stimmen müssen, gehört Frankreich. Zwischen uns und Frankreich aber steht als strittigstes Problem die Saarfrage. Alle beide, wir und die Franzosen, haben eine optimale Vorstellung von der Lösung des Saarproblems. Die optimale deutsche Vorstellung lautet sehr einfach: Wir brauchen gar kein Saarstatut. In das Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes brauchten wir nur zu schreiben: „Die Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Saargebietes ...", und damit wäre alles erledigt. Über diese optimalen deutschen Vorstellungen gibt es keine Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause.
Wir wissen aber, daß die Franzosen andere optimale Vorstellungen über das Saargebiet haben. Sie sind heute von allen Seiten lang und breit dargelegt worden. Das Saarstatut, das heiß umkämpfte, bringt für keinen der beiden Partner die Erfüllung seiner optimalen Vorstellungen.
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Es versucht, für beide ein vertretbarer Kompromiß zu sein.
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Mit verschiedenen vorgebrachten Einwänden haben sich einige Kollegen 'bereits beschäftigt; ich kann darauf verzichten, das zu wiederholen. Ich möchte nur auf zwei oder drei, die mir besonders I am Herzen liegen, noch einmal eingehen. Da ist von einem Kollegen gesagt worden, daß durch dieses Statut ein rechtliches Präjudiz für die Vertreibungsgebiete im Osten geschaffen werde. Wenn die westlichen Alliierten, so wird im Lande argumentiert, und die Bundesrepublik sich das Recht herausnehmen, über 'das Saargebiet ein Abkommen zu treffen, mit welchem Recht wollen wir dann der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion das gleiche Recht hinsichtlich der Gebiete jenseits von Oder und Neiße verwehren? - Hier werden die Dinge auf den Kopf gestellt.
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Tatsache ist, daß nach der Erklärung der Bundesregierung die Bundesrepublik alle Saarverhandlungen als Sachwalterin Gesamtdeutschlands führt und daß sie dazu nach der Präambel zum Grundgesetz staatsrechtlich berechtigt war. Es handelt sich hier um einen Modus vivendi, durch welchen der endgültigen Regelung durch einen mit Gesamtdeutschland zu schließenden Friedensvertrag niemals vorgegriffen wird. Man kann sogar sagen, die Bundesrepublik war im Hinblick auf die Lage der Deutschen an der Saar dazu verpflichtet, diese unverzüglich - d. h. unbeschadet der noch bestehenden Spaltung Deutschlands - aus dem Okkupationsrecht Frankreichs zu befreien und alles nur mögliche zu versuchen, um diese Deutschen in den Genuß der wichtigsten politischen Freiheiten zu bringen und sie auch wirtschaftlich möglichst weitgehend aus der einseitigen Fesselung an fremde Interessen zu lösen.
Die Bundesregierung ist zu dieser Handlungsweise für die Saarbevölkerung auch international berechtigt
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durch die Pariser Erklärung der im Atlantikpakt zusammengeschlossenen 14 Mächte. Durch diese Erklärung wird die Bundesrepublik als die berufene und berechtigte Vertreterin der gesamtdeutschen Interessen anerkannt.
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Ich befinde mich, Herr Kollege Kather, mit diesen Ansichten in einer sehr guten Gesellschaft;
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Sie können die gleichen Gedanken im Bulletin unter dem Namen des Herrn Bundesministers Kraft lesen, der Ihnen gewiß so nahe steht wie mir. Während die Bundesrepublik ausdrücklich und eindeutig die Grenzen ihrer Zuständigkeit in der Frage des Saargebiets in dem gewiß umstrittenen Saarabkommen und auch in den anderen Pariser Verträgen auf den Zeitpunkt der Friedensverhandlungen festlegt und somit einer gesamtdeutschen Regierung freie Hand ausdrücklich vorbehalten hat, lautet der vergleichbare Artikel 1 des sogenannten Grenzabkommens der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Polen vom 6. Juli 1950 wie folgt:
Die Hohen Vertragschließenden Parteien stellen übereinstimmend fest, daß die festgelegte und bestehende Grenze, die von der Ostsee entlang der Linie westlich von der Ortschaft Swinemünde und von dort entlang dem Fluß Oder bis Einmündung der Lausitzer Neiße und die Lausitzer Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen bildet.
Es liegt danach ein entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden Fakten vor.
Darüber hinaus möchte ich behaupten, daß es für mich und für viele meiner Freunde, die entweder aus den umstrittenen Ostgebieten oder aus dem Sudetenland gekommen sind, geradezu ein befreiendes Gefühl auslösen müßte, wenn wir die Möglichkeit hätten, eine solche Zwischenlösung, wie sie das Saarstatut darstellt, für jene Gebiete mit der Dornenkrone heute abzuschließen.
({7}) Ich betone: eine Zwischenlösung!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Gern!
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Schütz, daß für die nach dem Saarstatut stattfindenden Abstimmungen nicht vorgesehen ist, daß die Ausgewiesenen an der Abstimmung teilnehmen können?
({0})
Nein, das will ich nicht für uns, Herr Keller.
({0})
- Herr Dr. Kather, es ist mir bekannt, daß darüber noch nicht endgültig entschieden ist.
({1})
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- Man sollte vorher einen Weg finden, um den bestehenden Zustand an der Saar zu überwinden und nicht zu stabilisieren.
({3})
Die Furcht, daß dieses Provisorium gar kein Provisorium sei, daß es einen Weg zu einer endgültigen Loslösung der Saar von Deutschland darstelle, diese Furcht
({4}) ist nicht ohne Berechtigung.
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Ich möchte darauf aber wie folgt erwidern. Wenn die Sache Deutschlands in den nächsten Jahren im Kurswert sinkt, dann, fürchte ich, wird dieses Provisorium nicht das einzige Provisorium sein, das sich für lange Zeit den Mantel des Endgültigen umhängt. Die Sache Deutschlands, das ist unsere felsenfeste Überzeugung, wird aber sinken, wenn sich dieses Deutschland isoliert,
({6})
wenn wir uns in die verhängnisvolle politische Einsamkeit treiben lassen, aus der uns die Arbeit dieses Mannes und seiner Freunde in den letzten vier Jahren befreit hat.
({7})
So stimmen wir diesem Abkommen nicht leichtfertig, nicht ohne echtes Herzklopfen zu,
({8})
aber wir glauben es vor unserem Gewissen und vor der Geschichte unseres Volkes nicht verantworten zu können, durch eine Ablehnung des Pariser Vertragswerks das Band, das die Bundesrepublik mit der freien Welt verbindet, zu zerschneiden und uns auf Gedeih und Verderb den Launen einer totalitären Macht auszuliefern.
({9})
Freilich, eines können diese Verträge nicht - und damit komme ich auf den Ausgangspunkt zurück -, sie können die Fakten, die in den Tagen der bedingungslosen Kapitulation und nachher in einer grausamen und schmerzlichen Entwicklung gesetzt wurden, nicht ungeschehen machen. Weder Herr Dr. Konrad Adenauer, aber auch nicht Herr Erich Ollenhauer können den Krieg, den der Herr Adolf Hitler 1945 verloren hat, 1955 nachträglich wieder gewinnen.
({10})
Wer das unser Volk glauben machen will, der würde ihm, aber auch sich selber einen sehr schlechten Dienst erwiesen.
({11})
Mit vielen Kollegen auf allen Seiten dieses Hauses - auch mit Ihnen, Herr Dr. Kather, so hoffe ich - gehöre ich dem Personenkreis an, der ein sichtbares Zeichen für ein solches Faktum, wie es 1945 gesetzt wurde - ich meine hier die Austreibung -, darstellt. In den Herzen der allermeisten unserer Schicksalsgenossen lebt der Glaube, daß das Recht auf die Heimat eine echte Realität ist,
({12}) die nicht preisgegeben werden darf. Es gibt gewiß keinen aus dem Kreis der Vertriebenen, wo immer er in diesem Hause sitzen mag, der im leisesten daran dächte, dieses Recht auf die geraubte Heimat mit Gewalt durchzusetzen.
({13})
- Niemand.
({14})
- Ich wiederhole: niemand. - Wenn wir aber fragen: wenn nicht mit Gewalt, ja wie denn dann? Doch nur dadurch, daß diese Bundesrepublik sich zum Anwalt dieser Ansprüche auf die Heimat macht.
Aber wir alle, auch wenn wir diese Bundesrepublik lieben und verehren, müssen doch erkennen, daß sie allein niemals dieses Recht einlösen kann. Derjenige, für den der Glaube an dieses Recht - ich meine den Glauben an die Wiederkehr in die Heimat - nicht eine Fata Morgana sein soll, muß sich doch überlegen, mit welchen friedlichen Mitteln wir - wir oder unsere Kinder
- an irgendeinem Tage dieses Recht verwirklichen können. Es gibt, wie die Dinge heute und für absehbare Zeit liegen, nur eine Möglichkeit,
({15})
diesen Glauben aufrechtzuerhalten, nämlich daß diese Bundesrepublik ein Partner in der Gemeinschaft der freien Völker wird und daß diese Bundesrepublik der Gemeinschaft der freien Völker dieses unser Anliegen vorträgt und erwirkt,
({16})
- selbstverständlich für die Saar - ({17})
- und die SBZ, selbstverständlich - daß die freien Völker sich bereit erklären, dieses unser Anliegen zu ihrer eigenen Sache zu machen.
({18})
Wenn wir aber heute den ersten Schritt in die Gemeinschaft der freien Völker, wenn wir die Pariser Verträge scheitern lassen, scheint mir auch das andere Ziel in eine unerreichbare Ferne zu rücken.
({19})
Aus diesem Grunde und aus einer Reihe anderer Gründe, die schon dargelegt worden sind, stimmen wir trotz der vorgebrachten Bedenken den Pariser Verträgen und auch dem heiß umstrittenen Saarabkommen zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier ein Abgeordneter das Wort nimmt, der die Entwicklung an der Saar in den letzten Jahren mit besonderen Sorgen und mit besonderer Unruhe verfolgt hat und der auch die sich abzeichnende Politik an der Saar mit großen Bedenken begleitet und diesen Bedenken gelegentlich öffentlich Ausdruck gegeben hat, wenn dieser Abgeordnete heute sich entschließt, ja zu dem Saarstatut zu sagen, so bedar
({0})
das einer besonderen Begründung. Dieses Ja erfolgt nicht, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, aus formeller Parteidisziplin - obwohl ich auch diese Pflicht nicht gering schätze; aber ich würde sie bescheiden und still erfüllen -, sondern ich sage das Ja nach einer gewissenhaften und monatelangen Erwägung des Für und Wider, nach einer sehr ernsthaften Prüfung vor dem eigenen Gewissen. Es bestimmt mich in erster Linie - ich mache gar kein Hehl daraus - die Tatsache, daß ich es weder logisch noch moralisch - auch nicht moralisch - für möglich halte, die Verträge vom Saarstatut zu trennen. Das mag eine 'bequeme Ausflucht für den einen oder andern sein; ich nehme es auch der Opposition nicht übel, sie trägt nicht die unmittelbare Verantwortung für die Folgen, die eine Fortsetzung des jetzigen recht- und machtlosen Zustandes unseres Landes haben würde.
({1})
Aber daß jemand, der die Mitverantwortung für diese Regierungspolitik trägt, der mit uns die europäische Einigung und den Schutz unseres Staates und die Wiedererlangung einer gewissen Souveränität will, diesen Teil herausbricht und für sich allein verneint, halte ich - ich wiederhole es - weder logisch noch moralisch für verantwortbar.
Trotzdem würden wir zu einer Verneinung des gesamten Vertragswerks kommen können und kommen müssen, wenn wir zu der Überzeugung gelangten, daß uns dieses Statut Zugeständnisse auferlegt, die wir gewissensmäßig nicht verantworten könnten. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann Ihnen nicht zugeben - und
Sie wissen es wahrscheinlich selbst, wie sehr ich mich mit diesem Problem herumgeschlagen habe -, daß solche Voraussetzungen vorliegen.
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Ich habe vielmehr den Eindruck, wir machen den Fehler - aus einem gewissen begreiflichen und verständlichen Mißtrauen gegen die französische Politik an unserer Westgrenze, aus einem nicht ohne weiteres überwindbaren Ressentiment gegenüber manchen geschichtlichen Erfahrungen, auch aus einer begreiflichen Bitterkeit über das, was die Franzosen in den letzten zehn Jahren an der Saar angerichtet haben -, daß wir uns noch nicht recht haben zu der Erkenntnis durchringen können, daß hier auch unter diesen Gesichtspunkten eine völlig neue Situation geschaffen werden soll. Je mehr ich mich mit dem Saarstatut beschäftige, ich muß sagen, desto höher wächst meine Hochachtung vor der staatsmännischen Leistung, die einem alle Trümpfe in der Hand haltenden Gegner unter beispiellosen Schwierigkeiten solche Zugeständnisse hat abringen können.
({3})
Es ist aber noch ein besonderer Grund, weshalb ich meine Zustimmung gebe. Ich habe mich bei früherer Gelegenheit in einer etwas herausgehobenen Form gegen die damalige Saarpolitik gewandt, weil ich in ihr einen Präzedenzfall für die Entwicklung an der deutschen Ostgrenze fürchtete, die ich als Berliner Vertreter und als geborener Schlesier in meine besondere Aufmerksamkeit genommen hatte. Wir hatten die Sorge, daß irgendein Verzicht auf deutsches Gebiet, irgendeine Zustimmung zu weitgehenden Internationalisierungen oder Europäisierungen nicht ohne Rückwirkungen auf das Schicksal der Gebiete östlich der Elbe sein würde. Aber diese Bedenken sind doch tatsächlich durch das Abkommen nunmehr ausgeräumt.
Und wenn wir Präzedenzfälle gefürchtet haben, so möchte ich jetzt geradezu wünschen, daß dieser Präzedenzfall auch für die Gebiete östlich der Elbe angewandt würde.
({4})
Ich wage mir einmal vorzustellen, es gelänge, ein solches Abkommen, wie es hier mit Frankreich geschlossen worden ist, mit der Sowjetunion zu erreichen, ja es gelänge, an Stelle des Herrn Puschkin einen neutralen Kommissar aus Schweden oder Großbritannien oder aus der Schweiz einzusetzen, um über die Innehaltung der demokratischen Rechte in diesen deutschen Gebieten zu wachen. Das würde doch geradezu eine revolutionäre Verbesserung der ganzen Situation bedeuten!
({5})
Oder es würde - ich gehe weiter - möglich sein, die demokratischen Rechte und Freiheiten wiederherzustellen, die Parteien wieder zuzulassen. - Lieber Herr Kollege Franz Neumann, wir würden zusammen zur Leipziger Messe fahren und in einer öffentlichen Versammlung dort sprechen können.
({6})
Was für eine unerhörte Wendung in dem Schicksal dieses Landes würde darin bestehen!
({7})
Und weiter: Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik hat es fertiggebracht, daß der deutsche Wirtschaftsverkehr heute zu 94 % - ich wiederhole: zu 94 % - nach der andern Seite erfolgt. Ich nehme an, es würde nun durch ein paralleles Abkommen gelingen, die Zweiseitigkeit herbeizuführen. Wieviel wäre für die Wiederherstellung eines gesunden inneren deutschen Handelsverkehrs gewonnen!
Und endlich: Es gelänge, durch ein solches Abkommen die Sowjetunion zu der Zusicherung zu bringen, daß alles, was sie im Friedensvertrag mit diesen Gebieten vorhat, der Zustimmung der beteiligten Bevölkerung unterliegen müßte. Stellen Sie sich das einmal vor! In demselben Augenblick würde die gesamte gewaltsame Bolschewisierungspolitik nicht mehr durchführbar.
({8})
Ich kann also sagen, wenn ich einmal von meiner unglücklichen Heimat Schlesien ganz absehe, allein schon für das Gebiet zwischen Elbe und Oder,
({9})
- auch für dort, lieber Kollege und Landsmann Rinke, aber auch schon für das Land zwischen Elbe und Oder wäre unendlich viel gewonnen. Ich glaube, wir alle hier würden einmütig sein, wir würden die Glocken läuten lassen, wenn es gelänge, für dieses deutsche Gebiet solche gewaltigen Verbesserungen zu erreichen.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Frage?
Bitte! Ladebeck ({0}): Gestatten Sie eine Frage? Dr. Friedensburg ({1}): Bitte!
Herr Kollege Dr. Friedensburg, glauben Sie nicht auch, daß Rußland sofort bereit wäre, das gleiche zu tun, wenn wir ihm auch 12 Divisionen geben?
({0})
Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, daß wir anderen Ländern unsere Divisionen geben, und deshalb haben wir gar keinen Anlaß, von denen dafür Zugeständnisse zu verlangen.
({0})
Ich komme damit in dieser späten Stunde zum Schluß, meine Damen und Herren. Ich fühlte mich verpflichtet - gerade wegen meiner früheren Stellungnahme -, hier das mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Ich glaube, Sie sollten sich lieber auf diese Entschließung besinnen, wie wir sie etwa im Ausschuß für innere Verwaltung zustande gebracht haben, wo wir bei voller Wahrung unseres Standpunktes das, was uns gemeinsam lieb und teuer ist, aussprechen, statt uns hier Argumente der Gegner zu eigen zu machen und etwa deren Auslegungskünste unserem Urteil zugrunde zu legen. Wir wollen hier die Sache von unserem Standpunkt auslegen, und ich glaube, damit werden wir wohl vor der Geschichte bestehen können.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in Erwiderung auf meine Ausführungen wieder auf jene sieben Punkte verwiesen, in denen er in Paris am 22. Oktober sein Verhandlungsprogramm zusammengefaßt hatte. Das hat er auch schon in der ersten Lesung getan, und auf Grund der Erörterung hier im Plenum habe ich im Auswärtigen Ausschuß darum gebeten, daß uns der Originaltext von damals im Ausschuß zur Verfügung gestellt werde. Uns ist dankenswerterweise vieles zur Verfügung gestellt worden, leider nicht auch diese sieben Punkte. Deshalb ist nur die Bundesregierung im Besitz dieses Textes, niemand sonst. In Paris wurden uns diese Punkte nur mündlich vorgetragen. Glücklicherweise habe ich mir dabei einige Notizen gemacht, von denen ich keinen öffentlichen Gebrauch gemacht habe, die ich aber jetzt hier mangels anderer Grundlagen ja doch ein wenig heranziehen muß, um zu beweisen, Herr Bundeskanzler, daß unsere damalige grundsätzliche Zustimmung zu diesen sieben Punkten in keiner Weise dazu verwendet werden kann, darzutun, daß wir dem Statut, das Sie dann einen Tag später mit der französischen Regierung vereinbart haben, zugestimmt hätten.
Unter diesen Punkten sind mehrere, die sich im Statut wiederfinden, andere aber, die sich nicht wiederfinden. Der erste Punkt - endgültige Regelung der Saarfrage im Friedensvertrag - findet sich im Statut wieder. Aber dann geht es schon los: Zwischenstadium mit Autonomie - zweiter Punkt - unter Aufhebung aller Beschränkungen der Freiheiten, so habe ich mitstenographiert. Entscheidung über dieses Zwischenstadium durch neuen, nach einem Jahr frei gewählten Landtag. Das ist etwas ganz anderes, als im Statut steht. Hier kein Plebiszit, sondern freie Wahlen, und zwar nach genügend langer Vorbereitungszeit, im Statut jedoch keine freien Wahlen ausdrücklich vereinbart, sondern ein Plebiszit, das die französische Regierung schon nach zwei Monaten abhalten wollte und das dann auf Drängen des Herrn Bundeskanzlers auf drei Monate nach Aufhebung der Beschränkungen der Freiheiten angesetzt wurde. Hier fehlt ein ganz wesentlicher Punkt. Freie Wahlen sind etwas ganz anderes als jenes Ja-Nein-Plebiszit zu einem europäischen Statut.
Ein Plebiszit im Friedensvertrag - den dritten Punkt - finden wir im Statut wieder. Den vierten finden wir wiederum nicht im Statut: Die aus dem neuen Landtag hervorgegangene Regierung würde an neuen Vertragsverhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich über die provisorische Regelung beteiligt. Die eigentlichen Verhandlungen sollten erst vor sich gehen, nachdem freie Wahlen stattgefunden hätten. Das war auch ein sehr wesentlicher Punkt. Erst freie Wahlen! Damit sollte an der Saar sowie im Osten alles anfangen.
Ein weiterer wesentlicher Punkt, der auch bei den Verhandlungen unter ultimativem Druck nicht übernommen wurde, ist die Ersetzung des Vertreters Frankreichs durch eine deutsch-französische Kommission. Das war der Wunsch des Herrn Bundeskanzlers, und das war das, was er uns vortrug. Damit erklärten wir uns einverstanden. Er sprach allerdings auch davon, daß ein Kommissar vielleicht doch möglich sei, und gegen diesen Kommissar haben wir uns vom ersten Augenblick an mit aller Energie gewandt. Denn dieser Kommissar bedeutet Europäisierung, und Europäisierung bedeutet die politische Vorbereitung und die politische Festlegung, nicht die juristische, der definitiven Abtrennung von Deutschland.
In der französischen Saarpolitik sind doch folgende Dinge wichtig. Am wichtigsten ist die Abtrennung von Deutschland überhaupt. In welcher Form, das ist für Frankreich immer sekundärer Natur gewesen, am liebsten die Annexion, die es 1945 gefordert hat, dann aber auch andere mögliche Lösungen: Autonomie gleich zweites Luxemburg oder schließlich, und das war die geniale trouvaille, wie man im Französischen sagt, die geniale Erfindung, die Europäisierung. In diesem Gewand der Europäisierung, Herr Kollege Friedensburg - und das ist die Funktion der Europäisierung - glaubt Frankreich die Politik der Separation von Deutschland durchsetzen zu können. Die Protektoratspolitik macht sich heutzutage schlecht, sogar in Afrika. Und bei Friedensvertragsverhandlungen würde sie sich noch schlechter machen in Europa. Deswegen die Form der Europäisierung.
Weiter - das hat die französische Regierung nach meiner Meinung in diesem Statut auch durchgesetzt - muß im Sinne der französischen Politik erhalten bleiben, daß sich Frankreich an der Saar auf den Teil der Menschen dort stützen kann, die sich Frankreichs Separationspolitik zur Verfügung
({0})
gestellt haben. Deshalb darf es keine Freiheit geben, deshalb darf es keine freien Wahlen geben, und deshalb mußte es den Art. VI Abs. 2 geben, der die für das Plebiszit zugestandene Freiheit wieder aufhebt, wenn es mit einer Mehrheit von Ja-Stimmen mit der Hilfe der Bundesregierung zustande gekommen ist.
Und dann kommt die Weiterführung der wirtschaftlichen Beherrschung des Saargebietes, die wenigstens nach französischer Lesart auch in diesem Statut verankert ist. Nach französischer Lesart bedeutet doch der ganze Art. XII nichts anderes als eine gewisse Liberalisierung - das Wort ist sogar gefallen, ich glaube, in dem Bericht des Berichterstatters der französischen Kammer -, eine Liberalisierung des Warenverkehrs zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet.
Der Vergleich mit dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ist hier völlig abwegig, Herr Kollege Friedensburg. Sehen Sie, Frankreich erklärt in der Begründung zu diesem Statut in der Kammer und bei jeder Gelegenheit, daß es der Wille der französischen Regierung ist, Deutschland wieder zu vereinigen minus Saar. Minus Saar! Und was die Wiedervereinigung zwischen dem Geltungsbereich des Grundgesetzes und der sogenannten DDR angeht, nun, da wird gerungen zwischen Ost und West; aber bisher hat niemand im Osten oder im Westen behauptet, daß es sein Wille sei, auch im Friedensvertrag die Spaltung Deutschlands an der Elbe aufrechtzuerhalten. Und deshalb kann eine Europäisierung in Pankow auch nicht die Rolle haben, die sie in Saarbrücken haben soll.
Sehen Sie, Herr Friedensburg: Wer hat das denn erfunden, diese Europäisierung? Das ist eine separatistisch-französische Erfindung, keineswegs eine
deutsche; sie haben das nicht wieder einmal erfunden, damit ihnen und uns hier ein Gefallen getan werde, sondern sie haben es erfunden, um die französische Position zu stärken, und zwar in der Weise zu stärken, daß man im Augenblick von dem bedrohten Schiff etwas Ballast abwirft, daß man aber gerade dadurch die Voraussetzungen zu schaffen hofft, um so sicherer die Abtrennung in der Form der Europäisierung auch im Friedensvertrag durchsetzen zu können. Das ist die Rolle dieser sogenannten Europäisierung.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie bei den sieben Punkten geblieben wären, wenn die in den Vertrag hineingekommen wären, nun, dann wäre es möglich gewesen, dem zuzustimmen. Sie haben das aber nicht getan, und Sie haben dabei wieder einen schweren Fehler gemacht, den Sie, fürchte ich, oft machen: daß Sie mit dem Parlament nicht so operiert haben, wie es Ihr französischer Kollege tat. Ihr französischer Kollege operierte damit, daß er dies und jenes seinem Hause nicht zumuten könne. Sie haben das nicht getan. Herr Mendès-France operierte auch mit einer anderen Größe, nämlich mit seinem Kabinett, und hier in Bonn kämpft das Kabinett doch vergeblich um Mitbestimmungsrecht, auch wenn es um solche Lebensfragen geht.
({1})
Bitte, sagen Sie mir, ob das Kabinett in Bonn von dem Text unterrichtet worden ist, der da unterschrieben werden sollte. Nach meinem Wissen ist das nicht geschehen, und nach meinem Wissen haben sich die freien demokratischen Mitglieder des Kabinetts gerade darüber mit Recht aufgeregt, daß der Herr Bundeskanzler paraphiert hat, ohne
vorher dem Kabinett den Text des Abkommens zur Billigung vorgelegt zu haben. Diese - ich möchte sagen - Selbständigkeit des Herrn Bundeskanzlers geht doch auf Kosten der deutschen Sache.
Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, ich sei wohl nicht ganz aufmerksam gewesen, als im Auswärtigen Ausschuß die Vereinbarungen von Baden-Baden bekanntgegeben worden seien. Ich war aufmerksam, und ich habe sogar gestern, Herr Bundeskanzler, den Stenographischen Bericht dieser Sitzung noch einmal durchgelesen und mir genau angesehen, was da in bezug auf den Kommissar und die vorher einzusetzende Kommission mitgeteilt wurde. Nach Prüfung dieses Textes und in Kenntnis der Politik, so wie sie in Saarbrücken und Paris gemacht wird, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß Frankreich hier - übrigens wieder mal unter Konsultierung der Saarregierung und mit Billigung der Saarregierung - Zugeständnisse gemacht hat, die keine sind, die Zugeständnisse für die freie Durchführung ides ersten Plebiszits sind, das im Interesse der Separation abgehalten wird, die aber keine Zugeständnisse für freie Wahlen sind.
Der Hinweis auf die Menschenrechtskonvention und auf ein Gericht kann uns in keiner Weise befriedigen. Was ist das denn für eine Methode, mit einem Streitfall vor ein noch nicht bestehendes Gericht gehen zu wollen? Wenn man den Streitfall dadurch aus der Welt schaffen kann, daß man den Text, um den da später gestritten werden soll, so ändert, daß er klar ist und daß die beiden Partner sich einigen, - jawohl, das ist unser gemeinsamer Wille. Aber gerade das ist nicht geschehen.
Nun, Herr Bundeskanzler, haben Sie heute morgen erne erstaunliche Mitteilung gemacht, die uns im Auswärtigen Ausschuß nicht gemacht wurde: daß Sie sich nämlich mit Herrn Mendès-France in Baden-Baden völlig darüber einig waren, daß die demokratischen Freiheiten grundsätzlich und uneingeschränkt auch nach dem Plebiszit gelten sollen. Wenn das so ist, Herr Bundeskanzler, warum haben Sie das nicht zu Papier gebracht? Warum haben Sie dann nicht einen Text vereinbart, aus dem klar ersichtlich wäre, daß jetzt vereinbart ist, was wir hier immer wieder fordern und was wir jetzt als Zusatz zum Ratifizierungsgesetz fordern, nämlich klipp und klar zu sagen: Zu keiner Zeit wird es im Saargebiet Demokraten verboten sein, über die Zukunft des Saargebietes sich zu unterhalten und Ziele aufzustellen? Warum haben Sie das nicht getan, wenn Sie sich mit dem französischen Ministerpräsidenten in dieser Frage grundsätzlich einig waren? Warum denn der Hinweis auf die Konvention, auf den Kommissar und auf das Gericht? Das alles war überflüssig. Dias konnte man einfacher, billiger, klarer haben.
Der Herr Bundeskanzler meinte, wir sollten doch zusammenhalten, um den Herrn Johannes Hoffmann zu freien Wahlen zu zwingen. Gerade das versuchen wir, versuchen wir auch mit unseren Anträgen zum Ratifikationsgesetz. Mit der Westeuropäischen Union ist das nicht zu machen. Aber wir sehen auch andere Möglichkeiten, hier etwas zu tun. In dem Statut wird es verschiedentlich Gelegenheiten geben, einen gewissen Druck in der angestrebten Richtung auszuüben. Da sind Verhandlungen zu führen.
Sie haben schon eine Chance verpaßt, auf freie Wahlen zu drücken, indem Sie mit der unfrei gewählten Regierung verhandelt haben. Es wird an({2})
dere Chancen geben, die Sie darum nicht zu verpassen brauchen. Vor allem wird es eine geben, und wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie das hier erklärten. In dem Saarabkommen bestimmt Art. XI, daß die Vertragspartner dabei helfen werden, die Wirtschaft des Saargebiets zu entwickeln. Es geht darum, daß das Saargebiet insbesondere aus seiner Investitionsmisere herauskommt. Man braucht Investitionskapital, und von Frankreich hat man es nicht bekommen. Da hat man es in einer Weise bekommen, daß das Blatt des Herrn Hoffmann kürzlich folgendes schreiben mußte:
Frankreich, das nur die drei- bis vierfache
Kohle- und Stahlkapazität wie das Saargebiet
aufzuweisen hat, konnte in den Jahren nach
dem Krieg zur Modernisierung seiner Anlagen
in der Schwerindustrie das Zehnfache von dem
an Mitteln einsetzen, was uns an der Saar zur
Verfügung stand.
({3})
Wie sollen wir unter diesen Umständen konkurrenzfähig bleiben?
Das ist die große Klemme, in die sich der Herr Hoffmann mit seiner Protektoratspolitik begeben hat und aus der er möchte, daß wir ihm heraushelfen. Bitte, Herr Bundeskanzler, erklären Sie mir, daß Sie keinem Hoffmann ohne freie Wahlen aus dieser Klemme heraushelfen werden! Das ist ein entscheidender Punkt. Hier kann man politisch etwas mehr tun, als optimistische Interpretationen zu geben.
Meine Damen und Herren, ich muß doch noch auf die Behauptung eingehen, in dem Statut werde die Freiheit garantiert und werde es möglich ge- macht, das zu erreichen, was der Herr Bundeskanzler hier heute morgen als Ziel aufstellte, nämlich diesen Johannes Hoffmann zu beseitigen. Wenn das so ist, wie ist es dann zu erklären, daß das Statut nach seiner Präambel mit der Zustimmung von Johannes Hoffmann zustande kam? Wie ist es dann zu erklären, daß ihm dieses Statut lieber ist als kein Statut, daß aber den Unterdrückten des Herrn Johannes Hoffmann kein Statut lieber wäre als dieses Statut? Bitte, erklären Sie mir das, wenn in diesem Statut die Freiheit garantiert wird, die es ermöglichen soll, den Herrn Johannes Hoffmann zu beseitigen!
Leider bin ich jetzt gezwungen, auch einmal aus einem Artikel zu zitieren, der hier schon zweimal zitiert worden ist und jedesmal in einer Weise zitiert worden ist, die den Gedankengang entstellt. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich aus meinem Artikel, der in der „Stuttgarter Zeitung" am 9. Oktober vorigen Jahres erschienen ist, einiges zitiere. Es heißt dort:
Es ist zwar richtig, was einmal im Bundestag gesagt wurde, daß wir recht und die Franzosen die Saar hätten. Aber es ist falsch, wenn der Bundeskanzler im Bundestag behauptete, wir hätten kein Mittel, die Franzosen von ihrer Position herunterzumanövrieren. In der neuen Situation liegt die Gefahr für den endgültigen Verlust des Saargebietes wieder nicht in der Stärke der Position Frankreichs in Saarbrücken, sondern darin, daß der Kanzler nunmehr sein Herz und sein Prestige so an die Londoner Akte und die Pariser Verträge hängen könnte wie vorher an die EVG und man in Paris wieder dieselbe Schlußfolgerung daraus ziehen könnte: den Verzicht auf die
Saar als zusätzlichen Preis vor Annahme der Londoner Abmachungen durch die Nationalversammlung zu setzen.
In diesem Artikel wird auch weiterhin ein energischer Kampf gegen alles geführt, was man mit dem Wort „Europäisierung" belegen könnte, und schließlich wird in dem Artikel auch ein Wort über die Freiheit gesagt, die eine unverzichtbare Voraussetzung für jenen Modus vivendi sein müsse, für den auch wir Sozialdemokraten sind.
Ich stehe und wir stehen alle zu dem, was da gesagt wurde. Jawohl, es gibt keine deutsch-französische Verständigung in der Saarfrage, und es gibt dann auch, wenn man diese Verständigung will, keine hundertprozentige deutsche oder französische Lösung. Es gibt dann Kompromisse.
({4})
- Ja, Herr Lenz, wenn wir aber z. B. die Wiedervereinigung nach Osten hin wollen, dann haben wir einige unverzichtbare Bedingungen, und nach Osten haben wir die unverzichtbare Bedingung der freien Wahlen. Alle haben wir sie, Gott sei Dank!
({5})
Das müßte ja nun auch für das Saargebiet gelten. Ich habe damals geschrieben - hören Sie einmal zu
Wir bedauern, gezwungen zu sein, von den Franzosen etwas Unverzichtbares fordern zu müssen, was sie uns ganz besonders ungern gewähren: Freiheit, unbedingte, uneingeschränkte demokratische Freiheit an der Saar. Es sollte für keinen Demokraten und erst recht für keinen deutschen Demokraten eine Lösung oder ein Modus vivendi diskutabel sein, in dem von dieser Forderung Abstriche gemacht werden. Wollen wir westliche Heuchler sein und freie Wahlen jenseits der Elbe für unverzichtbar, an der Saar aber für verzichtbar erklären?
({6})
Ich bitte, meine Herren, aber auch Herr Lenz - ich glaube, Sie haben Einfluß auf Propagandabüros der CDU -, bitte zitieren Sie auch das, wenn Sie in Flugblättern meine Artikel zitieren!
Schließlich noch ein Wort an Herrn Kollegen von Merkatz, der mir auf eine Frage nicht antworten konnte, auf die Frage nämlich, ob ihm bekannt sei, unter welchen Umständen das Saargebiet in den Europarat hineingekommen sei. Es ist auf folgende Art hineingekommen. Als der Ministerausschuß des Europarats 1950 den Beschluß faßte, da gab es gegen den französischen Wunsch, das Saargebiet einzuführen, energische Opposition, und die nichtfranzösischen Minister brachten das Bedenken vor, daß dann vielleicht die Bundesrepublik nicht kommen würde, wenn man das Saargebiet aufnähme. In dem Augenblick zog der damalige französische Außenminister Robert Schuman eine Schweizer Zeitung aus der Tasche und las daraus eine Erklärung des Bundeskanzlers vor, daß die Bundesrepublik auf jeden Fall kommen werde, auch wenn gleichzeitig das Saargebiet komme.
({7})
Daraufhin beschloß der Ministerrat, nicht deutscher zu sein als der Herr Bundeskanzler und das Saargebiet zusätzlich in den Europarat aufzunehmen.
Hier ist grundsätzlich falsche Saarpolitik und überhaupt falsche Außenpolitik gemacht worden.
({8})
Die Möglichkeiten unserer deutschen Position, die zwar eine schwache ist, die aber allerlei Möglichkeiten dadurch enthält, daß wir für den Westen von einem gewissen Wert sind, sind von der Bundesregierung immer wieder unterschätzt worden,
({9})
wie dieses konkrete Beispiel, dieser Vorgang im Ministerausschuß des Europarats beweist.
({10})
Und ein zweiter Fehler: Immer wieder hat die Bundesregierung große Eile an den Tag gelegt, in diese europäischen Organisationen und Gemeinschaften hineinzukommen, und besondere Eile hat sie mit den Divisionen an den Tag gelegt.
({11})
Wer es in der Politik eilig hat, muß zahlen, und dieses Statut hier ist der Preis!
({12})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich habe mich bei den Herren des Auswärtigen Amtes erkundigt, ob der Wunsch ausgedrückt worden sei, eine Abschrift der damaligen Punktation, die ich den Herren vom Bundestag vorgelesen habe, zu bekommen. Die Herren haben mir erklärt, ihnen sei nichts davon bekannt.
({0})
- Einen Augenblick! Ich bin aber gern bereit, Ihnen nicht nur eine Abschrift, sondern eine Fotokopie davon zu geben; die können Sie haben.
Nun, meine Damen und Herren, hat Herr Dr. Mommer zum Schluß etwas von einer Schweizer Zeitung erzählt. Ich wäre ihm doch sehr dankbar, wenn er mir genau sagen würde, was gewesen ist, um welche Schweizer Zeitung es sich handelt und was ich in die Schweizer Zeitung hineingeschrieben haben soll.
({1})
- Ja, eine Meldung - aber hören Sie, ich kann doch wahrhaftig nicht für alle Meldungen garantieren, die irgendwelche Zeitungen über mich bringen!
({2})
Und nun möchte ich auf eine Reihe von Fragen des Herrn Kollegen Mommer in aller Ruhe antworten.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage?
Nachher, bitte; entschuldigen Sie.
Sehen Sie, meine verehrten Damen und Herren
- und ich möchte diese Bitte auch an diejenigen Mitglieder des Hauses richten, die glauben, dem Saarabkommen nicht zustimmen zu können -: Denken Sie immer daran, daß es vielleicht doch möglich ist, daß dieses Saarabkommen Rechtens
wird und daß wir eines Tages gezwungen sind, das Gericht der Westeuropäischen Union wegen der Auslegung dieses oder jenes Artikels anzurufen.
({0})
Bedenken Sie bitte, daß dann der französische Vertreter in einem solchen Rechtsstreit mit Freuden und Genuß aus der Tasche diesmal ziehen wird den Amtlichen Bericht des Bundestages und dort vortragen wird: Ein großer Teil des Hauses oder der Sprecher einer großen Fraktion war doch der Auffassung, daß in dem vereinbarten Artikel das soundso vereinbart worden ist.
({1})
Sehen Sie, meine Damen und Herren: solche Erörterungen und Ausführungen, wie sie eben hier gemacht worden sind, können vielleicht in einem Ausschuß gemacht werden, aber sie gehören nicht in die Öffentlichkeit, weil sie unter Umständen von dem Gericht gegen uns ausgelegt, als Auslegungspunkte gegen uns betrachtet werden können.
({2})
- Ach, meine Herren, können wir denn nicht einmal vernünftig miteinander sprechen?
({3})
- Ja, ich mache doch ständig den Versuch. Folgen Sie mir doch einmal!
Sehen Sie, Herr Kollege Mommer: in einem haben Sie recht.
({4})
- Ja, er kann doch auch mal recht haben! - Ich will Ihnen auch sagen, warum. Sie haben sehr gut behalten. Ich habe Ihnen vorgetragen, ich sei da- für, daß dieses Saarabkommen durch einen nach einem Jahr frei gewählten Landtag genehmigt werden sollte. Ich habe diese Forderung aufgestellt auf Wunsch der Vertreter der deutschen Oppositionsparteien. Aber, Herr Kollege Mommer, ich habe mir selbst nachher gesagt: Man muß doch alles tun, die jetzige Wirtschaft an der Saar so schnell wie möglich zu beendigen und nicht erst nach einem Jahr. Und ich habe mich auf dieses Plebiszit eingelassen, weil mir auf meine Fragen die Vertreter der deutschen Oppositionsparteien Mitteilungen gemacht haben, die ich hier in der Öffentlichkeit nicht machen kann, die ich aber bereit bin, Herr Dr. Mommer, Ihnen unter vier Augen zu sagen.
Aber was haben wir eingetauscht dagegen, daß wir von deutscher Seite aus nachgegeben und gesagt haben, das Plebiszit solle über das Saarabkommen veranstaltet werden? Dagegen, meine Damen und Herren, haben wir die Schlußabstimmung eingetauscht,
({5})
die zuerst nicht in dem Abkommen enthalten war,
({6})
die, meine Damen und Herren, auch nicht in der Punktation enthalten war, die ich Ihnen vorgelegt habe. Das ist nach meiner Meinung ein ausgezeichneter Tausch.
({7})
Wenn Sie schon damals die Punktation, in der nicht
von der Schlußabstimmung die Rede war, als eine
({8})
faire Grundlage bezeichnet haben, um wieviel froher müßten Sie sein, daß es gelungen ist, diese Schlußabstimmung noch hineinzubekommen!
Ich will Ihnen aber nochmals vorlesen, was ich Ihnen heute vormittag schon einmal vorgelesen habe, weil Sie, Herr Kollege Mommer, wieder gesagt haben, es gebe keine freien Wahlen an der Saar. Ich muß mit aller Entschiedenheit, auch im Hinblick auf den Herrn Hoffmann sagen: Es gibt freie Wahlen an der Saar.
({9})
Diese freien Wahlen sind uns ausdrücklich von Herrn Mendès-France zugesagt worden. Wir haben in Saint-Cloud eine ganze Stunde über die Frage gesprochen, ob die Parteien an der Saar berechtigt sein sollten, auch dieses Saarabkommen zu kritisieren und auszuführen, welches ihr Ziel ist. Die französische Seite hat zuerst den Parteien an der Saar dieses Recht vorenthalten wollen. Wir haben eine ganze Stunde lang miteinander gerungen, bis dieses französische Verlangen fallengelassen wurde. Die Parteien an der Saar sind berechtigt, auszuführen: Wir wollen im Friedensvertrag zu Deutschland zurück.
({10})
- Ja, darauf kann ich keine Antwort geben, meine Damen und Herren.
Nun darf ich noch einmal auf Baden-Baden zurückkommen. Es heißt in den Vereinbarungen doch ganz klar über die freien Wahlen:
Der Kommissar ist beauftragt, über die Beachtung des Statuts zu wachen, insbesondere des Art. VI. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe läßt er sich von der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten leiten.
Und dann heißt es weiter:
Einzelpersonen einschließlich Gruppen und Organisationen an der Saar, die sich durch eine Entscheidung des Kommissars in ihren Grundrechten und demokratischen Freiheiten verletzt fühlen, können gegen diese Entscheidung die' gerichtliche Instanz der Westeuropäischen Union anrufen.
Das steht klipp und klar darin, und ich betone das so nachdrücklich - ich hätte sonst das Wort gar nicht mehr ergriffen -, damit nicht die Leute an der Saar, die jetzt die Herrschaft in der Hand haben, sich darauf berufen können, ich hätte gegenüber den Ausführungen des Herrn Dr. Mommer, es gebe keine freien Wahlen, geschwiegen. Es gibt die freien Wahlen!
({11})
Zum Schluß noch etwas. Wenn man aus Artikeln, die man geschrieben hat, zitiert, soll man auch vollständig zitieren.
({12})
- Also ich schreibe nicht so leicht Artikel! Nein, nein!
({13})
Aber Herr Kollege Mommer hat soeben aus dem
Artikel zitiert, den er am 9. Oktober in der
„Stuttgarter Zeitung" hat erscheinen lassen. In
diesem Artikel findet sich auch folgender Satz, der mir sehr schlecht gefallen hat,
({14})
Herr Dr. Mommer, sehr schlecht, und den ich nicht zur Grundlage meiner Verhandlungen mit Herrn Mendès-France gemacht habe, weil er allerdings verderblich gewesen wäre. Herr Dr. Mommer hat da nämlich gesagt:
Der deutsch-französische Verständigungswille könnte in einer paritätischen Kommission mit einem gemeinsam gewählten neutralen Vorsitzenden zum Ausdruck kommen, die zusätzlich zu den jetzigen Funktionen des französischen Protektors den Schutz der demokratischen Freiheiten und die Förderung der Saarwirtschaft übernehmen sollte.
Meine Damen und Herren, darin ist zunächst kein Wort davon, daß eine Instanz geschaffen werden soll, an die man sich wenden kann. Aber vor allem: „zusätzlich zu den jetzigen Funktionen des französischen Protektors", - nein, dafür war ich nicht zu haben, Herr Dr. Mommer.
({15})
({16})
Das wäre nach meiner Meinnug ein zu großes Entgegenkommen gegenüber Frankreich gewesen. Das wollte ich nicht; ich wollte den jetzigen französischon Protektor weghaben. Das habe ich gewollt!
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige kurze Bemerkungen! Ich habe im Auswärtigen Ausschuß - die Mitglieder des Ausschusses werden sich daran erinnern - die Vorlage der sieben Punkte verlangt. Das wird sich im Stenographischen Protokoll feststellen lassen. Wir werden das tun.
Weiter: die Frage des Eintritts in den Europarat! Ich habe nicht gesagt, Herr Bundeskanzler, Sie hätten in einer Schweizer Zeitung geschrieben, sondern: Ihre politische Haltung, die Sie doch wohl heute nicht bestreiten wollen
({0})
und die darin bestand, daß Sie damit einverstanden waren, gleichzeitig mit der Saar in den Europarat einzutreten, die hat dazu geführt, daß die Saar tatsächlich gleichzeitig mit hineinkam; während eine andere politische Haltung - die darin bestanden hätte, daß Sie gesagt hätten: Wir dulden es nicht, daß diesem Gebilde eine selbständige Existenz gegeben wird, wir widersetzen uns allen Versuchen Frankreichs, diesem Gebilde Anerkennung zu verschaffen - dazu geführt hätte, daß das Saargebiet nicht in den Europarat aufgenommen wurde.
({1})
- Herr von Brentano, Sie haben sicher im Europarat auch manchmal darüber nachgedacht, welche
Konsequenzen für das Saarproblem diese Auf({2})
nahme des Saargebiets in den Europarat gehabt hat. Das war der entscheidende Fehler in der Saarpolitik der Bundesregierung.
Dann auch ein Wort, Herr Bundeskanzler, zu den „schädlichen Bemerkungen"! Sehen Sie, soweit es sich um die schädlichen Bemerkungen in puncto freie Wahlen im Saargebiet handelt, kann es nach Ihren Ausführungen ja keine schädlichen Bemerkungen mehr geben. Denn Sie sagen uns doch - zeigen uns allerdings keinen Text vor! -, daß Sie sich mit Herrn Mendès-France darüber einig waren, daß freie Wahlen abgehalten werden sollen. Wenn das so ist - und Sie müßten uns das jetzt einmal schwarz auf weiß beweisen
({3})
und uns dazu auch zusätzliche Abmachungen vorlegen -, dann können Bemerkungen dieser Art, wie ich sie gemacht habe, nicht mehr schädlich sein. Aber daran hapert es in diesem Statut und auch in den Texten von Baden-Baden, daß da nicht klipp und klar steht: Die Freiheit wird in Zukunft nicht mehr angerührt.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, daß in Ihren 7 Punkten der Punkt „Volksabstimmung im Zuge der Friedensregelung" nicht enthalten gewesen sei. In meinen stenographischen Notizen steht dieser Punkt als Punkt 3. Da Sie, wie ich annehme, mit Akten wohl versorgt, hier das Original vor sich haben, könnten Sie einmal nachsehen, ob das stimmt, ob als Punkt 3 oder in der Nähe nicht auch diese Forderung steht: im Friedensvertrag ein Plebiszit an der Saar zu fordern. Es ist also nicht so, daß Sie das dann bei den späteren Verhandlungen zusätzlich hineingebracht hätten, sondern in den 7 Punkten, die eine gute Verhandlungsgrundlage waren, war diese Forderung schon enthalten.
Schließlich noch eine Bemerkung zu Ihrem Zitat aus der „Stuttgarter Zeitung"! Dort wird eine deutsch-französische Kommission gefordert, und der Kommission werden zusätzliche Aufgaben vorgeschlagen. S i e haben auch dem Kommissar zusätzliche Aufgaben im Saarstatut übertragen, die der bisherige französische Vertreter nicht hatte,
({4})
nämlich die Überwachung des Statuts z. B.; und hier sollten diese Aufgaben übertragen werden an eine deutsch-französische Kommission und nicht, wie Sie es darzustellen belieben, an den Vertreter Frankreichs, an Herrn Grandval etwa. So viel zu diesen Ausführungen.
Im übrigen muß ich sagen, Sie tun meinem Artikel gewaltig viel Ehre an, indem Sie ihn so oft zitieren.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mommer, Sie sprachen eben von den schlechten Bemerkungen, die ich erwähnt hatte. Sie sagten, wenn alles in Ordnung wäre, wären solche schlechten Bemerkungen doch gar nicht schädlich. Ich möchte Ihnen sagen: Sie haben eben wieder eine solche Bemerkung gemacht.
({0})
Ich habe gesagt: die freien Wahlen an der Saar sind vereinbart, und Sie haben geantwortet: Das müssen Sie uns schwarz .auf weiß beweisen.
({1})
Ja, meine Damen und Herren, versetzen Sie sich doch bitte einmal in die Rolle eines Schiedsgerichts! Nehmen Sie an, wir hätten Veranlassung, zu fordern, daß Änderungen vorgenommen würden, damit wirklich freie Wahlen stattfinden. Und wir würden vertreten - diese Bundesregierung brauchte es ja gar nicht zu sein; es kann auch irgendeine andere sein -, und diese Bundesregierung würde sagen, es sind freie Wahlen vereinbart worden; dann würde doch der Vertreter der anderen Seite sagen: Der Herr Dr. Mommer, Bundestagsabgeordneter,
({2})
der sich mit diesen Fragen besonders beschäftigt hat, hat Ihnen das doch offenbar gar nicht geglaubt; denn er hat von Ihnen verlangt, daß Sie das schwarz auf weiß beweisen.
({3})
- Sicher, jederzeit bereit!
({4})
Ich möchte aber auch dem Herrn Kollegen Mommer sagen, daß ich seine Artikel nicht alle so genau lese. Aber sie werden mir vorgelegt, und dann mache ich mir doch ein Häkchen an manche Stellen.
({5})
Was ich nun an diesem Artikel bemängelt habe, das ist ja gar nicht, daß Sie sagen, es soll eine deutschfranzösische Kommission unter einem neutralen Vorsitzenden gewählt werden - obgleich mir der Ministerrat der Westeuropäischen Union lieber ist als eine deutsch-französische Kommission unter einem neutralen Vorsitzenden.
({6})
Was ich aber bemängele, das ist nicht, daß sie zusätzlich geschaffen wird, sondern daß Sie sagen: ... die zusätzlich zu den jetzigen Funktionen des französischen Protektors - ({7})
- Also, meine Damen und Herren, ich werde versuchen, mir die Nummer noch einmal zu verschaffen. Herr Kollege Erler, ich schicke Sie Ihnen zu. Lesen Sie bitte mal durch, was da steht!
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
({0})
Ich freue mich, daß es möglich ist, dem Punkt der freien Wahlen im Saargebiet so auf den Leib zu rücken und da einmal restlose Klarheit zu schaffen. Herr Bundeskanzler, Sie sagen uns, daß Sie in Gesprächen mit Herrn Mendès-France übereingekommen sind, daß die Freiheit nicht wieder eingeschränkt werden soll. Wie kommt es dann, daß Herr Mendès-France, als er den Vertrag der Assemblée nationale zuleitete, ihn mit einem Bericht, mit einem Kommentar versah, in dem sich folgender Satz findet:
Sobald das Statut einmal gebilligt ist
- also im ersten Plebiszit -,
wird es unter Vorbehalt des Friedensvertrags nicht mehr in Frage gestellt werden können. Dies bedeutet, daß jede politische Betätigung oder Propaganda
- und so was machen die Parteien nun einmal, Herr Bundeskanzler -,
die geeignet ist, das Vorgehen oder die Autorität der mit der Anwendung des Statuts beauftragten Institutionen zu gefährden, unerlaubt sind und der Aufrechterhaltung des Friedens in Europa und des guten deutschfranzösischen Einvernehmens zuwiderlaufen würden.
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Bitte, das steht in der regierungsoffiziellen französischen Begründung. Ist das nicht der Text, der in der vornehmen politischen Sprache, die bei solchen Anlässen üblich ist, ankündigt: Wenn das Statut im Plebiszit angenommen ist, dann gibt es keine Betätigung oder Propaganda mehr, die die Autorität usw. in Gefahr bringt!?
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Meine Damen und Herren, ist es denn Angstlichkeit von uns oder ist es eine pflichtgemäße Sorge von uns, daß wir bei solchen Texten darauf bestehen, daß es nicht bei vielleicht vorhandenen mündlichen Absprachen bleibt, sondern daß in den Text schwarz auf weiß geschrieben wird, daß es diese Freiheiten in Zukunft uneingeschränkt an der Saar geben wird? Bitte, die ersten Wahlen an der Saar innerhalb dreier Monate nach Annahme des Statuts in einem Plebiszit werden unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann stattfinden - ist gar keine Frage -, und da gibt es auch keine Kommission mehr, wohl schon einen Kommissar, der vielleicht einige Ermahnungen an Herrn Hoffmann geben wird.
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- Er kann gar nicht aufheben. Sehen Sie im Text nach - es war doch gut, daß ich das Stenogramm wieder durchgelesen habe, Herr Lenz -: er kann Ersuchen richten, er kann aber nicht aufheben, und das ist etwas ganz anderes. - Inzwischen sind die Wahlen längst vorüber - wir wissen doch, wie so etwas geht -, und es gibt dann ein Verwaltungsgerichtsverfahren so wie bei der verbotenen Demokratischen Partei Saar, und nach zwei Jahren wird dann darüber entschieden. Wie da entschieden wird, das weiß man. Solange der Weg im Innern nicht erschöpft ist, wird der Weg bei der Westeuropäischen Union erst gar nicht beschritten.
Jedenfalls, Johannes Hoffmann ist der Polizeiminister bei diesen ersten Wahlen, und das allein wäre doch schon Grund genug, um mißtrauisch zu sein und um klare Texte zu fordern. Herr Bundeskanzler, Sie sind so mißtrauisch gegenüber dem Osten - und mit Recht -, wenn da von freien Wahlen die Rede ist. Dann muß man auch in Verhandlungen klären, was damit gemeint ist, und man muß eine Fülle von Garantien zum Schluß suchen, um auch wirklich zu garantieren, daß die Wahlen frei sein werden. Von dieser Ihrer Skepsis findet sich aber auch gar nichts mehr wieder, wenn es sich um das Saargebiet handelt, wo es bisher seit 1945 auch keine freien Wahlen gegeben hat.
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Schließlich noch ein Wort zu der Kommission. Herr Bundeskanzler, in dem Text ist es völlig klar, daß zusätzliche Funktionen nicht dem französischen Vertreter, sondern der deutsch-französischen Kommission gewährt werden sollen, und das ist doch schließlich etwas ganz anderes. Ich habe den Eindruck, wenn man absolut nicht verstehen will, dann versteht man auch nicht.
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Meine Damen und Herren, damit ist die Debatte über die Saarfrage in der zweiten Lesung abgeschlossen.
Wir kommen zu dem Komplex Sicherheit und Verteidigung. Das Wort hat der Abgeordnete Berendsen. - Ist der Abgeordnete Berendsen nicht im Saal? - Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns über die Probleme der Sicherheit im Zusammenhang mit den uns vorliegenden Vertragswerken unterhalten, dann müssen wir selbstverständlich auch etwas auf die gestrige Auseinandersetzung zurückblenden, die ebenfalls die Probleme der Sicherung der Freiheit in einem ziemlich ausführlichen Maß mit einbezogen hat. Die Debatte gestern stand zu einem großen Teil im Zeichen des West-Ost-Konflikts,
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der seit der Spaltung der Solidarität der Sieger seit etwa dem Jahre 1946 und dann deutlicher werdend 1947 inzwischen die gesamte Menschheit mit großer Sorge erfüllt.
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Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! - Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, die Gespräche in die Wandelhalle zu verlegen und den Redner hier in Ruhe reden zu lassen.
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Wenn ich mir aber diese Debatte von gestern noch einmal in Erinnerung rufe, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob sie im wesentlichen noch aus der Situation des Korea-Krieges des Jahres 1950 heraus geführt worden ist.
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Inzwischen ist in der Welt etwas geschehen, und zwar etwas, was bisher in diesem Hause im Zusammenhang mit den Verträgen noch von keinem Sprecher aufgegriffen worden ist, ein Ereignis, das für die Beurteilung aller Sicherheitsfragen eine
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völlig neue Grundlage geschaffen hat, nämlich die Explosion zweier Wasserstoffbomben, eine in den Händen der Vereinigten Staaten von Amerika, die andere in den Händen der Sowjet-Union. Das ist jener entscheidende Tatbestand, an dem wir doch nicht vorbeikommen, wenn wir uns um die Fragen der Sicherheit Gedanken machen. Es ist ja häufig so, daß Militärs, wenn sie sich mit Sicherheitsproblemen befassen, den vergangenen Krieg noch einmal vorbereiten, statt sich mit den grauenhaften Perspektiven eines drohenden künftigen auseinanderzusetzen.
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Dieser Gefahr muß der Bundestag begegnen, indem er in allem Realismus untersucht, was sich an Konsequenzen aus dem Vorhandensein der neuen Massenvernichtungswaffen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges für dieses unser deutsches Volk ergibt. Wir können keinem besseren Rat folgen als dem des britischen Premierministers Winston Churchill, als er seinerzeit den Abzug der britischen Truppen aus dem Suezkanalgebiet damit begründet hat, daß in der Aera der Wasserstoffbombe alle früheren strategischen Konzeptionen überholt und veraltet geworden seien.
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Wir müssen uns darüber klar sein, daß es heute nicht mehr darum geht, Verteidigung in einem Krieg zu organisieren, sondern daß es heute für uns - und ich meine: für die Menschheit - darauf ankommt, Sicherheit vor einem Krieg überhaupt zu schaffen. Das ist das entscheidende Problem.
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Es wird an anderer Stelle dieser Debatte noch darauf eingegangen werden, welchen Appell jene Männer, die es wissen, von Professor Einstein über Professor Oppenheimer, den Schöpfer der ersten Atombombe, bis zu dem deutschen Nobelpreisträger Hahn, an die verantwortlichen Politiker in der ganzen Welt gerichtet haben. Ich meine, dieser Appell geht auch uns an. Sonst wären wir keine verantwortlichen Politiker.
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Der Deutsche Bundestag kann, gerade weil die Bundesrepublik alles andere als eine Atommacht ist, es mit gutem Gewissen auf sich nehmen, an die Großen in der Welt einen eindringlichen Appell zu richten, dem Atomwettrüsten Einhalt zu gebieten, weil an seinem Ende nur das Ende der Menschheit stehen kann.
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Aber wie? Es ist hier - und mit Recht -- nicht immer nur von der Lage dieses deutschen Volkes gesprochen worden. Es ist von der Lage gesprochen worden, in der sich dieses Volk inmitten zweier waffenstarrender Weltblöcke befindet, und da müssen wir uns also auch darüber unterhalten, uns darüber Rechenschaft ablegen, wie denn das drohende Verhängnis aufgehalten werden kann. Da gehört es, glaube ich, auch zu unseren Pflichten, denen, die es angeht - darin weiß ich mich eins, wirklich eins ohne Unterschied der Parteien mit dem ganzen Hause und auch mit der Bundesregierung -, eindringlich zuzurufen: Macht Ernst mit der Abrüstung, ehe es zu spät ist!
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Aber bei diesem Appell kann es nicht bleiben. Auch wir Deutschen sind verpflichtet, dann ganz nüchtern dieses Abrüstungsproblem - nach den sehr schmerzlichen Erfahrungen, die man in vergangenen Jahrzehnten mit Abrüstungsdiskussionen gemacht hat - zu betrachten nach seinen realen Möglichkeiten. Auch wir wissen, daß ein Abrüstungsunternehmen zum Scheitern verurteilt wäre, wenn etwa die eine Seite forderte: Laßt uns die Waffen wegwerfen, in denen ihr überlegen seid, damit wir die Waffen behalten, in denen wir überlegen sind! - Es ist auch für uns sonnenklar, daß eine Weltabrüstung nicht zustande kommen kann, ja, auch sogar - ich sage das - den Vereinigten Staaten von Amerika nicht zugemutet werden kann, wenn sie so aussieht, daß mit dem Verzicht auf die Atomwaffen dann eine erdrükkende Überlegenheit des Sowjetblocks mit den Waffen übrigbliebe, die, auch wenn man sie klassisch heißt, schrecklich genug sind, um Völker zu dezimieren, wie wir alle im letzten Krieg erlebt haben.
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Die Weltabrüstung ist ein Problem, das man nur im Ganzen angehen kann. Wir werden - das sei in aller Nüchternheit gesagt - zur weltumfassenden Abrüstung auch auf dem Gebiete der Atomwaffen nur gelangen, wenn man dazu kommt, auch die anderen Waffen in ein solches Abkommen einzubeziehen, damit auf beiden Seiten - nicht nur auf einer, auf beiden Seiten - dem verhängnisvollen Wettrüsten ein wirksames Ende gesetzt wird.
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Dazu gehört noch eins, und das sei gleichfalls in allem Ernste gesagt. Das Mißtrauen ist heute in der Welt groß, hüben und drüben. Mißtrauen ist leider eine Untugend, die es nicht nur auf einer Seite gibt, und es wird immer genährt von den Untugenden der anderen Seite. Ohne einen Abbau des Mißtrauens und der dieses Mißtrauen verursachenden Haltung hüben und drüben ist ein solches Abkommen auf die Dauer schwerlich erreichbar.
Aber wozu führt dieses Mißtrauen? Es führt dazu, daß sich niemand an eine Abrüstungsabrede mit Ernst verpflichtend binden kann, wenn er nicht die Gewißheit hat, daß auch der andere Partner sie einhält. Das heißt: Abrüstung gerade der Großen dieser Welt ist gebunden an ein wirksames System internationaler Kontrolle, das allen Beteiligten die Sicherheit gibt, daß nicht nur sie, sondern auch die andere Seite ihren Waffenvorrat vermindern und auf die weitere Vergrößerung bestimmter Waffen verzichten.
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- Ich habe den Zwischenruf nicht verstanden, ich bedauere also, nicht darauf eingehen zu können. Ich darf aber doch wohl annehmen, daß - bisher wenigstens jedenfalls - wir alle einer Meinung sind. Ich möchte noch hinzufügen, aus welchem aktuellen Anlaß - nicht nur in Zusammenhang mit der Vertragsdebatte - wir das aussprechen müssen. Das ist wahrscheinlich die letzte Gelegenheit, in der das deutsche Parlament sein Wort zu diesen Fragen sagen kann, bevor die Großen dieser Welt sich in den nächsten Wochen erneut an einem Tisch, und zwar an dem Tisch der Abrüstungskommission, die vom Sicherheitsrat der Vereinten
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Nationen geschaffen worden ist, zusammensetzen, um dieses Problem miteinander zu erörtern. Da haben wir alle doch nur eine einzige Aufgabe, nämlich denen, die dort zusammengetreten sind, zuzuraten, daß sie etwas zustande bringen. Da haben wir alle nur die eine Aufgabe, zu einer Verbesserung des Klimas beizutragen
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und nicht etwa von uns aus Öl ins Feuer zu gießen und die beteiligten Mächte, von denen unser aller Schicksal abhängt, gewissermaßen noch einmal gegeneinander aufzuhetzen.
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Ich richte den eindringlichen Appell an dieses Haus in Erinnerung an den gestrigen Tag, gewisse Töne und ihre Wirkung auf die vierte Besatzungsmacht doch im Hinblick auf diese Abrüstungsverhandlungen ernsthaft im eigenen Gewissen noch einmal zu überprüfen.
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Ich weiß: Weltabrüstung - sie scheint eine Utopie zu sein. Es ist ein großes immer wieder die Menschheit verlockendes Ziel, und noch nie ist es bisher erreicht worden. Ich weiß, daß man unter den Umständen der Gegenwart sich diesem Ziel nur Schritt für Schritt wird nähern können, aber ich weiß auch - und jeder von uns spürt das doch -, daß die Menschheit heute über die Mittel verfügt, sich selbst auszulöschen, wenn sie dieses Ziel nicht erreicht.
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Mag es bisher ein schöner und sehr guter Traum gewesen sein, hätten manche Schrecken vergangener Kriege vielleicht verhindert werden können - noch zu keiner Stunde ging es so wie jetzt ganz schlechthin um den Fortbestand der Menschheit überhaupt. Das muß auch unser Parlament bedenken, wenn es sich zu den Problemen der Abrüstung äußert. Wir haben daher allen Anlaß, bei diesen Fragen, ich möchte einmal sagen, mindestens durch unseren guten Willen mitzuhelfen. Da kann ich doch nicht ganz umhin, einen kleinen Widerspruch darin zu finden, daß man nach neuester Lehre, wie sie in diesem Hause vertreten worden ist, die Weltabrüstung am besten damit anfängt, daß man zunächst einmal die Bundesrepublik Deutschland aufrüstet.
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Meine Damen und Herren! Ich will damit dieses Thema der Weltabrüstung verlassen und mich einem weiteren zuwenden, das unmittelbar mit den Problemen der Sicherheit zusammenhängt und das wir so manches Mal in diesem Haus erörtert haben und das ja auch in einem Zusammenhang mit den Bemühungen anderer, mit uns befreundeter Länder steht, auf ihrem Gebiet das Nötige zu tun. Ich meine, so notwendig, wirklich unbedingt notwendig die Stärke der westlichen Welt gewesen ist und noch ist, um nicht einfach von einer aggressionslüsternen Macht überrannt zu werden, so notwendig ist es auch, zu begreifen, daß Sicherheit vor dem Bolschewismus mehr ist als ein rein militärisches Problem.
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Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
- er versteht etwas von den Sicherheitsproblemen
- hat in diesem Zusammenhang einmal ein Wort geprägt, das manchem von Ihnen heute gern als ein reiner kommunistischer Propagandaschlager erscheint. Ich halte Eisenhower nicht für einen fellow traveller oder für einen Mitläufer der Kommunisten, bis zur Stunde jedenfalls nicht. Er hat ein Wort geprägt, das mir sehr gefallen hat, das Wort von der competitive coexistence. Damit meint er, daß angesichts des heutigen Zustandes der Waffentechnik keine der beiden Mächtegruppen hoffen kann, die andere auszulöschen, keine!
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Bleibt also beiden nichts weiter übrig, als in irgendeiner Form nebeneinander zu bestehen, ohne sich die Schädel einzuschlagen. Dabei hat er das Wort competitive eingeführt, weil er der Meinung ist - und damit gebe ich ihm recht -, daß die freie Welt nicht durch ihre Tatenlosigkeit auf sozialem Gebiet, auf dem Gebiete der Freiheit der Kolonialvölker, auf dem Gebiete der Hebung des Lebensstandards in den unterentwickelten Gebieten der Welt weiterhin Hunderte von Millionen Menschen dem kommunistischen Sog einfach verfallen lassen sollte. Das war es, was Eisenhower mit dem Ausdruck gemeint hat. Damit wird gerade bei ihm sichtbar, daß die Gegenposition zum Bolschewismus doch nicht einfach der Antibolschewismus, sondern die Freiheit ist - und das ist etwas ganz anderes -, die Freiheit in ihrer Mannigfaltigkeit.
Es wird neuerdings Mode in unserem Lande, die Richtigkeit aller politischen Entschlüsse nur danach zu überprüfen, ob sie den Sowjets mißfallen oder gefallen, und einfach zu sagen: Richtig ist immer, was die Sowjetunion ärgert, und falsch ist alles, was unter Umständen noch die Zustimmung der Sowjetunion findet. Das sei hier besonders gesagt im Zusammenhang etwa mit einer rückschauenden Betrachtung der Rede des Kollegen Euler. Ich warne vor dieser vereinfachenden Betrachtung der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen. Wer es sich angewöhnt, seine politischen Maßstäbe in dieser Weise nur nach den Verhaltensweisen der Sowjetunion auszurichten, dessen Gehirnwindungen werden allmählich denen der Sowjets verdammt ähnlich,
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der läßt sich vom Gegner das Gesetz des Denkens und Handelns vorschreiben, der bezieht keine eigene Position mehr, sondern nur noch jeweils die Antiposition, d. h. er wird ein Abziehbild der kommunistischen Welt. Und dann lohnt der Kampf um die Freiheit nicht mehr, wenn wir nur eine andere Ausgabe derselben eintönigen Uniformität werden.
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Ich habe vorhin davon gesprochen, daß Weltabrüstung nur möglich ist, wenn ein Klima dafür geschaffen wird, wenn das Mißtrauen der Großen zueinander etwas zum Abklingen gebracht wird, das heißt mit anderen Worten: wenn es gelingt, auf Sicht die Beziehungen der beiden Mächteblöcke zueinander etwas zu entspannen. Damit sind wir bei einer Frage, die uns den ganzen gestrigen Tag beschäftigt hat und die auch nicht gelöst werden kann ohne eine Entspannung der Beziehungen der Großen zueinander, nämlich bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Hier gibt es einen untrennbaren Zusammenhang dieses gesamten Komplexes. Das, Herr Bundeskanzler, ist auch Ihre Meinung, ich weiß es. Aber gerade weil es diesen inneren Zusammenhang von internationaler Entspannung und Wiedervereini({21})
gung Deutschlands und der schicksalhaften Hoffnung der Menschheit auf die Abrüstung gibt, ist es besonders das Interesse der Deutschen, stärker fast noch als das Interesse jedes anderen Volkes, den Weltmächten zu einer solchen Politik der Entspannung zuzuraten, nicht etwa beiseite zu stehen oder gar etwa ihnen abzuraten.
Die Wiedervereinigung Deutschlands erhöht die Sicherheit für alle Beteiligten. Sie erhöht sie einmal dadurch, daß sie ein sichtbares Zeichen der Entspannung der weltpolitischen Gegensätze ist, und sie erhöht sie zum anderen, rein militärisch gesprochen, auch für die freie Welt dadurch, daß die sowjetische Ausgangsposition einige hundert Kilometer weiter östlich zu liegen käme als heute. Darüber sollte doch ein Mann wie General Gruenther einmal nachdenken. Das ist meine feste Überzeugung.
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Erreichbar allerdings ist eine solche Lösung nur, wenn sie annehmbar, auch vom Sicherheitsstandpunkt annehmbar, für alle Beteiligten ist.
Hier ist - das sei dem Kollegen von Merkatz mit Dank vermerkt - noch einmal die einmütige Überzeugung des ganzen Hauses ausgesprochen worden: Wiedervereinigung Deutschlands heißt nur Wiedervereinigung in Freiheit. Auch für uns Sozialdemokraten steht fest, daß wir mit der Wiedervereinigung Deutschlands nicht etwa die 50 Millionen Bewohner Westdeutschlands und Berlins in das Zuchthaus der Sowjetzone einsperren wollen, sondern daß umgekehrt die Wiedervereinigung Deutschlands bedeuten muß, daß sich für die 18 Millionen Landsleute in der Zone die Tore zur politischen Freiheit öffnen.
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Dabei scheiden zwei Wege - nicht nur einer, zwei - eindeutig aus: Der Weg des Krieges ist von allen ausgeschieden worden; er wäre Selbstmord. Bleibt noch ein Weg, den wir ausscheiden müssen, obwohl er, so fürchte ich, jedenfalls in manchen Gehirnen heute doch noch vorhanden ist: Das ist der Weg des Druckes. Was heißt das eigentlich: der Weg des Druckes? Das bedeutet also, daß man entweder mit dem Kriege droht und dann das Risiko des Unterganges über das eigene Volk und nicht die Wiedervereinigung heraufbeschwört, oder aber, daß jedermann weiß: Die Drohung wird nie in die Tat umgesetzt, und dann ist sie nichts als ein leerer Bluff, und man verliert das Gesicht, so wie es doch leider schon einmal die Vereinigten Staaten bei ihren ergebnislosen Drohungen im Indochinafall vor der südostasiatischen Welt verloren hatten. Der Weg des Druckes ist für uns genau so ungangbar wie der Weg des Krieges.
Was bleibt dann noch übrig? Dann bleibt nur übrig der einzige Weg, auf den wir uns bisher hier alle miteinander verständigt haben: der Weg der Verhandlungen, und zwar offensichtlich also der Verhandlungen ohne die Pression, ohne den Druck. Wie können solche Verhandlungen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit zu einem für uns akzeptablen Ergebnis gebracht werden? Es scheidet aus jener Weg, den die Sowjets in zahlreichen früheren Erklärungen verfochten haben und der von den westdeutschen Kommunisten nachgebetet worden ist, jener Weg, der dazu da sein sollte, Gesamtdeutschland schon vor der Abhaltung von Wahlen den Kommunisten in die Hände zu spielen, indem man sie an gesamtdeutsche Schalthebel der Machtpolitik gebracht hätte. Dieser Weg scheidet aus zwei Gründen aus, einmal weil wir alle miteinander
ihn nicht wollen, und zum zweiten - darauf hat ein Kollege schon aufmerksam gemacht - weil die Westmächte nicht im Traume daran denken, ihre strategischen, ihre militärischen Positionen in der Bundesrepublik zu räumen, damit sie in die Hände der Sowjets fallen. Das ist ein ganz harter, nackter Tatbestand. Aber dieser Tatbestand, meine Damen und Herren, gilt auch umgekehrt. Darüber muß man sich einmal Rechenschaft ablegen.
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Die Sowjetunion denkt gleichfalls nicht daran, der Schaffung eines Gesamtdeutschlands zuzustimmen, das so beschaffen wäre, daß ihre bisherigen politischen und militärischen Positionen in der sowjetischen Besatzungszone in von den Amerikanern befehligte strategische Positionen verwandelt würden. Das ist friedlich auch nicht zu erlangen. Die Wiedervereinigung Deutschlands nicht als ein Fernziel der nächsten Generationen, sondern als eine Gegenwartsaufgabe einer Politik der Entspannung und auch einer Politik der Weltabrüstung ist nur zu erlangen, wenn das wiedervereinigte Deutschland weder sowjetischer Satellit noch amerikanischer Truppenübungsplatz wird.
({25})
Meine Damen und Herren, das Kräftegleichgewicht in der Welt bleibt unverändert, ob Sie nun deutsches Militärpotential je zur Hälfte den beiden Blöcken einverleiben oder ob deutsches Militärpotential keinem der beiden Militärblöcke angehört.
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Das bedeutet für das weltpolitische Machtgleichgewicht keinen Unterschied.
({27}) (1
Der Abgeordnete Wehner hat schon mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß zwei gegeneinander aufgerüstete deutsche Armeen die gefährlichste Form der Neutralisierung wären. Dieser Meinung möchte ich mich vollinhaltlich anschließen. Wir haben gestern davon gesprochen, daß es selbstverständlich bei allen Überlegungen nicht nur auf die Sicherheit der anderen, sondern gerade - und das ist in einem deutschen Parlament unsere Pflicht - auf die Sicherheit des eigenen Volkes ankommt. Die Abgeordneten Wehner und Brandt haben davon gesprochen, daß die Sicherheit des wiedervereinigten Deutschlands auf einem Vertragssystem beruhen müsse, das jedem, der die Grenzen des wiedervereinigten Deutschlands verletze, klarmache, daß er damit den dritten Weltkrieg auslöse. Dann findet dieser Weltkrieg nicht statt!
Meine Damen und Herren, es ist Sache der praktischen Politik, in einem solchen Vertragssystem auch zu bestimmen, welche nach meiner Überzeugung unvermeidbaren eigenen Leistungen das deutsche Volk in einem solchen Fall, auch in einem solchen Vertragssystem, als Hilfe für seine eigene Sicherheit mit zu erbringen hat. Aber ich frage Sie alle, nachdem wir wenigstens den Versuch unternommen haben, eine den vier Besatzungsmächten annehmbare Konzeption für Gesamtdeutschland vorzutragen: Welchen Weg außer dem, daß Sie die Bundesrepublik aufrüsten, zeigen Sie denn, um zur Wiedervereinigung Deutschlands in einer Form zu kommen, die auch die Zustimmung der Sowjetunion finden kann? Das ist doch bisher noch gar nicht gesagt worden!
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({29})
Wer es - das ist doch der tiefe Kern unserer Gegensätze - zum erklärten Ziel seiner Politik macht, daß auch das wiedervereinigte Deutschland einer amerikanisch geführten Militärallianz angehören müsse, der mag ein vielleicht erstrebenswertes Ziel verfolgen; aber die Einheit Deutschlands wird er damit angesichts der realen Machtverhältnisse in der Welt bestimmt nicht erreichen.
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Wenn also, gesetzt den Fall, Sie stimmen den Vertragswerken zu - Sie scheinen ja in Ihrer überwiegenden Mehrheit fest dazu entschlossen zu sein -, wenn also auch Sie die Wiedervereinigung Deutschlands anstreben, was anderes bleibt Ihnen dann übrig, als auch Ihrerseits die weltpolitischen Realitäten in Ihre Betrachtungen einzubeziehen?! Das wiedervereinte Deutschland als Teil eines amerikanisch beherrschten Militärsystems ist offensichtlich nicht möglich. Da ich nicht annehmen kann, daß Sie das wiedervereinte Deutschland mit einem Militärbündnis mit der Sowjetunion ausstatten wollen, bleibt doch eigentlich dann nur übrig, daß das wiedervereinte Deutschland eben kein militärisch Verbündeter eines einseitigen Systems von Militärallianzen sein wird, auch wenn Sie einmal an diese Frage herangehen müßten.
({31})
Ebenso ist es unbestritten, daß nach dem freien Willen des deutschen Volkes, nach dem unbezweifelbaren Ergebnis gesamtdeutscher freier Wahlen das wiedervereinigte Deutschland wirtschaftlich, sozial, kulturell und politisch ein Teil der Gemeinschaft der freien Völker sein würde und kein kommunistischer Satellit. Das wissen die Sowjets genau so wie die Westmächte. Und da meine ich: In diesem Bewußtsein könnten wir ruhig mit etwas mehr Mut an die kommenden Viermächtekonferenzen herangehen und brauchten nicht so zaghaft zu sein.
({32})
Welche Chancen dafür bestehen, das ist am gestrigen Tage in der politischen Diskussion um die Wiedervereinigung abgehandelt worden. Ich möchte hier, da wir uns heute über die Sicherheitsfragen, auch über die militärischen Fragen auseinandersetzen, doch darauf aufmerksam machen, daß die Zugehörigkeit zur freien Welt keineswegs zwingend verbunden ist mit der Zugehörigkeit zur Atlantischen Militärallianz.
({33})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern! Bitte schön!
Herr Kollege Erler, gestatten Sie mir bitte eine Frage.
({0})
Sie haben ausgeführt, daß als Ziel eines Sicherheitssystems erreicht werden müßte, daß jeder, der die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschland verletzt, mit der Auslösung des dritten Weltkriegs rechnen müsse. Das wäre die Grundlage des Sicherheitssystems in dem Gedankengebäude, das Sie dargestellt haben. Wie, so frage ich, stellen Sie sich ein System vor, das dann die Verteidigung Deutschlands gegen einen Angreifer gewährleistet,
anders als in der Form, daß diese Verteidigung inhaltlich praktisch eben doch ein Bündnis wäre?
({1})
Herr von Merkatz, der Unterschied zwischen diesem System und dem hier von der Bundesregierung und von Ihnen verteidigten ist folgender: Das, was ich vorschlage, schützt das wiedervereinte Deutschland, und Ihres schützt die Hälfte!
({0})
Das, was ich vorschlage, geht davon aus, daß um der Wiedervereinigung und um des Zustandekommens des einheitlichen Deutschlands willen der Bündnisfall nicht schon im voraus, gewissermaßen im vorhinein diffamierend - das ist der Charakter der alten Militärallianzen - festgelegt wird, weil Sie dann die vierte Besatzungsmacht nicht zur Freigabe ihrer Zone bekommen.
({1}) Das ist doch das Wesentliche.
({2})
Im übrigen, Herr von Merkatz, dürfte Ihnen als Völkerrechtler der Unterschied zwischen einem System der kollektiven Sicherheit - in dem die Partner untereinander sich zum Friedenhalten verpflichten und gemeinsam zur Hilfe gegen den Aggressor aus den Reihen dieses Systems anzutreten verpflichtet sind - und der klassischen Militärallianz hinlänglich bekannt sein.
({3})
- Meine Damen und Herren, ich sehe hier gelegentlich etwas zweifelnde Armbewegungen. Ich bedaure, daß nicht der eine oder der andere unserer Kollegen sich zur Vorbereitung dieser Debatte doch etwas mit dem völkerrechtlichen Problem der Militärallianzen und von Systemen der kollektiven Sicherheit befaßt hat.
({4})
Meine Damen und Herren, ich habe davon gesprochen, daß die Zugehörigkeit zur freien Welt nicht automatisch verbunden ist, nicht gleichgesetzt werden kann mit der Zugehörigkeit zur atlantischen Militärallianz. Ich finde, in einer solchen Gleichsetzung liegt sogar eine gefährliche Abwertung. Zahllose andere Völker, die stolz sind auf ihre demokratischen Traditionen, die stolz sind auf ihre Freiheit, die stolz sind auf ihre Zugehörigkeit zum westlichen Kulturkreis - er ist größer, viel größer als die atlantische Militärallianz, auch wenn sie der Kern dieses Kulturkreises ist -, gehören deshalb nicht unbedingt zur NATO. Ich befinde mich da - ich bin ja nun vielleicht hier zum Spezialisten für Zitate aus dem englischsprachigen Bulletin der Bundesregierung geworden - in allerbester Gesellschaft mit der Ausgabe des Bulletins vom 24. Januar. Da wird das sogar von einem Lande behauptet, das eine verhältnismäßig junge Tradition auf dem Gebiet hat, das wir die parlamentarische westliche Regierungsweise in unserer besonderen Ausprägung der Demokratie nennen. In einem Aufsatz: „Indien - von Deutschland gesehen" heißt es, daß Indien der Sprecher der freien, nichtkommunistischen Länder Asiens sei und seine größte Bedeutung darin liege, daß es
({5})
unlösbar durch freie und demokratische Grundsätze mit dem Westen verbunden sei, andererseits der Vorkämpfer jener asiatischen Staaten sei, die gerade eine gewisse Unabhängigkeit gewonnen haben und entschlossen sind, sie zu bewahren.
Warum trage ich Ihnen das vor? Nicht weil ich unsere Lage mit der Indiens vergleichen wollte. Auch das schwedische Beispiel ist - wie immer bei solchen Vergleichen - angesichts der Verschiedenheit der geographischen Situation nicht voll übertragbar. Ich trage Ihnen das vor, damit wir endlich einmal begreifen, daß Zugehörigkeit zur freien Welt und Zugehörigkeit zu einem amerikanisch geführten System von Militärallianzen nicht notwendigerweise ein und dieselbe Sache sind. Das sollten wir einmal begreifen.
({6})
Nebenbei: selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika ist diese Erkenntnis gar nicht so fremd. Es hat kürzlich eine Auseinandersetzung im amerikanischen Senat gegeben, und da haben amerikanische Senatoren darauf aufmerksam gemacht, daß die Vereinigten Staaten von Amerika doch auch ihre Bündnispolitik einmal auf ihren wirklichen Gehalt überprüfen sollten, um nicht dort Bündnisse vorzutäuschen, wo es sich in Wirklichkeit um verhältnismäßig einseitige Leistungen der Vereinigten Staaten handle, die sie selbstverständlich auch im Interesse ihrer Verteidigung, aber auch im Interesse der Freiheit der beteiligten Länder erbringen wollten; aber man sollte doch dann allen diesen Ländern nicht zweiseitige Bündnisverträge aufnötigen, die sie nur in die schwersten außenpolitischen Auseinandersetzungen mit anderen Nachbarn bringen könnten. Das haben amerikanische Senatoren vorgetragen. Ich finde, es ist gut, in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern. Es gibt nämlich eine Reihe von Gefahren dessen, was Sie die militärische Integration nennen, nämlich der Bundesrepublik in jenes einseitige Militärbündnissystem. Die Gefahren dieser militärischen Einschmelzung - ({7})
- Gern!
Ist Ihnen bei der Entwicklung Ihres Gedankens über das Kollektivsystem nicht aufgegangen, daß die Sowjetunion die dafür unerläßliche Voraussetzung einer gleichberechtigten Einreihung ganz Deutschlands bisher niemals zugestanden hat und auch nicht zu erkennen gegeben hat, daß sie zu einem derartigen Zugeständnis bereit wäre?
({0})
Herr Kollege Euler, erstens hat die Sowjetunion grundsätzlich den Gedanken der Mitwirkung eines nicht etwa unbewaffneten Deutschland in einem System der kollektiven Sicherheit in ihren Erklärungen mehrfach geäußert. Zweitens: Welche Tragweite diesen Erklärungen zukommt, Kollege Euler, das kann man nur prüfen, wenn man den Russen am Verhandlungstisch Auge in Auge gegenübersitzt, und nirgendwo anders.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Frage?
Nein. Ich habe nämlich das System der kollektiven Sicherheit längst verlassen, und - entschuldigen Sie, Kollege Euler! - auf Spätzünder kann ich mich nicht in unbeschränktem Umfange einlassen.
({0})
Ich sprach bereits von den Gefahren der militärischen Einschmelzung der Bundesrepublik für unsere künftige Entwicklung; das ist schon ein völlig neues Kapitel. Es entsteht doch ein gewisser Automatismus, wie er sich aus den Vertragswerken zwangsläufig ergibt. Es entstehen gemeinsame Kommandobehörden, das Ineinanderweben verschiedener Truppeneinheiten und das Abhängigmachen von einheitlichen Versorgungseinrichtungen. Es entsteht, ich möchte einmal sagen, eine Gemeinschaft der militärischen Geheimnisse. Das alles führt doch in seiner Wirkung dazu, daß wir mit einer solchen Politik dem amerikanischen „New Leader" schmerzlich recht geben würden, der ganz nackt und bloß festgestellt hat: Aus strategischen Gründen kommt die Wiedervereinigung Deutschlands nicht in Frage.
({1})
Wenn wir nämlich erst einmal in eine solche Organisation ganz fest eingegliedert worden sind, dann entwickelt sich doch ein solches Schwergewicht, ein solches Interesse dieser Organisation an dem Verbleiben der Mitwirkung der Deutschen darin, daß Sie dann die Bemühungen um die Wiedervereinigung Deutschlands nur noch mit außerordentlich großen Schwierigkeiten weitertreiben könnten.
({2})
Es ist hier, und auch dazu muß noch ein Wort gesagt werden, von der Stimmung in der sowjetischen Besatzungszone gesprochen worden, die so sei, daß man in unserer Sicherheit die Hoffnung auch für die sowjetische Besatzungszone erblicke. Ich will Ihnen ganz offen sagen: Jawohl, es gab, auch wenn das im Abklingen ist, auch wenn sich inzwischen manches in der Sowjetzone verändert hat, es gab und gibt noch heute eine durchaus begreifliche Stimmung der Irredenta einer gequälten Bevölkerung, die sagt: Wann holen die uns endlich aus diesem Los hier raus?
({3})
Man sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!
({4})
Das ist eine Haltung und eine Stimmung, die vollkommen begreiflich sind, denen ich meine menschliche Hochachtung nicht versage.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir, die wir in Nüchternheit und Freiheit unsere politischen Entschlüsse fällen können, unsere Entschlüsse auf noch so begreifliche Stimmungen gründeten, ohne der Bevölkerung zu sagen, daß ein Nachgeben gegenüber dieser Stimmung nicht zu ihrer Befreiung, sondern zu ihrem und zu unserem Untergang führen würde, dann wären wir keine verantwortlichen Politiker.
({5})
Es ist gar kein Geheimnis, daß ein großer Teil unserer Landsleute in der sowjetischen Besatzungs({6})
zone einmal auf die Befreiung auch mit militärischen Mitteln gehofft hat. Diese Hoffnung ist zerronnen. Sie ist zerronnen, und ich sage sogar -auch wenn es manchen unserer Landsleute in der Zone dabei weh ums Herze wird -: es ist gut so, um ihres eigenen nackten Lebens willen! Die Vereinigten Staaten von Amerika denken nicht daran, einen einzigen Soldaten zur militärischen Befreiung der Sowjetzone aufs Spiel zu setzen!
({7})
Das ist eine Realität. Die Befreiung mit militärischen Mitteln scheidet aus. Es bleibt nur übrig die Erlösung durch die Politik. Da mache ich Sie in allem Ernst darauf aufmerksam, daß man in der Zone drüben sehnsüchtig darauf wartet, daß unsere Politik in der für die Zone entscheidenden Frage, nämlich in der Wiedervereinigungsfrage, etwas mehr an Energie gewinnt als bisher.
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Wir haben jahrelang alle Energien der bundesrepublikanischen Politik in der Jagd nach der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft verzehrt, und Sie haben sie dann doch nicht erreicht.
({9})
Meine Damen und Herren, soll man weitere Jahre tatenlos verstreichen lassen auf dem Gebiet der Wiedervereinigung, bis jener Abnutzungsprozeß, den die EVG erlebt hat, vielleicht auch in Frankreich erneut diesen Vertragsprojekten ein ungewisses Schicksal bereitet? Jedes Jahr, das Sie -entschuldigen Sie, wenn ich das sage - damit vertun, daß Sie alle Energien hier auf die Einschmelzung der Bundesrepublik in den westlichen Militärverband konzentrieren, sieht doch ein weiteres Abwandern der aktivsten Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone, die es nicht mehr aushalten können.
({10})
Jedes Jahr sieht ein weiteres Sichabfinden weiter Schichten der Zone mit dem Regime. Jedes Jahr wächst ein neuer Jahrgang junger Menschen heran, den die Kommunisten nach ihrem geistigen Ebenbilde geformt haben.
({11})
- Herr Kollege Euler, selbstverständlich hindert die Sowjets nichts daran, aber ich meine - das hat auch Herbert Wehner ausgesprochen -, die Sowjetunion hält es aus in der Zone; wir müssen das Unsere tun, damit der Abzug beschleunigt werden kann!
({12})
- Frau Kollegin Weber, mit allem Respekt: ich glaube es vorhin mit ziemlicher Deutlichkeit im
Nachklang zu dem, was die Kollegen Wehner und Brandt gestern dargelegt haben, ausgeführt zu haben.
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- Aber natürlich! Der entscheidende Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands ist nicht anders gangbar, als indem Sie den Westmächten zuraten, so bald wie möglich die Russen beim Worte zu nehmen, und nicht ihnen davon abraten. Das ist das Entscheidende!
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Meine Damen und Herren, damit bin ich bei einem weiteren Kapitel, nämlich bei jenem Argument, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in der Form, wie wir sie vorgeschlagen haben, die gesamte Sicherheitsgemeinschaft der freien Welt, nämlich die nordatlantische Verteidigungsorganisation, sprengen würde. Warum eigentlich? Der Atlantikpakt ist im Jahre 1949 geschaffen worden, zu einer Zeit, als es noch keinen Gedanken an die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik gegeben hat. Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion waren damals mindestens genau so unfreundlich wie heute. Der Staatsstreich in der Tschechoslowakei, also die damals akuteste Form der sowjetischen Bedrohung in Europa, war schon passiert.
({15})
- 1948, Sie haben recht, Frau Kollegin Dr. Weber. 1949, ein Jahr darauf, wurde der Atlantikpakt geschlossen. Eine ganze Reihe von Mächten haben damals erklärt: Wir denken nicht daran, den Deutschen Gewehre in die Hand zu drücken; wir denken nicht daran, die Deutschen je in diese atlantische Verteidigungsorganisation aufzunehmen. Meine Damen und Herren, warum eigentlich sollte die Existenz dieser Verteidigungsgemeinschaft unter amerikanischer Führung, die Existenz dieser Organisation von 14 Ländern, plötzlich zum Tode verurteilt sein, nur weil das fünfzehnte Land, das man früher unter keinen Umständen haben wollte, jetzt nicht eintritt? Das verstehe ich nicht.
({16})
- Inzwischen sind doch ein paar Wasserstoffbomben gefallen, das haben S i e noch gar nicht mitgekriegt!
({17})
- Das ist auch wieder so eine berühmte Vereinfachung der Tatsachen! Bei der Auseinandersetzung über den EVG-Vertrag haben wir Sie lediglich daran erinnert, daß es nach dem EVG-Vertrag schon deshalb keine Gleichberechtigung der Deutschen gäbe, weil sie von den entscheidenden Schaltstellen der Atlantik-Organisation ferngehalten würden. Das haben wir Ihnen entgegengehalten als Zeichen, daß es keine Gleichberechtigung gäbe. Aber die Sozialdemokratische Partei hat nicht den Eintritt der Bundesrepublik in den Nordatlantikpakt gefordert.
({18})
({19})
- Doch, bei uns gibt es die Wiedervereinigung Deutschlands, weil ich der Meinung bin, daß es für ein halbes Deutschland ernsthaft überhaupt keine Sicherheit gibt.
({20})
Solange Deutschland gespalten bleibt, solange bleibt hier in Europa ein Gefahrenherd,
({21})
und solange ist die Verteidigung, wenn wir schon nicht von Sicherheit sprechen können - Sicherheit gibt es für das halbe Deutschland überhaupt nicht -, doch ernsthaft kaum möglich. Vorbereitungen dafür kann man nur im äußersten Notfall dann verantworten, wenn man ernsthaft die Lösung der Sicherheitsfrage für das deutsche Volk durch die Wiedervereinigung versucht hat. Das ist das Entscheidende, was wir zu dem Thema sagen müssen.
Ich bin jetzt bei einer Untersuchung der Tatbestände, die ich eben zusammengefaßt habe unter dem Gesichtspunkt der kaum möglichen Verteidigung der Bundesrepublik, also des halben Deutschlands. Betrachten Sie sich dieses schmale Handtuch, betrachten Sie sich dieses Land, das doch das Vorfeld der Verteidigung anderer zwangsläufig durch seine geographische Lage ist!
Das in diesem Hause früher, auch in den Ausschüssen, in diesem Zusammenhang immer erörterte Kapitel war das der Verteidigungsplanung der Atlantik-Organisation. Sie haben, um hier für die Zukunft gewisse Garantien zu schaffen, in den Berichten des Sicherheitsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses verlangt, daß die Bundesrepublik an der für die Ausarbeitung der strategischen Konzeption entscheidenden Planungsstelle, nämlich an der Standing Group in Washington, beteiligt wird. Meine Damen und Herren, unsere Drucksache war noch frisch, da kam aus London schon eine außerordentlich kalte Dusche, und es wurde sehr mit Nachdruck betont, daß diese Forderung doch eigentlich unzeitgemäß wäre.
({22})
Damit wird doch klar, in welchem Umfang selbst in dieser Organisation drei Mächte sich im wesentlichen die Vorbereitung der strategischen Entschlüsse selbst vorbehalten haben.
Was geschieht nun in mehr oder minder naher Zukunft, wenn es zu einer Mitwirkung der Bundesrepublik in der Atlantik-Organisation käme? Welche Pläne liegen eigentlich für diesen Fall vor? Wir haben einmal eine Rede des amerikanischen Generals Gruenther in Amerika, und Sie haben zweitens die Zuversicht, die sicher auch auf gewisse Informationen gestützte Zuversicht unseres Kollegen Blank. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, wenn man schon Militärbündnisse abschließt, dann ist mir eigentlich jene altmodische Form des Militärbündnisses lieber, in dem man schwarz auf weiß erfahren hat, was man leistet und was man dafür an Sicherheit auch einkauft.
({23})
Es gibt keine verbindliche Form, in der Sie wirklich mit gutem Gewissen sagen können: hier ist eindeutig geplant und zugesagt, daß die Bundesrepublik für den Fall eines Konflikts mit dem Ziele der Erhaltung ihrer menschlichen Substanz verteidigt wird.
Es gibt einen sehr interessanten Bericht, den der britische Außenminister Eden erwähnt hat, als er im englischen Unterhaus das NATO-Kommuniqué vom 18. Dezember 1954 zitierte. Darin heißt es:
Der Rat prüfte weiter einen Bericht des Militärausschusses über die wirksamsten Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungsstärke in den kommenden Jahren, die die Entwicklung moderner Waffen und Technik berücksichtigen.
Er genehmigte diesen Bericht als Basis für die weitere Verteidigungsplanung.
Meine Damen und Herren, es ist doch ein Interesse dieses Hauses, das fast auf Tod und Leben geht, diesen Bericht des Militärausschusses, in dem es sich also gerade auch um die Einplanung künftiger eigener Leistungen handelt, nachdem er im britischen Unterhaus vom Minister zitiert worden ist, in seinen Grundzügen zu kennen. Ich habe Anlaß zu der Vermutung, daß dieser Bericht nicht einmal der Bundesregierung bekannt ist.
({24})
Bei diesem Stand der Dinge darf es uns nicht verwundern, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik Manöver so angelegt worden sind, mit dem Einsatz von taktischen Atomwaffen z. B., als gäbe es in dem betreffenden Gebiet überhaupt keine Zivilbevölkerung. Da darf es uns auch nicht wundern, daß die Briten nach wie vor an ihrer Konzeption festhalten, daß sich eben aus strategischen Gründen die Verlegung ihres Hauptquartiers auf das linke Rheinufer aufnötige. Es ist in Ihren Drucksachen eine Erklärung abgedruckt, die der amerikanische Außenminister Dulles zu dem Problem der Stationierung amerikanischer Verbände auf dem europäischen Kontinent abgegeben hat.
Meine Damen und Herren! Ich hatte Gelegenheit, Ihre Propagandafeldzüge so zu beobachten wie Sie die meinen. Ich weiß übrigens nicht, wer von Ihnen Anlaß hatte, sich etwa über meine besonders zu beklagen. Aber davon abgesehen, ich weiß, daß eines Ihrer entscheidenden Argumente immer das gewesen ist: Wenn wir diese Verträge nicht ratifizieren, dann werden die Vereinigten Staaten von Amerika ihre schützende Hand von Europa abziehen, dann werden sie gewissermaßen nicht nur militärisch ihre Präsenz hier verringern, was wahrscheinlich ohnehin bevorsteht - Kollege Furler, ich komme noch darauf -, sondern dann werden sie auch politisch die bösen Europäer zur Strafe für schlechtes Verhalten den Russen ein- fach vorwerfen und sagen: Nimm auch das Ruhrgebiet; die Veränderung des weltpolitischen Gleichgewichts durch die Produktionskapazität Deutschlands auf russischer Seite interessiert uns dann auch nicht weiter. Ich traue den Vereinigten Staaten keinen Selbstmord aus Angst vor dem Tode zu. Ich halte sie politisch für klüger. Ich bin sogar der Meinung, wenn man mit den Amerikanern ernsthaft über die auch für sie verbesserten Chancen einer Verteidigung der Freiheit durch die Wiedervereinigung Deutschlands sprechen würde, daß auch da durchaus ein gutes Wort auf guten Boden fiele.
({25})
Aber ich bin jetzt bei der Dulles-Erklärung auf der Londoner Konferenz. Die müssen Sie sehr sorgfältig lesen. Daraus ergibt sich ganz eindeutig - ({26})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Ich weiß nicht, Herr Kollege Erler, ob ich Sie richtig verstanden habe. Aber darf ich Sie fragen - ich habe nämlich nichts gehört -, warum sie in einer Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands eine bessere Chance für die Verteidigung der Freiheit sehen? Das war bis jetzt nur eine Behauptung.
Das darf ich Ihnen sagen: Weil die Freiheit besser geschützt ist, wenn russische Bomber und russische Kanonen nicht gleich hinter Lübeck und nicht weit weg von Frankfurt am Main stehen, sondern einige Hundert Kilometer weiter östlich.
({0})
Ich finde, damit sind die strategischen Ausgangspositionen sehr entscheidend verändert.
({1})
- Dann will ich Ihnen hier ein Geheimnis verraten. Ein Mann, der kein Deutscher ist, ein Mann, der etwas von den Weltdingen versteht, der hatte für diese Überlegung außerordentlich viel Verständnis,
({2})
nämlich der damals amtierende amerikanische Außenminister General Bedell Smith.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Ja!
Herr Kollege Erler, gestatten Sie die Frage: Sind Sie sich darüber klar, daß, wenn in einem wiedervereinigten und von den Alliierten des letzten Weltkrieges geräumten Deutschland die russischen Kanonen an Oder und Neiße stehen würden, dann die amerikanischen jenseits des Ozeans stehen?
({0})
Auch ein Spätzünder, aber dennoch, ich habe Mitleid.
({0})
Herr Kollege Jaeger, vorhin habe ich ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß mit der Wiedervereinigung Deutschlands keinerlei Notwendigkeit besteht, die vorhandene Atlantikpakt-Organisation aufzulösen. Die gibt es doch seit 1949.
({1}) Das ist der eine Punkt.
Und zum zweiten. Sie wissen genau wie ich, daß die amerikanische Strategie in einer erheblichen Wandlung begriffen ist und daß die Sicherheit für einen großen Teil der auch von den Amerikanern mitgeschützten Völker, abgesehen von der Eigenleistung jener Nationen,
({2})
im wesentlichen auf der Gewißheit beruht, daß ein sowjetischer Angriff eine amerikanische Reaktion gegen die Sowjet-Union selbst zur Folge hätte. Das ist heute das Entscheidende. Nichts anderes.
({3})
Meine Damen und Herren, kommen wir zurück zu den Erklärungen des amerikanischen Außenministers Dulles.
Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung; aber die Sache ist zu wichtig; ich würde gerne eine ergänzende Frage stellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie die Zusatzfrage?
Ja.
Herr Kollege Erler, sind Sie sich darüber klar, daß zur militärischen Verteidigung der Freiheit in Europa - davon müssen wir ja ausgehen - im Zeitalter der atomaren Kriegführung ein gewisses Hinterland von einer sehr großen Tiefe notwendig ist und daß bei der von Ihnen vorgeschlagenen Lösung für eine Verteidigung des freien Europa vom Westen her dieses Hinterland fehlen würde?
Herr Abgeordneter Kiesinger, dieses Hinterland einer Verteidigung würde auch für die Bundesrepublik, für uns, im Falle einer Aggression nicht von großem Nutzen sein; dann wären wir nämlich tot.
({0})
Das ändert doch die Lage nicht! Wir können uns aus unserer geographischen Situation doch nicht herausmogeln.
({1})
Und zum zweiten, Kollege Kiesinger: die Einzelheften bezüglich eines wiedervereinigten Deutschlands und seines Einbaus in ein System der kollektiven Sicherheit auszuarbeiten, das ist doch selbstverständlich Aufgabe der praktischen Politik. Aber daran müssen wir uns doch nun endlich einmal machen! Sie fragen, als ob ich den Vertrag über die Wiedervereinigung Deutschlands mit Mitwirkung der Bundesrepublik schon auf dem Tisch liegen hätte!
({2})
Nein, jetzt steht zur Debatte, welche Konsequenzen Ihre Politik mit der Gefahr der Verhinderung der Wiedervereinigung hat.
({3}) Wir haben uns bemüht - ({4})
- Entschuldigen Sie, dann will ich Ihnen, auch wenn es ein bißchen grob klingt, hier einmal eine Karte zeigen, die mir ein evangelischer Pfarrer nach jener historischen Sitzung des vergangenen Jahres, als das Monopol der CDU auf die Alleinvertretung des Christentums im politischen Raum zerbrach,
({5}) geschickt hat. Da hat er mir in einer sehr freundlichen Karte - der Mann lebt unter dem Stab des Bischofs Lilje; ist also nicht aus unserem Raum, Kollege Bausch ({6})
({7})
zu diesem Thema einen entzückenden Scherenschnitt geschickt:
Wenn so ein Kauz nicht sehen will, dann helfen weder Licht noch Brill'.
({8})
Meine Damen und Herren, kommen wir zurück zu der Ihnen anscheinend unbequemen Erklärung des Außenministers Dulles. Ich weiß gar nicht, warum Sie mich bei diesem Punkt dauernd mit anderen Fragen unterbrechen. Was haben Sie eigentlich gegen die Erklärung von Herrn Dulles?
({9})
Die reicht Ihnen nicht aus; mir auch nicht. ({10})
Dulles hat nach der klaren verfassungsrechtlichen Lage der Vereinigten Staaten nicht mehr und nicht weniger erklärt, als daß er für keinen künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten eine Verpflichtung übernehmen könne, amerikanische Truppenverbände irgendwelcher Größe an irgendeinem Punkt außerhalb der Vereinigten Staaten zu stationieren. Das ist der nackte Inhalt. Er hat die Hoffnung ausgedrückt, daß künftige amerikanische Präsidenten der augenblicklich vertretenen Politik des Präsidenten Eisenhower folgen würden; aber er hat ganz klargemacht, daß jene Behauptung einfach nicht zutrifft, daß die Vereinigten Staaten mit dem Abschluß dieser Verträge irgendeine Verpflichtung eingegangen wären, amerikanische Truppen auf dem europäischen Kontinent, insbesondere
in Deutschland zu belassen. Nur das wollte ich hier einmal feststellen, nicht mehr und nicht weniger.
Aber es kommt nun noch ein interessanter Punkt hinzu. In demselben Ausmaß, in dem eine deutsche Streitkraft von 500 000 Mann aufgestellt wird, in demselben Ausmaß werden die amerikanischen Heerestruppen um 400 000 Soldaten verringert.
({11})
In der gleichen Zeit, in der die Bundesrepublik erhebliche, auch finanzielle Verteidigungsanstrengungen auf sich nehmen soll, wird der amerikanische Haushalt um rund 71/4 Milliarden Dollar in zwei Jahren verringert.
Meine Damen und Herren! Warum sage ich Ihnen das? Ich sage Ihnen das ja nicht, um die Amerikaner im geringsten zu tadeln. Wir alle wissen, was wir der großartigen Hilfe des Volkes und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in den bittersten Nachkriegsjahren zu verdanken haben.
({12})
Es handelt sich gar nicht um Dankbarkeit oder Undankbarkeit, es handelt sich einfach um die nüchterne Feststellung, daß entgegen vielerorts hörbarer Behauptungen die Gesamtstärke der westlichen Welt durch das Hinzutreten der Deutschen global gar nicht wächst, sondern nur anders verteilt wird. Wenn Sie schon von einer besseren Verhandlungsposition mit den Russen sprechen wollen - der wirkliche Verhandlungspartner wird nie die Bundesrepublik sein, im Verhältnis zum russischen Bären bleibt sie doch immer ein allzu kleines Tier -, der wirkliche Verhandlungspartner werden eben
doch die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrem Gefolge sein.
({13})
- Natürlich, das haben wir nie bestritten! Die Wiedervereinigung Deutschlands ist doch nicht möglich gegen den Westen, genau sowenig wie gegen die Sowjets; sie ist nur möglich mit allen vier Besatzungsmächten, und deshalb müssen wir unseren westlichen Freunden zuraten zu dieser Politik.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern!
Herr Kollege Erler, ich glaube, Sie haben im Augenblick ein Kernproblem berührt. Glauben Sie, daß ein bündnisfreies Deutschland nach dem Sicherheitssystem, das Sie vorhin vorgeschlagen haben, die Sicherheitsbedürfnisse der Sowjetunion bereits befriedigen würde? Sie haben selbst eben gesagt, die Sowjets müßten mit den Amerikanern sprechen. Ich frage Sie, wie in dieses Bild - und dies ist eine sehr wesentliche Bemerkung - Ihr Grundkonzept dann noch hineinpaßt.
Jawohl, Herr Kollege Merkatz. Das von uns auszuarbeitende System muß Sicherheit bringen für die Westmächte, für die Sowjetunion und für die Deutschen. Wer sich dieser Aufgabe, die sicher schwierig ist, entzieht, der kommt nie zur Wiedervereinigung Deutschlands.
({0})
Ob das, was ich vorgeschlagen habe - nicht ohne Grund, nicht in freischwebender Phantasie, sondern immerhin unter Benutzung von Bausteinen der Erklärungen der beteiligten Mächte -, der Sowjetunion ausreichend ist oder nicht - Herr von Merkatz, im Interesse der Erlösung unserer 18 Millionen deutschen Landsleute sollte man wenigstens versuchen, das zu ergründen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie dem Abgeordneten von Merkatz eine Zusatzfrage?
Nein. Herr Kollege von Merkatz, ich bin jetzt wirklich bei einem anderen Thema. Wir wollen doch nicht immer wieder zu behandelten Fragen zurückkehren. Ich bin bereit, zum Schluß meiner Ausführungen besondere Punkte aus den vergangenen Teilen noch zu erklären. Aber Sie durchbrechen doch jede einigermaßen geordnete Rede, wenn Sie, wenn man einen Punkt längst verlassen hat, immer wieder auf ihn zurückkommen.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie im Zusammenhang mit den Sicherheitsproblemen auf eine anscheinend kleine, eine anscheinend -untergeordnete Frage, die aber in unserem Volke außerordentlich viel Unruhe erweckt und Aufmerksamkeit gefunden hat, hinlenken. Es handelt sich um das Problem der Sprengkammern. Ich möchte hier nicht etwa die Lehre vertreten: jede Anlegung von Sprengkammern ist Unsinn. Eine Reise in die Schweiz zeigt einem, daß auch dieses gewiß friedfertige Land zu seiner eigenen Sicherheit von diesem Instrument Gebrauch zu machen sich gezwungen gesehen hat. Ich meine aber: aus der Art
({1})
der Anlage der Sprengkammern, aus den Orten, wo man sie bevorzugt findet, lassen sich ja auch gewisse Rückschlüsse auf die strategischen Absichten derer ziehen, die sie anlegen. Und da wird mir nicht ganz ruhig zumute, wenn ich mir etwa so z. B. einmal den Schwarzwald betrachte.
Aber dabei gibt es noch einen anderen Punkt. Die Sprengkammern werden ja augenblicklich unter der Verantwortung der Besatzungsmächte angelegt, und es gibt eine ganze Reihe von heftigen Auseinandersetzungen mit deutschen Behörden. Es gibt kaum einen Bundestagsabgeordneten, der nicht schon in solche Streitfälle einbezogen worden ist. Nun müßte - und das war eine lange Streitfrage in den Ausschüssen, die sich auch im Bericht des Auswärtigen Ausschusses niedergeschlagen hat -, wenn es sich nicht mehr um hoheitlich, also besatzungsrechtlich in Deutschland stehende Verbände der Alliierten, sondern nur noch um vertraglich hier stationierte Verbände handelt, die Anlage von Sprengkammern künftig eine rein deutsche, nationale Aufgabe sein.
Nun haben wir ja in London die berühmte declaration of intent gehabt, jene Absichtserklärung der drei Besatzungsmächte, in der sie gesagt haben, daß sie jetzt schon alle Befugnisse auf bestimmten Gebieten den deutschen Behörden übertragen mit Ausnahme der Demilitarisierung und einiger anderer Punkte. Die Anlage von Sprengkammern ist ja wohl keine Anlage der Abrüstung, sondern wohl eher eine Anlage der Aufrüstung. Wenn also die Londoner declaration of intent genau wie bei der zivilen Luftfahrt auf dieses Gebiet angewendet wird und wenn die Ausführungen unserer Berichterstatter und der Bundesregierung zutreffen, was ich hoffen möchte, daß es sich nur noch um vertragliches und nicht etwa doch aus Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 des neuen Generalvertrags hergeleitetes besatzungsrechtliches Stationierungsverhältnis handelt, dann müßte heute schon das gesamte Kapitel der Sprengkammern eine deutsche, nationale Aufgabe sein,
({2})
dann dürfte es heute schon keinerlei Streitigkeiten mehr geben zwischen alliierten Befehlshabern und deutschen Behörden, dann hätten die deutschen Behörden diese Dinge in eigener Zuständigkeit, notfalls bis Bonn hinauf, auszupauken. Meine Frage an die Bundesregierung - und sie ist die Testfrage dafür, ob die Besatzungstruppen nicht nur nur gegenüber der Sowjetunion, sondern auch gegenüber der Sowjetunion, sondern auch gegenüber der Bundesrepublik glauben, doch noch besatzungsrechtlich künftig hier in Deutschland stationiert zu sein -: Kann uns der Herr Bundeskanzler sagen, daß er heute schon imstande ist, mit seinen Behörden ohne Einspruch der Alliierten von sich aus auf Grund der declaration of intent zu entscheiden, ob und wo Sprengkammern angelegt werden oder nicht? Für diese Auskunft wäre ich der Bundesregierung sehr dankbar.
Meine Damen und Herren, ich habe in der Einleitung von der Wasserstoffbombe und den drohenden Gefahren, die der Menschheit daraus erwachsen, gesprochen. In Deutschland haben wir es nun heute mit einem weiteren Problem zu tun, das auch in dem Bericht unserer Ausschüsse kurz gestreift wird. Die Planung der Atlantikorganisation beruht auf dem Einsatz taktischer Atomwaffen, auch wenn der tatsächliche Einsatz für den Konfliktsfall in der Verantwortung der Regierungen bliebe. Meine Damen und Herren, ich möchte das Hohe Haus doch einmal nachdrücklich mit den möglichen Gefahren vertraut machen, die sich aus der Lagerung taktischer Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ergeben.
({3})
Jeder Konflikt - das ist jedenfalls die Meinung eines Mannes, der einen ziemlichen Einfluß auch auf die Überlegungen britischer Militärs hat, ich meine Liddell Hart, der Name wird Ihnen ja allen bekannt sein -, jeder Konflikt, der mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen geführt wird, weitet sich zwangsläufig zum totalen Atomwaffenkrieg aus.
({4})
Denn jeder Gegner wird auf den Einsatz einer taktischen Atomwaffe versuchen, mit der Niederkämpfung dieser Atomwaffe durch seine eigenen Atomwaffen zu beginnen. Das ist das eine. Atomwaffenlager in einem Lande ziehen also geradezu den Atomeinsatz des Gegners an.
({5})
Das erklärt die bange Frage eines Mannes, der etwas davon versteht, des früheren französischen Kriegsministers und jetzigen französischen Abrüstungsdelegierten bei den Vereinten Nationen, Jules Moch, in seinem Parlament. Jules Moch hat die bange Frage gestellt:
Werden wir die Lagerung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Französischen Union zulassen mit allen Risiken der vorbeugenden Vergeltung, die eine solche Lagerung darstellt?
Ich stelle hier nur das Problem, damit man sich wenigstens einmal Gedanken darüber macht.
Liddell Hart hat zu dem Thema gesagt:
Selbstverständlich wünschen die Soldaten, die für die Verteidigungsplanung verantwortlich sind, das höchstmögliche Maß an Sicherheit zu erreichen, und es ist nicht ihre Sache, zu beurteilen, ob die anscheinende Steigerung dieser Sicherheit, die die taktischen Atomwaffen bieten, außer Kraft gesetzt ist durch das gesteigerte Risiko des Chaos und des allgemeinen Zusammenbruchs in der Heimat.
Das ist also . eine politische Frage. Das neue britische Weißbuch folgt in vielen Punkten der Konzeption Liddell Harts. Danach wäre die bisherige NATO-Planung mit der Ausstattung mit taktischen Atomwaffen praktisch schon veraltet. Ich stelle die Frage: Wenn, wie man in der Bundesrepublik zu glauben scheint - das scheint die Meinung der Bundesregierung zu sein -, die abschreckende Kraft dieser taktischen Atomwaffen so große Vorteile bietet, warum hat kein anderer NATO-Staat auf dem Kontinent in die Stationierung von Atomwaffen auf seinem Gebiet eingewilligt?
({6})
Das Problem ist so ernst, daß wir es im Zusammenhang mit den Vertragsberatungen sicher nicht ausdiskutieren können. Die sozialdemokratische Fraktion wird, so glaube ich, auf diese Frage bei einem besonderen Anlaß noch zurückkommen müssen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen von meiner Ablehnung des Eintritts der Bundesrepublik in ein System einseitiger Militärallianzen gesprochen unter dem Gesichtspunkt der Wieder({7})
vereinigung Deutschlands. Ich möchte Sie noch auf einen anderen Gesichtspunkt aufmerksam machen. Ich bin der Meinung, daß man sich in der ganzen Welt überlegen sollte, ob es nicht nur bei uns um der Wiedervereinigung willen, sondern auch sonst um des Friedens willen gut wäre, wenn es einen ganzen Gürtel von Staaten gibt, die sich weigern, sich einfach in den militärischen Aufmarsch der beiden Blöcke hüben und drüben einreihen zu lassen,
({8})
meine Damen und Herren, sich weigern unter der Voraussetzung - das sei offen gesagt -, daß wir uns bemühen, in dem skizzierten Sinne zur Wiedervereinigung Deutschlands zu gelangen.
({9})
Scheitert dieser ernste Versuch, der doch nicht unternommen worden ist,
({10})
an der Sowjetunion - der Westen darf es doch nicht zulassen, daß dieses Odium auf ihm lasten bleibt -, dann muß die Bundesrepublik doch ihr Verhältnis zu den Besatzungsmächten auf einer Grundlage vertraglicher Beziehungen ordnen. Das ist unbestritten. Das haben wir auch nie anders gesagt. Herr Bundeskanzler, nehmen Sie es bitte zur Kenntnis: Kein Sozialdemokrat hat die Bündnislosigkeit für die Bundesrepublik gefordert; wir haben immer nur vom wiedervereinten Deutschland gesprochen!
({11})
Aber ich meine, daß es kein Zufall ist, daß eine ganze Reihe von Staaten, von Skandinavien über Deutschland, Österreich, den Vorderen Orient, Indien, Burma bis hin nach Japan, daß ein ganzer Gürtel von solchen Staaten sich darum bemüht, etwas heilsamen Abstand zwischen die beiden hochgerüsteten Blöcke zu legen. Ich bin der vielleicht von Ihnen verketzerten Meinung - ich weiß es nicht, ich will Ihnen das nicht unterstellen -, daß der Weltfrieden besser aufgehoben ist, wenn russische und amerikanische Soldaten sich nicht mehr gegenseitig in das Weiße ihrer Augen sehen.
({12})
Wir sollten einen Beitrag dazu leisten, daß die Diffamierung jener Staaten beendet wird, die sich darum bemühen, diesen Abstand zu schaffen.
Es ist in der Debatte gestern von der Bevölkerungsentwicklung und der Industrialisierung des Ostens gesprochen worden. Das ist richtig; jeder von uns sieht das. Aber, meine Damen und Herren, diese Entwicklung kann man doch nicht gewissermaßen mit bewaffneter Hand, durch Armeen, unterdrücken.
({13})
Wir haben es doch gleichzeitig auch mit einem Europa zu tun, das nach den Berichten des Europarates selbst heute, zur Stunde, immer noch unter dem Problem des Bevölkerungsüberschusses und nicht dem der mangelnden Bevölkerung leidet. Wir haben einen Sonderbeauftragten eingesetzt, der sich um die Auswanderung von Europäern nach Übersee bemüht. Da sollten wir doch in dieser Situation begreifen, daß die Form der Auseinandersetzung mit der Bevölkerungsentwicklung und der Industrialisierung des Ostens im wesentlichen in der
Entwicklung der Kräfte und des Lebensstandards sowie gesunder sozialer, wirtschaftlicher und politisch freiheitlicher Verhältnisse in allen unterentwickelten und sonst gefährdeten Ländern der Welt besteht.
({14})
Nun, meine Damen und Herren, wir haben schon im Dezember die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß uns bei einer Reihe von Punkten gesagt worden ist: Das gehört nicht in die Diskussion im Plenum; über strategische Fragen, ja zum Teil auch über finanzielle Fragen kann man nur in den Ausschüssen reden. Nein, dem widerspreche ich auf das entschiedenste.
({15})
Die Parlamente der großen Demokratien, in den Vereinigten Staaten von Amerika wie in Großbritannien, nehmen es sehr ernst mit der Diskussion auch der strategischen und gerade auch der finanziellen Fragen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich bin sogar davon überzeugt, daß die Einschaltung und Mitwirkung des amerikanischen Parlaments uns schon verschiedene Male den an einem seidenen Faden hängenden Frieden gerettet hat.
({17})
Ich erinnere an Korea. Ich erinnere an die Entwicklung in der Formosa-Krise, bei der gerade das amerikanische Parlament sich sehr weise in die Beratungen eingeschaltet hat.
In beiden Häusern wird auch die Finanzierung über Jahre hinweg, nicht nur für den laufenden Haushalt, diskutiert. Mir ist kürzlich, genau wie Ihnen, das Programm des Präsidenten der Vereinigten Staaten für Haushalt und Bewaffnung vorgelegt worden, mit Stärkezahlen, mit der Verteilung auf die einzelnen Waffengattungen, mit den Hilfen für die verschiedenen Erdteile. In der Schweiz - ich habe mir erlaubt, das als Weihnachtsgruß dem Herrn Bundeskanzler zuzusenden - ist sogar über einzelne Fahrzeugtypen in aller Breite im Parlament diskutiert worden. So weit gehen wir gar nicht einmal. Aber meine Damen und Herren, eines verlangen wir von der Regierung: daß sie uns keine übertriebene Geheimniskrämerei zumutet, sondern das Parlament als ein Parlament von mündigen Erwachsenen behandelt!
({18})
Dabei stellt sich die Frage, ob die Pläne, wie sie uns - der Haushaltsausschuß spricht ja davon: Aufstellung in drei Jahren - vorgelegt worden sind, überhaupt durchführbar sind. Dazu gehört nun einmal Offenheit und Wahrheit über die Kosten.
({19})
Die Bundesregierung hat sich leidenschaftlich dagegen gewehrt, daß es sich dabei für die erstmalige Aufstellung von zwölf Divisionen um einen Betrag von 60 Milliarden DM in drei Jahren handle. Meine Damen und Herren, diese Zahl bleibt stehen, solange die Bundesregierung nicht eine begründete andere Zahl über den Gesamtumfang der Kosten nennt und nicht bloß für den Haushaltsansatz 1955.
({20})
Der Berichterstatter des Haushaltsausschusses meint - Sie können es auf Seite 16 der Drucksache
({21})
1200 nachlesen -, das Gesamtprogramm bestehe aus Millionen von Einzelposten, und deshalb könne man natürlich auch noch nicht die Höhe der Gesamtkosten angeben. Ja, aber entschuldigen Sie, wo leben wir eigentlich? Wenn es nach dem EVG-Vertrag gegangen wäre, dann wären die 12 Divisionen mit dem 31. Dezember 1954 schon fertig. Dauert denn das Ausrechnen der Kosten länger als die Aufstellung der Truppe?!
({22})
Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Der Bundestag hat Anspruch auf die Kenntnis verbindlicher Gesamtziffern.
Es ist hier in Aussicht gestellt worden: Na ja, bei den Haushaltsansätzen bleibt es, und den Rest werden wir eben geschenkt bekommen! - Sicher, die Vereinigten Staaten von Amerika werden eine Außenhilfe geben. Aber, meine Damen und Herren, über den Umfang dieser Außenhilfe werden wir uns am allerwenigsten Illusionen machen dürfen, wenn wir uns die Konsequenzen überlegen, die einmal auf uns zukommen werden, und schließlich muß der Finanzminister doch disponieren können. Von 1945 bis 1953, in mehr als acht Jahren, haben die Vereinigten Staaten an alle Mitgliedstaaten der Atlantikorganisation zusammen eine Militärhilfe von 7,732 Milliarden Dollar geleistet. Meine Damen und Herren, das wäre ungefähr der Betrag, den Sie in drei Jahren allein für die Bundesrepublik verkonsumieren würden, wenn Ihre Voraussagen richtig wären! Das ist doch schlechthin ausgeschlossen.
In der Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 17. Januar heißt es, daß - auch wenn man frühere Bewilligungen einbezieht, woraus ja schon Sachen gekauft worden sind, und dann berücksichtigt, daß neue Bewilligungen nicht gleich zu Auslieferungen führen, weil man die Dinge erst herstellen muß - die Jahresrate der Auslieferungen ungefähr drei Milliarden Dollar beträgt, und zwar für alle Freunde der Vereinigten Staaten in der ganzen Welt.
({23})
Und da glauben Sie, meine Damen und Herren, daß Sie das ganz allein kriegen? Offen gestanden, ich teile diese Illusion nicht.
Der Präsident hat in seiner Botschaft nämlich außerdem noch ausdrücklich angekündigt, daß er an eine Ermöglichung der Reduzierung der Verteidigungshilfe für den europäischen Raum unter den Stand der letzten Jahre in unmittelbarer Zukunft glaube. Also mehr scheint es doch nicht zu werden.
Aber auch diese Diskussion steht unter dem Motto: Alles ist schon einmal dagewesen. Schon am 19. Mai 1952, mitten in den Auseinandersetzungen um den werdenden EVG-Vertrag, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in einer Meldung aus Washington „Übertriebene Hoffnungen Bonns", amtliche Kreise Washingtons hätten ausgeführt, daß im Laufe einiger Jahre sich die amerikanische Hilfe an die Bundesrepublik, ähnlich wie bei anderen europäischen Staaten, vielleicht auf insgesamt 2 oder 3 Milliarden Dollar belaufen könne - das ist übrigens auch noch als zu hoch dementiert worden -; im übrigen aber erwarte Amerika, daß Deutschland nach einem Anlaufen der Aufstellung und Ausbildung deutscher Einheiten der Europaarmee bis zum
Ende des Haushaltsjahres am 30. Juni 1953 einen f' großen Teil der entstehenden Wehrausgaben selbst trage. Anschließend werde die Bundesrepublik dann nach Ansicht dieser amtlichen Kreise einen angemessenen Anteil an der amerikanischen Hilfe erhalten, der jedoch eher in Millionen als in Milliarden jährlich ausgedrückt werde.
({24})
Meine Damen und Herren, wie schnell hier Ruhm und Ehr' vergehen - „gestern noch auf stolzen Rossen", kann man dazu nur sagen - zeigt doch das spanische Beispiel. Strategie und Finanzen hängen sehr eng miteinander zusammen und sind in einem außerordentlich raschen Wechsel begriffen. Vorgestern konnten Sie eine Meldung der französischen Nachrichtenagentur aus Washington in der Zeitung „Le Monde" lesen, und darin ist von Spanien die Rede. Das ist nicht ganz uninteressant für uns. Die Spanier hatten sich beschwert, daß sie zu geringe Hilfe bekommen hätten; und daraufhin wird hier bekanntgegeben, daß sie rund 300 Millionen Dollar bekommen hätten, davon 170 Millionen Dollar für die Wirtschaftshilfe. Und dann geht es wörtlich weiter:
Man weist im übrigen darauf hin, daß sich die Bedingungen verändert haben seit dem Abkommen von 1953, das die Schaffung von Militärbasen in Spanien vorgesehen hat im Austausch gegen eine Hilfeleistung an dieses Land. Mit Rücksicht auf die Fortschritte, die erreicht worden sind auf dem Atomgebiet und auf dem der Langstreckenbomber, betrachten die Vereinigten Staaten die Anlage der fraglichen Basen nicht mehr als so dringend wie vor zwei Jahren.
({25})
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen das nur, damit Sie sich der Tragweite auch der Probleme der Finanzen auf diesem Gebiet einmal bewußt werden und sich nicht einfach auf etwas verlassen, was sich vielleicht nachher als nicht solide genug herausstellt.
Zu den Kosten der Erstausstattung kommen die bisher unbestritten gebliebenen Kosten des laufenden Unterhalts, wenn die ganzen Streitkräfte stehen würden, von etwa 31/2 bis 41/2 Milliarden im Jahr. Dann wissen Sie so gut wie ich, daß alle drei Jahre ungefähr alle Waffen verschrottet werden können, weil sie veraltet sind. Dann wissen Sie so gut wie ich, daß man, wenn man eine Wehrpflicht hat, zur Ausbildung von Reserven kommt. Was tut ein Reservist, so man kein Schießgewehr, keinen Panzer und kein Flugzeug hat? Sie müssen also doch auch das Material für die Reservisten irgendwie bereitstellen; sonst ist das Ganze auf Sand gebaut. Dazu kommt schließlich noch ein Komplex: die Schutzvorkehrungen für die Zivilbevölkerung.
({26})
Alles großes Schweigen! Meine Damen und Herren! Verteidigungsanstrengungen - das sei Ihnen unbestritten - sind nicht umsonst; aber man muß dann doch den Tatsachen ins Auge sehen.
({27})
- Jawohl, auch den finanziellen, Herr Kollege!
Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister den
Herrn Oppositionsführer, nun, ich muß schon
({28})
sagen: der Lüge geziehen hat, dann erwarte ich von ihm, daß er dem Parlament jetzt die Wahrheit sagt, und zwar nicht über den Haushaltsansatz 1955, sondern über die tatsächlichen in den nächsten Jahren entstehenden Gesamtkosten und die Art ihrer Aufbringung. Das müssen wir von ihm verlangen.
({29})
Meine Damen und Herren, mancher von Ihnen hat sich das sorgenvoll selbst überlegt: entweder kommt man zu einem uns allen doch höchst unheimlichen Anwachsen der Lasten der Steuerzahler, oder die Verbände würden zwar aufgestellt, aber unzureichend bewaffnet, was für den Ernstfall ein völlig sinnloses Opfer wäre, oder aber die Pläne, die uns vorgetragen worden sind, sind einfach nicht durchführbar. Wenn die Bundesregierung die Absicht hat, die Pläne zu ändern, dann muß sie das dem Parlament sagen. Das ist doch ihre Pflicht, daß sie uns dann nicht im dunkeln tappen läßt.
({30})
Ich halte es hier mit einem völlig unverdächtigen Zeugen. Bei Gesprächen während seines letzten Aufenthalts in den Vereinigten Staaten hat dieser Zeuge darauf hingewiesen, daß eine Regierung, die die Rüstung auf Kosten des Lebensstandards forciere, bei der nächsten Wahl zwar viele Kanonen, aber keine Wähler haben würde, und daher tritt der Mann für ein mäßiges Tempo ein, d. h. auch er hält die vorgeschlagene Planung so nicht für durchführbar. Sie müssen also mindestens dem Hause sagen, welche andere Planung Sie eigentlich vorschlagen. Der Zeuge - er wird Ihnen außerordentlich sympathisch sein - ist der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Fritz Berg.
({31})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie darum, in allem Ernst alle Konsequenzen der Vertragswerke hier miteinander zu diskutieren, damit Sie auch wissen, welche gesetzgeberischen, welche finanziellen, welche wirtschaftlichen Probleme auf uns zukommen.
Ich will, um zum Schluß zu kommen, - ({32})
- Ich weiß, daß Ihnen manches weh tat, aber ({33})
- Freut mich, zu hören, daß ich Ihnen nicht weh getan habe. Um so besser! Ich danke Ihnen für das Kompliment. Es hat andere Redner in diesem Hause gegeben, die sich, glaube ich, doch auch ziemlich lange mit einem bestimmten Problem befaßt haben. Ich meine, das Problem ist wichtig genug, um ernst erörtert zu werden.
({34})
Lassen Sie mich eines in aller Deutlichkeit sagen. Ich habe gestern genau das hier gehört, was sich auch vorher draußen im Lande abgespielt hat, nämlich den Versuch, jene hier im Bundestag und viel stärker noch draußen im Volk mahnende Stimme im Drängen nach der Wiedervereinigung Deutschlands in der Richtung - entschuldigen Sie! - zu diffamieren, wie es ein Angehöriger der Regierungsbank in Bayern getan hat, als er Herrn Ollenhauer die Frage gestellt hat, ob er nicht eine Außenstelle Moskaus sei. Meine Damen und Herren, warum komme ich darauf zurück? Weil ich der Meinung bin, daß wir eine große Chance vertun, wenn wir in dieser Weise das, was sich in unserem Volke regt, nicht nutzbar machen, um der Welt noch unüberhörbarer, als Sie allein es können, den Ruf nach der Einheit unseres Vaterlandes zu Gemüte zu führen.
({35})
Einen solchen Ruf, auch wenn der eine oder andere Ton daran Ihnen nicht sympathisch ist - das gibt es doch auf beiden Seiten! -, sollte man nicht diffamieren, sondern im Interesse der gemeinsamen Sache der Welt gegenüber verstärken. Das Volk ruft uns zu, dem Bundestag und der Regierung, den Besatzungsmächten und der ganzen Welt: Frieden und wirkliche Sicherheit gibt es nur in einem Europa mit einem ungeteilten Deutschland! Darüber wenigstens sind wir uns doch einig! Alles andere ist Stückwerk, ist gefährlich und ist nicht von Bestand!
({36})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich glaube, es war im Ältestenrat beschlossen worden, die Diskussion in einer gewissen Gliederung durchzuführen, wobei man sich darüber klar war, daß gewisse Überschneidungen nicht zu vermeiden wären. Herr Kollege Erler hat aber gesprochen über die Sicherheit, die jetzt zur Debatte stehen sollte, über die Wiedervereinigung, über die finanziellen und über die wirtschaftlichen Fragen.
({0})
Ich möchte auf die wirtschaftlichen und finanziellen Fragen nicht eingehen. Das werden, wenn die Zeit es erlaubt, im gegebenen Augenblick die Herren Kollegen Schäffer und Erhard tun.
Aber ich möchte auf einige wesentliche Ausführungen eingehen, die Herr Erler gemacht hat, weil sie mir auch für die Öffentlichkeit wichtig zu sein scheinen. Er hat eingangs seiner Ausführungen davon gesprochen, daß eine Abrüstung absolut notwendig sei. Ich teile durchaus diese Auffassung, und ich kann erklären, daß die Bundesregierung überall jetzt schon, soweit sie dazu in der Lage ist, sich für eine solche Abrüstung einsetzt. Wir haben bei den Londoner Verhandlungen, wie Sie wissen, auf die ABC-Waffen verzichtet, um damit ein Beispiel zu geben und den Anfang zu machen. Ich möchte hinzufügen, auf der Londoner Konferenz ist auch ausdrücklich erklärt worden, daß, wenn eine allgemeine Abrüstung komme, auch die Kontingente, die die einzelnen Länder der Westeuropäischen Union aufstellen, entsprechend vermindert werden sollen. Ich möchte weiter hinzufügen, daß gerade die Westeuropäische Union eine Kontrolle der Waffenbestände eingeführt hat und daß die Westeuropäische Union geradezu ein Modell für eine allgemeine Abrüstung ist.
({1})
({2})
Ich muß noch hinzufügen, daß die Bundesrepublik - das gilt für Sie und gilt für die Bundesregierung - sich mit ganz anderer Kraft für dieses Ziel einsetzen kann, wenn wir unsere Souveränität wiedererlangt haben.
({3})
Das gilt auch von Verhandlungen mit der Sowjetunion
({4})
und von der Herbeiführung von Konferenzen. Ich meine, es heißt das Pferd am Schwanze aufzäumen, wenn man an uns Forderungen stellt, die an sich berechtigt sind, denen wir aber nicht folgen können, solange wir nicht souverän sind, und wenn man uns gleichzeitig die Zustimmung zu dem Vertrage, der unsere Souveränität wiederherstellt, verweigert.
({5})
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Erklärungen des Generals Gruenther zurückkommen, weil sie für jeden Deutschen, sowohl für die Deutschen in der Bundesrepublik wie für die Deutschen in der Sowjetzone, von der größten Bedeutung sind und weil darin allein schon die Rechtfertigung dafür liegt, daß auch wir unsere Truppen der NATO zur Verfügung stellen. General Gruenther hat gesagt:
Solange keine deutschen Truppen zur Verfügung stehen, ist die NATO-Strategie eingestellt auf Verteidigung am Rhein.
Das bedeutet also, daß ganz Deutschland - ich wiederhole: die Bundesrepublik und Deutschland jenseits des Eisernen Vorhangs - Schlachtfeld wird genau wie Korea.
({6})
General Gruenther hat aber dann hinzugefügt:
Wenn wir diesen wesentlichen zusätzlichen deutschen Beitrag haben, werden wir mit dem Potential aller Waffen unseres NATO-Arsenals dann in der Lage sein, realistisch eine Strategie der vorderen Räume zur Verteidigung Westdeutschlands zu planen.
({7})
- Jawohl, mit den Atombomben!
Man kann Dinge auch einfach sagen, ohne anderthalb Stunden lang alle möglichen Fragen anzuschneiden.
({8})
Deswegen will ich ganz einfach dem deutschen Volke folgendes sagen:
({9})
Solange wir nicht zur NATO gehören, sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld,
({10})
" und wenn wir in der Atlantikpaktorganisation sind,
dann sind wir dieses Schlachtfeld nicht mehr.
({11})
Herr Kollege Erler hat weiter erklärt, wir müßten mehr Mut zur Viererkonferenz haben. Er hat ausgeführt, daß wir unsere ganze außenpolitische Energie verzehrt hätten in dem Nachjagen nach der europäischen Vereinigung. Ich habe schon wiederholt hier erklärt, und ich erkläre es nochmals: die Berliner Konferenz ist lediglich auf die Initiative der deutschen Bundesregierung zurückzuführen.
({12})
Wir haben damals, als die drei Westalliierten allein in Washington versammelt waren, Herrn Blankenhorn nach Washington geschickt mit meiner dringlichsten Bitte, eine Viererkonferenz vorzubereiten und einzuberufen. Man war dazu erst nicht bereit. Aber unserem Drängen ist es zuzuschreiben, daß die Berliner Konferenz schließlich zustande gekommen ist.
({13})
Wie kann man da behaupten, daß wir unsere ganze politische Energie verzehrten in dem Nachjagen nach der europäischen Vereinigung und die Wiedervereinigung nicht im Auge hätten! Ich kann nur nochmals sagen: ich finde es unmöglich - und ich bin überzeugt, eine spätere Generation wird mir recht darin geben -, daß Deutsche sich gegenseitig ständig vorhalten: W i r sind für die Wiedervereinigung, und ihr wendet nicht die nötige Energie dafür auf.
({14})
Ich empfinde einen derartigen Vorwurf als beleidigend.
({15})
Das erinnert außerordentlich an frühere Methoden
in Deutschland, als gerufen wurde: Ich bin nationaler als du! Sollen wir wieder dahin kommen?
({16})
Sollen wir wieder mit diesen Methoden anfangen,
({17})
daß man sagt: Du bist nicht national, aber ich bin es?
({18})
Ist es nicht viel vernünftiger und richtiger, wenn wir Deutschen in dieser schrecklichen Lage als Folge des Nationalsozialismus uns nicht diese gegenseitigen Vorwürfe machen?
({19})
Glauben Sie denn, daß Reden, wie sie hier in diesem Haus gehalten werden,
({20}) etwa die drei Westalliierten ermutigen,
({21}) uns ihre Geheimnisse mitzuteilen?
({22})
({23})
Herr Erler hat von der Erklärung, die Dulles in London abgegeben hat, gesprochen. Es ist richtig, was er gesagt hat: Kein Präsident der Vereinigten Staaten ist nach der Verfassung seines Landes in der Lage, eine solche auch seine Nachfolger bindende Verpflichtung einzugehen. Aber sollen wir denn deswegen auch von dem jetzigen Präsidenten der Vereinigten Staaten keine Erklärung entgegennehmen?
({24})
Ich will Ihnen aber mitteilen, was Herr Dulles auf der Londoner Konferenz in sehr ernstem Ton noch gesagt hat. Er hat ausgeführt, daß, wenn die Europäer sich nicht vereinigten, die Gefahr einer Änderung der Politik der Vereinigten Staaten in bezug auf Europa eine absolut nahe sei.
({25})
Kann man solche Mitteilungen, die - ich wiederhole - im Ton einer sehr ernsten Warnung an Frankreich gerichtet waren, etwa überhören? Muß man nicht damit rechnen - wir sind uns doch wohl darüber klar -, daß ganz Europa ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten überhaupt erledigt ist?!
({26})
Es ist schon so: unser ganzes Geschick hängt davon ab, daß wir uns mit ,dem Westen verbinden auch militärisch; sonst können wir nicht erwarten, daß der Schutz gegenüber Sowjetrußland uns wirklich gewährt wird.
({27})
Wenn Herr Erler sagt, Sowjetrußland wisse doch, daß eine Aggression eine sofortige Reaktion bei den Vereinigten Staaten auslösen würde, - ja, ich möchte eben, daß keiner von den beiden etwas Derartiges tut. Deswegen möchte ich dafür eintreten, daß dieses Deutschland, das nun mal zwischen den beiden Machtblöcken liegt, Einfluß als souveräner Staat bekommt, um dem Frieden zu dienen.
({28})
Herr Erler hat soeben mit solcher Emphase gesagt: Wir sprechen ja nur von der Bündnislosigkeit des wiedervereinigten Deutschlands.
({29})
Soll ich daraus entnehmen, daß er nichts dagegen
hat, wenn die Bundesrepublik Bündnisse eingeht?
({30})
- Das ist eine Antwort, keine Frage; aber ich habe nichts dagegen.
Sie stimmen zu.
Damit die Antwort gleich erteilt wird, Herr Bundeskanzler: Wir halten es hier ganz klar mit dem Beschluß des Sozialdemokratischen Parteitags in Berlin. Auch die Bundesrepublik kann mit militärischen Mitteln an der Verteidgung der westlichen Welt teilnehmen, also ein Bündnis eingehen, wenn ein ernsthafter Versuch zur Wiedervereinigung Deutschlands am russischen Widerstand scheitert.
({0})
Bei der Berliner Konferenz ist Herr Molotow in einem nichtöffentlich geführten Gespräch sogar gefragt worden: Sind Sie bereit, der Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen, wenn auf die EVG verzichtet wird? Darauf hat Herr Molotow keine Antwort gegeben.
({0})
- Das ist auch neu für Sie, für mich nicht!
({1})
- Wollen Sie das vielleicht auch bezweifeln, was ich eben gesagt habe?
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundeskanzler?
Ja!
Ich hätte dann nur gern gewußt, ob der Herr Bundeskanzler, wie ich annehmen darf, auf der Berliner Konferenz bereit gewesen wäre, der Wiedervereinigung Deutschlands unter Verzicht auf die EVG zuzustimmen.
({0})
Wenn ich Molotow wäre, wäre die Frage berechtigt.
({0})
Vor allem empfehle ich aber der Opposition, die
Rede des Herrn Molotow vom 8. Februar zu lesen,
({1})
- genau zu lesen. Dann werden Sie darin finden, daß Herr Molotow nur bereit ist, eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frage zu ziehen, wenn die DDR ihre jetzige Satellitenverfassung beibehält.
({2})
Meine Damen und Herren! Es ist eine interfraktionelle Vereinbarung zustande gekommen, daß die Debatte bis um 10 Uhr weitergeführt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist dem Herrn Kollegen Erler gelungen, in dieser Debatte einen Rekord aufzustellen. Er hat in der Länge seiner Ausführungen sogar den Herrn Bundesminister Strauß, der gestern in dieser abendlichen Stunde sprach, übertroffen.
({0})
({1})
Wer den Rekord in der Qualität gehalten hat, steht uns zur Beurteilung nicht zu. Ich glaube, das können wir ruhig dem deutschen Volk am Lautsprecher überlassen.
({2})
Meine Damen und Herren, nach diesem allseitigen Einvernehmen können wir uns etwas beruhigen. Ich schlage vor, daß Sie den Redner in Ruhe sprechen lassen.
Ich habe fast den Eindruck, das war das erstemal in zwei Tagen, daß der Beifall einmütig war. Welche Eloge für den Herrn Bundesminister Strauß!
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, mich an diesem Rekord zu beteiligen oder ihn gar zu übertreffen. Ich bin der Meinung, daß wir die Fragen an den Orten behandeln sollten, wo sie eigentlich vorgesehen waren. Außerdem ist die Frage nach den wirtschaftlichen Folgen und nach den Kosten des Verteidigungsbeitrags eine Frage, die nicht eine Fraktion der anderen stellt, sondern die der Bundesregierung und dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im besonderen gestellt ist. An der Beantwortung dieser Frage sind wir genau so interessiert wie die Opposition, weil wir es mit dem Haushaltsrecht und damit mit den Steuergeldern des deutschen Volkes genau so ernst nehmen.
({1})
Aber wir wissen zweierlei: einmal, daß eine Ablehnung dieser Verträge uns nicht von den Besatzungskosten freimachen würde, außerdem - und, Herr Kollege Erler, Sie hätten es ruhig sagen können, nachdem Sie die Verträge genau so gut kennen wie ich -, daß das Mindestmaß der deutschen Aufrüstung, soweit es nicht auch in Zukunft in der Souveränität dieses Hauses liegt, eben durch die NATO-Empfehlungen ausgedrückt wird. Damit bestimmen die NATO-Empfehlungen naturgemäß auch über die Kosten. Wir wissen, daß diese Empfehlungen nur einstimmig gefaßt werden können, also nur mit der Stimme des deutschen Vertreters. Damit sind wir davor geschützt, in ein finanzielles Abenteuer gestürzt zu werden.
({2})
Ich glaube, das muß man auch hier an dieser Stelle sagen.
Nun komme ich zu den militarpolitischen Gesichtspunkten meines Vorredners. Er hat sich hier zur Abrüstung bekannt. Meine Damen un Herren, es gibt niemand in diesem Hause, und es gibt niemand im deutschen Volke, der sich nicht zu dem Ideal der Abrüstung bekennt.
({3})
Aber nach dem, was die Abrüstungskonferenzen der zwanziger und dreißiger Jahre mit sich gebracht haben, und nach dem, was wir nach 1945 erlebt haben, ist das Ideal der Abrüstung nicht gerade glaubwürdig geworden. Wir wollen zwar ein Ziel im Auge behalten; aber wir wollen nicht einem Phantom nachjagen in einer Welt, in der es - ohne Deutschland! - mehr nach Aufrüstung aussieht als nach Abrüstung. Wenn Herr Erler erklärt hat, es sei ein schlechtes Zeichen, die Weltabrüstung mit der deutschen Aufrüstung zu beginnen, dann muß ich sagen: Wenn es an Deutschland liegen würde und an der deutschen Gefahr, daß die Welt aufgerüstet ist, dann bräuchte die Welt keinen einzigen Soldaten; denn so abgerüstet, wie das westliche Deutschland heute ist, war es noch nie in den tausend Jahren seiner Geschichte.
({4})
Es ist doch allzu einfach, wenn man - Herr Erler hat es nicht so einfach gesagt; aber die Konsequenz seiner Parteifreunde draußen im Lande ist so einfach - sagt: Wir sind gegen die Aufrüstung, weil wir gegen den Krieg sind. Da gibt es doch nur eine Parallele: Wir sind gegen die Feuerwehr, weil wir gegen den Brand sind.
({5})
Ich habe bei der Beurteilung der Lage, wie sie die Opposition vor allem draußen im Lande, wo sie ja eine noch um vieles härtere Sprache als hier spricht, vornimmt, immer die Meinung, sie setzt sich zusammen aus einer idealistischen Weltbetrachtung à la Berta von Suttner und aus einer materialistischen Weltgeschichtsbetrachtung à la Karl Marx. Man meint so etwa, wir lebten noch im Zeitalter der Kabinettskriege, wo eine Regierung aus Freude am Kriegführen und um ein Stück Land zu gewinnen einen Krieg vom Zaune bricht, oder im Zeitalter des Imperialismus des 19. Jahrhunderts, wo man eben auch aufrüstet, und wenn die Aufrüstung da ist, dann drängt die Rüstungsindustrie zum Kriege, dann kommt es eben zum Krieg unter Nationen, die im Grunde alle ganz anständige Regierungen haben. Nein, meine Damen und Herren, so automatisch und auf diese Weise geht es in einer Welt nicht mehr, in der die Rüstungsindustrie gar keinen maßgebenden Einfluß mehr hat, weil sie in den europäischen Ländern, die in der Geschichte am meisten Krieg geführt haben, verstaatlicht ist, nicht nur im Osten, auch im Westen. Es ist doch vielmehr dadurch eine völlige Änderung der Lage eingetreten, daß - um ein Wort des englischen Premierministers Baldwin zu zitieren - Kriege in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr Kriege alten Stils, sondern leider wieder eine Art von Religionskriegen geworden sind. Der letzte Krieg war doch eine Art säkularisierter Religionskrieg zwischen der Demokratie und der Diktatur, und ein dritter Weltkrieg, vor dem uns der Himmel und unsere Politik bewahren mögen, würde, wenn er käme, das in noch viel stärkerem Maße sein.
({6})
Es sind nicht lauter Kavaliere in den Regierungen der heutigen Welt, die sich durch Dispositionen wirtschaftlicher Mächte - etwa der Rüstungsindustrie - in Kriege treiben ließen., sondern es ist doch so: die eine Hälfte der Welt wird von Gentlemen geführt, die andere Hälfte der Welt von Banditen. Diese Banditen wollen ihre Herrschaft über die Welt ausdehnen, und davor müssen wir uns schützen.
({7})
In diesem Zusammenhang sagt die Sozialdemokratie, sie sei nicht grundsätzlich gegen einen Wehrbeitrag. Herr Erler hat es hier wenigstens so gesagt und andere Redner im Parlament auch. Draußen hört man's manchmal anders. Aber es müßten neue Voraussetzungen geschaffen werden, und wenn diese neuen Voraussetzungen geschaffen sein sollten, dann wird man - ich nehme an: nach dem
({8})
Scheitern der 122. Viererkonferenz - einen neuen SPD-Parteitag einberufen, um über die Aufrüstung zu befinden.
({9})
Meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie zum größten Teil den Saal verlassen haben, ich möchte Ihnen und uns selbst nur den Wunsch ausdrücken, daß zu diesem Ihren Parteitag - und allenfalls zu parallelen Parteitagen anderer Parteien - nicht bereits die Rote Armee den Saalschutz übernommen hat; denn das könnte Ihnen und allen anderen passieren, wenn man nicht rechtzeitig vorsorgt. Sie tun doch so, als ob die Gefahr, in der wir leben, gar nicht dringlich sei. Und sie ist doch höchst dringlich, um so dringlicher, als die Machtverhältnisse in Sowjetrußland so ungeklärt sind, daß niemand weiß, wer morgen wen ermordet oder wenigstens verdrängt und wer morgen dort an der Führung steht, so daß über Nacht diese Gefahr noch aktueller werden kann, als sie es in dieser Stunde ist.
Der Herr Kollege Dr. Arndt hat davon gesprochen, man solle sich nicht einen Popanz machen und ihn dann bekämpfen. Er meinte das innenpolitisch. Aber, meine Damen und Herren, Sie können doch nicht bestreiten: die Rote Armee ist kein Popanz, den wir uns machen, sondern die größte Realität auf dem europäischen Boden.
({10})
Da kann man nicht sagen, wie der eine es gesagt hat: Wer es eilig hat, muß zahlen, und auch nicht, wie es ein anderer tat, wir sollten uns teuer machen. Wer muß sich denn teuer machen? Wer braucht denn wen? Brauchen die Amerikaner das kleine Deutschland zu ihrer Existenzbehauptung,
oder braucht das kleine Deutschland das große Amerika, um bestehen zu können?
({11})
Herr Kollege Erler hat gemeint, die Westmächte wollten ihre Positionen nicht räumen. Er hätte hinzufügen können, daß Rußland sie bestimmt nicht räumen will, noch weniger heute, wo Männer der Roten Armee das Gewicht des Staates stärker als bisher in die Hand genommen zu haben scheinen. Ich frage Sie aber etwas anderes. Sie sagen, die Westmächte wollten ihre Positionen nicht räumen. Ja, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, wollen Sie denn, daß die Westmächte ihre Positionen räumen? Wollen Sie denn, daß damit Deutschland eine Art luftleerer Raum wird, in den die überfüllte Luft des Ostens hineindrückt? Wollen Sie uns damit zu einer waffenlosen Beute der Sowjets machen?
({12})
Sie übersehen eines, was Sie nicht übersehen dürften, wenn Sie die Weltpolitik beobachten und wenn Sie vor allem die amerikanische Politik an Ort und Stelle betrachten würden: daß es dort drüben immer noch die Gefahr eines Isolationismus als Stimmung im Volk und als Überlegung der verantwortlichen Offiziere gibt. Ob Europa an der Elbe oder ob es peripher in England, Spanien und Nordafrika verteidigt wird, mag für die Amerikaner die Frage mehr oder weniger großer Ausgaben sein. Für uns ist es die Frage unserer Existenz.
({13})
Wir wollen nicht am Ende eines dritten Weltkrieges „befreit" werden, denn da wäre nichts mehr zu befreien, sondern wir wollen, daß dieser dritte Weltkrieg nicht stattfindet, weil wir den Schutz der freien Welt in unserer Mitte haben.
({14})
Wenn wir aber das Bündnis, das uns angeboten ist, nicht annehmen, wenn wir nicht bereit sind, die Opfer zu übernehmen, die auch andere Staaten übernehmen, dann wird sich Amerika an uns desinteressieren. Denn immer wieder ist mir in den Vereinigten Staaten von Amerikanern - von den maßgebendsten Politikern wie vom Mann auf der Straße - gesagt worden: Wenn ihr Deutschen nicht einen finanziellen Verteidigungsbeitrag leistet, der euren Kräften angemessen ist, könnt ihr vom amerikanischen Steuerzahler, der amerikanischer Wähler ist, nicht verlangen, daß er einen Beitrag zur deutschen Verteidigung leistet; und die amerikanische Mutter ist nicht bereit, ihren Sohn auch nur zum friedlichen Wachdienst nach Deutschland zu schicken, wenn die deutsche Mutter nicht dasselbe Opfer bringt, daß ihr Sohn Wachdienst in unserem eigenen Vaterland leistet.
Wenn wir also nicht bereit sind, diese Opfer für unsere eigene Freiheit zu bringen, dann müssen ja die Amerikaner das Interesse an diesem Deutschland, das sich nicht selbst schützen will, soweit seine Kraft reicht, verlieren und es räumen und sich selbst überlassen. Und ich glaube, wenn ein sozialdemokratischer Außenminister mit der Politik, die Sie uns vorschlagen, an diesem Punkt wäre, dann müßte er die Amerikaner auf den Knien bitten, daß sie uns nicht unserem Schicksal, d. h. dem Osten überlassen.
({15})
Und wenn der Herr Kollege Erler sagt: ob die zwei Teile Deutschlands aufgerüstet werden oder nicht, das komme auf dasselbe heraus, so will ich mich hier nicht in militärpolitische Spekulationen einlassen, ob das wahr ist oder nicht, sondern ich will nur eines sagen: der östliche Teil hat ja 140 000 Volkspolizisten. Und was haben wir? Drüben ist eben stillschweigend und ohne Parlamentsdebatten und ohne daß man darüber einen jahrelangen Pressekrieg, Rundfunkkrieg und Parlamentskrieg geführt hat, bereits gehandelt worden, weil die Diktaturen leider Gottes schneller handeln als die Demokratien! Da kann man nicht behaupten, daß wir es hier besonders eilig hätten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Jaeger, ist Ihnen bekannt, daß der amerikanische Außenminister Dulles in drei öffentlichen Reden am 29. April, am 5. Mai und am 17. Juli 1953 zu der Frage Stellung genommen hat, ob sich die Vereinigten Staaten von Amerika ohne Europa verteidigen könnten, und daß er in den drei Reden öffentlich sehr klar begründet hat, daß das nicht möglich sei, und er schließt an einer Stelle diese Bemerkung - ich frage, ob Sie das wissen -: „Es liegt damit klar auf der Hand, daß die Sicherheit der USA ernsthaft gefährdet wäre, wenn die Sowjets Europa erobern sollten."? Ist Ihnen bekannt, daß der amerikanische Außenminister das gesagt hat, daß ohne Europa Amerika nicht zu verteidigen ist?
-- ({0})
Herr Kollege Dr. Arndt, dazu wäre zweierlei zu sagen. Erstens ist in diesen Worten, die mir bekannt sind, nicht mit unbedingter Klarheit ausgedrückt, wo dieses Europa verteidigt wird, ob an der Elbe oder am Rhein oder noch etwas weiter westlich.
({0})
Zweitens ist mir aus meinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten bekannt, daß es in der Innenpolitik der USA zwei Kräfte gibt, die Kräfte, zu denen Herr Dulles und das Staatsdepartement, das Außenministerium, gehören, die Europa halten wollen und die Auffassung vertreten, die Sie da angeführt haben, daß es aber auch einen Teil des Offizierskorps gibt, der eine andere Meinung vertritt, die für uns sehr gefährlich ist. Ich freue mich, daß Herr Dulles so gesprochen hat, aber darauf können wir nicht allein bauen.
({1})
Da wir aber gerade dabei sind, maßgebende Amerikaner zu zitieren, darf ich noch einmal auf das schon erwähnte Zitat des Generals Gruenther, das vorgestern in den Zeitungen stand, hinweisen, der gesagt hat, bisher habe man sich auf den Rhein-Widerstand eingerichtet, d. h. fast das ganze Deutschland preisgegeben. Wenn wir mittun, dann werde man zu einer offenen Verteidigung übergehen; dann werde dieses ganze westliche Deutschland mit in den Verteidigungsring 'eingeschlossen. Das ist dann mindestens von der gleichen Bedeutung.
({2})
Daraus sehen wir, daß die Ablehnung die Kriegsgefahr erhöht, die Gefahr erhöht, daß wir ein Schlachtfeld werden, während die Annahme sie vermindert, soweit sie überhaupt durch menschliche Kräfte verhindert werden kann.
Herr Kollege Erler hat auf die Gefahr der Atomwaffen hingewiesen. Wahrhaftig, wir wünschen wie er, daß es keinen Krieg gibt. Wir wünschen wie er, daß die Atomwaffen nicht angewendet werden. Was aber kann man tun, damit sie nicht angewendet werden? Es gilt zuerst einmal - was wir tun wollen-, alles zu tun, den Krieg zu verhindern, dem Angreifer das Risiko so groß zu machen, daß es überhaupt nicht zum Krieg kommt. Wenn aber Herr Kollege Erler in die Diskussion schon den Gedanken des Verlaufs eines Krieges hineingebracht hat, muß ich doch sagen: Die furchtbarste Waffe im zweiten Weltkrieg war das Gas. Es ist nicht angewendet worden. Es wäre bestimmt angewendet worden, wenn eine Macht auf dem Gebiet der sogenannten klassischen Waffen so schwach gewesen wäre, daß sie in einem Akt der Verzweiflung zu dem Gas hätte greifen müssen. Wenn wir auf der westlichen Seite mit diesen sogenannten klassischen Waffen, die wahrhaftig furchtbar genug sind, so schwach sind, daß Amerika zur Atombombe greifen muß, dann allerdings passiert ein furchtbares Unglück. Aber wir wollen eben durch unseren Verteidigungsbeitrag mit dazu helfen, daß die Abwehrkraft des Westens mit den klassischen Waffen so groß wird, daß wir bei einem wahrscheinlichen Gleichgewicht der ABC-Waffen in ferner oder sogar näherer Zukunft hoffen können, daß diese Waffe überhaupt nicht angewendet wird, - wenn wir uns nicht darauf verlassen, was unser erstes Ziel ist, lieber den Krieg überhaupt zu verhindern, denn das ist um vieles sicherer.
Natürlich wird uns immer wieder gesagt - es ist heute erfreulicherweise nicht gesagt worden -, diese 12 Divisionen seien ja gar nicht in der Lage, die Freiheit Deutschlands zu verteidigen. Es wundert mich immer, wenn in der Diskussion draußen dazu gesagt wird, diese 12 Divisionen, die Deutschland gar nicht schützen könnten, seien für Rußland eine Provokation.
({3})
Hier sieht man die Unlogik, die in der Argumentation vieler unserer Gegner vorhanden ist. Eine Bedrohung für Rußland sind sie bestimmt nicht, denn eine um vieles, um das Zehnfache größere Zahl von Divisionen hat Rußland in einem für Rußland viel ungünstigeren Zeitpunkt nicht unterwerfen können. Se sind auch nicht das, was allein Deutschland verteidigen kann. Aber in einem Deich von tausend Metern Länge müssen alle Hundertmeterstreifen gut gebaut sein. Ist einer schlecht gebaut, bricht die Sturmflut an dieser Stelle ein. Und die Rolle, die eine Strecke von hundert Metern in einem Deich von einem Kilometer spielt, spielen die 12 deutschen Divisionen in der Verteidigung Europas.
({4})
Im übrigen: wenn Sie Neutralität, bewaffnete Neutralität wollten, meine Herren von links, dann müßten wir wahrhaftig aus eigener Kraft mehr aufstellen, als wir menschenmäßig, materialmäßig und finanziell können.
({5})
Es ist für den Starken schon nicht gut, allein zu sein. Die Bündnislosigkeit oder die schlechten Bündnisse haben wir im Jahre 1914 und - wenn Sie so wollen - auch im Jahre 1939 gehabt. Diese Isolation ist dem starken Deutschland nicht gut bekommen, dem schwachen Deutschland von heute müßte sie zum Tode gereichen, und schwach wäre ja ein Gesamtdeutschland wirtschaftlich und militärisch nicht viel weniger als die Bundesrepublik. Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen diese Bündnisse dringlichst; denn mit Neutralität - ja, das mögen die Inder machen, das mögen die Schweden machen und das mögen die Schweizer machen. Das sind doch ganz andere Verhältnisse: die Inder im Schutze des Himalaja, die Schweizer im Schutze ihrer Berge. Und beide allein könnten es nicht schaffen, wenn sie nicht eine starke Armee aufstellen würden. Die Schweizer haben sie schon, von den Indern haben Sie in diesen Tagen gelesen, daß sie gerade dabei sind, sich zu überlegen, wie sie eine solche aufstellen können, und Schweden ist im kontinentalen Europa vielleicht die stärkste Militärmacht überhaupt.
Sie finden auf der Welt kein Beispiel eines auch nur ähnlich gefährdeten Landes wie ein Deutschland, das waffenlos neutral wäre. Denken Sie 'doch an die Lage Deutschlands! Ich glaube ja, wenn es zu einem dritten Weltkrieg kommen sollte, würde er gar nicht wegen Deutschlands, sondern wegen viel wichtigerer Dinge ausbrechen, als es diese Bundesrepublik oder auch die Ostzone für die großen Mächte dieser Welt ist. Aber, meine Damen und Herren, weshalb auch ein Weltkrieg jemals wieder ausbrechen sollte und wer ihn beginnen sollte, er wird immer über unser Territorium geführt werden. Wir sind das Land der Mitte - unser Segen in Zeiten des wirtschaftlichen Austausches, unser Glück in Zeiten des kulturellen
({6})
Austausches, Fluch unseres Volkes in einem jeden Krieg. Wir haben es nicht nur in der Schule gelernt, wir haben es doch zweimal selbst erlebt. Wenn ein solcher Krieg ausbricht, muß er über Deutschland führen, weil es ja die Brücke zwischen Ost und West ist, über die der Osten dem Westen an den Kragen gehen kann und, wenn er es wollte, der Westen dem Osten. Wenn wir neutral sein wollten, dann hätten sich die alten Germanen nicht in der Mitte Europas ansiedeln dürfen, dann hätten sie sich in Patagonien oder Australien ansiedeln müssen. Vielleicht würde es auch da heute nicht mehr ausreichen. Aber hier ist eine Neutralität bestimmt nicht mehr möglich.
({7})
Wenn Sie in diesem Zusammenhang von der Wiedervereinigung reden, so brauche ich den Argumenten meiner Vorredner und gar denen des Herrn Bundeskanzlers nicht viel hinzuzufügen. Ich kann nur wiederholen, was einer meiner Parteifreunde heute gesagt hat: Sie tun ja, als wenn es am Westen, schon gar aber an der Regierung der Bundesrepublik läge, daß wir noch kein wiedervereinigtes Deutschland haben.
({8})
Und es liegt doch schließlich an den Sowjets! Wir haben doch vor einem Jahr eine Viermächtekonferenz in Berlin gehabt. Sie sagen, man müsse den Sowjets Auge in Auge gegenüberstehen; dann werde man es leichter schaffen. Na, da müßte ein sozialdemokratischer Außenminister schon ein Augendiagnostiker oder ein Mann mit besonders schönen Augen sein, um diesen Erfolg zu erreichen.
({9})
Nein, meine Damen und Herren, den ernsten Versuch hat man gemacht. Ich glaube immer - das hat auch einer meiner Kollegen gesagt -, daß die Sowjets erst dann bereit sind, die hervorragende strategische Position in Mitteldeutschland zu räumen, wenn ihnen dafür irgendwo auf der Welt etwas Besseres geboten wird. Sie wissen zu genau, daß - was Herr Erler gesagt hat - Deutschland, selbst wenn es kein Bündnis hätte, im Herzen auf der Seite des Westens wäre und daß dieses Deutschland also nur unter Zwang vereinigt für den Russen überhaupt etwas darstellen würde und daß er sich deshalb auf Deutschland nicht verlassen kann, daß er also die Entlassung des deutschen Ostens aus seiner Herrschaft gar nicht billigen kann, wenn ihm eben nicht anderswo mehr geboten wird.
Dann ist gesagt worden, die Erlösung der Ostzone müsse mit den Mitteln der Politik und nicht mit denen des Krieges erfolgen. Das ist voll und ganz meine Meinung und die meiner Freunde. Aber, meine Damen und Herren, was kann die schwache Bundesrepublik mehr zur Erlösung der Ostzone tun, als daß sie die 14 Mächte des Atlantikpaktes, darunter die stärksten westlichen Mächte, England und USA, dazu verpflichtet, diese Politik der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit Schulter an Schulter mit uns zu erkämpfen!
({10})
Im Bündnis mit diesen Mächten sind wir jederzeit bereit, jeden Mut in der Frage der Wiedervereinigung an den Tag zu legen. Aber wenn man mir sagt, wir sollten allein, hilflos und schutzlos, mutig, mutiger noch als bisher an die Dinge herangehen,
dann kann ich nur sagen: Wer dem Lamm rät, mutig zum Wolf zu gehen, der rät ihm zum Selbstmord.
({11})
Als ein Abgeordneter des deutschen Volkes vermag ich dies nicht zu verantworten.
Ich bitte Sie, doch auch noch zu überlegen, daß es nicht so ist, als ob nun die Aufrüstung den Krieg bewirkt, sondern daß im Jahre 1939 die nicht genügende Aufrüstung der freien Welt den Diktator dazu ermutigt hat, die Welt mit Krieg zu überziehen.
({12})
Meine Herren Sozialdemokraten, Sie wie wir, die Sie Gegner des Nationalsozialismus waren, wo Sie damals auch immer gewesen sein mögen, haben Sie sich nicht an den Kopf gefaßt und gesagt: „Wie kann die Welt zuschauen, wenn das kleine Österreich überfallen wird? Wie kann die Welt zuschauen, wenn all das andere geschieht?" Die Welt mußte zuschauen, weil sie zu schwach war. Eine Aufrüstung der Freiheit ist der beste Schutz der Freiheit und der beste Schutz des Friedens.
({13})
Dann soll mir doch niemand erzählen, daß Verhandlungen an und für sich das Allheilmittel wären. Wenn eine Verständigung der großen Mächte das Allheilmittel wäre, dann wäre Potsdam ja die Frucht dieses Allheilmittels gewesen. Man hat sich auf unsere Kosten geeinigt. Und heute, wo wir noch keine Verbündeten haben, ist immer noch die Gefahr, daß sich die Welt auf Kosten des Schwächsten einigt. Wenn wir nach der Ratifizierung verhandeln, dann wissen wir: Die Westmächte werden sich nicht mehr auf unsere Kosten einigen.
Ich bin ganz der Meinung, daß man nicht als Maßstäbe unseres Handelns sozusagen die umgekehrten Vorzeichen dessen macht, was drüben Maßstäbe der Sowjets sind. Es würde zweifellos unserer geistigen Haltung, es würde den Idealen der Freiheit nicht entsprechen, wenn wir uns die Gehirnwindungen, wie gesagt wurde, vom Gegner aufzwingen ließen. Aber, meine Damen und Herren, es läßt sich doch, ohne daß man so denkt, ganz objektiv feststellen, was den Sowjets nützt und was den Sowjets schadet. Ich sage Ihnen offen: Bei allem, was den Sowjets nützt, habe ich Angst, es könnte für unser Vaterland gefährlich sein.
({14})
Wenn deshalb in einem Nervenkrieg, der gegen uns geführt wird, deutsche Politiker, die keine Kommunisten sind, nie waren und nie werden wollen, und an deren ehrlicher demokratischer Überzeugung ich nicht zweifle, Dinge tun, die parallel den Wünschen eines Molotow sind, dann frage ich mich: Sind sie nicht auf dem falschen Weg?
({15})
Wenn man in einem Augenblick, da dieses Volk ruhig, einig und gefaßt sein sollte, um in dieser schwierigen weltpolitischen Lage zu bestehen, mit einem falschen, nämlich öffentlichen und nicht geheimen sogenannten Teilvolksentscheid dieses Volk aufwühlt, dann weiß ich bestimmt, daß wir auf dem falschen Wege sind. Denn es mögen sehr honorable Männer sein - und sie waren es -, die da in der Paulskirche gesprochen haben; aber es sind auch sehr horrible Männer in der Gefolgschaft dieser Paulskirchenbewegung.
({16})
({17})
I In den Briefen, die ich da bekomme, wie die anderen Kollegen sie bekommen, kann ich oft nicht unterscheiden, ob der Schreiber ein ehrenhafter Sozialdemokrat oder ein schreckenerregender Mann aus der Kommunistischen Partei oder ihrer Hilfsorganisation, dem Bund der Deutschen, ist.
Nein, meine Damen und Herren, hier hat man leider Instinkte mobilisiert, und das ist gerade in diesem Augenblick gefährlich. Den Appell ans Volk haben wir nicht zu scheuen. Aber der Appell ans Volk vollzieht sich in einer rechtsstaatlichen Demokratie eben nur mit ,dem Stimmzettel in der geheimen Wahl. Einen solchen Appell ans Volk haben wir am 6. September 1953 gehabt.
({18})
Im alten Bundestag konnten Sie uns erzählen, das Volk habe bei der Wahl von 1949 nicht gewußt, daß der Verteidigungsbeitrag auf der Tagesordnung unseres Staates steht. Im Jahre 1953 hat es das Volk gewußt; denn es ging bei der EVG um dieselben 12 Divisionen, um dieselben 500 000 Mann, um dieselben 18 Monate Dienstpflicht, wie es jetzt darum geht.
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- Ich stimme zu.
Herr Kollege Dr. Jaeger, halten oder hielten Sie den Appell an das Volk durch die Massenkundgebungen niedersächsischer Katholiken in Hannover gegen ein ihnen unbequemes Schulgesetz
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für zulässig oder nicht für zulässig, und halten Sie den Appell an das Volk durch die Sammlung von Unterschriften gegen das Schluchseewerk in Südbaden für zulässig oder nicht für zulässig?
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Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Erler, daß Sie hier Dinge vergleichen, die man an Bedeutung und hinsichtlich der weltpolitischen Lage gar nicht miteinander vergleichen kann.
({0})
Ich will Ihnen damit nicht ausweichen, ich will Ihnen antworten; aber obwohl ich Ihnen antworte, möchte ich sagen: das Schluchseewerk und die Frage des Verteidigungsbeitrags stehen nun doch in ganz verschiedenen Größenordnungen. Und selbst die Frage des Schulgesetzes eines deutschen Landes, das die Menschenrechte berührt, ist doch nicht zu vergleichen mit der Verteidigung der Freiheit hier. - Herr Erler, ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig. Ich billige durchaus, daß man eine solche Protestkundgebung macht. Ich billige das auch Ihnen zu. Aber niemand hat in Niedersachsen daraus den Schluß gezogen, daß nun die Regierung plötzlich einen anderen Kurs macht. Man wollte ihr nur zeigen, wie man darüber denkt. Sie haben das auch gezeigt; aber Sie wollen uns unter dem Druck der Straße zwingen, daß wir eine vom Volk am 6. September gefällte Entscheidung rückgängig machen, während in Niedersachsen über diese Frage noch gar nicht entschieden ist.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Jaeger, sind Sie also der Meinung, daß das Volk - wie in Niedersachsen exerziert, denn auch dort handelte es sich um die Geltendmachung von Wählerwünschen zu einem Gesetz - sich in dieser Weise nur äußern darf, wenn es um Fragen minderer Ordnung geht, in Fragen größerer Ordnung dagegen nicht?
Herr Kollege Erler, ich will Ihnen noch deutlicher antworten. Ich bin erstens einmal der Meinung, daß das Volk in Versammlungen grundsätzlich sprechen kann. Ich halte es aber nicht für zweckmäßig, Volksbefragungen vorzunehmen.
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In Niedersachsen sind sie meines Wissens nicht vorgenommen worden. Ich bin ferner der Meinung, daß in diesem Augenblick der weltpolitischen Krise ein Appell an das Volk in Form von Massenversammlungen und sogenannten Volksentscheiden eine Beunruhigung in das Volk trägt, die, ob Sie es wollen oder nicht - Sie wollen es sicher nicht! -, aber objektiv den Kommunisten nützt; und deshalb ist er in dieser Frage gefährlich.
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Nun, meine Damen und Herren, ich darf zu Ende kommen. Es ist zweifellos durch das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ein Rückschlag in der Stimmung unseres Volkes eingetreten, weil dieses Volk wirklich an die Europäische Gemeinschaft glaubt, ein Rückschlag auch aus der Tiefe eines noch nicht geklärten Gefühls, ein Rückschlag sicher auch durch die Folgen Ihrer Propaganda. Aber, meine Damen und Herren, die Sie sich so oft auf das Gewissen berufen - das wir Ihnen zugestehen! -: Sie werden uns als Politikern, die sich in ihrem Handeln auch und nicht weniger ihrem Gewissen verantwortlich fühlen, nicht zumuten, daß wir wegen einer Gefährdung der Stimmung von dem Weg, den wir für richtig halten, abweichen. Wir sind überzeugt, mit unseren Argumenten das Volk bei der nächsten Wahl wieder zu überzeugen.
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Wir haben schon einmal den Mut zur Unpopularität in der Wehrfrage gehabt, und wir haben uns durchgesetzt. Wir haben ihn auch heute, und wir werden uns auch heute durchsetzen kraft der besseren Argumente.
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In einem ernsten Augenblick der deutschen Geschichte hat der letzte demokratische Reichskanzler gesagt, man solle nicht hundert Meter vor dem Ziel den Wagen umwerfen. Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt hundert Meter von den Nahzielen unserer Außenpolitik: der deutschen Freiheit und der Sicherheit als Voraussetzung der Wiedervereinigung. Wir werden jetzt von diesem Wege nicht abweichen; so viel Verantwortungslosigkeit dürfen Sie uns nicht zutrauen. Und wenn das Opfer von uns und unserem Volke verlangt, dann sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Wir sind der Überzeugung, daß die Opferbereitschaft derer, die an die Ideale der Freiheit glauben, nicht kleiner
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sein darf als die Opferbereitschaft derer, die den Idolen der Knechtschaft anhängen.
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Nach § 47 der Geschäftsordnung hat das Wort der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Erler hat in seinen Ausführungen über die Sicherheit auch die finanzielle Seite angeschnitten, indem er dabei die Frage aufgeworfen hat, warum denn die Bundesregierung bisher nie offen bekannt habe, was die Kosten der gesamten sogenannten „Aufrüstung" - ich spreche nicht von Aufrüstung; ich spreche von den Verteidigungs- und Sicherheitsaufwendungen - seien und ob sie finanziell getragen werden könnten. Es solle nicht von den 9000 Millionen im nächsten Etat, sondern von den Gesamtaufwendungen gesprochen werden. Meine Damen und Herren, diese Bemerkungen veranlassen mich, zu dem Problem der Aufwendungen für Verteidigungsausgaben, der finanziellen Möglichkeiten, der Größenordnungen etc. Stellung zu nehmen.
Herr Abgeordneter Erler wird ganz gewiß nicht wünschen, daß wir in der Zeit, in der wir uns, wenn die Verträge angenommen sind, in der NATO mit den anderen Mächten über die Empfehlungen für die wirklichen Leistungen der deutschen Bundesrepublik unterhalten und uns anschließend daran mit den anderen über die finanziellen Auswirkungen und über die Leistungen des deutschen Volkes unterhalten, etwa dadurch, daß wir allzu große Zahlen nennen und in die Welt hinausrufen, als ob sie schon Tatsache wären, während sie es noch gar nicht sind, die eigene Verhandlungslage des deutschen Volkes erschweren.
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Ich darf auch bemerken, daß es, glaube ich, niemanden in der Welt gibt, der in der Lage wäre, mit bestimmten Zahlen heute darüber zu reden, was eine Gesamtaufrüstung in den Jahren 1955, 1956, 1957, 1958 kostet. Aber ich darf soviel Auffassungsgabe voraussetzen, daß er aus dem, was in anderen Ländern geschehen ist und geschieht, selbst sich die Zahlen ungefähr bereitstellen und die Folgerungen daraus ziehen kann.
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Wir sind nicht die ersten in Europa, die an die Aufgabe, Verteidigungsausgaben zu übernehmen, herangehen. Wir sind leider die letzten, die es tun, und wir haben das Beispiel der anderen bereits vor uns.
Nun darf ich eines vorausschicken. Wenn über die Kosten gesprochen wird, so wird vielleicht manchmal in dem Sinne von den Kosten gesprochen, die Übernahme der Verteidigungsausgaben müßte die Gefahr einer inflationären Entwicklung, wenigstens die Gefahr einer Einschränkung der sozialen Leistungen, wenigstens die Gefahr starker Steuererhöhungen bringen, und man redet gern von dieser Gefahr, wenn man dem deutschen Volke einen Schrecken vor den Auswirkungen der Verteidigungsverträge einflößen will.
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Ich darf die Frage von dem Standpunkt dessen beantworten, der vor seinem Volke und aus seinem
Amt heraus die Verantwortung für solche Verteidigungsausgaben übernehmen muß.
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Jeder der mich kennt, weiß, daß der Kern der Auffassung von der Aufgabe, die ich zu erfüllen habe, ist, ,daß ich dem deutschen Volke unter allen Umständen die Gefahr einer inflationären Entwicklung vermieden sehen will.
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Jeder weiß, daß ich stolz darauf bin, daß das deutsche Volk in der Zeit der Bundesrepublik seit dem Jahre 1949 diese außergewöhnlichen sozialen Leistungen gemacht hat und alle seine Aufgaben in finanzieller Ordnung erfüllt hat.
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Jeder weiß, daß ich, wenn ich mich trotzdem entschließe, ,die Verantwortung auch für die Kosten der Sicherheit des deutschen Volkes, seiner Verteidigung zu übernehmen, das unter der Voraussetzung tue,
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daß die finanzielle Ordnung gewahrt
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erfüllt werden, und daß ich mir deswegen die Kosten überlegt habe, meine Herren!
Da darf ich nun sagen: wir haben seit Jahren die Grundlage für die Festlegung dieser Kosten uns selbst geschaffen, indem wir in allen Verhandlungen in der Zeit der EVG und dann in der Londoner Konferenz dafür gesorgt haben, daß die Kostenrechnung automatisch sich nach gewissen Grundsätzen ergeben wird. Der erste Grundsatz ist gewesen, daß das deutsche Volk bereit ist, in demselben Umfange wie alle anderen Nationen seine Verpflichtungen zu übernehmen, als ein Gleichberechtigter nach denselben Grundsätzen.
Wenn Sie immer von den 9000 Millionen reden und meinen, das sei das einzige, begehen Sie schon einen Gedankenfehler! In den Haushalten der anderen Länder ist unter Verteidigungsausgaben mehr verstanden, als bei uns unter dem Poster 9000 Millionen enthalten sein würde. In all den anderen Ländern sind gewisse Ausgaben. die wir heute schon leisten, obwohl wir einen Verteidigungshaushalt noch nicht haben, mit enthalten. Das war ja der Gegenstand der Auseinandersetzungen in den Jahren von 1952 ab, daß wir die deutschen Verteidigungsleistungen aufgliedern mußten in das, was unmittelbar für neue militärische Aufwendungen erforderlich ist, und in das, was wir als anrechnungsfähige Verteidigungsausgaben bereits leisten.
Wenn die Herren, wie ich annehme, die Vorbemerkungen zum Haushalt 1955 lesen, dann finden sie darin bereits auch die Zahlengrößen. Nach deutscher Berechnung sind darin anrechnungsfähige Verteidigungsausgaben, wie wir sie heute schon leisten, mit einem Betrag von 4177 Millionen enthalten, so daß also die gesamten deutschen Verteidigungsleistungen, wenn ich die 9000 Millionen dazu rechne, heute schon mit jährlich 13 Milliarden zu schätzen sind.
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({10})
Meine Damen und Herren, das ist die Ausgangsziffer, die Sie nehmen müssen.
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Wenn Sie jetzt wissen wollen, wie denn die Verhältnisse in den andern Ländern sind, so kann ich Ihnen die Zahlen ganz ruhig nennen. Ich nenne Ihnen einmal die Haushaltszahlen z. B. von Großbritannien mit Flotte, Landmacht und Luftmacht: jährlich etwa 17 Milliarden DM nach unserem Geld,
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Frankreich etwa 12 Milliarden DM nach unserem Geld, Italien 3,7 Milliarden DM, Belgien 1,3 Milliarden, Holland etwa 2 Milliarden.
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Ich darf bemerken, daß z. B. Italien nach dem Krieg bereits 15 Divisionen aufgestellt hat. Ich kann feststellen, daß Italien seit dem Jahre 1949/50 bis zum Haushaltsjahr 1954/55 insgesamt aus eigener Kraft nach unserem Geld 20 Milliarden DM aufgebracht hat.
Dem darf ich gegenüberstellen, daß die deutsche Bundesrepublik im gleichen Zeitraum an Besatzungskosten allein bereits 55 Milliarden RM und DM aufgebracht hat.
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Wenn ich die Jahre 1950 bis 1954/55 nehme, dann ergibt sich, daß die deutsche Bundesrepublik seit ihrem Bestehen allein 32,5 Milliarden DM Besatzungskosten getragen hat. Wir müssen doch daran denken, daß der kommende Posten „Verteidigungsausgaben" im deutschen Bundeshaushalt an die Stelle der alten Besatzungskosten tritt. Wenn ich also davon ausgehe, daß ich zwar die Gesamtkosten nicht mit Zahlen, für die mir heute jede Unterlage, auch jede prophetische Gabe fehlt, aufstellen kann, aber genau weiß, daß auch die anderen Länder nach dem Kriege vielfach doch ganz von vorn beginnen mußten, und wenn ich deren Haushalte und Haushaltsleistungen kenne, dann kann ich nach dem Grundsatz „Gleiches Recht und gleiche Pflicht" für die deutsche Bundesrepublik je nach ihrer Leistungsfähigkeit im Lande auch das berechnen, was nach den NATO-Empfehlungen finanziell dann vom deutschen Volk verlangt werden kann.
Ich nehme also zunächst das Brutto-Sozialprodukt; wir werden ja Gelegenheit haben, in internationalen Verhandlungen darüber zu reden. Dazurechnen muß ich meine anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben; dazu gehört z. B. Polizei, dazu gehören die Ruhegehälter für die früheren Wehrmachtsangehörigen, und dazu gehört nach deutscher Überzeugung - das ist der Streitpunkt - auch das, was wir tun, um die Widerstandskraft der Stadt Berlin aufrechtzuerhalten,
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weil wir der Überzeugung sind, daß sich am Schicksal der Stadt Berlin die Frage des Friedens in Europa entscheiden wird;
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deswegen sagen wir: was wir für Berlin aufwenden, muß als deutsche Verteidigungsleistung von der übrigen Welt anerkannt werden. Wenn ich all das zusammennehme, dann komme ich zu der Überzeugung, daß wir heute gemessen am deutschen Brutto-Sozialprodukt, wenn wir die anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben den 9000 Millionen hinzurechnen,
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prozentual schon eine höhere Leistung haben als andere Länder, mit denen wir uns vergleichen.
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Meine Damen und Herren, ich werde wie bisher in den Verhandlungen für die deutsche Bundesrepublik eintreten müssen, und ich bitte, die kommenden Verhandlungen nicht etwa dadurch zu erschweren, daß hier dem Ausland gegenüber von deutschen Verpflichtungen, höher als die deutsche Bundesregierung sie für notwendig hält und die deutsche Bundesregierung in Pflichterfüllung aus dem Vertrag heraus nur für notwendig halten zu müssen glaubt, gesprochen wird.
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Es wird dem Ausland gegenüber genau so sein, wie es leider im innerdeutschen Verhältnis zwischen Gemeinden und Ländern beim Inner-Länderausgleich und zwischen Bund und Ländern beim inneren Finanzausgleich ist. Es wird genau so, genau so hart und genau so zäh auch hier gekämpft werden müssen.
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Wir haben in diesen Verträgen auch nach der Seite der Kostenerstattung und der Höhe der Leistungen unser deutsches Schicksal selbst in der Hand.
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Es liegt heute so, daß wir im Gegensatz zu früher nunmehr bei den NATO-Empfehlungen und bei den Ausarbeitungen der Vorschläge, wenn die Verträge zustande kommen, nicht mehr ein zugelassener Gast in der NATO sind,
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der nur in Anwendung der für die anderen geltenden Grundsätze hilfsweise mit zugezogen wird. Wir sind künftig gleich im Stimmrecht mit den anderen, und alle NATO-Empfehlungen haben einstimmig angenommen zu werden.
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Und zweitens: die NATO-Empfehlungen, die angenommen werden und die Grundlage für die deutschen Leistungen sind, binden das deutsche Parlament nicht. Das deutsche Parlament hat künftig nach seinem Haushaltsrecht über den Verteidigungshaushalt zu entscheiden.
Herr Kollege Erler, wenn Sie heute die Frage aufgestellt haben, warum im deutschen Haushalt noch nicht etwas nach Kategorien, nach Waffengattungen zu finden ist, - sehr einfach: weil wir nur den Bundesgrenzschutz haben, und der steht drin im Haushalt,
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und alles andere steht noch nicht drin.
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Wenn Sie aber künftig die Summen zu genehmigen haben werden, steht Ihnen im Parlament das Recht zu fragen frei, für welche Zwecke, und dann wird Ihnen die Regierung auch die Antwort geben, die möglich ist.
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Also wir haben nichts zu verbergen, und wir werden unser Schicksal rein parlamentarisch durch den Deutschen Bundestag in voller Höhe der Wahrung seines Budgetrechtes bestimmen können. Wir haben dann auch die Möglichkeit, daß wir die Zweckmäßigkeit der Verwendung der Gelder vom deutschen Parlament überwachen lassen, den Gesichtspunkt der
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1 Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auch im deutschen Bundeshaushalt zum Ausdruck bringen.
Wenn ich jetzt die Überzeugung ausspreche, ({28})
daß das, was wir an Verpflichtungen zu übernehmen haben, mit einer Summe von rund 4 Milliarden anrechnungsfähiger Verteidigungsausgaben und 9 Milliarden unmittelbaren Ausgaben im Bundeshaushalt wird geleistet werden können, ist die Frage: kann das deutsche Volk das übernehmen? Das deutsche Volk hat bisher jährlich 7200 Millionen an Besatzungskosten zu tragen gehabt. Die 1800 Millionen Differenz werden das deutsche Volk belasten. Denn was bisher im ordentlichen Haushalt drin stand, ist erspart und für den außerordentlichen Haushalt in Höhe von 1,5 Milliarden zur Verfügung gestanden, und ich brauchte in dieser Zeit zur Dekkung des außerordentlichen Haushalts an den Kapitalmarkt - der damals nicht vorhanden gewesen wäre - nicht heranzutreten. Das deutsche Parlament muß damit rechnen, daß künftig diese Möglichkeiten nicht mehr bestehen, und muß damit rechnen, daß der deutsche Bundesfinanzminister gezwungen ist, den außerordentlichen Haushalt durch Inanspruchnahme des Kapitalmarkts zu decken, muß infolgedessen auch wissen, daß damit eine Verengung im Haushalt eintritt; denn der außerordentliche Haushalt kann nicht erspart werden. Sind wir uns doch klar: zu einem Drittel Wohnungsbau, zu einem Drittel Verkehrswesen, zu einem Drittel wirtschaftliche und Unterstützungsmaßnahmen, lauter Dinge, die praktisch doch erfüllt werden müssen. Aber die Hoffnung darf ich aussprechen,
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daß die deutsche Bundesregierung in einer vorausschauenden Politik alles Mögliche getan hat, um für die nächsten Jahre einen in diesem Umfang leistungsfähigen Kapitalmarkt wirklich zu schaffen, und daß ich es als möglich und als wahrscheinlich bezeichnen muß, daß wenigstens der außerordentliche Haushalt auf dem Weg, der dafür ja bestimmt ist, auf dem Weg der langfristigen Anleihe gedeckt werden kann.
Ich möchte also die Frage so beantworten: Die Höhe der künftigen Belastungen wird nicht größer sein, als wir sie in den Haushalten der entsprechenden gleichstarken Länder heute bereits finden und nachrechnen können. Daraus ergibt sich die Rechnung, daß das, was der deutsche Bundesfinanzminister bisher 'den übrigen Ländern auf Grund der bisherigen Empfehlungen vorgeschlagen hat, gehalten wird. Er hat das getan, nachdem im Jahre 1952, nachdem im Jahre 1953 und auf der Londoner Konferenz die amerikanische Seite immer wieder erklärt hat, daß sie die Lieferung der schweren Waffen an die deutschen Kontingente übernehmen wird mit denselben Bedingungen, wie sie für alle anderen NATO-Mächte nach Menge und Güte gelten.
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Ich kann es Ihnen ja wörtlich vorlesen, wenn Sie es wünschen. Unter der Voraussetzung sind die Leistungen, die das deutsche Volk aufzubringen hat, meiner Überzeugung nach ausreichend, um das, was die NATO von uns erwarten darf, auch wirklich zu erfüllen.
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Frage?
Es wäre mir lieb, ich könnte meinen Gedankengang zu Ende führen.
Unter der Voraussetzung möchte ich dem deutschen Volke sagen: Ich glaube, die Verantwortung übernehmen zu können, daß das deutsche Volk die Verteidigungsausgaben in dem vorgesehenen Maß, wie es sich aus dem Vergleich mit anderen NATO-Ländern ergibt, übernehmen kann: ohne die Gefahr einer inflationären Entwicklung, ohne Einschränkung der sozialen Leistungen, allerdings unter der Voraussetzung, daß das, was wir verteidigen, in dem Gedanken der Demokratie, als einem Gedanken einer frei übernommenen Verantwortung, auch im Parlament gehandhabt wird, im Geiste der Zweckmäßigkeit, im Geiste der Sparsamkeit der Ausgaben, nicht nur hier, sondern auf allen Gebieten des Haushalts.
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Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Frage? - Der Herr Abgeordnete Ritzel zu einer Frage!
Darf ich mir eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister gestatten? Habe ich Sie rich- tig verstanden, Herr Minister, daß Sie, nachdem im Haushaltsplan 1955 im ordentlichen Haushalt für Stationierungskosten für die alliierten Truppen 3200 Millionen DM und für deutsche Kosten 5800 Millionen DM vorgesehen sind, im ganzen also neun Milliarden, nunmehr 1,8 Milliarden DM noch aus dem außerordentlichen Haushalt zu decken beabsichtigen?
Nein, da haben Sie mich völlig falsch verstanden. Ich habe aber auch kein Wort davon geredet. Ich habe kein Wort von den Stationierungskosten geredet, ich habe kein Wort von den 5800 Millionen DM gesagt, ich habe kein Wort von einer Übernahme auf den außerordentlichen Haushalt gesagt.
Darf ich aber zu Ihrer Erklärung folgendes sagen: Wir haben im Haushalt 1955 an Verteidigungsausgaben vorgesehen: 9000 Millionen DM. Treten die Verteidigungsverträge in Kraft - rechtzeitig -, so werden wir in diesem Jahre 3200 Millionen DM Stationierungskosten an die fremden Schutztruppen zu bezahlen haben. Diese Vereinbarung der Stationierungskosten gilt zunächst für ein Jahr, ist degressiv. Wir haben keine Verpflichtung übernommen, diese Leistungen in den kommenden Jahren weiter zu erbringen. Wir haben nur eine Verpflichtung übernommen, zu verhandeln; von uns aus kann ich erklären: in der Absicht, daß wir das gleiche, was die anderen Stationierungsländer - Frankreich etc. - für die dort stationierten fremden Truppen tun, wohl anstandshalber auch tun müssen. Das kann aber nur ein ganz geringer Bruchteil der 3200 Millionen DM sein. Wenn also heuer für den Aufbau der deutschen Kontingente 5800 Millionen DM zu rechnen sind, so sind im nächsten Jahr für diesen Aufbau die 9000 Millionen DM voll zu rechnen.
Die 1800 Millionen ergeben sich aus einer anderen Rechnung. Das ist die Differenz zwischen den heutigen Besatzungskosten von 7200 Millionen DM und den kommenden Verteidigungsausgaben von 9000 Millionen DM; denn Adam Riese sagt: 9000 weniger 7200 sei 1800.
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Dazu habe ich erklärt: Diese Last kann getragen werden; aber es bleibt nichts daraus übrig für den außerordentlichen Haushalt. Den muß der deutsche Kapitalmarkt dem Bundesfinanzminister aufzubringen helfen.
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Es tut mir leid, der Herr Bundesfinanzminister lehnt weitere Fragen ab.
Meine Damen und Herren, ich breche damit die Beratungen in der zweiten Lesung für heute ab. Ich bitte aber, Platz zu behalten.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Behrisch von der sozialdemokratischen Fraktion hat heute morgen folgendes erklärt:
Wenn der Herr Spruchkammervorsitzende Strauß, der die kleinen Pgs gepiesackt und von Nazismus und Militarismus gereinigt hat, in Hof als Propagandaredner für Aufrüstung auftritt, dann möchte ich Ihnen eines sagen:
- ich wiederhole jetzt nur seine Worte! -
Sie machen uns den Vorwurf, wir wären vom Parlament auf die Straße gegangen. Herr Strauß ging von der Straße in die Gosse.
Ich habe dazu folgendes zu erklären:
1.) Ich möchte mich jedes Werturteils über die Tätigkeit der Spruchkammervorsitzenden enthalten. Diese Frage hat mit unserem Beratungsgegenstand nicht das geringste zu tun.
2.) Der Minister für politische Befreiung in Bayern hat mir mit Datum vom 20. April 1954 folgende amtliche Bestätigung ausgestellt:
Herr Bundesminister Franz-Josef Strauß war in Bayern nie Vorsitzender einer Spruchkammer oder Berufungskammer; er war auch nie öffentlicher Kläger.
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Er fährt weiter:
Es fehlen auch alle Anhaltspunkte dafür, daß er als Beisitzer bei einer Spruch- oder Berufungskammer eingesetzt war.
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Da Sie, meine Damen und Herren von der SPD, alles schwarz auf weiß haben wollen: Hier ist die amtliche Bestätigung mit Dienstsiegel des bayerischen Ministers für politische Befreiung!
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3.) Ich kann an meinem Wohnort oder Dienstsitz gar nicht Spruchkammervorsitzender gewesen sein; denn die beiden Spruchkammervorsitzenden von Schongau waren beide eingeschriebene Mitglieder der SPD,
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mit Namen Graf der eine und mit Namen Hafenmeier der andere, beides durchaus ehrenwerte Leute, aber Mitglieder der SPD.
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4.) Die Behauptung, daß ich die kleinen Pgs gepiesackt hätte, ist somit eine Verleumdung. Sollten in Schongau durch die Spruchkammer überhaupt kleine Pgs gepiesackt worden sein, müßte es durch die der SPD angehörenden Spruchkammervorsitzenden geschehen sein.
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5.) Ich bin erstaunt darüber, daß ausgerechnet ein Sprecher der SPD aus Bayern die Tätigkeit der Spruchkammern so verurteilt, nachdem ein sozialdemokratischer Ministerpräsident in Bayern - ich mache ihm keinen Vorwurf daraus; das entsprach der damaligen Lage - das Säuberungsgesetz unterzeichnet hat, einen kommunistischen Entnazifizierungsminister, Herrn Schmidt, eingesetzt hat
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und zahlreiche Sozialdemokraten sich für ein Spruchkammeramt zur Verfügung gestellt haben. Ich warne deshalb vor einer auf den Instinkt abgestellten Hetze auf diesem Gebiete.
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6.) und letztens: Ich weise den Vorwurf „von der Straße in die Gosse", der leider vom Präsidenten nicht gerügt worden ist, energisch zurück.
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Ich habe nichts anderes getan, als die Opposition zu veranlassen, sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen - auch hier -, die sie selbst auf der Straße gebraucht.
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Ich bin also mit den Argumenten der SPD von der Straße nicht in die Gosse, sondern von der Straße in das Parlament gegangen.
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Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Nachdem ich zu Beginn meiner Rede von heute vormittag erklärt hatte, daß wir alle untereinander uns die gegenseitige Achtung vor unserer Überzeugung nicht versagen sollten, hat sich der Herr Bundeskanzler in seiner Erwiderung in einer Form geäußert, die es mir verbietet, in gleicher Weise zu antworten.
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Ich empfehle dem Herrn Bundeskanzler, in aller Ruhe noch einmal meine Rede und anschließend seine zu lesen. Darüber aber, ob die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers zum Saarstatut oder unsere die richtige ist, kann und wird niemand sonst urteilen als nur die Geschichte.
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Wir sind damit am Schluß der heutigen Beratung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Sonnabend, den 26. Februar, 9 Uhr vormittags, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.