Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 7. Sitzung des zweiten Deutschen Bundestages und bitte um die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Dr. Lenz ({0}) für drei Wochen ab 20. November wegen Krankheit, Abgeordneter Feldmann für zwei Wochen wegen Krankheit.
Der Herr Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Neumann, Geritzmann, Lemmer, Kühltau, Scheel, Hermsdorf, Hilbert, Euler, Onnen, D. Dr. Gerstenmaier und Dr. Bucerius.
Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs für die Abgeordneten Dr. Lenz und Feldmann, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Ich habe Glückwünsche auszusprechen zum Geburtstag dem Herrn Abgeordneten Schröter ({0}) zu seinem 61. Geburtstag am 5. November,
({1})
dem Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg zu seinem 67. Geburtstag am 17. November,
({2})
dem Herrn Abgeordneten Kinat zum 65. Geburtstag 1 am 19. November,
({3})
dem Herrn Abgeordneten Sträter zum 62. Geburtstag am 22. November,
({4})
dem Herrn Abgeordneten Altmaier zum 64. Geburtstag am 23. November,
({5})
dem Herrn Abgeordneten Kunz ({6}) zum 61. Geburtstag am 1. Dezember
({7})
und einem Abgeordneten zum 62. Geburtstag am 28. November, der gebeten hat, seinen Namen nicht zu nennen. Ich bin doch recht unterrichtet, Herr Abgeordneter Muckermann?
({8})
Zu meinem großen Bedauern ist der Herr Vizepräsident Professor Schmid nicht im Saal, sonst würde ich unter Durchbrechung unserer Übung, nur von Geburtstagen vom 60. an aufwärts Notiz zu nehmen, ihm zu seinem heutigen 57. Geburtstag herzliche Glückwünsche aussprechen.
({9})
Weiterhin, meine Damen und Herren, habe ich für die ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Müller ({10}) und Farny die in den Bundestag eingetretenen Abgeordneten Wolf ({11}) und Maier ({12}) herzlich zu begrüßen.
({13})
Der Ausschuß für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz hat angeregt, daß er in Zukunft die Bezeichnung „Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht" führen dürfe. Ich darf unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist der Fall.
In der Sitzung des Ältestenrates am 2. Dezember ist eine Vereinbarung darüber zustande gekommen, den Ausschuß für Besatzungsfragen in „Ausschuß für Besatzungsfolgen" umzubenennen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Da der Herr Vizepräsident Professor Schmid inzwischen eingetroffen ist, darf ich die Glückwünsche jetzt unmittelbar aussprechen, verbunden mit herzlichen Wünschen für Ihre weitere Arbeit.
({14})
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. November 1953 beschlossen, der vom Deutschen Bundestag in seiner 5. Sitzung am 29. Oktober 1953 auch für die 2. Wahlperiode des Deutschen Bundestages beschlossenen Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({15}) zuzustimmen.
Der Herr Bundesminister des Innern und der Herr Bundesminister der Finanzen haben unter dem 23. November 1953 die Kleine Anfrage 3 der Fraktion der FDP betreffend Beamtenrechtsfragen - Drucksache 32 - beantwortet. Ihr Schreiben ist als Drucksache 74 vervielfältigt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen hat unter dem 21. November 1953 mitgeteilt, daß im Verlaufe der 2. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen am 20. November 1953 der Abgeordnete Eickhoff für die Fraktion der Deutschen Partei den Antrag der Fraktion der DP betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
- Drucksache 29 - zurückgezogen hat.
Ich rufe den Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde ({0}).
Ich stelle fest, daß wir um 9 Uhr 36 Minuten mit der Fragestunde beginnen.
Meine Damen und Herren, darf ich die Frage stellen: Legen Sie Wert darauf, daß die Fragen vorgelesen werden, oder sind Sie damit einverstanden, daß wir uns die Praxis etwa des englischen Parlaments zu eigen machen, nur die Nummer aufzurufen, da wir ja die Frage vor uns haben?
({1})
- Sie sind einverstanden. Dann darf ich die Herren Fragesteller freundlichst bitten, ihre Frage nur unter Hinweis auf die Nummer zu stellen.
Zur Frage 1 Herr Abgeordneter Ritzel!
Ich stelle die Frage Nr. 1 und bitte um Beantwortung durch den Herrn Bundesminister für Wirtschaft.
Was beabsichtigt die Bundesregierung zum Schutze der Verbraucher zu tun, um nach der Herabsetzung der Kaffee- und Teesteuer auch eine angemessene Senkung der in den Gaststätten der verschiedensten Art berechneten Preise für Kaffee- und Teegetränke zu erwirken?
Der Herr Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums, bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 24. August 1953 ist die Kaffeesteuer von 10 DM auf 3 DM je Kilogramm gesenkt worden. Das müßte eine Preissenkung auf das Kilogramm Kaffee von etwa 10 bis 12 DM ausmachen, wenn man beim Einzelhandel kauft, und etwa 8 bis 10 DM für diejenigen, die beim Groß- oder Versandhandel kaufen. Der Unterschied liegt in der geringeren Belastung des Groß- und Versandhandels mit wertabhängigen Aufschlägen begründet. Erfahrungsgemäß wird man etwa 70 Tassen Kaffee aus einem Pfund herstellen, wenn man eine Qualität zugrunde legt, wie sie in den Kaffeehäusern im allgemeinen zur Ausgabe gelangt.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat mit den Röstereien, mit dem Handel sowie dem Hotel- und Gaststättenverband intensive Verhandlungen geführt und gefordert, daß die Steuersenkung in vollem Umfang dem Verbraucher zugute kommt. Tatsächlich hat auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband auf seiner Delegiertentagung Ende August dieses Jahres einstimmig folgenden Standpunkt vertreten:
Die in Verbindung mit der Kaffee- und Teesteuersenkung eintretende Minderung der Einkaufspreise für Kaffee und Tee soll ungekürzt den Gästen durch entsprechende Senkung der Ausschankpreise zugute kommen.
Trotzdem ist ein Teil der Gaststätten nicht oder jedenfalls nicht vollständig der Steuersenkung durch entsprechende Preisermäßigung gefolgt. Es liegt nun in erster Linie bei den Konsumenten, jene Gaststätten, in denen der Kaffee und Tee dem Ausmaß der Steuersenkung entsprechend billiger geworden ist, zu bevorzugen und dadurch einen Druck auf die anderen Gaststätten auszuüben.
Außerdem aber ist den den Landeswirtschaftsministerien unterstehenden Preisüberwachungsstellen empfohlen worden, nachdrücklich darauf zu achten, daß die Kaffee- und Teesteuersenkung in den Gasthäusern tatsächlich voll berücksichtigt wird. Auch ist bereits bei einer Reihe von Fällen durch die Preisüberwachungsstellen gegen solche Betriebe vorgegangen worden, in denen die Preise nicht entsprechend gesenkt worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel?
Nein.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 2 Herr Abgeordneter Ritzel! Ritzel ({0}):
Ich frage die Bundesregierung, ob, in welchem Umfang und aus welchem Anlaß deutsche Grenzdienststellen noch jetzt Kontrollkarten anläßlich der Ein- und Ausreise von Personen deutscher Nationalität ausfüllen?
Wieviele Beamte werden zur Erledigung dieser Funktion benötigt?
Der Herr Bundesminister des Innern, bitte!
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Bei der Ein- und Ausreise von Personen deutscher Nationalität werden seit dem 1. Dezember 1952, der Auflösung des alliierten Reisekontrollamts und der Wiederherstellung der deutschen Zuständigkeit im Reiseverkehr, keine Kontrollkarten mehr verlangt oder ausgefüllt. Damit erledigt sich auch Teil zwei Ihrer Frage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel?
Ist dem Herrn Bundesminister des Innern bekannt, daß vor drei Monaten noch solche Kontrollkarten ausgefüllt wurden?
Das ist mir nicht bekannt.
Ist dem Herrn Minister bekannt, daß derartige Kontrollkarten noch heute ausgefüllt werden?
Das ist mir nicht bekannt. Ich habe gerade gesagt, daß sie nicht mehr ausgefüllt werden. Ich möchte den Herrn Abgeordneten Ritzel bitten, mir Fälle dieser Art namhaft zu machen. Ich werde dann dazu Stellung nehmen.
Grenzstelle Weil-Otterbach und Lörrach.
Zur Frage 3 Herr Abgeordneter Dr. Mende.
Ich bitte um Beantwortung der Frage 3:
Was ist dem Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen darüber bekannt, daß - nach einer Meldung des Hamburger Abend({0})
blattes Nr. 228 vom 30. September 1953 - im Bereich der Oberpostdirektion Hamburg durch die britische Besatzungsmacht nicht nur Telefongespräche ständig abgehört, sondern auch durch eine Verbindungsabteilung, in der deutsche, englische, dänische und holländische Angestellte arbeiten, Briefe zensiert werden, und wie gedenkt er die Bedenken Hamburger Exporteure zu zerstreuen, daß eine Überwachung ihrer Geschäftsbeziehungen zum Ausland erfolgt?
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen!
({0})
Dr.-lng. E. h. Schuberth, Geschäftsführender Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen: Es ist bekannt, daß die Alliierten im Rahmen des Besatzungsrechts in einem bestimmten, sehr beschränkten Umfang noch Überwachungsmaßnahmen ausüben. Die Bundesregierung hat sich bemüht, die Alliierte Hobe Kommission zu bewegen, auf dieses Recht noch vor Inkrafttreten der Bonner Verträge ganz zu verzichten. Die Alliierten sahen sich hierzu aus Sicherheitsgründen bisher nicht in der Lage. Unter diesen Umständen hat die Bundesregierung ihre Bemühungen darauf gerichtet, daß die Überwachungstätigkeit der Alliierten auf ein geringstmögliches Maß zurückgeführt wird. Es ist der Bundesregierung und dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen gelungen, in zahlreichen Interventionen bei der Alliierten Flohen Kommission durchzusetzen, daß an Stelle der ursprünglich allgemeinen Post- und Fernsprechzensur im Bundesgebiet und im Verkehr mit den Ländern der freien Welt alliierte Überwachungsmaßnahmen getreten sind, die sich grundsätzlich nur noch auf einzelne politische Verdachtsfälle oder auf Spionagefälle erstrecken. Beschwerden, die erkennen ließen, daß diese Grundsätze von den alliierten Überwachungsstellen nicht eingehalten worden sind, wurde jeweils mit Erfolg nachgegangen.
Zu dem Fall Hamburg ist folgendes zu sagen. Die zahlreichen Presseveröffentlichungen aus der letzten Zeit haben in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Kreisen der exportierenden Wirtschaft, Befürchtungen ausgelöst, daß eine Überwachung ihrer Geschäftsbeziehungen zum Ausland erfolge. Nach meinen Feststellungen besteht dazu kein Anlaß; insbesondere findet keine allgemeine Überwachung des Fernsprech-, Telegramm- und Fernschreibverkehrs statt. Die Überwachung beschränkt sich vielmehr auf die genannten, aus Gründen der Sicherheit gebotenen Fälle.
Das gleiche trifft auch für die Postüberwachung zu. Auslandspost von und nach den freien Ländern, zu denen die Bundesrepublik Handelsbeziehungen unterhält, wird grundsätzlich nicht mehr überwacht.
Aus all dem ergibt sich, daß die Bedenken und Befürchtungen der Hamburger Exporteure in bezug auf die Überwachung ihrer Geschäftsbeziehungen zum Ausland nicht mehr zu Recht bestehen. In all den Fällen, in denen der Bundesregierung ein Mißbrauch dieses beschränkten Überwachungsrechts bekanntwerden sollte, wird sie wie bisher mit Nachdruck auf eine Beseitigung dringen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mende?
Zusatzfragen, Herr Präsident, werden nicht gestellt. Vielmehr: sie werden schriftlich gestellt, und wir sind mit dem Herrn Minister übereingekommen, daß sie schriftlich beantwortet werden.
Danke schön. Meine Damen und Herren, ich bin darüber unterrichtet worden, daß heute - was ich an sich gewünscht hatte - auf den Tribünen nicht überall die Fragen der Fragestunde vorliegen. Ich bitte darum, damit einverstanden zu sein, daß die Fragen heute verlesen werden. Wir werden uns über ein Verfahren einigen, daß künftig auf den Tribünen die Fragen überall verteilt sind, so daß sich dann eine Verlesung erübrigt.
Ich frage den Herrn Bundesminister der Finanzen, welche Entwicklung die Industrieverwaltungsgesellschaft mbH., die in dem Bundeshaushaltsplan 1951 erwähnt wird, von ihrer Gründung bis heute genommen hat und welche Werte das Vermögen der jetzigen Industrieverwaltungsgesellschaft mbH. ausmachen?
Urn Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich zunächst folgendes feststellen: Im Jahre 1951 ist die Industrieverwaltungsgesellschaft vom Bund gegründet und im gleichen Jahr auch im Bundeshaushaltsplan erwähnt worden. Diese Industrieverwaltungsgesellschaft ist aber im Jahre 1952 an die Montan-Industriewerke verkauft worden und führt seitdem die Bezeichnung „Industrie beteiligungs gesellschaft". Das Stammkapital dieser Industriebeteiligungsgesellschaft beträgt 20 000 DM. Aufgabe und Zweck der Gesellschaft ist ausschließlich die Abwicklung und Verwaltung zahlreicher Gesellschaften des ehemaligen Reiches, die durchweg nicht mehr werbend tätig sind und nur entsprechend den Bestimmungen des Handelsrechts in Abwicklung begriffen sind. Man kann damit rechnen, daß diese Abwicklung im Lauf von etwa zwei bis drei Jahren abgeschlossen sein wird. Diese Gesellschaft ist also eine reine Dienstleistungsgesellschaft, die über nennenswerte eigene Vermögenswerte nicht verfügt. Es ist auch nicht beabsichtigt, ihr solche zu übertragen.
Davon zu unterscheiden ist die Firma „Industrieverwaltungs gesellschaft mbH.", die von der früheren Montan-Industriewerke GmbH. seit dem Jahre 1952 geführt wird und in deren Eigentum sich seit dem Jahre 1952 auch das Stammkapital der vorerwähnten Industriebeteiligungsgesellschaft befindet. Das Stammkapital der Industrieverwaltungsgesellschaft beträgt 150 Millionen DM und wird auf Grund des sogenannten Vorschaltgesetzes als Vermögen des ehemaligen Reichs vom Bund verwaltet. Zum Eigentum der Gesellschaft gehört im wesentlichen namhafter Industriegrundbesitz, der vor dem Jahre 1945 erworben wurde. Seit dem Jahre 1951 - also seit dem Zeitpunkt, von dem an die Bundesregierung die Verwaltung hat - sind wesentliche Teile des Grundbesitzes veräußert worden. Soweit eine Veräußerung bisher nicht möglich war, werden die Liegenschaften durch Verpachtung genutzt.
Im Zuge der Liquidation der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft mbH. - Wifo -, deren
({0})
Stammkapital sich ebenfalls im Eigentum des ehemaligen Reichs befand, hat die Industrieverwaltungsgesellschaft mbH. die Vereinigte Tanklager- und Transportmittelgesellschaft mbH. und die Norddeutschen Chemischen Werke GmbH. mit einem Nennkapital von je 20 000 DM als Auffanggesellschaften für die Tanklager und Transportmittel und die chemischen Betriebe der Wifo gegründet. Die Industrieverwaltungsgesellschaft hat ferner im Zug der Entflechtung der Reichswerke in Salzgitter 50 % des Stammkapitals der „Fahrzeug und Maschinenbau Watenstedt GmbH.", vormals „Stahlwerke Braunschweig", im Nennbetrag von 6 Millionen DM erworben.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Atzenroth.
Ich höre, daß diese schriftlich beantwortet werden soll.
Herr Mende hat sich in einem konkreten Fall die schriftliche Beantwortung vorbehalten. Sie haben noch eine Zusatzfrage zu stellen?
Jawohl, eine Zusatzfrage bitte.
Aber bitte den Charakter der Fragestunde wahren!
Ich frage den Herrn Finanzminister: Sind dem Bund aus der Liquidierung dieser genannten Vermögen Mittel zugeflossen, und wie sind sie verwandt worden?
Diese Mittel aus der Liquidierung sind im wesentlichen verwandt worden, um notleidenden Werken, wie z. B. Watenstedt-Salzgitter, im Aufbau zu helfen.
Herr Abgeordneter Morgenthaler, zu Frage 5.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Verkehrssicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen zu fördern?
Können die ungenügenden Blinkanlagen verstärkt und jeweils auf beiden Straßenseiten angebracht werden?
Herr Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums!
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, berührt eine Sorge, die auch den Verkehrsminister und die Eisenbahnen bewegt. Wir haben, wenn wir Schiene und Straße in der Bundesrepublik betrachten, ein Eisenbahnnetz von 37 000 km und ein Straßennetz von 250 000 km. Diese beiden Verkehrsnetze überschneiden sich in gleicher Höhe reichlich fünfzigtausendmal. Glücklicherweise sind dabei 30 000 Kreuzungen, die nicht Gegenstand besonderer Sorge zu sein brauchen. Bei diesen 30 000 Kreuzungen, handelt es sich um weniger bedeutsame Übergänge; dort kommt man mit gewöhnlichen Warnschildern aus, dort wird gepfiffen oder geläutet oder der Verkehrsteilnehmer in sonstiger Weise gewarnt.
Bei den 20 000 verbleibenden Übergängen handelt es sich im wesentlichen um beschrankte schienengleiche Übergänge, deren Zahl sich auf rund 18 000 beläuft. Im übrigen versucht man die Sicherheit mit Blinklichtanlagen zu erhöhen, soweit man nicht unbedingt weitere Schranken bauen muß. Zur Zeit gibt es ungefähr 350 solche Blinklichtanlagen, die sich aber leider meistens nur auf der rechten Straßenseite befinden.
Wir sind mit Ihnen der Meinung, Herr Abgeordneter, daß nicht nur die Zahl dieser Blinklichtanlagen nach Möglichkeit und so schnell wie möglich erhöht werden sollte, sondern daß man auch versuchen sollte, diese Anlagen zu beiden Seiten der Straße einzurichten. Leider kommt man auch hier an der Finanzierungsfrage nicht vorbei. Die Meinungen darüber, was eine solche Blinklichtanlage auf beiden Seiten der Straße kostet, sind geteilt. Sie schwanken zwischen 15 000 und 20 000 DM. Wenn man nur 15 000 DM zugrunde legt und sich vornimmt, etwa 1000 solche Blinklichtanlagen zu bauen - im letzten Jahr haben wir ungefähr 100 gebaut -, dann würde das einen Betrag von 15 Millionen DM erfordern.
Keine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Morgenthaler?
Die Frage, die Herr Abgeordneter Dr. Bucerius stellen wollte, wird von Herrn Abgeordneten Dr. Orth vorgetragen.
Im Auftrage und in Vertretung des verhinderten Kollegen Bucerius darf ich folgende Frage stellen:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den bei Abzahlungskäufen in der letzten Zeit hervorgetretenen Mißständen im Interesse der Verkäufer sowie der Kunden durch gesetzgeberische oder andere Maßnahmen entgegenzutreten?
Das Bundesministerium für Wirtschaft hat gerade in der letzten Zeit die Entwicklung des Teilzahlungsgeschäftes, das sich mit fortschreitendem Übergang zum Käufermarkt und schärfer werdender Konkurrenz ständig weiter ausgedehnt hat, aufmerksam verfolgt. Den wiederholten Mitteilungen in der Presse über ein starkes Anwachsen der Lohnpfändungen auf Grund von nicht erfüllten Verpflichtungen aus Teilzahlungsgeschäften ist das Wirtschaftsministerium jeweils im einzelnen nachgegangen. Daneben hat der Deutsche Industrie- und Handelstag eine Erhebung hinsichtlich der Lohnpfändung und der Pfändungsgründe im gesamten Bundesgebiet veranstaltet. Das Ergebnis aller dieser Untersuchungen geht übereinstimmend dahin, daß der Anteil der Pfändungen auf Grund von Teilzahlungsgeschäften nicht höher liegt als 20 %. Der größte Teil der Pfändungen erfolgt auf Grund von Unterhaltsansprüchen, von rückständigen Mieten oder aus anderen Gründen. Ein sehr erheblicher Teil der Pfändungen beruht auf Verpflichtungen aus Kaufverträgen, bei denen der Kaufpreis ganz oder zum Teil gestundet wurde, ohne daß eine feste ratenweise Abzahlung vereinbart worden ist.
Die Sitte des sogenannten Anschreibens, die vor allem beim Bäcker, beim Fleischer, beim Lebens({0})
mittelhändler, aber auch im Handwerk beim Schuster und beim Schneider heute weit verbreitet ist, hat nichts mit dem Abzahlungsgeschäft zu tun. Aber auch solche Geschäfte werden in fast allen Veröffentlichungen den Verpflichtungen aus Abzahlungsgeschäften zugerechnet. Dadurch entsteht der angeblich so exorbitant hohe Anteil der Pf ändungen aus Abzahlungskäufen.
Im allgemeinen macht man sich auf Grund der alarmierenden Pressenachrichten ein übertriebenes Bild von dem Umfang des Teilzahlungsgeschäftes. Vom Umsatz des Einzelhandels entfallen weniger als 10 % auf Teilzahlungskäufe, und nach den Feststellungen in dem letzten Monatsbericht der Bank deutscher Länder entfallen von den Wirtschaftskrediten nur 3 1/2 % auf Teilzahlungskredite.
Mißstände im Abzahlungsgeschäft haben sich vor allem im Industrierevier daraus ergeben, daß besonders gewandte Verkäufer ihre Kunden dazu überredet haben, Einkäufe auf Abzahlungsbasis zu tätigen, die weit über die finanzielle Leistungsfähigkeit des Käufers hinausgehen. Durch das Abzahlungsgesetz von 1894 ist der Käufer gegen eine Benachteiligung bei der Abwicklung und im Falle der Auflösung eines Abzahlungsgeschäftes weitgehend geschützt. Zur Zeit sind bereits Prüfungen im Gange, ob das Abzahlungsgeschäft und ob gewisse einschlägige Bestimmungen der Gewerbeordnung einer Änderung oder Ergänzung bedürfen, um sie den gegenwärtigen Verhältnissen anzupassen. Aus kredit- und konjunkturpolitischen Gründen muß der Bundeswirtschaftsminister jedenfalls Wert darauf legen, daß Anzahlung und Laufzeit bei Abzahlungsgeschäften ein vernünftiges Maß nicht unter- oder überschreiten. Zunächst wird durch Einflußnahme auf Finanzierungsinstitute, Einzelhandel und Industrie eine befriedigende Regelung angestrebt. Außerdem wird die Bundesregierung prüfen, inwieweit gesetzgeberische Maßnahmen auch in dieser Richtung für die Zukunft geboten erscheinen.
Keine weitere Frage.
Herr Abgeordneter Dr. Becker zu Frage 7.
Ich frage:
Warum stehen auf zahlreichen Abstellgeleisen im Gebiete der Bundesrepublik seit etwa 1945/46 unzählige Lokomotiven, ohne daß über diese irgendwie verfügt wird? Wem gehören diese Lokomotiven? Warum werden sie nicht sichergestellt oder verwertet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Lokomotiven, von denen Sie sprechen, Herr Abgeordneter, sind vermutlich nicht mehr dieselben, die im Jahre 1945 oder 1946 dort gestanden haben.
({0})
Die Deutsche Bundesbahn hat - um es vollständig zu sagen - 450 elektrische Lokomotiven, 150 Diesel-Lokomotiven und 12 425 Dampflokomotiven. Von diesen 12 425 Dampflokomotiven sind 10 145 in Betrieb. Die Differenz von 2280 Lokomotiven sind die Maschinen, die Sie auf dem Abstellgleis stehen sehen. Von diesen 2280 Lokomotiven werden voraussichtlich in absehbarer Zeit rund 700 wieder in Dienst gestellt werden als Ersatz für abgängige Lokomotiven, die zur Zeit noch benutzt werden. Weitere 400 von den abgestellten Lokomotiven können noch nicht anderweitig verdisponiert werden, weil sie durch noch nicht erledigte Restitutionsansprüche blockiert sind. Dann bleiben 1200 Lokomotiven übrig, die man als Reserve behalten muß für etwaige Verkehrsspitzen oder für andere Ereignisse, die besondere Anforderungen an den Verkehr stellen.
({1})
Diskussionsfähig in diesem Sinne bleiben also nur die letzten 1200 Lokomotiven, von denen ich eben gesprochen habe. Diese würden weniger auffallen, wenn sie nicht auf den Abstellgleisen stünden. Leider stehen uns aber irgendwelche gedeckten Hallen für diese Zwecke nicht zur Verfügung.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Darf ich weiter fragen: Wenn diese 1200 Lokomotiven also noch ais Reserve dastehen, wie erklärt sich dann der in der Presse wiederholt behandelte außerordentliche finanzielle Nachholbedarf der Eisenbahn?
Ich nehme an, daß die Eisenbahn durch die Verwertung dieser 1200 Lokomotiven, die sie, jedenfalls teilweise, in absehbarer Zeit glaubt wieder benutzen zu können, keine solchen Erlöse erzielen würde, daß dadurch ihre finanzielle Lage entscheidend gebessert werden könnte.
Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen oder gedenkt sie zu treffen, um die Entlassung von vielen hundert Menschen durch Auflösung des US-Instandsetzungsbetriebes in Wasseralfingen ({0}) zu verhindern, oder welche Pläne hat sie, um die Entlassenen anderweitig zu beschäftigen?
Der Herr Bundesminister für Arbeit, bitte.
Es finden zur Zeit noch Verhandlungen zwischen der Landesregierung in Stuttgart und den zuständigen Stellen der Besatzungsmacht wegen der Aufrechterhaltung des Instandsetzungsbetriebes in Wasseralfingen statt. Für den Fall, daß diese Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen, werden wir von der Bundesregierung versuchen, zu einer befriedigenden Lösung der dortigen Verhältnisse zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!
Darf ich fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß inzwischen schon 300 Entlassungen erfolgt sind.
Jawohl, das ist uns sehr wohl bekannt. Ich kann zu den Dingen heute nichts weiter sagen, weil gestern zwischen dem Herrn Hohen Kommissar Mr. Conant und dem Ministerpräsidenten Dr. Müller in Stuttgart über diese Dinge gesprochen worden ist. Ich weiß nicht,
({0})
ob diese Besprechungen abgeschlossen sind, und möchte deshalb heute keine weitere Erklärung dazu abgeben.
Danke sehr!
Zu Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Wann wird das Bundesministerium der Finanzen darüber entscheiden, ob der Pensionskasse für das deutsche Schneidergewerbe Ausgleichsforderungen zur Ermöglichung von Rentenzahlungen gewährt werden?
Der Herr Bundesminister der Finanzen.
Die Pensionskasse für das deutsche Schneidergewerbe ist ein kleines Versicherungsunternehmen. Sie untersteht dem Bundesaufsichtsamt für Versicherungen und Bausparwesen. Das Bundesaufsichtsamt hat mitgeteilt, daß es zweifelhaft ist, ob die Pensionskasse überhaupt Ausgleichsforderungen oder, was auch möglich wäre, Rentenausgleichsforderungen beanspruchen kann. Diese Pensionskasse ist nämlich kurz vor dem Währungsstichtag in Liquidation getreten. Die Frag wird zur Zeit vom Bundesaufsichtsamt geprüft. Ehe das Bundesaufsichtsamt nicht diese Prüfung abgeschlossen hat, kann das Bundesfinanzministerium eine Erklärung darüber, ob Ausgleichsforderungen oder Rentenausgleichsforderungen beansprucht werden können, nicht abgeben.
Darf ich sicher sein, daß das Bundesministerium der Finanzen bemüht sein wird, der Tatsache Rechnung zu tragen, ,daß hier Menschen in gutem Geld eingezahlt haben und jetzt - selbstverständlich ohne die Schuld des Finanzministeriums! - keinerlei Versorgung haben?
Das Finanzministerium wird darauf Rücksicht nehmen. Auch dem Gesetzgeber, der die entsprechende Regelung getroffen hat, wird dieses Motiv, den armen Menschen zu helfen, wohl Maßstab und Richtlinie gewesen sein.
Zu Frage 10 Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Im Straßburger Sternenbanner wird der Versuch gemacht, aus einem Nachkriegstrabanten, der ganz aus deutscher Sternenmaterie gebildet wurde, einen selbstleuchtenden Stern zu machen. Wie wird sich die Bundesregierung zu diesem Versuch im Ministerausschuß des Europarats verhalten?
Der Herr Bundesminister des Innern.
Ich beantworte die Frage wie folgt:
Die Beratende Versammlung des Europarates
hat auf ihrer 5. ordentlichen Tagung in der Sitzung
vom 25. 9. 1953 folgende zwei Beschlüsse gefaßt:
1. Entschließung 41, betreffend Einführung einer blauen Flagge mit 15 goldenen Sternen als offizielle Flagge der Beratenden Versammlung.
2. Empfehlung 56 an das Ministerkomitee, betreffend Einführung dieser Flagge als offizielle Europarat-Flagge.
Die Bundesregierung bedauert das Zustandekommen der Entschließung und der Empfehlung, gegen die sich alle 'deutschen Abgeordneten ausgesprochen haben.
Der Ministerausschuß des Europarates hat sich mit der Flaggenfrage noch nicht beschäftigt.
Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, daß der Europarat zur Zeit nach Organisation und Statut noch nicht die rechtlichen Voraussetzungen zur Führung einer eigenen Flagge besitzt. Sie ist aber auch der Ansicht, daß eine Flagge in der vorgesehenen Form, die eine Gleichstellung der Saar zum Ausdruck bringt, nicht als Symbol des Europarats verwendet werden kann. Sie wird sich im Ministerrat der Annahme der Empfehlung widersetzen.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung ihre Bedenken dem Generalsekretär des Europarats schon jetzt in geeigneter Weise zur Kenntnis bringen.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Freidhof! Freidhof ({0}):
Ist der Herr Bundesminister für Verkehr bereit, dafür Sorge zu tragen, daß den westdeutschen Bediensteten der Eisenbahndirektion Erfurt derselbe Reallohn gezahlt wird, wie er durch Tarif für die Eisenbahnbediensteten in der Bundesrepublik festgelegt ist?
Der Herr Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums!
Ich muß zu meinem Bedauern diese Frage verneinen. Es handelt sich um 35 Bedienstete der Reichsbahndirektion Erfurt, die im Bereich der Bundesrepublik auf den Bahnhöfen Herleshausen und Wommen beschäftigt sind. Diese unterstehen, wie gesagt, der Reichsbahndirektion Erfurt und werden von dort besoldet. Es ist der Bundesbahn nicht möglich, jemanden von sich aus zu besolden, der gar nicht im Dienst der Deutschen Bundesbahn steht, wobei auch die Frage noch dahingestellt bleiben kann, ob das für diese Leute ein Vorteil wäre oder ob sie vielleicht Unzuträglichkeiten hätten, wenn die Bundesbahn sich bereit erklären würde, sie zu bezahlen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Ist der Herr Verkehrsminister bereit, bezüglich der beiden Bahnhöfe Herleshausen und Wommen, nachdem die anderen Bahnhöfe alle von der Eisenbahndirektion Erfurt abgezweigt und der Eisenbahndirektion Kassel zugeschlagen worden sind, ebenso zu verfahren?
Ich nehme an, daß der Bundesminister für Verkehr keine Bedenken dagegen zu erheben hat, wenn sich das machen läßt. Ich bitte um die Möglichkeit, diese Frage auf Grund Ihrer Anregung mit der Deutschen Bundesbahn zu erörtern.
Zur Frage 12 Frau Abgeordnete Jochmus!
Ich frage die Bundesregierung, wie der Stand der Arbeiten für den Gesetzentwurf über die Ausbildung, Prüfung und Berufstätigkeit der medizinisch-technischen Assistentinnen und Assistenten ist, den der 1. Deutsche Bundestag in seiner 253. Sitzung am 5. März 1953 mit Annahme der Anträge der DP ({0}) und des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens ({1}) von ihr erbeten hat, und bis zu welchem Termin mit der Vorlage gerechnet werden kann.
Der Herr Bundesminister des Innern!
Ich darf die Frage wie folgt beantworten.
Es liegt bereits der Vorentwurf eines Gesetzes über die Ausbildung und Berufstätigkeit der medizinisch-technischen Assistentinnen und Assistenten vor. Bevor dieser Entwurf jedoch den Regierungen der Länder zur Stellungnahme zugeleitet werden soll, ist vorgesehen, in der nächsten Zeit zur Klärung einiger grundsätzlicher Fragen weitere Sachverständige und Vertreter der interessierten Verbände und Berufsgruppen zu hören.
Es kann damit gerechnet werden, daß der Gesetzentwurf in einigen Monaten dem Kabinett vorgelegt werden wird.
Zur Frage 13 Herr Abgeordneter Lütkens!
War der Bundesregierung, als sie während der Ausschußberatungen, in denen es um die Klärung des politischen Gehalts des „Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten" ging, erklärte, nicht in der Lage zu sein, dem wiederholt in den Ausschüssen ausgesprochenen Wunsch auf Vorlage der französichen Dokumente zu den Viermächtevereinbarungen von 1945 nachzukommen, nicht bekannt, daß die betreffenden Dokumente bereits seit Jahren in einer französischen amtlichen Denkschrift gedruckt vorlagen?
Wenn diese Dokumente wirklich der Bundesregierung, als sie die Verhandlungen über den genannten Vertrag führte, nicht bekannt waren: Warum hat sie sich diese nicht entsprechend den in den Ausschüssen geäußerten Wünschen beschaffen können?
Der Herr Bundesminister des Innern!
Ich bedaure, daß die Antwort auf diese Frage etwas länger ist, und bitte das Hohe Haus deswegen um Nachsicht.
Die Frage, ob und in welchem Umfange Frankreich in einer rechtlich verpflichtenden Weise dem Potsdamer Abkommen beigetreten ist, hat bereits im Oktober 1951 den Gegenstand eines Briefwechsels zwischen dem Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts - damals Leiter der Delegation für die Ablösung des Besatzungsstatuts -, Professor Dr. Grewe, und dem damaligen Leiter der Rechtsabteilung des französischen Hohen Kommissars, M. André Jacomet, gebildet. In seinem Schreiben vom 17. Oktober 1951 hatte M. Jacomet dem Auswärtigen Amt eine Inhaltsangabe des französischen Schreibens vom 7. August 1945 übermittelt, in dem die damalige provisorische Regierung Frankreichs den Regierungen der Sowjet-Union, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten den Empfang des Textes des Potsdamer Abkommens bestätigt hatte. Aus dieser Inhaltsangabe ging hervor, daß die französische Regierung den durch das Potsdamer Abkommen formulierten Zielen der Besetzung Deutschlands grundsätzlich zustimmte, im einzelnen jedoch eine Reihe wesentlicher Vorbehalte machte.
Der vollständige Text des Schreibens lag der Bundesregierung während der Ausschußberatungen im Herbst 1952 nicht vor. Es war insbesondere auch nicht bekannt, daß der Text des französischen Schreibens vom 7. August 1945 in der Sammlung „Documents français relatifs à l'Allemagne août 1945 - février 1947", 1947 abgedruckt ist. Diese Sammlung ist seit langem vergriffen und ist weder im Buchhandel noch in deutschen Bibliotheken erhältlich. Sie war und ist daher fast unbekannt geblieben.
({0})
Das Auswärtige Amt hatte sich auf verschiedenen Wegen über den genauen Inhalt des Schreibens vom 7. August 1945 und der darin zum Ausdruck gebrachten Vorbehalte Frankreichs gegenüber dem Potsdamer Abkommen unterrichtet. Inzwischen hat auch der französische Außenminister am 21. Juli d. J. eine Erklärung abgegeben, durch die der französische Standpunkt in bezug auf das Potsdamer Abkommen näher präzisiert worden ist.
Die Bundesregierung ist bemüht gewesen, dem Wunsch der Bundestagsausschüsse auf Beschaffung der Dokumente zu entsprechen. Dieser Wunsch ließ sich aber kurzfristig nicht erfüllen. Es ist seitens der Ausschüsse später kein weiteres Interesse an der Frage bekundet worden.
({1})
Die Bundesregierung ist jederzeit bereit, den interessierten Abgeordneten den vollständigen Text der Dokumente zugänglich zu machen.
({2})
Die Bundesregierung hat im übrigen bereits in den Ausschußberatungen darauf hingewiesen, daß der Wunsch nach Vorlage dieser Dokumente von irrigen Auffassungen über den Inhalt des Potsdamer Abkommens, über den Inhalt des Art. 7 des Deutschlandvertrages und über den inneren Zusammenhang dieser beiden Vertragsinstrumente miteinander geleitet war. Sie ist auch heute nicht in der Lage, diesen Dokumenten die politische Bedeutung beizumessen, die ihnen die Fragesteller in den Ausschüssen zuschrieben.
({3})
Herr Abgeordneter Lütkens zu einer Zusatzfrage!
Ohne mich in eine Diskussion über die Antwort des Vertreters einer fremden Macht einzulassen, die meiner Ansicht nach vor diesem Bundestag nicht zu erörtern ist, frage ich die Bundesregierung, ob ihr inzwischen aus einer
({0})
Veröffentlichung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom heutigen Tage
({1})
bekanntgeworden ist, daß sich in den Dokumenten der Satz findet, daß Frankreich nicht Kontrahent am Potsdamer Abkommen ist - qu'elle n'est pas partie aux arrangements de Potsdam" - und daß die französische Regierung der Wiedererrichtung einer zentralen deutschen Regierung a priori widerspreche.
Herr Abgeordneter Lütkens, ohne dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen vorgreifen zu wollen, möchte ich sagen, daß es merkwürdige Zusammentreffen gibt. Ein solches Zusammentreffen besteht darin, daß ich tatsächlich heute morgen - wenn Sie erlauben, es zu sagen -, bevor ich hierher kam, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" gelesen habe. Ich glaube aber, daß sich die weitere Erörterung dieses Gegenstandes besser in den beteiligten Ausschüssen abspielen wird.
Herr Abgeordneter Dr. Lütkens, eine weitere Zusatzfrage!
Ist denn der Bundesregierung wenigstens inzwischen bekanntgeworden, daß die französische Regierung unter dem 7. August 1945 nicht in einer, sondern in sec h s Noten zu den Potsdamer Erklärungen Stellung genommen hat?
Eine Antwort auf diese Frage möchte ich dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen vorbehalten.
({0})
Zur Frage 14 Herr Abgeordneter Dr. Pfleiderer.
Ich möchte die Bundesregierung fragen:
Bis wann ist mit der Veröffentlichung der Note der Alliierten Hohen Kommission vom 16. Oktober 1953 betreffend die zweiseitigen Verhandlungen über das deutsche Auslandsvermögen zu rechnen?
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Es ist nicht damit zu rechnen, daß die Note der Alliierten Hohen Kommission vom 16. Oktober 1953 betreffend die zweiseitigen Verhandlungen über das deutsche Auslandsvermögen veröffentlicht wird. Die Veröffentlichung des Notenwechsels zwischen der Alliierten Hohen Kommission und dem Herrn Bundeskanzler ist nicht üblich. Auch ist im vorliegenden Fall die Note ausdrücklich als vertraulich bezeichnet worden. Über die Frage selbst laufen zwischen dem Auswärtigen Amt und der Alliierten Hohen Kommission noch Verhandlungen. Abgesehen von den angeführten Bedenken könnten diese Verhandlungen durch eine jetzt erfolgende Veröffentlichung gestört werden.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Herr Abgeordneter Dr. Pfleiderer, eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, ich glaube, diese Note ist die Antwort auf eine Note der Bundesregierung, die in Ausführung eines Beschlusses dieses Hohen Hauses gesandt worden ist. Die Bundesregierung ist durch einen Beschluß dieses Hohen Hauses um Verhandlungen über das deutsche Auslandsvermögen gebeten worden. Daraufhin ist eine Note geschickt worden. Sollte das Parlament danach ohne Antwort auf seine Anträge bleiben?
Ich darf darauf folgendes sagen. Ich werde diese Frage erneut zur Diskussion bringen und hoffe, demnächst eine den Herrn Abgeordneten befriedigende Antwort geben zu können.
Zur Frage 15 Herr Abgeordneter Dr. Miessner!
Woran liegt es, daß die Bundesregierung von der im § 51 Abs. 1 Ziffer 2 k des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 15. September 1953 erteilten Ermächtigung, eine Rechtsverordnung dahin zu erlassen, daß bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit ein Pauschbetrag für Betriebsausgaben bis zur Höhe von 1200 DM im Jahr gewährt wird, bisher nicht Gebrauch gemacht hat?
Das liegt erstens daran, daß, um von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen, eine Rechtsverordnung nötig wäre, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zweitens daran, daß sämtliche Länderfinanzminister einstimmig den Standpunkt eingenommen haben, daß diese Frage nicht jetzt isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit der großen Steuerreform geprüft und gelöst werden sollte.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Miessner!
Mit welchem Ausfall an Einkommensteuer würde man bei Gewährung dieses Pauschbetrages jährlich wohl zu rechnen haben?
Sie müssen hier unterscheiden. Der unmittelbare Ausfall wird auf 10 bis 15 Millionen DM geschätzt. Da aber regelmäßig der Angehörige eines freien Berufs seine Ausgaben im einzelnen nachweist und dieser Pauschalbetrag praktisch einem Freibetrag von 1200 DM im Jahr gleichkommen würde, ist anzunehmen, daß derselbe Freibetrag sämtlichen Arbeitnehmern, den Lohn- und Gehaltsempfängern, gewährt werden müßte. Das würde einen Ausfall von schätzungsweise 500 Millionen DM im Jahr bedeuten.
Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Kortmann!
Ich frage die Bundesregierung:
Besteht die Möglichkeit, den ehemals „selbständigen" Flüchtlingen ({0}) aus der Sowjetzone auf dem Wege eines Härteausgleichs bis zu ihrer Überweisung in einen endgültigen Arbeitsplatz ein Barentgelt zu zahlen, das dem Durchschnitt einer Arbeits({1})
losenunterstützung, wie sie die vertriebenen Arbeiter und Angestellten erhalten, gleichkommt?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Diese Möglichkeit besteht leider nicht. Die im Bundesgebiet notaufgenommenen ehemals beruflich selbständigen Sowjetzonenflüchtlinge erhalten, soweit sie arbeitsvermittlungsfähig sind, nach den Vorschriften des AVAVG lediglich Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, da sie vor ihrer Notaufnahme keine arbeitslosen versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben, die zum Bezug von Arbeitslosenunterstützung berechtigt. Falls diese Personen nicht mehr arbeitsvermittlungsfähig sind, wird ihnen Fürsorgeunterstützung im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe gewährt.
Ich darf aber daneben auf die besonderen Hilfsmaßnahmen verweisen, die hier in Frage kommen. Nach der Zweiten Verordnung über Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 24. März 1953 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 21. August 1953 können aus dem Härtefonds des Lastenausgleichsgesetzes an Sowjetzonenflüchtlinge und ihnen gleichgestellte Personen im Sinne der §§ 3 und 4 des Bundesvertriebenengesetzes zur Abwendung einer Notlage Leistungen gewährt werden, und zwar Beihilfen zum Lebensunterhalt entsprechend der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz, Beihilfen zur Hausratbeschaffung in Höhe der Hausrathilfe des Lastenausgleichsgesetzes, Beihilfen zur Berufsausbildung in derselben Höhe wie an Vertriebene sowie Aufbaudarlehen zum Existenzaufbau bis zum Höchstbetrag von 35 000 DM. Aufbaudarlehen können auch für Zwecke der landwirtschaftlichen Siedlung gewährt werden. Die erforderlichen Durchführungsbestimmungen sind vom Präsidenten des Bundesausgleichsamts bereits vor längerer Zeit ergangen, so daß die Ausgleichsämter, bei denen die Anträge gestellt werden, bereits mit den notwendigen Weisungen versehen sind. Dem Härtefonds stehen in diesem Haushaltsjahr einschließlich eines Verplanungsrestes von 30 Millionen D-Mark 180 Millionen D-Mark zur Verfügung, die ganz überwiegend den Sowjetzonenflüchtlingen zugute kommen sollen.
Keine Zusatzfrage. Zu Frage 17 Herr Abgeordneter Heye! Heye ({0}): Ich frage die Bundesregierung:
Wann werden die Patente der ehemaligen Angehörigen der Kriegsmarine in die entsprechenden Patente der Handelsmarine, die zur navigatorischen und maschinenbetrieblichen Schiffsführung berechtigen, umgeschrieben?
Bitte, Herr Staatssekretär Dr. Bergemann!
Eine allgemeine Umschreibung dieser Art ist nach dem geltenden Recht nicht möglich.
Die Schiffsbesetzungsordnung vom Juni 1931 enthält genaue Bedingungen, unter denen ehemaligen Angehörigen der Kriegsmarine Befähigungszeugnisse für die Handelsschiffahrt erteilt werden können. Daraus ergeben sich für die Anwärter gewisse Erleichterungen gegenüber denjenigen Anwärtern, die von vornherein in der Handelsschiffahrt eine Tätigkeit ausüben wollen. Von diesen Erleichterungen der Schiffsbesetzungsordnung haben in der Nachkriegszeit rund 200 ehemalige Seeoffiziere und Steuerleute sowie rund 800 ehemalige Ingenieuroffiziere und Maschinisten der Kriegsmarine Gebrauch gemacht.
§ 26 der Schiffsbesetzungsordnung setzt allerdings voraus, daß der betreffende Mann bei der Kriegsmarine eine normale nautische oder maschinentechnische Ausbildung genossen hat. Von einer solchen Ausbildung bei der Kriegsmarine wird man aber in der Regel nur dann sprechen können, wenn der Anwärter seine Marineprüfungen vor dem 1. September 1939 abgelegt hat. In den dann folgenden Kriegsjahren haben die bei diesen Prüfungen gestellten Anforderungen aus erklärlichen Gründen erheblich vermindert werden müssen. Deshalb muß vor der Übernahme eines solchen Anwärters in die Handelsschiffahrt von Fall zu Fall untersucht werden, welche Ausbildung er nachzuholen hat. Ein anderes Verfahren, eine pauschale Umschreibung seiner Zeugnisse von der Kriegsmarine auf die Handelsschiffahrt wäre mit der Sicherheit der Handelsschiffahrt nicht zu vereinbaren.
Die Frage, welche Anforderungen in den zuletzt genannten Fällen zu stellen sind, entscheidet zwar der Bundesminister für Verkehr; er entscheidet hier aber nicht allein, sondern er stützt sich in bezug auf Fahrzeit, fachliche Ausbildung und Prüfungen auf die Empfehlungen, die ihm von den Fachausschüssen gegeben werden, welche ebenfalls in der Schiffsbesetzungsordnung vorgesehen sind. In diesen Fachausschüssen sind außer den Vertretern des Ministeriums auch die Vertreter der vier Küstenländer, die Vertreter der Reederverbände, die Vertreter der Gewerkschaften und auch Sachverständige des Verbandes deutscher Soldaten beteiligt.
Die von diesen Fachausschüssen vorgeschlagenen und vom Bundesminister für Verkehr akzeptierten Grundsätze entsprechen den Wünschen des Verbandes deutscher Soldaten bezüglich 'der Ingenieuroffiziere und der Maschinisten in vollem Umfang, bezüglich der Seeoffiziere und der Steuerleute allerdings nur zum Teil. Es hat sich daher nicht vermeiden lassen, daß eine nicht unerhebliche Zahl von Antragstellern enttäuscht ist. Sehr viele haben aber eingesehen, daß ihre Ausbildung vervollständigt werden muß, und haben sich inzwischen den dazu erforderlichen Fortbildungsmaßnahmen und Prüfungen unterzogen.
Jeder Beitrag zu einer Aufklärung der bisher noch unbefriedigten ehemaligen Angehörigen der Kriegsmarine wird 'dankbar begrüßt. Ich werde mir deshalb erlauben, Ihnen, Herr Abgeordneter, eine Dokumentensammlung zu übergeben, die alle einschlägigen Papiere enthält, die in dieser Frage seit 'dem Sommer 1944 entstanden sind.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 18 ebenfalls der Abgeordnete Heye.
Ich frage den Herrn Bundesfinanzminister:
Ist die Bestimmung aufgehoben, daß Weihnachtszuwendungen in Form von Gutscheinen
({0})
über einen bestimmten Betrag, die an Stelle von Geldzuwendungen gegeben werden und aus dem Betriebe des Arbeitgebers stammen, steuerfrei sind, soweit sie 100 DM nicht übersteigen?
Die Bestimmung ist nicht aufgehoben. Ich verweise auf die Verwaltungsanordnung über die Änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Richtlinien, Abschnitt 16, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 96 vom 22. Mai 1953.
Damit erledigt sich der zweite Teil der Frage.
Auf Frage 19 wird verzichtet.
Zur Frage 20 Herr Abgeordneter Dr. Prinz zu Löwenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, das Folgende zu fragen:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu der vom 10. Juli 1953 datierten Änderung des saarländischen Staatsangehörigkeitsgesetzes, auf Grund deren die Regierung Johannes Hoffmann den Deutschen Bundestag als ausländisches Parlament behandelt?
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Saarregierung betrachtet die Bundesrepublik als Ausland. Bei der Anwendung des § 17 Abs. 1 des saarländischen Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Form, die dieser Bestimmung durch das Änderungsgesetz vom 10. Juli 1953 gegeben worden ist, hat die Saarregierung dementsprechend auch den Deutschen Bundestag als ausländisches Parlament behandelt.
Demgegenüber ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das Saargebiet rechtlich nach wie vor ein Teil Deutschlands ist und daß im Verhältnis der Bundesrepublik zum Saargebiet für die Anwendung des Begriffes „Ausland" kein Raum ist.
({0})
Die auf Grund eines vorläufigen Statuts eingesetzten saarländischen Organe haben ihre Befugnisse überschritten, wenn sie im Saargebiet ansässige Deutsche, die sich zum Deutschen Bundestag haben wählen lassen, ihres rechtlichen Status im Saargebiet beraubten.
({1})
Eine Zusatzfrage!
Ich erlaube mir, die folgende Zusatzfrage zu stellen. Möchte die Bundesregierung nicht in Erwägung ziehen, die Ausweisung der Kollegen Walz und Trittelvitz, durch die die Freiheit des Parlamentarismus als solche angetastet wird, der Interparlamentarischen Union sowie den Präsidenten aller Parlamente der freien Weltentsprechend zur Kenntnis zu bringen?
Erlauben Sie mir, die Beantwortung dieser Frage in geeigneter Form dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen vorzubehalten.
Noch eine Zusatzfrage?
Mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich noch eine Zusatzfrage stellen. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um künftighin zu verhindern, daß Männer wie Heinz Braun durch Mißbrauch der in der Bundesrepublik geltenden demokratischen Redefreiheit die deutsche verfassungsmäßige Ordnung verletzen?
Ich darf auch auf diese Frage wie auf die vorhergehende antworten.
Ich danke Ihnen!
Zur Frage 21 als letzter Frage Herr Abgeordneter Schellenberg.
Unter Hinweis auf die Mitteilung im Bulletin vom 27. Oktober 1953 frage ich den Herrn Bundesminister für Arbeit, wann er beabsichtigt, dem Bundestag einen Gesetzentwurf über die Angleichung alter Rentenansprüche an die gegenwärtige Kaufkraft des Geldes vorzulegen.
Über die Frage der Umgestaltung der Sozialversicherungsrenten unter Berücksichtigung der derzeitigen Lohn- und Preisverhältnisse schweben zur Zeit Erörterungen im Kabinett; sie sind noch nicht abgeschlossen. Der notwendige Gesetzentwurf wird aber in meinem Ministerium bereits vorbereitet. Sobald alle Fragen, auch die Finanzierungsfragen, die damit zusammenhängen, vollständig geklärt sind, wird das Parlament die Vorschläge so schnell wie möglich erhalten.
Ich habe eine Zusatzfrage.
Bitte schön, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schellenberg.
In Pressemitteilungen ist gesagt worden, daß Sie in einer Rede in Frankfurt am 6. November erklärt haben, Sie würden dem Bundestag innerhalb des nächsten halben Jahres einen solchen Gesetzentwurf vorlegen. Wollen Sie diese Frist einhalten, Herr Minister?
Ja, wenn es irgend möglich ist, und ich glaube auch, daß es gelingt.
Ich glaube, die Rentner wären Ihnen dankbar.
Damit ist die Fragestunde beendet. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Wahl von deutschen Mitgliedern der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({0}).
Meine Damen und Herren! Dieser Punkt kann noch nicht erledigt werden, da die erforderlichen Vorschläge für die Wahl noch nicht vorliegen. Ich muß also vorschlagen, diesen Punkt auf die nächste Woche zu vertagen.
({1}) Ich rufe Punkt 3 auf:
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt ({2}).
Die Drucksache 38, ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, liegt Ihnen vervielfältigt vor. Der Stellenanteil der Fraktionen für die vorn Bundestag zu wählenden Mitglieder ist nach dem d'Hondtschen Verfahren berechnet.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der drei Fraktionen in Drucksache 38 zustimmen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen worden. Damit ist die Wahl erfolgt.
Ich rufe den Punkt 4 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit ({3}).
Wünscht die Regierung diesen Gesetzentwurf zu begründen? - Der Herr Bundesminister des Innern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das harte Los derer, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum Haus und Hof verlassen mußten, hat sich nicht in dem Verlust der materiellen Werte, der Existenzgrundlage, des Berufs und der angestammten Heimat erschöpft.
Eine große Zahl von Vertriebenen hat überdies die Zugehörigkeit zu einem Staat oder die Möglichkeit, sich auf die Zugehörigkeit zu ihrem Heimatstaat zu berufen und dessen Schutz in Anspruch zu nehmen, verloren. Millionen Vertriebener sahen sich der unerwarteten Tatsache gegenüber, daß ihre deutsche Staatsangehörigkeit, die ihnen jeweils im Anschluß an die Eingliederung ihres Heimatgebiets in das Deutsche Reich durch Gesetz verliehen worden war, in Zweifel gezogen wurde. Es handelt sich in der Hauptsache um die Volksdeutschen aus den Sudeten-gebieten, dem Memelland, dem Protektorat, Danzig und den einverleibt gewesenen Ostgebieten.
Die amerikanische Besatzungsmacht sah diese Vertriebenen nicht als deutsche Staatsangehörige an, und die Länder der amerikanischen Besatzungszone waren genötigt, in gleicher Weise zu verfahren. Die Stellungnahme der amerikanischen Besatzungsmacht wurde mit dem Hinweis darauf begründet, daß die Vereinigten Staaten den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei über die Abtretung der Sudetengebiete sowie den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Litauen über die Rückgliederung des Memellandes nicht anerkannt hätten und daß die Eingliederung der übrigen Gebiete ohne Vertrag oder erst im Krieg erfolgt und daher nach der Völkerrechtsordnung unzulässig gewesen sei.
Die britische Besatzungsmacht hat Einwendungen gegen die Anerkennung der Angehörigen der genannten Personengruppen als deutsche Staatsangehörige nicht erhoben. So erklärt es sich, daß Personen, die in der britischen Besatzungszone als deutsche Staatsangehörige behandelt wurden, im amerikanischen Besatzungsgebiet, dem sich später das französische anschloß, als staatenlos galten.
Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist eine Rechtsangleichung in den drei Besatzungszonen erzielt worden. Die Länder der amerikanischen und französischen Besatzungszone haben die beiden Gruppen, deren Heimatgebiete dem Deutschen Reich durch Vertrag eingegliedert worden waren, nämlich die Volksdeutschen aus den Sudetengebieten und aus dem Memelland, als deutsche Staatsangehörige anerkannt. Die Rechtsstellung der übrigen kollektiv Eingebürgerten war in diesen beiden Zonen inzwischen durch das Grundgesetz maßgeblich verbessert worden. Art. 116 Abs. 1 hat bekanntlich auch die Vertriebenen und Flüchtlinge deutscher Völkszugehörigkeit, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen, zu Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gemacht, wenn sie ais Flüchtlinge oder Vertriebene oder als deren Ehegatten oder Abkömmlinge im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vorn 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden haben.
Die Länder der britischen Besatzungszone hielten es im Hinblick auf Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes für möglich, im Interesse der Rechtseinheit von nun an ebenfalls nur die Sudetendeutschen und die Memelländer als deutsche Staatsangehörige anzuerkennen, dagegen die anderen kollektiv Eingebürgerten nur noch den deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen.
In dieser für die Betroffenen durchaus nicht befriedigenden Situation zeigte das Bundesverfassungsgericht, das von einem Protektoratsdeutschen angerufen worden war, im Mai 1952 Gesichtspunkte auf, unter denen eine weitergehende Bejahung der deutschen Staatsangehörigkeit auch vor dem Forum des Völkerrechts vertretbar ist. Es wies darauf hin, daß der - in der Haager Landkriegsordnung verankerte - völkerrechtliche Grundsatz von der Unwirksamkeit der Verleihung der Staatsangehörigkeit während einer kriegerischen Besetzung nicht gilt, wenn der Heimatstaat der Eingebürgerten sie nicht als seine Staatsangehörigen in Anspruch nimmt. Nimmt er sie nicht in Anspruch - so folgert das Bundesverfassungsgericht weiter -, so besteht auch nach deutschem Recht jedenfalls dann kein Anlaß, die betreffenden Personen nicht als deutsche Staatsangehörige anzuerkennen, wenn die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit dem Willen des einzelnen entsprach; denn insoweit handelt es sich ja dann nicht um eine Zwangseinbürgerung.
An Hand dieser Grundsätze ergab sich die völkerrechtlich unanfechtbare Möglichkeit der Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht nur der Volksdeutschen aus den Sudetengebieten, dem Memelland und dem Protektorat, sondern auch aus den eingegliedert gewesenen Ostgebieten, aus Untersteiermark, Kärnten und Krain sowie aus der Ukraine. In allen diesen Fällen haben die Heimatstaaten alsbald nach Beendigung der Feindseligkeiten Gesetze und Verordnungen erlassen, in denen sie sich von den deutschen Volkszugehörigen ausdrücklich lossagten.
Zu berücksichtigen war nur noch, daß die Gesetze und Verordnungen, durch die die kollektiven Einbürgerungen erfolgt sind, den individuellen Willen der Eingebürgerten unbeachtet gelassen haben. Dieser Umstand begründet die Verpflichtung, den Beteiligten die Wege zu ebnen, ihren positiven oder negativen Willen, auf den es in allen genannten Fällen ausschlaggebend ankommt, rechtsverbindlich zu erklären.
Zur Erreichung dieses Zieles standen zwei Wege zur Verfügung: einmal der einer positiven Optionserklärung aller derer, die die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit bejaht haben, deren kol({0})
lektive Einbürgerung also keine Zwangseinbürgerung gewesen ist; zum andern der Weg der negativen Optionserklärung aller derer, die gegen ihren Willen von der Sammeleinbürgerung erfaßt worden sind. Die Bundesregierung hat sich für die zweite Lösung entschlossen, weil sie auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre davon ausgehen kann, daß nur ein kleiner Teil der kollektiv Eingebürgerten gegen seinen Willen eingebürgert worden ist. Es wäre daher unter dem Gesichtspunkt der Ersparnis von Verwaltungsaufwand unvertretbar, wollte man den Weg der positiven Option wählen; denn dann müßten Millionen von Erklärungen entgegengenommen werden.
Das kaum weniger wichtige Ziel einer schnellen Klärung der Rechtslage in jedem einzelnen Fall soll durch die in § 5 gesetzte Erklärungsfrist erreicht werden. Wer zu den in § 1 erschöpfend aufgezählten Erklärungsberechtigten gehört und bis zum Ablauf der Frist eine negative Erklärung nicht abgegeben hat, ist durch die seinerzeitige kollektive Verleihung deutscher Staatsangehöriger geworden. Wer dagegen innerhalb der Frist ausdrücklich erklärt, daß die kollektive Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit seinem Willen nicht entsprochen habe, dessen kollektive Einbürgerung ist rechtsunwirksam, d. h. er ist nie deutscher Staatsangehöriger geworden.
Dem Umstand, daß seit den Kollektiveinbürgerungen wenigstens 15 oder doch wenigstens 10 Jahre verstrichen sind, in denen Ehen geschlossen und Kinder geboren wurden und viele Sammeleingebürgerte bereits gestorben sind, glaubte die Bundesregierung am besten dadurch Rechnung zu tragen, daß sie das Recht zur negativen Option, die im Gesetz als .,Ausschlagung" der deutschen Staatsangehörigkeit bezeichnet wird, nicht nur denen einräumt, die selbst von der kollektiven Einbürgerung erfaßt wurden, sondern auch denen, die ihre Staatsangehörigkeit nach deutschem Recht von einem Sammeleingebürgerten ableiten.
Der II. Abschnitt des vor Ihnen liegenden Gesetzentwurfs betrifft die Gruppe von Vertriebenen und Flüchtlingen insbesondere aus dem Südostraum, z. B. aus Ungarn und Rumänien, die auf Grund ihrer Aufnahme in Deutschland Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind, obwohl sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen.
In Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es ausdrücklich, daß die dort vorgenommene Einordnung der Vertriebenen und Flüchtlinge „vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung" erfolge. Abschnitt II des Entwurfs geht den ersten Schritt auf dem Wege zu dieser gesetzlichen Regelung, indem er den durch Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Personen einen Rechtsanspruch auf Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit zuspricht, wenn sie einen dahingehenden Antrag stellen.
Schon jetzt streben viele Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit - wie sie kurzerhand genannt werden - die deutsche Staatsangehörigkeit im Wege der Einbürgerung nach Maßgabe des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes an. Um so mehr ist damit zu rechnen, daß von der erleichterten Einbürgerungsmöglichkeit, die das Gesetz eröffnet, in großem Umfange Gebrauch gemacht werden wird. Mit Rücksicht darauf hat die Bundesregierung davon abgesehen, die Geltendmachung des Anspruches an eine Frist zu binden und - wie ursprünglich geplant - an den ungenützten Ablauf der Frist den Verlust der Rechtsstellung des Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit zu knüpfen. Die Bundesregierung hätte sich zu einer solchen Maßnahme nur entschlossen, wenn sie zur Schaffung klarer Rechtsverhältnisse unerläßlich gewesen wäre. In den vier Jahren seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ist jedoch die außerordentliche Rechtsstellung eines Deutschen, der die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt, so weit rechtlich umrissen und mit einem eindeutigen Inhalt erfüllt worden, daß die anfänglich für notwendig erachtete alsbaldige Beseitigung dieses Nebenstatus jedenfalls aus Gründen der Rechtsklarheit nicht mehr erforderlich erscheint. Die Verwaltungspraxis hat sich, wenn auch erst in jüngster Zeit, übereinstimmend dahin entwickelt, daß der Nebenstatus des Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit erworben und verloren wird wie die deutsche Staatsangehörigkeit selbst. Die Bundesregierung hat daher die Möglichkeit der Abstandnahme von einer Fristsetzung gern ergriffen, um den einzelnen von dem Bewußtsein des Zwanges zu einer Entscheidung zu befreien.
Nur noch ein ganz kurzes Wort zum III. Abschnitt des Entwurfs: In der Bundesrepublik lebt eine nicht unerhebliche Zahl von deutschen Volkszugehörigen nicht deutscher Staatsangeörigkeit, die schon vor den Ereignissen des zweiten Weltkriegs aus beruflichen oder sonstigen Gründen in Deutschland ihre Niederlassung genommen haben und durch die Ereignisse des zweiten Weltkrieges gehindert worden sind, in ihren Heimatstaat zurückzukehren oder auch nur bei ihm Schutz zu suchen. Die Wohltat des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes erreicht sie nicht, weil sie nicht als Flüchtlinge oder Vertriebene hergekommen sind. Die politische Entwicklung hat sie aber im Ergebnis zu Vertriebenen gemacht. Deshalb räumt ihnen der Gesetzentwurf den gleichen Anspruch auf Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit ein wie den durch Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes Geschützten.
Endlich hat die Bundesregierung sich für verpflichtet gehalten, denen, die als Vertriebene oder Flüchtlinge deutscher Volkszugehörigkeit vor den Toren Deutschlands bleiben müssen, weil ihr Fluchtweg zufällig schon dort sein Ende gefunden hat, die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Einbürgerung vom Ausland her zu beantragen. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, das aus dem Jahre 1913 stammt, kennt nämlich die Einbürgerung eines im Ausland lebenden fremden Staatsangehörigen oder Staatenlosen nur, wenn der Betreffende selbst früher einmal deutscher Staatsangehöriger gewesen ist oder von einem deutschen Staatsangehörigen abstammt. Die Bundesregierung würde aber die vom Zufall diktierten Zustände aus der Zeit des Zusammenbruches verewigen und sicherlich nicht der Gerechtigkeit und Befriedung dienen, wenn sie denen, die bei der allgemeinen Umschichtung des Winters 1944/45 außerhalb der - erst später festgesetzten - Grenzen Deutschlands waren, die Tür für immer verschließen würde. Allerdings konnte dieser Gruppe nicht ein Anspruch auf Einbürgerung eingeräumt werden. Vielmehr war die Zulassung der Aufnahme in den deutschen Staatsverband nach Maßgabe des pflichtgemäßen Ermessens der Staatsangehörigkeitsbehörden das weitestmögliche Entgegenkommen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich verstehe sehr wohl, daß diese Materie etwas trocken ist. Ich
({2})
möchte aber das Haus bitten, nicht zu vergessen, daß hinter dieser Materie Menschen stehen, die viel Unglück gehabt haben. Ich möchte daher schließen, indem ich sage: Die Bundesregierung hat die Hoffnung, daß durch dieses Gesetz ein Teil des Unglücks, das über deutsches Volkstum gekommen ist, wenigstens gemildert werden kann.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den uns die Regierung vorgelegt hat, gehört zu dem großen Bereich des Mühens, das rechtliche Trümmerfeld zu beseitigen, das die Vertreibung von Millionen deutscher Menschen geschaffen hat. Die letzten Bemerkungen des Herrn Bundesministers des Innern sollten wohl doch irgendwie ein Erstaunen ausdrücken, daß diese Materie offenbar so wenig Interesse in diesem Hause erweckt. Wer nur in etwa zu übersehen vermag, was das Fehlen der Staatsangehörigkeit wegen des Mangels an rechtlichem Schutz für Millionen Menschen in der Vergangenheit bedeutet hat und auch noch heute bedeutet, der wird sich eine Vorstellung davon machen können, wie dankbar wir sein können, daß man nunmehr endlich zu einer gesetzlichen Regelung dieser Dinge kommen will. Wir möchten der Bundesregierung dafür danken.
Wir halten den Entwurf in seinen wesentlichen Zügen für so gestaltet, daß all die Wünsche und Anliegen, die in dieser Frage im Laufe der Vergangenheit und durch die Erfahrungen der Vergangenheit an uns und an die amtlichen Stellen herangetragen worden sind, berücksichtigt werden. Daß es so lange gedauert hat, ist vielleicht nicht ohne weiteres zu bedauern; denn die Verhältnisse liegen bei den verschiedenen Volksgruppen, wie ja auch der Herr Bundesminister in seiner Begründung erklärt hat, durchaus unterschiedlich.
Die Regelung, die für die einzelnen Volksgruppen gefunden worden ist, entspricht im großen und ganzen auch unserer Auffasung. Wir stimmen dem Regierungsentwurf insbesondere insofern zu, als er, und zwar nach dem Vorgange der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sich auch ganz klar und eindeutig dahin ausgesprochen hat, daß die Sammeleinbürgerungen vom Standpunkt der einzelnen Betroffenen als rechtmäßig betrachtet werden müssen und daß es vollauf genügt, wenn man heute noch die Möglichkeit eröffnet, einen etwa gegenteiligen Willen gegenüber den zuständigen Stellen zum Ausdruck zu bringen. Man mag über diese Kollektivmaßnahmen und die Vorgänge, die ihnen vorangingen, denken, wie man will; man wird aber nicht bestreiten können, daß damals die überwiegende Mehrheit aller derjenigen, die durch die Sammeleinbürgerung betroffen sind, auch tatsächlich den positiven Willen zu dieser Aktion gehabt hat.
Wir möchten den Wunsch ausdrücken, bei den Beratungen im Ausschuß vielleicht noch zu erwägen, ob es nicht notwendig sein wird, einen Weg zu gehen, den unser deutsches Staatsangehörigkeitsrecht bisher wohl nicht gegangen ist: auch doppelte Staatsangehörigkeiten anzuerkennen. Ich möchte mich über die Begründung dieses Wunsches im Augenblick nicht zu weit auslassen, sondern nur andeuten, daß es vom Standpunkt der Betroffenen, aber vielleicht in noch höherem Maße vom Standpunkt übergeordneter allgemeiner deutscher Interessen wichtig und wünschenswert sein könnte, andere Staatsangehörigkeiten mit der jetzt verliehenen deutschen Staatsangehörigkeit gemeinsam zu erhalten. Ich brauche nur an den Sonderfall Danzig zu denken, ohne den etwa überbewerten zu wollen; ich brauche nur an die ganzen deutschen Volksgruppen aus dem südosteuropäischen Raum zu denken. Wir behalten uns vor, nach dieser Richtung hin in der Ausschußarbeit mit Anregungen zu kommen.
Wir haben des weiteren den Wunsch, die Behandlung dieses ganzen Komplexes, der jetzt zweifellos nicht nur eine polizeiliche Ordnungsregelung innerhalb der Bundesrepublik darstellt, sondern erhebliche wirtschaftliche, vielleicht sogar außenpolitische Ausstrahlungen hat, nicht ausschließlich dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu überlassen. Wir möchten anregen, den Gesetzentwurf wenigstens noch dem Ausschuß für Heimatvertriebene zuzuweisen.
Ich stelle im Namen meiner politischen Freunde diesen Antrag und bitte, den Gesetzentwurf außer dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung auch dem Ausschuß für Heimatvertriebene zuzuweisen. Wir danken noch einmal, daß der Gesetzentwurf jetzt vorgelegt worden ist, und werden positiv daran mitarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der uns vorliegt, ist wahrhaftig nicht zu früh gekommen. Die Staatsangehörigkeitsfragen, die durch den Krieg und seine Folgen ausgelöst worden sind, hätten, wie ich meine, schon längst geregelt werden müssen, wenn auch sicher ist, daß die Schwierigkeiten sehr groß waren. So groß aber die Schwierigkeiten auch gewesen sein mögen, die Beseitigung der Verwirrung und des unendlichen Leids, die über so viele Menschen gekommen sind, die nicht wußten, welchem Staat sie nun eigentlich zugehörten, hätte man als eine der ersten Aufgaben der Bundesrepublik ansehen und anpacken müssen. Man hätte dann sehr viel vermeidbares Leid vermieden.
Der Entwurf findet im Grundsätzlichen unsere Zustimmung. Er entspricht im wesentlichen den Prinzipien, die dem Gesetz über den Erwerb der Reichs- und Staatsangehörigkeit von 1913 zugrunde liegen, das für seine Zeit kein schlechtes Gesetz gewesen ist und das durch den Entwurf in einigen Punkten in einer, wie ich gern anerkenne, fortschrittlichen Weise ergänzt wird. Insbesondere finde ich in diesem Entwurf einen recht wohltuenden Verzicht auf bürokratische „Vortrefflichkeit". Ich begrüße es, daß der Entwurf konsequent auf dem Willensprinzip aufbaut. Nur wer deutscher Staatsangehöriger sein will, soll es werden. Es ist auch gut, daß die Ehegatten ihren Willen unabhängig voneinander zum Ausdruck bringen können, so daß die Ehefrau nicht notwendig der Staatsangehörigkeit des Mannes zu folgen braucht.
Wie kompliziert die Situation durch die Sammeleinbürgerungen geworden ist, ist hier dargestellt worden. Ich glaube, daß man versuchen sollte, mit den Staaten, die mit sich reden lassen, zu zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu kommen. Staats- und Individualinteressen liegen ja in engem Verein beieinander; oft gehen sie auch durcheinander. Die
({0})
Lösung, die der Entwurf vorschlägt, scheint uns gut. Daß man primär die Sammeleinbürgerung gelten läßt, aber jedem einzelnen das Recht gibt, zu erklären, daß er die unwillkommene deutsche Staatsangehörigkeit ausschlagen will, ist richtig. Gegen gewisse Bestimmungen scheinen mir Bedenken erlaubt zu sein und Zweifel, ob die beste Lösung gefunden worden ist. Aber darüber wird man sich in den Ausschüssen unterhalten können.
Bei der Lektüre des Entwurfs drängt sich einem die Frage auf, ob dann nicht überhaupt an die Schaffung eines neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes gegangen werden sollte. Es liegen Entwürfe für ein solches Gesetz vor. Warum werden diese Entwürfe dem Parlament nicht vorgelegt? Sie sind - ich kenne sie zum Teil - so weit vorgetrieben, daß sie mir parlamentsreif erscheinen.
Wir halten ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz für eine Notwendigkeit. Das geltende Recht, das von 1913 stammt, war - ich sagte es schon - für die damalige Welt nicht schlecht. Aber dieses Gesetz wird den Schicksalen nicht mehr gerecht, die unsere verwirrte Zeit hat entstehen lassen.
({1})
Seit 1918 sind fast überall in der Welt neue Staatsangehörigkeitsgesetze erlassen worden, zum Teil im Geiste des Fortschritts, zum Teil aber in durchaus rückschrittlichem Geist. In sehr vielen Staaten hat man in das neue Staatsangehörigkeitsgesetz das Verbot der Doppelstaatsangehörigkeit aufgenommen: man könne nur einem Herrn dienen, es gebe nur eine Loyalität, und in Kriegsläuften rufe die Doppelstaatsangehörigkeit verwirrte Situationen herauf. In anderen Staaten aber hat man in die neuen Gesetze fortschrittlichere Bestimmungen aufgenommen, als unser Recht sie kennt, z. B. das Recht der Ehefrau auf eine eigene Staatsangehörigkeit. Doch scheint es mir ein Rückschritt zu sein, wenn nanche Staaten der ausländischen Ehefrau, die einen Inländer heiratet, die Staatsangehörigkeit grundsätzlich verweigern und sie auf späteren Erwerb verweisen.
Wie sollte nun ein solches neues deutsches Staatsangehörigkeitsgesetz aussehen? Der Gesetzgeber wird hier immer vor dem Dilemma stehen: wie soll sich der Wille des einzelnen zum Interesse des Staates verhalten? Und er wird vor dem Dilemma stehen, daß die Staaten ihr Staatsangehörigkeitsrecht nach verschiedenen Grundsätzen aufbauen, so daß man in dem einen Staat die Staatsangehörigkeit bei Vorliegen dieser Voraussetzungen, im anderen Staat bei Vorliegen anderer Vorausetzungen erwirbt.
Wir meinen, daß unser Staatsangehörigkeitsrecht so individualistisch wie möglich und darum so weltbürgerlich wie möglich gestaltet werden sollte. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, mehr als nur eine Staatsangehörigkeit zu besitzen, die seines Heimatlandes und die seines Aufenthaltsstaates, wenn dessen Gesetze es zulassen. Zwar wird es dann gewisse Schwierigkeiten geben, und die Situationen werden dann nicht immer bürokratisch einfach liegen. Aber schließlich kann man ja mit solchen Schwierigkeiten fertig werden, und man ist mit ihnen schon fertig geworden. Wenn die Gesetze des Aufenthaltsstaates das Weiterbestehen etwa der deutschen Statsangehörigkeit nicht zulassen sollten, dann sollte ein Deutscher wenigstens dann, wenn er nach Hause zurückkommt, in Deutschland so behandelt werden, als habe er seine Staatsangehörigkeit nie verloren - wenn er das will.
({2})
Nun gibt es in Fragen der Staatsangehörigkeit besondere und legitime Interessen der Staaten. Es scheint mir ganz unmöglich zu sein, daß man auf die Staatsangehörigkeit soll verzichten können, solange man den Schutz des Staates, dem man angehört, noch in Anspruch nimmt. Aber ein Deutscher, der im Ausland lebt, sollte nach deutschem Recht die Möglichkeit haben, auf seine deutsche Staatsangehörigkeit zu verzichten. Wir wollen doch keine Zwangs-Deutschen, keine Muß-Deutschen haben! Und wer seit geraumer Zeit in Deutschland lebt, sollte die Möglichkeit haben, die deutsche Staatsangehörigkeit ohne allzugroße Schwierigkeiten zu erwerben. Er sollte sie leichter erwerben können als bisher.
Die ausländische Ehefrau eines Mannes, der Deutscher werden will, sollte nur dann Deutsche werden, wenn sie diesen Willen ausdrücklich erklärt. Die Ausländerin, die einen Deutschen heiratet, sollte die deutsche Staatsangehörigkeit nur dann erwerben, wenn sie das will. Umgekehrt soll eine Deutsche, die einen Ausländer heiratet, die deutsche Staatsangehörigkeit behalten, es sei denn, daß sie ausdrücklich darauf verzichtet. Im letzteren Falle sollte sie einen Rechtsanspruch auf Wiedereinbürgerung haben.
Sollten wir nicht auch in unserem Staatsangehörigkeitsgesetz das angelsächsische Prinzip einführen, daß, wer auf deutschem Boden geboren ist, die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Geburt erwirbt und behält, wenn er sie nicht bei Eintritt der Volljährigkeit ausschlägt?
Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß gewisse Kollisionen eintreten, denn die Staaten haben sehr verschiedenartige Staatsangehörigkeitsgesetze. So kann es sein, daß jemand nach dem Recht seines Heimatstaates eine bestimmte Staatsangehörigkeit hat und nach dem Recht des Aufenthaltsstaates eine andere. Ich habe eine merkwürdige Situation erlebt: Der einstige Direktor der Bibliothek Warburg, Professor Windsheim, wurde in Berlin als Sohn von Eltern argentinischer Staatsangehörigkeit geboren. Nach deutschem Recht war er Argentinier, nach argentinischem Recht war er Deutscher. Der argentinische Konsul in Berlin gab ihm keinen Paß, die deutschen Behörden gaben ihm auch keinen Paß. Der Mann war staatenlos, obwohl seine Eltern eine genau bestimmte Staatsangehörigkeit hatten.
Situationen dieser Art können vermieden werden, wenn die Staaten untereinander ein System von Kollisionsnormen vereinbaren. Man sollte das versuchen, und es stünde unserer Bundesregierung gut an, wenn sie die Initiative dazu ergriffe. Solche Kollisionsnormen sind auf den verschiedensten Sachgebieten schon vereinbart worden. Ich erinnere an die Staatsverträge zur Verhinderung der Doppelbesteuerung und an die Staatsverträge, die sich auf das internationale Privatrecht beziehen. Ich glaube, man könnte versuchen, daneben etwas wie ein internationales Staatsangehörigkeitsrecht zu schaffen
({3})
mit Normen und Verfahren, die es möglich machen, im Einzelfall zu bestimmen, welche effektive Staatsangehörigkeit ein Mann hat. Es sollte nicht mehr möglich sein, daß es nur wegen der Verschiedenheit der Prinzipien, auf denen die einzelnen Staaten ihre Staatsangehörigkeitsrechte aufbauen, Menschen gibt, die nicht wissen, wo sie hingehören, und die darum keinen staatlichen Schutz auf dieser Welt genießen.
({4})
Es handelt sich bei diesen Dingen nicht um Federfuchsereien. Wenn wir ein enges, ein etatistisches, nur vom Staate aus gesehenes Staatsangehörigkeitsrecht haben, werden wir versucht sein, auch in den Beziehungen von Staat zu Staat und von Volk zu Volk exklusiv zu denken. Haben wir aber ein individualistisches, das heißt weltbürgerliches Staatsangehörigkeitsrecht, dann werden wir auch in den Beziehungen von Staat zu Staat leichter gesinnt sein, weltbürgerlich zu denken. Und fängt nicht jedes weltbürgerliche Denken - und das heißt doch auf unserem Kontinent: europäisches Denken - damit an, daß man es für möglich hält, daß einer mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen kann? Könnte nicht die Bundesregierung damit anfangen, wenigstens mit den Staaten der Montanunion über ein zu vereinbarendes zwischenstaatliches Staatsangehörigkeitsrecht zu verhandeln, das weniger monopolistisch und etatistisch wäre als die Gesetze, die heute in den sechs Staaten gelten? Vielleicht könnte man dann schrittweise zu einem gemeineuropäischen Indigenat kommen. Ich möchte hier an das Angebot Churchills an Frankreich vom Mai 1940 erinnern, daß fortan jeder Engländer die Rechte französischer Staatsangehörigkeit und jeder Franzose die Rechte eines englischen Staatsangehörigen haben sollte. Natürlich wird man dazu nicht kommen; zu solchen großherzigen Angeboten entschließt man sich - leider - nur in der letzten Not. Aber es sollte sich doch erreichen lassen, schrittweise in Richtung auf dieses Ziel voranzugehen. Warum sollte denn so etwas nur im Kriege und unter Kriegsverbündeten möglich sein? Warum sollte dieser Weg nicht im Frieden möglich sein, nicht dann, wenn man sich zum Frieden verbinden will?
({5})
Der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den beiden Herren Vorrednern für die freundliche Aufnahme danken, die sie dem Gesetzentwurf bereitet haben. Wenn ich jetzt schon das Wort ergreife, so deswegen, um auf einen Gesichtspunkt einzugehen, den der sehr verehrte Herr Kollege Schmid dargelegt hat. Vielen von uns wird das, was er aus einer sehr idealistischen Schau gesagt hat, durchaus aus dem Herzen gesprochen sein, und ich glaube, daß die Richtung, die er aufgezeigt hat, durchaus auch unsere Richtung sein sollte. Darüber läßt sich in den Ausschüssen noch sehr viel konkreter diskutieren. Ich bitte aber, keinen Augenblick aus den Augen zu verlieren, daß die große Schranke, die uns derzeit gesetzt ist, in der Tragödie der Zerreißung Deutschlands begründet liegt und daß wir sehr vorsichtig sein müssen, Dinge gesetzgeberisch umfassender anzugreifen, als das unter diesem Gesichtspunkt praktikabel sein mag. So geht der Entwurf der Bundesregierung davon aus, das Vordringlichste zu regeln, ohne daß damit dem weiteren Ausblick, den Sie, sehr verehrter Herr Kollege, gegeben haben, irgendwie Abbruch getan werden soll.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung. Es besteht kein Zweifel über die Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als federführenden
Ausschuß. Es ist weiter beantragt worden - von Herrn Abgeordneten Gille für den BHE, und die CDU hat den gleichen Wunsch zum Ausdruck gebracht -, den Gesetzentwurf auch dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen. Ich darf unterstellen, daß dagegen keine Bedenken bestehen.
({0})
- Es wird weiterhin die Überweisung an den Rechtsausschuß beantragt.
({1}).
Meine Damen und Herren, ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung ein spezieller Rechtsausschuß ist. Ist das die Meinung der überwiegenden Mehrheit des Hauses?
({2})
- Offenbar. Wird der Antrag aufrechterhalten? - Offenbar nicht, Herr Abgeordneter Kühn.
Damit ist die Überweisung erfolgt.
Ich rufe Punkt 5 a) und b) der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Albers, Lenz ({3}), Mühlenberg, Arndgen und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes über die einstweilige Außerkraftsetzung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ({4});
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albers, Lenz ({5}), Mühlenberg, Arndgen und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaftsrechts ({6}).
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Verständigung darüber erzielt worden, daß auf eine Begründung und Aussprache bei dem Gesetzentwurf und dem Antrag verzichtet werden kann.
({7})
- Das ist die Meinung des Hauses. Dann schlage ich Ihnen vor, den Gesetzentwurf und den Antrag zu überweisen an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht*) als federführenden Ausschuß, mitberatend an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes.
({8})
- Es wird der Wunsch ausgesprochen, dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik die Federführung zu übertragen. Bestehen dagegen Bedenken? - Offenbar nicht; dann ist er der federführende Ausschuß.
({9})
- Jedenfalls nicht als federführenden Ausschuß, Herr Abgeordneter Müller?
({10})
Federführend ist jedenfalls der Ausschuß für Wirtschaftspolitik.
({11})
*) Vgl. Seite 153 C
({12})
Dann: Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht? - Keine Bedenken. Und der Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes? - Keine Bedenken.
Herr Abgeordneter Müller ({13}) beantragt weiter Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Darf ich fragen, wer dafür ist. - Wer ist dagegen? - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich komme zu Punkt 6:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Meistbegünstigungsabkommen vom 31. Oktober 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik El Salvador ({14}).
Hier ist ebenfalls vorgesehen: ohne Begründung und Aussprache. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. - Mit dieser Überweisung ist das Haus einverstanden.
Punkt 7:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Handwerksordnung ({15}).
Soll dieser Gesetzentwurf begründet werden? -Herr Abgeordneter Stücklen!
Der Ältestenrat hat sich auf eine Begründungszeit von 5 Minuten geeinigt.
Stücklen ({16}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 26. März hat der erste Deutsche Bundestag die Handwerksordnung verabschiedet. In der Annahme, daß dieses Gesetz unverzüglich in Kraft gesetzt wird, sind in den §§ 118 und 120 eine Reihe von Terminen festgelegt worden. Durch die verspätete Inkraftsetzung können diese Termine der Umbildung der Innungen, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern, Landesinnungsverbände und Bundesinnungsverbände nicht mehr eingehalten werden. Deshalb ist es notwendig, diese Frist, die mit dem 31. Dezember 1953 ablaufen würde, bis zum 30. September 1954 zu verlängern.
Dazu ist noch eine Ergänzung nötig, und zwar soll in § 120 Abs. 1 ein Satz 3 hinzugefügt werden, nach dem für diejenigen Handwerkskammern und anderen Organisationen, bei denen irgendeine Wahlperiode abläuft, die Innehaltung der Ämter bis zum 30. September 1954 ermöglicht wird.
Ich bitte das Hohe Haus wegen der terminlichen Dringlichkeit, heute in die erste, zweite und dritte Lesung einzutreten und diesem Änderungsgesetz die Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung gehört. Wird zur ersten Beratung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur
zweiten Beratung.
Ich rufe auf die Artikel I, - II, - III, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich bitte die Damen und Herren, 'die 'den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Soweit ich sehe: einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird zur allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Eine Einzelberatung entfällt, da Änderungsanträge nicht gestellt sind.
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Handwerksordnung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetzentwurf Drucksache 56 in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Ich stelle fest, daß dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe Punkt 8 auf:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs ({0});
b) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifgesetzes ({1});
c) Erste Beratung des von 'den Abgeordneten Dr. Horlacher, Raestrup, Bauknecht, Dr. Weber ({2}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifgesetzes ({3});
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Horlacher, Raestrup, Bauknecht, Dr. Weber ({4}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Getreidepreisgesetzes 1953/54 ({5});
e) Beratung des Antrages der Abgeordneten Dr. Horlacher, Bauknecht und Genossen betreffend Braumalz und Braugerste ({6}).
Der Herr Bundesminister der Finanzen verzichtet auf die Begründung des Gesetzentwurfs zu Punkt 8 a). Zur Begründung des Gesetzentwurfs der FDP, Punkt 8 b), hat das Wort Herr Abgeordneter Fassbender.
Fassbender ({7}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag der Freien Demokraten zur Änderung 'des Zolltarifgesetzes, Drucksache 50, verlangt, daß im Zolltarif vom 16. August 1951 bei Tarifnr. 1107 des Zolltarifes „Malz, auch geröstet" die Zahl 20 ,durch die Worte „Zollsatz je 100 kg DM 60,- abzüglich % des verzollbaren Wertes" ersetzt wird.
Die Entwicklung auf dem Braugerste- und Braumalzmarkt ist eine derartige, daß wir den Dingen einfach nicht mehr ohne Eingriff zusehen können. Während wir noch vor anderthalb Jahren Malzpreise hatten - und sie sind ja praktisch der Ausfluß der Braugerstepreise -, die sich zwischen 90 und 95 DM bewegten, sind wir heute durch Idas Zusammenbrechen der Gerstepreise auf dem Weltmarkt für Malz ausländischer Herkunft bei fast 55 DM je Doppelzentner angelangt. Die bisher übliche Zollsatzzahl beträgt 20. Umgerechnet auf
({8})
die deutschen Braugerstepreise würde das Braugerstepreise von 32, 33, bestenfalls 34 DM je Doppelzentner nach sich ziehen. Im Preisgesetz für Getreide befindet sich aber ein festgelegter Preis von 41 DM als Mindestpreis. Da nun Braumalz zu dem geringen Zollsatz hereinströmt und bei Preisen liegt, die deutsche Braugerste bestenfalls mit Preisen ungefähr Mitte der 30 DM verwertbar erscheinen lassen, sind wir in einen Zustand geraten, der den deutschen Braugersteanbauern praktisch die Möglichkeit nimmt, ihre Braugerste an den Markt zu bringen, es sei denn, zu Preisen, die zu den im Getreidepreisgesetz verankerten Preisen in Widerspruch stehen.
Deshalb haben wir den Antrag gestellt, diesen Zollsatz zu erhöhen, und zwar vorläufig für die Dauer eines Jahres, um dien Braugerstepreis an den im Gesetz vorgeschriebenen Preis heranzubringen. Wenn nicht das ganze Preisgefüge, das dieses Hohe Haus in seiner vorigen Legislaturperiode im Rahmen des Getreidepreisgesetzes beschlossen hat, ins Wanken gebracht werden soll, muß unserem Antrag entsprochen werden. Ich bitte also 'das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen.
Zur Begründung der Anträge unter Punkt 8 c) bis e) hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Horlacher.
Dr. Horlacher ({0}), Antragsteller: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der alte Bundestag hat sich am Schluß seiner Beratungen mit dieser Frage beschäftigt und hat nahezu einstimmig den Beschluß gefaßt, daß die Liberalisierung für zunächst sechs Monate - bis zum 31. Dezember dieses Jahres - ausgesetzt werden soll und daß die
31 Bundesregierung in der Zwischenzeit eine Vorlage macht, welche an Stelle des Wertzolls einen spezifischen Zoll einführt, damit bei Braumalz die Wettbewerbslage für deutsches und eingeführtes Malz hergestellt wird. Der Antrag meiner Freunde deckt sich, abgesehen von der Berlin-Klausel, mit dem Antrag der FDP.
Darüber hinaus habe ich persönlich den Wunsch, daß ein neues Gesetz unter allen Umständen rechtzeitig vor dem 1. Januar 1954 in Kraft tritt. Das ist das Wesentliche. Deswegen freue ich mich eigentlich, daß die geforderte Regierungsvorlage jetzt noch in letzter Minute unter dem Datum des 30. November eingegangen ist. Der Bundesrat hat sich mit der Regierungsvorlage bereits beschäftigt und keine Einwendungen erhoben. Ich glaube also, daß wir die Regierungsvorlage zur Grundlage unserer Beratungen machen müssen, um den erhöhten Zollsatz für Braumalz möglichst ohne Reibungen eintreten lassen zu können.
Ich möchte dann darauf hinweisen, daß die Schwierigkeiten deswegen entstanden sind, weil im verflossenen Wirtschaftsjahr, d. h. von Juli 1952 bis Ende Juni 1953, die Einfuhr an Braugerste und Braumalz viel zu hoch war. Es werden da einzelne Ziffern verbreitet, die teilweise überhöht sind. Ich will deshalb die richtigen Ziffern nennen. Es sind eingeführt worden 280 000 t Braugerste und 64 600 t Braumalz, zusammen 344 600 t. Das ist beinahe ein Halbjahresbedarf der gesamten Brauereien des Bundesgebietes. Dadurch ist die außerordentlich schwierige Lage entstanden, insbesondere durch die Einführung von Braumalz, weil man beim Braumalz rund ein Drittel hinzurechnen muß, um auf die Quantität der Braugerste zu kommen. Wenn ich das Braumalz auf die Braugerste umrechne, ergibt sich, daß wir 390 000 t in
Form von Braugerste eingeführt haben. Sie ersehen daraus, wie notwendig es ist, daß hier Ordnung geschaffen wird, erstens für den Abzug der inländischen Braugerste und zweitens für die Beschäftigung der deutschen Mälzereien, die immerhin über einen erheblichen Arbeiterstamm verfügen, so daß wir auf diese Verhältnisse Rücksicht nehmen müssen.
Mir kommt es darauf an, daß zwischen der Landwirtschaft und der Ernährungsindustrie, wenn ich sie allgemein so bezeichnen darf, also den Brauereien und Mälzereien, ein enges Verhältnis besteht und daß man zunächst die Inlandsware bevorzugt, ehe man die Auslandsware hereinnimmt. Das sollte der ganz naturgemäße Standpunkt sein; aber davon sind wir noch weit entfernt. Wenn Krisen eintreten, dann handelt es sich darum, daß die Erhaltung der Qualität der inländischen Produktion die erste Voraussetzung für das Arbeiten dieser Betriebe ist. Deswegen ist es wünschenswert, daß man sich hier an die Verhältnisse anpaßt. Ich wäre also dafür, daß die Regierungsvorlage zusammen mit den beiden Anträgen so bald wie möglich beraten wird. Wenn wir uns auf den Boden der Regierungsvorlage stellen, wird es, glaube ich, gegenüber dem Bundesrat keine Schwierigkeiten mehr geben, und wir werden die Vorlage rechtzeitig vor Weihnachten erledigen können.
Dann noch ganz kurz etwas zu dem Antrag betreffend die Änderung des Getreidepreisgesetzes. Auf diesem Gebiet besteht die Schwierigkeit ja immer darin, daß wir zwar eine Marktordnung haben, die Marktordnung aber nicht funktioniert, daß wir Höchst- und Mindestpreise haben, daß die Höchstpreise zwar nicht überschritten, aber die Mindestpreise nicht eingehalten werden. Die Staatsanwälte jagen durch die Lande und beanstanden das Überschreiten von Höchstpreisen - das kann vorkommen -; aber sie müßten das Nichteinhalten der Mindestpreise genau so beanstanden. Das ist kein gesetzlicher Zustand, daß der Erzeuger den ihm garantierten Mindestpreis nicht bekommt. Da fehlt das Gesetz; die Marktordnung bedarf hier des Ausbaues. An sich wäre es gar nicht notwendig. In § 10 des Getreidegesetzes steht:
Der Bundesminister hat seine Aufsichts- und Weisungsbefugnisse über die durch dieses Gesetz geschaffenen Organe so auszuüben, daß die Einhaltung der festgelegten Preise gewährleistet ist.
Ich hoffe, daß der Bundesernährungsminister sich endlich einmal gegenüber dem Bundesfinanzminister durchsetzt, damit die entsprechenden Geldbeträge dann vorhanden sind, wenn es sich darum handelt, die Preisgarantie gegenüber dem Erzeuger, dem Bauern, durchzusetzen. Denn der Herr Bundesfinanzminister hat bisher auf dem Getreidegebiet ein ganz gutes Geschäft gemacht. Er hat im letzten Jahre Abschöpfungsbeträge -Unterschied zwischen Auslandspreisen und Inlandspreisen - von sage und schreibe 157 Millionen DM eingenommen, so daß man hier nicht so zimperlich zu sein braucht und auch einmal einige Millionen hereinstecken kann, um die Verhältnisse auf dem Preisgebiet in Ordnung zu halten.
Ich habe den entsprechenden Antrag eingebracht Herr Kollege Kriedemann, da müssen Sie Ihrem Herzen noch einen weiteren Stoß geben. Wir sind voriges Jahr ja Ihnen gefolgt.
({1})
({2})
Wir wissen, das ist eine rein platonische Angelegenheit. Die Geschichte ist praktisch so: Wir müssen erst die Erzeuger auffordern, wenn sie ihre Waren nicht zu den Mindestpreisen anbringen, diese der Einfuhr- und Vorratsstelle in Frankfurt am Main zu schicken. Denn der Einzelerzeuger hat an sich nach dem Gesetz das Recht, wenn er seine Ware, Brotgetreide und Futtergetreide, im Markt zu entsprechendem Preis nicht unterbringt, diese Ware von sich aus der Einfuhr- und Vorratsstelle anzubieten. Die Einfuhr- und Vorratsstelle ist verpflichtet, diese Ware anzunehmen. Ich habe hier den in der Grundlage von Ihnen stammenden Antrag ergänzt durch die Worte „sowie Braugerste". Dabei gehen wir von dem Standpunkt aus, daß auch der Braugerstebauer ein Recht darauf hat, genau so behandelt zu werden wie die übrigen Getreidebauern. Denn die Braugerste hat die folgenden Kennzeichen: Sie ist in einigen Wirtschaftsgebieten besonders zu Hause wie in Niederbayern, Unterfranken, Mittelfranken und besonders in der Rheinpfalz, im Juragebiet, in den Mittelgebirgslagen, in der Eifel, in Hessen und in den norddeutschen Küstengebieten. Es ist Ihnen j a insbesondere bekannt, daß in Süddeutschland das geschlossenste Gebiet liegt und daß dieser süddeutsche Braugersteanbau bäuerlichen Charakter trägt. Es sind meistens klein- und mittelbäuerliche Betriebe, die hier bei schwierigen Bodenverhältnissen den Braugersteanbau betreiben und die Qualitätsbraugerste anbauen, so daß es unsere Aufgabe ist, ihnen zu helfen. Ich hoffe, Herr Kollege Kriedemann, daß die Ergänzung des Gesetzes nicht auf Ihren Widerspruch stößt, so daß wir hier die Lücke schließen können.
Dann der letzte Antrag. Er ist ein vorsorglicher Antrag, der nur deswegen gestellt ist, damit, wenn die Gesetze nicht rechtzeitig verabschiedet werden sollten, die Regierung beauftragt wird, die Liberalisierung von Braumalz weiter so lange auszusetzen, bis die Gesetze in Kraft getreten sind. Ich hoffe, daß das nicht notwendig ist. Der zweite Teil des Antrags fordert die Regierung auf, zur Zeit keine Braugerste hereinzulassen, so daß also der Einfuhrstopp für ausländische Braugerste aufrechterhalten wird.
Das ist das Bukett der Anträge. Es sieht etwas schlimmer aus, als es ist, denn es wird sich leicht zu einer einheitlichen Sache vereinigen lassen. Ich hoffe und wünsche nur, daß es vor Weihnachten rechtzeitig gelingt, diese für unser Bauerntum immerhin wichtige Angelegenheit zu entscheiden.
({3})
Alle Gesetze und Anträge sind begründet. Zur Ausprache in der ersten Beratung wünscht das Wort Herr Abgeordneter Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei den Anträgen zu Punkt 8 im wesentlichen um eindeutige Konsequenzen aus der Marktordnung für Getreide, und es ist höchst bedauerlich, daß trotz der doch recht klaren Vorschriften - und obwohl durch unseren Antrag und die schließlich dafür gefundene liebenswürdige Unterstützung von der rechten Seite des Hauses diese Klarheit noch wesentlich klarer geworden ist - solche Dinge überhaupt auftreten konnten, wie wir sie hier eben gehört haben und wie wir sie auch alle kennen. Wenn es nicht möglich ist, diese Konsequenzen gleich hier in erster, zweiter und dritter Lesung zu ziehen, dann ganz einfach deshalb, weil ein paar technische Fragen zu besprechen sind - das können wir nicht hier, das können wir nur im Ausschuß - und weil es außerdem - auch das muß ebenso offen gesagt werden - aus der beabsichtigten Regelung einige negative Folgen für gewisse Verarbeitungsbetriebe gibt, mit denen man sich auseinandersetzen muß, ehe man so etwas in Bausch und Bogen mit dem Appell an die anderen beschließt, sie möchten doch vernünftig sein. Herr Kollege Horlacher, ich brauche meinem Herzen wirklich gar keinen Stoß zu geben. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Braugerste in die Reihe der Erzeugnisse gehört, deren Position bei der Einfuhr- und Vorratsstelle wir seinerzeit durch unseren Antrag hier verbessert haben.
Ich sage noch einmal, im wesentlichen handelt es sich um einfache Konsequenzen aus dem Bekenntnis zur Marktordnung auf dem Gebiet des Getreides. Ich möchte nur nicht hören, daß man sagt, man brauche hier oder da nicht so kleinlich zu sein, einmal ein paar Millionen für Geschäfte der Einfuhr- und Vorratsstellen auszugeben, weil die Einfuhr- und Vorratsstellen oder der Bundesfinanzminister auch soundso viele Millionen eingenommen haben. Diese Einnahmen sind doch ein recht schmerzliches Beiwerk zur Marktordnung; denn um diese Beträge ist doch hier und da die Lebenshaltung eigentlich über das hinaus verteuert worden, was an sich notwendig gewesen wäre. Ich weiß, daß wir um die Abschöpfung nicht herumkommen; denn wir wollen alle stabile Getreidepreise, und wir wollen unsere Getreidepreise vom Weltmarkt unabhängig machen. Aber die dadurch entstehenden Einnahmen sind eben eine ganz besondere und keine sehr erfreuliche Sorte von Einkünften. Ihr Vorhandensein sollte nicht dazu verführen, zu sagen: Dann können wir dieses Geld ja mal etwas großzügiger ausgeben.
In der Sache, glaube ich, besteht zwischen uns gar keine Meinungsverschiedenheit. Der Ernährungsausschuß hat sich in weiser Voraussicht der heute hier zu fassenden Beschlüsse über die Überweisung schon für heute verabredet. Wir sind alle der Meinung, daß wir nur ein paar technische Unklarheiten in Ordnung bringen müssen, um die Angelegenheit dem nächsten Plenum verabschiedungsreif vorlegen zu könenen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung der ersten Beratung.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 90, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP Drucksache 50 und den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Horlacher, Raestrup und Genossen Drucksache 58 federführend dem Ausschuß für Außenhandelsfragen und zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen Drucksache 60 schlage ich Ihnen vor dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen und den Antrag der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen Drucksache 75 dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend
({0})
- und zur Mitberatung dem Ausschuß für Außenhandelsfragen. Sind Sie mit dieser Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Entwurfs einer Zweiten Verordnung über Zolltarifänderungen aus Anlaß der Errichtung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf Begründung und Aussprache zu verzichten. Ich schlage Ihnen vor, den Entwurf der Verordnung dem Ausschuß für Außenhandelsfragen - federführend - und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder ({2}).
Zur Begründung der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich insofern kurz fassen, als ich auf die ausführliche Begründung des Gesetzentwurfs Bezug nehme. Der Gesetzentwurf selbst stammt noch aus der letzten Session des Deutschen Bundestages. Er hat den Bundesrat passiert, allerdings ohne vorerst die Genehmigung des Bundesrates zu finden. Er ist jetzt wiederaufgenommen worden, um eine grundsätzliche Frage zu entscheiden.
In den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen ist vorgesehen, daß den Ländern, denen heute die Finanzverwaltung noch in vollem Umfange zusteht, für die Bundessteuern, die sie verwalten, eine Entschädigung gegeben wird, die natürlich nach dem Arbeitsaufwand und den Kosten, die den Ländern aus diesem Arbeitsaufwand anfallen, berechnet sein sollen.
({0})
Als äußerer Berechnungsmaßstab sind aber seinerzeit Prozentsätze aus dem Aufkommen genommen worden, und zwar schwankend zwischen 2 % bei der Umsatzsteuer und 4 % bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer einerseits und der Biersteuer andererseits, wo der Bund von den Ländern eine Entschädigung für die Verwaltung der Biersteuer erhält.
Nun ändern sich die Verhältnisse. Wir haben im Jahre 1951 an die Länder einschließlich Berlins 236,1 Millionen DM, im Jahre 1952 bereits 362 Millionen DM bezahlt. Im Jahre 1953 hätten wir 415 Millionen DM, im Rechnungsjahr 1954 sogar 464 Millionen DM zu bezahlen. Es ist unmöglich, zu behaupten, daß die Arbeitsbelastung und damit die Kosten für den Arbeitsaufwand seit dem Jahre 1951 mit seinen 236,1 Millionen DM bis zum Jahre 1954 mit seinen 464 Millionen DM auf das Doppelte gestiegen seien. Das liegt am Berechnungsmaßstab, der von der Höhe des Aufkommens an Steuern ausgeht. Wenn nun der Bund den Steuersatz erhöht, wie es bei der Umsatzsteuer der Fall gewesen ist, erhalten die Länder eine bedeutend höhere Entschädigung für die Verwaltung der Umsatzsteuer, ohne daß irgendeine Mehrarbeit entstanden ist, ohne daß ein Beamter mehr deswegen hat angestellt werden müssen. Ebenso ist es natürlich bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Dieser Zustand erscheint nicht gerecht und nicht billig.
Es kommt zweitens hinzu, daß auch das Verhältnis unter den Ländern nicht gerecht und billig ist; denn wenn man nach der Steuerkraft geht, erhalten immer die finanzstarken Länder den Vorzug, und die finanzschwachen Länder geraten ins Hintertreffen.
Ich darf einmal bekanntgeben, welches heute die Hundertsätze sind, die die Länder auf Grund dieser Art der Entschädigung für ihre gesamte Finanzverwaltung erhalten. Im Jahre 1952 ist es so gewesen, daß der Bund die Länder im Durchschnitt mit 63,34 % ihrer gesamten Kosten für die Finanzverwaltung entschädigt hat. Man kann im besten Fall annehmen, daß ein Drittel des gesamten Aufwandes für die Verwaltung der Bundessteuern anfällt. Das Personal für die Umsatzsteuer ist - das weiß jeder, der schon ein Finanzamtsgebäude betreten hat - zahlenmäßig das geringste im Verhältnis zu allen Steuerarten. Die Einkommen- und Körperschaftsteuer muß, auch wenn der Bund heute mit 38 % daran beteiligt ist, von den Ländern wegen ihres Anteils von 62 % unter allen Umständen voll verwaltet werden. Der Bundesanteil verursacht keine Kosten; er erfordert nur einen Rechnungsinspektor, der in der Lage ist, von der Aufkommenssumme 38 % zu berechnen und an die betreffende Bundeskasse abzuliefern. Infolgedessen entspricht dieser Maßstab von Anfang an zweifellos nicht voll dem Sinn der Entschädigung.
Das Verhältnis hat sich aber infolge des höheren Steueraufkommens noch verschoben. Im Jahre 1954 hätte der Bund im Durchschnitt 70 % als Entschädigung an die Länder zu zahlen. Bei den finanzstarken Ländern, zu denen z. B. Nordrhein-Westfalen gehört, zahlt der Bund noch mehr für die gesamten Finanzverwaltungskosten des Landes, z. B. bei Nordrhein-Westfalen 97 %,
({1})
so daß dieses Land nur 3 % der gesamten Finanzverwaltungskosten trägt, die es aufwendet, um die Bundes- und Landessteuern einzunehmen. Deswegen haben wir bereits im Vorjahr vorgeschlagen, hier eine Höchstgrenze anzusetzen, die optimal zugunsten der Länder in der Form berechnet wird, daß man annimmt, der wirkliche Arbeitsaufwand und die wirklichen Arbeitskosten betrügen im Höchstfall ein Drittel des gesamten Arbeitsaufwandes und der gesamten Kosten der Finanzverwaltung. Im Jahre 1954 wird in Anbetracht der gestiegenen Beamtengehälter und Angestelltenbezüge für die gesamte Finanzverwaltung des Bundesgebiets einschließlich der Versorgung der früher tätigen Beamten ein Aufwand von insgesamt 660 Millionen DM zu berechnen sein. Es würden sich dann im Jahre 1954 Einsparungen des Bundes im Betrage von 243 Millionen DM ergeben, die sich dadurch wieder etwas ermäßigen, daß auch die Länder an den Bund für die Verwaltung der Biersteuer etc. ebenfalls bestimmte, begrenzte Beträge zu entrichten haben. - Das ist also die gesamte Situation.
Nun eine grundsätzliche Bemerkung. Die Länder legen Wert darauf, daß die Finanzverwaltung in
({2})
ihren Händen bleibt. Dem Recht entspricht auch immer eine Verpflichtung. Es ist Grundsatz des Grundgesetzes, daß derjenige, der die Verwaltung für sich beansprucht, auch wenn er die Verwaltung in Ausführung von Bundesgesetzen durchführt, die Kosten dieser Verwaltung trägt. Von diesem Grundsatz geht das Grundgesetz aus, und er wird auch, wenn wir zu der neuen Finanzreform kommen, durchgeführt werden müssen. Denn Art. 107 des Grundgesetzes sieht ausdrücklich vor, daß die Verwaltung der Steuerquellen und Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern nach Maßgabe der Zuständigkeiten und Aufgabengebiete, die der Bund einerseits und die Länder andererseits haben, geteilt werden soll. Dazu gehört auch der Gedanke, daß ich, wenn ich eine Finanzverwaltung für mich beanspruche, grundsätzlich die Kosten dieser Finanzverwaltung zu tragen habe. Die kommende Finanzreform, die auf Grund des Art. 107 des Grundgesetzes erfolgen wird, strebt deswegen als Ziel an, daß sich Bund und Länder dahin einigen, eine gegenseitige Entschädigung für die Steuerverwaltung künftig überhaupt in Wegfall kommen zu lassen, solange das System der Länderfinanzverwaltung besteht, und ich weiß, daß die Länder einhellig ohne Unterschied der jeweiligen Regierung
({3})
derzeit den größten Wert darauf legen, daß dieses System bestehen bleibt.
({4})
Dann ist eine klare Lage geschaffen. Es kann aber nicht der Zeitpunkt abgewartet werden, bis Finanzreform und Steuerreform im Jahre 1955 - das eine hoffentlich am 1. Januar, das andere am 1. April - in Kraft treten können. In der Zwischenzeit muß eine Regelung gefunden werden, schon mit Rücksicht darauf, daß der Bundeshaushalt nicht in der Lage sein wird, auch im nächsten Haushaltsjahr den Ländern bis zu 97°/o ihrer Verwaltungskosten zu ersetzen.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat nichts davon gesagt, daß ihm oder der Bundesregierung verfassungsrechtliche Bedenken bei der Einbringung dieses Gesetzes in den zweiten Bundestag gekommen sind. Dieser Gesetzentwurf ist dem Bundesrat Juni/Juli zugeleitet worden, am 7. Juli im Bundesrat abgelehnt worden und wird nun mit einer nicht datierten Stellungnahme der Bundesregierung zur Ablehnung des Bundesrats mit Datum vom 30. Oktober vom zweiten Kabinett Adenauer dem zweiten Deutschen Bundestag zugeleitet. Mir scheint, es bedürfte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung, ob dieses Verfahren zulässig ist.
Hochinteressant waren die Darlegungen von Herrn Minister Schäffer - von denen man bisher nur ganz gerüchtweise erfahren hatte -, daß er ,die Absicht hat, bei ,dem Ausführungsgesetz nach Art. 107 des Grundgesetzes oder vielleicht auch bei der Beratung des Haushalts dahin zu drängen, daß den Ländern überhaupt keine Steuerverwaltungskosten mehr erstattet werden. Die Durchführung dieses Grundsatzes, den Herr Minister Schäffer soeben hier verkündet hat, geht einseitig zu Lasten der Länder; denn der Bund verwaltet als einzige Landessteuer die Biersteuer, wofür also die Länder ihren Beitrag von 2 % des Biersteueraufkommens zahlen müssen. Das betrifft praktisch nur Bayern, das den großen Vorteil von dieser merkwürdigen grundgesetzlichen Regelung hat. Im übrigen ist es erstaunlich, daß über die Frage der Kosten und Kostenerstattungen im ersten Bundestag nicht gesprochen worden ist, mit einer Ausnahme: bei der Beratung des Zweiten Überleitungsgesetzes habe ich als Berichterstatter darauf hingewiesen, daß sich der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen dem Wunsche des Bundesrats, 4 % des Aufkommens der Umsatzsteuer an die Länder zu erstatten, nicht anschließen könne. Wir haben Herrn Minister Schäffer vollkommen zugestimmt, daß es eine Unmöglichkeit ist - zumal wir damals die Umsatzsteuer von 3 auf 4 % erhöht hatten -, einen so festen Prozentsatz einer solchen Steuer an den Steuerverwaltungsträger abzuführen. Popitz hat einmal darauf hingewiesen, daß die Umsatzsteuer die allerbilligste Verwaltung erfordere und unter diesem Gesichtspunkt geradezu erfunden werden müßte, wenn sie nicht schon bestände.
Es ist also der Bundesregierung und dem Herrn Bundesfinanzminister zuzugeben, daß die gegenwärtige Regelung nicht glücklich ist. Nach der gegenwärtigen Regelung bekommen Länder mit vielen Großunternehmungen und hohen Umsatzsteueraufkommen und hohen Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommen auch sehr hohe Verwaltungskostenbeiträge, während arme Länder mit kleinen und mittleren Industrien und kleinem Steueraufkommen, deren Verwaltung relativ mehr kostet als die der Länder mit hohen Beträgen, am schlechtesten dastehen.
Nach .der Aufstellung der Bundesregierung, die sie dem Entwurf beigegeben hat. hat der Bund 77,4 % der gesamten Steuerverwaltungskosten der Länder an die Länder erstattet. Dabei ist die Streuung interessant; denn es zeigt sich nach dieser Tabelle, daß Nordrhein-Westfalen die Aufwendungen für seinen gesamten Steuerverwaltungsapparat vergütet bekommt - sogar noch etwas mehr -, daß aber das ärmste Land Schleswig-Holstein nur fast 60 %o erstattet bekommt.
Die Länder haben die Richtigkeit dieser Aufstellung bezweifelt. Wenn man die Länderaufstellung zugrunde legt, ergibt sich, daß Nordrhein-Westfalen ohne Bauausgaben immer noch 87,5 % seiner gesamten Steuerverwaltungskosten erstattet bekommt, Schleswig-Holstein aber nur 45,6 %. Zieht man ,die Verwaltungskosten für die Bauausgaben hinein, so ergeben sich bei Nordrhein-Westfalen 79 %, bei Schleswig-Holstein 45,8 %, also nur 2/10 % mehr. Wenn man einen Blick auf diese Tabelle wirft und die Bauausgaben vergleicht, so sieht man. daß die Kosten der Bauverwaltung bei Nordrhein-Westfalen über 15 Millionen DM betragen, bei allen übrigen Ländern liegen sie zwischen 1 und 2 Millionen DM. Bei Schleswig-Holstein betragen sie sogar nur 111 000 DM.
Dieses Gesetz, das materiell ein finanzverwaltungsrechtliches Gesetz ist, ist in Wirklichkeit von eminent finanzpolitischer Bedeutung. Das System
({0})
ist nicht in Ordnung, weil es den steuerstärksten Ländern mit relativ geringstem Verwaltungsaufwand den höchsten Ersatz für Verwaltungskosten leistet. Im Prinzip, glaube ich, sollte man sagen, daß der Bund die Steuerverwaltungskosten den Ländern etwa in der bisherigen Höhe erstatten sollte, daß aber die Verteilung gründlich revidiert werden muß.
Die Bundesregierung will nach der Gesetzesvorlage ein Drittel der den Ländern tatsächlich entstehenden Steuerverwaltungskosten erstatten. Dieses Drittel ist zwar nicht ganz willkürlich gegriffen, aber es ist auch nicht fundiert hingestellt. Es bedarf jedenfalls genauer Untersuchungen. Bei der Erörterung dieses Problems in den Drucksachen ist auffällig, daß die Bundesregierung irgendeine Behauptung aufstellt, die beweisbar ist, aber nicht bewiesen wird, daß die Länder dagegen behaupten, es sei so oder so, was sie auch nicht beweisen, während es sich doch um Dinge handelt, in die man mit gutem Willen wirklich völlige Klarheit hineinbekommen kann.
Einen Gedanken möchte ich hier noch kurz vortragen. Wenn man das Verhältnis des Bundesanteils am Gesamtsteueraufkommen in einem Lande betrachtet, sieht man, daß im Durchschnitt etwa 60 bis 62 % des G es amtsteuer out kommens in jedem Lande dem Bunde zufließen. Schleswig-Holstein, das ärmste Land, macht wieder eine interessante Ausnahme, es liefert nämlich über 65 % des Gesamtsteueraufkommens an die Bundeshauptkasse ab. Man wird zu überlegen haben, ob die Steuerverwaltungskosten in dem gleichen Verhältnis den Ländern erstattet werden sollen, wie sich ,das Aufkommen von Bundessteuern zu dem von Landessteuern ein- schließlich des Bundesanteils der Einkommen- und Körperschaftsteuer tatsächlich verhält. Der Bundesminister der Finanzen sagt - ohne Begründung -,,das sei kein richtiger Maßstab. Er sagt weiter, wenn man einen höheren Prozentsatz der Einkommen- und Körperschaftsteuer abschöpfe, also jetzt etwa von 38 auf 42 % gehe, so entstünden dadurch den Ländern keine Mehrkosten. Das ist im Prinzip auch wieder richtig. Aber ich halte es doch für unbillig, daß sich der Bund nur am Ertrag der Steuern, nicht aber 'entsprechend auch ,an den Steuerverwaltungskosten beteiligen will. Es ist ganz offensichtlich, daß der Bundesfinanzminister mit der Regelung, die er ,dem Hause vorgelegt hat, eine Haushaltsverbesserung des Bundes erreichen will, welche zu Lasten der Länder geht. Das geht auch aus seiner 'grundsätzlichen Bemerkung hervor, wie er die Verwaltungskosten in Zukunft nach dem Gesetz nach Art. 107 geregelt haben möchte.
Es 'ist ein schwacher Trost für die 'armen Länder, wenn ihnen gesagt wird: Ihr müßt gewisse Verschlechterungen im ordentlichen Haushalt hinnehmen; dafür werde ich euch im ,außerordentlichen Haushalt besondere Zuwendungen machen, etwa für eure Schäden in den Zonengrenzgebieten. Das ist, glaube ich, eine finanzpolitische Maßnahme, der man nicht zustimmen kann.
Wir kommen eben bei dieser Sache klar und deutlich wieder darauf, daß ,der Föderalismus so, wie er sich in der Bundesrepublik ausgeprägt hat, nicht in Ordnung ist. Ich habe im Prinzip gar nichts gegen einen föderalistisch gegliederten Staat, nur müssen dann die einzelnen Glieder auch wohl gegeneinander ausgewogen sein. Das braucht nicht die Nivellierung zu sein, die Herr Minister Schäffer bei einer früheren Gelegenheit hier einmal so gründlich abgelehnt hat. Aber es geht nicht, daß die Länder derartig verschieden ausgestattet sind und daß man durch den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf Reformen nur zu Lasten der Länder durchführen will. Man kann sich vielmehr nur überlegen, wie die Steuerverwaltungskosten gerecht verteilt werden können. Noch besser, man überlegt sich, wie man unseren Föderalismus - man sieht ja an den Materialien zu diesem Gesetz wieder ganz deutlich, daß unser Föderalismus nicht in Ordnung ist - zweckmäßigerweise in Ordnung bringt.
({1})
Wenn man diesen Föderalismus wegen des Egoismus der sogenannten reichen Länder und wegen der unausbleiblichen Begehrlichkeit der armen Länder nicht in Ordnung bringen kann, dann bleibt gar nichts anderes übrig, als auch hier wieder den Schluß zu ziehen, daß uns nur die einheitliche Bundesfinanzverwaltung aus diesem Dilemma befreien kann.
({2})
Das ist die einzige Möglichkeit, zu der auch der Föderalist Schäffer sich nun endlich einmal bekennen sollte.
({3})
Daß hier der Bundesfinanzminister in einem heftigen inneren Widerspruch zu dem Abgeordneten des bayrischen Wahlkreises Passau steht, weiß ich. Aber, du lieber Gott, wir können doch diesen Widerspruch nicht auch die ganzen Jahre im zweiten Bundestag ertragen, sondern es ist nun an dler Zeit, daß der Bundesfinanzminister den Abgeordneten des Wahlkreises Passau endlich mal zur Ordnung ruft
({4})
und das tut, was sein bundesministerialer Verstand ihm ja schon längst eingegeben hat. Außerdem ist es doch so, daß die gesamte Finanzbeamtenschaft des Bundes und der Länder, sogar einschließlich des Münchner Oberfinanzpräsidenten,
({5})
diese bundeseinheitliche Finanzverwaltung aus Gründen der Ratio wünscht.
({6})
Die einheitliche Bundesfinanzverwaltung kann auf die Dauer gar nicht verhindert werden, sie kann nur vorübergehend zurückgehalten werden. Eines Tages kommt sie doch, Herr Kollege Schäffer, und dann sind Sie der besiegte Mann. Sie werden wahrscheinlich trotz der jetzigen Mehrheitsverhältnisse noch in diesem zweiten Bundestag besiegt werden. Ich habe ein sicheres Gefühl dafür,
({7})
daß .die Sache so nicht mehr lange weitergeht.
Noch ein letztes Wort. Die Bundesregierung ist der Meinung, dieses Gesetz bedürfe nicht 'der Zustimmung des Bundesrates; der Herr Vertreter des Bundesfinanzministers hat 'das in der Sitzung des Bundesrates vom 7. Juli auch zum Ausdruck gebracht. Ich will auf die formale Begründung, die Herr Staatssekretär Hartmann dort gegeben hat, jetzt nicht eingehen. Aber mir scheint es doch völlig klar zu sein, daß ein Gesetz, welches so tief in die Finanzverwaltung der Länder eingreift, welches die Finanzverwaltungsrechte der Länder beschneidet, welches den Haushalt der Länder so entschei({8})
dend tangiert, auch der Zustimmung der Länder durch den Bundesrat bedarf.
Im übrigen ist dieses Gesetz noch voller Tücken, und das neue Inanspruchnahmegesetz, welches dem Bundesrat vor kurzem zugeleitet worden ist, ist geradezu ein Meisterwerk finanzpolitischer Akrobatik und Artistik. Wir werden uns im Ausschuß für Finanzen und Steuern sehr eingehend damit befassen müssen. Ich beantrage Überweisung der Drucksache 42 an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen.
({9})
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Zwischenrufer sofort sagen: Es kommt nicht der Abgeordnete von Passau, sondern es kommt zunächst einmal Herr Schäffer!
({0})
Und Herr Schäffer hat keine Bewußtseinsspaltung!
({1})
Er ist in seinem Inneren vollkommen harmonisch, ob er nun als Bundesfinanzminister oder als Abgeordneter des Bundeswahlkreises Passau denkt!
Herr Kollege Gülich hat sich hauptsächlich mit verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigt. Aber dabei hatte ich - ich bitte, es ja nicht übelzunehmen - eben das Bewußtsein einer Bewußtseinsspaltung auf der anderen Seite.
({2})
Denn erstens sprach er davon, daß wir formal die Verfassung zu achten haben und deswegen uns überlegen müssen, ob dieser Gesetzentwurf, ohne daß er neuerdings den Weg des Art. 76, also über den Bundesrat, gegangen ist, hier überhaupt vorgelegt werden darf, - - peinliche Hochachtung vor dem Buchstaben der Verfassung! Als er aber im zweiten Teil dann über sein Lieblingskind, die Bundesfinanzverwaltung, sprach, bedeutete die Verfassung nichts.
({3})
- Nein,- Moment, darf ich mich berichtigen: Hier wird die Frage nicht aufgeworfen, so will ich sagen, ob das Ziel überhaupt bei den heute gegebenen politischen Umständen auf einem verfassungsmäßigen Wege erreicht werden kann bzw. ob das Ziel in den nächsten vier Jahren, wenigstens solange der Herr Finanzminister Zietsch und andere Finanzminister in den Ländern amtieren, überhaupt erreichbar ist. Sie haben doch gelesen, daß gerade der Herr Finanzminister Zietsch nunmehr in Bayern der neueste Rufer im Streit gegen eine Bundesfinanzverwaltung geworden ist, und deshalb darf angenommen werden, daß die Länderregierungen, auch soweit sie der Couleur des Herrn Kollegen Zietsch nahestehen, im Bundesrat ganz bestimmt die Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung nicht zur Verfügung stellen.
Wenn ich das aber weiß, Herr Kollege Gülich, dann ist alles Gerede über eine „verfassungsmäßige" Änderung dieser grundgesetzlichen Bestimmungen reine Theorie. Denn ich weiß genau: Wenn der Bundesrat nicht mit Zweidrittelmehrheit zustimmt - nach seiner jetzigen Stellungnahme ist bestimmt anzunehmen, daß er sich ungeachtet der jeweiligen Länderregierungen mit 100 % seiner Stimmen dagegen äußern wird -, dann ist der verfassungsmäßige Weg eben nicht gegeben, und dann haben wir im Bundestag nach meiner Überzeugung - und der Bundesfinanzminister und der Abgeordnete des Bundeswahlkreises Passau haben hier völlig die gleiche Überzeugung - gar keine Gelegenheit und keine Möglichkeit, uns mit dem Thema ernsthaft zu beschäftigen.
({4})
Dann handelt es sich aber um ganz etwas anderes, nämlich darum, aus der gegebenen verfassungsmäßigen Situation das Bestmögliche zu machen. Kein Gesetz - ich habe es schon oft gesagt - ist so in sich unausgeglichen und unvollkommen, daß es nicht vernünftigen Menschen möglich wäre, etwas Vernünftiges aus dem Gesetz zu machen. Das ist der Sinn.
Ich darf jetzt zu der ersten formatrechtlichen Frage übergehen. Durch die Neuwahl des Bundestages ist eine Diskontinuität in der Arbeit des Bundestages eingetreten. Deswegen ist in der Geschäftsordnung des Bundestages auch bestimmt, daß nicht erledigte Vorlagen mit dem Wahltag als unerledigt überhaupt wegfallen. Ich bitte aber daran zu denken, daß der Bundesrat nicht in dieser Situation ist, sondern daß er ungeachtet der Neuwahl des Bundestages seine Befugnisse völlig weiterführt. Infolgedessen ist die Diskontinuität beim Bundesrat nicht vorhanden.
Der Zustand war also folgender: Dieser Gesetzentwurf ist dem Bundesrat am Schluß der letzten Session vorgelegt worden; der Bundesrat hat dazu Stellung genommen. Nach der Verfassung hat nun die Bundesregierung wieder zu der Stellungnahme des Bundesrats sich ihrerseits zu äußern. Das hat sie getan, und sie tut das in der Form, daß sie jetzt dem Bundestag den Gesetzentwurf unterbreitet. Ich habe nach der Wahl mit demselben Bundesrat zu tun, mit dem ich vor der Wahl zu tun hatte, und die Stellungnahme desselben Bundesrats liegt vor. Die Voraussetzung des Art. 76 ist daher gegeben.
({5})
- Die neue Bundesregierung hat dazu Stellung genommen und damit die Stellung der alten Bundesregierung mit übernommen. Verfassungsrechtliche
Bedenken kann ich also wirklich nicht sehen. Das
wäre ein Bemühen, eine einfache Angelegenheit
möglichst kompliziert und umständlich zu machen.
({6})
Ich glaube, auch die Verfassungsauslegung muß danach gehen: Was ist praktisch, was ist zweckmäßig, und was entspricht dem Sinn des Gesetzes?
Nun zu der zweiten Frage: Warum schlägt die Bundesregierung diesen Weg vor? - Was ergibt sich aus der verfassungsmäßigen Lage, daß wir heute eine Länderfinanzverwaltung haben und mit dieser Länderfinanzverwaltung, weil die Länder in diesem Ziel einig sind - das ist auch in den letzten Wochen im Bundesrat sehr deutlich ausgesprochen worden -, weiter zu rechnen haben? Warum schlägt die Bundesregierung diesen Weg vor? Herr Kollege Gülich, gerade aus dem Gesichtspunkt, den Sie so stark hervorgehoben haben, daß es Aufgabe der Finanzpolitik des Bundes sein muß, bei jeder finanzpolitischen Gesetzgebung an den inneren Ausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Län({7})
dern zu denken. Wenn ich die Geschichte der finanzpolitischen Artikel im Grundgesetz durchgehe, so ist ganz klar ersichtlich - auch aus dem Wortlaut der Artikel, wie sie geplant gewesen sind -, daß der Gesetzgeber des Grundgesetzes wollte, daß, wie es dort wörtlich heißt, die Finanzpolitik des Bundes einen „Ausgleich unter den Ländern" je nach ihrer Finanzstärke und je nach ihrer sozialen Belastung schafft. Deswegen hat die Finanzpolitik der Bundesregierung bei allen Gesetzgebungswerken - horizontalem Finanzausgleich, Überleitungsgesetz etc. - immer dies Ziel dieses Ausgleichs vor sich gehabt. Es ist richtig, Herr Kollege, daß wir seinerzeit, als wir das Überleitungsgesetz machten, auf Grund der damaligen Steuergesetzgebung zu der Überzeugung gekommen sind, es könnte der Schlüssel, der damals gewählt wurde je nach dem Aufkommen der Steuern die Entschädigung zu geben -, übernommen werden. Er mag damals den Verhältnissen entsprochen haben. Aber daß in der Zwischenzeit - ({8})
- Ja, ich sage ja nur, wir scheinen einig in dem einen Punkt. Aber daß in der Zwischenzeit die Verhältnisse sich stark geändert haben, daß inzwischen infolgedessen der Sinn des Gesetzgebungswerkes von damals - ich will damit nichts Verletzendes sagen - zu einem Widersinn geworden ist, das ist auch nicht zu bestreiten. Es ist jetzt praktisch keine Entschädigung mehr, sondern es ist eine Inkassoprämie geworden. Diese Inkassoprämie kommt in erster Linie den steuerstarken Ländern zugute und ist deswegen ein Unrecht gegenüber den steuerschwachen Ländern. Sie verschleiert auch den ganzen Sinn und Zweck des Art. 106 Abs. 3, nach dem die nicht gedeckten Ausgaben des Bundes durch einen Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer der Länder auszugleichen sind. Wenn ich einen Bundesanteil festsetze und gleichzeitig den Ländern, die die Steuern verwalten, eine Inkassoprämie gebe, dann ist das entweder eine stille Herabsetzung des Bundesanteils oder, wenn Sie wollen, eine Erhöhung der nicht gedeckten Ausgaben des Bundes, so daß ich mit der einen Hand das Gegenteil von dem tue, was die andere Hand eigentlich will. Infolgedessen ist hier eine Bereinigung erforderlich, von der ich hoffe, daß sie endgültig bei der Finanzreform erfolgt, von der ich aber weiß, daß ich sie nicht mehr verschieben kann.
Ich würde nicht empfehlen, um der finanzschwachen Länder willen etwa den Weg zu gehen - den man auch gehen kann -, daß man einfach die Prozentsätze, nach denen die Entschädigung gegeben wird, heruntersetzt. Ich käme finanziell zu ungefähr demselben Ziel, wenn ich sagte: der Entschädigungssatz beträgt nicht mehr 2 % der Umsatzsteuer, sondern 1 % der Umsatzsteuer, und für die Einkommen- und Körperschaftsteuer fällt der Satz von 4 % überhaupt weg, weil eine Mehrarbeit auf diesem Gebiet für die Länder nicht entsteht. Aber, Herr Kollege Gülich - ich bin gern bereit, Ihnen im Ausschuß die Berechnungen vorzulegen -, das würde den Nachteil haben, daß die finanzschwachen Länder dadurch ungünstiger behandelt werden als bei diesem Entwurf.
({9})
Ich habe diese Rechnungen durchgeführt. Im Ergebnis würden die finanzstarken Länder gegenüber den finanzschwachen Ländern einen Vorteil haben.
({10})
Eine grundsätzliche Frage ist das nicht. Aber, Herr Kollege Gülich, wenn wir beide in dem Bestreben einig sind, bei jeder Regelung an die finanzschwachen Länder zu denken und den für die finanzschwachen Länder günstigeren Weg zu gehen, ich glaube, dann werden wir uns, wenn die Berechnungszahlen vorliegen, über diese Frage im Ausschuß leicht einigen können. Denn die Berechnungszahlen würden ja dann Beweiskraft haben.
Ich hoffe also, daß dieser Gesetzentwurf, trotz der gegensätzlichen Wünsche, die zum Thema Bundesfinanzverwaltung in diesem Hause und besonders zwischen Bundesrat und Bundestag bestehen, in einer ernsten Arbeit und mit dem Ziel beraten wird, aus den gegebenen Tatsachen das Bestmögliche zu machen.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage hat zweifellos eine erhebliche finanzielle Bedeutung, und allein aus diesen Gründen gewinnt sie politisches Gewicht. Ich bin aber der Meinung, daß man trotzdem eine Reihe der hier bisher erörterten Probleme und Zusammenhänge ausschließen sollte. Man kann, wenn man den Ländern zugunsten des Bundes rund 300 Millionen DM wegnimmt, natürlich die Tendenz verfolgen, die Länder allgemein im Sinne einer Richtung auf die Bundesfinanzverwaltung finanzpolitisch zu schwächen, die ia, vom rein finanziellen Standpunkt her gesehen, sicherlich rationeller arbeiten würde als die Vielheit der Länderfinanzverwaltungen nebeneinander oder als das Gemisch, das wir gegenwärtig auf Grund des geltenden Finanzausgleichsrechts vor uns sehen.
Ich möchte auf diese Frage hier nicht weiter eingehen. Ich bin der Ansicht, daß man das eigentliche Thema dieses Gesetzes aus diesen Zusammenhängen herausschälen kann und daß es sich hier um ein Problem handelt, das sehr sauber und sachlich -im wesentlichen unter sachlichen und fachlichen Gesichtspunkten - gelöst werden kann. Letzten Endes handelt es sich doch um eine Kostenfrage, und diese Kostenfrage kann man im Verhältnis von Land und Bund durchaus entpolitisieren. Man braucht also auch nicht darauf hinzuweisen, daß dadurch die Grundsätze des Finanzausgleichs berührt würden oder daß man mit der Erledigung dieser Frage unbedingt warten müsse, bis zunächst einmal Vorarbeiten zu einem Finanzausgleich begonnen seien. Diese Vorarbeiten werden ungemein schwierig sein, und es ist ein sehr heißes Eisen, das wir da anfassen müssen.
Die Frage des Kostenersatzes bei der Verwaltung von Steuern ist uralt. Es ist eine Frage, die nur mittelbar ih den weiteren Rahmen des Finanzausgleichs hineingehört. Sie entsteht bei jeder Auftragsverwaltung. Früher hat man sich im allgemeinen, ohne weitere Überlegungen anzustellen, damit begnügt, an die Auftragsverwaltung einfach einen Prozentsatz der Steuern als Verwaltungskostenbeitrag zu überweisen. So hat man es beispielsweise früher im Verhältnis von Reich und Kirche getan. Dieser Grundsatz hat auch eine gewisse Berechtigung; denn erfahrungsgemäß halten sich die Verwaltungskosten der Steuerverwaltung im ganzen in einem bestimmten Verhältnis zum Aufkommen der Steuer.
Das Verhältnis von Verwaltungskosten und Steueraufkommen, das früher von der Finanzwirt({0})
schaft mit 3 bis 4 % angenommen worden ist, verschiebt sich natürlich erheblich, wenn eine ungleichmäßige Regelung für die verschiedenen Steuerarten Platz greift. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Umsatzsteuer dem Finanzamt eine weitaus geringere Arbeit macht als die Veranlagung der Einkommen- und der Körperschaftsteuer. Man kann sogar sagen, selbst wenn die Umsatzsteuer nicht da wäre, würde genau die gleiche oder fast die gleiche Verwaltungsarbeit für die Finanzbehörde entstehen; denn der Steuerbeamte braucht zur Feststellung des Einkommens von Körperschaften und natürlichen Personen auch die Summe der Roheinnahmen. Das ist doch die Grundlage der Umsatzsteuer, wie wir sie haben. Gerade diese Grundlage hat ja zu mannigfacher Kritik Anlaß gegeben. Erst kürzlich hat ein prominenter Steuerexperte wieder von einem kumulativen Allphasen-Sumpf der Umsatzsteuer gesprochen. Aber das können wir hier beiseite lassen.
Die Festsetzung eines Prozentsatzes, wie sie bisher erfolgt, von 4 % bei der Einkommensteuer und der Lastenausgleichsabgaben und von 2 % bei der Umsatzsteuer ist sehr primitiv. Man muß das schon etwas differenzieren. Hier bringt der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung technisch unzweifelhaft einen wesentlichen Fortschritt, indem er die tatsächlichen Verwaltungskosten der Länder, die sich ja im ganzen feststellen lassen, bei seinem Vorschlag berücksichtigt. Man muß allerdings zugeben, daß es nicht genügt, einfach pauschal irgendeinen Satz herauszugreifen und von den tatsächlichen Verwaltungskosten diesen oder jenen Prozentsatz zu nehmen. Diese Frage bedarf, glaube ich, einer eingehenden Prüfung. Man sollte versuchen, einmal genauer festzustellen - auch dafür gibt es Vorarbeiten -, wieviel Arbeit die Übernahme der Verwaltung der Umsatzsteuer bei den Finanzämtern macht - bei den Oberfinanzdirektionen ist es ja anders - und welche Mehrarbeit, trotz der Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers, durch die Erhebung von 38 % der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer für den Bund verursacht wird. Man müßte gerade diesen Punkt des Gesetzentwurfs noch einmal sehr sorgfältig prüfen. Dazu ist hier nicht der Platz, diese Frage gehört vielmehr zunächst einmal in den Ausschuß. Ich bin der Meinung, daß man sich unabhängig von all den angeschnittenen Fragen - Bundesfinanzverwaltung, Reform des Finanzausgleichs, Fragen, die zudem noch gar nicht zur Behandlung anstehen - auf diesen sachlichen Punkt beschränken sollte.
Ich empfehle, die Vorlage dem Finanzausschuß zur Beratung zu überweisen, bitte aber die Bundesregierung, von vornherein vielleicht genauere Grundlagen für die Behauptungen beizubringen, die sowohl von seiten des Bundesrates als auch von seiten der Bundesregierung im großen und ganzen unbewiesen aufgestellt werden. Das ist die Voraussetzung für eine sachliche Lösung der wichtigen Kostenersatzfrage.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Sachkenner ist schon lange bekannt gewesen, daß die Steuerverwaltungskosten der Länder zu einem übermäßig hohen Teil vom Bund getragen worden sind. Wenn man ferner bedenkt, daß dieser Kostenanteil des Bundes bei den finanzstarken Ländern um so höher - wie wir gehört haben, bis zu 97 % -- und bei den finanzschwachen Ländern um so niedriger war - dort liegt er etwa bei 30 % -, dann kann es keineswegs überraschen, daß die Bundesregierung den Wunsch hatte, ihren Kostenanteil auf das rechte Maß zurückzuführen. Der kleine Fehler, der bei der Berechnung der Bundesregierung unterlaufen ist, indem man die Versorgungslasten nicht mit einrechnete, ist ja inzwischen berichtigt worden. Die Versorgungsausgaben gehören selbstverständlich mit zu den Steuerverwaltungskosten.
Was nun die Höhe der Kosten, wie sie künftig
abgegrenzt werden sollen, anlangt, so sagt die Regierungsvorlage hier recht kühn und trocken: Den tatsächlichen Verhältnissen entspricht nur eine Beteiligung des Bundes mit einem Drittel der gesamten Steuerverwaltungskosten der Länder.
({0})
- Ganz richtig, Herr Kollege Gülich. Ob und inwieweit diese Behauptung zutrifft, kann wohl keiner sagen. Eine nähere Begründung dafür wird auch gar nicht gegeben. Richtig ist allerdings zweifellos, was der Herr Bundesfinanzminister sagte, daß die Umsatzsteuer, die Hauptbundessteuer, in der Erhebung relativ die geringsten Kosten verursacht. Wir glauben allerdings insoweit dem Bundesfinanzminister zustimmen zu sollen, daß wir den Grundsatz, den Kostenanteil nach den Kosten und nicht nach den anfallenden Steuern zu bemessen, akzeptieren.
Ich darf daher heute hier abschließend erklären, daß die Freie Demokratische Partei der Regierungsvorlage im Grundsätzlichen zustimmt. Die Einzelheiten wird man aber näherer Betrachtung im Ausschuß überlassen müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über dir Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder.
Es liegt ein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung der Entwürfe eines
Gesetzes betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vertretern der Gläubiger und Garantiemächte über die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für gewisse österreichische Auslandsanleihen,
Gesetzes betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Regelung der Forderungen der Französischen Republik an die Bundesrepublik Deutschland,
Gesetzes betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über die Regelung der Forderungen des Fürstentums Liechtenstein an die Bundesrepublik Deutschland ({0}).
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat soll sowohl auf eine Begründung wie auf eine Debatte
({1})
verzichtet werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die erste Beratung der aufgerufenen Gesetze und schlage Ihnen vor, die drei Entwürfe federführend an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und zur Mitberatung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.*)
Ich rufe weiter Punkt 12 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ({2}).
Herr Abgeordneter Atzenroth hat das Wort zur Begründung.
Dr. Atzenroth ({3}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Als wir im Juli dieses Jahres das Sozialgerichtsgesetz hier verabschiedet haben, sind wir alle der festen Überzeugung gewesen, daß wir damit einer dringenden Notwendigkeit entsprochen haben; denn Tausende von Einsprüchen gegen Rentenbescheide, von Regreßforderungen usw. harrten der Erledigung und beeinträchtigten die Rechte der betroffenen Kreise. Trotzdem hat sich die organisatorische Arbeit so lange hingezogen, daß die Gerichte erst im Januar ihre Arbeit aufnehmen können. Dabei hat sich eine Schwierigkeit ergeben, die mit Hilfe des Gesetzes nicht gelöst werden kann.
Bei der Benennung der Arbeitgeberbeisitzer für diese Sozialgerichte sind wir im Ausschuß von dem Grundgedanken ausgegangen, daß der echte Arbeitgeber dort tätig werden soll, und an diesem Grundsatz halten auch wir, die wir hier einen Antrag dazu stellen, nach wie vor fest. Wir betrachten ihn auch als eine Forderung, die so weit wie möglich erfüllt werden muß. Trotzdem ergeben sich an einzelnen Stellen Schwierigkeiten, dort nämlich, wo insbesondere eine große Zahl von Aktiengesellschaften in Frage kommt oder wo gar die Arbeitgeberkreise nur aus solchen Gesellschaften bestehen, wie im Kohlenbergbau. Dort ist es schwierig, so viele Arbeitgeber als Beisitzer zu finden, daß die Forderung erfüllt wird, die im Gesetz aufgestellt worden ist, daß nämlich nur die vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder als Arbeitgeber anerkannt werden. Von den Länderregierungen ist nun schon eine solch große Zahl von Arbeitgeberbeisitzern angefordert worden, daß dies zu Schwierigkeiten in der Benennung geführt hat. Um aus dieser Schwierigkeit herauszukommen, schlagen wir vor, gewissen Kreisen, die sich bei den Oberversicherungsämtern schon seit Jahren betätigt haben, die Möglichkeit zu geben, als Arbeitgeberbeisitzer zu fungieren. Das sind die Direktoren und die Prokuristen der einzelnen Gesellschaften. Es ist einfach unmöglich, genügend vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder zu finden, zumal sich ein Teil davon auf den § 18 dieses Gesetzes berufen kann, der ihnen das Recht gibt, die Annahme eines solchen Ehrenamtes unter gewissen Umständen abzulehnen.
Die jetzt von uns vorgeschlagene Formulierung des Arbeitgeberbegriffs entspricht dem Begriff, den wir bei dem Selbstverwaltungsgesetz hier erarbeitet haben. Wir legen nicht unbedingt Wert auf diese Formulierung und sind durchaus bereit, uns bei den Beratungen im Ausschuß eventuell über eine Modifizierung zu einigen. Wir wollen nur das große
*) Vgl. Seite 153 C Ziel herausstellen. Auf der einen Seite wollen wir an dem Grundsatz festhalten, daß der echte Arbeitgeber dort tätig werden soll; auf der anderen Seite wollen wir nicht nur aus dem Prinzip heraus die Unmöglichkeit verursachen, daß diese Gerichte im Januar in Tätigkeit treten. Aus diesem Grunde bitte ich Sie um Ihr Einverständnis, diesen Antrag an den Ausschuß für Sozialpolitik zu verweisen. Ich habe dann die große Bitte, daß die Arbeit in diesem Ausschuß sehr schnell durchgeführt wird, damit die Gerichte ihre Tätigkeit praktisch im Januar aufnehmen können.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion ist nicht in der Lage, dem von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes zuzustimmen, und zwar aus folgenden Gründen. Das Sozialgerichtsgesetz tritt erst mit dem 1. Januar nächsten Jahres in Kraft. Es ist nicht so, wie mein Herr Vorredner, Herr Dr. Atzenroth, hier zum Ausdruck brachte, daß dieses Gesetz etwa infolge Schwierigkeiten verwaltungsmäßiger Art erst mit dem 1. Januar nächsten Jahres wirksam wird, sondern wir haben es so beschlossen. Ich kann mir auch nicht denken, daß bei der Berufung der Arbeitgeberbeisitzer Schwierigkeiten eintreten. Wir waren, wie Herrn Kollegen Dr. Atzenroth bewußt sein wird, der Auffassung, daß nur die Arbeitgeber auf der einen Seite und nur die Arbeitnehmer auf der anderen Seite als Vertreter der beiden Gruppen dem Sozialgericht angehören sollten. Wir teilen diese Auffassung grundsätzlich auch heute noch.
Bei den Vorschlägen der Arbeitgeber des Ruhrgebiets hinsichtlich der Besetzung für die Knappschaften sind nun Schwierigkeiten eingetreten. Wir glauben, daß die uns zur Kenntnis gekommenen Zahlen noch einmal überprüft werden sollten. Wir meinen, daß für die Sozialgerichte, die sich mit Knappschaftsangelegenheiten zu befassen haben, eine Zahl von über 180 Sozialrichtern - sie wird genannt - von Arbeitgeberseite nicht nötig ist.
({0})
- Oder 200, wir wollen um dieses Dutzend nicht streiten, Herr Kollege Dr. Atzenroth.
Das Gesetz sieht vor, daß die Vorschlagslisten das Eineinhalbfache der in Betracht kommenden Zahl von Beisitzern der einen Gruppe enthalten sollen. Es handelt sich also um eine Soll-Bestimmung. Wenn Schwierigkeiten eintreten, wird diese Soll-Bestimmung von der dazu berufenen Stelle nicht dahin mißbraucht werden, Arbeitgeberbeisitzer überhaupt nicht zum Zuge kommen zu lassen.
Ich bin auch der Auffassung, daß eine Eilbedürftigkeit für die Behandlung Ihres Entwurfs, Herr Kollege Dr. Atzenroth, nicht vorliegt. Bei den Kammern für Knappschaftsangelegenheiten werden am 1. Januar so viele Beisitzer auch von Arbeitgeberseite zur Verfügung stehen, daß die Rechtsprechung der ersten Instanz, also der Sozialgerichte, nicht irgendwie gefährdet ist. Wir sollten doch erst einmal abwarten, ob wirklich Schwierigkeiten entstehen, und sollten uns dann überlegen, was notwendig ist.
Ich möchte Sie aber noch auf etwas anderes aufmerksam machen. In § 12 des Sozialgerichtsgesetzes ist nicht nur die Zusammensetzung und die
({1})
Berufung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeisitzer für die Kammern der Sozialversicherung geregelt, sondern hier finden Sie auch eine Regelung für die Kammern in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung. Sie werden feststellen, daß nach Abs. 4 des § 12 Vorschläge für die Beisitzer einerseits von den Kriegsopferverbänden gemacht werden und andererseits Beisitzer aus den Versorgungsbehörden der Kriegsopfer genommen werden. Wenn die Schwierigkeiten bei den Arbeitgebern - vielleicht bedingt durch deren Willen oder aus einem anderen Grund, ich möchte hier nicht näher darauf eingehen - wirklich vorhanden sein sollten, dann sollten wir ernstlich überlegen, ob man nicht an Stelle der Arbeitgeberbeisitzer, die in der Sozialversicherung nicht so unmittelbare Interessen wie im Arbeitsrecht, also in den Arbeitsgerichten, haben, Vertreter der Sozialversicherungsträger, also der Krankenkassen, der Rentenversicherung der Angestellten und der Arbeiter, der Berufsgenossenschaften und der Knappschaften, setzen sollte. Ich glaube, verehrter Herr Kollege Dr. Atzenroth. daß dann all die Schwierigkeiten überwunden und daß dann die unmittelbar Beteiligten, einerseits die Vertreter der Träger, bei denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Selbstverwaltungsorganen mitwirken, und andererseits die Versicherten durch Vertreter berücksichtigt wären.
Meine Fraktion ist deshalb nicht in der Lage, dem Antrag der FDP zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch die Fraktion des GB/BHE hat sich mit dem Antrag der FDP beschäftigt. Wir sehen uns nicht in der Lage, den Antrag zu unterstützen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Prinzip des echten Betriebsführers und des echten Arbeitgebers nicht verletzt werden kann und auch nicht ausgeweitet werden darf. Wir meinen also, daß jene Persönlichkeiten, die das echte Betriebsrisiko und das echte Verantwortungsgefühl haben, auch in der Sozialgerichtsbarkeit mitzuwirken haben.
Ich glaube auch, daß es Schwarzmalerei ist, wenn man die Schwierigkeiten in dieser Weise schildert. Nach meiner Meinung werden sich die Dinge, sobald die Arbeit der Sozialgerichte anläuft, sehr viel besser gestalten, als es im Augenblick dem Redner der FDP erscheinen mag.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes. Es ist Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Sozialpolitik beantragt. Ich unterstelle das Einverständnis - ({0})
- Es ist der Antrag gestellt, über den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik abzustimmen. Wir treten in die Abstimmung ein. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Überweisung ist erfolgt.
Bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, muß ich einen Moment zu Punkt 11 zurückkehren. Es ist mir mitgeteilt worden, daß sich die Fraktionen untereinander verständigt haben, die drei Gesetzentwürfe betreffend Vereinbarungen, die unter Punkt 11 der Tagesordnung aufgeführt sind, an den Ausschuß für Geld und Kredit zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Die Mitüberweisung ist erfolgt.
Da wir beim Revidieren sind, darf ich noch eins bekanntgeben. Zu Punkt 5 a und b der Tagesordnung hat das Plenum vorhin beschlossen, die Gesetzentwürfe zur Mitberatung auch an den Rechtsausschuß zu überweisen. Die Experten der Fraktionen sind der Meinung, daß eine Mitüberweisung an den Rechtsausschuß nicht zu erfolgen braucht. Das Haus kann natürlich jederzeit - das liegt in seiner Souveränität - einen einmal gefaßten Beschluß aufheben. Ist das Haus damit einverstanden, daß dieser Beschluß auf Mitüberweisung an den Rechtsausschuß als aufgehoben gilt? - Das ist der Fall.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesversicherungsamtes, die Aufsicht über die Versicherungsträger und Regelung der Zuständigkeiten der Behörden des Bundes und der Länder in der Sozialversicherung ({1}).
Im Ältestenrat ist vereinbart, daß sowohl auf Begründung als auch auf eine Aussprache verzichtet werden soll. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Ich schließe die erste Beratung des aufgerufenen Gesetzentwurfs und schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vor. Beschließt das Haus entsprechend? - Das ist der Fall. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung ({2}).
Soll der Entwurf begründet werden? - Das ist nicht der Fall; auf Begründung wird verzichtet. Wortmeldungen? - Frau Abgeordnete Schroeder ({3}) hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die im vorliegenden Gesetzentwurf behandelte Angelegenheit hat bereits den ersten Bundestag in mehreren Sitzungen beschäftigt. Es handelte sich darum, einen § 4 in das Gesetz über die Erhöhung der Einkommensgrenzen in der Sozialversicherung aufzunehmen. Ich erinnere die Mitglieder des ersten Bundestages, die die Sitzung mitgemacht haben, daran, wie nach sehr temperamentvoller Debatte in später Abendstunde am 19. Juli 1952 bei der dritten Lesung des Gesetzes dieser Teil zurückgezogen worden ist. Es hatte sich herausgestellt, wie ungeheuer schwierig es war, auf der einen Seite die Sicherung der Versicherten für den Fall der Krankheit und auf der anderen Seite die berechtigten Wünsche der Ärzte unter einen Hut zu bringen.
Ich will nun gerne zugeben, daß der jetzt vorliegende Gesetzentwurf besser durchgearbeitet ist, als es seinerzeit der § 4 des genannten Gesetzes war. Es sind auch einige Wünsche, die wir damals bei der Beratung ausgesprochen haben, berücksich({0})
tigt worden. Aber auf der anderen Seite enthält der jetzt vorliegende Gesetzentwurf auch eine Verschlechterung. Wir hatten damals in der Ausschußberatung - ich erinnere an den Bericht des Herrn Kollegen Horn - erreicht, daß die Grenze für die Versicherungsberechtigung generell von 8400 auf 9000 DM heraufgesetzt wurde. Jetzt hat die Regierung wieder den Betrag von 8400 DM eingesetzt, allerdings einen Zuschlag für die Ehefrau und die Kinder vorgesehen. Aber das kann uns in keiner Weise beruhigen. Ich muß offen sagen, daß uns auch die Verbesserung, die darin liegt, daß die freiwillige Versicherung wieder aufgenommen werden kann, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem Erlöschen der Versicherungsberechtigung das regelmäßige Einkommen die genannte Einkommensgrenze unterschreitet, nicht bestimmen kann, dem Gesetzentwurf, so wie er uns heute vorliegt, zuzustimmen. Wir verlangen deshalb, daß der Gesetzentwurf in all seinen Teilen bei der Ausschußberatung ganz energisch durchgearbeitet wird.
Was ist denn der Grund für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs? Abgesehen davon, daß die Regierung die Erwägung aus der Reichstags-Legislaturperiode von 1910/11, d. h. vor dem 1. Weltkrieg, anführt, wonach der Wunsch der Ärzte, wohlhabende Leute nicht als Kassenpatienten behandeln zu müssen, durchaus berechtigt sei - ich bedaure das -, abgesehen davon also bestreiten wir keineswegs, daß sich heute viele Ärzte zumindest nicht in rosigen materiellen Verhältnissen befinden, und wir bestreiten auch nicht, daß die Honorarsätze - dann allerdings für a 11 e Versicherten - nicht ausreichen, um die notwendige materielle Sicherung für die Ärzte zu erreichen. Aber ob das durch dieses Gesetz überhaupt und zu welchem Teil geändert werden kann, das muß zumindest bezweifelt werden.
Ich erinnere hier daran, daß wahrscheinlich die jungen Ärzte materiell am schlechtesten gestellt sind, die nicht in der Lage sind, sich eine Praxis aufzubauen, und die heute in Krankenhäusern als Assistenzärzte zum Teil voll beschäftigt sind, ohne eine wirkliche Entschädigung dafür zu bekommen; dadurch aber, daß sie nicht in ein tarifliches Angestelltenverhältnis eingestuft sind, haben sie selber diese notwendige soziale Sicherung für den Fall der Krankheit oder der Arbeitsunfähigkeit oder für ihre Familie im Falle des Todes nicht erworben.
Das sind alles Fragen, die vollkommen aus diesem Gesetz ausscheiden. Hier handelt es sich, wenn überhaupt um die Ärzte, lediglich um die Krankenkassenärzte, und da muß ich sagen: wir sind gern bereit, diese Frage zu prüfen, aber wir glauben, daß sie viel besser geprüft und eventuell geregelt werden kann bei dem Gesetz über das Recht des Kassenarztes, in dem dann die Honorarfrage von allen Seiten durchgesehen und für alle Behandlungen untersucht werden muß.
Nun noch ein Wort zu dem gegenwärtig zur Beratung stehenden Gesetzentwurf. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Bundesrat dieses Gesetz abgelehnt hat, und zwar deshalb, weil er, wie der Bundesrat sagt, zu einem Unrecht gegen diejenigen führen würde, die sich nach Erreichung der Pflichtversicherungsgrenze in der Erwartung einer wirklichen Sicherung für den Fall der Krankheit freiwillig weiterversichert haben. Ich muß sagen: es ist aber auch ein Unrecht gegenüber denjenigen, die sich vielleicht seit Jahrzehnten in der Pflichtversicherung befinden, ihre Beiträge zur Krankenkasse bezahlt haben und dann, wenn sie einen bestimmten Betrag - nach diesem Gesetz sind es 8400 DM - überschritten haben, nun aus dieser Krankenkasse ausgeschlossen werden sollen.
Das, was die Bundesregierung in ihrer Antwort auf den Hinweis des Bundesrates sagt, ist nach meiner Ansicht in keiner Weise eine Entkräftung der Argumente des Bundesrats. Darin heißt es, daß in die deutsche Sozialversicherung nur solche Personen einbezogen werden sollen, die wegen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage dieses Schutzes gegen die Wechselfälle des Lebens bedürfen. Nun frage ich Sie, meine Herren und Damen: wann ist man gegen die Wechselfälle dieses Lebens gesichert?
({1})
Wann ist man insbesondere unter d e n Verhältnissen gesichert, wie sie sich nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt haben? Ich meine, man ist schon ganz bestimmt nicht „gesichert", wenn man ein Einkommen von über 700 DM monatlich hat. Wir wissen doch alle, welches Ausmaß heute die Teuerung angenommen hat. Wir wissen doch alle - wir haben ja vorhin auch von den Heimatvertriebenen gesprochen, ich erinnere Sie auch an die Heimkehrer -, wie Menschen jahrzehntelang oder viele Jahre lang überhaupt kein Einkommen gehabt haben. Wenn es einem solchen Menschen einmal gelingt, eine Stellung mit einem Einkommen von monatlich 800 oder 900 DM zu bekommen, ist er bestimmt noch nicht gegen die Wechselfälle des Lebens gesichert. Ich erinnere aber auch daran, daß es sich um selbständige Geschäftsleute handelt, um Handwerker, um einen über diese Einkommensgrenze gelangenden Angestellten. Die Erfahrung hat uns doch gelehrt, daß eine hundertprozentige Sicherheit in der Erhaltung einer solchen Existenz in dieser Form nicht vorhanden ist. Ich erinnere besonders an die wirtschaftlich schwachen Gebiete in der Bundesrepublik. Ich will gar nicht von Berlin sprechen; die dortigen Verhältnisse sind vollkommen bekannt. Ich erinnere aber an Schleswig-Holstein, an Niedersachsen, an große Teile von Bayern. Vielleicht ist es mal möglich, daß jemand zu einem diese Einkommensgrenze übersteigenden Gehalt kommt; aber wer ist gesichert gegen Konjunkturschwankungen? Wer ist gegen eine Verlagerung des Betriebes, in dem er beschäftigt ist, gesichert? Wir wissen, daß solche Verlagerungen immer noch vorkommen. Und wer ist in dem Falle einer zeitweiligen Erhöhung des Einkommens gesichert?
Wer kommt denn überhaupt dafür ganz besonders in Frage? Das sind doch die älteren Menschen, die alten Menschen. Bei der Beratung des § 4 des seinerzeitigen Gesetzentwurfs, von dem ich schon sprach, haben wir gefordert, daß diese Bestimmungen nicht für Personen, die das 45. Lebensjahr überschritten haben, in Frage kommen dürfen. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. Nun schreibt man in die Begründung des Gesetzes hinein, dieser Einwand sei gegenstandslos; denn die Ausscheidenden hätten j a den Versicherungsschutz in der privaten Krankenkasse, die bereit sei, die Ausscheidenden ohne Rücksicht auf Alter oder Vorerkrankung aufzunehmen. Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, ich glaube, daß das für jemanden, der jahrzehntelang einer Ortskrankenkasse angehört hat, gar keine Beruhigung sein kann. Wir wissen doch alle, daß das eine mündliche Verpflichtung ist, von der wir nicht wissen, wie sie in der Praxis
({2})
erfüllt wird. Wir wissen doch alle, daß die unbedingt festen Bestimmungen der Sozialversicherung auf diese private Krankenversicherung nicht zutreffen, und ich sage noch einmal: Welchen Schutz haben in Wahrheit die Alten, und welchen Schutz haben die Kranken?
So sehr wir deshalb bereit sind, alle Schwierigkeiten der Ärzte zu berücksichtigen, und so sehr wir bereit sind, dieses Gesetz im Ausschuß sorgfältigst durchzuarbeiten und dafür zu sorgen, daß jedem Teil, der hier in Frage kommt, sein Recht geschieht, muß ich doch sagen: Mit der Beseitigung eines Unrechts durch ein neues Unrecht wird niemals ein Recht geschaffen werden.
({3})
Für uns ist es ganz unmöglich - das möchte ich klar und deutlich sagen -, eine Grenze von 700 DM monatlich anzuerkennen, so sehr wir zur Durcharbeitung des Gesetzes bereit sind. Für uns sind das Interesse des Versicherten und die Volksgesundheit das Wichtigste. Wir wissen, daß wir dazu der Ärzte nicht entbehren können. Wir schätzen ihre Arbeit im Interesse der Volksgesundheit ungeheuer hoch, aber wir können nicht das Recht des Versicherten auf die Weise, wie es dieser Gesetzentwurf vorsieht, untergraben. Deshalb noch einmal: sorgfältigste Beratung im Ausschuß!
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorrednerin, Frau Kollegin Schroeder, hat mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß dieses Problem uns schon im ersten Bundestag einmal sehr stark beschäftigt hat. Wir hatten es damals bereits in eine Gesetzesvorlage eingebaut, es wurde aber dann gestrichen, weil im Parlament keine Einigung erzielt werden konnte. Die Regierung versprach jedoch, die Materie in ein besonderes Gesetz zu kleiden. Das ist jetzt geschehen, wir haben den Entwurf vor uns liegen und müssen uns heute in der ersten Lesung damit beschäftigen.
Die Frage, die hier nun angeschnitten ist, ist sicherlich außerordentlich umstritten. Auch bei uns in der Fraktion hat sich darüber noch keine einheitliche Meinung bilden können, auch hier gehen die Meinungen nach vielen Seiten auseinander. Trotzdem, glaube ich, müssen wir uns mit der Materie schon heute in etwa, aber dann eingehend in den Ausschüssen, beschäftigen, da die Dinge nicht so von der Hand zu weisen sind, wie wir es viellicht im ersten Augenblick von einer persönlichen Einstellung aus tun möchten.
Auf der einen Seite haben wir das Problem der Ärzte, die da sagen: Sicherlich, die Sozialversicherung ist eine notwendige Einrichtung, die wir noch weiter ausbauen müssen, und zwar für die bedürftigen Schichten; es geht aber nicht an, daß sich Menschen, deren Einkommen weit über die Grenzen der sozialen Bedürftigkeit hinausgehen, dieser sozialen Krankenkasse bedienen, so daß bei uns ein unangenehmes Gefühl entsteht, wenn jemand mit einem Krankenschein zu uns kommt, der vielleicht über ein Einkommen von 1000, 1200 DM oder weit darüber hinaus verfügt. Das Anliegen der Ärzte hat sicherlich seine tiefe Berechtigung, und ich glaube. man darf es nicht so einfach überhören.
Auf der anderen Seite kann man auch diejenigen nicht aus den Augen lassen, die nun einmal vielleicht für kurze Zeit über einer gewissen Einkommensgrenze liegen, und damit eine Tradition in der Sozialversicherung abbrechen, die 20, 25, 30 Jahre gedauert hat. Wir sehen hieraus, daß von allen Seiten Gründe dafür und dagegen vorgebracht werden können und daß man reiflich überlegen muß, wo nun das Sozialgut überwiegt, bei dein einzelnen oder bei der Gemeinschaft. Deshalb wird der Ausschuß wirklich gut daran tun, in diese Materie mit allem Ernst einzusteigen, um abzuwägen.
Auch über die Höhe des Einkommens, bei dem jemand aus der Versicherung ausscheiden soll, wird man sich eingehend unterhalten müssen. Hier bin ich der Ansicht, daß ein Betrag von 700 DM der Gerechtigkeit wahrscheinlich nicht nahekommt und daß eine soziale Sicherheit mit einem solchen Einkommen noch nicht so besteht, daß man sagen könnte: Der Personenkreis muß restlos ausscheiden.
Man wird sich weiter darüber unterhalten müssen, ob es angängig ist, in die jetzt schon bestehenden Einzelverträge kraft Gesetzes einzugreifen, um sie nichtig zu machen, oder ob es nicht besser ist, die Begrenzung festzulegen, daß für die Zukunft solche privaten Weiterversicherungen von einem gewissen Einkommen an nicht mehr getätigt werden können.
Alles das sind Fragen, die wir in der ersten Lesung hier im Plenum sicherlich nicht so weit klären können, daß dabei eine einheitliche Willensbildung einer Fraktion herauskommt. Ich habe schon gesagt: auch in unserer Fraktion besteht darüber noch keine einstimmige Meinung. Es gibt durchaus Meinungen, die dahin gehen, daß man die Gesetzesvorlage in dieser Form wahrscheinlich nicht akzeptieren kann. Deshalb möchte ich auch hier sagen: man muß alle diese einzelnen Argumente, man muß das Alter des Versichertenkreises, man muß die Ausübung von Funktionen in diesen Versicherungen durch Personen, die auch dort wertvolle Kräfte darstellen, all das noch einmal ernstlich gegeneinander abwägen und versuchen, in den Verhandlungen des Ausschusses zu einer einheitlichen Meinung zu kommen, damit beiden Teilen, die hier um die Dinge streiten, einigermaßen Gerechtigkeit zuteil wird.
Auch meine Fraktion bittet, den Gesetzentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen in der Hoffnung, daß sich dort eine Meinungsbildung ergeben wird, die den Schlußstrich unter diese so heikle Frage ziehen wird.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Vorrednerin und mein Herr Vorredner haben die Regierungsvorlage schon nach allen Seiten hin beleuchtet. Ich möchte davon nichts wiederholen, aber doch sehr deutlich zum Ausdruck bringen, daß die Frage der Ärzte nicht allzu sehr bagatellisiert werden darf. Ich glaube, wir haben die Möglichkeit, im Ausschuß die Frage der Ärzte und ihrer Aufgaben im Rahmen dieser Gesetzgebung näher zu besprechen. Es ist aber ebenso notwendig, einmal darauf hinzuweisen, daß es auch ein Anliegen unserer Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks ist, die Einkommensgrenze und auch die Frage der Freiwilligkeit im Hinblick auf die Krankenversicherung überhaupt zu überprüfen. Das sind sehr schwerwiegende Fragen, die einer eingehenden Erörterung im Ausschuß bedürfen. Deshalb schließen wir uns dem Antrag an,
({0})
diese Gesetzesvorlage dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beabsichtige nicht, hier wieder die berechtigten Wünsche der deutschen Kassenärzte vorzutragen. Das kann schon deshalb entfallen, weil zu meiner großen Freude alle Vorredner die Berechtigung dieser Wünsche anerkannt haben. Es war außerordentlich interessant, festzustellen, daß die Vorredner und Vorrednerinnen sich mit einer gewissen Leidenschaft den Problemen widmeten, die mit der Sicherung der Alten und der Kranken zusammenhängen. Auch wir halten diese Probleme für wichtig und entscheidend. Wir möchten Sie aber doch auf folgendes aufmerksam machen.
Die Beratungen im vorigen Jahr haben eine Reihe von Gedanken, Anregungen und Entwürfen gebracht, die auch heute noch prüfenswert sind. In der Begründung dieser Vorlage hat der Herr Arbeitsminister leider eine Möglichkeit abgelehnt, die seinerzeit bei den Ausschußberatungen erörtert wurde. Man hat daran gedacht, ob man nicht die Versicherungspflichtgrenze überhaupt fallenlassen und dafür von einer bestimmten Einkommensgrenze ab die Behandlung auf Krankenschein verbieten sollte. Wir wünschen, daß in der Ausschußberatung auch dieser Gedanke bis zum letzten durchgedacht wird, und hoffen auf eine glückliche Lösung für die Versicherten und für die Kassenärzte.
Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es liegt der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vor. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Weihnachtsbeihilfe ({1}).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Arndgen.
Arndgen ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion betreffend Weihnachtsbeihilfe - Drucksache 40 - ist am 20. November vom Ausschuß für Sozialpolitik und am 2. Dezember vom Haushaltsausschuß als dem federführenden Ausschuß durchberaten worden. Nach diesen Beratungen haben beide Ausschüsse den Beschluß gefaßt, der Ihnen in der Drucksache 105 vorliegt.
Bei diesen Beschlüssen haben sich beide Ausschüsse in der Mehrheit von folgenden Gedanken leiten lassen: Der Antrag Drucksache 40 spricht u. a. von dem Personenkreis, für den die Weihnachtsbeihilfe gezahlt werden soll, und will diesen Personenkreis an die Arbeitslosenfürsorgeunterstützungsempfänger angeglichen haben. Damit glauben die Antragsteller den Personenkreis gegenüber dem vergangenen Jahr erweitern zu können; denn die Winterbeihilfen im Jahre 1952 wurden an alle gewährt, deren Einkommen bis zu 10 % über den Fürsorgerichtsätzen lag.
Bevor aber die Drucksache 40 vorlag, ist durch einen Erlaß der Bundesregierung an die Länder die Weihnachtsbeihilfe für 1953 schon geregelt gewesen. Dabei ist der Personenkreis für den Bezug der Weihnachtsbeihilfe in diesem Jahr erweitert worden durch im Frühjahr dieses Jahres vorgenommene Änderungen des Fürsorgerechts. Nach diesen Änderungen des Fürsorgerechts wird an alte Leute und Schwerbeschädigte ein um 20 % höherer Richtsatz gezahlt als an die übrigen. Des weiteren sind die Richtsätze für Kinder bis zu 18 Jahren, soweit sie sich in einem Lehr- oder Anlernverhältnis befinden, verdoppelt worden. Durch diese Änderungen des Fürsorgerechts ist also der in Frage kommende Personenkreis erweitert worden.
In dem von mir schon erwähnten Erlaß der Bundesregierung ist festgelegt, daß vom dritten Kind an statt einer 10%igen eine 50%ige Übersteigerung des Richtsatzes erfolgt. Auch durch diese Maßnahme ist der Personenkreis gegenüber dem vergangenen Jahr wesentlich erweitert worden. Man mag darüber streiten, ob durch eine Angleichung an die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung oder durch die in dem Erlaß verankerten Maßnahmen der Personenkreis weiter gezogen wird. Tatsache ist, daß durch den Erlaß dem Wunsche der Antragsteller Rechnung getragen wurde, den Personenkreis wesentlich zu erweitern.
Des weiteren ist in dem Erlaß, den ich ansprach, die Weihnachtsbeihilfe für den Haushaltungsvorstand auf 25 DM und für jeden Familienangehörigen auf 10 DM festgelegt. Das sind die gleichen Sätze, wie sie im vergangenen Jahr gewährt worden sind. Dabei darf ich darauf hinweisen, daß der Satz von 20 DM, der im Jahre 1951 gezahlt wurde, 1952 auf 25 DM erhöht worden ist. Da seit Ende 1952, als diese Weihnachtsbeihilfen gewährt wurden, bis zum heutigen Tage eine Erhöhung des Preisniveaus nicht stattgefunden hat, war die Mehrheit der Ausschüsse der Meinung, daß man es, soweit die Höhe der Beihilfen in Frage kommt, bei den Sätzen des vergangenen Jahres belassen sollte.
Dann glaubte die Mehrheit der Ausschüsse aber auch, keine Änderung des Erlasses vornehmen zu sollen, da wir mit einem über die Sätze des Erlasses hinausgehenden Beschluß in die Finanzhoheit der Länder eingegriffen hätten und dann mit der Möglichkeit hätte gerechnet werden müssen, daß der Bundesrat Einspruch gegen diesen Beschluß des Bundestages beim Vermittlungsausschuß einlegen würde und infolgedessen die Weihnachtsbeihilfe selbst dann, wenn nachher eine Verständigung über höhere Beträge zustande gekommen wäre, vielleicht erst im Februar endgültig hätte ausgezahlt werden können. Die Vorbereitungsarbeiten für die Auszahlung der Winterbeihilfen nach dem Erlaß der Bundesregierung vorn 16. September sind schon lange angelaufen; eine Änderung durch einen Beschluß dieses Hauses hätte Störungen in diese Vorbereitungsarbeit hineingebracht, was die Auszahlung ebenfalls verzögert hätte.
Aus allen diesen Gründen, meine sehr verehrten Damen und Herren, waren sowohl der Ausschuß für Sozialpolitik wie auch der Haushaltsausschuß der Meinung, es bei dem Erlaß der Bundesregierung belassen zu sollen. Der Haushaltsausschuß schlägt Ihnen daher vor, zu beschließen, wie in Drucksache 105 niedergelegt ist. Ich habe den Auftrag, Sie zu bitten, diesem Vorschlag des Haushaltsausschusses zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Mehrheit des Ausschusses für Sozialpolitik hat in der Sitzung des Ausschusses vom 20. November 1953 beantragt und beschlossen, wie Sie eben gehört haben, den Antrag der SPD durch den Erlaß der Bundesregierung vom 16. September 1953 für erledigt zu erklären. Wir stellen dazu fest, daß wir unseren Antrag keineswegs als erledigt betrachten.
({0})
Wir sind der Meinung, daß mit einer solchen Formulierung einer echten Entscheidung ausgewichen wird.
({1})
Sie übersehen dabei, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Tatsache, daß unser Antrag in entscheidenden Punkten eine Regelung verlangt, die über den Erlaß der Bundesregierung erheblich hinausgeht. Ja, wir haben schließlich unseren Antrag eingebracht, weil wir diesen Erlaß sowohl im Hinblick auf die Höhe der Weihnachtsbeihilfe als auch im Hinblick auf den Kreis der Empfänger nicht für ausreichend erachten. .
Ich möchte dazu auch sagen, daß das Gesetz über die fürsorgerechtlichen Änderungen keineswegs eine derart entscheidende Verbesserung bringt, wie Herr Kollege Arndgen soeben gesagt hat. Der Gegenantrag der Regierungskoalition, unseren Antrag als erledigt zu erklären, bedeutet die glatte Ablehnung einer Verbesserung der Weihnachtsbeihilfen.
({2})
Wir sind der Meinung, dieser Tatbestand wäre klarer und eindeutiger zum Ausdruck gekommen, wenn der Gegenantrag der Regierungskoalition einfach und schlicht gelautet hätte: Der Antrag der SPD wird abgelehnt.
({3})
Das ist schließlich die Situation.
Wenn Sie die andere Formulierung gebraucht und sie für richtiger gehalten haben, so möchte ich glauben - entschuldigen Sie, daß ich Ihnen das sage -, daß es taktische Gesichtspunkte gewesen sind, die Sie dazu veranlaßt haben. Sie haben dabei zu einer Möglichkeit der Geschäftsordnung Zuflucht genommen, die den Tatbestand der Ablehnung nicht klar erkennen läßt.
Deshalb kann uns nichts daran hindern, darauf hinzuweisen, daß eine Erledigung unseres Antrags durch den Regierungserlaß keinesfalls erfolgt ist. Wir hatten auch gehofft, die Zustimmung der Regierungskoalition zu einer Verbesserung der Weihnachtsbeihilfen zu finden, da der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung, und zwar nach dem 16. September, davon gesprochen hat, an dem wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik hätten nicht alle Bevölkerungskreise gleichmäßig teilgenommen, und es müsse das besondere Anliegen der Bundesregierung sein, Maßnahmen vorzuschlagen, um die wirtschaftliche Lage der Arbeitslosen, der Rentner, Invaliden, Waisen und Hinterbliebenen zu verbessern. Das soll nach den Worten des Herrn Bundeskanzlers neben der Erhöhung des Sozialprodukts durch eine umfassende Sozialreform in die Tat umgesetzt werden.
Wir nehmen an, daß die Bundesregierung unter der Sozialreform nicht nur organisatorische Verbesserungen und Veränderungen versteht, sondern daß diese Reform ganz besonders unter dem Gesichtspunkt einer Verbesserung der laufenden Renten und Unterstützungen durchgeführt wird, d. h. daß wir zu einer Existenzsicherung der Sozialleistungsempfänger kommen müssen.
Wir alle wissen, daß das heute nicht der Fall ist, und wir wissen schließlich auch, daß eine Erhöhung der Weihnachtsbeihilfen und eine Ausweitung des Personenkreises keine entscheidende wirtschaftliche Hilfe bringen würden. Das kann nur durch eine Erhöhnug der laufenden Rentensätze geschehen. Aber eine Verbesserung der Weihnachtsbeihilfe hätte zunächst dazu beitragen können, die Sonderbedürfnisse, die der Winter mit sich bringt-und ich denke dabei auch an das Weihnachtsfest -, für die Familien einigermaßen zu befriedigen. Jede Familie bei uns in Deutschland ist bemüht, eine gewisse Vorsorge an Kartoffeln und Kohlen zu treffen. Daneben bringt der Winter durch seinen erhöhten Bedarf an Schuhwerk und warmer Kleidung eine Reihe besonderer Ausgaben mit sich, die von den Renten und Unterstützungssätzen nicht bestritten werden können. Deshalb hat sich schon von jeher die Zahlung von Winterbeihilfen und Weihnachtsbeihilfen als notwendig erwiesen, um der besonderen Not im Winter zu steuern und um allen ein Mindestmaß an Vorsorge zu ermöglichen. Die Weihnachtsbeihilfe, um die es sich in unserem Antrag handelt, ist eine zusätzliche und freiwillige Leistung zur Pflichtleistung der Fürsorgeverbände, und wir halten es angesichts der Notlage der Renten- und Unterstützungsempfänger nach wie vor für notwendig, daß die in unserem Antrag zugrunde gelegten Grundsätze berücksichtigt werden.
Der Erlaß der Bundesregierung wird dieser Notlage nicht gerecht. Dabei muß von zwei Gesichtspunkten ausgegangen werden. Es handelt sich einmal um die Höhe der Weihnachtsbeihilfe, zum anderen um den Kreis der Empfänger. In dem Erlaß der Bundesregierung wird festgelegt, daß jedem Haushaltsvorstand genau wie im vergangenen Jahr 25 DM und zusätzlich für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen 10 DM gezahlt werden. Als Richtsatz für die Zahlung einer Weihnachtsbeihilfe soll der maßgebliche Fürsorgerichtsatz zuzüglich einer Erhöhung von 10 % zugrunde gelegt werden. Genau wie im vergangenen Jahre sind wir der Meinung, daß die Höhe der Weihnachtsbeihilfe angesichts der Notlage nicht genügt und daß der Kreis der Empfänger zu eng gezogen wurde. Wir haben deshalb eine Ausweitung des Personenkreises und die Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe von 50 DM für den Haushaltsvorstand und von 10 DM für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen beantragt. Daneben halten wir es für notwendig, bei den langfristig Arbeitslosen, bei denen die Notlage ganz besonders groß ist, einen Unterschied zu machen, und haben für jeden Hauptunterstützungsempfänger 60 DM und für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen 15 DM beantragt.
Ein besonderer Grund dafür, daß wir es nach wie vor für notwendig halten, allen Arbeitslosenfürsorgeunterstützungsempfängern eine Weihnachtsbeihilfe zukommen zu lassen, ist die Tatsache, daß sich die Erhöhung der Alfü-Unterstützung besonders für die niedrigen Lohnklassen sehr schlecht ausgewirkt hat. Ich habe Angaben aus Niedersachsen, daß bei den niedrigen Lohnklassen und besonders bei den kinderreichen
({4})
Familien wegen der Auffanggrenze in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung die Erhöhung durch den gleichzeitigen Wegfall der Teuerungszulage von 3,00 DM bei 12 bis 14 % der Alfü-Empfänger nicht mehr als 0,30 DM in der Woche und bei schätzungsweise 40 % nicht mehr als 1 DM betragen hat. Durch den Wegfall der Brotbeihilfe von 0,75 DM pro Monat und pro Person, die beispielsweise bei den Alfü-Empfängern mit dem Hinweis auf die Alfü-Erhöhung weggefallen ist, ist es durchaus möglich, besonders bei den kinderreichen Familien, daß sogar eine Verschlechterung der Situation gegenüber früher eingetreten ist. Die Angaben, die ich aus Niedersachsen habe, lassen sich ohne Zweifel auf Bayern und Schleswig-Holstein übertragen, so daß wir in den drei Flüchtlingsländern, die zugleich die Zonengrenzländer sind, die gleiche schlechte Situation vorfinden. Ich bin nicht der Ansicht wie Herr Kollege Arndgen, daß wir bei einer Verbesserung der Weihnachtsbeihilfe Schwierigkeiten mit dem Bundesrat bekommen. Denn in einem Schreiben des bayerischen Arbeitsministers in Übereinstimmung mit dem bayerischen Innenminister und dem bayerischen Finanzminister an das Bundesarbeitsministerium wird angeregt, die Weihnachtsbeihilfe allen Alfü-Empfängern ohne Prüfung ihrer Hilfsbedürftigkeit zu gewähren.
Gleichzeitig möchte ich auf die Tatsache hinweisen, daß bei der Regelung, die durch den Erlaß erfolgen soll, in den Großstädten ein größerer Personenkreis erfaßt wird, weil hier die Fürsorgerichtsätze höher liegen, während in den Landkreisen, in denen die Fürsorgerichtsätze niedriger liegen, aber die Ausgaben für die besonderen Bedürfnisse des Winters mindestens genau so hoch sind wie in den Großstäten, viel weniger Empfänger von Sozialleistungen in den Genuß der Weihnachtsbeihilfe kommen.
Dabei taucht noch eine andere Schwierigkeit auf. Einige Länder haben eine Erhöhung der Weihnachtsbeihilfe von sich aus vorgenommen, während andere, leistungsschwache Länder dazu nicht in der Lage sind. Daraus ergibt sich in den verschiedenen Ländern ein soziales Gefälle, das alles andere als begrüßenswert ist und das nur vermieden werden kann, wenn eine Ausweitung der Richtlinien, die in dem Erlaß vom 16. September festgelegt worden sind, vorgenommen werden würde.
Wir glauben auch nicht, daß die Forderungen in unserm Antrag übertrieben sind, sondern wir sind der Ansicht, daß sie der sozialen Notwendigkeit entsprechen. Wir bedauern es außerordentlich, daß auf der einen Seite der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Notlage der sozial Schwachen anerkannt hat und daß auf der andern Seite der erste Antrag, der sich mit einer Leistungsverbesserung für Weihnachten befaßt, ausschließlich unter das Diktat fiskalischer Überlegungen geraten ist.
({5})
Wir bitten deshalb, den Ausschußantrag abzulehnen und unserm Antrag Drucksache 40 zuzustimmen.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn ich für meine
Fraktion zu dem Anliegen der SPD Stellung I nehme, dann möchte ich vorausschicken, daß ich es außerordentlich bedauert habe, daß der Ausschuß in den Antrag der SPD nicht tiefer eingedrungen ist. Die Menschen, die von dem Schicksal dieses Antrags betroffen werden, wären es wohl wert gewesen. Wir können uns durchaus vorstellen, daß man eine Lösung hätte finden können, die etwa zwischen der Regierungsvorlage und dem Antrag der SPD gelegen hätte. Jedenfalls sind wir der Meinung, daß die Maßnahmen, die in der Regierungsvorlage festgelegt sind, angesichts des Notstandes des Personenkreises, dem hier geholfen werden soll, nicht ausreichen. Leider hat man im Ausschuß keinen Ausweg gefunden, sondern den vorgelegten Antrag abgelehnt. Darüber hinaus haben wir den Eindruck, daß es notwendig gewesen wäre, eine solche Sitzung zu einem früheren Zeitpunkt abzuhalten, um in diesen Dingen nicht in Zeitnot zu kommen.
Unser ganz besonderes Anliegen ist aber folgendes; es ist auch hier schon angeklungen. Die Ungleichheit in der Zuwendung der Mittel von der Bundesseite her scheint sich außerordentlich ungünstig auszuwirken. Es ist so, daß die Notstandsländer - Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern - mit ihren bescheidenen Mitteln sehr viel mehr Opfer auf sich zu nehmen haben, um die Sozialbetreuung ihrer Menschen durchführen zu können. Ich möchte einmal auf das Beispiel Nordrhein-Westfalens hinweisen, das ja mit seinen Leistungen sehr viel weiter gegangen ist und damit unter Beweis gestellt hat, daß die Maßnahmen der Bundesregierung nach der Regierungsvorlage nicht ausreichend sind. Ich bedaure, daß die Regierungsvorlage nun vor uns liegt und daß wir im Ausschuß keine Verbesserung haben erreichen können. Das veranlaßt uns, die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, den Antrag der SPD zu unterstützen, wie wir das auch bereits im Ausschuß getan haben.
({0})
Herr Abgeordneter Horn hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Kollegin K o r s p et er hat zu Beginn ihrer Ausführungen die Vorgänge im Sozialpolitischen Ausschuß so dargestellt, als ob wir dort einer echten Entscheidung über den SPD-Antrag ausgewichen seien.
({0})
- Meine Damen und Herren, auch Ihr „Sehr wahr" ändert nichts an der Tatsache, daß der Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses eine echte Entscheidung ist. Nur haben wir Ihnen den Gefallen nicht getan,
({1})
wie er Ihrem Agitationsbedürfnis vielleicht entsprochen hätte.
({2})
- Entschuldigen Sie! Wenn Sie hier erklären, daß wir einer echten Entscheidung ausgewichen seien, dann müssen Sie mir schon gestatten, zu sagen, warum das nicht der Fall ist.
({3})
Und wenn Sie darauf drängen, dann erkläre ich
Ihnen: Wir wollten mit dieser Art der Beschluß({4})
fassung auch vor der Öffentlichkeit deutlich machen, daß durch den Erlaß der Bundesregierung ja in der Tat etwas erreicht wurde, dessen Ausmaß über die Leistungen des Vorjahrs, wie der Herr Berichterstatter dargelegt hat, doch nicht unwesentlich hinausgeht. Wir wollten also durch einen derartigen Beschluß die Tatsache, die vorhanden ist, auch vor der Öffentlichkeit und denjenigen, die es in erster Linie angeht, nicht einfach untergehen lassen. Ich glaube, deshalb ist die Bezugnahme auf den Erlaß der Bundesregierung durchaus am Platze gewesen.
Meine verehrten Damen und Herren! Frau Korspeter hat dann in Verbindung damit auf die Bedürfnisse in den Kreisen der Empfangsberechtigten hingewiesen und von der Notwendigkeit der Einkellerung von Kartoffeln und von Kohlen gesprochen. Damit wollte sie zweifellos den Eindruck hervorrufen, als ob die Einkellerung durch den Erlaß der Bundesregierung und durch unseren Beschluß den armen Menschen unmöglich gemacht oder doch zumindest erheblich erschwert werde. Da muß man zur Steuer der Wahrheit doch sagen, daß neben der Weihnachtsbeihilfe nach wie vor, also auch in diesem Jahre, besondere Zuschüsse zur Einkellerung von Kohlen und Kartoffeln gewährt werden können. Man soll auch auf der Gegenseite die Wahrheit sagen und die Lage schildern, wie sie
wirklich ist.
Aber, meine Damen und Herren, wenn man hier schon vor aller Öffentlichkeit so über die Dinge spricht, dann sollte man auch einmal die Zahlen sprechen lassen. Die will ich jetzt wenigstens in zwei Beispielen vortragen. Nach dem diesjährigen Erlaß vom 16. September ergeben sich z. B. bei Zugrundelegung des Bundesdurchschnitts der Richtsätze für Städte folgende Einkommensgrenzen. Eine Familie mit zwei Kindern erhält erst einmal den Richtsatz für den Haushaltungsvorstand im Betrag von 50 DM, den Richtsatz für die Ehefrau mit 35,90 DM,
({5})
den Richtsatz für zwei Kinder unter 16 Jahren à 29,40 DM, ergibt 58,80 DM,
({6})
die Mietbeihilfe, die hinzuzuzählen ist mit 35 DM, zusammen 179,70 DM. Dazu treten die 10 %, die über den Fürsorgerichtsatz hinausgehen, also noch einmal 18 DM, so daß diese Familie aus dieser Beihilfe immerhin einen Anspruch von 197,70 DM haben wird.
({7})
- Wenn man das, verehrter Herr Kollege Richter, dann auf die Familie mit vier Kindern ausdehnt, ergibt sich ein Endbetrag von 256,50 DM.
({8})
- Wir haben Ihnen im Ausschuß schon einmal gesagt, daß man bei all diesen Überlegungen schließlich auch darauf Bedacht nehmen muß, daß sich aus diesen Summen nicht Verhältnisse entwickeln, die letztlich einen ernsten Anreiz zur Arbeit bei den Menschen überhaupt nicht mehr aufkommen lassen.
({9})
Wenn wir uns nun noch einen Augenblick mit den finanziellen Auswirkungen im ganzen beschäftigen, dann bleibt die Tatsache bestehen, daß diejenigen, die in erster Linie dafür die Verantwortung tragen, daß das, was das Parlament beschließt, auch gedeckt werden kann, in erster Linie hier und nicht auf Ihrer Seite sitzen, weil Sie sich darüber den Kopf nicht sosehr zu zerbrechen brauchen wie wir.
({10})
- Ich weiß ja, daß Sie eine sehr laute Stimme haben!
({11})
Der Abgeordnete Horn hat das Wort!
Meine Damen und Herren! Dann sollten wir uns auch bei den Überlegungen über die Deckungsmöglichkeiten gemeinsam in diese Verantwortung teilen.
({0})
- Das haben Sie freundlicherweise uns überlassen.
In diesem Zusammenhang kann ich auch nicht umhin, meinem Bedauern darüber Ausdruck zu geben, daß die verehrte Sprecherin des Gesamtdeutschen Blocks / BHE sich, was diesen Punkt der Deckung für geforderte Ausgaben angeht, nicht in unsere Front eingereiht hat, sondern geglaubt hat, mit der Sozialdemokratischen Partei stimmen zu müssen und das auch hier noch einmal ausdrücklich betont.
({1})
Die Erhöhung der Beihilfen um je 1 DM kostet den Bund rund 1 Million DM. Wenn der SPD-Antrag auf eine Erhöhung von 25 auf 50 DM Erfüllung finden sollte, dann würden dem Bund dadurch Mehraufwendungen von rund 25 Millionen DM entstehen.
({2})
Dafür müßte Deckung beschafft werden. Es ist auch von der Regierung im Ausschuß darauf hingewiesen worden, daß in der Kriegsfolgenhilfe - und aus diesem Titel des Haushalts kommen ja diese Aufwendungen - ohnehin schon eine Haushaltsüberschreitung von nicht unbedeutendem Ausmaß gegeben ist, nicht in letzter Linie auch veranlaßt durch den starken Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge.
Gestatten Sie mir schließlich, über das hinaus, was der Kollege Arndgen in seiner Berichterstattung vorhin gesagt hat, noch auf folgendes hinzuweisen. Es muß beachtet werden, daß eine Erhöhung der Weihnachtsbeihilfe auch den Ländern und Gemeinden zusätzliche Belastungen brächte. Man muß zumindest bezweifeln, ob sie in diesem Ausmaß getragen werden könnten. Ich bin der Auffassung, daß der Erlaß der Bundesregierung vom 16. September selbstverständlich vorher mit den Ländern abgesprochen worden ist. Die Dinge sind dann in Gang gesetzt worden. Was geschähe, wenn wir jetzt mit derartigen zusätzlichen Ausgaben kämen, die auch die Länder und Gemeinden belasteten?! Abgesehen davon, daß wir dann unzuständigerweise über deren Geldsäcke verfügten, müßte das nach meinem Dafürhalten von der finanziellen Seite her ganz zwangsläufig den Einspruch des Bundesrats zur Folge haben, wenn auch Frau Abgeordnete Korspeter hier auf gewisse Schreiben von Arbeitsministern hingewiesen hat. Man will
({3})
doch eine Weihnachtsbeihilfe geben. Deshalb sollte man nicht durch derartige Beschlüsse die Verwirklichung weiter hinausziehen.
({4})
Zum Schluß möchte ich noch einmal in aller Klarheit betonen, daß wir uns der Verantwortung, die in dieser Frage liegt, sehr wohl bewußt sind. Aber wo aus dem Geldsäckel nichts Zusätzliches herauszuholen ist,
({5})
da nützen auch Beschlüsse dieser Art nichts. Keine Ausgabe ohne Deckung! Danach haben wir gehandelt.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat es für nötig gehalten, sein Bedauern darüber auszusprechen
({0})
- einen Augenblick, Sie werden bedient, meine Herren! -,
({1})
daß sich der GB/BHE die Freiheit genommen hat, in einer so bedeutungsvollen sozialen Frage einen anderen Standpunkt als die Mehrheit unserer Regierungspartner einzunehmen.
({2})
Es fällt mir verhältnismäßig leicht, meinen Standpunkt und den meiner Fraktion zu begründen, nachdem wir die Worte des Herrn Vorredners gehört haben. Von dieser Auffassung, von diesem Standpunkt trennt den GB/BHE einiges, einiges Beachtliche. Wenn man glaubt, bei einem solchen Antrag eine Rechnung aufstellen zu können, und wenn man dafür ein Beispiel wählt, das wahrscheinlich aus großstädtischen Verhältnissen stammt, und dabei zu der Überzeugung kommt, daß die Menschen, die nicht arbeiten, in Deutschland heute bereits so viel bekämen, daß offenbar gar kein Anreiz mehr zur Arbeit bestehe, so muß ich schon sagen, daß mir dafür jedes Verständnis fehlt. Ich würde dem Herrn Vorredner empfehlen, in die Notatmosphäre der Länder hineinzugehen, die heute noch Menschen haben, die seit vier und fünf Jahren dauerarbeitslos sind.
({3})
Ich glaube, die satte Behaglichkeit, in der er seine Worte von sich gegeben hat, würde dann nicht noch einmal sichtbar.
({4})
Es ist hier von Agitation gesprochen worden. Man hat den Vorwurf erhoben, daß dieser Antrag ein Agitationsversuch sei, ein Antrag, mit dem eine Fraktion des Hauses es für möglich und notwendig hält, die Weihnachtsbeihilfe für den an sich etwa gleichbleibenden Personenkreis von 25 auf 50 DM zu erhöhen. Auch dafür fehlt mir das Verständnis.
Im übrigen, meine Damen und Herren, besonders von der CDU, hätten Sie uns die Stellungnahme wesentlich erleichtern können, wenn Sie Ihren Fraktionsfreunden in Nordrhein-Westfalen klargemacht hätten, wie Sie in dieser Frage denken. Sie müßten doch anerkennen, daß das, was dort nicht als agitatorisch angesehen wird, wenigstens für die armen Länder notwendig ist.
({5})
Die ganze Situation ist für uns dadurch unerträglich verschärft worden, daß die CDU in Nordrhein-Westfalen als die dort führende Partei die Sätze des Bundes einfach verdoppelt hat.
({6})
Die Länder, in denen eine ganz andere soziale Atmosphäre herrscht, müssen stillschweigend zusehen, wie ohne dringende Notwendigkeit das soziale Gefälle von der Zonengrenze nach dem reichen Nordrhein-Westfalen noch verschärft wird. Das wird von meiner Fraktion als unerträglich empfunden und hat uns Veranlassung gegeben, uns in dieser Frage die Freiheit zu nehmen, eine andere Auffassung zu vertreten, und darüber, meine Herren von den Regierungsparteien,
({7})
wollen wir uns völlig klar sein: Sie werden sich damit abfinden müssen, daß wir hin und wieder eine andere Auffassung vertreten - ({8})
- Meine Damen und Herren, ich gönne Ihnen die Heiterkeit; ich verstehe sie nicht recht.
({9})
Herr Abgeordneter, ich halte die Heiterkeit für verständlich. Ihre Formulierung könnte den Eindruck erwecken, daß der BHE bereits nicht mehr zu den Regierungsparteien gehöre.
({0})
Herr Vizepräsident, ich danke Ihnen herzlich für die Belehrung; Sie hätten sie sich ersparen können. Ich bin ja gerade dabei, zu erklären, daß ich die Heiterkeit nicht verstehe.
({0})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, dadurch zu verhindern, daß ich meine Schlußworte spreche, dann irren Sie sich. Wenn Ihnen die Zeit nicht zu schade ist, - die paar Minuten warte ich auch noch gern ab. Ich habe nichts anderes zum Ausdruck bringen wollen, als daß meine Fraktion für sich das Recht in Anspruch nimmt, in gewissen Fragen ihre eigene Meinung zu haben und zu vertreten, und daß unsere Mitkombattanten in der Regierung das zur Kenntnis nehmen mögen.
({1})
Ich hoffe, daß Sie jetzt auch mit der Formulierung des Gedankens, den Sie ganz richtig verstanden hatten, einverstanden sind.
Nun kam zum Schluß die immer wiederkehrende Frage: Wo ist die Deckung? Es handelt sich hier um einen Betrag von 25 Millionen DM. Wir haben uns heute schon über größere Beträge unterhalten, und der Herr Bundesfinanzminister hofft ja bereits durch jenes eine Gesetz die Kleinigkeit von 350 Millionen DM von den Ländern einkassieren zu können.
({2})
Ich will damit nur ausdrücken, daß es sich hier um eine Größenordnung handelt, bei der die Frage der Deckung nicht das Gewicht hat, das ihr hier beigelegt wird.
({3})
Ich möchte meinen, daß der Bundestag gut beraten gewesen wäre, wenn er wenige Wochen nach dem Beginn seiner gemeinsamen Arbeit die Gelegenheit wahrgenommen hätte, durch eine Erhöhung der Weihnachtsbeihilfen, wie sie in den Vorjahren gegeben wurden, einem Teil unseres Volkes, der heute seinen Anteil an den Segnungen des wirtschaftlichen Aufstiegs noch nicht bekommen hat, eine sichtbare Geste zu machen und damit zum Ausdruck zu bringen, daß es der neue Bundestag wirklich ernst meint mit seinem Anliegen, sich der sozial Schwachen anzunehmen. Es wäre gar nicht notwendig gewesen, hier im Bundestag großen Lärm zu verursachen,
({4})
wenn der Ausschuß - meine Damen und Herren, da bitte ich einmal hinzuhören - nicht so gewissermaßen mit einer Handbewegung über diese Dinge hinweggegangen wäre. Wir hätten uns, glaube ich, im Ausschuß in aller Ruhe und ohne jede Befriedigung irgendeines Agitationsbedürfnisses unterhalten können. Diese Möglichkeit ist uns leider verbaut worden. Wir möchten daran die Hoffnung knüpfen, daß man sich in Zukunft bei derartigen Anliegen im Ausschuß vielleicht etwas mehr Zeit nimmt, damit solche widersprechende Auffassungen nicht hier im Plenum vorgebracht werden müssen.
Das ist die Auffasung des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, und damit habe ich die Gründe dargelegt, die uns veranlassen, abweichend von der Auffassung unserer Regierungspartner dem Antrag der SPD zuzustimmen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird niemand geben, der etwa einer Fraktion in diesem Hause das Recht bestreitet, ihre eigene Auffassung zu vertreten, hier vorzutragen und danach zu handeln. Ich habe jedoch gehört, daß der Vorredner, der Herr Kollege Gille, dem Redner, der für die Fraktion der CDU/CSU gesprochen hat, glaubte den Vorwurf machen zu können, daß aus seinen Ausführungen ein Gefühl oder ein Ausdruck satter Behaglichkeit gesprochen habe.
({0})
Herr Kollege Gille, ich verweigere Ihnen das Recht, hier solche Feststellungen zu treffen.
({1})
Wenn Sie eine andere Meinung haben - ich unterstreiche das -, dann ist das selbstverständlich das gute Recht Ihrer Fraktion. Aber die Meinung, die hier für die Fraktion der CDU/CSU vorgetragen wird und für die ich immerhin in Anspruch nehme, daß mindestens so viel Verantwortungsgefühl aus ihr spricht wie aus Ihren Ausführungen, in dieser Weise
zu kritisieren, das werde ich für die Fraktion und mit der Fraktion nicht dulden.
({2})
Meine Damen und Herren, da weitere Wortmeldungen nicht mehr vorliegen, schließe ich die Aussprache über den Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Weihnachtsbeihilfe, Drucksachen 105 und 40. Von der SPD-Fraktion ist namentliche Abstimmung über den Antrag Drucksache 105, über die jetzt abgestimmt wird, beantragt. Da dieser Antrag die nötige Unterstützung hat, muß so verfahren werden. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit kein Irrtum entsteht, worüber abgestimmt wird: wir stimmen jetzt ab über den Antrag des Ausschusses, der auf der Drucksache 105 abgedruckt ist.
Meine Damen und Herren, sind noch Abgeordnete da, die in der namentlichen Abstimmung ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? - Dann bitte ich, das möglichst schnell zu tun. Ich nehme an, daß jetzt alle Damen und Herren ihre Stimme abgegeben haben, und schließe die namentliche Abstimmung zu Punkt 15 der Tagesordnung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihr Einverständnis unterstellen. daß wir in der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren, während ausgezählt wird. - Das Haus ist einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 16 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Weihnachtszuwendung für Bundesbedienstete ({1}).
Es ist vereinbart, daß weder der Antrag begründet noch dazu gesprochen werden soll. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Ich schlage Ihnen vor, diese Drucksache dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist auch der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ({2}).
Auch hier sollte nach einer Vereinbarung auf Begründung und Aussprache verzichtet werden. Ich schließe daher die erste Beratung und schlage Ihnen Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates vom 2. September 1949 und zu dem Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen vom 6. November 1952 ({3}).
Auch hier ist vereinbart, auf eine Begründung und Aussprache zu verzichten. Ich schließe die erste Beratung und schlage dem Hause die Überweisung
({4})
des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für auswärtige
Angelegenheiten vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
({5})
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über Drucksache 105 bekannt. Es sind 453 Stimmen von stimmberechtigten Abgeordneten abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 277 Abgeordnete, mit Nein 172 Abgeordnete. Enthaltungen vier. Von den Berliner Abgeordneten haben neun mit Ja und zehn mit Nein, insgesamt 19, gestimmt.. Damit ist Drucksache 105 angenommen.
Wir kommen zu Punkt 19:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Freundschafts- und Handelsvertrag vom 21. April 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich des Jemen ({0}).
Begründung und Aussprache sind nicht vorgesehen, werden auch nicht gewünscht. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 20 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Handelsvertrag vom 18. April 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Uruguay ({1}).
Ebenfalls ohne Begründung und ohne Aussprache. Ich schlage die Überweisung an den Außenhandelsausschuß vor. Einverstanden? - Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen ({2}).
Eine Begründung soll nicht erfolgen. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Pfleiderer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist niemand in diesem Hohen Hause, der es nicht begrüßte, daß zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten ein Abkommen abgeschlossen worden ist, durch das der alte Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag vom Jahre 1923 wieder in Kraft gesetzt wird. Damit werden die Beziehungen des täglichen Lebens zwischen den beiden Staaten vertraglich geregelt und geordnet. Ich denke da besonders an die Kaufleute, an die Reeder und an die Konsuln. Dieser Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag ergänzt in sehr glücklicher Weise die engen Beziehungen, die zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten auf dem Gebiete 'der großen Politik bestehen. Ich glaube, es ist nicht notwendig, sich heute irgendwie mit den Einzelheiten des Vertrages zu befassen; denn das wird im Ausschuß und ,dann bei der zweiten Lesung geschehen.
*) Siehe Abstimmungsliste Seite 167
Der Vertrag von 1923, der jetzt wieder in Kraft gesetzt wird, ist ein „alter Bekannter". Er hatte bereits ein halbes Menschenalter lang den wirtschaftlichen und konsularischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten eine zuverlässige Grundlage geboten. Der Vertrag war damals bei allen Kennern als einer der besten seiner Art bekannt und wurde 'in der Literatur des In- und Auslandes als besonders fortschrittlich bezeichnet, und zwar deshalb, weil er auf dem Gebiet der Eigentumsschutzbestimmungen die größten Neuerungen aufwies.
In der Präambel des uns vorliegenden Abkommens heißt es, daß als vorläufige Maßnahme der alte Vertrag wieder in Kraft gesetzt wird, und daß jetzt ein 'umfassender und zeitgemäßerer Vertrag verhandelt werden soll. Wir wünschen diesen neuen Verhandlungen einen guten Verlauf und hoffen, daß bis zum Abschluß des neuen Vertrages die Fragen gelöst sein werden, die das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten heute noch so ernsthaft belasten. Ich meine die Frage des deutschen Eigentums in den Vereinigten Staaten.
Mit dieser Frage befassen sich eine Reihe von Artikeln des vorliegenden Abkommens und des alten Vertrages von 1923, der durch dieses Abkommen jetzt wieder in Kraft gesetzt wird. Ferner befaßt sich mit dieser Frage die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, ,die auf Seite 7 der Drucksache 71, die uns vorliegt, abgedruckt ist.
Wir müssen beim deutschen Eigentum in den Vereinigten Staaten das öffentliche Eigentum der Bundesrepublik und das private Eigentum der deutschen Staatsangehörigen auseinanderhalten. Ich möchte mich zunächst mit dem ersteren befassen.
Art. II des Abkommens ergänzt Art. XIX des Vertrages von 1923, der sich in seinem Abs. 2 mit Regierungseigentum befaßt, durch einen Zusatz, in dem es heißt:
Die Regierung jedes Vertragsteils kann im Gebiet des anderen Vertragsteils Grundstücke, Gebäude und Zubehör erwerben, zu Eigentum haben, ... wenn dies für Regierungszwecke ... notwendig oder zweckdienlich ist.
Nun, wir haben solche „Grundstücke, Gebäude und Zubehör" in den Vereinigten Staaten besessen. Aber wir besitzen sie nicht mehr. Sie sind enteignet und versteigert worden. Dies ist geschehen unter Verletzung des Gesandtschaftsrechts. Das Gesandtschaftsrecht gilt seit den Tagen des grauen Altertums als der heiligste Teil des Völkerrechts, und eine Verletzung des Gesandtschaftsrechts ist, wenn man es lateinisch sagen soll, nicht iniuria, sondern nefas, es ist nicht Unrecht, sondern Sünde.
Öffentlich zum Kauf angeboten und versteigert wurde aber nicht nur das Botschaftsgebäude, sondern auch der Bauplatz, den wir 1906 erworben und 1932 vergrößert hatten, um an Stelle des alten unzweckmäßigen Botschaftsgebäudes ein neues und besseres zu erstellen. Dieses Botschaftsgebäude wurde im Mai 1951 - 1951! - verkauft, also zu einem Zeitpunkt, als man schon daran dachte, einmal deutsche Soldaten auszuheben, die die Güter der westlichen Welt beschützen sollten. Der Erlös aus dieser Versteigerung ging in die Kasse der amerikanischen Regierung. Ich glaube, das ist das schlechteste Geld, das jemals in das Schatzamt der Vereinigten Staaten gekommen ist. Es gibt ein Geldgesetz, das da sagt: Schlechtes Geld verdrängt
({0})
gutes, - und es ist sehr wohl möglich, daß dies auch im moralischen Sinne gilt. Auch reiche Staaten sollten sich scheuen, schlechtes Geld in ihre Kassen zu leiten.
In allen Friedensverträgen ist den ehemaligen Feinden ,die Rückgabe der Botschaftsgebäude zugesagt worden. Nur uns Deutschen werden diese Gebäude verweigert. Wir werden hier einseitig diskriminiert und entehrt. Die Regierungen von Argentinien, von Brasilien, von Chile haben die deutschen diplomatischen Gebäude zurückgegeben, Präsident Perón in besonders feierlicher Form, und wir werden dies nie vergessen.
Der amerikanische Senator Langer hat im alten Senat und, wie ich höre, am 21. Mai d. J. auch im neuen Senat einen Antrag eingebracht, nach dem der Bundesrepublik ein Betrag von 300 000 Dollar zum Ankauf eines neuen Botschaftsgebäudes zur Verfügung gestellt werden soll. Bedeutsam an diesem Antrag ist nicht so sehr der Geldeswert, sondern die Gesinnung, aus der der Antrag gestellt worden ist. Wir begrüßen den Antrag dieses hochgeachteten Senators. Ich glaube, dieses Hohe Haus stimmt darin überein, daß Senator Langer mit seinem Antrag einen ausgezeichneten Beitrag zur Entwicklung der amerikanisch-deutschen Beziehungen geleistet hat. Wir sind ihm von Herzen dankbar dafür.
Ich möchte wünschen, daß über einem künftigen Botschaftsgebäude ein besserer Stern steht als über dem alten und daß das öffentliche Eigentum 'des deutschen Staatswesens in den Vereinigten Staaten unter dem neuen Abkommen in Zukunft in derselben Weise geschützt wird, wie das amerikanische Staatseigentum in Deutschland immer geschützt gewesen ist, und zwar selbst in den düstersten Zeiten der deutschen Geschichte.
Nun komme ich zum privaten Eigentum, zum Schicksal des deutschen privaten Eigentums in den Vereinigten Staaten. Vor mir liegen die Aussagen eines amerikanischen Anwalts vor einem Untersuchungsausschuß des Kongresses, ich glaube, des Senats selbt. Diese Aussage beginnt mit dem ehernen und klassischen Satz: Die Wegnahme privaten Eigentums ist für amerikanische Begriffe - for the American way of life - immer abstoßend gewesen. Ich kann hier nur sagen: auch für unsere 'deutschen Begriffe hat die Wegnahme privaten Eigentums immer etwas Abstoßendes gehabt. Dies ist wohl auch der Grund dafür gewesen, daß die beiden Staaten nach dem ersten Weltkrieg eine ganz bestimmte Regelung für die Eigentumsfrage getroffen haben, und zwar eben in Art. I Abs. 4 des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrags, den wir im Begriffe stehen wieder in Kraft zu setzen. Es heißt daselbst:
Die Staatsangehörigen des einen Vertragsteils sollen innerhalb des Gebietes des anderen Teils Schutz und Sicherheit für Person und Eigentum durchaus erhalten und sollen in dieser Hinsicht in dem Umfange Schutz genießen, wie das Völkerrecht es vorschreibt. Ihr Eigentum soll nicht ohne ordentliches Rechtsverfahren und nicht ohne angemessene Entschädigung genommen werden.
Sie sollen also Schutz und Sicherheit für ihr Eigentum durchaus erhalten oder, wie es englisch heißt: ... shall receive ... the most constant protection and security", Von all dem ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. Zwar hat das höchste
amerikanische Gericht entschieden, der Vertrag, den wir wieder in Kraft setzen wollen, habe nie aufgehört, Gültigkeit zu besitzen. Art. I des neuen Abkommens trägt dieser Auffassung ausdrücklich Rechnung. Das Völkerrecht, auf das der Vertrag Bezug nimmt, schützt d'as private Eigentum auch im Kriege. Trotzdem diese wahrhaft heillose Lage heute. Ich glaube, niemand wird etwas dagegen sagen, daß Staaten Vorsorge treffen, daß feindliches Eigentum in Zeiten des Krieges nicht gegen ihre Sicherheit ausgenutzt wird. Aber dazu ist es nicht nötig und war es nicht nötig, den Eigentümern ihr Eigentum zu entziehen und es zu versteigern. Der derzeitige amerikanische Außenminister John Foster Dulles bezeichnete schon im Jahre 1943 in einem Aufsatz die Beschlagnahme als eine „Vorsichtsmaßnahme für die Dauer des Krieges". Aber da ist es doch merkwürdig und läßt auf dunkle Hintergründe schließen, daß von den 19 106 Beschlagnahmeverfügungen, die in den Vereinigten Staaten nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges ergangen sind, 14 038 in die Zeit nach der Kapitulation, nach dem 8. Mai 1945 fallen und daß erst lange nach diesem Zeitpunkt der Hauptteil des deutschen Vermögens .an Dritte verkauft worden ist. Hier sehen wir die verhängnisvollen Nachwirkungen der Morgenthau-Politik, die die deutsch-amerikanischen Beziehungen in diesem Punkt bis heute vergiften.
Die Vereinigten Staaten haben die größten Anstrengungen gemacht, um das zerstörte Europa wieder auf die Beine zu bringen. Milliarden haben sie über den Marshallplan aus der Tasche ihrer Steuerzahler hingegeben, um uns 'in Europa vor dem Untergang zu retten. Der heutige Finanzminister, Mr. Humphrey, brachte in wirklich heroischen Anstrengungen die verhängnisvollen Demontagen zum Ende. Dann kam der Bonner Vertrag, es kam der Pariser Vertrag, es kam die Reise des Herrn Bundeskanzlers, es kam das deutsche Schuldenanerkenntnis, d. h. die Wiederherstellung und Anerkennung der ausländischen Gläubigerrechte gegenüber Deutschland und 'gegenüber den Deutschen im einzelnen. Aber auf dem ganzen Gebiet des deutschen Auslandsvermögens ging die Vernichtung weiter, als ob der Weltkrieg verewigt werden sollte. Es liegt doch ein ungeheurer Widerspruch darin, hier die Milliarden des Marshallplans auszugeben, um uns zu helfen, und dort das deutsche Vermögen wegzunehmen, mit dem wir uns, wenn auch zu einem bescheidenen Teil, hätten selber helfen können.
Zu was für Ergebnissen führt denn das alles? Ich möchte in diesem Hause einige Beispiele anführen. Das amerikanische Amt für beschlagnahmtes Auslandsvermögen hat sich bis heute noch nicht in der Lage gesehen, 1000 Dollar freizugeben, die ein gefallener amerikanischer Soldat deutscher Abstammung der evangelischen Kirche in Deutschland für ein Kinderblindenheim hinterlassen hat. Ein mehrfach ausgezeichneter amerikanischer Soldat hat seinen deutschen Eltern sein Vermögen in Höhe von 12 000 Dollar hinterlassen. Doch wurde auch 'dieses Geld bis heute noch nicht freigegeben mit der Begründung, das Gesetz habe keinen Unterschied zwischen guten und schlechten Deutschen gemacht.
({1})
Ein gefallener amerikanischer Soldat hat seiner
deutschen Mutter eine Erbschaft hinterlassen, die
auch heute, acht Jahre nach Kriegsende, noch im({2})
mer nicht ausgezahlt werden konnte. Man schätzt, daß in Deutschland zwischen 50 und 100 alte Veteranen leben, die noch im amerikanisch-spanischen Krieg auf amerikanischer Seite gekämpft hatten und bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges eine Veteranenrente empfingen. Bis heute ist die Zahlung dieser Renten noch nicht wieder aufgenommen worden.
Was soll man da noch sagen? Ich glaube, man kann nur eines tun, nämlich laut und deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir es wirklich mit Erstaunen betrachten, wie ein bedeutender Abschnitt der amerikanischen Politik gegenüber Deutschland noch immer in den Händen des toten Mr. Harry Dexter White zu liegen scheint und daß man dem toten Berater von Herrn Morgenthau noch immer gestattet, den Sinn der westlichen Verteidigung in Unsinn zu verkehren.
Was geschieht denn mit unseren Vermögenswerten? Nun, sie werden benutzt, um die amerikanischen Soldaten für völkerrechtswidrige Behandlung zu entschädigen, die sie in Japan erlitten haben, und wir haften dafür solidarisch; da wir aber die größeren Vermögenswerte in den Vereinigten Staaten besitzen, sind wir die Hauptleidtragenden. Dann werden die Vermögenswerte veräußert, wodurch unberechtigte Personen große Vorteile genießen und eine neue Gruppe von „Gewinnlern", die der Reparationsgewinnler, entsteht, während wir selbst Mühe haben, unsere echten Gläubiger in den Vereinigten Staaten zu befriedigen.
Nun, der Senat hat hier eingegriffen. Er hat die Geschäftsführung des APC, des „Feindvermögensverwalters", untersucht. Aber das Ergebnis war, daß der Stab dieser vielumstrittenen Behörde von 300 auf 150 Beamte herabgesetzt wurde, so daß jetzt aus Mangel an Sachbearbeitern die Aussichten, etwas zu erhalten, noch viel schlechter geworden sind, auch dort, wo das amerikanische Gesetz selbst eine Freigabe vorsieht.
Ich habe in der vergangenen Woche zu Hause im Wahlkreis den Besuch eines deutschen Gelehrten erhalten, eines Physikers, der ein großer Fachmann auf Gebieten ist, die für die künftige Verteidigung von größtem Interesse sind. Er hat ein Vermögen von 120 000 Dollar in den Vereinigten Staaten und wäre nach den amerikanischen Bestimmungen berechtigt, dieses Vermögen zurückzuerhalten. Er hat es nicht bekommen. Er hat auch 2000 Dollar nicht bekommen, deren Freigabe er beantragt hatte, um nach Amerika auswandern zu können. Nun steht er mittellos da, da das industrielle Laboratorium, in dem er gearbeitet hatte, geschlossen werden mußte. Er muß also auswandern. Ich habe ihn gefragt: Wohin werden Sie denn gehen? Darauf hat er mir gesagt: Es bleibt mir nur übrig, in die Sowjetzone zu gehen; denn dort ist für Gelehrte meines Könnens und meines Arbeitsgebiets jeder Betrag vorhanden.
Nun, ich möchte hier nicht wiederholen, was seinerzeit in der Aussprache über das Londoner Schuldenabkommen bezüglich des deutschen Auslandsvermögens vorgebracht worden ist. Wohl aber möchte ich sagen, daß die Bundesregierung vor kurzem eine Note der Hohen Kommission mit einer amerikanischen Unterschrift erhielt, in der bittere Beschwerde darüber geführt wird, daß Beamte des deutschen Auswärtigen Amtes es wagten, im Verhältnis zu Brasilien über Fragen des gewerblichen Eigentums und des Urheberrechts zu verhandeln, d. h. daß wir es im Verhältnis zu einem großen souveränen Staat, mit dem uns die engsten wirtschaftlichen Beziehungen verbinden, wagten, die Grundsätze der zivilisierten Welt wiederherzustellen. Ich möchte hier der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Beamten des deutschen Auswärtigen Amtes tatsächlich im Auftrag der Bundesregierung gehandelt haben, und ich gebe der Überzeugung Ausdruck, daß sie die volle Billigung dieses Hohen Hauses in ihrer Tätigkeit finden. Ich möchte weiterhin glauben, daß eine Note wie die erwähnte aus einer Gesinnung stammt, die nur noch die Vergangenheit, aber nicht mehr die Zukunft für sich hat. Ich möchte auch offenlassen, ob hinter der amerikanischen Unterschrift, die die Note der Hohen Kommission trägt, nicht der Wille anderer Mitglieder der Hohen Kommission steht.
Mit tiefster Enttäuschung, muß ich sagen, haben wir die Erklärung gelesen, die der Herr Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Abkommens abgegeben hat und die auf Seite 7 der Drucksache 71 abgedruckt ist. Der Herr Bundeskanzler versichert darin, sich auf die Rechte, die der Art. I Abs. 4 des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrages gibt, nicht berufen zu wollen. Nun, damit ist der Vertrag für uns natürlich sehr entwertet. Ich weiß nicht, wie viele gute Freunde die Vereinigten Staaten in der Welt besitzen, aber sicher werden sie keinen treueren Freund besitzen als den deutschen Herrn Bundeskanzler,
({3})
und ich finde, Amerika sollte solche treuen Freunde nicht zwingen, derartige Erklärungen abzugeben, denn dadurch verleugnet Amerika die Freundschaft eines Freundes, und zwar in einem Freundschaftsvertrag.
Wenn ich heute schon in der ersten Lesung auf diese Punkte hingewiesen habe, dann deshalb, weil ich hoffen möchte, daß bis zur dritten Lesung vielleicht doch Ereignisse eintreten, die unsere Einwendungen gegen den Vertrag und die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers beseitigen werden.
Meine Damen und Herren, es war am Montag, dem 30. März dieses Jahres, als vier deutsche Abgeordnete die Ehre hatten, auf dem Floor des amerikanischen Senats begrüßt zu werden, und für uns, die wir dabei waren, gehört dieser Augenblick zu den denkwürdigsten unseres Lebens. Ich glaube, der amerikanische Senat ist vielleicht die einflußreichste Körperschaft, die es in unserem Zeitalter gibt, und ausgezeichnet und hervorragend sind die Männer und ist die Frau, die ihm angehören. Wenn. ich an die Begrüßung denke, die uns zuteil geworden ist, und wenn ich auch an die Ehre denke, die uns hier in diesem Hohen Hause Speaker Martin mit seinem Besuch erwiesen hat, dann kann ich nicht glauben, daß in den Vereinigten Staaten nicht Männer genug vorhanden sein sollten, um in der Eigentumsfrage endlich einmal Schluß mit diesem fortgesetzten Krieg zu machen und die Grundsätze anzuwenden, die in dem Vertrag von 1923 Ausdruck gefunden haben.
({4})
Mein Freund Herr Dr. Wellhausen hat neulich in einem vielbeachteten Vortrag in München die Anregung gegeben, man sollte internationale völkerrechtliche Normen schaffen über die Behandlung, d. h. über den Schutz von privatem Vermögen, gerade in Zeiten des Krieges. Eine solche Konvention würde sich der Konvention über das Rote
({5})
Kreuz würdig an die Seite stellen. Ich möchte glauben, daß es für die Vereinigten Staaten von Bedeutung wäre, solche Normen mitzuschaffen, haben doch die Vereinigten Staaten selbst die größten Vermögenswerte und Kapitalien im Ausland angelegt und dort zu schützen. Auch ist die Behandlung des deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten der gefährlichste Präzedenzfall für eine Wegnahme in Zeiten des Krieges und damit die gefährlichste Bedrohung für das amerikanische Vermögen selbst. Es erhebt sich die Frage, ob nicht der Artikel I Abs. 4, in dem auf das Völkerrecht Bezug genommen wird, und dieses Völkerrecht schützt ja das private Eigentum auch im Kriege, weiterentwickelt werden sollte, eben in der Richtung, die Dr. Wellhausen aufgezeigt hat. Damit würde der neue Handelsvertrag mit den Vereinigten Staaten ein Beitrag nicht nur zu besseren deutsch-amerikanischen Beziehungen, sondern auch zu besserem Recht, zu einer besseren Politik und zu einer besseren Welt.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die allgemeine Aussprache zu Punkt 21 geschlossen. Es ist beantragt, die Vorlage an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführenden Ausschuß und den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden. - Damit ist so beschlossen und Punkt 21 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 22:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Schiffssicherheitsvertrag London 1948 ({0}).
Der Ältestenrat hat Ihnen vorgeschlagen, auf eine Begründung und Aussprache zu verzichten. Die Vorlage soll an den Ausschuß für Verkehrswesen als federführenden Ausschuß, den Ausschuß für Post-und Fernmeldewesen und den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden.
Ist das Haus damit einverstanden?
({1})
- Es ist so beschlossen. Punkt 22 ist erledigt. Ich rufe Punkt 23 a auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität ({2}) betreffend Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Jacobi gemäß Schreiben des Landgerichts Würzburg, Strafkammer, vom 13. November 1953 ({3}) ({4}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Giencke.
Giencke ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der gemeinsame Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität hat in seiner gestrigen Sitzung einstimmig beschlossen, die Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Herrn Abgeordneten Jacobi gemäß Schreiben des Landgerichts Würzburg, Strafkammer, vom 13. November 1953 an den Herrn Bundestagspräsidenten zu erteilen. Es handelt sich um ein Schwurgerichtsverfahren gegen den ehemaligen SS-Oberscharführer
Eschner wegen mehrfachen im Konzentrationslager Groß-Rosen begangenen Mordes. Hierbei soll der Herr Abgeordnete Werner Jacobi, Köln-Marienburg, Lindenallee 17, als Zeuge vernommen werden. Zur zweifelsfreien Klärung des Sachverhalts ist die persönliche Anwesenheit des Zeugen in der Schwurgerichtsverhandlung am 8. Dezember 1953 unerläßlich. Es entspricht den erarbeiteten Grundsätzen im gemeinsamen Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität, daß eine Genehmigung in diesem Falle erteilt wird.
Ich beantrage daher im Namen des Ausschusses: Der Bundestag wolle beschließen:
Die Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Jacobi in der Schwurgerichtsverhandlung vor dem Schwurgericht Würzburg am 8. Dezember 1953 wird erteilt.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 23 b auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Behrisch gemäß Schreiben des Amtsgerichts Coburg, Abt. 3, vom 3. November 1953 ({1}) ({2}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Kahn.
Kahn ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Schöffengericht Coburg schwebt zur Zeit ein Strafverfahren gegen einen Herrn Gerhard Weißmann in Schottenstein und gegen zwei andere wegen übler Nachrede zum Nachteil des Kollegen Arno Behrisch aus Hof ({4}). In diesem Verfahren wird der Bundestagsabgeordnete Behrisch als Zeuge benötigt. Seine kommissarische Vernehmung am Sitz des Bundestags gemäß § 50 Abs. 1 der Strafprozeßordnung ist im Interesse der Sachaufklärung untunlich. Die Vernehmung soll deshalb in der für den 12. Januar 1954 angesetzten Hauptverhandlung erfolgen. Es wird daher seitens des Amtsgerichts Coburg für den Fall, daß sich der Kollege Behrisch am Tag der Hauptverhandlung am Sitz des Bundestags aufhalten sollte, die Genehmigung des Bundestags zur Vernehmung des Bundestagsabgeordneten Behrisch am Sitze des Schöffengerichts Coburg beantragt.
Der Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität hat gestern nach Kenntnisnahme des Sachverhalts beschlossen, den Bundestag zu bitten, die Genehmigung für die Zeugenvernehmung des Abgeordneten Behrisch gemäß Schreiben des Amtsgerichts Coburg Abt. 3 vom 3. 11. 1952 zu erteilen, Die Beschlußfassung erfolgte im Ausschuß einstimmig. Ich bitte das Haus, heute demgemäß zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem gestellten Antrag zustimmen will, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme des Antrags fest. Punkt 23 ist damit erledigt.
({0})
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({1}).
Wer dem Umdruck 3 zustimmen will, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme des Antrags fest.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß sich der 5. Ausschuß, der Ausschuß für Besatzungsfolgen, morgen, Freitag, den 4. Dezember, 9 Uhr, Zimmer 210 S konstituiert.
Ich berufe die nächste, die 8. Sitzung des Deutschen Bundestags, auf Donnerstag, den 10. Dezember, 9 Uhr 30, ein und schließe die 7. Sitzung des Deutschen Bundestags.