Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist erweitert um den mit Schreiben vom 23. Februar erhobenen Einspruch des Abgeordneten Dr. Greve gegen den ihm gestern in der 68. Sitzung erteilten Ordnungsruf. Das Schreiben ist als Umdruck 295 vervielfältigt und liegt dem Hause vor. Nach § 43 der Geschäftsordnung ist die heutige Tagesordnung um diesen Punkt zu erweitern.
Ich darf, ehe wir zur Abstimmung über diesen Einspruch kommen, noch darauf hinweisen, daß der unter Punkt 2 angezeigte Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu Drucksache 979 zwischenzeit({0})
lieh als Drucksache 1201 vorliegt. Es ist im Altestenrat vereinbart worden, heute nur Punkt 1 der Tagesordnung aufzurufen.
Die übrigen amtlichen Miteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 16. Februar 1955 die Kleine Anfrage 148 der Abgeordneten Ruhnke, Schwann, Dr. Bartram, Geiger ({1}), Elsner, Dr. Elbrächter und Genossen betreffend Beteiligung der Bundesrepublik an dem Technischen Hilfsprogramm der UNO - Drucksache 1174 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1220 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, ich komme zunächst zur Abstimmung über den
Einspruch des Abgeordneten Dr. Greve gegen den ihm in der 68. Sitzung erteilten Ordnungsruf ({2})).
Wer dafür ist, daß diesem Einspruch stattgegeben wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({3})
Das zweite war die Mehrheit; dem Einspruch ist nicht stattgegeben.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Zweite Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland ({4});
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ({5});
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag ({6});
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar ({7}));
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({8}) ({9}).
({10})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Professor Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei den Antrag, Punkt 1 der Tagesordnung abzusetzen.
Seitdem der Bundestag mit den Verträgen befaßt ist, durch die die Bundesrepublik - das eine Mal so, das andere Mal anders - in ein militärisches Vertragssystem integriert werden soll, hat meine Fraktion dieses Haus immer wieder gebeten, die Beratung der ihm vorgelegten Zustimmungsgesetze auszusetzen, bis die politische Lage genügend geklärt sei. Der Umstand, daß Sie bisher jeweils diesen Antrag abgelehnt haben, vermag uns nicht zu entmutigen, ihn heute zu wiederholen. Wir sind entschlossen, uns an jedem Meilenstein einer Poli-
*) Siehe Anlage 3.
**) Siehe Anlage 4.
tik in den Weg zu stellen, von der wir fürchten, daß sie das deutsche Volk eine Straße führt, die nicht auf die Wiedervereinigung hinführen kann, sondern von ihr wegführen muß.
({0})
Jene, die meinen, unsere Befürchtungen seien unbegründet, sollen sich nicht bei der von ihnen ein für allemal getroffenen Entscheidung beruhigen dürfen, dieser Weg müsse so schnell als möglich zurückgelegt werden. Sie werden sich in jeder Phase des Prozesses neu entscheiden müssen, ob sie diesen Weg weitergehen wollen und ob sie ihn in dem Zeitmaß weitergehen wollen, das sie sich vorgenommen haben.
Vielleicht werden manche bestreiten, daß dieser Prozeß in eine neue Phase getreten sei. Nicht bestritten werden können jedoch folgende Tatsachen, die für die Bestimmung des Zeitpunktes dieser Beratungen von entscheidender Bedeutung sind.
Das Problem der Wiedervereinigung wird auch außerhalb Deutschlands nun immer mehr als ein Problem erkannt, das das Interesse der ganzen Welt betrifft. Immer zahlreicher werden die Stimmen, die sagen, daß eine rechte Ordnung der Welt nicht möglich sei, daß der kalte Weltkrieg nicht beendet werden könne, wenn dieses Problem nicht bald gelöst werde. Diese Erkenntnisse haben sich aber noch nicht überall zu konkreten politischen Entscheidungen verdichtet. Vorurteile und eingefahrene Geleise politischer Konzepte stehen dem noch entgegen. Sicher ist aber, daß sie, einmal reif geworden, zu politischen Entscheidungen führen könnten, die sich von den bisherigen Vorstellungen entfernen. Man sollte dieser begrüßenswerten Entwicklung die Zeit lassen, die sie braucht. Die Zustimmung des Bundestags zu den Gesetzen, die vorgelegt sind, müßte diese Entwicklung stören.
Ein Zweites. Das wechselseitige Verhältnis von Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung wird so gut wie überall in der Welt heute anders gesehen als am Beginn der Politik, die zu diesen Verträgen geführt hat. Dieser Wandel der Vorstellungen hat verschiedene Stufen durchlaufen. Zunächst galten die Verträge als ein Ding an sich. Ihr Zweck sollte ausschließlich die Stärkung der Verteidigungskraft des Westens und damit Deutschlands sein. Dann sollten sie dem Westen erlauben, gegenüber der Sowjetunion eine Politik der Stärke zu führen. Später sollten sie die Chance, mit der Sowjetunion in nützliche Verhandlungen zu kommen, bessern. Wenn man von den Russen Konzessionen haben wolle, sagte man, müsse man ihnen etwas anzubieten haben. Und schließlich ist man heute schon so weit, Ratifikation und Anwendung der Verträge zu unterscheiden, mit der Folge, daß jetzt schon gewisse Regierungen mit der Sowjetunion zwar nach der Ratifikation der Verträge, aber vor ihrer Anwendung verhandeln wollen.
Nun scheint sich darüber hinaus in einigen Ländern die öffentliche Meinung weiterzuentwickeln, nämlich in der Richtung, daß man, um die Wiedervereinigung zu fördern, mit der Sowjetunion verhandeln müsse, ehe durch die Ratifikation der Verträge vollendete Tatsachen geschaffen seien, die die Verhandlungen erschwerten. Die letzte Zeit hat eine Reihe sowjetischer Verlautbarungen gebracht. Man hat viel über ihre Bedeutung und Tragweite spekuliert. Uns scheint es müßig zu sein, erraten zu wollen, was die Sowjets wohl gemeint haben könnten. Wir glauben, daß man ausschließlich am
({1})
Verhandlungstisch feststellen kann, was sie wirklich wollen und wozu sie bereit sind.
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Es gilt, die Sowjetunion beim Wort zu nehmen. Ist einmal ratifiziert, so wird eine Einigung der Mächte nur möglich sein, wenn entweder die Sowjetunion vor den politischen Absichten des Westens kapituliert - und das ist wenig wahrscheinlich - oder wenn der Westen bereit ist, das Gebäude, auf dessen Errichtung er so viel Mühe verwendet hat, abzutragen; das ist auch wenig wahrscheinlich. Darum glauben wir, daß mit der Fortsetzung der Beratung der Zustimmungsgesetze gewartet werden sollte, bis durch Viermächteverhandlungen die Lage -jenseits der bloßen Vordergründe - klarer geworden ist als heute. Nur dann werden wir von genügend sicheren Grundlagen aus entscheiden können.
Wir stehen heute auch in dieser Tagesordnungsfrage vor einer echten politischen Entscheidung und nicht in einem Spiegelgefecht. Wir werden unserer Aufgabe nur dann voll gerecht geworden sein, wenn wir alles getan haben, um uns die sichersten Grundlagen für unser Urteil zu verschaffen, so daß wir gelassenen Mutes der Gewißheit ins Auge schauen können, daß wir, wenn künftige Geschlechter von uns Rechenschaft verlangen werden, dabei so an unsere Nächsten - und das sind die Menschen drüben - gedacht haben, daß wir bestehen können, wenn uns einmal die Frage in den Ohren tönen sollte: Du hast gehandelt, du bist in Sicherheit - aber wo ist dein Bruder?
({3})
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Kiesinger. Ich schließe dann die Debatte zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde beantrage ich, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen. Wir kennen die Gegensätze unserer Auffassungen. Wir werden Laufe der kommenden Debatte im einzelnen dartun, warum wir uns dazu entschließen, unseren Weg weiterzugehen. Auch wir sind von tiefster Verantwortung erfüllt gegenüber dem Schicksal unseres ganzen deutschen Volkes, gegenüber dem Schicksal unserer Kinder und Enkel und jener 18 Millionen drüben, um die wir so viel reden.
({0})
Wir wissen, daß diese 18 Millionen sehr viel besser unseren Standpunkt verstehen als jenen, der ihnen Hoffnungen erweckt, die in der Art, wie sie vorgesetzt werden, nicht erfüllt werden können.
({1})
Herr Kollege Professor Schmid hat in seiner Begründung davon gesprochen, daß man sich in Ruhe Zeit lassen solle, um eine Entwicklung abzuwarten, von der er sich glaubte versprechen zu dürfen, daß sich allmählich in der Welt ein Meinungswandel anbahne. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir sind im Gegenteil der Meinung, daß, wenn wir uns nicht Zeit gelassen hätten, wenn die Verträge in den letzten Jahren nicht immer wieder verzögert und aufgeschoben worden wären, es heute um die Sicherheit und die Freiheit Europas und auch um die Sache der Wiedervereinigung besser bestellt wäre.
({2})
Ich will nichts von dem vorwegnehmen, was wir einander nachher sagen müssen. Aber das eine ist gewiß: daß dieser Zustand, in dem sich unser Kontinent, aber auch unser verwirrtes und verstörtes Volk befinden, es einfach nicht mehr länger erträgt, in der Schwebe des Hangen und Bangens gelassen zu werden, die nur Unheil schaffen kann.
({3})
Endlich sind die Verträge dahin gelangt, wo über sie entschieden wird: hier und nirgendwo anders, vor allen Dingen nicht auf der Straße!
({4})
Es geht sowohl um die europäische wie um die gesamtdeutsche Sicherheit, Herr Kollege Professor Schmid; es ist nicht so, daß wir in der Bundesrepublik die kleine Schlauheit begingen, nur an unsere eigene Sicherheit zu denken.
({5})
Wir wissen ganz genau, daß die Sicherheit der Bundesrepublik die einzige Chance für die 18 Millionen im Osten ist, jemals wieder die Freiheit zu sehen.
({6})
Und weil es so ist, gehen wir unseren Weg weiter.
({7})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, den Punkt 1 der Tagesordnung abzusetzen. Wer für den Antrag auf Absetzung des Punktes 1 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir treten daher in die Beratung des Punktes 1 der Tagesordnung ein.
Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten liegt Ihnen vor*). Meine Damen und Herren, ich frage, welcher der Herren Berichterstatter zunächst das Wort zu nehmen wünscht? - Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Professor Dr. Furler.
Dr. Furler ({0}), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses darf ich zunächst auf den gedruckten Bericht*) verweisen, der dem Hohen Hause vorliegt. Dies gilt vor allem für Einzelheiten mehr spezieller und technischer Art, die ich naturgemäß hier nicht in extenso vortragen kann. Ich will mich bei meiner mündlichen Berichterstattung auf die Grundprobleme beschränken, sie aber doch etwas eingehender 'darstellen, die Grundprobleme, die Gegenstand der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses waren.
Die Bundesrepublik erstrebt seit ihrer Entstehung, das auf ihr lastende Besatzungsregime zu beseitigen. Diese Politik führte über das Peters-
s) Siehe Anlage 5.
({1})
berg-Abkommen zur New Yorker Deutschland-Erklärung der drei Westmächte vom September 1950 und zu jenen langwierigen Verhandlungen, deren Ergebnis der am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichnete Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten sowie die damit zusammenhängenden Abkommen waren.
Dieser Vertragskomplex wurde durch die Gesetze vom 28. März 1954 in der Bundesrepublik publiziert. Er konnte aber nicht endgültig und nicht für alle Vertragsstaaten verwirklicht werden, weil er nicht allein politisch, sondern auch rechtlich mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft verbunden war, gegen den sich die französische Nationalversammlung am 30. August 1954 entschied.
Im Mittelpunkt der dann folgenden Verhandlungen stand nun nicht die Frage der Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik. Die Westmächte wären bereit gewesen, die hier in Betracht kommenden Verträge mit unverändertem materiellen Inhalt in Kraft treten zu lassen. Die Bundesregierung lehnte dies aber ab, da nach ihrer Auffassung die gewandelte politische Situation und vor allem die für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gefundene Ersatzlösung sich auch auf die Regelung der Fragen auswirken mußte, die mit der Beendigung des Besatzungsregimes zusammenhingen.
Die Londoner Schlußakte und die Pariser Verträge gestalteten nun den Deutschlandvertrag um, allerdings nicht in vollem Umfang, sondern nur in Teilstücken. Sie brachten Abänderungen, die in einem Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland und in fünf damit verbundenen Listen niedergelegt sind. Der Vertragskomplex soll in der so abgeänderten Fassung und unabhängig von den Vereinbarungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in Kraft treten.
Die Verträge, die Gegenstand der Drucksachen 1000 und 1060 sind, verbinden also alte und neue Inhalte und Formulierungen, die aus dem Jahre 1952 stammen, mit solchen, die erst in Paris gefunden wurden. Soweit die Verträge unverändert übernommen worden sind, behalten selbstverständlich die früheren Texte und die zu ihnen entstandenen gesetzgeberischen Materialien ihre Gültigkeit. Im Vordergrund der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses und der sieben mitberatenden Ausschüsse standen daher die in Paris durchgeführten Veränderungen der Verträge, und der Schwerpunkt des Berichts liegt daher auch in der Darstellung und in der Beurteilung dieser abgewandelten Normen.
Die Zustimmungsgesetze beziehen sich nur auf die in Paris zustande gekommenen Verträge. Sie erfassen nicht die Londoner Schlußakte, deren Ratifizierung die Bundesregierung nicht für erforderlich hält. Der Auswärtige Ausschuß schloß sich dieser Auffassung an, die davon ausgeht, daß von allen in London zustande gekommenen Vereinbarungen und Erklärungen nur eine, die aber nicht ratifikationsbedürftig ist, nicht Gegenstand der Pariser Verträge wurde. Es handelt sich um die Grundsatzerklärung der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, die schon in London in weitem Umfang de facto das Besatzungsregime beseitigte, eine tatsächliche Entwicklung anerkennend und sie zugleich weiterführend.
Mit dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrags und seiner Zusatzverträge verliert diese Erklärung ihre Bedeutung, da alsdann das Besatzungsregime ja auch rechtlich und endgültig aufgehoben wird. Die Grundsatzerklärung behält aber für die Auslegung der Pariser Verträge ihren Wert, da in ihr die westlichen Mächte aussprechen, die Aufhebung des Besatzungsregimes erfolge, um die Bundesrepublik zu einem gleichberechtigten Partner zu machen, mit dem sie sich assoziieren, und um ihr die Rechte nicht länger vorzuenthalten, die einem freien und demokratischen Volke von Rechts wegen zustehen.
Es erscheint nun notwendig, sofort hier und in diesem Zusammenhang auf die Ziffer 1 des Teils V der Londoner Schlußakte und auf die Erklärung einzugehen, die dort die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs abgegeben haben. Diese Erklärung ist zwar nicht Gegenstand der Verträge zu Drucksache 1000, steht aber mit ihnen in einem unmittelbaren Zusammenhang und war Gegenstand eingehender Beratungen sowohl im Auswärtigen Ausschuß wie im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Sie lautet: „Die Drei Mächte erklären, daß sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen." Dieser Satz findet sich erstmals wörtlich in der New Yorker Deutschlanderklärung der drei alliierten Westmächte vom September 1950. Er wurde deshalb in die Londoner Schlußakte und später in die Pariser Verträge übernommen, weil die neuen Abmachungen die New Yorker Deutschlanderklärung aufheben sollten, wobei jedoch der hier formulierte Gedanke an keiner anderen Stelle der Vertragstexte zum Ausdruck gekommen wäre.
Zur Fixierung des sachlichen Gehalts und der Bedeutung dieser Erklärung ist zunächst festzustellen, daß sie sich nicht auf die Beendigung des Besatzungsregimes und nicht auf die Fragen der Souveränität bezieht. Die Norm hat eine besondere Legitimation der Regierung der Bundesrepublik zum Gegenstand, nicht diejenige, daß die Regierung der Bundesrepublik befugt ist, für die Bundesrepublik zu handeln und aufzutreten, nein, die Legitimation der Bundesregierung, für das gesamte Deutschland und für das gesamte deutsche Volk aufzutreten. Die Mächte verleihen hier der Bundesregierung keine Legitimation, da ihr diese schon zusteht. Sie - und durch die Übernahme auch die übrigen Staaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft - erkennen aber diese Legitimation im Rahmen ihrer Erklärung an, wobei sie zur Begründung dieser Haltung auf die Tatsache abheben, daß die Regierung der Bundesrepublik die einzige deutsche Regierung ist, die frei und rechtmäßig gebildet wurde.
Über den sachlichen Umfang dieser gesamtdeutschen Legitimation konnte im Ausschuß eine übereinstimmende Meinung nicht erzielt werden. Die These, dieses „sprechen" bedeute die Fähigkeit, Gesamtdeutschland zu berechtigen und zu verpflichten, stand der Auffassung gegenüber, die Erklärung erkenne zum mindesten kein Recht der Bundesrepublik an, für Gesamtdeutschland Verpflichtungen zu übernehmen oder unmittelbare Verfügungen zu treffen.
({2})
Im Jahre 1950 haben die drei westlichen Mächte zu dieser Erklärung eine Interpretation zu Protokoll gegeben. Durch Auseinandersetzungen in der französischen Nationalversammlung entstand die Frage, ob dieses Interpretationsprotokoll auch für die in die Londoner Schlußakte und in die Pariser Verträge neu übernommene Erklärung maßgeblich sei. Der Auswärtige Ausschuß lehnte eine solche Auffassung ab, und zwar aus folgenden Gründen.
Zunächst einmal wurde die Erklärung in New York von den Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs abgegeben und in dem nicht veröffentlichten Protokoll sofort interpretiert. In London erfolgte die Erklärung ohne jede Bezugnahme auf jenes Protokoll. Sodann wurde in Paris diese Erklärung von den übrigen Staaten der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft als sie verpflichtend anerkannt, Staaten, die das Interpretationsprotokoll nicht übernommen hatten. Schließlich ergab sich die Interpretation des Jahres 1950 aus einer politischen Situation, die 1954 überholt war und die auch dem völkerrechtlichen Status der Bundesrepublik nicht entspricht, der nach dem Willen der interpretierenden Mächte gerade durch die Pariser Verträge grundlegend verändert werden soll.
Ich komme nun zu dem Komplex des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik. Wie schon dargelegt, wurde der Deutschlandvertrag nicht in vollem Umfange neu formuliert. Man hat nur ein Protokoll geschaffen, in dessen Anlagen die getroffenen Änderungen klargestellt worden sind. Die Einleitungsformel des Protokolls führt die vier vertragschließenden Staaten in der international üblichen Reihenfolge auf. Sie stellt damit die Gleichberechtigung der Vertragschließenden ausdrücklich klar. Auch der Deutschlandvertrag, der Truppenvertrag, der Finanzvertrag, der Überleitungsvertrag und das Steuerabkommen weisen die gleiche Formel auf, während früher übereinstimmend immer gesagt wurde, daß die Bundesrepublik Deutschland einerseits und die drei westlichen Mächte andererseits die Verträge schließen. Mit der Gleichberechtigung entfällt auch die blockbildende Gegenüberstellung.
Das Protokoll hebt weiterhin - und das erscheint wesentlich - die frühere rechtliche Verbindung, also das Junktim zwischen dem Komplex des Deutschlandvertrages und demjenigen des deutschen Verteidigungsbeitrages auf. Der Auswärtige Ausschuß war sich allerdings darüber im klaren, daß die Aufhebung des rechtlichen Junktims durch eine tatsächliche und politische Verbindung aller Pariser Verträge an Bedeutung verlieren kann.
Nun enthält das Protokoll noch Bestimmungen über die Rechte der drei Westmächte auf den Gebieten der Abrüstung und der Entmilitarisierung. Diese Rechte erlöschen mit dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag. Bis dahin aber bleiben sie grundsätzlich in Kraft. Für die Übergangszeit hat man aber Abänderungen vorgesehen, die der Auswärtige Ausschuß für sehr bedeutsam hielt. Es ist so, daß mit dem Inkrafttreten des Komplexes des Deutschlandvertrages die Alliierten das Militärische Sicherheitsamt in Koblenz auflösen. An seine Stelle tritt ein neugebildeter Viermächteausschuß, der alsdann die Kontrolle auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung ausübt. In diesem Ausschuß ist die Bundesrepublik gleichberechtigt vertreten. Der Ausschuß entscheidet mit Stimmenmehrheit. Die Bundesrepublik kann natürlich überstimmt werden. Aber das bisher bestehende Vetorecht jedes Staates, insbesondere das Vetorecht gegen die Lockerung der Kontrolle, ist beseitigt. Die Vertragschließenden sind übereingekommen, diese Angelegenheit schon Ende 1954 zu überprüfen, also vor Inkrafttreten der Verträge. Diese Überprüfung sol] auch unter dem Gesichtspunkt erfolgen, die Bundesrepublik in die Lage zu versetzen, ihren künftigen Verteidigungsbeitrag vorzubereiten. Am 20. Oktober 1954 einigten sich die Außenminister dahin, in diesem Zusammenhang auch die bei uns noch bestehende Beschränkung der zivilen Forschung und der zivilen industriellen Fertigung zum Zwecke einer Erleichterung und Aufhebung zu überprüfen.
Da nun nicht sicher ist, wie das Inkrafttreten der Verträge erfolgt, ob also überhaupt dieser Zwischenzeitraum entsteht, hat der Wirtschaftspolitische Ausschuß besonderen Wert darauf gelegt, daß als Ergebnis dieser Besprechungen jetzt schon die Genehmigungspflicht und die Kontrolle lockerer als bisher gehandhabt werden. Insbesondere wird erwartet, daß die zivile Forschung und die zivile industrielle Fertigung auf den von den Gesetzen betroffenen Gebieten alsbald keinen Einschränkungen mehr unterliegen.
Im Mittelpunkt des gesamten Vertragswerkes, das ich hier als Berichterstatter zu behandeln habe, steht nun der Deutschlandvertrag. Dieser Vertrag ist in wesentlichen Punkten umgestaltet worden. Zunächst erscheint hier wichtig, daß die frühere, sehr umfangreiche Präambel gestrichen wurde. Die vertragschließenden Staaten beschränken sich nunmehr darauf, zu erklären, daß sie die Grundlagen ihres neuen Verhältnisses in diesen Abmachungen festlegen. Die frühere Präambel war durch den Wegfall der EVG und die neue Form des deutschen Verteidigungsbeitrags nach verschiedenen Richtungen überholt und gegenstandslos gewesen. Gebliebene gemeinsamen Ziele der Mächte sind in den Vertragstext unmittelbar übernommen worden. Einige Erklärungen der Präambel bilden aber heute noch selbstverständliche Motive des ganzen Vertragswerkes, so die Unvereinbarkeit des Besatzungsregimes mit den europäischen Aufgaben der Bundesrepublik, die Notwendigkeit, die Gleichberechtigung durchzuführen, und dann das höchste Ziel der Vertragschließenden, die gemeinsame Freiheit vereint zu fördern und zu verteidigen. Der Auswärtige Ausschuß nahm auch das hier durchgesetzte Bestreben der Bundesregierung billigend zur Kenntnis, die grundgesetzliche Ordnung ausschließlich in die Verantwortung der Bundesrepublik selbst zu stellen und sie nicht zum Gegenstand internationaler Verpflichtungen zu machen.
Eine entscheidende Aufgabe des Deutschlandvertrages ist es, die Bundesrepublik von jeder Besatzungshoheit zu befreien. Der Art. 1 des alten und des neuen Vertrages hebt daher mit dem Inkrafttreten des Vertrages das Besatzungsstatut auf und verpflichtet die bisherigen Besatzungsmächte, die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare aufzulösen. Der neue Vertrag geht hier aber klarstellend nach zwei Richtungen weiter. Einmal sagt er ausdrücklich, daß nicht nur das Besatzungsstatut, sondern auch das Besatzungsregime sein Ende finde, womit nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses zum
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Ausdruck gebracht wird, daß jeder besatzungsmäßige Tatbestand aufhören, die Freiheit . der Bundesrepublik von der Besatzungshoheit also eine ganz umfassende sein solle. In diesem Zusammenhang wurde auch der bisherige Abs. 3 des Art. 1 gestrichen, aus dem man auch das Weiterbestehen einer gegenüber einer gleichberechtigten Macht nicht mehr zu rechtfertigenden Art von einer gemeinsamen Kommission der früheren Besatzungsmächte hatte herauslesen wollen.
Nach Lage der Dinge werden die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs auch nach Inkrafttreten des Deutschlandvertrags die Vorbehaltsrechte, von denen ich noch sprechen werde, im gegenseitigen Einvernehmen ausüben. Diese Regierungen haben daher am 23. Oktober 1954 in Paris ein Abkommen dahin geschlossen, diese Vorbehaltsrechte durch ihre bei der Bundesrepublik beglaubigten Missionschefs ausüben zu lassen, die hierbei gemeinsam tätig werden. Insoweit sich diese Rechte auf Berlin beziehen, werden sie in Berlin nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften ausgeübt. Um jede Deutung aber dahin auszuschließen, es handele sich ' gegenüber der Bundesrepublik hier um eine wenn auch nur besatzungsrechtsähnliche Erscheinung, erging am 1. Dezember 1954 eine Note des geschäftsführenden Hohen Kommissars an den Bundeskanzler, aus der ich nur wenige Sätze zitieren darf, weil sie diese Situation meiner Meinung nach zu unseren Gunsten klarstellt. Der Hohe Kommissar schreibt:
Ich kann Ihnen versichern, daß es nicht notwendig sein wird und auch in keiner Weise beabsichtigt ist, in Ausübung dieser Vorbehaltsrechte einen Rat von Botschaftern, ein Nachfolgeorgan der Alliierten Hohen Kommission oder irgendein ähnliches Gremium mit gemeinsamem Verwaltungs- coder Büropersonal zu schaffen.
Das Dreimächteabkommen wurde getroffen, um die klare Übereinstimmung der Auffassung der drei 'Unterzeichner darüber aktenkundig zu machen, daß sie in ihren Beziehungen zur Bundesrepublik lediglich auf ad-hoc-Basis über ihre bei der Bundesrepublik akkreditierten Missionschefs und dann nur unter den in den Pariser Abkommen vorgesehenen besonderen Umständen gemeinsam vorgehen werden.
Der Auswärtige Ausschuß hat die mit der Aufhebung des Besatzungsregimes zusammenhängenden Bestimmungen bei unterschiedlicher Bewertung ihrer Tragweite übereinstimmend positiv beurteilt.
Mit dem Ende des Besatzungsregimes entfällt jede Beschränkung der autonomen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik, und zwar nach außen und nach innen. Damit wird für die Bundesrepublik der völkerrechtliche Status der Souveränität anerkannt. Diese Folgerung wird in dem Vertrag ausdrücklich gezogen. Während man früher das Wort „Souveränität" vermied, sagt die jetzige Bestimmung klar, die Bundesrepublik werde „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten" haben. Auf Fragen des Ausschusses teilte die Regierung mit, diese Formulierung sei auf deutsches Verlangen nach Diskussionen so gewählt worden, um hinsichtlich der Souveränität eine eindeutige Lage zu schaffen und um auszuschließen, daß von einer Als-ob-Souveränität oder einem ähnlichen Status gesprochen werde.
Im Auswärtigen Ausschuß wurde nun die Frage der Souveränität eingehend erörtert. Man bemühte sich unter den verschiedensten Gesichtspunkten, die Bedeutung dieser Bestimmungen klarzustellen. In mehreren grundsätzlichen Ausgangspunkten der Betrachtung und der Bewertung konnte volle Übereinstimmung nicht erzielt werden. Einverständnis bestand aber darüber, daß der hier gebrauchte Begriff der Souveränität für die Auslegung der Pariser Verträge und als Grundlage für die Weiterentwicklung der Bundesrepublik von großer Bedeutung sei. Dem Inhaber der Souveränität fällt in dubio, also in allen zweifelhaften und nicht geregelten Fällen, die Zuständigkeit zu eigenständiger Bestimmung der Ziele und Mittel seiner Politik und zu verantwortlichem Handeln zu. Die besondere funktionelle Bedeutung des Souveränitätsbegriffs wurde von allen Mitgliedern des Ausschusses anerkannt. Der Auswärtige Ausschuß war der Meinung, daß diese Souveränität der Bundesrepublik eine ursprüngliche und keine verliehene ist, daß sie deutsche Souveränität darstellt, die durch das Besatzungsregime gehemmt, aber nicht beseitigt war und nach dem Inkrafttreten der Verträge wieder effektiv wird. Der Auswärtige Ausschuß zieht aus dieser Souveränität im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen und der völkerrechtlichen Situation vor allem drei Folgerungen, die auch der Auffassung der Bundesregierung entsprechen, wobei allerdings die Minderheit gegenüber dem ersten Punkt Bedenken aussprach.
1. Die Bundesrepublik ist zuständig und befugt, in allen Fragen eine eigene, selbständige und unabhängige Außenpolitik zu betreiben. Dies gilt im besonderen auch für die deutsche Wiedervereinigung. Diese grundsätzliche unbeschränkte politische Handlungsfreiheit ist aber durch übernommene völkerrechtliche Verpflichtungen und vertragliche Abmachungen gebunden. So hat die Bundesrepublik die Bindung des Art. 2 der Satzung der Vereinten Nationen ausdrücklich übernommen. Sie hat sich auch in Art. 3 des Deutschlandvertrages verpflichtet, ihre Politik in Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut der Europarates aufgestellten Zielen zu halten. Die Regierung der Bundesrepublik hat darüber hinaus auf der Londoner Konferenz ausdrücklich und feierlich erklärt, die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und alle zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten bestehenden Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu erledigen. In diesen Zusammenhang gehört auch die in Art. 7 des Deutschlandvertrages übernommene Verpflichtung der Bundesrepublik, mit den drei anderen Vertragspartnern hinsichtlich der Wiedervereinigung und der Herbeiführung einer friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland eine gemeinsame Politik zu betreiben.
2. Die Bundesrepublik wird ein gleichberechtigter und notwendiger Vertragspartner bei allen internationalen Vereinbarungen sein, die ihre Rechte oder Interessen berühren. Nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses wird es lediglich von Erwägungen der Zweckmäßigkeit bestimmt sein, ob sich die Bundesrepublik an vorbereitenden Verhandlungen für derartige internationale Regelungen unmittelbar beteiligt. Auch dann, wenn die
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Bundesrepublik solche Verhandlungen ganz oder teilweise dritten Mächten zu führen überläßt, kann ein Abschluß nur unter Mitwirkung der Bundesrepublik erfolgen.
3. Die Bundesrepublik ist berechtigt, mit allen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen und Verhandlungen zu führen. Dies gilt auch für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Absätze 3 und 4 des Art. 3 beeinträchtigen diese Rechte der Bundesrepublik nicht. Sie verpflichten nur die anderen Vertragspartner, auf Wunsch ,der Bundesrepublik tätig zu werden, wenn diese es nicht vorzieht, selbständig zu handeln oder die Wahrung ihrer Interessen anderen Staaten zu überlassen.
Nun komme ich zu den Vorbehaltsrechten, die immer auch im Mittelpunkt der Diskussionen standen. Der Auswärtige Ausschuß billigte einmütig die Politik der Bundesregierung, die Wert darauf legte, den drei westlichen Mächten Rechtspositionen zu erhalten, die hinsichtlich Deutschlands auf den 1945 auch mit Sowjetrußland getroffenen Vereinbarungen beruhen. Eine Gefährdung oder Aufgabe dieser Rechtsstellung läge nicht im deutschen Interesse. In diesem Zusammenhang hatte man früher drei Vorbehaltsrechte normiert, den Vorbehalt betreffend die Stationierung der Streitkräfte in Deutschland, den Vorbehalt hinsichtlich Berlins und schließlich den gesamtdeutschen Vorbehalt einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung. Im neuen Vertrag bleiben nur die beiden Vorbehalte hinsichtlich Berlins und Gesamtdeutschlands; wegen des Stationierungsrechts wird auf andere Bestimmungen verwiesen. Ich komme hierauf zurück im Zusammenhang mit der Behandlung des Aufenthaltsvertrages, der ja Gegenstand einer besonderen Gesetzesvorlage ist.
Neben der Sonderregelung über die Stationierung von Streitkräften betrachtet der Auswärtige Ausschuß folgende Änderungen des neuen Vertrages als besonderen Fortschritt. Es wird nunmehr ausdrücklich darauf abgehoben, daß die drei Mächte nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Verantwortlichkeiten beibehalten. Diese Verantwortlichkeiten sind besonders für Berlin, aber auch für Gesamtdeutschland bedeutsam. Sodann: 1952 sollte die Bundesrepublik verpflichtet werden, jede Maßnahme zu unterlassen, die die vorbehaltenen Rechte beeinträchtigen könnte, und dahin mitzuwirken, den Drei Mächten die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern. Die Streichung dieser Bestimmung zeigt das Vertrauen, das sich die Bundesrepublik erworben hat. Es ist auch ohne vertragliche Verpflichtung für die Bundesrepublik selbstverständlich, die Drei Mächte zu unterstützen und mit ihnen eine auch sonst festgelegte Zusammenarbeit durchzuführen.
Im Auswärtigen Ausschuß wurden Bedenken vorgetragen, die mit der Gefahr einer zu starken oder etwa mißbräuchlichen Ausübung des gesamtdeutschen Vorbehalts zusammenhängen. Die Bundesregierung hob hier auf den aufrechterhaltenen Brief der Hohen Kommissare an den Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 ab, in dem die drei Regierungen ausdrücklich sagen, das Vorbehaltsrecht in bezug auf Deutschland als Ganzes nicht dahin auszulegen, als erlaube es ihnen, von den gegenüber der Bundesrepublik in den Verträgen übernommenen Verpflichtungen abzuweichen. Diese Erklärungen zwingen im Zusammenhang mit Inhalt und
Geist der Verträge zu der Feststellung, daß die Vorbehaltsrechte ausdrücklich auf ihren Sinn und Zweck beschränkt sind, der darin besteht, die Rechtsposition gegenüber Sowjetrußland zu wahren. Die Vorbehalte können und dürfen also gegenüber der Bundesrepublik nicht Befugnisse geben, die der Aufhebung des Besatzungsregimes und der Souveränität widersprechen. Soweit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Durchführung des gesamtdeutschen Vorbehalts im Gebiet der Bundesrepublik notwendig werden, können diese nicht einseitig und hoheitsrechtlich durch die Drei Mächte durchgeführt werden. Die Bundesrepublik ist aber verpflichtet, je nach Sachlage alsdann in eigener Zuständigkeit das Erforderliche zu veranlassen.
Der Auswärtige Ausschuß legt Wert darauf festzustellen, daß der Vorbehalt der Rechte und Verantwortlichkeiten keine ausschließliche Zuständigkeit der Drei Mächte für die vorbehaltenen Fragen anerkennt oder schafft. Der Vorbehalt besagt lediglich, daß solche Rechte und Verantwortlichkeiten neben den eigenen Zuständigkeiten der Bundesrepublik bestehenbleiben. Die Vorbehaltsrechte schließen daher eine eigene Politik und eine eigene Zuständigkeit der Bundesrepublik weder für Berlin noch für die Wiedervereinigung aus.
Nun zu den rechtlichen Vorschriften, die sich mit der Wiedervereinigung befassen. Wie im Bundestag so waren auch im Auswärtigen Ausschuß alle Parteien darüber einig, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Frieden zu erfolgen und die Freiheit zu gewährleisten habe. Bei der Wiedervereinigung muß die bisherige Freiheit der in der Bundesrepublik lebenden Deutschen erhalten bleiben und diese Freiheit in gleichem Umfange den 18 Millionen Einwohnern der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gebracht werden. Der Auswärtige Ausschuß stimmte auch darin überein, daß es der Bundesrepublik nicht möglich ist, dieses Ziel aus eigener Kraft zu erreichen, weshalb eine Politik grundsätzlich gebilligt wurde, die dahin geht, Staaten zu verpflichten, für die Freiheit der Bundesrepublik einzutreten und mit ihr zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands durch gemeinschaftliche Anstrengungen zu erstreben.
In der Erklärung V Ziffer 4 der Londoner Schlußakte bezeichnen die Regierungen der westlichen Mächte die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschland durch friedliche Mittel als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik. Diese Erklärung wurde auch von den übrigen Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft als für sie verbindlich übernommen.
In Abs. 2 des Art. 7 des Deutschlandvertrages verpflichten sich die vier Unterzeichnerstaaten weiterhin, zusammenzuwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen, das dahin umschrieben wird:
Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Der Auswärtige Ausschuß besprach eingehend die rechtliche und politische Bedeutung der soeben dargelegten Vereinbarungen. Die der Opposition angehörenden Mitglieder des Ausschusses blieben dabei, der Bundesregierung vorzuwerfen, die anderen Staaten in der Frage der deutschen Wiedervereinigung nicht konkret genug gebunden zu
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haben. Über das allgemeine Ziel einer gemeinschaftlichen Außenpolitik hinaus habe man rechtliche Bindungen in Einzelfragen nicht erhalten. Die Vertreter der Minderheit gaben zwar zu, daß es nicht möglich gewesen sei, konkrete Spezialverpflichtungen zum Gegenstand des Deutschlandvertrages zu machen. Sie meinten aber, man hätte solche Festlegungen in einem Briefwechsel, in besonderen Erklärungen oder zum mindesten in der Schaffung von Gremien, die sich mit der Vorbereitung und der Durchführung der gemeinschaftlichen Wiedervereinigungspolitik befassen, zum Ausdruck bringen müssen. Demgegenüber blieb die Mehrheit des Ausschusses dabei, daß die erzielten Vereinbarungen eine ausreichende Bindung der anderen Mächte an die deutschen Interessen schafften und daß es unmöglich sei, im voraus die Vertragspartner zu ganz bestimmten Schritten zu verpflichten, da diese Schritte von der jeweiligen, nicht voraussehbaren realpolitischen Situation abhängig seien.
Die Vertreter der Opposition rügten darüber hinaus - wie schon bei den Auseinandersetzungen des Jahres 1952 - die Festlegung der Wiedervereinigungspolitik auf ein Deutschland, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. Dies erschwere die Durchführung der gemeinschaftlichen Politik. Der Ausschuß konnte jedoch in seiner Mehrheit diese Bedenken nicht als begründet ansehen, wobei er mit der Mehrheit des Gesamtdeutschen Ausschusses und des Rechtsausschusses übereinstimmte. Folgende Erwägungen standen dabei im Vordergrund - ich muß mich hier kurz fassen und konzentrieren -:
Mit der Streichung der Präambel entfällt die Möglichkeit, diese Bestimmung in einem ganz konkreten, supranationalen Sinn auszulegen. Der beanstandete Halbsatz hat nicht die Bedeutung, daß die Schaffung einer ganz bestimmten europäischen Gemeinschaft vorausgesetzt werde. Das hier formulierte Ziel ist sehr allgemein und umfaßt die verschiedensten, auch losesten Möglichkeiten einer Gemeinschaft der europäischen Staaten. Die Bundesregierung, die schon für den Vertrag von 1952 die Festlegung auf eine Europäische Gemeinschaft im Sinne eines supranationalen Europas bestritt, brachte die hier dargelegte Auffassung nachdrücklich zum Ausdruck und betonte, es liege auch nicht eine Festlegung auf das durch die Pariser Verträge zu schaffende System vor. Diese Formel meine eine europäische Gemeinschaft im weiteren, durchaus unbestimmten Sinne. Sie sei als ein Bekenntnis zu dem Ziele zu verstehen, daß sich die Wiedervereinigung Deutschlands in den Gedanken der europäischen Einigung einreihen solle. Sie bedeute also nicht Integration im technischen Sinne in eine der bestehenden europäischen Gemeinschaften.
Im Zuge der gemeinsamen, auf die Wiedervereinigung Deutschlands gerichteten Bemühungen liegt die weitere Verpflichtung der Vertragspartner, als ein wesentliches Ziel ihrer Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland zu erstreben. Diese Verpflichtung gilt nicht nur für die drei westlichen Mächte, sondern für alle Staaten, die der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft angehören. Dabei ist allerdings klargestellt, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zum Friedensvertrag aufgeschoben werden muß.
Auf Fragen erklärte die Regierung, der Formulierung: eine vertragliche Regelung für „ganz Deutschland" komme eine besondere Bedeutung nicht zu. Sie besage das gleiche wie der Ausdruck „Gesamtdeutschland". Es sei weder daran gedacht, noch habe man sich dahin vereinbart oder vorbehalten, friedensvertragliche Regelungen mit allen Teilen Deutschlands so zu treffen, daß schließlich der Status von ganz Deutschland geregelt sei.
Gegenstand eingehender Beratung des Auswärtigen Ausschusses, des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht und des Gesamtdeutschen Ausschusses war schließlich die Frage, ob die Pariser Verträge auch nach der Wiederherstellung Gesamtdeutschlands, also für die Regierung des wiedervereinigten Deutschlands, bindend seien. Im Deutschlandvertrag bestand hierüber früher die Bestimmung des Art. 7 Abs. 3, die gestrichen wurde. Diese Streichung beseitigte zunächst einen Anlaß zu vielfältigen rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen, da über die Auslegung und Bedeutung dieses Abs. 3 eine einheitliche Meinung nicht erreichbar war. Aus der Streichung folgt aber auch, daß nunmehr eine vertragliche Norm fehlt, die herangezogen werden könnte, um die gestellte Frage zu beantworten.
Alle Vertragspartner gingen bei der Streichung dieser Vorschrift davon aus, daß damit auch klargestellt werden sollte, die Wiedervereinigung Deutschlands bilde einen Tatbestand, der die beteiligten Mächte vor eine Situation stelle, die eine erneute Entscheidung über die Bindung an die Verträge ermögliche. Die Freiheit der Entschließung als Folge des Wegfalls dieser Bestimmung wurde von den Vertragschließenden bei den Verhandlungen zum Ausdruck gebracht. Übereinstimmend haben später sowohl der Bundeskanzler als Außenminister Eden erklärt, eine Bindung an die Verträge sei nach der Wiedervereinigung nicht mehr gegeben. Geht man an die Beantwortung dieser Frage unabhängig von diesen Verhandlungen und nur auf Grund allgemeiner völkerrechtlicher Regeln heran, so führen die hierzu geäußerten verschiedenartigen Auffassungen doch zu einem übereinstimmenden, die Bindung des wiedervereinigten Deutschlands ausschließenden Ergebnis. Wer die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland staatsrechtlich nicht als identisch ansieht, wird eine Bindung ohne weiteres nicht annehmen. Aber auch die von den Mitgliedern der SPD-Fraktion dargelegte staatsrechtliche Beurteilung ergibt die Freiheit des wiedervereinigten Deutschlands. Die Mehrheit des Ausschusses, die mit der Bundesregierung eine, wenn auch faktisch begrenzte Identität zwischen Bundesrepublik und Gesamtdeutschland annimmt, kommt zu demselben Ergebnis, und zwar mit der Erwägung, daß die Einbeziehung der sowjetischen Besatzungszone in den Bereich der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands eine sehr tiefgreifende Änderung der politischen Situation und der Struktur des deutschen Vertragspartners bringe, die jedem Unterzeichnerstaat ,die Freiheit der Entscheidung darüber gebe, ob er zu den Verträgen stehen oder sie als überholt ansehen wolle. Dies aus rechtlichen Erwägungen gewonnene Ergebnis wird allerdings auch von der Art abhängen, in der die Wiedervereinigung zustande kommt.
Der Auswärtige Ausschuß und der Gesamtdeutsche Ausschuß sind in ihrer Mehrheit der Auffassung, daß die Abkommen, die sich um den Deutsch({6})
landvertrag gruppieren, die Aussichten für eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit fördern. In beiden Ausschüssen erkannte die Minderheit Fortschritte in der Gestaltung der Verträge gegenüber der Formulierung von 1952 an, und zwar auch hinsichtlich der Wiedervereinigung; sie hielt jedoch die gegenüber den Vorbehaltsrechten und gegenüber dem Art. 7 des Deutschlandvertrages geäußerten Bedenken aufrecht.
Nun zu Berlin. Berlin steht unter einer Viermächteverwaltung. Es ist über die drei Westsektoren aufs engste mit der Bundesrepublik verbunden, aber nicht als Land zu ihr gehörend. Diese international-rechtliche Lage und die Tatsache, daß die Stadt inmitten der sowjetischen Besatzungszone liegt, schaffen die besondere Situation Berlins. Die neuen Abmachungen befassen sich an verschiedenen Stellen mit Berlin.
Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich haben erneut eine umfassende Garantieerklärung abgegeben. Sie verpflichteten sich, im Gebiete Berlins Streitkräfte zu unterhalten, und erklärten, jeden Angriff gegen Berlin als einen Angriff auf ihre Streitkräfte und auf sich selbst zu behandeln. Diese Garantieerklärung wurde von den anderen Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft übernommen. Sie hat ihre besondere Bedeutung auch im Zusammenhang mit den Beistandsverpflichtungen des Vertrages über die Westeuropäische Union und des Nordatlantikvertrages. Ergänzend zu dieser Garantieerklärung gaben die Drei Mächte zur Frage des Berliner Besatzungsregimes noch eine spezielle Erklärung ab, in der sie versprechen, sicherzustellen, daß Berlin das höchstmögliche Maß von Selbstregierung erhält, das mit seiner besonderen Situation vereinbar ist.
Schließlich behalten sich die Mächte, wie ich Ihnen schon sagte, ihre Rechte in bezug auf Berlin vor. Sie verpflichten sich aber ausdrücklich, die Bundesrepublik in allen Fragen, die Berlin betreffen, zu konsultieren. Durch ein besonderes Schreiben der Hohen Kommissare vom Jahre 1952, jetzt in etwas geänderter Fassung aufrechterhalten, wurde eine Erklärung über die Aufgaben und die Durchführung dieses Vorbehalts der Drei Mächte abgegeben. Allerdings wurde der bisherige Abs. 2 des Art. 6 gestrichen, der die Verpflichtung der Bundesrepublik enthielt, Berlin politisch, kulturell, wirtschaftlich und finanziell zu helfen und hierbei mit den Drei Mächten zusammenzuwirken. Diese Streichung erfolgte aber, weil es für die Bundesrepublik eine selbstverständliche Verpflichtung ist, Berlin zu helfen, eine Verpflichtung, die in eigener Verantwortung und nicht auf Grund einer international-rechtlichen Bindung erfüllt werden soll.
Die Bundesrepublik hat nunmehr ihre Hilfsverpflichtung für Berlin in einer vom Deutschlandvertrag unabhängigen Erklärung niedergelegt, die sachlich über die frühere Verpflichtung hinausgeht und die auch deshalb 'bemerkenswert ist, weil sie von Berlin „als der vorgesehenen Hauptstadt eines freien wiedervereinigten Deutschlands" spricht.
Über diese Dokumente wurde im Auswärtigen Ausschuß und im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen eingehend verhandelt. Man war sich darüber einig, daß die international-rechtliche Situation Berlins die Aufrechterhaltung der Rechte der Drei Mächte gegenüber Sowjetrußland, also den Vorbehalt notwendig mache. Übereinstimmend wurde auch die von den Drei Mächten abgegebene Garantieerklärung begrüßt. Alle Ausschußmitglieder hielten es auch für richtig, daß die Bundesrepublik ihr Hilfsversprechen nicht mehr zum Gegenstand einer völkerrechtlichen Verpflichtung gemacht hat. Die beiden Ausschüsse waren der Meinung, daß die für Berlin in den Verträgen und im Zusammenhang mit ihnen abgegebenen Erklärungen einen Fortschritt enthalten und von Berlin aus gesehen als erfreulich zu bezeichnen sind. Die Minderheit hielt gewisse Beanstandungen aufrecht, die sich jedoch im wesentlichen mit den rechtlichen Beziehungen Berlins zur Bundesrepublik befassen.
Nun ein sehr wichtiges Problem, das auch eine grundlegende Neuregelung im Deutschlandvertrag erfahren hat: die Frage der Notrechte, zunächst des Notstandsrechts. Nach den Abmachungen werden Truppenkontingente ausländischer Staaten im Gebiet der Bundesrepublik bleiben; zunächst noch in Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse, nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag im Rahmen eines Bündnisses auf vertraglicher Grundlage. Die Regierungen der Drei Mächte legten daher 1952 und bei den Verhandlungen in Paris entscheidenden Wert darauf, die Sicherheit dieser Streitkräfte auch bei besonderen Notlagen garantiert zu wissen. Hieraus entstand der Art. 5 des alten Deutschlandvertrages, der die Drei Mächte berechtigte, den Notstand zu erklären, wenn die Bundesrepublik und die EVG außerstande wären, einer Lage Herr zu werden, die durch einen Angriff, durch eine Bedrohung, durch eine umstürzlerische oder anderweitige Störung der Ordnung und Sicherheit oder durch den ernstlich drohenden Eintritt solcher Ereignisse entstanden wäre.
Auf diesem Gebiet bringen die neuen Abmachungen einen grundlegenden Wandel. Der heutige Art. 5 gibt Regelungen bei Notstandslagen, die verschieden sind für die Zeit bis zum Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages und danach. Bis zu diesem Inkrafttreten bleibt es naturgemäß bei der bisherigen hoheitsrechtlichen Situation, wobei allerdings die Mächte ihre Befugnisse auch in Notstandslagen erneut einschränken. So erkennen sie die Konsultierungsverpflichtung an. Entgegen dem allgemein festgelegten Grundsatz können die Drei Mächte im Falle eines erfolgten oder drohenden Angriffs ohne Einwilligung .der Bundesrepublik weitere Truppenkontingente in deren Gebiet verbringen. Diese Kontingente dürfen aber nach Beseitigung der Gefahr nur mit Einwilligung der Bundesregierung im Gebiet der Bundesrepublik verbleiben. Nach Inkrafttreten des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO bleibt die dargestellte Rechtslage zunächst aufrechterhalten. Die drei westlichen Mächte behalten ihre bisherigen Rechte zeitweilig bei, schränken diese aber alsdann nochmals ein. Ganz abgesehen von der Konsultierung ist folgendes vereinbart:
Die Ausübung von Notstandsrechten setzt weiterhin voraus, daß die Bundesregierung mit den Drei Mächten darin übereinstimmt, daß die Umstände die Ausübung eines derartigen Notstandsrechts erfordern. Hierin liegt eine sehr entscheidende Begrenzung. Es zeigt sich die Tendenz, den ganzen Komplex des Notstandsrechtes in den Zuständigkeitsbereich der deutschen Regierung zu verlagern.
Nun kommt das Entscheidende. Die drei anderen Vertragschließenden haben in Abs. 2 des Art. 5 die Frage des Notstandsrechts in die ausschließliche Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers der
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Bundesrepublik gelegt. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik hat es also in ,der Hand, endgültig und umfassend das gesamte alliierte Notstandsrecht zum Erlöschen zu bringen. Diese alliierten Rechte erlöschen nämlich, sobald die zuständige deutsche Behörde durch den Gesetzgeber besondere Vollmachten erhalten hat. Art und Inhalt der hier vorausgesetzten gesetzgeberischen Maßnahmen ergeben sich nicht nur aus Art. 5, sondern auch aus einer besonderen Erklärung, ,die die Drei Mächte der Bundesrepublik zur Interpretation des Art. 5 schriftlich abgegeben haben. Die Bundesregierung hat den Auswärtigen Ausschuß und den Rechtsausschuß umfassend unterrichtet, so daß von folgender Rechtslage ausgegangen werden kann:
Die Vollmachten müssen die zu ermächtigende Behörde in den Stand setzen, wirksame Maßnahmen zum Schutze der Sicherheit der Streitkräfte zu treffen. Dies setzt voraus, daß diese Behörde überhaupt die Fähigkeit hat, einer ernstlichen Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu begegnen. Es wird aber von den Drei Mächten nur verlangt, diese Vollmacht für Fälle zu geben, in denen die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch einen Angriff oder eine äußere Bedrohung der Bundesrepublik gefährdet ist. Besondere Situationen, die ihre Ursache in Vorgängen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht von der hier gesetzgeberisch zu erteilenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Unruhen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen usw. entstehen können. Daneben wird gefordert, daß milltärische Notwendigkeiten bei der Überwachung des Post- und Fernmeldewesens berücksichtigt werden.
Die vier vertragschließenden Mächte sind darüber einig, daß das diese Vollmachten schaffende Gesetz keinen bestimmten und konkret festgelegten Inhalt zu haben braucht, um die bisherigen Notstandsrechte der westlichen Mächte zum Erlöschen zu bringen. Es genügt, daß ein Gesetz ergeht, das solche Vollmachten gibt. Sobald dieses Gesetz in Kraft getreten ist, sind die zeitweilig beibehaltenen Rechte der Drei Mächte endgültig erloschen.
Der Auswärtige Ausschuß war darüber einig, daß diese neue Regelung gegenüber den früheren Abmachungen einen bedeutsamen Fortschritt bringt. Er hat hierbei noch einige Gesichtspunkte erwogen. Zunächst: die Notstandsrechte hören mit Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes auf zu existieren. Sie erlöschen, ohne daß die Drei Mächte zustimmen oder eine besondere Erklärung abgeben müssen. Das Erlöschen tritt ein, ohne daß ein Gesetz vorausgesetzt wird, das einen konkret vorgeschriebenen Inhalt hat. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik ist also auf bestimmte Ermächtigungsnormen nicht festgelegt. Er wird vor allem nicht eine Regelung im Sinne des Art. 48 der Weimarer Verfassung treffen müssen. Der Gesetzgeber ist frei, Normen zu entwickeln, wobei allerdings angenommen wird, daß er sich im Rahmen dessen hält, was in den Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft hier üblicherweise rechtens ist. Sodann - und das ist wichtig -: nach Erlöschen der Rechte besteht keine Möglichkeit des Rückgriffs auf hoheitliche Befugnisse mehr, auch nicht über den gesamtdeutschen Vorbehalt, wozu auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.
Es ist nun ergänzend noch klargestellt, daß die Truppenbefehlshaber das sogenannte Notwehrrecht beibehalten. Es handelt sich hier um das Recht, das ein Militärbefehlshaber hat, wenn seine Truppen einem gegenwärtigen, unmittelbaren und 1 rechtswidrigen Angriff ausgesetzt sind. Diese Lage steht im Gegensatz zum Notstand, der seine Begründung in besonderen Verhältnissen hat, die sich gefährdend auf eine Truppe auswirken, ohne daß diese Gegenstand einer gegen sie gerichteten Aktion ist. In einem Briefe des Bundeskanzlers vom 23. Oktober 1954 wird erklärt, daß dieses Notwehrrecht nach dem Völkerrecht und nach deutschem Recht eine Selbstverständlichkeit ist, also nicht mehr wie früher ausdrücklich formuliert zu werden braucht. Dieser Brief hat also nur deklaratorische Bedeutung. Er wurde geschrieben, um gewisse Mißverständnisse auszuschließen, die entstehen konnten, nachdem das früher ausdrücklich formulierte Notwehrrecht des Deutschlandvertrags gestrichen worden war.
Bei den früheren Debatten hatte die Regelung, die das Schiedsgericht im Deutschlandvertrag erfahren hatte, besonders starken Unwillen erregt und heftige Angriffe hervorgerufen. Ich kann mich mit den Einzelfragen hier nicht befassen. Ich will nur darauf abheben, daß der Auswärtige Ausschuß der Meinung war, daß es sehr zu begrüßen ist, daß der Art. 11 der Satzung dieses Schiedsgerichts grundlegend geändert wurde. Früher war es nämlich so, daß dieses Schiedsgericht ermächtigt werden sollte, deutsche Verwaltungsmaßnahmen unmittelbar außer Kraft zu setzen, Urteile für nichtig zu erklären, ja unmittelbar gesetzliche Normen zu erlassen. Die in Betracht kommenden Bestimmungen sind gestrichen. Es ist jetzt lediglich die allgemeine Bestimmung enthalten, die in solchen Verträgen üblich ist, wonach, wenn dem Urteil des Schiedsgerichts nicht entsprochen wird, der beteiligte oder jeder betroffene Staat um eine weitere Entscheidung bezüglich entsprechender anderweitiger Maßnahmen seitens des säumigen Staates ersuchen kann, - also eine durchaus als normal zu bezeichnende Regelung.
Eine Weiterentwicklung fand auch auf dem Gebiete der Revisionsklausel statt. Sie wissen, daß der Deutschlandvertrag in Art. 10 eine ausdrückliche Norm enthält, auf Grund deren in gewissen Situationen eine Revision des Vertrages verlangt werden kann. Während früher die Revision nur gefordert werden konnte, wenn die Wiedervereinigung oder die Bildung einer europäischen Föderation stattgefunden hatte, sind die Voraussetzungen heute erweitert worden und schon dann gegeben, wenn eine internationale Verständigung über Maßnahmen zur Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands erzielt ist. Sicherlich stellt die allgemeine Hoffnung oder der Wunsch auf eine Wiedervereinigung noch keinen Überprüfungsgrund dar. Die neue Voraussetzung muß sich zwischen der Wiedervereinigung selbst und einer allgemeinen Chance erfüllen. Sobald eine internationale Übereinstimmung über die Wiedervereinigung herbeigeführt ist, kann die Bundesrepublik die Vertragspartner um eine Überprüfung mit dem Zweck ersuchen, die Anpassung des Vertrags an die konkret in Aussicht stehende Wiedervereinigung durchzuführen. Voraussetzung ist, daß alle Vertragspartner übereinstimmen, was sich selbstverständlich schon aus der Verpflichtung zu einer gemeinsamen Politik auf die Wiedervereinigung hin ergab. Auf jeden Fall geht aus dieser Norm der Wille der Vertragschließenden klar hervor, auf dem Wege zur Wiedervereinigung schon frühzeitig alle möglichen Hindernisse zu beseitigen.
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Nun komme ich zu einigen mit dem Deutschlandvertrag zusammenhängenden Vertragskomplexen,
zunächst zu dem Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, dem sogenannten Truppenvertrag. Die Rechte und Pflichten dieser ausländischen Streitkräfte regeln sich nach dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrags ausschließlich nach diesem Truppenvertrag. Dieser Vertrag umgrenzt die Rechtsstellung der ausländischen Truppen. Er befaßt sich nicht mit der rechtlichen Grundlage, die die Anwesenheit dieser ausländischen Truppen im Gebiet der Bundesrepublik rechtfertigt. Diese rechtliche Grundlage ist nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag der Aufenthaltsvertrag, über den ich nachher noch sprechen werde.
Der Grundsatz, daß sich die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik ausschließlich aus dem Truppenvertrag ergeben, gilt sowohl für die Kontingente der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs als auch für alle Streitkräfte, die andere Staaten in der Bundesrepublik unterhalten. Diese durch den Vertrag abschließend umrissene Rechtsstellung ist auch in einer etwaigen Zwischenzeit maßgeblich, die sich ergibt, wenn der Komplex des Deutschlandvertrags getrennt von demjenigen des deutschen Verteidigungsbeitrags in Kraft tritt. Sie gilt auch dann, wenn sich Streitkräfte z. B. zu Übungszwecken, auf Grund von Transitrechten oder auf dem Wege nach Berlin in die Bundesrepublik aufhalten. Nach Inkrafttreten des Protokolls gibt es also für die ausländischen Truppen in Deutschland keine Befugnisse, die sich außerhalb des Truppenvertrags ableiten ließen.
Der 1952 zustande gekommene Truppenvertrag wurde im wesentlichen unverändert in das Vertragswerk übernommen. Der dem Hohen Hause vorliegende gedruckte Bericht gibt eine eingehende Würdigung der Einzelheiten, auf die ich hier verweisen kann. Ich will nur betonen, daß im Deutschlandvertrag insofern eine bedeutsame Veränderung vereinbart wurde, als dieser Truppenvertrag nur noch für eine begrenzte Zeit gilt, also im Gegensatz zu 1952 eine Übergangsregelung darstellt. Dieser Truppenvertrag bleibt nur bestehen bis zum Inkrafttreten neuer Vereinbarungen über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte. Diese Vereinbarungen, also der neue Truppenvertrag, werden auf Grundlage der zwischen den Staaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft getroffenen Vereinbarungen neu formuliert.
Diese Umformung der Rechte und Pflichten der in der Bundesrepublik befindlichen ausländischen Truppen auf der Basis des Rechts der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft erfährt aber insofern eine Abwandlung, als bei dem Truppenvertrag die besonderen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, die für die in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte vorliegen. Nach Mitteilung der Regierung ergibt sich aber aus den hier in London und Paris geführten Besprechungen, daß nach Möglichkeit ein Abkommen zustande kommen soll, das nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für andere Mitglieder der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, gilt. Im übrigen ist der Auswärtige Ausschuß der Meinung, daß die Vorbehaltsklausel betreffend die besonderen Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht dahin zu verstehen ist, daß diese Verhältnisse vermehrte Rechte dieser Truppen bedingen. Der Sinn ist ein objektiver und kann, j a muß nach verschiedenen Richtungen zu einer bevorzugten Behandlung der Bundesrepublik führen, die auf Grund einer Situation, die sie nicht verursacht hat, einer größeren Zahl von ausländischen Streitkräften ein vertragliches Aufenthaltsrecht gewährt, als dies bei anderen NATO-Staaten der Fall ist.
Ein zweiter wichtiger Vertragskomplex, der Finanzvertrag, stellt ebenfalls eine spezielle Materie dar, die im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen einer eingehenden Prüfung unterzogen wurde. Ich darf auch hier auf den gedruckten Bericht verweisen und mich auf einige wesentliche Einzelheiten beschränken.
Aus dem früheren Finanzvertrag sind selbstverständlich zunächst alle Bestimmungen herausgestrichen worden, die mit der EVG zusammenhingen. Im übrigen aber sind zwei sehr wichtige Änderungen durchgeführt worden. Der Bundesrepublik obliegt keine Dauerverpflichtung zur Leistung eines finanziellen Globalverteidigungsbeitrags mehr. Statt dessen erbringt sie, wie alle NATO-Staaten, künftig Realleistungen in Gestalt der Aufstellung und Ausrüstung militärischer Einheiten. Die Ausgaben dafür werden im einzelnen im Bundeshaushalt veranschlagt. Die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft veranstaltet nun Jahreserhebungen über die Verteidigungsanstrengungen der westlichen Staaten, bewertet dabei die Realleistungen der einzelnen Mitgliedstaaten finanziell und spricht als Endergebnis dieses sogenannten NATO-Verfahrens Empfehlungen auch hinsichtlich der Höhe des finanziellen Verteidigungsaufwands aus. Diese Empfehlungen nehmen auch Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betreffenden Mitgliedstaaten und stellen das Ergebnis eines Vergleichs mit den entsprechenden finanziellen Verteidigungsleistungen der anderen Staaten dar. Der Vergleich der finanziellen Verteidigungslasten erfolgt und wird abgestimmt in besonderen Verhandlungen, die für uns nach Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages stattfinden.
Schließlich und zweitens wurde folgendes klargestellt: daß der Bundesrepublik keine Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Stationierungskosten für die Truppen mehr obliegt, die sich auf vertraglicher Basis in unserem Land befinden. Statt dessen erklärt sich die Bundesrepublik bereit, im Geiste des Art. 3 des Nordatlantikvertrages über Fragen des Unterhalts der stationierten Kräfte, über die Erbringung von Sach- und Werkleistungen zu verhandeln. Dabei ist der Bedarf der eigenen Streitkräfte der Bundesrepublik natürlich zu berücksichtigen.
Aber auch bei diesem Finanzvertrag handelt es sich nur noch um eine Übergangsregelung. Es werden neue Vereinbarungen getroffen werden, und über diese neuen Vereinbarungen wird mit denjenigen Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft verhandelt, die Truppen im Bundesgebiet stationiert haben. Mithin gilt der Finanzvertrag nicht mehr für die Dauer. Er wird im Geiste der allgemeinen Vorschriften der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft abgewandelt und neu geschlossen.
Nun hat der Haushaltsausschuß sich sehr eingehend mit den finanziellen Auswirkungen des Verteidigungsbeitrages, des Finanzvertrages, auf
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den Haushalt befaßt. Ich muß mich auch hier auf einige kurze Bemerkungen beschränken. Zunächst ist es nach den Darlegungen des Haushaltsausschusses so, daß auf den Konferenzen von London und Paris Übereinstimmung darüber herrschte, daß die gesunde Wirtschaftslage der NATO-Staaten keinesfalls durch militärische Verpflichtungen gestört werden dürfe. Es liegt in der Hand der Regierungen und der Parlamente, Störungen zu vermeiden.
Für das erste Jahr nach Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages ist nach Auflassung des Bundesfinanzministeriums die haushaltsmabige Auswirkung durch die Einsetzung der 9 Milliarden DM-5,8 fur die deutsche Seite, 3,2 für die alliierte Seite - geklärt. Bei der Verwendung dieser 5,8 Milliarden DM müsse noch entschieden werden, was man zukaufen müsse und welche Dinge in eigener Produktion hergestellt, also vorfinanziert werden müßten. Hinsichtlich der Bauten glaubt man mit einem Drittel des erforderlichen Bedarfs auszukommen. Für die Ausrüstung mit schweren und mittelschweren Waffen lägen USA-Zusagen vor. Es sei angedeutet worden, daß diese Ausstattung unentgeltlich in Erwartung entsprechender Anstrengungen der Bundesrepublik gegeben werde. Die Bundesrepublik dürfe eine gleiche Behandlung wie die übrigen NATO-Staaten erwarten.
Die Frage der Gesamtkosten wurde eingehend erörtert. Hier konnte Einigkeit im Gesamtausschuß nicht erzielt werden. Eine endgültige Klärung der Gesamtkosten ist deshalb noch nicht möglich, weil ja die ganzen militärischen Programme noch nicht festliegen. Grundlegend ist davon auszugehen, daß man annimmt, daß das Programm in drei Jahren verwirklicht wird. Bei dieser Verwirklichung muß zwischen Kosten der Erstausstattung und lautenden Kosten unterschieden werden. Die NATO-Staaten erwarten, daß auch wir, wenn unser Sozialprodukt sich erhöht, unseren Verteidigungsaufwand entsprechend gestalten. Die Bundesrepublik bleibt jedoch Herr der Entscheidung. Es ist besonders wichtig - und darauf muß ich abheben -, daß die NATO-Staaten berechtigt sind, alles, was an Kosten unter den Begriff der „Verteidigung" im weitesten Sinne fällt, anzurechnen. Hier gibt es für die Bundesrepublik Möglichkeiten, z. B. im Hinblick auf unsere außergewöhnlichen Aufwendungen für die Berlin-Hilfe, den Grenzschutz, außergewöhnliche soziale Leistungen, Aufnahme der Sowjetzonenflüchtlinge, Seßhaftmachung der Heimatvertriebenen usw. Die Bundesrepublik hat also die Möglichkeit, Dinge hineinzunehmen, die zweifellos mit dem Begriff der Verteidigung Deutschlands und der westlichen Welt zusammenhängen.
Was die laufenden Kosten anbetrifft, so ist die Bundesregierung der Überzeugung, sie könnten von einem wachsenden deutschen Sozialprodukt getragen werden. Führt das Dreijahresprogramm hier zu einer Anspannung, so ist eine Verlängerung möglich. Für das Haushaltsjahr 1955 hat die Bundesregierung über den Betrag von 9 Milliarden hinaus Mittel nicht angefordert. Da sie nach ihren Angaben keine bindenden Verpflichtungen für kommende Haushaltsjahre eingegangen ist, die das Bewilligungsrecht des Parlaments einschränken, liegen die Verteidigungsausgaben der folgenden Haushalte im Ermessen des Parlaments.
Die Minderheit des Haushaltsausschusses vertrat hier abweichende Auffassungen. Sie schätzt die Kosten des Aufbaus der 12 deutschen Divisionen
auf mindestens 60 Milliarden, die innerhalb von drei Jahren ausgegeben werden müßten. Sie glaubt daneben an die Entstehung von Folgekosten und nimmt sogar an, daß die Ausgaben für den zivilen Luftschutz allein auf mindestens 12 Milliarden zu schätzen seien. Die Minderheit hat unter diesen Umständen erklärt, zu der Feststellung gezwungen zu sein, daß die haushaltsmäßigen Konsequenzen der Verträge nicht gezogen werden konnten und daß keine Beurteilung der tatsächlichen materiellen Auswirkungen der Verträge durch zusätzliche Ausgaben und Einnahmenminderung möglich war.
Nun zu einem weiteren und letzten Komplex, dem Komplex des Überleitungsvertrags, des Vertrags, in dem die aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen erledigt werden sollen. Hier kommt der vertraglichen Vereinbarung vielfach eine Bedeutung ähnlich einer friedensvertraglichen Regelung zu. Aus Krieg und Besatzung entstandene schwierige Probleme sollen durch diesen Überleitungsvertrag bereinigt werden. Die Verhandlungen über dieses weite Gebiet waren in den Jahren 1951 und 1952 die langwierigsten und die kompliziertesten gewesen. Die Interessengegensätze standen sich hier in besonderer Stärke gegenüber. Der Überleitungsvertrag versuchte einen Ausgleich zu schaffen, der naturgemäß für die Bundesrepublik mit Opfern verbunden war, die wegen des verlorenen Krieges, der jahrelangen Besatzung und der politischen Situation unvermeidlich waren. Wie die Regierung dem Auswärtigen Ausschuß mitteilte, war von deutscher Seite versucht worden, die Regelungen des Überleitungsvertrages nach verschiedenen Richtungen hin zu ändern. Dies gelang jedoch nur in relativ engem Rahmen. Die Drei Mächte bestanden in grundsätzlichen Fragen auf den bisherigen Normen, so daß große Teile des Überleitungsvertrags unverändert übernommen werden mußten. Dies gilt vor allem für die Allgemeinen Bestimmungen dieses Vertrags, die das Schicksal der Maßnahmen regeln, die die Besatzungsmächte im Gebiet der Bundesrepublik während der Jahre der Besatzung getroffen haben.
Dabei wird von dem Grundsatz ausgegangen, daß die erlassenen Rechtsvorschriften, die abgeschlossenen Verträge, die Maßnahmen, die Rechte und Pflichten, die entstanden sind, und die ergangenen Urteile bestehenbleiben. Die Organe der Bundesrepublik und die Länder sind aber befugt, im Rahmen ihrer allgemeinen Zuständigkeiten die von den Besatzungsbehörden erlassenen Rechtsvorschriften in Zukunft aufzuheben und abzuändern, soweit nicht ausdrückliche vertragliche Vorbehalte vorliegen.
Die vom Kontrollrat ausgegangenen Gesetze können aus Gründen, die in der allgemeinen politischen Situation liegen, von der Bundesrepublik nicht aufgehoben werden. Die Bundesrepublik ist aber ermächtigt, im Einvernehmen mit den westlichen Alliierten solche Vorschriften für ihr Gebiet außer Kraft treten zu lassen.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich bei der Besprechung dieser Fragen auf verschiedene Einzelpunkte beschränkt, von denen ich einige wenigstens erwähnen muß.
Zunächst: Da die Verträge des Jahres 1952 nicht in Kraft traten, konnte auch der Gemischte Ausschuß nicht gebildet werden, der die Kriegsverbrecherprozesse überprüfen sollte. Die Drei Mächte hatten aber in der Zwischenzeit für ihre Zonen
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besondere gemischte Ausschüsse gebildet, die diese Verurteilungen überprüft haben und deren Empfehlungen für die Entschließungen der Drei Mächte von maßgebender Bedeutung waren. Daß hier trotz der nicht zustande gekommenen Verträge Fortschritte erzielt wurden, ergeben die Zahlen über die durchgeführten Entlassungen in Landsberg, Werl und Wittlich. So waren am 1. April 1952 in den drei Strafanstalten noch 649 verurteilte Häftlinge. Am 1. Januar 1955 waren es nur noch 164 Verurteilte. Die überwiegende Zahl war also inzwischen auf Grund der Empfehlungen dieser Sonderausschüsse entlassen worden.
Schließlich enthält der Überleitungsvertrag Bestimmungen über das Gnadenrecht, den Strafvollzug und über die Behandlung von verurteilten Personen, die sich während der Besatzungszeit im Gebiete der Bundesrepublik gegen die alliierten Gesetze vergangen haben. Nach Mitteilung des Bundesjustizministeriums sind im Augenblick noch 536 Personen, die auf Grund solcher Straftaten verurteilt sind, im Gebiet der Bundesrepublik inhaftiert. Hiervon sind 99 zu lebenslänglichen Strafen verurteilt. Der Strafdurchschnitt der übrigen beträgt drei Jahre und zehn Monate. Auch hier ist ein starker Rückgang eingetreten. Im Jahre 1952 waren es 1503 Verurteilte, jetzt sind es noch 536. Da es sich um Deutsche, Volksdeutsche und um Ausländer handelt - auch Ausländer vergingen sich gegen die Besatzungsvorschriften -, nimmt man an, daß sich heute nur noch etwa 200 deutsche Staatsangehörige und Volksdeutsche auf Grund solcher Urteile in deutschen Strafanstalten befinden.
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- Ja, darüber wird noch gesprochen werden. Man tut alles; aber das sind Dinge, die durch Maßnahmen entstanden sind, die innerhalb der Besatzungszeit liegen, so daß die Verurteilten nicht als Kriegsverbrecher in Betracht kommen.
Zur Frage 'der deutschen Funkhoheit hat die Bundesregierung folgende Erklärung abgegeben:
Das Rundfunkabkommen von Kopenhagen aus dem Jahre 1948 ist weder von Deutschland noch von den Besatzungsmächten für Deutschland unterschrieben worden. Die Bundesrepublik ist daher an den Wellenplan von Kopenhagen nicht gebunden. Sie ist auf diesem Gebiet durch einen besonderen Brief vom 26. Mai 1952 betreffend Funkdienste, auf Grund einer Bestimmung des Truppenvertrages und schließlich durch den internationalen Fernmeldevertrag von Buenos Aires des Jahres 1952 verpflichtet. Im Rahmen dieser Einschränkungen ist 'die Bundesregierung bereit, jede Initiative zu ergreifen, die es ermöglicht, die Bedürfnisse des Rundfunks zu befriedigen.
Die Regierung wies darauf hin, daß über die hier offenen Fragen gegenwärtig Beratungen gepflogen und Verhandlungen geführt werden.
In diesem Zusammenhang legt der Ausschuß für Besatzungsfolgen besonders Wert auf die Feststellung, daß die aufrechterhaltenen alliierten Verwaltungsmaßnahmen und Urteile nicht daran hindern, bei Besatzungsschäden eine zusätzliche Zahlung durch den Bund zu leisten.
Ein großer Teil des Überleitungsvertrages war früher ausgefüllt durch die Vorschriften über die Dekartellierung und Entflechtung. Der ganze Abschnitt ist gestrichen. Man hat hier weitgehende
Auflockerungen geschaffen, hat jedoch einzelne neue Spezialbestimmungen für erforderlich gehalten. Ich muß zu dieser Materie auf den gedruckten Bericht verweisen. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat sich im besonderen mit diesen Dingen befaßt; seine Erklärungen sind in dem gedruckten Bericht enhalten.
Es gibt auch Gebiete, die in dem Vertrag nahezu völlig unverändert geblieben sind, so die Bestimmungen über die innere Rückerstattung, über die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und über äußere Restitutionen. Auch das Kapitel der Reparationen konnte in den Verhandlungen von London und Paris nicht neu aufgerollt werden. Es ergab sich hierzu keine Möglichkeit. Auch da ist im Grundsatz die Regelung des Jahres 1952 verblieben. Auch für die verschleppten Personen und Flüchtlinge ist es im Prinzip bei dem bisherigen verblieben, soweit nicht durch die inzwischen eingetretenen tatsächlichen Vorgänge gewisse Überholungen eingetreten sind. Vor allem das Problem der Rückführung von Flüchtlingen aus den östlichen Staaten wird, wie die Regierung versichert, von den zuständigen deutschen Stellen ständig bearbeitet. Es bleibt hier bei der Bestimmung, daß 'die drei westlichen Mächte bereit sind, nötigenfalls. Verhandlungen mit Staaten zu führen, in denen die Bundesrepublik keine diplomatischen Vertretungen unterhält.
Das große Kapitel der Ansprüche gegen Deutschland ist durch das Londoner Schuldenabkommen erledigt, also bereinigt.
Ein weiteres Kapitel, das gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige behandelt, konnte ebenfalls wegen der Kürze der Zeit und der Schwierigkeit der Probleme nicht zum Gegenstand erneuter Verhandlungen gemacht werden. Der Auswärtige Ausschuß und der Ausschuß für Wirtschaftspolitik erwarten, daß hier auch nach dem Zustandekommen der Verträge Verhandlungen geführt werden, um zu einer Auflockerung zu gelangen.
Zum Abschluß will ich aus diesem Überleitungsvertrag noch erwähnen, daß im Teil 12 die Bundesrepublik die Hoheit über die zivile Luftfahrt zurückerhält. Die volle Verantwortung der Bundesrepublik für den Bereich der zivilen Luftfahrt erfährt einige Einschränkungen internationaler Art, die für alle Staaten der westlichen Welt selbstverständlich sind. Der Auswärtige Ausschuß hat sich speziell mit der Frage der sofortigen Effektuierung und Durchführung befaßt. Er ist der Meinung - und das ist auch die Auffassung der Regierung -, daß die Grundsatzerklärung der Londoner Schlußakte über die De-facto-Souveränität sich auch auf das Gebiet der zivilen Luftfahrt bezieht. Deutsche Fluglinien können auch heute schon errichtet und beflogen werden, unabhängig davon, ob es formal noch notwendig ist, hier bis zum Inkrafttreten der Verträge besondere Erlaubnisse zu bekommen. Der deutsche Flugdienst wird durch diese Rechtsfrage nicht berührt.
Ein weiteres Abkommen, das ich nur, ich möchte sagen, dem Namen nach erwähnen möchte, ist dasjenige über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte. Auch hier ist es grundsätzlich beim alten geblieben. Aber auch hier wie beim Finanz- und Truppenvertrag liegt nur eine Übergangsregelung vor bis zur Aushandlung von Vorschriften, die allgemein im Rahmen der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gelten.
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Ich muß zum Schluß noch einige Worte zu dem weiteren Zustimmungsgesetz, zu Drucksache 1060 sagen, das sich mit der Stationierung ausländischer Truppen in Deutschland befaßt und das natürlich in seiner rechtlichen Durchführung und in seiner praktischen Auswirkung für uns von ganz besonderer Bedeutung ist. Die schwierige Materie der Stationierung ausländischer Truppen in der Bundesrepublik hat durch die neuen Verträge und auch infolge des Wegfalls der EVG eine grundlegende Änderung erfahren. Diese Umgestaltung ist das Ergebnis der Beendigung des Besatzungsregimes, der Anerkennung der Souveränität und endlich auch der Form des deutschen Verteidigungsbeitrages.
Zum Verständnis muß ich hier einige Dinge im voraus erklären. Zunächst ist es klar, daß die Verträge die Rechtsgrundlage der Streitkräfte der Alliierten, die sich in Berlin befinden, nicht ändern. In Berlin halten sich die alliierten Truppen auch in Zukunft ausschließlich auf Grund hoheitlicher Befugnisse auf. Sodann: der bisherige Rechtszustand bleibt selbstverständlich bis zum Inkrafttreten des Deutschlandvertrages bestehen. Ergibt sich zwischen dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages und dem Inktrafttreten der Bestimmungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag ein Zwischenzeitraum, so bestehen auch hier noch hoheitliche Befugnisse weiter. Das heißt, die alliierten Truppen befinden sich alsdann bei uns nicht mehr auf Grund des Besatzungsstatuts, wohl aber auf Grund von hoheitlichen Rechten, die bis zum Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, also bis zum Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrags aufrechterhalten bleiben. Aber nach Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages wandelt sich die Rechtsgrundlage der Stationierung dieser ausländischen Truppen im Gebiete der Bundesrepublik. Dies ergibt sich aus dem Art. 4 des Deutschlandvertrages im Zusammenhang mit den Vorschriften dieses besonderen Aufenthaltsvertrages, Drucksache 1060. Die nicht einfachen Formulierungen des Art. 4 zeigen, daß die drei westlichen Mächte gewillt sind, ihr Stationierungsrecht aus einem hoheitlichen in ein vertragliches umzuwandeln. Dieser Wille wird mit dem neuen Status der Bundesrepublik, dem der Souveränität, und weiterhin damit begründet, daß die Drei Mächte ihre Stationierung in der Bundesrepublik nur im vollen Einvernehmen mit dieser durchzuführen beabsichtigen.
Aus diesem Grunde wurde die Frage des Stationierungsrechtes in einem besonderen Vertrag, dem Aufenthaltsvertrag, geregelt. Der Wortlaut des Art. 4 des Deutschlandvertrages deutet darauf hin, daß die Umwandlung des Stationierungsrechts Gegenstand von Auseinandersetzungen war, bei denen zunächst gewisse Gegensätzlichkeiten hervortraten. Da die Formulierung dieses Art. 4 und überhaupt der ganze Aufenthaltsvertrag aus deutschen und amerikanischen Vorschlägen hervorgegangen sind, ist für die Auslegung auch die Stellungnahme des Staatssekretärs Dulles gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeutsam, aus der ich wenige Sätze zitieren darf. Dulles schreibt hier:
Die Bedeutung dieses Vertrages
- also des Aufenthaltsvertrages liegt darin, daß die in Deutschland stationierten Streitkräfte dort nicht mehr auf Grund von Vorbehaltsrechten stationiert sein werden, die wir durch das Potsdamer Abkommen und
die Kapitulationsbedingungen erhalten hatten, sondern auf Grund eines neuen Vertrages, der von Deutschland freiwillig geschlossen worden ist und der von den verantwortlichen parlamentarischen Körperschaften in Deutschland gebilligt werden muß. In dieser Beziehung wird Deutschland also den alliierten Ländern gleichgestellt sein.
Der Auswärtige Ausschuß ist mit der Regierung der Auffassung, daß für das Gebiet der Bundesrepublik nach Inkrafttreten der Abkommen über den deutschen Verteidigungsbeitrag nur noch ein vertragliches Stationierungsrecht besteht. Es erscheint dem Ausschuß auch nicht möglich, zwischen dem Recht und seiner Ausübung zu unterscheiden und zu sagen, bei fortbestehendem Hoheitsrecht sei dessen Ausübung gegenüber der Bundesrepublik nur mit deren Zustimmung noch möglich, wie es der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung zum Ausdruck brachte. Diese Trennung widerspräche der Tatsache der Aufhebung des Besatzungsregimes, der ausdrücklichen Begrenzung der alliierten Vorbehalte, der Entstehung der neuen Rechtslage und der Existenz und dem Sinn des besonderen, selbständigen Aufenthaltsvertrages. Sie ist auch zur Wahrung der Interessen der Drei Mächte nicht erforderlich, weil die Bundesrepublik die rechtliche und tatsächliche Hoheit über ihr Gebiet hat und den Drei Mächten daher vertraglich ein Stationierungsrecht einräumen kann, das frühere, aus der Besatzung hervorgegangene Hoheitsrechte voll zu ersetzen vermag. Mit Inkrafttreten des Verteidigungsbeitrages ist also eine hoheitliche Legitimation für eine Truppenstationierung innerhalb der Bundesrepublik erloschen. Die Rechte der Drei Mächte ergeben sich ausschließlich aus der im Deutschlandvertrag und im Aufenthaltsvertrag freiwillig übernommenen Verpflichtung der Bundesrepublik.
Ich habe nur noch drei kurze, mehr formelle Änderungen zu erwähnen, die an den Zustimmungsgesetzen durch den Auswärtigen Ausschuß vorgenommen wurden. Der Ausschuß hat hineingesetzt: „mit Zustimmung des Bundesrates". Er will damit weder für dieses Gesetz noch grundsätzlich eine Stellungnahme dazu abgeben, wann solche Zustimmungsgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die zweite Änderung betrifft einen Briefwechsel, der noch aufgenommen wurde. Die dritte ist insofern schon von größerer Bedeutung, als in allen Zustimmungsgesetzen, die hier vorliegen, die Worte „mit Gesetzeskraft" gestrichen worden sind. Damit soll keine Änderung in der Rechtswirkung der Zustimmungsgesetze eintreten, sondern es soll lediglich auf die formelle Praxis der Weimarer Zeit zurückgegangen werden. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie diese Praxis auch bei allen zukünftigen Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 des Grundgesetzes üben wird.
Der Deutschlandvertrag und die Vereinbarungen, die sich um ihn gruppieren und zu denen auch der Aufenthaltsvertrag gehört, stehen in einem großen Zusammenhang. Sie regeln Probleme, die aus dem Krieg und Zusammenbruch hervorgegangen sind. Sie ziehen einen Schlußstrich unter Vorgänge, die die Jahre der Besetzung für das Gebiet der Bundesrepublik gebracht haben. Zugleich beenden sie auch formell die Zeit, in der die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich der Bundesrepublik als Alliierte gegenüberstanden und als Besatzungsmächte hoheitliche Funktionen in unserem
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Lande ausübten. Diese Verträge schließen aber nicht nur einen Zeitraum ab. Sie eröffnen zugleich einen neuen Weg, indem sie die Souveränität der Bundesrepublik anerkennen und ihr Freiheit und Gleichberechtigung gewähren. Sie schaffen damit auch eine Voraussetzung dafür, daß die Deutschen in einem freien und gleichberechtigten Staate vereinigt sein werden. In dieser Überzeugung empfiehlt der Auswärtige Ausschuß dem Hohen Hause, diesen Verträgen seine Zustimmung zu geben.
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Als weiterer Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Brandt ({0}).
Brandt ({1}) ({2}), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht*) verweisen. Ich darf mich auch auf die Diskussionen beziehen, die 1952 und später um den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geführt worden sind. Die Frage der Wiederbewaffnung, die Frage des Verteidigungsbeitrages ist heute nicht weniger umstritten als damals. Die Argumente haben sich nicht entscheidend gewandelt und nicht wesentlich vermehrt. Sie dürfen als weitgehend bekannt vorausgesetzt werden. Für den Berichterstatter kann es sich eigentlich nur noch darum handeln, bekannte Argumente zu ordnen und gewisse Besonderheiten des jetzigen Vertragswerks im Vergleich zum früheren zu registrieren.
Angesichts der ernsten Meinungsverschiedenheiten, die sich gerade in dieser Frage in unserem Volk und hier im Hause geltend machen, konnte es dem Auswärtigen Ausschuß verständlicherweise nicht gelingen, zu einer einmütigen Empfehlung zu gelangen. Die Einschätzung der Lage und der Erfordernisse der deutschen Politik weicht im ganzen und vor allem auch im einzelnen stark voneinander ab. Dabei darf festgehalten werden, daß die erklärten Zielsetzungen der Mehrheit und der Minderheit des Auswärtigen Ausschusses und die Motivierung der von ihnen empfohlenen Politik in mehrfacher Hinsicht Berührungspunkte aufweisen. Beide Teile lassen sich, wie bei der Beratung des vorigen Vertragswerkes, von einem besonderen Interesse der deutschen Politik an der Aufrechterhaltung des Friedens leiten. Beide Teile bekennen sich gleichermaßen zu den Idealen der Freiheit und zur Gemeinschaft unseres Volkes mit den sich demokratisch regierenden Nationen der Welt. Beide Teile bejahen über den permanenten deutsch-französischen Ausgleich hinaus ein enges Zusammenwirken der europäischen Völker. Beide Teile bezeichnen insbesondere die deutsche Wiedervereinigung - und das sollte niemand überhören, der sich nicht einer ernsten und unter Umständen folgenschweren Fehleinschätzung schuldig machen will - als das vordringliche Anliegen unserer Politik; aus nationalen Gründen, aber auch im Interesse der Befriedung Europas.
Was nun die von den Alliierten zunächst nicht vorgesehene, j a ausdrücklich verbotene, von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen selbst nicht gewünschte, von den Vätern des Grundgesetzes ausgeklammerte Wiederbewaffnung angeht, so hat sich die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses auf den Standpunkt gestellt, die Notwen-
*) Siehe Anlage 5.
digkeit einer solchen Wiederbewaffnung auf dem Hintergrund der internationalen Entwicklung sei zwingend, heute nicht weniger zwingend als bei den Beratungen vor zwei oder den beginnenden Erörterungen vor vier Jahren. Eine akute Kriegsgefahr sei nicht zu befürchten, aber es sei auch nicht gerechtfertigt, mit einer Minderung der Bedrohung zu rechnen, die vom sowjetischen Herrschaftssystem und -bereich ausgehe. Dieser Bedrohung suche, so wurde argumentiert, das atlantische Verteidigungssystem Einhalt zu gebieten. Dieses Verteidigungssystem müsse ausgebaut, verstärkt werden. Dazu bedürfe es westdeutscher Streitkräfte. Mit den geplanten Streitkräften der Bundesrepublik stehe und falle die Verteidigungsplanung für das westliche Europa. Wenn auch dieses Vertragswerk scheitere und wenn es auch diesmal zu einem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik nicht komme - so haben insbesondere die Vertreter der Bundesregierung während der Ausschußberatungen argumentiert -, drohe ein Umschwung der amerikanischen Politik gegenüber Europa, möglicherweise bis zur Aufgabe amerikanischer Verteidigungspositionen in Europa.
Die Mehrheit hat auch auf zwei weitere Gesichtspunkte Wert gelegt, einmal darauf, daß sich durch die deutsche Mitwirkung auf dem Gebiet der westlichen Verteidigung eine stärkere westeuropäische Zusammenarbeit und Gemeinschaft erzielen lasse, und zum anderen darauf, daß eine Verstärkung des westlichen Sicherheitssystems einen günstigen Ausgangspunkt für Verhandlungen zwischen den beiden Machtblöcken bieten könnte, um so zu Vereinbarungen über die Abrüstung, zu einer Minderung der internationalen Spannungen und zu einem besseren Klima für Verhandlungen über die Lösung der deutschen Frage zu gelangen.
Die Minderheit des Auswärtigen Ausschusses macht demgegenüber geltend, die internationalen politischen Verhältnisse hätten sich gegenüber der ursprünglichen Erörterung über einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik nicht unwesentlich geändert. Es müsse geprüft werden, ob die seinerzeit zur Verhinderung eines vielleicht drohenden sowjetischen Angriffs geplanten Maßnahmen heute noch mit dem Streben nach internationaler Entspannung vereinbar seien. Angesichts der Entwicklung der modernen Zerstörungsmittel sei außerdem zu fragen, ob die strategische Planung, die künftige westdeutsche Divisionen in Rechnung gestellt habe, den neuen Gegebenheiten noch gerecht werde. Darüber hinaus werde bezweifelt, ob die erstrebte Sicherheit mit Hilfe des vorgesehenen Beitrags zu erreichen sei.
Was die Struktur des Verteidigungsbeitrags und die Art der einzugehenden politischen und militärischen Verpflichtungen angeht, so werden den Mitgliedern des Hauses, die die vorliegenden Texte und schriftlichen Berichte vermutlich sorgfältig studiert haben, die Veränderungen geläufig sein, die sich gegenüber dem 1952 unterbreiteten Vertragswerk ergeben haben. Ich kann mich daher mit wenigen Feststellungen begnügen.
Aus bekannten Gründen, die vor allem in der Entscheidung der französischen Nationalversammlung vom August vergangenen Jahres zu suchen sind, ist der Plan einer überstaatlichen westeuropäischen Verteidigungsorganisation, der zugleich politische Aufgaben zugedacht waren, fallengelassen worden. Statt dessen ist die Doppelmitgliedschaft der Bundesrepublik im erweiterten Brüsse({3})
ler Pakt und in der Nordatlantikpakt-Organisation vorgesehen. Der 1948 zwischen Großbritannien, Frankreich und den Benelux-Staaten geschlossene Brüsseler Pakt verliert seine gegen eine etwaige und damals befürchtete deutsche Aggression gerichtete Zielsetzung. Die Bundesrepublik und Italien treten ihm bei. Andere Verträge sollen ihm nicht entgegenstehen, also auch nicht solche Verträge, die gegen Ende des zweiten Weltkrieges mit der Sowjetunion eingegangen wurden. Die Westeuropäische Union - wie der erweiterte Brüsseler Pakt genannt wird - verpflichtet die Vertragspartner zu automatischer gegenseitiger Hilfeleistung für den Fall des Angriffs auf dem europäischen Kontinent.
Die Lösung der eigentlichen militärischen Aufgaben überläßt die Westeuropäische Union den Organen des Nordatlantikpaktes, der NATO. Eine Doppelarbeit wird ausdrücklich abgelehnt. Lediglich in bezug auf die Begrenzung der Streitkräfte und die Kontrolle der Rüstungen werden der Westeuropäischen Union bestimmte Aufgaben zugewiesen, die nach dem alten Vertragswerk der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zufallen sollten. Hierfür ist ein bestimmter Apparat, so das Amt für Rüstungskontrolle, vorgesehen. Dieser Apparat gibt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich der Beitritt der Bundesrepublik zum Atlantikpakt vollziehen soll.
Die Tatsache, daß auf dem Gebiet der Kontrollen für die Bundesrepublik eine beträchtliche Auflokkerung gegenüber dem EVG-Vertrag eintreten würde, ist während der Beratungen nicht unbeachtet geblieben. Der Ausschuß sieht in der vorgesehenen Regelung keine Diskriminierung der Bundesrepublik.
Der Westeuropäischen Union sind jedoch auch Aufgaben auf anderen Gebieten als dem der gemeinsamen Sicherheit zugedacht. Sie soll die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Staaten fördern. Die Bundesregierung hat in ihrer Begründung und in anderen Stellungnahmen unterstrichen, die Entwicklung zur europäischen Integration könne von diesem Ansatzpunkt her neuen Antrieb erfahren.
In diesem Zusammenhang ist darauf hingewiesen worden, der Rat der Westeuropäischen Union werde anders als beim ursprünglichen Brüsseler Pakt nicht nur konsultative Aufgaben haben, er werde unter bestimmten Voraussetzungen Mehrheitsbeschlüsse fassen können. Jährlich einmal wird dieser Rat einer Versammlung zu berichten haben, die aus den Mitgliedern der Vertragspartner in der Beratenden Versammlung des Europarates bestehen soll und über deren Befugnisse und Arbeitsweise im einzelnen noch verhandelt wird.
Daß sich die Bundesrepublik in Verbindung mit ihrem Beitritt zur Westeuropäischen Union der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs im Haag unterwerfen würde, was uns auch ohne Zugehörigkeit zur Organisation der Vereinten Nationen offensteht, dürfte zu den am wenigsten problematischen Teilen des Vertragswerkes gehören.
Es ist jedoch die Frage aufgetaucht, ob es einem besonderen deutschen Interesse entsprechen würde, die angedeutete Möglichkeit einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Westeuropäischen Union mit besonderem Nachdruck wahrzunehmen. Im Auswärtigen Ausschuß ging die
Meinung überwiegend dahin, und auch der Regierungsvertreter pflichtete dieser Meinung bei, daß so viel Aufgaben wie möglich in dem jeweils größten Kreis beteiligter europäischer Staaten gelöst werden sollten. Mit anderen Worten, die Arbeit solcher Organe wie des Europäischen Wirtschaftsrates in Paris oder des Europarates in Straßburg sollte nicht durch eine Absonderung der sieben Partner der Westeuropäischen Union beeinträchtigt werden, was nicht ausschließe, daß sich diese Partner zur Lösung weiterreichender, sie im besonderen berührender Fragen zusammenfänden.
Der Auswärtige Ausschuß hat, was nun die eigentlich militärische Seite des Vertragswerks angeht, von dem Bestreben der Regierung Kenntnis genommen und es durch seine Mehrheitsentscheidung gebilligt, das neue Vertragswerk mit möglichst vielen Elementen der Sicherheit, die im alten Vertragswerk enthalten waren, auszustatten. Auf die rein defensive Aufgabenstellung sowohl der Westeuropäischen Union wie der Nordatlantikpakt-Organisation wird Bezug genommen. Im übrigen ist erstens, wie schon erwähnt, die automatische Beistandspflicht im westeuropäischen Bereich aufrechterhalten worden. Zweitens ist Großbritannien an diesem System gegenseitiger Hilfeleistung beteiligt und verpflichtet sich, seine Rheinarmee und die dazugehörige taktische Luftflotte auf dem Kontinent zu belassen. Drittens wird die Bundesrepublik anders als nach dem EVG-Vertrag gleichberechtigtes Mitglied der NATO, und viertens ist mit dem Vertragswerk eine allerdings nicht vertraglich fixierte Zusicherung der gegenwärtigen Regierung der Vereinigten Staaten verbunden, sich weiterhin maßgeblich an der Verteidigung Westeuropas zu beteiligen.
Wenn wir von den Vereinbarungen und Befugnissen der Westeuropäischen Union in bezug auf die Höchstgrenzen der Streitkräfte sowie in bezug auf die Begrenzung und die Kontrolle der Rüstungen absehen, so ergibt sich für die Bundesrepublik beim etwaigen Aufbau der Streitkräfte eine Teilung zwischen ausgedehnten nationalen Befugnissen einerseits und einer starken Verflechtung oder, wenn Sie so wollen, Integration der Koalitionsarmee, über die die NATO in Europa verfügt. Die Stellung des NATO-Befehlshabers Europa, dem die deutschen Feldverbände in ihrer Gesamtheit unterstehen würden, ist wesentlich verstärkt worden. Er soll die ihm unterstellten Streitkräfte in ihrer Gesamtheit zu einer schlagkräftigen integrierten Streitmacht entwickeln. Dabei soll die führungsmäßige Integration unterhalb der Armee-Ebene ihre Grenze dort finden, wo die militärische Wirksamkeit beeinträchtigt werden könnte. Dem deutschen Anspruch auf Gleichberechtigung, einem Anspruch, der sich aus der Mitwirkung an den Anstrengungen zu gemeinsamer Verteidigung logisch ergeben würde, sollte Rechnung getragen werden einmal durch die Vertretung im Rat der Nordatlantikpakt-Organisation, zum anderen durch die Beteiligung an den Organen der militärischen Führung, zum dritten durch das Mitspracherecht, wenn es etwa um die Standorte der Truppen geht.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich die Erwägung des Sicherheitsausschusses zu eigen gemacht, daß es nicht zweckmäßig sein würde, die Streitkräfte der Bundesrepublik verschiedenen regionalen Kommandobehörden des Oberbefehlshabers Europa zu unterstellen. Die beiden Ausschüsse haben außerdem der Erwartung Ausdruck gegeben, daß
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die Bundesrepublik in Zukunft an der sogenannten Standing Group beteiligt wird, d. h. an dem für die strategische Planung besonders wichtigen Kern des Militärausschuses in Washington.
Mit Zustimmung ist davon Kenntnis genommen worden - wenn ich auch das noch registrieren darf -, daß über den etwaigen Einsatz von Atomwaffen nicht auf militärtechnischer Ebene, sondern auf der Ebene des Rats als der verantwortlichen politischen Körperschaft entschieden werden dürfte.
Wir würden also nach Annahme und Inkrafttreten dieses Vertragswerks zweierlei Beistandspflichten übernehmen und umgekehrt in zweierlei Hinsicht Beistandsverpflichtungen anderer zu unseren Gunsten erlangen: einmal die automatische Beistandspflicht der Brüsseler Paktmächte auf dem europäischen Kontinent, zum andern die Beistandspflicht im Verhältnis zu und von den Mächten des Nordatlantikpaktes innerhalb des Gebietes, das durch diesen Vertrag gedeckt wird, wobei bekanntlich ein Angriff auf Truppen etwa in Berlin einem Angriff auf das Gebiet des betreffenden NATO-Partners gleichgesetzt wird. Verpflichtungen gegenüber weiteren Staaten ergeben sich, so wurde im Ausschuß festgestellt, auch dann nicht, wenn solche Staaten zum Begriff der freien Welt gezählt oder als durch ihn mit erfaßt betrachtet werden. Das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung würde dadurch freilich nicht in Frage gestellt.
Dem Ausschuß - jedenfalls einer beträchtlichen Zahl seiner Mitglieder - hat daran gelegen festzustellen, daß er den Begriff der westlichen Verteidigung nicht eng begrenzt ausgelegt wissen, daß er darin keinen Gegensatz zu den Völkern Asiens und dem Wunsch nach Zusammenarbeit und Verständigung mit ihnen erblicken möchte. Ihm liegt daran, die deutsche Politik auch in Zukunft nicht durch eine Mitverantwortung für Vorgänge und Vorhaben belastet zu sehen, die mit den vom Europarat entwickelten Grundsätzen und auch mit der Charta der Vereinten Nationen nicht in Einklang stehen.
Als weitere Frage ergab sich nun, ob durch das Vertragswerk überhaupt eine Verpflichtung der Bundesrepublik zur Aufstellung von Streitkräften und zur Stellung eines bestimmten Ausmaßes von Streitkräften geschaffen wird. Es wurde darauf hingewiesen, daß im Unterschied zum EVG-Vertrag nicht bestimmt werde, wieviel Truppen die Bundesrepublik zu stellen habe, sondern nur, daß sie die damals vorgesehene Gesamtziffer nicht überschreiten dürfe. Die Festsetzung im einzelnen erfolge im Rahmen der NATO, und zwar durch einmütige Festlegung. Die NATO als solche setze nach ihrem Vertrag nicht notwendigerweise die militärische Form der Hilfeleistung voraus, jedenfalls nicht eine automatische Hilfeleistung. Die Bundesregierung und die Mehrheit des Ausschusses haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß es sich hierbei um mehr theoretische Erwägungen handle. Aus der tatsächlichen organisatorischen Entwicklung der NATO ergebe sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Automatismus, auf den im Vertrag nur mit Rücksicht auf das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten habe verzichtet werden müssen. Die Beistandspflicht vor allem aber der Westeuropäischen Union setze geradezu das Vorhandensein militärischer Streitkräfte voraus. So richtig es sei, so argumentierte die Mehrheit, daß
über den Umfang des deutschen Beitrags nur mit I deutscher Zustimmung entschieden werden könne, so unbestreitbar sei es andererseits, daß die Haltung der anderen Partner zur Bundesrepublik davon abhängig sei, ob die Bundesrepublik in angemessener, zumutbarer Weise ihren Verpflichtungen nachkomme.
Hauptgegenstand der politischen Erörterungen gerade auch zu diesem Teil des Vertragswerks war jedoch - und hier kann ich einfach an das anknüpfen, was Herr Kollege Furler ausgeführt hat -, wie die etwaige Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auf das Ringen um die Wiedervereinigung einwirken würde und ob die Wiederbewaffnung mit einer erfolgversprechenden Politik der Wiedervereinigung Deutschlands zu vereinbaren sei. Die Mehrheit des Ausschusses hat es als einen großen Vorteil und Fortschritt bezeichnet - Herr Kollege Furler hat darauf schon hingewiesen -, daß sich alle 14 NATO-Mächte für die Wiedervereinigung Deutschlands ausgesprochen und zur Mitwirkung an ihrer Erreichung verpflichtet haben, daß sie die Bundesregierung als Sprecher des deutschen Volkes anerkennen - wie die drei Westmächte es zuvor schon getan haben -, während andererseits die Bundesregierung bekundet hat, daß sie zur Erreichung dieses Ziels der Wiedervereinigung, worüber im Ausschuß keine Meinungsverschiedenheiten herrschten, keine Gewalt anwenden wolle.
Die Mehrheit argumentierte weiter, die Bundesrepublik müsse aus dem Objektzustand herauskommen, in dem sie sich völkerrechtlich noch immer befinde. Die westliche Seite in der weltpolitischen Auseinandersetzung müsse - wie ich es auch einleitend schon erwähnte - durch deutsche Mitwirkung stärker werden, um zu Verhandlungen mit der sowjetischen Großmacht unter annehmbaren Bedingungen gelangen zu können. Der Bundeskanzler hat sich für solche Verhandlungen nach der Ratifizierung und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung ausgesprochen. Er hat sich auch für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Regierung der Sowjetunion ausgesprochen. Im übrigen meint die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses, eine unzumutbare Beeinträchtigung der deutschen Bewegungsfreiheit im Hinblick auf die Wiedervereinigung werde durch die Verträge nicht eintreten. Über andere Erwägungen hinaus gelte der völkerrechtliche Grundsatz, daß eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse, wie etwa im Falle der Wiedervereinigung, zu einer Revision von Verträgen dieser Art, von Verträgen überhaupt, berechtige.
Die Minderheit hat andererseits bekanntlich die Forderung vertreten, daß noch vor der Ratifizierung dieses Vertragswerks und gerade seines militärischen Teils auf der Ebene der vier Mächte, die 1945 gemeinsam über Deutschland die Kontrolle übernommen haben, verhandelt werden müßte, daß jedenfalls ernsthaft sondiert werden sollte, ob sich gegenüber früher günstigere Bedingungen für die Verwirklichung einer Politik mit Sicht auf die deutsche Einheit entwickelt haben sollten. Die Minderheit hat der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß solche Verhandlungen sonst unmöglich gemacht oder an die Voraussetzung einer Aufrechterhaltung des Status quo gebunden werden könnten. Es bestehe, so argumentierte die Minderheit, die doppelte Gefahr, die Bundes({5})
republik werde durch die Verträge so stark gebunden, so sehr in das atlantische System eingeschmolzen, daß sie den Anschluß an eine realistische Wiedervereinigungspolitik vielleicht kaum noch finden könne und daß solche Kräfte außerhalb unserer Grenzen Auftrieb erhalten könnten, die bereit wären, sich mit der Sowjetunion auf der Basis der Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands zu arrangieren.
Die Minderheit gab schließlich der Meinung Ausdruck, daß die Frage des militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands noch nicht Gegenstand ernster Verhandlungen der beteiligten Mächte gewesen sei. Es sei nicht anzunehmen, daß Deutschland wiedervereinigt werden könne, wenn die eine oder die andere Seite in der weltpolitischen Auseinandersetzung es fest in ihr militärisches Sicherheitssystem einzugliedern verlange. Daher müsse ein Status angestrebt werden, der das wiedervereinigte Deutschland einem System kollektiver Sicherheit einordne.
Die Mehrheit hat wie bei den Beratungen vor zwei Jahren auf die Gefährdung der deutschen Position hingewiesen, die ihrer Meinung nach dann eintreten würde, wenn Deutschland die Freundschaft der Westmächte und die feste Anlehnung an sie einbüßte. Beide Teile stimmten darin überein, daß die Stellung eines wiedervereinigten Deutschlands in der Welt sowohl für die vier Mächte, die 1945 die Kontrolle über Deutschland übernommen haben, als auch für ein gesamtdeutsches Parlament und eine gesamtdeutsche Regierung annehmbar sein müßte.
Die Frage, welche Schritte zwischen einer etwaigen Ratifizierung und der erst gewisse Zeit danach möglichen Verwirklichung des militärischen Teils der Verträge in Richtung auf eine Politik der Wiedervereinigung erfolgen könnten und sollten, ist nicht näher erörtert worden und lag vielleicht auch außerhalb der Aufgaben, die dem Ausschuß gestellt waren.
Wie aus den schriftlichen Berichten zu ersehen ist, sind auch diesmal Rechtsfragen verschiedener Art aufgeworfen worden, so auch die noch zu regelnde Frage des Rechts der Kriegserklärung. Von einer Minderheit im Rechts- und Verfassungsausschuß wird weiterhin die Vereinbarkeit auch der neuen Verträge mit dem Grundgesetz bestritten.
Die Probleme, die sich aus dem Zusammenhang zwischen Wiederbewaffnung und dem inneren Bestand der Demokratie ergeben, haben während der jetzigen Beratungen nur am Rande eine Rolle gespielt.
Dementgegen ist - auch darauf hat Herr Kollege Furler schon hingewiesen - über die mutmaßlichen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen eingehender gesprochen worden. Im Wirtschaftspolitischen Ausschuß, der dem Auswärtigen Ausschuß dazu Bericht erstattet hat, sind manche Besorgnisse zum Ausdruck gekommen. Die Bundesregierung und die Mehrheit meinen jedoch, daß die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik ausreiche, um den vorgesehenen Verteidigungsbeitrag zu tragen, um übergebührliche Verzerrungen unseres Wirtschaftsgefüges zu vermeiden und auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt meistern zu können. Es ist der Erwartung Ausdruck gegeben worden, daß es, was die Rüstungswirtschaft angeht, möglich sein werde, den gemeinsamen europäischen Belangen ohne einseitige Belastung dieser oder jener Volkswirtschaft gerecht zu werden.
Auch im Haushaltsausschuß hat die Mehrheit gemeint, daß die finanziellen Verpflichtungen des Verteidigungsbeitrages - über die bekannten Verpflichtungen des ersten Jahres hinaus - das zu verantwortende Maß nicht überschreiten würden; außerdem behalte der Bundestag durch die Feststellung des Bundeshaushalts das letzte Wort. Die Minderheit hat beanstandet, daß die Bundesregierung nicht über die Kosten vor allem der Erstausstattung erschöpfend Auskunft gegeben habe. Es sei zu befürchten, daß die Ausgaben weit über den bisher genannten Ansätzen liegen würden und daß sich hieraus eine schwere Belastung in wirtschaftlicher, währungspolitischer und sozialer Hinsicht ergeben könne.
Der Sicherheitsausschuß hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, das noch nicht bekannte Ausmaß der Auslandshilfe werde darüber entscheiden, um wieviel die bisher veranschlagten Haushaltsmittel für die Aufstellung von Streitkräften der Bundesrepublik erhöht werden müßten. Im übriden wird erwartet, daß die Regierung im Rahmen der NATO keine Verpflichtungen in dieser Hinsicht eingehen wird, ohne die zuständigen Ausschüsse des Bundestages gehört zu haben.
Meine Damen und Herren, der Ernst der gerade über den sicherheitsmäßigen Teil des Vertragwerks zu fällenden Entscheidung wird von niemandem, wie er auch im einzelnen die aufgeworfenen Fragen beurteilen mag, geleugnet werden können. Mir bleibt am Schluß dieser recht summarischen Übersicht als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses nur die Pflicht, Ihnen unabhängig von der Auffassung der politischen Gemeinschaft, zu der ich gehöre, unabhängig auch von persönlichen Erwägungen, zu denen der Gegenstand herausfordern möchte, im Namen der Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses die Annahme des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Westeuropäischen Union und zur Nordatlantikpakt-Organisation zu empfehlen.
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Als weiterer Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Pfleiderer.
Dr. Pfleiderer ({0}), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten habe ich heute die Ehre, dem Hohen Hause den Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar vorzulegen und damit einige mündliche Erläuterungen zu verbinden.
Von den völkerrechtlichen Vereinbarungen, die heute in zweiter Lesung erörtert werden, ist das Abkommen über das Statut der Saar vielleicht das umstrittenste. Die Beratungen des Ausschusses haben gezeigt, daß das Abkommen umstritten ist zwischen den Fraktionen, zum Teil auch innerhalb der Fraktionen, ja daß manche Abgeordnete in sich selbst Mühe haben, zu einer sie befriedigenden Entscheidung zu gelangen. Das Abkommen ist auch, wenn man die Parlamentsberichte vergleicht, umstritten zwischen den gesetzgebenden Körperschaften der beiden Länder, umstritten auch
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in manchen Punkten zwischen den beiden Ländern und dem Saargebiet selbst. Die Aufgabe des Berichterstatters ist daher besonders schwierig, und ich darf den Schriftlichen Bericht und die mündlichen Erläuterungen der Nachsicht des Hohen Hauses empfehlen.
Über die Beratungen im Ausschuß sei zunächst so viel mitgeteilt, daß sie von allen Beteiligten in dem Bewußtsein geführt wurden, daß es sich um die ernsteste Angelegenheit handle, die Gegenstand von Verträgen sein kann, nämlich um deutsches Land und seine Bewohner. Im Ausschuß - und auch bei denen seiner Mitglieder, die das vorliegende Abkommen ablehnen werden - war doch der Wunsch allgemein, den Saarstreit aus den internationalen Erörterungen ausgeschaltet zu sehen. Der Ausschuß möchte annehmen, daß dies auch auf französischer Seite der Fall ist. In den Beratungen des Ausschusses ist auch immer wieder zum Ausdruck gekommen, daß gute deutsch-französische Beziehungen für beide Länder und für Europa unerläßlich seien und daß auch aus diesem Grunde alles getan werden müsse, um den Saarstreit durch ein Abkommen zu bereinigen.
Wenn man die heutigen Verhältnisse und die des Jahres 1945 vergleicht, so kann man französisch von einem renversement des alliances, von einer Umkehr der Bündnisse sprechen. Damit hängt es auch zusammen, daß die Verträge im allgemeinen und besonders das Saarabkommen einen, wenn man so sagen darf, Januskopf tragen. Das eine Gesicht blickt noch auf den Krieg zurück, das andere Gesicht blickt in die Zukunft, auf den Frieden und das Bündnis mit den ehemaligen Gegnern. Fast möchte man sagen, mancher von uns habe auch noch einen dritten Blick geworfen, und zwar zurück nach der Zeit vor 1939, nach der verlorenen Stellung vor dem zweiten Weltkrieg, und messe die heutige Lösung an den Verhältnissen von einst.
Welcher Blick ist nun stärker? An welchem Punkt hört die Erledigung des Krieges auf und wo beginnt die Verträglichkeit, das Gemeinsame und das Bündnis? Daß sich die Bundesrepublik und Frankreich über diesen Punkt noch nicht voll einigen konnten, daß es hierüber verschiedene Auffassungen gibt, macht eben die Schwierigkeit aus. Auf der anderen Seite sind sich die vertragschließenden Teile doch in dem Bestreben einig, einen Modus vivendi zu finden, eine vorläufige Regelung oder, wenn man so sagen darf, einen Frieden bis zum Friedensschluß. Wenn die Minderheit des Ausschusses gefürchtet hat, daß dieser Zustand auf Grund des Abkommens doch noch reich an Streitstoff sein werde, so hat die Mehrheit gehofft, daß diese Zeit trotz allem eine heilende und beruhigende Kraft haben werde, die auch der Endregelung günstig wäre. Heute nämlich wird schon festgestellt - um nur eines zu nennen -, daß der Wille der Saarbevölkerung für die Endregelung von Bedeutung sein wird. Auch das Strittige, das den Modus vivendi belasten wird, kann sich nicht mehr ungehindert auswirken. Es sind im Rahmen der Westeuropäischen Union Instanzen geschaffen, um Streit, wo er entstehen sollte, politisch wie rechtlich abzuleiten und in einem geregelten Verfahren zu schlichten und zu entscheiden.
In dem Abkommen über das Statut der Saar ist, so nimmt die Mehrheit des Ausschusses an, der Saarstreit vorläufig gelöst. Diese Lösung hätte sicher nicht gefunden werden können, wenn es den Unterhändlern nicht möglich gewesen wäre, auf eine Vorarbeit zurückzugreifen: auf die große Vorarbeit, die im Rahmen der Beratenden Versammlung des Europarats geleistet worden ist und die unter dem Namen van-der-Goes-vanNaters-Plan in die Geschichte eingehen wird. Ich glaube, diese Arbeit hat sich gelohnt, und wir haben Grund, denen dankbar zu sein, die dabei mitgewirkt haben.
Als ersten Punkt darf ich nun den folgenden hervorheben. Nach der Auffassung des Ausschusses wird das Saargebiet durch das Abkommen eine nichtsouveräne Gebietseinheit eigener Art mit einer begrenzten Autonomie. Es wird eine Gebietseinheit, die in eine bestimmte Beziehung zur Westeuropäischen Union gebracht wird. Der Ausschuß war der Ansicht, daß das Statut eine Loslösung des Saargebiets aus dem deutschen Staatsverband, wie er in den Grenzen von 1937 bestanden hat, nicht ausspreche. Weder die Bundesrepublik noch Frankreich wären ermächtigt gewesen, eine Änderung der deutschen Grenzen vorzunehmen. Die Artikel 2 und 7 des Deutschlandvertrags, den wir heute hier mit beraten, hätten dem widersprochen. Die Grenzen Deutschlands sind 'unveränderlich bis zum Friedensvertrag; nur eine gesamtdeutsche Regierung könnte sie ändern. Auf Grund der Erklärungen, die die Außenminister der westlichen Mächte im September 1950 in New York abgaben, die in der Londoner Schlußakte vom 3. Oktober wiederkehrten und denen die NATO-Mächte am 23. Oktober letzten Jahres beitraten, ist die Bundesrepublik ermächtigt, als Sachwalterin der gesamtdeutschen Interessen bereits heute einen Modus vivendi über deutsches Gebiet zu treffen, das nicht zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehört. Man wird aber nicht nur sagen können, daß die Bundesrepublik dazu ermächtigt sei, sondern man wird auch sagen müssen, daß sie die Pflicht habe, alles zu tun, um die Lage der Deutschen an der Saar zu verbessern, d. h. unsere Landsleute in 'den Genuß der politischen Freiheit zu bringen und sie wirtschaftlich aus der Unterordnung unter fremde Interessen zu lösen.
Das Saargebiet erhält - und dies ist der zweite Punkt - im Rahmen der Westeuropäischen Union ein, wie es in Art. I des Abkommens heißt, europäisches Statut. Es wird ein Kommissar eingesetzt, der für die Fragen der auswärtigen Beziehungen und der Verteidigung zuständig ist und gleichzeitig die Durchführung des Abkommens überwacht. Er ist der saarländischen Regierung übergeordnet und hat ihr gegenüber Weisungsbefugnis. Der Ausschuß ist einhellig der Ansicht gewesen, daß zu den auswärtigen Beziehungen auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu den benachbarten Gebieten, zur Bundesrepublik und zu Frankreich, gehören.
Der große Wandel, der im Saargebiet nach Inkrafttreten des Abkommens eintreten wird, kommt, so nahm der Ausschuß an, durch nichts besser zum Ausdruck als dadurch, daß der Europäische Kommissar an die Stelle des bisherigen französischen Botschafters im Saargebiet tritt, daß die Ausschließlichkeit Frankreichs durch die Union von sieben Staaten abgelöst wird, zu denen auch die Bundesrepublik gehört. Wir können verstehen, daß es für die französische Politik ein schwerer Entschluß war, dieser Änderung zuzustimmen, und wir würdigen diesen Entschluß. Es wird auch gewiß noch einige Zeit dauern, bis sich die neue Lage zu voller Zufriedenheit eingespielt hat.
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Das dritte Kennzeichen der neuen Saarlösung besteht darin, daß die Saarbevölkerung berufen ist, an der Gestaltung ihres Schicksals in zwei Volksabstimmungen mitzuwirken, einmal in einer Abstimmung über das jetzige Statut, sodann in einer Abstimmung über die Endregelung, die im Friedensvertrag zu treffen sein wird.
Die erste Volksabstimmung ist in Art. I, die zweite in Art. IX des Statuts behandelt. Bezüglich der ersten Volksabstimmung darf ich hier kurz wiederholen, was in dem Bericht auf Seite 63 ausgeführt ist:
Der Ausschuß war einhellig der Ansicht, daß es ... unerwünscht sei, einem Teil des Staatsvolkes das Recht zu geben, über eine Frage abzustimmen, die in gleicher Weise das Volk im ganzen angehe.
Die Mehrheit des Ausschusses war jedoch der Ansicht, daß es sich hier nicht um ein Begehren der Bevölkerung im Saargebiet oder um ein Allein-Selbstbestimmungsrecht oder gar um ein Abtrennungsrecht handle, sondern um eine besondere Art der Zustimmung zu einem von der Bundesrepublik abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrag.
Anders verhält es sich bei der Volksabstimmung nach Art. IX. Auch hier ist die Bevölkerung aufgerufen, zu einer vertraglichen Regelung Stellung zu nehmen, nur liegt die materielle Regelung, zu der die Bevölkerung Stellung nehmen soll, nämlich die Friedensregelung, heute noch nicht vor. Wir möchten glauben, daß die Bevölkerung an der Saar in der nächsten Zeit schon beginnen wird, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Endregelung aussehen soll. Wir möchten auch glauben, daß diese Gedanken eines Tages für die Friedenskonferenz von Bedeutung sein werden. Aber die Entscheidung darüber, welche Art Regelung der Bevölkerung letzten Endes zur Abstimmung vorgelegt werden wird, ist Sache der Mächte, die an der Friedenskonferenz teilnehmen werden. Eine dieser Mächte wird Gesamtdeutschland sein. Die Saargrenzen können also nur dann festgelegt werden, wenn im Friedensvertrag sowohl Gesamtdeutschland zustimmt als auch die Saarbevölkerung in dieser zweiten Volksabstimmung ja sagt. Die Abmachungen des Friedensvertrages können - und darin wären die Mächte frei - mehrere Möglichkeiten zur Auswahl stellen. Insofern könnte auf der Friedenskonferenz auch eine Übereinstimmung mit der Regelung des Vertrags von Versailles hergestellt werden, die ja im Jahre 1919 die drei verschiedenen Möglichkeiten festgesetzt hat, über die dann im Jahre 1935 abgestimmt werden sollte und auch wirklich abgestimmt wurde. Sollte es der Friedenskonferenz nicht gelingen, eine allseits gebilligte Lösung für die Saarfrage zu finden, die von der Saarbevölkerung gebilligt oder mißbilligt wird, dann dürfte in der Stellung verschiedener Fragen, zwischen denen sich die Bevölkerung entscheiden muß, ein letzter Ausweg liegen. Die Mehrheit des Ausschusses hat es jedenfalls als einen besonderen Gewinn des Statuts betrachtet, daß die Friedensregelung in keinem Falle gegen den Willen der Saarbevölkerung verwirklicht werden kann.
Besonders eingehend hat den Ausschuß die Frage der Freiheitsrechte im Saargebiet beschäftigt. Die Herstellung der Freiheitsrechte ist in Abhängigkeit von der Festlegung des politischen Status des Saargebiets gebracht. Die Bevölkerung des Saargebiets wird erst frei, wenn das Abkommen von den beiden vertragschließenden Teilen ratifiziert ist.
Sehen wir nun auf der einen Seite den großen Gewinn, der in der Rückkehr zur Freiheit liegt, so bedauern wir auf der anderen Seite, daß die Freiheit nicht um ihrer selbst willen zurückgegeben worden ist, und wir beklagen, daß es die Freiheit auf unserem Erdteil, auch in Deutschland, so schrecklich schwer hat. Dies macht uns auch vorsichtig und mißtrauisch im Hinblick auf die Zukunft. Sicher soll das Statut nach Art. VI Abs. 2 bis zum Friedensvertrag nicht in Frage gestellt werden. Es wird aber großer Weisheit und Mäßigung bedürfen, daß diese Bestimmung nicht dazu mißbraucht wird, neue Vorwände zu linden, urn die Freiheitsrechte im Saargebiet zu beeinträchtigen.
Keinen Zweifel hat der Ausschuß daran gelassen, daß es der Bevölkerung des Saargebiets erlaubt sein müsse, schon während der Laufzeit des Statuts mit demokratischen Mitteln für eine bestimmte endgültige Regelung im Friedensvertrag einzutreten. Dies ergebe sich aus der Vorläufigkeit des Statuts und aus dem Recht der Bevölkerung, bei der Endregelung in freier Volksabstimmung mitzuwirken, von selbst. -Der Ausschuß hat es lebhaft begrüßt, daß der Europäische Kommissar nach den in Baden-Baden getroffenen Absprachen an die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebunden sein wird und daß im Rahmen dieser Konvention und der Westeuropäischen Union zuverlässige Sicherungen im Wege der Gerichtsbarkeit zur Verfügung stehen werden.
Es war die gemeinsame Ansicht der Ausschußmitglieder, daß neben der Wiederherstellung der demokratischen Freiheitsrechte der Bevölkerung eine angemessene Ordnung der wirtschaftlichen Beziehungen des Saargebiets zur Bundesrepublik und zu Frankreich von der größten Bedeutung sei. Diese Beziehungen sind für das Saargebiet schlechthin lebenswichtig. Die erste Frage lautet daher: Wie sollen die wirtschaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu den beiden Nachbargebieten geordnet werden, und wie sollen sich die Beziehungen zu diesen Gebieten untereinander verhalten? Sollen sie gleich oder ungleich sein? Nun, die Lebenswichtigkeit der Beziehungen für das Saargebiet, der Gedanke der Gleichberechtigung zwischen der Bundesrepublik und Frankreich und auch das Vorbild der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl würden an sich verlangt haben, daß die Beziehungen des Saargebiets zur Bundesrepublik und zu Frankreich gleichgestaltet würden. So hatte es auch der van-der-Goes-van-Naters-Plan nach den Brüsseler Ausschußberatungen vom Dezember 1953 vorgesehen. Im vorliegenden Statut der Saar ist dieser Grundsatz aber nur eingeschränkt zur Geltung gelangt. Das Statut geht von der Aufrechterhaltung gewisser französisch-saarländischer Bindungen und der Währungsunion aus. Es bestimmt jedoch, daß zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige Beziehungen wie die zwischen Frankreich und dem Saargebiet hergestellt werden sollen. Wenngleich dies erst allmählich geschehen kann, so muß die Verwirklichung dieses Grundsatzes doch von Anfang an erstrebt werden. Der Ausschuß war der Ansicht, daß dieses Ziel am besten im Rahmen einer immer enger werdenden deutschfranzösischen Zusammenarbeit verwirklicht werden könne. An seiner Verfolgung durch alle Partner dürften aber Abreden zwischen Frankreich und dem Saar({3})
gebiet, die vor der Ratifikation des Statuts getroffen würden, nichts ändern.
Mit diesem Hinweis ist bereits die Problematik aufgezeigt, die in dem Verhältnis der zweiseitigen französischsaarländischen Verhandlungen nach Art. XII A zu den dreiseitigen deutsch-französischsaarländischen Verhandlungen nach Art. XII B, C und D enthalten ist. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie aus rein sachlichen Erwägungen ergibt sich nach Auffassung des Ausschusses folgendes: Wenn nach Art. XII B zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige Beziehungen hergestellt werden sollen wie zwischen Frankreich und dem Saargebiet, so muß in den französisch-saarländischen Verhandlungen dieser Verpflichtung bereits Rechnung getragen werden. Die beiden Arten der Verhandlungen bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Es wird deshalb unumgänglich sein, sie gleichzeitig zu führen. Überdies ist nicht zu bezweifeln, daß nur der Kommissar zu auswärtigen Verhandlungen und Vertragsabschlüssen ermächtigt ist, und dazu gehören auch solche auf dem Gebiete der auswärtigen Wirtschaftsbeziehungen. Auch ist erst der nach der Volksabstimmung zu wählende neue Saarlandtag zur Ratifizierung dieser Verträge berufen.
Meine Damen und Herren, die Beratungen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten waren sehr nüchtern und kritisch. So war auch das Gesamturteil über das Abkommen über das Statut der Saar dem angepaßt. Der Ausschuß war der Ansicht, daß das Abkommen so, wie es ist, unvollkommen sei und Lücken aufweise. Sein Wert oder Unwert wird in der Tat erst deutlich, wenn die noch fehlenden Ergänzungen vorliegen, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet, und wenn die Ausführungsbestimmungen der Saarregierung erlassen sind, vor allem zur Wiederherstellung der Freiheitsrechte. Wert oder Unwert wird letzten Endes aber davon abhängen, in welchem Geiste das Abkommen ausgeführt werden wird. Insofern ist die Zustimmung zu dem Abkommen, wie auch in dem Antrag des schriftlichen Berichts hervorgehoben, ein Wagnis. Die Mitglieder des Ausschusses, die dem Abkommen zustimmen, nehmen das Wagnis auf sich in der Überzeugung, das Vertrauen, das sie schenken, erwidert zu finden.
Im Namen des Ausschusses bitte ich das Hohe Haus, dem Gesetz seine Zustimmung zu geben.
({4})
Meine Damen und Herren! Ich danke den Herren Berichterstattern für ihre Berichte.
Ich setze das Einvernehmen des Hauses darüber voraus, daß wir um 13 Uhr die allgemeine Aussprache unterbrechen, daß von 13 bis 15 Uhr Mittagspause ist und daß um .15 Uhr pünktlich die Debatte weitergeführt wird.
Der Ältestenrat hat Ihnen für die Debatte des Tagesordnungspunktes, Nr. 1 den Vorschlag gemacht, der Ihnen inzwischen auch schriftlich vorgelegt worden ist, daß die zweite Beratung sich nach Möglichkeit in folgende fünf Kapitel gliedern soll und in dieser Gliederung durchgeführt werden möge:
1. Wiedervereinigung,
2. Saar,
3. Sicherheit und Verteidigung,
4. Finanz und Wirtschaft,
5. Souveränität und Rechtsfragen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber einig, daß eine strenge Begrenzung auf diese Fachgebiete wahrscheinlich nicht in allen Fällen möglich ist. Ich wäre aber dankbar, wenn in der Debatte auf diese Vorschläge des Ältestenrats Rücksicht genommen würde und die Debatte im großen und ganzen in dieser Gliederung durchgeführt werden könnte.
Ich eröffne hiermit die Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich gern an die Abmachungen im Ältestenrat halten. Sie werden aber verstehen, daß es nicht möglich ist, über das Problem der deutschen Wiedervereinigung zu sprechen, ohne es im Zusammenhang mit der allgemeinen Lage, insbesondere dem Ost-West-Verhältnis, mit dem Problem der Sicherheit und einer Entspannung und dem Problem des Friedens zu betrachten.
Wir sind uns alle einig in diesem Hause, daß die deutsche Wiedervereinigung nur unter drei Voraussetzungen zu erreichen ist. Erstens bedarf sie der Zustimmung des Westens. Zweitens bedarf sie der Zustimmung des Ostens. Und drittens sind wir uns auch wohl alle darüber einig, daß diese beiden Zustimmungen nur in der Atmosphäre einer allgemeinen Entspannung erreicht werden können.
Wenn man das Problem der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang betrachtet, ist es nach meiner Meinung außerordentlich wichtig, zuvor die Wirklichkeit des Ost-West-Verhältnisses richtig zu beurteilen. Wer dieses Verhältnis falsch beurteilt, muß auch falsche politische Konsequenzen ziehen. Deswegen sei es mir gestattet, einige Gedanken dazu zu sagen.
Ich habe in der letzten Zeit oft mit Bedenken gelesen, daß bei Diskussionen über dieses Problem in Deutschland davon geredet wird, nun j a, seit dem zweiten Weltkrieg gebe es auf dieser Welt eben zwei Machtblöcke, die bestimmte Interessengegensätze hätten, und man täte gut daran, sich von diesen Machtblöcken getrennt zu halten und irgendeine Art von Eigenexistenz zu führen. Man gibt dafür allerlei Rezepte. Gestern las ich noch das Rezept Titos, der sich zwar von Moskau gelöst und dem Westen genähert habe, aber ohne sich ihm zu verschreiben. Nun, das sind sehr billige und zu gleicher Zeit außerordentlich gefährliche Vergleiche, weil ja die Voraussetzungen völlig anderer Art sind. Man vergißt bei dieser Betrachtung der Dinge, daß die beiden Machtblöcke doch recht ungleichartig sind. Das ist nicht mehr der Machtgegensatz, wie wir ihn aus den letzten Jahrhunderten im Kampf der Nationalstaaten oder der nationalstaatlichen Kombinationen gewöhnt sind. Auf der einen Seite steht ein Machtblock mit einer ganz bestimmten aggressiven politischen Ideologie, der trotz allem - ich werde darauf zu sprechen kommen -, was er über Koexistenz sagt, entschlossen ist, dieser seiner Ideologie und damit auch seinem politischen Herrschaftssystem in der Welt zum Siege zu verhelfen.
({0})
Auf der anderen Seite steht die freie Welt, jedenfalls für uns Europäer der Schutzverband der Völker, die sich in der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Es genüge, daß ich einmal nur von dieser Mächtegruppe spreche.
({1})
Es gibt auf der Welt keine Engel, und es gibt auf der Welt keine Macht, die von sich behaupten könnte, daß ihre Politik kein Vorwurf treffen könne. Aber es bedeutet doch die geradezu ungeheuerlichste Verdrehung und Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit, wenn Herr Grotewohl in seiner Rede, die er jetzt versandt hat, sagt:
Die Geschichte lehrt: Die Sowjetunion war niemals der Aggressor! Welche Fährte von Blut und Tränen dagegen zieht Amerika hinter sich in der Welt her!
Man muß solche Sätze an den Pranger stellen, um immer wieder daran zu erinnern, daß es ein System gibt, das vor keiner noch so plumpen und widerlichen Lüge zurückschreckt, wenn es seine eigenen Zwecke verbergen will.
({2})
Es ist ein Zitat des Herrn Grotewohl. Ich schäme mich, daß ein Mann, der einen deutschen Namen trägt, dieses Zitat gebraucht hat. Nicht einmal ein Vertreter Moskaus ist jemals, soviel ich sehen konnte, in einer Äußerung so weit gegangen.
Nun, meine Damen und Herren, neuerdings ist von der Koexistenz die Rede, von dieser „friedlichen Koexistenz", und der russische Außenminister, dessen Ausführungen von Ministerpräsident Bulganin ausdrücklich in einem Interview als richtig und richtungweisend bestätigt worden sind, hat sie neuerdings bekräftigt.
Der russische Außenminister hat im Jahre 1941 in einer Schrift: „Totale Kriegswirtschaft und Rote Armee" folgendes ausgeführt:
Ein paralleles Nebeneinanderexistieren unseres Sowjetstaates mit der übrigen Welt ist auf die Dauer unmöglich.
„Auf die Dauer unmöglich"!
Dieser Gegensatz kann nur durch Waffengewalt in blutigem Ringen eine Lösung finden. Eine andere Lösung gibt es nicht und kann es nicht geben. Nur der wird gewinnen, der in sich die Entschlußkraft zum Angriff verspürt.
Hat sich nun die sowjetrussische Auffassung gewandelt? Ist die neuerdings verkündete Politik einer „friedlichen Koexistenz" etwas Grundverschiedenes von dem, was hier Molotow geäußert hat und was viele, viele andere Sowjetpolitiker immer wieder gesagt haben? Lassen Sie mich dazu ein weniges bemerken. Herr Molotow hat sich in seiner letzten, so aufschlußreichen Rede darauf berufen, daß sich die Sowjetunion zur Koexistenz „im Sinne Lenins" bekenne. Er hat das mehrfach getan. Nun weiß jeder, der die Schriften und die Reden, die politischen Auffassungen Lenins kennt, daß er die Koexistenz im Grunde nie anders verstanden hat, als es dieses Zitat Herrn Molotows sagt. Krieg oder Frieden - ich habe es in diesem Hause schon einmal ausgeführt - ist nach Lenin nur ein taktisches Mittel, das man im Kampf um das Endziel der kommunistischen Weltrevolution abwechselnd einsetzen kann.
({3})
Die Koexistenz - Herr Molotow hat sich immer bemüht, ausdrücklich die Worte „im Sinne Lenins" hinzuzusetzen, um es deutlich zu machen, was er meint - ist also im Grunde genommen nur die gegenwärtige Anwendung des taktischen Mittels Nicht-Krieg.
Ich habe bereits erwähnt, daß bei dem Besuch der britischen Parlamentarier im vergangenen Jahr in Moskau ihnen auf ihre Frage erklärt worden ist: „Die friedliche Koexistenz bedeutet natürlich nur den Verzicht auf kriegerische Einmischung; im übrigen benützen wir jedes politische und propagandistische Mittel, um den Sieg der Weltrevolution, von dem wir überzeugt sind, zu fördern." Lenin hat einmal das Bild vom Wellental und vom Wellenberg in der Abwechslung der beiden taktischen Mittel Krieg und Nicht-Krieg gebraucht. Aber auch aus der letzten Molotow-Rede selbst wird ganz deutlich, was gemeint ist. Herr Molotow hat an einer Stelle dieser Rede gesagt:
All das bedeutet, daß das Neue im erbitterten Kampf mit dem Alten zur Welt kommt, daß der Sozialismus in den verschiedenen Ländern nicht anders siegen kann als durch Zurückschlagung und Überwindung des Imperialismus.
Und er schloß seine Rede mit dem Satz:
Wir stehen zu den Leninschen Prinzipien der
Koexistenz, weil wir der Kräfte des Sozialismus und dessen gewiß sind, daß wir auf dem
richtigen Wege zum Kommunismus sind.
Meine Damen und Herren! In diesem Hochgefühl des Siegers hielt Herr Molotow in seiner Rede eine stolze Heerschau ab über das Lager, das seit dem zweiten Weltkrieg vom Bolschewismus erobert worden ist.
({4})
Von den 600 Millionen Europas, sagte er, sind heute schon etwa 300 Millionen in das Lager „des Sozialismus und der Demokratie" eingetreten. Von den 1,4 Milliarden Asiens, sagt er, leben etwas weniger als die Hälfte „in Ländern der Volksdemokratien, die das kapitalistische Lager verlassen haben". Aber sein Blick bleibt nicht an diesen weiten, bereits vom Bolschewismus eroberten Gebieten haften. Er blickt hinüber auf Gebiete, wo er die Saat des Kommunismus schon grünen sieht. Nach Indien schaut er, in den weiten Raum der asiatischen Welt, in den Raum der alten kolonialen Gebiete, nach Arabien, und er gibt der Hoffnung und der Erwartung Ausdruck, daß sich auch jene Länder auf dem Wege ins Lager „des Sozialismus und der Demokratie" befänden. Aber auch da hört er noch nicht auf. Nun fällt sein Blick auf das dritte Lager, auf das Lager der angeblich so bösen, aggressiven kapitalistischen Mächte, und er sagt wörtlich:
Die sowjetrussische Außenpolitik kann nicht umhin, dem Vorhandensein beträchtlicher Gegensätze sowohl zwischen einzelnen kapitalistischen Ländern als auch innerhalb dieser Länder und sogar innerhalb einzelner Parteien ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Unsere Aufgabe ist es, diese Gegensätze im Interesse
- so drückt er sich aus der Erhaltung und Festigung des Friedens und zur Schwächung der aggressiven antidemokratischen Kräfte auszunutzen.
Damit, meine Damen und Herren, ist deutlich genug gemacht, was wir unter friedlicher Koexistenz zu verstehen haben. Gewiß, bei dem furchtbaren Ernst der Situation gebe ich zu, daß, wenn man es schon mit einer Macht wie Sowjetrußland zu tun hat, die Welt froh sein muß, wenn diese Macht es aus taktischen Gründen für richtig be({5})
findet, nun einmal statt des Mittels Krieg das Mittel nichtkriegerischen Kampfes anzuwenden. Ich will das nicht unterschätzen. Aber dann darf ich doch auf zwei Dinge aufmerksam machen. Erstens: Warum hat sich Sowjetrußland dazu entschlossen, auf das taktische Mittel des Krieges in dieser geschichtlichen Stunde zu verzichten? Etwa weil sich die westliche Welt als fügsam erwiesen hat? - Gewiß nicht! Sowjetrußland hat deswegen auf das taktische Mittel „Krieg" verzichtet, weil es weiß, daß sich unter den gegebenen Umständen - und vor allen Dingen, seitdem die Vereinigten Staaten von Amerika sich vom Falle Griechenland an entschlossen haben, einer weiteren Expansion des Bolschewismus Widerstand zu leisten - ein Krieg für die Sowjetunion nicht lohnt.
({6})
Infolgedessen können wir, wenn wir Sowjetrußland bei dieser Politik der Ko-Existenz festhalten wollen, gar nichts anderes wünschen, als daß sich die freie Welt in der Verteidigung ihrer eigenen Freiheit und Sicherheit immer fester zusammenschließt.
Und zweitens: Wenn wir wissen, daß sich Krieg oder Frieden, Wellenberg und Wellental, in der Strategie der Sowjetunion abwechseln, daß immer dann der Krieg das richtige Mittel sein kann, wenn er sich als das beste erweist, um das Ziel der Weltrevolution zu fördern, dann heißt das doch für die freie Welt: äußerste Wachsamkeit!
({7})
Und das kann nur bedeuten: nicht nachlassen in dem Bemühen, die eigene Sicherheit zu stärken.
({8})
Die Sowjetunion verfolgt im Rahmen dieser friedlichen Ko-Existenz unerbittlich drei Ziele. Erstens: Sie trachtet, den Prozeß - wie man es dort nennt - der „Selbstzersetzung der kapitalistischen Welt", wo überall er sich zeigt, in Europa oder etwa draußen in den alten Kolonialgebieten, mit allen Mitteln - unter Ausschluß des Krieges - zu fördern. Zweitens: Da, wo sich Gesundungsprozesse anbahnen, wie etwa der Prozeß der westeuropäischen Integration, versucht die Sowjetunion, diese Gesundungsprozesse zu verhindern; denn sie würden ja die „Selbstzersetzung der kapitalistischen Welt" mindestens auf lange Zeit hintanhalten. Drittens: es ist klar, daß die Sowjetunion die Spaltung der atlantischen Gemeinschaft betreibt - Herr Molotow hat es ja mit deutlichen Worten gesagt; ich hätte noch mehr dazu aus seiner Rede zitieren können -, und das bedeutet insbesondere ,die Verdrängung der Vereinigten Staaten von Nordamerika als einer Macht, die mehr als jede andere auf dieser Welt Sicherheit, Freiheit und Frieden Europas verbürgen kann.
Wir dürfen also das Problem der Sicherheit nicht leichtfertig in den Hintergrund drängen, wenn wir über das uns so schmerzlich berührende Problem der deutschen Wiedervereinigung sprechen. Für die Bundesrepublik hat das Problem der Sicherheit drei Aspekte. Erstens: Wir sorgen für unsere deutsche Sicherheit. Meine Damen und Herren, in allem Ernst: Man sollte wirklich einmal aufhören, uns den Vorwurf zu machen, wir hätten die Sicherheit einer spießbürgerlichen Bundesrepublik im Auge. Ich habe Ihnen heute früh schon gesagt, und Tausende und Tausende von Zuschriften und Zurufen
aus dem Osten bestätigen es uns Tag für Tag aufs neue, daß es das Sicherheitsproblem für ganz Deutschland ist, das uns beschäftigt,
({9})
und daß die Sicherheit der Bundesrepublik
({10})
die einzige Chance für die 18 Millionen Deutschen ist, jemals ihre Freiheit wiederzuerlangen.
({11})
- Ich würde das, verehrter Herr Kollege und Zurufer, nicht leichtfertig behaupten, denn es handelt sich ja um eine sehr ernste Sache. Aber ich sage Ihnen, daß wir wirklich Tausende und aber Tausende derartiger Zurufe und Zuschriften aus dem Osten bekommen. Ich weise Sie darauf hin, daß man geradezu geographisch feststellen kann, daß, je weiter man nach Osten kommt - selbst Ihre sozialdemokratischen Vertreter in Berlin gehören dazu -, desto stärker das Bewußtsein dafür wird, daß es gilt, diese Bundesrepublik zu sichern, damit sie die Hoffnung für die 18 Millionen drüben bleibe.
({12})
In diesem Sinne war ja auch - ich wiederhole es, denn man muß es tun - das Wort des Berliner Bürgermeisters, Ihres Parteifreundes Reuter, gemeint, wenn er sagte: Macht mir die Bundesrepublik stark!
({13})
- Nun, Sie wollen dieses Wort Ihres bedeutenden Parteifreundes heute offenbar nicht mehr wahrhaben.
({14})
- Wenn Sie das „Demagogie" nennen, Sie armseliger Zwischenrufer aus dem Hintergrund,
({15})
dann weiß ich wirklich nicht - ich wollte über dieses Thema nicht sprechen -, was von Ihrer Seite an Demagogie in den letzten Wochen in das deutsche Volk hineingetragen worden ist.
({16})
- Ich könnte Ihnen Äußerungen aus Ihrem eigenen Lager vorweisen!
({17})
Da unten habe ich eine Äußerung eines sozialistischen Jugendverbandes liegen! Diese Äußerungen zeigen, wieweit in Ihrem eigenen Lager die Verwirrung schon gegangen ist.
({18})
({19})
- Jawohl! Aber, Herr Ollenhauer, ich mußte das
sagen wegen jenes Zurufes aus dem Hintergrund.
Herr Abgeordneter Kiesinger, der Ausdruck „armselig" ist nicht parlamentarisch und keine richtige Bezeichnung für ein Mitglied dieses Hauses. Ich rüge diesen Ausdruck und rufe Sie deshalb zur Ordnung.
({0})
Ich bedaure lebhaft meine Damen und Herren, wenn ich mich zu einem unparlamentarischen Ausdruck habe verleiten lassen. Es fällt aber nicht immer leicht angesichts dieser Zwischenrufe aus dem Hintergrund,
({0})
seine Ruhe zu bewahren.
Nun, meine Damen und Herren, wenn also, wie ich sagte, die Sicherheit der Bundesrepublik die Bürgschaft für die künftige Freiheit unserer Menschen im Osten ist, dann dürfen wir das Problem der Wiedervereinigung nicht so sehen, wie unsere Opposition es tut, d. h. wir dürfen nicht den Rat Professor Carlo Schmids befolgen, den er heute morgen ausgesprochen hat: Warten in Ruhe, bis sich ein Wandel der Anschauungen anbahnt. Wir haben bereits zu lange gewartet!
({1})
Nun der Vertrag! Der Deutschlandvertrag nimmt zur Frage der deutschen Wiedervereinigung Stellung. Die Berichte haben die Arbeiten der Ausschüsse hierüber aufgezeigt. Von der sozialdemokratischen Seite wird Kritik an dem Vertrage geübt, und zwar im Zusammenhang mit dem Art. 7 Abs. 2. Der Art. 7 Abs. 2 des Deutschlandvertrages lautet:
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt, und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Das Wort „europäische Gemeinschaft" ist klein geschrieben.
({2})
Wir haben den Vorwurf der Opposition ernsthaft zu würdigen, daß bei dieser Festlegung der Verpflichtungen unserer Partner nur eine allgemeine Deklamation oder Proklamation in den Vertrag aufgenommen worden sei. Man habe aber nicht konkret genug diese Verpflichtungen im Vertrag selbst geregelt, und deswegen behalte die Regelung ihren deklamatorischen Charakter.
Ein weiterer Vorwurf der Opposition ist der, daß durch die eingefügte Bedingung, das wiedervereinigte Deutschland solle in die europäische Gemeinschaft integriert werden, eine so enge Lösung ins Auge gefaßt sei, daß man nicht annehmen könne, Sowjetrußland könne sich etwa jemals mit ihr befreunden.
Nun, wir haben in den Beratungen der vergangenen Wochen wohl auch darüber einige Klarheit
schaffen können. Mindestens haben wir unseren Standpunkt klar herausgestellt. Was den letzten Vorwurf betrifft, so ist zu sagen, daß nach unserer Auffassung das wiedervereinigte Deutschland in seinen Entscheidungen frei sein wird, daß das dem Inhalt des Vertrags zu entnehmen ist. Diese Auffassung und Forderung haben wir erneut in die gemeinsame Resolution aufgenommen, die der Auswärtige Ausschuß einstimmig beschlossen hat, dem Hohen Hause zur Annahme zu empfehlen.
Was aber die Frage anlangt, daß die Verpflichtung zur Wiedervereinigung nicht konkret genug ausgestaltet worden sei, so muß dazu einiges gesagt werden. Es wird von der Opposition in diesem Zusammenhang mit vollem Recht auf eine andere Gefahr hingewiesen, auf die nämlich, daß sich in der letzten Zeit bedenkliche Tendenzen gezeigt hätten, daß man sich in der westlichen Welt allmählich auf den Status quo einzurichten beginne und daß man - so ergeben eine ganze Reihe publizistischer Äußerungen - die Spaltung Deutschlands hinnehmen werde. Das sind selbstverständlich alles sehr ernst zu nehmende Argumente. Es gibt zweifellos in der freien Welt Hemmungen gegenüber der deutschen Wiedervereinignug. Das darf und kann niemanden wundernehmen. Wir vergessen vielleicht zu rasch, daß es in den verschiedenen Ländern auf recht verschiedene Weise immer noch ernste Sorgen gegenüber einem so starken - bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich so starken - wiedervereinigten Deutschland gibt, zumal wenn man sich vorstellt, daß dieses wiedervereinigte Deutschland über eine starke nationale Armee verfügt, eine Armee, die so stark wäre, wie sie etwa bei einer der letzten Debatten unser Kollege Professor Dr. Carlo Schmid gezeichnet hat.
Es ist ohne jeden Zweifel die Aufgabe der deutschen Politik, hier Impulse zu geben. Niemand wird es einem deutschen Politiker verargen können, wenn er in der Frage der deutschen Wiedervereinigung drängt. Ja, ich würde sogar sagen, unsere Politik würde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn wir das nicht täten. Es gibt kein Volk, das in einer so wichtigen Frage nicht diesem Problem eine Bedeutung ersten Ranges zumessen würde.
Wie können wir die Schwierigkeit überwinden? Nun, meine Damen und Herren, ganz gewiß nicht dadurch, daß wir das Problem der deutschen Wiedervereinigung in unseren Manifestationen nach draußen emotionalisieren. Der Löwe, der einmal aufbrüllen werde, wie es einer unserer Kollegen gesagt hat, ist kein günstiges Bild, um draußen in der westlichen Welt Sympathie und guten Willen für die deutsche Wiedervereinigung zu schaffen.
({3})
Je stärker wir dieses Problem in unserer Darstellung nach draußen ins Gemüthafte rücken, desto verdächtiger wirken wir. Es ist ja paradox, wenn man etwa daran denkt, daß der Bundeskanzler, dem so viele seiner Gegner vorwerfen, daß er das Problem der deutschen Wiedervereinigung nicht ernst genug nehme, daß gerade er, als er ein einziges Mal in einer sprachlichen Formulierung Anlaß für Kritik nach draußen zu geben schien, als er das von ihm - wir wissen es alle - vollkommen harmlos und im Sinne einer friedlichen Lösung gemeinte Wort von der „Befreiung" gebrauchte, einen Sturm der Entrüstung und der Sorge und des Schreckens entfesselte. Wir, die wir damals im Europarat waren, haben es ja alle ge({4})
meinsam erlebt. Deswegen muß die Methode so sein, daß wir zusammen mit dem Westen unter Annäherung unserer gegenseitigen Bedürfnisse und Standpunkte, unserer Interessen, das Problem vorwärtsschieben.
Aber ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer, es liegt auch durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse der westlichen Welt, daß sie sich um dieses Problem kümmert, daß sie es ernst nimmt. Ich stimme Ihren Worten, die Sie in diesem Saale einmal gesagt haben - ich glaube, es war hier -, durchaus zu. Sie sagten damals:
Der Versuch, das normale Nebeneinanderleben von Völkern verschiedener Systeme und Ordnungen zu ermöglichen mit der offenen Wunde der Spaltung eines großen Volkes im Herzen Europas, kann nur mit einem Mißerfolg enden.
Aber eben weil dies so ist, weil ja auch die übrige Welt einsehen muß, daß es keine Lösung, keine Entspannung, keinen dauernden Frieden gibt, ohne daß dieses deutsche Problem gelöst ist, daß dies schwerste Rückwirkungen auch für die eigene Situation haben müßte, sehen wir in dieser Tatsache eine Bürgschaft dafür, daß nicht die paar Publizisten, die sich gelegentlich zu dem Problem äußern, die Politik des Westens zur Frage der deutschen Wiedervereinigung in Zukunft bestimmen werden, sondern jene verantwortungsbewußten Politiker, die die feierlichen Versicherungen der ganzen atlantischen Gemeinschaft erwirkt haben, uns in der Frage der friedlichen deutschen Wiedervereinigung zu unterstützen.
({5})
Ich darf vielleicht noch einen anderen kleinen Gedanken hinzufügen. Ich glaube, daß es auch das wohlverstandene Eigeninteresse der westlichen Welt verbietet, viele Jahre lang zuzusehen, daß sich jenseits der Elbe in den alten preußischen Stammlanden, wenn die dortige junge Generation völlig im Geiste des Bolschewismus erzogen wäre, eine Art von Synthese zwischen preußischer Substanz und bolschewistischer Ideologie vollzöge. Ich glaube nicht, daß das eine behagliche Vorstellung für irgend jemand auf der Welt wäre. Infolgedessen glaube ich, daß, wenn der Westen und wir unsere Interessen zusammenwerfen, wenn wir uns wieder annähern, wenn wir im Zusammenleben mit dem Westen sein Vertrauen weiter stärken, daß dann auch eine Lösungsmöglichkeit für das Problem der Wiedervereinigung gefunden wird, zunächst insoweit, als die Geneigtheit, der Wille des Westens, das Problem, wenn es sich überhaupt lösen läßt, mit uns zusammen zu lösen, ständig verstärkt wird.
Nun die Haltung der Sowjetunion in diesem Zusammenhang. Wir können, wenn die Sowjetunion mit irgendeiner Verlautbarung mit Zielrichtung auf das Problem der deutschen Wiedervereinigung hervortritt, gar nicht anders als uns fragen: Was hat die Sowjetunion damit vor? Herr Kollege Schmid hat heute früh gesagt, man könne nicht raten, man müsse sich mit ihr an einen Tisch setzen. Ich versuchte darzutun, daß man sich jetzt nicht mit ihr an einen Tisch setzen kann, weil das bedeuten würde, daß man ihr den Willen tut, das sich bildende und schließende System der westlichen Sicherheit aufzuschieben, ja vielleicht aufzugeben.
({6})
Wir raten nicht, aber - wir haben ja viele Äußerungen der Sowjetunion - wir analysieren. Das ist die Aufgabe der Politik immer gewesen
({7})
- natürlich, es ist immer ein Versuch, von uns allen -, und diese Analyse muß von zwei Thesen ausgehen. Die eine These kann lauten: Die Sowjetunion ist unter keinen Umständen bereit, sich von ihrer strategischen Position an der Elbe zurückzuziehen. Sie kann es auch nicht wagen, diese Position aufzugeben und den ersten Satellitenstaat in die Freiheit zu entlassen, weil dies eine Kettenreaktion in den Raum der Satelliten hinein zur Folge hätte, die sie nicht wagen kann.
Daß diese These leider Gottes sehr viel für sich hat, wird niemand bestreiten. Wenn sie richtig ist, dann kann an der Richtigkeit unserer Politik, die den möglichst raschen und vollkommenen Zusammenschluß der westlichen Welt zur Verteidigung der Freiheit und die Sicherheit fordert, kein Zweifel sein.
Aber man kann seine Politik nicht auf einer These nur - und zwar einer so gefährlichen, einer so tragischen These - aufbauen. Es mag sein, daß die Sowjetunion unter gewissen Umständen bereit ist, für einen gewissen Preis die von ihr besetzte Zone aufzugeben. Ist nun jetzt ein Zustand erreicht, bei dem wir annehmen dürften, daß es der Sowjetunion damit wirklich Ernst ist, den Osten in die Freiheit zu entlassen, ein freies Gesamtdeutschland zu garantieren und nicht ein solches, von dem sie glaubt, daß sie es auf ähnliche Weise, wie es etwa mit der Tschechoslowakei geschehen ist, in ihren Machtbereich eingliedern könnte? Wir wollen das Schicksal der Herren Benesch und Masaryk nicht erleiden!
({8})
Abgesehen davon, daß es eigentümlich ist - es bedürfte einmal einer wissenschaftlichen Arbeit darüber -, daß Äußerungen der Sowjetunion wie überhaupt aller totalitärer Staaten von einer seltsamen Offenheit, ja, manchmal von einer brutalen Offenheit sind, die vergeblich die wirklichen Ziele und Zwecke zu verdecken suchen, wenn der Versuch überhaupt erst gemacht wird, heißt es in den letzten Äußerungen immer wieder etwa, es gelte „die Vereinigung Westdeutschlands mit der friedliebenden Deutschen Demokratischen Republik" herbeizuführen. - Das besagt etwas. Es heißt, das Ziel sei, ganz Deutschland zu einem „friedliebenden demokratischen Staat" zu machen.
Wenn Sie die Terminologie der Sowjetunion kennen - und wir kennen sie ja -, dann wissen Sie auch, daß die Sowjetunion als „friedliebende demokratische Staaten" jedenfalls nicht die Staaten der freien westlichen Welt gelten läßt.
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Ein anderes wichtiges Argument aus der Rede des Herrn Molotow! In jener großen Heerschau sprach er von zwölf Staaten, die bereits in das „sozialistische und demokratische Lager" eingezogen seien, und er zählte darunter ausdrücklich die Deutsche Demokratische Republik mit auf.
({10}) Und dann fügte er hinzu:
Ist es denen, die unvoreingenommen denken
können, nicht etwa klar, ,daß kein einziges
({11})
dies er Länder wieder in das System des Kapitalismus wird zurückkehren können?
({12})
Meine Damen und Herren, wir können über solche Formulierungen nicht einfach mit dem Argument hinweggehen, das sei für den Hausgebrauch geschehen. Ich finde, man sollte sie schon ernster nehmen, besonders wenn dann hinzugefügt wird, der Westen wolle sich halt mit diesen „vollendeten Tatsachen" nicht abfinden.
Frankreich und Deutschland sind im Verlauf der Angebote der Sowjetunion in den letzten Monaten immer auf verschiedene Weise angesprochen worden. Hat man Frankreich angesprochen, weil dort gerade die Situation geeignet war, so hieß es: Schreck des deutschen Militarismus, der deutschen Wiederaufrüstung; man könne versuchen, allenfalls deutsche Polizeikräfte zuzulassen und diese zu beschränken. Spricht man Deutschland an, so appelliert man an das deutsche Nationalgefühl, verspricht dem vereinigten Deutschland die Stellung einer Großmacht und eine starke nationale Armee. Meine Damen und Herren, ist das glaubwürdig? Nun gut, sagen Sie uns, der Zweifel mag berechtigt sein; dann ist es eben zu erproben. Wenn wir es nicht erprobten, gingen wir ein zu großes Risiko ein: das Risiko, das darin liege, daß die Sowjetunion - nach ihren eigenen Erklärungen - nach der Ratifizierung der Verträge nicht mehr verhandeln werde. Auch das ist ein Argument, das man ernsthaft prüfen muß.
Ich darf zunächst darauf hinweisen - und ich muß es tun -, daß Herr Molotow in seiner letzten Rede an verschiedenen Stellen - ich habe mindestens drei gefunden - sehr sorgfältig zwischen zwei Tatbeständen unterscheidet: zwischen der Ratifizierung der Verträge und ihrer Verwirklichung. Er unterscheidet sogar in den Folgen, indem er einmal sagt, die Ratifizierung der Verträge werde ein Haupthindernis für die deutsche Wiedervereinigung sein, aber die Umbildung Westdeutschlands zu einem militaristischen Staat werde die Wiedervereinigung unmöglich machen. Das heißt schlicht festgestellt, daß jedenfalls der verantwortliche Leiter der sowjetrussischen Außenpolitik die Spanne zwischen Ratifizierung der Verträge und Verwirklichung der Verträge als einen sehr interessanten Zeitabschnitt auch für Verhandlungen ansieht.
({13})
Dies vorausgeschickt, möchte ich sagen: Wir haben genug Äußerungen von sowjetrussischer Seite gehört, und da wir über ihre Strategie und Taktik Bescheid wissen, sollten wir auch diese Äußerungen richtig interpretieren. Nach unserer Auffassung wird Sowjetrußland verhandeln, wenn sein Interesse ihm dies gebietet,
({14})
wann immer dieser Zeitpunkt eintritt, und das heißt: wenn Lösungsmöglichkeiten auftauchen, die für Sowjetrußland vorteilhafter erscheinen als der Besitz der von ihm besetzten Zone.
Nun, meine Damen und Herren, ist wirklich mit Händen zu greifen, daß es nicht nur die Alternative gibt, die vor allen Dingen die Sozialdemokratische Partei, besonders in den letzten Wochen und Monaten, immer wieder verkündet hat, die Alternative nämlich: entweder deutscher Verteidigungsbeitrag
oder Wiedervereinigung. Die Möglichkeiten, die sich anbahnen können, liegen nicht in unserer Hand. Es ist vor allen Dingen die westliche Welt, die sich mit Sowjetrußland auseinandersetzen muß. Wir können nur unseren bescheidenen Beitrag dazu leisten. Sie liegen in einer Linie, die über eine allgemeine Entspannung geht, eine Entspannung allerdings, wie wir sie verstehen. Auch hier ist sehr charakteristisch
({15})
- jawohl, ich sage es Ihnen, Herr Wehner - eine Äußerung Herrn Molotows in seiner jüngsten Rede; Sie haben sie wohl auch gelesen. Als er über die Genfer Konferenz sprach, sagte er, die Genfer Konferenz habe zu einer Stärkung dessen geführt, was er das Friedenslager nennt, also der Länder des „sozialistischen und demokratischen" Bereiches. Deswegen, weil die Genfer Konferenz zu einer Stärkung dieses Friedenslagers geführt habe, habe sie zu einer Entspannung beigetragen. Meine Damen und Herren, eine Entspannung, die so gesehen wird, daß eine Kräfteverschiebung vom Westen nach dem Osten stattfindet, ist keine echte internationale Entspannung.
({16})
Ich darf auf einen gewiß unverdächtigen Zeugen hinweisen. Herr Rauschning hat in seinem Schriftchen, das er über das Problem der deutschen Wiedervereinigung geschrieben hat, darauf hingewiesen, daß eine Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands in einem bündnislosen Status, also unter Heraushaltung Gesamtdeutschlands aus einer westlichen oder östlichen Militärkombination, eine außerordentlich starke Kräfteverschiebung vom Westen nach dem Osten bedeuten würde und daß, um eine wirkliche Entspannung herbeizuführen, der bündnislose Raum nicht nur über die Oder-Neiße-Grenze hinaus ausgedehnt werden müsse, sondern sogar bis jenseits der Weichsel. Das zeigt, daß das Problem der Entspannung eben mit verschiedenen Augen betrachtet werden kann.
Aber nun gut: im Falle einer wirklichen Entspannung, der Herstellung eines Gleichgewichts, einer Bereinigung der wichtigsten globalen Streitfragen im Wege der unbedingt anzustrebenden Abrüstung - ich wiederhole es - und der Ausarbeitung eines allgemeinen, auch die Sowjetunion umfassenden kollektiven Sicherheitssystems bieten sich andere Lösungsmöglichkeiten an als die, die Sie in Ihrer vereinfachenden und daher falschen Alternative, meine Damen und Herren von der Opposition, immer wieder verkünden. Und das, Herr Erler, war auch der Grund, weswegen ich Ihnen damals geantwortet habe: Die Antwort auf Ihre Frage gebe ich der konkreten geschichtlichen Situation! Wir sollten die Geschichte nicht in einer abstrakten Weise antizipieren wollen, die der geschichtlichen Wirklichkeit, die uns ja immer wieder überrascht, nie gerecht werden kann.
({17})
Es wird also verhandelt werden, meine Damen und Herren, und ich freue mich, in diesem Punkt einmal Herrn Molotow zustimmen zu können. Er sagte in seiner letzten Rede:
Dieses Problem
- das Problem der deutschen Wiedervereinigung nämlich ({18})
wird so lange auf der Tagesordnung bleiben, bis es entsprechend den Interessen des Friedens in Europa und zugleich unter gebührender Berücksichtigung der Interessen der nationalen Wiedergeburt des einigen, demokratischen Deutschland gelöst wird.
({19})
Wenn wir uns, meine Damen und Herren, doch hier einmal mit dem Osten terminologisch verständigen könnten, es könnte nichts Schöneres geben, als in diesem Punkte miteinander einig zu sein.
({20})
- Nun, natürlich, was soll ich denn sagen, verehrter Herr Mellies? Es ist doch nun einmal so, daß die Sowjets jedes Wort, das sie in den Mund nehmen, anders gebrauchen als wir normalen Sterblichen.
({21})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich verweise noch einmal auf die große Heerschau des siegesstolzen Vertreters der sowjetrussischen Außenpolitik, die er in seiner letzten Rede gehalten hat. Aber ich kann nicht umhin, auch in diesem Zusammenhang noch einmal auf einen weiteren und beängstigenden Zustand hinzuweisen. Diese vielen Hunderte von Millionen Menschen, die er erwähnt hat, werden sich in wenigen Jahrzehnten verdoppelt haben. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, daß die Bevölkerungszunahme der Welt 1 % jährlich ist, daß das also eine Verdoppelung in etwa 70 Jahren bedeutet. Ich muß aber darauf hinweisen, daß diese Zunahme der Bevölkerung leider in Westeuropa nicht mit dem Zuwachs im Bereich jenes Raumes, den der Bolschewismus erobert hat, Schritt hält. Ich will gewiß nicht in Überlegungen einer Bevölkerungsstrategie zurückfallen, die wir in bitterer Erinnerung haben. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, auch Sie können sich dem Ernst dieser Situation sicher nicht entziehen, und - ich weiß nicht - ich habe, wenn ich das sehe und wenn ich dazu bedenke, daß in jenen Räumen neben der gewaltigen Bevölkerungsbewegung die moderne Technik eine in rasendem Tempo sich entwickelnde Industrialisierung schaffen wird, daß das Kräftepotential der Welt sich immer stärker und stärker so entwickeln wird, daß jene Räume für uns, insbesondere in Westeuropa, lebensbedrohlich werden können ({22})
- ja natürlich, verehrter Herr, Geopolitik wird überall getrieben, sogar in Sowjetrußland -, wenn das alles so ist, wenn wir an diesen Tatsachen nicht vorbeigehen können, wollen Sie dann in den Tag hineinleben, wollen Sie solche Blicke in die nächsten Jahrzehnte hinein nicht tun? Wir würden ja eine selbstmörderische Politik betreiben, wenn wir so handelten!
({23})
Unter dem Eindruck dieser beängstigenden Tatsachen will es mir immer so scheinen, meine Damen und Herren, als würden unsere ganzen innerdeutschen und europäischen Streitigkeiten und Bedenklichkeiten und Zerwürfnisse fast ins Bedeutungslose zusammenschrumpfen.
({24})
Ich will aber nicht schließen, ohne ein ganz aufrichtiges Wort des Friedens zu sagen. Wir sind in einer schwachen Position, und es könnte vielleicht arrogant erscheinen, wenn wir so reden. Aber wir müssen es ja tun, weil uns immer wieder der Vorwurf gemacht wird, wir gesellten uns zu einem Kriegslager, ja, wir drängten uns dazu, der Vortrupp eines Kriegslagers zu werden. Nichts, aber auch gar nichts berechtigt zu dieser Annahme. Wir, und zwar der große Teil dieses Volkes, haben nach der zweiten Katastrophe entschlossen einer Politik der nationalstaatlichen Anarchie adieu gesagt.
({25})
Wir waren bereit, mit unseren freien Nachbarn zusammen ein Europa zu bauen, in dem alles Unselige einer nationalstaatlichen Vergangenheit ausgetilgt wäre, ein Europa, das auch unseren Nachbarn die Sorge vor einer Wiedererstarkung gewisser Tratitionen beschwichtigte. Wir werden gut daran tun, den Gedanken an dieses europäische Werk trotz aller Wechselfälle der Geschichte der letzten Jahre nicht aufzugeben, sondern in jedem Rückschlag um so energischer und um so zäher darauf zu beharren.
({26})
Die Lösung liegt gewiß nicht bei einer deutschen Wiederbewaffnung oder einer nationalen deutschen Armee. Wir haben es anders gewollt. Wenn uns die Entwicklung dazu zwang, einer abweichenden oder - wir hoffen es - vorläufig abweichenden Entwicklung zuzustimmen, dann nur deswegen, weil wir sahen, daß die Lösung des Problems der europäischen Sicherheit keinen Aufschub erleiden konnte.
Aber dieses Europa, meine Damen und Herren, wird ein Friedensfaktor nicht nur unter den europäischen Völkern sein. Wer wagte, folgender Behauptung zu widersprechen? Europa - Großbritannien, Frankreich und die übrigen europäischen Länder - kann als Ziel wirklich nur den Frieden im Auge haben. Den westeuropäischen Politiker möchte ich sehen, der auch nur im letzten Schlupfwinkel seines Gehirns mit dem Gedanken eines möglichen Krieges spielte, zu dem man seine Hand reichen könnte. Dieses Europa würde, wenn es zu einem Kriege käme, mit Sicherheit ein Kriegsschauplatz werden, der greulicher verheert würde als jedes Gebiet bisher in irgendeinem Krieg. Deswegen kann Europa - das weiß man auch in Moskau ganz genau - nur eine Politik des Friedens nach allen Seiten hin vertreten.
({27})
Wir sagen das auch in dieser Stunde Rußland gegenüber. Wir sagen Rußland sogar, daß die Friedensgarantie, die in der Existenz eines vereinigten Europa liegt, doch sehr viel größer ist, als wenn in Europa ein machtpolitisches Vakuum, getrennt in ohnmächtige kleine Staaten, bleibt.
({28})
Denn wie anders wirkt das Gewicht eines vereinigten Europa, das, wenn wirklich in der Stunde der
Krise die Waage zwischen Krieg und Frieden
({29})
schwanken sollte, sein ganzes, sein volles Gewicht in die Waagschale des Friedens werfen kann! Diese Einheit, diesen Frieden suchen wir. Sowjetrußland muß nur eines wissen: Wir suchen diesen Frieden, von ihm hängt unser und unser Kinder Existenz ab. Aber wir werden nie und nimmer auf ein anderes hohes Gut verzichten: das ist unsere Freiheit!
({30})
Wenn es im Laufe der Entwicklung der nächsten Jahre gelingen sollte, jene wirkliche Entspannung der Weltlage herbeizuführen, die die Abrüstung ermöglicht, welche wir alle erhoffen und erstreben müssen, damit nicht noch einmal das Unheil eines großen Krieges über die Menschheit kommt, dann, meine Damen und Herren, werden wir die ersten sein, die mit Freude darauf verzichten werden, daß junge deutsche Menschen in Waffen stehen. Jawohl: wenn die Zeit käme, da wir diese Menschen wieder in die friedliche Produktion zurückrufen könnten,
({31})
dann, meine Damen und Herren, würden Sie uns als die ersten finden, die dazu bereit sind.
({32})
Meine Damen und Herren, ich bin gebeten worden, die Mittagspause etwas früher eintreten zu lassen. Ich folge dem Wunsch und unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
({0})
Die Sitzung wird um 15 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Auseinandersetzungen um diese Verträge geht es, jedenfalls soweit es die Sozialdemokratie betrifft, nicht um die Frage, ob wir zur Verteidigung unseres Volkes und Landes bereit sind oder nicht, sondern es geht um die Frage, ob der militärischen Blockbildung die Existenzfrage unseres Volkes, nämlich seine Wiedervereinigung, untergeordnet werden soll.
Was die Verteidigung des Volkes und Landes betrifft, so hat die Sozialdemokratie über Verteidigung, Schutz und Sicherheit sehr verpflichtende Auffassungen; und gerade diese sind es, die uns bewegen - und viele mit uns -, wenn wir uns in den Verträgen der Tatsache gegenübersehen, daß die Lösung, die uns mit diesen Verträgen vorgelegt wird, nämlich die Einbeziehung des militärischen Beitrags der Bundesrepublik in die nordatlantische Militärallianz, zur Folge haben würde, daß der sowjetisch besetzte Teil unseres Vaterlandes unwiderruflich in einen sowjetischen Militärblock eingeschmolzen würde. Wir wären eine Nation, aber geteilt und zugehörig den zwei einander gegenüberstehenden Blöcken. Wir Deutschen würden damit der seltsamsten und wahrscheinlich auch verhängnisvollsten Form einer Neutralisierung Deutschlands gegenüberstehen, die in der Verschmelzung der Teile in die Blöcke und in einer eigentümlichen Art von Balance bestehen würde.
Unsere Frage, die uns bei der Beratung dieser Verträge nicht losläßt, ist: Dürfen wir diesen Akt mit seinen automatischen Folgewirkungen auf der andern Seite unseres Landes vollziehen, ohne vorher alle Möglichkeiten einer Viermächteregelung zur friedlichen Wiedervereinigung unseres Landes angestrengt und versucht zu haben? Darum geht es uns.
Es scheint uns, daß es unangebracht wäre, hier Bekenntnisse abzulegen, wie sehr man den Sowjets mißtraut oder vertraut. Man sollte sich - ich sage das insbesondere auf den einleitenden Teil der Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners - den Blick für die nationalpolitischen Notwendigkeiten, die ja in unserem Falle auch Notwendigkeiten zur Sicherung und Erhaltung des europäischen Lebens sind, nicht dadurch trüben lassen, daß man sich in fortgesetzten Wiederholungen bolschewistischer Zitate mit kleinen Retuschen gefällt.
({0})
Ich bin mit Ihnen einverstanden, Herr Kollege Kiesinger, daß es auf eine sehr sorgfältige Analyse dessen ankommt, was uns gegenübersteht. Aber Analyse ist nicht einfach Textauslegung plus Geopolitik, sondern dazu gehört noch etwas mehr: das sicher sehr mühselige - wegen des Schleiers über den Ereignissen drüben - Untersuchen und Verfolgen der tatsächlichen Ereignisse, etwas, wozu sehr viele und am besten wohl auch gemeinsame Anstrengungen notwendig wären.
Und übrigens - auch das muß ich noch zu einer Bemerkung meines Herrn Vorredners sagen - sollte man auch nicht in dieser Debatte sozusagen zu dem Kunstgriff Zuflucht nehmen, den Worten, die in diesem Hause, in dieser Debatte gesprochen werden, durch eine ganz kleine Knetung einen etwas anderen Sinn zu geben. Ich meine das, was Sie mit Ausführungen meines Freundes Professor Schmid hier getan haben. Ich will mich gewiß nicht als Schulmeister aufspielen; aber da wir noch am Beginn dieser Debatte stehen, glaube ich, es ist angebracht, auch das einmal zu sagen.
({1})
Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Pflichten der Opposition, auch die Kehrseite der von der Regierung für gut befundenen Verträge zu prüfen und zu beleuchten. Das ist nicht immer nur eine angenehme oder, wie manche annehmen, leichte Aufgabe. Aber wir wären eine schlechte Opposition, wenn wir diese unsere Pflicht versäumen würden.
({2})
Und sehen Sie, wir finden das, was wir bei gewissenhafter Prüfung der Texte festgestellt haben, so besorgniserregend, daß wir uns verpflichtet fühlen, es jedem Deutschen vor Augen zu führen - es ist ja wiederum jedem Deutschen anheimgegeben, zu prüfen, ob wir recht sehen oder wo wir irren -, vor Augen zu führen nämlich, welche Folgen diese Verträge für die Existenz und für die Zukunft unseres Volkes haben müßten, wenn wir nicht nachdrücklich versuchten, zur rechten Zeit das Recht unseres Volkes auf Wiedervereinigung geltend zu machen und Möglichkeiten dafür, soweit das in unseren Kräften steht, ausfindig zu machen beziehungsweise zu fördern.
Man hat es uns verübelt, daß wir mit unseren Sorgen und Mahnungen nicht im stillen Kämmerlein geblieben sind.
({3})
({4})
Auch heute ist hier das Wort von der „Straße" gefallen. Sehen Sie, was Sie mit diesem Begriff von der „Straße" meinen - ich will mich darauf gar nicht einlassen -, das wollen Sie sehr gern haben, wenn es um die Ausführung dessen geht, was Sie beschließen;
({5})
aber Sie möchten nicht, daß sie mitreden darf.
Aber selbst wenn wir in dieser Beziehung sehr verschiedene Meinungen über Demokratie haben sollten - ich habe eben in der Pause einen Brief eines Wählers Ihrer Partei gelesen, der einem Ihrer Kollegen in diesem Hause geschrieben hat, welche Besorgnisse er hinsichtlich dieser Ihrer Auslegungen von der Demokratie hat; ich will es Ihnen ersparen, Sie werden ja diesen Brief vielleicht sehen -, sollte dann nicht wenigstens - das möchte ich zu bedenken geben - gesehen werden, daß wir mit dem, was wir ehrlich versucht haben, auch erreicht haben, daß ein Mißverständnis in der Welt um uns herum erschüttert worden ist,
({6})
nämlich das Mißverständnis, als könnten und würden sich die Deutschen in der Bundesrepublik mit der Spaltung Deutschlands abfinden?
({7})
Selbst wenn Ihnen, meine Damen und Herren, nur ein Bruchteil der Veröffentlichungen bekanntgeworden sein sollte, in denen uns Deutschen in diesen letzten Wochen und Monaten die angebliche Unvermeidlichkeit einer längeren Fortdauer der Spaltung unseres Landes beizubringen versucht wird, selbst dann müßten Sie doch von der Ernsthaftigkeit unserer Befürchtungen Kenntnis nehmen und sie vielleicht sogar respektieren. Es sollte sogar, abgesehen von allen sehr scharfen und keineswegs zu verwischenden Meinungsverschiedenheiten, möglich sein, zuzugeben, daß die Opposition entscheidend dazu beigetragen hat, ein wesentliches Anliegen nationalpolitischer Art, das zugleich, wie ich vorhin schon sagte, ein Anliegen des europäischen Friedens ist, in breitester Öffentlichkeit des In- und Auslandes durchzusetzen. Erlauben Sie mir zu sagen, daß wir uns dazu auch durch die uns immer noch erschütternde Mahnung der Menschen des 17. Juni 1953 in der sowjetisch besetzten Zone verpflichtet fühlen.
({8})
Es wurde heute morgen davon gesprochen, daß, je weiter östlich die Menschen in unserem Lande lebten, sie um so mehr Verständnis für die Politik der Bundesregierung und diese Verträge hätten. Da ist übrigens, um das ganz sachlich zu sagen, ein interessanter Prozeß des Umdenkens im Gange, der Ihnen wahrscheinlich auch nicht ganz entgehen wird, wenn Sie nicht nur die Hymnen lesen. So schreibt eine Frau, von der wir wissen und auch ich persönlich weiß, wie sehr sie der Politik des Bundeskanzlers zu folgen versucht hat, am Tage, an dem sie gehört hat, was von der Paulskirche aus vernehmbar war:
Wir haben immer noch vier Besatzungsmächte. Wir sind samt und sonders, ob West oder Ost, in Mitleidenschaft gezogen. Dürfen wir zehn Jahre nach Beendigung des Krieges dulden, daß unser primitivstes Recht, das Recht auf Wiedervereinigung, von Prestigekämpfen abhängig gemacht wird?
({9}) Es dünkte uns heute nachmittag wie Sonnenaufgang nach langer Finsternis, als sieben deutsche Männer verschiedener Berufe und Überzeugungen in der Paulskirche endlich auszusprechen wagten, was uns hier auf unserem fast verlorenen Posten als reale Politik anmutet.
Man möge in Bonn zur Kenntnis nehmen, was wir bekräftigend wiederholen möchten: Sollte die Wiederaufrüstung Ereignis werden, so ist die endgültige Teilung unseres Vaterlandes in zwei Hälften unausbleiblich, und mehr noch: die ostzonale Jugend wird mit härteren Methoden in die Kasernen getrieben werden. Unsere Jugend, falls sie sich sträubt, wird unter Umständen jenseits des Ural schießen, marschieren, Drill erleiden müssen. Und gesetzt den Fall, es käme zu keinem Gespräch mit der Sowjetunion, hat man sich wohl schon einmal die Konsequenzen überlegt? Bei uns spricht man ganz offen von Massenevakuierungen der Städte und Dörfer entlang der Zonengrenze. Dem westdeutschen Bürger täte das nicht weh; er genießt ja das Glück, auf der anderen Seite zu leben.
Auf solche Weise würde es dann zu einer „friedlichen Koexistenz" kommen, haargenau so lange, wie es dem Ostblock gefällt, und der europäische Bürger, der die Wiederaufrüstung Westdeutschlands bejaht, um den Krieg zu bannen, um seine Existenz, sein bißchen Wohlstand zu sichern, arbeitet im Grunde für den Bolschewismus.
So kann man es, wenn man unter den Verhältnissen dort lebt, auch sehen, und wir sollten an solchen Auffassungen nicht leicht vorbeigehen. Die brennende Frage, ob durch diese Verträge die Entwicklung zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gefördert oder ernstlich gehemmt und erschwert wird, läßt uns jedenfalls nicht zur Ruhe kommen.
Wir haben seinerzeit bei den Auseinandersetzungen um die Verträge von Bonn und Paris, als es um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ging, unsere Sorgen dargelegt. Die Regierung hat in ihren Begründungen zu den neuen Verträgen an mehreren Stellen betont, daß in jener Auseinandersetzung erhobene kritische Einwendungen nunmehr in dem Text berücksichtigt worden seien, daß ihnen Rechnung getragen worden sei. Manche Bestimmungen der alten Verträge, die die Regierung früher eifrig verteidigte und für deren Verteidigung sie harte Worte gegen uns fand, sind jetzt nachträglich für so mangelhaft erklärt worden, daß man leichten Herzens auf sie verzichtet hat und daß man das begrüßt. Ich will nicht daran mäkeln, aber das ist ein Grund mehr für uns, weiter zu drängen,
({10})
weiter dafür Sorge zu tragen, daß es zur Überwindung auch solcher Stellen und Bestandteile der Verträge kommt, die uns in unseren Existenzfragen solche Sorgen machen.
Ich komme zu den Berichten, die heute hier vorgetragen worden sind. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, den Herren Berichterstattern aufrichtig dafür zu danken, daß sie in den Schriftlichen Berichten - das gilt auch für die mitberichtenden Ausschüsse - den Versuch gemacht haben, die in i den Beratungen in Erscheinung getretenen Mei({11})
nungsverschiedenheiten und gegensätzlichen Ansichten zu vermerken. Nun möchte ich mich den Meinungsverschiedenheiten, die in diesen Berichten zum Ausdruck kommen, zuwenden.
Ich finde, daß es während dieser Beratungen und auch beim Abschluß dieses Kapitels zwischen einem Teil und einem anderen Teil des Hauses in den Ausschüssen ei en wesentlichen Unterschied in der Art, das Problem zu untersuchen, gegeben hat. Die Mehrheit ist doch in der Regel davon ausgegangen, daß es darauf ankomme, sozusagen Artikel für Artikel und Paragraph für Paragraph in Vergleich zu den Verträgen von 1952 zu stellen und zu prüfen, welche Vorzüge jetzige Lösungen und Fassungen gegenüber früheren haben; abgesehen von dem Schmerz, den ein kleiner Teil beim Registrieren des Verlustes früherer Vorstellungen über eine europäische Integration, wenn auch auf sehr begrenztem Raum, nach supranationalem Modell nicht hat verwinden können. Von der Mehrheit ist dabei herausgestellt worden, daß in den Vorbehaltsrechten, die die Besatzungsmächte, auch wenn sie dann rechtlich nicht mehr so genannt werden, behalten, jetzt ihre Verantwortlichkeit und nicht nur ihr Recht hervorgehoben wird. Weiter ist betont worden, daß es in bezug auf den Vertrag, der unter dem Titel „Vertrag über die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Drei Mächten" läuft, jetzt gewisse leichtere, breitere Möglichkeiten zur Anmeldung einer Revision gibt. Es ist sogar der Vorzug des Wegfalls jenes bei den alten Verträgen so heftig umstritten gewesenen Art. 7 Abs. 3 entdeckt worden. Schließlich hat man auch gefunden, daß eine elastische oder weiche Auslegung des Art. 7 Abs. 2, in dem es heißt, daß es ein gemeinsames Ziel der Unterzeichner dieses Vertrages sei, ein wiedervereinigtes Deutschland zu erstreben, das eine Verfassung ähnlich der der Bundesrepublik habe und in die europäische Gemeinschaft integriert sei, als ein Vorzug zu verstehen ist.
Wenn es - das möchte ich offen sagen - nur um diesen Vertrag ginge, dann wären die Gegensätze keineswegs so scharf, wie sie werden mußten, weil es sich um eine Gesamtheit von Verträgen handelt; denn - und hier komme ich zu unserer Seite - die Opposition sieht den Schwerpunkt des Vertragswerks als eines Ganzen in der Eingliederung des militärischen Beitrags der Bundesrepublik in die Nordatlantikpakt-Organisation und in die Westeuropäische Union mit ihren automatischen Bündnisverpflichtungen.
Die Bestimmungen des Nordatlantikpakts, denen wir uns mit dem Akt der Zustimmung zu diesen Verträgen unterordnen, sind, das hebe ich zu Beginn hervor, ohne Rücksicht auf unsere Sonderlage als eines gespaltenen Landes gefaßt; denn keine von den anderen Mächten, die in der Organisation des Nordatlantikpakts vereinigt sind, ist in einer so unglücklichen, schwierigen und komplizierten Lage wie wir. Dazu kommt, daß die Beistandspflicht der Nordatlantikpakt-Organisation mit ihrer Verschärfung durch die automatische Beistandspflicht der Westeuropäischen Union die Gefahr der Einbeziehung der Bundesrepublik oder der von ihr zu stellenden Streitkräfte in Konflikte an anderen Stellen mit sich bringt und dadurch unsere durch die Spaltung bedingte komplizierte Lage noch verschlimmert.
Ich möchte auch nicht verfehlen, auf das Eigengewicht und die Eigengesetzlichkeit der technischen und militärischen Integrationsbestimmungen im
Nordatlantikpakt hinzuweisen. Sie sind im Zusammenhang mit der Unterzeichnung dieser Verträge noch intensiver gestaltet worden, wie jeder, der an den Beratungen teilgenommen hat, aus jener umfangreichen Resolution, die noch an anderer Stelle unserer Beratung Gegenstand der Diskussion sein wird, hat feststellen können. Auch diese Momente müssen wir wieder im Zusamenhang mit dem Anliegen der Verwirklichung der Wiedervereinigung, das ja ein gemeinsames Anliegen ist, sehen und prüfen und wägen. Es ist richtig, daß die Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts jenen Satz aus der Londoner Erklärung übernommen haben, daß die Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel ihrer Politik bleiben wird. Das ist zweifellos zu begrüßen, denn je mehr Völker und Staaten sich auch für dieses unser Anliegen erwärmen, um so besser für dieses Anliegen! Aber - wir können an diesem Aber nicht vorbei - in den Verträgen selbst, für die 'diese Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts verantwortlich sind, in deren Reihen wir mit dieser Ratifikation eintreten sollen, findet dieses Streben nach der Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands als grundlegendes Ziel auch ihrer Politik nach unserer Ansicht keinen Niederschlag. Denn es gibt keinen Punkt, von dem man sagen könnte: hier ist dieser Gespaltenheit Deutschlands Rechnung getragen worden, und hier ist ein Ansatzpunkt zu einer Brücke, über die man gehen könnte, wenn es einmal, falls es heute noch nicht möglich ist, zu Verständigungen zwischen West und Ost kommen sollte. In dieser Beziehung schweigen die Verträge und finden wir leider auch keine Verpflichtung, die dem Bekenntnis entspräche.
Leider ist das auch nicht hinsichtlich des Art. 7 Abs. 2, den ich vorhin in anderem Zusammenhang zitierte und in dem etwas über die gemeinsame Politik in der Richtung „Wiedervereinigung" und „Integration in die europäische Gemeinschaft" gesagt wird, der Fall, soweit es die drei Mitunterzeichner dieser Verträge betrifft, die ja dazu noch im Besitze ganz gewichtiger Vorbehaltsrechte sind und bleiben. Von den Vorbehaltsrechten ist hier mit Recht gesagt worden, daß sie eine notwendige und positiv zu wertende Seite haben, nämlich die, daß, solange das möglich und denkbar ist, die Möglichkeiten, die sich aus den Viermächteabmachungen des Jahres 1945 ergeben, genutzt werden sollen. Sie dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden. Aber diese Vorbehaltsrechte haben wie die meisten Dinge auch ihre Kehrseite, nämlich die, daß die drei - und es sind in diesem Fall immer drei - in allen Phasen im Spiel bleiben werden und bleiben müssen und daß es sicher - da gibt es jetzt Gründe zu manchen Befürchtungen - nicht einfach ist, sie von der Dringlichkeit unseres Anliegens des Eingehens auf vielleicht von der anderen Seite sich ergebende Vorschläge zu überzeugen, wenn sie andere sehr 'gewichtige Gründe dagegen ins Feld führen möchten. Schon jetzt ist es doch so, daß uns die Vorbehaltsrechte, auch wenn sie noch nicht in dieser vertraglichen Form wirksam sind, zu schaffen machen. Denn wir sind doch offensichtlich jetzt sogar gebunden, von uns aus-soweit es die Regierung betrifft - zu sagen, es sei jetzt nicht möglich, Viermächteverhandlungen einzuleiten oder durchzuführen, wenn man nicht annehmen soll, das entspräche und entspränge dem freien Entschluß unserer Bundesregierung oder des Herrn
({12})
Bundeskanzlers, daß sie es auch von sich aus so sagen.
Wir haben zudem keine Gewißheit, daß jener Art. 7 Abs. 2 in der Praxis so elastisch und so weich angewandt werden und gemeint sein wird, wie es angeführt warden ist. Wir haben vielmehr die Besorgnis, daß man sich entsprechend den Erfahrungen, die man 1953/54 in der letzten Phase der Vorbereitungen der vorjährigen Viermächte-Außenministerkonferenz hat machen müssen, sehr eng gezeigt und verhalten hat hinsichtlich des Verhandlungsrahmens, hinsichtlich der für möglich gehaltenen Bewegungen. Der Rahmen war so eng, daß man ,damals nicht einmal Raum ließ und Raum für möglich hielt für eine Wiedervereinigung, bei der notwendigerweise ein Zwischenstadium zwischen Wiedervereinigung und Friedensvertrag in Kauf genommen werden muß, in dem alle vier und wir als fünfte im Spiele wären. Selbst das war damals nicht möglich, sondern man wollte eine Lösung des sofortigen Wiedervereinigens und Eingliederns in die damalige Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die Revisionsbestimmungen im Vertrag über die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Drei Mächten, die zweifellos ein wenig gelockert und erweitert warden sind, sind ja hinsichtlich dessen, was durch sie ausgelöst werden kann, keineswegs zwingend. Denn sie verpflichten nur zur Überprüfung der gegenwärtigen Verträge, und, was schlimmer ist, wir halten sie nach wie vor - denn wir haben keine anderen uns überzeugenden Auskünfte bekommen können - für wirkungslos hinsichtlich unserer Zugehörigkeit zum Nordatlantikpakt und zur Westeuropäischen Union, für die es etwas Entsprechendes nicht gibt.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen machen zu den Versicherungen, mit denen geltend gemacht wird, daß eine gesamtdeutsche Regierung, also die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands nicht an diese Verträge gebunden sein würde. Nun, solche Versicherungen - darüber müßten wir doch wohl einig sein - wiederholen in Wirklichkeit nichts anderes als eine sozusagen völkerrechtliche Selbstverständlichkeit. Denn man kann eine Regierung, die noch gar nicht da ist, nicht durch Verträge im vorhinein binden. Andererseits ist wieder unsere Sorge, daß die Bindungen der Bundesrepublik so stark sind, daß sie nicht Raum lassen werden für eine initiativreiche Wiedervereinigungspolitik, für eine Politik also, die zur Wiedervereinigung führt, es sei denn zu einer bloß vorgestellten, wie wir meinen, einer unwirklichen Vorstellung entspringenden Auffassung von der Wiedervereinigung, durch die das ganze Deutschland in eine Allianz der einen Seite einbezogen würde.
Das sind eine Reihe schwerwiegender Fragen, die auch in diesem Stadium der Beratung der Verträge bleiben.
Ich möchte gerade, anknüpfend an das, was ich eben über den problematischen Wert der Versicherungen über die Nichtbindung einer gesamtdeutschen Regierung durch die jetzigen Verträge gesagt habe, erinnern an eine offenbar von der Regierung für sehr wesentlich gehaltene Äußerung des Herrn Bundeskanzlers - sie scheint so wesentlich, daß sie im August vorigen Jahres noch einmal in einem Artikel des presse- und informationsamtlichen Bulletins wiederholt wurde -, eine Äußerung, in der der Bundeskanzlers die
Frage, ob denn die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands gebunden wäre oder nicht, als eine, wie er meinte, akademische Frage bezeichnete. Er sagte:
Die außenpolitische Handlungsfreiheit eines gesamtdeutschen Staates ist staatsrechtlich und völkerrechtlich unbestreitbar. Sie ist aber eine weitgehend akademische Frage. In der praktischen Politik ist die Kraft der Tatsachen entscheidend. Steht die Europa-Armee erst einmal, so wird kein Staat mehr aus ihr austreten, auch kein gesamtdeutscher Staat.
({13})
Das ist ja gerade der Sinn der Integration, daß sie Getrenntes fest und praktisch unauflöslich zusammenfügt.
({14})
Ich sehe aber auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß ein gesamtdeutscher Staat jemals den Wunsch haben könnte, von einem theoretischen Recht des Rücktritts Gebrauch zu machen.
({15})
So hat er ja in einer Regierungserklärung - und das wurde im Zusammenhang damit noch einmal zur Unterstreichung angeführt - vor einem Jahr, am 25. Februar 1954, ausgeführt:
Man. sollte ... über den akademischen Fragen die Realitäten nicht vergessen. ... Ich glaube, ich kann ... schon jetzt ... sagen: Nicht nur wird jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um ganz Deutschland in der im Bonner und Pariser Vertrag gegebenen Form in die Gemeinschaft der freien Völker zu führen, sondern wenn die Stunde der Wiedervereinigung gekommen ist, wird das ganze deutsche Volk diese Entscheidung zu der seinigen machen.
Nun, verehrte Damen und Herren, es geht ja hier bei diesen Auseinandersetzungen um den Ansatz oder, wenn Sie wollen, um die Ansätze zu der Verwirklichung der Einheit Deutschlands. Es mag mehr oder weniger angenehm sein, über Ausblicke zu streiten. Aber das, was mit dieser Unterscheidung zwischen akademischem bzw. theoretischem Recht und der Kraft der Tatsachen hier in den Worten des Herrn Bundeskanzlers gesagt oder gemeint worden ist, ist jedenfalls Grund genug für uns, uns eben in erster Linie mit diesen Tatsachen zu befassen
({16})
und nicht damit zufrieden zu sein, welche vielleicht extensiven und elastischen Auslegungen den einzelnen Paragraphen durch Sprecher der Regierung oder durch ihre Sachverständigen in der Enge und in der Schärfe der Ausschußberatungen gegeben worden sind.
Wir haben als sozialdemokratische Fraktion in der Zeit seit dem 30. August vergangenen Jahres, in der um diese neuen Verträge, die einen Ersatz für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bieten sollten, gerungen worden ist, immer wieder versucht, wenigstens die Gleichzeitigkeit oder, wenn Sie so wollen - ein Wort, das in Frankreich eine gewisse Zeit eine Rolle gespielt hat -, die Parallelität der Anstrengungen um die Wieder({17})
vereinigungslösung mit den Bemühungen um eine europäische Zusammenarbeit, wie sie sonst gedacht ist, zu erreichen. Wir sind dabei, soweit es darum ging, Ihre Zustimmung dazu zu erlangen, nicht zum Ziel gekommen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir im Zusammenhang mit der Londoner Schlußakte hier versucht haben, zur rechten Zeit - zur rechten Zeit noch für die Ausarbeitung der Texte auf der damals schon terminlich festgelegten Pariser Konferenz - einige Voraussetzungen für diese Gleichzeitigkeit, für diese Parallelität der Bemühungen um die Wiedervereinigung und das übrige zu schaffen. Wir sind damals abgewiesen worden. Man hat gesagt, das sei erst möglich, wenn die Expertenberatungen abgeschlossen seien; und dann hatten wir es eben mit den Texten, die aus den Expertenberatungen hervorgegangen sind, zu tun. Das waren dann die Pariser Verträge, die unterschrieben wurden.
Damals hat man uns versprochen, man werde die von uns angeregte Kommission aus Personen, die von der Bundesrepublik zu benennen wären, und solchen, die von den westlichen Besatzungsmächten zu stellen wären - eine Kommission, die die Aufgabe haben müßte, alle sich bietenden Gelegenheiten für Wiedervereinigungspolitik aufzuspüren, ihnen nachzugehen und sie so weit wie möglich zu realisieren -, gleich nach Paris bilden. Jetzt haben wir gestern gehört, daß nach einer Auffassung des amerikanischen Hohen Kommissars sie, die uns jetzt so in letzter Minute vor diesen Vertragsberatungen noch einmal als Trost vorgehalten worden waren, auch jetzt noch nicht zustande kommen wird; denn erst müsse ratifiziert sein.
Und so war es, als wir uns dann diesen Pariser Texten und den damit parallel laufenden sowjetischen Erklärungen und Noten gegenüber befanden. Wir haben damals, am 18. November, den ernsthaften Versuch gemacht - noch rechtzeitig, bevor jene unglückliche Note der Westmächte vom 29. November abgeschickt war, in der es abgelehnt wurde, das, was die Sowjets in ihrer Note vom 23. Oktober zugestanden hatten, zu verwirklichen, nämlich einen Zusammentritt zu Viermächteberatungen, um dort über die seinerzeit in Berlin nicht beratenen und nicht akzeptierten Probleme der Wiedervereinigung zu sprechen -, vor einer solchen schlechten und schlimmen Antwort zu warnen und einen besseren Weg zu zeigen. Wir sind auch in diesem Fall abgewiesen worden.
Immer neue aufschiebende Bedingungen werden genannt, so daß man auf unserer Seite jedenfalls den Eindruck haben muß, daß alles andere vor dieser unserer brennendsten Sorge Vorrang hat; ehe es zu spät sein könnte, auszuloten, ob und welche Möglichkeiten zu einer friedlichen Viermächteverständigung in den beiderseitigen Erklärungen, Zugeständnissen und Forderungen drin sind.
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Man weiß doch, daß eine der vier Besatzungsmächte - die sowjetische - erklärt hat, daß sie nach der Ratifikation Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung als gegenstandslos ansehe. Nun, wir haben es auch heute wieder gehört, die Sowjets seien Realisten, sie würden sich mit Tatsachen sozusagen abfinden. Warum verläßt man sich so sehr darauf, daß angesichts solcher Tatsachen ausgerechnet die Sowjets Realisten in
unserem Sinn sein würden und sollten? Warum versuchen w i r nicht - wenigstens solange wir noch dabei sein können -, Realisten zu sein
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und uns um unser eigenstes Anliegen zu kümmern? Man sollte es doch nicht für unmöglich halten, daß diesem Anliegen der großen Mehrheit aller Teile des deutschen Volkes mindestens so viel Beachtung geschenkt wird, wie man jetzt Mühe aufwendet - anerkennenswerte Mühe -, um im Fernen Osten die dortigen Konflikte zu schlichten,
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friedlich beizulegen, zu lokalisieren, zu verhüten, daß es dort zu einem um sich fressenden Brand kommt. Aber wenn wir nicht drängen, wer sollte eigentlich an unserer Stelle, stellvertretend für uns drängen?
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Es wäre nach unserer Ansicht in zweifacher Hinsicht notwendig gewesen, die sowjetischen Erklärungen der letzten Wochen und Monate zu prüfen, sie nicht nur, Herr Kollege Kiesinger, ihren Worten nach zu untersuchen - das ist sicher nicht unwichtig -, sondern ihrem Sachgehalt nach, ihrem Wirklichkeitswert nach, den Möglichkeiten nach zu prüfen, die darin für die Anknüpfung von Verhandlungen liegen könnten. Ich sagte: in zweifacher Hinsicht; einmal, weil wir es mit einer Erklärung zu tun haben, die zwar die Erklärung - wenn Sie so wollen - nur der einen Besatzungsmacht und nicht der drei anderen ist. Aber hier herrscht nicht das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit. Man kann diese eine nicht überstimmen; das liegt nun in der Art dieser Besatzungsverhältnisse in unserem gespaltenen Staat. Aber diese Erklärung, daß nach der Ratifikation Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung für jene Macht gegenstandslos sein würden, liegt uns vor. Wir dürften sie nicht einfach in den Wind schlagen.
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Im übrigen, wenn nichts anderes uns zu denken und uns Anlaß geben müßte, wenigstens historisch gesehen, einige Minuten zu verweilen, um uns zu besinnen, dann müßte es der Gedanke daran sein, daß wir es, wenn für die vierte Besatzungsmacht, die sowjetische, die Frage der Herstellung der Einheit Deutschlands in Viermächteverhandlungen auf der Basis, die 1945 in den Abmachungen gegeben war, gegenstandslos wäre, nach ihrem Sprachgebrauch fortgesetzt mit der Sowjetzonenrepublik zu tun haben würden. Dann würde es noch viel schwerer sein als jetzt, zur Wiedervereinigung zu kommen, als eben zu der Zeit, in der es wenigstens theoretisch noch die Viermächtegrundlage gibt. Denn zwischen der Bundesrepublik und Sowjetzonenrepublik wird es und würde es viel größere Schwierigkeiten geben, wenn aus der Zonengrenze eine Staatsgrenze geworden sein wird, was ja auch eine der Folgen dieser Verträge ist. So sehr wir uns mit Recht dagegen wehren, daß jemand behaupten kann, das sei eine Staatsgrenze, faktisch würde sie es sein mit all ihren Schwierigkeiten und Gefahren. Das können Sie nicht wegreden; hier spricht, Herr Gille, die Macht der Tatsachen, um mit dem Herrn Bundeskanzler zu reden, ihre unerbittliche Sprache.
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Wenn jemand - und deswegen meinte ich, es sei schon wert, etwas dabei zu verweilen - wirklich entschieden für die Beibehaltung der Spaltung ist, dann sind es doch die Leute an der Spitze der sogenannten SED in Pankow,
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die, wenn es nach ihnen ginge, es unter keinen Umständen zu einer Wiedervereinigung bringen möchten.
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- Soviel Angst, Herr Euler, braucht man nicht mehr zu haben; denn es ist in die Erkenntnis der sowjetischen Politik eingegangen, daß es die SED nicht schafft, nicht nur nicht geschafft hat, sondern nicht schaffen kann, das ganze Deutschland über den Schnabel zu nehmen. Übrigens: dafür sorgte nicht zuletzt die Tatsache, daß eben die breitesten Schichten unserer Bevölkerung, und dazu gehört die Arbeiterbewegung als Kern, weder volksdemokratisch noch sowjetisch sein und regiert sein wollen.
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Das ist etwas, woran auch die sowjetische Politik nicht vorbei kann und nicht vorbeigeht.
Der zweite Gesichtspunkt, dessentwegen es so wesentlich gewesen wäre und heute noch wäre, diese sowjetischen Erklärungen ihrem Sachgehalt nach und ihren Entwicklungsmöglichkeiten gemäß zu prüfen, ist der, daß es da einige Zugeständnisse gibt, deren Wert unbedingt festgestellt werden muß. Ich habe den Einwand gehört - er wurde uns in den Ausschußauseinandersetzungen gemacht -, vielleicht und wahrscheinlich sei alles das, was uns jetzt an Zugeständnissen in nicht ganz verbindlicher Form dargeboten würde, nichts anderes als der Versuch der sowjetischen Seite, sich ein Alibi zu verschaffen. Und ich muß hier sagen: wenn das so wäre, dann wäre das ein Grund mehr, ein zwingender Grund mehr, ihnen dieses Alibi nicht zu gönnen, nicht zu schenken, nicht zu geben,
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denn dann müßte erst recht alles Denkbare getan werden, damit sie es nicht bekommen und damit klar ist, woran es liegt, wenn wir unter diesen bedauerlichen Umständen noch weiterleben müssen.
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- Es dreht sich nicht nur um die Beseitigung - Sie sind ja nicht im Besitze der Geheimwissenschaft, ob es denen nur auf das Alibi ankommt -, es gibt da noch manche andere Dinge, die dabei zu bedenken sind. Aber feststellen, worum es wirklich geht, kann man eben nur durch das Prüfen, durch das wahrscheinlich sehr mühselige Prüfen: Was ist denn der Preis, was sind denn die Bedingungen, und wie wäre es möglich? Und dann können wir reden, ob es tragbar wäre oder nicht tragbar wäre.
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Wenn es tatsächlich so sein sollte, daß es dort nur um den Versuch ginge, sich ein Alibi zu verschaffen? Nun, ganz ausgeschlossen wäre auch das nicht. Denn, meine Damen und Herren, die Sowjetunion kann ja wohl mit der Tatsache eines gespaltenen Deutschland auch leben und muß von sich aus und um der Sache selbst willen nicht besondere Anstrengungen machen, um sie zu überwinden. Das ist schon vor allem unsere schwere Aufgabe.
Man hat gesagt, man soll das alles, was da jetzt zugestanden und geboten wird, nicht tragisch nehmen. Ich war froh, daß auch über den Kreis meiner engeren politischen Freunde hinaus und derer, die sich in der Paulskirche versammelt haben, mancher auch aus Ihren Reihen seinen Sorgen Ausdruck zu geben versucht hat. Einer unserer Kollegen aus der freien demokratischen Fraktion hat dem Herrn Bundeskanzler aus der großen Sorge heraus geschrieben, daß seine Äußerung, die jüngsten Moskauer Noten seien nicht tragisch zu nehmen, zu einer Entwicklung führen könnte, die dann wirklich tragisch wäre.
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Ich finde, es ist nicht unwichtig, wenn dieser Kollege schrieb. Auch bei größter, von mir geteilter Skepsis bleibt die Verpflichtung vor unserem Volk und vor der Geschichte, diesmal alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Er ergänzte das mit dem Satz: Sonst fordern wir vergeblich die Wehrbereitschaft der deutschen Jugend, ohne die eine Wiederbewaffnung undenkbar ist.
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Und ich fand diese Erwägung von ihm bemerkenswert, kein Politiker werde doch überdies behaupten können, daß eine drei- bis sechsmonatige Verschiebung des Beginns der westdeutschen Aufrüstung beim gegenwärtigen Stand der Dinge entscheidend sei.
Ja, es geht darum, diese Erklärungen der vierten Besatzungsmacht, der sowjetischen Regierung, die die schwierigste unter allen vier ist, sorgfältig zu prüfen, aus den zwei Erwägungen heraus, die ich nannte.
Einmal ist im Lichte der Erklärung vom 15. Januar dieses Jahres nun der sowjetische Standpunkt so dargelegt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands, beginnend mit freien Wahlen nach einem Wahlgesetz aus Entwürfen beider Seiten und unter internationaler Kontrolle, stattfinden soll. Also müßte man schlußfolgern und prüfen und bindend feststellen lassen: nicht mehr unter der Bedingung einer sogenannten provisorischen gesamtdeutschen Regierung, die, wie in all den Jahren gefordert, vorgeschaltet werden sollte, mit Befugnissen vor der Wahl, die eine Wahl möglicherweise und sehr wahrscheinlicherweise hätten zur Farce, zur volksdemokratischen Farce werden lassen. Das ist ein sehr gewichtiger Punkt. Das ist vielleicht ein bedeutsamer Positionswechsel, den die sowjetische Seite aus Gründen, die wir hier nicht näher zu beleuchten brauchen oder beleuchten können, vollzogen hat oder für richtig hält. Sie hat ja Ähnliches auch bei anderen Gelegenheiten vollzogen.
Zweiter Punkt. Man kann, wenn man die früheren sowjetischen Noten und Verlautbarungen im Lichte dieser Erklärung vom 15. Januar prüft, schlußfolgern und muß sehen, ob sich verbindlich feststellen läßt, daß es eine Nationalversammlung und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung als nächste Stufe geben soll und daß drittens der Abschluß eines Friedensvertrags mit dieser gesamtdeutschen Regierung folgen müßte. Dafür übrigens, daß ein solcher Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt und von einem gesamtdeutschen Parlament ratifiziert werden müßte, hat sich der sowjetische Außenminister schon in Berlin erklärt.
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Nun werden Einwände gemacht, Einwände von Regierungsseite und Einwände der westlichen Besatzungsmächte, daß z. B. Wahlgesetze und internationale Kontrolle, wie die sowjetische Seite sie jetzt zuzugestehen scheine, nicht ausreichend seien. Aber auf das, was da zum Teil an Übersetzungs
und Wortauslegekünsten praktiziert worden ist, möchte ich hier nicht eingehen. Ich möchte nur sagen: im Dezember 1953 und im Januar 1954 war es doch einmal ausgemachte Sache, daß alles das, was den sozusagen technischen Teil der Vorbereitungen zur damaligen Viermächtekonferenz betrifft, nämlich Verhandlungen über Wahlen, über die Art ihrer Durchführung, über ihre Kontrolle, von der westlichen Seite so geschmeidig wie möglich gefaßt und vertreten werden sollte. Denn man war - ich finde, mit Recht - der Meinung, daß, falls es zu einem Beschluß über die Wiedervereinigung kommt, diese mehr oder weniger technische Seite, so bedeutsam sie bleibt, jedenfalls das andere nicht wieder rückgängig machen und neue Verhandlungsschwierigkeiten auftürmen sollte. Es wäre heute beinahe pikant, genau zu zitieren, wie man damals unter Berufung auf den 17. Juni einerseits und den 6. September andererseits von der Vermeidbarkeit einer sehr präzisen und sehr engmaschigen Kontrolle solcher Wahlen geschrieben und gesprochen hat.
Es sei - der Meinung war man damals - nicht zweckmäßig, ein vollständiges und ausführliches System von Garantien vorzusehen, dessen Ausarbeitung auf einer Viermächtekonferenz nutzloserweise zu beträchtlichen Schwierigkeiten führen würde. Zu weit gespannte Forderungen der westlichen Vertreter auf diesem Gebiet würden im übrigen in der öffentlichen Meinung die Tragweite einer sowjetischen Ablehnung des Verlangens nach freien Wahlen abschwächen. Insbesondere erscheine es nicht wesentlich - so war damals mit Recht die Meinung -, darauf zu bestehen, daß die demokratischen Freiheiten während eines langen Zeitraumes vor dem Wahltag garantiert würden. Die Kontrolle müsse durch Beobachterkommissionen ausgeübt werden, die sich auf das gesamte deutsche Gebiet verteilten und von einem Zentralorgan aus regional und örtlich gestaffelt seien. Die Zusammensetzung, die Zuständigkeiten oder die Befugnisse dieser Organe seien weniger wichtig als ihre bloße Anwesenheit, die der Sowjetzonenbevölkerung den Eindruck eines endgültigen Wechsels der politischen Lage vermitteln werde. Das waren damals die Grundsätze, von denen aus dieser technische Teil betrachtet wurde. Die Aufgabe einer Kontrollorganisation sei die Überwachung, die Feststellung und Berichterstattung, nicht aber ein unmittelbares Eingreifen in die örtliche Verwaltung. Auch das wurde damals für richtig und notwendig gehalten. Die beste Lösung - so meinte man damals - sei, eine Kommission aus Neutralen zu bilden. Aber .man hatte auch drei andere Möglichkeiten, sie nämlich aus Mitgliedern der Vereinten Nationen oder, wenn es nicht anders ging, aus den Vier Mächten selbst oder, was noch denkbar wäre, aus den Vier Mächten und Neutralen, die mitwirken könnten, zu bilden. Das war damals die Meinung.
Zweitens. Man entgegnet heute diesen sowjetischen Zugeständnissen, daß es insgeheim die Absicht der Sowjetregierung sei, wenn sie jetzt auch freie Wahlen zugestehe und sie durchführen lassen wolle, es gar nicht zum Zusammentritt eines gesamtdeutschen Parlaments kommen zu lassen, sondern beide Regierungen weiterbestehen zu lassen Als ich solche Einwände bei diesen Beratunger hörte und auch las, da dachte ich, wie scharfsinnig es doch wohl sei, daß nunmehr auch die sowjetische Seite den damals als sogenannten Kaufmann-Plar auch öffentlich erörterten Plan oder jene Lösungsmöglichkeit, die das Weiterbestehen der Bonnei Bundesregierung unter allen Umständen und entsprechend auch das Weiterbestehen einer Sowjetzonenregierung vorsah, als Grundlage der Verhandlungen ansah. Das Auswärtige Amt war ja wohl damals der Meinung, daß es unmöglich sei, eine gesamtdeutsche Regierung bereits vor der Verkündung der Verfassung mit den außerordentlichen Befugnissen auszustatten, die der Bundestag einmal in einem Gesetz für diesen Fall beschlossen oder niedergelegt hat. Vor allem, so meinte man damals, könne sich das Auswärtige Amt der Auffassung nicht anschließen, daß mit der Schaffung einer solchen wenig fundierten gesamtdeutschen Regierung auch die Bundesregierung in Wegfall kommen solle. Denn nach Ansicht des Auswärtigen Amts ist es von grundlegender Bedeutung, daß die Bundesregierung mit ihrem amtlichen Apparat, ihren internationalen Verpflichtungen und ihrer Autorität ungeschmälert erhalten bleibt, bis eine in ihrer Existenz gesicherte gesamtdeutsche Regierung auf Grund einer neuen Verfassung gebildet ist.
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Ich habe damals schon gedacht: Das ist seltsam, in Einheitsverhandlungen sozusagen auf Widerruf hineinzugehen. Aber jetzt wird es noch seltsamer, wenn man meint, in den sowjetischen Zugeständnissen stecke sozusagen das Spiegelbild dieses damals als Kaufmann-Plan in die Welt gelangten Planes von einem Prozeß der Wiedervereinigung.
Und drittens: Ich sagte schon, daß der sowjetische Außenminister sich bereits in Berlin die Stellungnahme des britischen Außenministers auf der Londoner Konferenz zu eigen gemacht hatte, daß die Bemühungen um das Zustandebringen eines Friedensvertrages mit der Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands, sobald es ginge, in Angriff genommen werden sollten und auch die Bemühungen um freie Wahlen zur Nationalversammlung und zur Bildung einer solchen gesamtdeutschen Regierung und daß - so hatte er damals zugegeben - das eine nicht auf Kosten des andern vernachlässigt werden dürfe. Dann kam sein Zusatz: Auch er sei der Meinung, daß natürlich ein Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung auszuhandeln und von einem gesamtdeutschen Parlament zu ratifizieren wäre.
Sehen Sie, meine Schlußfolgerung aus diesen Bemerkungen ist: Dies müßte geprüft werden. Dies müßte man, soweit das geht, verbindlich festzustellen versuchen, d. h. es müßte herausbekommen werden, was nun im Lichte der Erklärungen vom 15. Januar, die die Sowjetregierung gegeben hat, ihr Bild, ihre Vorstellung von der Reihenfolge der Durchführung der Wiedervereinigung ist. Wenn wir das sehen werden, dann haben wir die Gelegenheit, uns dazu zu äußern, so oder so. Wir dürfen dann aber nicht nach der Praxis verfahren, daß wir die eigenen Forderungen des Westens, für die er sich jahrelang eingesetzt hat, die er zum Teil mit minutiöser Präzision ausgearbeitet hat, dann nicht mehr interessant finden, wenn die
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sowjetische Seite sie unter anderen Umständen plötzlich auch interessant findet
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und anzunehmen geneigt oder bereit zu sein scheint.
Nun lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch zu einem anderen Ereignis etwas sagen. Ich meine den Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 25. Januar, der ja inzwischen von der Tagung des Obersten Sowjets der Sowjetunion bestätigt worden ist, dessen Punkte 1 und 2 den Kriegszustand als beendet bezeichnet, friedliche Beziehungen herzustellen für notwendig befunden und zum Ausdruck gebracht haben, daß alle juridischen Beschränkungen, die sich aus dem Kriegszustand gegenüber deutschen Bürgern ergeben haben, außer Kraft treten. Finden Sie nicht, daß es normal gewesen wäre und heute noch normal sein würde, wenn unsere Regierung darum ersucht hätte und ersuchen würde, in einer Fühlungnahme und in Verhandlungen über diesen Erlaß, der uns ja unter Umständen manches bedeuten kann, die praktischen Konsequenzen aus diesem Erlaß festzustellen? Was wäre denn dabei zu verlieren gewesen, aber was hätte unter Umständen dabei positiv festgestellt werden können?
Und zum dritten Punkt jenes Erlasses, in dem es heißt, daß diese Verkündung der Aufhebung des Kriegszustandes nicht die Rechte und Verpflichtungen der Sowjetunion aus den geltenden internationalen Viermächteabkommen berühre, die Deutschland als Ganzes betreffen: Hätten wir nicht versuchen müssen und müßten wir nicht heute noch versuchen, an Hand dieser Erklärung endlich die sowjetische Definition der sogenannten Vorbehaltsrechte kennenzulernen und genau vor Augen zu bekommen? Denn soweit es sich um die Vorbehaltsrechte entsprechender Art der westlichen Seite handelt, begrüßen wir sie, soweit sie dieses Viermächteverhältnis aufrechterhalten und nicht aufs Spiel setzen wollen. Vielleicht würde bei einer solchen Feststellung der Begriffsbestimmung manches Interessante herauskommen, zumindest auch für unser unmittelbares Bedürfnis der Verbesserung und der Erleichterung des Verkehrs über die Zonengrenze, die ja in Gefahr steht, eine wenn auch Pseudo-, aber in den faktischen Auswirkungen harte Staatsgrenze zu werden. Denn diese Vorbehaltsrechte, die sich auf Abmachungen von 1945 stützen, betreffen ja voll und ganz die Zonengrenze. Hier hätten wir sogar eine Möglichkeit zur Initiative für die Normalisierung der Beziehungen auf soviel wie möglich Sach- und Tätigkeitsgebieten, weil wir ja wollen, daß aus der Zonengrenze nicht eine Staatsgrenze wird. Diese Befürchtung ist ja nicht nur unsere, es ist auch die unserer Mitmenschen und Mitbürger auf der andern Seite der Zonengrenze.
Einige Belegschaften großer Betriebe, die am 17. Juni ihren Mann gestanden haben, haben uns anläßlich dieser Beratungen einiges über ihre Befürchtungen und Ansichten gesagt und geschrieben. In einem großen Stahlwerk hat man die Befürchtung ausgedrückt, daß der Abschluß der Pariser Verträge zur Verschärfung, zumindest aber zu einer völligen Isolierung der Zone führen würde. Es bestehe eine allgemeine Furcht vor dem Kriege und davor, durch diese Isolierung vollkommen den sowjetischen Machthabern ausgeliefert zu sein. In einem anderen Betrieb wurde gesagt:
Die Moskauer Erklärungen vom 15. Januar über die Möglichkeit freier Wahlen unter internationaler Kontrolle haben unter der Belegschaft wie eine Sensation gewirkt. Die Arbeiter vertreten den Standpunkt, daß der Westen jetzt die Sowjetregierung nach dieser Erklärung in Viermächteverhandlungen beim Wort nehmen müsse.
Und, was vielleicht für manche Kollegen und Kolleginnen der Mehrheit interessant ist:
Selbst die Anhänger der Politik Dr. Adenauers stehen heute auf dem Standpunkt, daß die Politik der Pariser Verträge jetzt in der sowjetischen Erklärung zu einem Teilerfolg geführt habe, der aber sofort durch Verhandlungen ausgenützt werden müsse.
Da haben Sie eine ganz interessante Variation in den Ansichten.
Es kommt ja auf diesen Kernpunkt an; darauf, daß wir selbst erklären müssen und daß wir denen, die über die Wiedervereinigung mit und entscheidend und ausschlaggebend zu beschließen haben, als unseren Standpunkt klarmachen müssen: Wir wollen Viermächteverhandlungen haben über freie Wahlen und über den Status des wiedervereinigten Deutschland, wie es die westlichen Besatzungsmächte in einer positiven Note im September 1953 einmal zugestanden und leider später nicht aufrechterhalten haben. Es ginge dabei um eine Regelung, die weder West noch Ost als eine Bedrohung oder Erhöhung der Bedrohung, die sie gegenwärtig empfinden, ansehen müßten und würden. Es ginge dabei um die Einbeziehung eines solchen wiedervereinigten Deutschlands in ein Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen, also nicht um die sogenannte Ausklammerung Deutschlands, nicht um seine Isolierung oder um ein Vakuum, sondern um seine Einbeziehung, um die Ordnung der Beziehungen der Verpflichtungen und umgekehrt der Gegenverpflichtungen.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in den letzten Tagen öffentlich zu Fragen solcher Sicherheitsabkommen geäußert, und ich habe mit einer gewissen Befriedigung gesehen, daß er jedenfalls es sich selbst nicht zum Vorwurf machte, ein Sicherheitssystem unter Einbeziehung der Sowjetunion für möglich zu halten. Uns wurde dieser Vorwurf einmal gemacht. Aber es wäre gut, wenn wir hier eine Entwicklung zu Vorstellungen hätten, die tatsächlich, wenn sie nicht nur für den Tag gedacht sind, nicht nur aus - ich will das nicht herabsetzend meinen - taktischen Erwägungen, sozusagen als ein Zug gedacht sind, der im Moment gemacht werden müßte, sondern als ein Ausdruck wirklicher konsequenter Bemühungen, - nun, dann wäre das ja gut.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung zur ersten Lesung dieser Verträge gesagt, es sei „für den Westen nicht zumutbar, daß ein Sicherheitssystem auf der Grundlage des Status quo zustande kommt und dabei der gegenwärtige völlig untragbare Zustand der Teilung Deutschlands sanktioniert wird. In Anbetracht unserer besonderen Verantwortung und Verpflichtung, die Teilung Deutschlands zu überwinden, habe ich unsere Auffassung über den Zusammenhang zwischen der Sicherheitsfrage und der Wiedervereinigung den Alliierten frühzeitig mitgeteilt." Es ist vielleicht nicht unbescheiden, bei solcher Gelegenheit zu sagen: hier wäre wohl mindestens Anlaß, daß wir
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uns im Parlament in den zuständigen Ausschüssen über die Grundgedanken solcher Vorschläge und Auffassungen unterhielten, unsere Meinungen austauschten und uns auseinandersetzten.
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Herr Kiesinger hat heute hier gesagt, jetzt könnte man nicht auf Verhandlungen mit der vierten Besatzungsmacht eingehen, weil dann und dadurch - ich zitiere ohne das Stenogramm, aber ich glaube, es ist sinngemäß so richtig - das Sicherheitssystem des Westens aufgelöst würde. Das ist sicher ein Gesichtspunkt. Nur: Glauben Sie nicht, daß ein wesentlicher Gesichtspunkt, den Sie auch nicht einfach in den Wind schlagen können und dürfen, der ist, ,daß es ja eigentlich nicht darum geht, etwas aufzulösen, sondern darum, wenn es geht, bei solchen Verhandlungen etwas miteinander in Einklang zu bringen, vielleicht sogar miteinander zu verzahnen?
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Das ist ja keine sehr originelle Idee von mir. In einer Form, in der ich leider manches sehr Anfechtbare fand, hat sie der vorige französische Ministerpräsident mit sozusagen öffentlicher Zustimmung und mit Beifall unseres Herrn Bundeskanzlers einmal zum Ausdruck gebracht, da allerdings mit der Schlagseite: Erst der eine Block, dann der andere Block. Ja; aber wenn die Tendenz zur Entspannung, wie ich an den Bemühungen um eine friedliche Regelung in den fernöstlichen Konflikten glaube feststellen zu dürfen, noch nicht ausgestorben ist, sondern in den Regierungen der großen Länder immer wieder Antrieb ist - wofür auch trotz mancher Wetterumschläge der letzten Zeit noch vieles spricht -, ,dann müssen wir doch mit unserem deutschen Anliegen der Einbeziehung Deutschlands in eine solche europäische Sicherheitsregelung im Rahmen der Vereinten Nationen ankommen. Und nur wir können es. Für die anderen ist es nicht unbequem, eine geraume Zeit Block neben Block zu haben und auf eine spätere Vereinbarung zu vertrauen, mit uns als einziger Nation, ,die den schrecklichen Vorzug hätte, gleichzeitig, wenn auch geteilt, beiden Blöcken angehören zu müssen.
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Unsere Frage ist immer wieder: Warum nicht sogleich auf diplomatischem Wege Viermächteverhandlungen einleiten? Das ist schwierig genug, kompliziert genug und bedarf seiner Zeit. Und man muß dabei von vornherein wissen, ob man das, was mit den Pariser Verträgen und besonders mit den militärischen Folgerungen für die Bundesrepublik ins Werk gesetzt werden soll, bei solchen Verhandlungen als Selbstzweck und als unaushandelbar und unabdingbar betrachten wird, von dem man nicht abgeht, oder ob man bereit sein könnte, es zugunsten einer Regelung aufzugeben, der alle vier und auch wir als fünfte zustimmen könnten, sowohl im Hinblick auf die damit gewonnene Einheit unseres Staates als auch im Hinblick auf die damit gewonnene Sicherheit. Beides gehört zweifellos und untrennbar zusammen. Man kann nicht das eine ohne das andere oder das eine gegen das andere. Sicher würde an die Stelle der in den Verträgen vorgesehenen Regelung - der westdeutschen Aufrüstung und der damit verbundenen automatischen, unwiderruflichen Eingliederung des anderen Teils unseres Vaterlandes in den anderen Block - eine von den vier und von uns annehmbare Regelung treten müssen. Ich glaube, daß das etwas ist, was versucht werden muß, dessen Möglichkeiten aufindig gemacht und geprüft werden müssen im Lichte der Erklärungen, die man nicht lediglich als propagandistische Erklärungen abtun und von denen man sich so nicht abwenden sollte.
Meine Damen und Herren, ich habe zum Schluß den Antrag Umdruck 293 meiner Fraktion kurz zu begründen, der vorschlägt:
Der Bundestag wolle beschließen:
In Art. 4
- des Ratifikationsgesetzes, Drucksache 1061 wird der bisherige Wortlaut
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
gestrichen und ersetzt durch folgende neue Fassung:
Artikel 4
Dieses Gesetz tritt in Kraft eine Woche nach einem Beschluß des Bundestages, durch den der Bundestag feststellt, daß erneute Verhandlungen zwischen den Besatzungsmächten mit dem Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ergebnislos geblieben sind. Ein solcher Beschluß und der Tag des Inkrafttretens sind im Bundesgesetzblatt bekanntzumachen.
Wir wollen mit diesem Änderungsantrag zu dem einschlägigen Ratifikationsgesetz Ihnen Gelegenheit geben, den Erwägungen, die wir in diesem Zusammenhang vorzutragen und Ihnen verständlich zu machen versucht haben, Raum zu geben: erst Verhandlungen und dann, wenn es unumgänglich wäre, das andere; aber erst verhandeln und ernsthaft prüfen und nicht glauben, man könnte sich davon selbst lossprechen!
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Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Euler ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wehner hat eingangs seiner Ausführungen dargelegt, erst durch die Verträge werde Deutschland in zwei Blöcke aufgeteilt, die DDR würde auf Grund der Westverträge endgültig in den Ostblock eingefügt, und es würde dann aus der Zonengrenze eine Staatsgrenze. Die Weltfremdheit dieser Darlegungen ist wirklich staunenerregend; denn die DDR ist in den Ostblock eingefügt, seitdem bedauerlicherweise die Sowjetunion als Besatzungsmacht ihren Fuß nach Mitteldeutschland setzen konnte. Sie hat seit der Zeit systematisch und unaufhörlich die Sowjetisierung betrieben; sie hat die gesamten Lebensverhältnisse, die gesamten Wirtschafts- und Sozialverhältnisse auf den Kopf gestellt. Sie hat eine staatliche Existenz mit Hilfe von politisch abhängigen Subjekten - „Politikern" kann man da nicht sagen - ins Leben gerufen. Diese DDR wird in den Ostblock eingefügt werden, wenn nicht vom Westen aus Tatsachen geschaffen werden, die die Sowjetunion nötigen, bestimmte Spekulationen aufzugeben, die sie jetzt wie all die Jahre hindurch mit dieser „Deutschen Demokratischen Republik" in ihrem Besatzungsbereich verbindet. Wenn es so wäre, daß die Verträge erst eine Situation schüfen, in der über die deutsche Einheit nicht erfolgreich verhandelt werden könnte, dann ist ja die Frage
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unbeantwortbar, was wohl die Sowjetunion gehindert haben mag, unseren Deutschen in Mitteldeutschland die Lebensverhältnisse und die Verhältnisse politischer Selbstbestimmung zu geben, die ihnen gebührten. Die Sowjetunion war nicht daran gehindert, in Mitteldeutschland Verhältnisse und bezüglich der staatlichen Entwicklung ganz Deutschlands Zuständen Raum zu schaffen, die für uns die Erwägung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft oder einer Westeuropa-Union und den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO überhaupt entbehrlich gemacht hätten. Alles, was von hier aus geschehen ist, ja, eigentlich nicht geschehen, sondern im Bereich der westlichen Welt aus dem Stadium der Diskussion bisher noch nicht herausgekommen ist, ist nur schmerzhaft im Zustande der Notwehr entwickelt worden, die uns durch das, was in der sowjetischen Welt vorging, auferlegt wurde. Das, was uns durch diese Verhältnisse auferlegt wurde, fühlen wir als eine sehr tragische, schwere Belastung nicht nur für unser ganzes Volk, sondern für alle europäischen Völker.
Wenn man die Entwicklung der letzten beiden Jahre ins Auge faßt - einer Verspätung der Verträge, die dadurch entstanden ist, daß die EVG in Frankreich erst verzögert und dann durch die Entscheidung der französischen Kammer zu Fall gebracht wurde -, wenn man diese zwei Jahre ständiger Verzögerungen betrachtet, dann muß man doch sagen, daß überhaupt erst mit den Westverträgen die Position für aussichtsreiche Verhandlungen über die Wiederherstellung der deutschen Einheit geschaffen wird. Wir alle haben doch die Verspätung zu bedauern, die durch die Entwicklung in Frankreich eingetreten ist. Wäre diese Verzögerung nicht eingetreten, wäre die EVG seit zwei Jahren wirksam, wären inzwischen deutsche Divisionen entstanden, dann, glaube ich, wären wir heute bereits in einem anderen Stadium der Wiedervereinigung als dem, das wir im Augenblick vor uns haben.
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Eine Einsicht ist doch schlechterdings unabweisbar, wenn man nicht gegenüber der Wirklichkeit bewußt die Augen verschließen will: Solange die Verträge nicht perfekt sind, hat die Sowjetunion allen Anlaß, sich auf eine Politik der Verhinderung der Verträge zu beschränken. Sie kann sich während dieser Zeit auf eine rein negative Zwecksetzung einstellen. Diese rein negative Verhinderungspolitik hat von ihrem machtpolitischen Standpunkt aus einen guten Sinn. Sie wird den Sowjets von ihrer Spekulation auf eine deutsche Einheit nach östlicher Art eingegeben. Wir haben doch heute ein Ringen um zwei Formen der deutschen Einheit: entweder ein Deutschland, das in seiner Totalität frei ist, oder aber ein Deutschland, das in seiner Totalität auch hier im Westen so unfrei ist, wie es heute nur in Mitteldeutschland der Fall ist.
Ganz Deutschland - das ist die sowjetische Vorstellung - ein Deutschland nach der Art der sogenannten friedlichen demokratischen DDR! Daß dies die sowjetische Konzeption ist, hat sich doch auf der Berliner Konferenz klipp und klar ergeben. Dort hat die Sowjetunion ein Konzept der Neutralisierung Deutschlands entwickelt, das nur darauf angelegt ist, ganz Deutschland in einen machtfreien, ständig dem sowjetischen Zugriff ausgesetzten Raum zu verwandeln. Neutralisierung durch Neutralitätsgarantien, einen Grenzschutz, der in Wahrheit gar nicht als den Verteidigungsaufgaben gewachsene Truppe bezeichnet werden kann, dazu eine Kontrolle durch die Garantiemächte unter ständiger Teilnahme der Sowjetunion als ausübender Kontrollmacht, das wäre nichts anderes als ein Deutschland, das, nachdem die Besatzungstruppen abgezogen sind, in seiner Gänze jeder sowjetischen Einmischung ständig offenläge.
Haben die Sowjets diese ihre Konzeption von damals fallengelassen? Es spricht nicht das mindeste dafür. Aus dem Notenwechsel, der nach der Berliner Konferenz das ganze Jahr 1954 hindurch angedauert hat, ergibt sich nicht der mindeste Anhaltspunkt dafür, daß die Sowjets bisher gesonnen wären, von ihrem Konzept der Neutralisierung Deutschlands auch nur im mindesten abzuweichen. Sie haben inzwischen den Gedanken des kollektiven Sicherheitssystems in den Vordergrund gestellt, aber sie wollen dieses kollektive Sicherheitssystem so ausgestaltet sehen, daß gerade die Sicherheit der Bedrohten gegen den einen, durch den die Sicherheit bedroht ist, absolut nicht gewährleistet ist.
Wenn ein vernünftiges Wort dazu gesagt worden ist, dann ist es die Erklärung, die in der letzten Note der Westmächte vom 30. November 1954 enthalten ist: Die Sicherheit aller würde nach dieser sowjetischen Vorstellung nicht im geringsten gesteigert werden, wenn man die Westverträge durch eine neue Organisation ersetzt, die die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bestehen ließe und lediglich zur Errichtung einer irreführenden Fassade führt. Darin haben die Sowjets allerdings eine sehr entwickelte Fähigkeit, überall um die Errichtung täuschender Fassaden bemüht zu sein. So errichten sie die Fassaden demokratischer Staaten, die totalitäre Staaten sind; so errichten sie die Fassaden von Systemen kollektiver Sicherheit, - wehe dem, der darauf hereinfällt, wehe dem, der die Tücken dieser Einrichtungen, die ihnen von vornherein nach dem, was ihre Urheber beabsichtigen, gewiß sein sollen, nicht sieht.
Gibt nun die Moskauer Erklärung vom 15. Januar, mit der sich Herr Wehner hier sehr ausführlich beschäftigt hat, irgendeinen Anhaltspunkt dafür, daß die Sowjets einem neuen internationalen Status Deutschlands zuzustimmen bereit wären, daß sie in irgendeiner Hinsicht bereit wären, abzuweichen von dem Konzept der Neutralisierung Deutschlands, das sie auf der Berliner Konferenz entwickelt haben? Auch das ist nicht im mindesten zu sagen. Ich bedaure außerordentlich, daß durch den Auslegungsstreit über die Moskauer Erklärung die Aufmerksamkeit hinsichtlich des Inhalts dieser Erklärung in eine ganz falsche Richtung gelenkt worden ist. Man hat nämlich die Andeutung, die in dieser Erklärung über freie Wahlen unter internationaler Kontrolle enthalten ist, in 'den Vordergrund gestellt. Das ist aber gar nicht das Wesentliche, wenn man die Erklärung unter dem Gesichtspunkt liest, ob denn durch diese Erklärung eine Chance für erfolgreiche Verhandlungen gegeben wurde. Zu dem Hauptproblem haben sich die Sowjets überhaupt ausgeschwiegen, nämlich zu dem internationalen Status, den nach ihrer Meinung das neue Gesamtdeutschland haben soll. Es heißt zu diesem wichtigsten Punkt in der Moskauer Erklärung vom 15. Januar: „Der Friedensvertrag würde einem einheitlichen Deutschland auch das Recht geben, über eigene nationale Streitkräfte zu verfügen, die für die Gewährleistung der Sicherheit Deutschlands und seiner Grenzen notwendig sind." Dieser Wortlaut macht geradezu die Erklärung
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zwingend, daß die Sowjets hinsichtlich des internationalen Status Deutschlands noch am 15. Januar dieses Jahres an den Vorstellungen festhielten, die sie im Januar des letzten Jahres auf der Berliner Konferenz ausführlich entwickelt haben. Das ist der Zustand der absolut wehrlosen Neutralisierung, das ist der Zustand der Angewiesenheit Deutschlands auf eine kleine Schutztruppe, die kaum anders als „Grenzschutz" bezeichnet werden kann; das ist letzten Endes der Zustand des völligen Ausgeliefertseins gegenüber den von Osten drohenden Gefahren.
Kein Wort also des Nachgeben in dem entscheidenden Punkt, aus dem geschlossen werden könnte, daß die Sowjets nun bereit wären, einem Gesamtdeutschland einen anderen Status zu geben, als er auf der Berliner Konferenz von ihnen entwickelt worden ist. Und das ist für uns das Entscheidende, nicht aber Wortklaubereien und Silbenstechereien über Programme, die mit ein paar undeutlichen Andeutungen in dieser Erklärung ausgesprochen sein sollen.
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Das eine müssen wir uns doch gegenüber den Sowjets immer wieder vorhalten: daß Worte in öffentlichen Erklärungen und in Noten zumindest ebensosehr der Verhüllung wie der Offenbarung ihrer Absichten dienen, wenn nicht Worte bei ihnen überhaupt den Zweck haben, den Sinn dessen, was sie verfolgen, völlig zu verhüllen.
Die sowjetische Spekulation bei dem Kampf gegen die Verträge ist letzten Endes darauf gerichtet, Westeuropa infolge der früher oder später - wie sie meinen - eintretenden amerikanischen Enttäuschung über die Entwicklung in Europa völlig hilflos zu machen. Sie wollen darüber hinaus den Schrebergartenzustand, den Zustand nationalstaatlicher Absperrung aufrechterhalten. Sie wollen den Zustand Europas aufrechterhalten, aus dem jederzeit neue Schwierigkeiten besonderer Art hervorgehen können, die dann zur Folge hätten, daß ganz Westeuropa einschließlich des westlichen Deutschland früher oder später dem Machtbereich der Sowjets anheimfallen könnte. Und wenn es ihnen gelänge, Westeuropa in diesen Zustand der Entblößtheit vom amerikanischen Schutz hineinzubringen - durch eine gerade aus Enttäuschung von der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten erzwungene Umorientierung der bisherigen Außenpolitik -, dann dürfen wir überzeugt sein, daß ein neuer „Test Berlin" oder ein neuer „Test Korea" innerhalb des deutschen Bereichs nicht lange auf sich warten lassen würde. Starlinger schreibt in seinem Buch „Grenzen der Sowjetmacht" auf Seite 112:
Als „Testobjekte" wurden allgemein einerseits die Situation um Berlin, anderseits der Koreanische Krieg angesehen. In beiden Fällen handelte es sich um eine höchst bewußte Provokation der Entschluß- wie Handlungsfähigkeit der beiden großen angelsächsischen Mächte. Hätte Amerika vor allem im Falle Korea nur etwas gezaudert, wäre England nicht mitgegangen, so hätte man nicht nur Korea in wenigen Wochen überrollt . .., sondern wahrscheinlich unter gleichen Voraussetzungen wenige Zeit später den „Test Berlin" wiederholt und im gelungenen Falle bald darauf dasselbe am Kieler Kanal und vielleicht sogar an den Dardanellen versucht. Auf den allgemeinen Krieg hätte man es im Falle eines unerwartet starken Widerstandes ja nicht ankommen lassen müssen, denn das damalige Manövriervermögen des Stalinschen Apparates war groß genug, um augenblicklich vor der Drohung zur allgemeinen Kriegsausweitung zurückweichen zu können
Daß USA blitzschnell handelte und England mitriß, hat damals das Abendland vor unabsehbaren Folgen, vielleicht sogar die „Freie Welt" überhaupt gerettet, in Rußland aber tiefsten Eindruck erzielt.
Mit einem solchen neuen „Test Korea" oder „Berlin" hätten wir zu rechnen von der Stunde an, wo Europa der Schutzlosigkeit preisgegeben wäre, wenn nicht inzwischen vor Abzug der amerikanischen und auch englischen Truppen ein hinreichend starkes Verteidigungsinstrument aus europäischer Kraft geschaffen wäre.
Nun, das Ausschlaggebende scheint uns zu sein, daß man für die Bemühungen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit überhaupt keine Plattform hat, wenn nicht zuvor die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleistet ist und gewährleistet bleibt,
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und dies auf eine Weise, daß die Sowjets in Zukunft unter keinen Umständen mit dem Erfolg irgendwelcher aggressiver Aktionen in Europa rechnen können. Das ist die Voraussetzung für eine Politik der Selbstbeschränkung, die sie im Augenblick jedenfalls noch nicht haben einschlagen wollen.
Wenn man sich bewußt ist, wie sehr die sowjetische Staatsführung alle wesentlichen Situationen taktisch sieht, ohne sich dabei von den großen Zielen der sowjetischen Politik ablenken zu lassen, dann kann man ein neues interessantes Zeugnis hierfür in dem Interview finden, das Chruschtschow dem amerikanischen Verleger Randolph Hearst gegeben hat. Dort hat nämlich Chruschtschow recht zynisch gesagt:
Fragt man, wie lange die Koexistenz dauern kann, so muß man sagen, daß dies von den historischen Bedingungen, von der historischen Entwicklung abhängt.
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Wer das nicht als Warnung versteht, dem ist nicht zu helfen;
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der muß anscheinend erst das Übelste erleiden, ehe er hinsichtlich der sowjetischen Wirklichkeit die Nachdenklichkeit erwirbt, die wir dem deutschen Volk erhalten wollen, ehe es ein Unglück gibt.
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Wir finden es sehr wenig tröstlich, Risiken einzugehen, die nur dazu führen könnten, daß die 50 Millionen Deutsche hier ihre Freiheit verlieren, statt daß sie die 20 Millionen Deutsche in Mitteldeutschland gewinnen. Und niemand weiß das besser als die Menschen in Mitteldeutschland. Jetzt bei dem Zusammentreffen so vieler Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone während der Grünen Woche in Berlin hat man feststellen können, in welcher ganz außerordentlichen Einmütigkeit die ganz überwältigende Masse der mitteldeutschen Bevölkerung, soweit sie nicht in einer kleinen Minderheit zu den Trägern des SED-Regimes gehört, davon überzeugt ist, daß nur eine solche realistische Politik eine
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deutsche Einheit erreicht, die wirklich eine Einheit in Freiheit sein wird.
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Gerade die Erinnerung an den 17. Juni und die Entwicklung, die in Mitteldeutschland seit der Zeit eingetreten ist, zeigt uns, wie sehr man auf der Hut zu sein hat gegenüber romantischen Vorstellungen, die die Verwirklichung der deutschen Einheit auf eine so leichte Weise zu erreichen suchen, daß man wirklich von Realitätswidrigkeit sprechen muß. Wir wünschten, die Verwirklichung der deutschen Einheit wäre leichter, als sie in der Tat mit Rücksicht auf die Tatsache ist, daß nun einmal die Sowjets mit ihrer militärischen Macht das politische System des Kommunismus in der sowjetischen Zone gegen den Unmut der Bevölkerung abschirmen und so lange abschirmen werden, als wir hier nicht die Mittel finden, um auf die sowjetische Politik einen heilsamen Einfluß auszuüben, d. h. den Einfluß in Richtung auf eine Selbstbeschränkung unter Abstandnahme von überspitzten Zielen, die die Sowjetunion einstweilen noch anstrebt.
Wenn im Augenblick noch von einem mangelnden Entgegenkommen der Sowjetunion gesprochen werden muß, dann hat das gewiß nicht nur außenpolitische Gründe. Das hat nicht nur Gründe, die im Charakter der sowjetischen Machthaber und des sowjetischen Machtsystems liegen; es hat nicht nur Gründe, die mit der besonderen Sturheit des leninistischen Marxismus und des aus ihm entwickelten Machtsystems zusammenhängen. Es kommt noch eine ganz bestimmte innerrussische Situation hinzu, und diese innerrussische Situation ist die der fortdauernden Diadochenkämpfe in der Nachfolge Stalins. Es wurde hier bereits weithin unterschätzt, wie sehr tatsächlich diese Auseinandersetzung noch im Gange ist. Viele glaubten bereits nach dem Falle Berijas, nun seien die Auseinandersetzungen abgeschlossen. Der Fall Malenkows hat gezeigt, daß das Gerede von dem „Führerkollektiv" nichts anderes ist als eine Fassade, hinter der sich ein nach wie vor äußerst brutaler Machtkampf der leitenden Cliquen verbirgt. Das ist nun einmal eine totalitäre Wirklichkeit, über die man sich doch keinerlei Selbsttäuschungen hingeben kann. Keine der konkurrierenden Machtgruppen kann es sich während der Dauer dieses Machtkampfes leisten, durch entscheidende Zugeständnisse, die auf die Preisgabe wichtiger sowjetischer Positionen hinauslaufen, das eigene Ansehen im Machtapparat zu schwächen.
Es kommt ein weiterer Grund hinzu, eine Überlegung, die ebenfalls Starlinger mit großer Über zeugungskraft einführt, daß nämlich, solange die verschiedenen Machtgruppen um die Macht ringen, jede zwar Friedensbringer sein will, aber die Mittel, mit denen der Friede gebracht wird, nicht vorzeitig verausgaben will, sondern erst dann, wenn inzwischen der Machtkampf entschieden ist, d. h. wenn die Mittel des Nachgebens, durch die der Frieden gebracht wird, nicht mehr allen Machtgruppen zugute kommen können, sondern der einen, die damit, daß sie den Frieden bringt, ihre Legitimität begründen will. Starlinger schreibt auf Seite 97/98 seines Buches über die Grenzen der sowjetischen Macht:
Das ganze russische Volk - wie jedes Volk will wirklich den Frieden, es ersehnt ihn aus
dem ganzen Herzen und wird bereitwillig dem
als kommendem Sieger folgen, der ihm den wirklichen Frieden mit Ruhe, Sicherheit und wachsender Freiheit bringt. Hier begegnen sich der heiße Wunsch der Massen und der kalt rechnende Wille rivalisierender Machtgruppen. Denn auch diese, sowohl innerhalb der Partei wie innerhalb der Armee, wünschen einen garantierten Frieden, weil sie ihn auf die Dauer brauchen. Andererseits will jede dieser Machtgruppen selbst der Friedensbringer gegenüber den Massen sein, und zwar der alleinige, ohne diesen großen Anspruch und seine hilfreiche Nutzung mit jemand anderem zu teilen.
Um diesen kommenden Frieden in einem neuen Konzert der großen Mächte zu erlangen, d. h. mit einem hierzu bereiten Amerika und von diesem geführten Europa einmal zu akkordieren, muß man Pfänder geben. Das weiß jeder denkende Russe, das weiß um so mehr die Partei und nicht weniger die Armee, und alle sind hierzu willens, wenn sie auch heute noch so streng und hart das Gegenteil beteuern. Sie müssen dieses tun, weil keine Machtgruppe heute Pfänder abgeben will, deren Abgabe ihr nicht allein zugute kommt, die sie selbst und allein morgen zu nutzen hofft, um über den von ihr manipulierten Ausgleich den eigenen Führungsanspruch in den eigenen Massen legitim zu verankern. Auch dieses war ein Grund, warum Berlin
- die Berliner Konferenz scheitern mußte, bevor es noch begonnen hatte, und ist ein Grund für den Westen, mit allen Annäherungsversuchen zu warten, bis die Zeit reif geworden ist, weil Moskau hierfür erst reif werden wird.
Diese Ausführungen wurden von dem Verfasser geschrieben, ehe durch die Abhalfterung Malenkows ein neues Stadium in der innerrussischen Machtauseinandersetzung zwischen den Diadochen erreicht wurde, und gerade die letzten Vorgänge um Malenkow unterstreichen nur um so mehr die Beachtlichkeit der Gedanken, die er in diesem Zusammenhang entwickelt hat.
Nun erregt es hier mit Recht ernste Bedenken, daß die Sowjets ihre Ankündigung ausgesprochen haben, nicht mehr zu verhandeln, wenn die Westverträge ratifiziert worden seien. Wir verlassen uns durchaus nicht darauf, daß die Sowjets in diesem Punkte Realisten sind, wie Herr Kollege Wehner geäußert hat. Aber es handelt sich doch um ganz einfache, leicht nachprüfbare Erwägungen, die jedem kritischen Bedenken stichhalten, und aus ihnen heraus muß man zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen kommen. Die Sowjets wissen, daß die Durchführung der Verträge, wenn sie erst einmal durch Ratifikation wirksam geworden sind, mindestens zwei bis drei Jahre dauert. Während dieser zwei bis drei Jahre ist ihr Interesse an der Nichtdurchführung der Verträge mindestens ebenso stark, wie es jetzt an der Nichtratifikation, an dem Nichtzustandekommen der Verträge ist. Sie wissen außerdem, daß nach diesen Verträgen Gesamtdeutschland in seinen außenpolitischen Entschlüssen mit allen seinen Organen frei ist, wenn durch ihre, die sowjetische Mitwirkung ein befriedigender neuer Status für das gesamte Deutschland, für den neuen einheitlichen gesamtdeutschen Staat geschaffen wird. Sie wissen, die Verträge binden die zu({11})
künftigen gesamtdeutschen Institutionen nicht. Es liegt also nur bei ihnen, beizeiten einen befriedigenden Status zuzuerkennen, durch den die Möglichkeit einer Einigung über ein Gesamtdeutschland eingeleitet wird, das dann von den Sowjets ebensowenig belastend empfunden würde wie von der westlichen Welt wie schließlich vom deutschen Volke selbst. Aus diesen Gründen muß man sagen, daß es sich bei dieser Ankündigung der Sowjets, nach Zustandekommen der Verträge gebe es keine Verhandlungsmöglichkeit mehr, um nichts anderes handelt als um eine leere Drohung, eines der vielen Mittel, das die Sowjets schon angewandt haben und weiterhin anwenden werden, um das Zustandekommen der ihnen unliebsamen Verträge zu verhindern.
Ferner kann man doch nicht bestreiten, daß die Sowjetunion den Defensivcharakter des Westunionvertrages und der NATO in keiner Weise verkennen kann. Insbesondere was den Westunionvertrag anlangt, so enthält er eine nicht übersehbare Rüstungsbeschränkung auf der Grundlage von Divisionen der verschiedenen beteiligten Länder, die nach ihm im Gegensatz zum NATO-Vertrag Maximalbegrenzungen darstellen. Die Sowjets wissen außerdem, wie sehr diese in den Verträgen liegenden Rüstungsbeschränkungen effektiv gemacht werden durch die tatsächlich zwischen den europäischen Völkern im Zustand der Freiheit bestehende Eifersucht. Zum letzten wissen sie, daß in den Demokratien die öffentliche Meinung eine ganz andere Macht ist, als das in einem totalitären Staat der Fall ist, und daß es sich heute keine demokratische Regierung leisten kann, aus einem defensiven Vertragsinstrument einen Vertrag mit offensiver Wirkung zu machen. All das können die Sowjets in keiner Weise verkennen.
So ist auch das eine zu sagen - und das wissen die Sowjets ebenfalls -, daß in ihrem Machtbereich allerdings ein Defensivinstrument wie die Westeuropa-Union mit zuverlässigen Rüstungsbeschränkungen leider überhaupt nicht möglich ist, und das sollte ein weiterer Anlaß unserer Sorge sein. Wir wissen doch, wie es im sowjetischen Machtbereich Europas ist. Da legt die sowjetische Zentrale im Kreml einfach allen Satellitenstaaten ihr Soll auf, und alle diese Satellitenstaaten mit ihrem überspannten Rüstungssoll stehen unter dem Kommando sowjetischer Marschälle, sowjetischer Generäle, und die führenden Politiker wie die Parteiapparate sind nichts anderes als Marionetten in der Hand Moskaus. Dort gibt es überhaupt keine Verträge, die der freien Welt die Gewähr der Rüstungsbeschränkung und die Gewähr einer Beschränkung auf Verteidigungszweck geben. Und demgemäß ist ja auch die entscheidende Tatsache in Europa, daß, während hier noch über deutsche Divisionen diskutiert wird, jetzt seit fünf Jahren in Mitteldeutschland 150 000 Mann gut ausgerüsteter Truppen stehen und daß im sowjetischen Machtbereich Europas insgesamt an die 70 Satellitendivisionen stehen; das alles im Zeichen einer Politik, die nur um „Frieden" bemüht ist, aber dann jedesmal Krieg und Imperialismus ruft, wenn die durch diese Politik Bedrohten auch nur daran denken, ein äußerstes Mindestmaß von Selbstschutz zu verwirklichen.
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Und wenn das auch noch von einer demokratischen
Opposition in einem demokratischen Land verkannt
wird, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann man nur mit Bedauern feststellen, daß der Wille zum Selbstbetrug ganz außerordentlich weit gediehen ist,
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in einem Maße gediehen ist, daß man sagen muß, die Lebensinstinkte und die Selbstschutzinstinkte scheinen da bereits ernsthaften Schaden gelitten zu haben.
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- Meine Partei ist völlig eindeutig in der Beurteilung dieser Momente, und Sie werden sich an Hand der Abstimmungsliste überzeugen können, Herr Kollege Mellies, in wie starkem Maße diese Beurteilung bei uns zu Hause ist. Jedenfalls betrachten wir es als eine unserer Haupaufgaben, alles daranzusetzen, daß das deutsche Volk nicht den von Ihnen in die Welt gesetzten Selbsttäuschungen erliegt.
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Darin sehen wir eine wirkliche, nicht nur nationale, sondern europäische Aufgabe, wenn es darum geht, zu verhindern, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß Sie hier eines Tages in die Gefahr kommen, dieselbe Inkonsequenz der Haltung zu entwickeln, die die 30 ehemaligen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten entwickelt haben, die dann in den Jahren nach 1945 die SED mit gegründet haben und heute Reden halten wie Herr Grotewohl.
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Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koexistenz auf dem Boden der Teilung kann von uns überhaupt nur mit Hilfe der westlichen Welt verhindert werden. Würden wir den Verteidigungsbemühungen der westlichen Welt nicht unsere Unterstützung geben, würden wir uns nicht in sie einspannen, dann wäre die Gefahr allerdings sehr groß, daß die westliche Welt früher oder später Koexistenzgedanken gerade auf der Grundlage der Aufrechterhaltung der deutschen Teilung verfallen würde. Wir haben heute, Gott sei Dank, einen Zustand, der uns mit Genugtuung erkennen läßt, daß in der gesamten westlichen Welt, vor allen Dingen bei den führenden demokratischen Völkern Europas, doch das Bewußtsein lebendig ist, wie sehr die bestehende deutsche Spaltung ein Moment der Gefährdung Europas bedeutet. Nur aus diesem Bewußtsein ist die Resolution hervorgegangen, die der Europarat am 10. Dezember 1954 gefaßt hat und der außer zwei einzelnen Abgeordneten nur noch die deutschen Sozialdemokraten widersprachen. In dieser Resolution des Europarates wird gesagt, daß erst die Pariser Verträge den westlichen Mächten den erforderlichen Zusammenhalt geben, um in den Beziehungen mit der Sowjetunion eine friedliche Lösung für die Probleme der europäischen Sicherheit, in erster Linie der deutschen Wiedervereinigung und eines Staatsvertrages mit Österreich zu suchen. Das heißt, es ist hier der richtige Gedanke ausgesprochen, daß das Problem der deutschen Wiedervereinigung das erstrangige Problem der europäischen Sicherheit ist und daß gerade um der europäischen
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Sicherheit willen im Zeichen der Verträge alles getan werden muß, um die deutsche Einheit zu verwirklichen.
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Ich glaube, wir können uns über diesen Stand der Erkenntnis deutscher Verhältnisse und Zustände in Europa nur freuen, und wir können den Stand dieser Erkenntnis nur weiter fördern, wenn wir auf der Grundlage der Verträge als Gleichberechtigte in dieser Gemeinschaft mitwirken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegt weiter ganz im Sinne der politischen Absichten der freien Demokraten, daß der Europarat in derselben Entschließung dann seiner Hoffnung Ausdruck gegeben hat, daß die Fühlungnahme auf diplomatischem Wege schnell eingeleitet werden sollte, damit diese Beziehungen möglichst schnell nach der Ratifikation zustande kommen, ohne daß die Ausführung der Verträge deshalb verzögert wird. Das ist der richtige Parallelismus. Er sieht wesentlich anders aus als der Parallelismus des Herrn Wehner. Der Parallelismus des Herrn Wehner soll nämlich darauf hinauslaufen,
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daß man am Ende weiterhin auf Jahre hinaus das tut, worüber wir schon Jahre versäumt haben, daß man nämlich immer wieder wartet, ob noch eine Konferenzmöglichkeit gegenüber dem Osten besteht, und dann,
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sobald eine Konferenz gescheitert ist, erneut erklärt: Jetzt müssen wir auf die nächste Konferenz warten.
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Das Ergebnis ist: Der Westen verliert immer mehr Chancen in der Gestaltung der europäischen Wirklichkeit gegenüber dem Osten; denn der wartet ja inzwischen nicht mit seinen Rüstungsbemühungen, der holt ja inzwischen schon die jungen Deutschen in Mitteldeutschland in die Uniformen, die sowjetische Uniformen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir möchten uns wünschen, daß ,die Regierung alle Aktivität entwickelt, um im besten Einvernehmen mit dem Westen - denn wir wollen uns gegenüber dem Westen nicht in den Eindruck, in die Mißdeutung einer Schaukelpolitik bringen - alle Chancen wahrzunehmen, daß die deutsche Einheit verwirklicht wird, daß letzten Endes gerade der Westen auch dann den Segen von einer deutschen Einheit hat, wenn diese Einheit dazu führt, daß Deutschland dem westlichen Machtsystem nicht so straff eingegliedert ist wie andere Staaten. Nur durch die Verbindung der Ratifikation der Verträge und ihrer beginnenden Ausführung mit den Bemühungen, alle Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber dem Osten auszuschöpfen, können wir über die Garantie zunächst einmal unserer Sicherheit hier in der Bundesrepublik zu dem Ziele kommen, ,die Hoffnung, die für die 20 Millionen Menschen in Mitteldeutschland die Bundesrepublik schon heute ist, in die Gewißheit zu verwandeln, daß auch für sie der Tag der Freiheit wiederkommt. In dem Sinne sage ich in schärfster Antithese zu dem, was die Sozialdemokraten behaupten: durch diese Verträge wird 'die Plattform für
eine. erfolgreiche Bemühung um die deutsche Einheit erst geschaffen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lemmer.
Lemmer ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird nicht einfach sein, bis zum Sonnabend die Zuhörer in diesem Raum bei gespannter Aufmerksamkeit zu halten und die Hörer an den Rundfunkapparaten zu fesseln, einmal, weil schon ein Teil der Energie in Versammlungen und Kundgebungen der vorigen Woche verspeist worden ist, und dann auch deshalb, weil wir ja schließlich über dieses Thema seit dem Jahre 1951 im Deutschen Bundestag diskutieren.
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Es ist eine Leidensgeschichte dieser Verträge und ihrer Ziele, die hinter uns liegt, und wir sind nicht einmal ganz sicher, ob der Deutsche Bundestag nicht unter Umständen über dieses zweite Mal hinaus noch ein drittes Mal in Anspruch genommen werden könnte.
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Wir wissen das in dieser Stunde noch nicht genau. Der Herr Bundeskanzler hat in der zweiten Lesung bis jetzt nicht das Wort ergriffen, weil er wahrscheinlich mein Empfinden teilt, daß man im Grunde schon alles gesagt hat, was in der Auseinandersetzung zwischen der Opposition und den Regierungsparteien gesagt werden mußte. Um nicht leichtfertig allzuviel Wiederholungen auszusprechen - die Gefahr ist ja groß -, möchte ich einmal versuchen, den Kern der Differenz zwischen der Opposition und uns darzustellen und zu fragen, ob er so tief sitzt, daß wir darüber nicht hinwegkommen können.
Unter dem Eindruck der Ausführungen meines Kollegen Wehner hatte ich das Empfinden, es geht im Grunde doch nur noch um eine Frage, um die Frage, ob die Anbahnung von Viermächteverhandlungen vor oder nach der Ratifizierung im Deutschen Bundestag vor sich gehen sollte.
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Die eine Seite ist besorgt, ,daß bei einer vorherigen Ratifizierung diplomatische Möglichkeiten zur Lösung der deutschen Frage verbaut werden könnten. Meine Damen und Herren, wollen wir uns nicht überschätzen! Die Durchführung von Viermächteverhandlungen hängt auch von uns ab, aber nicht von uns allein.
({4})
Ich habe weiterhin den Eindruck, daß die beteiligten Mächte, wenn wir von der Moskauer Propaganda absehen, sich längst darüber im klaren sind - auch die Abstimmung im Deutschen Bundestag enthält keine spannungsvollen Reize mehr für sie -, daß die Anbahnung von Viermächteverhandlungen heranreifen soll und auch heranreifen muß, weil ohne die Lösung der deutschen Frage - das wissen wir auf allen Bänken dieses Hauses - weder unser Volk zur Ruhe kommen kann noch die Welt zum Frieden.
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Ohne die deutsche Wiedervereinigung bleibt ein Kernproblem der internationalen Nachkriegsentwicklung zweifellos ungelöst.
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Nun will die Sozialdemokratie vor dieser Ratifizierung erst noch prüfen; sie will lotsen. Schöner Ausdruck: etwas zu lotsen! Aber lotsen kann man nur dann, wenn man auch auf Grund stößt.
({7})
Auch ich bin ja damit einverstanden; ich halte es für notwendig, daß geprüft werden muß. Aber, meine Damen und Herren, wir können doch nicht auf die Dauer das Gesetz unseres Handelns davon bestimmen lassen, daß wir warten, bis überall gelotst worden ist.
({8})
Wir können dieses auch nach der Ratifizierung fortsetzen, und es werden sich hoffentlich sehr echte Möglichkeiten dazu geben. Ich bin aber nicht der Ansicht, daß diese Versuche, die im Grunde doch nicht neu sind und die doch seit Jahren auf der Tagesordnung der Politik der großen Mächte stehen, erst zu Ende geführt werden müßten, um dann die Frage der Ratifizierung der Verträge in diesem Hause zu 'aktualisieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte.
Herr Abgeordneter, darf ich Ihnen folgende Frage stellen: Verwechseln Sie „lotsen" und „loten" aus Versehen oder mit Absicht? Bei uns im Rheinland hat das Wort „lotsen" noch nebenbei einen besonderen Begriff. Mit Rücksicht auf die vielen Rundfunkhörer darf ich vielleicht darum bitten, daß Sie bei dieser Betrachtung der Dinge das Wort „loten" benutzen.
Nein, ich meine gerade „lotsen".
({0})
Ich denke gerade an die politischen Irrfahrten, die auf stürmischer See unterbleiben sollten, und das verstehe ich darunter.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage?
Bitte.
Herr Kollege Lemmer, ich habe eine Zusatzfrage. Sie meinen also mit diesem „lotsen" tatsächlich den Versuch, ein gefährdetes Schiff durch die Stürme zu bringen? Dann bin ich mit Ihnen einverstanden.
Ich will Ihnen gar nicht widersprechen, weil es so ein schönes Bild ist. Ich habe es mir allerdings anders vorgestellt.
({0})
Weil es hier doch um die eigentliche Auseinandersetzung in diesem Hause geht, darf ich noch einmal darauf hinweisen: Nicht nur von der Opposition wird es befürchtet, Moskau selbst möchte uns aus einer Reihe von Gründen ebenfalls davon überzeugen, daß mit der Ratifizierung der Verträge das Interesse der Sowjetunion an der Wiedervereinigung der Deutschen für absehbare Zeit erledigt
sei. Ich will das nicht mit einer Handbewegung abtun. Dafür steht - das wissen wir - zuviel, nämlich das Schicksal von 18 bis 20 Millionen Deutschen auf dem Spiel, von Deutschen, die keinen sehnlicheren Wunsch haben, als sich mit uns in Freiheit und im Stil unser es politischen Lebens so bald wie möglich zu vereinen.
({1})
Niemand wird aber beweisen können, daß diese sowjetischen Beschwörungen nicht nur taktisch gemeint sind. Es ist doch schwer vorstellbar, daß die Realisten im Kreml im Ernst daran glauben sollten, in der Entwicklung der Völker gebe es einen Stillstand. Vielmehr habe ich den Eindruck, daß sich gerade die Sowjetregierung am wenigsten über die absolute Fragwürdigkeit eines Status quo täuscht, der die Teilung Deutschlands aufrechterhielte.
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Darum meine ich auch, daß die sowjetische Diplomatie beweglich genug sein wird, um auch nach der Ratifizierung der Verträge die Lösung der zentraleuropäischen Probleme nicht aus dem Auge zu verlieren.
({3})
Doch will ich einmal den Einwänden der Opposition in diesem Zusammenhang folgen und annehmen, daß für Moskau die Bewertung seines vermeintlichen oder tatsächlichen Sicherheitskomplexes ausschlaggebend ist. Mir scheint aber, daß Westeuropa aus seiner eigenen Konsolidierung heraus eher in der Lage sein wird, die erforderlichen Zugeständnisse zu machen, als jetzt.
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Zu konkreten Gesprächen dürfte es daher nach der Ratifizierung keineswegs zu spät sein. In der letzten 'sowjetoffiziösen Verlautbarung ist meines Erachtens nicht ohne Grund zum erstenmal dialektisch nebeneinandergesetzt worden die Ratifizierung und die Verwirklichung der Verträge.
Das Anliegen, um das es dabei geht, ist für uns Deutsche und insbesondere für unsere Mitbürger im sowjetischen Bereich allerdings dringlich, und wir müssen hoffen, daß sich die Welt nicht darüber täuscht, daß über die Ratifizierung der Verträge hinaus die deutsche Politik keine Ruhe geben kann, bis dieses Anliegen eines Volkes, wieder in Freiheit und nach eigenem Willen zusammenleben zu können, erfüllt ist.
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Meine Fraktion vertraut darauf, daß es auch das höchste Ziel der Politik der Bundesregierung ist und bleibt und daß sie sich redlich für das Zustandekommen einer Viererkonferenz einsetzen wird, wenn durch unsere Handlung erst die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Die friedliche Wiedervereinigung unseres Landes kann, das wissen wir, nur mit Zustimmung der östlichen Macht erreicht werden. In der Würdigung dieser Realität deutscher Außenpolitik besteht wohl zwischen uns und der Opposition keine Meinungsverschiedenheit.
Verwirrung hat die Formel von einem bündnisfreien Deutschland ausgelöst. Was das eigentlich heißen soll, ist auch in dieser Debatte bisher nicht klargeworden. Auch die Opposition wird gewiß nicht die Verflechtung unseres Landes in der westlichen Tradition, im westlichen Kulturkreis ignorieren wollen. Die Frage darf aber mit dem Hinweis
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auf die großen Veränderungen im weltpolitischen Gefüge durch den zweiten Weltkrieg gestellt werden, wie etwa ein bündnisfreies, also isoliertes, am Rande eines zerrissenen alten Kontinents stehendes Deutschland davor bewahrt werden soll, in den Sog des gewaltigen Ostens zu geraten, wenn der Westen uns oder wir dem Westen den Rücken gekehrt hätten.
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Es gibt also nicht nur ein westliches oder ein östliches, es gibt auch ein deutsches Sicherheitsproblem. Kommt es auf einer Viererkonferenz zu seiner Erörterung, werden unsere Unterhändler in Zukunft dann selber und direkt mitzureden haben. Damit wäre wohl die Gefahr gebannt, daß eine west-östliche Entspannung, und wäre es auch zunächst nicht mehr als ein Stillhalteabkommen, auf dem Rücken unseres Landes, auf der Basis der Macht- und Menschenverteilung nach dem Potsdamer Abkommen erfolgen könnte.
Ich fasse unsere Auffassung also dahingehend zusammen, daß die große Frage der deutschen Wiedervereinigung, die wir nach Lage der Dinge nur über eine Viermächteverständigung erreichen können, durch den Ratifikationsakt in diesem Hause nicht erledigt sein wird, sondern daß mit unserer Entscheidung eine neue Politik um die Wiedervereinigung Deutschlands erst beginnen wird.
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Die Verantwortung, die auf uns liegt, meine Damen und Herren, läßt sich nicht auf ein Schwarz-Weiß-Klischee reduzieren, das den einen zum amerikanischen, den anderen zum kommunistischen Helfershelfer stempeln möchte. Schließlich handelt es sich für uns alle nicht um eine Entscheidung nach den Wünschen dieses oder jenes Weltlagers, sondern um eine Entscheidung für Deutschland. Sie ist voller Problematik; das wissen wir. Sie enthält überdies Imponderabilien, die einen mathematisch schlüssigen Beweis unmöglich machen, ob der Ja- oder der Neinsager recht hat. Darauf beruht es, daß wir unseren Entschluß auch nach unserem Gewissen zu treffen haben, und es liegt auf der Hand, daß ich als einer der Vertreter Berlins in diesem Hause mit besonderer Gewissenhaftigkeit in der persönlichen Kenntnis der Lage in der Sowjetzone und der Lage insbesondere auch Berlins meine Entscheidung getroffen habe.
Was hier über die Spaltung unseres Landes von Herrn Kollegen Wehner gesagt worden ist, das klang so, als ob die Schuld dafür bei uns läge. Lassen Sie mich doch einmal feststellen, daß die Teilung Deutschlands nicht die Folge der Politik der Bundesregierung ist, sondern daß die Politik der Bundesregierung die Folge der bereits in Jalta beschlossenen Teilung Deutschlands ist.
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Wir haben allen Grund, die geschichtlichen Verantwortlichkeiten für diese Ursächlichkeit nicht etwa zu verschieben, sondern sie mit aller Sorgfalt und mit aller Deutlichkeit zu registrieren. Die Bundesrepublik ist ein deutscher Teilstaat. Sie ist nicht Deutschland, aber sie vertritt Deutschland als einziger freier Staat unseres Volkes,
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und in der großen politischen Linie zeichnet sich
doch nur ab, daß dieser deutsche Teilstaat nunmehr in Kürze in voller Gleichberechtigung nach zehn Jahren deutschen Vakuums aus der Rolle des Objekts wieder in die des Subjekts in der internationalen Politik eintreten kann.
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Indem wir dies erreichen: ein deutsches Mitspracherecht auf der Grundlage der Gleichberechtigung, geben wir unseren Brüdern und Schwestern, die heute in Thüringen und Sachsen sicherlich mit manchen Zweifeln und mancher Sorge unserer Debatte folgen, den Trost, daß wir mit dem Wissen um ihr Schicksal den Weg politisch kontinuierlicher Entwicklung für die einzige Möglichkeit ansehen, unserem Volk seine staatliche Einheit zurückzugewinnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger hat heute vormittag gesagt, wir müßten bestrebt sein, zu verhindern, daß die Bundesrepublik und auch ein künftiges Gesamtdeutschland jenes Schicksal erleiden, das der Tschechoslowakei und den Herren Benesch und Masaryk beschieden war. Darin stimmen wir mit Ihnen voll überein, Herr Kollege Kiesinger. Wir hoffen allerdings, Sie sind mit uns der Meinung, daß an dem Schicksal, das die Tschechoslowakei erlitt, gerade Herr Benesch wesentliche Schuld trägt. Herr Benesch ist es gewesen, der während des zweiten Weltkriegs für die Wiedererrichtung seines Staates unter den freien Völkern im Westen warb und, noch während ihm dort Gastfreundschaft und mehr zugestanden wurde, zugleich auch mit Moskau paktierte. Herr Benesch ist es gewesen, der sehr bald nach seiner Rückkehr nach Kaschau und Prag in Verfolg dieser mit Moskau begonnenen Politik die Weichen, möchte ich sagen, selbst so gestellt hat, daß es im Frühjahr 1948 zur restlosen Bolschewisierung der Tschechoslowakei kommen mußte.
({0})
Meine Damen und Herren, gerade wir, die wir die Verhältnisse in diesem Raume sehr wohl kennen und auch die Entwicklung bis 1948 und länger, weil viele von uns, ich selbst auch, bis zu jenem Zeitpunkt in diesem Raum zurückgehalten wurden, legen Wert darauf, gegenüber den freien Völkern des Westens nicht in den Verdacht zu kommen, mit unserer Politik eine ähnliche Rolle spielen zu wollen, wie sie Herr Benesch gespielt hat.
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Das ist ein Grund dafür, warum meine politischen Freunde vom Gesamtdeutschen Block/BHE den Pariser Verträgen, mit Ausnahme des Saarstatuts allerdings, zustimmen werden. Wir tun das aus ehrlicher Überzeugung, wenn auch ohne Begeisterung. Die Zustimmung zu jenen Gesetzen, die vor einem Jahr die EVG sollten Wirklichkeit werden lassen, war für uns leichter als das Ja dieses Mal, weil darin, wenn auch nicht vollendet echter europäischer Geist, so doch mehr europäischen Geistes war als in den nunmehr vorliegenden Verträgen.
Wir geben zu, daß die nunmehr vorliegenden Verträge gegenüber früher manche Verbesserungen enthalten, besonders im Deutschlandvertrag in den
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Artikeln 7 und 10 im Hinblick auf unser Generalanliegen: die deutsche Wiedervereinigung. Aber die Gesamtkonzeption, die aus diesen neuen Verträgen sichtbar wird, ist doch sehr weit von dem entfernt, was wir einst mit dem Begriff „westeuropäische Integration" bezeichneten. Das ist nicht unsere Schuld. Wir waren und sind noch der Auffassung, daß ein allmählich sichtbar werdender echter europäischer Zusammenschluß auch der deutschen Wiedervereinigung förderlich sein würde, einmal weil diese neue politische Ordnung auf unsere Brüder und Schwestern hinter dem Eisernen Vorhang eine gewisse Anziehungskraft ausüben würde und sie gegen die geistig-politischen Unterjochungsversuche ihrer Machthaber weiter immunisieren könnte, zum anderen weil dadurch unser nationales Anliegen auf Wiedervereinigung zu einer zweifelsohne echten europäischen Angelegenheit aufrücken würde. Wahrscheinlich hätten bei einer solchen Sachlage, wenn Westeuropa die Wiedervereinigung als seine Sache vertreten hätte, Verhandlungen mit den Sowjets von vornherein mehr Aussicht auf Erfolg gehabt als Verhandlungen der ehemaligen Siegermächte unter sich, wenn sie über die Erfüllung eines nationalen Anliegens des Besiegten zu Rate sitzen. Je mehr Europa, desto besser für uns und unsere Politik der Wiedervereinigung; je weniger Europa, desto eifriger muß nach neuen Wegen sowohl zur Wiedervereinigung als auch zur europäischen Einigung - trotz aller Rückschläge - gesucht werden.
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Meine Damen und Herren, wir sagen ja zu diesen Pariser Verträgen, weil wir in ihnen, wenn auch nicht den idealen, so doch wenigstens einen bescheidenen Anfang sehen, auf dem wir aufbauen und von dem aus wir weiterbauen wollen. Zugleich mit der Bejahung der Pariser Verträge hat unsere Partei und unsere Bundestagsfraktion ihr Verlangen bekanntgegeben, sofort nach Verabschiedung und Ratifikation der Verträge das Zustandekommen einer neuen Viermächtekonferenz anzustreben, damit wiederum der Versuch unternommen wird, die Wiedervereinigung Deutschlands durch Viermächtevereinbarungen zu verwirklichen. Ich möchte betonen, daß es uns mit diesem Verlangen sehr ernst ist und daß wir auch den Zeitpunkt mit Bedacht vorgeschlagen haben. Wir sind der Meinung, beim Scheitern der Berliner Konferenz im vorigen Jahr hat auch der Umstand eine Rolle gespielt, daß von sowjetischer Seite an eine Einigung mit den drei Westmächten in der Deutschlandfrage nicht ernstlich herangegangen wurde, weil trotz jahrelanger Bemühungen um das Zustandekommen der EVG durchaus nicht feststand, ob die Verteidigungsfront des Westens unter Einbeziehung der Bundesrepublik zustande kommen würde oder nicht. Aus dieser labilen Situation des Westens haben die Sowjets sicherlich den Schluß gezogen, daß sie weiterhin ihr Pfand, die besetzte Zone, behalten können und noch nicht als Preis für irgendeine Regelung auf der Basis beiderseitigen Entgegenkommens herausgeben müssen. Die sowjetisch besetzte Zone ist weiterhin ein in das östliche System durchaus integrierter Bestandteil Deutschlands geblieben, während jener Teil Gesamtdeutschlands, der als einziger den Anspruch erheben kann, sein innerstaatliches Leben nach den Prinzipien der Freiheit, Menschenwürde und Demokratie geordnet zu haben, nach wie vor ohne offizielle Bindung an eine Gemeinschaft der freien
Völker blieb. Die gesteigerte Propaganda von kommunistischer Seite in Westdeutschland, die immer stärker werdenden Infiltrierungsversuche durch alle möglichen Tarnorganisationen beweisen, daß auf Grund dieser Situation der Osten noch immer vermeint, das nicht gebundene Westdeutschland mit diesen Mitteln des Kalten Krieges für sich gewinnen zu können.
Wir halten es deshalb für richtig, daß noch vor der Aufnahme neuer Verhandlungen um die Wiedervereinigung Deutschlands auch in bezug auf die Bundesrepublik klare Verhältnisse geschaffen werden. So bedauerlich auch gerade von uns die Tatsache empfunden wird, daß dann die eine Hälfte Gesamtdeutschlands einem östlichen und die andere Hälfte unseres Vaterlandes einem westlichen Machtblock angehört, so sicher ist doch andererseits, daß Verhandlungen bei Freiheit aller Teile Gesamtdeutschlands von irgendwelchen Bindungen nicht möglich sind, weil die Zone, sicherlich ganz gegen den Willen ihrer Bevölkerung, doch längst Bestandteil des östlichen Machtblocks geworden ist.
Mit der Verabschiedung der Pariser Verträge und ihrer Ratifikation erreichen wir, daß auch die übrigen Unterzeichnerstaaten des Westens die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem grundlegenden Ziel ihrer Politik erklären. Nun, es mag Skeptiker geben, die in diesem Versprechen der westlichen Unterzeichnerstaaten weder etwas Neuartiges noch etwas Besonderes sehen, vor allem dann, wenn sie die bisherigen Versuche des Westens, die Frage der deutschen Wiedervereinigung voranzutreiben, kritisch beleuchten und dabei zu dem Schluß kommen, daß von einem besonderen Ideenreichtum in dieser für uns so wichtigen Frage bislang nur wenig zu bemerken war. Es soll durchaus offen ausgesprochen werden, daß uns die Bemühungen des Westens in dieser Hinsicht bisher nicht befriedigt haben. Wir meinen deshalb an die Bundesregierung den dringenden Appell richten zu müssen, sich in der kommenden Gemeinschaft der Westeuropäischen Union als, wenn ich das so ausdrücken darf, „gesamtdeutscher Hecht im europäischen Karpfenteich" zu betätigen.
Es darf nicht der Anschein erweckt werden, als ob - dem oberflächlichen Betrachter mag das in den letzten Monaten oft so vorgekommen sein - die Initiative in der Frage der deutschen Wiedervereinigung allein den sowjetischen oder den Pankower Machthabern überlassen wäre. Wir verkennen durchaus nicht, wenn wir so etwas sagen, daß die einander folgenden sogenannten Angebote von östlicher Seite zur deutschen Wiedervereinigung lange Zeit von Mal zu Mal schlechter und uridiskutabler wurden. Aber es kann andererseits nicht als aktive Wiedervereinigungspolitik des Westens bezeichnet werden, wenn man sich damit begnügt, auf solche sogenannte Angebote immer nur „nein" zu sagen. Wenn nicht auch von westlicher Seite Angebote und Pläne ausgearbeitet werden, in denen immer wieder offen vor aller Welt unsere begründeten Forderungen ihren Niederschlag finden, dann können wir selber bei unserer deutschen Bevölkerung sehr leicht in den Verdacht geraten, das politische Hauptanliegen Deutschlands nur lendenlahm zu vertreten.
Wir halten es deshalb für erforderlich, daß bald nach der Ratifizierung der Verträge ein eigenes Gremium von maßgeblichen Politikern der Bundesrepublik und der anderen Unterzeichnerstaaten gebildet wird, das sich ausschließlich mit der Frage
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befaßt, auf welche Weise die deutsche Wiedervereinigung vorangetrieben und verwirklicht werden kann.
Die neuen Viererverhandlungen, die wir verlangen, müssen zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem es noch möglich ist, den Vorurteilen der Sowjets entgegenzutreten, wonach ein künftiges Gesamtdeutschland hinsichtlich seiner außenpolitischen und damit auch seiner militärpolitischen Orientierung echte Entscheidungsfreiheit nicht haben werde. Auch wir haben es vor einem Jahr als nicht sehr glücklich empfunden, daß sofort nach der von den Außenministern der Westmächte auf der Berliner Konferenz abgegebenen Erklärung, Gesamtdeutschland würde hinsichtlich der von der Bundesrepublik und der sogenannten DDR geschlossenen Verträge nicht gebunden sein, von westdeutscher Seite in einem Atemzug erklärt wurde, es bestünde aber kein Zweifel daran, daß sich Gesamtdeutschland für den Westen entscheiden wird. Diese Meinung mag hinsichtlich einer ideologischen Entscheidung unseres ganzen, wiedervereinigten Volkes richtig sein. Aber wir sollten uns doch hüten, sie so auszusprechen, daß der Osten nach seinen Auslegungskünsten daraus abzulesen vermag, diese Meinung gelte auch für die künftige Orientierung zu einem bestimmten Militärblock hin. Ganz abgesehen davon, daß mit einer solchen Erklärung die Zustimmung der Westmächte zur Bindungsfreiheit Gesamtdeutschlands in den Augen der Sowjets entwertet wird, scheint es uns durchaus nicht von vornherein festzustehen, ob im Falle der Wiedervereinigung und nach Abschluß eines Friedensvertrages mit einer aus freien Wahlen hervorgegangenen gesamtdeutschen Regierung in der Welt nicht eine solche Entspannung eintreten oder sich zumindest ,abzeichnen würde, daß allmählich wieder an eine andere Politik als die einander gegenüberstehender Macht- und Militärblöcke gedacht werden könnte.
Bei einem Friedensvertrag für Deutschland, für den die unabdingbare Voraussetzung die Wiedervereinigung über wirklich freie Wahlen und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung nach demokratischen Prinzipien ist, handelt es sich nach unseren Vorstellungen nicht etwa um einen Friedensschluß, wie wir ihn in Korea und Indochina erlebten. In Korea und in Indochina wurde mit den sogenannten Friedensschlüssen erst eine Lage ähnlich der deutschen geschaffen, d. h. es wurden Linien gezogen, Völker getrennt, eiserne Vorhänge heruntergelassen. Bei einem Friedensschluß mit Gesamtdeutschland aber würde es sich doch darum handeln müssen, erstmalig eine Trennungslinie zum Verschwinden zu bringen, den Eisernen Vorhang hochgehen zu lassen. Wir messen deshalb den Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Deutschland eine ganz andere Bedeutung bei als jenen sogenannten Friedensschlüssen, die nach 1945 in der Welt zustande kamen. Wenn man auch nicht erwarten kann, daß die Friedensverhandlungen über Deutschland eine Art zweiter Wiener Kongreß sein würden, so kann doch wohl angenommen werden, daß ein solcher Friedensschluß durchaus geeignet sein könnte, die im Kalten Krieg erhärteten Frontlinien zwischen den beiden Machtblöcken auch außerhalb des deutschen Bereichs allmählich aufzutauen.
Während der Berliner Konferenz wurde uns deutlich, daß die Sowjets die Reihenfolge der Maßnahmen für die Wiedervereinigung, wie sie im Deutschen Bundestag verkündet worden war und im sogenannten Eden-Plan ihren Niederschlag fand, umkehren wollten. Die Sowjets wollten an den Beginn der Wiedervereinigungsmaßnahmen nicht freie gesamtdeutsche Wahlen stellen, sondern ein sogenanntes gesamtdeutsches Gremium, paritätisch zusammengesetzt aus Vertretern Bonns und Pankows, mit dem über den Abschluß eines Friedensvertrages verhandelt werden sollte. Das hätte bedeutet, daß Deutschland ein Diktatfriede auferlegt worden wäre, während es der Wille der Westmächte war und ist, mit einer aus gesamtdeutschen Wahlen hervorgegangenen freien deutschen Regierung einen Frieden unter gleichberechtigten Partnern auszuhandeln. Nur auf diese Weise und nach einer solchen Methode kann aller Welt sichtbar werden, nach welchen inneren Gesetzen das deutsche Volk seinen zukünftigen gesamtdeutschen Staat zu ordnen gedenkt.
Ich glaube, wir sollten es deshalb nicht übersehen, daß in letzter Zeit von sowjetischer Seite in dieser eminent wichtigen Frage das Zugeständnis angekündigt - allerdings eben nur angekündigt - worden ist, die Entwicklung zur Wiedervereinigung Deutschlands mit freien gesamtdeutschen Wahlen unter internationaler Kontrolle zu beginnen. Dies sollte immerhin schon Anlaß genug sein, sofort nach Ratifikation der Verträge Verhandlungen der Bundesrepublik, der Westmächte mit den Sowjets aufzunehmen, um zu klären, wieweit dieses Zugeständnis ehrlich gemeint ist und wie der Osten über die weitere Prozedur bis zum Zustandekommen eines Friedensvertrages und auch über den Status Gesamtdeutschlands denkt.
Auch uns ist klar, daß wir bei unserem Streben nach Wiedervereinigung und nach dem Abschluß eines Friedensvertrages die sowohl vom Osten als auch vereinzelt im Westen aufgeworfene Frage der Koexistenz der beiden Systeme in der Welt nicht übersehen dürfen. Wir sind allerdings der festen Überzeugung, daß das, was man sich gemeinhin unter Koexistenz vorstellt, niemals ein erstrebenswerter Endzustand sein kann. Es könnte sich nur um eine Zeitspanne handeln, um einen Waffenstillstand im Kalten Krieg, während dessen der echte Friede und die künftige friedliche Zusammenarbeit der Völker vorbereitet werden. Die Koexistenz kann von uns also ernsthaft überhaupt nur erwogen werden, wenn sie der Entspannung dienen soll. Würden aber während der Zeit der Koexistenz die derzeitigen Krisenherde und Spannungsmomente bestehenbleiben, so würden wir den gegenwärtigen Zustand nur unter einer neuen Bezeichnung, eben der der Koexistenz, weiterführen.
Wenn der Osten an dieser Koexistenz wirklich ernsthaft interessiert ist, dann muß er auch begreifen und zugeben, daß sie nicht auf Grund des Status quo verwirklicht werden kann. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob Völker, die einstmals zum westlichen Bereich gehörten und heute als Ganzes unter einem bolschewistischen System leben, vor Einleitung einer solchen Koexistenz wiederum der westlichen freien Welt zurückgegeben werden müssen. Von solchen Erwägungen sollte sich unser Volk in seiner derzeitigen Situation möglichst fernhalten, um nicht in den Verdacht zu geraten, auch seinerseits Kreuzzugstheorien zu huldigen.
Unbestreitbar aber ist doch - besonders auch nach den Grundsätzen der Vereinten Nationen -, daß jedes Volk ein Recht auf seinen ungeteilten nationalen Staat haben muß. Deshalb muß die deutsche Frage für sich und gesondert von den Pro({5})
blemen der Satellitenstaaten im mittel- und ostmitteleuropäischen Raum gesehen werden, weil vor der Entscheidung darüber, zu welchem politischen System sich unser Volk in seinem einheitlichen Staat entschließt, dieser eine deutsche Staat erst verwirklicht werden muß. Aus diesem Grunde muß mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, daß der Gedanke einer Koexistenz bei uns und von uns erst dann diskutiert werden kann, wenn die deutsche Wiedervereinigung vollzogen und der gesamtdeutsche Staat geschaffen ist.
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Zur Koexistenz gehört - auch nach Auffassung des Ostens -, daß sich ein Staat um die inneren Verhältnisse des anderen nicht kümmert, sondern sie als gegeben zur Kenntnis nimmt. Wenn der Osten wünscht, daß wir diese Auffassung akzeptieren, d. h. uns damit abfinden, es den einzelnen Völkern zu überlassen, unter welches System sie sich in ihrem Staat stellen oder beugen, dann müssen wir aber verlangen, daß der Osten nicht Menschen unter sein System zwingt, die Angehörige unseres Volkes oder Staates sind und deshalb bei uns und unter unseren Gesetzen zu leben ein Recht haben. Wir müssen fordern, daß er nicht weiter auf der Unterwerfung von 18 Millionen deutschen Menschen unter das uns fremde System von Pankow besteht und daß er alle jene Deutschen, die seit 10 und mehr Jahren als Kriegsgefangene oder wegen Nichtigkeiten Verurteilte in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten zurückgehalten werden, endlich zu uns entläßt. Ohne die Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen und Verurteilten aus der Sowjetunion und den Satellitenstaaten kann nicht jenes Mindestmaß an Vertrauen entstehen, das zur Führung von Verhandlungen notwendig ist. Wenn es den Sowjets mit Verhandlungen so ernst ist, wie sie vorgeben, dann müssen sie auch ihrerseits dazu beitragen, daß eine soweit wie möglich günstige Verhandlungsatmosphäre geschaffen wird.
Zu dieser für Verhandlungen notwendigen und wenigstens einigermaßen vertrauensvollen Atmosphäre gehört aber auch, daß uns die Sowjets Beweise dafür geben, daß ihr Streben nach deutscher Einheit wirklich ernst gemeint ist. Wenn man einerseits die Berechtigung eines Volkes auf seinen eigenen Staat anerkennt, dann darf man nicht andererseits während der Periode der von dem betroffenen Volk nicht selbst verschuldeten Trennung die Grundlagen für einen künftigen einheitlichen Staat zerstören. Das geschieht aber in der Zone täglich durch die derzeitigen Machthaber. Vielleicht wird man sich mit ihnen nicht darüber einigen können, wie man sich politisch zu verhalten hat, um die Grundlagen des künftigen gemeinsamen deutschen Staates nicht zu zerstören oder zu gefährden. Aber es gibt genug andere Gebiete, auf denen die Notwendigkeiten für eine Wiedervereinigung beachtet werden könnten. Die Angebote von östlicher Seite zur Verwirklichung der deutschen Einheit sind unglaubwürdig, solange beispielsweise die Bevölkerung der Zone immer stärkeren Drangsalierungen hinsichtlich ihrer Teilnahme am kirchlichen Leben ausgesetzt ist, solange ein freier Reiseverkehr gehemmt bleibt, der innerdeutsche Warenaustausch gedrosselt wird und auch in Wissenschaft und Technik statt des Miteinander immer mehr das Gegeneinander gefördert wird. Es ist guter Wille auf beiden Seiten, auf allen Seiten erforderlich, wenn die Einheit ganz Deutschlands in Freiheit, Frieden und Sicherheit erreicht werden soll. Es ist
aber außerdem auf allen Seiten die Erkenntnis notwendig, daß in dem furchtbaren Zeitalter der Atombombe und der Wasserstoffbombe die Politik sich allmählich wieder dem Ziele zuwenden muß, Konfliktsherde für alle Beteiligten zufriedenstellend auszuräumen und ein Zeitalter vorzubereiten, in dem nicht mehr Militärblöcke einander gegenüberstehen, sondern die Völker zu einer friedvollen und fruchtbaren Zusammenarbeit gelangen. Die deutsche Wiedervereinigung dient diesem Ziel. Die Bundesrepublik will und muß Friedenspolitk betreiben. Folglich muß sie die Wiedervereinigung zu ihrem politischen Thema Nr. 1 erklären.
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Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich in der zweiten Lesung zu dem zentralen Problem der Wiedervereinigung Stellung zu nehmen. In den Worten meines Vorredners ist zum Ausdruck gekommen, zum Teil bestehe das Gefühl, es sei nicht die richtige innere Anteilnahme an der Herstellung dieser Einheit unseres Vaterlandes gegeben.
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Wir wünschen, daß diese Anteilnahme gegeben ist, und sie ist gegeben. Es gehört zu den monotonen Diffamierungen in unserem Staate, daß der rechte Glaube an dieses Ziel nicht vorhanden sei. Damit schwächen wir unsere Position. Wir warnen aber auch mit allem Nachdruck vor einer Behandlung des Problems der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes mit illusionären Methoden.
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In diesem Zeitpunkt Illusionen zu haben, ist nicht nur eine Schwächung unserer Position, sondern bedeutet, den echten, realen Willen weiter erlahmen zu lassen.
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Ich habe namens meiner Fraktion eines ganz deutlich zu sagen, um diesem ganzen Mißbrauch, der mit der Propagierung dieser Idee oft getrieben wird, entgegenzutreten. Wir sind nicht bereit, für die Wiedervereinigung den Preis der Freiheit zu zahlen.
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Das muß einmal deutlich ausgesprochen werden. Denn dieser Preis würde nicht nur für die Bevölkerung hier gezahlt werden, er würde auch zu Lasten der 18 Millionen gezahlt werden, deren menschliches Schicksal drüben in der Unfreiheit eine schwere Tragödie ist, eine menschliche Tragödie, deren Härte und Tiefe von uns Tag für Tag mitempfunden werden muß. Das ist die größte Last, die wir in dieser Zeit zu tragen haben. Wir würden bei der Preisgabe der Freiheit alle Grundlagen, jede Hoffnung, jede Aussicht auf die Wiederherstellung der Freiheit in unserem ganzen Vaterlande verspielen. Abgesehen davon möchte ich eines auch einmal ganz deutlich sagen: man darf die Dinge nicht nur auf Grund der östlichen Wünsche und mit östlichen Augen betrachten, als ob die psychologische Kriegführung drüben schon bei uns nennenswerte Wirkungen gezeigt hätte. Glaubt denn wirklich jemand, der die Dinge real betrachtet, daß der Westen, der schließlich hier
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auch etwas mitzureden hat, zulassen würde, daß wir Dummheiten machen und unsere Freiheit wegwerfen?
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Er würde uns die Handlungsfähigkeit wieder nehmen, und dann wären wir da, von wo wir vor
zehn Jahren einmal mühevoll ausgegangen sind.
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Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, so einfach ist der Weg zurück zur deutschen Einheit nicht.
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- Ob Sie das Quatsch nennen oder nicht, das berührt mich wenig. Ich habe hier meine Meinung zu sagen. Sie haben Ihre Meinung weitgehend zum Ausdruck gebracht, und trotz dieses Ausdruckgebens Ihrer Meinung ist irgendeine Klarheit in diesem Lande noch nicht erreicht worden.
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Es wird davon geredet, daß die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes das oberste Ziel deutscher Politik sei.
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Auch hier habe ich einige Kritik an den Begriffen zu üben. Es ist das selbstverständliche Ziel eines Volkes und einer Nation, die Einheit seines Staates zurückzugewinnen; sonst ist dieses Volk überhaupt nicht da. Ohne die Herstellung der Einheit Deutschlands ist Deutschland eben noch nicht wieder im geschichtlichen Raum. Wir haben, wenn wir diesen Weg gehen, Aufgaben zu erfüllen. Aber was heißt das Wort: oberstes Ziel? Es ist das selbstverständliche Ziel. Wenn in diesem Wort „oberstes Ziel" drinstecken sollte, daß damit eine Preisgabe des Bündnisses mit dem Westen verbunden sei, dann lehnen wir diese Begriffsbildung ab; denn es gibt viele einzelne Ziele der deutschen Politik, um das Grundziel, nämlich die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Sicherheit und Freiheit zu erreichen. Auch das sind Verdrehungen, die klargestellt werden müssen.
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Ich sehe mich genötigt, gegen einige Behauptungen des Herrn Kollegen Wehner Widerspruch zu erheben. Er hat gesagt, daß die Eingliederung in einen Militärpakt mit automatischen Bündnisverpflichtungen ohne Rücksicht auf die Sonderlage Deutschlands, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in seinem gespaltenen Zustand vereinbart worden sei. Ich verstehe diese Bemerkung nicht. Meiner Ansicht nach ist dieses ganze Vertragswerk, diese ganze Bündnispolitik ja erst dadurch hervorgerufen worden, daß dieses Land gespalten ist und daß eine der Besatzungsmächte ihren Einflußbereich bis tief in die Mitte Europas vorgetragen hat. Dieses ganze Vertragswerk wäre ja gar nicht zustande gekommen, gar nicht nötig geworden, wenn dieser Tatbestand nicht zu unseren Lasten in Europa geschaffen worden wäre.
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Zweitens hat Herr Kollege Wehner gesagt, in keinem Punkt dieses Vertragswerks sei der Gespaltenheit Deutschlands Rechnung getragen worden. Das ist einfach falsch. In fünf Punkten wird
der Gespaltenheit Deutschlands Rechnung getragen.
Punkt 1 ist eine Streichung, indem nämlich der Passus, der einen bestimmten Weg der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorsah, in der Präambel zu dem sogenannten Deutschlandvertrag fortgefallen ist, um damit zu verdeutlichen, daß das Grundziel der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf jedem Weg und mit jeder gangbaren Methode erreicht werden soll. Das ist Punkt eins, in dem in sehr weitgehendem Maße bei dem Pariser Vertrag auf die Spaltung Deutschlands Rücksicht genommen worden ist.
Punkt 2: Man hat zu demselben Zweck den Art. 7 Abs. 3 gestrichen, hat also die sogenannte Bindungsklausel weggelassen, um völlig freie Hand zu geben, daß sich ein Staatensystem in der Mitte Europas durch Verständigung zwischen Ost und West herausbildet, das dann die Möglichkeit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gibt.
Punkt 3: Die Revisionsklausel - Art. 10 des abgeänderten Deutschlandvertrages - ist auch wesentlich elastischer gestaltet worden, um jedenfalls alle Möglichkeiten offenzuhalten, die der Wiederherstellung Deutschlands in der Mitte Europas Raum geben, weil man erkannt hat - das ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden -, daß die Frage der Wiederherstellung Deutschlands und der Abschluß des österreichischen Staatsvertrages Schlüsselfragen für den Frieden in Europa und damit für den Frieden in der Welt sind.
Punkt 4: Die Londoner Erklärung vom 3. Oktober 1954 wird immer ein wenig en bagatelle behandelt. Sie ist das wichtigste politische Kernstück der Verträge überhaupt. Dort ist ausdrücklich als Bündnisgrundlage zum Ausdruck gebracht, daß die Schaffung eines völlig freien - völlig freien! - und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel der Politik unserer Bündnispartner ist.
Schließlich Punkt 5: die Erklärung der Bundesregierung, die Übernahme der Verpflichtung, daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen Deutschlands niemals - ich unterstreiche: niemals - mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen versuchen wird.
Herr Kollege Wehner hat ferner vorgebracht, daß Revisionsmöglichkeiten mit Rücksicht darauf, daß der Deutschlandvertrag ja mit dem Atlantikpaktvertrag verzahnt sei, tatsächlich kaum gegeben seien. Auch diese Ansicht ist nicht richtig. Alle strategischen Maßnahmen, die die NATO plant, müssen einstimmig beschlossen werden. Sobald die Bundesrepublik Mitglied des Atlantikrates ist, kann sie ihre Forderung maßgeblich zur Geltung bringen. Die vertragliche Verpflichtung zur Beistandsleistung ist im Rahmen des Atlantikpaktes keine automatische. Lediglich in der Westeuropäischen Union handelt es sich um automatische Beistandspflichten für den Fall eines bewaffneten Angriffs. Hier wird doch Deutschland nicht etwa in fremde Konflikte hereingezogen, sondern diese Bestimmung dient im Gegenteil unserem Schutz. Wenn man die Dinge anders darstellen will, versieht man sich doch vollkommen in der realen Lage Deutschlands.
Es ist auch nicht richtig, daß diese Verträge nicht genügend Raum für eine aktive Politik der
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Wiedervereinigung lassen. Meine Damen und Herren - ich muß die Opposition anreden -, damit stellen Sie die Dinge doch auf den Kopf. Ohne daß Deutschland die Souveränität der Handlung zurückerhält, ohne daß wir mit am Tisch sitzen, um für unser nationales Ziel, nämlich die Herstellung der Einheit Deutschlands herbeizuführen, handeln zu können, sind wir noch viel weniger in der Lage, eine wirklich aktive Politik der Wiedervereinigung zu führen. Ich bin allerdings der Auffassung, eine aktive Politik zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist nicht eine Politik lediglich der Deklamationen und der Propaganda, sondern eine Politik zäher, geduldiger, kluger und zweckmäßiger diplomatischer Verhandlungen,
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in denen wir als Staat mitzusprechen haben.
Lassen Sie mich noch ein Wort sagen, das vielleicht etwas Mißverständnis hervorrufen kann. Herr Kollege Wehner hat gesagt, wir müßten alles vermeiden, was die Grenze des Eisernen Vorhangs zu einer Staatsgrenze werden lasse, und es sei hier etwas von der faktischen Macht der Tatsachen, die die Dinge zu unseren Ungunsten vorwärtstreiben könnten. Ich glaube, daß die Tatsache des Eisernen Vorhangs, jener Abschnürung unserer Brüder und Schwestern drüben von uns, vom freien Teil Deutschlands, dem Gewicht nach, der Wirklichkeit nach eine viel schlimmere Tatsache ist, als es etwa eine Staatsgrenze sein könnte. Eine Staatsgrenze ist leicht zu überwinden, aber eine Grenze zwischen zwei Welten ist es nicht. Das ist doch das Schicksal, das wir tragen müssen.
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- Ich lebe hier in der Bundesrepublik und sehe unsere Aufgabe darin, die Freiheit dieses Landes mit den uns gegebenen Mitteln zu verteidigen und uns nicht auf die Versuchungen der psychologischen Kriegführung von der anderen Seite einzulassen.
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Lassen Sie mich noch etwas sagen. Es ist mir reichlich viel von dem Wegfall der Bindungsklausel und von der Freiheit einer künftigen gesamtdeutschen Regierung gesprochen worden. Ja gewiß, wir wollen ein souveränes Deutschland, das sich frei entscheiden kann; sonst wäre es nicht souverän. Aber wenn sich hinter dieser Polemik die Auffassung verbergen sollte, ,daß es auch einen Weg außerhalb des Bündnisses mit den Westmächten gibt, die uns bisher geholfen haben, dann werden wir uns gegen diese Auslegung wenden. Das ist auch einer der Punkte, bei dem man langsam das. Gefühl bekommt, daß etwas anderes damit gewollt sein könnte, nämlich ein neutralistisches, ein neutralisiertes oder auf andere Weise isoliertes Deutschland. Dieses isolierte Deutschland wird es nicht geben, niemals.
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- Meine Damen und Herren, die Fragen sind zu ernst, als daß ich hier spreche, um von irgendeiner Seite her Beifall zu bekommen oder nicht zu bekommen.
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- Die Lautstärke zwingen Sie mir ab, indem Sie dauernd dazwischenreden;
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sonst könnte ich die Dinge auch sehr viel leiser sagen. Wir sind hier nicht angetreten, um einen Zirkus der Rhetorik herbeizuführen.
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Was liegt denn vor? In welcher tragischen Situation müssen wir uns bewegen? Wir haben tatsächlich durch zwei verlorene Weltkriege, durch Fehler, für die auch wir mit zu haften haben, die Einheit des Reiches verloren und wir haben die Aufgabe, diese Einheit wiederaufzubauen. Deutschlands Einheit ist nicht allein eine Frage des inneren Wollens und des inneren Vorgangs, sondern - das hat die Geschichte nun seit über hundert Jahren bewiesen - sie ist auch ein Vorgang, der abhängig ist von äußeren Bedingungen. Hier gilt es - das ist unsere Aufgabe -, diese äußeren Bedingungen richtig zu nutzen und uns den Realitäten der Welt so anzupassen, daß so bald wie möglich das nationale Ziel, die Wiederherstellung unserer Einheit, erreicht werden kann. Leider haben wir das, was unsere Großväter und unsere Urgroßväter geschaffen haben, aufs Spiel gesetzt. Wir haben es verloren. Wir müssen das zurückgewinnen, was ein Bismarck, was andere geschaffen haben: die Einheit unseres Landes. Auch ein Bismarck hat diese Einheit des Landes nicht in der Paulskirche hergestellt, sondern er hat sie hergestellt im diplomatischen Ringen mit den Großmächten und in richtiger Abschätzung der außenpolitischen Lage.
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Er hat diese Einheit des Landes hergestellt durch eine sehr kluge, zielstrebige Politik.
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- Meine Damen und Herren, Sie wollen uns doch nicht hier das dumme Schlagwort vom Kanzler von Blut und Eisen vorhalten! Es hat selten einen deutschen Staatsmann gegeben, der eine so vorsichtige, so kluge, so weitsichtige Politik getrieben hat wie dieser Mann, der der Welt, der Europa fünfzig Jahre des Friedens gegeben hat.
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Meine Damen und Herren, es wird hier von Alternativen gesprochen. Es gibt nicht die Alternative: Aufrüstung oder Wiedervereinigung; so steht die Frage nicht. Ich sehe nur eine einzige Alternative. Verhandlungen zwischen Ost und West werden kommen, so oder so.
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Die deutsche Alternative ist die, ob wir mit dabei sind, ob wir mitbestimmen können oder ob wir nicht mit dabei sind, ob wir reines Objekt bleiben. Das ist die echte Alternative, die ich sehe.
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Natürlich, es geht um eine Verständigung zwischen Ost und West. Es geht um eine Koexistenz, um dieses Wort zu gebrauchen. Herr Kollege Kiesinger hat es heute morgen gut und klar ausgelegt; ich brauche nicht vieles hinzuzufügen. Koexistenz ist an sich ein östlicher Begriff. Er ist eben nicht dasselbe wie ein normales völkerrechtliches Verhältnis des Friedens, in dem man miteinander Handel treibt, sich besucht und Informationen austauscht. Solange ein Eiserner Vorhang einen Teil dieser Welt, der östlichen Welt, abschließt, gibt es eben leider kein - wir bedauern das zutiefst - normales Verhältnis zwischen den Völkern. Koexistenz heißt dann eben nichts anderes als die Hinnahme dieser Tatsache und ein Vermeiden jeder kriegerischen Reibung und jeder Spannung.
Wer allerdings im Westen unter Aufnahme dieses Wortes aus dem Wortschatz des Bolschewismus die Aufrechterhaltung des Status quo ablesen will, der stößt auf unsere Ablehnung. Heute hat fast jeder Redner diesen deutschen Grundgedanken zum Ausdruck gebracht. Aber irgendwie müssen auch wir zu dem Wollen der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands uns ein Bild machen, müssen wir eine Aussicht und einen konkreten Weg aufzeigen. Das ist in der heutigen Lage, da sich die Dinge so verkrampft haben, außerordentlich schwierig. Immerhin wäre es schon ein sehr großer Fortschritt, wenn in der ganzen Welt, bei uns und vor allen Dingen auch in der Sowjetunion der absolute Friedenswille, den Weg des Ausgleichs und der Verständigung unter Verzicht auf jede Anwendung von Gewalt zu suchen, als Grundprinzip befolgt würde. Das wäre überhaupt der Ausgangspunkt, der Frage näherzutreten. Dabei ist die deutsche Wiedervereinigung abhängig von dem Status und von der Stellung, die man einem Gesamtdeutschland in Europa und in der Welt geben will. Der innere Vorgang der Wiederherstellung der Einheit, nämlich die freien Wahlen, ist dann eine Frage, die sich nach der Bestimmung eines Status in der Freiheit relativ leicht wird lösen lassen. Meine Freunde sind dann, wenn dieser Status erst einmal bestimmt ist, für jede kühne Politik, auch für ein Risiko bereit, um im Wege der freien Wahlen die innere Einheit unseres Landes herzustellen.
Worum geht es? Die Sowjetunion sagt, sie wolle die Sicherheit ihrer Westgrenze. Wir antworten: Wir wollen die Sicherheit vor ihr. Bisher hat die Sowjetunion für den äußeren Status Deutschlands noch keinen anderen Vorschlag gemacht als das, was in der Note vom 10. März 1952 steht. Sie will dort Deutschland - so stellt sie sich den Friedensschluß vor - in eine Satellitenstellung bringen. Das deckt sich mit allen Erklärungen, die von sowjetischen Führern gegeben worden sind. Sicherheit im Sinne der Sowjetunion heißt ein Sicherheitsgürtel an ihrer Westgrenze, den sie beherrscht, und, um ihn beherrschen zu können, die Herstellung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Tatbestände dort, die mit dem System in ihrem eigenen Lande übereinstimmen. Das ist der Weg, der nicht gegangen werden kann, der unmöglich ist.
Es kommt darauf an - gewiß -, in Europa ein Sicherheitssystem zu schaffen und es in die Verhältnisse der Welt einzubetten, ein Sicherheitssystem, das uns die Freiheit und die Sicherheit auch nach Osten gibt und das zugleich das sicherlich vorhandene Bedürfnis der Sowjetunion befriedigt, daß ihre Westgrenzen in Ruhe und Frieden gesichert sind.
Die diplomatische Aufgabe ist, soweit ich sehe, auf welche Weise der Ausgleich zwischen Ost und West geschaffen werden kann. Es kommt der Tag, da diese Verständigung gefunden wird. Aber diese Verständigung im Sinne eines auch in innerer Freiheit lebenden Sicherheitsgürtels an der Westgrenze der Sowjetunion, diese echte Verwirklichung einer Entspannungspolitik ist nicht mit einem isolierten Deutschland möglich, auch nicht mit einem sogenannten militärbündnisfreien Deutschland, wenn ich den Begriff der Opposition richtig verstehe, sondern sie ist nur möglich,
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wenn dieses Deutschland in eine europäische Gemeinschaft eingebaut ist und diese europäische Gemeinschaft die Funktion des Sicherheitsgürtels und der Entspannung zwischen Ost und West übernimmt.
Diese Gedanken sind auch bei anderen Rednern angeklungen, insbesondere auch bei dem Redner des BHE, und ich freue mich, daß wir uns hier in den Grundauffassungen, wie sie die Beschlüsse des Direktoriums meiner Partei und unsere Grundsatzerklärung zum Ausdruck gebracht haben, in Übereinstimmung befinden. Gewiß, das ist ein fernes Ziel; aber ich halte es nicht für ein utopisches Ziel. Es muß eben, und wenn es noch so schwierig ist und noch so lange dauert, um dieses Ziel einer echten Entspannung zwischen West und Ost in Zusammenarbeit mit der westlichen Welt gerungen werden.
Lassen Sie mich hier ein Wort, damit ich nicht mißverstanden werde, ganz deutlich sagen: bisher verdanken wir unsere Freiheit den Vereinigten Staaten von Amerika, und es wäre nicht nur undankbar, sondern geradezu töricht, wenn wir jetzt nicht sehen wollten, daß die durch den zweiten Weltkrieg tief geschwächten europäischen Nationen augenblicklich nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft für ihre Sicherheit einzustehen. Wir haben dieses Stück freien Lebens in einem Restteil Deutschlands erhalten bekommen durch den Schutz, den uns diese Macht gegeben hat. Wir sollten jetzt nicht unter der Einwirkung der sowjetischen Propaganda an dieser Grundlage unserer freiheitlichen Existenz rütteln und glauben, wir könnten nun aufs Eis tanzen gehen und irgendwelche Dinge machen, die nicht mit der gesamten Weltlage übereinstimmen. Wir sind nicht - auch das ist hier zum Ausdruck gekommen - ein so entscheidender Faktor. Wir müssen uns schon den Gegebenheiten der Welt fügen. Aber wir können glücklich sein, daß wir etwas in die Hand bekommen, daß wir bei den übermächtigen Gegebenheiten in der Welt nicht zum reinen Objekt gemacht werden.
Verhandlungen - ich finde die Frage, ob vor, während oder nach der Ratifizierung verhandelt werden soll, gar nicht richtig gestellt - wird es zwischen Ost und West sofort geben, wenn diese Verhandlungen einen Sinn haben und ein befriedigendes Ergebnis erwarten lassen. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, dann werden sie geführt. Diesen Zeitpunkt können leider nicht wir bestimmen. Ich weiß, was für eine Tragik damit verbunden ist. Jeder Monat, der verfließt, in dem diese Frage nicht angefaßt werden kann, bedeutet eine gesteigerte menschliche Tragödie drüben. Die Zeit arbeitet nicht für uns, sie arbeitet da drüben klar
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gegen uns. Aber wir dürfen trotzdem nicht das Grundziel verlieren, daß keine Verhandlung geführt werden kann auf der Grundlage des Sicherheits- und des Freiheitsverzichtes. Das sind wir auch den Menschen drüben schuldig.
Solange ein sowjetisches Nein und besonders ein sowjetisches Nein nach der Ratifikation dieser Verträge stehen würde, wäre ein Aufrechterhalten dieses Neins nichts anderes als der Beweis aggressiver Absichten. Denn wenn man sich verständigen will, ist jederzeit und auf jeder Grundlage, die die Sicherheit beider Teile begünstigt, eine Verhandlung und eine Verständigung notwendig und möglich.
Es ist heute so oft das Wort von der Viererkonferenz gefallen. Ich sage dagegen: Fünferkonferenz! Denn wir haben dabeizusein.
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Wir haben uns dann auch nicht durch irgendwelche Bedenken abhalten zu lassen. Es kommt auf unsere Verantwortung, auf unser Mitspracherecht an. Diese Fünferkonferenz, an der wir teilnehmen werden, sobald wir die Souveränität des Handelns zurückgewonnen haben, bedarf allerdings einer sorgfältigen Vorbereitung. Es ist die Forderung des Direktoriums meiner Partei, daß eine internationale Kommission gebildet wird, ,die sich mit den Grundlagen einer europäischen Sicherheit und der damit zusammenhängenden Fragen der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages - die beiden Dinge hängen zusammen - zu befassen haben wird. Das wird sehr viele sorgfältige Arbeit erfordern. Aber wir dürfen hoffen, daß es bald zu einer wirklichen Inangriffnahme dieser Fragen zwischen Ost und West kommt.
Ich bin mir bewußt, daß die Verträge natürlich nicht ein „Sesam öffne dich!" für die Wiederherstellung der deutschen Einheit sein können - das wäre illusionär gesehen -; aber sie sind ein Ausgangspunkt dafür, daß Deutschland und die Drei Mächte mit der vierten Macht, die Gewalt über uns hat, mit dem Ziel der Verständigung und der Herstellung des Friedens verhandeln können. Ich bin ferner der Auffassung - und darf diese Forderung meiner Partei betonen -, daß für die Fragen der inneren Politik der Wiederherstellung der Einheit, also die Fragen, wie ein Wahlgesetz auszusehen hat und welche Methoden bei dem inneren Vorgang der Wiederherstellung der Einheit zu befolgen sind, ein Ausschuß der Regierung unter Beteiligung aller Parteien gebildet werden sollte. So viel für heute zu dieser ja wohl entscheidendsten Frage. Wir sind also der Auffassung, daß sowohl die Seite der äußeren Politik als auch die Seite der inneren Politik aktiv in Angriff genommen werden muß, um die Wiederherstellung der Einheit unseres Staates, ohne die es keinen Frieden und ohne 'die es keine Beruhigung in der Mitte Europas geben kann, zu erreichen. Allerdings sehen wir mit wachsender Sorge, daß in einem geradezu leichtsinnigen Nihilismus an den erreichten Grundlagen unserer Freiheit und unserer wirtschaftlichen Existenz in diesem Staate gerüttelt wird, in einer Art von Masochismus, möchte ich beinahe sagen, in einem Trieb, das, was man aufgebaut hat, mit kindischer Hand wieder zu zerstören. Wir werden uns gegen diese Auswirkungen der psychologischen Kriegführung wenden.
Nun noch ein Wort zum Schluß. Heute ist wieder das Wort „Preußentum" gefallen und eine Verbindung zu der bolschewistischen Ideologie hergestellt worden. Ich möchte hier einmal darauf hinweisen, daß solche Diffamierungen und Verbindungen, wie sie auch von der Propaganda der Sowjets versucht werden, unterlassen werden sollten. Bedenken Sie: dieses untergegangene Preußen ist unsere Heimat, und wer etwas von der Geschichte dieses Landes weiß, wer weiß, was preußischer Geist ist, der wird es ablehnen, daß diese Staatsidee, die im kategorischen Imperativ eines Kant in Königsberg ihren Ausdruck gefunden hat, mit einer inneren oder äußeren Dressur eines kollektivistischen Wesens in Verbindung gebracht wird.
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Wir möchten endgültig das geachtet wissen, was unser persönliches Gut und ein Gut ganz Deutschlands war, nämlich unsere preußische Heimat, unsere östliche Heimat, die in uns fortlebt und eines Tages als eine Heimat der Deutschen wiederaufgerichtet werden wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Teil dieser Vertragsdebatte beschäftigt sich mit dem Problem der Wiedervereinigung Deutschlands. Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen vom Blickpunkt der deutschen Arbeitnehmerschaft machen. Die Wiedervereinigung ist unser aller Anliegen. Sie ist auch ein Anliegen der deutschen Arbeiterschaft, und ich glaube, wir alle würden diese Wiedervereinigung als die Krönung unserer gemeinsamen Arbeit am Wiederaufbau eines gesunden demokratischen Staates betrachten. Ich werde im Laufe meiner Ausführungen einige kritische Bemerkungen über verschiedene Vorgänge der letzten Zeit machen müssen. Aber das veranlaßt mich gerade, eingangs wieder einmal auf die hervorragenden Leistungen auch der deutschen Arbeitnehmerschaft beim Wiederaufbau unseres Vaterlandes hinzuweisen.
({0}) Ich möchte sagen: beim Wiederaufbau nicht allein im wirtschaftlichen Bereich, sondern darüber hinaus bei der Stabilisierung eines demokratischen Gemeinwesens.
({1})
- Ja, ich sage dazu noch einiges. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit die positive Arbeit der Organisationen der Arbeitnehmer nicht vergessen. Ich weiß darum, daß viele verantwortungsbewußte Gewerkschaftler, auch Funktionäre der Gewerkschaften, einen maßgeblichen Anteil an der gesunden Entwicklung der Bundesrepublik haben.
({2})
Nun hat in der letzten Zeit der Deutsche Gewerkschaftsbund bei verschiedenen Anlässen zu den Problemen Stellung genommen, die wir heute diskutieren. Ich sage in aller Offenheit, wir haben gegen diese Stellungnahmen zum Teil starke Bedenken anzumelden,
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weil diese Stellungnahmen im Ergebnis falsch sind und weil sie nicht die Meinung der deutschen Arbeiterschaft insgesamt wiedergeben.
({4})
({5})
Ich weiß, daß wir unterscheiden müssen zwischen den Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ich meine von dessen Spitze, und den Stellungnahmen einzelner Landesbezirke bzw. einiger Industriegewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat beim vorjährigen Gewerkschaftskongreß in Frankfurt und auf seiner Vorstands und Ausschußsitzung am 17. Februar 1955 in Düsseldorf zu den Verträgen Stellung genommen. Dabei - ich muß leider diese Feststellung treffen - hat er sich im Endergebnis der Meinung der SPD angeschlossen.
({6})
- Ja, das ist bedauerlich.
({7})
- Ich werde Ihnen auch sagen, warum ich es nicht für gut halte. Man wird sich einmal die Frage vorlegen müssen, warum es überhaupt zu solchen einheitlichen Beschlüssen oder Beschlüssen gegen wenige Stimmen kommen konnte. Wenn man, diese Frage überprüft, dann kommt man eben zu dem Ergebnis, daß die Zusammensetzung des Gewerkschaftskongresses und der Spitzenorgane leider sehr einseitig ist.
({8})
- Ich will damit sagen, bei der Zusammensetzung handelt es sich nicht um ein echtes Spiegelbild der Mitgliedschaft,
({9}) sondern hier ist nur eine Seite zum Zuge gekommen.
({10})
Die Minderheitsgruppen werden weithin bei der Beschickung dieser Kongresse und auch bei der Besetzung der Organe leider ignoriert.
({11})
- Herr Kollege, ich glaube, man kann mit Ihnen diese Frage nicht diskutieren; Sie wollen sie anscheinend nicht verstehen.
({12})
- Ich möchte, daß diese Kongresse und auch die Organe des Gewerkschaftsbundes ein echtes Spiegelbild der Gesamtmitgliedschaft darstellen.
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Ich möchte vermeiden, daß weite Teile ausgeschaltet werden, wie es leider heute der Fall ist.
({14})
Wenn der DGB Wert darauf legt, daß seine Meinungsäußerungen zukünftig größeres Gewicht erhalten, wird er sich meines Erachtens darum bemühen müssen, die Situation zu ändern.
({15})
Grundsätzlich möchte ich zu den Beschlüssen bemerken, daß sich der DGB mit Problemen beschäftigt hat, für die wir ihn nicht als zuständig betrachten können.
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Sicher ist es nicht leicht, hier nun die saubere Scheidung zu treffen.
({17})
Wir wissen, daß manches Sozialpolitische und Wirtschaftspolitische in engstem Kontakt mit dem Allgemeinpolitischen steht. Aber eine Zuständigkeit einer Interessenorganisation - nicht nur des DGB, auch anderer - in außenpolitischen Angelegenheiten können wir keinesfalls anerkennen.
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Auch die in den Satzungen des DGB verankerte politische Neutralität hätte ihn veranlassen müssen, zurückhaltender zu sein. Ich möchte einmal ernsthaft sagen: Ich habe den Eindruck, daß einige Persönlichkeiten, die besser Politiker geworden wären als Gewerkschaftsfunktionäre,
({19})
nun einen bedenklichen Kurs steuern und daß andere, besonnenere Leute sich nicht dagegen wehren, weil sie Angst haben, daß ihnen bei nächster Gelegenheit der Stuhl vor die Türe gesetzt wird.
({20})
Mit Entschiedenheit muß dagegen Verwahrung eingelegt werden, daß die Beschlüsse der DGB-Organe die Meinung der gesamten Mitgliedschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes wiedergeben.
({21})
Tatsächlich billigt ein großer Teil, wenn nicht sogar der größte Teil der deutschen Arbeiterschaft die Politik der Bundesregierung.
({22})
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund - meine Herren, hören Sie gut zu! - sollte sich einmal Gedanken darüber machen, daß bei der Wahl zum Bundestag im September 1953, wo es ganz einwandfrei auch um eine Entscheidung über die Außenpolitik der Regierung ging, in ausgesprochenen Großstädten und Industriebezirken nicht die Kandidaten der SPD, sondern die Kandidaten der CDU gewählt wurden.
({23})
Darf ich Sie erinnern an die Wahlergebnisse in Städten wie München, Augsburg, Stuttgart, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Mülheim, Duisburg, Gladbeck, Herne, Hagen, Bochum und so viele!
({24})
Dort, in diesen ausgesprochenen Industrieorten, hat man CDU-Kandidaten gewählt. Damit ist doch wohl deutlich, daß ein erheblicher Teil der deutschen Arbeiterschaft nicht Ihrer Politik, sondern unserer Politik die Zustimmung gibt.
({25})
Die Maßnahmen mancher Landesverbände des DGB sind noch stärker kritikbedürftig, so die Propaganda des DGB in Bayern und in Hessen für eine Volksbefragung und die Durchführung von gewissen Kundgebungen. Wir alle kennen noch unseren Kollegen Wönner, der auch dem 1. Deutschen Bundestag angehört hat und der in Bayern sich nun in dieser Frage, sagen wir ruhig,
({26})
1 mit einer besonderen Radikalität eingeschaltet hat. Den Kollegen Wönner, der sich ja für die Volksbefragung ausgesprochen und sie forciert hat, möchte ich doch einmal auf eine Stellungnahme der Metallarbeiterzeitung hinweisen.
({27})
Die Metallarbeiterzeitung ist die Zeitung der Industriegewerkschaft Metall, etwa 1,6 Millionen Auflage. Sie ist kein CDU-Organ, sie steht keinesfalls in Verdacht, eines zu sein. Dafür sorgt schon der Kollege Brandel, der die Redaktion hat; Sie kennen ihn ja. Diese Metallarbeiterzeitung schrieb - ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten diese paar Zeilen vorlesen - am 7. Juli des vergangenen Jahres unter der Überschrift „Volksbefragungsrummel":
Volksbefragungen sind die fürchterlichen Zerrbilder freier Wahlen.
({28})
Schlimmer noch: sie sind von jeher ein brutales Mittel aller Diktaturen zur Knebelung der öffentlichen Meinung.
({29}) Mit ihrer Hilfe
- hören Sie sich diesen Satz noch gut an! - wird nicht Meinung ermittelt, sondern „Meinung" „demonstriert".
({30})
Ich sagte schon, die Metallarbeiterzeitung ist kein CDU-Organ. Ich hätte gewünscht, daß sich der Kollege Wönner gerade diese Stellungnahme der Metallarbeiterzeitung etwas näher angesehen hätte.
({31})
- Wir haben ja heute keine Schuldebatte! ({32})
Bei der Diskussion des Problems in der Vorstandssitzung und Ausschußsitzung am 17. Februar in Düsseldorf wurde den Teilnehmern dieser Sitzung auch eine Stellungnahme des Exekutivausschusses der größten amerikanischen Gewerkschaft AFL vorgelegt.
({33})
Sie wissen ja, daß diese Gewerkschaft eine ganz andere Stellung einnimmt als der DGB.
({34})
- Es ist gut, daß ich Gelegenheit habe, Ihnen einiges von dieser Stellungnahme vorzutragen. Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen unbequem ist.
({35})
- Ich freue mich darüber, daß inzwischen auch das Bulletin etwas zur Verbreitung dieser Meinung beigetragen hat.
Lassen Sie mich einiges aus dieser Stellungnahme sagen. Da werden zunächst in der Einleitung die freien Gewerkschaften Europas einschließlich Westdeutschlands gebeten, alles zu tun, um zu einer schnellen Annahme der Verträge von
London und Paris beizutragen. Es ist dann in dieser Erklärung gesagt worden, daß die Verträge lediglich der Verteidigung von Frieden und Freiheit dienen. Zur Frage der zukünftigen Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands ist in dieser Erklärung gesagt worden, die Ratifizierung der Verträge von London und Paris würde zukünftige Verhandlungen zwischen den demokratischen Staaten und der Sowjetunion nicht unmöglich machen, sondern tatsächlich dazu dienen, Voraussetzungen zu schaffen, die viel geeigneter sind, eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit herbeizuführen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte, Herr Präsident!
Empfindet der Herr Abgeordnete nicht einen kleinen Widerspruch darin, daß er den d e u t s c h en Gewerkschaften das Recht bestreitet, zu Fragen der deutschen Politik Stellung zu nehmen, aber den amerikanischen Gewerkschaften dieses selbe Recht zubilligt?
({0})
Nein, Herr Kollege Erler. Zweifellos hat diese Frage eine gewisse Berechtigung.
({0})
- Kollege Erler, ich habe hier nicht über die Frage der Berechtigung der amerikanischen Gewerkschaften zur Stellungnahme gesprochen. Ich habe aber aus der Stellungnahme zitiert, und ich will Ihnen auch einmal sagen, warum ich das getan habe. Als diese Stellungnahme dem Deutschen Gewerkschaftsbund zugeleitet wurde, hat man alles getan, um diese Stellungnahme nicht in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.
({1})
Deswegen halte ich es für gut, diese Auffassung hier einmal vorzutragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage?
Nein!
Ich bedaure!
({0})
In dieser Erklärung
({0})
- ich habe Zeit - heißt es weiterhin, und ich glaube, das sollten wir uns doch einmal merken, Schwäche ermutige und Stärke entmutige Expansionsgelüste. Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß der soziale Fortschritt wichtig für die Erhaltung des Friedens sei, daß er aber allein keine Garantie gegen militärische Aggression sei. Und es heißt wiederum, die Bereitschaft und Fähigkeit zur Verteidigung des eigenen Landes und zur Zusammenarbeit mit anderen Völkern zur Erhaltung von Frieden und Freiheit dürfe niemals mit aggressivem Militarismus verwechselt werden.
({1})
Es könnte jetzt aus dieser Erklärung noch manches hier vorgetragen werden. Ich will es bei den wenigen Kostproben bewenden lassen. Es stehen noch sehr, sehr gute Sachen darin. Aber ich glaube, man sollte auch heute bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß auch andere Leute, die weltanschaulich zu Ihnen zählen, daß maßgebliche Sozialisten in europäischen Ländern, daß auch die freien Gewerkschaftler in den übrigen europäischen Ländern die Frage doch wesentlich anders beurteilen, als sie von Ihnen hier beurteilt wird.
({2})
Ich will in diesem Zusammenhang nicht über die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme reden. Darüber einiges zu sagen, wird morgen Gelegenheit sein.
Ich möchte zu einigen Schlußbemerkungen kommen. Wir halten die Verträge für ein geeignetes Mittel, nein, ich möchte noch deutlicher werden, für das zur Zeit einzig brauchbare Mittel, die von uns allen ersehnte Wiedervereinigung Deutschlands zu erwirken in einer guten Zusammenarbeit mit dem freien Westen, und wir sind der Meinung, daß die Verträge auch dazu dienen, den Frieden zu sichern. Wir sehen in der Stärke und Einigkeit des Westens die beste Friedenssicherung, und wir glauben, um unseren Menschen in der Bundesrepublik die Freiheit zu erhalten und den Menschen im übrigen Deutschland, im nicht freien Deutschland, diese Freiheit zu bringen, müssen wir diese Verträge verabschieden. Wir sehen in den Verträgen die Garantie dafür, daß die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung weiter fortschreiten wird.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir sind sicher, daß gerade die deutsche Arbeitnehmerschaft nüchtern und realistisch genug ist,
({3})
die Dinge recht zu werten, und daß sie das Verständnis für den einzigen zur Zeit gangbaren Weg hat.
({4})
- Die deutsche Arbeitnehmerschaft hat diese Verträge nicht abgelehnt, Herr Zwischenrufer. Ich bin überzeugt, daß sie um ihre Verantwortung für die gesamte Nation weiß.
Ich möchte schließen mit einem Wort eines Arbeiterdichters, der im ersten Weltkrieg gefallen ist, keines Nationalisten, eines Mannes von der Linken. Ich glaube, dieses Wort galt für die vergangenen Jahre und gilt für die Gegenwart. Ich möchte Ihnen dieses Wort zurufen:
Herrlich zeigt sich in deiner größten Gefahr, daß dein ärmster Sohn auch dein getreuester war.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich die Absicht, im Rahmen dieses Teils der Debatte nur einige Ausführungen über die Stellung Berlins im
Vertragswerk zu machen und bei dieser Gelegenheit einige Wünsche vorzubringen, einige Anregungen zu geben, von denen meine Freunde und ich glauben, daß sie schon hätten Berücksichtigung finden sollen und womöglich noch Berücksichtigung finden müßten.
Der Gang der Debatte legt es nahe, zu einigen der inzwischen gemachten Ausführungen Stellung zu nehmen. Dabei sind es insbesondere zwei Argumente des Kollegen Lemmer, mit denen ich mich etwas befassen möchte. Aber vielleicht gestatten Sie auch, daß ich da noch eine Einfügung mache. Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was der Kollege Sabel eben vorgetragen hat.
Ich bin in keiner Weise befugt, für den Deutschen Gewerkschaftsbund zu sprechen. Ich nehme an, daß Kollegen, die in seinen Reihen maßgebliche Vertrauensfunktionen innehaben, sich dazu selbst äußern werden. Aber, Herr Kollege Sabel, über eines sind wir uns doch hoffentlich im klaren: wir sind hier nicht auf einem Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes,
({0})
sondern im Deutschen Bundestag. Und, Herr Kollege Sabel, wenn Sie vom „Kollegen" Wönner sprachen, - Kollege im Bundestag ist Herr Wönner seit Abschluß der Legislaturperiode des 1. Bundestages nicht mehr, so daß die Auseinandersetzung mit dem Gewerkschaftskollegen Herrn Wönner zweckmäßigerweise vor einem anderen Forum als dem des Deutschen Bundestages zu führen wäre.
Aber lassen wir das einmal beiseite, Herr Kollege Sabel. Sie haben der Meinung Ausdruck gegeben, daß diese große gewerkschaftliche Organisation mit dem, was ihre gewählten Körperschaften zum Ausdruck brächten, nicht die wirkliche Meinung der Arbeitnehmerschaft wiedergebe.
({1})
Das unterliegt natürlich einer sehr individuellen Beurteilung, und wir könnten hier stundenlang in Bundestagsdebatten darüber reden, ob die Stellungnahmen anderer großer beruflicher, konfessioneller oder sonstiger Organisationen nun jeweils das ausdrücken, was die durch sie vertretenen Teile des Volkes meinen mögen. Häufig wird bei solchen Fragen die politische Beurteilung nicht ganz genau mit der Zugehörigkeit zu dieser oder jener nichtpolitischen Organisation übereinstimmen. Herr Kollege Sabel, wenn Sie meinen, Sie könnten die Dinge einfach damit beiseite schieben, daß Sie sagen: Wir haben doch die Wahlergebnisse vom Herbst 1953, an die wir uns halten sollten. Gewiß, die sind ein schwerwiegendes Argument. Aber nicht weniger schwer wiegen die Wahlen des Jahres 1954, Herr Kollege Sabel,
({2})
und eine gewisse politische Entwicklung in unserem Volk kann, wenn man die Dinge schon von dieser Seite her sehen will, nicht übergangen werden.
Ich möchte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit einmal auf folgenden Tatbestand lenken, in dem doch ein Stück der Tragik unserer bundesrepublikanischen Situation und der Tragik der Entscheidung, vor der wir stehen, steckt. Man mag über Meinungsbefragungen - ich spreche jetzt nicht von Volksbefragungen - denken, was man will. Es hat sich in der Welt die Auffassung durchgesetzt, daß sie mit den bekannten Abstrichen nach oben und unten gewisse Entwicklungen aufzuzeigen
({3})
durchaus in der Lage sind. Und was haben wir jetzt in den letzten paar Monaten erlebt? Bei zwei Befragungen eines der größten Institute haben wir sowohl zum Problem der Wiederbewaffnung wie zum Problem, ob erst verhandelt werden soll oder ob erst die Verträge abgeschlossen werden sollen, gesehen, daß der Trennungsstrich bei der erwachsenen Bevölkerung - und zwar nicht einfach übereinstimmend mit den Parteilinien, weder bei Ihnen noch bei uns - faktisch mitten durch das Volk hindurchgeht. Da steckt doch ein ganz ernstes Problem, und das können Sie nicht mit dem Hinweis darauf abtun, daß die Opposition hier mit einem Drittel vertreten ist. Das ist die faktische Lage im Volk.
Herr Kollege Sabel - jetzt komme ich zur Arbeitnehmerschaft -, die beiden Befragungen dieses großen und sonst von auch von Ihnen anerkannten Persönlichkeiten benutzten Meinungsforschungsinstitutes zeigen zweierlei: Während zur Frage der Wiederbewaffnung einerseits, zur Frage der Verhandlungen andererseits der Schnitt quer durchgeht, zeigt sich, daß bei den jungen Männern
({4})
und daß bei den Arbeitern in beiden Fragen eine ganz deutliche Mehrheit eine solche Beantwortung der Fragen vertritt, wie sie von dieser ({5}) Seite des Hauses hier vertreten wird. Ich sage das jetzt gar nicht polemisch; ich sage es einfach, um darzutun, daß man die Größenordnungen sehen muß und daß man auch sehen muß, daß, wenn wir die Bevölkerung als Ganzes nehmen, die wichtigen Gruppen unserer jungen Menschen - vorhin hat einer „Aha" oder so etwas dazwischengerufen; als ob es etwas für die Jugend Herabsetzendes wäre, o wenn sie sich mit besonderer Besorgnis mit diesem Problem auseinandersetzt -, aber auch der Arbeiterschaft diesen Dingen aus sehr naheliegenden Gründen mit besonderer Sorge gegenüberstehen.
Nun noch ein letztes Wort zu den Bemerkungen, die Herr Kollege Sabel hier vorgetragen hat. Es hat schon Stellungnahmen der American Federation of Labor zu Fragen der westlichen und der deutschen Außenpolitik und des Ringens um die deutsche Einheit und einer ganzen Reihe anderer wichtiger Fragen gegeben, die man mit mindestens ebensoviel Recht hier hätte zur Kenntnis bringen können. Wenn man aber die jetzigen Stellungnahmen zur Kenntnis bringt - ich denke, dazu wird in einem anderen Teil unserer etwas aufgegliederten Debatte noch Gelegenheit sein, und ich möchte mich an die Aufgliederung halten -, dann sollte man dem Hause und der Öffentlichkeit auch nicht verschweigen, Herr Kollege Sabel, daß diese große amerikanische Gewerkschaftsorganisation das Saarabkommen als ein Teil des uns vorliegenden Vertragswerks für verwerflich hält
({6})
und an die amerikanische Regierung den eindringlichen Appell richtet, sich nicht damit abzufinden, daß ein solches Abkommen zustande kommt.
({7})
Wenn schon, dann muß man den einen Inhalt und den anderen sehen.
Aber nun zu den beiden Argumenten, die Herr Kollege - ich darf sagen, vor allen Dingen, wenn ich von unserer Berliner Zusammenkunft ausgehe: Koalitionsfreund - Lemmer
({8})
zu den Dingen der deutschen Wiedervereinigung hier vorgetragen hat. Da sind es zwei Dinge. Zunächst einmal das Argument, wir sollten, gerade wenn es sich um das Ringen um die deutsche Wiedervereinigung handelt, unseren Einfluß in der Welt nicht überschätzen. Herr Kollege von Merkatz hat dem hinzugefügt, wir seien leider - und ich wage dem nicht zu widersprechen - gegenüber den wirklich großen Faktoren, den ganz wenigen großen Faktoren der Weltpolitik heute kein ausschlaggebender Faktor. Aber sowenig wir unseren Einfluß in der Welt überschätzen dürfen, sowenig dürfen wir - und darin sollten wir dann wohl hoffentlich auch einer Meinung sein - unterschätzen, daß es beim Ringen um die Wiedervereinigung Deutschlands letzten Endes auf dieses Volk selbst ankommt. Auf wen sonst sollte es ankommen?
({9})
Es macht sich doch - das zeigt sich jetzt bei der Beurteilung des Vertragswerks oder jedenfalls von Teilen des Vertragswerks draußen - bei unseren Nachbarn vielfach ein schreckliches Mißverständnis geltend, das Mißverständnis, unser Unglück könne anderen zum Vorteil gereichen,
({10})
das Mißverständnis, alles würde in Europa und der Welt gut werden, wenn wir nur aufhören wollten - wie man es insbesondere auch an die Adresse des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen gesagt hat - zu schreien, oder das tragische Mißverständnis, es liege im Interesse der westlichen Politik, lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb zu haben. Diese Mißverständnisse müssen - und da ist unserer Meinung nach auf dem Wege des Verhandelns um diese Verträge schon sehr viel versäumt worden - nachdrücklich korrigiert werden. Es muß ein Zustand erreicht werden, bei dem, von unserem eigenen Volk einmal abgesehen, draußen in der Welt niemand darüber im Zweifel sein darf, daß sich dieses Volk niemals mit der willkürlichen und widernatürlichen Spaltung abfinden wird.
Herr Kollege von Merkatz, Sie haben Bismarck zitiert, und ich beabsichtige gar nicht, darauf mit vereinfachten, vielleicht, wie es aus der Zuspitzung früherer Zeiten verständlich sein mochte, überspitzten Gesichtspunkten zu antworten. Ich folge Ihnen sogar bis zu einem gewissen Grade, wenn Sie an die Bismarcksche Politik in der Zeit nach 1871 denken. Aber, Herr Kollege von Merkatz, worin drückte sich diese Politik aus? In dem Satz an die Adresse der Maßlosen: Wir sind saturiert. Und, Herr Kollege von Merkatz, wir sind nicht saturiert; wir können es nicht sein, wir sind dieses halbe Deutschland. Wir können uns eben nicht wie Bismarck im Verhältnis zur nicht zustande gekommenen großdeutschen Lösung gegenüber dem anderen Teil dieses Volkes in der sowjetischen Besatzungszone verhalten.
({11})
Wir müssen die Satten und die Müden und die Trägen in unserem Volk aufrütteln und uns immer wieder die Frage stellen, ob die deutsche Politik wirklich das getan hat, was in ihrer Macht stand, um die Kräfte unseres Volkes auf diesen entscheidenden Punkt zu konzentrieren und einen unbändigen Willen aus diesem Volk heraus zu entwickeln.
({12})
Ich darf hier einen Mann zitieren, der einen
Namen in Deutschland und in der Welt hat und
der zu diesen Problemen gesagt hat - ich zitiere
mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -: Jahrelang hat die Außenpolitik Deutschlands sich in einer angeblichen Realpolitik auf die Aufgabe konzentriert, Papierpläne für kommende Divisionen auszuarbeiten. Die eigentliche politische Arbeit . . . ist immer wieder bei allem Lippendienst in der Sache zweitrangig behandelt worden.
Es heißt dann weiter:
Es zeugt von einer vollständigen Verkennung der Realitäten des deutschen Lebens und der geistigen Struktur unseres Volkes, wenn man das Schreckgespenst eines wehrlosen Deutschlands an die Wand malt, d. h. eines Deutschlands ohne Armee und ohne ein Bündnis mit den doch sicherlich gegen den Kommunismus noch weniger immunen Nachbarländern, das eine leichte Beute der Sowjets werden könnte. Diese Chance haben die Sowjets mit ihren Methoden der Herrschaft endgültig verpaßt. Wir haben Zutrauen zu uns selbst, wir haben Zutrauen zu unserer geistigen und moralischen Stärke und wir sind überzeugt, daß die Behauptung Berlins, die Ereignisse des 17. Juni und all die Dinge, die wir noch erleben werden, eine größere Garantie für die innere Gesundheit und für die politische und moralische Stärke Deutschlands sind als nur Divisionen. Wir sind keine Pazifisten. Wir verstehen die Realitäten der weltpolitischen Lage durchaus. Aber wir glauben, daß der deutsche Beitrag zur Verteidigung der freien Welt und zur Befeiung der uns zunächst genommenen Gebiete in diesem Augenblick zunächst in etwas anderem bestehen muß. Was wir unter diesem anderen verstehen, haben die Ereignisse dieses Jahres auch den Ungläubigen plastisch vor Augen geführt.
Ich habe diese Sätze vorgetragen, weil sie von dem Mann stammen, der vorhin in einem gewissen Gegensatz zu den Auffassungen der Sozialdemokratischen Partei hier zitiert worden ist. Ich habe Ernst Reuter aus der letzten politischen Rede am Sonntag vor den Septemberwahlen des Jahres 1953 zitiert. Niemand ist es verwehrt, in der politischen Auseinandersetzung auch die besonderen Betonungen, die bestimmte Persönlichkeiten in diesem und jenem Lager auf das eine und das andere politische Element legen, zur Kenntnis zu nehmen, sich damit auseinanderzusetzen. Aber es geht nicht an, daß man verstorbene politische Menschen in einem einseitig parteipolitischen Sinne ausnutzt, ohne ihnen der Sache nach wirklich gerecht zu werden.
({13})
Bei dieser Rede Ernst Reuters zu diesem Problem - ich zitiere nach dem Novemberheft 1953 der Zeitschrift „Der Monat" - handelt es sich um so etwas wie das Stück eines politischen Testaments, dem man sich auch in der parteipolitischen Auseinandersetzung mit einer gewissen Ehrfurcht nähern muß, auch wenn man die Meinung nicht teilt. Reuter sagt in derselben Rede, zunächst an die Adresse der Sowjets: Wir werden niemals auf eure Bedingungen eingehen. Wir werden niemals auf etwas anderes eingehen, als daß unsere 18 Millionen frei werden. Aber dann fährt er fort:
Der Westen wird auf der anderen Seite, wenn
er wirklich die Wiedervereinigung Deutschlands will, nicht darauf bestehen können, daß 1 Deutschland vor dieser Wiedervereinigung ein Teil des westlichen Bündnissystems wird.
({14})
Die künftige Stellung Deutschlands in der Welt kann endgültig nur geregelt werden durch eine Vereinbarung einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung für ganz Deutschland und der Vier Mächte.
({15})
Wenn man diesen Gedanken fortführen wollte, zu dem ich durch den Hinweis des Kollegen Kiesinger heute vormittag angeregt wurde, dann müßte man davon reden, wie gerade dieser Mann, der in so schweren Jahren das Wort Berlins geführt hat, sich doch letzten Endes auch verzehrt hat, weil es nicht in ausreichendem Maße gelang, die deutsche Politik auf diesen entscheidenden Punkt des Ringens um die Wiedervereinigung zu konzentrieren und Verständnis dafür zu wecken, daß vielleicht Divisionen notwendig sein mögen, wenn es nicht anders geht, daß aber jedenfalls die Freisetzung von 18 Millionen unserer Menschen auch für die Sicherheit der westlichen Welt mehr bedeuten würde als 12 westdeutsche Divisionen.
({16})
Ein zweites Argument. Herr Kollege Lemmer hat gemeint, im Grunde reduziere sich die Auseinandersetzung zum Thema des Verhandelns um die Wiedervereinigung - und darin drücke sich eine gewisse Annäherung von Standpunkten in der Sache aus - heute weitgehend auf die Frage, ob vor oder nach der Ratifizierung der Verträge verhandelt werden solle. Darin mag, wie man ja auch aus der Berichterstattung ersehen konnte, einiges Richtige stecken. Aber ich glaube, es wird der uns beschäftigenden Problematik und dem, was zwischen den beiden Seiten des Hauses diskutiert wird, nicht ganz gerecht. Ich will gar nicht bestreiten, daß, wie es auch ein Antrag meiner Fraktion zum Ausdruck bringt, in einer Periode zwischen einer formalen Annahme der Verträge und ihrer etwaigen Verwirklichung unter Umständen noch außerordentlich wichtige Chancen wahrgenommen werden könnten. Ich stehe auch, glaube ich, mit allen meinen politischen Freunden auf dem Standpunkt, daß es über das ernste Warnen vor sich auftürmenden Gefahren hinaus natürlich nirgends einen Schlußpunkt in unserem Bemühen um das Verhandeln über unser Lebensproblem geben kann.
Aber diese Fragestellung „vor oder nach der Ratifizierung" wird dem, was die Opposition vorzubringen hat, insofern nicht gerecht, als wir fragen: Selbst wenn die Mehrheit und die Bundesregierung aus Gründen, die sie für durchschlagend, für überzeugend halten, der Meinung sind, es muß jetzt ratifiziert werden, welchen vernünftigen Sinn gibt es selbst von diesem Ausgangspunkt Ihrer eigenen Politik aus, daß nicht auf dem Wege dahin alles getan wird, um zu sondieren, um zu erforschen, um festzustellen - mit den uns zur Verfügung stehenden, gewiß unzulänglichen Mitteln - im Osten und anderswo
({17})
- ich werde gleich ein Beispiel nennen; ich bitte, eine halbe Minute zu warten -, ob sich nicht doch
- vielleicht ist es nicht so, dann um so schlimmer
({18})
für uns alle - gewisse Bedingungen für das Ringen um die deutsche Einheit verändert und für uns verbessert haben könnten?
Es wurde dazwischengerufen: Wie denn? Sehr verehrter Herr Zwischenrufer, ich hoffe, wenn ich den Fall etwas umschreibe, daß ich nicht gegen die Vertraulichkeit der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses verstoße.
({19})
Ich darf also folgendes sagen. Als vor einiger Zeit ein sehr umstrittener früherer hoher Offizier der Wehrmacht aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte und beim Grenzübertritt gewisse Aussagen machte über das,' was ihm ein sowjetischer, mit Gefangenenfragen befaßter Offizier gesagt hatte, da tat die Bundesregierung das, was in dieser Sache das - ich glaube, nach unser aller Überzeugung - einzig Richtige war: Sie griff diese Mitteilung eines sehr zweifelhaften Mannes in einer sehr zweifelhaft übermittelten Form auf, um die Westmächte auf dem Weg über die Hohe Kommission zu bitten, an Ort und Stelle feststellen zu lassen, was es damit auf sich hat, ob wir erwarten können, daß unsere Gefangenen zurückkommen, wann wir damit rechnen können. Da meinen wir, Herr Zwischenrufer: es hat in dieser Zwischenzeit einige Aussagen und Dokumente von vielleicht weitreichenderer Bedeutung gegeben, wonach wir ein entsprechendes Verfahren auf dieser und anderer Ebene für dringend geboten gehalten hätten. Vor allem aber geht es - weit über die Frage „vor oder nach der Ratifizierung?" hinaus - doch darum, worüber verhandelt werden soll.
({20})
Ob vor oder nach, das Worüber ist doch die entscheidende Frage.
Wenn man das anerkennt, dann muß man in die Problematik einsteigen, die einerseits durch die unabdingbare Forderung nach freien Wahlen gegeben ist. Niemand von uns - wir brauchen das nicht polemisch zu verwenden, Herr Kollege von Merkatz - will die Einheit um den Preis der Freiheit. Aber die Problematik ergibt sich aus diesem Anspruch, gekoppelt mit der Notwendigkeit, einen Status für dieses Deutschland zu finden, mit dem wir selber zufrieden sein können, wenn wir vielleicht auch nicht über ihn begeistert sein werden, mit dem aber außer uns noch die Vier Mächte zufrieden sein müssen, ohne deren Zustimmung wir zu einem solchen wiedervereinigten Deutschland leider nicht kommen können.
Hier ist das Wort von der Bündnisfreiheit gefallen und ausgelegt worden.
({21})
Herr Kollege Lemmer sagte: Also isoliert! - Die Sozialdemokratische Partei hat sich niemals für eine Bündnislosigkeit im Sinne des Sich-Isolierens ausgesprochen
({22})
- ich bitte, mir einen Augenblick Gehör zu schenken -, sondern sie hat einfach die Tatsache festgestellt, die uns gefallen mag oder nicht, die sich aber nun einmal aus den Verhältnissen in der Welt ergibt, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, man könnte dieses Deutschland wieder zusammenfügen und es in seiner Gesamtheit entweder dem militärischen Ostblock oder dem militärischen Westblock einverleiben.
({23})
Die Sozialdemokratische Partei und Fraktion hat also gesagt, daß gegenüber diesen beiden heute faktisch bestehenden konkreten militärischen Blocksystemen keine solche Eingliederung möglich sein kann, wenn man die Wiedervereinigung anstrebt.
({24})
Die Unterstellung einer Politik des Den-RückenKehrens, einer Politik der Isolierung, von der hier gesprochen worden ist, übersieht die Tatsache, daß gerade diejenigen, die aus der Sorge um die Wiedervereinigung die eben aufgezeigte Problematik immer wieder zur Debatte stellen, die Zugehörigkeit unseres Volkes zum Kreis der westlichen Kultur und zur Gemeinschaft der sich demokratisch regierenden Nationen für über jede Diskussion erhaben halten. Es handelt sich einfach um die Frage, wie die sicherheitsmäßige Stellung - nicht die politische, nicht die geistige, nicht die kulturelle, nicht eine einseitige, etwa nach östlicher Seite einseitige Festlegung ökonomischer Art, sondern wie die sicherheitsmäßige Stellung dieses Deutschlands nicht in der Luft hängend, sondern eingeordnet in ein kollektives Sicherheitssystem geregelt werden könnte.
({25})
- Meine Damen und Herren, keiner hat das fertige Rezept
({26})
in Händen und kann es in Händen haben, weil es
nur das Ergebnis von Verhandlungen sein könnte.
({27})
Wir müssen aber mit unseren alliierten Freunden reden und sie überzeugen, daß die Deutschen keine opportunistische Schaukelpolitik - denn das befürchtet man doch draußen - betreiben würden. Wir können - bei aller Anerkennung der Verdienste der Vereinigten Staaten, von denen hier die Rede war - nicht einfach die Rezepte aller unserer Freunde in der westlichen Welt übernehmen. Wir müssen das Mißtrauen uns gegenüber ausräumen; aber wir müssen andererseits unseren Freunden draußen sagen, welches Mißtrauen in großen Teilen unseres Volkes gegenüber ihrer unklaren Haltung in der Frage der Wiedervereinigung besteht, und sie davon überzeugen, daß es nicht um unserer schönen Augen willen, sondern weil es gilt, der Unruhe in Europa vorzubeugen und zu verhindern, daß die Karte der Wiedervereinigung in die falschen Hände gelangt, notwendig ist, dieses Problem nicht irgendwann, sondern rasch anzupacken. Denn wenn die deutsche Wiedervereinigung nicht in dieser Generation gelöst wird, dann besteht die Gefahr, daß sie entweder überhaupt nicht mehr gelöst wird oder daß sie dann von einem ganz anderen Ausgangspunkt mit dem Ausspielen sehr gefährlicher östlicher Karten und einem Zusammenspiel sehr gefährlicher Kräfte in Angriff genommen werden könnte.
Und nun, meine Damen und Herren, darf ich einige Bemerkungen weniger polemischer Art zu dem Berlin-Komplex machen und sagen: Es hat wenig Sinn, darüber zu spekulieren, ob Berlin im Zusammenhang mit dem Vertragswerk neuen Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird. Das weiß niemand. Wir wissen nur, daß es eine Rechtsgrundlage für neue Schikanen nicht geben wird, und wir wissen, daß die Berliner sich nicht beirren lassen,
({28})
sondern ihrer Arbeit nachgehen und sich ihrer besonderen Aufgabe in Deutschland bewußt bleiben werden. Aber ich möchte sagen: Sosehr wir gewisse Berlin betreffende Bestandteile des Vertragswerks auch unsererseits - ich sage das auch gerade als Berliner Abgeordneter - begrüßen, sosehr erscheint uns auf einem bestimmten Gebiet eine Korrektur erforderlich.
Es ist gut, daß die Garantie für Berlin erneuert und erweitert worden ist. Es ist gut, daß die Alliierten ihre Bereitschaft erklären, die Selbstverwaltung soweit wie möglich zum Zuge kommen zu lassen und auf dem Boden gegenseitigen Vertrauens zu gestalten. Es ist gut, daß die Bereitschaft der Bundesregierung zur Hilfe für Berlin jetzt den Charakter der Freiwilligkeit und der Selbstverständlichkeit erhält und daß die Hilfeleistungserklärung der Bundesregierung sachlich, inhaltlich erweitert worden ist. Manchem von uns will es allerdings nicht recht einleuchten, warum in Abweichung von den Vorschlägen des Berliner Senats nicht einfach von der „deutschen Hauptstadt", sondern von der „vorgesehenen deutschen Hauptstadt" die Rede ist. Ich finde, wenn wir uns aus guten Gründen und mit vollem Recht auf den Standpunkt stellen, Deutschland lebe völkerrechtlich innerhalb der Grenzen von 1937 weiter, dann muß das beinhalten, daß die Hauptstadt Deutschlands Berlin heißt, es sei denn, die frei gewählte Nationalversammlung beschlösse anders.
Für bedauerlich halte ich, daß einem einhelligen Wunsch der Berliner, vorgetragen durch den vorigen Senat, dem die Sozialdemokraten bekanntlich nicht angehörten, nicht Rechnung getragen worden ist. Dieser Wunsch Berlins ging davon aus, daß in dieser Hilfeleistungserklärung und damit bei dieser Neuregelung unserer Beziehung zu den Westmächten auf die fortschreitende Eingliederung in den Bund Bezug genommen werden möge. Statt dessen ist das alliierte Schreiben vom Mai 1952 in London einfach bestätigt worden. Berlin ist dabei leider nicht konsultiert worden. Das war nicht gut; denn wir können heute weniger denn je darauf verzichten, daß Berlin so eng wie möglich nicht nur tatsächlich, sondern auch darüber hinaus mit dem Bund verflochten wird. Darum müssen wir bestrebt sein, die alliierten Vorbehalte in dieser Hinsicht aufzulockern. Es wäre nicht gut, wenn es allein bei der Feststellung bliebe, die wir heute morgen im Bericht des Herrn Kollegen Furler gehört haben und gegen die sich, von dieser Seite her gesehen, gewiß nichts einwenden läßt, daß Berlin international-rechtlich nicht zum Bund gehöre. Dem muß doch zumindest nebengeordnet, für mich jedenfalls übergeordnet werden, daß Berlin nach deutschem Recht zum Bund gehört und Land des Bundes ist.
({29})
So steht es im Grundgesetz, und ich freue mich, daß wir dieser Auffassung auch jetzt gemeinsam zustimmen. So entspricht es also dem Willen unserer Volksvertretung hier und in Berlin. Aus deutscher Sicht gehört Berlin auch de jure zum Bund; faktisch kommt diese Zugehörigkeit wegen übergeordneter alliierter Vorbehalte noch nicht voll zum Tragen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wir in Berlin anerkennen alle die besonderen Rechte und Pflichten der Westmächte in Berlin. Wir wollen ihnen die Ausübung dieser Rechte und Pflichten nicht erschweren; denn sie üben sie ja nicht zu ihrem eigenen Vergnügen aus. Wir anerkennen,
was die alliierte Seite angeht, bis auf weiteres durchaus eine Sonderlage, einen besonderen Status der Alliierten. Wir anerkennen, daß die Westmächte in Berlin durch ihre Kommandantur Träger der obersten Gewalt bleiben, daß sie auch Kontrollinstanz bei der Übernahme von Bundesrecht sind und bleiben. Ich wiederhole: Wir wollen die Stellung der Alliierten nicht erschweren und ihre Lage nicht komplizieren. Wir wollen auch die Aufgaben, die dem Bund in Berlin obliegen, nicht erschweren, sondern erleichtern. Aber ich bestreite nachdrücklich, daß der Status der Alliierten in Mitleidenschaft gezogen würde, wenn die Mitgliedsrechte Berlins im Bund verstärkt würden.
({30})
Wir sollten das eine vom anderen trennen und uns
nicht zum Gefangenen von Überlegungen machen,
die in früheren Vorbehalten zum Ausdruck kamen.
Berlin ist völkerrechtlich und im Bereich des innerdeutschen Rechts sowie finanziell und wirtschaftlich ein Teil des demokratisch regierten Deutschland. Daraus gilt es aber nun einige weitere Folgerungen zu ziehen. Die gegenwärtige Übernahme der Bundesgesetze auf dem Wege der Mantelgesetzgebung ist schwerfällig; sie muß erleichtert und vereinfacht werden können. Das Stimmrecht der Berliner im Bundestag und im Bundesrat muß zumindest erweitert werden können.
({31})
Die Berliner müssen in die Lage versetzt werden, ihre Abgeordneten durch direkte Wahl zu ermitteln. Es ist auf die Dauer - die Dinge ziehen sich doch jetzt schon jahrelang hin - auch aus Gründen des demokratischen Prinzips und der parlamentarischen Verantwortlichkeit nicht möglich, es beim jetzigen Zustand starr zu belassen. Vor allem gilt es aber auch in praktischer Hinsicht, vielfache Möglichkeiten einer Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen Bund und Berlin zu ergreifen.
({32})
Durch solche Regelungen im Bereich deutscher Zuständigkeiten wird der alliierte Sonderstatus, werden die Rechte und Pflichten der Alliierten in keiner Weise berührt. Die Eingliederung so, wie wir sie uns denken, kann und soll im Rahmen der anerkannten alliierten Verantwortlichkeiten geschehen. Die Bundesregierung hätte ihre Aufgabe darin sehen sollen und sollte sie darin sehen, den Alliierten diesen Unterschied klarzumachen, statt selbst dem Irrtum eines Durcheinanderbringen verschiedener Probleme auf der deutschen und auf der alliierten Ebene zu unterliegen. Wir sollten uns alle miteinander daran erinnern, daß wir 1952, trotz im übrigen unterschiedlicher Beurteilung der Verträge, in diesem Fall der Meinung waren: hier war die Berliner Frage unzulänglich angepackt. Wir sollten es uns heute nicht so billig machen zu erklären, es sei alles in bester Ordnung. Wir müssen uns, unbeschadet der Dinge, die wir nicht wissen, die kommen können, um eine positive Weiterentwicklung bemühen, ohne damit eine Komplizierung im alliierten Bereich zu verbinden.
Worum geht es letzten Endes? Es geht darum, daß sich der Abstand zwischen dem Bund und Berlin nicht ohne Not vergrößert, sondern daß er womöglich noch verkleinert wird.
({33})
({34})
Es geht darum, daß am Berliner Beispiel noch einmal bewiesen wird - unabhängig von den sonstigen Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Wiedervereinigungspolitik -, wie wir zum ganzen Deutschland stehen, mit Berlin als einem Schritt, einer Etappe, einem Problem, mit dem sich der Bund täglich auseinanderzusetzen hat. Vieles ist auf diesem Wege geschehen, aber leider ist vieles auch zögernd, unzulänglich geschehen, und manches ist unterlassen worden. Aber es geht hier - ich darf das nun doch mit einer gewissen Spitze sagen; das dürfen Sie bei der Erörterung dieses Teils einem Mitglied der Opposition nicht verargen - um ein ernstes Mißverständnis im Ausland. Vor mir habe ich den Brief eines Ausländers, eines guten Freundes der deutschen und der Berliner Sache. Dieser Amerikaner schreibt an jemand, der in einer großen Zeitung behauptet hatte, daß es im deutschen Volk keine Zufriedenheit geben werde, solange das Volk wisse, daß 18 Millionen seiner Brüder in Unfreiheit leben:
Kann man wirklich sagen, daß „es im deutschen Volke keine Zufriedenheit geben wird, solange es weiß, daß 18 Millionen seiner Mitbürger in Unfreiheit leben"? Der Beweis dafür wären, glaube ich, nicht so sehr die Worte, die in Bundestagsausschüssen oder in offiziellen Kreisen in London, Paris oder Washington gesprochen werden, als vielmehr Taten gegenüber der früheren Hauptstadt einer geeinten Nation.
Ich muß in diesem Zusammenhang daran denken,
- so sagt dieser Ausländer was Richard Crossmann mir erzählte, als er vor vielen Jahren aus Israel zurückkehrte: An dem Tage, da Jerusalem geteilt wurde, begann die Regierung mit allen zur Verfügung stehenden Lastwagen ihr Mobiliar von Tel Aviv in den westlichen Sektor Jerusalems zu bringen. . . . Enthält dies nicht eine Lehre?
- So fragt dieser Ausländer. Und ich frage, ob nicht im Verhältnis Bund-Berlin noch viel zu tun bleibt.
({35})
Das Wort hat der Bundesminister für besondere Aufgaben Strauß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Lemmer hatte in seinen Ausführungen ohne Zweifel recht, wenn er meinte, daß wesentliche Argumente für oder gegen die Pariser Verträge während der parlamentarischen Debatte nicht mehr neu angeführt werden könnten.
({0})
- Ich komme gleich darauf; Herr Kollege Wehner, Sie kommen heute noch auf Ihre Rechnung!
({1})
Ich glaube, daß alle Vertreter der Regierungsparteien mit mir in einer Ansicht übereinstimmen, nämlich in der Ansicht, daß eine Auseinandersetzung über die Pariser Verträge in dem Geiste und mit den Argumenten, wie sie der Kollege Brandt hier durchgeführt hat, bei weitem diese inneren
Spannungen vermieden und bei weitem auch eine Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition erleichtert hätte.
({2}) Vielleicht könnten wir uns auf beiden Seiten so die Sprachweise des Herrn Kollegen Lemmer - ({3})
- Ja, Chefs gibt es vielleicht in Ihrer Partei, Herr Kollege Schoettle; mein Chef ist mein Gewissen.
({4})
Im übrigen, im Vertrauen gesagt, Herr Kollege Schoettle, noch ist die CSU eine eigene Partei und hat einen anderen Chef!
({5})
Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir über das heutige Thema mit dem Chef unserer Schwesterpartei restlos einig sind.
({6})
Vielleicht könnten wir uns die Sprechweise des Kollegen Lemmer und des Kollegen Brandt, sagen wir einmal, als die polaren Anfänge für die Basis einer Zusammenarbeit vorstellen. Darüber ließe sich auf beiden Seiten reden.
({7})
Lassen Sie mich aber noch auf etwas anderes hinweisen, was die holde Eintracht leider etwas stören muß, denn Sie haben in der Öffentlichkeit, in der Unterstützung der Aktion der Frankfurter Paulskirche, in der Durchführung der Testaktionen in Dortmund, Aschaffenburg und Hof, in der Durchführung dieser wahllosen Volksbefragung - Pseudo-Volksbefragungen! - leider im Ton und in den Argumenten sich ganz anders verhalten, als es hier im Parlament Gott sei Dank heute der Fall gewesen ist.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Betrifft die Kritik, die der Herr Abgeordnete und Bundesminister Strauß eben an gewissen Äußerungen und Vorgängen der letzten Wochen geübt hat, auch die Äußerungen des Herrn Bundesministers Dr. Erhard gegenüber dem Führer der Opposition und gegenüber einigen Besuchern seiner eigenen Versammlungen?
({0})
Ist dem Herrn Bundesminister bekannt, daß dort Ausrücke wie z. B. „Idiot" und „verlogen" gefallen sind?
Ich darf darauf, Herr Kollege Erler, folgendes erwidern. Wenn ich nicht falsch unterrichtet bin, wird der Kollege, Abgeordnete und Minister Dr. Erhard morgen selbst zum Wort kommen. Darum fragen Sie ihn vielleicht morgen am besten selber erst!
({0})
({1})
A) Zum zweiten, Herr Kollege Erler, haben mir die letzten Wochen leider die Überzeugung beigebracht daß so, wie man in den Wald hineinruft, es wieder heraushallt.
({2})
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang gerade der Opposition - ({3})
- Ja, Kollege Baur, Ihnen gegenüber mit Glacéhandschuhen wäre doch gewiß die falsche Methode
({4})
Da würden Sie sich ja glatt beleidigt oder unterbewertet fühlen.
Ich wollte hier aber, meine sehr verehrten Damen und Herren - insbesondere der Opposition -, darauf hinweisen, daß wir die Pflicht haben, mit denselben Argumenten, wenn auch nicht in derselben Lautstärke und derselben Tonart, aber mit denselben Argumenten, mit denselben klaren Zuspitzungen, mit denselben gefährlichen Alternativen, wie sie von Ihnen in der Öffentlichkeit gebraucht worden sind, hier abzurechnen. Wir müssen die Möglichkeit haben, hier darüber zu sprechen, damit nicht das Volk zu der Überzeugung kommt, daß im Parlament und in der Öffentlichkeit zwei völlig verschiedene Tonlagen und zwei völlig verschiedene Systeme der Beweisführungen angewandt werden.
({5})
Herr Bundesminister - Strauß, Bundesminister für besondere Aufgaben: Wir würden auf diese Auseinandersetzung gern verzichten, wenn wir die Gewähr hätten,
({0})
daß wir in Zukunft dem Parlamente die Prärogative der Auseinandersetzung, der Argumente zubilligen und nicht der Straße.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Ja.
Darf ich, Herr Minister, Ihre Erwartung, daß dieselben Argumente, die draußen in den Versammlungen fallen, nun auch hier im Parlament in aller Öffentlichkeit ausdiskutiert werden sollen
({0})
- doch, es ist eine Frage, meine Herren -, als eine Ankündigung dahin auffassen, daß auch der Herr Bundeskanzler uns hier mit denselben Argumenten beehren wird, die er auch draußen in den Versammlungen zu verwenden pflegt?
({1})
In der zweiten Lesung der Pariser Verträge hat der Herr Bundeskanzler bisher meines Wissens noch nicht das Wort ergriffen. Wenn ich mich an die erste
Lesung und an frühere Lesungen bei anderen Gelegenheiten erinnere, dürfte er Ihnen in seiner Argumentation hier nichts erspart haben, was er auch draußen gesagt hat.
({0})
- Sie können doch von mir nicht verlangen, daß ich für den Herrn Bundeskanzler verbindliche Erklärungen abgebe. Dazu ist er selbst genug imstande.
Wir stehen in einer für die Zukunft unseres Volkes und aller freien Völker der Welt bedeutungsvollen, vielleicht der bedeutungsvollsten außenpolitischen Debatte unseres Parlaments seit seinem Bestehen überhaupt. Wir haben einen konkreten Anlaß dazu, weil wir in diesen Tagen über Annahme oder Ablehnung der Pariser Verträge entscheiden müssen.
({1}) - Weil wir entscheiden müssen.
({2})
Gerade über diese Entscheidung ist soviel Unruhe in der deutschen Öffentlichkeit entstanden oder, richtiger gesagt, großenteils künstlich erzeugt worden.
({3})
Für uns muß jede außenpolitische Entscheidung nach zwei großen Gesichtspunkten beurteilt werden: 1. Nützt diese Entscheidung der Wiedervereinigung unseres Volkes in Frieden und Freiheit? 2. Ist diese Entscheidung ein Beitrag zum Zusammenschluß Europas und zur Sicherheit der freien Völker der Welt? Diese beiden Gesichtspunkte und damit komme ich auf Ihr erstes Argument zu sprechen, das Sie gemeiniglich anzuwenden pflegen -, diese beiden Gesichtspunkte: Wiedervereinigung unseres Volkes, Zusammenschluß Europas und Sicherheit der freien Völker der Welt, stellen keinen Gegensatz dar; sie sind untrennbar miteinander verbunden. Die Freiheit unseres Volkes ist keine Frage für sich allein.
({4})
Jeder Beitrag, den wir für die Freiheit aller Völker leisten, ist gleichzeitig ein Beitrag für die Freiheit unseres Volkes.
({5})
Der Kampf für die Freiheit unseres Volkes steht in einem unauflöslichem Zusammenhang mit dem Ringen um die Freiheit aller Völker. Wir müssen uns deshalb der Tatsache bewußt sein, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht für sich allein gesehen und wahrscheinlich auch nicht für sich allein gelöst werden kann. Für uns ist diese Frage das große politische Anliegen unseres Volkes. Für die anderen Völker in Ost und West ist diese Frage ein Problem unter mehreren, wenn auch ein wesentliches. Wir müssen uns also vor dem Fehlschluß hüten, daß die anderen die deutschen politischen Wünsche und Notwendigkeiten ohne weiteres in den Mittelpunkt ihrer politischen Denk- und Handlungsweise stellen. Wir sollten zu der Einsicht kommen, daß unsere Fähigkeit, Entscheidungen zu unseren Gunsten herbeizuführen, um so größer wird, je stärker der
({6})
politische Faktor Deutschland, vertreten durch die
Bundesrepublik Deutschland, in Erscheinung tritt
({7})
und je mehr sein wachsendes Gewicht in die Waagschale der politischen Entscheidungen geworfen werden kann. Es geht für uns auch heute noch darum, aus einem Objekt der Politik der anderen gleichberechtigter Partner und Kontrahent zu werden.
({8})
Das ist nach unserer Auffassung die einzige Politik der Tatsachen - von der wir heute so oft gesprochen haben -, die überhaupt im Bereich des Möglichen für uns liegt.
({9})
Gerade aus diesem Grunde, Herr Kollege Ollenhauer, sollten wir uns darüber im klaren sein, daß trotz der unvermeidbaren politischen Gegensätze es für die Zukunft unseres in einem außenpolitischen Notstand befindlichen Volkes schlechthin lebenswichtig ist, eine echte Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition zu erreichen,
({10})
d. h. über Ziel u n d Weg sich einig zu werden. Leider sind wir heute von diesem Zustand noch weit entfernt. Ich halte nicht viel von der These, die die Opposition zur Selbstrechtfertigung gelegentlich vertritt, daß die Erfolgschancen für die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen mit den Westmächten oder eines Tages mit der Sowjetunion um so größer seien, je stärker der Druck ist - vom Verfassungsstreit bis zur Volksbefragung -, der von der Opposition auf sie ausgeübt wird.
({11})
Auf jeden Fall ist hier die optimale Grenze längst und bei weitem überschritten worden.
({12})
Der Kurswert der deutschen Politik wird bei Freund und Feind nicht nach der Lautstärke und nicht nach der Schärfe der Opposition - ({13})
- Schreie ich so laut? Ja, Herr Kollege Schmid, Ihr Beispiel ist für mich immer ein Vorbild!
({14})
- Manchmal würden Ihre Redner besser dort auftreten als in ernsten Versammlungen!
({15})
- Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, ich habe bis heute noch keinen Ausdruck gebraucht, der Ihren Zwischenruf rechtfertigt: „Das gehört auf die Wiesn!" Sie könnten einiges zum politischen Stil auch hier beitragen.
({16})
Ich könnte Ihnen sonst noch einiges dazu für Ihr Stammbuch sagen. Ich will es nicht tun.
({17})
- Ja, Ihnen auch!
({18})
- Ja, ich unterwerfe mich natürlich Ihrer Zensur und bin froh darüber, von Ihnen eine gute Note zu kriegen.
Der Kurswert der deutschen Politik wird - darf ich wiederholen - bei Freund und Feind nicht nach Lautstärke und Schärfe der Opposition, auch nicht nach dem moralpolitischen Gehalt ihrer jeweiligen Argumente bemessen, sondern ausschließlich nach der Nüchternheit, Zuverlässigkeit, Entschlossenheit und Stabilität der Politik der Bundesregierung und des Bundestages. An diesem Maßstab gemessen sind die kombinierten Aktionen der SPD, des DGB und anderer Kreise
({19})
gegen die Außenpolitik der Bundesregierung und gegen die Legitimation des Parlaments als schlechter Dienst am deutschen Volk zu bezeichnen.
({20})
Das Mindeste, was wir uns gegenseitig zubilligen sollten, wenn nicht der Weg für die Feinde der Demokratie bereitet werden soll, ist die Ehrlichkeit unseres Willens und die Lauterkeit unserer Absichten! Gegenseitig zubilligen!
({21})
In diesem Zusammenhang darf ich auf die vergiftenden Behauptungen zu sprechen kommen, die von den Spitzen der Opposition in vorsichtiger Form, von ihren Propagandisten im Land in derber Form erhoben wird, daß es die Bundesregierung mit der Wiedervereinigung überhaupt nicht ernst oder nicht ernst genug meine. - Die Wiedervereinigung ist weder eine politische Erfindung der SPD noch hat sie ein Monopol auf diesem Gebiet oder kann eine Patentlösung dafür aufweisen.
({22})
Mit dem häufigen Gebrauch des Wortes „Wiedervereinigung" ist nicht viel mehr erreicht als ein ständiges Memento. Einen realen Schritt vorwärts zu diesem Ziele tut nur derjenige, der dem politisch handlungsfähigen Teil des deutschen Volkes wieder politischen Einfluß und politisches Gewicht verschafft.
({23})
Die Bundesregierung ist im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit für die 50 Millionen Deutscher in der Bundesrepublik und in West-Berlin unmittelbar verantwortlich. Sie ist treuhänderisch verantwortlich für Gesamtdeutschland und bekennt sich zu dieser Verantwortung.
({24})
Solange die Opposition nicht die Vorwürfe dieser Art einstellt, wie ich sie vorhin geschildert habe, muß bei uns immer wieder das fatale Gefühl entstehen, daß unser gemeinsames nationales Ziel der Wiedervereinigung in zweckfremder und zweckschädlicher Weise auch zum Kampf gegen die Bundesregierung mißbraucht und damit die Außenpolitik zu einer Funktion innenpolitischer Wünsche degradiert wird.
({25})
Wenn wir uns heute fragen, warum der Unterschied, ja, der Gegensatz zwischen Regierung und Opposition - trotz eines hoffentlich gemeinsamen Zieles - in der Frage des Weges, wie dieses Ziel erreicht werden soll, so ungeheuer groß ist, dann
({26})
gibt es darauf nur eine ganz klare Antwort: Wir unterscheiden uns wesentlich in der Beurteilung der wirklichen Ziele der sowjetischen Politik.
({27})
Wir können uns dabei mit gutem Gewissen darauf berufen, daß Dr. Kurt Schumacher zu seinen Lebzeiten dieselbe realistische Beurteilung der sowjetischen Politik sich zu eigen gemacht und in der Öffentlichkeit vertreten hat wie wir, wenn wir auch im Wege nicht mit ihm einig gewesen sind.
({28})
In diesem Monat sind es 10 Jahre gewesen, daß die Konferenz von Jalta durchgeführt wurde. Auf dieser Konferenz ist die Saat ausgestreut worden, deren Ernte soviel Unruhe und Angst über die Welt gebracht hat. Auf ihr sind die politischen Minen gelegt worden, um deren Entschärfung sich heute die westlichen Großmächte bemühen. Ich brauche die bekannten Ereignisse und Ergebnisse dieser Konferenz nicht aufzuzählen. Es genügt die Frage, warum die Westmächte damals den Sowjets die Möglichkeit gegeben haben, ihre Macht in Ost und West bedeutend zu erweitern, ihre Grenzen bis Hof, Helmstedt und Lübeck vorzuschieben, eine Fülle von Konfliktsmöglichkeiten in Ostasien hervorzurufen und die Welt in ständiger Sorge um die Frage „Krieg oder Frieden" zu erhalten. Es war die tragische Verkennung der sowjetischen Mentalität
({29})
und die tragische Selbsttäuschung über die sowjetischen Kriegsziele, die sich von ihren heutigen Friedenszielen praktisch nicht unterscheiden.
({30})
Während Präsident Roosevelt bereits vom Schatten des Todes umwittert sich als den Vater des ewigen Weltfriedens in die Geschichte eingehen sah und von der großen Weltfriedensorganisation der Vereinten Nationen, seiner Schöpfung, träumte,
({31})
rechnete Stalin mit ganz anderen Maßstäben. Für ihn waren nicht die Satzungen der UNO interessant, die er damals noch gar nicht gelesen hatte, sondern der praktische Machtzuwachs für die Sowjetunion. - Ich habe den lächerlichen Zwischenruf gehört. Mir ist das Anliegen nicht so lächerlich, daß ich solche Zwischenrufe machen würde..
({32})
Denn bei dem Thema, bei dem wir jetzt sind, wird für uns eines Tages die Frage über Leben und Tod entschieden.
({33})
Roosevelt glaubte, durch die Erfüllung der sowjetischen Forderungen die sowjetische Politik befriedigen und die bolschewistische Staatsform allmählich in eine demokratische Entwicklung überführen zu können. In Wirklichkeit sind die sowjetischen Ziele zu allen Zeiten dieselben geblieben; nur die Methoden, mit denen sie verfolgt wurden, haben gewechselt.
({34})
- Ja, gerade weil Sie es nicht glauben wollen,
müssen wir es noch öfter sagen, und wir werden
es noch öfter sagen. Es geht auch darum, daß die deutsche Öffentlichkeit über den tragischen Scheideweg, an dem wir stehen, aufgeklärt wird.
({35})
Es spricht auch nicht das geringste Anzeichen dafür, daß es nach Stalins Tod anders geworden ist. Wenn die sowjetische Politik ein wechselndes Gesicht zeigte, so beschränkte sich das bisher ausschließlich auf die Methoden. Der Wechsel der Methoden bei gleichbleibendem Ziel entspricht dem System des dialektischen Materialismus. Es ist müßig, heute zu fragen, ob die ablehnende Haltung des Westens gegenüber den jüngsten sowjetischen Angeboten zum Sturz Malenkows beigetragen hat; denn der sogenannte New Look oder neue Kurs der Sowjets hatte nichts mit einer Änderung ihrer politischen Ziele, sondern nur mit einem Wandel ihrer politischen Taktik etwas zu tun. Malenkow wurde nicht gestürzt, weil er in seinem Bemühen um die Koexistenz keinen Erfolg hatte. Er wurde, wenn überhaupt durch westliche Einwirkung, vielleicht deshalb gestürzt, weil die freien Völker auf die veränderte Taktik nicht hereingefallen sind. Ob man deshalb wieder zum alten Kurs glaubte zurückkehren zu müssen? Immerhin hat Malenkow es verstanden, die Spaltung Koreas aufrechtzuerhalten, die Teilung Indochinas herbeizuführen und damit einen wesentlichen Machtzuwachs des sowjetischen Blocks zu erreichen. Warum ausgerechnet er von einigen Illusionisten als möglicher Freund der deutschen Einheit hingestellt wurde, bleibt das unerfindliche Geheimnis von Zeitgenossen, die politische Realitäten mit ihrem persönlichen Wunschhoroskop verwechseln.
({36})
Im Zusammenhang damit kann sich Malenkow sogar darauf berufen, daß während seiner Amtszeit die EVG gescheitert ist und die konkrete Aussicht bestand, die Einigung des Westens und die Wiederbewaffnung Deutschlands überhaupt zu verhindern.
({37})
- Natürlich, ich bedaure sehr, daß sie nicht zustande gekommen ist; ich habe mich nicht so gefreut wie Sie, als sie scheiterte.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, das Ziel der sowjetischen Politik - auch wenn Sie darüber lachen mögen; eines Tages wird Ihnen das Lachen vergehen - ist und bleibt die Weltrevolution.
({38})
Die nächste Etappe auf diesem Wege sollte nicht die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit oder Frieden sein, sondern die Bolschewisierung Gesamtdeutschlands, die praktisch der Herrschaft über Europa gleichkäme.
({39})
Da man aber das letzte Risiko, um dieses Ziel zu erreichen, nämlich einen Waffengang mit den Vereinigten Staaten von Amerika weder auf sich nehmen kann noch will, haben die Sowjets die trügerische Fata Morgana der handgreiflich nahen Wiedervereinigung heraufbeschworen und als Preis dafür den Verzicht auf die europäische Einigung und die Preisgabe des Sicherheitssystems der freien Völker mit Einschluß der Bundesrepublik Deutschland gefordert, um auf diesem Wege den
({40})
Abzug der Amerikaner aus Europa zu erreichen. Genau an diesem Tage, am Tage des Abzugs würde die Politik der Koexistenz aufhören und an ihrer Stelle die Politik der bedingungslosen Unterwerfung treten, für Deutschland die Wiedervereinigung in Form der Gesamtbolschewisierung.
({41})
Man braucht nur die Presse der letzten Wochen aufmerksam zu lesen, um festzustellen, wieweit die Sozialdemokratische Partei und maßgebende Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf dem Wege der Selbsttäuschung bereits vorangegangen sind.
({42})
Es ist z. B. die ständige These des Herrn Viktor Agartz und seines theoretisch weniger begabten bayerischen Lautsprechers Max Wönner
({43})
- o ja, Sie kennen den ehemaligen Kollegen doch besser -,
({44})
des ehemaligen Bundestagsabgeordneten der SPD, der, meine Herren - und da will ich Sie fragen, ob Sie seine Meinung teilen --, in seiner Rede im bayerischen Rundfunk - Politik aus erster Hand natürlich in diesem Fall! - am 26. Januar wortwörtlich erklärt hat, es sei eine durch nichts zu beweisende Unterstellung, daß die westliche Welt mit einem russischen Angriff rechnen müßte, wenn sie nicht abwehrbereit wäre. So lesen Sie wortwörtlich. Teilen Sie diese Meinung, meine Herren von der Opposition?
({45})
- Dann haben Sie aber in dem Augenblick den Bundeskanzler sicher falsch verstanden.
Diese Behauptung, von der Mehrheit des deutschen Volkes übernommen, daß der westlichen Welt ohne Abwehrbereitschaft keine Gefahr drohe, würde den Anfang des deutschen Selbstmords und würde den Verzicht auf jene Wiedervereinigung in Freiheit und Frieden bedeuten.
({46}) Erinnert man sich denn in diesen Kreisen nicht mehr, warum es überhaupt zur Wiederaufrüstung der westlichen Völker gekommen ist? Wenn ich heute auf diesen Punkt eingehe, dann nicht zuletzt auch deshalb, weil der ehemalige Kollege Wönner heute mit Helene Wessel - nicht Helene Weber, Helene Wessel - und einigen anderen auf dem Königsplatz - jetzt heißt er wieder so - in München in einer öffentlichen Kundgebung zu der Frage der Ratifizierung der Pariser Verträge gesprochen hat.
({47})
- Ach, wissens, der Unterschied ist der: von Bayern gehen die meisten politischen Dummheiten aus - ({48})
- Na lassens!
({49})
- Ja, meine Damen und Herren, es war kein Lapsus linguae. Ich wiederhole es ({50})
es war kein Lapsus linguae -: von Bayern gehen die meisten politischen Dummheiten aus; wenn aber wir in Bayern sie längst abgelegt haben, dann werden sie anderswo erst als der Weisheit letzter Schluß übernommen.
({51})
- Ja, das ändert sich auch wieder, Herr Kollege Mellies; aber darüber reden wir hier net so laut!
Ich habe die Frage gestellt: Erinnert man sich denn nicht mehr, warum es überhaupt zur Wiederaufrüstung der freien Völker gekommen ist? Erinnert man sich nicht, daß USA und Großbritannien bis zum Zustand der völligen militärischen Ohnmacht abgerüstet hatten, als mit dem Donnerschlag von Korea der Vorhang von den wahren Absichten der Sowjets weggezogen wurde?
({52})
Erinnert man sich nicht mehr, daß damals, zwei Jahre, nachdem sich das Schicksal der Tschechoslowakei vollzogen hatte, Regierung und Opposition gemeinsam eine amerikanische Sicherheitsgarantie für Deutschland verlangt haben? Ist man sich heute nicht mehr darüber im klaren, daß Gesamtdeutschland heute bereits hinter dem Eisernen Vorhang läge, wenn die Westmächte damals nicht erklärt hätten: Bis hierher und nicht weiter!
({53})
Die These der Herren Agartz und Wönner - Sie dürfen mir nicht böse sein, wenn ich Ihnen Ihre Parteifreunde öfter serviere, auch wenn Sie hier nicht sitzen, - ({54})
- Ach, Sie haben sich bisher noch gar nicht getroffen gefühlt, Herr Dr. Mommer? Sie haben ein sanftes Gewissen und ein gutes Ruhekissen. Ich möchte wissen, wann Sie „herein" sagen, wenn es klopft.
({55})
- Keine Sorge, Kollege Mellies! - Die These der Herren Agartz und Wönner, konsequent fortgesetzt, würde bedeuten, daß die Amerikaner auch ruhig abziehen könnten. Bei der von der SPD und vom DGB politisch notariell bestätigten Friedensliebe der Sowjets würde uns dann gar nichts passieren. Im Gegenteil, die Lage wäre dann so entspannt, daß das wahre Glück der europäischen Völker dann beginnen könnte. Wir könnten uns dann allerdings bald von der Demokratie zur Volksdemokratie entwickeln und könnten, unbelästigt von den bösen Amerikanern, mit Litauen, Lettland, Estland, Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Albanien volksdemokratische Vereinigung feiern. In diesem Falle - lassen
({56})
Sie mich's humoristisch sagen; anders klingt's zu hart - ({57})
- Wenn Sie Fasching sagen, dann kann ich vielleicht den Wechsel Ihrer Sprache zwischen der Öffentlichkeit und hier dem gestrigen Ereignis, dem Aschermittwoch, zugute halten. Dann wäre ja keine Gefahr mehr in der Zukunft.
({58})
- So schaue ich nicht aus.
({59})
In diesem Falle könnten Herr Agartz und Herr Wönner, da wir ihnen eine rechtzeitige Umstellung nicht zutrauen wollen, ihre lückenhaften praktischen Kenntnisse über das sowjetische System in Sibirien erheblich aufbessern.
({60})
- Aber Kollege Wehner, da sollten doch gerade Sie nicht protestieren.
Ich möchte hier endlich auch einmal vor der geradezu ungeheuerlichen Verkehrung der gegebenen Tatsachen ins Gegenteil warnen. Die Sowjets haben nach dem Kriege verhindert, daß der Menschheit ein echter Friede ohne Furcht und Angst auf der Welt gegeben worden ist. Jahrelang hing ihr drohender Schatten wie ein unmittelbares Schicksal über Westeuropa. Über hundert Millionen Europäer sind vor unseren Augen versklavt worden, darunter 18 Millionen Deutsche. Kaum war Korea zu Ende, wurde das indochinesische Feuer zu einem Großbrand. Kaum ist der Krieg in Indochina unter schmerzlichen Opfern für die freien Völker beigelegt, da beginnen die Kanonen in der Straße von Formosa zu donnern. Das hindert aber manche Zeitgenossen nicht daran, zu glauben, daß die Sowjets den Frieden wollen. Mit dieser Betonung der sowjetischen Friedensliebe pflegt häufig Hand in Hand die Unterstellung zu gehen, daß die eigentlichen Störenfriede auf der Welt die USA seien. Was die kommunistische Propaganda offen sagt, wird mehr oder weniger offen und versteckt auch von anderen wiederholt. Man mag über die Amerikaner denken, was man will. Aber sie haben in Korea den Ausbruch eines großen Krieges verhindert, sie haben in Indochina auf ein Eingreifen verzichtet, und sie haben im Kampf um Formosa eine Mäßigung gezeigt, die wieder einmal den Weltfrieden gerettet hat.
({61})
Kein Volk sollte sich über die sowjetische Gefahr klarer sein als das deutsche Volk. Wir in der Bundesrepublik sollten die Dinge mit derselben Klarheit sehen, wie es die heute so oft zitierten und leider manchmal sehr strapazierten Arbeiter des 17. Juni getan haben. Jedermann weiß, daß es uns mit der Friedensliebe ernst ist. Jedermann weiß aber auch, daß die letzte Chance, unsere Freiheit zu erhalten und die Freiheit für Gesamtdeutschland zu erwerben, darauf beruht, die Hilfe der Westmächte zu gewinnen und ihre politische Kraft für dieses Ziel zu sichern. Die Freiheit erkämpft man nicht durch Kompromisse, die Freiheit erkämpft man durch Illusionslosigkeit, Entschlossenheit und Zuverlässigkeit. Wir brauchen die Hilfe des Westens. Hilfe von Starken erhält nur, wer selbst bereit ist, zur gemeinsamen Stärke seinen kleinen Beitrag hinzuzufügen.
({62})
Wir sprechen von Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Wir sollten davon eine lebendige und klare Vorstellung haben, statt diese Worte zu einer stereotypen Formel erstarren zu lassen, die man manchmal nur um des Alibis willen regelmäßig in den Mund nimmt. Wiedervereinigung in Frieden heißt, daß der Krieg als Mittel der Politik, d. h. als gewaltsamer Weg zur Wiedervereinigung nach unseren Absichten ausgeschlossen ist und bleiben muß.
({63})
Die Gründe dafür brauche ich nicht anzuführen, darüber sind wir uns wohl zwischen Regierung und Opposition einig. Das bedeutet, daß die Wiedervereinigung zielbewußt und planmäßig auf dem Wege politischer Verhandlungen mit der Sowjetunion betrieben werden muß.
Wiedervereinigung in Freiheit heißt, daß freie Wahlen die erste und unverzichtbare Voraussetzung dafür darstellen. Unter freien Wahlen verstehen wir genau das, was der Sprachgebrauch und die politische Praxis seit Jahrhunderten aus diesem Begriff gemacht haben.
({64})
Ich hoffe, wir sind uns einig darüber, daß es für uns nicht möglich ist, unfreie Wahlen in Kauf zu nehmen. Wiedervereinigung in Freiheit heißt aber auch, daß die nationale Freiheit eines wiedervereinigten Deutschlands und die persönliche Freiheit seiner Bürger gesichert werden und gesichert bleiben müssen, nicht durch leere Versprechungen, sondern durch konkrete politische und militärische Konstruktionen.
Die große Schwierigkeit und zugleich die große Versuchung liegen darin, daß der Begriff „Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit" in den letzten Tagen auch im sowjetzonalen Sprachgebrauch üblich geworden ist, so z. B. in der Erklärung des kommunistischen Friedensrates der Sowjetzone. Wo liegt der Unterschied? Es gehört zur Dämonologie unserer Zeit, daß die gleichen - ({65})
- Wenn Ihnen das Fremdwort zu schwierig ist, kann ich es wiederholen.
({66})
- Ein schönes Wort!
({67})
Es gehört zur Dä-mo-no-lo-gie unserer Zeit, daß die gleichen Worte und Begriffe gebraucht, aber je nach geistigem Notenschlüssel ganz verschiedene Dinge darunter verstanden werden. Eine große Gefahr liegt für uns darin, daß wir mit unseren westlich-abendländischen Vorstellungen - - Wenn Sie mich ansehen, Herr Kollege Schmid: Sie sind für mich geradezu eine Repräsentation dieser westlich-abendländischen Kulturvorstellungen.
({68})
({69})
- Wenn ich mit Ihren Fähigkeiten ausgerüstet wäre, hätte ich es sogar lateinisch gesagt.
({70})
Es besteht die Gefahr, daß wir mit unseren westlich-abendländischen Vorstellungen an den sowjetischen Sprachgebrauch herangehen und deshalb zu völlig falschen Schlüssen kommen. Wenn die Sowjets von Frieden reden, dann meinen sie damit nicht das Bekenntnis zum Frieden als einem moralischen Gut, damit meinen sie das Bekenntnis zu ihrer Friedenszweckpolitik. Ihr liegt ohne Zweifel die Vorstellung zugrunde von einer pax sowjetica, einer pax sowjetica, die über den Grabmälern der Freiheit der europäischen Nationen und ihrer Bürger errichtet werden soll.
({71}) : Auf Latein: pax
sarmatica!)
- Ja, pax sowjetica, nicht britannica!
({72}) : „Pax sarmatica" würde ich lateinisch sagen!)
- Jetzt heißt es nicht „pax sarmatica", sondern „pax sowjetica". Das versteht man viel besser als ,.pax sarmatica": es haben nicht alle Ihre historische Bildung, Herr Kollege Schmid.
({73}) : Das ist kein
Küchenlatein!)
Der Weg zu diesem Frieden. zu der pax sowjetica, ist die Einschläferung der Wachsamkeit der freien Völker und die Verewigung der europäischen Uneinigkeit. Den Sowiets geht es nicht darum, die Aufstellung von zwölf deutschen Divisionen zu verhindern. Es geht ihnen darum, die europäische Einigung zu zerschlagen und ein kollektives Sicherheitssystem der freien Völker der Welt zu verhindern.
({74})
,.Friedliebend" sind nach sowjetischem Sprachgebrauch nur Völker und Menschen. die sich ihrer Zweckfriedenspropaganda angeschlossen haben oder ihr angeschlossen worden sind. Darum sind „friedliebend" die Sowjetunion, Sowjetpolen, Sowjetrumänien, Sowjetbulgarien, Sowjetalbanien, Rotchina, Nordkorea und Nordvietnam. Diese Staaten sind .auch allein ..demokratisch" nach sowjetischem Sprachgebrauch,
({75}) während die übrigen Völker „kapitalistisch", ..f aschistisch" und „kriegshetzerisch" sind, insbesondere die großen Demokratien des Westens. Der Friede ist nach sowjetischer Auffassung genau so wenig ein Ideal, wie der Krieg ein Übel ist. Beide sind Mittel zum Zweck, d. h. zur Erweiterung der sowie-tischen Macht durch Unterwerfung der freien Völker. Die Versklavung der Völker aber heißt nach sowietischem Zungenschlag ,.Befreiung". ..Freiheit" bedeutet im sowietischen Sprachgebrauch nicht Unabhängigkeit der Nationen und die Freiheit der Person: ..Freiheit" heißt Anwendung des angeblichen Volkswillens zur Unterdrückung und Entwürdigung der Person und zur Ausbeutung des Menschen als eines staatlichen Produktionsmittels.
Wir sollten deshalb unser Ziel „Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit" in Theorie und Praxis frei von Verschwommenheiten und Mißdeutungen halten, schon zu dem Zweck, daß wir nicht mit eigenen Waffen geschlagen werden.
Wir sollten auch offene Ohren haben, wenn Herr Molotow von freien Wahlen spricht. Nach seiner Vorstellung sind die freiesten Wahlen der Welt die Oktoberwahlen in der Sowjetzone für die Volkskammer gewesen. Wir sollten auch richtig zwischen den Zeilen lesen, wenn es in der sowjetischen Erklärung vom 15. Januar heißt, daß Deutschland nach der Wiedervereinigung auf den Weg zu einer friedliebenden und demokratischen Politik gebracht werden muß. Darunter ist nichts anderes zu verstehen als eine sowjetische Kontrolle über ganz Deutschland mit dem Ziel, die Volksrepublik Deutschland möglichst bald zu einem Mitglied des sowjetischen „Friedenslagers" zu machen. Damit sind wir aber von der Wiedervereinigung in Freiheit und Frieden - nach unserer Vorstellung - zur Bolschewisierung Gesamtdeutschlands gekommen.
Wenn die Frage gestellt wird: wer soll mit wem verhandeln - da ist es schade, daß Herr Ollenhauer nicht da ist, das ginge jetzt unmittelbar an seine Adresse; aber Herr Mellies, Sie sind ein prächtiger Stellvertreter! -,
({76})
dann gibt es keinen Zweifel darüber, daß die Westmächte mit der Sowjetunion verhandeln sollen. Darüber bestand zwischen uns und der Opposition bisher hoffentlich keine Verschiedenheit der Auffassung. Die Frage der Erweiterung einer Viererzu einer Fünferkonferenz bleibt einem anderen Zeitpunkt vorbehalten.
({77})
- Oh, ich weiß, Herr von Merkatz hat darüber gesprochen. Ich weiß Bescheid. Ich bin ja kein Sprachrohr, Herr Wehner. Ich sage das, was ich denke.
({78})
- Ich kann, um Ihren Zwischenruf zu beantworten, deshalb gern für die Regierung sprechen, weil meine Auffassung sich von der der Regierung bezüglich dieses Themas in keiner Weise unterscheidet. Darum brauche ich mich weder vergewaltigen zu lassen noch fremde Weisungen auszuführen. Ich sage genau das, was ich mir denke, und bin im Gegensatz zu manchen Ihrer Freunde immer in der glücklichen Lage, daß die offizielle Meinung sich mit der meinen deckt.
({79})
Unsere Wege trennen sich erst bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen verhandelt werden soll. Die Opposition sagt: Vor der Ratifizierung der Pariser Verträge! Wir sagen: Nach Ratifizierung der Pariser Verträge!
Ich möchte hier einmal ganz deutlich auf die Unrichtigkeit der immer wieder aufgestellten Behauptung hinweisen, daß die Bundesregierung keine Verhandlungen wünsche, während die SPD durch ihre Verhandlungsvorschläge sozusagen einen Garanten für Einheit, Freiheit und Frieden darstelle. Denn das ist eines der wesentlichsten Argumente gewesen, die draußen im Kampf um die Volksbefragung von Ihnen gebraucht worden sind.
({80})
({81})
- Nein, meine besondere Aufgabe ist es, Ihre primitiven Vereinfachungen draußen hier einmal dem Parlament zu erzählen und zu kritisieren.
({82})
In der nach unten entsprechend vergröberten Form wird - ja, Herr Kollege Mellies, was ich jetzt sage, ist nicht zum Lachen, weil wir das draußen in Aschaffenburg, in Hof, in Kassel und in Göttingen zur Genüge erlebt haben -, in der nach unten durch ihre Funktionäre entsprechend vergröberten Form wird der Bundesregierung und den Regierungsparteien Kriegspolitik vorgeworfen, während behauptet wird, daß die SPD die klassische Friedenspartei sei.
({83})
Was die Spitze der offenen Opposition nicht zu sagen wagt, sagen an ihrer Stelle gewisse mit dem gleichen Parteibuch ausgerüstete Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften. Herr Wönner sagte: - ({84})
- Ja, in welchen Vorstellungen leben Sie denn, Kollege Schmid?
({85})
- Hoffentlich war das nicht Ihre Praxis, als Sie noch stellvertretender Staatspräsident waren!
({86})
Herr Wönner sagte in seiner Rundfunkrede vom 26. Januar 1955 im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen von 1953 - und was ich hier sage, ist nicht zum Lachen, meine Damen und Herren - wortwörtlich: „Wäre die Parole im Raum gestanden: ,Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg!, wäre das Ergebnis ein anderes gewesen."
({87})
Was würden Sie uns entgegenhalten - „Vergiftung des Klimas", „Politisches Klima und seine Entgiftung", Herr Kollege Arndt, Ihr Spezialthema vom 17. September letzten Jahres, Sie wissen es ja noch -, was würden Sie uns entgegenhalten, wenn wir sagen würden: „Wer Ollenhauer wählt, wählt die Unterwerfung unter Moskau!"
({88})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, erinnern Sie sich an ein Plakat, das Ihre Partei im letzten Wahlkampf gebraucht hat, worauf stand: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!"?
({0})
In Anbetracht dieser Tatsache sollten Sie sich diese Äußerungen besser überlegen.
({1})
Ich habe hier davon gesprochen, daß der Erste Vorsitzende des Landesbezirks Bayern des Deutschen Gewerkschaftsbundes in seiner letzten Rundfunkrede „Politik aus erster Hand" die Geschmacklosigkeit besessen hat, im Zusammenhang mit der Volksbefragung die Alternative aufzustellen: „Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg", im Zusammenhang mit dem 6. September 1953,
({0})
und ich habe nichts anderes getan - ich verurteile diese Äußerung -, als Ihnen entgegenzuhalten, wie sehr Sie mit Recht empört wären, wenn wir eine ähnliche primitive Formulierung von uns aus als unsere Überzeugung sagen würden.
({1})
- Sie können sich ja dazu äußern. ({2})
- Sie können sich ja dazu äußern - wir erwarten das sogar -, ob Sie sich mit diesem verleumderischen Vorwurf identisch erklären. Ich erkläre - -
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
({0})
- Einen Augenblick Ruhe, meine Herren, sonst kommen wir nicht weiter mit dem Mikrophon. - Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte, Herr Präsident!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß auf den Plakaten, die zu Kundgebungen in dieser Angelegenheit angeschlagen wurden, Klebestreifen aufgeklebt wurden - wahrscheinlich nicht im Auftrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion! - „Von Moskau bezahlt!"?
({0})
Auf welchen Plakaten, weiß ich nicht. Ich bin gern bereit, mich darüber zu unterhalten. Aber hier handelt es sich darum, daß ein maßgebender Sozialdemokrat und Spitzenfunktionär des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit Ihrem Parteibuch am Bayerischen Rundfunk - und Sie sind sehr empfindlich, wenn man Ihnen mal eine Parallele dazu bringt - die Alternative gebracht hat: „Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg!".
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Ich muß jetzt fortfahren. - Ob Sie sich mit diesem Vorwurf identisch erklären, dazu können Sie sich ja äußern. Ich habe von mir aus ausdrücklich gesagt, daß wir mit einem solchen Vorwurf: Wer Ollenhauer wählt, wählt Unterwerfung unter Moskau, nichts zu tun haben wollen.
({0})
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forderung der Opposition geht dahin, die vier Besatzungsmächte sollen sich unverzüglich vor Ratifizierung der Pariser Verträge in einer Viererkonferenz über die Frage der deutschen Wiedervereinigung einigen. Gut, einverstanden, soweit es die Konferenzpartner betrifft; nicht einverstanden, soweit es den Termin betrifft.
Aber Sie haben ja hier auch etwas von Plakaten gesagt. Jetzt frage ich Sie etwas anderes. Lautet nicht eine weitere These von Ihnen, daß man dem ehrlichen Willen der Westmächte, die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen, nicht trauen dürfe? Lautet nicht Ihre These so?
({2})
Dann darf ich Ihnen einmal Ihre offizielle Flugschrift, die Sie für die Testaktion in Hof verwendet
haben, hier vor Augen halten. Es heißt hier - ich
kann's Ihnen ja zur Einsicht geben, wenn Sie's
wünschen -:
Dichtung:
Adenauer sagt: Die Verträge verpflichten die Westalliierten zur aktiven Wiedervereinigungspolitik.
Wahrheit:
„De Nieuwe Rotterdamsche Courant" vom 12. Januar 1954: Die öffentliche Meinung im Westen fühlt sich mit einem gespaltenen Deutschland viel sicherer als mit einem wiedervereinigten Deutschland. Wenn es nach Deutschlands westeuropäischen Verbündeten ginge, würden diese gern mit der Sowjetunion auf der Grundlage des Status quo, der Teilung Deutschlands sich einigen.
Diesen Ausspruch des „Nieuwe Rotterdamsche I Courant" haben Sie in Ihrem offiziellen Flugblatt als Wahrheit bezeichnet.
({3})
- Als Dichtung und Wahrheit! Ich kann ja nicht mehr tun, als das verlesen!
({4})
- Warum scheuen Sie sich denn hier, das zu hören, was Sie bei Zehntausenden in Hof verbreitet haben?
({5})
- Es handelt sich nicht um das Zitat.
({6}) Sie haben behauptet: Dichtung ist das, was Adenauer sagt; Wahrheit ist das, was die holländische Zeitung sagt. Das ist Ihre Behauptung.
({7})
- Ich glaube, daß Ihre gegenwärtige Pressekenntnis etwas lückenhaft ist, Herr Kollege, wenn Sie den „Nieuwe Rotterdamsche Courant" für eine Regierungszeitung halten oder Ihre Flugschrift für eine Veröffentlichung des Bundespresseamtes erklären wollen.
({8})
Ja, schauen Sie, Sie haben hier weiterhin erklärt: Verhandeln ja, aber nicht wieder so wie in Berlin! Einverstanden, was die Sowjets betrifft. Unsere
Frage aber: Trauen Sie dem guten Willen der Westmächte oder nicht? Denn so, wie Sie es hier vor der Öffentlichkeit, vor Ihrer testierten Wählerschaft erklärt haben, müßte man ja unterstellen, daß Sie die Verhandlungsführung der Westmächte in Berlin kritisieren. So ist es aufgefaßt worden.
({9})
- Sehen Sie, Herr Kollege, darauf habe ich gewartet!
({10}) Darum haben Sie in der Bundestagssitzung vom 25. Februar 1954 den Westmächten und ihren Außenministern einstimmig den Dank des Bundestages dafür ausgedrückt, daß sie sich mit größter Entschiedenheit für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit eingesetzt haben!
({11})
Wenn Sie den Westmächten nicht trauen, warum verlangen Sie unter den gegenwärtigen Umständen, d. h. bevor die Bundesrepublik Deutschland souverän ist und als gleichberechtigter Partner gehört werden muß, daß die vier Besatzungsmächte sich zusammensetzen und über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln? Wenn Sie aber dem guten Willen der Westmächte trauen, warum wird dann zur Irreführung der Öffentlichkeit und zur Herbeiführung eines Testwahlergebnisses ein solches Flugblatt verbreitet?
({12})
Denn der Inhalt Ihres Flugblattes läuft doch darauf hinaus, daß wir unmittelbar, notfalls auch gegen die Westmächte, mit den Sowjets verhandeln sollen, um zur deutschen Wiedervereinigung zu gelangen
({13})
- wahrscheinlich bei Ihnen! -, ganz gleich, ob Sie dem guten Willen der Westmächte trauen oder nicht. Wir trauen ihnen wahrscheinlich mehr als Ihnen, - ich meine, als Sie es tun; ich bitte, das zu entschuldigen.
({14})
- Bei soviel Fehlleistungen nach Ihrer Bilanz kommt's bei mir auf eine auch nicht mehr an.
({15})
- Wenn Ihre Parteifreunde das Publikum dafür abgeben, kann ich leider nicht anders reden.
({16})
- Das Niveau ist gesunken; das habe ich mir in den letzten vier Wochen auch gedacht.
({17})
Ganz gleich, ob Sie dem guten Willen der Westmächte trauen oder nicht, müssen Sie doch zugeben, daß wir die größeren Realisten sind - das Wort „Realist" ist heute ja auch gefallen -, wenn wir in den Pariser Verträgen die feierliche Verpflichtung der Westmächte erhalten, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden als ein Ziel ihrer Politik zu betreiben.
({18})
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Antwort auf den letzten Brief des Herrn Ollenhauer mit Recht geschrieben, daß es nicht genügt, sich mit der Sowjetunion zu einigen; man brauche auch die Zustimmung der Westmächte, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Das würde doch genau der sozialdemokratischen Forderung entsprechen, daß sich die vier Besatzungsmächte über die Wiedervereinigung Deutschlands einig werden sollen. Herr Ollenhauer hat aber, aus der Paulskirchen-Atmosphäre kommend, laut „Main-Echo" - ich stelle Ihnen auch das zur Verfügung
- in seiner Aschaffenburger Rede erklärt, dieser Satz in dem Antwortbrief Adenauers veranlasse ihn - vor über 1000 Zuhörern - zu folgender Feststellung: Die deutsche Außenpolitik sei schließlich nicht nur eine Außendienststelle der Amerikaner.
({19})
- Bis jetzt ist kein Dementi erschienen, und das ist schon vier Wochen her.
({20})
- Was Sie da ganz links drüben jetzt gesagt haben, bringt mich wie in einer Metamorphose zurück in den ersten Bundestag, wo aus der gleichen Ecke ähnliche Zwischenrufe gekommen sind.
({21})
- Ja, aus der Ecke!
({22})
Wenn Sie sagen - ({23})
Wenn Sie sagen, meine Damen und Herren, - ({24})
- Lassen Sie mich doch reden!
({25})
Herr Kollege Menzel, begeben Sie sich bitte auf Ihren Platz.
({0})
- Meine Damen und Herren, begeben Sie sich auf Ihre Plätze.
({1}) Herr Bundesminister, einen Augenblick!
Ich werde eine genaue Darstellung geben.
({0})
Meine Damen und Herren, jetzt spreche ich! Es ist unmöglich, den Zwischenfall zu klären, wenn nicht Ruhe eintritt. Ich habe den Zuruf nicht gehört. Darf ich bitten, daß er wiederholt wird.
Als ich die Worte gebrauchte, daß wir uns dagegen wehren, Außenstelle der amerikanischen Politik zu sein, habe ich von drüben den Zwischenruf gehört: „Sind Sie ja auch!"
({0})
- Wenn der Zwischenruf nicht gefallen ist, dann ist meine Antwort gegenstandslos.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung?
- Herr Abgeordneter Wienand, Sie haben das Wort.
Ich habe den Zwischenruf gemacht. Ich habe gesagt: „Sie soll es ja auch nicht sein!" Hören Sie aber nächstens gut zu, Herr Minister!
Meine Damen und Herren, der Schriftführer zu meiner Linken bestätigt, daß der Zwischenruf in dieser Form gefallen ist. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Ich unterstelle Ihnen, Herr Kollege, daß Sie den Zwischenruf so gemacht haben, wie Sie jetzt sagten. Ich bitte aber auch um das Zugeständnis, daß ich das verstanden habe, was mich zu dieser Reaktion veranlaßt hat.
({0})
Herr Bundesminister, fahren Sie fort!
({0})
Ich darf ja dann nur das - ({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
({0})
Ich habe doch erklärt: wenn dieser Zwischenruf nicht so gefallen ist, wie ich ihn verstanden habe, ist meine Bemerkung gegenstandslos und wird zurückgenommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
({0})
({1})
- Meine Damen und Herren, es ist doch vollkommen unmöglich, so weiterzukommen! - Sie haben das Wort!
({2})
Oho, auf dem Gebiet haben wir einiges erlebt.
Einen Augenblick, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage!
Herr Minister, Sie haben zur Kenntnis genommen, welchen Zwischenruf ich Ihnen gegenüber gemacht habe. Betrachten Sie jetzt das, was Sie gesagt haben, als eine Entschuldigung für den Vorwurf, daß Sie mich mit den Kommunisten gleichgestellt haben?
Ich habe Sie, Herr Kollege, persönlich gar nicht gesehen. Ich habe verstanden: „Sind Sie j a auch!" und habe daraufhin gesagt: „Solche Zwischenrufe habe ich .früher auch aus der Ecke gehört!" Und nachdem Sie mir erklärt haben - und ich unterstelle die Wahrheit Ihrer Worte -, daß Sie diesen Zwischenruf nicht so, sondern anders gemacht haben, ist meine Reaktion gegenstandslos; ich nehme meine Worte dann in vollem Umfang zurück.
({0})
Meine Damen und Herren, damit ist die Sache geklärt. - Ich bitte den Herrn Bundesminister, fortzufahren.
Ich darf auf das Thema zurückkommen. Ich freue mich, daß der Kollege Ollenhauer zurück ist. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß Sie laut „Main-Echo" in Ihrer Aschaffenburger Rede erklärt haben, die deutsche Außenpolitik sei schließlich nicht nur eine Außendienststelle der Amerikaner, niemand könne die Bundesregierung daran hindern, selber Verhandlungen mit Rußland aufzunehmen, auch wenn es die drei Westmächte nicht wollten. So lautete Ihre Erklärung, wie sie im „Main-Echo" erschienen ist und wie Sie sie vor über 1000 Menschen in Aschaffenburg gesprochen haben sollen.
Daß in dieser Erklärung das unterstellt ist, wogegen der Zwischenrufer mit Recht sich wehrt, daß es ihm unterstellt wird, werden Sie doch nicht bestreiten, wenn Sie sagen, Adenauer sei doch schließlich nicht eine Außendienststelle der Amerikaner. Daß dieses Wort wesentlich zur Vergiftung der Atmosphäre bei uns beigetragen hat, dürfte kein Zweifel sein.
({0})
Ich gebe Ihnen damit ja, Herr Kollege Ollenhauer, die Möglichkeit, auf diesen Punkt, wenn Sie, wie wir annehmen, zur dritten Lesung der Verträge hier sprechen, einzugehen und eine genau so klare Erklärung abzugeben, wie ich es eben hier getan habe. Dann sind wir in beiden Fällen wieder quitt.
({1})
Mit Ihrer Vorstellung, meine Damen und Herren von der SPD, daß vier Besatzungsmächte über die Zusammenlegung ihrer vier Besatzungszonen verhandeln sollen, kommen wir doch leider zu der
Ausgangslage der Konferenz von Potsdam zurück. Herr Molotow hat sich in seiner letzten Rede auf die Rechte und Verpflichtungen der Sowjetunion aus den Abkommen von Jalta und Potsdam berufen. Sie müssen uns doch zugestehen, daß dank den Pariser Verträgen wir die Garantie haben, daß kein Weg mehr zu Jalta und Potsdam jemals zurückführen wird.
({2})
Wir wehren uns gegen die Automatenpolitik, die die falsche Vorstellung hervorruft, daß man nur in einen Automaten mit der Überschrift „Viererkonferenz" eine Münze einzuwerfen, einen Knopf zu ziehen brauche, um als fertiges Ergebnis die deutsche Wiedervereinigung präsentiert zu erhalten. Es gibt keine Patentlösung für die deutsche Wiedervereinigung. Es gibt eine Patentlösung für die Bolschewisierung Gesamtdeutschlands: das wäre der Alleingang der Bundesrepublik ohne die Unterstützung der Westmächte an den Konferenztisch mit der Sowjetunion.
({3})
Die Ablehnung der Pariser Verträge rückt jedenfalls die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in den Bereich der politischen Unmöglichkeit. Damit ist nicht gesagt, daß die Annahme der Pariser Verträge uns in einer genau festzulegenden Zeit die Wiedervereinigung schenkt. Aber die Annahme der Pariser Verträge bringt die solidarische Verpflichtung der Westmächte, die deutsche Wiedervereinigung zu unterstützen. Sie bringt die Souveränität der Bundesrepublik, und sie bringt die Ausgangsgrundlage für eine Konferenz mit der Sowjetunion, bei der der Westen weder gespalten noch seine Völker mehr gegeneinander ausgespielt werden können noch die Bundesrepublik Deutschland als Objekt fremder Politik mißbraucht werden kann.
Gegen unsere Forderung: Zuerst ratifizieren, dann verhandeln! bringen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, als hauptsächlichen Vorwand die Behauptung, daß die Sowjetunion nach der Ratifizierung nicht mehr bereit sei, sich überhaupt auf Verhandlungen einzulassen. Ohne Zweifel gibt es eine Reihe von Erklärungen der sowjetischen und der sowjetzonalen Machthaber, daß die Ratifizierung der Pariser Verträge, auch die bedingte Ratifizierung der Pariser Verträge die Wiedervereinigung Deutschlands außerordentlich erschweren und Verhandlungen darüber auf unabsehbare Zeit unmöglich machen würde. Wir meinen aber, daß Sie nicht an die absolute Stichhaltigkeit solcher sowjetischer Erklärungen etwa im Sinne biblischer Wahrheiten glauben sollten. Wenn Sie dieselbe Glaubensfähigkeit auch gegenüber allen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers aufbringen würden, wären wir sehr zufrieden.
({4})
Was verleitet Sie, meine Damen und Herren von der SPD, diese sowjetischen Behauptungen für bare Münze zu nehmen? Die Sowjets haben schon viel erklärt, was sie später nicht gehalten haben. Natürlich haben die Sowjets und ihre deutschen Gerichtsvollzieher in der Sowjetzone ein lebenswichtiges Interesse daran, das Zustandekommen der Pariser Verträge zu verhindern, sicherlich nicht deshalb, weil sie einen Angriff der deutschen Militaristen mit amerikanischer Hilfe befürchten, sondern deshalb, weil das Zustandekommen der Pari({5})
ser Verträge einen schweren Rückschlag der Sowjetpolitik und eine echte Niederlage im Kalten Krieg bedeuten würde.
({6})
Sicher auch deshalb, weil die politische Gewichtsverschiebung durch die Pariser Verträge zugunsten des Westens den Sowjets bei einer künftigen Viererkonferenz nicht mehr dasselbe frevelhafte Katz- und Maus-Spiel der ewigen Ausflüchte und Vorwände ermöglicht, wie wir es bei der Berliner Konferenz erlebt haben.
Darum sollten Sie sich nicht die Behauptung zu eigen machen, daß die Sowjets nach der Ratifizierung auf keinen Fall mehr verhandeln werden. Sie glauben offensichtlich, daß seit der Berliner Konferenz die Haltung der Sowjets sich geändert habe. Sie verlangen deshalb vor der Ratifizierung der Pariser Verträge wieder eine Viererkonferenz. Ursprünglich haben Sie doch gesagt: wir wollen eine Viererkonferenz herbeiführen, um den Sowjets die Möglichkeit zu geben, ihren guten Willen zu beweisen, und um sie beim Wort zu nehmen. Die Berliner Konferenz hat Ihre Erwartungen und unsere gemeinsamen Hoffnungen nicht erfüllt. Nun wollen Sie die Pariser Verträge aufschieben, lieber wahrscheinlich scheitern lassen und nochmals eine Viererkonferenz auf die Versprechungen der Sowjets hin herbeiführen. Sie haben dabei, Herr Kollege Ollenhauer, bis jetzt jede klare Festlegung vermieden, was Sie eigentlich nach dem eventuellen Scheitern einer neuen Viererkonferenz vorhaben. Wollen Sie dann die Pariser Verträge ratifizieren, oder haben Sie die Absicht, dann eine neue Viererkonferenz zu verlangen?
({7})
Sie haben bisher darüber - ich meine nicht Sie persönlich, sondern Ihre maßgebenden Herren - widerspruchsvolle Erklärungen abgegeben.
Wir sind der Meinung, daß die Sowjets dann verhandeln werden, wenn es ihnen zweckmäßig oder politisch notwendig erscheint. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß die Sowjets niemals ernsthaft über die deutsche Wiedervereinigung verhandelt hätten oder verhandeln würden, solange sie damit rechnen können, den Westen mit diplomatischen Mitteln aufzuspalten und Deutschland zwischen Ost und West zu isolieren.
({8})
Wir befinden uns mit unserem Glauben, daß die Sowjets auch nach Ratifizierung der Pariser Verträge noch zu Gesprächen bereit sind, in der guten Gesellschaft Ihres Regierenden Bürgermeisters von Berlin, der in seiner Erklärung behauptet und in seinem Dementi nicht zurückgenommen hat, daß die Sowjets immer wieder zu Gesprächen bereit seien, weil sie ihre Politik stets neuen politischen Gegebenheiten anpassen würden. Warum sagen denn die Sowjets, daß sie nach der Ratifizierung nicht mehr verhandeln wollen? Wenn es ihnen um die Sicherheit geht, dann liegt zwischen Ratifizierung und Vollendung des deutschen Militärbeitrages genügend Zeit für eine Viererkonferenz wie für ein kollektives Sicherheitssystem, zu dem die Pariser Verträge übrigens bereits die ersten Ansätze bieten. Dann können die Sowjets zeigen, worum es ihnen wirklich geht, ob der Preis, den sie für die deutsche Wiedervereinigung verlangen, in echten Sicherheitsgarantien besteht, oder ob sie
als Preis dafür den Verzicht auf die Freiheit Gesamtdeutschlands verlangen. Im ersten Fall können wir uns einig werden, im zweiten Fall werden wir uns nie einig werden.
Eigentlich müßten Sie auch, meine Damen und Herren, merken, daß das Stichwort „Wiedervereinigung" von den Sowjets im Laufe der letzten Wochen in erster Linie als Köder für uns verwendet worden ist, um die Pariser Verträge zu Fall zu bringen. Gegenüber anderen Völkern wird ein anderer Köder gebraucht. Radio Moskau hat am 31. Januar erklärt, Frankreich laufe bei Ratifizierung der Pariser Verträge Gefahr, seiner besten Alliierten, der Sowjets, verlustig zu gehen und isoliert seinem urewigen Feind, dem deutschen Militarismus, gegenüberzustehen. Frankreich wird gewarnt, sich auf England zu verlassen. Aus Radio Ost-Berlin ergibt sich, daß die Parlamentarier von Belgien, Holland und Luxemburg gewarnt worden sind, die Pariser Verträge zu ratifizieren. Sie sollten den 10. Mai 1940 nicht vergessen. Schließlich hat die Kommunistische Partei in Italien eine Groß aktion gegen die Ratifizierung der Pariser Abkommen eingeleitet. Tausende von Gruppen sind auf die Straßen geschickt worden, Zehntausende von Plakaten mit Schreckbildern deutscher Soldaten angeklebt worden. So ist die Sowjetunion im einzelnen um das Wohlergehen ihrer zukünftigen Opfer besorgt. Den Deutschen, Holländern, Belgiern, Luxemburgern, Franzosen, Italienern wird wechselweise das versprochen, was sie hören sollen, oder wechselweise damit gedroht, was sie abschrekken soll, eine Ratifizierung vorzunehmen. Tragisch ist nur, daß wir in Deutschland uns nicht zwischen Regierung und Opposition darüber im klaren sind, daß die Erklärungen der Sowjets in der letzten Zeit keinen anderen Zweck hatten, als uns an der Ratifizierung der Pariser Verträge zu hindern, und auf keinen Fall ein echtes Angebot auf Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit dargestellt haben.
({9})
Wenn Sie vorhin, sagen wir, über die Deutlichkeit meiner Sprache empört waren und ich Ihnen vorher erklärt habe, daß wir einmal die Argumente - es gäbe noch mehr; ich habe mich jetzt auf diese zu beschränken -, die Sie draußen bringen, auch hier einmal unter den Scheinwerfer nehmen wollen, und wenn Sie selber vom guten Klima zwischen Regierung und Opposition sprechen, - dann lesen Sie einmal Ihre Parteizeitung, die der Herr Arno B ehr i s c h herausgibt oder schriftstellerisch betreut - nicht gerade goethisch, aber immerhin schriftstellerisch -,
({10})
Ihr Organ, die „Fränkische Volkszeitung", wo Bundesminister Kraft und ich als „schäbige Gesellschaft" bezeichnet worden sind.
({11})
Dort heißt es:
Bei der SED heißt der Generalsekretär Ulbricht, bei der CDU/CSU hieß er Strauß, bis der Strauß einen Vogel bekam und sich in den Kopf setzte, Kriegsminister bei Adenauer zu werden.
Wenn der SPD-Abgeordnete Arno Behrisch behauptet, Kraft und ich müßten ja die Politik des Bundeskanzlers vertreten, weil wir dafür bezahlt würden,
({12})
({13})
und ähnliches, - es hat keinen Sinn, im einzelnen darüber zu reden. Wir wollen nur von Ihnen haben, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie im Kampf gegen uns draußen vor der Öffentlichkeit denselben Stil und dieselben Argumente anwenden, wie Sie sie hier anwenden.
({14})
Wäre das der Fall, wäre zumindest eine Sprachregelung zwischen uns leichter, vielleicht sogar eine Zusammenarbeit.
({15})
Gefährliche Instinkte und hemmungslose Leidenschaften sind in den letzten Wochen geweckt worden.
({16})
Um so mehr haben wir im Deutschen Bundestag Grund, unser verfassungsmäßiges Recht, die außenpolitischen Entscheidungen zu treffen, für uns in Anspruch zu nehmen und gegen alle außenstehenden Gruppen zu verteidigen,
({17})
nicht nur gegen die Feinde der Demokratie, auch gegen scheinbar parteipolitisch neutrale Organisationen, die die Millionenbeiträge ihrer Mitglieder und den Mammutapparat ihrer Organisation dazu benutzen, um das Recht der politischen Willensbildung den Parteien und das Recht der politischen Entscheidung dem Parlament wegzunehmen oder wesentlich zu beschränken.
({18})
Wir wissen, worum es in dieser Stunde geht. Wir sind uns mit der Opposition einig über das Ziel: die Wiedervereinigung. Wir sind uns mit ihr einig in der Erkenntnis, daß darüber Verhandlungen mit der Sowjetunion geführt werden müssen. Wir unterscheiden uns aber dadurch, daß wir erstens das Sicherheitsbündnis mit den Westmächten und die Souveränität der Bundesrepublik v o r diesen Verhandlungen durchsetzen wollen,
({19})
zweitens, daß wir die Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands als Übergangszustand zur Bolschewisierung ablehnen müssen. Wir wollen und wünschen, meine Damen und Herren von der SPD, daß in Ihren Reihen der Geist derer, die für die Freiheit ihr Leben geopfert haben, auch heute wirksamer wäre, als es in diesem Kampf zum Ausdruck kommt.
({20})
Hat nicht Ihr im Zusammenhang mit dem 20. Juli ermordeter Julius Leber erklärt: Wer für die Freiheit kämpft, kann nicht an morgen denken? Genau vor derselben Problematik - Freiheit vor dem Totalitarismus, Freiheit und Würde der Person -, genau in derselben Auseinandersetzung stehen wir heute.
({21})
Nur haben wir heute noch das Recht, uns entscheiden zu können. Damals war es zu spät.
Wir halten auch, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik für einen echten Staat, mit der Konsequenz, daß seine Organe die legitimen Vollmachten und seine Bürger ordentliche Pflichten haben. Man kann nicht etwa den Kampf gegen
diese Regierung noch mit einem nationalen Mäntelchen umgeben!
({22})
Für uns ist die Bundesrepublik so lange ein Definitivum, bis ihre Politik neue Tatsachen geschaffen hat, die sie - rückwirkend gesehen - zum Provisorium gemacht haben.
Wir wissen, daß vom deutschen Beitrag für die Erhaltung oder Vernichtung der abendländischen Kulturwerte unendlich viel abhängt. Wir sind uns unserer Verantwortung für ganz Deutschland bewußt, und wir sprechen in dieser Stunde auch zu unseren deutschen Brüdern und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs, Vertrauen zu unserer Politik zu haben.
({23})
Wenn Herr Ollenhauer erklärt hat, daß die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs mit heißem Herzen ein Gelingen seiner Politik wünschen, - ich glaube, Herr Ollenhauer, daß Sie hier - gelinde gesagt - einer falschen Berichterstattung zum Opfer gefallen sind.
({24})
Die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs, die mit uns noch in den gleichen Normen denken - und das ist die überwiegende Mehrheit -, wünschen, daß wir, die gegenwärtig Verantwortlichen der Bundesrepublik, mit unserer Politik zum Ziele kommen.
({25})
Mögen alle Teufel der Verwirrung losgelassen sein, die Bundesrepublik Deutschland wird ihren I Weg der europäischen Einigung, der Verteidigung der freien Völker und der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden fortsetzen. Sie wird gemeinsam mit West-Berlin als Vorposten der Freiheit, als Leuchtturm ihrer Hoffnung ihre Politik Schulter an Schulter mit den großen Mächten der Welt so lange fortsetzen, bis die rettende Stunde für alle versklavten Deutschen geschlagen hat.
Die Sowjets sollen wissen, daß keine Lockung und keine Drohung, weder Friedensschalmeien noch Kriegstrompeten uns irre oder weich machen werden und daß die Bundesrepublik für sie keine Durchgangsstation zur Eroberung Europas sein wird.
({26})
Die Sowjets wissen, daß ihnen von uns keine Gefahr irgendwelcher Art jemals droht. Wenn es ihnen um den Frieden geht, sind wir auf Gegenseitigkeit zu allen Garantien bereit. Die Sowjets sollen aber auch wissen, daß noch größer als unsere aus dem Gewissen kommende Friedensliebe unsere Entschlossenheit ist, unsere Freiheit zu erhalten und notfalls zu verteidigen.
({27})
Die Sowjets sollen sich damit abfinden, daß die europäische Einigung an der Bundesrepublik Deutschland nicht zum Scheitern gebracht werden kann. Sie sollen wissen, daß Europa immer im Lager des Friedens stehen wird, daß Europa im Falle der Bedrohung aber immer auf der Seite der Freiheit stehen wird. Wir sagen ja zu den Pariser Verträgen, weil sie das Risiko für den Angreifer
({28})
erhöhen, weil sie gleichzeitig die Ansätze für eine allgemeine Abrüstungspolitik enthalten. Wir sagen ja zu den Pariser Verträgen, weil sie uns als notwendiges Übergangsstadium zu einem europäischen Staatenbund und - so bald wie möglich - einem europäischen Bundesstaat erscheinen. Wir sagen ja zu den Pariser Verträgen, weil wir wissen, daß ihr Scheitern jubelndes Triumphgeschrei der kommunistischen Machthaber, tiefe Niedergeschlagenheit bei den versklavten Deutschen und Ratlosigkeit unter den freien Völkern hervorrufen würde.
({29})
Wir wissen uns in dieser Stunde auch einig mit den guten Geistern unserer Vergangenheit. Hat die deutsche Politik in tragischer Verblendung und vor dem zweiten Weltkrieg in bewußter Absicht vieles zur Zerstörung Europas beigetragen, sind wir von der unerschütterlichen Absicht erfüllt, durch unser Ja zu diesen Verträgen der Freiheit Europas, der Einheit unseres Volkes und dem Frieden der Welt einen echten Dienst zu erweisen.
({30})
- Dafür gäbe es gefährliche Parallelen auch für Sie, Herr Kollege Mellies! - Bringen wir uns nicht durch Abwarten und irreale Bedingungen um den ganzen moralischen Effekt unserer Politik,
({31})
die von der Kapitulation bis heute, von der tiefsten Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit wieder bis an die Grenze der Souveränität und der eigenen Handlungsfähigkeit geführt hat.
({32})
Seien wir uns klar darüber, daß unser Ja zur Freiheit, unser Ja zur gemeinsamen Sicherheit, unser Ja zur europäischen Einigkeit der Tätigkeit zugehört, zugerechnet werden muß,
die zwar Sandkorn nur um Sandkorn reicht, doch von der großen Schuld der Zeiten Minuten, Tage, Jahre streicht.
({33})
Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.
Meine Damen und Herren! Nach diesem Beitrag eines Bundesministers zu unserer politischen Debatte fällt es mir sehr schwer, jetzt den Versuch zu unternehmen,
({0})
die Diskussion wieder auf ein politisches Niveau
zu führen, wie es im Bundestag herrschen sollte.
({1})
Haben Sie keine Sorge, ich werde nicht zu diesen Ausführungen sprechen.
({2})
Ich überlasse sie dem Kommentar der Hörer, die diese Rede heute mit anhören mußten.
({3})
Ich glaube, daß ihr Urteil klarer ist, als offenbar hier in diesem Hause es in diesen Beifallsäußerungen zum Ausdruck gekommen ist.
({4})
Meine Damen und Herren, verstehen Sie denn - und da spreche ich jetzt vor allen Dingen auch meinen Kollegen Sabel an - vielleicht nach diesen Ausführungen, daß in der deutschen Arbeitnehmerschaft eine so tiefe Unruhe vorhanden ist über die Dinge, die auf sie zukommen,
({5})
wenn es bereits jetzt, ohne daß wir eine deutsche Wehrmacht haben, möglich ist, eine solche Denunzierung der deutschen Arbeitnehmerschaft und der deutschen Sozialdemokratie hier durch einen Bundesminister vorzunehmen mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß es sich um eine offizielle Erklärung der Bundesregierung handelt?
Aber ich will zu den Ausführungen meines Kollegen Sabel Stellung nehmen. Ich habe bereits bedauert, daß er diese Note in die Diskussion gebracht hat.
Herr Abgeordneter Sabel hat vor allen Dingen zu dem Aufruf, zu der Entschließung Stellung genommen, die der Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 16. und 17. Februar erarbeitet und veröffentlicht haben. Darf ich nur einige Sätze aus dieser Entschließung zitieren, damit Sie die Sorge des Deutschen Gewerkschaftsbundes überhaupt hören und begreifen; sie sind nämlich vom Herrn Abgeordneten Sabel nicht dargestellt worden. Es heißt in dieser Erklärung:
Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes erwarten von der Bundesregierung und vom Bundestag, daß eindeutig und klar gesagt wird, welche finanziellen Lasten die Aufstellung deutscher Streitkräfte mit allen dazu gehörenden Einrichtungen beansprucht und wer diese Lasten tragen soll.
({6}) Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes vertreten den Standpunkt, daß die zur Zeit bekannten Lasten von unserem Volke ohne Gefährdung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung unmöglich getragen werden können.
In dieser Entschließung wird also eine Sorge zum Ausdruck gebracht, die auch die Sorge des Deutschen Bundestages sein sollte.
({7})
Und in dieser Entschließung heißt es weiter - eine
andere Sorge, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund zum Ausdruck gebracht wird -: Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind in ernster Sorge, daß durch die Annahme der Pariser Verträge die Wiedervereinigung erschwert und hinausgezögert wird. Aus dieser Besorgnis heraus erwarten sie, daß die Verabschiedung der Pariser Verträge so lange ausgesetzt wird, bis in neuen Viermächtebesprechungen geklärt ist, unter welchen Bedingungen die Wiedervereinigung Deutschlands möglich ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön.
Herr Kollege Hansen, ich darf darauf hinweisen, daß die Frage, die Sie angesprochen haben, von mir deshalb nicht behandelt wurde,
({0})
weil wir heute nur zur Wiedervereinigung sprechen. Vielleicht befinden Sie sich doch im Irrtum. Wir werden über diese Dinge morgen reden. Sie haben das wahrscheinlich übersehen.
Meine Damen und Herren, wir sind großzügig in der Handhabung der Zwischenfragen über die Mikrophone; aber das ist eine reine Feststellung. Ich bin dankbar, wenn das nächstemal gefragt wird.
Der Herr Präsident hat darauf hingewiesen, daß es sich nicht um eine Frage handelt. Selbstverständlich, Herr Abgeordneter Sabel, ist mir bekannt, was heute und morgen besprochen wird; aber es wäre besser gewesen, Herr Abgeordneter Sabel, wenn Sie das in der Aussprache in Ihrer Diskussionsrede beachtet hätten; dann wäre es nicht nötig gewesen, darauf einzugehen.
({0})
Auch hier ist also eine Sorge nicht nur des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern auch großer Teile der deutschen Arbeitnehmerschaft zum Ausdruck gebracht worden. Und, Herr Abgeordneter Sabel, darf ich Sie darauf hinweisen, daß diese Entschließung mit den Stimmen Ihrer Kollegen im Bundesvorstand und Bundesausschuß gefaßt worden ist,
({1})
die der früheren christlichen Gewerkschaftsbewegung, ja, die der CDU angehören; ich glaube, das ist wichtig, daß Sie das zur Kenntnis nehmen.
Darf ich Sie weiter darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Sabel, daß ich es für zweckmäßiger gehalten hätte, wenn die Ausführungen, die Sie heute hier gemacht haben, nicht hier, sondern z. B. durch Ihre Kollegen gemacht worden wären, die auf dem Frankfurter Kongreß vertreten gewesen sind und ihre Meinung offen und frei hätten vertreten können.
({2})
- Herr Abgeordneter Sabel, es waren eine ganze Reihe von christlichen Kollegen auf dem Frankfurter Gewerkschaftskongreß.
({3})
- Herr Abgeordneter Sabel, wenn Sie sagen, das ist nicht wahr, dann sagen Sie das offenbar wider besseres Wissen.
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß Sie unterstellen wollen, daß der Herr Kollege Sabel bewußt eine Unwahrheit gesagt hat, und ich hoffe, daß auch der Herr Kollege Sabel es nicht so verstanden hat. Ich wäre aber dankbar, wenn die Aussprache etwas ruhiger fortgeführt werden könnte.
Fahren Sie fort.
Es tut mir leid. Es wäre besser gewesen, Herr Kollege Sabel hätte nicht die Bemerkung gemacht, es sei nicht wahr, was ich gesagt habe. Das war vorher, und darauf habe ich ;geantwortet. Er hat mir nämlich vorher etwas unterstellt, was besser unterblieben wäre.
Nicht nur dort auf dem Frankfurter Kongreß, sondern auch an allen anderen möglichen Stellen hätten und hatten Ihre Kollegen die Möglichkeit, zu diesen Problemen Stellung zu nehmen. Diese Dinge sind im Deutschen Gewerkschaftsbund offen diskutiert worden. Jetzt wird gesagt, der DGB habe im Namen der gesamten Arbeitnehmerschaft gesprochen. Meine Damen und Herren, so weit hat sich der DGB niemals verstiegen und wird er sich auch niemals versteigen, weil er weiß, daß es auch andere Meinungen in der deutschen Arbeitnehmerschaft gibt, als sie vom DGB zum Ausdruck kommen. Das ist vom DGB auch ausdrücklich gesagt worden.
({0})
Vor allen Dingen sollten Herr Sabel und andere folgendes zur Kenntnis nehmen. Eine demokratische Organisation wie der DGB hat nicht nur seiner Satzung, sondern seiner Aufgabe nach das Recht, in großen Lebensfragen, die die Interessen der Arbeitnehmerschaft berühren, auch seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.
({1})
Herr Kollege Sabel, ich bedauere außerordentlich, daß Sie Ihre Meinung über die notwendige parteipolitische Unabhängigkeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes nicht zum Ausdruck gebracht haben, als der Deutsche Gewerkschaftsbund z. B. zum Schumanplan sein Ja gesagt hat.
({2})
Damals ist ihm nicht vorgeworfen worden, er habe seine parteipolitische Neutralität verletzt.
({3})
Im Gegenteil, da ist ihm wegen seiner staatsmännischen Weisheit von den gleichen Kreisen auf die Schulter geklopft worden, die ihm heute vorwerfen, er durchbreche bei der Beschäftigung mit solchen Fragen seine parteipolitische Neutralität.
({4})
Auch in der Zeit, da Christian Fette noch Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes war
und ein Hans vom Hoff die Leitung der Abteilung
Wirtschaft hatte und beide sich positiv zum Wehrbeitrag aussprachen, habe ich keinen Herrn Sabel
und keinen anderen aus den gleichen Kreisen gehört, der damals gesagt hätte, der damalige Vorsitzende des DGB habe mit seiner Stellungnahme
zum Wehrbeitrag die parteipolitische Neutralität
des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchbrochen.
({5})
Meine Damen und Herren, darf ich Sie noch auf etwas hinweisen. Die Damen und Herren des 1. Bundestages werden sich noch daran erinnern können, daß der Herr Bundeskanzler selber damals ein Telegramm des damaligen Vorsitzenden Hans Böckler mit einer Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Petersbergabkommen hier vorgelesen hat. Damals hat der Deutsche Gewerkschaftsbund dieses Abkommen begrüßt,
({6})
({7})
im Gegensatz zur Stellungnahme zur Opposition.
Damals hat ,der Herr Bundeskanzler diese Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit
großer Freude begrüßt und niemand hat davon gesprochen, daß Hans Böckler mit dieser Stellungnahme die parteipolitische Unabhängigkeit des
Deutschen Gewerkschaftsbundes durchbrochen habe.
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Meine Damen und Herren, man sollte zur Kenntnis nehmen, daß eine solche Organisation wie der Deutsche Gewerkschaftsbund sich seine unabhängige Meinung immer behalten muß und daß man von ihm nicht nur das Jasagen erwarten kann, sondern daß von einer unabhängigen Organisation wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund auch ein Nein entgegengenommen werden muß mit der gleichen Ruhe, wie das Ja entgegengenommen wird.
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Nun, meine Damen und Herren, hat Herr Sabel außerdem darauf hingewiesen, daß im Deutschen Gewerkschaftsbund leider nicht genügend Kollegen der früheren christlichen Richtung in führenden Funktionen seien.
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Meine Damen und Herren, ich wundere mich, daß dieser Vorwurf gerade aus dem Munde des Herrn Sabel kommt.
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Herr Kollege Richter ist ja hier im Saal. Der könnte mehr darüber sagen, wie damals versucht worden ist, die christlichen Kollegen geradezu mit der Laterne zu suchen und sie zu veranlassen, im Deutschen Gewerkschaftsbund Funktionen zu übernehmen.
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Ich kann hier auch an eine Bundesausschußsitzung erinnern, an der noch der alte August Schmidt teilgenommen hat, der ja gerade in Ihren Kreisen sicher einen sehr guten Namen hat.
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Da kamen die gleichen Klagen, und da sagte der alte August Schmidt den Kollegen, die diese Klagen führten: Warum seid ihr denn damals nicht zu uns gekommen, als wir euch mit der Laterne gesucht haben?! Damals waren es allerdings schwierige Wiederaufbaujahre, und die Übernahme der Funktion eines Gewerkschaftlers war keine leichte Aufgabe.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte, Herr Präsident!
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Kollege, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß wir uns hier in der außenpolitischen Debatte nicht mit Führungsfragen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu befassen haben?
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Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
Herr Abgeordneter, ich kann verstehen, daß Ihnen diese Antwort unangenehm ist. Aber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Herr Sabel doch den Anlaß zu dieser Debatte gegeben hat und daß ich ihm nur eine Antwort darauf gebe!
({0})
Meine Damen und Herren, wir würden es also auch im Deutschen Gewerkschaftsbund begrüßen, wenn Herr Sabel und andere Leute aus seiner Richtung sich dazu entschließen würden, Hand in Hand mit den anderen Funktionären dort zu arbeiten, und wir würden sie begrüßen bei dieser Arbeit.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will mit folgendem schließen. Sie werden zur Kenntnis zu nehmen haben, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund auch in Zukunft eine unabhängige Meinung zum Ausdruck bringen wird.
({2})
Sie werden zur Kenntnis zu nehmen haben, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund in allen Fragen, die lebenswichtige Interessen der Arbeitnehmerschaft berühren, diese Meinung zum Ausdruck bringen wird.
({3})
Und, meine Damen und Herren, Sie werden zur Kenntnis zu nehmen haben, daß die deutsche Arbeitnehmerschaft die Einheit des Deutschen Gewerkschaftsbundes bis zum letzten verteidigen wird.
({4})
Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist nicht erschöpft. Ich breche aber die Debatte vereinbarungsgemäß um 21 Uhr ab.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 25. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.