Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/17/1955

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren! Am 29. Januar dieses Jahres ist im Alter von 51 Jahren der dänische Ministerpräsident Hans Hedtoft während einer Tagung des Nordischen Rates in Stockholm einem Herzschlag erlegen. Hans Hedtoft hat sich früh der Politik zugewandt, nicht um äußerer Ehren willen, sondern weil er sein Teil dazu beitragen wollte, diese Welt zu verbessern. Mit 19 Jahren schon wurde er Sekretär der dänischen sozialdemokratischen Jugendbewegung, sieben Jahre später war er Mitglied des Parteivorstandes und des dänischen Parlaments, und im Jahre 1938 wurde er zum Vorsitzenden seiner Partei gewählt. Während des Krieges wurde er durch Gewalt gezwungen, seine Parteiämter niederzulegen, doch setzte er seine politische Aufgabe in der dänischen Untergrundbewegung, der Tyrannei Widerstand leistend, fort und bewahrte in Zusammenarbeit mit dem jetzigen dänischen Ministerpräsidenten Hansen viele Juden vor der Vernichtung. Sein Mut und seine Menschlichkeit sind ein gültiges Zeugnis für die Tugenden, die auch einem kleinen Volk Größe zu verleihen vermögen. Sie werden für immer ein Musterbild demokratischen Wesens sein. Hans Hedtoft hat Deutschland gut gekannt und hat auch in den bösesten Zeiten nie verleugnet, was er seinen Lehrjahren in Deutschland zu verdanken glaubte, und er hat seiner Freundschaft mit deutschen Menschen nie abgeschworen. Er ist auch einer der ersten gewesen, die die Welt aufgerufen haben, das deutsche Volk nicht mit den Verbrechern zu identifizieren, deren erstes Opfer es selber gewesen sei. Dieser Skandinavier war ein guter Europäer, der sein Europa zu Hause beginnen lassen wollte. Darum hat er seinen ganzen Einfluß aufgewandt, um zu verhindern, daß an der deutsch-dänischen Grenze ein neuer Grenzkampf entstehe, und er hat im Vertrauen, daß auf unserer Seite der Grenze dieselbe Gesinnung herrsche, alles getan, um im Wege einer von gegenseitiger Achtung getragenen Vereinbarung eine Ordnung herzustellen, die es beiden Völkern erlaubt, auch dort, wo sie sich durchdringen, in der gegenseitigen Ehrfurcht vor ihrem Wesen und ihrer Geschichte in fruchtbarem Austausch zusammenzuleben. Sein Vertrauen in unsere Gesinnung soll nicht enttäuscht werden. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich bekanntzugeben, daß in der Sitzung des Ältestenrates vom 15. Februar eine Vereinbarung zustande gekommen ist, die heutige Plenarsitzung um 14 Uhr zu schließen, um den Fraktionen Gelegenheit zur Beratung zu geben. Ich habe Glückwünsche auszusprechen. Am 31. Januar hat der Bundespräsident Professor Dr. Theodor Heuss seinen 71. Geburtstag gefeiert. ({0}) Am 4. Februar ist Herr Abgeordneter Diedrichsen 60 Jahre alt geworden, ({1}) am 15. Februar Herr Abgeordneter Wittmann ebenfalls 60 Jahre ({2}) und am 16. Februar Herr Abgeordneter Professor Böhm ebenfalls 60 Jahre. ({3}) Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat gebeten, daß dieser Ausschuß wegen der Dringlichkeit der Beratungen über das Haushaltsgesetz 1955 auch während der Plenarsitzungen soll tagen können. - Das Haus ist damit einverstanden. Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten hat gebeten, heute während der Plenarsitzung eine Ausschußsitzung abhalten zu können. - Auch hier wird das Haus wohl einverstanden sein. Schließlich teile ich mit, daß im Anschluß an die heutige Plenarsitzung um 14 Uhr 45 im Sitzungszimmer 101 P die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Fragen der Wiedergutmachung stattfinden wird. Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Februar 1955 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt: Gesetz zur Änderung des Zolltarifs ({4}); Gesetz über das am 6. September 1952 unterzeichnete Welturheberrechtsabkommen; Gesetz über die patentamtlichen Gebühren; Gesetz über Zollünderungen; Gesetz über den Abschluß der Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({5}); Gesetz betreffend das Übereinkommen Nr. 81 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 11. Juli 1947 über die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel. In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat gemäß Art. 77 Abs. 2 GG die Einberufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung verlangt. Sein Schreiben wird als Drucksache 1191 verteilt. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 9. Februar 1955 die Kleine Anfrage 131 der Fraktion der FDP betreffend Bundesbeteiligungen - Drucksache 999 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1190 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 28. Januar 1955 die Kleine Anfrage 135 der Abgeordneten Dr. Atzenroth und Genossen betreffend Gewährung von Kassenkrediten durch den Bund an Gesellschaften der öffentlichen Hand - Drucksache 1029 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1180 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 5. Februar 1955 die Kleine Anfrage 144 der Fraktion der DP betreffend Postgebührenerhöhung - Drucksache 1133 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1186 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 14. Februar 1955 die Kleine Anfrage 147 der Abgeordneten Kühlthau, Naegel, Krammig, Dr. Hellwig und Genossen betreffend Durchführung des Bundesbeamtengesetzes - Drucksache 1167 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1209 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 11. Februar 1955 die Kleine Anfrage 150 der Abgeordneten Ruhnke, ({6}) Schwann. Dr. Bartram, Geiger ({7}), Elsner, Dr. Elbrächter und Genossen betreffend den Deutschen Wetterdienst - Drucksache 1176 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1193 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 11. Februar 1955 die Kleine Anfrage 152 der Fraktion der DP betreffend Ölschäden an der Nordseeküste - Drucksache 1181 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1194 vervielfältigt. Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 27. Januar ihren Gesetzentwurf über die Ausstellung von Diplomatenpässen - Drucksache 715 - zurückgezogen. Die Fraktion der DP hat mit Schreiben vom 15. Februar ihre Anträge betreffend Vorlage eines Krankenhaus-Rahmengesetzes - Drucksache 14 -, betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Berufszulassung für Masseure und über die Ausbildung und Berufszulassung für Krankengymnastinnen - Drucksache 17 - und betreffend Vorlage eines Gesetzes über die Ausbildung und soziale Sicherung des Krankenpflegepersonals - Drucksache 18 zurückgezogen. Wir haben in der 64. Sitzung die Fragestunde nicht voll erledigt. Vereinbarungsgemäß wird die heutige Tagesordnung damit beginnen, daß die nicht erledigten Fragen gestellt und beantwortet werden. Es handelt sich um die Fragen 3, 4, 5, 6, 20 und 30 der Drucksache 1157. Zunächst Herr Abgeordneter Lütkens zu Frage 3. - Ist Herr Abgeordneter Lütkens nicht da? ({8}) - Dann inzwischen Herr Abgeordneter Ritzel zu Frage 5.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage die Bundesregierung: 1 Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, damit endlich entsprechend einem Beschluß des Schweizerischen Bundesrates vom 24. Februar 1953 das 1945 beschlagnahmte Vermögen der Deutschen Hilfsvereine in der Schweb diesen zur Erfüllung ihrer Aufgaben wieder zugeführt wird?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Staatssekretär, bitte!

Not found (Staatssekretär:in)

Das Vermögen der Deutschen Hilfsvereine und ;der aufgelösten nationalsozialistischen Organisationen ist, soweit es nicht unter der Verwaltung der schweizerischen Bundesanwaltschaft und der deutschen Interessenvertretung zur Unterstützung deutscher Hilfsbedürftiger in der Schweiz nach 1945 verbraucht worden ist, zu einem wesentlichen Teil verwandt worden zum Ausbau des Konsul-Burchard-Hauses in Davos, das im Eigentum einer Hotelaktiengesellschaft steht. Die Aktien der Hotelaktiengesellschaft gehörten dem aufgelösten Deutschen Tuberkulose-Hilfswerk in der Schweiz und wurden vom Schweizerischen Bundesrat mit dem übrigen Vermögen der schweizerischen Hilfsvereine der Gesandtschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bern zur Verfügung gestellt. Die Bereitstellung von Mitteln für die neu gegründeten Hilfsvereine in der Schweiz macht die Veräußerung dies Konsul-Burchard-Hauses erforderlich. Das Bundesministerium für Arbeit hat die Absicht, die Aktien der Hotelaktiengesellschaft zum Zwecke der Fürsorge für Tuberkulosekranke zu erwerben. Im Jahre 1953 hat der Deutsche Bundestag auf den Initiativantrag mehrerer Abgeordneter dem Ansatz eines Betrages von 280 000 DM für den Ankauf vorbehaltlich bautechnischer und vermögensrechtlicher Nachprüfung zugestimmt. Nach Abschluß dieser Prüfung hat das Bundesministerium der Finanzen jetzt dem Kaufvertrag über die Aktien der Hotelaktiengesellschaft Davos zwischen der Gesandtschaft der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundesministerium für Arbeit vorbehaltlich der Regelung von Einzelfragen zugestimmt. Den Deutschen Hilfsvereinen in der Schweiz wird .also in Kürze der Erlös aus idem Verkauf der Aktien der Hotelaktiengesellschaft zugeführt werden können.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Haben sie eine Zusatzfrage?

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich fragen, wie hoch dieser Erlös etwa sein wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich darf die Frage schriftlich beantworten; ich bin im Augenblick nicht in der Lage, es zu sagen.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke sehr.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ist Herr Augeordneter Lütkens nunmehr da? - Das ist nicht der Fall. Dann Herr Abgeordneter Walter zu Frage 6.

Albert Walter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002420, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Ich frage: Ist die Bundesregierung gewillt, bei Handelsvertragsverhandlungen mit seefahrenden Staaten zur Bedingung zu machen, :daß die Flaggendiskriminierung aufhört?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Bitte, Herr Staatssekretär!

Not found (Staatssekretär:in)

Die Bundesregierung erkennt im Einvernehmen mit den übrigen europäischen Schiffahrtsnationen den von der OEEC ,aufgestellten Grundsatz der weltweiten Liberalisierung der Seeschifffahrt und der Freiheit der Flaggenwahl an. Sie bekämpft jede Art staatlicher Bevorzugungen. Es kann andererseits nicht bestritten werden, daß in der Nachkriegszeit zahlreiche Länder, größere und kleinere, für die von ihnen neu aufgebaute und vielfach staatliche Schiffahrt Vorzugsstellungen verlangt haben. In besonderem Maße gilt :das von den Ländern des Orients und des südamerikanischen Raumes. Im einzelnen ist die Bundesregierung in Chile - übrigens im Einvernehmen mit anderen Ländern - vorstellig geworden. Anderwärts ist sie selbständig vorgegangen im Rahmen von Handelsvertragsverhandlungen. So schweben zur Zeit derartige Verhandlungen mit Argentinien, mit Brasilien, mit Kolumbien, mit Ägypten und der Türkei. Bei der Türkei ist die Unterzeichnung eines im wesentlichen abgeschlossenen Abkommens von einer befriedigenden Regelung der Flaggenfrage abhängig gemacht worden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Die Frage ist erledigt. Dann Abgeordneter Dr. Mommer zu Frage 20.

Hermann Trittelvitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich für Herrn Abgeordneten Dr. Mommer die Frage stellen? - Ich frage die Bundesregierung: ({0}) Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung dean für die Dauer von drei Monaten ausgesprochenen Verbot der Zeitung „Rheinpfalz" im Saargebiet bei?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Staatssekretär!

Not found (Staatssekretär:in)

Die Bundesregierung hätte erwartet, daß die Saarregierung bereits den Abschluß ides Abkommens über das Statut der Saar zum Anlaß genommen hätte, zu einer liberaleren Pressepolitik überzugehen. Statt dessen hat sie wiederum eine Zeitung, die einen gegen sie gerichteten Artikel bringt, zudem gleich für die zulässige Höchstdauer von drei Monaten, verboten. Dieses Verhalten der saarländischen Stellen zu einem Zeitpunkt, in dem versucht wird, eine Bereinigung ides deutsch-französischen Verhältnisses herbeizuführen, ist solchem Bestreben keineswegs förderlich. Die Bundesregierung sieht daher in diesem Vorfall einen erneuten Beweis für die Notwendigkeit, den gegenwärtigen Zustand an der Saar schleunigst durch eine demokratische Ordnung zu ersetzen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Hermann Trittelvitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hält die Bundesregierung die derzeitigen Saarbehörden, die Zeitungen verbieten, weil sie über Kontakte zwischen Bonn und Saarbrücken berichten, für geeignet, nach Inkrafttreten des Statuts an der Saar Presse- und Parteienfreiheit herzustellen?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Frage ist durch das Saarabkommen geregelt. Nach dem Saarabkommen fallen der jetzigen Saarregierung gewisse Funktionen der Vorbereitung bei der Verwirklichung des Provisoriums des Saarstatuts zu.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Noch eine Zusatzfrage?

Hermann Trittelvitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Dann ist diese Frage erledigt. Frage 30. Herr Abgeordneter Thieme!

Willy Thieme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es zutrifft, daß unsere Auslandsvertretungen nur die Möglichkeit haben, zwei Tageszeitungen zu abonnieren, ist dann das Auswärtige Amt bereit, wieder Freistücke von deutschen Tageszeitungen und illustrierten Wochenzeitschriften über Kurierpost zu befärdern, nachdem diese Versandart seit August des vorigen Jahreseingestellt bzw. eingeschränkt worden ist?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Staatssekretär!

Not found (Staatssekretär:in)

Nein. Das Auswärtige Amt sieht sich nicht imstande, zusätzliche Freistücke von Tageszeitungen und illustrierten Wochenzeitschriften mit Kurierpost zu befördern. Der Grund ist ein dreifacher. Zunächst erhalten die Auslandsvertretungen nicht wie angenommen zwei, sondern im Durchschnitt zur Zeit vier bis fünf Tageszeitungen. Eine Einschränkung des Versands von Zeitschriften im Kurierweg ist vorgesehen, aber bisher nicht praktisch geworden. Es hat sich sodann herausgestellt, daß infolge der langen Kurierwege das Zeitungsmaterial für die Vertretungen am Eingangstage wegen der fehlenden Aktualität ziemlich wertlos geworden ist. Schließlich: Wenn die Zeitungen ihren Wert behalten sollen, müssen sie im Luftpostweg versandt werden. Nach vorsichtiger Schätzung würde das jedoch einen Mehraufwand für den Versand nur einer zusätzlichen Zeitung von etwa 40 000 DM jährlich für das Porto bedeuten. Dabei ist die Vergütung für eine halbe zusätzliche Arbeitskraft für den Versand von insgesamt 150 Zeitungen täglich nicht gerechnet.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Keine Zusatzfrage?

Willy Thieme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Keine Zusatzfrage. Ich werde mich schriftlich an das Auswärtige Amt wenden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Die Frage ist erledigt. Frage 3. Für den Abgeordneten Dr. Lütkens stellt der Abgeordnete Ritzel die Frage.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage lautet: Ist der Bundesregierung das Protokoll bekannt, welches die Außenminister der drei westlichen Besatzungsmächte im September 1950 auf der Außenministerkonferenz in New York zwecks Interpretation ihrer damaligen Erklärung unterzeichnet haben, wonach „die Regierung der Bundesrepublik die einzige rechtmäßig konstituierte deutsche Regierung ist, die im Namen Deutschlands sprechen und das deutsche Volk in internationalen Angelegenheiten vertreten kann"? Ist die Bundesregierung bereit, dieses wichtige Dokument dem Bundestag vorzulegen?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Staatssekretär!

Not found (Staatssekretär:in)

Das Protokoll ist der Bundesregierung von den drei westlichen Besatzungsmächten notifiziert worden und ihr demgemäß bekannt, Sie hat es im vollen Wortlaut bereits dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und dem Rechtsausschuß dieses Hohen Hauses vorgelegt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 4. Ritzel ({0}): Frage 4 lautet: Wie vereinbart die Bundesregierung ihre Berufung auf das Potsdamer Abkommen in der Fragestunde der 51. Sitzung vom 21. Oktober 1954 ({1}) mit der vom Staatssekretär des Auswärtigen Amts in der Fragestunde der 26. Sitzung vom 29. April 1954 ({2}) gegebenen Antwort, nur die Berliner Deklarationen vom 5. Juni 1945 sollten „nicht zerstört" werden?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Staatssekretär!

Not found (Staatssekretär:in)

Beide Stellungnahmen widersprechen einander nicht. Die Bundesregierung hat stets die Auffassung vertreten, daß die für die Rechtslage Deutschlands seit 1945 entscheidenden VierMächte-Vereinbarungen die Berliner Deklarationen vom 5, Juni 1945 sind. Das ist auch die Auffassung der Besatzungsmächte. Die Bonner Verträge von 1952 waren daher, wie in der damaligen amtlichen Begründung ausgeführt, so angelegt, daß ({0}) sie den Kern dieser Vereinbarungen nicht zerstörten. Durch diese Auffassung wird nicht ausgeschlossen, daß die Bundesregierung in geeigneten Fällen auf Bestimmungen des Potsdamer Abkommens verweist und die Signatarstaaten an ihre untereinander eingegangenen Verpflichtungen erinnert. Das gilt insbesondere für die vorläufigen territorialen Klauseln des Potsdamer Abkommens. Die Bundesregierung ist durch ihre eigenen Stellungnahmen in der Frage der Juni-Deklarationen nicht gehindert, daran zu erinnern, daß die deutsche Ostgrenze durch das Potsdamer Abkommen nicht festgelegt worden ist, sondern daß es ein die drei Unterzeichnermächte des Potsdamer Abkommens bindender Grundsatz bleibt, daß die dort getroffenen Gebietsregelungen nur vorläufigen Charakter tragen und die endgültige Festlegung der deutschen Grenzen dem Friedensvertrag vorbehalten bleibt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ist die Frage erledigt? ({0}) Ich danke, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen erledigt, die von der letzten Fragestunde übriggeblieben sind. Wir können nunmehr beginnen, die für heute vorgesehene Tagesordnung zu erledigen. Ich rufe auf Punkt 1: Große Anfrage der Fraktionen der DP, GB/BHE betreffend Deutsche Kriegsverurteilte in fremdem Gewahrsam ({1}). Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung eine Zeit von 20 Minuten vor. Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat Frau Abgeordnete Gräfin von Finckenstein. Frau Gräfin Finckenstein ({2}), Anfragende: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Zahl der Deutschen, mit denen sich unsere Große Anfrage Drucksache 979 beschäftigt, ist klein. Sie liegt bei 300. Aber die Tatsache, daß 10 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg noch immer deutsche Kriegsverurteilte im Gewahrsam der westlichen Alliierten sind, wiegt schwer. Sie wiegt so schwer und sie wird in so weiten Teilen des deutschen Volkes als eine unerträgliche Belastung empfunden, daß wir glauben, sie hier im Bundestag zur Sprache bringen zu sollen. Denn wie ist es möglich, junge Menschen zu der notwendigen Verteidigung unseres Kontinents gemeinsam mit unseren westlichen Nachbarvölkern aufzurufen, solange deutsche Soldaten noch als Verurteilte oder als Angeklagte in den Gefängnissen eben dieser Nachbarvölker sitzen? Das Problem der Kriegsverurteilten - das Wort „Kriegsverbrecher" ist aus dem deutschen Sprachgebrauch der letzten Jahre gottlob fast ganz verschwunden - muß behutsam angefaßt werden. Wir wissen, daß die Reaktion im Ausland auf diese Frage zwiespältig, wenn nicht sogar immer noch negativ ist. Wir müssen befürchten, daß deutsche Forderungen im Ausland mißverstanden werden können und die Freilassung und Begnadigung der Kriegsverurteilten dadurch eher verzögert als beschleunigt werden könnte. Wir wissen, daß jeder neue Prozeß wie jede neue Freilassung immer wieder akuten Anlaß zu Pressekampagnen mit Deutschland abträglichem Charakter gegeben haben, wobei wir nicht zu entscheiden vermögen, ob es sich um eine echte Gefühlsaufwallung des betreffenden Volkes handelt oder um eine gesteuerte Bewegung. Aber gerade weil wir dies alles wissen und berücksichtigen, wünschen wir die Beendigung dieses unseligen Kapitels, das als eine schwere Hypothek auf unserem Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn lastet, so sehnlich herbei! Wenn ein leidiges Kapitel liquidiert werden soll, tut es nicht gut, die Frage von Schuld oder Unschuld, Recht oder Unrecht, Verstrickung, Verhängnis, Zwang oder Schicksal aufzuwerfen oder in der unsäglichen Bitternis der Prozesse vor den Gerichten der Siegermächte herumzuwühlen. Nach deutscher Ansicht ist der weitaus größte Teil der Kriegsverurteilten nicht schuldig und wäre in einem ordentlichen Verfahren vor deutschen Gerichten nicht verurteilt worden. Es sei zum Vergleich an die Zeit nach dem ersten Weltkrieg erinnert, als z. B. von Frankreich die Auslieferung von 1800 auch damals als Kriegsverbrecher bezeichneten Deutschen verlangt wurde, aber verweigert werden konnte. In den daraufhin von deutscher Seite durchgeführten Prozessen sind in nur sechs von diesen 1800 Fällen Verurteilungen ausgesprochen worden. Die wenigen unter den Kriegsverurteilten, die auch nach unserer Ansicht schuldig wären, haben immerhin alle schon 10 Jahre, manche 12 und 14 Jahre Gefängnisstrafe verbüßt, zum Teil in 52 verschiedenen Strafanstalten oder Unterkünften eines fremden Landes. Sollten wir nicht auch sie in die Beendigung dieses ganzen Komplexes einbeziehen dürfen, des Komplexes, der einer freundschaftlichen Annäherung an unsere Nachbarn im Westen immer wieder entgegenwirken muß? Die fünf Punkte unserer gemeinsam mit der DP eingebrachten Großen Anfrage dienen alle dem gleichen Streben: Schluß, endlich Schluß mit diesen unglückseligen Verfahren, mit diesem giftigen Erbe des letzten Krieges, das beiden, Richtern und Gerichteten, keinen Segen bringt! Schickt sie doch endlich nach Hause! Unsere Anfrage gipfelt in der Bitte, durch eine Generalamnestie für alle Kriegsverurteilten oder der Kriegsverbrechen noch Angeklagten endlich tabula rasa, endlich reinen Tisch zu machen, damit die früheren Kriegsgegner sich zusammenfinden und sich ohne bitterste Vorbehalte in den Ring der gemeinsamen Verteidigung einordnen können. Zehn Jahre sind eine lange Zeit und haben in allen Ländern ein geändertes Klima geschaffen. In den jüngsten Kriegen von Korea und Indochina haben viele alliierte Soldaten Handlungen vollziehen müssen, die denjenigen Taten vergleichbar sind, um derentwillen deutsche Soldaten noch heute als Verurteilte oder noch als Angeklagte in alliierten Gefängnissen sitzen. Die moderne Kriegführung hat eben mörderische Eigengesetze entwickelt, denen der einzelne Soldat nicht gewachsen ist, der alliierte Soldat nicht und der deutsche Soldat nicht. Die meisten deutschen Kriegsverurteilten, für die wir heute sprechen und an die wir heute denken, leben in französischen Gefängnissen, der größte Teil in Loos les Lille, in Paris, in Metz und Lyon. Die Kriegsverurteilten in Holland, Belgien, Luxemburg und der eine in Italien und auch die Insassen der alliierten Strafanstalten auf deut({3}) schem Boden, in Werl, Wittlich und Landsberg, sind geringer an Zahl. Deshalb liegt der Schlüssel zu einer Bereinigung des ganzen Problems gewissermaßen auf der gleichen Linie, die auch für das Werden Europas immer die entscheidende Wirkung haben wird, auf der Linie der deutsch-französischen Annäherung und Verständigung. Wir wissen aus der Geschichte, daß Frankreich nach dem Friedensschluß 1872 die ausnahmslose Rückkehr aller Gefangenen, sogar der kriminellen, durch seinen ersten Botschafter fordern ließ, als dieser zehn Monate nach Beendigung des Krieges seinen Antrittsbesuch machte, und daß sie sämtlich entlassen worden sind. Wir würdigen die enormen Schwierigkeiten, die den Bemühungen der deutschen Regierung um die Kriegsverurteilten nach dem zweiten Weltkrieg entgegengestanden haben, als es galt, wieder um Vertrauen für Deutschland in der Welt zu werben. Wir haben mit dankbarer Freude festgestellt, daß als Erfolg der Baden-Badener deutschfranzösischen Gespräche in diesem Januar 1955 21 Kriegsverurteilte aus französischen Anstalten entlassen worden sind. Wir möchten der Bundesregierung nahelegen, auf dem beschrittenen Wege fortzufahren und auf allen sich bietenden Wegen und bei allen amtlichen und halbamtlichen Gelegenheiten, bei jedem erdenklichen Anlaß und durch öffentliche sowie durch private persönliche Einwirkung dafür einzutreten, daß das Thema „Kriegsverurteilte" aus dem Bewußtsein unserer beiden Völker verschwinden kann. Wenn erst einmal alle in französischen Gefängnissen inhaftierten Deutschen entlassen sein werden, dann wird die Begnadigung bzw. Entlassung auch in den anderen alliierten Ländern auf geringere Schwierigkeiten stoßen. Wir erlauben uns zu der französischen Situation deshalb die praktische Anregung: Ein sehr großer Teil der Verurteilten ist zu 20 Jahren Kerker verurteilt gewesen und hat die Hälfte, zehn Jahre, bereits verbüßt. Nach geltendem französischem Recht kann der Häftling in diesem Fall den Antrag auf bedingte Freilassung stellen. Die gestellten Anträge wurden bisher in der Regel nach neun Monaten abschlägig beschieden. Danach mußten weitere sechs Monate vergehen, bis ein erneuter Antrag gestellt werden konnte, dem meistens stattgegeben worden ist. Wenn hier die Bitte ausgesprochen werden kann, das Tempo der turnusmäßigen Erledigung der Anträge zu beschleunigen bzw. bereits dem ersten Antrag stattzugeben, so würden wir damit gar nicht in Berührung mit dem eigentlichen Rechtsverfahren geraten, das von solcher Bitte nicht angetastet würde. Es würde aber damit erreicht werden, daß über 50 Kriegsverurteilte bald nach Hause kämen, endlich, nach mehr als zehn Jahren zu ihren Familien, die auf sie warten, und es wäre der verheißungsvolle Auftakt gegeben, die Last der Vergangenheit fortzuräumen, die auf den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ruht. Um diese deutsch-französische Annäherung aber ringen wir in diesem Hause doch alle gemeinsam in gemeinsamer Inbrunst, weil sie für das Werden Europas der unersetzliche Baustein bleibt. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat Herr Staatssekretär Dr. Hallstein.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage, die ich zu beantworten habe, bezieht sich auf ein Problem, das im Vordergrund der Aufmerksamkeit der Bundesregierung seit ihrem Bestehen gestanden hat. Die Bundesregierung und die Vertreter der Bundesrepublik im Ausland haben sich in einer kaum mehr übersehbaren Zahl von Besprechungen und Vorstellungen für die Heimkehr der Gefangenen eingesetzt und werden das mit derselben Unermüdlichkeit auch in Zukunft tun, wobei das Gebot diplomatischer Diskretion aus Gründen, die keiner Erläuterung bedürfen, für diese Gespräche im besonderen Maße gilt. Die erste Frage, die in der Großen Anfrage gestellt ist, lautet: Wieviel Kriegsverurteilte befinden sich noch in fremdem Gewahrsam im In- und Auslande? Ich antworte: Wenn ich von den Ostblockstaaten absehe, so beträgt die Zahl der deutschen Gefangenen in ausländischer Haft heute noch 315. ({0}) Am 1. April 1950 hat die Zahl dieser Gefangenen 3657 betragen. Es sind also in den letzten fünf Jahren mehr als neun Zehntel der Gefangenen freigelassen worden. Zur besonderen Genugtuung der Bundesregierung sind in dieser Zeit aus fünf Ländern alle deutschen Gefangenen heimgekehrt. Von den übrigbleibenden 315 Gefangenen sind 158 in den drei Haftanstalten Landsberg, Werl und Wittlich sowie in Spandau, die übrigen 157 im Auslande. Zur zweiten Frage darf ich sagen: Wie bekannt ist, konnte im Jahre 1953 die Zustimmung der Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Französischen Republik dazu erwirkt werden, daß für die Angelegenheiten der in der Bundesrepublik inhaftierten Kriegsverurteilten drei Gemischte Ausschüsse unter deutscher Beteiligung gebildet wurden. Ihre Aufgabe ist es, nach Prüfung der Einzelfälle Empfehlungen für vorzeitige Freilassung dieser Gefangenen abzugeben. Da die Errichtung dieser drei Ausschüsse im Zusammenhang steht mit der Beendigung des Besatzungsstatuts, beschränkt sich ihre Zuständigkeit, wie erwähnt, auf die Kriegsverurteilten in der Bundesrepublik. Bei der Errichtung dieser Ausschüsse befanden sich in den drei Haftanstalten in der Bundesrepublik, die ich genannt habe, noch 443 Gefangene. Ihre Zahl ist bis heute auf 152 zurückgegangen. Somit sind seit Ende 1953 annähernd 300 Gefangene, und zwar fast alle auf Empfehlungen der Ausschüsse, aus der Haft entlassen worden. Im einzelnen sind in diesem Zeitraum die folgenden Haftentlassungen zu verzeichnen: aus amerikanischem Gewahrsam in Landsberg 206, und zwar mit wenigen Ausnahmen in Anwendung des sogenannten Parole-Verfahrens, aus britischem Gewahrsam in Werl 46, aus französischem Gewahrsam in Wittlich 39. Damit hat sich die Zahl der Gefangenen ermäßigt in Landsberg auf 84, in Werl auf 33, in Wittlich auf 35. Da die Ausschüsse ihre Tätigkeit fortsetzen, erwarten wir weitere Freilassungen. In Punkt 3 der Großen Anfrage wird Auskunft darüber gewünscht, ob die Bundesregierung Zusicherungen in der Frage der Entlassung der Kriegsverurteilten erhalten hat. Ich habe schon auf ({1}) 1 die zahllosen Bemühungen der Bundesregierung hingewiesen, die zugunsten der Gefangenen unternommen worden sind oder noch laufen. Diese Bemühungen tragen zum großen Teil generellen Charakter, aber es werden auch zugunsten einzelner Gefangener vielfache Anstrengungen unternommen. Ich darf darauf hinweisen, daß der Herr Bundeskanzler Gelegenheit gehabt hat, über die deutschen Gefangenen in französischem Gewahrsam zuletzt noch bei dem Zusammentreffen in Baden-Baden mit dem damaligen französischen Ministerpräsidenten am 14. Januar zu sprechen. Diese vielfältigen Vorstellungen der Bundesregierung haben viel Verständnis gefunden. Die Freilassungen, für die ich die Zahlen genannt habe, bestätigen das. Wir dürfen andererseits nicht außer acht lassen, daß die Regierungen, mit denen wir in diesen Fragen in einem ständigen Kontakt stehen, auch mit der öffentlichen Meinung ihrer Länder zu rechnen haben, und diese Tatsache sollte bei der Gesamtwürdigung des Problems nicht übersehen werden. Dennoch ist der Bundesregierung von verschiedenen beteiligten Staaten eine großzügige Anwendung der Möglichkeiten in Aussicht gestellt worden, die nach der Rechtsordnung dieser Staaten für eine baldige Freilassung der Gefangenen gegeben sind. In Anbetracht der bevorstehenden zehnten Wiederkehr des Jahrestages des Waffenstillstands glaube ich auch diesen Anlaß benutzen zu sollen, um noch einmal an die Gewahrsamsmächte zu appellieren, ({2}) nicht ohne gleichzeitig für das bisher gezeigte Verständnis und die Bereitschaft, auf vielfältige Wünsche und Anregungen der Bundesregierung einzugehen, ausdrücklich zu danken. Es ist eine Bitte, die ich ausspreche, eine Bitte, die sich gründet auf Erwägungen des Rechts - es gibt kein Recht ohne Gnade -, auf menschliche Gründe, aber auch auf politische: wenn wir den Frieden der Welt, und das heißt die Einheit der Welt, sichern wollen, müssen die Völker die Kraft aufbringen, zu vergessen ({3}) oder wenigstens zu vergeben. An vierter Stelle wird gefragt, ob die Bundesregierung bereit sei, bei den Gewahrsamsstaaten darauf hinzuwirken, daß die im Ausland immer noch inhaftierten Deutschen der deutschen Hoheitsgewalt und Verantwortlichkeit überstellt werden, unter Gewährleistung eines abschließenden Verfahrens, das Recht und Gerechtigkeit im Sinne der Fortenwicklung eines humanen Kriegsrechts wahrt. Die Bundesregierung hat in jedem Stadium der Entwicklung dieser Frage selbstverständlich alle Möglichkeiten eingehend geprüft, die eine weitere Beschleunigung der Lösung des Problems versprechen. Dazu gehört auch die Erwägung, ob es möglich ist und ob es erreichbar ist, die noch in westlichem Gewahrsam festgehaltenen deutschen Gefangenen in die deutsche Rechtshoheit zu überführen. Ich will jetzt nicht abschließend zu dieser Frage Stellung nehmen, darf aber darauf aufmerksam machen, daß abgesehen von den Hindernissen, die die Gesetze der Gewahrsamsländer bieten, die Notwendigkeit, eine derartige Zahl von Verfahren unter den jetzt gegebenen Voraussetzungen durchzuführen, die deutschen Justizbehörden vor vielleicht kaum lösbare Schwierigkeiten stellen würde. Dies würde unter Umständen auch die erneute Aufrollung dieser Tatbestände durch die deutsche Justiz, mitunter jahrelange Erhebungen erfordern. Infolgedessen bitte ich, mich auf die Bemerkung beschränken zu dürfen: Ob und in welchem Umfang sich in der Folge die Möglichkeit bieten wird, der in diesem Punkte der Anfrage enthaltenen Anregung praktisch nachzugehen, wird die weitere Entwicklung zeigen. In Ziffer 5 der Anfrage wird das Problem einer sogenannten Generalamnestie angesprochen. Ich muß in diesem Zusammenhang doch darauf hinweisen, daß die heutige Situation, soweit sie für das Kriegsverbrecherproblem von Bedeutung ist, nicht mit der Lage im Jahre 1924 verglichen werden kann, in dem nach dem ersten Weltkrieg ein Verzicht auf die weitere Verfolgung derartiger Fälle ausgesprochen wurde. Ich sagte schon, daß wir nicht an der psychologischen Situation in den uns benachbarten Ländern vorbeisehen können, und auch wir selbst haben noch an dem Erbe erschreckender Taten zu tragen, die uns allen bekannt sind. Deshalb ist die Forderung einer Generalamnestie unrealistisch. Ich fürchte, daß das Vorbringen dieser Forderung die weitere Lösung der uns hier beschäftigenden Frage eher erschweren als fördern würde. Vielleicht wäre es auch psychologisch nicht richtig, mehr zu verlangen, als die deutsche Gesetzgebung selbst zu gewähren für richtig befunden hat. Dem Verlangen einer Generalamnestie könnte entgegengehalten werden, daß auch der deutsche Gesetzgeber in § 6 des Straffreiheitsgesetzes vom 17. Juli 1954 eine generelle Amnestie für derartige Fälle nicht beschlossen hat. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zum Schluß dieser Antwort zwei Bemerkungen anfügen zu dürfen. Einmal: Ebenso, wie wir uns vor den Opfern geschehenen Unrechts neigen, sind wir uns des schweren Leides der Angehörigen der Gefangenen bewußt, die ihr Geschick, wie eine große Anzahl von Beispielen zeigt, mit einer Standhaftigkeit tragen, die Achtung und menschliche Teilnahme verlangen. Nicht zuletzt das Schicksal dieser Angehörigen ist es, das die Bundesregierung immer wieder zu den erwähnten Anstrengungen veranlaßt. ({4}) Vor allem aber bewegt es mich, derjenigen in diesem Augenblick zu gedenken, die noch in der Sowjetunion und in den anderen Ostblockstaaten zurückgehalten werden. ({5}) Wir wollen nicht vergessen, daß das eigentliche Gefangenenproblem - schon rein zahlenmäßig - in der widerrechtlichen Zurückhaltung dieser Deutschen liegt, die unter nichtigen Vorwänden ihrer Freiheit beraubt werden. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit auch benutzen, um erneut den Vereinten Nationen und allen denen zu danken, die unserer tiefen Sorge um das Los dieser Gefangenen seit langem so großes Verständnis entgegenbringen. ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Die Anfrage ist beantwortet. Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Schneider ({0}).

Herbert Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002045, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der Regierungsparteien und, wenn ich recht unterrichtet bin, auch die Fraktion der SPD bitten, die Aussprache auf die nächste Sitzung, in der die Lesung der Pariser Verträge stattfindet, zu vertagen. Ich bitte, diesem Wunsch stattzugeben.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ist das Haus einverstanden? Ich nehme an, daß dieser Antrag nicht so zu verstehen ist, daß ein besonderer Tagesordnungspunkt angesetzt werden soll. ({0}) Das Problem wird im Rahmen der anderen Probleme bei der Vertragsdebatte besprochen. Dann ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf den Punkt 2: Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Tarifvertrag für die bei den Besatzungsmächten beschäftigten deutschen Arbeitnehmer ({1}). Das Wort hat der Abgeordnete Eschmann zur Begründung der Großen Anfrage. Eschmann ({2}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage meiner Fraktion datiert bereits vom 1. Dezember 1954. Am 19. Februar 1954 teilte die Bundesregierung mit, daß grundsätzliche Hindernisse gegen den Abschluß eines Tarifvertrages für die bei den Dienststellen, Unternehmen und sonstigen Einrichtungen der alliierten Behörden und der alliierten Streitkräfte im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer - wie der Vertrag nunmehr heißt - nicht mehr bestünden. Die Unterzeichnung durch die Tarifvertragsparteien sowie die Genehmigung des Vertragswerkes durch die Alliierte Hohe Kommission - so hieß es damals - würden in kürzester Frist möglich sein. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat nun mit Datum vom 31. Januar 1955 den Herren Finanzministern und Herren Finanzsenatoren der Länder und einigen anderen beteiligten Stellen mitgeteilt, daß am 28. Januar 1955 in Bonn der Tarifvertrag unterzeichnet wurde und daß die Alliierte Hohe Kommission am gleichen Tage ihre Zustimmung erteilt habe. Damit liegt jetzt fest, daß der Tarifvertrag am 1. Februar 1955 in Kraft getreten ist und daß von diesem Tage an für die bei den alliierten Dienststellen in den drei Besatzungszonen beschäftigten Arbeitnehmer das deutsche Arbeitsrecht anzuwenden ist. Damit aber nun der Vertrag und seine Nebenvereinbarungen einheitlich angewandt werden können, müssen noch die notwendigen Ausführungsvorschriften erlassen und Übergangsregelungen getroffen werden. Nach einem Schreiben des Herrn Bundesfinanzministers sollen diese Vorschriften ebenfalls so bald wie möglich bekanntgegeben werden. Meine Fraktion hegt hierbei die stille Hoffnung, daß diese Bekanntgabe doch etwas beschleunigter vor sich gehen möge als das Zustandekommen des Vertragswerkes selbst. ({3}) Wenn man schon die Zeit von Mitte November 1954 oder, besser gesagt, vom 1. Dezember 1954 - das ist der Zeitpunkt der Einbringung unserer Großen Anfrage - bis 1. Februar 1955, dem Termin des Inkrafttretens des Vertrags, gewiß nicht als kürzeste Frist bezeichnen kann, so ganz sicher nicht die Zeit vom 19. Februar 1954, als diese genannte „kürzeste Frist" angekündigt wurde, bis zum Februar 1955, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens. Anscheinend hat es doch erst des Anstoßes durch die Große Anfrage meiner Fraktion bedurft, ({4}) um den Abschluß des Vertrages im Interesse der Betroffenen endlich herbeizuführen. Der erste Punkt unserer Großen Anfrage hat damit im großen und ganzen seine Erledigung gefunden. Ich komme nun zu den Punkten 2 bis 5 unserer Großen Anfrage. Da möchte ich zunächst auf § 1 Abs. 3, der den Geltungsbereich des Vertrags betrifft, hinweisen. Hier heißt es: „Die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer der deutschen Dienstgruppen ({5}) und ihre Entlohnung werden in einem Sonderabkommen geregelt." Das bedeutet also praktisch, daß die Dienstgruppen nicht in das Vertragswerk einbezogen sind. In Punkt 2 unserer Anfrage hat meine Fraktion zum Ausdruck gebracht, sie möchte gern wissen, wie weit die Verhandlungen über die Einbeziehung der deutschen Dienstgruppen in diesen Tarifvertrag gediehen sind. So wie es jetzt vorgesehen ist, interessiert meine Fraktion, wie weit die Vorbereitungen zu Verhandlungen über das zu treffende Sonderabkommen, das ja die Dienstgruppen betrifft, gediehen sind. Man hört und spricht davon, daß noch in diesem Monat Tagungen der Tarifpartner, also der Bundesregierung und der Gewerkschaften, unter Hinzuziehung der Dienstgruppenvertretungen - gewissermaßen als Sachverständige - stattfinden sollen. Dabei scheint es mir von Bedeutung zu sein, daran zu denken, daß die Dienstgruppen ihren zivilen Charakter haben und auch behalten sollten und daß diese Merkmale auch Inhalt des Sonderabkommens werden. Es müßte gewährleistet sein, daß sie genau so wie alle übrigen Zivilbeschäftigten der Besatzungsbehörden behandelt werden mit allen Rechten in bezug auf ihre Arbeitsbedingungen, sozialen Vergünstigungen und was es sonst noch an Rechten gibt. Ebenso wäre es gut, wenn man den Interessenvertretungen der Dienstgruppen, den Gewerkschaften und wer sonst noch dazugehört, anstatt ihnen, wie es seitens gewisser Vorgesetzter in den Dienstgruppen und wie es leider auch von einigen Besatzungsdienststellen geschieht, Hemmnisse in den Weg zu legen, ihr Betätigungsfeld voll und ganz freigäbe. Nach Punkt 3 unserer Anfrage würde es meine Fraktion interessieren, wieweit und in welchen Punkten das zu treffende Sonderabkommen von dem jetzt geltenden allgemeinen Tarifvertrag abweichen wird und ob, wie in den Punkten 4 und 5 unserer Anfrage gefragt ist, vorgesehen ist, die Frage des Weihnachtsgeldes für die Angehörigen der Dienstgruppen für die Zukunft nach den Regeln des öffentlichen Dienstes zu ordnen, und wieweit daran gedacht ist, die Angehörigen der Dienstgruppen in den Genuß der im Kindergeldgesetz vorgesehenen Kinderbeihilfe zu bringen. Das gleiche wäre über die Berücksichtigung der Dienstgruppen bei Gewährung der sogenannten Treuegelder, von denen sie zunächst ausgeschlossen sind, zu sagen. Die Dienstgruppen erheben nach meiner Auffassung mit Recht An({6}) spruch auf Zahlung dieses Geldes. Im übrigen ist von den Mitgliedern meiner Fraktion im Sozialpolitischen Ausschuß die Forderung nach Lösung der eben von mir angeführten Probleme ja auch schon des öfteren bei den entsprechenden Beratungen erhoben worden. Meine Fraktion hat den Wunsch und die dringende Bitte an das Bundesfinanzministerium, im Interesse der Angehörigen der Dienstgruppen diese Regelungen, die wohl unbedingt und dringend notwendig sind, so schnell als möglich herbeizuführen. Abschließend möchte ich sagen, daß es mir von Bedeutung zu sein scheint, ob sich die Bundesregierung schon einmal Gedanken darüber gemacht hat, wie es um Personen bestellt ist, die von den Besatzungsbehörden zur Entlassung kommen. Ich meine das im besonderen in bezug auf die Möglichkeit, wieder eine Arbeit in der deutschen privaten Wirtschaft oder an anderen Arbeitsplätzen zu finden. Für viele dieser Entlassenen ist es ein großes Hemmnis, bei der Besatzungsmacht beschäftigt gewesen zu sein. Sie finden nur schwerlich eine erneute Anstellung oder Beschäftigung. Es interessiert uns, ob diese Frage im Tarifvertrag oder in dem Sonderabkommen für die Dienstgruppen, vielleicht durch besonderen Kündigungsschutz oder sonst irgendwie, die entsprechende Beachtung gefunden hat oder finden wird. Meine Damen und Herren, leider lehnen oft jene Personenkreise die Einstellung dieser Entlassenen ab, die immer sehr freundlich den Integrationsbestrebungen oder jetzt auch den zur Behandlung stehenden Verträgen das Wort reden und sich zustimmend dazu äußern. Diese Verhaltensweisen stehen doch wohl in einem seltsamen Gegensatz zueinander. An einer Beantwortung auch dieser Fragen ist meiner Fraktion sehr gelegen. Noch eine Frage zum Schluß., Meine Fraktion würde auch gerne einmal die Meinung der Bundesregierung darüber hören, wie die Planungen sind, wenn es einmal zur Auflösung der Dienstgruppen käme. Nach dem Truppenvertrag zum Beispiel wäre das zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Fall. Wenn sich auch, wie man hört, rund 20 000 Angehörige der Dienstgruppen inzwischen bei der Dienststelle Blank für die eventuelle Übernahme gemeldet haben sollen, so bleiben doch noch rund 40 000 übrig, für die es gälte, sie anderweitig unterzubringen. Frühzeitige Planungen und vielleicht auch Maßnahmen wären für die rund 360 000 Beschäftigten notwendig - das ist wohl kaum zu bestreiten - und sind sicherlich angebracht. Für eine möglichst konkrete Beantwortung unserer Fragen wären wir dankbar. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat Herr Staatssekretär Hartmann.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft zu, daß der Bundesminister der Finanzen auf Grund der Kleinen Anfrage der Fraktion der SPD am 19. Februar 1954 dem Hohen Hause mitgeteilt hatte, daß grundsätzliche Hindernisse gegen den Abschluß des Tarifvertrages nicht mehr bestünden. Diese Mitteilung konnte damals von uns gemacht werden, da die Tarifvertragsparteien den Vertragsentwurf bereits am 31. August 1953 den Alliierten mit der Bitte um Überprüfung übersandt hatten ({0}) und da die alliierte Seite die kurzfristige Beantwortung dieser Vorschläge zugesagt hatte. Entgegen unseren Erwartungen hat die Alliierte Hohe Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 24. Februar 1954, also fünf Tage nach der Beantwortung der Anfrage, zahlreiche Änderungen vorgeschlagen. Auf Grund weiterer Verhandlungen der Tarifvertragsparteien untereinander und gemeinsam mit den Alliierten konnte erst Ende 1954 eine grundsätzliche Einigung über den Tarifvertragsentwurf und seine Nebenabreden erzielt werden. Das ist die Vorgeschichte. Infolgedessen konnte der Tarifvertrag erst am 28. Januar, wie der Herr Fragesteller erwähnt hat, im Bundesfinanzministerium unterzeichnet werden. Die Alliierte Hohe Kommission hat durch ihren geschäftsführenden Vorsitzenden, den Herrn britischen Hohen Kommissar, im unmittelbaren Anschluß an die Unterzeichnung der Vertragsausfertigungen das Zustimmungsschreiben und ein Ergänzungsschreiben überreicht und dadurch sichergestellt, daß der Tarifvertrag einschließlich seiner Nebenabreden am 1. Februar 1955 in Kraft treten konnte. Der Tarifvertrag und seine Zusatzdokumente - das darf ich vielleicht einmal sagen, da wir von manchen Seiten danach gefragt werden - sind in Nr. 3 des Ministerialblattes des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. Januar 1955, also drei Tage nach der Unterzeichnung der Verträge, veröffentlicht worden. Das Bundesministerium der Finanzen hat den Ausschuß für Besatzungsfolgen, des Hohen Hauses in dessen Sitzung vom 10. Februar 1955 über den Inhalt und die Bedeutung des Tarifvertrags unterrichtet. Der Ausschuß hat sich vorbehalten, nach näherem Studium des Vertrages in einer seiner nächsten Sitzungen in eine Aussprache einzutreten. Die erste Durchführungsbekanntmachung, nach der Sie, Herr Abgeordneter, fragten, ist gestern an die Länder herausgegangen, drei weitere Bekanntmachungen werden in den nächsten Tagen an die Länder herausgehen. Die Länder führen ja die Verwaltung dieser Dinge im einzelnen durch. - Das wäre das, was ich zu Ihrer ersten Frage zu sagen hätte. Nun die Frage 2 nach den Dienstgruppen. In § 1 Ziffer 3 des Tarifvertrages ist vorgesehen, daß die Arbeitsbedingungen der Angehörigen der deutschen Dienstgruppen und Arbeitseinheiten sowie daß ihre Entlohnung in einem Sonderabkommen geregelt werden. Es besteht Einigkeit mit den Gewerkschaften und mit ,den Vertretern der deutschen Dienstgruppen, daß die Verhandlungen über ein solches Sonderabkommen auf der Grundlage des Tarifvertrags vom 28. Januar 1955 erfolgen und im unmittelbaren Anschluß daran aufgenommen werden sollen. Ich kann mitteilen, daß die Verhandlungen unter Teilnahme der Gewerkschaften und der Vertreter der Dienstgruppen am 23. Februar 1955 beginnen und, was die deutsche Seite betrifft, mit der größten Beschleunigung durchgeführt werden sollen. Frage 3: In welchen Punkten wird die Regelung für diese Dienstgruppen vom allgemeinen Tarifvertrag abweichen? ({1}) Die Tarifvertragsparteien haben für die Dienstgruppen die Form eines Sonderabkommens gewählt, um den Besonderheiten des Dienstverhältnisses der Dienstgruppenangehörigen gerecht zu werden. Um aber den Angehörigen der Dienstgruppen schon bis zum Abschluß dieses Sonderabkommens eine Aufbesserung ihrer Bezüge zu sichern, hat die Hohe Kommission auf unseren Antrag eine zwischenzeitliche Lohn- und Gehaltserhöhung für diesen Personenkreis mit Wirkung vom 1. Januar 1955 genehmigt. Die Gehaltserhöhungen betragen für die Dienstgruppenangehörigen in der französischen Zone 6 bis 12 %, in der britischen Zone 3 bis 14 %, in der amerikanischen Zone 5 bis 15 %. Was das Ziel der Verhandlungen betrifft, so ist es unser Wunsch, daß die Angehörigen der Dienstgruppen die gleiche Behandlung erfahren wie die sonstigen Arbeitnehmer der Besatzungsmächte. Ich glaube, das ist das, was man in diesem Augenblick als das allgemeine Ziel der Verhandlungen nennen kann. ({2}) Frage 4: Weihnachtsgeld. Die Weihnachtszuwendung für die Dienstgruppenangehörigen ist im Jahre 1954 der Weihnachtszuwendung der allgemeinen Besatzungsbediensteten angepaßt worden. Die Weihnachtszuwendung betrug 25 DM für jeden Arbeitnehmer. Nachdem jetzt der Tarifvertrag für die allgemeinen Besatzungsbediensteten in Kraft getreten ist, ist nicht beabsichtigt, die im übrigen für den deutschen öffentlichen Dienst geltende Regelung der Weihnachtszuwendung für die Dienstgruppenangehörigen zu übernehmen. Die Dienstgruppenangehörigen sollen vielmehr Weihnachtszuwendungen in der gleichen Höhe bekommen wie die allgemeinen Bediensteten der Besatzungsmächte nach dem Tarifvertrag, d. h. 2 % für Lohnempfänger und 2,74 % für Gehaltsempfänger, immer von den jeweiligen Jahresbruttobezügen; also Gleichstellung mit den allgemeinen Bediensteten der Besatzungsmächte. Frage 5: Kindergeld. Die Übernahme der Leistungen aus dem Kindergeldgesetz auf den Kreis der Besatzungsbediensteten ist von den Alliierten in Aussicht gestellt worden. Die Bundesregierung hat sich schriftlich und mündlich dafür eingesetzt, daß die vorgesehenen Kinderbeihilfen allen Besatzungsbediensteten einschließlich der Dienstgruppenangehörigen gewährt werden. Wir haben allerdings noch keine abschließende Antwort der Alliierten hierauf erhalten. Herr Abgeordneter, Sie haben dann noch einige weitere Fragen gestellt, die ich jetzt beantworten will. Sie fragten, welche Sicherungen gegen eine etwaige Entlassung der Bediensteten bestünden. Erstens sind im Tarifvertrag sehr lange Kündigungsfristen vorgesehen. Zweitens soll in solchen Fällen in Zusammenarbeit mit dem Herrn Bundesarbeitsminister eine Sonderberatung erfolgen. Wir haben hier ja schon ein besonders wichtiges Beispiel, das die Stadt Oeynhausen betrifft, infolge der Verlegung des britischen Hauptquartiers von Oeynhausen nach Mönchen-Gladbach. Ich darf annehmen, daß Sie und Ihre Fraktionskollegen darüber unterrichtet sind, welche Sozialmaßnahmen wir für Oeynhausen getroffen haben. Wir haben den Eindruck, daß diese umfassenden Maßnahmen auch hier im Begriff sind, eine gute Hilfe zu schaffen. Dann zu der Frage, was später ,aus diesen Angestellten werden soll. Es laufen heute bereits Umschulungslehrgänge zur Vorbereitung auf einen zivilen Beruf. Diese Aktion der Umschulungslehrgänge ist von der Bundesanstalt veranlaßt und wird über die Landesarbeitsämter durchgeführt. Ich hoffe, damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Haus hat die Antwort der Bundesregierung entgegengenommen. Nach der Besprechung im Altestenrat ist eine Aussprache über die Große Anfrage beabsichtigt. ({0}) - Wird nicht gewünscht? Dann frage ich zunächst einmal, ob eine Aussprache hierüber gewünscht wird. Nach § 106 der Geschäftsordnung müssen sich 30 Mitglieder des Hauses hierzu melden. Wird eine Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kann ich diesen Punkt der Tagesordnung abschließen. Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte ({1}). Das Wort zur Begründung der Anfrage hat Herr Abgeordneter Odenthal. Odenthal ({2}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mit der Drucksache 1138 hat die Fraktion der SPD am 19. Januar dieses Jahres eine Große Anfrage eingereicht betreffend die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte im deutschen Raum. Wir hätten gern gesehen, daß der Herr Bundes wirtschaftsminister uns die Frage beantwortet hätte. Er ist sonst nicht zu übersehen; anscheinend ist er heute nicht anwesend. Aber nicht übersehen, auch nicht überhört werden darf die Unruhe, die draußen aus all den Verlautbarungen entstanden ist, die inzwischen in die Welt gegangen sind. Meine Damen und Herren, warum eine solche Anfrage angesichts der noch bestehenden strukturellen Arbeitslosigkeit in der Deutschen Bundesrepublik? Ich möchte in aller Deutlichkeit vorausschicken, daß wir in aller Zeit niemals etwas dagegen hatten, ausländische Arbeitskräfte in Deutschland zu beschäftigen. Wir fragen uns aber: Ist die Zeit dazu da? Ist es nicht notwendig, zunächst im eigenen Hause Ordnung zu schaffen und dafür zu sorgen, daß die eigenen Arbeitslosen, die seit zehn Jahren auf Arbeit warten, in Arbeit und Existenz gelangen? Wenn das geschehen ist, kann man darüber reden, in welcher Ordnung und in welcher Größenordnung nun Ausländer in Deutschland beschäftigt werden sollen. Da frage ich mich nun: Hat sich der Bundeswirtschaftsminister keine Gedanken darüber gemacht, wie zunächst die Arbeitslosigkeit im eigenen Raum zu lindern oder zu beheben ist? Vielleicht sieht er Überbeschäftigung in einzelnen Bezirken und ist optimistisch genug anzunehmen, daß damit eine Vollbeschäftigung erreicht worden sei. Er vergißt dabei wahrscheinlich, daß Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung in einzelnen Landschaften oder einzelnen Bereichen unseres deutschen Raums noch nicht mit einer Vollbeschäftigung im Bunde gleichzusetzen sind. Solange wir im Jahresdurchschnitt immer noch über eine Mil({3}) lion Arbeitslose zu betreuen haben - auf allen Gebieten der Arbeitsverwaltung, der Arbeitslosenfürsorge und auch der öffentlichen Fürsorge -, solange kann man von einer Behebung der Arbeitslosigkeit nicht sprechen. Die Arbeitslosigkeit herrscht in den Bezirken an der Grenze, vom Osten nach Westen gehend und vom Schleswig-Holsteinschen Raum im Norden bis zum Bayrischen Wald im Süden, und sie tritt nicht zuletzt sehr stark in Berlin hervor. In allen diesen Bezirken aber fehlen nicht nur familiengerechte, menschenwürdige Wohnungen, sondern es fehlen die Arbeitsplätze für die Menschen und die Lehrstellen für ihre Kinder. Nur ein Blick auf die von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung herausgegebenen Statistiken hätte den Herrn Bundeswirtschaftsminister überzeugt, wie das Beschäftigungsgefälle von Osten nach Westen geradezu nach einer Lösung schreit. Hier liegt das deutsche Arbeitsmarktproblem, das nur zusammen mit der Förderung des Wohnungsbaus gelöst werden kann und schnellstens gelöst werden muß. Meine Damen und meine Herren! Vorrangig ist heute nicht die Arbeitsplatzbeschaffung; vorrangig ist heute die Förderung des Wohnungsbaus, der soziale Wohnungsbau, und da wieder vorrangig in den Gebieten mit einer Überbeschäftigung und einer wirklichen starken Nachfrage nach Arbeitskräften. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hätte sehr klug getan, sich mit seinen zuständigen Kollegen im Kabinett, den Herren Ministern für Arbeit, für Wohnungsbau und für Heimatvertriebene, in Verbindung zu setzen, ehe er allzu freiwirtschaftlich Unruhe in die Bevölkerung brachte. Für Berlin liegen die Verhältnisse besonders schwierig, weil, abgesehen von anderen Verhältnissen, dort nicht ,das Baugeschehen den Auftrieb gibt, sondern die Bautätigkeit erst ins Laufen gebracht werden kann, wenn die Wirtschaft sich belebt, die Konsumkraft gesteigert wird. Aber, meine Damen und Herren, betrachten wir einmal die Tatsachen, die sich uns darstellen, und das, was in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Verhandlungen geschehen ist. Das sind die Tatsachen: Bereits 1952 und 1953 forderten landwirtschaftliche Kreise in Baden, Württemberg und Rheinland-Pfalz wegen des Mangels an ledigen Arbeitskräften die Hereinnahme ausländischer Landarbeiter. Seit Februar 1952 werden bereits Verhandlungen über die Wiederzulassung italienischer Saisonarbeiter geführt, erklärte damals Handelsrat Morante von der italienischen Botschaft in Bonn am 2. Dezember 1954. Im September 1954 wird in Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen von italienischer Seite darauf hingewiesen, daß die passive Handelsbilanz durch den Transfer eines Teils der von italienischen Saisonarbeitern in der Bundesrepublik zu verdienenden Löhne zum Teil ausgeglichen werden könne. Am 9. November 1954 Besprechungen zwischen idem italienischen Außenhandelsminister Martinelli und Herrn Professor Erhard in Genf über das gleiche Thema. Am 27. November 1954 nimmt das Bundesarbeitsministerium ,erstmalig Stellung zu dieser Frage. Es teilt mit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung den Standpunkt, daß es nur an Facharbeitern fehle, daß aber ,diese Facharbeiter aus dem Ausland einfach nicht zu erwarten seien. Am 6. Dezember nimmt Herr Präsident Scheuble von der Bundesanstalt in einer Pressekonferenz in Nürnberg offen gegen die Pläne des Herrn Professor Erhard Stellung. Am 8. Dezember legt die Gewerkschaft Gartenbau, Landwirtschaft und Forstwirtschaft ihre Denkschrift zu dieser Frage vor. Am 12. Dezember erklärt das Bundesiandwirtschaltsministerium angesichts der vom Herrn Bundesarbeitsminister vorgeorachten Bedenken, keinen Gebrauch von dem itaenischen Angebot machen zu wollen. Am Montag, dem 13. Dezember, einen Tag danach, begmnen aber in Bonn die Verhandlungen mit dem italienischen Budgetminister Vanonr. Ergebnis: im Januar 1955 soil ein gemeinsamer Ausschuß prüfen, unter welchen Bedmgungen italienische Arbeiter in der Bundesrepublik Aufnahme und Beschäftigung finden sollen. Am lb. Dezember, meine Damen und Herren, vormittags ein Gespräch der Geweirkschaftsvertreter mit Herrn Arbeitsminister Storch, nachmittags mit Herrn Wirtschaftsminister Erhard. Mit dem Herrn Bundesarbeitsminister vollkommene Übereinstimmung, daß vorläufig an eine Hereinnahme vor Ausländern nicht gedacht werden kann. In den Verhandlungen mit Herrn Professor Erhard erklärte er, es seien noch keinerlei Vereinbarungen getroffen. Vor Verhandlungen über effektive Maßnahmen würde er sich mit den Gewerkschften in Verbindung setzen. In arbeitstechnischen Fragen, sagte er, habe natürlich das Bundesarbeitsministerium zu entscheiden. Er habe aber keineswegs die Absicht, italienische Arbeiter nach Deutschland hereinzulassen, solange nicht die wirtschaftspolitischen und arbeitsmäßigen Notwendigkeiten dafür vorlägen und auch von den Gewerkschaften anerkannt würden. Am 17. Dezember erklärte Arbeitsminister Storch in einer Pressekonferenz in Bonn,. daß man vor 1957 an den Einsatz von Fremdarbeitern in Deutschlandüberhaupt nicht zu denken brauche. Am 17. und 18. Dezember fassen Hauptvorstand und Beirat der Industriegewerkschaft Bau, Steine und Erden eine Entschließung gegen die Beschäftigung von Italienern in der Bundesrepublik. Am 30. Dezember 1954 gibt das Bundesvertriebenenministerium bekannt, daß es mit dem Bundeswirtschaftsministerium Übereinstimmung erzielt habe, daß an die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte erst dann gedacht werden könne, wenn die Masse der jetzt noch arbeitslosen Vertriebenen und Flüchtlinge feste Arbeitsplätze erhalten habe. Am 5. Januar dieses Jahres meldet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", daß der Ruhrbergbau den österreichischen Arbeitsbehörden mitgeteilt habe, daß von leiner Zahl von österreichischen Arbeitern Gebrauch gemacht werden solle. Das österreichische Sozialministerium gibt an, daß es sich nur um etwa 100 bis 150 Arbeiter handle. Am 10. Januar wird das Ergebnis einer im Auftrag Ides Ifo-Instituts über die Auskunftei Schimmelpfeng durchgeführten Sonderbefragung bekannt, und es ergibt sich daraus ein großer Facharbeitermangel in den Investitionsgüterindustrien gegen einen Bedarf von 10 % in den Betrieben der Verbrauchsgüterindutrien und von etwa 30 000 Fach- und Hilfsarbeitern in der Bauindustrie, während in der Landwirtschaft danach ein Bedarf von 100 000 Hilfsarbeitern vorhanden ist. Am 11. Januar fordert der hessische Bauernverband 10 000 bis 12 000 Fremdarbeiter beim hessischen La ndesarbeitsamt an. Das ist das, was sich aus den Verhandlungen ergibt. Nun, meine Damen und meine Herren, haben wir eine Frage: Ist der Herr Bundeswirtschaftsminister auf einmal unter die Planer geraten? Das ({4}) wäre kein Wunder, aber es wäre doch erstaunlich, wenn dem so wäre. Dann sollte er sich wirklich sehr warm anziehen, und er sollte nicht mit einer Zwangsplanung, cl. h. mit der Zwangslenkung von Arbeitskräften beginnen, an die wir zu keiner Zeit gedacht haben. Wir wissen, wie so etwas einmal angefangen hat; aber viele, allzu viele haben vergessen, wie es geendet hat, und wir möchten diese Dinge doch mit all der Vorsicht behandeln, die notwendig ist. Vor einigen Tagen hat Herr Professor Erhard behauptet, daß eine jährliche Zunahme ides Sozialprodukts um 1 Milliarde praktisch 1 %, d. h. 100 000 weitere Arbeitskräfte erfordere, die neu in den Arbeitsprozeß eintreten. Wenn er sich die Dinge aber genauerangesehen und nur die Hilfskraft irgendeines Arbeitsamtes befragt hätte, dann hätte er erfahren, daß diese Dinge nicht so dargestellt werden können und daß sie einfach nicht stimmen. Die Zunahme der Beschäftigten verläuft nämlich durchaus nicht parallel mit der Abnahme der Arbeitslosigkeit. Das Jahr 1954 hat uns eine Steigerung der Beschäftigtenzahl um 690 000 Arbeitnehmer gebracht, dagegen eine Abnahme der Arbeitslosenzahl im Mittel dies Jahres nur um 38 000. Das sind Zahlen, an denen man doch nicht vorbeigehen kann. Wir begrüßen es, daß die Gesamtzahl der Arbeitnehmer von 1950 bis 1954 von 13 827 000 auf 16 272 000 gestiegen ist. Dias ist eine Differenz von 2 400 000. In der gleichen Zeit ist aber die Zahl der Arbeitslosen im Mittel der Jahre 1950 bis 1954 von 1 579 000 leider nur auf 1 220 000 gesunken. Das ist eine Abnahme von 350 000 gegenüber einer Zunahme der Beschäftigten von 2 400 000. In dieser Zahl liegt zunächst die Mehrleistung der deutschen Arbeitnehmerschaft. Die sollte man nicht verkennen. Dann ist in dieser Zahl einbegriffen die Eingliederung von Heimatvertriebenen, Flüchtlingen und Evakuierten, denen die Existenzfähigkeit wiedergegeben worden ist und die als Arbeitnehmer in den Arbeitsprozeß wiederaufgenommen worden sind. In Tausenden von Fällen steht dahinter der Wunsch, in dieser Tätigkeit wieder aufzusteigen, um zu einer echten Eingliederung zu kommen. In großem Ausmaß handelt es sich um die erstmalige Eingliederung in den Arbeitsprozeß, d. h. die Einsgliederung der Schulentlassenen. Wenn wir das so sehen, dann gewinnen die Zahlen eine ganz andere Bedeutung. Es muß dann mehr getan werden, ehe etwas geschieht, um die außerordentlich große Zahl der arbeitsfähigen .Arbeitslosen in Dauerarbeitsplätzen unterzubringen. Wir haben früher, schon vor dem ersten Kriege, bereits Facharbeiter aus dem Ausland, auch Hilfsarbeiter, beschäftigt. Aber heute Facharbeiter aus dem Ausland zu bekommen, scheint mir leinfach unmöglich zu sein. Denn gerade die Länder mit großer Arbeitslosigkeit haben einen ausgesprochenen Mangel an Facharbeitern, und sie denken gar nicht daran, uns Facharbeiter abzugeben. Es wird nun behauptet und es wurde schon einmal statistisch belegt, daß die Zahl der Schulentlassenen im Jahre 1955 rapide abfallen würde. Wir haben uns wohl noch nie so geirrt wie gerade in diesem Fall. Denn wir glaubten, von 1946 aus beurteilen zu können, daß der Knick in der Zahl der Schulentlassenen in diesem Jahre eintreten würde. Inzwischen sind wir aber zu echten Zahlen giekommen, und wir wissen, daß eine starke Abnahme der Schulentlassenen erst im Jahre 1957 eintritt. Dias heißt aber, daß ein erheblicher Facharbeiter mangel sich erst einige Jahre später, vielleicht um 1960 auswirken wird, wenn nicht andere Dinge geschehen, von denen wir heute nicht reden. Wir sollten aber vorausschauend auf den Mangel an Facharbeitern heute mehr als bisher tun, um durch Begünstigungen der Lehrstellen und der Ausbildung in den Mangelberufen, durch Anlernung und Umschulung das zu erreichen, was notwendig ist, um die Zahl der Facharbeiter für die Zukunft zu vermehren. Die Lehrstellen sind aber nicht künstlich zu schaffen. Es ist ein großer Raum, in dem in den Notstandsgebieten vieles getan werden kann und getan werden muß. Aber die Frage der Lehrstellen und der Arbeitsplätze ist in diesen Gebieten einfach nicht künstlich zu lösen. Nein, meine Damen und Herren, nur in den Gebieten mit guter Arbeitsstruktur sind Lehrstellen vorhanden und können vorsorglich bereitgestellt werden. Auch hier muß jedoch die Umsiedlung der Heimatvertriebenen und die Wiedereinordnung der Evakuierten nach dem Kräftebedarf gesehen werden. Die Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes müssen in Einklang gebracht werden mit der forcierten Stärkung des sozialen Wohnungsbaues. Wir haben große Gebiete, in denen ein Facharbeitermangel besteht, in denen man Facharbeiter aber noch aus den Deutschen in den großen Zentren der Arbeitslosigkeit holen kann. Aber es ist noch unmöglich, Wohnungen für sie bereitzustellen. Es ist nicht damit gedient, daß man Ausländer in Baracken unterbringt und sie am Ende des Jahres in die Heimat entläßt. Das ist keine Verteilung der Heimatvertriebenen nach der gelenkten Umsiedlung, sondern es ist die Aufgabe, die Wahl des Arbeitsplatzes und die freiwillige Wanderung nach dem Sog in der Wirtschaft zu fördern. (E In der Bauwirtschaft ist 'die vorhandene Kapazität sowohl im Ausstoß der Baustoffe wie auch im Bau selbst noch nicht voll ausgenutzt worden. Der Wohnungsbau kann durch Auswirkung der Erfahrungen in Planung und Durchführung, in der Technik usw. zweifellos noch bedeutend gesteigert werden. Wenn überhaupt ein Mangel an Facharbeitern im Baugewerbe entsteht, dann ist vom Ausland keine Hilfe zu erwarten. Hier kommt es, wie ich schon einmal sagte, darauf an, aus dem Kreis der Jugendlichen Baufacharbeiter zu gewinnen für den Zeitpunkt, an dem der Mangel eintritt. Niemand weiß besser als der Herr Bundesarbeitsminister, daß solche vorrangig geförderten Maßnahmen dazu dienen, die wirtschaftlichen Spannungen zu mildem, aber auch sozialpolitische Spannungen nicht neu und ohne Not entstehen zu lassen. Wie sieht es aber mit dem Kräftemangel in der Landwirtschaft aus? Die Landwirtschaft beschäftigt heute noch mehr Kräfte als in den Jahren vor dem Kriege. Immerhin hat es in den letzten Jahren Abwanderungen aus der Landwirtschaft in einem außerordentlich großen Umfang gegeben. Es geht aber hier um die Existenz des selbständigen Landwirts und um die Existenz des Arbeiters in der Landwirtschaft. Die Abwanderung hat ihre natürlichen Gründe in der weiteren Flurbereinigung, der Rationalisierung der bäuerlichen Betriebe, in der zu geringen Entlohnung der Landarbeiter, in den zum Teil unmöglichen Wohnungsverhältnissen und in der Fragwürdigkeit des Aufstiegs vom Landarbeiter zur selbständigen Existenz des Landwirts. Hier liegt also auch kein Nachwuchsproblem vor, sondern ein echtes Strukturproblem. 3390 2. Deutscher 'Bundestag ({5}) Wenn nun einzelne Organisationen der Landwirtschaft die Hereinnahme von Fremdarbeitern verlangen, so wäre eine solche Maßnahme nur geeignet, die sich anbahnende Strukturbesserung zu hemmen oder zu verschlechtern. Wir brauchen in der Landwirtschaft weniger Hilfs- und Wanderarbeiter als Berufsarbeiter und bodenständige Arbeiter, die durch gerechte Entlohnung und durch Rationalisierung Chancen zum Aufstieg als Facharbeiter und zur Entwicklung einer selbständigen Existenz in der Landwirtschaft haben. Wir fragen uns deshalb: Was in aller Welt hat denn nun den Herrn Bundeswirtschaftsminister veranlaßt, Verhandlungen über die Eingliederung italienischer Arbeiter zu führen, wenn weder der Bundesarbeitsminister, der doch die Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik des Bundes trägt, noch der Herr Minister für Wohnungsbau noch der Herr Minister für Flüchtlingswesen - die anscheinend gar nicht gefragt worden sind - einen Anlaß gesehen haben, in absehbarer Zeit in der Frage der Heueinnahme ausländischer Arbeiter etwas zu tun? Wenn einmal Kräftebedarf entsteht, wenn die Vollbeschäftigung erreicht ist und wenn zwischen Arbeitszeitkürzung und Beschäftigungsmöglichkeiten die Grenzen gefunden sind, dann kann man nach gingliederung der Arbeitslosen, der Heimkehrer, der Vertriebenen, auch der Schwerbeschädigten und nicht zuletzt der Teilinvaliden darüber reden, ob wir ausländische Arbeiter hereinnehmen sollen. Wir werden uns dann nicht dagegen wehren. Solange aber die Bundesrepublik eine solche Arbeitslosigkeit in ihrem Bereich, besonders den Grenzgebieten hat, solange hat sie die Aufgabe, allen Arbeitslosen und allen Lehrstellensuchenden Arbeitsplätze und Lehrstellen zu beschaffen. Wir sind der Meinung, daß diese Frage immer noch auf der Tagesordnung ist, und wünschen heute, was wir seit Jahren gefordert haben: daß die Bundesregierung endlich mehr tut als bisher, um eine Lösung zur Behebung der Arbeitslosigkeit zu finden, schnellstens zu finden, ehe andere Fragen an uns herantreten. Darum möchten wir die Frage vom Herrn Bundeswirtschaftsminister oder von der Bundesregierung selbst so beantwortet haben, daß voransteht: Wohnung ;für Menschen, die ;wohnungslos sind, und Arbeit für alle, die arbeitsfähig, aber ,arbeitslos sind! ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesarbeitsminister.

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei möchte ich in der Reihenfolge der Fragenstellung, die unter 1, 2, 3 und 4 gegeben worden ist, beantworten. Zu Frage 1 kann ich dem Hohen Hause nur sagen, daß der Herr Bundesminister für Wirtschaft der italienischen Regierung keine Zusagen über die Beschäftigung von italienischen Arbeitern in der Bundesrepublik gemacht hat. Folgende Tatbestände liegen vor. Erstens. Anläßlich der vorjährigen Tagung der Internationalen Arbeitsorganisation hat mich in Genf der italienische Arbeitsminister auf die Frage der Übernahme von italienischen Arbeitskräften in das Bundesgebiet angesprochen. Ich habe mit ihm zwei Stunden lang über dieses Problem gesprochen. Ich habe ihm die Arbeitsmarktsituation in Deutschland ganz klar geschildert. Ich habe ihm die Frage vorgelegt, inwieweit in Wirklichkeit in einzelnen Zweigen Facharbeiter von Italien nach Deutschland kommen können. Er hat mir in aller Offenheit geantwortet, daß ausgebildete Facharbeiter auch in Italien nicht zur Verfügung stehen. ({0}) Ich habe ihm also zum Schluß sagen müssen, er könne vorläufig nicht damit rechnen, daß italienische Arbeitskräfte in einem größeren Umfang nach der Bundesrepublik gebracht werden könnten. Die italienische Regierung hat bei den deutschitalienischen Besprechungen über wirtschafts- und handelspolitische Fragen, die sich auf die Gesamtheit der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern erstrecken, ebenfalls die Frage aufgeworfen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir zwar den Wunsch der Italiener, italienische Arbeitskräfte nach hier zu übernehmen, entgegengenommen haben; aber bei dieser Besprechung ist keinerlei Zusage gegeben worden. Zur Frage 2: An den Besprechungen mit dem Herrn Minister Vanoni, der am 13. und 14. in Bonn war, habe ich teilgenommen. Bei diesen Besprechungen ist vereinbart worden, daß neben den allgemeinen wirtschaftlichen Verhandlungen, die an dem betreffenden Tag im Wirtschaftsministerium fortgesetzt wurden, eine Besprechung über die Arbeiterfrage in meinem Ministerium vorgenommen wurde. Dabei ist den Sachverständigen der italienischen Kommission wiederum in aller Deutlichkeit die Situation dargelegt worden, wie sie bei uns in Deutschland gegeben ist. Wir haben allerdings vereinbart, daß für einen späteren Zeitpunkt eventuell die Notwendigkeit der Übernahme ausländischer Arbeiter gegeben sein könnte. Und weil mir daran gelegen war, hier gar keine falschen Meinungen im deutschen Volk aufkommen zu lassen, haben wir vereinbart, daß sich eine gemischte Kommission von Italienern und Deutschen zusammensetzen sollte, um festzulegen, unter welchen arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Bedingungen wir eventuell bei einem wirklichen Bedarf italienische Arbeiter hereinnehmen könnten. Ich wollte damit folgendes erreichen. Es soll sich niemand in Deutschland der Meinung hingeben, daß vielleicht die Übernahme italienischer Arbeiter in einer Form geschehen könnte, wie wir sie in den Jahren vor 1914 erlebt haben. Es muß klar sein, daß für die eventuell nach Deutschland hereingenommenen ausländischen Arbeitskräfte auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und Sozialrechts dieselben Bedingungen gelten, wie sie für die deutschen Arbeiter vorhanden sind. Zur Frage 3: Die Bundesregierung hat in der Kabinettssitzung vom 14. Dezember ihr Interesse an der Beschäftigung italienischer Arbeiter bei auftretendem Bedarf bekundet und in Aussicht genommen, auf das italienische Angebot zurückzukommen, sobald eine Nachfrage nach Arbeitskräften eintritt, die aus den eigenen Reserven nicht mehr gedeckt werden kann. Es ist darauf mit Herrn Minister Vanoni vereinbart worden, eine gemischte technische Kommission zu bilden; sie wird noch im Laufe dieses Monats in Rom zusammentreten. Ob und wann italienische Arbeitskräfte angeworben werden müssen, läßt sich zur Zeit nicht absehen. Die Notwendigkeit hierfür wird gegeben ({1}) sein, wenn alle Arbeitsreserven in der Bundesrepublik erschöpft sind und die Wirtschaft zur Aufrechterhaltung unserer Produktionsziele zusätzliche Arbeitskräfte benötigt. Ich habe ja bei der Pressebesprechung und auch bei der Besprechung mit den Gewerkschaften auf Grund von Zahlenmaterial, das auch der Abgeordnete Odenthal im wesentlichen hier mit verwandt hat, nachgewiesen, daß aller Voraussicht nach für dieses und für das nächste Jahr ein Bedarf an ausländischen Arbeitskräften in einem größeren Umfang nicht vorhanden sein wird. Zur Frage 4. Durch die 'allgemeine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung ist bekanntlich in einzelnen Wirtschaftszweigen, in Berufsgruppen und Bezirken die Vollbeschäftigung erreicht. Trotzdem ist in Schleswig-Holstein, im nordwestlichen Niedersachsen und in den Zonenrandgebieten und in einzelnen anderen Bezirken noch eine größere Arbeitslosigkeit vorhanden, die sich überwiegend auf die große Zahl von Vertriebenen und Flüchtlingen zurückführen läßt. Zwar hat auch in diesen Gebieten und auch in West-Berlin die Wirtschaftsbelebung die Arbeitslosigkeit gemildert. Aber diese war zu groß, als daß sie von der Wirtschaftskraft dieser Bezirke voll aufgesogen werden konnte. Es bleibt eine vordringliche Sorge der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit in den notleidenden Gebieten zu beseitigen. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung die bisher erfolgreich durchgeführten Sondermaßnahmen fortsetzen. Sie bestehen insbesondere in a) der Förderung einer weiteren wirtschaftlichen Besiedlung dieser Notstandsgebiete, b) der wirtschaftlichen Stärkung der ansässigen Betriebe und Unternehmen, insbesondere über Kredite und öffentliche Aufträge, c) der Fortführung der Maßnahmen der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge, die vielfach die Voraussetzung für die wirtschaftliche Erschließung und Entwicklung dieser Gebiete schaffen, d) der stärkeren Anpassung des sozialen Wohnungsbaus an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts und schließlich e) der weiteren Umsiedlung von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen aus überbelegten Ländern. Nach § 1 der Verordnung vom 19. Januar 1955 sollen aus diesen Ländern weitere 165 000 Personen umgesiedelt werden. Gleichzeitig ist die Bundesanstalt bemüht, die Arbeitslosen in diesen Bezirken durch individuelle Arbeitsberatung und zwischen- und überbezirkliche Vermittlung dem Arbeitsprozeß wieder zuzuführen. Dabei sollen alle Möglichkeiten, die die Arbeitsaufnahmeerleichtern und Hemmungen beseitigen, ausgeschöpft werden. Die Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme, z. B. Reisekosten, Trennungsentschädigungen, Arbeitsausrüstungen, Überbrückungsbeihilfen, Einarbeitungszuschüsse, sollen besonders großzügig angewandt werden. Die Umschulung und Anlernung sowie Fortbildungsmaßnahmen sollen verstärkt werden. Die letzten Maßnahmen haben besondere Bedeutung. Durch Umschulung, Anlernung und Fortbildung wird der Arbeitslose konkurrenzfähig auf dem Arbeitsmarkt, und gleichzeitig gewinnt die Wirtschaft leistungsfähige Arbeitskräfte. Um diese Maßnahmen noch wirkungsvoller durchführen zu können, hat die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung alle Arbeitslosen in den besonders belasteten Gebieten überprüft oder überprüft sie zur Zeit, um festzustellen, mit welchen Mitteln der Arbeitslosigkeit im Einzelfall erfolgreich begegnet werden kann. Die Bundesregierung glaubt, mit Hilfe dieser Maßnahmen in den notleidenden Bezirken die Arbeitslosigkeit weiter kräftig bekämpfen zu können. Und nun eine Frage, die uns alle interessiert und interessieren muß. Das ist die Frage: Wie können wir dem sich bei uns zeigenden Facharbeitermangel begegnen? Das können wir meines Erachtens nur dadurch, daß wir den Schulentlassenen, also denjenigen, die ins Wirtschaftsleben eintreten, eine möglichst günstige Berufsausbildung geben. Auf diesem Gebiete haben die Maßnahmen, die von der Regierung in den letzten Jahren betrieben worden sind, einen Erfolg gehabt. Folgende Tatbestände sind gegeben: Im Jahre 1950 sind 805 000 junge Menschen aus der Schule entlassen worden. Davon haben 400 000 eine Lehrstelle bekommen, also noch nicht ganz die Hälfte. Im Jahre 1951 hatten wir 819 000 Schulentlassene. Davon sind bereits 450 000 in eine ordentliche Berufsausbildung überführt worden. Im Jahre 1952 waren es 849 000, die aus der Schule kamen, und 540 000 kamen in Lehrstellen. Im Jahre 1953 waren es 894 000 Schulentlassene; davon wurden 620 000 in die Berufsausbildung überführt. Im Jahre 1954 waren es 920 000. Schulentlassene; davon sind 640 000 in die Berufsausbildung überführt worden. Sie sehen 'daraus, daß sich das Verantwortungsbewußtsein auch in den einzelnen Zweigen unserer Wirtschaft immer mehr gestärkt hat, und wenn die drei letzten Jahrgänge mit den besonders starken Ausbildungsprozentsätzen nun als Facharbeiter in unser Wirtschaftsleben eintreten, werden wir meines Erachtens eine wesentliche Entlastung auch bei den Facharbeitergruppen haben, wo ein gewisser Mangel besteht. Jetzt handelt es sich darum, daß wir die im Jahre 1955 schulentlassenen 890 000 jungen Menschen möglichst restlos in eine Berufsausbildung überführen. Ich glaube ganz bestimmt: wenn sich alle Beteiligten auf diesem Gebiete ihrer Verantwortung bewußt sind und die Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen, werden wir auch in Zukunft auf allen Gebieten des Arbeitsmarktes zu einer Ordnung kommen, mit der unser deutsches Volk zufrieden sein kann. Ich bin der Meinung, wir sollten die Fragen, ob, wann und in welchem Umfang man eventuell für die eine oder andere Sparte noch an die Hereinnahme ausländischer Arbeiter denken muß, in den beteiligten Kreisen sehr ernst und rein sachlich erwägen. Der baden-württembergische Landwirtschaftsminister hat an den Arbeitsminister des Landes Baden-Württemberg einen Brief geschrieben, in dem er für sein Gebiet von einem tatsächlichen Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft spricht, und er hat mir eine Abschrift dieses Briefes zugehen lassen. Ich werde bereits am Freitag oder Samstag mit dem Herrn Kollegen Hohlwegler bei der Arbeitsministerkonferenz in Freiburg über diese Dinge sprechen. Wir werden uns niemals in Grundsätze verrennen, wenn in Wirklichkeit Notwendigkeiten auf dem einen oder anderen Gebiet gegeben sind. Auf der anderen Seite muß allerdings jedem, der ausländische Arbeitskräfte beschäftigen will, klargemacht werden, daß er sie nicht als Lohndrücker in Deutschland benutzen kann. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Haus hat die Stellungnahme der Bundesregierung entgegengenommen. Ich frage nach § 106 der Geschäftsord({0}) nung, ob eine Aussprache über die Große Anfrage gewünscht wird. ({1}) - Sie wird gewünscht seitens der anfragenden Fraktion. Wir treten also in die Aussprache ein. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.

Louise Schroeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002082, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich danke dem Herrn Arbeitsminister St o r c h für seine ausführliche Beantwortung unserer Anfrage. Ich will gern zugeben, daß manches, was er uns gesagt hat, auch uns beruhigen kann, wenn es wirklich so durchgeführt wird. Wir wären aber sehr viel befriedigter, wenn der Herr Wirtschaftsminister hier erschienen wäre - denn eigentlich ist die Anfrage auf Grund des Ausspruches, den er getan hat, an ihn gerichtet - und wenn er uns gesagt hätte, daß unsere Befürchtungen nicht zutreffen. Der Herr Arbeitsminister hatte bereits in seinem Interview vom 16. Dezember 1954 eine Berichtigung gegeben; aber nichts Gleiches haben wir vom Herrn Wirtschaftsminister gehört. Nun möchte ich aber trotz der Ausführungen des Herrn Arbeitsministers doch noch einiges gerade über die Notstandsgebiete sagen, die wir in Deutschland haben und die gar nicht in der Lage sind, die große Zahl der Arbeitslosen zu verkraften, die aber vorläufig noch sehr wenig Hilfe von dem übrigen Teil der Bundesrepublik erhalten. Dabei denke ich - das werden Sie mir nicht übelnehmen - in erster Linie an Berlin. Ich denke aber auch an die Zonenrandgebiete. Herr Arbeitsminister, es ist und bleibt mir unverständlich, warum in der Statistik über die Arbeitslosen, die Kurzarbeiter, die Angelernten, die jugendlichen Arbeitslosen Berlin immer noch nicht mit einbezogen wird. ({0}) Es wird immer von der Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik gesprochen; ich lasse das bei einer Zahl von rund 1 Million Arbeitslosen sowieso dahingestellt. Aber wenn Sie sich einmal die Mühe machen, die Zahlen der Berliner Arbeitslosen hinzuzunehmen, dann ist überhaupt von einer knappen Million gar nicht mehr die Rede. Nicht nur hatten wir am 31. Januar 1955 - also, wie ich, gern zugeben will, nach Einbeziehung der saisonbedingten Arbeitslosen - 185 443 Arbeitslose in Berlin, wir hatten am 31. Dezember 1954 176 851 Arbeitslose, aber auch bereits am 30. November 1954 169 797 Arbeitslose. Berechnen Sie das in dieser geteilten Stadt auf eine Einwohnerschaft von 2,1 Millionen, dann ergibt sich eine Arbeitslosigkeit von 8,5 % der Bevölkerung, also ein außerordentlich hoher Prozentsatz. Wenn Sie sich die Statistik ansehen, dann finden Sie, daß es dort, wo sich die Notlage der Zonenrandgebiete bemerkbar macht, ganz ähnlich ist. Ich erinnere an Bayern mit 239 467 Arbeitslosen, an Niedersachsen mit 194 485, an Schleswig-Holstein mit 94 567 Arbeitslosen. Da kann doch wirklich nicht davon die Rede sein, daß wir nicht innerhalb Deutschlands in der Lage wären, diese Arbeitslosen unterzubringen, wenn sie nur richtig gelenkt werden, gelenkt einmal in Berufe, aber auch in Gebiete, wo die Not an Arbeitskräften vorhanden ist, und wenn, wie es in einem Land mit Freizügigkeit sein sollte, für Wohnung, für die entsprechenden Löhne gesorgt und auch die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimatgebiete gegeben wird. Ich bin überzeugt, Herr Arbeitsminister, wenn diese Bedingungen erfüllt werden, werden Sie morgen aus Berlin eine Zahl von Arbeitslosen für die anderen Gebiete bekommen können. Ich bin überzeugt, daß dasselbe auch bei den notleidenden Zonenrandgebieten der Fall ist. Wenn nun - vielleicht ist meine Anklage hier nicht richtig; dann müßte ich Sie bitten, das der Bundesanstalt zu sagen - in der Statistik vom 30. November 1954 immer noch die Rede von 947 526 Arbeitslosen ist - die Zahl ist inzwischen gestiegen -, dann ist festzustellen, daß darin Berlin nicht enthalten ist, sondern es steht ganz schüchtern darunter: „Dazu kommt Berlin." Ich meine: West-Berlin gehört zur Bundesrepublik. West-Berlin hat eine Abteilung der allgemeinen Arbeitsverwaltung, und ich verstehe nicht, warum uns diese Statistik nicht genau wie für alle andern Länder der Bundesrepublik auch für West-Berlin gegeben wird. Es ist ein schwacher Trost, Herr Minister, wenn Sie sagen: in Berlin ist die Arbeitslosigkeit gemildert. Wir wissen, daß wir mit ungeheuren Anstrengungen und mit Hilfe von ERP-Mitteln die Zahl der Arbeitslosen allerdings heruntergebracht haben, aber nach wie vor haben wir in Berlin die langfristig Arbeitslosen, die, die seit Jahren in der Hoffnungslosigkeit der Arbeitslosigkeit leben. Ich bin überzeugt, daß man einen Teil dieser Arbeitslosen in der übrigen Bundesrepublik unterbringen könnte. Ich darf bei dieser Gelegenheit auch mal ein Wort von den langfristig arbeitslosen Angestellten in Berlin sagen. Herr Minister, wenn wir durch Bonn gehen, dann sehen wir diese großen Mammutbauten der Ministerien, die hier aufgebaut werden. Man spricht zwar immer davon, die Regierung solle mal wieder nach Berlin kommen. Aber ich glaube, wer sich diese Bauten ansieht, der hat wenig Zutrauen dazu, daß das wirklich die Absicht der Regierung ist. ({1}) Aber davon ganz abgesehen, sehen Sie sich mal die Berufsstatistik an. Da sehen wir, daß in den kaufmännischen Berufen, in den Verwaltungs- und Büroberufen die große Zahl der Arbeitslosen vorhanden ist. Gerade die Zahl der arbeitslosen Verwaltungsangestellten ist nirgends so groß wie in Berlin, wo uns die Ministerien, wo uns die Parlamente, die wir bis 1945 hatten, heute fehlen. Ich möchte mal wissen und wäre für eine entsprechende Statistik dankbar, wieviele der geschulten und erfahrenen Beamten und Angestellten von Berlin hier in Bonn aufgenommen und beschäftigt worden sind. Wenn die Menschen in Berlin nicht vollkommen verzweifeln, dann doch nur deswegen, weil mit großen Opfern Notstandsarbeiten geschaffen worden sind, nicht nur für Arbeiter, sondern auch für Angestellte, daß sie wenigstens mal wieder ein halbes Jahr arbeiten und etwas verdienen können; aber dann kommt wieder die trübe Zeit. Sie wissen: wir müssen wieder ausscheiden, denn wir sind ja nicht Festangestellte, wir sind nicht in den Etat aufgenommene Angestellte. Herr Minister, hier ist noch so unendlich viel zu tun. Mein Kollege Odenthal hat gesagt, und ich wiederhole es: wir sind bestimmt keine Gegner ({2}) ausländischer Arbeiter und Angestellten. Wir haben ja selber im Internationalen Arbeitsamt im Europarat immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß Ländern mit großer Arbeitslosigkeit die Möglichkeit gegeben werden muß, Arbeiter in die Länder zu bringen, denen sie fehlen. Uns fehlen sie ja aber nicht. Ich bin erfreut darüber, daß Sie erklärt haben, daß die Löhne für die italienischen Arbeiter natürlich nicht wieder so sein dürfen, wie es einmal der Fall gewesen ist. Wir haben ja auch hier Gesetze angenommen, die die soziale Sicherheit von Fremdarbeitern oder Maßnahmen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit betreffen. Das entspricht absolut unserer Meinung. Demgegenüber ist es aber ein Unterschied, ob man, wie es der Herr Wirtschaftsminister offenbar beabsichtigt, Arbeitslose hereinholen will, ich möchte sagen und bitte, mir das Wort zu entschuldigen: aus Bequemlichkeit, um sich nicht die Mühe mit den deutschen Arbeitslosen zu machen, um nicht die Mühe der Umschulung, der ausreichenden Schulung von jungen Schulentlassenen zu haben, die ganze Mühe, die es bedeutet, die Arbeitslosen von einem Teil Deutschlands nach dem anderen zu bringen. Ich sage noch einmal: das ist nirgends so notwendig wie in den Zonenrandgebieten und in Berlin. Wir sind noch weit von einer Vollbeschäftigung entfernt. Der Herr Minister selbst hat in seinem Interview auf die Heimatvertriebenen hingewiesen, die aus den Lagern herausgebracht werden müssen. Ich weise aber auch auf die Sowjetzonenflüchtlinge hin, und zwar auf die anerkannten und die nicht anerkannten. Die nicht anerkannten sind diejenigen, die in unsern Lägern in Berlin dahinvegetieren, die keine Hoffnung haben, in ihren Beruf zu kommen, die durch Schwarzarbeit - sie können ja gar nicht anders - irgendwie etwas verdienen müssen und damit auf den Kreis der asozialen Schichten herabsinken. Das können wir nicht verantworten. Ich weise auch auf die Jugendlichen hin. Ich möchte den Herrn Minister bitten, anschließend an das, was Herr Odenthal schon gesagt hat, alles zu tun, um innerhalb Deutschlands diesen Ausgleich zu schaffen. Dann werden wir, fürchte ich, wahrscheinlich noch lange keine ausländischen Arbeitslosen nötig haben. Da der Herr Wirtschaftsminister heute hier nicht anwesend ist und diese Anfrage nicht beantwortet, wäre ich auch dankbar, wenn der Herr Arbeitsminister dem Herrn Wirtschaftsminister im Kabinett sagte, daß wir es sehr bedauern, daß er nicht hier war, und daß wir seine Antwort unbedingt noch benötigen. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte der Frau Abgeordneten Schroeder, die sich mit Recht große Sorgen um die Verhältnisse in Berlin macht, gern sofort eine Antwort geben. Frau Abgeordnete, Sie finden in den arbeits- und sozialstatistischen Mitteilungen meines Ministeriums die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen und die übrige statistische Erfassung auch West-Berlins voll aufgenommen; denn wir sind der Überzeugung, daß wir zu einem wirklich echten Bild über den Arbeitsmarkt nur kommen können, wenn wir West-Berlin, das wir nun einmal als zu uns gehörig zählen, auch hier ganz klar mit sichtbar werden lassen. Frau Abgeordnete, Sie haben gesagt, in der Großen Anfrage Ihrer Partei sei im wesentlichen der Herr Wirtschaftsminister angesprochen worden. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß für die Frage der Regulierung des Arbeitsmarktes nicht der Herr Wirtschaftsminister, sondern nun einmal der Arbeitsminister zuständig ist. ({0}) - Das war etwas vielseitig, was eben zugerufen wurde; deshalb konnte ich es nicht verstehen. Ich darf Ihnen aber sagen, daß die Antwort, die ich Ihnen auf Ihre Anfrage gegeben habe, in vollem Einvernehmen zwischen dem Herrn Wirtschaftsminister Erhard und mir gegeben worden ist. Wenn sich der Herr Wirtschaftsminister bei der einen oder anderen Gelegenheit einmal aus rein wirtschaftlichen Erwägungen auf dieses Gebiet begibt, - nun ja, ich tue es ja auch in wirtschaftlicher Hinsicht hin und wieder einmal. Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles, was Frau Schroeder gesagt hat, muß uns natürlich sehr zu denken geben. Aber wir dürfen doch nicht übersehen, daß unsere Maßnahmen zur Erleichterung der Verhältnisse in den besonders schwer betroffenen Gebieten auch gewisse Erfolge gehabt haben. Im Jahre 1950 hatten wir in West-Berlin eine Arbeitslosigkeit in der Größenordnung von 28,5 %, im Jahre 1951 waren es 25,9 %, im Jahre 1952 25,4 %. 1953 ist die Arbeitslosigkeit Gott sei Dank bereits auf 20,9 % zurückgegangen, und im vergangenen Jahre ist sie auf 16,4 % gefallen. Also auch in West-Berlin haben wir einen Erfolg erzielen können, und wenn Sie sich die statistischen Unterlagen über die anderen besonders stark betroffenen Gebiete ansehen, werden Sie eine ähnliche Entwicklung feststellen. Wir sollten meines Erachtens alles tun, um in diesen Gebieten durch eine noch stärkere industrielle Durchsetzung das Übel an der Wurzel zu packen. Aber über eines sind wir uns doch völlig klar, Frau Schroeder: daß ein großer Teil der Berliner Arbeitslosen nur mit ungeheurem Widerwillen nach dem Bundesgebiet herüberkommt. ({1}) Das liegt natürlich an der persönlichen Verbindung der Menschen mit ihrer Heimatstadt und mit ihrer Familie. Wir haben es ja ebenso erleben müssen, daß Leute, die von den Landesversicherungsanstalten für die Bundesanstalt in Berlin freigestellt waren, einfach nicht mit nach Berlin gegangen sind. Das sind menschlich verständliche Dinge. Aber dadurch, daß diese Leute aus der Bundesrepublik nicht zur Bundesanstalt nach Berlin gegangen sind, haben wir dort ungefähr 2000 gerade langfristig arbeitslose Angestellte in Arbeit und Brot bringen können. Gerade an den Maßnahmen, die auf unsere Veranlassung hin nun von der Bundesanstalt für die langfristig Arbeitlosen im Anlaufen sind, können Sie doch das Bestreben erkennen, den Leuten durch Umschulung wieder soviel Selbstvertrauen zu geben, daß sie auch wirklich einen Arbeitsplatz finden können. Wenn wir auf diesem Gebiet weiter so zusammenarbeiten, können wir den unter der Arbeitslosigkeit heute noch besonders leidenden Gebieten wie Berlin und den Zonenrandgebieten eine ({2}) Entlastung verschaffen, und wenn die wirtschaftliche Entwicklung so weitergeht, wie sie sich in den letzten Jahren Gott sei Dank angelassen hat, dann muß es unser Bestreben sein, mit den Leuten aus der Wirtschaft dahin zu kommen, daß sie zusätzliche Kapazitäten nicht in wirtschaftlich bereits überbelastete Gebiete, sondern in die sogenannten Notstandsgebiete verlagern.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).

Georg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002043, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Odenthal hat uns ein sehr eindrucksvolles Zahlenbild von der großartigen wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik in den letzten Jahren gegeben. Ich glaube, wir von der CDU/CSU haben allen Anlaß, ihm dafür zu danken. Der Bundesarbeitsminister hat uns eben ein sinngemäß ähnliches Bild von der Entwicklung von Berlin gegeben. Wir alle freuen uns, daß es selbst bei der gigantischen Größe des Berliner Problems doch immerhin gelungen ist, die Verhältnisse in einem gewissen Umfang zu bessern. Wir sind uns alle darüber einig, daß es damit natürlich nicht sein Bewenden haben kann, sondern daß es noch ganz besonderer, außergewöhnlicher Anstrengungen bedarf, um auch Berlin den wirtschaftlichen und damit sozialen Verhältnissen in der Bundesrepublik mindestens völlig anzugleichen. Trotzdem, Frau Kollegin Schroeder, bin ich der Meinung, daß es sich bei der Bundesrepublik und bei Berlin um zwei sehr wesensverschiedene Probleme handelt, und daß man diese beiden Dinge nicht ohne weiteres miteinander vergleichen kann. Es hat also schon einen Sinn, wenn man zunächst einmal auch prozentual feststellt, wie groß die Arbeitslosigkeit hier in der Bundesrepublik und wie groß sie in Berlin ist. ({0}) Es sind eben zwei ganz verschiedene Probleme, die dargestellt sind. Wir können es leider im Augenblick nicht aus der Welt schaffen, daß Berlin, wirtschaftlich gesehen, eine Insel darstellt, ({1}) auch leider in bezug auf den Verkehr. Nun sind wir, d. h. die Fraktion der CDU/CSU, der Meinung, daß es nicht möglich ist, die tatsächlichen oder vermeintlichen Äußerungen von Ministern, insbesondere des Bundeswirtschaftsministers Erh a r d so zu deuten, wie das hier nach der Anfrage und nach den Reden geschehen ist. Inzwischen hat ja Herr Minister Storch klargestellt, was in Wirklichkeit an dem wahr ist, was auch Zeitungen berichtet haben. Danach handelt es sich doch nur um vorsorgliche Gespräche, also um Gespräche für eine Situation, die möglicherweise kommen kann, die aber heute noch nicht da ist. Wir sind uns alle darüber einig, daß es im Augenblick noch nicht notwendig ist, ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland hereinzuziehen. ({2}) Darüber gibt es gar keinen Streit. Es ist von keiner Seite behauptet worden, daß diese Notwendigkeit jetzt schon besteht. ({3}) - Er hat das ja. nicht in dem Sinne gesagt, daß im Augenblick schon der Bedarf da ist; aber er möge sich selbst .verteidigen. Jedenfalls haben wir das, Herr Kollege Neumann, nicht so deuten können, und ich glaube, wenn man es sich objektiv ansieht, kann man es auch nicht so deuten. Natürlich gibt es auch heute und hat es seit langer Zeit schon die Möglichkeit gegeben, ausländische Arbeitskräfte heranzuziehen. Ich erinnere Sie an die verschiedenen internationalen Abkommen, in denen wir einen begrenzten Austausch von Arbeitskräften vereinbart haben. Wenn sich also die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte im Rahmen dieser internationalen Abkommen bewegt, dann ist dagegen sicherlich von keiner Seite etwas einzuwenden. Weiterhin ist noch festzustellen, daß in dem einen oder andern Beruf tatsächlich ein Mangel besteht, der auch bei Durchführung aller vorgeschlagenen Maßnahmen in Deutschland nicht beseitigt werden kann. Denken Sie z. B. an die Terrazzo-Arbeiter, also einen Spezialberuf. Da ist es schon immer so gewesen, daß man ausländische Arbeitskräfte heranziehen mußte. Dabei handelt es sichzahlenmäßig allerdings um so geringe Arbeitskräfte, daß der deutsche Arbeitsmarkt nicht wesentlich belastet wird. Sicherlich wird eines schönen Tages der Mangel an Arbeitskräften auch in Deutschland auftreten. Ein solcher Mangel kann natürlich nicht etwa einseitig von irgendeiner Stelle festgestellt werden, sondern nach Auffassung meiner Fraktion kann nur die dafür geschaffene Einrichtung, die Bundesanstalt in Nürnberg, solche Feststellungen im Einvernehmen mit den Sozialpartnern und damit auch im Einvernehmen mit den Gewerkschaften treffen. Selbstverständlich müssen einer solchen Feststellung, daß ein tatsächlicher Arbeitskräftemangel vorhanden ist und er nicht anders behoben werden kann als durch die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte, die verschiedensten Maßnahmen vorausgehen, indem man zunächst den Versuch macht, mit Hilfe der vorhandenen deutschen Arbeitskräfte, also in erster- Linie der ,arbeitslosen Arbeitskräfte, den Bedarf zu decken. Erst wenn allediese Mittel erschöpft sind und trotzdem weiter ein Mangel besteht, sowie das Bedürfnis, diesen Mangel im Interesse eines weiteren Aufstiegs unserer Wirtschaft zu beheben, erst dann würde die Frage akut sein, ausländische Arbeitskräfte hereinzunehmen. Dieser Mangel wird sicherlich auftreten, wenn wir einen weiteren Aufstieg unserer Wirtschaft zu verzeichnen haben, wie wir ihn erfreulicherweise seit 1948 von Jahr zu Jahr feststellen konnten. Wir haben ja erst kürzlich hier die Zahlen gehört, daß auch 1954 das Sozialprodukt um weitere 8 oder 9 % zugenommen hat. Wir hoffen, daß auch in diesem Jahr ein ähnlicher Zuwachs festzustellen sein wird. Es bleibt uns ja auch nichts anderes übrig, als daß unsere Wirtschaft :sowohl an absolutem Umfang als auch in ihrer Produktivität von Jahr zu Jahr immer bedeutender wird. Denn wie sollen wir die gewaltigen sozialen Aufgaben, die noch vor uns stehen, lösen, wenn nicht aus der Wirtschaft das herauskommt, was nun einmal zur Durchführung der verschiedensten noch notwendigen sozialen Gesetze erforderlich sein wird? Wir müssen also in Deutschland einen immer weitergehenden Aufstieg unserer Wirtschaft wollen, daß heißt, immer mehr und mehr Arbeitskräfte beschäftigen, aber auch die Produktivität immer mehr steigern, also den Produktionsausstoß je Kopf immer größer machen. ({4}) Was für Möglichkeiten da noch bestehen, wissen alle Kundigen. Ich erinnere nur an die amerikanischen Zahlen, die unseren Zahlen gegenüberzustellen wären. Wir wissen, daß in Amerika der Produktionsausstoß je Kopf, die Produktivität, etwa das Dreifache der deutschen Produktivität beträgt. Eine Riesenaufgabe steht also vor uns, und wir werden noch die vielfältigsten Maßnahmen durchzuführen haben, um ebenfalls zu dieser Produktivität zu kommen und damit das Sozialprodukt entsprechend größer zu machen. Wir werden zu dem Arbeitermangel auch deshalb kommen, weil die Geburtenjahrgänge, die in den nächsten Jahren in den Produktionsprozeß eintreten, wesentlich schwächer sind. Auch aus diesem Grunde also werden wir zu einem Arbeitermangel kommen. Wir werden sicherlich auch die weiblichen Arbeitskräfte in noch viel größerem Umfange für unsere Wirtschaft heranziehen müssen, als das ohnehin bisher der Fall gewesen ist. Die Leistungen, die wir bisher auf sozialem Gebiet vollbracht haben, wären ja gar nicht möglich gewesen, wenn nicht unsere Wirtschaft sich in diesem wirklich wunderbaren Umfange entwickelt hätte; und diese Entwicklung wäre wiederum gar nicht möglich gewesen, wenn nicht in den Nachkriegsjahren in diesem Riesenumfange auch die weiblichen Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt gestoßen wären. Ob man das nun bedauert oder ob man das gutheißt - ohne den Masseneinsatz weiblicher Arbeitskräfte ist die deutsche Wirtschaft überhaupt nicht zu der Größe zu entwickeln, zu der sie weiterentwickelt werden muß, um die riesigen nationalen, insbesondere sozialen Aufgaben zu erfüllen. Natürlich wird auch, bevor wir ausländische Arbeitskräfte hereinnehmen, ein Wechsel der Arbeitslosen von Gebiet zu Gebiet durchgeführt werden müssen. Selbstverständlich müssen die Arbeitslosen aus den Gebieten, in denen sich, vorerst wenigstens, keine Arbeitsmöglichkeiten anbieten, in die Gebiete umgesiedelt werden - das geschieht ja zum großen Teil auch schon -, wo eben noch Kräfte gebraucht werden. Wir wissen, daß damit auch die Wohnungsfrage verbunden ist. Aber auch das Wohnungsproblem muß dabei seine Lösung finden. Es wird natürlich in einem größeren Umfange auch eine Umschulung erfolgen müssen. Ich will die Maßnahmen nicht alle aufzählen, die zunächst durchgeführt werden müssen, um das deutsche Arbeitskräftepotential hundertprozentig auszunutzen, bis man dann schließlich ausländische Arbeitskräfte wird hereinführen dürfen; dabei werden alle beteiligten Stellen, auch die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, insbesondere die Gewerkschaften, mitzuwirken haben. In jedem Falle sind wir uns alle wohl auch darüber einig, daß mit ,den Mitteln etwa einer Zwangsverpflichtung von Arbeitskräften niemals wird gerechnet werden dürfen. Einer solchen Entwicklung, solchen Bestrebungen würden jedenfalls auch wir von der CDU/CSU uns schärfsten entgegenstellen. Die Freizügigkeit des einzelnen Arbeitnehmers muß auch weiterhin erhalten bleiben; denn diese Freizügigkeit gehört ja zu den höchsten Rechten eines demokratischen Staatswesens. Ich möchte zum Schluß noch sagen: Es ist zwar meiner Meinung nach kein Anlaß für die Große Anfrage gewesen, weil mit ihr - das ist mein Eindruck - offene Türen eingerannt werden. Ich habe jedenfalls aus den Äußerungen der Minister nicht das lesen können, was die SPD daraus gelesen hat. Trotzdem ist es vielleicht ganz gut, daß auf diese Weise einmal Gelegenheit gegeben ist, hier in der breiten Öffentlichkeit, im Bundestag über das Problem zu sprechen. Ich kann nach dem gegenwärtigen Stand der Aussprache und nach den Erklärungen des Herrn Ministers Starch nur feststellen, daß wir uns in den Grundprinzipien, die bei dem Problem zu beachten sind, eigentlich alle völlig einig sind. Im übrigen wird - das ist die Auffassung meiner Fraktion - demnächst bei der Beratung der Novelle zum AVAVG Gelegenheit sein, in breiterer Form und auch noch etwas vertiefter auf das Problem, das heute mit der Anfrage angeschnitten worden ist, zu sprechen zu kommen, und meine Fraktion wird sicherlich auch dann ihren Beitrag dazu leisten. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.

Dr. Dr. h. c. Marie Elisabeth Lüders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001391, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Anschluß an die Ausführungen meiner verehrten langjährigen Kollegin in der Berliner Verwaltung und im Deutschen Reichstag, Frau Schroeder, möchte ich auf folgendes hinweisen. Herr Arbeitsminister, vielleicht setzen Sie sich einmal mit dem Herrn Finanzminister in Verbindung. Wir wissen alle, daß schon der erste Bundestag ein Gesetz zur Wiedergutmachung erlassen hat. Wir wissen auch, daß es unendlich lange Zeit gedauert hat, bis es gelungen ist, dem betreffenden Ministerium endlich im letzten Herbst die notwendigen Durchführungsverordnungen aus den Klauen zu ziehen. Aber wir wissen etwas viel Betrüblicheres. Wir wissen, daß dieses Ministerium - so wird wenigstens behauptet, und dasselbe wird von den Ländern behauptet - ungezählte Akten von rückständigen Wiedergutmachungsfällen besitzt, ohne daß man weiterkommt. Sie haben sich immer mehr angehäuft wegen fehlender Arbeitskräfte, und .was ist die Folge? Immer mehr alte Leute sterben dahin, ohne daß die ihnen zustehenden Wiedergutmachungsansprüche befriedigt werden. ({0}) - Ja, und ich spreche über deutsche Arbeiter, wenn Sie gestatten. Das steht nämlich im Zusammenhang miteinander. ({1}) Ja, Sie können auch den Kopf schütteln; aber ich spreche doch darüber. ({2}) Ich möchte dem Herrn Arbeitsminister raten, daß er, ehe er sich einverstanden erklärt, ausländische Arbeiter oder auch Arbeiterinnen heranzuziehen, erst einmal dafür sorgt, daß das Finanzministerium wenigstens die notwendigen Zeithilfen aus den Kreisen geschulter arbeitsloser Angestellter einstellt, um die großen Rückstände auf dem Gebiet der Wiedergutmachung endlich einmal aufzuarbeiten. Wir wissen, daß das eine Ehrenpflicht ist, und wir haben auch kürzlich bei Ausführungen darüber dieser Auffassung hier ganz einstimmig zugestimmt und applaudiert. Es geschieht aber nichts, sondern die Fälle häufen sich weiter. Ich weiß nicht, ob man der Meinung ist, ({3}) daß Geldersparnisse wichtiger sind als Menschenleben, selbst die Menschenleben von alten Personen. Ich bin der Auffassung: ein Menschenleben, einerlei wie alt oder wie jung, sollte jedem fiskalischen Sparsamkeitsgrundsatz vorgehen. Zum andern, Herr Minister, möchten wir Frauen darauf hinweisen, daß wir uns unter keinen Umständen mit Maßnahmen zur eventuellen Heranziehung auch von Frauen aus dem Ausland einverstanden erklären werden, ohne dazu unsere Meinung gesagt und unseren Einfluß geltend gemacht zu haben. Das für den Fall, daß Sie eines Tages den von Ihnen befürchteten Mangel auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Wir haben schon in früheren Zeiten sehr unangenehme Erfahrungen damit gemacht, daß Frauen zu Arbeitsleistungen herangezogen worden sind, ohne daß sie genügend vorgeschult gewesen sind, ohne daß man sich um ihre soziale Gebundenheit und die Voraussetzungen für ihren Arbeitseinsatz überhaupt gekümmert hat. Leider sind sie auch gar nicht selten und nur zu gern von manchen als willkommene Lohndrücker eingestellt worden.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.

Franz Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001595, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schneider hat davon gesprochen, daß meine Fraktion durch diese Große Anfrage offene Türen eingerannt habe. Nun, Herr Kollege Schneider, ich bin der Auffassung, daß Sie aus den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers wohl den Unterschied zwischen seiner und der Ansicht des Bundeswirtschaftsministers entnehmen konnten. ({0}) - Ich bin nicht im Haushaltsausschuß und kann infolgedessen nicht das behandeln, Herr Kollege Hilbert, was dort gesagt worden ist. Ich berufe mich ausdrücklich auf das, was in den deutschen Zeitungen gestanden hat, und der Herr Bundeswirtschaftsminister hat niemals diese seine Erklärung widerrufen. Ich stelle fest, daß im Gegensatz dazu der Herr Bundesarbeitsminister erklärt hat, daß man vor 1957 an den Einsatz von Fremdarbeitern in Deutschland überhaupt nicht zu denken habe. Der Herr Kollege Schneider hat dann ferner den Versuch gemacht, zu verteidigen, daß Berlin in der Statistik der Arbeitslosenziffern nicht mit enthalten ist, sondern nur unter dem Strich noch erwähnt wird. Meine Damen und Herren, das Dritte Überleitungsgesetz gibt uns die Pflichten eines jeden anderen Landes. Aber wir können infolgedessen auch die Rechte eines jeden anderen Landes in Anspruch nehmen. Herr Bundesarbeitsminister, auf Grund dieser Tatsache würden wir es begrüßen, wenn die Anregung meiner Frau Kollegin Schroeder verwirklicht würde, daß wir auch in der Statistik wie jedes andere Land behandelt werden. Auf Grund unserer besonderen Verhältnisse haben wir nun einmal eine höhere Zahl von Arbeitslosen. Ich habe hier eine sachliche Unterscheidung zwischen unserer Auffassung und der der CDU nicht feststellen können. Aber wir unterscheiden uns in unserer Ansicht über die Beseitigung dieser Arbeitslosen. Ich möchte feststellen, Herr Kollege Schneider, daß nach Auffassung meiner Fraktion die Umsiedlung der Arbeitslosen für uns in Berlin nicht das Problem ist, sondern daß es unsere Sorge ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die neue Regierung, die von beiden Parteien SPD und CDU getragen ist, hat sich die Aufgabe gestellt, für die nächsten vier Jahre 100 000 neue Arbeitsplätze in Berlin zu schaffen. Herr Bundesarbeitsminister, ich glaube, daß wir hier auch mit Ihnen einig sind, daß alles getan werden muß, um dieses Ziel zu erreichen. Nachdem dieses Problem hier diskutiert worden ist, darf ich die Bitte aussprechen: Sorgen Sie bitte dafür durch Ihre Maßnahmen bei der Bundesanstalt, daß wir in stärkerem Maße von der Bundesanstalt Sondermittel zur Verfügung bekommen, um auch vondieser Seite aus etwas mehr zur Erreichung unseres Ziels zu tun, der Schaffung der 100 000 Arbeitsplätze. Wir haben rund 200 000 Arbeitslose. Wenn es uns gelänge, in den nächsten vier Jahren 100 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, dann hätten wir für die Beseitigung der Arbeitslosennot in Berlin vieles getan. Herr Minister, ich möchte Sie in diesem Zusammenhang doch daran erinnern, daß noch andere Mittel frei sind, die für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Berlin nutzbar gemacht werden können und die es überflüssig machten, ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland zu ziehen. Ich möchte Sie daran erinnern, daß nach den neuesten Zahlen der Bundesregierung das Notopferaufkommen im Etatsjahr 1954 1 250 Millionen DM betragen hat. Davon sind 710 Millionen DM nach Berlin gegangen. Vielleicht könnten Sie bei den Beratungen im Bundeskabinett - -. Herr Kollege Kunze, Sie müssen nicht mit dem Kopf schütteln. Es ist so: Laut Erklärung der Bundesregierung betrug die Notopfereinnahme 1 250 Millionen DM, und 710 Millionen DM hat Berlin bekommen. Das sind immerhin 540 Millionen DM, die in der Bundesrepublik für die Beseitigung der Not Berlins geopfert worden sind und die diesen Zweck nicht erfüllen konnten, ({1}) da sie Berlin nicht zur Verfügung gestellt wurden. Vielleicht lenken Sie, Herr Bundesarbeitsminister, Ihr besonderes Augenmerk auf die Zurverfügungstellung des gesamten Notopferaufkommens für Berlin, damit diese Summen nicht nur für den Ausgleich des Bundeshaushalts, sondern auch für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Berlin genutzt werden können. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({0}).

Fritz Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000126, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Meine Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren durch die merkwürdigsten Engpässe hindurchzwängen müssen, und jedesmal, wenn ein Engpaß auf dem einen oder anderen Gebiet auftrat, wirkte sich das selbstverständlich auf den Arbeitsmarkt in erster Linie aus. Ich glaube, daß die Problematik der eventuellen Beschäftigung ausländischer, nichtdeutscher Arbeitskräfte in Deutschland nur richtig beurteilt werden kann, wenn man die politischen Möglichkeiten und Wechselfälle ins Auge faßt, die in der Zukunft eintreten können. Wer weiß denn, ob beispielsweise die Wiedervereinigung ganz Deutschlands nicht viel näher ist, als wir es vielleicht im Augenblick glauben? Denkt man einmal daran, welche Probleme für den Arbeitsmarkt indiesem Augenblick auftreten, ange({0}) sichts dieser Möglichkeiten, die da sind und die an die Arbeitsverwaltung und an die Bundesanstalt dann die größten Aufgaben stellen werden, so ist es meiner Ansicht nach nicht tadelnswert, sondern begrüßenswert, daß beispielsweise der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesarbeitsminister vorsorglich Gespräche darüber führen, wie .dann eventuell auftretende Engpässe auf dem Arbeitsmarkt möglichst schonend beseitigt werden können. Man soll doch nicht von vornherein immer unsoziale oder arbeitnehmerfeindliche Absichten hinter solchen Gesprächen vermuten, die notwendig sind, damit man allen Eventualitäten ins Auge sehen kann. Mit großem Bedauern muß ich feststellen, daß auch während der heutigen Debatte wieder Vermutungen aufgeklungen sind, es sollten irgendwie :die Berliner Interessen gegen die Bonner Interessen ausgespielt werden. Ich glaube, es ist notwendig, daß gerade bei dieser Diskussion wieder einmal darauf hingewiesen und ganz klar und deutlich ausgesprochen wird - die deutsche Öffentlichkeit weiß es, es muß ihr aber immer wieder gesagt werden -: Wo wäre die Bundesrepublik und wo wäre Bonn ohne dein Freiheitswillen Berlins? Aber auf der anderen Seite: Wo wäre Berlin ohne die Existenz und die Unterstützung Bonns? Ich halte es für unerträglich, daß gerade auf diesem diffizilen Gebiet der Lenkung von Mitteln nach Berlin und der Lösung der Probleme, die durch die aus politischen Gründen bedingte erhöhte Arbeitslosigkeit in Berlin auftreten, eine Gegensätzlichkeit besonders betont wird. Sowohl den Arbeitslosen in Berlin als auch den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik ist nicht damit gedient, daß ihre Interessen gegeneinander ausgespielt werden, sondern es ist ihnen damit gedient, daß der Arbeitsmarkt weiterhin so pfleglich behandelt wird, wie es durch die Bundesregierung in den vergangenen Jahren geschehen ist. Wenn es - das soll mein Schlußwort zu dieser Debatte sein - unter Punkt 4 der Großen Anfrage der SPD heißt: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um angesichts der in einzelnen Teilen der Bundesrepublik noch bestehenden erheblichen Arbeitslosigkeit dafür zu sorgen, daß die noch arbeitsfähigen Arbeitslosen Beschäftigung finden?, so darf ich darauf hinweisen, daß diese Frage aus dem Munde der SPD etwas eigenartig klingt, wenn man daran denkt, daß vor noch gar nicht allzu langer Zeit Flugblätter in der Bundesrepublik verbreitet wurden mit der Überschrift „Massenarbeitslosigkeit droht". Man wollte mit diesen Flugblättern die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung angreifen und hat immer in schwärzesten Farben gemalt. Ich glaube, es gibt keinen besseren Beweis für die richtige Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung als die Zahlen, die von dem Herrn Bundesarbeitsminister heute hier angeführt worden sind. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Ichrufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebensund Rentenversicherungen ({0}). Auf Begründung und Aussprache wird verziehtet. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - federführend - sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Geld und Kredit und den Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes ({1}). Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Arndt. Dr. Arndt ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem von meiner Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf liegt Ihnen in der Drucksache 975 eine gedruckte Begründung vor. In dieser Begründung wird der Gesetzentwurf in rechtlicher Hinsicht erläutert. Erlauben Sie mir gleichwohl bitte noch einige Worte zur politischen Begründung dieses Gesetzentwurfes. Man kann die Frage aufwerfen, ob es angebracht ist, an einem so grundsätzlichen Gesetz, wie es die Strafprozeßordnung ist und wie es das Gerichtsverfassungsgesetz ist, herumzudoktern und Einzelheiten zu ändern. Wir sind jedoch zu der Überzeugung gekommen, daß hier Änderungen und Verbesserungen der Rechtslage im Gesetz unabweisbar und dringlich sind, und zwar deshalb, weil die gegenwärtige Handhabung der Strafverfahrensvorschriften in Widerspruch gerät zu einer fundamentalen Bestimmung des Bonner Grundgesetzes. In Art. 5 des Grundgesetzes ist ein doppeltes Grundrecht verbrieft. Jedermann soll das Recht haben, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Ich bemerke, daß dabei ausdrücklich auch das Bild hervorgehoben ist als ein unserer Zeit besonders angemessenes Äußerungs- und Nachrichtenmittel. Zum anderen, und das wird oft verkannt, soll jeder sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten können. Also jedermann soll das Grundrecht haben, zur Presse kommen zu können, das Grundrecht, daß ihm die Presse nicht durch eine Zensur oder obrigkeitliche Maßnahmen vorenthalten wird. Gewiß erleiden diese beiden Grundrechte Einschränkungen. Sie sind begrenzt dadurch, daß die allgemeinen Gesetze eine Schranke für die Meinungsäußerung bilden und insbesondere gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und 'des Rechts der persönlichen Ehre erlassen werden können. Wir stehen hier also insoweit vor einem echten Konflikt, da es gilt, mehrere miteinander nicht immer ohne weiteres vereinbare Rechtsgüter zu schützen. Es ist heute nicht der Augenblick, sich darüber zu unterhalten, ob das Recht der persönlichen Ehre in der Bundesrepublik Deutschband von dem Gesetz und den Gerichten hinreichend gewährleistet wird. Ich glaube es nicht. Aber darum handelt es sich nicht. Es geht bei diesem Gesetzentwurf darum, ob in die Freiheit der Meinungsäußerung, in die Pressefreiheit eingegriffen werden darf mit einem ganz besonderen Mittel, von dem man zuweilen einen ({3}) recht übermäßigen und auch recht überflüssigen Gebrauch macht, nämlich mit dem Mittel der Beschlagnahme. Das ist ja nicht das einzige Mittel, um die Ehre zu schützen oder die allgemeinen Gesetze zu wahren; sondern eine Beschlagnahme hat einen sehr beschränkten Sinn. Sie kann einmal dazu dienen, ein Beweismittel sicherzustellen. Dazu wird in der Regel ein einziges Exemplar einer Druckschrift genügen. Oder sie kann auch dem Ziel dienen, eine spätere Einziehung der Druckschrift sicherzustellen, damit die Einziehungsmaßnahme nicht zu spät kommt. Aber gegenwärtig ist es so geregelt, daß diese Beschlagnahme zur Sicherung einer häufig erst nach Jahren rechtskräftig ausgesprochenen Einziehung schon auf einen bloßen Verdacht hin angeordnet werden kann und sich durch die Art, wie man diese Bestimmungen handhabt, als eine Verdachtsstrafe auswirkt, eine Verdachtsstrafe, die in gar keinem Verhältnis zu den Fragen steht, um die es sich im Einzelfalle handelt. Dadurch werden zwei rechtsstaatliche Grundsätze verletzt, einmal der Grundsatz, daß einstweilige Maßnahmen die endgültige Regelung nicht vorwegnehmen dürfen, und zum anderen der Grundsatz, daß das Mittel für den Rechtsschutz nicht mit der Aufgabe des Rechtsschutzes in Widerspruch stehen darf. Die Verletzung dieses Grundsatzes führt dazu, daß zwischen Mittel und Ziel kein angemessenes Verhältnis mehr besteht. Aber gerade dem begegnen wir in der Praxis. Nach der Einbringung dieses Gesetzentwurfs hat es sich ereignet, daß sich in einer Wochenschrift, die 20 Druckseiten umfaßt, an einer einzigen Stelle, die dort angeblich unlesbar gemacht worden ist, ein unglücklicher Ausdruck befindet. In Wahrheit ist nichts anderes geschehen, als daß der Drucker vergessen hat, eine bestimmte Wendung in Anführungszeichen zu setzen und dadurch kenntlich zu machen, daß sie nur ironisch oder bildhaft gemeint war. Es handelt sich um die unglückliche Wiedergabe einer Äußerung, die in einer Stadtverordnetenversammlung gefallen ist. Dieser Streit zwischen dem Autor dieses Artikels und dem betroffenen Beamten ist ohne weiteres außergerichtlich erledigt worden, aber er hat dazu geführt, daß diese unter dem Datum vom 8. Januar dieses Jahres erscheinende Zeitschrift, die wie üblich schon einige Tage vorher herauskam, am 5. Januar beschlagnahmt wurde. Also wegen dieses einen winzigen Streitpunktes, der gar nicht von irgendwelcher öffentlichen Bedeutung war, hat man das betreffende Exemplar dieser Zeitschrift vernichtet. Das bedeutet: 500 000 Exemplare dieser Druckschrift sind wertlos geworden. In diesen 500 000 Exemplaren waren Anzeigen mit einem Anzeigen-auftragswert von 72 000 DM enthalten. Sie sehen an diesem einen Fall - und ich werde in der Ausschußberatung noch weitere vorlegen - das krasse Mißverhältnis zwischen dem Anlaß zu einer solchen Verdachtsstrafe und ihrem wirtschaftlichen Ergebnis. Durch den Mißbrauch der Beschlagnahme vernichtet man wirtschaftliche Werte! Man nimmt keine Rücksicht darauf, daß das Grundgesetz die Pressefreiheit und für den Bürger auch das Grundrecht gewährleistet, ungehindert zu den Presseerzeugnissen Zugang zu bekommen. Auch die Art, wie man dabei verfährt, ist einfach nicht erträglich. Diese unter dem 8. Januar erschienene Wochenschrift ist am 5. Januar von einem Gericht beschlagnahmt worden, das seinen Sitz nicht am Ort des Verlages hat; und erst am 26. Januar ist dem Verlag die Beschlußausfertigung zugestellt worden. ({4}) Ja, meine Damen und Herren, wenn man so arbeitet, dann ist das einfach noch die Zeit der Postkutsche, aber es ist nicht mehr die Zeit unserer modernen Presse! In einem anderen Falle ist eine bekannte große Illustrierte beschlagnahmt worden, deren Auflagewert in die Hunderttausende von Deutschen Mark geht; in einer anderen Wochenschrift, die ich im Ausschuß vorlegen werde, ist dann geschildert welche Schwierigkeiten der Verlag, der überhaupt nur vom Buchhandel her erfuhr, daß eine Beschlagnahme ausgesprochen sei, dann hatte, um sich mit dem Richter in Verbindung zu setzen. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was in einer Zeitschrift darüber geschrieben steht, aber es ist nicht dementiert worden, - obgleich man auf Dementis auch nicht vertrauen kann; denn der Bundesgerichtshof hat ja kürzlich gesagt, daß Behörden nicht verpflichtet sind, Journalisten wahrheitsgemäße Auskünfte zu geben, eine Einstellung, mit der wir uns bei dieser Gelegenheit auch befassen sollten. Aber es ist dann --- wenn man annehmen darf, daß das richtig ist - zunächst einmal im Gericht gesagt worden, der Richter sei jetzt nicht anwesend, und dann wurde gesagt, der Richter schläft und darf nicht gestört werden, und ähnliches mehr. So kann man mit der Presse nicht umgehen, und so kann der Art. 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit gewährleistet, auch nicht durchgeführt werden! Darum, glauben wir, ist es erforderlich, gesetzgeberische Maßnahmen auf diesem Gebiet zu treffen, die die Beschlagnahme auf das Maß zurückführen, in dem sie dienen soll, nämlich nur dort eine vorläufige Anordnung zu sein, wo es zwingend geboten ist. Dann fällt bei dieser Handhabung auch eins auf: Bei den Fällen, in denen die Handhabung kritisch geworden ist, handelt es sich grundsätzlich - ich glaube, ziemlich ausnahmslos, abgesehen von einigen Fragen, wo jemand an Bildern sittlich Anstoß genommen hat, die der Öffentlichkeit längst bekannt waren - um angeblich ungehörige Außerungen gegenüber einem Mitgliede der Bürokratie. Es waren dann gewöhnlich die Polizeivizepräsidenten oder die Mitglieder von städtischen Magistraten und ähnlichen Organisationen, die daran Anstoß nehmen und mit Hilfe der Beschlagnahme ihre angeblichen Rechte verfolgen, und zwar mit dem Mißverhältnis, daß die Beschlagnahme mit dem modernsten Rüstzeug durchgeführt wird. Da werden mit Hilfe von Funk und Funkstreifenwagen die Polizeien im ganzen Bundesgebiet in Bewegung gesetzt. Da sucht sie nicht nur alle Zeitungskioske ab; wir haben Fälle, wo die Polizei in die Wohnungen eingedrungen ist, um zu sehen, ob da nicht noch Exemplare dieser Zeitschrift vorhanden sind, durch die sich ein Polizeivizepräsident oder ein Magistratsmitglied angeblich gekränkt fühlt. Aber der Verlag, der erfährt erst nach Wochen etwas davon! Das sind Zustände, die so nicht weitergehen können, und darum haben wir uns gezwungen gesehen, diese Frage aufzugreifen, um durch die erforderlichen Erneuerungen der Strafprozeßordnung der im Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit besser zu dienen, als es die gegenwärtige Beschlagnahmepraxis zuläßt. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wir treten in die Aussprache der ersten Lesung ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. h. c. Fritz Neumayer (Minister:in)

Politiker ID: 11001599

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle in diesem Hohen Hause darüber einig, daß die Pressefreiheit eines der Fundamente unseres Staates ist. Eine Demokratie ohne Pressefreiheit ist schlechthin undenkbar. Nun hat Herr Kollege Arndt den Antrag der SPD hier vorgetragen und begründet. Dieser Antrag bezweckt die Änderung oder Ergänzung gewisser Vorschriften auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts und des Strafrechts. Diese Änderungen sollen dazu dienen, das Beschlagnahmerecht, wie es heute noch besteht, einzuengen. Ich darf gerade in diesem Zusammenhang, wo ich von der Pressefreiheit sprach, darauf hinweisen, daß ja schon mein Amtsvorgänger und Freund Dr. Dehler eine ganze Reihe von Vorschriften eingebracht hart - die auch die Zustimmung des Hohen Hauses gefunden haben -, die sich mit einer Erweiterung der Pressefreiheit befaßt haben. Ich darf hinweisen auf das Vereinheitlichungsgesetz vom Jahre 1950, das für die ganze Bundesrepublik das sogenannte Redaktionsgeheimnis wiederhergestellt hat, d. h. das Zeugnisverweigerungsrecht der Redakteure, Verleger und Drucker über die Person des Verfassers oder Einsenders einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts. Das Dritte Strafrechtänderungsgesetz 1953 hat das Zeugnisvetrweigerungsrecht über diesen Personenkreis hinaus auf. die Herausgeber und alle Personen ausgedehnt, die bei der Herstellung oder Veröffentlichung einer periodischen Druckschrift mitgewirkt haben. Gleichzeitig wurde eindeutig klargestellt, daß der Berechtigte nunmehr auch über die Person des sogenannten Gewährsmannes schweigen darf, der mündlich oder schriftlich Material für die Veröffentlichung, aber nicht die ;textliche Fassung geliefert hat. Durch eine Neufassung des § 97 der Strafprozeßordnung wurde entsprechend der Erweiterung dies Zeugnisverweigerungsrechts die Befugnis zur Beschlagnahme eingeschränkt. Ich versage es mir, auf die einzelnen Vorkommnisse von Beschlagnahmen einzugehen, die Herr Kollege Arndt bereits vorgetragen hat. Es ist keine Frage, daß in den letzten Jahren eine Reihe von Beschlagnahmeverfügungen gegen öffentliche Druckschriften erlassen worden sind, die ich sehr aufmerksam verfolgt habe. Wir haben auch im Bundesjustizministerium den Eindruck gewonnen, daß das Beschlagnahmerecht einer Überprüfung und einer Neuregelung bedarf. Das Beschlagnahmerecht ist einer Reform fähig und einer Reform bedürfitig. Die Frage ist nun: wann soll eine solche Reform durchgeführt werden? Soll sie etwa im Anschluß an die große Strafrechtsreform durchgeführt werden, oder aber sollen Sofortmaßnahmen ergriffen werden, die das Beschlagnahmerecht im Sinne eines größeren Schutzes der Presse ändern? Zu prüfen ist auch, ob der Weg, der in dem Antrag eingeschlagen ist, richtig ist, ob nicht eventuell andere Möglichkeiten offenstehen, um schließlich doch zu dem gleichen Ziel zu gelangen. Ich gestehe ganz offen, daß ich der Auffassung gewesen bin, man sollte die Änderung des Beschlagnahmerechts, ,also eine Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes im Rahmen der großen Strafrechtsreform durchführen. Wir waren der Überzeugung, daß gerade im Rahmen dieser Arbeiten an der Erneuerung unserer Strafrechtsordnung eine echte Reform auch dieses besonderen Rechtes möglich wäre, eine Reform, die jede Frage aus der Sicht der großen Zusammenhänge prüft und sie in einheitlichem Geist zu lösen versucht. Eine Novelle ist ja dimmier mehr oder weniger ein Notbehelf, Stückwerk. Vor allem, muß ich sagen, verliert das Prozeßrecht im beson- deren Maße unter Teilreformen, die sich nicht harmonisch und widerspruchslos in sein System einfügen lassen. Nachdem aber nun der Entwurf der SPD eingereicht und hier vorgetragen worden ist, glaube ich, daß ich meine Bedenken, die ich früher gegenüber einer sofortigen Änderung der Strafprozeßordnung im vorgeschlagenen oder in einem ähnlichen Sinne gehabt habe, aufgeben sollte und daß nunmehr doch die Frage überprüft und !bearbeitet werden müßte, ob nicht schon jetzt eine Änderung der Beschlagnahmevonschriften durchgeführt werden soll. Ich darf darauf hinweisen, daß auch in unserem Nachbarland Österreich gegenwärtig an einer Reform des Rechts der Pressebeschlagnahme gearbeitet wird. Es liegt bereits ein Entwurf vor, den 'wir sorgfältig studieren müssen und werden. Lassen Sie mich nun zu der Reform selbst kurz folgende Ausführungen machen. Wir müssen davon ausgehen: Welche Fälle sind praktisch möglich? Wir müssen uns also über die Gruppen strafrechtlicher Verstöße, die zu Beschlagnahmen führen können, klarwerden. Es wird sich hierbei, von Einzelfällen abgesehen, in erster Linie um unzüchtige Schriften, zweitens um Schriften staatsgefährdenden Inhalts, also eines Inhalts, der die freiheitliche, demokratische Grundordnung gefährdet, und letzten Endes um Angriffe auf die Ehre handeln. Ich machte in diesem Zusammenhang z. B. auf die verschiedenen Entgleisungen hinweisen, wie sie in Veröffentlichungen über ausländische Staatsoberhäupter und deren Familien in letzter Zeit bedauerlicherweise mehrfach vorgekommeen sind. Die Erklärung der Bundesregierung vom Dezember vorigen Jahres hierzu wird Ihnen ja wohl noch in Erinnerung sein. Nun habe ich den Eindruck, daß der Antrag der SPD vorwiegend die Fälle der Beleidigung im Auge hat. Diese haben sicherlich ihre Besonderheiten, da hier vielfach die Beeinträchtigung der ,Individualinteressen im Vordergrund steht und die einander widerstreitenden Interessen einen anderen Rang haben als bei den Straftatbeständen auf dem Gebiete des Staatsschutzes. Herr Kollege Arndt hat darauf ja bereits hingewiesen. Jedenfalls aber muß die ganze Vielfalt der in Frage kommenden Verhältnisse und Interessen berücksichtigt werden. Vor allem darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Schwerpunkt jeder Änderung des Beschlagnahmerechts letzten Endes in seinen Auswirkungen doch nicht so sehr auf dem Gebiet der Beleidigung als vielmehr auf dem Gebiet des Staatsschutzes und vielleicht auch des Jugendschutzes liegen wird. Wir müssen vermeiden, daß gerade auf dem Gebiet des Staatsschutzes eine Schwächung des Rechtsschutzes eintritt. Die Pressefreiheit kann natürlich nicht isoliert betrachtet werden. Echte Freiheit kann nur da sein, wo allen die Möglichkeit zur freien Entfal({0}) tung gegeben wird. Ich darf hier ein Wort von Jaspers zitieren, der einmal gesagt hat: „Ich kann nur frei sein in dem Maße, als auch die andern frei sind." Freiheit muß und kann sich nur in der Ordnung einer Gemeinschaft vollziehen. So findet auch die Pressefreiheit ihre Grenzen dort, wo Beschränkungen im Interesse der Freiheit aller nötig sind, um den Fortbestand der Freiheit zu gewährleisten und zu verhindern, daß die Freiheit zur Unfreiheit werde. Nach Art. 5 des Grundgesetzes liegen die Schranken der Pressefreiheit in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und zum Schutze der persönlichen Ehre. Von diesem grundsätzlichen Interessenausgleich, den das Grundgesetz getroffen hat, müssen wir ausgehen. Die zu erarbeitende Lösung muß einen gerechten Ausgleich aller dieser einander widerstreitenden Interessen bringen. Es ist aber noch ein weiteres erforderlich. Die Regelung muß sich auch widerspruchslos in das gesamte Rechtssystem einfügen. Bei der Art der Materie ist dies in einer Novelle nicht ganz einfach. Im Beschlagnahmerecht bestehen insbesondere enge Wechselbeziehungen zum materiellen Recht. Der Gesetzgeber muß dafür Sorge tragen, daß diese Beziehungen harmonisch abgestimmt sind und nicht zu unerträglichen Spannungen führen. Der Antrag begegnet in dieser Beziehung Bedenken. So darf bei der Frage, ob die Vorschriften über die Beschlagnahme aufgelockert werden können, nicht außer acht gelassen werden, daß die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über die Unbrauchbarmachung - § 41 - zwingender Natur sind. Was vom materiellen Recht verlangt wird, kann nicht im Sinne der Beschlagnahmevorschriften unangemessen sein, oder es müßte auch das materielle Recht geändert werden. Man könnte z. B. nur schwer verstehen, daß in dem späteren Urteil eine Unbrauchbarmachung zwingend vorgeschrieben und durchgeführt wird, wenn andererseits in dem Vorverfahren, in dem Beschlagnahmeverfahren, die Beschlagnahme als nicht angemessen abgelehnt wird, da sie kein angemessenes Mittel des Rechtsschutzes sei. Das würde doch zu gewissen Widersprüchen führen. Diese Bedenken müssen bei der Neuformulierung der Beschlagnahmebestimmungen, die ja hier ins Auge gefaßt werden und an denen das Justizministerium sehr gerne mitarbeiten will, geprüft werden. Man muß versuchen, hier zu einer Lösung zu kommen, die einen eventuellen Widerspruch zwischen materiellem und Verfahrensrecht beseitigt; denn die Änderung der Strafprozeßordnung allein könnte darauf hinauslaufen, die Vollstreckung einer durch das materielle Recht zwingend vorgeschriebenen Maßnahme zu vereiteln. Bedenklich erscheint mir auch die Formulierung „wesentlicher Inhalt der Druckschrift". Im Rahmen der Druckschrift kann etwas unwesentlich sein, was für den Verletzten lebenswichtig ist oder was vom Standpunkt der Allgemeinheit nicht hingenommen werden kann. Man denke an Inserate, Druckwerke unzüchtigen Inhalts oder dergleichen. Unerwünschte Auswirkungen auf das materielle Recht können nach den Vorschlägen der Antragsteller vor allem auch durch den Schlußpassus des vorgeschlagenen § 94 Abs. 3 eintreten, nämlich durch die Worte: „und nicht lediglich bestimmt sein kann, öffentliche Interessen wahrzunehmen". Dadurch wird ein Gegensatz zu den berechtigten Interessen im Sinne des § 193 des Strafgesetzbuchs geschaffen und die Möglichkeit von Schwierigkeiten und Konflikten ausgelöst. So wäre es, wenn nicht zugleich die Voraussetzung des § 193 vorliegt, auch hier möglich, daß eine Druckschrift, die nicht beschlagnahmt werden dürfte, später unter Umständen kraft zwingender Vorschrift unbrauchbar gemacht werden müßte. Nun, meine Damen und Herren, noch ein kurzes Wort hierzu. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Ich bin ein Freund des offenen, des freien Wortes, der offenen Auseinandersetzung, der offenen Aussprache. Ich bin durchaus dafür, daß z. B. das öffentliche Interesse an der Aufklärung von Mißständen und Verfehlungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung im Gegensatz zu der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts als berechtigtes Interesse im Sinne des § 193 anerkannt wird. Mit Recht stehen die neuere Rechtsprechung und das Schrifttum überwiegend auf dem Standpunkt, daß die Presse als Sprachrohr der öffentlichen Meinung zur Kritik an Vorgängen des öffentlichen Lebens besonders berufen ist. Sie muß daher, wie auch die Gesetzgebung einiger Länder zum Presserecht bereits anerkannt hat, die Möglichkeit haben, nach gewissenhafter Prüfung - das ist natürlich die Voraussetzung - im Interesse der Sauberkeit des öffentlichen Lebens auf Übelstände hinzuweisen. ({1}) Vielleicht könnten statt des vom Antragsteller vorgeschlagenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insofern strengere Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beschlagnahme geschaffen werden, als man einen erhöhten Grad des Tatverdachts und dringende Gründe für die Annahme verlangt, daß es später zur Einziehung oder Unbrauchbarmachung einer periodischen Druckschrift kommen wird. Auch in diesem Rahmen könnte man vielleicht von starren Bindungen für den Richter absehen und ihm einen gewissen Ermessensspielraum im Sinne eines Verzichts auf die Beschlagnahme einräumen. Ich könnte mir also denken, daß man eine Formulierung finden wird, die das Beschlagnahmerecht in diesem Sinne einschränkt, die aber doch nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen des Strafgesetzbuches steht und die entweder von dem von den Antragstellern vorgeschlagenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den man eben meiner Auffassung nach anders formulieren müßte, ausgeht oder, wie wir es für noch richtiger und besser hielten, einen erhöhten Grad des Tatverdachts voraussetzt. Damit glaube ich dargetan zu haben, daß wir uns über das Ziel eigentlich einig sind, daß man aber über den Weg, über die Art, wie man zur Verwirklichung dieses Zieles kommt, vielleicht unterschiedlicher Auffassung ist, aber wohl doch eine Verständigung erzielen kann. Nun ist zum Verfahrensrecht der Gedanke aufgetaucht, sachkundige Presserichter- zuzuziehen. Meine Damen und Herren, das mag auf den ersten Blick ein bestechender Gedanke sein. Ich glaube aber bestimmt nicht, daß er einer näheren Nachprüfung standhalten wird. Ich habe gegen diesen Vorschlag, der keine Parallele in unserem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz hat, schon deshalb Bedenken, weil seine Verwirklichung meines Erachtens zwangsläufig zu ähnlichen Forderungen anderer Berufsstände führen würde. Mit dem gleichen Recht könnten z. B. Ärzte, Kaufleute und an({2}) dere Berufsstände verlangen, daß zu Strafsachen, die ihr Gebiet berühren, Beisitzer aus ihrem Berufskreis genommen werden. Eine so weitgehende Differenzierung und Komplizierung in unserer Gerichtsbesetzung, die an ständische Unterscheidungen erinnern könnte, ist nach meiner Auffassung abzulehnen. Vor allem lassen sich auch keine Parallelen zu den Handelsrichtern ziehen, denn diese sollen ja 'bei der gerichtlichen Schlichtung eines Widerstreits der Interessen zweier streiten- der Parteien mitwirken, die meist beide ihrem Berufsstand angehören. Im Strafprozeß dagegen ist die Interessenlage eine völlig andere. Nun zur Frage der Zuständigkeit. Da gehe ich mit den Antragstellern einig in der Beziehung, daß die Zuständigkeit zur Beschlagnahme einer sorgfältigen Überprüfung bedarf. Vor allem gilt dies für die Frage, welchen Wirkungsbereich eine amtsrichterliche Beschlagnahme im Vorverfahren haben soll. Gerade dies scheint mir ein Punkt zu sein, an dem eine Reform ansetzen muß und bei dem eine Klarstellung erforderlich ist. Es ist durchaus möglich, daß ein Amtsrichter aus den Gesichtspunkten seines Bezirks eine Druckschrift in seinem Bezirk beschlagnahmen zu sollen glaubt, weil bekannte Personen seines Bezirks darin beleidigt werden. Es geht aber meiner Auffassung nach nicht an - bzw. man sollte dies vermeiden -, daß eine derartige Beschlagnahme auf das ganze Bundesgebiet wirkt. Der Richter, der nicht zugleich für das Hauptverfahren zuständig ist, sollte im Vorverfahren grundsätzlich nicht mit Wirkung für die gesamte Bundesrepublik, sondern nur mit Wirkung für seinen Bezirk beschlagnahmen dürfen. Ich möchte jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen und mich insbesondere nicht des Näheren mit dem Vorschlag der Antragsteller befassen, für die Sofortmaßnahme der Beschlagnahme das Landgericht des Verlagsortes ausschließlich für zuständig zu erklären. Denn auch diese Fernwirkungen einer Änderung müssen sorgfältig überdacht werden. Wenn man diesem Vorschlag folgte, meine Damen und Herren, dann wäre der Erfolg der, daß z. B. sogar der Bundesgerichtshof und seine Ermittlungs- und Untersuchungsrichter in den so bedeutungsvollen Staatsschutzsachen von der Beschlagnahmebefugnis ausgeschlossen wären. Diese Folge ist, wie ich annehmen darf, von den Antragstellern sicherlich nicht beabsichtigt. Sie macht aber doch deutlich, welche eingehenden Überlegungen angestellt werden müssen. Ich möchte zum Schluß der Hoffnung Ausdruck geben, daß es gelingen möge, bei diesem an sich durchaus berechtigten Wunsch nach einer freiheitlicheren Gestaltung und einer gewissen Einschränkung des Beschlagnahmerechts gegenüber der Presse zu einer Lösung zu kommen, die den Interessen des Staatsschutzes, aber auch den Interessen der persönlichen Ehre entsprechend Rechnung trägt. Ich hoffe, daß es gelingt, trotz sich widerstreitender Interessen zu einer Lösung zu kommen, die mit der freiheitlichen Grundordnung und mit den Grundsätzen, die in unserem Grundgesetz aufgestellt sind, in Einklang stehen. ({3})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Welskop.

Dr. Friedrich Welskop (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002470, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Entwurf des Gesetzes zur Ergänzung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, der von der SPD eingebracht worden ist, handelt es sich um drei Tatbestände, die für die Struktur dieser beiden Gesetze von Bedeutung sind. Es handelt sich zunächst darum, daß das Beschlagnahmerecht für periodisch erscheinende Drucksachen abgeändert werden soll. Durch verschärfte Bedingungen soll die Beschlagnahme nicht mehr in dem Umfange wie bisher möglich sein. Zweitens soll allein das Landgericht des Verlagsortes für die Beschlagnahmeverfügung zuständig sein. Schließlich sieht der Entwurf vor, daß eine besondere Beschlußkammer, eine Pressekammer, bei den Landgerichten für die Entscheidung dieser Fragen zuständig sein soll. Wie bereits der Herr Justizminister ausgeführt hat, erhebt sich zunächst die Frage, ob dieser Gesetzentwurf als ein Flickgesetz überhaupt beschlossen werden soll. Der Kollege Dr. Arndt ist ja selber ebenfalls der Ansicht und hat verschiedentlich geäußert, daß man bei den Reichsjustizgesetzen möglichst keine Änderungen vornehmen soll, weil diese Gesetze aus einem Guß sind. Wir haben anläßlich des 75jährigen Jubiläums der Gesetze im vergangenen Jahr besonders darauf hingewiesen, daß die Reichsjustizgesetze insofern einmalige Gesetze sind, als sie aus einem Guß entstanden sind. Das hat zur Folge, daß jede Änderung dieser Gesetze Schwierigkeiten mit sich bringt, weil der ganze Aufbau des Gesetzes dadurch in Frage gestellt werden kann. Auf der andern Seite sind wir aber auch der Ansicht, daß an den Bestimmungen über die Beschlagnahme etwas zu ändern ist. Nach Auffassung der CDU/CSU muß aber - das ist für uns ausschlaggebend - mit einer Änderung der Bestimmungen unbedingt der Ehrenschutz in Verbindung gebracht werden. ({0}) Eine Demokratie kann nicht ohne Pressefreiheit leben; davon sind wir alle überzeugt. Aber die Pressefreiheit hat ihre Grenzen, ({1}) wie es ausdrücklich in Art. 5 des Grundgesetzes festgelegt ist, in den Schranken der allgemeinen Gesetze und in dem Recht der persönlichen Ehre. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß der Ehrenschutz bei uns nicht derartig ausgebaut ist, wie es in einer Demokratie notwendig wäre, und daß deshalb der Ehrenschutz unbedingt in Verbindung mit dieser Gesetzesänderung gesetzlich geregelt werden muß. Ich glaube, wir alle in diesem Hause sind darüber einig, daß der Ehrenschutz verstärkt werden muß. Diese Frage wird in den Beratungen über den Gesetzentwurf ganz in den Vordergrund gestellt werden müssen. Sobald der Ehrenschutz sichergestellt ist, wird auch darüber zu reden sein, daß das Beschlagnahmerecht eingeschränkt wird. Man kann daran denken, daß nicht ein Tatverdacht, sondern nur ein unbedingt dringender Tatverdacht genügt, wie das auch in anderen Bestimmungen, bei der Verhaftung durch den Amtsrichter, vorgeschrieben ist. Nun zu den einzelnen vorgeschlagenen Bestimmungen. Zu Art. 1 Ziffer 1 des Entwurfs wird in den Ausschußsitzungen unbedingt darüber zu beraten sein, wie der Relativitätsgedanke durchgeführt werden kann. Es wird nicht einfach sein, und wir werden sehr darüber zu beraten haben, wie wir ganz klare Bestimmungen für den Richter ausarbeiten können. ({2}) Zu Ziffer 2 ist darauf hinzuweisen, daß es nicht möglich erscheint, nur das Landgericht des Verlagsortes bzw. des Erscheinungsortes - ich könnte mir denken, daß Herr Kollege Dr. Arndt auch daran gedacht hat, nicht den Verlagsort, sondern den Erscheinungsort zu nehmen, weil der einfacher festzustellen ist - zuständig zu machen. Der Herr Justizminister hat mit Recht schon darauf hingewiesen, daß es nicht möglich erscheint, z. B. den Bundesgerichtshof auszuschließen. Meines Erachtens ist es aber auch nicht zweckmäßig, das Amtsgericht in kleineren Sachen auszuschließen, in denen das Amtsgericht in letzter Instanz bzw. als erkennendes Gericht zu entscheiden hat. Auch darüber wird also sehr zu debattieren sein. Was die Schaffung von Pressekammern anlangt, so bin ich - auch da in Übereinstimmung mit dem Herrn Justizminister - der Ansicht, daß das nicht möglich erscheint. Ihre Schaffung würde unbedingt an dem Aufbau unserer Strafprozeßordnung rütteln. Die Strafprozeßordnung kennt keine Strafgerichte, in denen Angehörige des Berufs darüber zu entscheiden haben, ob ein Berufsangehöriger gefehlt hat oder nicht. Wir haben außer den Berufsrichtern Schöffen und Geschworene, die aber vom Volke selbst in dieses Amt berufen werden. Es wäre meines Erachtens ein Rückfall in vergangene Jahrhunderte, wenn man ein derartiges Ständegericht aufbauen würde. Die Hinzuziehung von Berufsgenossen ist gerechtfertigt bei Ehrengerichten. In Ehrengerichten ist sie auch allgemein üblich; da entscheidet der Berufsgenosse darüber, ob der Berufsgenosse gefehlt hat oder nicht. Hier handelt es sich aber um Straftatbestände nach dem Strafgesetzbuch, und darüber können nur der ordentliche Richter und auch die ordentlichen Laienrichter entscheiden. Wie Sie sehen - ich will mich mit Rücksicht auf die Zeit kurz fassen -, enthält dieser Entwurf alle möglichen Probleme, die in der Ausschußberatung möglichst geläutert werden sollen. Ich beantrage daher namens der CDU/CSU Verweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films und auch an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung. ({3})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.

Dr. Dr. h. c. Ferdinand Friedensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000587, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier noch jemand von der Christlich-Demokratischen Union das Wort ergreift, der nicht beruflich mit der Rechtspflege zu tun hat, so bitte ich, darin ein besonderes Anerkenntnis meiner Freunde zu sehen, wie sehr uns das Anliegen interessiert und bewegt, das von den sozialdemokratischen Kollegen hier vorgetragen worden ist. Grundsätzlich sind wir mit dem Herrn Justizminister und mit Ihnen, Herr Kollege Arndt, über die Dringlichkeit und die Notwendigkeit einer Regelung dieser Materie wohl völlig einig, und es bedarf hierzu keiner weiteren Ausführungen. Man kann sogar fragen - und ich würde diese Frage noch nicht unbedingt verneinen wollen -, ob nicht die Dringlichkeit so groß ist, daß wir schon vor der Inangriffnahme der allgemeinen Straßprozeßreform zu einer Neuregelung kommen sollten. Die Gründe, die Kollege Welskop dagegen angeführt hat, sind ja sehr wichtig und ernst zu nehmen. Aber wenn sich das Verfahren, das wir in den letzten Jahren kennengelernt haben, mit diesen rasch ergehenden gerichtlichen Beschlagnahmeverfügungen, mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen, erst einmal herumspricht und verbreitet, so kann das unter Umständen Konsequenzen haben, die wir nicht mehr verantworten können. Es wird deshalb sehr ernst zu fragen sein, ob nicht eine gewisse Reform vorweggenommen werden sollte. Vielleicht kann uns der Herr Justizminister sagen, wie bis zum Inkrafttreten der Reform sonst etwa für Abhilfe gesorgt werden könnte. Nach einer Auskunft, die wir im Arbeitskreis bekommen haben, soll ja nur die Hoffnung bestehen, daß die neue Strafprozeßreform noch im Rahmen der jetzigen Wahlperiode erledigt werden wird. Diese Hoffnung erscheint mir reichlich vage. Es würde also jedenfalls noch eine Reihe von Jahren dauern, und ich muß den sozialdemokratischen Antragstellern zugeben, daß es ein wenig gefährlich erscheint, so lange Zeit mit einer von uns für dringlich und notwendig gehaltenen Reform zu warten. In der Bejahung des Grundsatzes der Pressefreiheit sind wir wohl alle einig. Dazu muß aber noch etwas gesagt werden. Man hört das Wort Pressefreiheit allmählich so oft, daß dieser Begriff anfängt, etwas inhaltlos zu werden. Es geht so wie mit der Demokratie oder dem öffentlichen Interesse und mit allen möglichen schön klingenden Grundsätzen: sie werden allmählich so abgegriffen, daß der verpflichtende Charakter nicht mehr richtig erkannt wird. Soviel die Pressefreiheit zitiert wird und soviel sie auch grundsätzlich bejaht wird, so erleben wird doch immer wieder, daß der Betreffende, der das eben noch ausgesprochen hat, sehr rasch von den Grenzen der Pressefreiheit zu sprechen anfängt, wenn die Presse irgend etwas tut, was ihm nicht behagt. Freiheit und insbesondere die Pressefreiheit fängt überhaupt erst da an, wo ich der Presse gestatte, Dinge zu sagen, die mir nicht gefallen. Jede andere Berufung auf die Pressefreiheit ist leeres Gerede. Gerade in dem Komplex, der durch den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion angesprochen wird, liegt für die nicht zu eng aufgefaßte Pressefreiheit ein großer praktischer Wert. In den Fällen, um die es sich hier handelt, haben wir es doch erlebt, daß die Presse - und nicht einmal die besonders seriöse Presse - die letzte Zuflucht des beunruhigten Staatsbürgers gewesen ist, wenn sich infolge besonderer Verfilzung behördlicher und politischer Interessen jeder gescheut hat, Mißstände, die in der ganzen Stadt bekannt waren, beim Namen zu nennen, und wenn nur in der Presse noch die Notwendigkeit einer Reinigung ausgesprochen worden ist. Das ist ein so dringendes und wichtiges Anliegen, daß wir uns hüten sollten, allzu engherzig vorzugehen. Es ist wirklich auch in unser aller Interesse sehr mißlich, wenn deshalb, weil die Presse, wie das bei solchen Gelegenheiten fast unvermeidlich ist, irgendeine tatsächliche Einzelheit in einem Riesenkomplex nicht mit der letzten Beweisbarkeit ausgesprochen hat oder weil irgendein Wort, irgendeine Silbe nicht sorgfältig genug formuliert worden ist, eine Handhabe entsteht, um die ganze Aktion abzuwürgen und damit eine notwendige Reinigung zu unterbinden. Also wir sind uns über die Schwierigkeit und die Empfindlichkeit dieses Problems mit den sozialdemokratischen Kollegen, glaube ich, ganz einig, ({0}) und sie dürfen da unserer Unterstützung in der weiteren Bearbeitung gewiß sein. Bezüglich der formellen Erledigung allerdings kann ich dem Entwurf nicht recht folgen. Zunächst einmal hat sich ein gut Teil der praktischen Beschwerden aus der letzten Zeit gar nicht auf die strafprozessuale, sondern auf die zivilprozessuale Regelung bezogen, nämlich indem jemand einstweilige Verfügungen des Amtsgerichts zur Beschlagnahme erwirkt und damit sehr weitreichende Wirkungen ausgeübt hat. Ich glaube also, wir sollten uns für die Behandlung im Ausschuß, die ja wohl gesichert ist, vornehmen, auch die zivilprozessuale Seite von vornherein einzubeziehen; denn es ist jetzt ja jederzeit möglich, auf die einstweilige Verfügung auszuweichen, um das durchzuführen, was wir verhindern wollen. Ich bin mit dem Herrn Minister und meinem Kollegen Welskop völlig einig in der Ablehnung der Sonderkammern. Ich glaube, es sollte unser aller Anliegen sein, daß die Gerichtsbarkeit nicht etwa dem Volke dadurch entfremdet wird, daß man überall besondere Sachverständige, besondere Fachleute einsetzt. Wenn wir den Schöffen und den Geschworenen zumuten, komplizierte Verkehrsunfälle oder schwierige ärztliche Kunstfehler zu beurteilen, dann müssen sie imstande sein, auch in solchen Pressefragen zu urteilen. Es ist, glaube ich, dringend notwendig im Interesse einer demokratischen Rechtspflege, daß wir nicht den Eindruck erwecken, als ob bestimmte Dinge nur von Standesgenossen erledigt werden könnten. Wir wünschen allerdings - und das möchte ich durchaus auch im Einvernehmen mit meinem Kollegen Welskop betonen -, daß die Frage nun nicht lediglich unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit behandelt wird. Ich habe meine Auffassung von der Pressefreiheit deshalb so klar und scharf vorangestellt, um nun diese zusätzliche Forderung um so nachdrücklicher begründen und verantworten zu können. Der Schutz der persönlichen Ehre ist holdem jetzigen Verfahren tatsächlich nicht ausreichend gewährleistet. Ich will in dieser vorgerückten Stunde nicht lange eigene Erfahrungen hier vortragen. Der jetzige Zustand geht einfach nicht so weiter. Man ist tatsächlich vogelfrei, besonders wenn man im öffentlichen Leben steht. Es handelt sich nicht so sehr um strafrechtliche Bestimmungen als um die strafprozessualen Bestimmungen. Wenn nämlich wegen irgendeiner öffentlichen Beleidigung in der Presse oder in einem Flugblatt bestenfalls nach einem halben Jahr ein richterliches Verfahren erwirkt werden kann, dann ist längst alles vergessen. Die ungünstigen Wirkungen sind eingetreten, und es ist wertlos, unter diesen Umständen ein Strafverfahren überhaupt noch weiterführen zu wollen. Wir halben den Wunsch - ich spreche das ausdrücklich auch im Namen meiner politischen Freunde aus -, daß bei der Behandlung dieses Entwurfs auch die Verbesserung der Strafverfahren zum Schutz der persönlichen Ehre Gegenstand der Beratung wird. Mit dem Herrn Minister sind wir ferner einig, daß auch die freiheitliche Rechtsordung, unsere demokratische Verfassung geschützt werden muß. Ich meine allerdings, daß das nicht so sehr die Aufgabe des Strafrechts und des Strafprozesses ist. Ich lege immer Wert darauf, auf den Art. 18 unseres Grundgesetzes hinzuweisen, von dem wir bisher leider noch nicht praktischen Gebrauch gemacht haben. Das ist der Artikel, wonach demjenigen, der die freiheitliche Rechtsordnung mißbraucht, um die freiheitliche Rechtsordnung des Staates zu untergraben, durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Berufung auf die freiheitliche Rechtsordnung untersagt werden kann. Ich glaube, das ist ein viel wirksamerer und viel gründlicherer Schutz als die Möglichkeit irgendeines strafrechtlichen Einschreitens. Ich möchte zur Ergänzung dessen, was schon gesagt ist, nicht unerwähnt lassen, daß wir auch den Schutz des natürlichen Schamgefühls auf diesen Gebieten wünschen. Auch das wird sorgfältig in der Beratung zum Ausdruck kommen müssen. Ich lasse es dahingestellt, ob wir mit der Neuregelung bis zur allgemeinen Strafrechtsreform warten können. Ich habe den Eindruck, daß das nicht gut geht und daß die Dinge jedenfalls mit großer Gründlichkeit und mit großem Ernst beraten werden müssen. Wir wünschen, daß die Pressefreiheit, deren Wert von uns allen anerkannt wird, nicht durch voreilige und einseitige Ausnutzung des jetzigen Rechts ernstlich beeinträchtigt wird. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.

Dr. Alfred Gille (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000681, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl nicht zu bestreiten, daß bei der Handhabung des Beschlagnahmerechts Mißbräuche möglich sind und auch vorgekommen sind. Ich meine nur, wir sollten uns beim Ausgangspunkt unserer Überlegungen hüten, diese vorgekommenen einzelnen Mißbräuche zu schnell zu verallgemeinern. Der Ausschuß wird also sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob es sich tatsächlich um bedauerliche Einzelfälle handelt oder ob der Mißbrauch schon langsam zu einer Verwaltungsübung oder Gerichtsübung geworden ist. Wenn aber solche Mißbräuche vorgetragen werden können, und wenn die Nachprüfung ergibt, daß sie tatsächlich so gewesen sind, dann sollte der Gesetzgeber nicht warten, bis eine allgemeine Neuordnung und Reform des Strafprozeßrechts, vielleicht sogar des Strafrechts möglich ist, sondern zumindest sehr ernsthafte Erwägungen sofort anstellen. Meine Freunde werden deshalb der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen. Es handelt sich um ein Gebiet, auf dem verschiedene Interessen einander gegenüberstehen: auf der einen Seite das Recht der Pressefreiheit, auf der anderen Seite einmal der Schutz der staatlichen Ordnung, zum anderen der persönliche Ehrenschutz. Was das erste Gebiet anlangt, die Gegenüberstellung des Rechts der Pressefreiheit auf der einen Seite und des Schutzes der staatlichen Ordnung auf der anderen Seite, sind wir der Auffassung, man sollte unter allen Umständen vermeiden, den Schutz der staatlichen Ordnung durch Änderungen des Beschlagnahmerechts etwa in seiner Wirkung zu schwächen. Ich habe nicht den 'Eindruck, daß die Antragsteller gerade auf diese Frage abzielen, und wir stimmen mit den Antragstellern da durchaus überein. Zur Frage des Ehrenschutzes stimme ich dem ersten Redner der CDU voll zu, daß eine Lösung nur gefunden werden kann, wenn man gleichzeitig mit einer Auflockerung der Bestimmungen des Beschlagnahmerechts unter allen Umständen eine Verstärkung des Ehrenschutzes in 'Betracht zieht. ({0}) ({1}) Die harten Möglichkeiten des Beschlagnahmerechts, seine wirtschaftlichen Auswirkungen haben in der Praxis eine sehr, sehr abschreckende Wirkung. Der !beteiligte Journalist - und vielleicht noch mehr der Verlag - wind sich angesichts der unerhörten wirtschaftlichen Auswirkungen sehr genau überlegen, ob er es riskieren soll, eine Beschlagnahme über sich ergehen zu lassen. Diese abschreckende Wirkung kann man nicht einfach wegfallen lassen. Man sollte überlegen, ob sie an einer anderen Stelle eingebaut werden kann. Dazu möchte ich auf eine Einrichtung im englischen Rechtsleben verweisen. Ich habe den Eindruck, der Ehrenschutz weist im deutschen Recht insofern eine Lücke auf, als :etwaige Schadensersatzansprüche, die der Betroffene hinterher geltend machen will, außerordentlich schwer realisierbar sind. ({2}) Man wind im Einzelfall konkret nachweisen müssen, wo ein Schaden entstanden ist und wie hoch er ist. In England braucht der konkrete Nachweis des Schadens bei Ehrverletzungen durch die Presse nicht erbracht zu werden, sondern das Gericht ist in der Lage, angesichts der Schwere des Tatbestandes einen so hohen Schadensersatz - der schon mehr als Sühne oder als Buße zu bezeichnen wäre - festzusetzen, daß der Verlag und der beteiligte Journalist sich sehr genau überlegen werden, ob sie bei dem Gebrauch des Rechts der Pressefreiheit auch diese schweren wirtschaftlichen Folgen richtig bedacht haben. ({3}) Wir sollten also vielleicht im Zusammenhang mit der Auflockerung des Beschlagnahmerechts - der wir durchaus freundlich gegenüberstehen - diese Ergänzung durch einen wirkungsvollen Ehrenschutz als abschreckende Wirkung gegen eine mißbräuchliche Ausnutzung des Rechts der Pressefreiheit beachten und dabei einbauen. -Für eine Sonderkammer können auch wir uns nicht erwärmen; ich glaube aber auch nicht, daß das das eigentliche Anliegen der Antragsteller ist. Diese Frage wird sicherlich in den zuständigen Ausschüssen zwecks Erzielung einer Übereinstimmung gemeinsam erörtert werden können. Wir iwerden den Anträgen auf Überweisung an die Ausschüsse zustimmen. ({4})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({0}).

Fritz Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000126, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei unterstützt den Antrag, den vorliegenden Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu überweisen. Wir sind davon überzeugt, daß der Rechtsausschuß zu dem Ergebnis kommen wird, daß die hier vorgeschlagene Neueinführung einer Art Kollegialgericht, in dem zwei Presserichter tätig sein sollen, dem Hohen Hause nicht zu empfehlen ist. Ich darf aus diesem Anlaß sagen, daß die Fraktion der Deutschen Partei grundsätzlich auf dem Standpunkt steht, möglichst die Sondergerichtsbarkeit, wenn ich es so ausdrücken darf, nicht lauszuweiten. Wir glauben vielmehr, daß es dem Rechtsleben dienlich isst, wenn das Gerichtsverfassungsgesetz in seinen Grundzügen erhalten bleibt und wenn in den jeweiligen verschiedenen speziellen Fällen wirklich der unabhängige Richter mit der entsprechenden Vorbildung das letzte Wort zu sprechen hat. Es ist hier von allen Seiten zum Ausdruck gekommen, daß bezüglich des Beschlagnahmerechts eine Änderung wünschenswert ist. Aus diesem Grunde muß der Antrag der SPD begrüßt werden, namentlich die Ziffer 2 des Art. 1. Der Herr Bundesjustizminister hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, auf die vielleicht nicht beabsichtigten Folgen, die daraus entstehen könnten, wenn einzig und allein das für den Verlagsort, an dem das jeweilige Presseerzeugnis erscheint, zuständige Landgericht die Beschlagnahme anordnen kann. Aber daß die jetzt bestehenden Bestimmungen nicht ausreichen, wird wohl die allgemeine Meinung des Hauses sein. Trotzdem darf ich auf folgendes hinweisen. Wie auch immer im Vorgriff auf die allgemeine Strafrechtsreform dieses Problem geregelt werden muß, wie auch immer in Zukunft das Beschlagnahmerecht geregelt werden wird und zu welchen Ergebnissen der Rechtsausschuß und die mutberatenden Ausschüsse auch kommen werden: eine endgültige Beruhigung auf dem Gebiet des öffentlichen Pressewesens werden wir nicht erreichen, wenn nicht die Presse selbst ihre eigenen Angelegenheiten durch eine Selbstkontrolle, etwa in der Art der Filmselbstkontrolle, in die Hand nimmt. Denn es gibt doch Tatbestände, die durch gesetzliche Bestimmungen des Strafrechts nur schwer geahndet werden können. Von verschiedenen meiner Vorredner ist auf den persönlichen Ehrenschutz und auf seinen Ausbau hingewiesen worden. ,Demgegenüber darf ich sagen, daß es bestimmte Anwürfe gibt - gerade für Menschen, die im politischen Leben stehen -, die auch durch einen solchen Ehrenschutz nicht ausgeschaltet werden können. Ich denke dabei z. B. insbesondare an gewisse Berichte kommunistischer sogenannter Volkskorrespondenten in ihrer Zeitung, die es sehr geschickt verstehen, Wahrheit und Lüge zu mischen und politische Verdächtigungen auszustreuen, gegen die sich dann der jeweilige Politiker nicht wehren kann, auch nicht wehren könnte, wenn der persönliche Ehrenschutz welter ausgebaut würde. Wenn auch die kommunistische Presse im Bundesgebiet weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheint, so ist doch festzustellen, daß böse Beispiele gute Sitten verderben, und es wäre wünschenswert, wenn man bestimmten Auswüchsen, denen man auf gesetzlicher Grundlage nicht entgegentreten kann, durch Selbstkontrolleinrichtungen der Presse entgegenwirken könnte. Ich erinnere z. B. daran, daß der Bundesregierung nichts anderes übrig blieb, als bestimmte Verleger darauf aufmerksam zu machen, daß es außenpolitisch störend und außerdem taktlos ist, jene Berichte über das niederländische oder persische Königshaus weiterhin zu veröffentlichen, die doch ganz zweifelsfrei keinem politischen Interesse irgendwelcher Art dienten, sondern auf die reine Sensationsgier der Leser abgestellt waren und zudem noch Unwahrheiten servierten. Das ist beschämend nicht für die Bundesregierung, sondern für die betreffenden Verleger und den Stand der Verleger und Journalisten überhaupt. Wenn - das darf ich zum Abschluß sagen - dem ursprünglichen Entwurf des deutschen Journalistenverbandes über einen ins Leben zu rufen({0}) den Presserat steht, seine .Aufgabe sei, 1. für ein der öffentlichen Aufgabe der Presse entsprechendes Niveau zu wirken und 2. Mißstände in der Presse zu beobachten und als solche zu kennzeichnen, so sind das Aufgaben, die Gerichte wahrhaftig nicht übernehmen können. Das Beschlagnahmerecht, wie es auch immer geregelt werden wird, muß also unbedingt -das ist unsere feste Auffassung -seine Ergänzung linden durch eine entsprechende Selbstkontrolleinrichtung der Presse selber. Beifall bei der DP.)

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000288, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wesentliche zu dem Problem- ist gesagt, und es ist von allen Seiten des Hauses zum Ausdruck gekommen, daß man grundsätzlich mit dem Antrag der SPD einverstanden ist. Ich darf auch namens der FDP erklären, daß wir diesen Antrag aufs wärmste begrüßen, da uns an der Pressefreiheit als einem wichtigen Grundrecht sehr viel gelegen ist. Gerade deshalb muß ich mich aber gegen zwei Gedanken des Herrn Kollegen Gille wenden, in denen mir ein gewisser bedenklicher Unterton mitzuschwingen schien. Er sagte, man müsse prüfen, ob es sich bei den vorgekommenen Verstößen um Einzelfälle gehandelt oder ob sich hier schon eine unerfreuliche Verwaltungspraxis herausgebildet habe. Ich halte das nicht für richtig. Die Einzelfälle, die vorgekommen sind - ich denke an den in meiner engeren Heimat -, genügen an sich schon, die Behauptung zu erhärten, sie seien bedenklich, und wir müssen hier nach dem Wort handeln „principiis obsta!", das ja heutzutage oft übersetzt wird: „Kümmere dich nicht um die Grundsätze!", das aber in Wirklichkeit heißt: „Widerstehe den Anfängen!" Weiter haben Sie, Herr Kollege, von der abschreckenden Wirkung dieser Beschlagnahmen gesprochen. Von einer abschreckenden Wirkung kann und soll man aber nur sprechen bei Strafen, nicht dagegen bei vorbeugenden, sichernden Maßnahmen. Es liegt sonst etwa auf derselben Linie wie die Praxis, die leider manche Richter haben, die ganz offen erklären, eine Verhaftung diene nicht zuletzt auch dazu, die Herbeiführung eines Geständnisses zu beschleunigen. ({0}) Im übrigen stimmen wir den Gedanken zu; die von den Kollegen Welskop und Friedensburg ausgesprochen worden sind, wonach hier natürlich zwischen Presseschutz und Ehrenschutz abgewogen werden muß, allerdings weniger in einem materiellen Sinne - denn materiell sind diese beiden Anliegen gleichberechtigt - als im Sinne der Frage: Wer hat darüber zu entscheiden? Deshalb begrüße ich persönlich besonders den Vorschlag, daß hier das Landgericht am Verlagsort und nicht ohne weiteres jeder Amtsrichter zuständig sein soll. Den anderen Vorschlag, eine eigene Pressekammer zu errichten, halte allerdings auch ich aus den . Gründen, die der Herr Bundesjustizminister angeführt hat, nicht für glücklich. Wir von der FDP stimmen deshalb der beantragten Ausschußüberweisung zu.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung zu Punkt 5. Es liegt vor ein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - federführend - und weitere Überweisung an dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Ides Filins sowie an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; die Überweisung ist beschlossen. Ich rufe auf Punkt 6: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung deutsch-österreichischer Staatsangehörigkeitsfragen ({0}). Ich eröffne die Beratung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung - federführend -, den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und den Ausschuß für Heimatvertriebene zur Mitberatung. Ist das Haus einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt. Ichrufe auf Punkt 7 der heutigen Tagesordnung: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ruhnke, Schwann, Geiger ({1}), Elsner und Genossen betreffend Bundeswasserrecht ({2}). Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags dem Abgeordneten Ruhnke. Ruhnke ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache 561 ist Ihnen bereits vor den Parlamentsferien zugegangen. Die Antragsteller - ich möchte betonen, daß es sich um einen interfraktionellen Antrag handelt, der von den Mitgliedern der interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft aus allen Fraktionen dieses Hauses unterschrieben worden ist - hatten damit gerechnet, daß dieser Antrag kurzfristig zur Verabschiedung kommt, da das ganze Wasserproblem äußerst vordringlich ist. Unter den natürlichen Hilfsquellen der Erde spielt das Wasser eine entscheidende Rolle. Einwandfreies Wasser ist Mangelware geworden. Daran hat auch der viele Regen des vergangenen Jahres nichts geändert. Nach einer kurzen Trockenperiode würde das Wasserproblem erneut schwierig zu lösen sein. Die Verschmutzung des Oberfächenwassers - also der Flüsse und der Seen - nimmt ständig zu. Wasser ist aber nicht nur als Trinkwasser für die Bevölkerung so bedeutsam, sondern auch als Brauchwasser für die Landwirtschaft, für die Indu - strie und für das Gewerbe. Es ist wohl verständlich, daß das Problem „Wasser" heute in aller Munde ist. Das Gesamtproblem kann aber nach der Meinung der interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft nur gelöst werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt werden. Erstens: Das Wasserrecht muß neu und besser geregelt werden. Zweitens: Das Problem der Zuständigkeit in wasserwirtschaftlichen Fragen im Bundeskabinett muß ebenfalls geregelt werden. Drittens: Das finanzielle Problem der Abwasserwirtschaft und der Wasserversorgung muß einer ganz klaren Regelung zugeführt werden. Die erste Frage des Wasserrechtes ist in Drucksache 561 angesprochen, die Ihnen ja vorliegt. ({4}) Nun zum zweiten Punkt! Wir haben durch die Presse erfahren, daß das Bundeskabinett gestern beschlossen hat, den - ich darf wohl sagen - Wassermann Kraft zum „Wasserminister" zu machen. ({5}) Hierzu darf ich folgendes sagen: Die interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft war und ist nicht für die Schaffung eines neuen Ministeriums oder eines „Reichsinspektors für Wasser und Energie" seligen Angedenkens, ({6}) sondern sie ist der Ansicht, daß auf das schon Bestehende aufgebaut werden muß und daß hier durchaus eine Möglichkeit besteht, die Dinge voranzutreiben. Interessant ist, daß die interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft im Mai vorigen Jahres auf Anregung verschiedener Mitglieder eine Sondersitzung abgehalten hat, um mit den Ministerien die Probleme, die hier angedeutet worden sind, zu besprechen. Zuerst hatte man den Eindruck, daß sich alle Ministerien einig waren. Dann aber kam die Spaltung so klar zum Ausdruck, daß die Arbeitsgemeinschaft zu der Ansicht kam, daß eine Koordinierung dieser Fragen dringend erforderlich ist. Wir haben auch gesehen, daß Parallelarbeiten unnötige Kosten verursachen, die vermieden werden müssen. Wie ich schon sagte, wollen wir keinen neuen Apparat, sondern unser Vorschlag ging dahin - wie ich ebenfalls schon gesagt habe -, das Bestehende auszubauen. Wir wollten auch erreichen, daß dafür nicht etwa neue Haushaltsmittel aufgewendet werden. - Nun, wenn es so ist, daß die „kraftlose" Zeit zu Ende ist und eine „kraftvolle" Zeit kommt, würden wir, die wir uns mit diesem Problem befaßt haben, uns freuen. Nun darf ich zum dritten Punkt, ,dem finanziellen Problem der Abwasserwirtschaft und Wasserversorgung, kommen. Dabei muß ich betonen, daß wir - aus welchen Fraktionen wir auch kommen -der Ansicht sind, daß eine Betrachtung dieses Problems unter rein formalen und rein rechtlichen Gesichtspunkten nicht genügt, sondern daß das finanzielle Problem gelöst werden muß, wenn wir unsere Wasserwirtschaft in Ordnung bringen wollen. Es ist ganz klar, daß jeder Tag der Verzögerung weitere erhebliche Kasten verursachen wird. Nun steht ja heute in erster Linie die Gesetzgebung zur Debatte, und da muß ich doch etwas ausholen. In der Bundesrepublik besteht, wenn man von der Wasserverbandsverordnung absieht, kein einheitliches Wasserrecht. Die in Frage kommenden Vorschriften sind in den Wassergesetzen der Länder enthalten. Es handelt sich aber dabei nicht etwa um Gesetze, die von den nach 1945 geschaffenen Ländern erlassen worden sind, sondern um solche der bis 1945 bestehenden Länder, die in den jetzigen fortgelten. In Betracht kommen in der Hauptsache das Preußische Wassergesetz vom 7. April 1913, das Bayerische Wassergesetz vorn 23. März 1907, das Württembergische Wassergesetz vom 1. Dezember 1900, das Badische Wassergesetz vom 12. April 1913 und vom 27. August 1936, das Hessische Dammbaugesetz vorn 14. Juni 1887 und das Hessische Bachgesetz vom 30. Juli 1887 und 30. September 1899. Außerdem bestehen noch für die Gebiete der ehemaligen Länder Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe besondere Gesetze. Nun sind die Gebiete der jetzigen Länder der Bundesrepublik nicht etwa so, daß sie sich mit den Geltungsgebieten der Wassergesetze decken. Die meisten Länder umschließen sogar Gebiete von mehreren Wassergesetzen. Ich denke hier an BadenWürttemberg. Hier gilt badisches, württembergisches, preußisches und hessisches Wasserrecht. In Rheinland-Pfalz gilt z. B. preußisches, bayerisches und hessisches Recht. Wenn wir in den Ländern mit einheitlichem Wasserrecht -das sind Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein - besonders glückliche Verhältnisse haben, so sollen wir uns darüber freuen. Es kann auch nicht behauptet werden, daß die Gesetze alle schlecht wären. Ich muß auch hier wieder, wie ich das schon einmal von dieser Stelle aus getan habe, z. B. das bayerische Wassergesetz loben, das zweifellos außerordentlich gut ist. Aber diese Rechtszerplitterung besteht auch für die Bundeswasserstraßen. Diese sind nach Art. 89 des Grundgesetzes Eigentum des Bundes, der sie durch eigene Behörden verwaltet. Die Landeswassergesetze sind aber für die Bundeswasserstraßen nicht aufgehoben worden. Die Frage, inwieweit nebeneinander Bundesbehörden und die Landesbehörden zuständig sind, ist bisher noch nicht geklärt worden. Darum sind sich die Fachleute einig, daß ein Bundesrahmengesetz geschaffen werden muß. Was ist denn nun in dieser Richtung bisher geschehen? In den Bundesministerien befaßt man sich seit Jahren mit vier Gesetzentwürfen: im Bundesministerium für Wirtschaft mit einem Gesetz zum Schutze des Grundwassers, im Bundesministerium für Verkehr mit einem Gesetz für die Reinhaltung der Bundeswasserstraßen - also nicht sämtlicher Gewässer, sondern nur der Bundeswasserstraßen -, im Bundesministerium des Innern mit einem Gesetz über die gesundheitliche Überwachung von Anlagen zur Trink- und Brauchwasserversorgung und Abwässerbeseitigung und schließlich im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit dem Entwurf eines umfassenden Wassergesetzes, das alle Teilgebiete regeln soll. Die einzelnen Gesetzentwürfe wurden 1952 an die Länder und an die Verbände zur Stellungnahme gegeben. Sehr viele Änderungsvorschläge kamen zurück. Der sehr umfassende Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten soll in Kürze den gleichen Weg gehen. Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß es sich bei dieser Gesetzgebung um sehr schwierige, sehr komplizierte Fragen handelt, besonders auch Fragen, die in privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Beziehung von Bedeutung sind. Wir sind aber der Auffassung, daß nun schleunigst etwas geschehen muß, damit wir aus dem Rechtswirrwarr herauskommen. Im Kabinett hat man sich noch nicht einigen können, ob Einzelgesetze geschaffen werden sollen oder ob ein Gesamtgesetz erlassen werden soll. Die Ministerien arbeiten hier also schon seit Jahren in verschiedener Richtung. Das merkt man auch in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses, und es ist menschlich verständlich, daß die einzelnen Referenten der verschiedenen Ministerien versuchen, jeweils ihren Ausschuß zu ihrer Ansicht zu bringen. Nun, was ist denn auf diesem Gebiete im Bundesrat geschehen? Der Bundesrat hat am 25. April 1952 auf Antrag des Landes Hessen nach eingehenden Ausschußberatungen beschlossen, die Bundes({7}) regierung zu ersuchen, von ihrem Recht zum Erlaß von Rahmenbestimmungen auf dem Gebiete des Wasserhaushaltes gemäß Art. 75 Ziffer 4 baldmöglichst Gebrauch zu machen. Aus der Begründung dieses Antrags und dem Beschluß will ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier kurz vorlesen: Der allseitig gesteigerte Wasserbedarf der Bevölkerung, der Landwirtschaft sowie des Gewerbes und der Industrie macht bei gleichzeitiger Verschlechterung der Beschaffenheit der fließenden Gewässer durch Abwässer und wegen des Absinkens des Grundwasserspiegels eine Neuregelung des gesamten Wasserrechts erforderlich. Die Neuregelung des Wasserrechts setzt auch in der Gesetzgebung eine großräumige Planung über die Ländergrenzen hinweg voraus. Eine beschleunigte Verabschiedung von Rahmenbestimmungen gemäß Art. 75 Ziffer 4 des Grundgesetzes würde daher eine Reihe von Schwierigkeiten, die bei der Neuregelung des Wasserrechts ... auftreten, beseitigen. Das für die Einheit des deutschen Wasservorrats und der deutschen Wasserwirtschaft unbedingt erforderliche Mindestmaß einer einheitlichen Gesetzgebung soll durch die Rahmenvorschriften geschaffen werden. Durch sie wird der Erlaß der sogenannten Notgesetze für die Wasserversorgung und die Abwasserbehandlung unnötig gemacht und die aus solchen Einzelregelungen sich ergebende neue Zersplitterung des Wasserrechts verhindert. Soviel aus der Begründung des Bundesrates. Da aber der Bund von seinem Recht, wasserrechtliche Rahmenbestimmungen zu schaffen, bisher leider keinen Gebrauch gemacht hat, sind die Auswirkungen in den Ländern bereits sichtbar. Hessen hat ein Landeswassergesetz trotz der Dringlichkeit zurückgestellt, weil es immer noch auf den Bund wartet. In einem Antrag, der dem niedersächsischen Landtag von unseren dortigen Kollegen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft vorgelegt wurde, ist ebenfalls betont worden, daß die Bundesgesetzgebung besonders vordringlich ist. Der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat unter dem 12. April 1954 an den Herrn Bundeskanzler geschrieben und ihn auf die Notwendigkeit einer Bundesrahmenwassergesetzgebung hingewiesen. Auch der Herr Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz hat unter dem 24. Mai 1954 an den Herrn Bundeskanzler geschrieben und ihn an den Bundesratsbeschluß vom April 1952, den ich vorhin erwähnte, erinnert. Er ist in einer besonders schwierigen Lage, weil nach einem Landtagsbeschluß ein Wassergesetz für das Land vorgelegt worden ist, das zur Zeit beraten wird. Damit habe ich Ihnen berichtet, was die Bundesregierung, der Bundesrat und die Länder bisher getan haben. Jetzt komme ich zum Bundestag. Im 1. Bundestag wurde unter dem 20. Juni 1951 der Antrag des Abgeordneten Lausen von der SPD eingebracht. Er befaßte sich mit finanziellen Förderungsmaßnahmen für die Wasserversorgung der Länder und Gemeinden. Der Antrag wurde über ein Jahr später, am 20. November 1952, von diesem Hohen Hause verabschiedet. Durchgeführt wurde er nicht. Eins interessiert uns heute in diesem Zusammenhang: daß sich bei der Beratung dieses Antrags der Bundestagsausschuß für Wirtschaftspolitik auch mit der Frage der Wassergesetzgebung befaßt hat. Der Herr Vorsitzende dieses Bundestagsausschusses hat damals, unter dem 20. November 1952, ebenfalls an den Herrn Bundeskanzler geschrieben und ihn im Auftrage des Ausschusses gebeten, so schnell wie möglich rahmengesetzliche Vorschriften auf dem Gebiet des Wasserrechts zu veranlassen. Im 2. Bundestag haben sich auf Grund des Antrags der FDP betreffend Reorganisation des Agrarrechts und der Agrarwirtschaft eine ganze Reihe von Ausschüssen ebenfalls mit der Frage der Wasserwirtschaft und des Wasserrechts befaßt. Der Bundestag klammerte den Punkt Wasserwirtschaft aus diesem FDP-Antrag aus und überwies ihn an eine ganze Reihe von Ausschüssen. So hat der Ausschuß für Wirtschaftspolitik die Dringlichkeit der wasserrechtlichen Fragen erneut besonders betont und sich seines Schreibens an den Herrn Bundeskanzler vom November 1952 erinnert. Auch der Ausschuß für innere Verwaltung hat sich mit dieser Frage befaßt und die Dringlichkeit einer Rahmengesetzgebung hervorgehoben. Das gleiche gilt für den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, für den Verkehrsausschuß und für den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Sie sehen also, meine Damen und. Herren, daß wirklich wichtige Ausschüsse sich mit dieser Frage bereits befaßt und die Dringlichkeit der Rahmengesetzgebung anerkannt haben. Deshalb sind wir der Ansicht - und ich beantrage das hier -, daß dieser Antrag nicht an einen Ausschuß oder an diese Ausschüsse überwiesen werden soll; denn wie ich sagte, haben sie sich ja schon damit befaßt. Wir sollten den Antrag vielmehr in dieser Form annehmen. Damit kommen wir nicht nur den Interessen der Wasserwirtschaft, sondern vor allen Dingen auch den Interessen unserer gesamten Volkswirtschaft entgegen, und das dürfte wohl dem Hohen Hause besonders wichtig sein. ({8})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn Bundesminister Kraft.

Waldemar Kraft (Minister:in)

Politiker ID: 11001191

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung teilt mit den Antragstellern die Überzeugung, der auch der Herr Berichterstatter soeben Ausdruck gegeben hat, daß eine geordnete Wasserwirtschaft ein für die Gegenwart wie für die Zukunft laußerordentlich wichtiges und ernstes Anliegen ist. Sie sieht und würdigt es als ein vielschichtiges, weitverzweigtes Problem, das in seiner Gesamtheit gesehen und gelöst werden muß. Die in den zuständigen Bundesministerien erarbeiteten Gesetzentwürfe werden daher danach zu beurteilen sein, inwieweit sie die anzustrebende Gesamtlösung der wasserwirtschaftlichen ,Angelegenheiten zu fördern geeignet sind. Die Bundesregierung hat sich im Laufe des letzten Jahreseingehend mit den grundsätzlichen Fragen ides Wasserrechts und des Wasserhaushalts befaßt. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eine intensivere Koordinierung der Tätigkeit der beteiligten Ressorts auf breiterer Grundlage als bisher der Sache förderlich sein wird, und hat die entsprechenden Beschlüsse gefaßt, die sich im wesentlichen mit der Anregung decken, die die von ({0}) dem Herrn Kollegen Ruhnke mehrfach zitierte Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft gegeben hat. Angesichts der überragenden Bedeutung der wasserrechtlichen und waserwirtschaftlichen Fragen für die Bevölkerung wie für die Wirtschaft begrüßt die Bundesregierung das große Interesse aller Fraktionen dieses Hohen Hauses tan der Sache, das in dem Antrag Drucksache 561 zum Ausdruck kommt. Die Bundesregierung wird dem Bundestag Gesetzentwürfe zuleiten, sobald die Prüfung der vielseitigen rechtlichen, verfassungsrechtlichen, politischen und sachlichen Möglichkeiten und Erfordernisse beendet ist. Sie hofft, daß das in Kürze der Fall sein wird. Es wird bei der Prüfung dieser Frage vorweg darum gehen, ab die bundesrechtliche Regelung des Wasserrechtes im Sinne eines Rahmengesetzes nach Art. 75 des Grundgesetzes getroffen werden soll oder ob zunächst die von den Bundesministerien für Wirtschaft, für Verkehr und des Innern vorbereiteten Einzelgesetzentwürfe vorgelegt werden sollen.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Geiger ({0}).

Hugo Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000648, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Herr Kollege Ruhnke hat den in Drucksache 561 vorliegenden Antrag eingehend begründet. Ich freue mich, feststellen zu können, daß wir dem Hohen Hause damit einen Antrag vorlegen können, der von allen Fraktionengetragen ist. Der Antrag hat nicht weniger als 47 Unterschriften. Es sind dies die Unterschriften der Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft, die sich zur Aufgabe gestellt haben, die grundsätzlichen allgemeinen Probleme, soweit sie die Wirtschaft und die Lebensbedingungen des Menschen betreffen, zu bearbeiten und das Hohe Haus mit diesen grundsätzlichen Fragen bekanntzumachen. Ich darf aber zu den einzelnen Punkten, die Herr Kollege Ruhnke bereits berührt hat, noch etwas sagen. Zunächst möchte ich ausdrücklich den Wunsch unterstreichen, den Herr Kollege Ruhnke vorgetragen hat, diesen Antrag unmittelbar der Bundesregierung zuzuleiten, ihn also nicht erst wiederum in die Ausschüsse zu verweisen. Die Angelegenheit ist bekanntlich bereits im Bundesrat eingehend behandelt worden, und verschiedene Ausschüsse des Hohen Hauses haben sich in der vergangenen Legislaturperiode mit dieser Materie beschäftigt. Aile sind zu dem Ergebnis gekommen, man sollte die Bundesregierung zur Vorlage der zu erwartenden Rahmengesetze auffordern. Der nun vorliegende Antrag ist daher fast eine Selbstverständlichkeit. Er faßt nur alle diese Wünsche zusammen, über die wir hier nicht mehr zu diskutieren brauchen. Ich kann im Namen meiner Fraktion, der CDU/CSU, sagen, daß wir dem Antrag des Herrn Kollegen Ruhnke, die Drucksache 561 unmittelbar der Bundesregierung zuzuleiten, zustimmen werden. Ich möchte aber doch noch - und dazu veranlassen mich auch die Ausführungen von Herrn Minister Kraft - zu der grundsätzlichen Frage etwas sagen, die Herr Kollege Ruhnke mir zur Erörterung überlassen hat. Das ist die Frage, wie weit eigentlich dieses Rahmengesetz in die Materie eindringen soll. Ich muß mich da einmal auf das Grundgesetz zurückziehen. Im Grundgesetz finden Sie unter Art. 75 - ({0}) - Das Grundgesetz können Sie im Augenblick nicht ändern, heute nicht! ({1}) - Eben! Ich muß mich jedenfalls auf das Grundgesetz zurückziehen, so wie es heute gültig ist. Und so, wie es heute gültig ist, steht in Art. 75, daß der Bund das Recht hat, unter den Voraussetzungen des Art. 72 Rahmenvorschriften zu erlassen über dieses und jenes, und darunter ist auch der Wasserhaushalt erwähnt. Es ist hier also nicht von Rahmenbestimmungen über das Wasserrecht, sondern von Rahmenbestimmungen über den Wasserhaushalt die Rede. Bei Durchsicht der Drucksachen des Parlamentarischen Rates komme ich zunächst einmal zu folgendem Ergebnis: Der Begriff „Wasserhaushalt" ist an und für sich 'kein juristischer Begriff. Er ist - wie will ich sagen? - ein natürlich-technischer Begriff, er ist ein geophysikalischer Begriff, ein biologischer Begriff, aber er ist noch nicht zu einem juristischen Begriff geworden. In den Beratungen über diesen Punkt des Grundgesetztes ist die Begriffsbestimmung auch nicht näher erläutert worden. Aber beim Durchsehen der Arbeiten des Zuständigkeitsausschusses und des Redaktionsausschusses sowie ides Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates komme ich zu dem Ergebnis, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates den „Wasserhaushalt" als einen Teil des gesamten Wasserrechts aufgefaßt haben und aufgefaßt wissen wollten. Somit ist der Sachverhalt völlig klar. Die Bundesregierung wird aus der konkurrierenden Gesetzgebung nicht das Recht herleiten können, das Wasserrecht für das gesamte Bundesgebiet zu regeln, sondern sie kann nur die Fragen des Wasserhaushalts, und zwar in einem Rahmengesetz, regeln. Bei den damaligen Beratungen im Parlamentarischen Rat ist auch mit vollem Bedacht berücksichtigt worden, daß es sich hier, nicht um die eigentlichen rechtlichen Fragen, sondern um die materiellen Fragen, um die Sorge einer Wassernot, handelt. Wir müssen unsere Be-völkerurig rechtzeitig davor schützen, daß sie eines Tages nicht mehrausreichend mit Trink- und Brauchwasser versorgt ist. Die Kurve des Verbrauchs an Trink- und Brauchwasser steigt in einem solchen Maße an, daß wir voraussagen können, wann die Knappheit und die Ratlosigkeit eintreten werden, wenn wir nicht rechtzeitig von Bundes wegen innerhalb eines Rahmengesetzes die nötigen Voraussetzungen schaffen, um dem drohenden Unheil zu steuern. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß es sich hier nur um rahmengesetzliche Bestimmungen handeln kann. Es wäre völlig verkehrt, wenn die neue Stelle, mit der Herr Minister Kraft betraut worden ist und zu der ich Herrn Minister Kraft wirklich von Herzen recht viel Erfolg wünsche, sich ministeriumsähnlich entwickeln zu müssen glaubte. Das würde ich für einen großen Fehler halten. Mit diesem Antrag ist nicht die Absicht verbunden, womöglich ein Wasserministerium ins Leben zu rufen. Nein, wir wollen kein Geld für ein neues Wasserministerium ausgeben. Das Geld, das wir ausgeben, wollen wir für die Wasserwirtschaft ausgeben. In diesem Sinne bitte ich Herrn Minister Kraft, die Arbeiten in der Weise durchzuführen, ({2}) daß der Grundgedanke eines Rahmengesetzes auf dem Gebiete des Wasserhaushalts völlig beachtet wird. Wenn man zu sehr in die Einzelheiten hineingeht und alle Dinge bis in den letzten Winkel von Bonn aus regeln zu müssen glaubt, so ist erstens zu befürchten, daß es unendlich lange dauern wird - wie auch Herr Kollege Ruhnke zum Ausdruck gebracht hat -, bis wir wirklich zu einer praktischen Arbeit kommen, und zweitens, daß letzten Endes in vielen Gebieten unseres Vaterlandes die Dinge dann schlechter geregelt sein werden, als sie bisher geregelt sind. Dieser Antrag ist vielleicht ein Antrag, der nicht nur das Bundesgebiet interessiert. Ich bin davon überzeugt, daß wir uns vielleicht schon verhältnismäßig bald auf einer internationalen Basis mit der Frage des Wasserhaushalts werden beschäftigen müssen. Ich sehe voraus, daß das Rahmengesetz, das wir nun für unser Bundesgebiet erwarten, sehr bald ein Teil eines internationalen, eines europäischen Gesetzes oder vielleicht eines Gesetzes sein wird, das auf den verschiedenen Stromgebieten Europas ,aufgebaut ist. Denn die Fragen des Wasserhaushalts sind heute geographisch nicht mehr rein lokal, sie sind weitgehend auf ein großes Gebiet ausgedehnt und werden immer größere und größere Flächen umfassen. ({3}) Es ist interessant, unser Nachbarland Schweiz anzusehen. Sie wissen, es ist bestimmt ein Land, das auf die föderale Gesetzgebung sehr achtgibt. In der Schweiz ist die Bundesregierung in Bern durch ein Volksbegehren aufgefordert worden, gleichfalls ein solches Rahmengesetz zu erlassen, um den einzelnen Kantonen die Möglichkeit zu geben, in der praktischen Bewältigung der Fragen des Wasserhaushalts zusammenzuwirken. So ist also in der Schweiz ein Parallelfall gegeben. Ich darf jetzt noch - viielleicht ist das als Abschluß ganz interessant - eine kleine geschichtliche Reminiszenz erwähnen, die mir vor kurzer Zeitaufgefallen ist. Tim alten Ägypten vor Tausenden von Jahren bestanden ja gleichfalls schon die gro ßen Probleme der Wasserversorgung, der Wasserwirtschaft und des Wasserhaushalts. In einer Epoche dieser Zeit, so lese ich in einer geschichtlichen Darstellung, waren nicht weniger als neun Zehntel aller bekannten Gesetze reine Wassergesetze. Immerhin ganz interessant! Dieser kleine geschichtliche Rückblick in eine alte, alte Zeit sollte uns den Mut geben, uns heute ernstlich zu befleißigen, der Not zu steuern, die sich ergeben könnte, wenn wir dieses Problem heute nicht mit voller „Kraft" in Angriff nehmen. Medial" bei der CDU/CSU.)

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Geiger hat es in einem Teil seiner Ausführungen für notwendig gehalten, darauf hinzuweisen, daß der Bund nach Art. 75 des Grundgesetzes nur eine beschränkte Gesetzgebungsbefugnis hat. Im anderen Teil aber hat er .auf die Notwendigkeit einer großräumigen Regelung dieser Problematik hingewiesen. Er hat ja sogar von Europa, von kontinentalen Regelungen gesprochen oder hat diesen Gedanken wenigstens anklingen lassen. Man könnte hier zu der Aufforderung kommen: „Erkläret mir, Graf Örindur, diesen Zwiespalt der Natur!" Aber da liegt ja die eigentliche Problematik; und ohne hier in die Sache näher einsteigen zu wollen, darf ich sagen, daß wir dann, wenn wir uns schon über den materiellen Inhalt eines Wasserrechts unterhalten, Wert darauf legen, daß ein funktionierendes Wasserrecht gestaltet wird. Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den uns vorliegenden Antrag. Wir bedauern, daß der Antrag überhaupt notwendig war. Es ist bezeiennend, daß der Herr Kollege Geiger hier gesagt hat: Dieser Antrag sagt ja eigentlich etwas Selbstverständliches aus, und er erhebt eine selbstverständliche Forderung. Meine Damen und Herren, wir beklagen, daß die Bundesregierung es bisher nicht für notwendig gehalten hat, diese hier für selbstverständlich erachtete Neuregelung dem Hohen Hause in Form konkreter Gesetzentwürfe zu unterbreiten. Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung Selbstverständlichkeiten - ich beziehe mich auf die Ausführungen des Kollegen Geiger - nicht zu erkennen vermag. Wir bedauern auch, daß die Bundesregierung - das ergab sich aus dem Leidensweg der verschiedenartigen Anregungen, der von dem Kollegen Ruhnke geschildert worden ist - nun schon seit Jahren auf der Stelle tritt. Wir betrachten dieses Aufderstelletreten als symptomatisch, als einen charakteristischen Ausdruck der Indifferenz auch des Herrn Bundeskanzlers gegenüber den Problemen der Innenpolitik. ({0}) - Ja, meine Damen und Herren, Sie haben doch den Streit um die Koordinierung und die Federführung gehört, den kennen Sie ja alle. Derjenige, der auf Grund der Geschäftsordnung des Kabinetts einen derartigen Streit zu lösen hat, ist doch der Herr Bundeskanzler; und wenn da nichts geschehen ist, dann ist das nichts anderes als ein Ausdruck der Indifferenz des Herrn Bundeskanzler gegenüber den Problemen der Innenpolitik, auch wenn Sie „oho" rufen. ({1}) Diese Untätigkeit, dieses Aufderstelletreten ist gleichzeitig ein Ausdruck der bisherigen Saumseligkeit der gesamten Bundesregierung. ({2}) Diese Saumseligkeit ist zwar nicht entschuldbar, aber sie ist erklärlich. Es gibt dafür eine Erklärung. Die Regelungen, die hier getroffen werden müssen, berühren die verschiedenartigsten Interessen. Die verschiedenartigsten Gruppen sind hier interessiert, und es ist nun. einmal eine Realität der Politik in dieser Bundesrepublik, daß die Regierung und auch die Regierungsparteien Gefangene der verschiedenartigen sich bekämpfenden Interessengruppen sind. ({3}) Daher kommt es, daß dieser Knoten bisher nicht durchgehauen werden konnte. Schließlich verdanken Sie die politische Existenz Ihrer Parteien in starkem Maße der Tatsache, daß sie von irgendwelchen Interessentengruppen getragen sind. ({4}) ({5}) - Das müssen Sie erst einmal näher darlegen! ({6}) - Dafür sind Sie den Beweis schuldig, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, diese Saumseligkeit hat ihre Erklärung weiterhin - das ging aus den Ausführungen hier hervor - im Kampf der verschiedenen Ressorts. ({7}) - Ich habe in der Richtung zu Beginn meiner Ausführungen eine Andeutung gemacht. Nun hat gestern das Bundeskabinett eine Entscheidung :getroffen. Es hat den Beschluß gefaßt, den Herrn Bundesminister für besondere Aufgaben - man Ist versucht, zu sagen: den Herrn Bundesminister ohne besondere Aufgaben - Kraft damit zu beauftragen, den Vorsitz in dem interministeriellen Ausschuß zu übernehmen. Es ist bezeichnend - und es ist vielleicht ein dem Grundsatz nach begrüßenswerter Effekt des vorliegenden Antrags -, daß sich das Kabinett gestern endlich zu einem Beschluß durchgerungen hat. Wir sind natürlich mit dem Inhalt dieses Beschlusses in keiner Weise einverstanden. ({8}) - Lachen Sie nicht! Ich werde Ihnen meine Gründe gleich nennen. Die Übertragung eines so wichtigen Aufgabengebiets auf den Herrn Bundesminister ohne besondere, - mit besonderen Aufgaben Kraft ist nichts anderes als ein Versuch, das Problem mit einem untauglichen Ministerium und mit einem untauglichen Minister zu lösen. ({9}) Es ist ein Versuch, - ({10}) - Beruhigen Sie sich! ({11}) - Beruhigen Sie sich nur! ({12}) - Ich bleibe Ihnen die Begründung für diese Ausführungen in keiner Weise schuldig. Betrachten Sie doch einmal den Organisations- und Stellenplan des Bundeskabinetts. Vielleicht können Sie die Dinge dann etwas nüchterner beurteilen. Aus dem Organisations- und Stellenplan, diesem voluminösen Elaborat, das uns vor einiger Zeit dankenswerterweise zugegangen ist, ergibt sich, daß das Ministerium Kraft aus insgesamt vier Beamten, drei TOA-Bediensteten und einem TOB-Bediensteten besteht. ({13}) - Sie sagen: „Doch nicht für diese Aufgabe". Also unterstellen Sie, Herr Kollege - und das unterstellt auch die Bundesregierung -, daß hier nun ein neuer Apparat aufgebaut wird, und wir sehen vor unserem geistigen Auge schon das große Verwaltungsgebäude eines Bundeswasserkraftministeriums, ({14}) das an irgendeiner Straße hier in Bonn aufgebaut wird. ({15}) - Dann sagen Sie mir einmal, wie Sie mit einem Ministerium, das aus acht Bediensteten besteht, diese so wichtige Aufgabe lösen wollen. Das sagen Sie uns einmal! ({16}) Der Kollege Geiger hat ja in dieser Richtung gewisse Befürchtungen angedeutet, indem er die Hoffnung und den Wunsch ausgesprochen hat, daß wir hier nicht - so habe ich ihn wenigstens verstanden - zu irgendeinem voluminösen Ministerium mit einem umfangreichen Verwaltungsapparat kommen. Wir sind der Auffassung, daß es im Bundeskabinett Ministerien gibt, die einen Gesetzgebungsapparat und einen fachlich qualifizierten Verwaltungsapparat haben, mit dem diese Aufgaben gelöst werden können. Wir sind weiterhin der Auffassung - darüber haben .Sie sich ebenfalls so erregt, meine Damen und Herren -, daß es sich hierbei auch um einen Versuch mit einem untauglichen Minister handelt. ({17}) - Nun, der Herr Bundesminister Kraft hat vor einiger Zeit den Auftrag bekommen, sich in besonderer Weise um die Zonenrandgebiete zu kümmern. Der Herr Bundesminister ist dann auf Grund dieses Auftrages in die Zonenrandgebiete gereist. Er hat verschiedene Besprechungen geführt, und er hat bei den dort ansässigen Personen und Behörden, überhaupt bei der dort ansässigen Bevölkerung gewisse Hoffnungen erweckt. Und was ist dabei herausgekommen? Ein Mitglied dieses Hauses möge einmal sagen, in welcher Weise der Herr Bundesminister Kraft die ihm gestellte Aufgabe bisher gelöst hat! ({18}) Bisher können wir zwar ein Kreißen des Berges feststellen, aber wir können nicht das Gebären eines Mäusleins verzeichnen. ({19}) Meine Damen und Herren, wir hätten es begrüßt, wenn der Herr Bundesminister, dem nun eine besondere Aufgabe übertragen worden ist, und zwar nicht von einem Tag auf den andern, so etwa wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern nachdem bereits seit Monaten das Gerücht im Umlauf war, ({20}) daß der Herr Bundesminister diesen Auftrag erhalten solle, uns einige konkretere Vorstellungen entwickelt hätte. Das hat er nicht getan. Er hat sich darauf beschränkt, einige ganz allgemeine Ausführungen zu machen. Ich nehme an, daß der Herr Bundeskanzler sich nicht von dem Scherzwort vom „Wasserkraftminister" hat leiten lassen, als er dem Herrn Bundesminister Kraft diesen Auftrag erteilt hat. ({21}) Ich will durchaus nicht die Möglichkeit ausschließen, daß dem Herrn Bundeskanzler von dem Herrn Bundesminister Kraft einige konkrete Ideen entwickelt worden sind. Es wäre deshalb begrüßenswert gewesen, wenn der Herr Bundesminister Kraft nun diesem Hohen Hause seine konkreten Gedanken dargelegt hätte. ({22}) Diese Frage, Herr Kollege Samwer, ist deshalb um so berechtigter, als wir ja alle in diesem Hohen Hause eine Erfahrung gemacht haben - neben vielen anderen, aber auf die eine kommt es mir jetzt an -, daß einfache Beschlüsse, sogenannte schlichte Beschlüsse, wie manche Kollegen sagen, bei der Regierung in der Vergangenheit keine allzu große Beachtung gefunden haben. Das gilt nicht nur für die einfachen Beschlüsse dieses Hohen Hauses, sondern auch etwa für die Beschlüsse des Bundesrats. Vorhin ist die Rede gewesen von einem Beschluß des Bundesrats aus dem Jahre 1952. Zwei Jahre später ist aus dem Kreis des Bundesrats ein Schreiben an den Herrn Bundeskanzler gerichtet worden mit der Anfrage: Wo bleibt denn die Vollziehung des Beschlusses aus dem Jahre 1952? Gerade da wir hier mit den einfachen Beschlüssen sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben und feststellen mußten, daß sie von der Bundesregierung doch zu einem erheblichen Teil offensichtlich als Makulatur bezeichnet werden, wäre eine sachliche und konkrete Aufklärung über den Inhalt der Vorstellungen des Herrn Bundesministers sehr sachdienlich gewesen. Im übrigen stimmen wir dem Antrag zu. Wir halten eine Überweisung an einen Ausschuß nicht für erforderlich, da hier eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen wird, überdies eine Selbstverständlichkeit, die in zahlreichen Ausschüssen bereits hinlänglich diskutiert worden ist. ({23})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren, ich habe jetzt noch drei Wortmeldungen vorliegen. Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich darauf hinweisen: wir haben ausdrücklich im Ältestenrat vereinbart, daß wir die Tagesordnung von heute bis 14 Uhr abwickeln wollen, damit dann die Fraktionen Sitzungen abhalten können. Mehr will ich zum Tatbestand nicht sagen. Außer dem Punkt, den wir jetzt behandeln, haben wir noch neun oder zehn Punkte auf der Tagesordnung, und jetzt ist es 13 Uhr 30. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schneider ({0}). ({1}) - Dann erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Elsner.

Martin Elsner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000465, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich zu meinen Ausführungen komme, darf ich die unsachlichen Ausführungen C meines Herrn Vorredners gegen Herrn Minister Kraft ganz energisch zurückweisen. ({0}) Herr Minister Kraft hat seinerzeit den Auftrag erhalten, eine Denkschrift für die Zonenrandgebiete auszuarbeiten. Das ist geschehen, die Denkschrift ist vorgelegt worden. Damit ist keinesfalls etwa ({1}) - Sie ist dem Kabinett vorgelegt worden, auch dem Herrn Bundeskanzler. Ich darf hier feststellen: wenn daraus keine Folgerungen gezogen worden sind, so liegen die Gründe nicht darin, daß hier absolute Unfähigkeit vorliegt, wie das vorhin ausgeführt worden ist. ({2}) - Doch, das ist vorhin gesagt worden. ({3}) Ich glaube, in der Form werden wir die Aufgabe, die hier sachlich zur Debatte steht, nicht lösen. Ich darf mich nun der sachlichen Aufgabe zuwenden. Der Antrag ist hier eingehend begründet worden. Auch über die Notwendigkeit des Antrags ist in überzeugender Weise gesprochen worden. Gestatten Sie mir nur wenige Sätze über die Lage in der Wasserwirtschaft. Die außerordentliche Bevölkerungszunahme seit 1945, die Ausweitung der industriellen und gewerblichen Wirtschaft und die Ballung der Industrien in großen Wirtschaftszentren haben in der Wasserversorgung und der Abwasserwirtschaft Probleme ausgelöst, die immer bedrohlichere Formen annehmen. Wenn dem trokkenen Frühjahr und Frühsommer des vergangenen Jahres nicht so regenreiche Monate gefolgt wären, hätten sich die Wasserengpässe in den großen Verbraucherzentren bereits zu einer Katastrophe auswirken müssen. Wenn wir die Schwierigkeiten des ständig steigenden Trinkwasserverbrauchs und des Werkwasserverbrauchs überwinden wollen, müssen wir zu einer umfassenden Wasserwirtschaft gelangen, die eine sorgsame Pflege und sinnvolle Nutzung unserer kostbaren Wasservorräte einschließt. Die Lösung dieser Aufgabe ist allerdings nicht ohne eine großräumige Planung möglich. Noch größer als die Schwierigkeiten in der Wasserversorgung sind die Schwierigkeiten in der Abwasserbeseitigung. Die Schäden, die durch die Verschmutzung der Wasserläufe entstanden sind, haben kaum vorstellbare Ausmaße angenommen. Wer die Internationale Jagd- und Fischerei-Ausstellung im Oktober vorigen Jahres in Düsseldorf besucht hat, hat ein eindrucksvolles Bild über das Ausmaß dieser Verschmutzungsschäden in unseren Bächen und Flüssen bekommen. Viele einst fischreiche Gewässer sind zu toten schmutzigen Rinnsalen und Bächen geworden. Aber auch die Flüsse sind bereits im Oberlauf tot und haben im Mittellauf schwerste Schäden im biologischen Bestande aufzuweisen. Durch ungenügenden Schutz und mangelnde Pflege wird der natürliche Wasservorrat infolge dieser Verschmutzung für Trinkwasserzwecke unbrauchbar. Millionenschäden sind der Volkswirtschaft durch Vernichtung der Fischbestände in den Bächen und Flüssen entstanden und entstehen weiter in steigendem Umfang. ({4}) Darüber hinaus werden diese verschmutzten Wasserläufe zu einer ernsten Gefahrenquelle für die Volksgesundheit. Die Erreger von Paratyphus, Kinderlähmung, Typhus und ansteckender Gelbsucht haben in den verschmutzten Gewässern ihre natürliche Lebensgrundlage. Aber auch bakteriologische, chemische und giftige Einflüsse auf und in das Trink- und Flußwasser stellen eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Mit den aufgezeigten wirklich äußerst schweren Problemen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung muß die Wasserwirtschaft fertigwerden. Dies ist nicht möglich ohne eine Neugestaltung des Wasserrechts. Die Neuregelung des Wasserrechts aber setzt auch in der Gesetzgebung eine großräumige Planung, wie ja vorhin bereits wiederholt ausgeführt worden ist, voraus. Deshalb ist die beschleunigte Vorlage des geforderten Rahmengesetzes notwendig, um die Schwierigkeiten, die bei der Neuregelung des Wasserrechts auftreten, zu beseitigen. Dieser Antrag ist praktisch eine Wiederholung früherer Forderungen, Empfehlungen und auch Beschlüsse, die von den Ländern, vom Bundestag und vom Bundesrat an die Bundesregierung herangetragen worden sind. Leider hat die Bundesregierung bis heute dieser Sachlage nicht Rechnung getragen. Wir glauben, die Ursache darin sehen zu können, daß an der Gesamtaufgabe vier Ressorts maßgeblich beteiligt sind und daß der zur Zeit bestehende interministerielle Ausschuß „Wasser" die Koordinierungsaufgabe nicht bewältigen konnte. Dies konnte er auch nach seiner ganzen Anlage und Konstruktion nicht. Einmal fehlte ihm jede Entscheidungsbefugnis über die Aufgaben der beteiligten Ressorts. Zum andern lag der Vorsitz jeweils bei einem der beteiligten Minister, und der Vorsitzende konnte als Beteiligter unmöglich die überparteiliche Haltung gewinnen, die für die Lösung dieser Aufgabe einfach Voraussetzung ist. Deshalb blieb in allen Fällen bei der Bearbeitung sich überschneidender Aufgabengebiete der Ressortegoismus Sieger. Die Lösung der vorliegenden . so entscheidend wichtigen Aufgabe wird nur möglich sein, wenn der Ausschuß die erforderliche Organisation und die notwendigen Befugnisse erhält, ohne die ein Koordinierungsausschuß einfach arbeitsunfähig bleiben muß. Die Forderung der interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, deren Mitglieder den Antrag Drucksache 561, hinter dem auch die Abgeordneten der Länder stehen, mit unterzeichnet haben, geht dahin, daß der Vorsitz einer Persönlichkeit übertragen werden sollte, die frei von Ressortegoismus über den Ressortaufgaben steht und nur der Sache verpflichtet ist. Dieser Forderung hat das Kabinett gestern entsprochen und Herrn Bundesminister Kraft mit dem Vorsitz beauftragt. Wenn wir uns die Arbeit dieses interministeriellen Ausschusses in der Vergangenheit ansehen - und sie ist ja auch genügend behandelt worden -, dann müssen wir die Auffassung vertreten, daß der Vorsitzende gegenüber den Fachressorts hinreichende Unabhängigkeit gewinnen muß. Das wird nur möglich sein, wenn er sich auf einen kleinen erstklassigen Mitarbeiterstab stützen kann. Neben den laufenden Arbeiten, die der Ausschuß zu bewältigen hat, sollten auch die erforderlichen Voraussetzungen für eine großzügige und durchgreifende Planung aller wasserwirtschaftlichen Aufgaben geschaffen werden. Sonst wird die Arbeit wie bisher in Notlösungen hängenbleiben und Flickwerk werden. Ebenso muß im Rahmen einer Geschäftsordnung die Entscheidungsbefugnis des Ausschusses in Fragen der Zuständigkeit, die mehr als ein beteiligtes Ministerium berühren, gesichert sein. Die Entscheidungen, die der Ausschuß trifft, müssen für die beteiligten Ministerien auch bindend sein. Auch sollte Grundsatz sein: Keine Kabinettsvorlage in Wasserwirtschaftsfragen ohne vorherige Behandlung im interministeriellen Ausschuß Wasser. Zur Unterstützung der Ausschußarbeiten sollte ein Beirat aus bewährten und ersten Fachkräften berufen werden. Nur so werden der interministerielle Ausschuß Wasser und sein Vorsitzender in der Lage sein, die großen und brennenden Fragen .der Wasserwirtschaft und des Wasserrechts zu lösen. Eine der vordringlichsten Aufgaben allerdings ist die Vorlage des geforderten Rahmengesetzes. Meine Fraktion unterstützt daher den vorliegenden Aptrag und empfiehlt dem Hohen Hause die unveränderte und unmittelbare Annahme. ({5})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Buchka.

Dr. Karl Buchka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000289, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den außerordentlich ruhigen und sachlichen Ausführungen des Kollegen Ruhnke hätte ich gehofft und gewünscht, daß auch die weitere Beratung hier in diesem Fahrwasser geblieben wäre. ({0}) Ich bedaure, daß das nicht immer der Fall gewesen ist, und werde mich jedenfalls meinerseits bemühen, Ihnen nun mit aller Sachlichkeit und mit der gebotenen Ruhe noch einiges zu sagen. Der Bundesregierung ist insbesondere vorgeworfen worden, sie habe in dieser Angelegenheit auf der Stelle getreten. Da bitte ich doch, nun einmal folgendes zu überlegen. Handelt es sich denn um eine Materie, die von heute auf morgen oder auch nur von einem Jahr zum anderen erledigt werden kann? Wer in der Rechtsgeschichte Bescheid weiß, dem ist doch wohl bekannt, daß das preußische Wassergesetz, das gar nicht so schlecht war, zehn Jahre an Vorbereitungszeit gebraucht hat. Das ebenfalls sehr gute bayerische Wassergesetz hat, wenn ich recht unterrichtet bin, eine Vorbereitungszeit von sieben Jahren benötigt. Wenn wir nun hier eine bundesrechtliche Regelung herbeiführen wollen und müssen, dann soll es aber auch eine Regelung sein, die sich wirklich sehen lassen kann, die hieb- und stichfest ist. Nun noch ganz kurz etwas aus den Beratungen des Rechtsausschusses. Der Rechtsausschuß ist genau wie der dem Hohen Hause jetzt vorliegende Antrag zu dem Ergebnis gelangt, daß wasserrechtliche Vorschriften im Rahmen des Grundgesetzes zur Regelung des Wasserhaushaltes notwendig sind. Damit ist ohne weiteres - ich darf den selben Begriff gebrauchen - der Rahmen abgesteckt, und es bleibt - und auch das soll nicht unerwähnt bleiben - für die landesrechtlichen Vorschriften noch ein weiter Raum. Es soll und muß aber eben von Bundes wegen der Rahmen geschaffen werden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, auch noch darauf hinzuweisen, daß in weiten Gebieten der deutschen Bundesrepublik, und zwar ({1}) gerade da, wo es sich um deichrechtliche Vorschriften handelt, also in den Fluß- und Seemarschen, in großem Umfang Gewohnheitsrecht gilt. Auch dies wird bei den Maßnahmen der Regierung selbstverständlich in der einen oder anderen Weise berücksichtigt werden müssen. Ich habe den Wunsch, daß die Bundesregierung und daß insbesondere der mit diesen Aufgaben betraute Herr Bundesminister Kraft nunmehr ungesäumt an die Arbeit gehen. Ich habe dabei allerdings genau so wie mein Fraktionskollege Geiger den ebenso dringenden Wunsch, daß nun aus diesem Auftrag sich nicht ein Wasserkopf von Dienststelle entwickelt, daß nicht ein Pfennig mehr dafür ausgegeben zu werden braucht, daß vielmehr das Geld, das auf solche Weise eingespart wird, restlos benutzt wird, um die Wasserwirtschaft in der deutschen Bundesrepublik nachdrücklich zu fördern. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat Herr Bundesminister Kraft.

Waldemar Kraft (Minister:in)

Politiker ID: 11001191

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir vorhin schon auszuführen erlaubt - was vielleicht nicht deutlich genug verstanden worden ist -, daß der gestrige Beschluß des Bundeskabinetts sich, was die organisatorische Regelung, also die Sache selbst anlangt, vollkommen mit dem Vorschlag der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft deckt, mit der wiederum Herr Kollege Ruhnke die Antragsteller als identisch bezeichnet hat. Mir scheint also, daß der Herr Abgeordnete Wittrock in seiner Kritik gegen sich selbst gesprochen hat; denn auch er hat den Antrag, der hier zur Diskussion steht, unterschrieben. ({0}) - Ja, dann hat aber der Herr Kollege Ruhnke eine falsche Aufklärung gegeben. Ich bitte dann, das zu (entschuldigen. Der Herr Abgeordnete Wittrock hat weiter bemängelt, daß ich nicht mehr Konkretes gesagt habe. Meine Damen und Herren, ich glaubte zum Antrag sprechen zu sollen und nicht zu Gesetzen, die vorzulegen der Antrag erst fordert. Wenn ich das gewollt hätte, dann hätte ich mich dem Verdacht aussetzen können, über Dinge zu sprechen, die noch nicht vorlagereif sind, sondern jetzt erst vorlagereif gemacht wenden sollen. ({1}) Die weitere Kritik des Herrn Abgeordneten Wittrock, (die sich in einer besonderen Art mit meiner Person befaßte., ({2}) gibt mir keine Veranlassung, darauf zu antworten. Ich glaube, daß ich mich da in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Hohen Hauses befinde. ({3}) Darf ich aber noch auf Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ruhnke wie einiger anderer Redner kurz zurückkommen. Es ist dargelegt worden, bei wie vielen Gelegenheiten und zu welchen Daten die Sache schon behandelt worden sei. Es wurde die Erwartung ausgesprochen, daß die Bundesregierung - auch schon die vergangene, zu der zu gehören ich nicht die Ehre hatte - auf diesem Gebiet nun initiativ werden möchte. Ich hoffe, wir haben nun gemeinsam die Auffassung gewonnen, daß etwas geschehen wird, und möchte bitten, daß wir uns in der inständigen Hoffnung vereinigen, daß das Wort sich als wahr erweise: Was lange währt, wird gut. 1m übrigen bedanke ich mich für die guten Wünsche mehrerer Redner für das Gedeihen meiner neuen Aufgabe und für das lebhafte Interesse, das das Hohe Haus einer letztlich etwas trockenen Angelegenheit erwiesen hat, auch wenn sie mit dem feuchten Wasser zu tun hat. Um darzulegen, daß ich gegen Wortspiele, zu denen das Wort „Wasser" wie das Wort „Kraft” herausfordern, unempfindlich bin, möchte ich schließen: Wasser marsch! ({4})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich unterstelle, daß das Haus der allgemein hier geäußerten Auffassung ist, keine Überweisung an einen Ausschuß vorzunehmen, sondern sofort zur Beschlußfassung zu kommen. Wer dem Antrag auf Drucksache 561 zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein .Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe auf Punkt 8 der heutigen Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Übereinkommen Nr. 42 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 1934 über die Entschädigung bei Berufskrankheiten ({0}) .({1}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({2}) ({3}). ({4}) Der Schriftliche Bericht des Herrn Abgeordneten Varelmann liegt vor.*) Ich unterstelle, daß das Haus sich damit begnügt und keine Ergänzung wünscht. - Es ist so beschlossen. Ich rufe auf zur Einzelberatung Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Art. 4, - Art. 5, - Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Einzelberatung der zweiten Lesung. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe auf zur dritten Beratung. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Da Änderungsanträge zur dritten Beratung nicht vorliegen, komme ich zur ({5}) Siehe Anlage 4. ({6}) Ich rufe auf Punkt 9 der heutigen Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung vom 28. Mai 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Belgien über eine gegenseitig zu gewährende Amtshilfe bei der An- und Abmusterung von Seeleuten ({7}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen ({8}) ({9}). ({10}) Ein Schriftlicher Bericht**) liegt vor. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung? - Das ist der Fall. Dann komme ich zur zweiten Beratung. Ich rufe auf Art. I, - Art. II, - Art. III, - Art. IV, -Einleitung und Überschrift. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe auf zur dritten Beratung. . Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Dias ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer Idem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. -Gegenprobe! - Ich sehe keine Gegenstimmen; einstimmige Annahme. Damit ist das Gesetz verabschiedet. Ich rufe auf Punkt 10: Beratung des Entwurfs einer Achtundzwanzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen ({11}). Auf Begründung und Besprechung soll verzichtet werden. Ich schlage Überweisung an dein Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Die Überweisung ist erfolgt. Punkt 11: Beratung des Entwurfs einer Neunundzwanzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen ({12}). Hier soll in gleicher Weise verfahren werden. Ich schlage idem Haus Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. - Ich höre keinen Widerspruch. Dias Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt. Punkt 12: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1951 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofs ({13}). Ich schlage dem Hause Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Erhebt sich Widerspruch? - Nicht der Fall. Die Überweisung ist erfolgt. **) Siehe Anlage 5. Punkt 13: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung ides Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an reichseigenen Grundstücken der ehem. Munitionsanstalt Mölln, Kreis Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein ({14}). Wird das Wort gewünscht? - Nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 1160 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({15}) - Verzeihung, meine Damen und Herren, das habe ich übersehen. Ich dachte, die Sache käme schon aus dem Ausschuß. Das Wort wird also nicht gewünscht? - Ich schlage dann Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Punkt 14: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Veräußerung einer Teilfläche des ehemaligen Heeresverpflegungsamtes in Karlsruhe, Oberfeldstr. 1-3, an die Stadt Karlsruhe im Wege eines Tausches gegen städtisches, z. Z. beschlagnahmtes Gelände bei den Knielinger Kasernen ({16}). Hier wird auch Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Die Überweisung ist erfolgt. Punkt 15: Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({17}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Verkauf der restlichen Teilfläche des ehemaligen Heereszeugamtes in Ulm, Söflingerstraße 96, an die Firma Telefunken, Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mbH in Berlin SW 61, Mehringdamm 32/34 ({18}). Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Schoettle. ({19}) - Herr Abgeordneter Schoettle ist, wie ich höre, im Haushaltsausschuß. Das Haus verzichtet auf Berichterstattung? ({20}) - Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses auf Drucksache 1127 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 16 auf: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({21}). Wer dem Umdruck 290*) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, damit haben wir die heutige Tagesordnung doch noch rechtzeitig geschafft. Darf ich noch einen Augenblick um Gehör *) Siehe Anlage 3. ({22}) bitten. Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaftspolitik bittet mich, bekanntzugeben, daß mit Rücksicht auf die Sitzung der CDU-Fraktion die gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik mit dem Unterausschuß Zonenrandgebiete ausfallen muß. Der Sozialpolitische Ausschuß tagt um 15 Uhr, der Ausschuß für Kommunalpolitik morgen, Freitag, den 18. Februar 1955, I 8 Uhr 45, Zimmer 206 Süd. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags, die 67., auf Freitag, den 18. Februar 1955, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.