Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die 60. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es sucht um längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Brookmann ({0}) für zwei Wochen ab 8. Dezember wegen Krankheit.
Das Haus ist mit der Urlaubsbewilligung einverstanden.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Frau Rösch, Lemmer, Dr. Pohle ({0}), Frehsee, Diedrichsen, Dr. Gille, Wehking, Brand ({1}), Dr. Hellwig, Häussler, Kunz ({2}), Wagner ({3}), Kurlbaum, Seuffert, Naegel, Dr. Bucerius, Höhne, Wirths, Leibfried, Seither, Müller ({4}), Dr. Horlacher, Euler, Keuning, Neuburger, Dr. Atzenroth, Scharnberg, Dr. Jentzsch und Wullenhaupt.
Meine Damen und Herren! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich des heutigen 6. Jahrestages der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu gedenken. Heute vor sechs Jahren nahm die Hauptversammlung der Vereinten Nationen in Paris eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an. Diese Erklärung besagt, daß jeder Mensch, wo er auch lebe, welcher Rasse, welcher Farbe, welchem Geschlecht, welcher Sprache und welcher Religion er auch zugehöre, frei und gleich an Würden und Rechten geboren sei. Es dürfe auch keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, der rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehöre, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig oder irgendeiner Beschränkung seiner Souveränität unterworfen sei.
Diese Erklärung der Menschenrechte ist von der Hauptversammlung der Vereinten Nationen mit 48 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen am 10. Dezember 1948 angenommen worden. Gegenstimmen wurden nicht abgegeben. Enthalten haben sich neben der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Polen auch Jugoslawien, Saudi-Arabien und die Südafrikanische Union. Alle anderen großen und kleinen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die in Paris vertreten waren, haben für diese Erklärung gestimmt. Sie haben sich damit feierlich zu Grundsätzen und Rechten bekannt, die alt wie die Menschheit sind, heiß umkämpft, aber selten verwirklicht wurden. Niemals standen diese Grundsätze auf der ganzen Erde in Geltung, niemals
({0})
wurden sie überall gleichzeitig praktiziert. Auch die Annahme der feierlichen Erklärung vom 10. Dezember 1948 hat das nicht zu bewirken vermocht. Es gibt heute noch weite Gebiete der Erde, in denen diese Erklärung kaum bekannt ist, geschweige gar daß nach ihr verfahren wird.
Dennoch kommt dieser Erklärung eine ungewöhnliche Bedeutung zu. Sie liegt nicht nur in dem sittlichen Rang und in der konsequenten Strenge rechtlichen Denkens, die sich hier einen unanfechtbaren Ausdruck gegeben hat, sie liegt vielmehr zugleich in der vielleicht weltgeschichtlich bedeutsamen Tatsache, daß 48 Staaten sich gegenseitig vor der Weltöffentlichkeit das Wort gegeben haben, sich diesem Recht und dem darin manifestierten sittlichen Gebot zu unterwerfen.
In einem alten Lied, meine Damen und Herren, hat ein unter schweren Erfahrungen Gebeugter einmal bitterlich geklagt:
Rechtschaffen hin, rechtschaffen her, Das sind nur alte Geigen.
Betrug, Gewalt und List vielmehr, Klag du, man wird dir's zeigen.
Nun, jener Sänger hat damit nur der landläufigen Erfahrung Ausdruck gegeben, daß die Macht vor dem Recht komme. Am 10. Dezember 1948 haben 48 Staaten der Welt sich feierlich dazu bekannt, daß für sie das Recht vor der Macht stehe, und sie haben erklärt, daß das nicht nur ein Grundsatz sei, den sie ihren eigenen Staatsangehörigen, den sie den Gliedern ihrer eigenen Völker gegenüber anzuwenden gedächten, sondern sie haben festgestellt, daß dieser Grundsatz von jedem Staat jedem Menschen gegenüber - und das muß in sich schließen: auch im Verkehr der Staaten untereinander - streng gewahrt werden müsse.
Wir Deutsche, meine Damen und Herren, haben an dieser Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht mitgewirkt; denn Deutschland ist bis heute nicht Mitglied. der Vereinten Nationen. Aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht nur mit dem Geist und dem Sinn dieser Erklärung der Menschenrechte in Übereinstimmung steht, sondern daß es über alle politischen Meinungsverschiedenheiten der heute in diesem Hause vertretenen Parteien hinaus der klare und einhellige Wille des Deutschen Bundestages ist, alles zu tun, was in seiner Kraft steht, um jeden friedlichen Beitrag, der von ihm gefordert und erbracht werden kann, dafür zu leisten, daß die Grundsätze, die heute vor sechs Jahren verkündet wurden, in ganz Deutschland, in ganz Europa, auf der ganzen Welt respektiert und verwirklicht werden.
Darüber hinaus aber, glaube ich, meine Damen und Herren, ist es unser Wunsch, daß die Gesinnung und der Rang dieser hohen Rechtsgrundsätze alle Staaten dazu bewegen möchten, aus den Vereinten Nationen eine durchgreifende internationale Instanz der Ordnung, des Friedens und der Gerechtigkeit zu machen. Wir wünschen den Vereinten Nationen jedenfalls, daß sie, mit ausreichender Macht versehen, den von ihnen als allgemeine Menschenrechte verkündeten Grundsätzen mit den Mitteln des Friedens auch dort Geltung und Nachachtung verschaffen können, wo heute noch Millionen Menschen nach Recht und Gerechtigkeit seufzen.
({1})
Wir treten dann in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Fortsetzung der Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Nationales Minderheitenrecht ({2}).
Die Debatte hatte in der 58. Sitzung am Mittwoch. bereits begonnen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jentzsch.
({3})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat mit Bedauern feststellen müssen, daß der Herr Bundeskanzler und Außenminister bei der Behandlung der Großen Anfrage am Mittwoch nicht anwesend war. Wir hatten erwartet, daß er an der weiteren Beratung heute teilnehmen würde. Wir müssen mit Bedauern feststellen, daß dies nicht der Fall ist. Die Große Anfrage umfaßt u. a. ein Problem, das nach den bisherigen Ausführungen des Sprechers der Regierungskoalition durch die Interpellation des dänischen Außenministers auf die interparlamentarische Ebene gebracht worden ist, also ein aktuelles außenpolitisches Problem. Die Stellungnahme .der Bundesregierung zu dieser Frage ist nicht nur für die weitere Entwicklung im schleswigschen Raum, für die Beziehungen zu unserem dänischen Nachbarn, sondern von einer in ihren Auswirkungen noch nicht abzusehenden grundsätzlichen Bedeutung auch für Entscheidungen, vor die .uns die künftige politische Entwicklung z. B. in der Frage der Ostgebiete stellen wird. Wir halten es aus diesem Grunde für notwendig, daß der Herr Bundeskanzler und Außenminister an der weiteren Aussprache teilnimmt und sich persönlich hierzu äußert. Uns ist berichtet worden, daß der Herr Bundeskanzler unpäßlich sei. Andererseits haben wir erfahren, daß er an der Sitzung des Bundesrats heute teilnehmen soll. Unter dieser Voraussetzung beantrage ich daher gemäß Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 46 der Geschäftsordnung seine Herbeirufung.
({0})
Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage der Sozialdemokratie ist eine Anfrage, zu deren Beantwortung nach unserer Auffassung allein der Herr Innenminister zuständig ist. Unser Antrag Umdruck 277 betrifft zweifellos eine Angelegenheit der auswärtigen Politik. Wir bitten, diesen Antrag an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Meine Freunde und ich sehen keine Veranlassung - vor dem Hintergrund der Großen Anfrage der Sozialdemokratie, die vom Herrn Innenminister beantwortet ist und allein ein innenpolitisches Problem berührt -, den Herrn Bundeskanzler herzubitten.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD gehört, wie Herr Kollege Rasner dankenswerterweise gerade ausgeführt hat, zur federführenden Zuständigkeit des Bundesministers des Innern. Ich habe diese Anfrage im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt beantwortet. Ich sehe keinen Anlaß, den Herrn Bundeskanzler im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage herbeizurufen.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf Herbeirufung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen bzw. des Herrn Bundeskanzlers gehört. Ich darf annehmen, daß der Antrag nach § 46 ausreichend unterstützt ist. Ich stelle diesen Antrag zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrags auf Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Herr Abgeordnete Rehs, ich frage Sie, ob Sie nunmehr das Wort zur Sache nehmen wollen. - Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Art und Weise, in der die Große Anfrage betreffend Nationales Minderheitenrecht von der Bundesregierung beantwortet ist, die Art und Weise, in der der Sprecher der CDU dazu Stellung genommen hat, zwingen mich, in einem Umfang darauf zu erwidern, den wir als nicht notwendig erhofft hatten. Zu dieser Hoffnung schien uns einige Berechtigung zu bestehen. Denn bereits der 1. Bundestag hatte sich mit dem Problem der parlamentarischen Vertretung der nationalen Minderheit beschäftigt. Mit der Bestimmung des § 9 Abs. 5 im Bundeswahlgesetz vom 8. Juli 1953 hatte er, insbesondere auf Grund der Ausführungen des Kollegen Onnen von der FDP, des früheren Abgeordneten Dr. Trischler von der FDP und meines Fraktionsfreundes Brandt, hierzu eine Stellung eingenommen, die geradezu als ein Durchbruch der politischen Vernunft, als ein verheißungsvolles Beispiel und als Richtungszeichen für die künftige Entwicklung in dieser in der Vergangenheit unter so erheblichen nationalen Verkrampfungen leidenden Frage angesehen werden konnte. Außerdem hatte sich der Herr Bundeskanzler nach Berichten auch der ihm nahestehenden Presse anläßlich der Sitzung des NATO-Rates am 22. Oktober dieses Jahres dem dänischen Außenminister gegenüber bereit erklärt, auf eine befriedigende Lösung in dem konkreten Falle hinzuwirken.
Deshalb muß die Art und Weise, in der unsere Große Anfrage -- die erste Gelegenheit zu einer unmittelbaren, offiziellen Bestätigung dieser von dem Herrn Bundeskanzler erklärten Bereitschaft - von der Bundesregierung jetzt behandelt wurde, einfach unbegreiflich erscheinen. Nicht nur, daß der Herr Bundeskanzler schon am Mittwoch bei der Beratung einer so schwerwiegenden, über den konkreten Fall weit hinausreichenden Frage nicht anwesend war, nicht nur, daß die Mehrheit des Hohen Hauses das heute gebilligt hat, daß wir also die persönlichen Absichten und Auffassungen des
Herrn Bundeskanzlers hierzu nicht hören, die Beantwortung erfolgte durch den Herrn Bundesinnenminister, dessen Art ja bekannt ist - vielleicht wurde er auch wegen dieser Art dazu beauftragt -, in einer Weise, die sowohl nach dem materiellen Inhalt der Ausführungen als auch nach der Form und dem Ton nur als für das Parlament verletzend und für die Sache nicht würdig empfunden werden kann.
Wenn es nur um die Opposition ginge - sie ist in dieser Hinsicht genug gewohnt; die Mehrheit des Parlaments, die solche Behandlung widerspruchslos hinnimmt, mag dies mit ihrem eigenen Selbstgefühl abmachen. Aber es geht hierbei um ein Problem, zu dem, wie ich bereits betont habe, der CDU-Redner selber feststellte, daß der Außenminister eines anderen Staates bei dem Regierungschef der Bundesrepublik interpelliert hat! Die Art und Weise, in der diese Frage hier von der Bundesregierung betrachtet und behandelt wird, muß also zwangsläufig den Anschein einer Bewertung nach dieser Richtung hin erwecken. Meine Fraktion legt Wert darauf, sich damit nicht zu identifizieren, und erwartet von dem Herrn Bundeskanzler eine entsprechende Erklärung.
Der Herr Bundesinnenminister hat die Beantwortung zu Punkt 1 der Anfrage mit der Erklärung begonnen: Der Bundesregierung ist nichts davon bekannt, daß die Regelung des Wahlrechts im Lande Schleswig-Holstein zu Spannungen mit Dänemark geführt hat. - Mir sind hierbei die Worte eines großen Mannes eingefallen: Man muß immer sagen, was man sieht; besonders aber muß man, und das ist weitaus schwieriger, auch sehen wollen, was man sieht.
({0})
Diese Erklärung des Herrn Bundesinnenministers zu Punkt 1 der Anfrage ist wirklich eine erstaunliche Erklärung. Weshalb hat denn eigentlich der dänische Außenminister sich veranlaßt gesehen, auf der NATO-Sitzung am 22. Oktober den Herrn Bundeskanzler zu interpellieren? Welcher Grad der Verstimmung, welche Ereignisse und welche Auswirkungen müssen denn nach Ansicht der Bundesregierung eintreten, um auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Nachbarstaaten als Spannungen zu gelten? Im übrigen darf ich die Frage stellen: Liest denn die Bundesregierung nur ihr eigenes Bulletin?
Lassen Sie mich nur ganz wenige Stimmen der dänischen Presse aus den letzten Monaten, die das Bild auf der andern Seite spiegeln, anführen.
Bereits am 3. Mai 1954 schrieb die „Information" in Dänemark, es bestehe die Möglichkeit, die Frage vor ein internationales Forum zu bringen. Einerseits könne die Minderheit, falls Klagen bei deutschen Gerichten erfolglos ausgehen würden, die Angelegenheit der europäischen Kommission vorlegen, die zur Überwachung der Konvention über die Menschenrechte eingesetzt werde. Andererseits - so fügte das Blatt hinzu - habe auch Dänemark selbst die Möglichkeit, in letzter Instanz vor den Vereinten Nationen zu klagen. - Ich meine, solche möglichen Konsequenzen dieses Zustandes sollten in der Tat ernst genug sein, Anlaß zu einer Regelung zu geben.
Am 12. August schrieb „Nationaltidende", die konservative Zeitung in Kopenhagen:
Die Überzeugung, daß ein bewußter Kieler
Versuch vorliegt, das Dänentum in Südschles({1})
wig von einer politischen Vertretung auszuschließen, auf die es durch seine zahlenmäßige Stärke Anspruch hat, wird daher als eine Belastung des Verhältnisses zwischen dänisch und deutsch weiterleben.
Am 24. Oktober schrieb - wieder von einer anderen politischen Richtung in Dänemark - die unabhängige Zeitung „Venstre":
Adenauer hatte versprochen, mit Kiel zu sprechen, und er hoffte auf eine positive Lösung. Aber erstens hofft er nur, und zweitens hat das Wort „positive Lösung" in diesem Zusammenhang immer eine ganz andere Bedeutung für die Deutschen als für uns gehabt. Gibt es jemanden, der glaubt, daß die Deutschen selber die jetzige Ordnung in Südschleswig schlecht und negativ finden? Nein, sie finden sie positiv und für sich gut. Sonst hätten sie sie nicht gemacht, -und folglich ändern sie sie auch nicht ab, ohne daß man sie dazu zwingt. Gerade jetzt, eben vor der endgültigen Aufnahme Deutschlands in Europas Verteidigungsgemeinschaft, war die Chance für uns wie für Frankreich, von deutscher Seite Rücksichtnahme zu erfahren.
Die Situation, in der wir uns befinden, wird also von der dänischen Seite in Konsequenzen gesehen, die uns hier auf der Bundesebene Anlaß genug zur Beschäftigung mit der Sache sein sollten.
Der frühere dänische Außenminister Ole Björn Kraft erklärte noch vor wenigen Wochen, im Monat November, Dänemark stehe jetzt vor der Ratifizierung der Vereinbarung über die deutsche Wiederbewaffnung und die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO. Deshalb müsse es auch im deutschen Interesse liegen, an der Ordnung der Verhältnisse mitzuwirken, die, wie er sagte, in Dänemark Bitterkeit erzeugten und das gute Nachbarschaftsverhältnis belasteten.
Meine Damen und Herren, ich meine, diese wenigen Stimmen zeigen bereits deutlich genug die Stimmung auf der andern Seite.
Aus der deutschen Presse will ich nur eine einzige Stimme zitieren. Die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung" hat bereits im Mai 1954 vor dieser Entwicklung gewarnt; sie hat damals geschrieben.
Die Dänen reagieren auf den Kieler Beschluß einigermaßen gereizt; sie reden von der Politik der harten Faust. "und dergleichen. Das ist zwar auch wieder eine Übertreibung. Aber wahrscheinlich wird die deutsche Minderheit in Nordschleswig den Kieler Beschluß ausbaden müssen und auf entsprechende dänische Kühle bei ihren Wünschen stoßen.
Meine Damen und Herren, Sie müssen aber bei der Beurteilung dieser Situation noch etwas anderes in Rechnung stellen. In der Verhandlung während des zweiten Karlsruher Prozesses hat der Vertreter des Schleswig-Holsteinischen Landtages laut den Berichten in der dänischen Presse, in den Zeitungen „Politiken", „Berlingske Tidende" usw., erklärt, daß die Südschleswigsche Wählervereinigung bei der Bildung einer neuen Regierung unter Umständen das Zünglein an der Waage sein könnte. Davor sei man bange, das sei das, was man verhindern wolle; das wäre ein Unglück.
({2})
Damit ist die Behandlung des Wahlrechts für die dänische Minderheit nicht nur als eine bewußte Maßnahme in der Auseinandersetzung des Volkstums, sondern ausdrücklich auch als ein Instrument im innenpolitischen Machtkampf, zur Sicherung der innenpolitischen Macht abgestempelt worden. Ich muß schon die Frage stellen: Welcher zwielichtige Hintergrund tut sich dabei auf, und wie erscheint vor ihm die Glaubwürdigkeit jenes Geistes einer großzügigen Minderheitenpolitik Ihrer Regierung in Schleswig-Holstein, von dem Sie, Herr Kollege Rasner, gesprochen haben? Vor einem solchen Hintergrund muß die anmaßende Selbstzufriedenheit und der hochfahrende Ton, mit dem Sie von der früheren Großmacht Dänemark und seiner nationalen Romantik gesprochen haben, doppelt verletzend und böse wirken.
({3})
Ihre Rede, Herr Kollege Rasner, war in ihrem Ton und in ihrer ganzen Mentalität das Musterbeispiel einer Rede aus dem Minderheitenkampf der zwanziger und dreißiger Jahre.
({4})
Sie haben mit diesen Ausführungen der deutschdänischen Sache und der deutsch-dänischen Verständigung den denkbar schlechtesten Dienst erwiesen.
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Die dänische Regierung hat sich, das muß hierbei mit aller Anerkennung festgestellt werden, dieser Reaktion in der dänischen Presse und Öffentlichkeit gegenüber in vorbildlich besonnener Weise zurückhaltend und mäßigend gezeigt. Immerhin zeigt ja die Tatsache, daß sich ihr Außenminister schließlich veranlaßt gesehen hat, bei dem Herrn Bundeskanzler zu intervenieren, welchen Grad der Druck der Meinung im Lande erreicht hat. Es erschien uns daher dringend an der Zeit, um diese Stimmung bei unseren Nachbarn im Norden nicht weiter anschwellen zu lassen, die Bundesregierung auf die Gefahren hinzuweisen, die aus der Verschlechterung des politischen Klimas, nicht nur im Verhältnis zu Dänemark und dem ganzen skandinavischen Raum, sondern für unsere gesamte politische Lage dem Ausland gegenüber, auf die Dauer entstehen müssen, und dem Herrn Bundeskanzler offiziell Anlaß zu geben, das zu erfüllen, was er am 22. Oktober anläßlich der NATO-Sitzung erklärt hat.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in ihrer Beantwortung durch den Herrn Bundesinnenminister im übrigen fast ausschließlich auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes an Hand der Karlsruher Urteile beschränkt. Dies zeigt, daß sie den politischen Sinn und die Zielrichtung unserer Großen Anfrage nicht aufgenommen hat oder nicht hat aufnehmen wollen. Wir haben in der Anfrage bewußt die Terminologie von dem nationalen Minderheitenrecht gebraucht. Wir sind uns - und dazu hat es der Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers nicht bedurft - durchaus klar darüber, daß dieses nationale Minderheitenrecht bis heute noch keine positive völkerrechtliche Gestalt gewonnen hat. Insofern ist die Feststellung der Karlsruher Urteile richtig. Aber Recht besteht nicht nur in normierter, kodifizierter Form; es gibt auch ungeschriebene Gesetze, und das Recht ist ein Strom,
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der fließt und der immer wieder in seinem Lauf geregelt werden muß. Eine solch diffizile Frage, die diffizilste Rechtsfrage zwischen Nationen, ist nicht nur von dem Status der Vergangenheit aus zu sehen, nicht nur statisch, sondern von der dynamischen Entwicklung her. Insoweit ist nicht zu leugnen, daß bereits nach dem ersten Weltkrieg eine starke Bewegung im Rechtsdenken in dieser Hinsicht vorhanden gewesen und weitergeführt worden ist. Von dem großen Dänen Kierkegaard stammt das Wort, daß die Wissenschaft wie eine Schlange sei, die sich fortwährend häute; in die abgelegten Häute schlüpften immer die Dümmeren. Das gilt auch für die Politik, und das gilt ebenso für eine Beurteilung von Rechtsfragen wie der hier in Rede stehenden.
Lassen Sie mich aber für ihre Beurteilung noch einige wenige Bemerkungen machen. Es ist ja nicht so, daß bisher überhaupt nichts in dieser Hinsicht vorhanden ist, daß man alles das, was sich entwickelt hat, mit einigen leeren Bemerkungen abtun kann, wie es hier in der Beantwortung der Anfrage geschehen ist. Bereits im Jahre 1849, also vor über hundert Jahren, ist in der Reichsverfassung der Paulskirche der Grundsatz aufgestellt worden, daß den nichtdeutschen Volksstämmen ihre Gleichberechtigung, ihre volkstümliche Entwicklung und namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprache, der inneren Verwaltung, der Rechtspflege usw. zu gewährleisten ist. Dieser Grundsatz ist in Art. 113 der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden, zu dem bereits im Jahre 1929 der Professor Gerber von Marburg ausgeführt hat, daß es sich dabei nicht nur um ein Programm, das der Ausführungsbestimmungen bedarf, handelt, nicht nur um ein geistiges Kampfmittel im außenpolitischen
B) Machtkampf, sondern daß damit ein Grundsatz für das innere Staatsleben aufgestellt worden ist, der nicht nur aus historischen Zufälligkeiten entstanden ist, sondern aus einer Wandlung des Rechtsdenkens von grundlegender Bedeutung.
Professor Gerber legt in diesem Zusammenhang ausdrücklich dar, daß gegen Splitterparteien gerichtete Maßnahmen, so erwünscht sie im allgemeinen für die Gesundung des deutschen parlamentarischen Lebens seien, als bedenklich bezeichnet werden müßten, soweit sie den Versuch von nationalen Minderheiten, zu einer eigenen Vertretung in den Parlamenten zu kommen, beeinträchtigten. Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder, ich bitte Sie, in diesem Zusammenhang das zu betrachten, was ich über die Erklärungen des Vertreters des schleswigholsteinischen Landtages in Karlsruhe vorhin angeführt habe.
Meine Damen und Herren, ich will Sie mit weiteren Einzelheiten über die Entwicklung des Minderheitenrechts nach dem ersten Weltkrieg verschonen. Es ist bekannt, daß diese Frage auf den -verschiedensten europäischen Kongressen, z B. im August 1926, Anlaß und Gegenstand ganz konkreter Resolutionen gewesen ist, Resolutionen, an denen auch deutsche Vertreter und Vertreter der deutschen Minderheit in Dänemark, damals der Pastor Schmidt-Wodder, teilgenommen haben. Ich bin also der Meinung, daß sich hier bereits genügend Recht substantiiert hat, das, auch wenn es noch nicht zu allgemeiner Gültigkeit kodifiziert, normiert worden ist, doch nicht mehr aus der Rechtsbetrachtung herausgenommen werden kann. Dieses Recht ist Bestandteil jener Überlegungen gewesen, die den 1. Deutschen Bundestag zu seiner
Regelung in § 9 Abs. 5 des Bundeswahlgesetzes veranlaßt haben.
Wenn jetzt also die Bundesregierung in ihrer Beantwortung als Rechtfertigung ausschließlich auf die beiden Karlsruher Urteile Bezug nimmt, wonach verfassungsrechtlich und staatsrechtlich keine Verletzung des nationalen Minderheitenrechts an der dänischen Grenze vorliege, dann müssen wir dies als ein bewußtes Ausweichen vor dem eigentlichen politischen Problem ansehen. Es ist sowohl von dem Herrn Bundesinnenminister wie von dem Herrn Kollegen Rasner hierzu erklärt worden: Wir sind ja bereit, mit Dänemark darüber zu reden, unter der Bedingung der Gegenseitigkeit, der Bedingung der Loyalität, des Grenzverzichts usw.
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- Diese Erklärung, Herr Kollege Rasner, stellt in sich selbst eine solche eindeutige Bedingung dar. Sie gibt genau das wieder, was Ihr Ministerpräsident, Herr von Hassel, bereits im Juni 1954 mit ähnlichen Worten ausgedrückt hatte. Damals erklärte er: „Wir sind es ja gerade, die die europäischen Grenzen uninteressant machen wollen. Aber werdet ihr erst" - mit dem Finger auf die Minderheit und Dänemark - „Europäer! Wir beabsichtigen bis dahin nicht, in dieser Frage eine andere Entscheidung zu treffen." Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Krise der ersten Nachkriegsjahre dort oben weitgehend überwunden ist, wo das deutsche Bewußtsein weitgehend wieder stabilisiert ist, wo die Mitgliedschaft im SSW von Wahl zu Wahl rückläufig geworden ist, nun die Forderung nach einer ausdrücklichen Beteuerung des Grenzverzichtes auszusprechen, das halten wir wirklich nicht für die geeignete Voraussetzung für das von Ihnen Dänemark gegenüber angebotene Gespräch.
Nach meiner Meinung sollte vor diesem Gespräch, am Anfang dieses Gespräches die Gewährung der parlamentarischen Repräsentation an die Minderheit stehen. Das, Herr Kollege Rasner, wäre im Verhältnis zwischen Deutschland und Dänemark eine wirklich staatsmännische Geste und eine gute Grundlage für ein weiteres Gespräch. Aber davon abgesehen kann man nach meinem Dafürhalten die Frage der parlamentarischen Vertretung einer Volkstumsminderheit überhaupt nicht an Bedingungen knüpfen. Am allerwenigsten ist das Wahlrecht geeignet, Gegenstand von Verträgen zu sein, weil es eine interne Sache des Staates und der Verfassung ist.
Ich bin also der Auffassung, daß die Aufhebung dieser Beschränkung in Gestalt der 5-%-Klausel nicht an die ausdrückliche Versicherung des Wohlverhaltens geknüpft werden, daß man nicht erst Urfehde abzuschwören verlangen kann, wie Sie es praktisch getan haben. Solche Bedingungen fordern zwangsläufig zu Widerspruch heraus. Eine solche Einstellung zum Gespräch mit dem nationalen Partner auf der anderen Seite eröffnet eine Perspektive, in der man sich mit dem Rücken zur Zukunft stellt. Aus einem solchen Geist können Sie nicht überzeugen, und aus einem solchen Geist können Sie auch nicht das Europa bauen, von dem Sie immer soviel reden, ein Europa, in dem die Grenzen uninteressant werden.
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Die parlamentarische Vertretung der Minderheit soll ja das politische Ventil sein, sie soll gerade der psychologische Faktor sein, der zur Beruhigung in den beiderseitigen Beziehungen 'führt.
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Fragen Sie, Herr Kollege Rasner, doch einmal alle diejenigen Kollegen im Hause, die im Minderheitenkampf der früheren Jahrzehnte gestanden haben, die Sudetendeutschen und all Ihre Kollegen aus den deutschen Ostgebieten. Sie werden Ihnen schildern, wie bei der Behandlung solcher Vertragsfragen der Ungeist der nationalen Rechthaberei und des Ehrprestiges die Atmosphäre vergiftet und wie er geradezu zu einer Buchstabenreiterei geführt hat, die die Beziehungen nicht entspannt, sondern immer mehr belastet hat.
Vor allen Dingen kann man ja eine Vertragsregelung nicht gegen den Willen eines anderen beteiligten Staates herbeiführen. Das Verhalten der dänischen Regierung und der gesamten dänischen Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten hat Ihnen, glaube ich, eindeutig bewiesen, daß sie einen Minderheitenvertrag jedenfalls zur Zeit nicht wünschen. Wenn Sie Ihr Gespräch also an diese Voraussetzung knüpfen, wenn Sie die parlamentarische Vertretung der Minderheit von einer solchen Vertragsregelung abhängig machen, so bedeutet das praktisch nichts anderes, als die Bereitschaft zu einer Regelung von uns aus zu verneinen.
Aber ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsmehrheit, die Sie sich auf den Standpunkt gestellt haben, in diesem Problem lägen keine außenpolitischen Elemente, das sei nur eine innerdeutsche verfassungsrechtliche Angelegenheit, fragen, ob denn nicht all das, was Sie für die zukünftige europäische Gestaltung bei jeder Gelegenheit immer wieder mit großen Worten herausstellen, ob nicht das allein auch für die Lösung dieser konkreten Frage die einzige bestandsfähige Grundlage ist. Wo ist der Begriff der Toleranz bei Ihrer Auffassung, Herr Kollege Rasner? Allerdings muß man Toleranz im Herzen haben, als Ausdruck persönlicher Selbstüberwindung und persönlichen Selbstvertrauens, um die Forderung nach Toleranz auch im Verkehr mit anderen Nationen als unerläßlich anzusehen. Und wie, glauben sie, vereinigt sich Ihre Haltung mit all dem, was Sie unter dem Begriff der demokratischen Freiheit so oft im Munde führen? Unter diesen Gedanken steht doch die Zukunft Europas und der westlichen Welt.
Es gibt eine bessere Form, diese Fragen zu behandeln. Sie ist bei den Beratungen über das Bundestagswahlgesetz im 1. Bundestag zum Ausdruck gekommen. Durch das Vorbild wirken, auch in der Politik, auch zwischen Völkern, Herr Rasner! Allerdings ist diese Vorstellung vielleicht manchem etwas fremdgeworden. Wenn wir an die letzten innenpolitischen Beweismöglichkeiten für diese Haltung, an die Landtagswahlkämpfe denken, dann will es allerdings nicht unerklärlich erscheinen, daß Ihnen der Gedanke, mit einer solchen Einstellung an diese Frage heranzugehen, nicht gekommen ist. Man kann die Spannungen dort an der Grenze nicht durch vertragliche Absicherung in jedem einzelnen Punkt lösen. Stärken Sie die politische, die soziale, die kulturelle Anziehungskraft dort oben! Nach dieser Richtung hin haben Sie Schleswig-Holstein gegen über noch alles mögliche zu tun und nachzuholen. Erreichen Sie bei dem Herrn Bundeskanzler und bei der Bundesregierung, daß auch die insoweit ihren Willen beweisen. Diese Methode ist nach unserem Dafürhalten richtiger, als sich von dem Geschrei einiger überhitzter, national entzündeter Gemüter beeinflussen zu lassen und deshalb Verträge zu fordern.
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Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nur noch auf eines hinweisen. Sie sind der Meinung, das sei hier eine einseitige Darstellung aus dem Blickwinkel der Opposition. Nun, vielleicht ist Ihnen, Herr Kollege Rasner und Herr Bundesinnenminister, entgangen, was u. a. in der Presse, die gerade dem Herrn Bundeskanzler nicht fernsteht, über die Art und Weise, in der Sie und Ihre politischen Freunde die Angelegenheit in Schleswig-Holstein behandelt haben, gedacht wird. Es ist Ihnen vielleicht entgangen, daß der „Rheinische Merkur" bereits im Frühjahr dieses Jahres einmal warnend seine Stimme erhoben hat. Und erst in jüngster Zeit, am 12. November 1954, hat er unter der Überschrift „Modellfall Südschleswig" folgendes geschrieben - ich darf es Ihnen mit Zustimmung des Herrn Präsidenten in ganz wenigen Auszügen entgegenhalten - :
Dem deutschen Ansehen dienlicher wäre es gewesen, man hätte unabhängig von außenpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen - um nicht zu sagen: von außenpolitischem Druck - Großzügigkeit zu rechter Zeit bekundet und gar nicht erst den Versuch gemacht, die Dänischgesinnten durch schematische Anwendung der Fünf-Prozent-Sperrklausel um ihre parlamentarische Vertretung zu bringen. Eine solche Art von „Volkstumspolitik"
- Herr Kollege Rasner - ist hoffnungslos antiquiert. Und weiter:
- die Regelung der Frage der dänischen Minderheit Dieses darf sich gerade in der Demokratie nicht auf die Kulturautonomie allein beschränken.
- wie Sie es immer wollen sie muß auch politische Mitbestimmung einschließen. Ohne Zugang zum Parlament und zu Parlamentsausschüssen und ohne das Recht, vor Regierungsbeschlüssen, die Minderheitsangelegenheiten berühren, befragt zu werden, bliebe auch die kulturelle Freiheit der nationalen Minorität höchst labil.
Das alles schreibt der „Rheinische Merkur" am 12. November. Wie weit ist diese Betrachtung von ,der Schau entfernt, die ich Ihnen eben entgegengestellt habe?
({11})
- Nein, es wäre aber gut, wenn Sie das Positive aus ihm für sich anwendeten. Es ist ja nicht nur der „Rheinische Merkur". Ich will noch auf die letzten Sätze in diesem Aufsatz hinweisen:
Die Regelung der dänischen Frage an unserer Nordgrenze ist keine bloß lokale Angelegenheit. Mit dem Maße, mit dem wir in Südschleswig messen, werden auch wir gemessen werden, dann nämlich, wenn es bei einer Neuordnung der deutschen Ostgrenzen und nach der Rückkehr der vertriebenen Deutschen darum gehen wird, die Rechte der so neu entstandenen deutschen Minderheiten zu bestimmen.
Ich glaube, Herr Bundesinnenminister, diese Art der Betrachtung sollte auch Ihnen möglich gewesen sein.
Aber, Herr Kollege Rasner, wenn Sie meinen, daß der „Rheinische Merkur" nicht unfehlbar sei, dann erlauben Sie mir den Hinweis darauf, daß der
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Ihnen dem Alter nach vielleicht nicht allzu entfernt stehende Kollege von der Jungen Union, der zweite Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, in einem Vortrag vor der Volkshochschule in Einfeld am 20. November 1954 denselben Standpunkt eingenommen und erklärt hat, daß diese Handlungsweise hinsichtlich der Fünf-Prozent-Klausel eine unkluge Handlungsweise gewesen sei und daß die Gefahr vor allen Dingen darin liege, daß die Behandlung der dänischen Minderheitenfrage in Schleswig-Holstein nach einer Wiedervereinigung Deutschlands als Vorbild für die Lösung der Probleme deutscher Minderheiten innerhalb der Nachbarländer herangezogen werden könne.
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß diese wenigen Beispiele genügen, um ihnen zu zeigen, daß überall dort, wo nicht die machtpolitische oder parteipolitische, subjektiv beeinträchtigte Betrachtungsweise ausschlaggebend ist - wie bei Ihnen, Herr Kollege Rasner -, auch in Ihrem eigenen Lager die Situation und ihre Folgen durchaus richtig beurteilt werden.
Lassen Sie mich mit einem Hinweis darauf schließen, was anläßlich der Kieler Woche im Jahre 1951, der Herr Bundespräsident in dem öffentlichen Gespräch mit dem, glaube ich, damaligen Staatsminister Hedtoft ausgeführt hat. Er erklärte:
Aber in den Grenzgebieten ist auch immer - und das spreche ich ganz offen aus - die Gefahr vorhanden einer Verengung wegen der gepflegten Reibungsflächen eines militanten Nationalismus, der überall entstehen kann. Es ist notwendig, daß die Dinge eingeordnet bleiben im großen Rahmen, im großen Maß. Glauben Sie nicht,
- so schließt er -daß um des Räumlichen willen die Regelung dieser Frage klein sei. Ich möchte finden, daß sie wirklich groß werden möge als Übungsfeld einer europäischen Gesinnung, aus der eine beispielhafte Leistung hervorgehen kann und soll.
Das, Herr Bundesinnenminister, Herr Kollege Rasner, meine Herren von der Regierungskoalition, ist der Geist, auf dem man ein neues Europa und eine neue Haltung zwischen den Völkern aufbauen kann. Behandeln Sie bitte diese Frage so weiter, wie es Ihre eigenen Freunde in der Presse getan und wie es der Herr Bundespräsident geschildert hat. Dann werden Sie zu einer Bereinigung dieser Spannungen kommen, und Sie werden mit Ihrem Beispiel die Anerkennung und die Achtung als einer Leistung für die europäische Zukunft erhalten.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Bartram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nach diesen langen Ausführungen einige kurze Bemerkungen.
({0})
Ich habe damals mit großem Interesse die Große Anfrage der SPD gelesen. Ihre Formulierung hat mich damals sehr verwundert und verwundert mich auch heute noch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Formulierung in Zusammenarbeit mit meinem früheren Kollegen aus dem Landtag Herrn Diekmann gefunden ist. Denn diese Anfrage enthält viele Unrichtigkeiten. Z. B. beginnt sie mit dem „Kieler Abkommen" statt mit der „Kieler Erklärung". Vor allen Dingen aber richtet sich diese Anfrage genau so an die frühere SPD-Regierung des Herrn Diekmann. Denn es handelt sich um dasselbe Wahlrecht, das damals unter der sozialdemokratischen Regierung gegolten hat, und dagegen richtet sich diese Anfrage. Geändert hat sich nur die Zahl der Wähler für die dänische Minderheit.
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Dadurch hat sie in dem Gebiet von Flensburg, wo sie konzentriert ist, keinen Sitz erhalten und auch die 5-%-Klausel nicht erfüllen können. Die Zahl der Wähler der dänischen Minderheit ist von 98 000 auf 42 000 zurückgegangen und bei den letzten Wahlen noch weiter abgesunken. Die Kurve neigt sich also nach unten. Das ist der wirkliche Grund gewesen, weshalb im Landtag kein Abgeordneter der dänischen Minderheit mehr vertreten ist. Deshalb richtet sich diese Anfrage ebensosehr gegen die damalige SPD-Regierung wie gegen die augenblickliche Regierung von Hassel.
({2})
- Ja, meine Damen und Herren, so sind die Tatsachen!
Deshalb war es auch für Herrn Diekmann so schwierig, diese Sache hier zu vertreten. Herr Diekmann, ich darf Ihnen sagen, ich war über Ihre Formulierung überrascht. Sie haben kein Wort für die deutschen Interessen gefunden, sondern Sie haben lediglich mit dem argumentiert, was die dänischen Parteien vorgebracht haben. Ich habe die Vertretung der deutschen Interessen gerade deshalb vermißt, weil Sie während Ihrer Regierungszeit eine andere Haltung eingenommen haben, als Sie sie vorgestern hier vertreten haben.
Deshalb begrüße ich es auch sehr, daß Herr Rasner einmal eine ausführliche Darstellung dieses Problems gegeben hat. Herr Rasner kommt aus Flensburg, also aus dem umstrittenen Gebiet, und weil er aus diesem Kampfgebiet kommt, mag man ihm auch manches zugute halten. Wir aus Holstein beurteilen die Lage im ganzen etwas nüchterner. Aber wir können uns seiner Argumentation voll anschließen, weil sie objektiv gehalten war und weil sie allen Mitgliedern des Hauses einen Überblick gegeben hat.
Gerade auch Ihre heutigen Ausführungen, Herr Rehs, haben mich sehr gewundert. Sie sind als Heimatvertriebener aus Pommern nach Schleswig-Holstein gekommen. Was wir in Schleswig-Holstein vermißt haben, war die Loyalität der Dänen in Schleswig gegenüber den Vertriebenen. In der Notlage, die uns durch die Notwendigkeit, die vertriebenen Deutschen unterzubringen, erwachsen war, haben sich gerade diese Vertreter gegen die Vertriebenen gewandt und sich dafür eingesetzt, die Vertriebenen sozusagen aus Schleswig wieder zu vertreiben, nur damit ihre sogenannte Minderheit nicht in Gefahr käme. Den Problemen, denen wir in dieser durch den Flüchtlingsstrom verursachten Notlage gegenüberstanden, sind sie in keiner Weise gerecht geworden, und das ist doch das Entscheidende, was uns menschlich so getroffen hat. Dadurch ist doch gerade auch die Spannung entstanden; denn sie haben nicht nur damit operiert, daß sich das Zahlenverhältnis verschieben werde, sondern sie haben auch an die Einheimischen appelliert, daß, wenn sie, ich will einmal' sagen:
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dänisch würden, die ganze Not mit den Flüchtlingen an ihnen vorbeigehen könnte. Das ist das, was uns innerlich, seelisch sehr getroffen hat; denn die ganze Flüchtlingsfrage ist nicht nur eine deutsche, sondern auch eine gesamteuropäische und eine Menschheitsfrage. Daß gerade dieses Problem aufgenommen und ihm gegenüber so gehandelt worden ist, hat uns zutiefst getroffen. Deshalb wundert es mich, Herr Rehs, daß Sie in Ihren Ausführungen nicht mit einem Wort darauf eingegangen sind; denn das hätte die Objektivität verlangt.
Herr Rehs hat schon von echten und unechten Minderheiten gesprochen. Ich möchte an dieser Stelle nicht unterlassen, auch der deutschen Minderheit in Dänemark, die stets, auch in den Zeiten der größten Not, ihren Standpunkt vertreten hat, unseren herzlichsten Dank für ihre Haltung auszusprechen, vor allen Dingen auch dafür, daß sie sich stets loyal auch dem dänischen Volk und dem dänischen Staat gegenüber verhalten hat.
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Wenn dieselbe Haltung in Deutschland von den Dänen gezeigt würde, gäbe es keine Spannungen; denn uns in Schleswig-Holstein - ich darf das für mich in Anspruch nehmen - liegt daran, mit dem dänischen Volk die beste Freundschaft zu haben, die es gibt.
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Ich bin davon überzeugt, daß auch das ganze deutsche Volk, dem diese Ereignisse ja völlig fremd sind, so denkt.
Ich bitte Sie, mit uns allen zu helfen, daß diese Spannungen endlich durch effektive Verhandlungen beseitigt werden, und eine neue Basis zu schaff fen, damit dieser Streitpunkt endlich einmal aus der Welt geschafft wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Czermak.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte im Namen meiner politischen Freunde vom GB/BHE, insbesondere der Heimatvertriebenen aus dem Osten, zur vorliegenden Frage nur ganz kurz Stellung nehmen. Ich komme aus dem Sudetenland, wo wir Deutsche eine nationale Minderheit waren und von Jugend an für unser Minderheitenrecht in Gesetzgebung und Verwaltung, in Sprache und Kultur kämpfen mußten. Ich komme noch aus dem alten Österreich, das bekanntlich durch Jahrhunderte alle seine nationalen Minderheiten, auch die kleinsten, wirklich nobel, tolerant und großzügig behandelt hat.
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Dieser Gedanke der Toleranz, der Noblesse, der Großzügigkeit sollte auch im ganzen Bundesgebiet, auch in Schleswig-Holstein der dänischen Minderheit gegenüber zum Grundsatz erhoben werden,
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allerdings in Gegenseitigkeit von Staat zu Staat, von Deutschland zu Dänemark.
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Meine Damen und Herren, ich bitte dabei zu bedenken, daß auch heute noch deutsche Minderheiten nicht nur in Dänemark, sondern auch in Südtirol, im Elsaß, in Belgien, auch in unserer alten Heimat jenseits des Eisernen Vorhangs, in Polen, in Ostpreußen, im Sudetenland, in Ungarn, leben, die sich mit Recht auf ihr gutes, im Völkerrecht anerkanntes Minderheitenrecht berufen, das wir selbstverständlich auch den anderen Minderheiten im eigenen Lande zuerkennen müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben es am eigenen Leibe erlebt: Jeder Druck, jede Ausschaltung einer nationalen Minderheit erzeugt Gegendruck und Spannungen, die im allgemeinen Staatsinteresse, im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens aller Völker unbedingt vermieden werden sollten. Wir bitten daher, daß möglichst bald im Sinne der gemeinsamen Erklärung Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark eingeleitet werden und daß im Zuge dieser Verhandlungen die Frage der Minderheiten im Geist der Großzügigkeit und Toleranz gelöst wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Diekmann.
Meine Damen und Herren! Ich habe ursprünglich nicht die Absicht gehabt, noch einmal zu diesem Thema zu sprechen. Ich glaube über meine Auffassungen vorgestern abend ausgiebig geredet zu haben. Nachdem ich aber verschiedentlich persönlich benannt worden bin, halte ich mich doch für verpflichtet, noch einiges dazu zu sagen. Auch ich muß jetzt das nationalpolitische Plateau betreten, was ursprünglich bestimmt nicht meine Absicht gewesen ist. Wer meinen Ausführungen vorgestern abend gefolgt ist, wird ohne Zweifel feststellen, daß ich mich hinsichtlich der Minderheitenfrage und des ganzen damit zusammenhängenden Komplexes doch einigermaßen objektiv und sachlich verhalten habe. Ich glaube in erster Linie herausgestellt zu haben, daß es uns, der sozialdemokratischen Fraktion, um die Menschenrechte und um die Rechte der Minderheiten ging und um gar nichts anderes. Meine Ausführungen sind von der Gegenseite leider nicht ganz so aufgenommen worden, wie ich es gewünscht habe und wie es im Interesse der Sache gelegen hätte.
Meine Damen und Herren, ich bin den Ausführungen der Abgeordneten Rasner und Dr. Bartram mit größtem Interesse gefolgt. Ich glaube aber, die Darlegung der Standpunkte war kaum nötig, denn nach den langen Jahren der politischen Zusammenarbeit ist unsere gegensätzliche Auffassung von vornherein klar gewesen. Der eine hat genau gewußt, was der andere zu sagen hatte, und umgekehrt. Seit 1949, nein, seit dem Jahre 1945 befassen wir uns mit dem Minderheitenproblem, und immer haben wir gegenteilige Auffassungen darüber gehabt, wie das Problem anzupacken sei. Über eines sind wir uns klar gewesen, Herr Rasner: über die Notwendigkeit der Erhaltung und Festigung des Deutschtums an der Grenze. In der Hinsicht sind wir beide gleicher Meinung. Aber unsere Wege dahin sind sehr unterschiedlich gewesen. Ich bin nicht der Auffassung, daß es richtig ist, das Minderheitenproblem, das Grenzproblem unter den Aspekten der engen grenzpolitischen Verhältnisse des Landes Schleswig-Holstein zu sehen.
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Nein, meine Damen und Herren, es muß unter anderen Aspekten gesehen werden. Die Verhältnisse sind ernster, als sie im Verlauf der Debatte betrachtet wurden.
Schleswig-Holstein ist die Brücke zwischen Mitteleuropa und dem skandinavischen Raum. Gerade wir sind daran interessiert, das beste nachbarliche Verhältnis zum gesamten skandinavischen Raum zu haben. Vergessen Sie doch nicht, daß der skandinavische Raum nicht erst im Werden begriffen ist, sondern daß man dort in der europäischen Politik schon wesentlich weitergekommen ist als in den übrigen europäischen Staaten! Im skandinavischen Raum gibt es bereits eine einheitliche Wirtschaftspolitik. Der Arbeiter, ganz gleich, ob er Däne oder Schwede oder Norweger ist, kann dort überall unter den gleichen Verhältnissen arbeiten. Im gesamten skandinavischen Raum ist die Freizügigkeit des Arbeiters verwirklicht. Das haben wir im übrigen europäischen Raum noch nicht. Deshalb sind wir daran interessiert, ein möglichst gutes nachbarliches Verhältnis zu den skandinavischen Staaten zu haben. Das ist immer die Aufgabe Schleswig-Holsteins gewesen. Vergessen Sie doch bitte auch nicht, daß in mehr als tausend Jahren die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte vom Norden nach dem Süden durch Schleswig-Holstein geflutet sind! Unter diesen Aspekten ist die Grenzlandpolitik dort oben zu betreiben. Wir haben gar kein Interesse daran, daß dieses Fließen vom Norden nach dem Süden und umgekehrt durch eine engstirnige Minderheitenpolitik blockiert wird. Wir wollen nach wie vor die Brücke zwischen Nord und Süd sein.
Hier ist von der Geschichte Schleswig-Holsteins gesprochen worden. Sie ist natürlich außerordentlich interessant, weil, wie ich schon sagte, tausend Jahre hindurch die Kräfte vom Norden nach dem Süden durch Schleswig-Holstein geflossen sind. Daraus hat sich ergeben, daß die Mentalität der Bevölkerung im Lande Holstein an und für sich etwas aggressiver im Vergleich zur Bevölkerung in Schleswig ist, die ein viel feineres Fingerspitzengefühl für politische Ereignisse hat. Deshalb ist die Mentalität an der Grenze anders als im übrigen Raum Schleswig-Holsteins. Das wird mir sicher von den Schleswig-Holsteinern keiner abstreiten wollen. Unter diesem Blickpunkt müssen Sie, meine Damen und Herren, das echte oder das unechte Minderheitenproblem zu erkennen versuchen; hier liegt die Wurzel.
Ich darf daran erinnern, daß es gerade der kleine Mann, wenn ich so sagen darf, die minderbemittelte Bevölkerung war, die im Jahre 1920 die zweite Zone gerettet hat. Bei der Abstimmung in der zweiten Zone im Lande Schleswig-Holstein hatten, wie festgestellt wurde, ungefähr 20 000 Menschen noch ihre Stimme für Dänemark abgegeben. Die dänische Minderheit im südschleswigschen Raum hatte also immer noch eine Größenordnung von etwa 20 000 Wählern. Wenn diese Zahl auf etwa 1500 oder 2000 bis zum Jahre 1939 zurückging, na ja, dann lag es eben daran, daß die Menschen mehr oder weniger erfaßt hatten, daß es keinen Zweck hat, eine übersteigerte dänische kulturelle Arbeit in diesem Raum zu machen.
Die Menschen, die 1920 für die deutschen Belange eintraten, stehen heute leider wieder auf seiten der dänischen Minderheit. Da muß man doch die Frage aufwerfen: Worauf ist das zurückzuführen? Das ist doch keine Flucht aus der deutschen
Verantwortung! Der Grund ist die klare Erkenntnis, daß wir oben im Norden einen soliden Staat mit vernünftigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen haben. Ich habe vorgestern abend gesagt: Für manchen Menschen dort oben an der Grenze war Dänemark das Land, in dem Milch und Honig floß - und noch fließt! Das haben Sie, Herr Rasner, in Ihren Ausführungen bestätigt. So, meine Damen und Herren, ist die echte und unechte Minderheit zu sehen.
Ich glaube, es war eine Entgleisung des Kollegen Rasner, als er hier betonte, unter der Minderheit befänden sich viele Flüchtlinge aus Pommern, Dänemark, Schlesien und Ostpreußen. Das war im Grunde genommen eine Beleidigung der Flüchtlinge. Wenn Sie genauere Untersuchungen anstellten, fänden Sie vielleicht hier und da jemand. Ich kennne auch einige, Herr Rasner;
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aber das können 'Sie doch nicht verallgemeinern. Die Flüchtlinge, die aus den genannten Bezirken kamen, haben sich doch gerade bei uns im Lande Schleswig-Holstein zu starken landsmännischen Organisationen zusammengefunden und immer ihr Deutschtum hochgehalten.
Sie sagten dann, Dänemark sei einmal eine Großmacht gewesen. Ja, ich kann Ihnen auch ungefähr die Zeit angeben, in der es war. Im 14. Jahrhundert war es.
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- Ich wollte auf die Dinge nicht eingehen; ich tue es nur, weil Sie von einer Großmacht gesprochen und die ganze Geschichte ironisiert und gesagt haben: heute leben sie in Romantik. Glauben Sie nicht, daß es auch in Deutschland noch Leute gibt, die in Romantik leben? Lassen Sie mal wieder die „Kommisstiebel" auf dem Kasernenhof stehen, dann wird manche deutsche Romantik wieder aufleben, das kann ich Ihnen nur sagen.
Ich darf jedenfalls betonen, daß Dänemark immerhin ein guter demokratischer Staat ist und daß gerade dort die Träger der Demokratie die Bauern, Handwerker und Arbeiter sind. Das große soziale Gefälle vom Norden nach dem Süden hin hat viele doch gerade bewogen, in der Hoffnungslosigkeit ihre Hoffnungen wieder aufleben zu lassen. Das hat sich aber Gott sei Dank geändert. Die Minderheitenbewegung dort im nördlichen Raume Deutschlands ist wieder rückläufig geworden, eben deshalb, weil wir durch die Kieler Erklärung und zum andern durch den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau in Deutschland zu einer gewissen Befriedung gekommen sind.
Meine Damen und Herren, Sie haben von der Großzügigkeit gesprochen, die wir Deutsche gegenüber der Minderheitenbewegung an den Tag gelegt haben. Ich weiß nicht, ob das eine ausgesprochene Großzügigkeit ist, die wir gezeigt haben. Im Grunde genommen hatten wir ja im Jahre 1945 das Gesetz des politischen Handelns gar nicht in der Hand. Die Minderheit ist aus sich selbst gewachsen und ist aus sich selbst geworden, ohne daß wir ihr die Auflage, wenn ich so sagen darf, gegeben haben. Das möchte ich hier festgestellt haben. Im Grunde genommen haben sie doch nur die Rechte, die ihnen auf Grund des Grundgesetzes und der Kieler Erklärung zugestanden werden mußten, für sich in Anspruch genommen, vor allem das Recht, ihre Schulen, ihre Kindergärten usw. auszubauen.
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Sind Sie nicht der Meinung, daß man auch auf der andern Seite „großzügig" gewesen ist wenn man diese nicht gerade sehr nette Formulierung gebrauchen will? Drüben hat nach der Kieler Erklärung das Kopenhagener Protokoll sich mit der deutschen Minderheit befaßt, und ich glaube, auch hier ist eine gewisse Großzügigkeit gezeigt worden.
Wie ist denn die Sache mit den Wahlgesetzen? Natürlich kann man die Wahlgesetze Dänemarks nicht ohne weiteres mit dem Wahlgesetz Schleswig-Holsteins vergleichen; wir sind ja ganz anders gewachsen. Aber wenn die Dänen es wollen, dann können sie genau so gut die Mandate der deutschen Minderheit unterbinden, dann können sie genau so gut verhindern, daß ein Vertreter in den Folketing kommt, und zwar dadurch, daß sie eine andere Wahlkreiseinteilung vornehmen; dann sind nämlich die Stimmen nicht mehr zusammenzufassen und dann bekommt auch die deutsche Minderheit im Folketing keine Vertreter mehr. Seien Sie dessen versichert: Wenn wir hier nicht zu einer vernünftigen Lösung des Minderheitenproblems kommen, dann steht das eines guten Tages bestimmt auch im Lande Dänemark an. Nicht umsonst hat der Folketing-Abgeordnete Schmidt-Oxbüll, der ein Vertreter der deutschen Minderheit ist, darauf aufmerksam gemacht, daß Ihnen dergleichen passieren kann.
Stellen wir uns also gefälligst etwas mehr auf den Boden der . Grundrechte und der Menschenrechte, dann werden wir, davon bin ich überzeugt, zu einer ganz vernünftigen Lösung kommen, die wesentlich besser sein wird, als wenn wir jetzt einen sogenannten Minderheitenvertrag schließen wollen. Meine Damen und Herren, worum geht es denn in einem Minderheitenvertrag? Da geht es doch im Grunde genommen nur darum: Auge um Auge, Zahn um Zahn!
({5})
Keiner hat ein Interesse daran, in die innerstaatlichen Verhältnisse eines andern Staates hineinzugucken, und nur das kann letzten Endes dabei herauskommen. Deshalb warne ich davor. Es gibt andere Wege, um zum Ziele zu kommen. Ich darf daran erinnern, daß sich im Jahre 1921 und auch im Jahre 1923 die Sozialdemokratischen Parteien Dänemarks und Deutschlands zusammengesetzt haben, um das Minderheitenproblem dort oben zu lösen. So großzügig ist es nämlich vor 1923 auch bei den deutschen Minderheiten nicht gewesen. Darüber hinaus hat auch dort die Irredenta eine Rolle gespielt, nur hat damals zuletzt die Vernunft gesiegt.
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- Heute ist es nicht mehr ganz so, weil die Stärkeverhältnisse umgekehrt sind. Ich bin aber davon überzeugt, daß die dänische Minderheit auch einmal dahin kommen wird, wenn sie sieht, daß sich ihre irredentistischen Pläne nicht mehr verwirklichen lassen.
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Ich darf Sie daran erinnern, daß diese Frage auch im Folketing eine Rolle gespielt hat. Im Jahre 1945 waren die verantwortlichen Stellen in Dänemark klug genug, nicht zu einer Okkupation Schleswig-Holsteins bzw. des südschleswigschen Raums überzugehen. Sie haben die großen Gefahren, die damit verbunden sind, ohne Zweifel erkannt und haben von dieser Annexion Abstand genommen. Es ist am 9. Mai 1945 und abermals am 20. November 1945 1 deutlich genug zum Ausdruck gekommen. Das bitte ich doch zu berücksichtigen.
Im übrigen ist verschiedene Male im Folketing zum Ausdruck gebracht worden, daß man gar nicht daran denkt, zu einer Annexion überzugehen, sondern das Selbstbestimmungsrecht aufrechterhalten möchte. Heute ist man sich völlig darüber klar, daß die Selbstbestimmung bei den heute gegebenen Verhältnissen sich nicht ohne weiteres durchführen läßt.
Die Gegenseitigkeit kann nach meiner Auffassung leicht garantiert werden. 1921 und 1923 haben, wie ich sagte, die beiden sozialdemokratischen Parteien das fertiggebracht in dem Augenblick, als sie beschlossen, nur die Verwendung der von den Staaten für die Minderheiten angesetzten Mittel gegenseitig zu kontrollieren. Das scheint mir ein ganz vernünftiger Weg zu sein.
({8})
Die Unterhaltung, die zwischen dem dänischen Ministerpräsidenten Hedtoft, Vertreter der sozialdemokratischen Partei, und meinem Parteifreund Ollenhauer im März 1953 in Flensburg geführt worden ist, hat auch nur die Gegenseitigkeit und die Verständigung der beiden Völker im Auge gehabt, und dieses Ziel streben beide Parteien ohne Zweifel an.
Unter diesen Aspekten, die ich hier dargestellt habe, muß man die echte und die unechte Minderheit unterscheiden. Nur unter diesen Aspekten kann man zu einer Gegenseitigkeit, zu einer Verständigung kommen. Uns liegt nur daran, die Menschenrechte jeder Minderheit, ganz gleich, an welcher Grenze sie sich befinden, berücksichtigt zu wissen. Das ist unsere Auffassung von den Dingen.
Mein Kollege Rehs ist schon. auf Darlegungen des Herrn Ministers Dr. Schröder eingegangen. Wir haben hier eine juristische Belehrung bekommen. An der ist uns nicht viel gelegen. Wir haben in unserer Partei Juristen genug, die ebenfalls wissen, daß die Minderheit innerhalb dieses Rechtsrahmens, den wir uns geschaffen haben, bei den augenblicklichen Rechtsverhältnissen keine Vertretung bekommen kann. Aber es muß doch eine Änderung eintreten; und sie herbeizuführen ist die Aufgabe der Politiker. Wir wollten den Antrag, den wir gestellt haben, unter politischen Aspekten gesehen wissen. Das dürfen wir doch wohl von der Regierung verlangen, daß sie auf diese unsere Meinung und unsere Forderung eingeht.
Ich bin davon überzeugt, daß wir eine Lösung finden, wenn wir uns kühl und sachlich an die Arbeit machen. Meine Partei ist durchaus damit einverstanden, wenn der von Ihnen eingebrachte Antrag in die Ausschüsse geht. Ich bin der Meinung, daß nicht nur der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, sondern auch der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung in Frage kommt, und auch den Rechtsausschuß sollte man mit dieser Angelegenheit befassen. Aber auch die Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion bitten wir, als das erforderliche Material, in die Ausschüsse zu geben.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr
({0})
Vorredner hat damit geschlossen, daß er sich mit der Behandlung des Antrags des Herrn Kollegen Rasner im Ausschuß einverstanden erklärt hat. Unter diesen Umständen kann ich mich relativ kurz fassen.
Ich bin dafür getadelt worden - oder ich darf sagen, die Bundesregierung ist dafür getadelt worden, daß sie rechtliche Ausführungen gemacht habe. Sie ist weit davon entfernt, irgend jemand in rechtlicher Beziehung belehren zu wollen. Aber ich darf darauf verweisen, daß die Große Anfrage der Fraktion der SPD die Überschrift trägt: „Nationales Minderheitenrecht", und es ist wohl nur richtig, daß die Regierung auf diese Frage korrekt antwortet.
Ich habe festgestellt und ich wiederhole die Feststellung, daß das Landtagswahlrecht in Schleswig-Holstein weder Regeln des Völkerrechts noch das Grundgesetz noch die Kieler Erklärung verletzt. Es ist bezweifelt worden, ob die Aussage der Regierung richtig sei, daß ihr von Spannungen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark nichts bekannt sei. Ich wiederhole das, was hierzu gesagt worden ist, und kann es dahin ergänzen, daß das Auswärtige Amt darüber informiert ist, daß Dänemark mit der Erklärung, die die Bundesregierung abgegeben hat, zufriedengestellt ist und es begrüßt, daß nicht von Spannungen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark gesprochen worden ist.
({1})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir nun noch, auf wenige Punkte aus der Debatte einzugehen. Ich selbst habe mich wie andere hier gewundert, daß der Herr Kollege Diekmann die Große Anfrage begründet und dabei keinen Hinweis darauf gegeben hat, daß es die damalige sozialdemokratische Regierung in Schleswig-Holstein gewesen ist, die die Fassung des Landeswahlgesetzes vom 27. Februar 1950 vorgeschlagen hat. Ich darf vielleicht für das Haus, das diese Zusammenhänge nicht so genau kennen kann, den einschlägigen Paragraphen vorlesen. Es heißt dort:
An dem Verhältnisausgleich nehmen alle Parteien teil, für die in allen Wahlkreisen Wahlvorschläge sowie eine Landesliste aufgestellt
und zugelassen worden sind, sofern für sie in
mindestens einem Wahlkreis ein Abgeordneter
gewählt worden ist oder sie insgesamt fünf vom
Hundert der im Lande abgegebenen gültigen
Stimmen erzielt haben. Bei Parteien nationaler
Minderheiten ist die Zulassung von Wahlvorschlägen in allen Wahlkreisen nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Verhältnisausgleich.
Nichts anderes gilt im Lande Schleswig-Holstein heute, und nichts anderes hat die damalige sozialdemokratische Regierung dieses Landes vorgeschlagen. Das sind doch Tatsachen, die man, um ein richtiges Bild der Lage zu geben, hier einmal in Erinnerung rufen muß.
Leider ist heute der Kollege Brandt nicht hier. Ich hätte ihm sonst gern auf eine Frage geantwortet, die er als Zwischenfrage gestellt hat. Er hat gefragt, wie es dann wäre, wenn die Bayernpartei im Bundeswahlgesetz nach denselben Maßstäben behandelt worden wäre. Ich muß darauf korrekterweise die Antwort geben, daß das in der Tat der Fall ist und daß die Bayernpartei hier im Hause in der Tat nicht vertreten ist, weil sie nach denselben Maßstäben behandelt worden ist.
Meine Damen und Herren! Ich kann mich darauf beschränken und kann hinzufügen, daß die Bundesregierung jederzeit bereit ist, in Verhandlungen mit der dänischen Regierung einzutreten, wenn zu solchen Verhandlungen auf der anderen Seite ebenfalls der Wunsch besteht. Dieser Augenblick ist, soweit ich sehe, noch nicht gekommen. An unserem guten Willen wird es nicht fehlen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann ein Problem auch zerreden. Herr Kollege Diekmann, ich bin Ihnen daher sehr dankbar, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, einmal unsere Gemeinsamkeiten herauszustellen. Wir sind uns - dessen bin ich sicher - im ganzen Hause darüber einig, daß wir im Grenzland, an der deutsch-dänischen Grenze Ruhe haben wollen. Wir sind uns darüber einig, daß diese deutschdänische Grenze definitiv festliegt. Wir sind uns darüber einig, 'daß wir der dänischen Minderheit in Deutschland den weitestgehenden Minderheitenschutz gewähren wollen, daß wir aber nicht tatenlos zusehen wollen, wenn sich dort irredentistische Bestrebungen entfalten.
({0})
Auch darüber sind wir einig. Schließlich sind wir uns doch wohl auch darüber einig, daß der Abschluß eines Minderheitenvertrages oder - das sagt unser Antrag auch, und Sie brauchen an dem Wort Vertrag keinen Anstoß zu nehmen - irgendeine andere zwischenstaatliche Regelung automatisch involviert, daß die vertragschließenden Teile den Besitzstand gegenseitig anerkennen. Wenn das der Fall ist, dann ist das Grenzproblem an der deutschdänischen Grenze beseitigt; dann setzt nur noch ein edler Wettstreit darüber ein, wer den anderen an Großzügigkeit übertrifft.
Diesem gemeinsamen Wunsch, diesen vier Einigkeiten, die das ganze Haus sicherlich aufzuweisen hat, trägt unser Antrag Umdruck 277 Rechnung, und dieser Antrag, mit dem die Debatte vertieft wird, soll im Ausschuß für auwärtige Angelegenheiten diskutiert werden. Wir hoffen, daß dort nun wirklich eine Arbeit geleistet wird, die es ermöglicht, mit unserem Nachbarland ein freundschaftliches Verhältnis - ein gutes nachbarliches Verhältnis zu Dänemark besteht unbestreitbar heute schon -, ein engfreundschaftliches Verhältnis herbeizuführen, das letzten Endes diese ganze Grenze gegenstandslos werden läßt. Ich zweifle gar nicht daran, daß das ganze Haus - das haben Sie, Herr Kollege Diekmann, erfreulicherweise schon zum Ausdruck gebracht - der Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zustimmen wird, und ich zweifle nicht daran, daß nach der vorangegangenen Diskussion dort gemeinsam den von mir skizzierten Zielen möglichst schnell zugestrebt werden wird.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Diekmann.
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich noch einmal das Podium betrete. Ich weiß, daß es in 'der De({0}),
mokratie, im Parlament die Gepflogenheit gibt, daß man, wenn man zum dritten Mal spricht, sich die Genehmigung des Präsidiums geben lassen muß. Aber mir wurde bedeutet, daß ich jetzt erst zum zweiten Mal spräche. Ich gebe Ihnen aber die Versicherung, daß ich nicht sehr lange reden werde.
Nur eins zunächst einmal vorausgeschickt. Herr
Rasner, Sie haben mir eben viel besser gefallen.
({1})
Man kann natürlich nicht an alles denken, und der Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder war so freundlich, mich nochmals daran zu erinnern, daß ich über das Wahlgesetz, das im Jahre 1950 unter der sozialdemokratischen Regierung verabschiedet worden ist, nichts geäußert habe, auch nichts darüber, daß in diesem Wahlgesetz die Fünf-ProzentKlausel bereits vorhanden ist. Vergessen Sie doch nicht: Das war im Jahre 1950, und seitdem sind mehr als vier Jahre ins Land gegangen, und es hat sich in Deutschland und auch an der Grenze manches geändert. Die dänische Minderheit war damals stark genug. Da brauchten wir auf diese Dinge keine Rücksicht zu nehmen. Heute ist .es anders geworden, und man darf bei der Behandlung der Minderheitenfrage nicht vergessen, daß die Minderheit nur an der nördlichen Grenze vertreten ist, sich nur hier entfaltet und auch nur hier wirken kann. Man kann infolgedessen nicht die heutige Zeit mit der damaligen gleichstellen; denn was damals richtig war, braucht heute nicht unbedingt richtig zu sein.
({2})
Meine Damen und Herren! Damit ist die Rednerliste zu Punkt 1 der Tagesordnung - Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Nationales Minderheitenrecht - erschöpft und außerdem die Aussprache über den Antrag der Fraktionen der Koalition Umdruck 277 beendet.
Für den Antrag Umdruck 277 *) ist Überweisung an folgende Ausschüsse beantragt: erstens Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten,
({0})
zweitens Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, drittens Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, daß der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten federführend sein soll. Ist das Haus im übrigen mit der beantragten Überweisung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung ({1});
Schriftlicher Bericht**) des Ausschusses für Verkehrswesen ({2}) ({3}).
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Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor. Ich frage, ob der Herr Berichterstatter das Wort zur ergänzenden Begründung wünscht. - Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
*) Siehe Anlage 15 zum Stenographischen Bericht der 58. Sitzung.
**) Siehe Anlage 1.
Berendsen ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrag des Ausschusses für Verkehrswesen habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem vorliegenden Gesetz Ihre Zustimmung zu geben. Es handelt sich darum, daß ein von der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt ausgearbeitetes Verfahren für die polizeiliche Regelung auf dem Rheinstrom, das am 1. Januar bei allen Uferstaaten in Kraft treten soll, nun auch bei uns durch den Verkehrsminister in Kraft gesetzt werden kann. Ein einstimmiger Beschluß des Verkehrsausschusses liegt vor. Ich darf Sie bitten, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
({6})
Meine Damen und Herren! Nach den Vereinbarungen im Ältestenrat soll eine Aussprache über die Einzelbestimmungen des Entwurfs entfallen. Ich nehme das Einverständnis des Hauses dazu an.
Ich rufe die §§ 1, - 2, - 3, - 4, - die Einleitung und Überschrift auf. Ich eröffne die zweite Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung über die §§ 1 bis 4, Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die dritte Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzentwurfs in der vorliegenden Fassung ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich stelle damit fest, daß der Punkt 2 der Tagesordnung erledigt ist bis auf den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 auf Drucksache 1027. Der Ausschuß beantragt, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung für erledigt zu erklären. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Internationalen Fernmeldevertrag Buenos Aires 1952 ({0});
Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen ({1}) ({2}).
({3})
Wird zum Ausschußbericht das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe auf in der zweiten Beratung die Artikel I, - II, - III, - IV, - Einleitung und Überschrift. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die aufgerufenen Artikel, Einleitung und Überschrift ist,
*) Siehe Anlage 2.
({4})
den bitte ich um ein Handzeichen.-Gegenprobe! - Enthaltungen? - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
des Gesetzentwurfs. Ich eröffne die dritte Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ausschußantrag Drucksache 1034 Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung für erledigt zu erklären. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Verträgen des Weltpostvereins vom 11. Juli 1952 ({5});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen ({6}) ({7}).
({8})
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Siebel. Der Schriftliche Bericht*) liegt vor. Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zu ergänzenden Ausführungen wünscht.
({9}) - Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe auf Artikel I, - II, - III, - IV, - Einleitung und Überschrift. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Artikeln I bis IV, der Einleitung und Überschrift in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß das Gesetz in zweiter Beratung einstimmig angenommen ist.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die dritte Beratung.
Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle fest, daß das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Verträgen des Weltpostvereins vom 11. Juli 1952 in dritter Lesung einstimmig angenommen ist.
Ich komme zur Abstimmung über den Ausschußantrag Drucksache 1035 Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung zu Ziffer 1 für erledigt zu erklären. Wer dem Ausschußantrag zustimmen will, 'den bitte
s) Siehe Anlage 3. ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist angenommen; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Übernahme einer Bürgschaft oder sonstigen Gewährleistung für eine Anleihe des Landes Berlin ({10}).
Meine Damen und Herren, ich teile mit, daß mir gestern mit einem Schreiben des Herrn Bundeskanzlers der Entwurf eines Gesetzes über die Obernahme einer Bürgschaft oder sonstigen Gewährleistung für eine Anleihe des Landes Berlin mit genau demselben Wortlaut und der Mitteilung zugegangen ist, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 3. Dezember 1954 gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes beschlossen habe, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben. Ich stelle also fest, daß eine mit dem aufgerufenen Initiativgesetzentwurf gleichlautende Regierungsvorlage vorliegt. Ich darf annehmen, daß gegen die erste, zweite und dritte Beratung keine Einwendungen erhoben werden.
Ich eröffne die erste Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs Drucksache 1020. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Damit ist die erste Lesung abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung.
Ich rufe auf die §§ 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift. - Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - In der zweiten Lesung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die dritte Beratung.
Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das Gesetz über die Übernahme einer Bürgschaft oder sonstigen Gewährleistung für eine Anleihe des Landes Berlin ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des von
den Abgeordneten Sabel, Arnholz, Kühn
({11}), Dr. Sornik, Walter und Genossen
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte ({12}) in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts ({13}).
Ich frage, ob zur Einbringung bzw. Begründung das Wort gewünscht wird. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne damit die erste Beratung.
({14})
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird
nicht gewünscht. Ich schließe die erste Beratung.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung
und rufe auf die §§ 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift, Drucksache 1022. - Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. - Ich schließe die Beratung der zweiten Lesung.
Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in der zweiten Lesung einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Beratung der dritten Lesung. Wird
dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Beratung der dritten Lesung.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle fest, daß das Gesetz in dritter Lesung einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität ({15}) betreffend Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Erwin Schönborn gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 10. September 1954 wegen Beleidigung des Deutschen Bundestages ({16}).
Ich frage, ob der Herr Berichterstatter bereit ist, dazu das Wort zu nehmen? - Der Herr Berichterstatter hat das Wort.
Runge ({17}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 10. September 1954 ersucht der Bundesminister der Justiz um Genehmigung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Vorsitzenden der Deutschen Freiheitspartei Erwin Schönborn wegen Beleidigung des Bundestages. Anlaß dieses Ersuchens war die Versammlung der Deutschen Freiheitspartei, die am 1. Juli dieses Jahres in Berlin-Neukölln stattfand und auf der der Vorsitzende dieser Partei u. a. die Bundestagsabgeordneten, die einer Erhöhung der Diäten zugestimmt haben, als „Verbrecher" bezeichnete.
Der Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität war einmütig der Auffassung, daß Angriffe gegen Organe der Demokratie zurückgewiesen werden müssen. In diesem besonderen Fall allerdings hat die Mehrheit des Ausschusses die Auffassung vertreten, daß durch die Genehmigung zur Strafverfolgung sowohl dem Vorsitzenden der Deutschen Freiheitspartei, Herrn Schönborn, als auch seiner Partei eine politische Bedeutung beigemessen würde, die sie zweifellos nicht besäßen. Zum anderen würdigte die Mehrheit des Ausschusses die Tatsache, daß die Veröffentlichungen über das Diätengesetz und die Bezüge der Abgeordneten nicht immer korrekt erfolgt seien und daß daher die verschiedensten Meinungen in der Bevölkerung hätten aufkommen müssen. Schließlich würdigte die Mehrheit des Ausschusses die Tatsache, daß der Vorsitzende der Deutschen Freiheitspartei bereits seit zwei Jahren erwerbslos ist und eine monatliche Unterstützung von 82 DM bezieht.
Ich habe deshalb namens der Mehrheit des Ausschusses zu beantragen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Erwin Schönborn wegen Beleidigung des Deutschen Bundestages wird nicht erteilt.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht des Herrn Berichterstatters gehört. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen zwei Stimmen ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Wirths gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 11. März 1954 ({1}).
Meine Damen und Herren, der hierfür vorgesehene Herr Berichterstatter ist heute in Straßburg und deshalb verhindert, den Bericht zu erstatten. Den Bericht hat übernommen der Herr Abgeordnete Dr. Götz. Ich darf bitten, daß er das Wort nimmt.
Dr. Götz ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu diesem Tagesordnungspunkt auf die Drucksache 1012 verweisen. Der Immunitätsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 12. November 1954 mit einem Schreiben des Bundesministers der Justiz beschäftigt, das zum Inhalt hatte den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Wirths und Genehmigung eines Strafverfahrens wegen übler Nachrede.
Mit dieser Angelegenheit hat sich bereits der 1. Deutsche Bundestag in seiner Sitzung vom 18. April 1951 befaßt. Ich glaube es Ihnen und mir ersparen zu können, hier eine breitere Darstellung des Sachverhalts zu geben. Es handelt sich um Vorwürfe, die der Abgeordnete Wirths in Zeitungsaufsätzen vom 18. Oktober und 2. November 1950 in der „Westdeutschen Rundschau" gegen einen Ministerialdirigenten in Nordrhein-Westfalen erhoben hat, dem er korrupte Verwendung von Mitteln des Sozialministeriums vorgeworfen hat. Schon das Plenum des 1. Deutschen Bundestages hat auf Antrag des Immunitätsausschusses die Immunität aufgehoben, obzwar damals sowohl der Ausschuß als auch das Plenum der Auffassung waren, daß es sich hier um eine rein politische Angelegenheit handle. Aber nachdem Herr Abgeordneter Wirths im eigenen Interesse wie im Interesse der Allgemeinheit auf eine Aufhebung der Immunität gedrängt hatte, wurde diesem Ansinnen stattgegeben.
Nun hat aber das Verfahren einen sehr eigenartigen Verlauf genommen. Zunächst hat es zwei Jahre geruht und wurde erst kurz vor der Bundestagswahl 1953 wieder in Gang gesetzt. Das hat den
({3})
Eindruck verstärkt, daß es sich hier wirklich um eine Angelegenheit rein politischen Charakters handelt. Daher kam der Ausschuß einstimmig zu dem Vorschlag, die Immunität des Abgeordneten Wirths nicht aufzuheben; er stellt diesen Antrag, und ich darf Sie bitten, diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Ausschusses gehört. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Wacker ({1}) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. August 1954 ({2}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Wittrock.
Wittrock ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um ein Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Bonn auf Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Wacker. Ich darf den Sachverhalt in seinen wesentlichen Punkten kurz darstellen. Es wird ausgeführt: Am 16. April habe der Sohn des Abgeordneten Wacker einen Pkw hier in Bonn ohne den erforderlichen Kraftfahrzeugschein geführt. Die Polizei hat dies bei einer Verkehrskontrolle festgestellt, und der Sohn des Abgeordneten Wacker hat erklärt, daß sich der Kraftfahrzeugschein im Besitz seines Vaters, also des Kollegen Wacker, befinde. Der Polizeibeamte ist dann mit zu der Wohnung des Kollegen Wacker gefahren und hat dort zunächst zehn Minuten gewartet. Dann ist der Sohn, der zwischenzeitlich zu seinem Vater gegangen war, wieder erschienen und hat erklärt, er solle noch weiter warten; der Vater - also der Abgeordnete Wacker - sei noch nicht soweit. Nach weiteren zehn Minuten sei der Abgeordnete Wacker erschienen, und es hat sich dann eine Auseinandersetzung ergeben, deren Einzelheiten ich hier nicht darstellen will. In der Anzeige wird ausgeführt, der Kollege Wacker habe hierbei betont auf seine Stellung als Bundestagsabgeordneter hingewiesen, und es sei zu beleidigenden Äußerungen und zu Bedrohungen des Polizeibeamten gekommen. Ich will auch diese Einzelheiten nicht näher darstellen; sie sind in der Anzeige im einzelnen ausgeführt.
Der Ausschuß hat einstimmig beschlossen, die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens zu empfehlen. Dies entspricht den bisherigen Grundsätzen des Hohen Hauses. Es handelt sich - die Wahrheit der Darstellung des Sachverhalts einmal unterstellt - nicht um eine strafbare Handlung, die politischen Charakter hat oder die mit der politischen Tätigkeit des Abgeordneten in einem irgendwie erkennbaren Zusammenhang steht. Zwar hat Kollege Wacker in der Auseinandersetzung seine Stellung als Abgeordneter wiederholt und ausdrücklich betont; aber die Auseinandersetzung mit dem Polizeibeamten gehört, wie der Sachverhalt - wie gesagt, seine Wiedergabe als richtig unterstellt - erkennen läßt, in die rein private, persönliche Sphäre des Kollegen Wacker. Da auch keine sonstigen Gründe gegen die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens erkennbar sind, bitte ich um Zustimmung zum Antrag des Ausschusses Drucksache 1013.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht des Herrn Berichterstatters gehört. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag des Ausschusses ist bei mehreren Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Weihnachtsbeihilfen für Bedürftige ({0});
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) ({2}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Arndgen.
Arndgen ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sowohl der Ausschuß für Sozialpolitik als auch der Ausschuß für Haushaltsfragen haben sich mit dem Entwurf eines Gesetzes über Weihnachtsbeihilfen für Bedürftige - Drucksache 798 - beschäftigt. Die beiden Ausschüsse sind dabei zu der Auffassung gekommen, daß dieser Gesetzentwurf schon überholt ist durch den Runderlaß der Bundesminister des Innern, der Finanzen und für Arbeit. In diesem Erlaß vom 2. September 1954 waren die Länder gebeten, bezüglich der Weihnachtsbeihilfen an Bedürftige die gleichen Maßnahmen durchzuführen wie im Jahre 1953 und in den vorhergehenden Jahren. Da die Auszahlung der Zuwendungen an Bedürftige für die Weihnachtsfeiertage schon in der Durchführung begriffen ist, schlägt der Haushaltsausschuß als federführender Ausschuß dem Hohen Hause vor, den Gesetzentwurf Drucksache 798 abzulehnen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Beratung der zweiten Lesung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meyer ({0}).
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der Begründung des Antrags Drucksache 845
({0})
bat die sozialdemokratische Fraktion, in diesem Jahr die Weihnachtsbeihilfe für Unterstützungsempfänger und Rentner, wie sie unser Antrag vorsieht, zu einem Anliegen ,des gesamten Bundestages zu machen. Mit allem Ernst haben wir gewünscht, uns in der Forderung, mehr als bisher zu tun, in den zuständigen Ausschüssen zu unterstützen.
Was ist nun aber tatsächlich aus unserem Antrag geworden? Herr Kollege Arndgen hat eben als Be({1})
richterstatter gebeten, sich der Mehrheit des Sozialpolitischen und des Haushaltsausschusses anzuschließen. Das bedeutet, genau wie im Vorjahr nur 25,- DM zu verrechnen. Unser Antrag soll als durch den Erlaß der zuständigen Minister des Innern, der Finanzen und für Arbeit an die Länder vom 2. September 1954 erledigt erklärt werden. Alle Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion bedauern diese Beschlüsse sehr. Unsere politischen Freunde haben dieser Regelung bereits im Ausschuß widersprochen.
Nun möchte auch ich Ihnen noch einmal sagen, worum es sich dabei handelt. Wir wollten mit unserem Antrag den sozial Schwächsten unseres Volkes helfen, damit sie mit einer angemessenen Beihilfe das Weihnachtsfest wenigstens ohne äußerste Not begehen können. Es sind besonders die alten und hilfsbedürftigen Menschen - die sowieso sehr dürftig und anspruchslos leben müssen, weil sie nur ein kärgliches Einkommen haben -, denen wir mit einer einmaligen Zahlung von 50,- DM einigermaßen spürbar helfen würden.
({2})
Herr Schüttler von der CDU-Fraktion hat hier am 15. Oktober davon gesprochen, den Bedürftigen solle im angemessenen Rahmen geholfen werden, damit auch sie wie die übrigen Schichten unseres Volkes das Weihnachtsfest begehen könnten. Um das zu erreichen, meine Damen und Herren, müßte man mehr tun, als jetzt vorgesehen ist. Herr Schüttler hat auch gesagt, wir sollten uns bescheiden und die Finanzen nicht nach allen Seiten überfordern, denn man könnte auch Dinge tun, die sich nachher 'an den Hilfsbedürftigen selbst vielleicht bitter rächten. Diese Sorge, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, haben wir wirklich nicht. Wir haben uns kürzlich mit den Steuergesetzen beschäftigt. Großzügig sind riesige Steuergeschenke gemacht worden, die allerdings fast überwiegend den Beziehern hoher Einkommen zugute gekommen sind. Die in unserem Antrag erwähnten Menschen müssen in sehr bedrückenden Verhältnissen leben, weil ihre finanziellen Mittel sehr beschränkt sind und die Rente oder die Unterstützung sowieso kaum zum Nötigsten reicht. Diesen Menschen ist durch die sogenannte Steuerreform kein Pfennig zugute gekommen, obwohl unseres Erachtens in eine echte Reform auch die Entlastung von ungerechten Verbrauchsteuern gehört.
Herr Staatssekretär Hartmann sprach vorgestern über die Gesamtlage des Bundeshaushalts und von einer neuen Epoche, in die die Finanzmänner nicht ohne große Beklemmung hineinträten. Soweit die Verteidigungswirtschaft gemeint ist, ist das a auch sehr verständlich. Aber, meine Damen und Herren, wegen des Geldes, das nötig ist, um unseren Antrag zu verwirklichen, braucht niemand in diesem Hause Beklemmungen zu haben.
Dann ist gesagt worden, es werde ja auch in diesem Jahr etwas gezahlt. Das ist doch nicht entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an, wieviel gezahlt wird und daß es einheitlich gemacht wird. Wie wirkt sich denn nun die von Ihnen empfohlene Regelung aus? Wir halten es nicht für vertretbar, für die bedürftigen Menschen, nur weil sie z. B. in Bayern leben, 25 DM festzusetzen, während anderen Menschen in der gleichen Lage, nur weil sie etwa in Nordrhein-Westfalen wohnen, 50 DM bewilligt werden. Soviel ich weiß, hat sogar das finanzschwache Niedersachsen 40 DM vorgesehen. Diejenigen, denen man 50 DM zugesteht, erhalten nicht zuviel, sondern die anderen erhalten zuwenig.
Gewiß, die Weihnachtsbeihilfe ist in erster Linie eine Sache der Länder. Wenn aber schon von der Bundesregierung gewisse Empfehlungen hinsichtlich der Höhe und Verrechnung gegeben werden, dann sollten wir die Notwendigkeit einer angemessenen und auch gleichmäßigen Beihilfe anerkennen. Bereits im vergangenen Jahr wurde von uns darauf hingewiesen - ich möchte es hier wiederholen -, daß der krasse Unterschied bei den Einwohnern der Länder, die nur die von der Bundesregierung festgesetzte und verrechnungsfähige Beihilfe zahlen konnten, eine erhebliche Verbitterung hervorrief. Gerade nach der ersten Lesung des Haushalts besteht weder bei uns noch bei denen, für die ich hier spreche, Verständnis dafür, daß man unseren Antrag praktisch ablehnt, indem man ihn durch Runderlaß für erledigt erklären will.
Lassen Sie doch nicht immer nur finanzielle Gesichtspunkte gelten, sondern denken Sie vielmehr daran, daß es sich hier um Menschen handelt, die von uns Hilfe erwarten! Gehen Sie nicht zur Tagesordnung über, wie es vorgestern mit dem Entwurf eines 'Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld geschehen sollte, und lassen Sie sich nicht bei jeder Gelegenheit vergeblich bitten, wenn es sich um-die Anliegen der Kriegsopfer, der Rentner und Arbeitslosen handelt! Meine Damen und Herren. Sie haben es auch heute wieder in der Hand, mit Ihrer Mehrheit unser Anliegen zu verwirklichen.
Deshalb bitten wir Sie herzlich, den Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses Drucksache 1001 abzulehnen und stattdessen unserem ursprünglichen Antrag Drucksache 845 zuzustimmen.
({3})
Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Arndgen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten- Damen und Herren! Der vorhin amtierende Präsident hatte nicht den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, Drucksache 845, aufgerufen, sondern lediglich Drucksache 798. Ich sehe eben, daß die Drucksache 845, Antrag der SPD, auf der Tagesordnung versehentlich nicht vermerkt ist.
({0})
Der genannte Antrag der SPD ist im Mündlichen Bericht, Drucksache 1001, aufgeführt.
Aber die Drucksache ist nicht in der Tagesordnung - Buchstabe c - genannt!
({0})
Sie ist auch in der Tagesordnung genannt, Herr Abgeordneter Arndgen.
Der Herr Präsident D. Dr. Gerstenmaier hat lediglich die Drucksache 798 aufgerufen, da habe ich auch nur zu dieser Drucksache
({0})
den Bericht erstattet. Gestatten Sie mir, daß ich jetzt den Bericht über die Drucksache 845 vortrage.
Wenn der Bericht unvollständig ist, erhalten Sie nunmehr das Wort als Berichterstatter.
Arndgen ({0}), Berichterstatter: Der Haushaitsausschuß wie auch der Ausschuß für Sozialpolitik haben sich mit der Drucksache 845 beschäftigt und sind bezüglich dieses Antrags zu der gleichen Meinung gekommen wie zur Drucksache 798, daß nämlich auch hier infolge des schon erwähnten Erlasses Weihnachtsbeihilfen an die Fürsorgeberechtigten gewährt werden. Der Haushaltsausschuß schlägt daher dem Hohen Hause vor, die Drucksache 845, Antrag der Fraktion der SPD, durch den schon erwähnten Erlaß als erledigt zu betrachten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn ich jetzt zu unserem Antrag auf Umdruck 798 noch einmal Stellung nehme, so möchte ich von vornherein sagen: Meine politischen Freunde und ich müssen dabei bleiben, daß heute über unseren Antrag noch einmal abgestimmt wird. Wir begrüßen es gar nicht, daß Haushalts- und Sozialpolitischer Ausschuß sich in dieser Form über unseren Antrag hinweggesetzt haben. Was ist denn überhaupt das Anliegen dieses Antrags gewesen? Ich möchte die Herren und Damen dieses Hohen Hauses einmal daran erinnern, daß wir auch vor einem Jahr vor dieser Frage gestanden haben. Damals hat man auch eingewandt - es ist nachzulesen im Bericht unseres Kollegen Arndgen -, der Inhalt dieses Runderlasses des Herrn Bundesinnenministers sei materiell gesehen der gleiche wie im Vorjahr.
Wir stellen nun heute fest, daß in diesem Runderlaß den Ärmsten der Armen materiell nur das gleiche geboten wird wie im vorigen und vorvorigen Jahr. Ich denke an die Dauerarbeitslosen und möchte einmal ganz besonders an die Notstandsgebiete von Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen erinnern.
({0})
Dort gibt es einen großen Kreis von Dauerarbeitslosen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich ihre wirtschaftliche Lage verbessert hat, wenn sie nun wieder ein Jahr arbeitslos gewesen sind. Sie hat sich vielmehr durch die weitere Dauer ihrer Arbeitslosigkeit noch verschlechtert. Der Inhalt des Runderlasses des Herrn Bundesinnenministers kann nicht ausreichend sein. Weil wir schon ahnen konnten, daß es wieder so gehen würde, haben wir Anfang September diesen Antrag eingebracht. Aber wir haben auch daran gedacht, daß es darüber hinaus noch andere Kreise von Hilfsbedürftigen gibt. Wir ahnten, daß die Rentenreform sicherlich noch nicht vorliegen würde. Aus diesem Grunde haben wir den Personenkreis wie im vorigen Jahr in dem Antrag der SPD entsprechend erweitert. Wenn wir auch das Renten-Mehrbetrags-Gesetz durchgezogen haben, können wir kaum sagen, daß es uns befriedigte. Die große Masse der Rentner bekommt doch so geringe Beträge, daß auf eine Weihnachtsbeihilfe für sie keinesfalls verzichtet werden kann. Aus diesem Grunde haben wir die
Rentner und darüber hinaus wirtschaftlich gleichgestellte Kreise einbezogen.
Außerdem geht es uns um ein Prinzip. Wir sind nämlich der Meinung, daß für die Kreise der Hilfsbedürftigen, die in unserem Antrag Drucksache 798 angesprochen werden, ein Gleichheitsprinzip in allen Ländern der Bundesrepublik gelten müßte.
({1})
Zu der Gleichheit des Personenkreises sollte auch eine Gleichheit bezüglich der Höhe der Weihnachtsbeihilfen erreicht werden. Es ist wirklich nicht einzusehen - und darin liegt auch eine Kritik an der Regelung, die die Bundesregierung vorgesehen hat -, warum in gewissen finanzstärkeren Ländern überhöhte Sätze an Weihnachtsbeihilfe gezahlt werden, während in finanzschwachen Ländern, die eine sehr viel größere soziale Aufgabe haben und die das wenige, was sie an Mitteln haben, auf einen sehr viel breiteren Personenkreis verteilen müssen, auf jeden weniger entfällt. Das war es auch, was bei uns im Mittelpunkt der Betrachtungen stand. Wir bedauern, daß man sich, nachdem im Vorjahr nicht nur von mir, sondern genau so von anderen Abgeordneten des Hauses darauf hingedeutet wurde, das gar nicht zu eigen gemacht und im Gleichklang mit den früheren Jahren eine Regelung für die Länder durchgezogen hat. Ich stelle fest, daß jedenfalls uns das nicht befriedigt. Eben im Hinblick darauf, daß eine Verbesserung der Lebenslage dieser Menschen bis heute nicht eingetreten ist, hat unser Antrag Drucksache 798 seine moralische Berechtigung. Ich möchte gerade darum das Hohe Haus bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
({2})
Meine Damen und Herren! Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses im Mündlichen Bericht Drucksache 1001 hat zwei Ziffern, die zweckmäßigerweise getrennt behandelt werden. Der Ausschuß schlägt Ihnen in Ziffer 1 vor, den Gesetzentwurf Drucksache 798 als Ganzes abzulehnen. Ich rufe also in zweiter Beratung zweckmäßigerweise den gesamten Gesetzentwurf §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, Einleitung und Überschrift auf und lasse darüber in einem abstimmen. Sie sind damit einverstanden? ({0})
- Über den Gesetzentwurf, wobei ich nochmals bemerke, daß der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wer also dem Ausschußantrag folgen will, der stimmt mit Nein, wer das nicht tun will, mit Ja. Meine Damen und Herren, wer den aufgerufenen Bestimmungen des Gesetzentwurfs zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist in seinen sämtlichen Bestimmungen in zweiter Lesung abgelehnt und damit erledigt.
Damit komme ich zu Ziffer 2 des Antrags Drucksache 1001, den Antrag Drucksache 798 - nein, er ist sowieso schon erledigt, darüber brauchen wir nicht mehr abzustimmen - und den der SPD Drucksache 845 für erledigt zu erklären. Wer dem Antrag des Ausschusses, die Drucksache 845 für
({1})
erledigt zu erklären, zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Punkt 11 der Tagesordnung ist bereits am gestrigen Tag erledigt worden.
Ich komme zu Punkt 12 der Tagesordnung und rufe auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Wiedergutmachung ({2});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Bundesmittel für die Wiedergutmachung ({3}).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage
unter Punkt 12 a hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Dr. Arndt ({4}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesministerium der Finanzen hatte meiner Fraktion nahegelegt, die Rede des Herrn Staatssekretärs Hartmann beim Einbringen des Haushalts abzuwarten, bevor wir die Große Anfrage und unseren Antrag zur Wiedergutmachung begründen. Wenn ich es recht verstand, war uns in Aussicht gestellt, daß schon die Etatsrede hierzu wichtige Aufschlüsse brächte. Wir haben deshalb diesem Wunsch des Bundesministeriums der Finanzen entsprochen, sehen uns aber insoweit etwas enttäuscht, als die Etatsrede noch keine Stellungnahme zu unserer Großen Anfrage und leider auch keine Begründung dafür enthielt, daß im neuen Bundeshaushalt zur Ausführung des Bundesentschädigungsgesetzes aus Bundesmitteln nur ein Betrag von 160 Millionen Deutsche Mark zur Verfügung gestellt werden soll.
Mit Befriedigung nehmen wir die in der Etatsrede enthaltene 'Versicherung zur Kenntnis, daß sich die Bundesregierung bemühen wird, das den von den Nationalsozialisten Verfolgten angetane Unrecht wiedergutzumachen. Insbesondere erkennen wir dankbar an, daß die von allen Fraktionen hier wiederholt vorgebrachten Klagen doch nicht fruchtlos blieben, sondern endlich unter der sachkundigen und zielstrebigen Leitung des Herrn Ministerialdirektors Wolf f eine erfreulich fortschreitende Arbeit im Beirat geleistet wird, um eine wesentliche Verbesserung des so unzureichenden Bundesentschädigungsgesetzes vorzubereiten. Wir hoffen, daß diese Arbeit so durchgeführt wird, wie sie jetzt, wenn auch spät, begonnen wurde.
Unbeschadet dieser gesetzgeberischen Bemühungen und auch unbeschadet unserer Anerkennung für die hierbei 'aufgewandte Tatkraft wird gleichwohl zu prüfen sein, ob es nach den bitteren Erfahrungen, die wir bisher im Bereich der Wiedergutmachung machen mußten, nicht doch geboten ist, einen unmittelbar dem Herrn Bundeskanzler verantwortlichen Bundesbeauftragten für die Wiedergutmachung zu bestellen. Denn es ist ja nicht allein mit der Reform des Gesetzes getan; Wirklichkeit wird die Wiedergutmachung doch erst dann, wenn erstens ein besseres Gesetz auch gut durchgeführt wird
({5})
und zweitens hierzu durch Bereitstellung der Geldmittel die Voraussetzung geschaffen wird.
Um diese Fragen handelt es sich bei unserem Antrage und bei unserer Großen Anfrage.
Die schwächste Stelle im Bundesentschädigungsgesetz ist sein dritter Abschnitt, der sich mit der Befriedigung der Entschädigungsansprüche befaßt. In einer mit Art. 80 des Grundgesetzes kaum noch zu vereinbarenden Weise ist es durch § 78 des Bundesentschädigungsgesetzes einem Verordnungsrecht der Bundesregierung überlassen, nach Maßgabe der Zahlungsfähigkeit der Bundesrepublik die Ansprüche zur Befriedigung aufzurufen. Immerhin ist festgelegt, daß dieser Aufruf alljährlich zu geschehen hat.
Das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 ist am 1. Oktober vergangenen Jahres in Kraft getreten. Am 1. Oktober dieses Jahres ist also die Frist für eine erste solche Rechtsverordnung verstrichen. Gleichwohl ist diese Verordnung bisher nicht ergangen.
({6})
Wohl haben wir davon gehört, daß sie vorbereitet wird und zusammen mit der auch immer noch ausstehenden Verordnung nach § 37 des Bundesentschädigungsgesetzes herauskommen soll. Aber die Verspätung der Ausführungsverordnung zu § 37 ist keine Entschuldigung für das Fristversäumnis, und das Fehlen auch nur des ersten Aufrufs verletzt das Gesetz. Deshalb fragen wir die Bundesregierung, wann endlich der erste Aufruf kommen und weichen Inhalt er haben wird.
Außerdem droht ein nahezu gesetzloser Zustand dadurch einzutreten, daß auch die Frist des § 77 Abs. 1 Satz 2 des Bundesentschädigungsgesetzes nicht gewahrt wird. Durch § 77 Abs. 1 Satz 1 hat der Bund es sich leicht gemacht und bestimmt, vorläufig hätten erst einmal die Länder die Entschädigungslasten zu tragen, obwohl nach Art. 74 Ziffer 9 des Grundgesetzes mit den Kriegsschäden zusammen auch die Wiedergutmachung zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehört und eigentlich kein Zweifel daran aufkommen sollte, daß die Wiedergutmachung in allererster Reihe eine Bundesaufgabe sein muß.
({7})
Wie gefährlich sind doch die endgültigen Provisorien, an denen unsere arme Zeit so reich ist!
({8})
Hier jedenfalls sollte das Provisorium mit Schluß dieses Jahres enden. Bis zum 31. Dezember 1954 ist durch ein Bundesgesetz - so bestimmt der § 77 Abs. 1 Satz 2 - die endgültige Verteilung der Entschädigungslasten auf Bund und Länder zu regeln. Es war ein unglücklicher Gedanke, diese Regelung mit der Finanzreform zu verquicken. Was vorausgesehen werden konnte, ist eingetreten: Das Schicksal der Finanzreform ist völlig ungewiß. Dadurch wird die Wiedergutmachung in den bösen Strudel des Zwistes zwischen Bund und Ländern hineingerissen, und die hier gesetzlich bestimmte Frist wird versäumt, weil die Bundesregierung es unterließ, insoweit rechtzeitig eine Verständigung mit den Ländern herbeizuführen und rechtzeitig das erforderliche Gesetz einzubringen.
Diese Unklarheit der Rechtslage und dieses Bestreben des Bundes, sich auf den Lorbeeren des Israel-Abkommens auszuruhen und möglichst wenig zur individuellen Wiedergutmachung beizutragen, hat bedenkliche Auswirkungen und ist nicht gerade geeignet, den auch schon erlahmenden Willen der Länder zur Wiedergutmachung neu zu
({9})
beleben. Der Hinweis des Bundes, welche Beträge er für das Israel-Abkommen zur Verfügung stellt, ist keine Rechtfertigung, die individuelle Wiedergutmachung verkümmern zu lassen,
({10})
und es wäre eine schlechte und von seinen Befürwortern nicht gewollte Wirkung des Israel-Abkommens, wenn darunter die individuelle Wiedergutmachung leiden sollte.
Um Anhaltspunkte für den Stand der individuellen Wiedergutmachung zu gewinnen, hat meine Fraktion kürzlich die Bundesregierung nach der Zahl der bisher erledigten Fälle gefragt. Die darauf vom Bundesministerium der Finanzen in der Drucksache 984 am 13. November erteilte Antwort ist unbefriedigend. Das Bundesministerium der Finanzen behauptet, allein die Länder könnten darüber Aufschluß geben, weil die Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes den Ländern obliege. Ist denn dem Bundesministerium der Finanzen der Art. 84 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes nicht bekannt, worin es heißt:
Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, daß die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen.
Auch unabhängig von der Bundesaufsicht wird die Bundesregierung nach dem allgemeinen Grundsatz der Bundestreue doch jederzeit ihrerseits von den Ländern diese Auskünfte bekommen; ja die Bundesregierung ist verpflichtet, sich auf Wunsch des Bundestags um diese Auskünfte zu bemühen und sie dann dem Bundestage zu erteilen. Denn wie, auf welche andere Weise sonst sollte wohl dieses Parlament die für seine gesetzgeberischen Arbeiten unerläßlichen Kenntnisse bekommen? Die Weigerung des Bundesministeriums der Finanzen, hier diese Auskunft zu erteilen, war also eine schlechte Sache.
Das Bundesministerium der Finanzen war sonst nicht gerade zurückhaltend, wenn es die Möglichkeit sah, sich auf finanzielle Leistungen der Länder zu berufen. Erst am 30. November wieder, also nur zwei Wochen nach seiner unbefriedigenden und auch unzulässigen Nichtbeantwortung unserer Kleinen Anfrage, hat das Bundesministerium der Finanzen eine Pressemeldung verbreitet: „400 Millionen für die Wiedergutmachung" und darauf hingewiesen, die Länder würden in dem nächsten Haushaltsjahr 240 Millionen Deutsche Mark aufwenden; insgesamt hätten Länder und Bund bis zum 30. September 1954 810 Millionen Deutsche Mark an Verfolgte ausgezahlt.
Ich weiß nicht, wozu solche Meldungen dienen sollen. Geradezu irreführend werden sie, wenn das Bulletin der Bundesregierung Nr. 222 vom 26. November die erstaunliche Überschrift trägt: „95 Prozent aller Wiedergutmachungsfälle erledigt",
({11})
„70 Prozent zugunsten der Antragsteller". Erst der aufmerksame Leser entdeckt dann, daß es sich um die Durchführung des Bundeswiedergutmachungsgesetzes im öffentlichen Dienst, des sogenannten BWGÖD, handelt, soweit sie zu einem auch nur sehr kleinen Teil dem Bundesministerium der Justiz obliegt. Meine Damen und Herren, das sind Werbemethoden, die sich vielleicht der Reklamechef eines Warenhauses leisten kann,
({12}) die aber einer Bundesregierung nicht angemessen sind.
({13})
Meine Damen und Herren, derartiges Verhalten trägt dann dazu bei, daß allerlei Vergleiche herausgefordert werden, die nicht immer sachdienlich sind,
({14})
so z. B., daß fast am selben Tage wie jenes Bulletin nun auch in der britischen Presse am 25. November die „News Chronicle" einen Vergleich zwischen dem „deutschen Wirtschaftswunder" und der jährlichen Milliarde für die 131er und den Verzögerungen und Vertröstungen in der Wiedergutmachung anstellte. Ich will zu diesem Vergleich ein Wort sagen. Die Sozialdemokratie hat im Parlamentarischen Rat den Art. 131 des Grundgesetzes mit geschaffen. Meine Fraktion hat der Gesetzgebung zu Art. 131 zugestimmt, und ich selbst bekenne mich dazu, daß insbesondere die Lage der heimatvertriebenen Beamten, der Altpensionäre und der Berufssoldaten gerechterweise eine solche Gesetzgebung dringlich erforderte. Was aber hätten wohl die 131er gesagt, wenn man ihre Rechtsstellung so geregelt hätte, daß es dem Ermessen der Bundesregierung überlassen blieb, alljährlich klassenweise die Ansprüche zur Befriedigung aufrufen?
({15})
Noch niemals hat die Bundesregierung über vieljährige Zeiträume hinweg Gesamtzahlen über die insgesamt zu Art. 131 erforderlichen Leistungen veröffentlicht und hierbei auch die Leistungen der Länder mit eingerechnet. Warum also auf einmal eine so fragwürdige Publizistik bei der Wiedergutmachung?
({16})
Ohne die alliierte Währungsgesetzgebung und ohne die Frage, in welchem Zusammenhang die grundgesetzliche Organisation unseres Staatswesens zum Deutschen Reich steht, hätten die meisten Wiedergutmachungsansprüche sowie außerdem die rückerstattungsrechtlichen Geldforderungen sofort und in voller Höhe aus den Rechtsgründen der Amtshaftung, der unerlaubten Handlung und der ungerechtfertigten Bereicherung gegen den deutschen Staat eingeklagt werden können. Unser Gesetzgeber hat diese Rechtsansprüche also nicht etwa erst begründet, sondern im Gegenteil sie eingeengt und dem Bund Zahlungsaufschub gewährt. Will man sich überhaupt auf ein so zweifelhaftes Unterfangen einlassen, die verschiedenen Berechtigungen miteinander zu vergleichen, so sollten doch wohl die Rechte der durch Unrecht Verfolgten um der Gerechtigkeit willen und aus sittlichen Gründen an allererster Stelle stehen.
({17})
Wie aber sieht die harte Wirklichkeit aus? In der amerikanischen Zone sind nach Angaben, die ich glaube ungefähr verantworten zu können, bis zum 30. April 1954 502 113 Wiedergutmachungsanträge eingereicht worden. Hiervon sind in fünf Jahren erst 136 724 Fälle erledigt, und nur in 70 569 Fällen fiel eine positive Entscheidung - dabei wird die amerikanische Zone immer noch am besten stehen -, was jedoch durchaus noch nicht bedeutet, daß diese Ansprüche, wenn sie positiv entschieden wurden, auch tatsächlich befriedigt sind.
({18})
Wir halten es deshalb für unangemessen gering, daß sich der Bund an der Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes in diesem Jahre nur mit 160 Millionen DM beteiligen will. Man darf hoffen, daß durch die endlich in Angriff genommene Verbesserung des Bundesentschädigungsgesetzes Leistungen erforderlich werden, die größer sind und auch schneller als bisher bewirkt werden müssen. Wir sind auch nicht der Meinung, daß sich der Bund hierbei nur auf eine Art Pflichtteil den Enterbten gegenüber zurückziehen darf. Auch bei der Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes sollte der Bund den Ländern ein besseres Beispiel geben als bisher.
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Deshalb sind wir der Überzeugung, daß auch bei Berücksichtigung der vom Bund in diesem Zusammenhang sonst noch zu erfüllenden Aufgaben sowie unter angemessener Berücksichtigung seiner sicherlich angespannten Finanzlage doch ein Betrag von 250 (Millionen für die Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes von Bundes wegen zur Verfügung gestellt werden kann und muß. Wir bitten, unseren Antrag an den Haushaltsausschuß zu überweisen, damit er bei der Beratung des Bundeshaushalts berücksichtigt wird.
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Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt hat zu Anfang seiner Ausführungen betont, daß die Fraktion der SPD sich auf eine Anregung aus dem Bundesfinanzministerium mit einer Verschiebung ihrer Großen Anfrage und ihres Antrags von vorgestern auf heute einverstanden erklärt habe, daß er aber vermisse, daß ich in meiner Haushaltsrede ausführlich auf diesen Punkt eingegangen sei. Ich darf zunächst sagen: ich bin dankbar dafür, daß der Anregung, die Beratung auf heute zu verschieben, entsprochen worden ist. In der Übermittlung dieser Anregung ist offenbar ein Mißverständnis vorgekommen. Ich hatte nicht die Absicht, in der Haushaltsrede, die ohnedies beinahe über zwei Stunden gedauert hat, dieses wichtige Gebiet noch ausführlicher anzuschneiden, sondern wollte gerade die Haushaltsrede entlasten, um dann heute auf den Gesamtkomplex näher eingehen zu können. Nachdem Herr Dr. Arndt auch ein wenig über den Rahmen der Großen Anfrage und des Antrags hinaus auf das Gesamtproblem eingegangen ist, bitte ich, mir zu erlauben, entsprechend zu verfahren.
Es sind in diesem Hohen Hause wiederholt sehr nachdrückliche Vorstellungen - ich glaube, man muß schon sagen: Klagen - über Verzögerungen in der gesetzgeberischen Behandlung beim Erlaß der Rechtsverordnungen erhoben worden, und Sie wissen, ich stehe nicht an, diese Klagen als objektiv berechtigt anzuerkennen. Was die subjektive Seite angeht, so ist hier wiederholt über die Ursachen dieser Verzögerungen gesprochen worden. Ich möchte nicht mehr darauf zurückkommen, sondern glaube in diesem Augenblick feststellen zu dürfen, daß in der Zwischenzeit doch eine Reihe von Fortschritten gemacht worden sind und daß wir in naher Zukunft weitere Fortschritte machen werden.
Diesen Punkt möchte ich gern zunächst einmal ausführlicher darlegen. Ich darf dabei erst einmal über die Länder sprechen. Herr Abgeordneter Dr. Arndt hat schon betont - was bekannt ist -, daß die Zuständigkeit für die Durchführung dieses Gesetzes bei den Ländern liegt. Das ist nun einmal ein Ergebnis der föderalistischen Struktur unseres Grundgesetzes; das ist eine Tatsache. Ich darf mitteilen, daß die Rechtsverordnungen über die Errichtung der Entschädigungsbehörden und über das Verwaltungsverfahren vor diesen Behörden im laufenden Haushaltsjahr von den Ländern erlassen worden sind. Darüber hinaus haben die Länder einheitliche Richtlinien über die Gewährung von Darlehen, die Gewährung von Vorschüssen auf noch nicht fällige Leistungen, die Gewährung von Mitteln aus den von den Ländern zu errichtenden Härtefonds und über die Heilbehandlung im Ausland aufgestellt. Das ist also die Tätigkeit der Länder hinsichtlich der von ihnen zu erlassenden Rechtsverordnungen.
Ich komme nun zu den Rechtsverordnungen, die die Bundesregierung zu erlassen hat. Es handelt sich da um vier Verordnungen, die ich aufzählen möchte. Die erste ist die Verordnung zu § 14 des Bundesentschädigungsgesetzes ({0}). Sie ist am 20. September 1954 verkündet worden. Die Verkündung verspätete sich dadurch, daß der Bundesrat einige mehr redaktionelle Einfügungen beschlossen hatte und die Bundesregierung erst nach den Ferien im August die erforderliche neue Beschlußfassung vornehmen konnte.
Zweitens: Die Verordnung zum § 15 des Bundesentschädigungsgesetzes ({1}) wird in den nächsten Tagen verkündet werden. Auch hier hat der Bundesrat rein redaktionelle Änderungen beschlossen. Es mußte also die Verordnung noch einmal formell ins Kabinett. Das ist geschehen, und sie wird in diesen Tagen im Bundesgesetzblatt erscheinen.
Drittens: Die Rechtsverordnung, auf die sich die Große Anfrage bezieht und in der gemäß § 78 Abs. 3 und 4 des Bundesentschädigungsgesetzes Entschädigungsansprüche für Schäden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen aufgerufen werden. Der Verordnungsentwurf ist jetzt dem Bundeskabinett zugeleitet worden. Auf die Einzelheiten und auf die Ursachen, weshalb er jetzt erst zugeleitet ist, komme ich gleich noch zu sprechen.
Ich möchte aber vorweg viertens die Rechtsverordnung zu § 37 ({2}) erwähnen. Diese Rechtsverordnung ist entsprechend dem Wunsch der Länder mit den Ländern und mit den Verfolgtenverbänden ausführlich erörtert worden. Dabei haben sich einige neue Gesichtspunkte ergeben, Wünsche der Länder, Wünsche der Verfolgtenverbände, die noch einmal mit den Bundesressorts besprochen werden müssen. Wir haben dabei die Ländervertreter gebeten, dieses Mal uns ihre abschließenden Vorschläge, auch Vorschläge redaktioneller Art, sofort herüberzugeben, damit nicht nachher im Bundesrat wieder Änderungen beschlossen werden, die dann aus rein formellen Gründen wieder dem Bundeskabinett vorgelegt werden müssen. Die Länder haben uns zugesagt, dementsprechend zu verfahren. Auch der Herr Bundesratspräsident hat, als ich kürzlich in einer Sitzung des Bundesrats hierauf aufmerksam
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machte, an die Länderregierungen den Appell gerichtet, in Zukunft zur Vermeidung derartiger überflüssiger Verzögerungen entsprechend zu verfahren.
Ich komme nun zurück auf die als dritte genannte Rechtsverordnung zu § 78, die, wie ich sagte, dem Bundeskabinett im Entwurf zugeleitet ist. Wir konnten in der Anlaufzeit des Gesetzes noch nicht übersehen, in welchen Größenordnungen sich die in dem Gesetz genannten Anspruchsgruppen bewegen würden. Auch waren die Entschädigungsbehörden der Länder damals noch mit der Feststellung der nach § 78 Abs. 2 sofort fällig gestellten Leistungen voll beschäftigt. Wir haben im Herbst dieses Jahres die statistischen Angaben der Länder über die erfolgten Anmeldungen erhalten und daraufhin den Entwurf dieser Verordnung fertiggestellt, der, wie gesagt, der Bundesregierung zugeleitet ist. Der Entwurf sieht den Aufruf folgender Ansprüche vor:
Ansprüche von Berechtigten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben oder bedürftig oder durch Krankheit oder durch Gebrechen in ihrer Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 vom Hundert gemindert sind,
a) auf Entschädigung für Schaden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen bis zum Höchstbetrage von 10 000 Deutsche Mark,
b) auf den Restbetrag der Entschädigung für Freiheitsentziehung,
c) auf Entschädigung für Schaden an Eigentum und Vermögen bis zum Betrag von 5000 Deutsche Mark, sofern die Berechtigten nicht bereits Entschädigungsleistungen nach § 78 Abs. 2 Nummer 4 Buchstabe b erhalten haben,
d) auf Entschädigung für Schaden an Leben, Körper und Gesundheit.
Es handelt sich also um die gesamten Gruppen, die in § 78 Abs. 3 Ziffer 1 aufgezählt sind.
Es wird dann in der Großen Anfrage gefragt, welche Entschädigungsansprüche die Bundesregierung weiter aufzurufen gedenkt. Ich darf dazu folgendes sagen: Die finanziellen Auswirkungen für einen weiteren Aufruf im Rechnungsjahr 1955 werden sich endgültig erst nach Ablauf der Anmeldefrist, die bekanntlich bis zum 1. Oktober 1955 läuft, übersehen lassen. Wir werden uns aber bemühen, an Hand der statistischen Unterlagen der Länder einen vorläufigen Überblick über die finanziellen Auswirkungen zu gewinnen, um hiermit die Möglichkeit zu haben, bereits vor dem 1. Oktober 1955 einen weiteren Aufruf vorzunehmen. Soviel zu der Verordnung zu § 78.
Dann zu dem Antrag der SPD wegen Erhöhung des Haushaltsansatzes im nächsten Haushalt auf 250 Millionen DM. Ich habe in der Etatrede schon gesagt, daß die Entschädigungsleistungen, soweit sie den Bund betreffen, in dem Etat 1955 mit 160 Millionen DM eingesetzt worden sind. Die Länder haben die Leistungen des Bundes zum Teil geringer eingeschätzt. Wir wollen aber an den 160 Millionen DM festhalten, weil wir diesen Betrag für notwendig halten. Wir glauben jedoch, daß ein höherer Betrag nicht notwendig ist. Ich kann hier zusagen, daß, wenn wider Erwarten ein höherer Betrag benötigt wird, er aus dem Bundeshaushalt 1955 überplanmäßig zur Verfügung gestellt werden wird.
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Es ist daher nicht notwendig, den Ansatz formell über 160 Millionen hinaus zu erhöhen. Im Gegenteil, ich glaube, der Haushaltsausschuß würde dann nur mit der Aufgabe belastet werden, für die 90 Millionen eine formelle Deckung zu schaffen, während es - wenn nach unserem Vorschlag etwaige, wenn auch unwahrscheinliche Mehrausgaben überplanmäßig gedeckt werden - bei den 160 Millionen in Ausgabe und der entsprechenden vorhandenen Einnahmedeckung bleiben kann.
Ich darf nun noch ein Wort über den Arbeitskreis sagen, der aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates unter dem Vorsitz des Ministerialdirektors Wolf f gebildet worden ist. Er hat vor kurzem die Grundsatzdebatte abschließen können. Anschließend wurden die Verfolgtenverbände zu den grundsätzlichen Fragen gehört. In der nächsten Woche wird der Arbeitskreis mit der Spezialdebatte beginnen. Auch zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzentwurfs werden die Verfolgtenverbände gehört werden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Arbeitskreis hofft, mit seinen Beratungen etwa im März 1955 fertig zu werden. Da in ihm, wie ich schon eben sagte, die beiden parlamentarischen Körperschaften, außerdem die Länderministerien und die Bundesressorts vertreten sind, möchte ich annehmen, daß der Entwurf der Novelle dann ohne weiteren Zeitverlust kabinettsreif sein wird und sodann schnell dem Bundesrat und durch den Bundesrat dem Hohen Hause zugeleitet werden kann.
Ich darf nun vielleicht noch einige Worte zu den Anregungen, die Herr Abgeordneter Dr. Arndt gegeben hat, und zu seinen Fragen sagen.
Er hat sich vorbehalten, einen Bundesbeauftragten für die Wiedergutmachung zu beantragen, der unmittelbar dem Herrn Bundeskanzler unterstellt werden soll. Dazu müßte natürlich der Herr Bundeskanzler sich in der Sache äußern. Ich darf hier nur vorläufig bemerken, daß die Durchführung dieses Gesetzes bei den Ländern liegt, daß also ein Bundesbeauftragter, ganz gleich wie er gestellt wäre, eine Einwirkung auf ,die Dinge über den Rahmen des Art. 84 der Verfassung hinaus nicht nehmen könnte. Was die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel betrifft, so entscheidet das Hohe Haus bei den Etatsberatungen darüber. Die Rechtsverordnungen zu dem bisherigen Gesetz werden bis dahin ergangen sein. Und was die Novelle betrifft, so hoffen wir, wie gesagt, sie im März oder April vorlegen zu können. Auch da würde der Bundesbeauftragte, glaube ich, kaum ein besonders umfangreiches Arbeitsgebiet gewinnen. Aber ich bitte, das sind vorläufige Bemerkungen dazu!
Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt hat dann darauf hingewiesen, daß er es bedauere, daß die Regelung des § 77 des Gesetzes hinsichtlich der Tragung der Kostenlast, die nur vorläufig war, in das Finanzanpassungsgesetz eingefügt worden und damit - ich glaube, ich habe ihn so richtig verstanden - in den Strudel mitgerissen ist, der um dieses Gesetz entstanden ist. Das ist aber nun eine Tatsache; das hat das Hohe Haus noch in der vorigen Woche so beschlossen. Wir hoffen, daß es doch noch möglich sein wird - wie ich gestern abend ausführen durfte -, daß bei allseitig gutem Willen das Finanz({5})
anpassungsgesetz in der nächsten Woche angenommen wird. Beim Finanzanpassungsgesetz hat der Bundesrat selbst den Vermittlungsausschuß angerufen, so daß hier wohl die Chancen noch ein wenig höher sein werden als bei dem Finanzverfassungsgesetz. Man ist sich da auch weitgehend nahe; es sind eine Reihe von Vorschriften zu regeln, die man wirklich so oder so regeln kann. Ich darf aber hier sagen, daß bei der Frage, ob der Bund oder wieweit der Bund die Lasten der Wiedergutmachung zu tragen hat, die sogenannten fiskalischen Erwägungen ausnahmsweise einmal völlig ausscheiden. Die finanziellen Folgen des Finanzanpassungsgesetzes ergehen nämlich eine Art von Bilanz - Mehrbelastungen, Entlastungen des Bundes, Entlastungen, Mehrbelastungen der Länder -, und darin sind sich die Länder und der Bund völlig einig: das Ergebnis dieser Bilanz ist dann zu übertragen auf das Konto „Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer". Das ist allerdings ,ein sehr schwieriges Konto, wie sich gezeigt hat. Aber beim Finanzanpassungsgesetz ist gar kein Streit. Ich darf z. B. an die sechs Steuern erinnern, deren Übernahme auf den Bund der Bundestag beschlossen hat - die Länder wollen sie ganz oder zum Teil behalten -. Danach richtet sich die Finanzausgleichsmasse, danach sind dann die Konsequenzen beim Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu ziehen. Da muß man dann allerdings dem Wunsch Ausdruck geben, daß diese Konsequenzen auch seitens der Länder gezogen werden.
Zum Schluß darf ich noch etwas über die Veröffentlichung im „Bulletin" sagen, daß die Wiedergutmachung vollständig erledigt sei. Ich habe sie mit demselben Erstaunen gelesen wie der Herr Abgeordnete Dr. Arndt. Ich möchte annehmen, daß der Redakteur, der die fette Überschrift gemacht hat, hier vielleicht mangels näheren Studiums des Inhalts des Artikels eine der Sache nicht ganz angemessene Überschrift gewählt hat. Aber das Bundesfinanzministerium ist nicht dafür verantwortlich.
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Ich eröffne die Aussprache zu Punkt 12 a und b der Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind heute zum drittenmal in diesem Jahre hier in diesem Hohen Hause mit Fragen der Wiedergutmachung beschäftigt. In den letzten Sitzungen sind Fragen gestellt worden, so die Frage: Wo bleiben die Rechtsverordnungen?, die Frage: Wo bleibt die in Aussicht genommene Novelle?, die Frage: Wie kommt es, daß die Wiedergutmachung in diesem ersten Jahre nach dem Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes ins Stocken geraten ist?, die Frage, die heute gestellt worden ist: Warum sind die Ansprüche, die in diesem ersten Jahre befriedigt werden sollen, bis heute noch nicht aufgerufen worden?, ferner: Warum sind in den Bundeshaushalt 1954/55 keine Mittel eingesetzt worden und warum auch in den Bundeshaushalt 1955/56 wiederum keine? Angeklungen ist die Frage, warum angesichts der tatsächlich ganz ungewöhnlichen Überbeanspruchung der in den Bundesressorts mit der Wiedergutmachung befaßten Beamten die Zahl dieser Beamten nicht erhöht worden ist.
Das Ausland hat im Laufe der letzten Monate insbesondere und mit großem Nachdruck immer wieder die Frage gestellt: Warum wird von der Bundesrepublik der Israel-Vertrag so mustergültig erfüllt, und warum führt die gleiche Bundesrepublik - Bund und Länder zusammen - das Bundesentschädigungsgesetz so schleppend und so schlecht durch? In den Kreisen der Verfolgten ist eine, milde ausgesprochen, große Beunruhigung, eine große Unruhe ausgebrochen. Man kann wohl sagen, daß sich diese Unruhe mit der Zeit zu einer Verbitterung gesteigert hat. Die Abgeordneten dieses Hohen Hauses, die in den letzten Monaten in den Vereinigten Staaten waren, sind, soweit ich sie gesprochen habe, alle aufs höchste beunruhigt und mit einiger Bestürzung über die Klagen und Vorwürfe wegen des Verlaufs der individuellen Wiedergutmachung zurückgekehrt.
Im Plenum dieses Hohen Hauses hat sich ganz einheitlich und ohne Unterschied der Fraktionen die allergrößte Sorge verbreitet, und es ist auch Kritik von allen Seiten des Hauses geübt worden. In der letzten Sitzung, in der wir diese Frage hier besprochen haben, hat auch Herr Staatssekretär Hartmann eine möglichst wirksame Abhilfe der berechtigten Beschwerden zugesagt.
Wie Herr Staatssekretär Hartmann schon ausgeführt hat, ist allerdings seither mancherlei geschehen. Auch Herr Kollege Arndt hat das betont. Zwei Rechtsverordnungen sind in Kraft gesetzt worden, die durchweg in der Öffentlichkeit und auch von den Verfolgten gut beurteilt worden sind. Eine dritte Rechtsverordnung ist im allgemeinen fertig. Diese aber ist doch von allen Seiten her einer mehr oder weniger scharfen Kritik unterzogen worden. Wir haben hier gehört, daß dieser Kritik Rechnung getragen werden soll und daß auch die Wünsche der Länder diesmal so vollständig und rechtzeitig berücksichtigt werden sollen, daß bei den Beratungen im Bundesrat keine abermalige Verzögerung eintritt.
Ferner sind die Arbeiten an der Novelle in Gang gekommen, und zwar in ganzen Ketten von Sitzungen unter dem Vorsitz des Ministerialdirektors Wolf f vom Bundesfinanzministerium und unter Beteiligung von Abgeordneten aller Fraktionen dieses Hauses, von sämtlichen Bundesressorts und von vier Ländern aus dem Kreise des Bundesrates.
In diesen Sitzungen ist bisher ein, man kann wohl sagen, mustergültiges Arbeitstempo eingeschlagen und bereits ein recht erhebliches Arbeitspensum bewältigt worden. Der Herr Bundesfinanzminister hat übrigens auf Wunsch aus diesem Hause den Ministerialdirektor Wolff eigens für diese Zwecke auch noch nach seiner Pensionierung mit der Leitung dieser Arbeiten betraut.
Trotzdem haben wir heute eine große Anfrage und einen Antrag der Fraktion der SPD Ganz zweifellos handelt es sich hier sowohl um eine Große Anfrage als auch um einen Antrag, die beide ihre sachlichen Gründe haben, die wohl von keiner Fraktion dieses Hauses bestritten werden dürften. Diese Große Anfrage und der Antrag und eine neue Debatte im Plenum dieses Hauses über die Wiedergutmachung sind zweifellos nicht überflüssig. Sie sind sachlich nicht überflüssig; sie sind politisch nicht überflüssig. Leider sind sie es nicht!
Wenn wir fragen: Werden das die letzten Anstände auf dem Gebiet der inneren individuellen Wiedergutmachung sein, mit denen wir uns hier
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zu befassen haben?, so werden wir sagen müssen: Vermutlich werden es nicht die letzten gewesen sein. Die individuelle Wiedergutmachung ist zu einem Anlaß unserer Dauersorge geworden. Es ist wohl Zeit, in diesem Hohen Hause einmal die Gründe zu untersuchen, auf die dieses beängstigende Zurückbleiben unserer individuellen Wiedergutmachung hinter der mustergültigen Erfüllung des Israel-Vertrags zurückzuführen ist. Die Anmahnung einzelner Verzögerungen und einzelner Maßnahmen reicht zweifellos nicht aus, dem Problem gerecht zu werden. Der Bundestag muß sich der ganzen Frage annehmen.
Ich will zunächst nur zu dem Antrag der SPD Stellung nehmen, nachdem wir in bezug auf die Große Anfrage die Antwort des Vertreters des Herrn Bundesfinanzministers gehört haben. Es handelt sich bei dem Antrag um die Einstellung einer Viertelmilliarde DM in den Bundeshaushalt 1955/56. Es fragt sich, wie diese Ziffer zu beurteilen ist. Daß Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt werden müssen, ist selbstverständlich, weil sowohl nach dem Bundesentschädigungsgesetz als auch nach der Veränderung, die der § 77 im Finanzanpassungsgesetz am 19. November erfahren hat, selbst wenn sie in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses beibehalten werden sollte, vom Bund Lasten übernommen werden, die natürlich haushaltsmäßig gedeckt werden müssen. Hier möchte ich aber darauf aufmerksam machen, daß nach der bisherigen Fassung des § 77, also vor der Änderung, die Länder die Lasten der Wiedergutmachung nur vorläufig übernehmen sollten. In Abs. 2 dieses Paragraphen war vorgesehen, daß durch ein Bundesgesetz vor Ablauf dieses Jahres eine endgültige Verteilung der Lasten zwischen Bund' und Ländern vorgenommen werden sollte. Es war dort weiter vorgesehen, daß gewisse Leistungen den Ländern schon für dieses erste Jahr erstattet werden sollten.
Nun ist in § 6 des von uns am 19. November verabschiedeten Finanzanpassungsgesetzes, gegen das noch der Vermittlungsausschuß angerufen ist, zum allgemeinen Erstaunen vorgesehen, daß die Entschädigungslasten endgültig bei den Ländern bleiben sollen und daß von denjenigen Lasten, die der Bund den Ländern erstatten sollte, erstens eine Kategorie weggestrichen wird und zweitens bezüglich der übrigen Kategorien die Pflichterstattung des Bundes an die Länder von 90 % auf 75 % ermäßigt wird; also eine sehr weitgehende Abschiebung in der endgültigen Lastenverteilung vom Bund auf die Länder. Wir haben das im Zusammenhang mit dem Finanzanpassungsgesetz so angenommen.
Ich möchte aber vom Standpunkt der Wiedergutmachung doch einmal auf eines aufmerksam machen. Die Verbrechen, die Verfolgungen von Millionen von unschuldigen Menschen sind nicht von den Ländern, sondern vom Reich verübt worden. Es war die Politik des Reiches und nicht die Politik der Länder, die diese Schäden zugefügt hat.
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Nun haben wir aber nach 1945 zunächst nur die Länder als staatsrechtliche Gebilde und Träger irgendeiner Verpflichtung zur Wiedergutmachung gehabt. Die Länder mußten einspringen und sind auf Grund des sogenannten Territorialprinzips eingesprungen. Nun haben wir aber seit dem Jahre
1949 eine Bundesrepublik, und die Bundesrepublik hätte nunmehr die Lasten aus dieser Wiedergutmachungspflicht übernehmen können. Das ist aus naheliegenden Gründen zunächst nicht geschehen, und zwar deshalb, weil die Länder eingearbeitete Wiedergutmachungsapparate hatten und weil sie gewohnt waren, gewisse Mittel hierfür in ihre Haushalte einzusetzen.
Meine Damen und Herren, die Verteilung der Zuständigkeiten auf Bund und Länder ist mit eine der Hauptursachen der Kalamität auf dem Gebiete der inneren Wiedergutmachung.
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- "Zahlte keiner von den beiden", Herr Abgeordneter Schröter, ich stimme Ihnen voll bei. So ist die Lage entstanden. Das ist nicht die richtige Verteilung von Lasten und Verantwortlichkeiten, und darin besteht auch der hauptsächlichste Unterschied - ich werde gleich darauf zu sprechen kommen - zwischen dem Israel-Vertrag und der individuellen Wiedergutmachung. Daraus erklärt sich auch, warum der Israel-Vertrag mustergültig erfüllt wird und warum es bei der Erfüllung der individuellen Wiedergutmachung in einem so bestürzenden Ausmaß hapert. Das liegt zum Teil in unvermeidlichen Schwierigkeiten der Sache selbst, die wir durch kein Gesetz, durch keine Anstrengungen und durch keine Maßnahmen beseitigen können. Das liegt aber zu einem großen Teil auch in einer organisatorischen und gesetzlichen Fehlanlage unserer gesamten inneren Wiedergutmachung, nicht so sehr im materiellen Recht - obwohl auch da Mißstände vorhanden und Fehler gemacht worden sind - als vor allen Dingen auf dem organisatorischen Gebiet. Wir haben eine Zersplitterung der politischen Verantwortlichkeiten, wir haben eine Zersplitterung der Lastentragung mit dem Ergebnis, daß, sooft wir hier im Bundestag zu dieser Frage auch sprechen und so einheitlich die Stellungnahme aller Seiten des Hauses zu diesen Fragen ist, das Resultat ist, als ob man das Meer peitschte. Wir haben einfach keine Verantwortlichen vor uns.
Der einzige Verantwortliche, der bisher von uns in Anspruch genommen worden ist, ist der Herr Bundesfinanzminister als Vertreter der Bundesregierung. Aber die Verantwortlichkeit der Bundesregierung, des Herrn Bundesfinanzministers ist nur eine beschränkte Verantwortlichkeit. Darüber hinaus sind für den Vollzug der Wiedergutmachung eine ganze Reihe von Stellen verantwortlich, und zwar sowohl politisch verantwortliche Stellen bei den Ländern, die ihren Landesparlamenten verantwortlich sind, als auch Stellen, die keine politische Verantwortung tragen, nämlich die Gerichte, die nur dem Gesetz gegenüber verantwortlich sind. Dieses Hand-in-Hand-Wirken von unzähligen Stellen mit geteilter Verantwortung führt nicht nur dazu, daß keiner zahlt, weil keiner dulden will, daß der andere für ihn zahlt, sondern auch dazu, daß praktisch niemand vorhanden ist, der für die Wiedergutmachung verantwortlich ist, weil keiner haben will, daß der andere für ihn eine Verantwortung trägt.
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Das ist der Punkt, an dem wir meines Erachtens
ansetzen sollen. Diese Fehlanlage hat dazu ge({4})
führt, daß ein Betriebsunall nach dem anderen eingetreten ist. Sie hat dazu geführt, daß ein bestürzend schlechter Gesamteindruck entstanden ist und daß der tatsächliche Zustand nicht erträglich ist. Sie hat dazu geführt, daß soviel guter Wille im einzelnen bei allen Ressorts, auch bei dem von uns bisher ausschließlich kritisierten Ressort, dem Bundesfinanzministerium, weder die Sache gerettet hat und retten kann noch den guten Eindruck wiederherstellen kann. Aber wir haben schon in der Kritik von Herrn Kollegen Arndt von der Veröffentlichung eines Beamten des Bundesjustizministeriums gehört mit ,der irreführenden Überschrift von den 95 %, die erfüllt worden sein sollen. Wenn man den Artikel liest, kommt man allerdings, wenn die Tatsachen zutreffen - und ich persönlich habe keinen Zweifel daran, - daß sie zutreffen -, auch hier zu der Feststellung, daß ein bestimmtes Bundesressort auf einem Teilgebiet, nämlich der Wiedergutmachung gegenüber den Bediensteten des öffentlichen Dienstes, in seinem sehr beschränkten Sachbereich eine bewundernswerte und rühmliche Arbeit geleistet hat. Aber auch das ist ein Tropfen auf einen heißen Stein. Es heißt Sand in die Augen der Öffentlichkeit streuen, wenn man diese günstigen Bilanzposten, die wir tatsächlich aufzuweisen haben - ich betone das ausdrücklich -, in den Vordergrund schiebt, um damit einer berechtigten nationalen und internationalen Kritik zu begegnen. So liegen die Dinge nicht. Wir müssen hier die Karten offen auf den Tisch legen und müssen sagen, wie sich die Dinge verhalten, ganz nackt und realistisch.
Die Gegenüberstellung der Guterfüllung des Israel-Vertrages und der Schlechterfüllung der Individualwiedergutmachung zeigt, wo die Schwierigkeiten zu suchen sind. Beim Israel-Vertrag gibt es einen Gläubiger, das ist der Staat Israel, und einen einzigen Schuldner, das ist die Bundesrepublik. Im Israel-Vertrag ist der Gesamtbetrag der Wiedergutmachungsleistung in der Form einer einzigen Geldsumme ausgedrückt. Die Jahresleistungen sind im Vertrag standardisiert. Jedes halbe Jahr zahlt der Herr Bundesfinanzminister auf das Konto der Israel Mission bei der Bank deutscher Länder den genau bezifferten Betrag ein. Damit kauft die Israel Mission deutsche Waren nach Maßgabe einer Warenliste, die von Jahr zu Jahr durch Sachverständigenstäbe beider Beteiligten unter Berücksichtigung der Interessen der beiden Beteiligten festgestellt wird. Das alles vollzieht sich im vollen Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Hier sind ganz eindeutige politische Verantwortlichkeiten festgestellt. Es handelt sich um eine eindeutige Bundessache, und hier, meine Damen und Herren, funktioniert es ganz ausgezeichnet.
Ich habe keinen Zweifel: wenn die Dinge bei der Individualwiedergutmachung genau so einfach lägen und die politische Verantwortlichkeit genau so eindeutig festgestellt wäre und das Licht der Weltöffentlichkeit das ganze Gebiet ebenso stark durchstrahlen könnte, würden wir auch in der Individualwiedergutmachung eine mustergültige Erfüllung erleben. Aber hier handelt es sich um viele Hunderttausende von Gläubigern und um viele Schuldner, und diese Schuldner teilen sich in zwei Gruppen: es sind Privatpersonen und es sind, was das Bundesentschädigungsgesetz betrifft, Staaten, deutsche Staaten, und zwar zum Teil die Bundesrepublik, im übrigen aber und vornehmlich die Länder. Die Schuld, um die es sich da handelt, ist nicht im Gesetz festgestellt, sondern es sind nur abstrakte Rechtsnormen aufgestellt, und über diese Rechtsnormen wird in jedem einzelnen Wiedergutmachungsfall Streit oder werden mindestens Verhandlungen geführt, und jede einzelne Verhandlung muß mit einer Entscheidung enden, entweder eines Wiedergutmachungsamtes oder eines Gerichts. Die Tatbestände, um die es sich handelt, sind in mehreren Gesetzen aufgezeichnet, in den Rückerstattungsgesetzen, in dem noch zu erwartenden Gesetz über die rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Reiches, in den Entschädigungsgesetzen. Die Entschädigungsgesetze wieder zerfallen in das Bundesentschädigungsgesetz für die Bediensteten des öffentlichen Dienstes und in das Bundesentschädigungsgesetz für die übrige Menschheit. Die Gesetzanwendung ist dezentralsiert auf zwei Säulen, teils auf die Verwaltung - das sind die Wiedergutmachungsämter, und zwar viele und in jedem Land anders organisiert -, teils auf die Wiedergutmachungsgerichte. Sodann sind die Zuständigkeiten in höchst unklarer, unsicherer, provisorischer Weise zwischen Bund und Ländern verteilt, derart, daß die Länder in immer zunehmenden Maße an einer Verminderung ihrer Entschädigungslasten interessiert werden.
Es kommt nun aber dazu, und das bitte ich besonders zu bedenken, daß sich, was die Wiedergutmachung betrifft, der Staat in einer doppelten Rolle befindet, sowohl der Bund als auch die Länder: sie sind auf der einen Seite Träger des Wiedergutmachungsernstes, des moralischen Willens, schwer beleidigtes und gekränktes Recht wiederherzustellen, furchtbare Wunden des Unrechts zu heilen, Schadensersatz für Untaten nach allgemeinen Prinzipien des Rechts aller Völker zu leisten, sie sind aber zweitens auch die Schuldner, die Hauptschuldner der Wiedergutmachungspflicht; und als solche sind sie am möglichst geringen Umfang der Wiedergutmachungsschuld interessiert. Sie sind an einer einengenden Auslegung der Gesetze interessiert. Sie sind daran interessiert, sich die fiskalischen Lasten an diesem Aufkommen gegenseitig zuzuschieben.
Hinzu kommen die Probleme, die sich aus der Rangfolge ergeben, die das Gesetz vorsieht. Wir können nicht alle Wiedergutmachungsansprüche in einem Jahr erledigen und bezahlen. Infolgedessen ist eine Rangfolge eingeführt worden, in der naheliegenderweise insbesondere alte Personen, kranke Personen und erwerbsbeschränkte Personen mit einem Vorrang ausgestattet sind. Das hat nun aber die Wirkung, daß die Wiedergutmachungsämter und die Gerichte zur Zeit fast nur Anträge von Alten, Kranken und Gebrechlichen bearbeiten. Jeder, der einen Anspruch hat, wird also zunächst einmal gefragt, ob er nachweisen kann, daß er über 60 Jahre alt ist, daß er krank ist, daß er bedürftig ist oder daß er erwerbsbeschränkt ist. Also Personen, die zehn oder zwölf Jahre lang verfolgt worden sind und die nach Aufhören der Verfolgung weitere neun Jahre gewartet haben, wird jetzt von den Wiedergutmachungsämtern gesagt: Wir können Ihren Antrag nicht bearbeiten, weil Sie noch keine 60 Jahre alt sind, weil Sie Ihre Bedürftigkeit oder Ihre Erwerbsbeschränkung nicht nachgewiesen haben! Die Betroffenen fragen sich mit Recht: Haben wir nun ein Recht auf die Entschädigung, oder ist die Entschädigung eine Wohlfahrtsleistung?
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Meine Damen und Herren, es läßt sich nicht vermeiden, daß wir so in der Reihenfolge vorgehen. Daraus läßt sich aber die Folgerung ableiten, daß wir nicht die ganzen finanziellen Belastungen der Wiedergutmachung auf die Jahre von jetzt bis zum Endjahr 1962 gleichmäßig verteilen, sondern daß wir in den ersten Jahren sehr viel mehr leisten müssen als später. Die bevorrechtigten Gruppen müssen beschleunigt bearbeitet werden, sie müssen beschleunigte Entscheidungen bekommen, und die Entscheidungen müssen sofort erfüllt werden. Alle ersten Rangstufen sollten in einem Jahr oder höchstens in zwei Jahren sämtlich befriedigt werden, so daß dann die normale Entschädigung aller übrigen Fälle einsetzen kann.
Gegenwärtig ist die Tendenz eher umgekehrt, nämlich ein Hinausschieben. Ein Artikel, der von ausländischer Seite in einer deutschen Zeitung erschienen ist und der das Motto trägt: „Morgen, morgen, nur nicht heute!", hat leider einen gewissen Wahrheitsgehalt. Die Ressorts und die Träger der Wiedergutmachung schieben sich nicht nur gegenseitig die Lasten zu, sondern sie schieben auch ihre jährlichen Lasten immer auf die Zukunft hinaus.
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Man kann heute schon voraussehen, daß sich der Bundestag im Jahre 1962 einer Regierungserklärung gegenübersehen wird, daß die Fülle der Anträge nicht so rasch habe bearbeitet werden können und daß ,die gesetzliche Frist verlängert werden solle. Man hat nicht den Eindruck, daß eine wirkliche, ernstliche Anstrengung gemacht wird, zeitlich fertig zu werden, und sie wird deshalb nicht gemacht, weil die Verantwortlichkeit zersplittert ist.
Das gilt auch für die Länder selbst. Überall treffen wir auf die Tatsache, daß die Wiedergutmachungsämter oder -ressorts der Fülle der Arbeitslast nicht gewachsen sind. Bei den Wiedergutmachungsämtern der Länder kommt hinzu, daß sie sich aus Beamten oder aus Angestellten
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ohne jede Verwaltungserfahrung rekrutieren. Wenn man in letzter Zeit versucht hat, die Zahl der Bediensteten zu erhöhen, so hat man die Erfahrung machen müssen, daß sich kein Mensch gemeldet hat. Es fehlt überall an Kräften. Die Wiedergutmachung ist ein Massenproblem. Nirgends ist dieses Massenproblem auch nur organisatorisch ernsthaft in Angriff genommen worden. Es gehören hierzu organisatorisch begabte Vorstände dieser Wiedergutmachungsämter; ihnen müßte man bis zu einem gewissen Grade freie Hand in der Organisation ihrer Behörden geben. Es sind das aber natürlich geschulte Verwaltungsbeamte, die in der Tradition der üblichen Verwaltungsorganisation aufgewachsen sind und von ihrer Erfahrung her die organisatorischen Fähigkeiten zur Bewältigung eines solchen Massenproblems nicht im vollen Ausmaße besitzen; und von den wenigen Persönlichkeiten, die diese Eigenschaften aufgewiesen haben, sind einige infolge ihres Temperaments in politische Schwierigkeiten geraten und haben inzwischen die Stellen der aktiven Wiedergutmachung verlassen.
Alle diese Dinge haben einen bestürzenden Gesamteindruck hervorgerufen, und es existiert kein Adressat, den wir für diesen bestürzenden Gesamteindruck verantwortlich und haftbar machen können.
Infolgedessen scheint es mir unter allen Umständen notwendig zu sein, daß die Verantwortlichkeit konzentriert wird und daß die Zuständigkeiten konzentriert werden. Wir haben im Bunde eine ganze Reihe von Ressorts, die mit Wiedergutmachungsfragen befaßt sind; zunächst einmal mit dem Bundesentschädigungsgesetz und einer Reihe anderer Arbeiten das Bundesfinanzministerium. Das Bundesfinanzministerium sieht sich für die Dauer etwa eines Jahres einem so gewaltigen Stoßbedarf gegenüber, daß seine Beamten nicht ausreichen, alle diese. Arbeiten gleichzeitig und termingemäß zu fördern. Wir haben aber gleichzeitig die Zuständigkeit anderer Ressorts, z. B. mitzeichnende Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums, dann die Zuständigkeit für den öffentlichen Dienst, die sich auf verschiedene Ressorts verteilt: auf das Bundesjustizministerium, das Bundesministerium des Innern, das Bundesarbeitsministerium usw.
Auf dem Gebiete der Wiedergutmachung für den öffentlichen Dienst entwickelt sich die Jurisprudenz und die Auslegung der Begriffe verschieden von der Auslegung der gleichen Begriffe im Bundesentschädigungsgesetz. Allenthalben sehen wir uns einer Sprachverwirrung gegenüber. Alle diese Beamten, alle diese Tätigkeiten müssen auf irgendeine Weise, die ich der Bundesregierung und ihrer Initiative überlassen möchte, zusammengefaßt und einer einheitlichen Dienstaufsicht unterstellt werden. Es müßte innerhalb des Kabinetts die Verantwortlichkeit des Gesamtkabinetts, vertreten durch den Herrn Bundeskanzler, auf das allerschärfste zur Geltung gebracht werden, und ich möchte wünschen, daß auch in den Ländern die Verantwortlichkeit der Ministerpräsidenten für den Vollzug der Wiedergutmachung stärker als bisher in den Vordergrund gerückt wird.
Es ist ferner die Frage aufgetreten, welchem von den anderen Ressorts man die Federführung geben sollte. Im Bund ist es der Herr Bundesfinanzminister. In manchen Ländern sind es ebenfalls die Finanzminister. Aber hier stehen wir vor der Tatsache, daß die zwei Seelen in der Brust, von denen ich gesprochen habe, in ein und demselben Minister in starkem Widerspruch zueinander stehen. Es ist der Widerspruch zwischen dem Interesse an der fairen Durchführung der Wiedergutmachung und dem Interesse an der möglichsten Geringhaltung des Wiedergutmachungbetrages, dem fiskalischen Interesse. Es ist kein Vorwurf, den man einem Finanzminister machen muß, sondern es ist eine Tugend eines Finanzministers, daß er der Ausgabefreudigkeit nicht nur des Parlaments und der Parteien, sondern der Ausgabefreudigkeit überhaupt mit Stärke und Charakter entgegenwirkt, und es ist verständlich, daß der Bundesfinanzminister und die Finanzminister der Länder dasselbe Prinzip auch in bezug auf die Wiedergutmachung vertreten. Aber wir müssen klar und realistisch sehen, daß ausgerechnet der Minister, der verfassungsmäßig dazu bestellt ist, das Schuldnerinteresse des Bundes wahrzunehmen, mit der Aufgabe betraut wird, die Wiedergutmachung so vollständig und so eindrucksvoll wie möglich durchzuführen. Je länger ich mir das überlege, desto mehr komme ich zu dem Ergebnis, daß die Federführung in Wiedergutmachungsangelegenheiten weder beim Bund noch bei den Ländern in die Hände der Finanzminister gelegt werden sollte; denn sie kommen damit in einen Interessenkonflikt,
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dem wir sie nicht aussetzen sollten und der auch der Sache nicht bekommt, selbst bei der größten Gewissenhaftigkeit nicht.
Es ist die Frage, wie es mit den anderen Ressorts wäre. Da zeigt sich auf Grund der Erfahrungen der Länder, daß bei einem Übergang auf ein anderes Ressort die Finanzminister mit sehr viel verstärkter Wucht das fiskalische Interesse innerhalb des Kabinetts zur Geltung bringen und daß die Finanzminister bei der sehr starken Stellung, die sie überall nach den Geschäftsordnungen der Kabinette haben, dort häufig durchdringen. Es scheint mir deshalb unerläßlich zu sein, daß die Leiter der Politik, also der Bundeskanzler im Bund und die Ministerpräsidenten in den Ländern, sich und ihren Einfluß in irgendeiner Form stärker in die Wiedergutmachung einschalten.
Eine derartige organisatorische Änderung und eine Vermehrung der Beamten in denjenigen Ressorts und denjenigen Referaten, in denen gegenwärtig wie beim Bundesfinanzministerium ein solcher Stoßbedarf vorhanden, ist, daß das Referat nicht nachkommt, scheiner mir unbedingt erforderlich zu sein. Ich will keine präzisen Vorschläge machen und auch in bezug auf einen Bundesbeauftragten keinen Antrag stellen, obwohl ich gestehen muß, daß durch die Konzentration der gesamten Aufgaben in der Hand eines Beamten, den man dann nennen kann, wie man will, wenigstens eine Verantwortlichkeit für die gesamte individuelle Wiedergutmachung nach außen hin statuiert werden würde.
Ich will mich also hier auf bestimmte organisatorische Anträge oder Vorschläge nicht festlegen; aber es muß etwas geschehen, und ich bin der Meinung, daß wir allerdings, wenn nichts geschieht, bestimmte Vorschläge machen und Anträge stellen müssen, um die Verantwortlichkeit für die individuelle Wiedergutmachung zu vereinheitlichen und klarzustellen, sie an der Staatsspitze zu konstruieren und überall da, wo die Wiedergutmachung an einem zu großen Mangel an Personen und Beamten hängt, Wandel zu schaffen, indem in die Referate, wenn auch nur vorübergehend, d. h. für die Zeit des Stoßbedarfs, Sachkenner eingestellt werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß eine Anfrage einer Fraktion dieses Hauses eine so gründliche Behandlung, wie wir sie eben gehört haben, herausfordert, deutet an, wie sehr diese Anfrage berechtigt ist, deutet an, daß alle diejenigen, die sich ernsthaft mit diesem Gesetz - besser gesagt: mit seiner Anwendungspraxis - auseinandersetzen, allmählich das Gefühl bekommen, daß es für einen demokratischen Staat kaum noch erträglich ist, die Dinge so bleiben zu lassen, wie sie sind.
Ich möchte Sie nun nicht nochmals mit den sehr wichtigen Sachverhalten beschäftigen, die der Herr Kollege Professor Böhm eben vorgetragen hat, sondern lieber den Versuch machen, aus den Erfahrungen, die wir leider zu buchen haben, einige Schlußfolgerungen zu ziehen, und zeigen, wie wir es besser machen können. Niemand wird verkennen, daß das Wiedergutmachungsgesetz vom 1. Bundestag in einer Eile und einer Bedrängnis verabschiedet wurde, die nach menschlichem Ermessen eine brauchbare gesetzgeberische Arbeit nicht mehr erwarten ließen. Das wäre dann nicht weiter verhängnisvoll, wenn wir nicht alle wüßten, daß die Ausführung dieses Gesetzes zum großen Teil in den Händen der Länder liegt, die aus Gründen, wie sie eben erörtert worden sind, ein natürliches Bedürfnis haben, sich gegen Zumutungen von der Bundesseite her zu sperren, und wenn wir nicht weiter wüßten, daß in den Behörden, die dieses Gesetz durchführen - ich möchte meine Berner-kung vom letzten Mal nicht wiederholen; ich habe deshalb sehr viele böse Briefe bekommen -, nicht nur Beamte sitzen, ,die durchdrungen sind von der menschlichen und politischen Aufgabe, die ihnen anvertraut ist.
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Deshalb ist es bedauerlich, daß nach dem Finanzanpassungsgesetz die Last bei den Ländern bleibt, und so erscheint es notwendig, daß hier eine Regelung erfolgt, die die Länderregierungen nicht veranlaßt, Anweisungen zu erteilen, aus denen der Beamte, der sich nun eben nicht jener menschlichen Verpflichtung voll bewußt ist, das Recht ableitet, engherzig zu sein. Ich glaube, wenn die Länder wüßten, daß der Bund jetzt oder später diese Lasten trägt, würden die Anweisungen an die ausführenden Behörden anders aussehen, als das jetzt der Fall ist, wobei keineswegs etwa einer Verschwendung das Wort geredet werden soll. Sie würden aber menschlicher gehandhabt werden können.
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Damit komme ich auf etwas anderes. Ein deutscher Beamter lebt in der Vorstellung, daß der Rechnungshof es ihm großzügig verzeiht, wenn er im Interesse des Fiskus einen Petenten abgewiesen hat.
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Wenn dieser Petent in einem langen Prozeß, der für den Fiskus sehr kostspielig ist, schließlich zu seinem Recht kommt, so stört das den Rechnungshof nicht, denn dieser Beamte hat ja seine Pflicht getan, die fiskalische Kasse zu schützen; nun, er ist eben unterlegen gegenüber dem Recht. Noch nie ist einem Beamten etwas widerfahren, weil er zu engherzig war, aber die Gefahr, daß ihm vom Rechnungshof irgendwie Schwierigkeiten gemacht werden, weil er in der Auslegung der ihm anvertrauten Bestimmungen menschlich und großzügig gewesen ist, ist doch da. Wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob wir nicht bei dem zweiten Wiedergutmachungsgesetz die Zuständigkeit des Rechnungshofes nur auf dasjenige Verhalten des Beamten beschränken sollten, bei dem unter Umständen mehr als bloßes menschliches Ermessen in Frage steht.
In der Praxis der Anwendung hat sich - wie Herr Professor Böhm mit Recht gesagt hat - herausgestellt, daß der aus der Enge der Verhältnisse heraus verständliche Versuch, gewisse Präferenzen zu konstruieren, zu sagen: es muß in einer gewissen Reihenfolge gehandelt werden, uns wiederum verpflichtet hat, für eine bevorrechtigte Erledigung gewisse Merkmale aufzustellen. Dadurch wird natürlich die dem Petenten zugemutete Beweislast - Vorlegung von Dokumenten aller Art -erschwert. Ich könnte mir -ich weiß nicht, ob Herr Professor Böhm damit einverstanden ist ({3})
doch vorstellen, daß man ohne Rücksicht auf die Rangordnung zunächst einmal einen Fall behandelt und erst dann nach der Maßgabe der Rangordnung entscheidet, ob der Betreffende sofort oder nur vorschußweise befriedigt werden soll. Ich bin nicht in der Lage, im Augenblick die gesetzgeberische Technik eines solchen Verfahrens zu entwickeln. Ich könnte mir aber denken, daß das geht. Dann würde nämlich das nicht eintreten, was wir heute immer wieder erleben, daß uns die Ländervertretungen sagen: wir verbrauchen die Gelder gar nicht, die wir im Etat für diese Dinge einsetzen, und zwar deshalb nicht, weil die Verwaltung - zum Teil mangels Richtlinien, mangels Ausführungs- und Rechtsverordnungen - gar nicht in der Lage ist, die Dinge so schnell zu machen.
Ich glaube also, daß etwas mehr Großzügigkeit in der Frage der von ,dem Verfolgten vorzulegenden Dokumente angebracht wäre. Wir wissen alle, daß totalitäre Systeme - ein Beweis ihres schlechten Gewissens - eine große Praxis in der Vernichtung von Dokumenten haben. Ich sehe jetzt einmal ab von der Überalterung. Wenn es aber vorkommt, daß ein Petent vor einer Behörde - ich will das Land jetzt nicht nennen - bei der Vorlage seines Passes aufgefordert wird, nachzuweisen, daß er mit dem im Paß beschriebenen und photographierten Mann identisch sei
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- in einem Rechtsstaat, in dem doch der Paß der Identitätsnachweis sein sollte -, dann kann man nur fragen: was geht da eigentlich vor? Weil wir das wissen, deshalb müssen die Gesetze eine große Präzision haben. Darum möchte ich bitten, daß man
sich bei der Vorbereitung des zweiten Gesetzes etwas mehr Zeit läßt. Wir möchten unter allen Umständen die Sicherheit haben, daß diesmal der Verwaltung Ausreden nicht mehr möglich sind.
Sollte sich der Bundestag nicht - und dieses Gesetz und seine beschämende Praxis geben uns doch Veranlassung dazu - einmal eine Anregung überlegen, ,die nicht ich erfunden habe, sondern die ich von einem in Fragen der Gesetzgebung und der parlamentarischen Behandlung der Dinge sachverständigen Mann bekommen habe? Sollten wir nicht bei der Verabschiedung aller oder jedenfalls gewisser Gesetze der Regierung die Verpflichtung auferlegen, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dem Hause über die Erfahrungen zu berichten, die sich bei der Durchführung des Gesetzes ergeben haben?
Ich glaube, wir stehen sowieso vor der Frage, ob nicht die Verwaltungskontrolle des Parlaments mit anderen und mit besseren 'Mitteln als jetzt durchgeführt werden muß. Dieses Gesetz zeigt, wie notwendig das ist. Vielleicht sollten wir uns, wenn das zweite Gesetz vorgelegt wird, überlegen, ob wir nicht mal damit den Anfang machen - ich wiederhole -, die Regierung zu verpflichten, in angemessener Zeit dem Hause über die Durchführung des Gesetzes Bericht zu erstatten. Wir würden dann vielleicht nicht mehr in die Lage kommen, solche Anfragen zu stellen, wie wir sie jetzt leider stellen müssen.
Im Namen meiner Fraktion kann ich mitteilen, daß wir der Überweisung des Antrags an die Ausschüsse zustimmen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte, daß ich trotz der vorgerückten Zeit noch mit einigen kurzen Bemerkungen auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs im Bundesministerium der Finanzen eingehe.
Herr Staatssekretär, wir haben gern zur Kenntnis genommen, daß Ihr Ministerium dieser irreführenden Überschrift im Bulletin fernsteht. Aber meine Freunde wären Ihnen dankbar, wenn auch sonst diese Publizistik aufhörte, daß immer Beträge des Bundes und der Länder zusammengerechnet werden und daß bei der Wiedergutmachung immer über Zeiträume von Jahren der Vergangenheit und der Zukunft hinweggerechnet wird, was sonst in keinem anderen Falle üblich ist.
Zweitens, Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Sie haben in einem Punkte mir keine Antwort gegeben, nämlich hinsichtlich meiner Beschwerde über die Nichtbeantwortung unserer Kleinen Anfrage. Da bitte ich doch, daß Sie in Ihrem Hause diese Angelegenheit nochmals überprüfen 'lassen, zumal es höchstwahrscheinlich für unsere weiteren gesetzgeberischen Arbeiten erforderlich wird, daß wir einmal das Bundesfinanzministerium auch danach fragen, welche Beträge die Länder bisher in den einzelnen Jahren in ihren Haushalten zur Verfügung gestellt und, jetzt kommt etwas sehr Wichtiges, welche Beträge sie davon nicht ausgegeben oder zweckentfremdet haben. Auch das müssen wir einmal wissen, und das können wir als Bundestag nur über die Bundesregierung auf einem amtlichen Wege erfahren.
Dann habe ich von Ihnen sehr gern gehört, daß Sie zugesagt haben, einen etwa erforderlichen Mehrbetrag überplanmäßig zur Verfügung zu stellen, falls der bisher im Bundeshaushaltsplan vorgesehene Betrag von 160 Millionen DM nicht ausreichen sollte. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung, daß sich der Haushaltsausschuß mit der Angelegenheit befassen sollte. Ich bin den beiden Herren Vorrednern dankbar, daß sie sich diesem Antrage angeschlossen haben. Herr Staatssekretär. Sie gehen nämlich davon aus, daß der § 77 entweder unverändert bleibt oder sogar durch das Finanzanpassungsgesetz zu Lasten (der Länder verschlechtert wird und daß überdies die in Arbeit befindliche Reform des Gesetzes keine Mehrkosten mit sich bringt. Aber ich habe einige Hoffnung geschöpft, nachdem jetzt der verehrte Herr Kollege Professor Böhm und der verehrte Herr Kollege Reif das Finanzanpassungsgesetz in dieser Hinsicht beklagt haben. Es wäre allerdings besser gewesen, das schon bei der Beratung und Abstimmung über das Finanzanpassungsgesetz so zu halten. Nun, es ist ja noch nicht aller Tage Abend, und wir können hei der Reform des Gesetzes darauf hinsteuern. daß die Verantwortlichkeit des Bundes, und zwar gerade auch die finanzielle Verantwortlichkeit des Bundes in diesen Fragen stärker als bisher betont wird, damit wir aus der ganzen Misere herauskommen.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkte. Herr Staatssekretär, Sie haben freundlicherweise uns jetzt bekanntgegeben, daß dem Kabinett eine Verordnung unterbreitet ist, durch die der erste Aufruf erfolgen soll. Aber der Inhalt dieses Aufrufs ({0})
und das haben, glaube ich, auch die beiden Herren Vorredner gesagt - kann uns nicht zufriedenstellen, weil diese Maßnahmen ja, wenn ich es etwas hart ausdrücken soll, doch nur Ersatz für Wohlfahrt sind. Wir können die Wiedergutmachung in der Praxis nicht auf die Menschen über 60 oder die stark Erwerbsbehinderten beschränken. Wir müssen gerade in diesen Fällen besonders auch an jugendliche Menschen denken.
Da meine Fraktion mich wiederholt damit beauftragte, zu diesen Problemen hier zu sprechen, erhalte ich aus ganz Deutschland und aus der ganzen Welt fortgesetzt eine große Zahl von Zuschriften, aus denen man ein wirklich erschütterndes Bild über den Stand der Dinge bekommt. Gerade dieser Tage bekam ich das Schreiben eines jungen Mannes; es ist datiert vom 3. Dezember. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein paar Sätze daraus verlesen:
Meine Lage sieht nun folgendermaßen aus:
- schreibt der junge Mann Ich habe Mutter und zwei Geschwister im KZ Hadamar verloren, habe meine kaufmännische Lehrstelle unterbrechen müssen, habe drei Jahre in der Illegalität gelebt und war sechs Jahre eingesperrt.
- Er war teils hier eingesperrt, teils in Frankreich. Nun bin ich nach hier zurückgekehrt. Vater, Mutter, Geschwister, nächste Angehörige tot, umgekommen. Fremde Menschen haben mich aufgenommen. 27 DM bekomme ich wöchentlich als Unterstützung ({1}).
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Auf wiederholte Anfragen beim Arbeitsamt Wetzlar sagte man mir: keine Arbeit! Gehen Sie doch wieder ins Ausland! Es wäre besser für Sie.
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Das ist nicht ein zufälliger Brief, das ist ein symptomatischer Brief. Solche Briefe bekomme ich andauernd. Wir müssen auch gerade an diese jungen Menschen denken, die aus der Bahn geworfen worden sind. In einer Rundfunksendung neulich ist dieser junge Jude erwähnt worden, der seit seinem dreizehnten Lebensjahr nur hinter Gittern gelebt hat und der jetzt von der Wiedergutmachung ausgeschlossen werden soll, weil er von einem französischen Militärgericht wegen drei Ohrfeigen verurteilt wurde.
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Also auch da ist so viel Not, daß unbedingt etwas geschehen muß und wir diese Aufrufe nicht bloß auf die Alten beschränken können, wenn auch die Alten bestimmt den ersten Anspruch haben. Denn selbst bei der gegenwärtigen Aufrufsregelung, bei der auch die Ansprüche der Alten auf 10 000 DM beschränkt bleiben, werden viele der Alten die Auszahlung ihrer Ansprüche überhaupt nicht mehr erleben. Also das kann uns - wenn Sie in Ihrem Ressort auch bestimmt Ihre Pflicht getan haben; und mir ist bekannt, Herr Staatssekretär, daß Sie persönlich in diesen Fragen sehr wohlmeinend sind - objektiv s o einfach nicht genügen.
Nun noch ein Weiteres. Ich möchte Herrn Kollegen Reif darin zustimmen, daß die Arbeit der Rechnungshöfe hier außerordentlich unheilvoll ist.
Offenbar ist es bisher noch nicht gelungen, Menschlichkeit in Ziffern zu messen. Infolgedessen bringen die Rechnungshöfe kein Verständnis für die hier anstehenden Fragen auf. In der Tat wird in dem Gesetz eine Bestimmung getroffen werden müssen, die diese Haltung der Rechnungshöfe für die Zukunft jedenfalls abwehrt.
Ein Letztes. Herr Kollege Böhm hat dankenswerterweise sehr richtige und ausführliche Begründungen dafür vorgebracht, daß wir in der Tat so etwas wie einen Bundesbeauftragten brauchen, weil die Zersplitterung hier sehr viel zu der mangelhaften Erledigung beiträgt und die Dinge - das bitte ich auch nur ganz objektiv aufzufassen - bei den Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder nicht gerade richtig aufgehoben sind. Denn der Art. 84 des Grundgesetzes bietet ganz erhebliche Möglichkeiten, wenn diese Bundesaufsicht auch den Ländern gegenüber einmal in einer solchen Frage aktiviert wird.
Und es sieht in manchen Ländern hinsichtlich der Durchführungsbereitschaft nicht zum besten aus! Auch da darf ich einmal aus einem Brief zitieren. Ich bekam den Brief - er ist vom 7. Dezember datiert - eines mir sehr gut bekannten Frankfurter Anwalts, der mir u. a. folgendes schreibt:
Bei einem kürzlichen Besuch in Köln wurde mir von verschiedenen Sachbearbeitern bestätigt, daß Feststellungsbescheide, Auflageschreiben und sonstige Benachrichtigungen nach Vorbereitung und Diktat oft viele Tage oder sogar Wochen später erst hinausgehen, weil das zur Verfügung stehende Schreibpersonal nicht ausreicht, um eine laufende Bearbeitung durchzuführen.
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Insbesondere in den Auflageschreiben erlebe ich es immer wieder, .daß zwischen der Ausfertigung, d. h. dem Diktat, und dem Eingang bei mir mehrere Wochen liegen und daß dadurch, daß zwischenzeitliche Eingaben unberücksichtigt blieben, neue Rückfragen notwendig werden und erhebliche Verzögerungen entstehen. So erhalte ich z. B. heute, am 7. Dezember, ein solches Auflageschreiben mit Datum vom 12. Oktober, das also fast zwei Monate in Lauf war, bis es mich erreichte.
Das sind so die Verwaltungszustände.
Aber damit man nicht sagt, ich griffe das Land Nordrhein-Westfalen an - ich stehe sowieso schon manchmal in diesem Rufe -, will ich jetzt auch einmal über das Land Hessen etwas sagen. Auch ein Zitat aus einem Brief eines Anwalts vom Dezember, der mir mitteilt:
Am 11. Oktober 1954 hat der Regierungspräsident in Kassel mitgeteilt, daß auf seinen Antrag der hessische Minister des Innern als Vorauszahlung auf diesen Anspruch einen Betrag von 5000 DM bewilligt habe. Der 67jährige Antragsteller, der heute in wirtschaftlich sehr ungünstigen Verhältnissen lebt, wartet seit dieser Zeit auf die Auszahlung der Vorauszahlung. Unter dem 3. Dezember teilt nunmehr der Regierungspräsident in Kassel wörtlich mit: „Die Überweisung des für Herrn B. bewilligten Betrags von 5000 DM war noch nicht möglich, weil mir im November keine Haushaltsmittel zur Verfügung standen".
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Das ist die Lage draußen; und da hätte ein Bundesbeauftragter auch im Wege der Bundesaufsicht eine Menge von Arbeit, um hier einmal nach dem Rechten zu sehen. Wir hoffen, daß diese Aussprache dazu beigetragen hat, die Dinge in dieser Richtung weiterzutreiben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie nicht allzu lange aufhalten, halte es aber doch für richtig und notwendig, die politische Auffassung meiner Freunde und auch die meine ganz kurz zu skizzieren. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, daß es unsere politische Grundauffassung ist- aus der sich ja auch der Ursprung unseres politischen Inerscheinungtretens und Wirkens erklärt -, daß es die vordringliche Aufgabe unseres Staates und unserer jungen Demokratie sein muß, allen Opfern einer unseligen Katastrophen- und Notstandszeit, dieser, wie wir hoffen. Umbruchszeit und Wendezeit zum Besseren hin, eine -besonders liebevolle und intensive Zuneigung und Aufmerksamkeit zu schenken.
Aus dem Gesichtspunkt „Gleiches Recht für alle" soll und muß der Staat hier trachten, sowohl legislativ wie exekutiv schnellstmöglich alle Wunden zu heilen, die nun, leider Gottes, in dieser Zeit entstanden sind und auf die wir ja wahrhaftig nicht stolz sein können und dürfen. Denn es wird ja wohl, leider Gottes, einmal in der Geschichte heißen, daß es dieser ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorbehalten geblieben ist, Menschen ob ihrer politischen Einstellung, ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Konfession und ihrer Zugehörigkeit zu einem Volke zu quälen, zu verfolgen, einzusperren, zu vergasen, aus der Heimat zu jagen usf.
Daher ist es, wie ich glaube, unser aller Aufgabe, uns dieser Dinge besonders liebevoll anzunehmen. Es dreht sich hier darum - auch das ist heute schon angedeutet worden -, nicht ein bloß menschliches, karitatives Verständnis zu üben und in der ganzen Sache eine Art Wohlfahrtsproblem all denjenigen gegenüber zu sehen, die, frei von persönlicher Schuld gegenüber göttlichen und menschlich-ethischen Gesetzen, unter die Räder des Schicksals gekommen sind. Es ist erst recht nicht ein bloß materielles Problem, das etwa nach den Maßstäben von Rechnungshöfen zu messen ist, sondern abgesehen davon, daß es sich um ein ethisches, also auch geistig-seelisches Problem handelt, ist es ein gesamtpolitisches Problem und damit auch ein gesamtdeutsches Problem. All diese Fragen, ob es sich um Opfer eines Regimes handelt oder um Opfer der Heimatvertreibung, müssen schon darum befriedigend gelöst werden, weil ihre Nichtlösung oder unbefriedigende Lösung einen dauernden Zündstoff, ja zum Teil sogar bewußt gelegten Zündstoff darstellt, sozusagen eine Bombe, die entschärft werden muß, und zwar auch im Hinblick auf manche Folgen des Kalten Krieges, in dem wir alle stehen.
Herr Kollege Dr. Arndt hat in sehr erfreulicher Weise dargestellt, daß eine nichtbefriedigende Lösung dieser Fragen immer wieder gewisse Klüfte aufreißen und Zwiespälte nähren muß, und zwar zwischen den 131ern, den alten Soldaten einerseits und den Anspruchsberechtigten der Wiedergutmachung andererseits. Wir sind voll und ganz der von Ihnen hier dankenswerterweise dargetanen Auffassung, daß wir alle diese Dinge unter einem größeren, gemeinsamen Aspekt zu sehen haben und auf jeden Fall gleiches Recht allen, die Opfer dieser schweren Zeit geworden sind, zuteil werden lassen müssen. Die Lösung dieser Fragen - auch das ist angedeutet worden - darf nicht im Feld gesetzlicher oder administrativer Fehlkonstruktionen hängenbleiben. Wenn wir hier ausführlich gehört haben. daß bei der Gestaltung des Gesetzes offensichtliche Fehler unterlaufen sind, ist es notwendig, daß wir uns dazu bereitfinden, diese Fehler auch in der Grundkonzeption zu beseitigen. Auch die Verwaltungsformen - das ist uns allen in diesem Hohen Hause klargeworden - sind nicht einwandfrei. Sie sind ähnlich nicht einwandfrei, wie wir es etwa bei der Lastenausgleichsverwaltung immer wieder spüren. Sie sind bedenklich, weil, wie gleichfalls gesagt wurde, auch in diesem Sektor gerade dem Finanzministerium eine Aufgabe zuerteilt wurde, die eigentlich nicht dort hingehört. Dazu kommt noch das, was wir auf den anderen Sektoren gleichgelagerter Art immer wieder feststellen: daß die Dinge im Gestrüpp des föderativen Hin und Her hängen bleiben, in den Strudel der Bund-Länder-Auseinandersetzung hineingezogen werden, wofür Igerade die Betroffenen überhaupt kein Verständnis haben. Dabei hat jeder das Gefühl, daß es sich bei diesen und ähnlich gelagerten Fragen der Wiedergutmachung um gesamtdeutsche Fragen, also Bundesfragen, handelt, Frauen, die, wie ich schon andeutete, mit besonderer Liebe, besonderer Intensität und unbürokratischer, unfiskalistischer Verantwortuncrsfreude gemeistert werden müssen.
Dabei sollte man weniger Energie auf besänftigende Erklärungen und publizistische Kunststückchen ähnlich dem Bericht des Bulletins als vielmehr alle Energie auf die Sache selbst verwenden.
Ganz kurz: Wir wünschen, daß aus dieser Anerkennung gleichen Rechtsanspruchs aller Opfer der Kriegs- und Nachkriegszeit wirklich eine Rechtserfüllung werde, die dann Hand in Hand mit einer sozialen Befriedung gerade dieser Menschen eine Verstärkung der Basis unseres demokratischen Staates ergibt, für die wir alle einzutreten bereit sind.
Aus diesen Gesichtspunkten heraus schließen wir uns der Auffassung der übrigen Fraktionen an, daß der vorliegende Antrag dem zuständigen Ausschuß zur weiteren Beratung überwiesen werden soll.
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Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Punkt 12 a ist damit erledigt.
Punkt 12 b ist dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste, die 61. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Dezember, 9 Uhr, und schließe die heutige, 60. Sitzung des Deutschen Bundestages.